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Handwörterbuch
der
CHIRURGIE
mit Einschluss der
Operations-, Verband- und Arzneimittellehre.
Für praktische Wundärzte
bearbeitet von
es
Dr. C. G. Burger,
Oberamtswundarzte in Münsingen.
Leipzig
Verlag von Otto Wigand,
1858.
JsS./f-?^
Vorrede.
Die grossen und schnellen Fortschritte, welche die Chirur-
gie und ihre Hülfswissenschaften in der neuesten Zeit machen,
lassen es wünschenswerth erscheinen, die Masse von neuen Ent-
deckungen, Erfahrungen und Beobachtungen, welche in Zeit-
schriften und Monographien niedergelegt sind , von Zeit zu Zeit
den Handbüchern der Chirurgie einzuverleiben und so allgemein
zugänglich zu machen. Ermutigt durch die günstige Aufnahme,
welche sein Lehrbuch der Chirurgie gefunden hat, und besonders
auch von verschiedenen Seiten, namentlich von Besizern des ge-
nannten Lehrbuchs aufgefordert, hat sich der Verfasser ent-
schlossen, ein die ganze Chirurgie nebst ihren wichtigsten Hülfs-
wissenschaften umfassendes, für den Anfänger, hauptsächlich aber
für den Practiker taugliches Werk auszuarbeiten. Obgleich nun
gerade nicht behauptet werden kann, dass die chirurgische Lite-
ratur arm an Werken ist, ja sogar zugegeben werden niuss, dass
keine frühere Zeit so viele und gediegene Werke über Chirurgie
aufzuweisen hat, als eben die gegenwärtige, so ist auf der andern
Seite nicht in Abrede zu ziehen, dass die meisten derselben durch
ihren zu hohen Preis dem minder bemittelten Wundarzte nicht
zugänglich sind , wesshalb ein grosser Theil dieser , theils aus
Mangel an Gelegenheit, theils aus Mangel an Zeit, sich ander-
weitig zu belehren, nothwendig ausser Stande sein muss, mit den
Fortschritten ihrer Wissenschaft gleichen Schritt zu halten.
Diesem hat der Verfasser bei der Bearbeitung seines Werkes
dadurch zu begegnen gesucht, dass er sich einerseits einer zu
dehnenden Weitschweifigkeit enthielt, ohne indessen etwas
Wissenswerthes zu übergehen, andererseits demselben eine
solche Einrichtung gab, dass möglichst Baum erspart ist, was
noch durch einen compressen, das Auge übrigens nicht beschwe-
renden Druck unterstüzt wird. — Die Form betreffend, so wurde
die encyclopädische gewählt, die namentlich für den beschäftigten
Practiker sich äusserst bequem erweist, indem er sich vorkom-
menden Falls schnell Eaths erholen kann. Der Vorwurf, der
früher den encyclopädischen Wörterbüchern nicht mit Unrecht
gemacht wurde, dass sie nämlich zusammengehörige Gegen-
stände auseinanderreissen, fällt, seitdem man in neuerer Zeit an-
gefangen hat, die an den einzelnen Körpertheilen vorkommenden
Krankheiten im Zusammenhange abzuhandeln , wie auch schon
früher in ähnlichen Werken sich alle Wunden , Fracturen, Her-
nien etc. unter einem Artikel finden, so dass es auch bei dieser
Form an einer systematischen Anordnung nicht fehlt. — Was
die innere Einrichtung betrifft, so ist in dem vorliegenden Werke
hauptsächlich auf das Bedürfniss des Practikers Rücksicht ge-
nommen und in dieser Hinsicht namentlich der Diagnose und
der Behandlung eine besondere Sorgfalt gewidmet worden;
erwünscht dürfte bezüglich der leztern die Aufnahme zahlreicher
durch die Erfahrung bestätigter Receptformeln bei den einzelnen
Artikeln sein. Um indessen das Werk nicht allein für den
VII
wissenschaftlichen Practiker nuzbringender, sondern auch für
den Anfänger brauchbar zu machen , ist auch den Hauptergeb-
nissen der neuesten pathologisch anatomischen und physiologi-
schen Untersuchungen gebührend Rechnung getragen, so dass
also Theorie und Praxis in gleicher Weise berücksichtigt sind.
— Wie der Titel besagt, sind neben der chirurgischen Pathologie
und Therapie die Operations-, Verband- und Arzneimittellehre
in abgesonderten Artikeln aufgenommen. Die Instrumenten-
lehre wurde ausgeschlossen, weil die Beschreibung der Masse
von (grösstentheils bekannten) Instrumenten einen zu grossen
Raum erfordert hätte; indessen sind nicht wenige namentlich
neuere Instrumente wenigstens nach ihren Grundzügen aufge-
nommen. In gleicher Weise wurde von einer Aufnahme der
Augenheilkunde Umgang genommen, weil sie zu einem sehr
umfangreichen, sogar selbstständigen Abschnitte der Chirurgie
angewachsen ist und daher specieller Handbücher bedarf. Nicht
so sicher der Billigung der Fachgenossen wie bezüglich der zwei
vorgenannten Lehren ist der Verfasser über die Weglassung
der in den Handbüchern der neuern Zeit häufig den einzelnen
Artikeln vorangeschickten topographischen chirurgischen Ana-
tomie. Auch entschloss sich derselbe, den Nuzen einer solchen
anerkennend , erst nach langen Bedenken zu dieser Weglassung
und zwar im Hinblick darauf, dass eine blosse Skizze derselben
doch nicht vollständig befriedigen , ein näheres Eingehen auf
diesen Gegenstand den Umfang des Werkes über die Massen
vergrössern würde. — Der Verfasser hat sich bemüht, ein Werk
zu liefern, welches den Anforderungen der gegenwärtigen Zeit
entspricht und zu diesem Behufe alles bewährte Neue aus Zeit-
schriften, Monographien und Handbüchern aufgenommen, aber
auch das Alte, soweit es brauchbar ist, nirgends übergangen.
Ob er seinen Zweck erreicht hat, muss er dem Unheil der Sach-
verständigen überlassen.
VTIT
Schliesslich sei noch bemerkt , dass alle Artikel , mit weni-
gen Ausnahmen , unter den deutschen Benennungen aufgeführt
sind; ein vollständiges Register, welches alle Synonyme ent-
hält, erleichtert das Aufsuchen eines bestimmten Artikels auf die
möglichste Weise.
Der Verfasser.
71929
A.
ABBINDEN. Man verstellt darunter das Zusammenschnüren
eines organischen Theiles oder eines krankhaften Productes mit einer Liga-
tur, um eine Abtrennung desselben zu bewirken. Dies kann auf zweifache
Weise geschehen : entweder die Ligatur bewirkt die Trennung unmittelbar,
indem sie gleich einer Scheere durch schneidenden Druck wirkt, oder
sie wirkt allmäklig, indem sie durch Aufhebung der Circulation ein
Absterben des unterbundenen Theiles herbeiführt. Man wählt diese
immerhin schmerzhafte und langwierige Operationsmethode , wenn man
mit schneidenden Instrumenten nicht zur Trennungsstelle gelangen kann,
wenn man durch dieselben wichtige Nachbartheile gefährden würde,
wenn man Blutungen vermeiden muss , oder endlich bei Messerscheu des
Kranken. Nur gestielte oder mit nicht zu breiter Basis aufsitzende
Körper lassen die Ligatur gut zu. Behufs der unmittelbaren Trennung
legt man, während ein Gehülfe die Geschwulst abzieht, einen gewichsten
Faden von Seide oder Hanf oder einen Metalldraht um die Basis der-
selben und zieht ihn so fest zusammen , dass die gefassten Theile durch-
schnitten werden. Zur allmähligen Trennung nimmt man eine mehrfache
Ligatur oder selbst eine feste Schnur, schlingt sie in einen einfachen
Knoten , zieht sie zusammen bis massiger Schmerz entsteht und schürzt
dann einen zweiten Knoten mit einer Schleife. Ist der abzubindende
Theil an der Trennungsstelle dicker , als an dem darüber liegenden , so
kann man , um das Abgleiten der Ligatur zu verhindern , eine oder
mehrere Insectennadeln über der Stelle , wohin diese zu liegen kommt,
durch die Geschwulst hindurchführen. Bei grossen Geschwülsten, welche
nicht so fest geschnürt werden können , dass die Circulation ganz auf-
gehoben wird , ist es zweckmässig , mitten durch die Basis derselben
mittels einer Nadel eine doppelte Ligatur durchzuziehen und dann je
zwei Enden nach jeder Seite hin zusammenzuknüpfen ; auch zieht man
wohl kreuzweise zwei doppelte Ligaturen durch und knüpft ihre Enden
an vier Seiten zusammen. Ist das abzubindende Gebilde von der äusseren
Haut umgeben , so wird diese an der Ligaturstelle vorher mit halbmond-
Burger, Chirurgie. 1
Z ABBINDEN.
förmigen Schnitten eingeschnitten , oder die Ligatur auch subcutan
angelegt. Bei grossen Geschwülsten , wo die Kraft der Hände zur Zu-
sammenschnürung der Ligatur nicht ausreicht, oder wenn die Geschwulst
in einer Körperhöhle liegt , wo die Finger nicht gut beikommen können,
bedient man sich besonderer Instrumente , sowohl zur Umlegung der
Ligatur , Schiingenführer, als zur Zusammenschnürung derselben,
Schlingenschnüre r. Unter ihnen sind besonders das Ligatur-
stäbchen von Gräfe, der Cylinder von Levret und die Rosenkranz-
instrumente von Koderik, Mayor u. A. (S. Nasen- und Gebärmutter-
polypen) zu nennen. Der Gräfe 's che Schlingenschnürer besteht aus
einem Stahlstäbchen, das an dem einen Ende ein Loch hat, durch welches
die zwei Enden der schon umgelegten Schlinge gebracht werden ; am
anderen Ende befindet sich eine Schraube, die je nach der Seite, nach
welcher sie bewegt wird , eine bewegliche , die befestigten Fadenenden
tragende Schraubenmutter auf- und abwärts. f ührt ; eine einzige Umdreh-
ung reicht oft hin , die Einschneidung nach Wunsch zu steigern oder zu
vermindern. Ein der neuesten Zeit angehöriges Instrument zur Ent-
fernung kranker oder entarteter Weichtheile ist der Ecraseur von
Chassaignac. Es ist eine gegliederte Metallkette, die in Form einer
Schlinge oder eines Ringes um die zu trennenden oder zu exstirpirenden
Theile gelegt und an ihren Enden mit einem mächtig wirkenden Apparate
versehen wird , der graduell den Umfang des Metallringes vermindert,
die Weichtheile unterhalb des Metallringes zusammenpresst und endlich
durchquetscht. Es bleibt eine nicht blutende Wundfläche , von relativ
sehr kleinem Umfange zurück , die rasch verheilt. Der Erfinder nennt
seine Methode Ecrasement lineaire, linienförmige Durch - oder
Abquetschung. Geschwülste mit breiter Basis müssen für die Abquet-
schung vorbereitet, d. h. gestielt werden, was durch einen massig um die
Geschwulst zusammengeschnürten Faden geschieht. Uebermässig breite
Geschwülste durchsticht man mit einer geraden lanzenförmigen Nadel an
der Basis , leitet einen Faden und an diesem die Kette des Instrumentes
ein , und theilt so die Geschwulst in zwei Theile , die man nacheinander
oder mittels zweier Instrumente auf einmal abquetscht. Ist der breite
Stiel der Geschwulst von dicker Haut umgeben, so kann man auch die
Haut erst circulär einschneiden und dann erst die Kette appliciren. —
Wenn eine grössere Strecke zu durchtrennen ist, so reicht das einmalige
Einschnüren nicht hin ; die Ligatur wird nach begonnener Trennung
locker und hört auf, den Theil zu constringiren. Hier muss also die
Einschnürung verstärkt werden, weshalb man entweder die Ligatur mehr
zusammenzieht , nachdem man vorher die Schleife aufgezogen hat , oder
wo dies nicht angeht , legt man eine festere Ligatur um die Trennungs-
stelle, oder, wo man den Schlingenschnürer applicirt hat, lässt man diesen
stärker wirken. Dieses stärkere Zusammenschnüren wiederholt man
täglich oder alle zwei Tage, bis die beabsichtigte Trennung erfolgt ist. - — ■
ABLEITENDE MITTEL. 6
Entsteht nach der Operation Blutung in Folge des Einschneidens einer
zu dünnen Ligatur, so wendet man kaltes Wasser oder andere blutstillende
Mittel an. Eine sieh entwickelnde Entzündung, der benachbarten Theile
behandelt man nach allgemeinen therapeutischen Grundsätzen. Schwillt
der unterbundene Theil oder Körper sehr an und sondert derselbe eine
brandige Jauche ab, so dass dadurch Funktionsstörungen in den benach-
barten Theilen oder durch die Aufsaugung der Jauche üble Zufälle ent-
stehen, so macht man Einschnitte in den Theil, theils um ein Zusammen-
fallen der Geschwulst durch Entleerung der in ihr enthaltenen Säfte zu
bewirken , theils um in diese Einschnitte fäulnisswidrige Mittel , z. B.
Myrrhe , Chlorkalk , Kohle , China etc. anwenden zu können. Treten
während oder nach der Operation Nervenzufälle , heftiger Schmerz,
Trismus, Tetanus etc. ein, so hängt das oft von dem Grade der Zusammen-
schnürung ab ; man muss daher in einem solchen Falle , wo die Nerven
nur gequetscht sind , die Ligatur entweder sehr fest zusammenschnüren
oder aber lockern. Das zurückbleibende Geschwür behandelt man seiner
Beschaffenheit gemäss.
Ableitende Mittel, D e r i v a n t i a , R e v u 1 s i v a. Man versteht
darunter solche Mittel, die durch eine mehr oder minder nahe am Size des
Uebels stattfindende Einwirkung eine in einem Organe fixirte Krankheits-
ursache abzuleiten geeignet sind. Die ableitenden Mittel gehören zu den
wichtigsten des Heilapparates, der uns zur Bekämpfung mancher Entzün-
dungen zu Gebote steht. Sie wirken theils durch Erregung eines Gegen-
reizes , der ebenfalls Schmerz , vermehrten Säftezufluss, Entzündung oder
sonstige Structur- oder Vegetationsveränderung oder auch eine Verlezung
der Substanz herbeiführt, theils durch das Hervorbringen einer Secretion
von Serum oder Eiter, um anomale Stockungen der Säfte zu zertheilen und
zur Resorption zu bringen, eine krankhafte Secretionsthätigknit nach aussen
abzuleiten etc. , theils durch beides zugleich. Es gehören hierher die
rothmachenden Mittel, die Blasenbildung, die Acupunctur, das Fontanell,
das Haarseil und die Cauterisation. Hier wird nur von den zwei ersten
die Rede sein ; die übrigen werden in besonderen Artikeln besprochen
werden. — Diese Mittel finden zwar bei Entzündungen eine ausgedehnte
Anwendung , noch mehr sind sie aber bei den Folgezuständen derselben,
der Eiterung, Ulceration , Exsudation, Verhärtung etc. und bei vielen
anderen Krankheitszuständen, namentlich bei denen mit erhöhter Sensibi-
lität angezeigt. Betreffs ihrer Anzeigen gilt im Allgemeinen Folgendes.
Sie können entweder am Anfange der Entzündung (nie aber während der
Acme einer acuten Entzündung) , oder bei ihrer Abnahme , oder auch bei
ihrem Uebergange in den chronischen Zustand angewendet werden. Im
ersten Falle bringt man sie nach vorausgeschickten Blutentziehungen,
Kälte etc. entfernt von dem Size der Krankheit an ; im zweiten Falle
operirt man diesem so nahe als möglich.
1*
4: ABLEITENDE MITTEL.
Die rothmachenden Mittel, Rubefacientia, wendet
man vorzüglich an, um einen Gegenreiz zu bewirken, welcher schnell und
kräftig ist , ohne eine Secretion der Haut zu veranlassen und gebraucht
sie deshalb als Ableitungsmittel bei schmerzhaften Entzündungen des
Ohres, der Brust etc., bei Rheumatismen, Neuralgien, zurückgetretenen
Exanthemen etc. Das wirksame Princip der rothmachenden Mittel ist
meistens ein scharfes ätherisches Oel ; man wählt deshalb solche Sub-
stanzen dazu , welche ein solches enthalten , dergleichen sind : der Senf,
der Meerrettig, die Zwiebel, der Knoblauch etc. ; ausserdem werden noch
solche Mittel benüzt , die durch physische oder chemische Agentien
reizend auf die Hautoberfläche einwirken ; hierher gehören : die Cantha-
riden, der Seidelbast, der Pfeffer, das Capsicum, das Veratrin, scharfer
Weingeist , heisses Wasser und Wasserdämpfe , das Glüheisen in Distanz
etc. Die häufigste Anwendung findet der Senfsamen, Semen
sinapeos s. sinapis, und zwar in der Regel als Senfteig,
Sinapismus. Man benüzt dazu gepulverten Senf (Farina semi-
n i s sinapis), welchen man mit heissem Wasser bis zur Consistenz
eines Cataplasmas umrührt , denselben dann mit einem Löffel halbfinger-
dick auf Leinwand aufstreicht und auf die Applicationsstelle legt. Man
lässt den Senfteig so lange liegen bis starkes Brennen und lebhafte
Röthung der Haut eintritt, was in der Regel in einer */4, l/2 Stunde, bei
reizloser Haut noch später geschieht. Lässt man den Senfteig zu lange
liegen, so erfolgt höchst schmerzhafte Blasenbildung. Nach eingetretener
Wirkung nimmt man den Senfteig behutsam ab und reinigt die Stelle
mit lauwarmem Wasser. Statt des Senfteigs kann man auch das ätherische
Senf öl entweder rein oder mit Alcohol in verschiedenen Proportionen
vermischt benützen. Eine Lösung von 2 4 Tropfen in Jj Alcohol wirkt
rasch und kräftig. Man reibt es entweder in die Haut ein oder legt
damit getränkte Compressen oder Löschpapier auf dieselbe. Geriebener
Meerrettig wirkt sehr rasch nach 2 — 3 Minuten und erregt binnen
5 — 8 Minuten schon einen sehr lebhaften brennenden Schmerz und eine
hellrothe Färbung. — Catharindentinktur wendet man als Ein-
reibung oder Foment an. Die scharfen vegetabilischen Alcaloide , wie
Daphnin, Veratrin, Cantharidin etc. werden (meistens 1 gr. auf 5J Fett)
als Salbe eingerieben. — Auch das Nesselpeitschen gehört hierher.
Die blasenziehenden Mittel, Vesicantia, Epispastica,
(von €7Ti(?7raG), ich ziehe an), sind in ihrer ableitenden Wirkung langsamer,
der Brennschmerz ist gelinder , sie wirken aber intensiver. Es gibt ver-
schiedene blasenziehende Mittel, sie sind 1) die C an th ariden. Diese
werden fast ausschliesslich zum Blasenziehen verwendet und zwar am
häufigsten in ?flasterform als gewöhnliches und immerwährendes Can-
tharidenpflaster. Das gewöhnl. Cantharidenpfiaster , Empl. cantharidum
ordinarium , wird zwischen den Fingern zerdrückt , messerrückendick auf
Leinwand aufgestrichen und durch Heftpflaster oder mit einer Binde auf der
ABLEITENDE MITTEL. 0
Haut , nachdem diese vorher von Haaren gereinigt und etwas gerieben
worden ist, befestigt. Nach 1 0 — 1 2 Stunden ist die Blasenbildung vollendet.
Man nimmt dann das Pflaster ab und entleert die Flüssigkeit mittels einer
Scheere. Beabsichtigt man bloss einen vorübergehenden Hautreiz und eine
plötzliche Ableitung, so nimmt man die Epidermis nicht weg und verbindet
mit einer milden Salbe, Butter etc. Man nennt dies ein fliegendes
Blasenpflaster. Soll dagegen eine länger dauernde Ableitung durch
Eiterung unterhalten werden, so trägt man die Oberhaut ab und verbindet
mit reizenden Salben, z. B. U n g t. basilicum, s a b i n a e u. dergl. —
Das immerwährende Cantharidenpflaster, Empl. cantharidum per-
p e t u u m , wird vorher in heissem Wasser oder am Feuer erweicht und mit
dem Spatel auf Leder oder Seidenzeug aufgestrichen. Es bedarf keiner
Befestigung , da es von selbst anklebt. Binnen einigen Tagen sickert
eine starke Absonderung unter ihm hervor, die gewöhnlich 1 0 — 14 Tage
anhält , worauf dann das unwirksam gewordene Pflaster abfällt. Bis-
weilen zieht es auch Blasen, worauf es dann sogleich abfällt. — Eine noch
schnellere Wirkung als die des gewöhnlichen Blasenflasters erhält man
durch die Anwendung des Collodium cantharidale (Rp.
Cantharid. pulv. ^jj ,Aether sulphur. ^iv , Alcoh. absolut.
x]. Digere per. hör. 24; posteaexpr. filtra et misce c.
Schiessbaumwolle q. s.), welches bloss in der beabsichtigten
Ausdehnung aufgestrichen zu werden braucht , festklebt und kräftig
wirkt. — Vermöge seiner Wirkung beschränkt das Blasenpflaster antago-
nistisch innere Secretionen, erhöht die Thätigkeit der absorbirenden
Gefässe und bringt stockende Flüssigkeiten dadurch wieder in Bewegung;
es ist daher überall da angezeigt, wo die ableitende Methode von
Nuzen ist. Unentbehrlich ist es , wenn es darauf ankommt , die Reste
innerer Entzündungen zu heben und ihren Uebergang in Eiterung, Exsu-
dation etc. zu verhindern oder , wenn sie schon eingetreten sind , durch
eine antagonistische Secretion zu heben, z. B. beim Hydrarthrus , ferner
bei Metastasen , bei vergifteten Wunden und endlich, um den Heerd von
Hautentartungen und langwierigen Hautausschlägen zu zerstören. Tritt
in Folge der Anwendung der Ganthariden eine Affection der Harnwege,
Strangurie , Ischurie , Stuhlzwang etc. ein , so reicht man reichliche
schleimige Getränke, Kampher und Opium. 2) Die Brechweinstein-
salbe, das Brechweinsteinpflaster und die wässerige Auf-
lösung des Brechweinsteins (15 — 20 Gr. auf §j Flüssigkeit)
führen keine Blasen , sondern eine den Varicellen ähnliche Pustelbildung
herbei. 3) Das C r o t o n ö 1 , unvermischt zu 2 — 4 Tropfen täglich einige
Mal eingerieben, ruft sehr bald ein Erythem der Haut hervor, auf
welchem binnen 12 — 2 4 Stunden Bläschen aufschiessen. Man wendet
es fast ausschliesslich bei Krankheiten des Kehlkopfes , der Stimmorgane
an. — 4) Das siedende Wasser wird entweder durch eine besondere
von D z o n d i angegebene Vorrichtung als heisser Dampf oder indem
D ABSCESS.
man Metallstüeke darin erhizt und diese auflegt (Mavor's Hammer),
angewendet. Brennender Alcohol, Rum, Siegellack wirken zwar rascher,
sind aber auch viel verwundender. — 5) Sehr ähnlich dem immerwäh-
renden Blasenpflaster wirkt die Seidelbast rinde, Cortex Me-
zerei, doch hat sie das Eigenthümliche , dass ihre Wirkung eine sehr
allmählige ist , dessenungeachtet aber durch fortgesezte Anwendung sehr
gesteigert werden kann. Man legt von der frischen oder der getrockneten
vorher (während 10 — 12 Stunden) in Essig oder warmem Wasser er-
weichten Rinde ein beliebig grosses Stück mit der innern Fläche auf die
gewählte Hautstelle, gewöhnlich die Insertionsstelle des M. deltoideus
am Oberarm , bedeckt es mit Wachstaffet oder einer Compresse und
befestigt das Ganze mit einer Rollbinde. Nach 6 — 12 Stunden erfolgt
starkes Jucken , Röthe , und unter zweimaliger Wiederholung täglich
kommt es zur Bildung von Bläschen, welche bersten, ein scharfes Serum
ergiessen und sich in eine stark absondernde Geschwürsfläche verwandeln.
Bei lebhafter Entzündung und reichlicher Secretion lässt man dann die
Rinde einige Zeit weg und verbindet mit Epheu- oder Kohlblättern, Rahm
oder milden Salben ; im entgegengesezten Falle verbindet man mit rei-
zenden Salben oder fährt mit der Application der Rinde fort , die man
nötigenfalls in Tinct. cantharidum einweichen kann. Reinlichkeit
ist eine nothwendige Bedingung. Die Anwendung des Seidelbastes passt
nur in eingewurzelten chronischen Krankheiten , bei reizlosen Subjecten,
wenn ein anhaltender, durchdringender Reiz nothwendig ist, namentlich bei
Lähmungen, Zahnschmerzen, Schwerhörigkeit, chronischen Ophthalmien,
Cephaleea, chronischen Brustkrankheiten, hartnäckigen Hautausschlägen etc.
AöSCeSS , Eiterbeule, Eitergeschwulst, Abscessus,
Apostema, wird eine mit Eiter oder eiterartiger Flüssigkeit gefüllte
und durch Eiterbildung entstandene Höhle genannt. Davon ist die
Eiter ergiessung zu unterscheiden, worunter man Ansammlungen
von Eiter in normalen Höhlen z. B in der Brusthöhle , in Gelenken etc.
versteht. Abscesse können in allen Geweben entstehen und in verschie-
dener Tiefe vorkommen ; indessen findet man sie häufiger in der Nähe
der Oberfläche als in der Tiefe der Organe. Sie zeigen in der Regel
eine sphärische Gestalt ; oft wird diese aber von den umgebenden
Geweben vielfach verändert. Die Neigung der Abscesse sich gegen die
Körperfläche hin zu vergrössern , hat meist seinen Grund nur darin , dass
sie hier die nachgiebigsten Gewebe finden. Nicht selten wird die
Abscesshöhle von Gefässen, Nerven- und Ausführungsgängen durchzogen ;
auch findet man dieselben zuweilen unregelmässig und aus mehreren
Abtheilungen bestehend , welche durch Gänge mit einander verbunden
sind. Gewöhnlich trifft man nach kürzerem oder längerem Bestände des
Abscesses dessen Höhle von einer eigenthümlichen Pseudomembran,
welche unter dem Namen der Abscesshaut oder der Hunter'schen
ABSCESS. /
Eitermembran bekannt ist, ausgekleidet. Diese Haut ist nicht, wie
früher angenommen wurde , zur Eiterbildung nothwendig , da sie nicht
selten gänzlich fehlt , sondern sie ist vielmehr als eine Folge der Eiter-
ansammlung zu betrachten; sie entsteht, indem die den Eiter umgebenden
Gewebe durch eine plastische Exsudation sich verdichten ; sie erleidet
nach der Beschaffenheit und Menge des Eiters , sowie je nachdem die
Abscesshöhle mit der Luft communicirt, verschiedene Moclificationen. —
Die Abscesshöhle selbst kommt zu Stande , indem der anfangs zerstreut
abgesezte Eiter sich gegen ein bestimmtes Centrum , wahrscheinlich den
Ausgangspunkt der Entzündung hin sammelt , wobei er die Maschen des
Bindegewebes durchbricht oder verdrängt und dasselbe oft in grösserer
Ausdehnung zerstört und sich schliesslich durch eine plastische Exsu-
dation von seiner Umgebung abschliesst.
Man kann die Abscesse eintheilen ; 1) nach den Ursachen, die
sie erzeugen, in idiopathische, primäre, oder in solche, die
durch eine unmittelbar auf das erkrankte Organ einwirkende Ursache
entstanden sind, und in deute ropathische, secundäre, oder in
solche , deren Entstehung von andern Leiden abhängig ist , in welchem
Falle der Abscess als sympathischer oder kritischer auftreten kann ;
2 ) nach dem Vitalitätszustande in entzündliche, heisse,
Absc. inf 1 amma tor ius , acutus, suppurativus, und in
kalte Abscesse, Absc. frigidus, chronicus; 3) nach ihrem
Size in innere und äussere, in oberflächliche und tief-
liegende; 4) nach den Theilen, in welchen sie sich bilden, in
Zell-, Haut-, Knochen-, Gehirn-, Lungen-, Leberabscesse etc. Zeichen
der beginnenden Eiterung. Die Entzündungszufälle : Hize,
Schmerz, Köthe, Geschwulst, Fieber, die den meisten Abscessen vorher-
gehen , steigern sich , die Röthe wird dunkler , die Hitze grösser , der
Schmerz heftiger und klopfender , die Geschwulst begrenzt sich mehr,
wird härter und erhabener. Damit verbinden sich bei grösseren Abscessen
wiederholte Frostanfälle, welche die Eiterung vorbereiten und verkünden.
Sobald der Eiter gebildet ist , erhebt sich die Geschwulst auf Kosten
ihres Umfanges , indem sie sich zuspizt ; auch die Köthe concentrirt sich
gegen die zugespizte Mitte hin, wo sie intensiver und gewöhnlich bläulich
wird, während die peripherische Röthe verschwindet. Ebenso vermindert
sich die Spannung in der Peripherie , sie fühlt sich teigig an , an dem
Gipfel der Geschwulst wird sie dagegen grösser ; der Kranke hat ein
Gefühl von Kälte und Schwere in der Geschwulst und auf Anschlagen
derselben fühlt man eine schwappende Bewegung (Fluctuation):
Der Abscess ist reif. — Ursachen. Es sind die, welche Entzündung
überhaupt hervorrufen , daher entweder allgemeine oder örtliche. Jene
beruhen hauptsächlich auf discrasischen Leiden, Syphilis , Scropheln etc.,
diese bestehen in örtlichen Reizen , fremden Körpern u. dgl. ; — Prog-
nose. Sie richtet sich nach den Ursachen , dem Size , der Grösse und
ö A-BSCESS.
Anzahl, dem Vitalitätszustande, und den Complicationen. — Ausgänge.
Der gewöhnliclie Ausgang ist die Entleerung des Eiters , indem in Folge
der vom Eiter selbst angeregten und unterhaltenen Entzündung Ver-
schwärung eintritt, welche meist einen Durchbruch nach der Haut herbei-
führt. Zuweilen schlagt indessen die Natur einen anderen Weg ein, den
Eiter zu entfernen , nämlich der Eiter wird wieder in das Gefässsystem
aufgenommen. Diese Absorption kommt durch Vermittlung der Abscess-
haut zu Stande , ein Vorgang , welcher nichts mit der gefürchteten Auf-
nahme von Eiter in's Blut gemein hat , welche man als die Quelle der
Pyämie betrachtet , denn hier handelt es sich nicht von einem zersezten
Eiter, da dieser noch nicht den verderblichen athmosphärischen Einflüssen
ausgesezt war. Ueberdies wird hier nur Eiterserum resorbirt, in welchem
allerdings die Eiterkörperchen theilweise wieder aufgelöst worden sein
können. Der grösste Theil dieser lezteren wird in Fett umgewandelt,
welches später gleichfalls resorbirt wird ; die Abscesshaut wird auf eine
fibröse Schicht reducirt. Kommt es dagegen zum Aufbruche des Ab-
scesses, so entleert sich der Eiter, die Geschwulst fällt zusammen und die
ausgedehnten Nachbargebilde contrahiren sich. In Folge des Zutrittes
der Luft wird die Abscesshaut geröthet, schwillt an und die Eiterbildung
vermehrt und verändert sich. Es bilden sich Granulationen
(Fleischwärzchen), welche sich aus Zellen entwickeln, die, anfangs iden-
tisch mit den Eiterkörperchen an der Abscesshaut haften , in mehr oder
weniger ansehnlichen Haufen mit einander verkleben und sich weiterhin
in Bindegewebe und Gefässe umwandeln. Dauert die Ursache der Ent-
zündung nicht fort , so füllen diese Granulationen die Abscesshöhle all-
mählig aus und der Process schliesst mit der Narbenbildung oder
Vernarb ung. Besteht die Ursache der Entzündung aber noch fort,
so unterbleibt die Bildung von Granulationen , der Eiter wird immer
schlechter und der Abscess verwandelt sich in ein Geschwür. - — Diag-
nose. Die Unterscheidung eines Abscesses von anderen Geschwülsten
bietet oft nicht geringe Schwierigkeiten dar. Das wesentlichste Moment
ist , den Eiter zu erkennen oder seine Anwesenheit auf Grund der ätiolo-
gischen Verhältnisse und des Krankheitsverlaufes darzuthun. Das ent-
scheidendste Zeichen ist die Schwappung (Fluctuatio). Um diese
gut zu fühlen , muss die Geschwulst fixirt werden , die fixirende Hand
fühlt den Anstoss der von der andern Hand auf der entgegengesezten
Seite der Geschwulst in Bewegung gesezten Flüssigkeit; bei kleinen
Abscessen genügt ein leichtes Eindrücken mit einem Finger auf die
Spize der Geschwulst und schnelles Erheben des Fingers , ohne ihn "in-
dessen ganz zu entfernen. Bei tiefsizenden Abscessen zeigt ein Oedem
die beginnende Eiterung an. Wahre Aneurysmen haben bis jezt am
häufigsten Anlass zur Verwechslung mit Abscessen gegeben. Die Unter-
scheidungsmerkmale sind : Die wahre Pulsadergeschwulst stellt gleich
anfangs eine weiche pulsirende Geschwulst dar , welche auf Druck theil-
ABSCESS. 9
weise oder ganz verschwindet ; der Abscess ist dagegen im Anfange fest
und verkleinert sich auf Druck nicht. Der Abscess wird später weich,
das Aneurysma härter; beim ersten ist dies am merklichsten an der Spize,
beim Aneurysma an der Basis. Dem Abscesse werden bisweilen Pulsa-
tionen von einer benachbarten Arterie mitgetheilt ; diese Pulsationen
machen sich aber nur an der der Arterie zugekehrten Seite der Ge-
schwulst fühlbar und hören ganz auf, wenn es möglich ist, die Geschwulst
zu verschieben ; das Aneurysma pulsirt dagegen in seinem Umfange,
woran ein Verschieben desselben nichts ändert. Schwieriger wird die
Unterscheidung später, wo die Pulsationen durch Blutablagerung in dem
Aneurysma undeutlicher, in dem Abscessse dagegen mit seiner Erweichung
deutlicher werden , weil der flüssiger werdende Inhalt durch die mitge-
theilten Pulsschläge der Arterie immer leichter in Bewegung gesezt
wird. Bestehen vollends Abscess und Aneurysma gleichzeitig in dersel-
ben Gegend, so ist es oft geradezu unmöglich, ins Klare zu kommen.
Handelt es sich daher von der Eröffnung einer verdächtigen Geschwulst,
so sollte immer eine genaue Auscultation vorausgeschickt und der Inhalt
derselben durch den Versuchstroicart erforscht werden.
Behandlung. Gewöhnlich ist die Entleerung des Eiters der
Heilzweck , doch gibt es Fälle , wo die Aufsaugung begünstigt werden
muss, wie bei Abscessen im Auge, Ohre, Gehirn, in den Gelenken , deren
vollständige Entwicklung und Aufbruch die Existenz des ergriffenen Or-
gans oder selbst das Leben gefährden könnte. Zur Erreichung dieses
Zweckes zieht man bei einem hochgesteigerten Vitalitätszustande allge-
meine und örtliche Blutentziehungen , kühlende Abführmittel aus Cassia,
Manna , Tamarinden etc. mit Zusäzen von antiphlogistischen laxirenden
Salzen , hauptsächlich aber Quecksilber in laxirenden Dosen , (Calomel
2 — 6 gr.) in Gebrauch. Oertlich lässt man die graue Salbe (5ß — OJ)
in die Umgegend der Geschwulst einreiben und macht kalte oder bei drü-
sigen Theilen lauwarme Umschläge von Bleiwasser mit einem Zusaze von
Opium. Diese Mittel unterstützt man durch ein ruhiges Verhalten, vege-
tabilische Nahrung. Alle reizenden Mittel, besonders sogenannte zerthei-
lende Pflaster und Einreibungen , so wie bloss erweichende und erschlaf-
fende Mittel sind direct schädlich. Steht dagegen der Abscess auf einer
niedrigen Stufe der Vitalität mit geringen entzündlichen Erscheinungen,
so ist ein entgegengesetztes Verfahren einzuleiten, um die Gefässthätigkeit
zur Resorption zu bestimmen. Hier eignen sich die zertheilenden Mittel,
wie warme aromatische Umschläge , Auflösungen von Salmiak in Wasser
und Essig, warm umgeschlagen, reizende Linimente, Linimentum
volatile rein oder mit Ungt. mercuriale oder einem Zusaze von
Tinct. opii oder cantharidum, Linimt. camphoratum, sa-
ponato-camphorat., Aufpinseln von Jodtinktur etc. ; Salben, welche die
Resorption bethätigen, wie Ungt. kalihydrojodin. (5j auf Jj Fett),
reizende harzige Pflaster, Empl.ammoniaci, de galbano crocato,
10
ABSCESS.
meliloti etc. Bei mehr chronischem Verlaufe wendet man einen Druck-
verband an und erregt künstliche Eiterungen durch Blasenpflaster, Ein-
reibungen von Ungt. t a r t a r i s t i b i a t i , Umschläge von T i n c t. can-
th a r i d u m , bei tiefsizenden Abscessen Moxen, Haarseile etc., daneben
reicht man innerlich die Resorption betätigende Mittel , wie Calomel,
Digitalis , Belladonna , Rad. senegae. Brech - und Abfuhrmittel bei
kräftiger Constitution , eine nahrhafte mehr reizende Diät und massige
Bewegung bei schlecht genährtem schwächlichen Körper und laue allge-
meine Bäder, denen man bei reizlosem Zustande Salz, Lauge, aromatische
Kräuter zusezt , unterstützen die Kur wesentlich. — Liegt kein Grund
vor, die Eiterung rückgängig zu machen, so zieht man Mittel in Gebrauch,
welche die Maturation des Abscesses befördern. Bei erhöhter Lebens-
thätigkeit sind massige locale Blutentziehungen und bei Erethismus der
Nerven und Straffheit der Faser beruhigende und erschlaffende Mittel
am Plaze. Sehr dienlich ist die einfache, feuchte Wärme in verschiede-
ner Form als Bäder, Dämpfe, Umschläge und Kataplasmen, deren Wirkung
mittels schleimiger Vehikel, Althäa, M alva, Seminalini, Species
emollientes noch erhöht werden kann; bei heftigen Schmerzen zeigen
sich narkotische Stoffe, wie Hyoscyamus, Conium maculat. , Capita
papaveris, welche mit Milch oder Wasser gekocht, Opium, Bella-
donna, Crocus, welche mit Semmel oder Milch zu einem Teige geknetet
werden, wirksam. Bei gesunkener Vitalität und Torpidität sind dagegen rei-
zende belebende Mittel passend, wie aromatische Umschläge, möglichst warm,
Breiumschläge, denen man gebratene Zwiebeln, Sauerteig, Senfmehl oder
Seife beisezt (z. B. Rp. S ap o n. nigr. ^jj, Aq. fervid. ^jj, ebul-
liant lenicalore, deinde adde Cepar. sub einer, assat.
^jjj, Pulv. sem. sinap. 5ß — jj Kerndl.), harzige Substanzen, Terpen-
thin, Empl. degalb. crocato, ammoniac. , diaehyl. compo-
s i t. etc. , welche man besonders bei Nacht statt der Breiumschläge , die
nie kalt werden dürfen, auflegt. ■ — Ist der Abscess auf diese Weise reif
geworden , so überlässt man die Eröffnung desselben entweder der Natur
oder man öffnet ihn mit Hülfe der Kunst. Der spontane Aufbruch
hat den Vorzug vor der künstlichen Eröffnung , indem dabei die Entzün-
dungshärte vollständiger schmilzt , der Abscess schneller heilt und die
Narbe kleiner zu werden pflegt. Die künstliche Eröffnung eines Abscesses
darf nicht zu lange verschoben werden : 1 ) bei sehr heftigen Schmerzen
in empfindlichen Theilen durch den Druck des Eiters gegen unnachgie-
bige Wandungen ; 2) bei tiefer Lage des Eiters oder unter Aponeurosen
so dass eine Verbreitung des Eiters zu besorgen steht, ehe derselbe gegen
die Oberfläche gelangt; 3) bei Siz des Eiters in sehr laxen Theilen, die
eine Senkung des Eiters zulassen ; 4) wenn wichtige Funktionen durch
den Siz des Abscesses gestört werden , wie bei Abscessen im Pharynx
und im Isthmus faucium; 5) bei drohendem Aufbruch in eine
Körperhöhle; 6) bei Abscessen in der Nähe von Knochen; 7) wenn die
ABSCESS. 11
Selbstöffnung an ungünstigen Stellen erfolgen will ; 8) bei kritischen
Abscessen zur besseren Fixirung der Eiterung. Dagegen öffnet man
Abscesse in der Nahe von grossen Gefässen entweder so spät , dass der
Eiter der Oberfläche schon sehr nahe ist, oder mit der grössten Vorsicht.
Die künstliche Eröffnung der Abscesse (Oncotomia)
geschieht entweder durch Aezmittel oder durch scheidende AVerkzeuge.
Der Aezmittel bedient man sich, wenn die den Abscess bedeckende Haut
schon sehr entartet ist oder bei torpiden Abscessen, in denen man vor der
Eröffnung eine Steigerung und Umstimmung der Vitalität herbeiführen
will , endlich bei messerscheuen Kranken. Meistens wendet man Kali
causticum an (S. Aezmittel). — Die blutige Eröffnung geschieht ent-
weder mittels eines Stiches oder Schnittes oder durch das Haarseil. Der
Einstich oder Schnitt verdient in der Regel den Vorzug vor den übrigen
Verfahrungsarten und ist bei tieferliegenden Abscessen die einzig anwend-
bare. Oberflächlich gelegene Abscesse öffnet man mit der Lancette,
tiefgelegene mit dem Bistouri. Die Grösse des Schnittes richtet sich
nach dem Umfange des Abscesses und variirt von 5 — 8 Linien bis zu
mehreren Zollen ; zuweilen zieht man einem grossen Einschnitte mehrere
kleine vor. Zur Eröffnung wählt man die erhabenste und weichste und
bei mehreren solchen die abhängigste Stelle. Bei der Ausführung der
Operation fixirt man den Abscess mit der linken Hand , indem man ihn
an der Basis mit Daumen und Zeigefinger umfasst und zusammendrückt.
Bei grossen Abscessen thut dies ein Gehülfe mit beiden Händen. Als-
dann sticht man die zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand,
so weit von der Spize entfernt als zum Eindringen nöthig ist, gefasste Lan-
cette , deren Klinge zu den Blättern in einen stumpfen Winkel gestellt
ist, in die gewählte Stelle schief abwärts ein bis der Eiter neben der
Spize hervorquillt , worauf man diese etwas erhebt und schneidend weiter
führt, um der Oeffnung die gehörige Grösse zu geben. Ist die Wandung des
Abscesses dicker, so kann man sich eines spizen Bistouri's bedienen, das
nach Art einer Schreibfeder gefasst , mit nach dem Abscesse gerichteten
Rücken eingestochen und wie die Lancette fortgeführt wird. In manchen
Fällen ist es zweckmässig, den Einschnitt subcutan zu machen. — Das
Haarseil passt mehr bei den kalten Abscessen , um die Lebensthätigkeit
in ihnen anzufachen. Man öffnet den oberen Theil des Abscesses mit
einer Lancette , führt durch diese Oeffnung eine mit einem Haarseile (s.
diesen Art.) versehene Oehrsonde bis zum unteren Theile der Abscesshöhle,
drückt hier den Kopf derselben gegen die Wand an , schneidet auf die
Sonde ein , und indem man diese durch die letztere Oeffnung auszieht,
führt man das Haarseil in die Abscesshöhle ein ; oder man erhebt durch
Zusammendrücken des Abscesses die äussere Wandung desselben nach
Art einer Falte und führt an deren Basis eine Haarseilnadel durch. Man
kann sich auch eines Troicarts bedienen , durch dessen Röhre man nach
ausgezogenem Stilet die Sonde mit dem Eiterbande führt. Das Haarseil
12
ABSCESS.
knüpft man von Tag zu Tag fester zusammen, oder man führt es nur alle
Tage weiter, bis die Eiterung sich verbessert oder vermindert, worauf man
es entfernt.
Nach der spontanen oder künstlichen Eröffnung des Abscesses und
der Entleerung des Eiters tritt die Behandlung des offenen Abscesses ein.
Bei guter Beschaffenheit des Eiters und weder zu schwacher noch zu
starker Absonderung desselben genügt es , mit den lauwarmen Umschlä-
gen fortzufahren , um die Schmelzung der übrigen Härte zu befördern,
und mit trockener Charpie zu verbinden. Das Einbringen von Wieken
etc. in Abscessöffnungen ist überflüssig und nachtheilig , nur wo ein zu
frühes Verwachsen der Wundränder des Schnittes zu befürchten steht,
kann ein dünner Charpiemeissel eingelegt werden. Wird aber zu wenig
Eiter abgesondert oder zuviel und ist dieser von schlechter Beschaffenheit,
so muss auch hier die Behandlung der Vitalitätsstimmung des Abscesses
gemäss eingerichtet werden. Ist die Eiterabsonderung zu copiös , übri-
gens von guter Beschaffenheit , so beruht dies auf einer über die Norm
gesteigerten plastischen Thätigkeit. Die Bildung der Granulationen ge-
schieht zu rasch, sie erheben sich über die Hautränder und hindern da-
durch die Vernarbung. In diesem Falle sezt man den Kranken auf
eine schmalere, blos vegetabilische Diät, verbindet trocken und gibt Ab-
führmittel. Ist jedoch der Eiter dabei sehr dünn, selbst jauchig, die
Granulationen blass und schlaff, so liegt gewöhnlich eine Dyscrasie zu
Grunde , welche aufgesucht und entsprechend behandelt werden muss.
Bei bloss verminderter Lebensthätigkeit passen örtliche Reizmittel und
zwar am besten in der Form von Einstreupulvern, wie Holzkohle, Calmus-
wurzel , Chinarinde etc. mit einem Zusaze von Kampher , Myrrhe etc.
Innerlich erweisen sich besonders China, Cascarilla, Ratanhia , die Eisen-
präparate , der Bleizucker und das Kalkwasser nüzlich. Bei guter Ver-
dauung passt besonders die China, z. B. Rp. Cort. china reg. , Rad.
calam. aromat. ana ^J3 in f. et coq. c. aq. fönt, ^jxvj ut rem.
^x , col. adde Tinct. aurant. , Tinct. valer. ana 5ß- M. S.
Alle 1 — 2 Std. einen Essl. voll; bei etwas belegter Zunge setzt man dem
Chinadecocte Elix. acid. Hall, oder El ix. vitriol. Myns. zu
Blei gibt man bei gleichzeitig bestehenden Durchfällen. Daneben Fleisch-
brühe, etwas Wein, reine Luft. Ist dagegen die Absonderung zu gering,
bilden sich nur sparsame Granulationen , so kann entweder ein zu hoch-
gesteigerter oder verminderter Vitalitätszustand die Ursache sein. Bei zu
hochgesteigerter entzündlicher Reizung, bei grosser Hize, Härte, Spannung
und Schmerzhaftigkeit des Theiles, wo die Secretionsfläche trocken, hart,
hochroth erscheint, befördert man die Secretion durch feuchtwarme Um-
schläge und legt einige Blutegel an. Sind jedoch Schwäche und Torpi-
dität die Ursache der zu geringen Absonderung, zeigt sich die Secretions-
fläche bleich und schlaff, wie es öfters nach lange andauernden erschö-
pfenden Eiterungen, bei schlechter Ernährung der Fall ist , so sind kräf-
ABSCESS. 13
tige Speisen und Getränke, Wein, Fleisch, frische Luft, neben dem inner-
lichen Gebrauche von stärkenden , reizenden Mitteln , darunter wieder
namentlich die China am Plaze. Oertlich machen sich balsamische, rei-
zende Mittel nöthig; diese sind die sogenannten Digestivmittel, wie Ungt.
digestiv., basilicum, Bals. Arcaei, allein oder in Verbindung
mit anderen Mittel, z. B. Rp. Ungt. digest. , Bals. Arcaei ana 5j,
Merc. präcipit. rubr. ^ß — 5J3. M., oder eine Mischung einer dieser
Salben mit Myrrhentinktur, z. B. Rp. Ungt. basilic. 3 j , Tinct.
myrrh. 3ijj- M. ; noch wirksamer sind Umschläge von Kamillenthee,
von einem Aufgusse der Species aromaticae. Bei ganz torpidem
Zustande zeigt sich das Eintröpfeln von Myrrhentinktur und das Einstreuen
von rothem Präcipitat von Nuzen. — Wenn die Granulationen sich zu
schnell entwickeln, so dass sie über das Niveau der Haut emporwuchern
(Caro luxurians, wildes Fleisch), so verhindern sie die Verheilung
der Eiterfläche ; sie müssen daher in den nöthigen Schranken gehalten
werden. Dazu dienen gelind zusammenziehende , austrocknende Mittel,
wie Bleiwasser, Kalkwasser, Auflösungen von Lapis infernalis, Cu-
prum sulphuricum, Betupfen mit Höllenstein, Daneben wendet
man einen Druckverband mit Pflasterstreifen an , gibt dem Theile eine
erhöhte Lage und lässt eine weniger nahrhafte Kost geniessen.
Der heisse, wahre Abscess, Absc. inflammatorius,
acutus, bildet sich nur aus einer acht phlegmonösen Entzündung heraus,
weshalb er auch der phlegmonöse heisst. Er verdankt seine Entste-
hung gewöhnlich einer äusseren Veranlassung und tritt deshalb meist
isolirt auf. Bei der Bildung dieser Abscesse nimmt man zuerst in den
Maschen des entzündeten Gewebes Eiter wahr, der mit Blut gemischt ist;
derselbe sammelt sich hierauf in kleinen isolirten Heer den, welche immer
mehr zusammenrücken und endlich im Mittelpunkte des entzündeten
Theiles verschmelzen. Damit spizt sich die Geschwulst zu, die Härte in
der Umgegend schmilzt und es macht sich Fluctuation bemerklich , die
von Tag zu Tag an Umfang gewinnt, womit der Abscess in den Zustand
der Reife tritt. Unter fortdauernder Absorption der Wandungen bahnt
sich endlich der Eiter einen Weg nach aussen , der Abscess bricht auf
und entleert seinen Inhalt , der aus gutem Eiter , zuweilen mit Blut , ge-
ronnenem Faserstoff* und abgestorbenen Organtheilen (den sogenannten
E ite rsto ck bildend) gemischt, besteht. Mit der Fluctuation findet
sich die Abscesshaut wenn auch erst in rudimentärem Zustande. Aeusserst
selten kommt es vor , dass ein heisser Abscess durch Absorption ver-
schwindet. Die vorausgehenden Erscheinungen der Entzündung, so
wie bei tiefem Size das sich in der Umgegend einstellende Oedem lassen
diese Gattung von Abscessen nicht leicht verkennen. Da ihnen meist
kein Allgemeinleiden zu Grunde liegt, so geben sie keine üble Prognose.
— Behandlung. Wenn keine Gründe vorliegen , welche eine früh-
zeitige Eröffnung fordern (s. Seite 10), so befördert man das Reifwerden
14 ABSCESS,
dieser Abscesse und öffnet sie , wenn sich der Aufbruch zu lange verzö-
gert, durch den Schnitt.
Der kalte oder sogenannte Lymphabscess, Absc. frigi-
dus, chronicus, lymphaticus, bildet sich ohne deutliche Ent-
zündungszufälle des Theiles , wo der Eiter zum Vorschein kommt. Da
ihm fast immer ein Allgemeinleiden zu Grunde liegt , so tritt er nicht
selten in Mehrzahl bei demselben Individuum auf oder entsteht bei vor-
handener Disposition nach geringfügigen äusseren Veranlassungen. Er
besizt immer eine vollkommen entwickelte Abscesshaut und ist gewöhn-
lich fest eingekapselt. Der Eiter des kalten Abscesses ist dünn, übel-
riechend, arm an Eiterkörperchen und enthält weisse oder gelbliehe käse-
artige Flocken. — Er kommt fast ausschliesslich bei scrophulösen Sub-
jecten, bei schlechter Ernährung und vorzugsweise bei Weibern und
Kindern vor und zeigt sich meist am Rumpfe. — Symptome und
Verlauf. Der kalte Abscess stellt eine weiche, circumscripte , fast
immer schmerzlose , unempfindliche Geschwulst dar , welche gewöhnlich
dicht unter der Haut liegt , die ihre normale Färbung besitzt. Die Ge-
schwulst wird unter allmähliger Vergrösserung deutlich fluctuirend , kann
aber dann Jahre lang ohne irgend eine Veränderung bestehen ; zuweilen
vermindert sie sich , um aufs Neue wieder zu wachsen. In der Umge-
bung besteht keine Entzündung ; bei bedeutendem Wachsthume erregt
dieser Abscess aber durch die Spannung und Compression der umliegen-
den Theile Schmerz ; die ihn bedeckende Haut wird dunkelroth , ver-
dünnt, bricht endlich an einer oder mehreren Stellen auf und entleert den
oben beschriebenen dünnflüssigen Eiter. Die Geschwulst sinkt hierauf
zusammen , die Ränder vereinigen sich jedoch nicht mit dem Grunde , es
bilden sich keine oder nur geringe und schlechte Granulationen und die
Abscesshöhle geht in ein schlaffes , jauchiges, buchtiges Geschwür über,
das einen dünnen Eiter absondert und schwer zur Heilung zu bringen ist.
Zuweilen schliesst sich die Abscessöffnung auch frühzeitig und es bildet
sich eine neue Ansammlung , die sich später wieder entleert , was sich
mehrmals wiederholen kann. Grosse oder in Mehrzahl vorhandene kalte
Abscesse können nach ihrem Aufbruche eine hectische Consumption zur
Folge haben. — Die Prognose hängt von dem Kräftezustande des
Kranken und der Möglichkeit ab, das Allgemeinleiden zu beseitigen.
Die Behandlung muss daher zunächst gegen die bestehende Dyscrasie
und insbesondere auf die Hebung der Kräfte des Kranken gerichtet sein.
Alsdann hat man zuerst zu versuchen , den Abscess zur Resorption zu
bringen, was indessen selten gelingt ; die hierzu geeigneten Mittel siehe
S. 9. Schlägt dieser Versuch fehl, so muss der Eiter auf künstlichem
Wege entleert werden. Ist das Allgemeinleiden noch nicht ganz gut, so
muss die Entleerung des Abscesses mit Verhütung des Lufteintrittes be-
wirkt werden ; dies geschieht durch wiederholte Punktionen mit der Lan-
cette oder einem Troicart unter sorgfältiger Hautverschiebung, oder
ACUPUNCTUll. 15
unter Wasser. Ist aber das Allgemeinbefinden gut, so sezt man sich
die Aufgabe , eine kräftige Entzündung in dem Abscesse zu erwecken,
was entweder vor oder nach seiner Eröffnung geschieht. Zu dem Ende
zieht man das Aezmittel oder das Haarseil in Gebrauch ( s. S. 11),
oder man spaltet den Abscess ganz oder theilweise und stopft dieAbscess-
höhle mit Charpie aus , die mit Aezkalilösung befeuchtet ist , oder man
wendet nach vorausgegangener Punction des Abscesses mit der Lancette
reizende Einsprizungen von Rothwein , Höllenstein - , Stublimat - oder
Aezsteinlösung , von siedendem Wasser , verdünnter Jodtinktur etc. mit
darauffolgendem Druckverbande an, oder man öffnet den Abscess endlich
mit dem Glüheisen. Zeigt der Abscess nach seiner Eröffnung sehr ver-
dünnte , bläuliche oder dem Absterben nahe Bedeckungen , so trägt man
diese ab und behandelt die zurückbleibende Eiterfläche reizend.
OongestionSabSCeSS , s. Knochenkrankheiten.
Metastatischer Abscess, s. Pyämie.
AcupilIlCtur, ÄCUpunctura, Nadelstich. Man be-
zeichnet damit das kunstgerechte Einstechen einer oder mehrerer Nadeln
in diesen oder jenen Theil des Körpers, in der Absicht, eine Umstim-
mung in der Lebensthätigkeit , namentlich der Sensibilität an der betref-
fenden Stelle zu bewirken. Die Affectionen , bei welchen die Acupunc-
tur angewendet wird , sind nicht entzündliche Neuralgien in der Augen-
brauen- , Schläfen- , Gesichts - und Hüftgegend , rheumatische und gich-
tische Schmerzen , Lähmungen , Krämpfe , Trismus , Lumbago etc. Die
Nadeln bestehen aus Gold, Silber, Piatina oder Stahl, sind sehr dünn,
3 — 4 Zoll lang und mit einem metallenen, wächsernen oder aus Siegel-
lack gemachten Kopfe versehen ; die stählernen müssen gut ausgeglüht
sein , da sie sonst leicht im Fleische abbrechen. Die Nadeln können an
jedem Punkte der Körperoberfläche eingestochen werden, nur meidet man
Nerven oder Gefässe. In der Regel sticht man in den leidenden Theil
selbst ein, wo dieser aber nicht verletzt werden darf, oder wo man eine
Derivation beabsichtigt , macht man die Operation in einiger Entfernung
von jenem , z. B. bei Leiden des Auges und Kopfes im Nacken oder in
der Schläfengegend. Die Nadel wird drehend , während die Haut ange-
spannt ist, 1 — 2 Zoll eingesenkt ; man lässt sie fünf Minuten und länger
stecken und zieht sie endlich sachte wieder aus. Bedarf man mehrerer,
so sticht man sie in Zwischenräumen von 1/2 Zoll ein. Meist ist damit
kein Schmerz verbunden; in sehr empfindlichen Theilen hat man indessen
heftige Schmerzen , selbst Ohnmächten , Convulsionen und Fieberzufälle
entstehen sehen. Blutet ein Stich , so soll er an einer anderen Stelle
wiederholt werden, weil jener ohne Wirkung ist.
Die Electro- und G alvanopunctur , welche bei denselben
Krankheiten , aber auch bei der Asphyxie , bei der Wassersucht und zum
16 , ADERLASS.
Verschlusse von Arterien und Aneurysmen mit Erfolg benuzt wurde , be-
steht darin, dass man starke , mit einem Oehre versehene , der Oxydation
nicht unterworfene Nadeln, nachdem sie in den Körper eingesenkt worden
sind , mittels Leitungsdrähten mit einer galvanischen Säule , oder einer
Electrisirmaschine oder noch besser mit einem electro-magnetischen Appa-
rate in Verbindung setzt. Die Operation ist weit schmerzhafter und die
Einstichpunkte ulceriren nicht selten. Die nächsten Wirkungen sind ein
lebhafter brennender reissender Schmerz , heftige Zuckungen, vermehrte
Diurese und starker Schweiss. Bei zu starker Einwirkung muss die Strö-
mung zeitweise unterbrochen werden. — Zum Verschlusse von Arterien,
namentlich von Aneurysmen bedient man sich eines Paares feiner, scharf
zugespitzter Nadeln von Stahl oder Piatina , welche bis in die Nähe der
Spize genau und stark mit Firniss überzogen sind und welche in einiger
Entfernung von einander parallel mit der Achse des Gefässes so einge-
stochen werden, dass die Spizen dem Blutstrome entgegengerichtet sind.
Mit einer dieser Nadeln wird darauf der positive , mit der anderen der
negative Pol einer galvanischen Batterie , eines Rotationsapparates oder
dgl. in Verbindung gesetzt. Der electrische Strom wird durch die mit-
tels des Firnissüberzuges isolirten Nadeln bis in das Innere des Gefässes
geleitet , wo er von einer Nadelspize zur anderen überspringt und, indem
er das in dem Gefässe befindliche Blut durchdringt , dieses in Gerinnung
versezt. Die Dauer der Operation variirt je nach der Grösse des Gefässes
oder Aneurysmas von 5 — 4 5 Minuten; bei grossen Aneurysmen sind
mehrere Nadelpaare nothwendig , auch muss die Operation mehrmals
wiederholt werden.
AderlaSS, Venaesectio, Phlebotomia (von cpXsipg, die
Vene und teftvsir, schneiden) ist die kunstmässige Eröffnung einer Vene,
um eine gewisse Menge Blut zu entleeren. Man kann jede oberflächlich
gelegene , sieht - oder fühlbare Vene zum Aderlassen wählen und früher
wurden , um örtlich Blut zu entziehen , am Kopf , im Nacken , unter der
Zunge etc. Venen geöffnet ; gegenwärtig lässt man nur noch am Arme,
Fusse , am Halse und an der Vena ran i na zur Ader. — Am Arme
wählt man gewöhnlich die Armbeuge, an der mehrere Venen unmittelbar
unter der Haut verlaufen und meistens auch sehr durchscheinend sind.
An der äusseren Seite des Gelenkes läuft die Vena cephalica, an
der inneren die Vena basilica hin; zwischen beiden liegt die Vena
mediana communis, welche in der Mitte des Vorderarmes herauf-
steigt und sich alsbald in zwei Aeste theilt , deren stärkerer als Vena
mediana-basilica mit der Vena basilica, deren schwächerer als
Vena mediana-eephalica mit der Vena cephalica sich ver-
bindet. Eine weitere Vene von geringem Durchmesser ist die Vena
u 1 n a r i s. Die zwei Aeste der Vena mediana, namentlich der innere,
sind von grossem Kaliber und eignen sich daher besonders zur Eröffnung,
ADERLASS. 17
jedoch befindet sich unter der Vena rnediana-basilica die Aponeu-
rose des M. b i c e p s und unter dieser die A r t. brach ialis, während
die Vena mediana-cephalica von der Art. radialis gekreuzt
wird, wenn diese hoch am Oberarm entspringt. Ein genaues Fühlen nach
der Pulsation der Arterie schüzt vor allen Unannehmlichkeiten. Am
wenigsten Gefahr bieten die VV. u 1 n a r i s und c e p h a 1 i c a , sie haben
aber meist einen kleinen Durchmesser; die V. basilica ist stärker. An
der Hand lässt man nur ausnahmsweise zur Ader uud wählt dann auf
dem Rücken die V. cephalica (zwischen dem Mittelhandknochen des
Daumens und Zeigefingers) oder die V. salvatella (zwischen dem des
kleinen und Ringfingers). — Ehe man zur Operation schreitet, muss vor-
her alles Nöthige vorbereitet werden ; sie erfordert eine Lancette oder
einen Schnäpper , eine wollene Compressionsbinde , eine 3 Ellen lange
Rollbinde, eine kleine viereckige Compresse, ein Gefäss zum Auffangen
des Blutes, einen Schwamm, lauwarmes Wasser und Restaurationsmittel.
Nachdem der Kranke je nach dem Kräftezustande sich gesetzt oder ins
Bette gelegt hat , lässt man ihn den Arm massig ausstrecken und sucht
nach den Pulsationen der Arterien , worauf man die Compressionsbinde
einige Querfinger über der Armbeuge mit einigen Gängen und einer
Knotenschleife so fest um den Oberarm legt, dass nur die Circulation in
den Venen , nicht aber in den Arterien gehemmt ist. Treten die Venen
bei diesem Drucke nicht gehörig hervor, so reibt man den Vorderarm ein
wenig, oder bäht ihn mit warmem Wasser, oder lässt den Arm einige Zeit
herabhängen. Kommt dessen ungeachtet keine Vene zum Vorschein, wie
dies häufig bei beleibten Personen der Fall ist , so sucht man sie durch
das Gefühl zu entdecken ; sie geben sich dem untersuchenden Finger
durch eine elastische Schwappung zu erkennen, und wenn man die muth-
massliche Stelle einer Vene mit dem benetzten Finger leicht betupft , so
bleibt vermöge der Schnellkraft der Venenbedeckung gerade über der
Vene ein Wassertropfen stehen, auf welchen man immer mit Erfolg das
Instrument eindringen lassen kann. Der Wundarzt stellt sich nun am
zweckmässigsten an die äussere Seite des Armes , so dass er bei der
Operation, je nachdem er am rechten oder linken Arme operirt, über den
Vorderarm oder den Oberarm hereingreift; ist er im Stande mit der lin-
ken Hand zu operiren, so wird das Instrument in beiden Fällen von unten,
d. h. über den Vorderarm her , an die Vene gebracht. Nachdem die
ausgewählte Vene nochmals untersucht worden ist , wird sie mit dem
Daumen der nicht operirenden Hand fixirt, während die übrigen Finger das
Gelenk umfassen , und hierauf die Eröffnung derselben mit der Lancette
oder dem Schnäpper vorgenommen. Operirt der Wundarzt mit der Lan-
'cette, so fasst er sie mit dem Daumen und Zeigefinger der rechten Hand
so , dass nur der einzustechende Theil der im rechten Winkel zu den
Blättern gestellten Klinge frei bleibt, setzt die Spize bei kleineren Venen
im Diagonal - oder Querschnitt , bei grösserem zu einen Längenschnitte
Burger, Chirurgie. 1
18 ADERLASS.
auf die Einstichstelle , indem er die drei lezten Finger der operirenden
Hand auf die innere Seite der Armbeuge aufstüzt, und sticht die Lancette
in der angegebenen Richtung in das Gefäss ein. Ein neben der Spize
hervorquellender Bluttropfen zeigt das Eindringen in die obere Venen-
wand an. Durch Erhebung der Lancettspize gibt man der Venenöffnung
die nöthige Grösse. — Bedient man sich des Schnäppers , so fasst man
denselben aufgezogen so in die rechte Hand , dass der Daumen auf der
Schiebplatte, der Zeige- und Mittelfinger auf dem Drücker und der Gold-
finger auf dem unteren Theil des Kästchens ruht , während der kleine
Finger sich auf den Arm stüzt, und setzt den Rand des Kästchens so auf,
dass sein vorderes Ende etwas entfernter von der Haut bleibt , als sein
hinteres, welches sich an diese anlehnt. Je nachdem die Fliete mehr oder
weniger tief eindringen soll , gibt man ihr die erforderliche Stellung ;
durch einen Druck von Seiten des Mittelfingers auf den Drücker dringt
die Fliete in Folge der Schnellkraft der Feder ein. Nach der Eröffnung
der Vene entfernt man den zur Fixirung derselben aufgesezten Daumen,
hält aber mit den übrigen Fingern den Arm in gleicher Richtung, damit
keine Verschiebung der Wundränder eintritt ; am Sichersten wird man
davor gewahrt , wenn man dem Kranken schon vor der Operation einen
auf den Boden aufgestützten Stock zu halten gibt. Das gewöhnlich in
einem Bogen ausströmende Blut wird in einem Gefässe aufgefangen. Ist
die nöthige Menge Blut abgelassen , so löst man , während der Daumen
der einen Hand auf die Aderöffnung gedrückt wird, mit der anderen die
Hemmungsbinde, reinigt die Wunde und ihre Umgebung von Blut, streift
dann , wahrend man den Daumen , die Haut spannend , zurückzieht , die
kleine Compresse von der Seite her über die Wunde, setzt den Daumen
auf die Compresse, worauf man sie durch Achtertouren der Rolibinde um
das gebogene Ellbogengelenk befestigt. Die Wunde heilt durch schnelle
Vereinigung in 2 4 — 4 8 Stunden. Die Binde lässt man nach 3 — 4
Tagen wegnehmen. — Verschiedene Zufälle können während und nach
der Operation eintreten. Das Blut kann nicht gehörig fliessen, entweder
weil die Oeffnung zu klein ist, in welchem Falle man sie erweitert oder
eine neue macht , oder weil die Hemmungsbinde zu fest oder zu locker
anliegt, welchem man abhilft, oder weil sich ein Fettklümpchen zwischen
die Wundlippen eingeschoben hat , welches man mit der Pincette fasst
und mit der Scheere wegschneidet , oder endlich weil der Parallelismus
zwischen der Haut- und Venenwunde aufgehoben ist, was man dadurch
zu beseitigen sucht, dass man die Haut hin- und herschiebt und den Arm
leicht pronirt und supinirt. Gewöhnlich fliesst das Blut stärker , wenn
man den Kranken den Stock in der Hand drehen oder abwechselnd fest
fassen und wieder loslassen lässt. Bei kleinen Oeffnungen oder wenn
Haut - und Venenwunde sich nicht genau entsprechen , entstehen leicht
Blutergiessungen in das Unterhautzellgewebe , welche rasch eine
bläuliche Geschwulst bilden. Man verstreicht und zerdrückt diese Ge-
ADERLASS. 19
schwulst mit dem Daumen, worauf das ergossene Blut unter dem gewöhn-
lichen Aderlassverband in einigen Tagen meist von selbst verschwindet ;
durch kalte Umschläge kann die Aufsaugung des Blutes befördert werden.
Ein weit übleres Ereigniss ist die Verlegung der Armschlagader;
sie gibt sich dadurch zu erkennen , dass mit dem dunklen Venenblute
zugleich hellrothes Arterienblut stoss weise aus der Wunde hervorspringt
und der Blutstrom nach abgenommener Hemmungsbinde sich nicht nur
nicht vermindert, sondern sogar verstärkt. Ueber die Behandlung s. Wunden
der Arterien. Heftige S ch merzen längs des Vorderarmes oder in
den Fingern deuten die Verlezung eines Nervenzweiges an ; in höheren
Graden treten zuweilen Krämpfe und Convulsionen hinzu ; narkotische
erweichende Umschläge und innerlich Narcotica reichen gewöhnlich zur
Beschwichtigung dieser Zufälle hin. Zuweilen beobachtet man eine Ent-
zündung der Lymphgefässe oder der Venen , was die Folge der Anwen-
dung stumpfer oder unreiner Instrumente , zu frühzeitiger Bewegung des
Armes etc. sein kann (s. den Artikel Entzündung).
Beim Aderlass am Fusse lässt man den Kranken sizen und den
Fuss in ein Gefäss mit warmem Wasser sezen. Sobald die Venen an-
schwellen , legt man die Hemmungsbinde etwas über den Knöcheln an,
lässt den Fuss auf den Rand des Gefässes sezen , trocknet ihn ab und
wählt die Vene. Es eignet sich die V. saphena magna an der inne-
ren und die V. saphena parva an der äusseren Seite des Fusses zur
Eröffnung. Gewöhnlich wird die erstere , als die hervorspringendste,
unterhalb des Knöchels und vor demselben geöffnet ; die beste Stelle
hierzu ist da , wo sie über der Vertiefung zwischen dem ersten Keil - und
dem Kahnbein liegt. - Nach der Operation , welche ebenfalls mit der
Lancette oder dem Schnäpper gemacht werden kann , lässt man den Fuss
wieder in das Wasser sezen und schätzt aus dessen Färbung und der
Dauer der Blutung die Menge des gelassenen Blutes ; auffangen lässt
sich das Blut nur schwer , da es meist nicht in einem Strahle strömt,
sondern über den Fuss herabrieselt. Der Verband ist wie am Arme. Der
Fuss muss einige Tage geschont werden.
Beim Aderlass am Halse wählt man die V. jugularis externa,
wo sie über den M. sternocleidomastoideus hingeht oder ihren
hinteren Ast, Man lässt den Kranken sizen und seinen Kopf von einem
Gehülfen nach der entgegengesezten Seite halten , der zugleich die Vene
an der nicht operirt wird , comprimirt. Auf die zu eröffnende Vene legt
der Wundarzt quer unter der Eröffnungsstelle seinen linken Daumen,
drückt sie zusammen , und wenn sie angeschwollen ist , legt er seinen
linken Zeigefinger etwas höher auf die Vene, um sie zu fixiren. Zwischen
diesen beiden Fingern wird die hier nur allein anwendbare Lancette ein-
gestochen und in der Richtung von unten und innen nach oben und aussen
geführt , um die Fasern des Platysma myoides in der Quere zu
trennen. • Da das Blut gewöhnlich nur am Halse herabrieselt , so muss
2*
20 AEZMITTEL.
der Rand des Gefässes an die Haut angedrückt werden , ohne den Druck
mit dem Daumen aufzuheben, um einen etwaigen Eintritt von Luft in die
Vene zu verhüten ; auch kann man das Blut über ein rinnenförmig gebo-
genes Kartenblatt in das Gefäss fliessen lassen. Ist die gehörige Menge
Blut abgeflossen, so reinigt man -die Wunde mit einem Schwämme, schiebt
den linken Daumen auf dieselbe, bedeckt sie mit einem Stück Heftpflaster,
legt eine Compresse auf und befestigt durch einige Kreistouren einer
Binde. — Am häufigsten wird der Aderlass am Halse bei Erhängten,
Erdrosselten und Erstickten , so wie bei Apoplectischen vorgenommen.
Da diese scheintodt sind, so kann die Vene weder gesehen noch gefühlt
werden; in diesem Falle sucht man sie in der Mitte einer Linie auf, die
man sich bei gerader Lage des Kopfes von dem Winkel des Unterkiefers
nach der Mitte des Schlüsselbeines gezogen denkt.
Der Aderlass an der Vena ranina, welcher einigermassen der
Vergessenheit anheimgefallen war , wird neuerdings wieder von A r a n
als ein Heilmittel gerühmt, welches bei heftigen entzündlichen Anginen
Laryngitis, Stomatitis, Glossitis acuta etc. schnelle und nach-
haltige Erleichterung bringe und sicherer einwirke , als die Aderlässe am
Arme oder Blutegel am Halse. Ar an verwirft die bisher üblichen
Quereinschnitte in die Vena ranina uad gibt dagegen demnachfolgen-
den Verfahren den Vorzug. Man weist den Kranken an , die Spize der
Zunge kräftig gegen den obern Zahnbogen zu drücken, so dass die untere
Fläche der Zunge zwischen den Zähnen hervortritt und durchschneidet
nun mit einer sehr scharfen Lancette in leichten Zügen von oben nach
unten die Schleimhaut über der rechten Vena ranina, so dass diese
in einer Ausdehnung von 4 bis 5 Linien blossgelegt wird und zwischen
den Wundrändern der Schleimhaut hervortritt ; dann wird das Gefäss, so
weit es blossgelegt ist , von oben nach unten durchschnitten. Das Blut
fliesst nicht im Strahle , sondern sickert blos aus. Dieselbe Operation
wird nun an der linken Vena ranina wiederholt. Sind beide Venen
geöffnet , so lässt man , um die Blutung zu fördern , den Kranken von
Minute zu Minute etwas warmes Wasser in den Mund nehmen oder die
Zunge öfters bewegen. Kaltes Wasser oder auch nur die Ruhe der
Zunge stillt meist die Blutung. Sollte dies nicht der Fall sein, so drückt
man ein Stück Schwamm auf oder bringt bei nachhaltigerer Blutung eine
Sonde mit glühend gemachter Spize, einen Höllensteinstift oder etwas Eisen-
chlorid in die WundöfFnung.
Aderpresse, s. Turniket.
Aezmittel, Cauteria potentialia. Darunter verstehen
wir diejenigen Substanzen , welche so feindlich auf die organischen Ge-
webe einwirken , dass sie ein örtliches Absterben , eine Zerstörung des
Organischen, bewirken. Diese Zerstörung kommt zwar allen Aezmitteln
AEZMITTEL. 21
zu , jedes Aezmittel hat aber eine besondere Wirkungssphäre , wodurch
ihm eine besondere Eigentümlichkeit aufgedrückt wird. Das Aezmittel
geht mit der zerstörten organischen Faser eine Verbindung ein und bildet
einen trockenen oder feuchten sulzigen Brandschorf , Eschara, daher
auch der ihnen und den Brennmitteln zukommende Name Escharotica.
Eine lebhafte Entzündung an der Grenze des Abgestorbenen , durch die
Demarkationslinie gebildet , leitet die Trennung des Todten von dem Le-
benden ein ; der Brandschorf stösst sich los und eine längere oder kürzere
Zeit dauernde Eiterung folgt. Die Schmerzen , welche das Aezmittel
verursacht, sind sehr verschieden, bald heftiger , bald gelinder ; auch die
Grösse des Brandschorfes differirt, da manche Mittel ihre Wirkung genau
auf den Ort ihrer Anwendung beschränken , andere diese weiter darüber
hinaus erstrecken ; die Tiefe , in welcher die einzelnen Mittel eindringen,
richtet sich nach ihrer Intensität , und auch die Qualität der Eiterung ist
verschieden nach der Verschiedenheit des Aezmittels, wie auch die Narbe
manche Eigenthümlichkeiten darbietet. Alle Aezmittel wirken in ver-
dünntem Zustande als Reizmittel , sie wandeln die Lebensthätigkeit ab-
sondernder Flächen um , erregen Entzündung und anders qualificirte Ei-
terung. Man zieht sie in Gebrauch , wenn man entweder eine örtliche
Steigerung oder Umstimmung des Lebensprocesses oder eine Ableitung
durch örtlichen Reiz und nachfolgende Eiterung, oder endlich Zerstörung
der gesunden oder kranken Faser bezweckt.
Die einfachen Stoffe , deren man sich entweder für sich oder in
manichfachen Verbindungen zu Aezmitteln bedient , sind die kaustischen
Alealien und Erden, die concentrirten Säuren und die Metallsalze in man-
cherlei Form. 1) Kali causticum, Lapis causticus chirurgorum,
das Aezkali, der Aezstein ist das kräftigste Aezmittel, zerstört, in
Substanz angewendet, die organische mit der Haut versehene Masse inner-
halb 4 — 6 Stunden, von der Haut entblösste Stellen oder schleimhäutige
Theile innerhalb weniger Minuten. Es zerfliesst leicht , äzt daher eine
grössere Stelle als auf welche man es aufträgt. Der Schorf ist ziemlich
dick, graulich - schwarz und halblederartig ; auf von der Haut entblösten
Stellen ist er sulzig weich und röthlich - grauschwarz ; er fällt , wenn der
Aezstein auf die Haut eingewirkt hat, nicht vor dem 8. •— 1 2. Tage, auf
weicheren Gebilden aber früher ab. Die Entzünduug breitet sich nicht
weit aus und die Eiterung ist meist reichlich, anfangs jauchig, später gut-
artig und es folgen gesunde Granulationen , die später eine Neigung zur
Wucherung zeigen. Die folgende Narbe ist meist uneben und missge-
staltet. Wendet man die Auflösung des Aezsteines (flüssiges Aez-
kali, Aezlauge, Liquor Kali caustici, Lixivium causti-
cum, Liquor hydratis k a 1 i c i ) an , so bildet sich ein schmuzig -
graulicher Fleck, der sich langsam löst. Bei der Anwendung in trockener
Form muss der zerfliessenden Eigenschaft des Aezsteines wegen die Um-
gegend der zu äzenden Stelle geschüzt werden. Dies geschieht am besten
22 AEZMITTEL
mittels eines Stückes Heftpflaster, das in der Mitte ein Loch hat, in wel-
ches man , nachdem das Pflaster auf die Haut geklebt ist , zerdrückten
Aezstein bringt ; dieses Loch muss kleiner sein , als man zu äzen beab-
sichtigt. Nach Anfeuchtung des eingelegten Aezsteines klebt man ein
zweites Pflaster darüber. Zu grösserer Sicherheit kann man die genannte
Oeffnung mit einem Walle von Heftpflastermasse umgeben, was man einen
Pflasterkorb nennt. Bei der Anwendung in flüssiger Form legt
man in Aezlauge getauchte Fleckchen Leinwand in die Oeffnung des
Pflasters, oder streicht sie mit einem Asbestpinsel ein oder bei vertieften
Stellen oder Kanalwandung giesst man sie ein oder bringt damit befeuchtete
Charpiebäuschchen ein. Man gebraucht den Aezstein zur Bildung von
Fontanellen bei Arthrocacen, Lähmungen etc., zur Oeffnung kalter torpider
Abscesse , welche dadurch nach 6 — 8 stündiger Einwirkung entweder
geöffnet werden oder einen Schorf bekommen, den man mit der Lancette
durchsticht oder dessen Abfallen man durch warme Breiumschläge beför-
dert ; ferner zur Zerstörung von Bälgen , die das Messer nicht zulassen,
von Warzen , des Giftes in Bisswunden von wuthkranken Thieren und
Schlangen und des Milzbrandkarbunkels , zur Eadicalkur des Wasserbru-
ches etc. In flüssiger Form zur Zerstörung von Warzen , Fungositäten
u. dgl. hauptsächlich .aber des Giftes unreiner Wunden. — 2) Das
Natrum causticum wirkt ähnlich wie das Kali, nur milder und zer-
fliesst nicht so leicht. — 3) Ammonium causticum, Liquor
amonii caustici, der Aezammoniak wird nur da angewendet,
wo man einen flüchtigen Reiz haben will, z. B. bei Lähmungen. — 4)
Calcaria usta, Calx viva, Oxydura calcicum, der A e z k a 1 k
wirkt milder und nicht so tief und rasch wie der Aezstein und hinterlasst
keine so entstellenden Narben wie dieser. Er findet gegenwärtig nur noch
als Wiener Aezpaste (6 Theile Kalk und 5 Theile Aezkali mit etwas
Weingeist angerührt) Anwendung, in welcher Verbindung er sehr schnell
und kräftig wirkt und das Aezkali überall ersezt , nur darf er nicht zu
lange liegen bleiben, — 5) Ahmen causticum, u s t u m , der ge-
brannte Alaun ist ein sehr mildes Aezmittel, das nur auf Geschwürs-
flächen und Schleimhäute , aber nicht auf die Cutis wirkt , daher es vor-
zugsweise gegen wuchernde Granulationen , beim Hospitalbrande etc. an-
gewendet wird. Mit gleichen Theilen Präcipitat bildet er das Pulvis
anglicus escharoticus. — 6) Acidum sulphuricum con-
centratum, die Schwefelsäure ist ein schnell und eingreifend
wirkendes, einen eisengrauen, halblederartigen Schorf mit nachfolgender
jauchiger Eiterung und entstellender Narbe hinterlassendes Mittel.
Um das Fliessen zu verhindern, verbindet man sie gern mit Crocus (Acid.
s u 1 p h u r. 5jjj , Crociaustriaci gr. vjj — xjj) zu einer Art Paste,
die gegen Wasserkrebs, Warben, Condylome , oberflächliche Muttermäler,
bösartige alte Geschwüre etc. angewendet wird. — 7) Acidum nitri-
cum concentratum, die Salpetersäure erzeugt einen gelben
AEZMITTEL. 23
festen Sehorf. Eine besonders ausgedehnte Anwendung gestattet sie
nach der Methode von Rivallie. Dieser bereitet durch Auftröpfeln
dieser Säure auf Charpiebüuschehen in einer irdenen Schale eine gallert-
artige Masse, durch deren Auftragung man schon nach 15 — 2 5 Minuten
eine hinreichende Aezung bewirkt , um nach 2 4 Stunden den grössten
Theil des Brandschorfes entfernen und die Aezung, wenn es nöthig ist,
wiederholen zu können. Wurde besonders zur Zerstörung von Ence-
phaloiden benuzt. — 8) Acidum muriaticum concentratum,
die Salzsäure, wirkt sehr mild und erzeugt einen weissen , harten
aber nicht dicken Schorf. Anwendung wie die Schwefelsäure. — 9) Ace-
tum radicale, Essigalcohol, und Acetum pyrolignosum
concentratum, concentrirter Holzessig, wirken bei weitem
milder als die Mineralsäuren. — 10) Kreosot um, das Kreosot,
wirkt nur auf Schleimhäute , Geschwüre und der Oberhaut beraubte
Stellen , wobei es die Oberfläche in einen Brei verwandelt , ohne eigent-
liche Substanztödtung, weshalb seine Anwendung öfter wiederholt werden
muss. Es dient als Beizmittel gegen Condylome, zur Tödtung cariöser
Knochenpartien und verdünnt zur Behandlung der Hornhautflecken,
z.B.Rp. Kreosoti 5j, Aq. destill. 5jj, Mucilag. gi arab. 5j M.
Mit einem Pinsel aufzutragen. 11) Kali bichromicum bildet einen
sich bald lösenden und von gesunden Granulationen gefolgten grünlichen
Schorf. Anwendung bei callösen Geschwüren und hartnäckigen Flechten.
— 12) Präparate des Arseniks. Von diesen wird vorzugsweise
der weisse Arsenik, Arsenicum album angewendet. Er
erzeugt , auf die unverlezte Haut gebracht , eine mit blutigem Serum
gefüllte Blase, nach deren Oeffnung die oberste Schicht des Coriums sich
zuerst in einen weichen, röthlich - lividen , später, härter und schwarzwer-
denden dicken Schorf verwandelt. Auf Geschwürsflächen angewendet
(meistens als Cosme's Pulver, Rp. Cinnabar. factit. 5jj , Cinerum
solear. antiq. gr. vjjj , Sanguin. dracon. gr. xjj, Arsen, alb. ^jj.
M.) , erregt er sehr heftige brennende Schmerzen, eine lebhafte erysipe-
latöse Entzündung mit ausgedehnter ödematöser Anschwellung , einen
scharf begrenzten , mehr oder weniger dicken , schwarzen lederharten
Schorf, der sich nach seiner Grösse und Tiefe früher oder später, oft erst
nach vielen Wochen durch Eiterung trennt und eine gutartige eiternde
Stelle und endlich eine glatte, kleine Narbe hinterlässt. In der milderen
Form des Hellmund'schen Mittels (Rp. Pulv. Cosmi 5ß,
Bals. per u via n. , Ext. cicut. ana 5 j , Sacch. saturn. ^j,
Laud. liq. Syd. ^13, Gerat, simpl. 5J M.) sind die Zufälle
geringer und es bildet sich ein feuchter Brandschorf; das Geschwür
sondert viele dünne Jauche ab, und um den 14. — 15. Tag stösst sich
der Brandschorf los, worauf gutartige Eiterung eintritt. Man gebraucht
den Arsenik mit Vortheil zur Zerstörung der nicht knotigen Krebs-
geschwürflächen , weicher Telangiectasien , leicht blutender Warzen , als
24 AEZMITTEL.
umstimmendes Mittel gegen bösartige, fressende herpetische Geschwüre,
Hospitalbrand und Karbunkel. Aus Furcht vor Vergiftuug darf der
Gebrauch des Arsenik nicht anhaltend sein. — 13) Argentum nitri-
cum crystallisatum und fusum, der Höllenstein, erzeugt auf der
Haut einen mehr oder weniger dicken, trockenen braunschwarzen Schorf,
der sehr fest sizt und sich nur allmählig losstösst. Auf Wundflächen
entsteht augenblicklich ein weisser, bläulicher, später graulich - schwarzer
Schorf, der sich schon nach wenigen Stunden löst. Die nachfolgende
Entzündung ist immer activ, die Eiterung gutartig. Man wendet ihn in
trockener , flüssiger und Salbenform an. In trockener Form benuzt man
ihn zum Aezen von Condylomen , Hornhautflecken , Stricturen , kleinen
Fleischgeschwülsten, wuchernden Granulationen, zum Eingränzen des
wandernden Rothlaufes, bei Verbrennungen etc., in Auflösung zu beizenden
Verbandwassern gegen fungöse Geschwüre (Rp. Argen t. nitric.
cryst. 5ß, solv. in Aq. flor. chamom. ^vj, addeTinct. opii
spl. 5iß- M.), zu beizenden Augentropfen (1- — 10 gr. auf ^j Aq. dest.),
gegen Augenblenorrhöen , zu umstimmenden Gurgel - und Mundwassern
(l/6 — 1/2 gr. auf ^j Aq. dest.), zu umstimmenden Einsprizungen (}/2 —
1 gr. auf 5j Wasser) in die Thränenfistel , gegen chronische Schleim-
flüsse der Harnröhre und der Mutterscheide , zur Abortivbehandlung des
Trippers (10 gr. auf 5J Wasser) etc. ; in Salbenform gegen hartnäckige
chronische Augenbindehautentzündungen , zur Zertheilung der Bubonen
(1 Theil in Wasser gelösten Höllenstein auf 15 Theile Fett) etc. —
14) Die Quecksilberpräparate. Der Sublimat, Mercurius
sublimatus corrosivus, Hydrargyrum muriaticum cor-
rosivum s. oxydatum, ist ein starkes Aezmittel, das einen weissen
Schorf erzeugt , die Organe durch feuchten Brand zerstört , eine sehr
lebhafte Entzündung und leicht nachtheilige Folgen durch Einsaugung
erregt. Es wird seltener als Aezmitttel , denn als umstimmendes Mittel
benüzt; als Aezmittel in Auflösung ( ^ j - — - iij auf ^j Flüssigkeit) zum
Betupfen, oder in Salbenform (5ß — j auf §j Fett) gegen Condylome,
fungöse Geschwüre , kallöse Geschwüre , hartnäckige Bubonen ; als um-
stimmendes Mittel in der Auflösung zu Waschwassern (gr. 1 — iij auf
5J Flüssigkeit) gegen Hautausschläge , wunde Brustwarzen , ferner zu
Einsprizungen, Verbandwassern, Pinselsäften etc. — Der rothe
Quecksilberprä cipitat, Merc. praeeipitatus ruber,
Hydr. oxydatum rubrum, äzt ziemlich stark , aber nicht tief , mit
geringer Entzündung in der Umgebung, aber reichlicher Eiterung, welche
leicht um sich greift. Man benüzt ihn als Beizmittel in Pulverform für
sich oder mit Speichel oder Pflanzenform angerührt und mit einem Pinsel
aufgestrichen oder auch in Salbenform gegen syphilitische Condylome,
unschmerzhafte callöse Schanker und andere dyscrasische Geschwüre mit
unreinem Grunde , zürn Wegbringen der Nasen- und Ohrpolypen und
wuchernder Granulationen ; als umstimmendes Mittel in Salbenform zu
AEZMITTEL. 25
^j — 5j Fett zum Verbände schlecht eiternder Geschwüre, geschwüriger
Frostbeulen, gegen dyscrasische Entzündungen der Bindehaut des Auges,
Wucherungen derselben etc. — Das salpetersaure Quecksilber-
oxyd, Merc. nitrosus, Hydr. nitricum oxydatum, meist
als Liquor. Bellostii zur Wegbeizung syphilitischer Condylome
und sonstiger Afterproducte bei torpiden fungösen Geschwüren , Caries,
zu äzenden Einsprizungen bei Lymphabscessen benuzt , erzeugt einen
blassgrauen halblederartigen Schorf von mittlerer Dicke. Eiter und
Lymphe gerinnen durch ihn. — Der weisse Quecksilberpräci-
pitat, Merc. praecipitatus albus, Hydr. muriaticumprä-
cipitatum, wirkt gleich dem rothen , nur schwächer , und wird daher
mehr als umstimmendes , wie als Aezmittel benüzt. — 1 5) Das salz-
saure Zink, Zinkchlorid, Zincum muriaticum, in flüssigem
Zustande Zinkbutter, Butyrum Zinci, in trockenem Chlor-
zink, Zincum muriaticum oxydatum. Der Chlorzink dehnt
seine Wirkungen nie über die beabsichtigten Grenzen aus , erzeugt einen
weissgrauen , harten, lederartigeu Schorf, eine lebhafte Entzündung und
weit verbreitete Ödematöse Anschwellung. Die Eiterung ist productiv,
die Stelle verkleinert sich bald und schliesst sich mit einer schönen glatten
Narbe. Es erregt äusserst heftige stechende und brennende Schmerzen.
Die häufigste Anwendung geschieht in der Form einer Paste durch Mischen
mit Mehl in verschiedenen Proportionen, je nachdem man eine mehr oder
weniger intensive Wirkung beabsichtigt. C an quo in schlägt folgende
Proportionen vor : No. 1 , 2 Theile Mehl und 1 Theil Zink ; No. 2 , 3
Theil Mehl auf 1 Theil Zink ; No. 3 , 4 Theil Mehl auf 1 Theil Zink.
Man sezt während des Mischens nur sehr wenig Wasser zu, da der Chlor-
zink sehr schnell Wasser aus der Luft anzieht und von selbst zerfliesst.
Je dicker man diese Aezpaste aufträgt , um so tiefer dringt sie ein. In
flüssigem Zustande trägt man das salzsaure Zink mit einem Pinsel auf.
— Die Verbindung des Chlorzinks (2 Th.) , Chlorbrom (3 Th.) und
Chlorantimon (1 Th.) stellt das Landolfi'sche Aezmittel dar. Man
wendet es bei Krebs, Wasserkrebs, fungösen Geschwüren, Telangiactasien
und Milzbrandkarbunkel an. — 16) Antimonpräparate. Das
Antimonchlorid, die Spiessglanzbutter, Liquor chlo-
reti stibii, Butyrum antimonii wirkt milder als das Zinkchlorid,
doch genügt ein einmaliges Bestreichen mit der Flüssigkeit auf die un-
verlezte Oberhaut zur Erzeugung eines dicken, grau-weisslichen, weichen,
genau begrenzten , in der Mitte eingesunkenen Schorfes , der nach
seinem Abfallen eine unreine Geschwürsfläche hinterlässt , die erst nach
und nach eine gutartige Eiterung zeigt. Man wendet dieses Mittel
hauptsächlich zur Wegäzung von Warzen, Condylomen, Polypen, Staphy-
lomen , veralteten Hornhautflecken unter Anwendung eines Asbestpinsels,
Glasstäbchens an , ferner zur Zerstörung des Giftes beim Milzbrandkar-
bunkel und in Bisswunden wuthkranker Thiere. Der Brechweinstein
26
AFTEKKRANKIIEITEN.
wirkt als Aezmittel sehr heftig und unsicher. — Weitere , sehr gelind
wirkende und gewöhnlich nur zur Zerstörung wenig belebter Pseudo-
plasraen verwendete Aezmittel sind : das Goldchlorid, Chlor etum
auri, die Kupferpräparate, darunter der Kupfervitriol,
Cuprum sulphuricum und der Grünspan, Cuprum suba-
ceticum, Aerugo, und die Eisenpräparate, unter welchen der
Eisenvitriol, Ferrum sulphuricum und der Eisensalpeter,
Ferrum nitricum, zu nennen sind. — In der neuesten Zeit ver-
bindet Maunoury Guttapercha mit verschiedenen Aezmitteln : Chlor-
zink , Aezkali . arseniger Säure u. a. und stellt daraus 3 Arten von
Körpern dar: 1) feste, zähe, in beliebige Formen zu schneidende Platten,
2) Aezcylinder nach Art des Höllensteinstiftes, 3) Fäden zur Entfernung
gewisser Tumoren durch Umschnürung und Aezung.
After, Krankheiten desselben. Sie sind zahlreich ; das
reichlich vorhandene Zellgewebe , welches den untern Theil des Mast-
darmes umgibt , ist häufig der Siz einer Entzündung , die meistens mit
Abscessbildung endet; ausserdem beobachtet man Krampf, Neuralgie,
Lähmung des Afters , wie er auch der Siz von Wunden , Einrissen , - Ge-
schwüren , Eruptionen mancherlei Art , Vegetationen , Geschwülsten ver-
schiedener Natur sein kann. Zuweilen sieht man ihn als angebornen
Bildungsfehler ganz fehlen oder anderweitig verändert.
Krampf des Afters. Dieser ist entweder vorübergehend oder
stellt sich in seltenen Fällen als anhaltende Contraction des Schliess-
muskels dar. Man beschwichtigt oder beseitigt diese Zustände durch
die Anwendung von warmen Bähungen oder Sizbädern oder von narko-
tischen Sizbädern, Salben und Stuhlzäpfchen z. B. Rp. Axung. porci,
Succ. sempervivi tector. , Succ. belladonn. , A. amygd.
d u 1 c. a n a 5jj (Boyer). Wird durch diese Mittel bei der Contractur
keine dauernde Hülfe erzielt,, so ist diese nur von der Durchschneidung
des Schliessmuskels auf einer oder auf beiden Seiten , zu erwarten.
S. A f t e r f is s u r.
Neuralgie. Diese seltene Affection tritt meist ohne bekannte
Ursachen unter äusserst heftigen Schmerzen in Paroxysmen auf. Bella-
donna in Salbe und Injectionen zeigen sich hülfreich.
Lähmung des Anus. Sie tritt entweder in Folge spinaler
und cerebraler Paralyse oder peripherisch nach starken Reizungen und
vorausgegangenen Krankheiten des Afters und Mastdarms auf. Immer
ist sie mit Erschwerung der Kothentleerung verbunden ; ist sie vollkommen,
so wird die spontane Entleerung aller festeren Fäcalmassen unmöglich
und kann selbst durch Kly stiere oft nicht erzwungen werden , während
der After offen steht und flüssige Stoffe und Gase ohne Wissen und
Willen des Kranken abgehen. Die Behandlung muss vorzüglich gegen
die Ursache der Lähmung gerichtet sein und nur bei chronischen Para-
AFTERKRANKHEITEN. 27
lysen kann zuweilen durch reizende Injectionen, Electricität u. dgl. örtlich
vortheilhaft eingewirkt werden.
Entzündung. — Diese hat ihren Siz meist in dem reichlich in
der Umgebung des Afters angehäuften Zellgewebe, steigert sich, wie alle
phlegmonösen Entzündungen , rasch zu einem hohen Grade und gibt sich
durch Röthe , klopfenden Schmerz , Härte , sehr in die Tiefe gehende
Geschwulst und Spannung , grosse Hize , Fieber und Störung des All-
gemeinbefindens zu erkennen. Die Zertheilung dieser Entzündung
gelingt selten, gewöhnlich geht sie schon nach wenigen Tagen in Eiterung,
zuweilen in Brand über. Die Ursachen sind örtliche oder allgemeine;
Hämorrhoiden, vieles Sizen, Reiten, erschwerter Stuhlgang disponiren den
Körper zu diesen Entzündungen, welche durch örtliche Reize, wie Unter-
drückung der Hautausdünstung , Quetschungen , fremde Körper im Mast-
darme , Verlezungen durch Klystiere etc. , oder durch allgemeine Krank-
heitsreize, wie Flechten, Gicht, Syphilis, besonders aber durch Metastasen
und consensuelle Einwirkungen der Brustorgane hervorgetufen werden.
Die Prognose richtet sich nach den Ursachen, dem Alter, der Compli-
cation etc. Die Behandluug muss streng antiphlogistisch sein, daher
allgemeine und örtliche Blutentziehungen, Einreibung der Quecksilber-
salbe , Bähungen mit Bleiwasser etc. Dicke erweichende Katäplasmen
lindern die Schmerzen und begünstigen die Zertheilung oder die Eite-
rung.
Abscess am After. Er kommt entweder als ein kleines,
oberflächlich liegendes Knötchen, besonders bei solchen, welche an Hä-
morrhoiden leiden , meist nicht einzeln in der Nähe des Afters zum Vor-
schein, welches bald in Eiterung übergeht und in der Regel durch blosse
Reinlichkeit unter Rücksichtnahme auf die Hämorrhoidalanlage geheilt
wird. Oder der Gesässabscess erscheint nach einer heftigen phlegmonösen
Entzündung und ist dann von grösserer Bedeutung. Wenn dieser
Abscess reif ist , so öffnet er sich entweder nach aussen , oder in den
Mastdarm oder nach beiden Orten zugleich , gewöhnlich mit mehreren
Oeffnungen ; bei der Eröffnung in den Mastdarm ergiesst sich der Eiter
mit dem Stuhlgange. Bei gesunden Personen kann nun vollkommene
Heilung erfolgen ; liegt dem Abscesse aber ein allgemeines Leiden zum
Grunde , so bilden sich fistulöse Gänge , deren Mündung neben oder in
dem Mastdarm sich befindet (S. Mastdarmfistel). Die Ursachen
dieser Abscesse sind die der Entzündung. — Die Prognose richtet
sich wie bet dieser nach den Ursachen , der Complication etc. ; tieferlie-
gende hinterlassen gewöhnlich Fisteln ; zuweilen gehen solche Abscesse
schnell in Brand über , in welchem Falle sie schnell tödten. Die B e-
handlung besteht in der Beförderung der Eiterung und , sobald man
deutlich Schwappung fühlt, in der ergiebigen Eröffnung der Eiteransamm-
lung , um den Abfluss des Eiters nach aussen zu begünstigen ; ist eine
28 AFTPEFISSUP.
Spalte in dem Mastdärme , so muss der Schnitt sfcli bis zu dieser hin
erstrecken. Ist der Mastdarm im Abscesse von Zellgewebe entblösst,
so ist es nothwendig , ihn , wenn er auch nicht geöffnet ist , mit dem
Abscesse ein- und durchzuschneiden. Den Verband, die Regelung der
Stuhlentleerung etc. besorgt man auf die bei den Mastdarmfisteln ange-
gebene Weise. Die allgemeine Behandlung muss den zum Grund
liegenden Ursachen angepasst werden. Der schnell in Brand über-
gehende Abscess muss zeitig durch einen grossen Einschnitt geöffnet
und mit reizenden warmen Umschlägen verbunden werden ; die innere
Behandlung muss belebend und stärkend sein. S. Brand.
AiteriiSSlir , Fissura ani. Mit diesem Namen bezeichnet
man Einrisse an der Aftermündung, die mit einer krampfhaften Zusammen-
schnürung des Afters verbunden sind. Sie characterisirt sich durch
einen fixen Schmerz an einer Stelle des Afterrandes , der während und
nach den Stuhlausleerungen sehr heftig wird , und sich in der Zeit
zwischen den Stuhlausleerungen allmählig wieder beruhigt. Dieser
Schmerz besteht in einem Brennen und Hize , die sich nach längerem
Bestände des Leidens bis zu dem Grade steigert , dass nicht selten mit
den Stuhlausleerungen Convulsionen und Ohnmächten verbunden sind.
Die Darmausleerungen werden immer seltener und erscheinen mit Blut-
streifen überzogen. Dies nöthigt den Kranken zu dem täglichem Ge-
brauche von Klystieren und oft wiederholten Abführmitteln , welche
Mittel aber bei längerem Gebrauche nur die Pein vermehren , indem das
Einbringen des Sprizenrohres oder die anhaltende Diarrhöe Schmerzen
wie von einem glühenden Eisen hervorrufen. Endlich bedarf es nicht
einmal mehr dieser Berührungen , sondern jeder Diätfehler , jede heftige
Bewegung , ein anhaltendes Sizen oder Stehen , die eintretende Men-
struation führen diese Schmerzen herbei, durch, deren immer längeres An-
dauern die Gesundheit des Kranken so erschüttert wird , dass eine allge-
meine Abmagerung mit grosser Reizbarkeit des Nervensystems entsteht.
Bei der örtlichen Untersuchung nimmt man gewöhnlich den Anfang der
Schrunde wahr ; das Einbringen des Zeigefingers ist schwierig , immer
sehr schmerzhaft und von einer krampfhaften Zusammenschnürung des
Schliessmuskels begleitet ; manchmal fühlt man die Fissur , andere Male
erkennt man sie nur an dem Schmerze , der an dieser Stelle durch den
Druck hervorgebracht wird. — Ursachen. Die Krankheit kommt in
jedem Lebensalter vor ; die Frauen sind zur Zeit der cessirenden Men-
struation, die Männer durch Hämorrhoidalleiden dazuprädisponirt. Ge-
legenheitsursachen sind Reizungen in dem unteren Theile des Mastdarmes
durch harte Fäces, Obstkerne, Gallen- und Darmsteine, Würmer, Abscesse
in der Nähe des Afters, Päderastie etc. — Die Behandlung besteht
neben dem Gebrauche einer vegetabilischen reizlosen Diät, in der Anwen-
dung kühlender Abführmittel , von Blutegeln , kalter Waschungen , Siz-
AFTERFISSUR. 29
badern , der aufsteigenden Douclie , narkotischer Injectionen und der-
gleichen Salben, vorzüglich von Belladonna. Velpeau fand eine Salbe
aus Ungt. matr. (Empl. minii mit Baumöl gemischt) und Ol.
amygd. dulc. ana, Morgens und Abends auf Charpiewieken applicirt,
Boy er die oben (s. Krampf des Afters) angeführte Salbe sehr wirksam;
vielfach werden Stuhlzäpfchen , sowie Klystiere von Ratanhiaextract,
leztere besonders bei kleinen Kindern gerühmt. Beclard betupft den
Riss mit Höllenstein und bringt allmählig verstärkte Charpiewieken in
die Afteröffnung. Bourgois lässt den Kranken selbst auf der Spize
des Zeigefingers eine bohnengrosse Quantität von verschieden concen-
trirter Höllensteinsalbe so hoch als möglich in den After und nach der
ulcerirten Stelle hinführen ; der darauf eintretende Schmerz verliert sich
nach Vg — 2 Stunden; nach der Application gibt man alsbald ein Klystier
von kaltem Wasser und bringt ein mildes frisches Fett (Talg) ein. Die
Höllensteinsalbe wendet man erst wieder nach drei Tagen , später alle
4 — 6 Tage an ; in der Zwischenzeit die einfache Salbe und Klystiere.
Die Heilung soll gewöhnlich in 3 Wochen mit 3 — 4, aber auch 8 — 10
Cauterisationen vollendet sein. Sicherer als alle diese Mittel ist die
Einschneidung des Schliessmuskels an der Stelle der Fissur oder einer
andern. Man verrichtet diese Operation nach vorausgeschicktem Abführ-
mittel und Klystier , um den Stuhlgang auf mehrere Tage zu verhüten,
mittels des Knopfmessers , welches man auf dem beölten , in den Mast-
darm eingebrachten linken Zeigefinger , flach aufgelegt , bis über den
Sphincter einführt, und womit man nach Umwendung der Messerschneide
nach aussen die Darmhäute , den Schliessmunkel , das Zellgewebe und
die äussere Haut in einem Zuge seitwärts oder nach rechts und links
durchschneidet. Zwischen die Lefzen der dreieckigen Wunde bringt
man einen Leinwandstreifen ; äusserlich legt man ein Plumasseau , eine
Compresse und die TBinde über. Dieser Verband wird nach 3 — 4
Tagen und dann täglich erneuert , bis die Wunde durch eine breite
Narbe sich ganz geschlossen hat. Demarquay und Schärlau
durchschneiden den Sphincter subcutan , indem sie zwischen diesem und
der Schleimhaut ein Tenotom flach einstechen , 1 Zoll hinauf schieben
und dann, die Spize des Tenotom's gegen den Sphincter wendend, diesen
unter allmähligem Zurückziehen des Messers durchschneiden. Der
Mastdarm muss während der Operation mittels des eingeführten Fingers
oder durch ein Speculum angespannt erhalten werden. Der Verband
besteht in der Einführung eines mit Zinksalbe bestrichenen Charpie-
bausches. Maisonneuve führt beide beölte Zeigefinger in das
Rectum ein, krümmt sie nach beiden Seiten hin und zieht nun gewaltsam
und rasch die Kreisfasern des Sphincters nach verschiedenen Richtungen
hin auseinander. Die Nachbehandlung besteht in Bähungen und erwei-
chenden Klystieren. Diese sämmtlichen Operationen sind meist von
einem sehr raschen Erfolge begleitet.
30 AFTER, KUENSTLICHER.
After, künstlicher, A n u s a r t i f i c i a 1 i s ist eine vermittels
einer Operation am Unterleibe gemachte Oeffnung um dadurch den
Darmexcrementen einen Ausweg zu bahnen; die chirurgische Operation
wird der Bauchdarmschnitt, Laparo-Colotomia, C o 1 o-
tomia genannt. Die Bildung eines künstlichen Afters kann nothwendig
werden : bei angeborner Aftersperre oder bei Verengerung des Mast-
darmes , welche nicht gehoben werden können und bei Verschliessung
anderer Theile des Darmkanales aus verschiedenen Ursachen , wenn die
Wegsamkeit des Darmrohres nicht wieder herstellbar ist. — Man legt
den künstlichen After meistens auf der linken Bauchseite an und zwar
entweder in der Weichengegend an der Flexura sigmoidea (Littre),
oder in der Lumbaigegend am Colon descendens (Callison).
Im ersten Falle macht man i/i) — 1 Zoll von der Spina iliaca an-
terior superior einen 1 y.2 — 2 Zoll langen, etwas schräg von oben
und aussen nach unten und innen gehenden Hautschnitt , dessen Mitte
ungefähr der Mitte der Darmbeingräte gegenüber liegt. Hierauf werden
die Bauchmuskeln schichtweise getrennt und das Bauchfell vorsichtig
geöffnet. Man sucht nun die Flexura sigmoidea auf, zieht sie
hervor und führt mit einer gewöhnlichen Wundnadel zwei Fäden in einer
Entfernung von i/2 Zoll durch das Gekröse oder den Darm , um damit
diesen zu fixiren. Alsdann wird der Darm an seiner gewölbten Stelle
der Länge nach 1 Zoll weit eingeschnitten , entleert und mit seinen
Wundrändern durch mehrere Knopfnähte an die Wundränder der Bauch-
wand in der Weise angeheftet, dass die Darmwundränder mit dem Haut-
rande zusammenwachsen. Nun werden die Gekrösschlingen ausgezogen
und ein einfach deckender Verband angelegt. Mit eintretender Ver-
wachsung des Darmes an die Bauchwand entfernt man die Hefte und
legt später einen Kothrecipienten an. — Um den After in der Lenden-
gegend zu bilden, macht man nach Amussat in der Mitte zwischen
dem Darmbeinkamme und der untersten Rippe einen Querschnitt von
dem äussersten Rande des M. sacrolumbalis und longissimus dorsi
nach einwärts von 3 — 4 Zoll Länge durch Haut und Muskeln , wobei
man die tieferen Lagen , um den Darm besser zu entblössen , kreuzweis
einschneidet. Man entblösst nun das Colon vorsichtig und verschafft
sich über dessen Lage theils durch Fingerdruck theils durch Percussion
Aufschluss , fasst es mit zwei Fäden und punktirt es mit einem Troikart,
worauf man die Oeffnung in senkrechter Richtung erweitert , die Darm-
wundränder nach aussen zieht nnd mit den Wundrändern der Haut zu-
sammenheftet. Den zur Darmentleerung nicht nöthigen Theil der
Bauchwunde vereinigt man mit einigen Heften. Die Nachbehandlung ist
wie bei der vorigen Operationsweise. — Hat die Verschliessung oder
Verengerung des Darmes über dem S. romanum seinen Siz , so dass
das Colon descendens nicht für den künstlichen After benüzt
AFTER, WroERNATÜERLICHER. 31
werden kann , so macht man die Operation rechts in der Lumbaigegend
oder in der Weiche, indem man das Coecum eröffnet.
AfterverSCMieSSUng', s. Krankheiten des Mastdarms.
After, Widernatürlicher , Anus p r aa 1 e r n a t u r a 1 i s , ist
eine abnorme Oeffhung am Unterleibe , welche mit der Höhle des Darm-
kanales communicirt und durch welche sich die Darmcontenta entleeren.
Ist diese Oeffhung klein, so dass sich nur eine geringe Menge der Fsecal-
materie auf diesem Wege , der grösste Theil desselben aber durch den
natürlichen After entleert, so nennt man dies eine Kothfistel,
Fistula stercorea. — Die Ursachen sind penetrirende Baueh-
"wunden mit Verlezung der Därme oder mit einem Vorfalle derselben, der
in Brand übergeht , brandige Brüche , Abscesse etc. , wodurch entweder
nur ein Theil der Wandung eines Darmes oder eine ganze Darmschlinge
zerstört und , indem der verwundete Darm mit der Oeffhung in den
Bauchdecken , namentlich mit dem Bauchfelle verwächst , die Ergiessurig
des Kothes in die Unterleibshöhle verhindert wird. Abscesse haben
meistens nur eine Kothfistel zur Folge , und zwar in der Mehrzahl der
Fälle in der Blinddarmgegend , dem häufigsten Size der Abcesse. — Die
äussere Oeffhung des widernatürlichen Afters ist gewöhnlich rund , ein-
gezogen und in Folge der Narbencontraction von strahligen Falten der
Haut umgeben. In den meisten Fällen ist die Oeffhung einfach, zuweilen
sind aber auchrmehrere zugegen , welche durch Kanäle mit dem Darm in
Verbindung stehen. In Folge der Reizung durch die austretenden
Fasealstoffe ist die die Oeffhung umgebende Haut entzündet , verhärtet,
nicht selten excorürt und mit den unterliegenden Theilen verwachsen.
Die Darmenden liegen entweder sehr nahe oder unmittelbar an den
Lippen der äusseren Wunde oder sie münden sich in einen vom Bauch-
fell gebildeten Sack ; letzteres ist namentlich nach brandig gewordenen
Brüchen der Fall. Auf diesem Verhalten der Darmenden zur äusseren
Oeffhung beruht hauptsächlich die Heilbarkeit dieser Fisteln. Das obere
oder zwischen dem Magen und der abnormen Oeffhung liegende Darm-
ende gibt sich durch den Austritt von Darmkoth , das untere oder Mast-
darmende durch einen solchen von Darmschleim zu erkennen. — Eine
häufige Complication des falschen Afters ist ein Darmvorfall. Dieser
Vorfall tritt entweder plözlich in Folge einer Anstrengung oder allmählig
auf; er betrifft entweder das obere oder das untere Darmstück oder
beide zugleich. Die äussere Haut des Vorfalles besteht aus der Schleim-
haut, indem das Darmende sich umstülpt; sie ist sehr weich, roth, reiz-
bar und mit Schleim überzogen ; wenn der Darm lange aussen liegt , so
verliert er seine Empfindlichkeit , die Schleimhaut wird blässer und kann
endlich eine den allgemeinen Bedeckungen ähnliche Beschaffenheit an-
nehmen. Das vorgefallene Darmstück bildet eine konische Geschwulst
von verschiedener Grösse, welche am Grunde zusammengeschnürt und an
32 AFTER, WIDERNATÜRLICHER.
der Spize mit einer Oeffnung versehen ist , aus welcher , ist es das obere
Darmstück , Koth , ist es das untere , Schleim hervorkommt ; sind beide
Darmstücke vorgefallen , so bemerkt man zwei Hervorragungen mit den
characteristischen Ausleerungen. Die Geschwulst vergrössert sich bei
Anstrengungen , Heben , Tragen , Husten , Niesen und nimmt bei einer
horizontalen Lage des Kranken an Umfang ab. Der Vorfall kann in
der Oeffnung, durch die er vorgefallen ist, eingeklemmt werden, am Ende
sogar mit ihm verwachsen. Zuweilen senkt sich eine Darmschlinge
zwischen die beiden Darmenden ein, damit einen Bruch bildend. —
Der falsche After übt einen sehr nachtheiligen Einfluss auf den ganzen
Organismus aus und dies um so mehr , je weiter oben am Darmkanale
sich die Afterölfnung befindet, indem hierdurch dem Körper nährende
Stoffe entzogen werden , die bei längerem Verweilen hätten absorbirt
werden können; dadurch muss nothwendiger Weise die Ernährung leiden;
die Kranken magern deshalb , besonders anfangs , schnell ab. Dazu
kommt noch , dass durch den beständigen Ausfluss des Darminhaltes
Excoriationen und Ausschläge auf der umgebenden Haat erzeugt werden,
die dem Kranken durch das beständige Jucken oft alle Ruhe rauben.
Je weiter unten am Darmkanale die abnorme Oeffnung sich befindet , um
so unangenehmer ist der Geruch der Ausleerungen. Der unter der
Oeffnung gelegene Theil des Darmkanales verengt sich , da nichts mehr
in ihn gelangt ; er sondert nur noch Schleim ab , der in festen , weiss-
lichen Massen durch den natürlichen After ausgeleert wird ; das obere
Darmstück dagegen wird hypertropsisch , sehr blutreich und mehr oder
weniger aasgedehnt. — Der falsche After ist in den meisten Fällen ein
mehr lästiges als gefährliches Uebel. Es wird begreiflicher Weise
durch die Complicationen verschlimmert und durch die bedeutendere
Beeinträchtigung der Ernährung zuweilen wirklich lebensgefährlich.
Die Heilung des falschen Afters kommt entweder durch blosse
Naturthätigkeit oder durch ein eingreifendes Kunstverfahren zu Stande.
Von der verschiedenen Lage und Beschaffenheit der Darmenden hängt
es ab , ob die Herstellung auf dem einen oder dem anderrn Wege be-
werkstelligt werden kann. Erfolgt die Heilung durch blosse Natur-
thätigkeit , so geschieht dies auf folgende Weise : Nach der Trennung
der abgestorbenen Theile zieht sich der Grund der Wunde nach hinten
zurück ; die beiden durch die Zurückziehung des Mesenteriums mit
fortgezogenen Darmenden folgen dieser Bewegung und nehmen den
ihnen entsprechenden Theil des Bauchfelles mit , welches dadurch eine
trichterförmige Höhle bildet. Diese doppelte Zurückziehung geschieht
um so schneller, je neuer der Bruch und je nachgiebiger daher das um-
gebende Zellgewebe noch ist. Bei alten festgewachsenen Bauch- und
Nabelbrüchen , nach penetrirenden Bauchwunden und Abscessen , bei
welchen die Darmöffnungen uumittelbar mit der äusseren Wunde ver-
wachsen , tritt daher dieser vortheilhafte Umstand nicht ein. In dem
AFTER, WIDERNATUERLICHER. 33
Maasse , als die genannte Zurückziehung vor sich geht , vergrössert sich
die trichterförmige Höhle , welche dadurch immer mehr in Stand gesezt
wird , die aus der oberen Darmmündung kommenden Excremente aufzu-
nehmen und in die untere überzuleiten. Am leichtesten kommt die
spontane Heilung zu Stande , wenn nur ein geringer Theil des Darm-
umfanges zerstört wurde ; bei einer massigen Zurückziehung des Bruch-
sackes richten sich dann die beiden Darmmündungen gegen einander
und der Uebergang der Excremente von einer Oeffnung in die andere
erfährt keine grossen Hindernisse. Ist dagegen ein grosser Theil des
Darmrohres oder eine ganze Darmschlinge durch den Brand zerstört
worden , so liegen die beiden Darmenden fast parallel neben einander,
wodurch eine vorspringende Scheidewand gebildet wird , welche die
Communication zwischen dem oberen und unteren Darmstücke hindert.
Wenn der Vorsprung dieser Scheidewand (Klappe , Sporn) durch die
Zurückziehung dieser Darmstücke nicht ausgeglichen wird , so besteht
die einzige Möglichkeit der Wiederherstellung des natürlichen Weges
für die Excremente in der Zerstörung dieser Scheidewand.
Behandlung. Sie besteht im Anfange bloss in der Sorge für
Reinlichkeit , für gehörigen Abfluss des Kothes , in der Bedeckung der
Oeffnung mit einem Ceratläppchen , in dem Bestreichen der nächsten
Umgebung der Fistel mit Collodium , um sie gegen die reizende Einwir-
kung des austretenden Darminhaltes zu schüzen und in Vermeidung eines
jeden Druckes auf dieselbe , woneben man dem Kranken gut nährende,
leicht verdauliche Speisen erlaubt , öfters Klystiere und leichte Abführ-
mittel anwendet. Nach ausreichender Befestigung der Darmstücke in
ihren neuen Beziehungen kann man durch abwechselndes Beugen und
Aufrichten des Körpers die Spannung des Mesenteriums und damit die
Kraft der Zurückziehung desselben vermehren lassen. Sind mehrere
Fistelgänge zugegen , so spaltet man sie ; zieht sich die Oeffnung zu
schnell zusammen oder kann der Koth nicht gehörig abfliessen, so erwei-
tert man die Oeffnung mit Pressschwamm oder mit dem Messer , mit der
Vorsicht aber , die Verwachsungen des Darmes nicht zu überschreiten,
und legt ein gehörig grosses Bourdonnet ein. Das Einlegen eines
Bourdonnets ist auch das einzige Mittel, um den Darmvorfall zu ver-
hüten. Ist dieser entstanden , so tritt er entweder bei ruhiger Rücken-
lage von selbs.t zurück , wo nicht , so reponirt man ihn durch Druck mit
der flachen Hand oder indem man den Finger oder einen umwickelten
Stab in die Oeffnung des Darmes einführt und diesen in sich selbst ein-
stülpt ; geht es nicht auf einmal , so versucht man einen anhaltenden
Druck mittels einer Binde. Bei eingeklemmtem Vorfalle schneidet man
die einschnürende Stelle vorsichtig ein. Werden unter dieser Behand-
lung nach und nach die Excremente auf dem natürlichen Wege aus-
geleert, so kann man, wenn die Quantität derselben der Menge der
genossenen Nahrungsmittel entspricht , die äussere Oeffnung sich all-
Burg&r. Chirurgie. O
34 AFTER, WIDERNATUERLICHEE.
mählig schliessen lassen. — Gelingt die Heilung des widernatürlichen
Afters unter dieser Behandlung nicht, so besteht die einzige Hülfe in
der Beseitigung der Scheidewand oder des Vorsprunges. Dies kann auf
zwei Wegen geschehen , entweder durch Zurückdrängung oder durch
Trennung derselben. Das Zurückdrängen wurde von D e s a u 1 1 mittels
dicker Charpiewieken , von Dupuytren durch einen gestielten Halb-
mond, von Dieffenbach mit einer krückenartigen mit einem Bruch-
bande verbundenen Vorrichtung versucht. Dieses Verfahren ist gefahr-
los und kann bei nur wenig vorspringender Scheidewand von Nuzen
sein. Zur Trennung der Scheidewand sind verschiedene Vorrichtungen
vorgeschlagen worden , welche theils auf blutigem Wege , theils durch
Mortification wirken. Leztere verdienen als die gefahrloseren den
Vorzug und unter diesen ist die von Dupuytren angegebene Darm-
scheere oder das Enterotom ziemlich häufig mit Erfolg in Gebrauch
gezogen worden. Man untersucht zuvörderst mittels beölter Finger
oder dicker Sonden die Lage beider Darmstücke und erweitert die OefF-
nung derselben nothigenfalls durch Pressschwamm. Nun führt man den
einen Scheerenarm zuerst in die untere , schwerer aufzufindende Darm-
mündung , dann den anderen in das obere Darmstück so weit ein , dass
ungefähr 2 — 21/2 Zoll Länge von der Scheidewand gefasst wird, worauf
man sie vereinigt und durch Drehung um ihre Achse sich davon über-
zeugt, dass sie richtig eingebracht sind ■ alsdann schliesst man die Scheere
mittels der Schraube so fest , dass sie an der Scheidewand hält und nur
geringer Schmerz entsteht ; die Griffe der Scheere umwickelt man mit
Leinwand und befestigt sie mittels einer TBinde. Täglich oder nur alle
zwei Tage schraubt man die Griffe mehr zusammen, bis die Scheidewand
getrennt ist und die Scheere mit dem gefassten Hautstücke ausgezogen
werden kann, was gewöhnlich nach 7 — 10 Tagen möglich ist. Während
dieses Verfahrens geniesse der Kranke leichte Nahrungsmittel und der
Stuhlgang werde durch Kly stiere unterhalten. Die gewöhnlich mehr
oder weniger heftig auftretenden Zufälle von Darmentzündung werden
streng antiphlogistisch behandelt; sie können selbst die Lüftung der
Zange oder sogar die Abnahme derselben nöthig machen. — Blasius
brachte an der Darmscheere zwei Compressionsschrauben an, und um ein
grösseres Stück aus der Scheidewand auszukneipen versah L i o t a r d die
vorderen Enden derselben mit in einander greifenden Ringen, B 1 an d i n ,
v. Ludwig, Hahn mit gekerbten ovalen Platten. D e 1 p e c h bedient
sich einer Zange, die er Compresseur enterotome nennt, Rey-
bard gab eine besondere Pincette mit einer Klinge an, mit welcher der
Vorsprung durchschnitten wird , Jobert will die Darmscheere nur zwei
Tage liegen lassen und dann die Scheidewand einschneiden etc. End-
lich macht V i d a.l den Vorschlag, die vorderen Enden der Darmscheere
mit einem Aezmittel zu versehen und die Scheidewand durch Aezung zu
trennen.
AMPUTATION. 35
Die Schliessung der wiedernatürlichen Oeffnung am Unterleibe nach
wiederhergestelltem natürlichen Wege kann man bewirken durch ruhige
Lage, fortgesezte Anwendung von Klystieren, durch einen massigen Druck
mittels elastischer Pelotten , durch Cauterisation der Wundränder mit
Höllenstein, durch Heftpflaster, die blutige Naht, mit einer Klemme von
Dupuytren, durch Abtragen des Schleimhautsaumes der Fistel mit
dem Messer oder Zerstörung desselben mit dem Glüheisen, endlich durch
Ueberpflanzen eines Hautstückes auf die Oeffnung. — Ist die Fistel nicht
zu schliessen, so lässt man ein gut anschliessendes elastisches Bruchband
tragen ; das Gleiche hat zu geschehen, wenn der falsche After überhaupt
nicht geheilt werden kann , in welchem Falle aber ein Kothrecipient und
zwar am besten der J u v i 1 1 e mit dem Bruchbande in Verbindung gesezt
werden muss. S. Kothrecipient.
Akidopeirastik , die Kunst , mit der Nadel oder überhaupt
mit etwas Spizigem zu untersuchen, Diagnostica punctoria,
nennt Middeldorpf eine neue Untersuchungsmethode mit spizigem
Werkzeuge, welche nach ihm bei den verschiedensten Krankheitszuständen
eine bisher ungeahnte Sicherheit in der Erkenntniss gewährt , indem sie
direct auf das Wesen der Krankheit in Form , Lagerung , Inhalt , Con-
sistenz etc. losgeht. Der Erfinder hat ein eigenes Etui für diese Nadel-
diagnostik zusammengestellt , welches aus verschiedenen feinen Nadeln,
Nadelhaltern und mancherlei äusserst dünnen Troicarts besteht. Näheres
darüber steht noch zu erwarten.
Amputation , die Absezung oder Ablösung der Glie-
der, Amputatio artuum ist die kunstmässige Trennung ganzer
Glieder des Körpers oder Theile desselben sammt ihren knöchernen
Grundlagen nach der Richtung ihrer Dicke - Durchmesser mittels schnei-
dender Instrumente. Die Trennung der Glieder geschieht entweder in
der Continuität der Knochen , Amputation in der Continuität
oder Amputation im engeren Sinne, oder in der Contiguität, Ampu-
tation in der Contiguität oder in oder aus den Gelenken,
Amputation im weiteren Sinne , Exarticulatio, Enucleatio,
Gliederauslösung.
A) Von der Amputation im Allgemeinen.
Die Amputation ist eine der lebensgefährlichsten Operationen und
ihre Resultate, betreffend die Zahl der mit dem Leben davon gekommenen
Kranken sind nichts weniger als aufmunternd und günstig , daher das
Bestreben der Wundärzte aller Zeiten , sie möglichst zu beschränken ;
besonders aber ist es "die Neuzeit, welche an der Hand einer rationellen
Therapie überraschende Resultate in dieser Richtung erlangt hat. Als
unabänderlich feststehende allgemeine Indication für die
Amputation ist die von Die ff enb ach aufgestellte anzunehmen;
3*
36 AMPUTATION.
nach ihm inuss man amputiren : 1) wo die örtlich unheilbar erkrankte
Extremität zugleich das Leben gefährdet; 2) wo eine Krankheit der
Extremität nach den körperlichen und Aussenverhältnissen des Individuums
zu einer anderweitigen Heilung des Uebels keine Hoffnung lässt, sondern
den Umständen nach ebenfalls das Leben aufs Spiel sezen würde ; 3) wo
durch eine örtliche unheilbare Krankheit der Gebrauch des Gliedes und
der Lebensgenuss verkümmert wird. Folgendes sind in näherer Angabe
die Fälle, welche die Amputation erfordern: 1) wenn ein Glied voll-
ständig abgerissen oder zu einer formlosen Masse zerschmettert ist
(durch Kanonenkugeln, Maschinenwalzen, Locomotivenräder u. dgl. m.),
2) die Eröffnung des Kniegelenkes durch eine weite Wunde
mit Zerschmetterung eines oder beider Gelenkköpfe ; ähnliche- Verle-
zungen anderer Gelenke erfordern höchstens die Resection ; 3) wenn bei
Verlezungen des Oberarms und Oberschenkels die verlezende Kraft das
Glied so getroffen, dass nicht nur die Hauptarterie, sondern auch die Haupt-
venenstämme und Nerven vollkommen oder fast ganz zerrissen sind ; 4)
Zerschmetterungen von Knochen mit fast vollständiger Tren-
nung der Weichtheile; 5) vollständige Zermalmung eines Knochens,
so dass eine Vereinigung unmöglich erscheint; 6) Splitterbrüche,
namentlich in der Nähe von Gelenken , besonders wenn dabei die Verle-
zung der Weichtheile bedeutend ist; 7) wenn bei einer für sich einfachen
Fractur die Weichtheile dermassen zerquetscht und zermalmt sind,
dass Brand unvermeidlich scheint ; 8) Zerschmetterung des Hand-
und Fussgelenkes, besonders durch Schusswunden; 9) Luxatio-
nen mit Zerquetschung und Zerreissung des grössten Theiles der das
Gelenk umgebenden und bildenden Weichtheile ; 10) Gelenkeite-
rung mit Caries der das Gelenk zusammensezenden Knochen; 11)
Aneurysmen, wenn das Glied unter dem Aneurysma kalt , ödematös,
gelähmt, pulslos ist, durch seinen Druck auf die Nervenstämme und durch
Unterbrechung des Kreislaufes ; ferner wo Weichtheile und Knochen von
der aneurysmatischen Geschwulst sehr tief und in hohem Grade zerstört
sind, der Knochen oder ein Gelenk durchgängig exulcerirt ist und deshalb
diese Nachbartheile an sich keine Hoffnung für ihre Heilung übrig lassen ;
wo deshalb der Brand zu fürchten wäre , wenn man unterbinden wollte,
weil der Blutzufluss dadurch unterbrochen, durch den ersten unvollkommen
eingeleiteten Collateralkreislauf noch nicht ersezt würde und die ohnehin
kranken Theile diese Vorgänge nicht lange ertragen könnten , sondern
abstürben; 12) Necrose der Gelenkenden, so wie Necrose des
Körpers der Knochen, wenn Erschöpfung eintreten würde, bevor der
Sequester sich gelöst hat und entfernt werden kann, oder wenn die behufs
der Entfernung nöthige Verwundung das Glied unhaltbar zerstören oder
das Leben gefährden würde , so bei mehreren Sequestern in besonderen
Höhlen etc. 13) Degenerationen und Ulcerationen der
weichen Theile von ausgedehntem Umfange , welche allen Heilmitteln
AMPUTATION. 37
widerstehen und durch ihre Bückwirkung auf den Organismus , durch
Säfteverlust u. dgl. das Leben bedrohen oder das Glied gänzlich un-
brauchbar machen, wie krebshafte Geschwülste , die nicht für sich exstir-
pirbar sind, Elephantiasis, grosse Geschwüre, welche wegen der Beschaf-
fenheit ihres Bodens gar nicht oder nicht auf die Dauer heilbar sind ;
14) Knochengeschwülste (Osteosteatom , Osteosarkom, Spina
v e n t o s a) , die sehr störend auf die Gesundheit einwirken und nicht
durch Besection von oder mit ihrem Boden auf dem Knochen abgetragen
werden können ; 15) complicirte Fracturen unter sehr ungünstigen
Umständen oder beim Mangel aller Pflege und der Nothwendigkeit eines
weiten Transports , oder wenn sie nach einem beträchtlichen Zeiträume
keine Neigung zur Heilung zeigen und durch anhaltende und starke
Eiterung hectische Zufälle herbeiführen und das Leben bedrohen ;
16) verkrümmte, ankylosirte, contrahirte Glieder, wenn
sie dem Kranken nicht nur durch ihre Unbeweglichkeit und Stellung
vollkommen unbrauchbar , sondern auch sehr lästig werden und ihn an
den freien Bewegungen seines übrigen Körpers behindern , wenn der
Kranke die Operation fordert (Amputation aus Gefälligkeit). — Con-
traindicirt ist die Operation: 1) wenn das Uebel durch Excision
eines Theiles des Knochens allein (Besection) heilbar ist; 2) wenn durch
die Amputation nicht alles Krankhafte so weit entfernt werden kann , als
der Zweck der Operation fordert; 3) wenn innere Ursachen des Uebels
(Dyscrasien) noch vorhanden sind , oder örtliche noch fortwirken und
nicht beseitigt werden können ; doch darf man in Beziehung auf Dys-
crasien nicht gar zu ängstlich sein, sonst dürfte man z. B. bei Caries
gar keine Operation unternehmen , während doch die tägliche Erfah-
rung das Gegentheil zeigt ; 4) bei sehr hohem Grade von Kräfte - und
Säftemangel, wo durch den Eingriff der Operation das Leben gänzlich
aufgerieben werden würde , ebenso während eines durch die Verlezung
verursachten hohen Grades von allgemeiner Depression , welcher sich
durch sehr kleinen oder mangelnden Puls , Kälte , Stupor , Ohnmacht
u. a. zu erkennen gibt. — Der bedeutende verwundende Eingriff nicht
allein , welcher durch die Amputation gesezt wird , sondern auch der
Umstand, dass der Körper dadurch eines wichtigen Theiles beraubt wird,
müssen in der Stellung der Indicationen für diese Operation sehr vor-
sichtig machen. Es liegt in der Natur der Sache , dass die Indicationen
nur im Allgemeinen aufgestellt werden und die aufgeführten speciellen
Zustände nicht erschöpfend sein können , denn nur aus der Abschäzung
der individuellen inneren und äusseren Verhältnisse eines Kranken in
Bezug auf seinen örtlichen Krankheitszustand kann im concreten Falle
das Urtheil über die Notwendigkeit der Amputation hervorgehen* und
eben weil jene Verhältnisse stets individuell sind und sie durchaus in
Anschlag kommen müssen, so lassen sich die Zustände, welche die Ampu-
tation fordern, nur sehr schwierig und unvollständig bestimmen. Esmuss
38 AMPUTATION.
zunächst mit Gräfe eine absolute und relative Nothwendigkeit der
Amputation unterschieden werden. Absolut nothwendig ist die Ampu-
tation, wo ohne sie das Leben durch den örtlichen Krankheitszustand an
sich vernichtet werden würde und die oben aufgestellten Anzeigen könnten
nur hierher gehören ; aber auch bei ihnen bleibt noch sehr viel der Beur-
theilung des individuellen Zustandes, des Verlaufes, den der Krankheits-
fall gemacht, des Grades, den er erreicht, überlassen, um ihre Giltigkeit
in concreten Fällen zu bestimmen. Die angeführten Zustände sind
solche , wo in der bei weitem grösseren Mehrzahl ohne die Amputation
das Leben nicht erhalten werden würde , aber es ist bei ihnen nicht die
Möglichkeit verneint , dass in seltenen Fällen Heilung ohne Amputation
erfolgen könne, nur sind diese Fälle höchst schwierig, meist gar nicht im
Voraus zu bestimmen. Die relative Nothwendigkeit der Amputation
wird durch ungünstige äussere Verhältnisse eines Kranken gegeben,
welche eine an sich heilbare Verlezung unheilbar und tödtlich machen,
und diese relativ nothwendigen Amputationen finden besonders häufig im
Kriege bei Verwundungen statt, wo die Bedingungen für eine glückliche
Heil ng oft nicht blos fehlen, sondern dieser eine Menge äusserer Um-
stände entgegen wirken und es also darauf ankommt , an die Stelle jener
Verlezung eine leichter heilbare Amputationswunde zu sezen. Besonders
häufig machen Schussverlezungen und die dadurch erzeugten complicirten
Fracturen die Amputation relativ nothwendig , hauptsächlich an den
grösseren Gliedmassen- und namentlich wenn Gelenke betroffen sind ;
auch bis in die Knochen dringende grosse Hieb - und Schnittwunden des
Knie- , Ellbogen- und Fussgelenkes indiciren hier die Operation , da hier
nur die strengste Ruhe noch einen ungünstigen Ausgang verhüten kann.
Irrig ist es aber bei diesen und überhaupt bei penetrirenden Wunden der
Charniergelenke die Amputation für absolut nothwendig zu halten , da
hier unter günstigen äusseren Verhältnissen wohl Heilung möglich ist.
Ebenso muss man in diesem Falle bei complicirten Fracturen mit der
Amputation zurückhaltend sein . da diese von der durch richtige Kunst-
hülfe unterstüzten Natur oft dann noch geheilt werden , wenn schon ein
ungünstiger Anschein vorhanden ist ; namentlich darf man sich bei ein-
getretener Eiterung durch deren Stärke und Einfluss auf den ganzen
Körper nicht zu früh zur Operation verleiten lassen , indem sie sich nicht
selten nach dem Abgange von Knochenstücken u. dgl. vermindert und
Leben und Glied erhalten lässt. — Der Brand gibt heut zu Tage keine
Indication zur Amputation mehr ab , dagegen muss die Absezung des
todten Gliedtheiles so bald als möglich geschehen, d. h. wenn dieDemar-
cation des Brandes in vollem Gange ist , weil dadurch am besten die
Verpestung der den Kranken umgebenden Luft und die dadurch gegebene
materielle , so wie die durch das brandige Glied gesezte psychische
schädliche Einwirkung auf den Kranken aufgehoben wird. — Was die
Zeit zur Amputation bei Verlezungen betrifft, so wird die Ope-
AMPUTATION. 39
ration entweder vor dem Eintritt der Entzündung (primäre oder f r ü h e
Amputation), also in den ersten 2 4 Stunden und zwar sobald als
möglich nach erlittener Verlezung , oder , wo dies nicht angeht , nach
vorübergegangenem entzündlichen Allgemeinleiden, d. h. 9, 14, 2 4 bis
2 8 Tage nach geschehener Verlezung (secundäre oder späte
Amputation) vorgenommen. Die oben sub 1 bis 5 bezeichneten
Verlezungen sind 'diejenigen, bei denen man die Operation ohne Auf-
schub vornehmen sollte, und die Erfahrung lehrt, dass der Erfolg solcher
frühzeitigen Amputationen auffallend günstig ist. Bei den übrigen
Verlezungen kann man unter der Voraussezung günstiger äusserer und
innerer Verhältnisse zuwarten, in der Hoffnung, das Glied zu retten. Bei
chronischen Leiden ist die Zeit mehr der Wahl des Operateurs anheim-
gestellt , doch warte man nicht zu lange , damit der Kranke nicht zu
schwach werde. Auf eine Verminderung des hectisehen Fiebers kann
man nicht immer warten , doch muss sich der Kranke so weit erholt
haben , dass er im Stande ist , die bedeutende Verwundung und den
Heilungsprocess , der bei so geschwächten Personen wiederum meistens
ein langer Eiterungsprocess zu sein pflegt , zu überstehen ; — Bei
der Bestimmung der Amputationsstelle sind folgende Umstände
zu berücksichtigen : 1 ) muss alles Krankhafte entfernt werden ; hier-
bei muss im Auge behalten werden , dass selten die innerlichen und
äusserlichen Theile eines Gliedes in gleicher Höhe krank oder schadhaft
sind ; man muss daher vorher wohl untersuchen , um die Schnittlinie
immer im Gesunden zu führen ; namentlich erstreckt sich bei Schluss-
verlezungen die Quetschung der weichen und die Splitterung der harten
Theile oft viel höher hinauf, als es äusserlich erscheint. Sind dagegen
Weichgebilde im Umfange eines örtlichen Uebels nur secundär mit
erkrankt, nicht von jenem selbst ergriffen und überhaupt nicht in höherem
Grade verändert, so kann man sie, um das Glied nicht zu hoch abnehmen
zu müssen , erhalten und den Schnitt durch sie führen ; ebenso brauchen
Fisteln , wenn sie blos von Knochenleiden abhängen , nicht durchaus fort-
genommen zu werden , weil sie nach Entfernung des Grundleidens von
selbst heilen ; 2) man berücksichtige die Verwundbarkeit der Stelle und
die Gefährlichkeit der Operation daselbst durch die Blutung im Gegen-
saz zu der nächsten Stelle , die wenigst gefährliche Stelle hat daher den
Vorzug; z. B. bei der Amputation des Oberschenkels das untere Dritttheil
vor dem Anfang des oberen. Namentlich muss bei grosser Verwundbar-
keit und in hohem Alter die Bequemlichkeit des Stumpfes wegen der
geringeren Gefahr einer unbequemlichen Stelle nachstehen ; 3) man er-
halte so viel als möglich vom Gliede , um dasselbe brauchbarer und zum
Anlegen eines künstlichen Gliedes geschickter zu machen ; 4) die Ampu-
tationsstelle muss die Bildung eines gut bedeckenden , bequemen und die
Anlegung eines künstlichen Gliedes brauchbaren Stumpfes zulassen. — -
Je mehr die Exarticulation oder die Amputation eines Gliedes alle diese
40 AMPUTATION.
Vortheile vereint darbietet , gibt man der einen oder der andern den
Vorzug ; bei Gleichheit jener Verhältnisse zieht man aber die Amputation
vor. Der Exarticulation wirft man vor , dass die Wunde in der Regel
grösser werde, die überknorpelten Gelenkflächen mit den weichen Theilen
schwerer und langsamer als bei der Amputation verheilen, und zwar mehr
als noch einmal so viel Zeit zur Heilung der Wunde erfordert werde,
ein Umstand, der besonders bei geschwächten Personen in Betracht
kommt ; endlich dass die das Gelenk umgebenden weichen Theile eine
schlechtere Bedeckung für die Knochenfläche geben und eine weniger gute
Narbe sich bilde. Methoden oder Schnittweisen zur Amputation und ebenso
zur Exarticulaton gibt es im Allgemeinen folgende : 1 ) der Zirkelschnitt
und zwar der einfache und der doppelte, 2) der Lappenschnitt und zwar
der einfache und der mehrfache*, 3) der Trichterschnitt, 4) der Ovalär-
schnitt und 5) der von B 1 a s i u s angegebene Schrägschnitt.
Die Prognose bei der Amputation hängt von folgenden Umständen
ab: 1) von den die Operation indicirenden Krankheiten;
wenn die Krankheit local ist oder ihr wenigstens kein bedeutendes All-
gemeinleiden mehr zu Grunde liegt und sie demnach durch die Operation
entfernt werden kann , ist die Prognose gut ; schlecht hingegen , wenn
eine Dyscrasie , ein bedeutendes Fieber oder Nervenleiden oder ein orga-
nischer Fehler eines Eingeweides zugegen ist; 2) von der Individu-
alität des Kranken, namentlich der Verwundbarkeit; bei jungen,
kräftigen und blutreichen Menschen , die wegen Verlezungen operirt
werden, ist die Reaction des Gefäss- und Nervensystemes in der Regel zu
stark , daher erfolgt leicht Nachblutung , heftige Entzündung , Brand,
nervöser Erethismus und Tetanus , während bei anderen durch chronische
Leiden, grosse Schmerzen und Säfteverlust die Erregbarkeit herabgestimmt,
das Nervensystem gegen die Schmerzen der Operation abgestumpft und
die folgende Entzündung eine massige ist; 3) von der Zeit der Ope-
ration; hierüber gilt das oben Gesagte ; 4) von dem Orte der
Operation; je entfernter derselbe von dem Rumpfe , und ie weniger
er aus Gefässen , Sehnenscheiden und fibrösen Theilen zusammengesezt
ist , desto besser ist die Prognose. Die Exarticulation en werden durch
die Eiterung manchmal gefährlicher als die Amputationen im engeren
Sinne. Zang stellt folgende Gefährlichkeitsscala auf: Exarti-
culationen des Oberschenkels , Exartic. des Oberarmes und Amputation
des Oberschenkels am oberen Dritttheile , Amput. an anderen Stellen des
Oberschenkels und Exartic. des Unterschenkels, Amput. des Unter-
schenkels, des Ober- und Vorderarmes, Exart. des 3. und 4. Mittelhand-
und des 2., 3. und 4. Mittelfussknochens , Exart. des Fusses , Exart.
der Hand , Amput. des 2., 3. und 4. Mittelfussknochens , Amput. des
3. und 4. Mittelhandknochens, Exart. des 1. und 5. Mittelfussknochens,
Exart. des 1. und 5. Mittelhandknochens, Amput. der letztgenannten
Hand- und Fussknochen , Amput. der Finger und Zehen und Exart. der-
AMPUTATION. 41
selben; 5) von der Amputationsmethode; unter gleichen
Verhältnissen und im Falle der freien Wahl wird von den meisten Prac-
tikern dem Zirkelschnitt vor dem Lappenschnitte der Vorzug gegeben
und dieser 1) auf die Stellen beschränkt, wo wegen der Breite der Wunde
die Bedeckung derselben mit Haut schwierig ist , wie an dem oberen
Theile des Oberschenkels und Vorderarmes , besonders aber an den Ge-
lenken, 2) auf die ungleiche Verbreitung der Krankheit der weichen
Theile und 3) auf den Fall , wo wegen Ankylose oder Contractur der
Zirkelschnitt gar nicht oder nur schwierig auszuüben ist; 6) von der
Verbandmethode und 7) von der zweckmässigen Nach-
behandlung und Pflege und anderen äusseren Verhältnissen.
Man bedarf folgender Instrumente zur Amputation : ein
Schraubenturniket , ein einschneidiges gerades Messer mit 8 Zoll langer,
1 0 Linien breiter Klinge und stumpfrunder Spize , zum Zirkelschnitt ; ein
spizes zweischneidiges Messer mit 1 1 Zoll langer , 1 3 Linien breiter
Klinge , und ein eben solches , aber in der Klinge nur 6 Zoll langes,
8 Linien breites, zur Lappenamputation; verschiedene grosse, gerade und
convexe Scalpells zur Amputation kleinerer Glieder , Lösung der Haut,
BeinhaiÄ u. dgl. ; ein Zwischenknochenmesser (Catline) mit 2 schneidiger,
spizer , 3 l /4 Zoll langer , 4 Linien breiter Klinge ; einfach und doppelt
gespaltene leinene Compressen zur Retraction der durchschnittenen
Weichgebilde ; eine grosse Bogensäge, 8 bis 9 Zoll lang, und eine kleine
31/ 2 — 4 Zoll lange Bogen- oder Fingersäge, eine Kornzange, eine
Knochenzange , eine Knochenfeile , Arterienpincetten und Haken nebst
Unterbindungsfäden , kleinere und grössere krumme Heftnadeln nebst
Faden und Fadenbändchen ; ausserdem gebraucht man Restaurations-
mittel , kaltes und warmes Wasser , Schwämme , Oel , eine Scheere und
zum Verbände: rohe Charpie , Charpiebäuschchen und Charpie-
kuchen , L zoll breite bandförmige , gut klebende Heftpflasterstreifen,
mehrere Compressen , eine Zirkelbinde , Stecknadeln , ferner ein Spreu-
kissen, Wachsleinwand und eine Reifenbahre. — Gehülfen bedarf man
bei grösseren Amputationen fünf bis sechs, bei kleineren drei oder vier.
Lagerung des Kranken. Bei den Amputationen an den
oberen Extremitäten sei sie , Avenn es der Kräftezustand des Kranken zu-
lässt , sizend. Bei den unteren Gliedmassen liegt der Kranke auf einem
schmalen Bette oder besser auf einem mit einer Matraze oder einem festen
Bette belegten Tische. Die Stellung des Operateurs und der
Gehülfen richtet sich nach den verschiedenen Gliedern. Ist alles an-
geordnet, so sind die nothwendigen Vorkehrungen gegen die
Blutung zu treffen. Der Hauptarterienstamm wird während der Ope-
ration comprimirt und zwar entweder mittels des Turnikets oder , wo für
dessen Anlegung kein Raum mehr ist und wenn man einen zuverlässigen
Gehülfen hat , mittels der Finger des lezteren. Das Turniket legt man
an, wenn der Kranke schon die Lage zur Operation hat ; es muss gehörig
42
AMPUTATION.
darauf gesehen werden, dass die Pelotte gerade den Hauptstamm trifft und
unter ihr keine Pulsation fühlbar bleibt. Ein Gehülfe sorgt für die sichere
Lage des Turnikets und hält sich bereit , es jeden Augenblick zu lüften
oder stärker zu schliessen.
Die Operation selbst zerfällt, man mag sie in oder ausser den
Gelenken machen , in vier Acte : nämlich in die Durchschneidung der
weichen Theile , in die Trennung der Knochen oder der Gelenkbänder,
in die Blutstillung und in die Vereinigung der Wunde. — Die Durch-
schneidung der Weicht heile differirt nach den verschiedenen
Methoden, die sich auf sie allein beziehen.
1. Der Zirkelschnitt. Er besteht, wie schon sein Name
andeutet, darin, dass sämmtliche Weichtheile senkrecht auf die Achse des
Gliedes (daher auch der Name Verticalschnitt) kreisförmig durch-
schnitten werden. Er zerfällt in den einfachen und doppelten (zwei-
zeitigen) Schnitt. — a) Einfacher Zirkelschnitt (auch Celsus'-
scher Schnitt genannt). Dieser Schnitt wird 2'3 des Durchmessers des
Gliedes tiefer als der Knochen durchsägt werden soll und zwar auf fol-
gende Weise ausgeführt : ein Gehülfe umfasst über der Amputationsstelle
das Glied mit beiden Händen und spannt die Haut gleichmässig an ; ein
anderer hält das Glied an seinem untern Theile ; der Operateur lässt sich
an der äusseren Seite des Kranken auf ein Knie nieder , führt das ein-
schneidige Messer unter dem Gliede weg nach dessen oberer Seite , fasst
dessen Spize mit den Fingern der linken Hand , schiebt dasselbe gegen
sich und durchschneidet dadurch zuerst die ihm zugekehrte Seite des
Gliedes bis auf den Knochen ; alsdann zieht er das Messer unabgesezt
und sich stets auf den Knochen haltend zurück und kreisförmig um den
übrigen Theil des Gliedes herum bis zu dem Anfangspunkte des Schnitts ;
bei dem lezten Theile des Schnitts erhebt er sich , so dass er diesen
stehend verrichtet. Ist dies geschehen , so lässt er die Muskeln stark
zurückziehen , schneidet den Muskelkegel kreisförmig durch und sägt
schliesslich den Knochen in diesem Schnitte durch. Dieser Schnitt ist
nur anwendbar bei sehr verwundbaren , mageren Individuen mit schlaffer,
dehnbarer Haut und Muskulatur am Oberarm , seltener am Oberschenkel.
— b) Doppelter oder zweizeitiger Zirkelschnitt. Man
durchschneidet die vorher stark zurückgezogene Haut etwa einen Zoll
unter der Durchsägungsstelle des Knochens mit dem Amputationsmesser
kreisförmig bis auf die Fascie und lässt sie dann stark zurückziehen , oder
geht dieses nicht , so präparirt man sie von den unterliegenden Theilen
ab und schlägt sie nach oben um. Nun nimmt der Operateur das Ampu-
tationsmesser, sezt dasselbe etwa 2 — 3 Linien unter der retrahirten oder
umgeklappten Haut an und schneidet die übrigen Weichgebilde wie bei
dem einfachen Zirkelschnitte senkrecht bis auf den Knochen durch.
Dann legt der Gehülfe seine Hände auf die Schnittfläche und zieht die
Fleischmasse stark zurück, worauf die kegelförmig vortretende Muskulatur
AMPUTATION, 43
dicht vor den Fingern des Gehülfen mit einem ganz wie auf die frühere
Weise verrichteten Zirkelschnitt bis auf die Knochen durchschnitten wird.
Erforderlichen Falls wiederholt man dieses Durchschneiden eines Fleisch-
kegels und führt so die Muskelwunde von 1/2 bis 2 Zoll höher am Knochen
hinauf. Dieser Schnitt hat bei einröhrigen Gliedern den Vortheil , dass
er ein besseres Polster für den Stumpf gibt und dass die perpendiculäre
Wunde sich rasch zur Heilung neigt, was besonders bei vulnerablen Per-
sonen wichtig ist ; er ist besonders bei rigiderer , nicht zu starker Musku-
latur an einer nicht zu hohen Stelle des Gliedes , wo noch das Turniket
angewendet werden kann , an Theilen , welche mehr Sehnen und weniger
Muskeln enthalten , daher an den beiden unteren Dritttheilen des Ober-
arms, am Oberschenkel nahe am Knie, am unteren Theil des Unterschenkels,
am Vorderarm nahe am Handgelenk anwendbar. — Als eine Modin cation
des zweizeitigen Zirkelschnitts ist der Trichter- oder Hohlkegel-
schnitt zu betrachten, dessen Erfinder Alans on ist. Gräfe benüzt
dazu sein Blattmesser, an dem die Klinge 5I/2 Zoll lang, der hintere Theil
der Schneide geradlinig, der vordere Theil stark convex, der Kücken dick,
die Spize stumpf und abgerundet ist. Er macht mit dem hinteren gerad-
linigen Theile des Messers einen Zirkelschnitt durch die Haut , drückt
dann genau am Rande der zurückgezogenen Haut den oberen Theil des
Messers in schräger Richtung , die Schneide auf- und einwärts gerichtet,
durch die Muskeln möglich tief ein und führt es in derselben Richtung
rings um den Knochen , indem er mittels des aufgesezten linken Daumens
und Zeigefingers stark auf den Rücken des Blattes drückt. Es wird so
eine trichterförmige Wunde gebildet , deren Tiefe sich zum Umfange des
Gliedes wie 1 zu 5 verhalten muss. Z a n g lässt nach dem ersten schiefen
Schnitt bis auf den Knochen die durchschnittenen Muskeln von einem
Gehülfen zurückziehen und schneidet den sich bildenden Fleischkegel mit
einem einfachen Zirkelschnitt durch. Diese Methode ist vorzugsweise
beim Oberschenkel1, wo die Lappenamputation nicht stattfindet , ebenso
beim Oberarm , bei derben , muskulösen , leicht verwundbaren Subjecten,
wo schnelle Vereinigung erzielt und zur Anlegung eines künstlichen
Gliedes ein derbes Fleischpolster gebildet werden soll , anwendbar. In-
dessen erfordert dieses Verfahren eine ausserordentliche Geschicklichkeit
und gibt immer eine ungleiche Wundfläche.
2 . Der Lappenschnitt. Er besteht darin , dass sämmtliche
Weich theile entweder an einer oder auf zwei Seiten des Gliedes und zwar
entweder von innen nach aussen oder von aussen nach innen in Form
eines viereckigen oder abgerundeten Lappens durchschnitten werden. —
a) Einfacher Lappenschnitt. Schnitt von innen nach
aussen. Nachdem alles vorbereitet ist und der Operateur seine gewöhn-
liche Stellung eingenommen hat, ergreift er ein zweischneidiges Ampu-
tationsmesser , umfasst die Hälfte der Weichtheile des Glieds mit der
linken Hand etwas unter der Stelle , wo der Knochen durchsägt werden
44 AMPUTATION.
soll , drückt sie etwas zusammen , sticht das Messer dicht am Knochen
quer durch das Glied hindurch und schneidet nun , sobald er den Aus-
stich gewonnen hat , in möglichst wenig Zügen schief gegen die Peri-
pherie heraus , wodurch ein abgerundeter Lappen erzeugt wird. Der
so gebildete Lappen muss 2/3 des Durchmessers des Gliedes an der betref-
fenden Stelle, oft auch den vollen Durchmesser lang sein, da er sich con-
trahirt ; sollte er die nöthige Länge nicht erhalten haben , so müsste man
an seiner Basis den Schnitt nachträglich weiter hinauf führen. Nun wird der
Lappen nach oben umgeschlagen , vom Gehülfen gehalten und hierauf an
seiner Basis mit einem Halbzirkelschnitt die Weichtheile im übrigen Um-
fange des Gliedes so durchschnitten, dass die Endpunkte dieses Schnitts
mit denen des Lappenschnitts gerade zusammentreffen. — Schnitt von
aussen nach innen. Der rückwärts von dem zu bildenden Lappen
stehende Operateur fasst mit der nicht operirenden Hand die Weichtheile
an der Stelle , wo der Lappen seine Basis, haben soll , drückt dieselben
zusammen und spannt so die Hant sammt den übrigen Weichtheilen nach
oben an. Nun nimmt der Operateur ein schwach convexes (Langen-
b e c k 'sches) Amputationsmesser , sezt es schief an die Haut , so weit von
den Fingern der nicht operirenden Hand entfernt , als er den Lappen
lang zu machen beabsichtigt , und schneidet in möglich wenig Zügen
sämmtliche Weichtheile bis an die mit den Fingern markirte Basis durch.
Zur Sicherheit kann die Form und Grösse des zu bildenden Lappens vor-
her auf die Haut gezeichnet werden. Der auf diese Weise gebildete
Lappen zeigt einen sehr regelmässigen Schnitt und weniger Muskulatur,
was ihn geschmeidiger und zur Vereinigung geeigneter macht. — Der
einfache Lappenschnitt ist anwendbar : an fleischigen Theilen des Vorder-
armes und des Unterschenkels , da die Weichgebilde an diesen Theilen
wegen des festeren Zusammenhangs mit den Knochen und dem Zwischen-
knochenbande nicht stark genug retrahirt werden können , ferner am
Oberarm und Oberschenkel , wenn an der einen Seite die Weichtheile
höher hinauf zerstört sind , als an der andern. — b) Doppelter
Lappenschnitt. Bei dem Schnitte von innen nach aussen
sticht man ein gehörig grosses zweischneidiges Messer an der zu durch-
sägenden Stelle des Knochens ein und zwar auf der Mitte des Gliedes,
nicht auf der des Knochens , da sonst der innere Lappen zu gross würde,
führt die Spize um den Knochen nach hinten und auf der entgegengesezten
Seite dem Einstichspunkte gerade gegenüber wieder heraus und schneidet
dann schief gegen die Peripherie aus. Der Lappen muss die Länge des
halben Durchmessers des Gliedes an der betreffenden Stelle haben. Nach
der Bildung dieses ersten Lappens sticht man das Messer genau an der
ersten Einstichstelle wieder ein und bildet den zweiten Lappen auf die
gleiche Art, wie jenen. Sind hiermit nicht alle Weichtheile im Umfange
der Durchsägungsstelle getrennt , so durchschneidet man sie bei zurück-
geschlagenen Lappen mit Kreisschnitten. In der Regel wird der die
AMPUTATION. 45
Gefässe enthaltende Lappen zulezt gebildet. — Die Lappen werden bald
zu beiden Seiten des Glieds, an der äussern und innern Seite (verticaler
doppelter Lappenschnitt), bald an der vorderen und hinteren Seite (hori-
zontaler Lappenschnitt) gebildet. — Bei dem Schnitte von aussen
nach innen bildet man auf die angegebene Weise auf der andern Seite
einen eben solchen Lappen, wie der erste war. — Der doppelte Lappen-
schnitt ist in den bei dem einfachen Lappenschnitte angegebenen Fällen
anwendbar , wenn das Individuum nicht zu vulnerabel und entkräftet ist,
ein Lappen zur vollständigen Deckung des Stumpfes nicht hinreicht oder
die Blutung wegen zahlreicher Gefässausdehnungen nicht durch Unter-
bindung allein gestillt werden könnte , sondern die Tamponade eines
Lappens durch den andern forderte ; man macht von ihr besonders an der
oberen Hälfte des Oberschenkels und bei Exarticulationen Gebrauch. Zu
bemerken ist indessen , dass die Wunde beim Zirkelschnitt Vorzüge vor
der beim Lappenschnitte hat. Nicht selten legen sich die Schnittflächen
nicht überall genau an einander, so dass es da oder dort unter den Lappen
zur Eiterung kommt, es stösst sich auch wohl ein Theil des Lappens ab,
die Entzündung erreicht einen höheren Grad , die Heilung verzögert sich,
die Vernarbung kommt nicht gleichmässig zu Stande. Wo also der
Lappenschnitt nicht ausdrücklich geboten ist, ist der Zirkelschnitt in dieser
Beziehung vorzuziehen.
3. Der Ovalär schnitt. Dieser unterscheidet sich von dem
Zirkelschnitte nur dadurch , dass der Schnitt durch sämmtliche Weich-
theile nicht senkrecht , sondern schief auf die Achse des Gliedes geführt
wird ; er kommt nur bei Gelenken und zwar besonders bei solchen zur
Anwendung , welche an ihren Seiten reichlichere weiche Theile haben,
namentlich wenn die Weichgebilde am äussern obern Theil des Gelenks
zerstört sind. Seine Ausführung differirt nach den Gelenken, das Wesent-
liche desselben besteht aber in Folgendem : bei gehörig fixirtem Gliede
beginnt man eine erste Incision durch Haut und Muskeln etwas über dem
Gelenke, führt sie über dessen eine Seite schräg nach dem innern untern
Theile und längs der hier meistens vorhandenen , das Gelenk bezeich-
nenden Falten bis zu deren Mitte hin. Dann macht man eine zweite
Incision , welche in dem Endpunkte der ersten beginnt , ebenso wie diese
auf der andern Seite des Gelenks aufwärts und mit ihr oben im Anfangs-
punkte sich vereinigt , so dass beide Schnitte also ein das Glied umfas-
sendes Dreieck darstellen, welches sich nach der Auslösung des Knochens
zu einer elliptischen leicht in einer linearen Spalte zu vereinigenden
Wunde gestaltet. — Eine Variante des Ovalschnitts ist der Schräg-
schnitt von Blasius. Dieser Schnitt, wozu ein eigenes Messer
benüzt wird, unterscheidet sich vom Ovalärschnitte nur dadurch, dass beide
Enden desselben scharfe Winkel bilden ; die W^unde hat somit an der
einen Seite ihres Längendurchmessers einen hohlen , an dem entgegen-
gesezten Ende einen soliden Zipfel. Der solide Zipfel wird in den Hohl-
46 AMPUTATION.
zipfel hinein genaht und so über die ganze Amputationswunde geschlagen,
dass dieselbe durch den soliden Zipfel verdeckt wird. — Dieses Verfahren
soll die Vortheile des Lappen - und Zirkelschnitts vereinigen , es hat in-
dessen wenig Anhänger gefunden.
Die Durchtrennung der Knochen ist verschieden bei der
Amputation im engeren Sinne und bei der Exarticulation. — 1) bei der
Amputation müssen , um die Knochen möglichst hoch absägen zu
können , die Muskeln nach oben gezogen und zurückgehalten werden ;
dazu bedient man sich am häufigsten der einfach oder doppelt gespaltenen
Compresse : man bringt den ungespaltenen Theil derselben auf die untere
Seite des Glieds , so dass das Ende der Spalte genau am Knochen , der
ungespaltene Theil unter diesem auf der Muskelmasse liegt , lässt diesen
vom Gehülfen fassen und führt die beiden Köpfe des gespaltenen Theils
so über die übrige Wundfläche weg , dass sie mit ihren innern Rändern
überall genau am Knochen anliegen , sich auf der Mitte der vorderen
Fläche kreuzen und die Muskeln in allen Punkten decken. Bei Gliedern
mit zwei Knochen steckt man von der doppelt gespaltenen Compresse den
mittleren Kopf mit Hülfe der Pincette zwischen den Knochen von unten
nach oben durch und breitet ihn nach oben hin über die weichen Theile
aus ; im Uebrigen verfährt man, wie mit der einfachen Compresse. Nach-
dem der Gehülfe mit seinen beiden Händen die Compresse umfasst und
die Muskelmasse damit bis zur Durchsägungsstelle zurückgedrängt hat',
durchschneidet man die Beinhaut und etwa noch anhängende Muskelreste
dicht vor der Compresse kreisförmig mit einem Scalpell. Hierauf legt
der Operateur seine nicht operirende Hand auf die retrahirende Binde,
legt den Nagel des Daumens in die durch den Beinhautschnitt gebil-
dete Furche und sezt die Säge , sie an den genannten Nagel anlehnend,
mit dem Griffende auf den Knochen , zieht sie gegen sich an und bildet
sich so eine seichte Furche in demselben ; hierauf schiebt er die Säge
von sich und drückt sie etwas nieder. Diese Sägezüge wiederholen sich
immer schneller , bis der Knochen durchsägt ist. Die Gehülfen müssen
das Glied unbeweglich halten und Derjenige , welcher den unteren Theil
desselben fixirt , lässt diesen dabei etwas abwärts sinken , damit sich die
Säge nicht einklemme ; gegen das Ende der Trennung macht man wieder
kurze und langsame Züge und im lezten Moment lässt man das Glied
wieder ein wenig heben, damit der Knochen nicht durchbricht und splittert.
Etwa zurückbleibende Splitter entfernt man mit der Knochenzange oder
einer feinen Säge. Bei Gliedern mit zwei Knochen bildet man zuerst
auf dem dickeren die Rinne und senkt dann die Säge auf den dünnen, damit
dieser zuerst durchsägt werde. Sollte man den Knochen an einer kranken
Stelle durchsägt haben, so sägt man ihn weiter oben nochmals ab oder exstir-
pirt ihn aus dem nächsten Gelenk. — 2) Bei der Exarticulation hält
ein Gehülfe die weichen Theile mit den Händen zurück , der Operateur
oder ein zweiter Gehülfe gibt dem Gliede die zur hinreichenden Spannung
AMPUTATION. 47
der zu trennenden Sehnen und Gelenkkapsel nothwendige Lage und
Drehung (nach der entgegengesezten Richtung), ohne jedoch den Gelenk-
kopf gerade zu luxiren, worauf zuerst, wo es angeht, die stärksten Sehnen
und Bänder, und die, welche die Knochen in sehr enger Berührung halten,
alsdann die Gelenkkapsel durchschnitten werden. Bei der Durchführung
des Messers durch das Gelenk sei die Schneide des Messers gegen den zu
entfernenden Gelenkkopf gerichtet ; um die Verlezung anderer Theile zu
verhüten , vermeide man das Eindringen mit der Spize in ein wenig
geöffnetes Gelenk. Zulezt trennt man den noch übrigen Theil der
Gelenkkapsel und was sonst den Knochen noch befestigt.
Stillung der Blutung. Man unterbindet zuerst die Haupt-
arterie, dann die Aeste, welche man, ohne das Turniket zu lüften, durch
die Anatomie geleitet , zu finden wissen muss. Man fasst die Arterien
mit einer guten Pincette und ein Gehülfe legt die Fäden um. Nach dem
Lappenschnitte sind die schräg durchschnittenen Gefässe oft schwer zu
unterbinden; sie ziehen sich nicht zurück, bluten deshalb stärker und
müssen daher stark vorgezogen werden , um die Ligatur sicher anlegen zu
können. Entdeckt man kein zu unterbindendes Gefäss weiter , so lässt
man das Turniket lüften , ohne dass es verrückt wird , merkt sich die
Stelle einer jezt sprizenden Arterie , lässt jenes wieder schliessen und
unterbindet. Es müssen alle nur einigermassen bedeutende Arterien
unterbunden werden ; verknöcherte Arterien unterbinde man mit einem
sehr breiten Fadenbändchen. Tiefliegende Arterien mache man durch
einen Einschnitt zugänglich ; Blutungen aus Knochenarterien werden
durch Eindrücken eines Wachs- oder Pflasterkügelchens gestillt. Eine
parenchymatöse Blutung sucht man durch Begiessen mit kaltem Wasser,
adstringirende Mittel, im Nothfall durch Application des glühenden Eisens
zu stillen. Leztere Blutungen treten erst mit gänzlicher Lösung des
Turnikets zu Tage. Nach beendigter Blutstillung schneidet man von jeder
Gefässligatur ein Ende nahe am Knochen ab , leitet die anderen Enden
vereint aus dem am niedrigsten liegenden Wundwinkel oder überhaupt
auf dem kürzesten Wege aus der Wunde und klebt sie unangespannt
aussen auf der Haut mit kleinen Heftpflasterstreifen an. Aus der Wund-
fläche hervorragende Sehnen und Nerven schneidet man ab, nicht zu hoch
gehende Fisteln im Fleische schneidet man aus, entfernt überhaupt kranke
Theile, so weit es thunlich ist.
Vereinigung der Wunde. Der Verband ist verschieden , je
nachdem man die Amputationswunde durch schnelle Vereinigung oder
Eiterung zu heilen beabsichtigt. Erstere verdient überall den Vorzug,
wo nicht wegen unentfernbarer örtlicher Verhältnisse Eiterung nothwendig
eintreten muss. Zu ihrer Herbeiführung reinigt man die Wundfläche
auf schonende Weise von allem Coagulum oder was sie sonst etwa bedeckt,
reinigt und trocknet auch die Haut am ganzen Stumpfe und vereinigt
dann die Wunde so , dass möglichst gleichartige Theile mit einander in
48 AMPUTATION.
Berührung kommen. Nach dem Zirkelschnitte bringt man durch sanften
Druck und Zug von oben her mit beiden Händen die Wunde zu einer
Spalte zusammen, welche in der Regel vertical verlaufen, jedoch manch-
mal wegen verschiedener Verhältnisse eine diagonale und selbst eine
quere Richtung erhalten muss ; ehenso macht man es nach dem Trichter-
und Ovalschnitt. Nach dem einfachen Lappenschnitt beugt man den
Lappen so über die Wundfläche, dass sich sein Hautrand mit dem übrigen
Hautrande genau vereinigt ; sind zwei Lappen gebildet worden , so legt
man sie so aneinander , dass auch hier die Hautränder sich überall genau
berühren. Nach dem Schrägschnitt klappt man den Wundzipfel in den
einspringenden Wundwinkel hinein. Die so gehaltenen Wundlefzen ver-
einigt man bei grösseren Gliedern durch Knopfnähte, welche nur durch
Haut und Zellgewebe geführt und mit breiten Fadenbändchen gemacht
werden : in ihre Zwischenräume legt man quer über die Wundspalte lange
und breite Heftpflasterstreifen herüber , die man durch einen oder zwei
kreisförmig um das Ende des Stumpfes herumgeführte Streifen befestigt.
Bisweilen reichen diese Streifen allein zur Vereinigung hin. Die Verei-
nigung darf nirgends gewaltsam geschehen , lieber lässt man einen Theil
der Wrunde ungeschlossen. Ueber die vereinigte Wunde legt man etwas
rohe Charpie , schlägt eine Compresse um den Stumpf und befestigt sie
durch einige Touren einer Zirkelbinde. — Eiterung der Wunde ist
dann zu bezwecken , wenn die Blutung durch Tamponade oder styptische
Mittel gestillt werden musste und wenn mit den erzielten Weichgebilden
der Stumpf nicht ohne gewaltsames Zerren derselben bedeckt werden
kann. In diesen Fällen belegt man die Wundfläche mit in Oel oder
Wasser getauchten Charpiebäuschchen oder Läppchen , nähert die Wund-
lefzen einander massig durch Heftpflaster, bedeckt sie mit einer Compresse
und befestigt diese durch eine Binde.
Nachbehandlung. Nachdem der Operirte_ ins Bett gebracht
ist , wird der Stumpf auf einem mit Wachstuch und Compresse belegten
Spreupolster so gelagert , dass er mit seinem verwundeten Ende darüber
hinausragt und seine Musculatur erschlafft ist , also in der Mittellage
zwischen Beugung und Streckung; über ihn sezt man eine Reifenbahre,
um die Bettdecke von ihm abzuhalten. Das Turniket bleibt geöffnet am
Stumpfe liegen , um es bei eintretender Nachblutung ohne Zeitverlust
schliessen zu können. In den ersten Tagen muss der Verwundete sorg-
fältig überwacht werden , um bei ungewöhnlichen Zufällen , namentlich
Nachblutungen sogleich bei der Hand zu sein. In der Regel wendet man
während der Zeit der eintretenden Entzündung kalte Umschläge an , um
diese in Schranken zu halten ; bei bezweckter Eiterung vertauscht man
sie bald mit erweichenden Cataplasmen. Die Entzündung ist in der
Regel mit einiger Gefässreaction verbunden ; es tritt 3 — 6 Stunden nach
der Operation das Wundfieber mit Frost und Hize und mit erethischem
Character ein , welches die Anwendung des antiphlogistischen Verfahrens
AMPUTATION. 49
fordert, daher Diät, säuerliche Getränke, Nitrum, bei Sensiblen Potio
II i v e r i mit Extr. hyoscyami oder Aqua laurocerasi, bei Nei-
gung zu Diarrhoe mit G. arabicum, und zum Getränk Mandelmilch. Tritt
stärkeres Fieber ein und ist das Individuum vollblütig, kräftig, so macht
man von einem oder mehreren Aderlässen Gebrauch. Leicht treten ga-
strische und biliöse Zustände ein , gegen welche man neben geregelter
Lebensweise säuerliche , gelind eröffnende Mittel reicht. Nach 8 Tagen
etwa gibt man eine kräftigere, jedoch stets leichte Diät, und besonders bei
Heilung durch Eiterung selbst stärkende, belebende Arzneien, wie bittere,
aromatische Mittel , China u. dgl. Die örtliche Behandlung wird
dem bei der Wunde stattgehabten Zwecke gemäss nach allgemeinen Regeln
geleitet. Bei beabsichtigter schneller Vereinigung nimmt man nach 3 bis
4 Tagen nach Losweichung mit lauem Wasser und unter Vermeidung
jeder Zerrung der Gefässligaturen tvon dem Verbände weg, was leicht geh
und ersezt das Weggenommene auf die frühere Weise, während ledie Thei
sorgfältig unterstüzt werden. Die blutigen Hefte entfernt man zwischen
dem 4. und 8. Tag. Alle 1 bis 2 Tage wiederholt man den Verband
und versucht dabei vom 6 . Tage die Ligaturen kleinerer Gef ässe , vom
8. ab die des Hauptstammes, doch nur stets durch sanftes und vorsichtiges
Ziehen zu entfernen. Nicht vereinigte Stellen der Wunde behandelt man
einfach. Hat sich die Wunde wohl äusserlich, aber nicht im Innern ver-
einigt, so macht man nur eine kleine Oeffnung mit dem Myrthenblatte in
die Spalte, um dem Eiter Abfluss zu verschaffen und verfährt des Weiteren
wie bei einem Abscess. Ist in der ganzen Wundfläche Eiterung einge-
treten , so verfährt man wie da , wo leztere beabsichtigt wurde. — In
diesem Falle erneuert man den Verband erst am 5. Tage, wobei man nur
das vom Eiter Gelöste wegnimmt , die Ligaturen berücksichtigt , und die
Wunde dann täglich nach ihrem Vitalitätszustande verbindet. Man hält
die Wunde dabei immer etwas zusammen , um die Eiterung zu beschrän-
ken und nebenbei dem Stumpfe ein gutes Polster zu verschaffen ; nach
der Verheilung kann dies mit Hülfe einer Expulsivbinde begünstigt wer-
den. Erst wenn der Knochen sich abgerundet hat, was in 3 — 4 Monaten,
bei dicken Knochen oft noch viel später der Fall ist, darf man daran den-
ken, ein künstliches Glied anzulegen.
Nach der Operation können verschiedene Zufälle
eintreten. 1) Nachblutung. Diese erfolgt entweder in den ersten
2 4 Stunden (primäre) oder später nach eingetretener Eiterung (s e -
cundäre). Die erste rührt meistens von unterlassener oder nicht siche-
rer Unterbindung grösserer Gefässe her, wogegen man zunächst anhaltend
eiskalte Umschläge anwendet und das Turniket fester anzieht. Ist die
Blutung aber heftig, so dass sie wahrscheinlich aus einer grösseren Arterie,
vielleicht dem Stamme selbst kommt , so comprimirt man letzteren über
der Wunde , öffnet diese und unterbindet die Arterie oder umstülpt sie
und gelingt weder das eine noch das andere, so wendet man Eisumschläge,
Burger, Chirurgie. 4
50
AMPUTATION.
im Nothfall einen Tampon mit Colophonium und Weingeist an oder unter-
bindet die Arterie oberhalb der Wunde. Die secundäre Nachblutung er-
folgt später, am 8., 15., 2 0. Tage und hat ihren Grund meistens darin,
dass sich die unterbundenen Gefässe , weil sie krank sind, nicht organisch
schlössen, oder in körperlichen Anstrengungen oder in zu frühem Abfallen
der Ligatur u. a. Hilft hier die anhaltende Anwendung von Eis nebst
Druck auf Stumpf und Arterienstamm nicht , so kann man zwar noch ein-
mal in der Wunde zu unterbinden suchen , tamponiren , Styptica, selbst
das Glüheisen anwenden , sicherer und einfacher aber als Alles Dies ist die
Unterbindung des Arterienstammes oberhalb der Wunde. Tritt trozdem
neue Blutung ein , so bleibt meist nur die Amputation an einer höhern
Stelle übrig , wo die Gefässe vielleicht gesünder sind. Ist die Blutung
parenchymatös , was in Atonie der Gefässenden oder örtlicher Schwäche
und Erschlaffung begründet sein kann , so wendet man kaltes Wasser,
Styptica und Tamponade, innerlich Säuren an ; eine venöse Blutung kann
durch zu festen Verband verursacht werden. 2) Krampfhafte Be-
wegungen des Amputationsstumpfes beseitigt man durch Opium , Mor-
phium, lezteres innerlich und endermatisch. 3) Die Neuralgie des
Amputationsstumpfes ist einer der übelsten Zufälle , wobei furchtbare
Schmerzen in dem Stumpfe, gewöhnlicher in dem abgenommenen zugegen
sind. Meistens gehen diese Schmerzen von dem mit der Narbe verwach-
senen Ende eines Nervens aus. Man wendet kräftige Narcotica (Morphium
endermatisch , Veratrin salbe) an ; wo sie nicht helfen und der eingewach-
sene Nerv zu bestimmen ist, legt man ihn blos und excidirt ein Stück
desselben ; reicht auch dies nicht aus, so muss man höher oben amputiren.
4) Zu heftige Entzündung der Wunde fordert eine Lockerung des
Verbandes , die Anwendung kalter Umschläge , nötigenfalls auch Blut-
entziehungen 5) Bei gänzlich mangelnder Reaction macht man
warme aromatische Umschläge, Waschungen des Stumpfes mit Kampher-
geist u. dgl. , legt einen festeren Verband an und gibt allgemeine robori-
rende und erregende Mittel nebst einer entsprechenden Diät. Brand
der Wunde , Hospitalbrand, Abweichungen der Eiterung,
Erysipelas des Stumpfes behandelt man nach allgemeinen Regeln (s.
diese Art.). Tritt Necrose am untern Knochenende ein, so überlässt
man die Lösung des Knochenstückes der Natur. Hervorragen des
Knochens aus der Wundfläche hat Necrose desselben zur Folge und
man kann seine Abstossung durch Einführung einer in Weingeist getauch-
ten Wieke in die Markhöhle befördern. Nimmt die Wundfläche eine
kegelförmige Gestalt an und ragt sie bedeutend hervor, so muss man
über ihr von Neuem amputiren. — Oedem am Stumpfe fordert Ein-
wicklung des lezteren und die Anwendung aromatischer Mittel. — E x -
coriationen und Ulcerationen der Narbe behandelt man mit
reizenden Verbandmitteln oder transplantirt ein gesundes Hautstück an
die Stelle der Narbe. — Tetanus, Venenentzündung etc. behan-
AMPUTATION IN DER CONTINUITAET. 51
delt man nach allgemeinen Regeln (s. diese Art,). — In der Regel be-
darf der Kranke keiner stärkenden Nachkur , wohl aber muss man bei
starker Eiterung und nach vorausgegangenem heftigen Blutverluste
die Natur unterstüzen durch Bier , Wein , Chocolade , Säuren , China,
manchmal die zu profuse durch den Verband, durch Aqua calcis,
Solut. calcariae oxymuriaticae, Sol. lapid. infernalis
etc. vermindern , besonders aber die Eitersenkung durch zweckmäs-
sigen Verband (Expulsivbinde) und passende Lage verhüten und ihr nach
Umständen durch Erweiterung der Wunde oder Gegenöffnungen abhelfen.
B. Von der Amputation im Besondern.
I. Amputationen in der Continuität.
1) Amputation des Oberarms, Amputatio brachii.
Der Kranke sizt am Besten auf einem Stuhl, an den man ihn durch einige
Handtücher befestigt ; bei grosser Schwäche liegt er auf einem Tische
oder hohem Bette , so dass die Schulter des zu operirenden Armes über
den Rand derselben hervorsteht. Der Oberarm wird rechtwinklig zum
Rumpfe erhoben. Ein an der äusseren Seite des Gliedes stehender Ge-
hülfe hält den Oberarm über der Operationsstelle und zieht die Haut zu-
rück , der zweite steht an der inneren Seite des Vorderarmes und hält
diesen, der dritte comprimirt die Gefässe und der vierte hält den Kranken
auf der andern Seite. Bei der Amputation an den beiden unteren Dritt-
theilen wird die Art. brachialis am oberen Theile des Armes entweder
mittels des Turnikets oder besser mit dem Finger comprimirt ; im oberen
Drittel geschieht die Compression an derA. subclavia und zwar unter-
halb des Schlüsselbeines, am inneren Rande des Processus coracoi-
deus oder oberhalb des Schlüsselbeines mit einem Finger oder einem
Schlüsselring. Der Operateur steht an der äusseren Seite des Armes.
Die Operation kann nach allen Methoden gemacht werden : Der einfache
Zirkelschnitt wird ganz auf die oben Seite 42 angeführte Weise
vollführt und zwar werden die Weichtheile etwa 2 Zoll unter der Durch-
sägungsstelle des Knochens durchschnitten. Der doppelte Zirkel-
schnitt wird vorzüglich an den zwei unteren Dritttheilen des Oberarmes
wie oben angegeben gemacht, indem man die Haut 1 */2 — 2 Zoll unter
der Durchsägungsstelle durchschneidet. Am oberen Theile des Armes
ziehen sich bei dem Zirkel schnitte die M. M. deltoideus, pectora-
lis und latissimus dorsi zurück und der Knochen steht vor. Beim
einfachen Lappenschnitte bildet man den Lappen aus der vor-
dem oder hintern Seite des Armes. Man schneidet mit dem beim rechten
Arm in der linken, beim linken in der rechten Hand gehaltenen kleineren
zweischneidigen Messer auf die oben angegebene Weise einen 2 — 21/2
Zoll langen Lappen aus und darauf an der Basis des lezteren die Weich-
theile der anderen Seite kreisförmig durch. Der doppelte Lappen-
schnitt ist am Oberarm selten. Man bildet zwei seitliche Lappen auf
die oben angegebene Weise ; man sticht das Messer auf der Mitte der vor-
4*
52 AMPUTATION IN DER CONTINUITAET.
dern Fläche des Armes ein , macht erst den äusseren , dann den inneren
Lappen, jeden l1/.-, — 13/4 Zoll lang, und durchschneidet an der Durch-
sägungsstelle das noch undurchschnittene Fleisch mit einem Kreisschnitt
bis auf den Knochen. Der Tr ic h t er s chni tt wurde von Grä fe mit
einem 2 Zoll tiefen Trichter , der Ovalschnitt von G u t h r i n nicht
weit von der Schulter entfernt gemacht. Beim Schrägschnitt bildet
man die Wundzipfel aus dem Fleische der vordem und hintern Seite, be-
sonders aus dem M. biceps. — Zu u n t erbin d en hat man die A.
b r a c h i a 1 i s und profunda brachii, manchmal auch noch kleinere
Aeste oder die hoch entspringende radialis oder ulnaris. Die Ver-
einigung der Wunde nach dem Zirkelschnitte geschieht am Zweckmäs-
sigsten in eine Querspalte. Der Stumpf wird horizontal , ein wenig ab-
hängig auf ein Spreukissen gelegt.
2) Amputation des Vorderarmes, Amputatio anti-
brachii. Der Vorderarm kann an allen Stellen amputirt werden ; der
späteren Benuzung wegen soll so weit unten als möglich operirt werden.
Der Kranke sizt am besten. Ein an der äusseren Seite der Schulter
stehender Gehülfe comprimirt die A. brachialisam mittleren Theile
des Oberarmes. Der Vorderarm wird vom Körper entfernt , massig flec-
tirt und von einem an der äusseren Seite des Oberarmes stehenden Ge-
hülfen oberhalb der Amputationsstelle umfasst ; ein anderer Gehülfe fixirt
das Glied am Handgelenke in der Pronation. Der Operateur steht an der
innern Seite des Vorderarmes. Die Operation wird mittels des Lappen-,
des Schräg- und des doppelten Zirkelschnittes gemacht ; für den einfachen
Zirkelschnitt adhäriren die Muskeln zu fest und der Trichterschnitt ist
wegen der doppelten Knochen nicht ausführbar. — Der einfache
Lappenschnitt wird im fleischigen Theile des Armes gemacht und
der Lappen aus der Volarseite gebildet. Man fasst das kleinere zwei-
schneidige Messer beim linken Gliede mit der linken , beim rechten mit
der rechten vollen Hand, legt den Zeigefinger auf denTvücken der Klinge,
sticht es an oder etwas unter der Durchsägungsstelle an der Radialseite
ein, führt es über den Radius und die Ulna hin bis zur entgegengesetzten
Seite und bildet einen 2 — 2l/2 Zoll langen Lappen. Dann trennt man
mit einem halben Kreisschnitt die weichen Theile der Dorsalseite und
lässt den zurückgeklappten Lappen möglichst nach oben ziehen. Nun
stösst man dicht vor demselben die schmale Catline mit den Knochen zu-
gewandten Schneiden hart an der äussern hintern Fläche des Radius von
aussen nach innen durch das Fleisch zwischen den Knochen und das
Zwischenknochenband, führt sie quer herüber zur Ulna und zieht sie hart
an deren vorderer äusserer Fläche heraus , dann verfährt man ebenso auf
der anderen Seite und befreit damit die Knochen von allen Weichtheilen,
worauf man die doppelt gespaltene Compresse auf die früher angegebene
Weise anlegt und nach Trennung der Beinhaut beide Knochen durchsägt,
Der doppelte Lappenschnitt wird am unteren Theile des Vorder-
AMPUTATION IN DER CONTINUITAET. 53
armes, so wie dann gemacht, wenn wegen hoch heraufgehender Zerstörung
der Weichtheile beider Seiten beim einfachen Lappenschnitte die Trennung
des Knochens dem Ellbogengelenk sehr nahe geschehen müsste. Man
bildet zuerst den Volarlappen in der Länge von 1 i/2 — 2 Zoll , dann sezt
man den Daumen und Mittelfinger in die Lappenwinkel, zieht die Weich-
gebilde von den Knochen ab , sezt das Messer in den oberen Winkel am
Radius ein und fuhrt es an der Dorsalseite der Knochen bis zum ersten
Einstichspunkte ; der Dorsallappen kann gleich gross wie der Volarlappen
oder auch kleiner sein. Der doppelte Zirkelschnitt passt nicht
für den obern Theil des Vorderarmes und wird auch meistens nur am un-
tern Theil desselben gemacht, doch erhält er auch hier wenig Weichtheile,
da diese sich schwer retrahiren lassen. Man durchschneidet ganz nach
S. 42 in zwei Zirkelschnitten die Haut und Muskeln, lässt diese stark zu-
rückziehen und trennt dicht vor ihrer Schnittfläche , wie eben angegeben
wurde , das Fleisch zwischen den Knochen und dann diese selbst. Wo
mehr Haut erspart werden muss, wie in der Mitte des Vorderarmes, muss
diese hinaufpräparirt und umgestülpt werden. Den O val s ch n itt em-
pfiehlt B a u d e n s , welcher will , dass die Haut 1 1/2 Zoll weit aufwärts
abgelöst werde. Beim Schrägschnitt wird der Wundzipfel womöglich
aus den Volarweichgebilden gemacht. — Verband. Zu unterbinden
sind die A.A. radialis, ulnaris und interossea, welch leztere
erst nach Lüftung des Turnikets bemerkbar wird. Die Wunde wird so
vereinigt , dass das eine Ende der WTundspalte dem Radius, das andere der
Ulna entspricht ; aus lezterem werden die Ligaturfäden herausgeführt.
Der Stumpf wird massig flectirt und horizontal auf einem Polster gelagert.
3) Die Amputation der Handwurzel wird nicht mehr ge-
macht, indem man zweckmässiger das Handgelenk wählt.
4) Amputation der Mittelhandknochen, Amputatio
metacarpi. Man kann die Mittelhandknochen einzeln oder in ihrer
Gesammtheit amputiren ; diese Operationen werden aber von Vielen der
Exarticulation nachgesezt. a) Die Amputation der ganzen
Mittelhand kann mit dem doppelten Zirkelschnitt oder mit einem un-
teren oder mit zwei Lappen verrichtet, werden. Beim Zirkelschnitt
wird die Hand zwischen Pro- und Supination gehalten, der Daumen ent-
fernt und die Haut der Dorsalfläche etwas zurückgezogen , einen halben
Zoll unter der Durchsägungsstelle der Knochen macht man mit einem
grossen Bistouri einen Zirkelschnitt in zwei Zügen durch die Haut und
die Sehnen bis auf die Knochen , präparirt diese Theile zurück und trennt
die Zwischenknochenmuskeln genau von den Knochen. Beim einfachen
Lappenschnitt wird nach Jäger die in Pronation gesezte Hand mit
der linken so gefässt , dass der Daumen und Zeigefinger am 2. und 5.
Mittelhandknochen die Amputationssstelle bezeichnen ; dann wird ein
schmales zweischneidiges Messer an dem ersteren ein- und dem lezteren
ausgestochen , auf der Volarseite hingeführt und schräg abwärts gezogen,
54 AMPUTATION IN DER CONTINUITAET.
um einen 1 1/2 Zoll langen Lappen zu bilden , endlich einige Linien unter-
halb der Basis des Lappens ein halber Kreisschnitt über die Dorsalseite
gemacht. Den doppelten Lappenschnrtt empfahl Langen-
beck, der einen kleinen halbmondförmigen Dorsal- und eben solchen
Volarlappen durch Einschneiden von aussen nach innen , und V e 1 p e a u ,
der zwei viereckige Lappen bildet. — b) Bei der Amputation des
2., 3. und 4. Knochens macht man von der Hautfalte des Ohrfingers
bis zu der des Daumens über den Handrücken weg einen nach oben con-
vexen , dann über die Handfläche einen nach unten convexen Schnitt,
trennt zu den Seiten der 3 Knochen und um diese herum bis zu und an
der Dnrchsägungsstelle die Muskeln ab und durchsägt die Knochen vom
2 . an einzeln. Oder man bildet zwei kleine Lappen , indem man die
Weich theile an der Seite des 4. und 2. Knochens bis zur Durchsägungs-
stelle spaltet und diese Schnitte dnrch zwei quere über die Volar- und
Dorsalseite verbindet. Ebenso verfährt man bei c) der Amputation
des 3. und 4. Knochens, bei der man die Schnitte durch die Inter-
stitiell des Handrückens stark nach aussen und oben ziehen lässt , um sie
nachher mit der Volarhaut neben und zwischen den erhaltenen Knochen
zusammenzuheften. Oder man durchschneidet die Dorsal- und Volarhaut
Vförmig, lässt sie stark zurückziehen und trennt dann die tieferen Theile.
d) Zur Amputation der 2 oder 3 lezten Knochen werden
ebenfalls Seitenschnitte gemacht und in gleicher Weise wie oben ange-
geben durch Querschnitte verbunden , um Lappen zu gewinnen. Zur
Durchsägung der Knochen bedient man sich besonderer" Sägen, Gräfe's
Scheibensäge, A. Cooper's Metacarpalsäge u. a.
5) Amputation der Finger, Amputatio digitorum
man us. Die Amputation der Finger ist nur bei den beiden Phanlangen
des Daumens und der 2 . Phalanx des Zeigefingers , auch wohl noch bei
der 1 . des lezteren und der 2 . des kleinen Fingers zweckmässig ; bei den
übrigen ist die Exarticulation vorzuziehen. — Bei der Operation sizt der
Kranke ; ein hinter ihm stehender Gehülfe umfasst mit der Linken die
vorgestreckte und in Pronation gesezte Hand an ihrer Wurzel , mit der
Rechten das obere Ende der abzunehmenden Phalanx und zieht die Haut
möglichst zurück , ein zweiter Gehülfe zieht die benachbarten Finger ab
und fixirt den Kranken am unteren Ende. Der Operateur steht bei der
linken Hand an deren Radial - , bei der rechten an der Ulnarseite. Die
Operation geschieht mittels des doppelten Zirkelschnittes , der Abmeisse-
lung , des Lappen - oder Schrägschnittes. Beim doppelten Zirkel-
schnitte macht man mit einem geraden Scalpell zuerst 4 Linien unter
der Durchsägungsstelle einen Kreisschnitt durch die Haut, lässt diese re-
trahiren, macht dann an ihrem Rande einen zweiten Kreisschnitt durch die
übrigen Weichgebilde und die Beinhaut, legt eine gespaltene Compresse
an und sägt den Knochen mit der Phalangensäge durch. Bei der Ab-
meisselung, Dactyiosmileusis (von öaxrvAog , der Finger und
AMPUTATION IN DER CONTINUITAET. 55
(TjutAsva) , ich schnize) , wird der Finger mit der Dorsalfläche auf einen
kleinen feststehenden Holzkloz gelegt und vom Gehülfen , der die Haut
stark retrahirt , fixirt ; dann sezt man einen Meissel mit der linken Hand
senkrecht auf die Volarfläche der Phalanx und schlägt mit einem grossen
hölzernen Schlägel schnell, kräftig und senkrecht darauf, so dass der Fin-
ger mit einem Schlage getrennt wird. — Der Lappenschnitt wird
selten und nur dann nothwendig, wenn es an der einen Seite an den nöthi-
gen Weichtheilen fehlt. Der beste Lappen wird aus der Volarseite , wo
dies nicht geht aus den Seitentheilen gebildet ; den schlechtesten Lappen
gibt die Dorsalseite ; man kann auch zwei Lappen aus den Seitentheilen
bilden. — Beim Schrägschnitte nimmt man den Wundzipfel am
besten aus den Volarweichgebilden ; die Ausführung kann der allgemeinen
Beschreibung entnommen werden. — Verband. Zur Blutstillung reicht
gewöhnlich kaltes Wasser aus ; die Wunde wird nach dem Zirkelschnitte
zu einer Querspalte vereinigt, nach der Abmeisselung mit Charpie bedeckt.
6) Amputation des Oberschenkels, Amputatio femo-
ris. Die Amputation des Oberschenkels macht man, wenn es angeht,
möglichst tief unten ; man kann aber auch nötigenfalls am obersten
Theile , am kleinen und selbst durch den grossen Trochanter amputiren.
— Der Kranke nimmt eine halblehnende Stellung auf einem Tische oder
quer über einem Bette ein , wobei das Becken des Kranken etwas über
den Rand hervorragt ; ein an der gesunden Seite stehender Gehülfe fixirt
den Kranken. Der kranke Schenkel wird im Hüft- und Kniegelenk mas-
sig flectirt und von einem am äusseren oberen Theile desselben stehenden
Gehülfen oberhalb der Amputationsstelle mit beiden Händen behufs der
Retraction der Weichtheile umfasst ; unten wird er von einem anderen
mit beiden Händen unter der Amputationsstelle umschlossen. Der ge-
sunde Schenkel wird von einem Gehülfen gehalten oder auf einen Schemel
gestellt. Zur Vorkehrung gegen die Blutung legt man je nach der höhern oder
tiefern Amputation ein Turniket auf den oberen Theil der Art. cruralis
oder man lässt diese von einem Gehülfen gegen das Schambein drücken. Der
Operateur steht an der äussern Seite des Gliedes. Die Operation wird
nach allen Methoden verrichtet. — Der einfache Zirkelschnitt
wird selten gemacht ; nach der kreisförmigen Durchschneidung der Haut
werden die Muskeln l4/2 — 2 Zoll höher vom Knochen getrennt. Der
doppelte Zirkelschnitt ist beim mittlem und untern Dritttheil
anwendbar, doch nur bei schlaffer Muskulatur, weil der grösste Theil der
Schenkelmuskeln mit dem Knochen nicht verwachsen ist und sich daher
stark zurückzieht. Man operirt mit dem grossen einschneidigen Messer
nach S. 41, macht je nach der Dicke des Schenkels 3 — 4 Zoll unterhalb
der Durchsägungsstelle den Hautschnitt, löst die Haut sammt allem Zell-
stoff 3/4 — lV4 Zoll nach aufwärts von der Fascie los und durchschneidet
vor ihrem Rande die Muskeln , während der Gehülfe sie kräftig zurück-
zieht; endlich lässt man nach S. 42 noch ein- oder zweimal einen Fleisch-
56 AMPUTATION IN DER CONT1NUITAET.
kegel hervortreten und durchschneidet ihn, um den Knochen hoch genug
durchsägen zu können. Der einfache Lappenschnitt ist vorzüg-
lich bei ungleicher Zerstörung der Weichgebilde anwendbar , passt aber
auch unter anderen Umständen. Man verrichtet ihn ganz nach Seite 4 3.
Bei freier Wahl macht man gewöhnlich einen seitlichen Lappen und zwar
wo möglich so, dass die Art. c r u r a 1 i s in ihm verläuft, damit er stärker
ernährt wird. Der doppelte Lappenschnitt ist am obern Theil
des Schenkels und bei starker, straffer Muskulatur anwendbar. Man
bildet nach S. 44 einen innern und einen äussern Lappen und zwar den
innern zuerst. Jeder Lappen betrage 3 , selbst 4 Zoll. Man sticht be-
hufs der Lappenbildung nicht auf die Mitte des Knochens , sondern in
der Mitte der vordem Schenkelfläche ein , wodurch der äussere Lappen
zur Bedeckung des Knochens tauglicher wird. Der Trichterschnitt
muss einen 3 — 4 Zoll tiefen Trichter ergeben. S. Seite 43. Beim
Ovalschnitt wird nach M a 1 g a i g n e die Haut in einer Ellipse durch-
schnitten , deren oberes Ende an der vorderen äussern , deren unteres 1
bis l1/^ Zoll tiefer an der hintern innern Seite liegt. Die Muskeln
werden in zwei Zügen getrennt und dann noch höher hinauf vom Knochen
abgelöst. Beim Schrägschnitt nimmt man für den Wundzipfel am
besten die Weichtheile an der innern hintern oder äussern hintern Seite
des Gliedes und führt die Schnitte ganz nach den Vorschriften S. 4 5 von
unten nach oben. Die Entfernung des obern und untern Endpunktes der
Schnitte von einander richtet sich nach der Dicke des Gliedes. — Ver-
band. Man unterbindet zunächst die Art. cruralis, dann die Art.
profunda und stärker blutende Muskeläste ; bei hoher Amputation
können 15 — 17 Ligaturen nöthig werden. Die Wunde wird nach dem
Zirkelschnitte in einer senkrechten Spalte vereinigt und mit Knopfnähten,
die bei kräftigen Muskeln auch durch diese geführt werden müssen , in
Verbindung erhalten. Der Kranke erhält eine halbsizende Lage im Bette,
der Stumpf wird in einem sehr stumpfen Winkel zum Stamme auf ein
Polster gelegt. Ein Kloz unter dem gesunden Fusse verhindert ein Her-
abgleiten des Kranken.
7) Amputation des Unterschenkels, Amputatio cru-
ris. Wenn nach der Amputation des Unterschenkels ein künstliches
Glied getragen werden soll , so amputirt man so tief unten, als es die
Verlezung erlaubt; für einen Stelzfuss 3 — 4 Zoll unter der Kniescheibe,
um ein hinderliches Hervorragen des Stumpfes nach hinten zu verhüten ;
man kann indessen auch höher amputiren , wenn es die Umstände not-
wendig machen , die Tuberosität der Tibia darf aber nicht überschritten
werden, weil man sonst die Insertion des Kniescheibenbandes trennt, auch
wohl das Gelenk geöffnet würde. — Der Kranke wird wie zur Amputa-
tion des Oberschenkels , nur weiter auf den Tisch oder das Bett hinauf-
gelagert, der Unterschenkel massig flectirt und die Art. cruralis etwa
3 Querfinger über dem Knie, wo sie die Sehne des Triceps durchbohrt,
AMPUTATION IN DER CONTINUITAET. • 57
an der inneren Seite des Schenkels mittels des Turnikets eomprimirt.
Die Gehülfen werden wie bei der Amputation des Oberschenkels ange-
stellt, der Operateur steht an der innern Seite des Gliedes. Opera-
tionsmethoden: Der doppelte Zirkelschnitt , einfache oder doppelte
Lappenschnitt, Oval- und Schrägschnitt. — Der doppelte Zirkel-
schnitt ist am obern und untern Theile des Unterschenkels und bei
beabsichtigter Heilung durch Eiterung anwendbar. Man macht ihn nach
S. 42 mit dem grossen einschneidigen Messer, durchschneidet die Haut
1 * /2 — 2 Zoll unter der Durchsägungsstelle , trennt sie dann besonders
von der Tibia, an der sie fest anhängt , gehörig nach oben hin ab , lässt
sie überall gleichmässig zurückziehen und macht dann den zweiten Kreis-
schnitt bis auf die Knochen. Man lässt nun die Muskeln zurückziehen,
befreit die Knochen durch Umgehen mit der Catline von allen Weich-
theilen, legt die doppelt gespaltene Compresse an und durchsägt endlich
die Knochen , am besten zuerst die Fibula , während der Unterschenkel
stärker einwärts gedreht wird , dann die Tibia ; zur bessern Fixirung der
Fibula kann man den Finger zwischen beide Knochen stecken. Der
einfache Lappenschnitt passt in der Mitte der Wade und wo
schnelle Vereinigung bezweckt wird. Man bildet den Lappen nach S. 43
aus dem Wadenfleische mit dem grösseren zweischneidigen Messer , wel-
ches man am hinteren Rande der Tibia einsticht, an deren und der Fibula
hinterer Fläche vorbeiführt und durch Abwärtsziehen desselben einen
etwa 3 Zoll langen Lappen scheidet. Die vorderen Weichtheile durch-
schneidet man mit einem halben Kreisschnitt und verfährt des Weiteren
wie bei der vorigen Methode. B. Bell schlug bei destruirter Wade vor,
einen äussern vordem Lappen zu bilden. Der d opp elte L app en-
schnitt wurde, da es sehr schwer ist, 2 einigermassen gleiche Lappen
zu bilden, wenig geübt. Roux schneidet zuerst die Haut, um sie nach-
giebiger zu machen, 2 Zoll lang auf der vordem innern Fläche der Tibia,
parallel mit der Crista ein , senkt dann in den obern Wundwinkel ein
langes gerades Messer ein , sticht es hinten in der Mitte der Wade aus
und bildet so einen inneren Lappen. Dann führt er das Messer von
jenem Einstichpunkte um die Crista tibiae, den äussern Rand der
Fibula und sticht es ebenfalls in der Mitte der Wade aus , um einen äus-
sern Lappen zu bilden. Langenbeck macht zwei seitliche halbmond-
förmige Lappen durch Einschneiden von aussen nach innen. Der Oval-
schnitt ist als nicht nothwendig und umständlich nicht zu empfehlen.
Der Schrägschnitt hat bei gegebener Wahl den obern Endpunkt der
Schnitte dicht an der äussern Seite der Crista tibiae, den untern
jenem diametral gegenüber in der Wade , etwas nach innen von deren
Mittellinie. — Verband. Zu unterbinden sind die A A. tibialis
antica, postica und peronea und bisweilen auch Muskeläste ; am-
putirt man hoch , so sind die Gefässe schwer zu fassen und vorzuziehen,
man muss sie mit dem Arterienhaken isolirt ergreifen und nötigenfalls
58 AMPUTATION IN DER CONTINUITAET.
durch einen Einschnitt frei inachen. Hervorragende Sehnen schneidet
man mit der Scheere weg. Die Wunde vereinigt man nach dem Zirkel-
schnitte zu einer dem Zwischenknochenbande parallelen Spalte ; die Haut
darf nicht stark gegen die vordere Ecke der Tibia angedrückt werden.
Der Stumpf bilde mit dem Oberschenkel einen Winkel von etwa 10 0°,
bei tiefer Amputation jedoch , wo später ein künstliches Glied getragen
werden soll , werde das Bein noch mehr gestreckt, damit sich die Beuge-
sehnen nicht so stark contrahiren können.
8 . Amputation der Fusswurzel, Amputatio t a r s i.
Die Amputation der Fusswurzel wurde von H a y w a r d wegen Caries der
Keilbeine gemacht ; er machte zuerst den halben Zirkelschnitt durch die
Dorsalhaut, sägte das Osnaviculare und cub oi d e um durch und
bildete dann den unteren Lappen. Nach M a y o r soll immer soweit vom
Fussgelenke entfernt , als es die Krankheit erlaubt , amputirt werden,
gleichviel an welcher Stelle der Fusswurzel oder des Mittelfusses ; nach
einem Querschnitt über den Fussrücken bildet er mittels Durchstechen
des Messers einen Plantarlappen und sägt dann mit einer feinen Säge die
Knochen nebst den Bändern durch.
9. Amputation der Mittel fussknochen, Amputatio
metatarsi. a) Amputation sämmtlicher Mittel fuss-
knochen. Sie wird wie die der ganzen Mittelhand gemacht und ein
Lappen zur Deckung der Wundfläche wo möglich aus der Planta, nöthigen-
falls aber auch vom Fussrücken genommen ; bei weiter zerstörten Weich-
theilen macht man zwei Lappen , von denen der am Fussrücken kleiner
ist. — b) Amputation des 1. Mittel fussknochen s. Man
bildet am besten einen unteren, wo dies nicht angeht, einen inneren oder
endlich einen oberen Lappen. Bei der Bildung eines unteren
oder Plantarlappens fasst Z a n g beim linken Fusse die grosse
Zehe, zieht sie nach innen und lässt die andern Zehen nach aussen hal-
ten ; beim rechten Fusse zieht der Gehülfe die grosse Zehe nach innen,
während er selbst die andern abducirt. Dann schneidet er mit einem
geraden , schmalen , langen , senkrecht gehaltenen Scalpell die weichen
Theile dicht an der äussern Seite des 1. Mittelfussknochens bis zur Am-
putationsstelle hin durch , sticht das Messer an der inneren Seite nahe
dem unterem Rande des Knochens dem Endpunkte des ersten Schnittes
gegenüber ein und zieht es an jenem Rande nach vorn. Beide Schnitte
werden durch quere bis auf den Knochen dringende vereinigt , wovon
einer an der Rückenfläche etwa 2 Linien von den hintern Endpunkten
jener , der andere an der Plantarseite zwischen den vordem Endpunkten
der Längenschnitte verläuft. Der so umschnittene Plantarlappen wird
dicht am Knochen nach hinten zu abgelöst, zurückgehalten , die Haut am
Rücken stark retrahirt und die Zehe von den andern abgezogen , worauf
das Messer von oben senkrecht zwischen beide Knochen in den Winkel
des ersten Längen Schnittes gebracht, von ihm aus mit einem halben Kreis-
AMPUTATION IN DER CONTINUITAET. 59
schnitte über die Rückenfiäche herüber am Rande der Haut die Sehnen
und was sonst den Knochen deckt getrennt , und hierauf ebenso an der
untern Hälfte des Knochens verfahren wird. Hierauf deckt man die
Weichtheile mit einer gespaltenen Compresse, schiebt eine kleine hölzerne
Schiene zwischen die Knochen und durchsägt den blossgelegten Mittel-
fussknochen mit senkrecht geführter kleiner Säge. Um einen innern
Lappen zu bilden , fasst man die an der inneren Seite des Mittelfusses
befindlichen Weichtheile, zieht sie vom Knochen ab und sticht das gerade
Messer 1 Querfinger vor dem Fusswurzelgelenk auf den innern obern
Rand des 1. Metatarsalknochens ein und an des lezteren innerer Seite
dicht vorbeigehend, an der Planta wieder aus, führt es dicht am Knochen
nach vorn und schneidet vor dessen vorderem Ende nach innen durch.
Das Uebrige geschieht wie bei dem unteren Lappen, nur dass der Knochen
schräg von hinten und innen nach vorn und aussen durchsägt wird. Bei
der Bildung eines obern oder Dorsallappens macht man wie
beim ersten Verfahren den Längenschnitt an der äussern Seite des 1.
Mittelfussknochens , dann einen zweiten an der inneren Seite etwas unter
dem obern innern Rande des Knochens , vereinigt beide durch einen
Querschnitt auf dem Rücken des vordem Endes des Knochens und löst
den so umschnittenen Lappen dicht vom Knochen ab. Endlich trennt
man dicht vor der Basis des Lappens alle den Knochen umgebenden
Weichtheile wie beim ersten Verfahren und sägt den Knochen durch. —
c) Amputation des 5. Mittelfussknochens. Bej dieser verfährt
man wie am 1 . Mittelfussknochen , nur dass man Alles , was hier an der
innern Seite gemacht wurde , an der äussern macht und umgekehrt. —
d) Amputation des 2., 3. und 4. Mittelfussknochens. Nach
Abwendung der benachbarten Zehen von der kranken durchschneidet man
an jeder Seite des kranken Knochens , hart an diesem , die Weichtheile
bis zur Durchsägungstelle, lässt diese beiden Schnitte an der Plantarfläche
V artig zusammenlaufen und macht am Fusse den dem innern , am linken
den dem äussern Rande entsprechenden l/4 Zoll kürzer , als den andern.
Dann vereinigt man beide Schnitte auf der Rückenseite durch einen
schrägen , 2 Linien von den Winkeln jener Schnitte geführten , lässt die
Haut retrahiren und durchschneidet dicht vor ihr alle Weichtheile bis auf
den Knochen , worauf man nach Anlegung der gespaltenen Compresse
und der hölzernen Schiene den Knochen von dem kürzeren Längenschnitte
aus mit der Phalangensäge schräg nach hinten durchsägt. — e) Ampu-
tation von zwei oder mehreren Mittelfussknochen. Hier
würde man einen Plantar- und Dorsallappen bilden und übrigens ähnlich
wie bei derselben Amputation an der Mittelhand verfahren müssen.
10) Amputation der Zehen, Amputatio digitorum
p e d i s. Sie wird ganz wie die Amputation der Finger verrichtet , übri-
gens, mit Ausnahme der ersten Phalanx der grossen Zehe etwa , der Ex-
articulation nachgesezt werden müssen.
60 AMPUTATION IN DER CONTIGUTTAET.
II. Amputationen in der Continguität,
Exarticulationes.
1) Exarticulation des Oberarms, Exarticulatio hu-
mer i s. b r a c h i i. Bei der Auslosung des Oberarmes aus dem Schulter-
gelenke ist die Vorbereitung, wie bei der Amputation des Oberarms ; die
Compression der A. s u b'C 1 a v i a kann man erst bei der Durchschneidung
der weichen Theile in der Achselhöhle beginnen lassen. Wenn der Kranke
nicht sizen kann , so liegt er auf der gesunden Seite. Die Operation ge-
schieht mittels des einfachen oder mehrfachen Lappenschnittes , des
Schräg- Zirkel-, Trichter- oder Ovalschnittes ; die drei lezteren Methoden
sind weniger zweckmassig und entbehrlich. — Mehrfacher Lappen-
schnitt, a) Die Bildung eines äussern und innern Lap-
pens (Transversalmethode) ist bei gesunden Weichtheilen anwendbar und
gewährt den Vortheil , dass sie eine regelmässige Wunde gibt , die Exar-
ticulation leicht gemacht, auch vor derselben der Gelenkkopf untersucht
und die Operation auf dessen Resection beschränkt werden kann. Man
operirt nach v. W a 1 1 h e r auf folgende Weise : Bei an die Seite des
Thorax geführtem und so vom Gehiilfen gehaltenem Oberarme sticht
man das mittlere zweischneidige Messer an der äussern Seite des P r o c.
coracoideus bis auf den Knochen ein, führt es, seinen Griff senkend,
längs des vordem Randes des M. d e 1 1 o i d e u s bis zu dessen Insertions-
stelle, indem man bis auf den Knochen schneidet. Dann macht man vom
äussern obern Winkel des Schulterblattes längs des hintern Randes des-
selben Muskels wieder bis zu dessen Insertion eine zweite, jener parallele
Incision und vereinigt die unteren Winkel beider Schnitte durch einen
bis auf den Knochen dringenden Querschnitt , löst den so umschnittenen
äussern Lappen bis zum Anfangspunkte der beiden Längenschnitte vom
Knochen ab und lässt ihn von einem Gehülfen zurückhalten, der zugleich
die A A. circumflexae humeri compriinirt, falls man sie nicht sogleich
unterbinden will. Nun schreitet man zur Auslösung des Knochens : zu
diesem Behufe fasst man mit der linken Hand den Arm an seiner unteren
Hälfte, bringt ihn dicht an den Thorax, rollt den Gelenkkopf nach innen,
und schneidet den dadurch angespannten hintern obern Theil des Kapsel-
bandes in einem kräftigen Zuge durch, indem man das Messer mit voller
Klinge dicht unter dem Acromion senkrecht auf den Knochenkopf sezt,
rollt ferner denselben nach aussen und hinten und durchschneidet den
obern , vordem Theil der Gelenkkapsel , so wie die Sehne des langen
Kopfes des Biceps. Man drängt nun den Gelenkkopf noch mehr aus
der Gelenkgrube , geht mit der ganzen Schneide des Messers hinter den
ersten auf die Länge von 4 Querfinger herab und schneidet dann quer
nach innen in einem Zuge durch, wobei man entweder den Arm horizon-
tal stellt oder in verticaler Richtung vom Stamme entfernt oder, wo dies
nicht angeht , hangen lässt und etwas nach unten und aussen zieht , um
die Weichtheile der innern Seite anzuspannen. — b) Bildung eines
AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET. 61
vordem und hintern Lappens (Verticalmethode). Verfahren von
Larrey. Man macht vomAcromion bis etwa einen Zoll unter dem Halse
des Oberarmbeines einen Längenschnitt durch die Haut und den M. d e 1-
toideus, welcher den lezteren in zwei gleiche Hälften theilt, sticht bei
nach der Schulter zurückgezogener Haut das Messer vom Anfangspunkte
des Längenschnittes erst nach hinten und unten bis unter die Anheftung
des M. latissimus dorsi, dann nach vorn und unten bis unter die
Sehne des Pe et o r ali s major durch und bildet so , indem man das
Messer in dem Längenschnitte bis zu dessen Ende herabbewegt und hier
nach aussen durchschneidet, erst den hintern, dann den vordem Lappen,
wobei die Achselgefässe unverlezt bleiben ; die Lappen werden abpräpa-
rirt und zurückgeschlagen, und die beiden Circumflexae comprimirt.
Nun durchschneidet man die Kapsel mit einem rings um den Knochen-
kopf geführten Schnitt , geht dicht hinter dem Knochen mit dem Messer
herab und schneidet die inneren Weichtheile an den unteren Winkeln der
beiden Lappen wagrecht durch , nachdem ein Gehülfe die Achselgefässe
und Nerven fest zwischen die Finger gefasst hat. Larrey gebraucht
zur Operation ein besonderes, geradschneidiges Messer von nur Sl/.2 Zoll
Länge. — c) Die Bildung dreier Lappen nach Rust ist zweck-
mässig , wo es zweifelhaft ist , ob die Exärticulation oder Decapitation zu
unternehmen ist. Er macht einen bis auf den Knochen dringenden Län-
genschnitt vom Acromion bis zur Insertion des M. deltoideus; vom
obern Drittheile desselben führt er zwei schräge Schnitte nach aussen und
unten bis unter die beiden Achselfalten. Die dadurch vorgezeichneten
dreieckigen Lappen, deren Spizen sich gleich unter dem Gelenkkopfe be-
rühren , werden losgelöst und nach aussen und innen (hinten und vorn)
zurückgeschlagen ; nun wird ein zweischneidiges Messer flach zwischen
das Acromion und den Gelenkkopf bei etwas erhobenem Arme einge-
stochen und so von innen und aussen nicht allein die Gelenkkapsel ge-
öffnet , sondern auch die Sehne des B i c e p s getrennt , worauf man , mit
dem Messer durch das Gelenk und an der innern Seite des Knochens
herabgehend , einen inneren dreieckigen Lappen bildet , der zwischen die
beiden obern gerade hineinpasst. — E inf a ch er L app ens chn itt.
a) Die Bildung eines innern Lappens geschieht bei Zerstörung
der äussern obern Weichgebilde nach L e d r a n und Langenbeck fol-
gendermassen ; bei heruntergezogenem und gegen den Thorax gedrück-
tem Arme macht man nahe unter dem Acromion durch den M. deltoi-
deus einen Schnitt , der sich von der vordem bis zur hintern Seite des
Gelenkes quer herüber und bis auf das Gelenk erstreckt , schneidet das
Kapselband quer durch, lässt vom Gehülfen den Arm und damit den Ge-
lenkkopf nach oben und aussen drängen , führt nun das Messer durch die
Gelenkhöhle und dicht an der inneren Fläche des Knochens abwärts und
bildet so einen hinreichend grossen, in einem stumpfen Winkel endenden
Lappen ,J hierbei werde die A. axillaris möglichst spät durchschnitten
DZ AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET.
und deshalb der Oberarmkopf mit der freien Hand nach unten gezogen.
— b) Die Bildung eines äussern Lappens ist bei Zerstörung
der Theile der Achselhöhle nöthig und geschieht wie bei dem v. Walther-
schen Verfahren , nur dass man nach ausgelöstem Gelenkkopfe sogleich
die inneren Weichtheile des Arms quer durchschneidet. — Der Schräg-
schnitt bedarf der Weichgebilde an der obern, äussern Seite der Schul-
ter nicht zur Schliessung der Wunde. Um den linken Arm zu exarticu-
liren , lasst man ihn wo möglich fast rechtwinklich abduciren , führt vor
der Schulter stehend , ein grosses convexes Scalpell unter dem Arme
weg und sticht es dicht unter dem Acromion und vor seiner hintern Ecke
bis aufs Gelenk ein, zieht es schräg durch den hintern Theil des M. del-
toideus und den T r i c e p s nahe an der hintern Achselfalte vorbei bis
in den M. b i c e p s , an dessen mittlerem Drittel man den Schnitt etwa
4 Finger unter der Achsel endet, indem man das Messer beim Ausziehen
schon in der zweiten Schnittlinie wieder hinaufgehen lässt und damit den
B i c e p s ganz oder grösstentheils durchschneidet. Darauf sticht man das
Messer am ersten Einstichspunkte wieder aufs Gelenk ein, und führt den
zweiten Schnitt durch den vordem Theil des Deltamuskels bis in das Ende
des ersten hinein. Sprizt nach einem der Schnitte eine grössere Arterie,
so kann man sie unterbinden oder comprimiren lassen. Der Knochen wird
nun, den früheren Schnitten folgend, ausgelöst. An der rechten Schulter
steht der Operateur hinter dieser und führt den ersten Schnitt über die
vordere Seite des Gliedes. — Der doppelte Zirkelschnitt wurde
besonders von Morand und Sharp, so wie von Nanoni, der Trich-
terschnitt von Gräfe und der Ovalschnitt von Scoutetten und Gu-
thrie geübt. — Wenn das Acromion oder die Gelenkfläche des Schulter-
blattes so beschädigt ist , dass sie entfernt werden müssen , so kann man
sie bei gut fixirtein Schulterblatte und nach erforderlicher Blosslegung mit
einer kleinen Säge oder mit dem Meissel wegnehmen. Auch der P r o c.
coracoideus, so wie das Schlüsselbein können so beschädigt sein, dass
ihre theilweise Wegnahme nothwendig werden kann. — Verband. Zu
unterbinden ist die A. axillaris, ferner häufig die A. circumflexa
humeri poster. , bisweilen auch die anterior, die A. acromia-
lis u. a. Der Verband der Wunde geschieht nach S. 47.
2) Exarticulation des Vorderarms , Exarticulatio
antibrachii. Die Ablösung des Vorderarmes im Ellbogengelenke wird
von den meisten Wundärzten als schwieriger , schmerzhafter und verwun-
dender, als die Amputation am untern Ende des Oberarmes , dieser nach-
gesetzt. Man hat zu ihrer Ausführung den Zirkel - , Lappen - und Oval-
schnitt theils angewendet, theils empfohlen. — Einfacher Lappen-
schnitt. Dupuytren sticht bei etwas gebogenem Vorderarm ein zwei-
schneidiges Messer am innern Condylus des Oberarms ein und am äussern
aus und bildet einen 3 Zoll langen Lappen aus der Volarseite des Vorder-
armes, unterbindet die Art. brachialis, macht dann von der Verbindung
AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET. 63
des Radius mit demHumerus aus einen halben Zirkelschnitt an der hintern
Seite des Gliedes und trennt das Gelenk theils von vorn , theils von den
Seiten her ; man kann nach ihm das Olecranon absägen , um dem Triceps
seine Insertion zu erhalten. Aehnlich wie Dupuytren verfuhren Tex-
tor und Jäger. — Der doppelte Lappenschnitt wird nur voll-
zogen , wenn aus den vorderen Weichtheilen kein hinreichend grosser
Lappen gebildet werden kann. Man bildet am besten einen vordem Lap-
pen , wie es eben angegeben wurde , dringt von vorn in das Gelenk und
schneidet hinten einen li/gZoll langen Hautlappen aus. — Der Zirkel-
schnitt soll, wenn kein genügender Volarlappen zu bilden ist , ange-
wendet werden. V e 1 p e a u macht 1 Zoll unter dem Gelenk den Schnitt
durch die Haut , löst diese aufwärts , stülpt sie um , schneidet dann am
Gelenke selbst die Muskeln der vordem Seite durch , trennt das Gelenk
von den Seitenbändern her und endet mit der Durchschneidung des Tri-
ceps. Dupuytren macht eine Art von doppeltem Zirkelschnitt. Die
Vereinigung der Wunde geschieht in die Quere. — Ovalschnitt. Nach
T e x t o r's Vorschlag macht man bei extendirtem Vorderarme und pronir-
ter Hand einen schrägen Schnitt , der etwas unter der Articulation des
Radius beginnt und 4 Zoll lang bis über das Ende des Olecranon sich
erstreckt, und einen zweiten von der Verbindung der Ulna mit dem Ober-
arm bis zu demselben Punkte , löst dann die Weichtheile bis zum Gelenk
von den Knochen, trennt das Gelenk vom Radius aus bis zur innern Seite,
führt nun das Messer durch das Gelenk und an der vordem Fläche der
Knochen 3 Querfinger abwärts und schneidet darauf gegen die Haut hin
durch. Der Ovalschnitt erschwert die Exarticulation und die Schliessung
der Wunde, welche der Länge nach bewirkt wird. — Zu unterbinden
ist die A. brachialis oder die A. ulnaris und radialis.
3) Exarticulation der Hand, Exarticulatio manus.
Die Ablösung der Hand im Handgelenke bringt keinen grösseren Nutzen,
als die Amputation am untern Ende des Vorderarmes, giebt aber eine lang-
samer heilende Wunde und auch nur eine dünne , empfindliche Decke für
die Gelenkfläche. — Man macht den Zirkel- oder den Lappenschnitt. Die
Vorbereitungen sind wie bei der Amputation des Vorderarmes. — Beim
Zirkelschnitt löst man die Hand zwischen Pro- und Supination, fasst
dieselbe , indem man bei der rechten in der innern , bei der linken an der
äussern Seite steht , mit der Linken und führt von der Wurzel des Dau-
mens an, 1 Zoll vor dem Gelenk, einen Kreisschnitt durch die Haut. Diese
wird zurückgezogen, bis zum Gelenk gelöst und dieses bei abducirter Hand
unter dem Proc. styloideus radii schief eingesenkt; unter Verstärkung der
Abduction führt man das Messer durch das Gelenk hindurch bis zurUlnar-
seite und durchschneidet dabei überall die Sehnen. — Beim einfachen
Lappenschnitt bildet man einen Volar- oder Dorsallappen. Der Vo-
larlappen wird nach L angenb e ck folgendermaasen gebildet : Bei
in Pronation gesezter Hand führt man mit einem schmalen, kleinen Ampu-
64 AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET.
tationsmesser von einem Griffel fortsaz zum andern quer über das Gelenk
einen Schnitt durch Haut und Muskeln , flectirt und adducirt die Hand,
trennt das dadurch gespannte Ligamentum cubit ale des Handgelen-
kes dicht am Ende des Grifl'elfortsazes mit nach innen und oben gerich-
teter Messerschneide , ebenso den Dorsaltheil des Kapselbandes, abducirt
dann die Hand und durchschneidet das Lig. radiale. Nun beugt man die
Hand so stark, dass die Gelenkfläche der Handwurzel hervortritt, führt das
Messer durch das Gelenk zur Volarseite der Handwurzel und es an diese
mit der Fläche anlegend , in sägeförmigem Zuge abwärts , wobei man das
hervorspringende Os p i s i forme umgeht und bildet somit einen halb-
mondförmigen Lappen , der nach Dupuytren 3 Querfinger breit sein
muss , um zur Deckung der Gelenkfläche hinzureichen. — Zur Bildung
eines Dorsallappens nach Richerand sezt man bei stark zurück-
gezogener Haut das Messer mit der Spitze etwas unter dem Griffelfortsaze
des einen Vorderarmknochens ein , führt es an der einen Seite der Hand-
wurzel erst gerade abwärts, dann in einem nach abwärts gekehrten Bogen
über die Gelenkenden der Mittelhandknochen zur andern Seite der Hand-
wurzel und an dieser zum andern Griffelfortsaze aufwärts, löst diesen Haut-
lappen nebst möglichst vielem Zellgewebe, doch ohne die Sehnen, bis zum
Gelenk ab , trennt dieses wie vorhin , und schneidet die Weichtheile der
Volarseite in einem Schnitte quer durch. — Behufs der Ausführung des
doppelten Lappenschnittes macht W a 1 1 h e r bei pronirter Hand
über den Handrücken von einem Rande des Handwurzelgelenkes zum an-
dern einen nach unten convexen Bogenschnitt durch Haut und Zellgewebe,
trennt den Lappen von der aponeurotischen Fascie bis zum Gelenke los,
supinirt dann die Hand und bildet an der Volarseite einen eben solchen
Lappen, dessen Endpunkte mit denen des ersten zusammenfallen ; endlich
trennt er , wie beim Zirkelschnitt angegeben , die Gelenkbänder und Seh-
nen. — Zu unterbinden sind die A. radialis, ulnaris und interos-
s e a. Die Wunde wird so vereinigt , dass in ihren Winkeln die beiden
Knochen liegen.
Exarticulatio manus in carpo. Einen Fall von Exarticula-
tion zwischen den beiden Reihen der Handwurzelknochen nach kreisför-
miger Durchschneidung der Weichtheile berichtet A. Cooper. Sie ist
nicht nachahmungswerth.
4. Exarticulation der Mittelhandknochen. Exarti-
culatio ossium metacarpi. Bei der Auslösung der Mittelhand-
knochen sizt der Kranke und hält den Vorderarm vom Körper entfernt ;
ein an der äussern Seite stehender Gehülfe umfasst die Handwurzel, zieht
die Haut zurück und comprimirt zugleich die A. r a d i a 1 i s und ulnaris,
oder bei der Exarticulation des 1. oder 5. Mittelhandknochens nur eine
derselben. Ein zweiter Gehülfe hält die Finger der kranken Hand. —
Die Operation wird mittelst des Lappen- oder Ovalschnittes gemacht und
differirt je nach dem auszulösenden Knochen, a) Exarticulation des
AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET. 65
Daumens. Nach Scoutetten macht man behufs des Ovalschnittes,
eine Linie über dem Carpalgelenke anfangend, einen schief bis zur Ulnar-
seite des ersten Gelenkes des Daumens über die Palmarfalte gehenden und
auf der entgegengesetzten Seite bis zum Anfangspunkt zurücklaufenden
Schnitt durch die Haut, trennt die Muskeln vom Knochen auf beiden Sei-
ten ab , schneidet das Carpalgelenk ein , renkt den Kopf des Metacarpus
aus , indem man auf sein unteres Ende drückt , und trennt denselben vol-
lends von den an der unteren Fläche anhangenden Muskeln. Den Lap-
penschnitt macht man nach v. W a 1 1 h e r so : die Hand ist in Prona-
tion , der Daumen wird abgezogen. Man schneidet mit senkrecht gehal-
tenem Messer in die Weichtheile zwischen Daumen und Zeigefinger nahe
dem ersteren ein , führt es dicht am 1 . Mittelhandknochen fort , umgeht
dessen dickeres Ende, ohne es mit dem Messer zu verlassen, um die Art.
radialis und das Gelenk des Metacarpus secundus nicht zu ver-
lezen , abducirt den Daumen so stark als möglich und dringt in das ge-
spannte Gelenkband des Metacarpus mit dem Os multangulum m a -
j u s ein. So wie man durch das Gelenk dringt , was mit der Spize. des
Messers geschehen muss , abducirt man den Daumen immer mehr , beugt
ihn selbst ganz zurück, um das Gelenk von der Radialseite einschneiden
und längs der lezten herabgehen zu können. Mit diesem Ausschneiden
wird ein Lappen gebildet , der den ersten Schnitt zu decken vermag.
Z a n g bildet den Lappen durch Einstechen des Messers an der Radial-
seite des Metacarpus. — b) Beim Mittelhandknochen des Zeige-
fingers macht man den Ovalschnitt wie bei dem des Daumens, indem
man das Messer zuerst bis zur Mitte der Falte an der Volarfläche des
Fingergelenkes führt , dann von der andern Seite her wieder in den End-
punkt des Schnittes einsezt und schräg zu dessen Anfangspunkt zurück-
geht. Zur Trennung des Gelenkes sezt man in dieses die Messerspitze an
der Radialseite ein, trennt das äussere Seitenband, zieht das Messer zurück
und führt es bei auseinander gezogener Wunde quer über das Gelenk
durch das hintere Ligament, sticht dann die Spize bei aufwärts gerichteter
Schneide schräg zwischen dem 2. und 3. Mittelhandknochen ein, erhebt
das Messer zum Rechtwinkel , durchschneidet so das Zwischenknochen-
band und trennt endlich den Rest der Kapsel von den Muskelfasern. —
Der Lappenschnitt wird nach v. Walther wie beim ersten Mittel-
handknochen gemacht. — c) Beim 3. und 4. Mittelhandknochen
macht man den Ovalschnitt wie beim Zeigefinger ; die betreffenden Ge-
lenke liegen gegenüber der bei der Flexion des Daumens erscheinenden
Hervorragung des obern Endes des 4. Mittelhandknochens. — d) Beim
5. Mittelhandknochen macht man den Oval schnitt wie am
Zeigefinger. Zur Trennung des Gelenkes richtet man bei auseinander-
gezogenen Wundlefzen die Schneide nach einer von der Spize der Apo-
physe des 5. zum Kopfe des 2. Mittelhandknochens gezogenen Linie,
trennt so das innere Ligament , dann in die Quere das obere und zulezt
Bürger, Chirurgie. 5
66 AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET.
das Zwischenknochenband, indem man das Messer mit aufwärts gewand-
ter Spitze zwischen die Gelenkflächen des 4. und 5. Knochens einsticht
und es in senkrechter Richtung erhebt. — Lappenschnitt. Wal-
ther operirt wie beim Daumen , indem er einen Ulnarlappen bildet. —
e) Exarticulation sämmtlicher Mittelhandknochen. Man
macht i/o Zoll unter den obern Enden aller Mittelhandknochen von dem
Carpalgelenke des Daumens bis zu dem des kleinen Fingers einen halben
Kreisschnitt auf dem Handrücken durch die Haut und Strecksehnen, lässt
sie zurückziehen , schneidet von links nach rechts und bei sich allmälig
verstärkendem Drücken der Finger nach unten die Carpalgelenke ein und
durch und bildet aus dem Ballen des Daumens und kleinen Fingers einen
hinreichend langen, jedoch nicht zu dicken Lappen. — f) Exarticula-
tion der 4 letztenMittelhandknochen mit Erhaltung des Dau-
mens. Nach Main g au lt wird bei supinirter Hand ein kleines zweischnei-
diges Messer an der Ulnarseite des 5. Metacarpalgelenkes ein- und bei
jenem des Zeigefingers ausgestochen und durch schiefes Ausschneiden nach
unten ein Lappen gebildet und an seiner Basis die Haut und die Sehnen
des Handrückens mittelst eines halben Kreisschnittes getrennt , die Ge-
lenke von der Ulnarseite aus ein- und durchgeschnitten, wobei die Mittel-
handknochen immer mehr nach unten gedrückt werden. — g) Exarti-
culation mehrerer äusserer Mittelhandknochen. Man
kann die 2 oder 3 letzten Mittelhandknochen mittels eines Volar- oder
Dorsallappens entfernen , indem man zuerst den Zwischenknochenschnitt
und dann einen gleich langen Längenschnitt an der Ulnarseite des 5. Me-
tacarpus macht und beide Schnitte auf dem Rücken durch einen von den
Carpalgelenken mehr oder weniger entfernten Querschnitt vereinigt , die
Haut mit den unterliegenden Sehnen zurückpräparirt , die Gelenke trennt
und den Volarlappen bildet. — Mit den einzelnen Mittelhandknochen
wurden auch nöthigenfalls die entsprechenden Handwurzelknochen mit
weggenommen. — Verband. Nicht immer ist zur Blutstillung die Li-
gatur nöthig. Die Wunde vereinigt man nach dem Ovalschnitt zu einer
Längenspalte, nach dem Lappenschnitte 5 0, wie es im allgemeinen Theile
angegeben wurde. Es handelt sich besonders davon, Eiterstockungen und
Senkungen zu verhüten.
5) Exarticulation der Finger, Exarticulatio digi-
torum man us. Die Exarticulation der Finger, geschieht im Gelenke
des 1. Fingergliedes mit dem Mittelhandknochen und betrifft einen oder
mehrere Finger zugleich. — a)Die Exarticulation eines ein-
zelnen Fingers geschieht mittels des Lappen-, Oval-, Zirkel- oder
Schrägschnittes. — Vorkehrung gegen die Blutung ist nicht nöthig ; ein
Gehülfe umfasst den vorgestreckten Arm mit beiden Händen an der Mit-
telhand , ein anderer hält vom kranken Finger die benachbarten ab.
— Lappenschnitt, aa) Bildung eines Vorlarlappens nach
R u s t. Bei in Pronation gesezter Hand fasst man den kranken Finger,
AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET. 67
sucht die Stelle des Gelenks und trennt zu beiden Seiten (beim Zeige-
und kleinen Finger nur an einer Seite )% die ihn mit den benachbarten
Fingern verbindenden Hautfalten durch zwei Längenschnitte, welche nahe
an ihm mit senkrecht gehaltenem Messer bis einige Linien von dem Ge-
lenke geführt werden ; man vereinigt deren Endpunkte durch einen Quer-
schnitt an der Dorsalseite , lässt die Haut retrahiren, schneidet die Sehne
des Streckmuskels durch und öffnet das Gelenk durch einen queren Schnitt,
Nun dringt man mit der Messerspize ins Gelenk , trennt bei aufwärts ge-
richteter Schneide von innen nach aussen die Seitenbänder und flectirt
das Glied so stark , dass sein Gelenkende nach oben tritt , führt darauf
das Messer durch das Gelenk und dicht an der Volarfläche des Knochens
abwärts, bildet so einen hinreichend grossen Lappen und schneidet zulezt
die Weiehgebilde quer durch. Beim Daumen bedarf es der Längen-
schnitte an der Seite nicht , sondern man maclit sogleich den Dorsalquer-
schnitt, bb) Einen Dorsallappen macht man nur, wenn die Zerstö-
rung der Weichtheile auf der Volarfläche einen Lappen hier zu bilden
nicht erlaubt. Beim Mittel- und Ringfinger macht Zang, wie oben an-
gegeben , die beiden seitlichen Längenschnitte , doch so , dass sie in der
Volarfläche V förmig zusammenlaufen, verbindet sie durch einen 4 Linien
vor dem Gelenk auf dem Rücken gemachten Querschnitt, trennt bei retra-
hirter Haut den vordem und die seitlichen Theile der Gelenkkapsel und
durchschneidet endlich deren Volartheil , indem er das Messer senkrecht
mit dem Griff nach oben hält und in einem flachen , gegen die Phalanx
gerichteten Bogen von einem Längenschnitte zum andern führt. —
cc) Bildung zweier Lappen. Walther sezt, um Seitenlappen zu
bilden, das Messer senkrecht in der gespannten Fingerfalte auf, führt es
sogleich gegen den Knochen und dann längs desselben hinauf bis zum
Gelenk, luxirt den Kopf der Phalanx , geht durch das Gelenk und bildet
an der entgegengesezten Seite einen zweiten , dem ersten an Gestalt und
Ausdehnung ähnlichen Lappen. — Ovalschnitt. Nach Scoutet-
t e n sticht man die Spize des Messers über dem Gelenk ein , senkt die
Schneide und führt den Schnitt schräg von der Mitte des Gelenkes bei
der linken Hand über die Ulnar- , bei der rechten über die Radialseite
des Fingers bis 3 Linien oberhalb der Commissur, endet ihn an derVolar-
seite nahe der Gelenkfalte und macht dann , vom unteren Wundwinkel
beginnend , einen 2 . schrägen Schnitt über die andere Seite des Fingers
bis in den Anfang des erstem. Dann durchschneidet man das Zellgewebe,
die Flechse des Streckmuskels , ferner bei zurückgebeugtem Finger die
weichen Theile an der Volarseite des Gelenkes und endlich die seitlichen
Bänder. — Zirkelschnitt. Nach C o r n u a u sezt man die Ferse des
Bistouris auf die Palmarseite und schneidet die Haut auf gleicher Höhe
in einem Kreisschnitte ein, der Gehülfe zieht sie zurück, wobei man sie
vollends frei macht ; dann schneidet man die vordere Seite des Gelenkes
ein, luxirt den Kopf der Phalanx und endigt mit der Trennung derSeiten-
5*
68 AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET.
ligamente. — Schrägschnitt. Man sticht ein Scalpell genau am Ge-
lenk in der Mitte seiner Dorsalseite bis auf den Knochen ein , führt es
schräg über die Ulnarseite des Fingers zur Volarseite und endigt den
Schnitt in der Mitte der Commissur , den Wundzipfel bildend. Nun sezt
man das Messer von der Radialseite her mit vor- und abwärts gerichteter
Spize wieder in die Wunde ein und führt den Schnitt über die Radial-
seite schräg zum Anfang der ersten Incision hin. Die Auslösung des Ge-
lenkes geschieht von der Dorsalseite her. — b) Exarticulation der
4 Finger mit Ausnahme des Daumens nach L is fr an c. Die Hand
wird in Pronation gehalten, die Haut des Handrückens zurückgezogen und
gespannt , die Finger etwas gebeugt und vom Operateur gefasst ; man
macht 1 Finger breit unter den Hervorragungen der Mittelhandknochen
einen nach unten leicht convexen Schnitt über die Dorsalseite der Finger-
gelenke , der die Haut gleichmässig trennt , indem die Spize des Messers
in den Vertiefungen zwischen den Fingern nachhilft ; die Haut wird dann
zurückgezogen und an ihrer Grenze die Strecksehnen getrennt und dann
bei vermehrter Beugung der 4 Finger die Gelenke ; unter der stärksten
Beugung bildet man endlich den bis an die Palmarfalten gehenden Lap-
pen. — Sind nur 2 oder 3 Finger zu exarticulirenT so umgeht man diese
zuerst an der Volar-, dann an der Dorsalseite mit 2 in der obigen Rich-
tung geführten Schnitten. — Verband. Zur Blutstillung reicht meist
kaltes Wasser hin. Der Verband geschieht nach S. 4 8.
6) Exarticulation der Phalangen, Exarticulatio
phalangum digitorum manus. Die Ablösung der Fingerglieder
geschieht hier in der Verbindung der 1» und 2. oder der 2. und 3. Pha-
lanx. — Die in Pronation gebrachte Hand wird von einem seitwärts ste-
henden Gehülfen gehalten und von ihm die andern Finger entfernt oder
gebeugt. Der Operateur fasst mit der linken Hand die zu entfernende
Phalanx und hält ein kleines , schmales , gerades Bistouri in der rechten.
Die Operation geschieht mittels des Lappen-, Zirkel- und Schrägschnittes.
— Lappenschnitt. Der einfache (Volar-) Lappen passt für
alle Phalangengelenke und wird nach L o d e r u. A. so gebildet : man
fasst die kranke Phalanx , beugt sie und zieht eine Linie unter der Her-
vorragung des Gelenkes von rechts nach links einen Querschnitt auf der
Dorsalfläche, durch den man das Gelenk öffnet ; unter verstärkter Beu-
gung schneidet man dann mit der Spize des Messers die Seitenbänder
durch, geht mit flach gehaltener Klinge durch das Gelenk und bildet
einen 4 — 5 Linien langen Vorlarlappen , den man vor seiner Vollendung
über den Gelenkkopf anlegen kann , um seine richtige Länge auszumit-
teln. Die Bildung eines Dorsallappens ist nur angezeigt, wenn man
bei der Exarticulation der 2. Phalanx wegen der Zerstörung ihrer Volar-
haut keinen untern Lappen bilden kann. — Behufs des doppelten
Lappenschnittes macht man an jeder Seite einen Längenschnitt,
verbindet diese an ihren Endpunkten durch einen Kreisschnitt , löst den
AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET. 69
dadurch umschnittenen Volar - und Dorsallappen bis zum Gelenk , und
trennt dieses. Oder man bildet den Dorsallappen auf die angegebene
Weise und schneidet nach Eröffnung des Gelenkes den Vorlarlappen, wie
oben gezeigt wurde, aus. — Zirkelschnitt. Dieser wird bei zurück-
gezogener Haut etwas unterhalb des Gelenkes durch die weichen Theile
geführt, worauf man diese noch mehr zurückziehen lässt und die durch
Beugung des Gliedes angespannte Kapsel nebst den Sehnen durchschnei-
det. — Der Schrägschnitt wird ganz so, wie bei der Exarticulation
eines ganzen Fingers gemacht. — Die Gefässe bedürfen selten der Unter-
bindung. — Der Verband geschieht nach S. 4 8.
7) Exarticulation des Oberschenkels, Exarticula-
tio femoris- Bei der Auslösung des Oberschenkels aus dem Hüftge-
lenke liegt der Kranke wie bei der Amputation dieses Knochens , jedoch
mit dem Stamme fast horizontal mit freien Hinterbacken und je nach der
Methode auf der gesunden Seite , dem Rücken oder dem Bauche. Die
A. cruralis wird auf dem Schambeine comprimirt oder , wo dies nicht
sicher geschehen kann , vor der Operation gleich unter dem Poupart'-
schen Bande blossgelegt und unterbunden. Die Gehülfen werden wie bei
jener Amputation angestellt ; der Operateur steht meistens an der äussern
Seite des Schenkels. Die Operation wird mittels des Oval- , Lappen-,
Schräg-, Zirkel- und Trichterschnittes gemacht ; der erstere verdient im
Allgemeinen den Vorzug. — Ovalschnitt nach S cou te tt en. Der
Kranke liegt auf der gesunden Seite , der Operateur sticht oberhalb der
Spize des grossen Trochanters die Spize eines grossen zweischneidigen
Messers perpendiculär ein, senkt sogleich die Schneide, führt einen Schnitt
4 Querfinger unter der Inguinalfalte und mit dieser parallel nach vorn
und innen und geht um das Glied , indem er die Theile möglichst tief
durchschneidet. Dann sezt er das Messer mit nach unten und hinten ge-
haltener Spize an der innern Seite des Schenkels im untern Winkel des
ersten Schnittes an und führt es schräg nach hinten und wieder in den
Anfang des ersten Schnittes zurück ; nun wiederholt er diese Schnitte
behufs der gänzlichen Trennung der Weichtheile und durchschneidet end-
lich , indem er wechselsweise die Wundlefzen abziehen lässt , die noch
übrigen Muskelfasern , um zum Gelenke zu kommen. Die Kapsel durch-
schneidet er mit senkrecht gehaltener Schneide, dringt auf den Schenkel-
kopf ein , senkt das Glied, dreht die Fussspize nach aussen und durch-
schneidet das Ligamentum teres mit der Messerspize , ohne aber
mit dieser tiefer in die Gelenkpfanne einzudringen. Nun erhebt er den
Schenkel, um dessen Kopf herauszuheben , geht um diesen mit voller
Schneide herum und trennt den Rest der Kapsel und die noch adhäriren-
den Muskelfasern. — Lappenschnitt. Der einfache Lappen-
schnitt wird oft wegen theilweiser Zerstörung der Weichtheile nöthig.
a) Einen vordernLappen bildet B a u d e n s : während der Kranke auf
dem Rücken liegt und das Glied etwas flectirt ist, spannt man mit der Linken
70 AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET.
die Haut an der vordem Seite gut an und zieht sie nach vorn zusammen ;
alsdann sticht man beim rechten Schenkel , an der innern Seite stehend,
ein zweischneidiges Messer in die innere Seite des Oberschenkels , etwa
1 Zoll von der zwischen ihm und dem Damme befindlichen Furche ein,
führt es dicht am Schenkelhalse hin, um die Gelenkkapsel zu öffnen, und
lässt seine Spize zwischen dem grosser Trochanter und der vordem untern
Darmbeingräte heraustreten, zieht es nun dicht an der vordem Fläche des
Femur herab und bildet einen 7 — 8 Zoll langen Lappen. Vor dem Aus-
schneiden comprimirt ein Gehülfe die Gefässe im Lappen, welchen er dann
in die Höhe hält ; man trennt nun vollends das Kapselband und L i g.
t e r e s , renkt den Gelenkkopf aus und schneidet die hintere Muskelmasse
längs der Furche zwischen Oberschenkel und Hinterbacken in grossen
Zügen durch , wobei man mehr Haut als Muskelmasse erhält. Am linken
Schenkel sticht man das Messer von der äussern Seite her durch. —
b) Behufs der Bildung eines hintern Lappens liegt der Kranke auf
dem Bauche, dann werden 2 — 3 Querfinger unter dem Sizknorren die an
der hintern Seite des Schenkels befindlichen weichen Theile quer durch-
schnitten , dieselben retrahirt und nachdem die am Trochanter sich an-
sehenden Muskeln bis zum Gelenke abgelöst sind, in der Form eines Lap-
pens in die Höhe geschlagen ; ferner wird das Gelenk getrennt , die Mus-
keln der innern vordem Schenkelseite durchschnitten und die Wunde
durch den nach vorn und oben gebrachten hintern Lappen gedeckt. —
Weiter wurde noch ein innerer vorderer und ein innerer hinterer Lappen
gebildet. — Doppelter Lappenschnitt. a) Für die Bildung
eines innern und äussern Lappens gab Larrey das beste Ver-
fahren an. Derselbe stellt sich zwischen die Schenkel desauf dem Kücken
liegenden Kranken , unterbindet die A r t. und Yen. crualis am L i g.
Poupartii, sticht von dieser Wunde aus ein zweischneidiges Messer
senkrecht zwischen den am kleinen Trochanter adhärirenden Flechsen und
der Basis des Schenkelhalses nach hinten durch und dem Einstichpunkte
gerade gegenüber aus , richtet die Schneide dann schräg nach innen,
schneidet mit einem Zuge alle an der innern Seite gelegenen Weichtheile
durch und bildet so einen innern , jedoch nicht zu grossen Lappen. Die-
sen lässt er gegen die Schamgegend hin zurückhalten , unterbindet etwa
blutende Arterien (die A. obturatoria, Aeste der Profunda), ab-
ducirt dann das Glied , trennt mit einem Bistouri den innern Theil des
Kapselbandes , dann das L i g. t e r e s und luxirt den Schenkelkopf nach
innen. Nun bringt er die Schneide des Messers zwischen Pfanne und
grossen Trochanter , führt es nach unten und aussen und bildet so den
äussern Lappen , indem er mit dem Trochanter fast wagerecht bleibt. —
Auch ein vorderer und hinterer Lappen wird gebildet. — Schräg-
schnitt. Der Kranke liegt auf dem Rücken , der Operateur steht an
der innern Seite .des Gliedes , und führt das Messer um die hintere und
äussere Seite desselben zum grossen Trochanter , an dessen hinterer Ecke
AMPUTATION IN DEft CONTIGUITAET. 71
man es schräg bis auf das Gelenk einsticht und , es durch die hinteren
Weichtheile bis zur innern Seite führend, etwa 6 Zoll unter dem Gelenke
ausschneidet. Darauf sezt man das Messer im ersten Einstichspunkte wie-
der schräg ein , dringt gegen den Gelenkkopf hin , öffnet die Kapsel,
durchschneidet das Lig. teres, renkt .den Schenkelkopf aus und geht
mit dem Messer durch das Gelenk , um den Rest des Zusammenhanges
längs der ersten Schnitte zu trennen. — Zirkelschnitt. Nach Aber-
nethy macht der an der Aussenseite des Gliedes stehende Wundarzt
einige Zoll unter dem Gelenke den doppelten Zirkelschnitt , trennt die
Muskeln vom grossen und kleinen Trochanter, schneidet die Kapsel ein,
luxirt den Knochen und schneidet das Lig. teres durch. — Trichter-
schnitt. Nach Gräfe macht man bei etwas gebeugtem Oberschenkel
den Hautkreisschnitt 3 — 4 Querfinger unter dem Trochanter und nach
Zurückziehung der Haut mit dem schief nach oben gerichteten convexen
Theile seines Blattmessers den Muskelschnitt bis zum Halse, lässt die Mus-
keln mit den Händen zurückziehen und wiederholt den Kreisschnitt, worauf
der Oberschenkel nach aussen gedreht, dann die Kapsel unten und aussen
getrennt , der Kopf aus der Pfanne gedreht und endlich die Muskel- und
Sehnenmasse am äussern Theile der Kapsel und hinter dem Trochanter
getrennt wird. — Verband. Zu unterbinden sind die A.A. crualis,
profunda femoris, obturatoria, circumflexa int. et ext.,
ischiadica, die Aeste der A. glutaeasuperior und auch wohl
noch andere ; auch die V e n. crualis muss unterbunden werden. Die
Wunde wird nach dem Ovalschnitte zu einer senkrechten Spalte, nach den
andern Methoden nach Seite 4 8 vereinigt und mit einigen blutigen Heften
geheftet.
8) E xarticulation im Kniegelenk, E xar ticulatio
cruris s. genu. Die Ablösung des Unterschenkels aus dem Kniegelenke
ist nach T e x t o r namentlich indicirt , wenn bei zerstörtem Knochen die
Weichtheile an der vordem Fläche des Unterschenkels verdorben, dagegen
an der hintern noch tauglich sind. Sie verwundet aber sehr, verheilt lang-
sam , gibt gern zu Eiteransammlungen , Ulcerationen und Fistelbildung
Anlass, weswegen man zweckmässiger die Amputatio femoris macht.
— Die Kniescheibe muss wo möglich erhalten werden. — Die Operation,
bei der die Vorbereitung wie bei der Amputatio femoris ist, wird
mittels des einfachen oder doppelten Lappenschnittes , des Zirkel - oder
Ovalschnittes gemacht. — Einfacher Lappenschnitt. Brasdor
und Lange nbeck machen, lezterer bei flectirtem Knie, um die vordere
Hälfte des Gelenkes einen halben Kreisschnitt , der mit aufwärts gerich-
teter Convexität oberhalb der Mitte der Kniescheibe verläuft , lassen die
Haut heraufziehen, fassen die Kniescheibe, heben sie auf, sezen hinter ihr
das Messer quer gegen das Gelenk an, trennen sämmtliche Gelenkbänder,
während das Knie immer stärker flectirt wird und führen dann das Messer
dicht hinter den Unterschenkelknochen herab, um einen 4 Querfinger
72 AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET.
breiten Lappen zu bilden. — Doppelter Lappenschnitt. Tex-
tor lässt den Unterschenkel strecken , die Haut stark nach oben ziehen
und macht einen nach unten convexen Schnitt , von einer Tuberosität der
Tibia zur andern, beugt dann den Unterschenkel und durchschneidet zuerst
das Kniescheibenband, dann die Seiten- und Kreuzbänder, wobei die halb-
mondförmigen Knorpel sizen bleiben. Nun wird ein grösseres Messer dicht
an der hintern Flache des Schien - und Wadenbeines herabgeführt und
ein hinterer Lappen gebildet. — Zirkelschnitt. Nach V e 1 p e a u
wird bei gestrecktem Knie die Haut 3 , — 4 Fingerbreiten unter der Knie-
scheibe kreisförmig durchschnitten, bis zum Gelenk abgelöst und zurück-
gezogen , dann das Kniescheibenband und die Gelenkverbindungen von
vorn nach hinten bei massiger Beugung des Knies getrennt und zulezt mit
einem Schnitte durch alle Weichtheile der Kniekehle in gleicher Höhe mit
der retrahirten Haut hindurchgegangen. — Ovalschnitt nach Bau-
d e n s. Man soll die stark zurückgezogene Haut in einem vorgezeichneten
Oval durchschneiden , dessen vorderer Endpunkt 3 Fingerbreiten unter
dem Lig. patellae, dessen hinterer um eine Fingerbreite höher in
der Kniekehle liegen , alsdann wird die Haut bis zum Gelenk hinaufge-
zogen und dieses unter der Patella nebst den weichen Theilen getrennt.
— Zu unterbinden ist die A. poplitaea und auch wohl noch klei-
nere Arterien; läuft der N. ischiadicus im Lappen, so schneidet man
ihn aus. Die Vereinigung der Wunde nach dem Kreis- und Ovalschnitt
geschieht in einer von vorn nach hinten gehenden Spatte.
9. Exarticu'l atio-n im Fussgelenke, Exarticulatio
pedis. Die Abnahme des Fusses im Fussgelenke war lange Zeit von
den meisten Wundärzten der Amputatio cruris nachgesezt worden,
unter der Angabe , dass der zurückkleibende Stumpf weder zum Gehen,
noch zum Tragen eines künstlichen Fusses tauge. Die neueste Zeit hat
indessen solche Verbesserungen in die Amputationsweise gebracht , dass
die Ansichten über den Werth dieser Exarticulation wesentliche Aende-
rungen erlitten. — Die Operation kann mit dem Zirkelschnitt , dem ein-
fachen und dem doppelten Lappenschnitt gemacht werden. Der Zirkel-
schnitt kann, als für dieses Gelenk nicht passend , übergangen werden.
— Lappensehnitt. Der doppelte Lappenschnitt wird nach
Leveille folgendermassen gemacht. Es wird zuerst ein kurzer, halb-
mondförmiger Dorsallappen von einem Knöchel zum andern gemacht und
nach oben abpräparirt ; dann drückt man den Vorderfuss nach unten,
schneidet die Seitenbänder und das vordere Gelenkband ein , luxirt den
Talus nach vorn und führt das Messer zwischen der Achillessehne und
dem Fersenbeine gegen die Fusssohle , um einen 2 Zoll langen Plantar-
lappen zu bilden. Syme verfährt folgendermassen: An dem Fussrücken
wird ein nach vorn convexer Schnitt geführt , dessen Spize eine Querlinie
berührt , die mitten durch den Raum zwischen dem äussern Knöchel und
der Tuberosität des 5. Metatarsalknochens gehen würde. Die Enden des
AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET. 73
Schnittes reichen gerade bis zur Spize beider Knöchel. Der zweite Schnitt
reicht von einem Knöchel zum andern und geht quer durch die Sohle.
Beide Lappen werden bis zur Höhe des Gelenkes abpräparirt ; den hin
tern muss man sehr vorsichtig ablösen, um ihn nicht zu dünn zu erhalten.
Man hüte sich, die A. tibialis postica vor ihrer Theilung in die A.
plantaris int. et ext. zu durchschneiden, da dies Brand des Lappens
zur Folge haben würde. Nach Blosslegung des Gelenkes öffnet man das-
selbe von vorn und den Seiten. Das Ende der Operation bildet die Durch-
schneidung der Achillessehne. Die Knöchel nimmt man mittels einer Beiss-
zange weg. , Fände man die Gelenkflachen cariös , so müsste man soviel
als nöthig wäre , von der Dicke der Knochen mit der Säge wegnehmen.
Beide Lappen vereinigt man durch die Naht, nachdem vorher die Arterien
unterbunden worden sind. Der Stumpf zeigt eine leicht konische Auftrei-
bung, die Spize sieht gerade nach unten und besteht aus der Fersenhaut;
die lineare Narbe läuft quer und liegt gerade nach vorn. Durch dieses
Verfahren, welches dem Kranken ohne Beschwerde zu gehen erlaubt, wurde
der Ruf dieser Articulation begründet. Verfahren von J. R o u x. Er be-
zweckte dabei, die A.A. tibialis postica und plantaris interna
im Lappen zu erhalten, und den Abfluss des Eiters zu erleichtern. Der
erste Schnitt beginnt an der entferntesten Stelle der äussern Seite des
Fersenbeines, geht unter dem äussern Knöchel weg, bildet am Fussrücken,
1 Centimeter vor dem Tibio-tarsalgelenke, eine vorn convexe krumme Linie
und endigt einige Millimeter vor dem innern Knöchel. Der zweite Schnitt
geht vom Ende des ersten aus , läuft zum inneren Fussrande , dann zur
Sohlenfläche , die er etwas schief von vorn und innen nach hinten und
aussen durchschneidet und endigt an dem Anfangspunkte des ersten Schnit-
tes. Der kleine äussere Lappen wird abgetrennt, das Gelenk von vorn und
aussen blossgelegt , von hier aus eröffnet und zulezt trennt man nach und
nach alle Bänder. Darauf trennt man den innern untern Lappen ab, zuerst
an der hintern , dann an der innern Fläche des Fersenbeins ; hierbei mei-
det man die A. tibia-1. post. und geht ganz genau hinter dem Ansazpunkte
der Achillessehne weg , um ihre Verbindung mit der Haut nicht ganz zu
vernichten, wonach sonst eine Retraction der Sehne entstehen würde. Die
Knöchel werden resecirt. Nach dem Verbände legt man das Glied auf die
äussere Seite. DerEiterabfluss geschieht dabei leicht, was bei demSyme-
schen Verfahren nicht der Fall ist , weshalb bei diesem ein Einschnitt in
das Centrum des Lappens beigefügt werden muss. Morel fügte dem
R o u x 'sehen Verfahren unwesentliche Veränderungen hinzu. Um dieVer-
lezung der A. tibial. postica bej Syme's Methode zu verhüten, räth
B. Langenbeck, nach Vollendung des über den Fussrücken laufenden
Querschnittes das Messer sofort hart an dem innern Knöchel einzustechen
und hier , unmittelbar am Knochen bleibend , mit der Spize des Messers
die Weichtheile vom Knochen abzulösen. — Einfacher Lappen-
schnitt. Kluge, Baudens, Velpeau uud Soupart bildeten
74 AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET.
einen vorderen oder Rückenlappen ; da die Haut am Fussrücken aber dünn
ist , so taugt sie nicht zum Ertragen des Körpergewichtes. Ausser einem
vordem Lappen bildet Soupart auch je einen inneren, einen äusseren
und einen unteren für den Fall , dass Affectionen der Weichtheile in der
Umgebung des Gelenkes die Ausführung obiger Verfahren nicht zulassen.
— Man hat versucht , dem Unterschenkel nach der Operation , wenn es
die Krankheit der Knochen zulässt , eine grössere Länge zu verschaffen.
Der von de Lignerolles und Malgaigne in dieser Beziehung ge-
machte Versuch, das Sprungbein zu erhalten, ist von allen Chirurgen auf-
gegeben worden , indem die untere Fläche des Sprungbeines durch ihre
Unebenheit und ihre mehr oder weniger convexe Gestalt beim Gehen am
Stumpfe einen viel zu grossen Druck auf einzelne Punkte des Lappens
ausübt und weil die Beweglichkeit des Sprungbeines beim Gehen keine
Sicherheit gewährt. Lisfranc hat dafür ein eigenes Operations verfah-
ren angegeben , mit Bildung eines Lappens aus dem Fussrücken. — Ein
bedeutenderer Versuch, dem Unterschenkel eine grössere Länge zu erhal-
ten, ist das in neuester Zeit von Pirogoff eingeführte Verfahren, wel-
ches er „osteoplastische Verlängerung der Unterschen-
kelknochen bei der Exarticulation des Fusses" nennt.
Das Verfahren unterscheidet sich von demSyme's dadurch, dass er nicht
das Fersenbein ausschält , sondern dasselbe in der Gegend des S u s t e n -
tacul um tali durchsägt. Der in der Fersenhaut zurückbleibende Theil
des Fersenbeines (hinterer Fortsaz desselben) wird mit der Sägefläche
nach aufwärts gegen die Sägefläche der Unterschenkelknochen geschlagen,
und es soll durch die Verwachsung der beiden Sägeflächen der Unter-
schenkel um die Länge des zurückgebliebenen hinteren Fortsazes des Fer-
senbeines verlängert werden. Man kann das Fersenbein vor der Exarti-
culation im Sprunggelenke oder nach derselben durchsägen ; am Besten
geschieht es nach derselben , da im entgegengesezten Falle , wegen der
Stellung des hinteren Fortsazes des Calcaneus die Sägefläche schief wird,
so dass bei der senkrechten Aufstellung des Fersenhöckers der hintere
Rand desselben viel zu hoch wird , wodurch das Aufeinanderpassen der
Sägeflächen fast gänzlich unmöglich wird. Bei der Durchschneidung der
hinteren Kapselwand muss man sehr vorsichtig sein , um nicht die Achil-
lessehne zu verlezen , auch ist es räthlich , den inneren senkrechten Haut-
schnitt einige Linien vor dem Knöchel zu machen , um die A. tibialis
p o s t i c a unterhalb ihrer Theilung in ihre beiden Plantaräste durch-
schneiden zu können. — Die Vortheile , welche Pirogoff seiner Me-
thode zuschreibt, sind folgende: 1) wird die Achillessehne nicht durch-
schnitten, hieraus folgt, dass 2) die Basis des hinteren Lappens nicht
dünner ist, als seine Spize, indem die Haut dort mit der fibrösen Scheide
der Achillessehne verbunden bleibt ; 3) der hintere Lappen ist nicht kap-
penartig , wie bei S y m e 's Methode , und seine Form daher einer Eiter-
ansammlung weniger günstig ; 4) der Unterschenkel erscheint nach dieser
AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET. 75
Operationsweise um l4/2 Zoll, ja bisweilen noch mehr länger, als bei den
übrigen Methoden, weil der hintere Fortsaz des Fersenbeines, der im Lap-
pen zurückgeblieben ist , indem er dem unteren Ende der Unterschenkel-
knochen angeheilt wird, diesen um l1/2Zoll verlängert und 5) dem Kran-
ken als Stüzpunkt dient. — Zwei in der neuesten Zeit von van Gou-
doever nach Pirogoff's Methode ausgeführte Operationen waren vom
vollständigsten Erfolge begleitet ; bei dem einen Falle, einen Erwachsenen
betreffend , betrug der Unterschied in der Länge beider Unterschenkel
1^4 Zoll, bei dem andern, einem 6 ^jährigen Kinde, 10 — 11 Millime-
ter ; mittels eines zweckmässigen Schuhes war der Gang nur wenig auf-
fallend. Nach mehreren Jahren war der Stumpf noch vollkommen ge-
sund.
10) Exarticulatio pedis intarso. Die Exarticulation in
den Fusswurzelknochen oder die C h o p a r t 'sehe Amputation besteht in
der Entfernung des vorderen Theiles des Fusses aus den Gelenken zwi-
schen der 1. und 2. Reihe der Fusswurzelknochen oder der Verbindung
des Sprung- und Fersenbeines mit dem Kahn- und Würfelbein , mit Er-
haltung der ersten Reihe. — Vorbereitung wie bei der Amputatio
cruris. Die Operation wird mittels des Lappen-, Schräg- oder Oval-
schnittes gemacht. — Lappenschnitt. Vor dem Fusse stehend, sucht
man den Höcker des Kahnbeines, welcher etwa 1 Zoll vom innern Knöchel
entfernt an der innern Seite des Fusses sich befindet ; das Gelenk ist un-
mittelbar dahinter (Richerand). Oder man sucht die Tuberosilät,
indem man vom äussern Knöchel aus den äussern Fussrand verfolgt. Das
Gelenk liegt vor derselben , etwa 10 — 12 Linien vom Knöchel entfernt.
Auch kann man die Tuberosität am 5. Mittelfussknochen fühlen, hinter
welcher sich das Gelenk etwa 8 Linien entfernt befindet (Lisfranc).
Endlich findet man am Fussrücken , 1 Zoll vom Tibio-tarsalgelenke ent-
fernt, den Kopf des Sprungbeines ; naeh aussen von diesem Kopfe bemerkt
man eine Vertiefung, die der Insertion des M. exten s. halluc. brevis
entspricht (Dupuytren). Man merkt sich diese Punkte genau, fasst
den vordem Theil des Fusses mit der rechten Hand , deren Daumen auf
den Fussrücken legend, und sticht dann (nach W a 1 1 h e r und B 1 a s i u s)
mit der linken Hand das mittlere zweischneidige Messer beim rechten
Fusse */2 Zoll unter dem äussern , beim linken 1 Zoll unter dem innern
Knöchel und etwas vor demselben senkrecht bis auf den Knochen , neigt
sogleich die Schneide und führt einen Schnitt dem Fussrande parallel
nach vorn bis zu dem nachherigen Querschnitt , fasst ferner den Fuss mit
der linken , das Messer mit der rechten Hand , und macht am anderen
Fussrande einen eben solchen Schnitt, welchen man mit dem ersten durch
einen queren verbindet , der zwei Querfinger breit vor dem Fussgelenke
über den Fussrücken bis auf den Knochen geführt wird. Den so umschrie-
benen Lappen trennt man nebst den Sehnen und allem Zellstoff in langen
Messerzügen von den Knochen bis über die Exarticulationsstelle ab, lässt
76 AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET.
ihn zurückhalten und sucht sich nochmals die obigen Hervorragungen.
Nun trennt man am innern Fussrande die Verbindung des Os navicu-
lare mit dem Talus, führt die volle Schneide des Messers quer über
den Fussrücken und trennt damit , während der Vorderfuss abwärts ge-
drückt wird , die Verbindung der betreffenden Knochen , welche eine
schwach S förmige Krümmung macht, die am innern Fussrande nach vorn,
am äussern nach hinten convex ist. Nach geschehener Trennung der
Bänder beugt man den Vorderfuss stärker abwärts, bringt die volle Klinge
unter die vorderen Tarsalknochen, umgeht die hier befindlichen Vorragun-
gen und führt das Messer , das am äussern Fussrande etwas tiefer als am
innern zu stehen kommt, in sägeformigem Zuge bis zum vordem Ende der
Mittelfussknochen , wo man durchschneidet und so einen Plantarlappen
bildet. — Die Franzosen führen von einer Seite des Gelenkes zur andern
einen halbmondförmigen Schnitt über den Fussrücken und dringen nach
zurückgezogener Haut von der Seite in das Gelenk ein. Langenbeck
bildet gar keinen Dorsallappen und Zang will ihn verhältnissmässig grös-
ser machen , wenn der Plantarlappen wegen der Zerstörung der weichen
Theile nicht gross genug gemacht werden kann. — Beim Schräg-
schnitt lässt man die Haut gut zurückziehen und den Fuss beugen, stellt
sich an dessen rechte Seite , führt am rechten Fusse ein grosses convexes
Scalpell um dessen innern Rand zu dem höchsten Punkte des Kahnbeines
und sticht es hier schräg gerichtet auf einer Linie ein , welche an der
Stelle der zu trennenden Gelenke quer über den Fussrücken herüber ge-
dacht wird. Dann zieht man das Messer über den innern Fussrand an
dem vordersten Theile des Kahnbeines weg zur Planta und hier längs
einer gegen den Fussrand hin schwach convexen Linie zum vordem Ende
des 3. Mittelfussknochens, führt nun das Messer von der äusseren Seite
des Fusses her zum ersten Einstichspunkte , sticht es hier wieder schräg
ein und zieht es über den äussern Fussrand an dem hintern Ende des
3. Mittelfussknochens vorbei zur Planta und in dieser zum Endpunkte des
ersten Schnittes. Beim linken Fusse macht man den ersten Schnitt über
den äussern, den zweiten über den innern Fussrand. Nun extendirt man,
vor dem Fusse stehend , diesen mit der linken , lässt die Weichtheile zu-
rückziehen und trennt die Gelenkverbindungen , führt darauf das Messer
zwischen den Knochen durch zur unteren Fläche des Vorderfusses und
löst längs dieser den noch bestehenden Zusammenhang der Weichtheile,
indem man das Messer in den bereits dort gemachten Schnitten hinführt.
Dieses Verfahren soll den Vortheil gewähren , dass der Plantarwundzipfel
der Dorsalwunde genau entspricht, was bei Lappenschnitten nicht der Fall
sei , und dass der obere Rand der Knochen von Weichtheilen gedeckt
bleibe. — Der Ovalschnitt gewährt in der Weise, wie er von S e d i 1 -
1 o t modificirt wurde , grosse Vortheile ; es werden wenig Bedeckungen
erfordert , man erhält am Fussrücken viele Weichtheile und die beiden
Endlinien der Gelenklinie bleiben gedeckt ; auch ist die Annäherung der
AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET. 77
Wundränder leicht und der Abfluss des Eiters geht gut vor sich. Bei
der Operation umfasst die linke Hand den rechten Fuss am Rücken ; die
Ferse ruht auf dem Rande eines Tisches. Mit einem kleinen Amputations-
messer wird zuerst ein Querschnitt geführt, welcher einige Linien vor dem
Fersen-Würfelbeingelenke beginnt und in der Mitte des Fussrückens an
der äussern Seite der Sehne des M. tib ialis anticus endigt. Von
hier aus läuft ein zweiter Schnitt schräg von hinten nach vorn und von
aussen nach innen , der 2 Querfinger breit hinter dem Phalango-Metatar-
salgelenke der grossen Zehe sich um den innern Fussrand herumwendet,
von wo aus er in der Richtung von vorn nach hinten , von innen nach
aussen und von oben nach unten an der Sohle verlaufend , in den Aus-
gangspunkt des ersten Schnittes einfällt. Die Weichtheile der Sohle
werden schräg von unten nach oben und von vorn nach hinten abpräpa-
rirt mit möglichster Entfernung des Fettzellgewebes. Der innere Lappen
wird bis zum Höcker des Kahnbeines , der als Führer zur Eröffnung des
Medio - Tarsalgelenkes dient , abgelöst und das Lig. interosseum
durchschnitten ; dann bringt man das Messer zwischen die Knochenflächen
und beendigt die Operation mit der Trennung der tiefgelegenen Weich-
theile an der Sohle, im Niveau des hier geführten Schnittes. Am linken
Fusse öffnet man nach Ausführung der Schnitte das Fersen-Würfelbein-
gelenk, durchschneidet das Lig. interosseum und löst das Kahnbem
mit der Messerspize ; hierauf legt man das Messer mit voller Schneide
zwischen Fersen- und Würfelbein, dann zwischen Sprung- und Kahnbein
und durchschneidet vollends die Weichtheile bis zum innern Fussrande.
Hier umgeht man mit Sorgfalt den Vorsprung des Kahnbeines, sezt das
Messer zwischen diesen und die Bedeckungen und verfolgt das erste
Keilbein, so wie die hintere Hälfte des 4. Mittelfussknochens , um so den
entsprechenden inneren Lappen abzulösen. — Bei sämmtlichen Verfahren
ist es räthlich , die Sehnen der vordem Muskeln so lang zu lassen , dass
sie mit der Narbe verwachsen können , wodurch man der Retraction des
Fusses nach hinten vorbeugt , ein Nachtheil , der der Chop art' sehen
Amputation überhaupt zum Vorwurf gemacht wird. — Verband. Zu
unterbinden sind dieA. A. dorsal ispedis, plantaris interna
und externa, so wie manchmal nochAeste dieser Arterien. — Man hat
auch einzelne Fusswurzelknochen entfernt.
11. Exarticulation der Mittel fussknochen, Exar-
ticulatio ossiummetatarsi. Die Auslösung der Mittelfussknochen
kann nur einen einzigen , mehrere oder sämmtliche betreffen, kann ferner
auf sie allein beschränkt sein oder auch ihre betreffenden Fusswurzel-
knochen mitnehmen. a) Exarticulation sämmtliche r Mittel-
fussknochen oder Amputation zwischen Tarsus und Metatarsus.
Diese Exarticulation erfordert eine genaue Kenntniss von der Anordnung
der Gelenkflächen. Zuerst sucht man das Gelenk auf; dazu dient die
Tuberosität des 5. Metatarsalknochens an der äussern Seite des Fusses.
78 AMPUTATION IN DER CONTIGUITAET.
Die Gelenklinie liegt unmittelbar dahinter ; im Falle der Anschwellung
kann man sie 2 Zoll vor dem Malleolus extern us annehmen. Das
innere Ende dieser Linie liegt 9 Linien weiter nach vorn ; man erkennt
es auch an der Hervorragung des hintern Endes des 1. Mittelfussknochens
und bei der Abduction des Fusses an der deutlich fühlbaren Sehne des
sich daselbst ansezenden Peronaeusbrevis; es liegt hinter der ge-
nannten Tuberosität und vor einem zweiten Vorsprunge, der dem 1 . Keil-
beine angehört. Das Gelenk des 2. Mittelfussknochens mit dem 2. Keil-
beine befindet sich 4 Linien weiter vorn als das des ersten, und 2 Linien
weiter vorn als das des 3. Mittelfussknochens, so class der Kopf des 2.
Metatarsus zwischen dem 1. und 3. Keilbeine eingekeilt ist. Das 3., 4.
und 5. Metatarsalgelenk gehen in gleicher Linie schief nach aussen und
hinten fort. — Vorbereitung wie zur vorigen Operation. Verfahren von
Lisfranc und zwar am rechten Fusse : Während ein Gehülfe den Fuss
in seiner natürlichen Stellung unterstüzt , legt man den linken Daumen
auf die Hervorragung des hintern Endes des 5. , den Zeigefinger auf die
des J . Mittelfussknochens. Mit einem schmalen kurzen Messer macht
man über den Fussrücken einen halbmondförmigen, nach vorn convexen
Schnitt durch die Haut und Sehnen von der Stelle , wo der Daumen , bis
zu der, wo der Zeigefinger liegt, lässt die Haut zurückziehen, fasst den
Fuss mit voller Hand an seiner Dorsalflache, als wollte man ihn luxiren
und trennt mit der Messerspize die Verbindung des 5. Mittelfussknochens
mit dem Würfelbeine. Man dringt nun zwischen diese beiden Knochen
mit voller Schneide ein , wobei man die Spize des Messers nach dem vor-
dem Ende des 1 . Mittelfussknochens hinrichtet , trennt die Verbindung
der beiden nächsten Mittelfussknochen mit dem Tarsus, geht nun auf die
innere Seite des Fusses und trennt hier die Articulation des 1 . Mittel-
fussknochens, beschreibt hierauf mit der Spize des Messers zwischen dem
Vorsprunge des 1. Keilbeines und des 2. Mittelfussknochens einen Halb-
kreis, um die diese Knochen verbindenden Ligg. interarticularia
zu durchschneiden, und nachdem man die Verbindung des 2. Os meta-
t a r s i mit dem 2. Os cuneiforme gelöst hat , luxirt man den Fuss
mit Kraft , durchschneidet die Zwischenknochenbänder , bringt dann das
Messer an die untere Fläche der Mittelfussknochen und bildet , nach den
Zehen zu schneidend, zur Deckung der Knochen einen etwa 2 Zoll langen
Lappen. Beim linken Fusse fängt man den ersten Schnitt an der innern
Seite an. — Hey, A. Cooper und Scoutetten sägen den Vorsprung
des Os cuneiforme primum durch. — Villerme bildet zuerst
einen Rückenlappen, der gegen den innern Rand hin länger ist, weil der
Fuss hier dicker ist, öffnet das Gelenk und schneidet dann einen unteren
Lappen aus. Soupart bildet auch hier je nach dem Zustande der
Weichtheile einen Rücken - , Sohlen - oder einen seitlichen Lappen. —
b) Exarticulation von 2, 3 oder 4 Mittelfussknochen,
nöthigenfalls mit Wegnahme einzelner Tarsalknochen. Man spaltet die
ANAESTHESIE. 79
weichen Theile zwischen den zu entfernenden und den zurückbleibenden
Knochen von der Commissur der Zehen aus bis an das Ende des Mittel-
fusses, macht eine gleich lange Incision am innern oder äussern Fussrande
und verbindet beide Schnitte auf dem Fussrücken durch einen queren,
der je nach der Bildung eines grösseren oder kleineren Dorsallappens
mehr oder minder vorwärts verlegt wird. Dieser Lappen wird bis zu den
Gelenken abgelöst , die Trennung dieser nach Massgabe der vorherigen
Operation bewirkt und wie bei dieser ein Plantarlappen gebildet. Zur
Exarticulation von zwei mittleren Knochen spaltet man die Weichtheile
zwischen den Knochen. — c) Die Exarticulation einzelner
Mittel fussknochen geschieht nach den bei den Mittelhandknochen
gegebenen Regeln.
12. Exarticulation der Zehen, Exarticulatio digi-
torum pedis. Die Ablösung einer ganzen Zehe wird nach
den für die Exarticulation der Finger gegebenen Regeln vollzogen, ebenso
die Exarticulation der 2. und 3. Phalangen, die jedoch der
der ganzen Zehen nachsteht, weil die Zehenreste beim Gehen nur hinder-
lich sind. Am besten ist bei den Zehen auch die Bildung eines Plantar-
lappens. Bei der Exarticulation der grossen Zehe kann man , wie bei
der Amputation des 1. Mittelfussknochens einen obern , untern oder in-
nern Lappen bilden (Z a n g). Die Exarticulation sämmtlicher
Zehen geschieht nach Lisfranc so: Beim rechten Fusse fixirt man,
nachdem die Haut stark zurückgezogen worden ist , mit dem linken Dau-
men das Gelenk der kleinen, mit dem linken Zeigefinger das der grossen
Zehe mit dem Mittelfusse und macht mit einem geraden schmalen Am-
putationsmesser von der äussern Seite des 5. bis zur innern des 1. Mittel-
fussknochens einen halbmondförmigen , nach vorn convexen Schnitt über
die Rückenseite der Gelenkköpfe der Zehen, trennt dann die Gelenke,
von der 5. Zehe anfangend, sämmtlich und mit Schonung der Sesambein-
chen von den Mittelfussknochen, führt durch sie das Messer an die untere
Seite der gebeugten Zehen , richtet diese wieder in die Höhe und durch-
schneidet endlich die Plantarweichgebilde schräg nach unten und vorn
längs der die Zehen vom Mittelfusse scheidenden Falte , um so einen un-
tern Lappen zu bilden. Bei Subjecten unter 1 4 Jahren kann man die
knorpligen Köpfe der Mittelfussknochen mit fortnehmen , wodurch der
Lappen 2 — 3 Linien länger wird.
AnaeSthesie (von « priv. und aiaO-^ic, Empfindung). Mit
diesem Ausdruck bezeichnet man entweder einen krankhaften Zustand,
der sich durch die Abnahme oder den Verlust der Empfindungsfähigkeit
eines Theiles in Folge von Störungen des sensitiven Nervens ausspricht,
oder aber einen Zustand von gänzlicher Empfindungslosigkeit , welcher
behufs der Beseitigung der Schmerzen bei Operationen mittels besonderer
Mittel willkürlich herbeigeführt wird. Lezteres wird uns allein hier be-
80
ANAESTHESIE.
schäftigen. Die Aufhebung der Empfindlichkeit , um chirurgische Ope-
rationen schmerzlos vorübergehen zu lassen, wurde schon seit alten Zeiten
angestrebt. Zu diesem Behufe hat man die Zusammenschnürung des
Gliedes, an welchem man operirte, die Compression oder auch die Durch-
schneidung des Hauptnervenstammes, narkotische Mittel, Kälte, den thie-
rischen Magnetismus und selbst einen Aderlass bis zur Ohnmacht in Ge-
brauch gezogen. Diese Mittel wurden aber als unzureichend immer bald
wieder verlassen und am Ende beschränkte sich die grosse Mehrzahl der
Wundärzte darauf, durch möglichst grosse Schnelligkeit in der Ausfüh-
rung der Operation und durch Ablenken der Aufmerksamkeit des Kranken
die Schmerzhaftigkeit zu vermindern. Erst der neueren Zeit war es vor-
behalten, Mittel aufzufinden, welche dem Zwecke vollkommen entsprechen.
Das eine dieser Mittel ist der Aether, welcher durch Jackson ent-
deckt wurde und durch dessen Einathmung der zu Operirende , so lange
die Wirkung dieser Inhalationen andauert , in einen eigenthümlichen
tiefen Schlaf versezt wird , während dessen die Empfindlichkeit desselben
ganz aufgehoben oder doch so sehr vermindert wird , dass er nach der
Operation keine Erinnerung von derselben hat. Dieselbe Wirkung hat
noch sicherer und bei Anwendung geringerer Quantitäten das zuerst von
Simpson in Gebrauch gezogene und seitdem ausschliesslich angewen-
dete Chloroform (Formylchlorid, C2 H2 Cl8 ). Ein drittes Mittel , die
sogenannte holländishe Flüssigkeit (C4 H 4 Cl2) scheint nach den
Untersuchungen von Nunnely u. A. in noch geringerer Quantität und
noch sicherer als das Chloroform in der angegebenen Richtung zu wirken.
Endlich hat die neueste Zeit noch ein weiteres Anästheticum zu Tage
gefördert, das Amylen, welches seinem Wesen nach ein öliger Kohlen-
wasserstoff und aus C10H10 zusammengesetzt ist. Die Anwendung dieser
Substanzen (Anaesthetica) geschieht entweder mittels besonderer
Vorrichtungen, deren eine grosse Anzahl erfunden wurden und von denen
die von L u e r und von Charriere die bekanntesten sind , oder in der
Art , dass man dem Kranken ein mit diesen Flüssigkeiten beneztes Tuch
vor Mund und Nase hält. Lezteres Verfahren wird gegenwärtig fast all-
gemein befolgt. Das Tuch darf nicht so nahe an den Mund und die
Nase gebracht werden, dass dem Kranken das Einathmen von atmosphä-
rischer Luft gänzlich benommen ist , auch ist ein zu rasches und heftiges
Einathmen , zumal beim Beginne , zu vermeiden. Während der Inhala-
tionen muss der Arzt die Athembewegungen und den Puls des Kranken
sorgfältig überwachen. Nimmt die Frequenz der Athemzüge und des
Pulses bedeutend ab, so muss man sogleich frische Luft einathmen lassen
und die Brust des Kranken mit kaltem Wasser besprengen. Zuweilen ist
es nothwendig , die Einathmungen in dieser Weise mehrmals zu unter-
brechen, bis endlich unter tiefem schnarchenden Athmen Schlaf und Em-
pfindungslosigkeit eintritt. Die Form, unter welcher die Betäubung ein-
tritt, ist nach Dieffenbach entweder eine ohnmächtige, heitere, alberne
ARMBINDE. 81
oder tobende. Nicht selten beginnt das Toben erst mit der Operation ;
die Kranken schreien und klagen heftig über Schmerzen, ohne aber nach
dem Erwachen eine Erinnerung davon zu haben. In andern Fallen ver-
halten sich die Kranken während der Operation ganz ruhig oder sprechen
von Dingen , die mit ihrem jezigen Zustand in gar keinem Zusammen-
hang stehen, behaupten aber nachher, dass sie Alles genau gefühlt und
alle Schmerzen mit grosser Heftigkeit empfunden haben ; was jedoch bei
genauem Eingehen auf die Sache sich als unwahr erweist. Zuweilen
bleibt in Folge der Anwendung eines Anästheticums Kopfschmerz, Brech-
neigung etc. einige Zeit zurück. In einigen Fällen hat man plözlichen
Tod während oder gleich nach den Inhalationen von Aether oder Chloro-
form beobachtet. Dies muss zu grosser Vorsicht bei der Anwendung
dieser Mittel auffordern. Wie der Tod herbeigeführt wird, ist nicht ge-
nau ermittelt ; wahrscheinlich gelangen Chloroformdünste in's Blut , es
finden Gehirncongestionen statt und der Tod tritt wie durch Schlagfluss
ein. Die Wiederbelebungsmittel , welche indessen bis jezt sich erfolglos
zeigten , sind : kalte Begiessungen , scharfe Riechstoffe, Kizeln der Nase
und des Schlundes, Aderlass, Einblasen von Luft, Hautreize, Elektricität.
Um daher diesen üblen Zufall möglichst zu vermeiden, halte man das
oben angegebene Verfahren bei den Inhalationen genau ein, bei bestehen-
den Lungen- und Herzkrankheiten, bei Anlage zum Schlagflusse, nach er-
schöpfenden Blutungen und bei vollem Magen müssen sie aber ganz
unterbleiben. — Ausser zur Schmerzstillung wendet man die Anästhetica
auch da an , wo der Widerstand gespannter Muskeln zu überwinden ist,
indem diese während der Betäubung sich im Zustande der Erschlaffung
befinden, so z. B. bei der Reposition eines eingeklemmten Bruches oder
einer Verrenkung. — In der Regel werden 5ij — ^ß hinreichen , eine
vollkommene Narcose herbeizuführen.
Aneurysma, s. Pulsadergeschwulst.
Allglna, s. Bräune.
Aphthae, s. Schwämmchen.
Armbinde, Arm tragbinde, Armschlinge, Schärpe»
Mitella, Habena, Suspensorium brachii, ist ein bei Ver-
lezungen des Oberarms, des Schulterblatts und Schlüsselbeins, so wie bei
Leiden des Vorderarms und der Hand gebräuchliches Verbandstück.
Man unterscheidet folgende Arten : 1 ) Die viereckige Tragbinde
oder die Armschlinge , Mitella magna s. quadrangularis,
s. Suspensorium brachii. Man bedient sich hiezu eines Stücks
Leinwand , eines Sacktuchs oder einer Serviette von 3 Fuss Länge und
2 Y2 Fuss Breite , fasst es behufs der Anlegung an den zwei , einen der
kurzen Ränder begrenzenden Ecken, legt die Mitte dieses Randes unter
die kranke Achsel , führt die gefassten Ecken , das eine über die Brust,
das andere hinten über den Rücken auf die gesunde Schulter und ver-
Burger, Chirurgie. 6
82
ARMBINDE.
bindet sie dort mit einander. Nun fasst man die zwei, den vorigen ent-
gegengesezten Ecken des am Leibe herunterhängenden Tuchs , schlägt
dieses über den gebogenen und über die Brust gelegten Arm in die Höhe,
und gibt diesem seine Stüze, indem man diese Ecken gleichfalls über die
Brust und den Rücken führt und auf der gesunden Schulter befestigt.
Die am Ellbogen hervorstehende Ecke schlägt man nach vorn um und
steckt sie am Arme fest. — Ger dyf führt das Verbandtuch mit einem
seiner langen Ränder in der Höhe des Ellbogens um die Brust, verknüpft
dessen Enden auf dem Rücken, hüllt dann das ganze Glied ein , indem er
das Tuch über dasselbe hinaufschlägt und die Enden des andern Randes
um den Hals zusammenbindet. — 2) Die grosse dreieckige Träg-
binde des Arms, Mitella mag natriangulariss. Suspen-
sorium brachii. Man schlägt ein lV2 Ellen im Gevierte haltendes
Stück Leinwand , Sacktuch etc. in ein Dreieck zusammen , legt das eine
Ende von diesem in der Art auf die gesunde Schulter, dass die Spize des
Dreiecks nach dem Ellbogen des kranken Arms hinsieht und das andere
Ende desselben am Leibe herabhängt. Nun lässt man den Arm in einen
rechten Winkel biegen, fasst das Ende des herabhängenden Tuchs, schlägt
es über den Vorderarm auf die kranke Schulter , schlingt es um den
Nacken und knüpft es auf der gesunden Schulter mit dem andern Ende
zusammen. Den über den Ellbogen vorstehenden Zipfel schlägt man
nach vorn um und befestigt ihn mit Nadeln. — 3) Die kleine Trag-
binde des Arms, Mitella parva s. Suspensorium man us.
Man bedient sich hierzu gewöhnlich eines seidenen Tuches von lV2 — 2
Fuss Länge und 1 Fuss Breite, welches wie ein Halstuch drei- bis vier-
fach zusammengelegt wird. Die Hand wird in den Grund der Binde ge-
legt und die beiden Enden sodann am Kleide des Kranken, z. B. in einem
Knopfloche mittels Bändern oder Stecknadeln befestigt. — 4) Die
Tragbinde des Arms von Mayor. Eine Halstuchbinde wird vom
Nacken aus um den Hals nach vorn geführt und dergestalt verknüpft,
dass sie bis auf den vordem obern Theil der Brust herabhängt. An diese
wird sodann eine gewöhnliche dreieckige Tragbinde befestigt. Diese
Schlinge lässt sich mit einem weniger grossen Stück Leinwand als die
oben beschriebenen ausführen. — 5) Die Tragkapsel für den
Vorderarm von Bell, Mitella s, Suspensorium capsulare
B e 1 1 i i , besteht aus einem Halbcylinder von Blech, Leder oder Pappe,
welcher mit Flanell oder Wolle gefüttert ist und vom Ellbogen bis über
die Fingerspizen hinausreicht und hinten durch eine Querwand verschlos-
sen ist. An den Seitenwänden sind auf der einen Seite zwei kurze Rie-
men, auf der andern zwei Schnallen, um den Vorderarm in der Kapsel zu
befestigen. Das vordere und hintere Ende der Kapsel werden durch
lange Riemen an einen gepolsterten ledernen Ring, der auf der gesunden
Schulter ruht,, angeschnallt. Ist das Schlüsselbein gebrochen , so darf
der lange Riemen vom hintern Ende der Kapsel nicht über die Schulter,
ARTERIEN. 83
sondern hinter derselben über den Rücken gehen. — Mayor hängt eine
Rinne von gekochtem Leder oder Pappendeckel mittels starker Bänder
an eine um den Hals befestigte aus einer Tuchbinde gemachte Schlinge.
Arterien, Krankheiten derselben. Hier wird nur von
den Neubildungen in dem Arteriengewebe die Rede sein. Die Entzün-
dung der Arterien wird in dem Art. Entzündung, die Erweiterungen
derselben in dem Art. Pulsadergeschwulst und die Wunden der
Arterien in dem Art. W unden besprochen werden. — In dem Arterien-
gewebe können verschiedene Neubildungen auftreten, als deren einfachste
Form die aus dem strömenden Blute selbst erfolgenden fib r in ö s en
Ablagerungen, von Rokitansky als excedirende Auflage-
rungen von innerer Gefässhaut bezeichnet, zu betrachten sind.
Diese sind der Ausgangspunkt zweier krankhaften Veränderungen , näm-
lich des atheromatösen Processes und der sogenannten Ver-
knöcherungen der Arterie. Der ath er omatös e Proc es s be-
steht in dem Zerfallen der tieferen Schichten der Auflagerung zu einer
breiartigen Masse {a.d~7jou , Weizengraupenbrei) , welche aus Cholestea-
rine , Fett, Eiweiss und Kalksalzen besteht. Diese Metamorphose
schreitet nach den innern Schichten vor, die innere Oberfläche wölbt sich
und stellt endlich einen fluctuirenden Abscess dar. Dieser plazt , ein
Theil der breiartigen Masse gelangt in die Blutmasse, der zurückbleibende
wird vom Blute getränkt und stellt eine Art von Geschwür dar , welches
nach dem Gefässrohr hin offen steht, und durch Zerstörung der Ringfaser-
haut in die Tiefe greift. Sehr oft wird die atheromatöse Masse allmälig
eingedickt und verwandelt sich in ein feuchtes mörtelartiges Concrement.
Bisweilen wird die durch das Wegspülen des Breies entstandene Vertie-
fung durch eine neue Auflagerung ausgefüllt und dadurch eine Art von
Narbe gebildet. — Die Verknöcherung der Art er ien besteht
nicht in der Bildung von wirklicher Knochensubstanz , sondern in der
Ablagerung von Kalksalzen in den tieferen Schichten der ex-
cedirenden Auflagerungen. Die Knochenconcretion liegt nackt auf der
innern Gefässoberfläche und hat die Form von concav-convexen Plättchen
mit einer ziemlich glatten und ebenen innern concaven und einer rauhen
höckerigen äussern convexen Fläche mit unregelmässig zackigen Rändern.
Häufig werden in grossen Arterien die Knochenplatten vom Blutstrome
theilweise losgerissen und ragen dann in das Gefässrohr hinein , oder sie
werden auch mit fortgeschwemmt. Im erstem Falle geben sie Veran-
lassung zur Anheftung von Fibringerinnseln , im zweiten führen sie zur
Obliteration kleinerer Arterien , in denen sie stecken bleiben. — Hand
in Hand mit diesen Auflagerungen geht eine Erkrankung der mittleren
Arterienhaut (Ringfaserhaut) , welche mit dem Dickerwerden jener locke-
rer, schmuziggelb, unelastischer , dünner und brüchig wird. Mit der zu-
nehmenden Erweiterung des Gefässes weicht sofort die Faserung äusein-
;6*
84
ATROPHIE.
ander und in die hierdurch entstandenen Lücken senkt sich die Auflage-
rung ein, so dass sie in diesen Lücken endlich mit der indessen schwielig
gewordenen Zellscheide in Berührung tritt und mit ihr verwächst. Nach
Rokitansky liegt dieser Erkrankung der Ringfaserhaut eine Fettent-
artung zu Grunde. — Nach Rokitansky ist die Auf lagerung nicht das
Product einer Entzündung , sondern in einer eigentümlichen Blutkrase
zu suchen ; nach Andern besteht der atheromatöse Process wahrscheinlich
in einer fettigen Degeneration eines faserstoffigen Entzündungsproductes. —
Die excedirenden Auflagerungen sind die häufigste Krankheit der Arterien
und die Ursache der meisten Aneurysmen und vieler spontanen Obliterationen.
ArteriOtOHlie (von aQxrjQia und xsfj,vE iv , schneiden). Man
versteht hierunter diejenige Operation, vermittels welcher eine Schlagader
an einer bestimmten Stelle um Blut zu entleeren geöffnet wird. Diese
Operation , welche gegenwärtig nur noch selten verrichtet wird , wird in
neuerer Zeit nur an einem Aste oder auch dem Stamme der Art. tempo-
ralis ausgeführt; sehr selten und nur versuchsweise an der A. radia-
lis. Sie wurde bei Entzündungen des Gehirns und seiner Umgebungen,
bei soporösen Zuständen , in der Manie , bei der sehr acuten Augenent-
zündung, der Amaurose, der Ohrenentzündung etc. empfohlen. Heutzu-
tage wird sie nur bei heftigen Augenentzündungen für indicirt gehalten,
indem bei allen andern Fällen von Entzündungen am Kopfe ein Aderlass
am Arm oder an der Ven. jugularis externa mindestens ebenso
viel leistet. — Bei der Operation selbst verfährt man folgendermassen :
Nachdem man die Stelle, wo operirt werden soll , von Haaren befreit und
gereinigt hat und den Kopf des liegenden oder sizenden Kranken auf die
Seite hat neigen lassen, bezeichnet man die Stelle der Haut, unter welcher
der zu öffnende Arterienast liegt , durch einen Nageleindruck oder mit
Dinte. An dieser Stelle , welche am Schlafe sich beiläufig 1 5 Linien
über der Wurzel des Jochbeines findet , macht man wo möglich mittels
Erhebung einer Hautfalte einen Einschnitt , legt die Arterie bloss und
führt zwei Fäden hinter derselben durch. Den obern dieser Fäden knotet
man in der Nähe des obern Wundviertels sogleich um die Arterie. Der
untere ist bestimmt , nach geschehener Blutentleerung die Arterie unter-
halb der Wunde zu unterbinden. Nun sticht man die Arterie in dem
Räume zwischen beiden Fäden der Länge nach an und zieht , nachdem
die nöthige Quantität Blut entleert ist , auch die untere Ligatur fest zu.
Von den Unterbindungsfäden schneidet man das eine Ende am Knoten
ab , das andere führt man aus der Wunde heraus und befestigt es mit
einem Heftpflasterstreifen auf der Haut ; die Wunde vereinigt man mit
Heftpflasterstreifen.
; ArthrOCace, s. Gelenkentzündung.
ArthrophlogOSis, s. Gelenkentzündung.
AtrOpJHia, (von a priv. und TQospri [xQeyuv] , Ernährung) , die
ATROPHIE. 85
mangelhafte Ernährung, Atrophie, das Schwinden, der
Schwund der Theile. Wenn irgend ein Körpertheil mangelhaft er-
nährt wird , so tritt ein Zustand von Abmagerung , von Schwund seiner
Masse ein, wodurch sein Volumen vermindert wird. Bei vielen Atrophieen
handelt es sich übrigens nicht um eine einfache Volums - und Massenab-
nahme, sondern es stellt sich zugleich auch eine Texturveränderung in dem
schwindenden Organe ein. Das Volumen, Gewicht, die Gestalt, Consi-
stenz und Farbe des atrophirten Organes sind nach der Ursache der Atro-
phie auf sehr verschiedene Weise verändert. Gefässe und Nerven des
kranken Organes nehmen ohne Zweifel ebenfalls am Schwunde Theil.
Bei hohlen Organen besteht die Atrophie entweder mit normaler Grösse
der Höhle (einfache Atrophie) , oder mit Erweiterung (excentrische) oder
Verengerung derselben (concentrische Atrophie). — Dieser Krankheits-
zustand kommt in sehr verschiedenem Grade vor , hat bald einen acuten,
bald chronischen Verlauf, und ist entweder nur vorübergehend oder bleibt
auf einer gewissen Stufe der Entwicklung stehen , oder hat völlige Ver-
trocknung, brandige Zersezung , mitunter auch gänzliches Schwinden zur
Folge. — Die nächsten Ursachen dieses Krankheitszustandes sind ver-
minderte Blutzufuhr und verstärkte Resorption. Eine der häufigsten Ver-
anlassungen zur Verminderung der Blutzufuhr gibt eine anhaltende Com-
pression , wodurch der Zutritt der Ernährungsflüssigkeit verhindert wird.
Ein solcher Druck kann durch fremde Körper geschehen, wie durch lange
und festanliegende Verbände, oder er geschieht durch Geschwülste oder
voluminös gewordene Organe , wodurch selbst die härtesten Theile , wie
Knochen , dicke Lagen von fibrösem Gewebe , nach und nach consumirt
werden, wasmanüsur nennt. Eine weitere sehr gewöhnliche Ursache von
Atrophie ist die Verengerung der zuführenden Gefässe eines Theiles oder die
Verarmung des Blutes an nährenden Bestandteilen. Ebenso ist die
mangelhafte , wie die übermässige Functionirung eines Theiles häufige
Ursache seines Atrophirens. Dies zeigt sich besonders auffallend an
Muskeln nach Lähmungen , welche dabei stets erbleichen und atrophisch
werden, ohne dass* die Ernährung ganz aufhört. Seltener erfolgt das
Atrophiren durch gehemmten Rückfluss des Blutes und in solchen Fällen
fast nur indirect durch eine anhaltende meist seröse Infiltration des Thei-
les, aber nur da, wo der Rückfluss nicht gänzlich aufgehoben ist, z.B.
bei Varicositäten der Venen ; bei raschen und vollkommenen Hemmungen
des Rückflusses treten schwerere Mortificationsprocesse ein. Auch folgt
zuweilen auf chronische Entzündungen wahrscheinlich wegen eintretender
Unthätigkeit der erweiterten Gefässfasern dauernde Verengung der Ca-
pillaren und damit veränderte Ernährung. — Das Drüsen-, Muskel- und
Nervengewebe und der Fettkörper sind vor Allem der Atrophie ausgesezt,
in hohem Grade auch die Knochen, etwas weniger auffallend die Schleim-
häute, die Cutis, das Bindegewebe, die fibrösen Membranen und Stränge.
— Behandlung. Die erste Aufgabe ist, wenn es möglich ist, die
86
AUSTROCKNENDE MITTEL.
fortwirkende Ursache zu beseitigen , daher Entfernung fest anliegender
Verbände, drückender Geschwülste u. dgl. Am meisten wirkt auf Voll-
kommenheit der örtlichen Ernährung eine den Umständen angemessene
mit Ruhe wechselnde Functionirung , eine den Blutlauf begünstigende
Lage oder Stellung des Theiles, ferner zur Bethätigung der Function ge-
lähmter Theile reizende Applicationen , Einreibungen mit Ungt. roris-
mar. composit., Ol. phosphorätum, Eisenbäder, Douche, trockene
Frictionen , Urtication , Fontanellen , Moxen , warme aromatische Bäder.
Sehr wirksam erweist sich auch die feuchte Wärme durch Anwendung er-
weichender Kataplasmen , Fomentationen , Eintauchen der Glieder in
warme thierische Flüssigkeiten, z. B. Ochsenblut, die Elektricität , der
Galvanismus ; daneben eine entsprechende, restaurirende und kräftigende
Pflege der Gesammtconstitution.
AllSCllltation, Auscultatio. Man bezeichnet damit die Be-
nüzung des Gehörs zur Erforschung der Krankheiten. Die Auscultation
ist entweder eine unmittelbare, welche mit unbewaffnetem Ohre , oder sie
ist eine mittelbare, welche mit dem von Laennec erfundenen Stetho-
skop vorgenommen wird. Das Stethoskop ist ein hölzerner Cylinder von
10 Zoll Länge, welcher in seiner Mitte durch einen 3 — 4 Linien im
Durchmesser haltenden Kanal durchbohrt ist ; am unteren Ende erweitert
es sich in einem Winkel von 2 5° kegelförmig; diese kegelförmige Oeff-
nung ist mit einem Cylinder von Holz , der in seiner Mitte ebenfalls
durchbohrt ist , zu verschliessen. — Das Stethoskop hat verschiedene
Aenderungen erfahren ; es gibt auch solche, mit welchen mehrere zugleich
stethoskopirt werden können. — Bei der Anwendung sezt man das Stetho-
skop , indem man es wie eine Schreibfeder zwischen dem Daumen und
dem Zeigefinger hält und mit Hülfe der drei übrigen Finger unterstüzt,
mit der untern Fläche auf den zu untersuchenden Korpertheil und legt
das Ohr «auf das obere Ende an. Das Instrument muss dabei so aufge-
sezt werden, dass weder am untern, noch am obern Ende das Einströmen
von Luft stattfinden kann > dass es dem Kranken keinen Schmerz verur-
sacht, dass man die Entstehung aller Nebengeräusche vermeidet und nicht
etwa durch eine gezwungene Stellung Ohrengeräusche erregt. — Bei der
unmittelbaren Auscultation wird das Ohr einfach auf die zu untersuchende
Stelle gelegt. — Man wendet die Auscultation hauptsächlich an : zur
Erkenntniss der Knochenbrüche , der Blasensteine, Gallensteine, Tympa-
nitis, Gelenkkrankheiten ; ausserdem dient sie zur genaueren Erkenntniss
innerer Pulsadergeschwülste , sowie zur Erforschung der verschiedenen
Geräusche, welche der Uterus in der Schwangerschaft darbietet.
Austrocknende Mittel, auch die Vernarbung beför-
dernde Mittel, Exsiccantia, Cicatrisantia. Hierunter ver-
steht man solche Mittel , welche die Eigenschaft haben , die Theile, auf
die man sie applicirt , auszutrocknen. Von diesen Mitteln wirken die
AUSTROCKNENDE MITTEL. 87
einen wie Absorbentia , so dass sie mit Begierde auf der ulcerirten
oder excoriirten Oberfläche den ausfliessenden Eiter einsaugen ; die an-
dern streben das Gefässgewebe der eiternden Wunden und Geschwüre zu
verengen , die Vitalität zu erheben und damit die abnorme Absonderung
zu verbessern und zur normalen zurückzuführen. Die einfach einsaugen-
den Mittel sind ohne eigentliche arzneiliche Wirkung, sie saugen nur die
wässerigen Theile der abgesonderten Feuchtigkeit ein und begünstigen
dadurch bei bloss seröser Absonderung der Haut die Erhärtung der ober-
sten Schichte des Schleimnezes zur neuen Epidermis , bei eiteriger Ab-
sonderung die Verdichtung des Eiters zu einer Borke , unter welcher eine
neue Epidermis oder eine Narbenhaut entsteht. Die hauptsächlichsten
hierher gehörigen Mittel sind : der Badeschwamm , der Feuerschwamm,
die Charpie , Baumwolle , verschiedene mehlige Pulver , wie arabisches
Gummi , Stärkmehl , Getreidemehl , der Bärlappsamen (Semen lyco-
podii), welcher besonders als Streupulver gegen das Wundsein der Kin-
der dient ; das Holzkohlenpulver , welches hauptsächlich zum Einstreuen
in übelriechende , viel wässerige Jauche absondernde Geschwüre benüzt
wird , die weisse Kreide etc. Der zweiten Gattung von Mitteln kommt
eine zusammenziehende Wirkung zu, durch welche, indem sie eine Con-
striction der Granulationen bewirken , die Absonderung vermindert und
eine Gerinnung des in der abgesonderten Flüssigkeit (Serum und Eiter)
enthaltenen Eiweisses und damit die Bildung einer Borke begünstigt
wird , unter welcher die Narbenhaut oder neue Oberhaut gebildet wird.
Die gebräuchlichsten Mittel dieser Gattung sind: die rein zusammen-
ziehenden Mittel (s. diesen Art.); ferner die adstringirenden
austrocknenden Mittel , d. h. solche , welche neben der zusammen-
ziehenden Wirkung noch die Eigenschaft haben , die abgesonderte Flüs-
sigkeit entweder einfach aufzusaugen oder sich chemisch mit ihr zu ver-
binden ; endlich die durch Vitalitätsumstimmung austrock-
nend wirkenden Mittel. Unter die adstringirenden austrocknenden
Mittel gehören : der Graphit , die Bolarerden , das Kalkwasser, die Zink-
kalke und Salze , unter diesen hauptsächlich die Zinkblumen, der weisse
Vitriol ; die Bleikalke und Salze , unter diesen namentlich das essigsaure
Bleioxyd (Plumbum aceticum), der Bleiessig, das Bleiextract (Ace-
tum saturnin um, Extractum saturni), der Bleizucker, das
Bleiweiss, das Gerbstoffblei (Plumbum tannicum), das Jodblei; das
Wismuthoxyd etc. — Zu den austrocknenden Mitteln , welche zugleich
auf die Vitalität wirken , rechnet man : die Verbindungen des Chlors mit
Kalk, Soda und Kali, wie der Chlorkalk, das Chlornatron etc. ; den Sal-
miak, Borax, Jod und Jodkali, die Seifen, die verdünnten Mineralsäuren,
die Schwefelblumen, Schwefellebern, die Spiessglanz- und Quecksilber-
präparate , den Höllenstein ; verschiedene natürliche Harze und Balsame,
unter ihnen den Peru - , Copaivabalsam , die Myrrhe ; das Kreosot und
kreosothaltige Mittel, wie den Theer, Russ etc. ; ferner aromatische, ad-
88 BA$DEK.
stringirende etc. Pflanzen , wie Wachholderbeeren, Alantwurzel etc. ; das
Freisamkraut, Tabakskraut, Erdschierling, den Pfeffer, Sabadillsamen etc.
B.
B AEDEH, B a 1 n e a. Unter Bad verstellt man das eine kürzere
oder längere Zeit dauernde Eintauchen des Körpers oder eines Theiles
desselben in tropfbar flüssiges oder dampfförmiges Wasser; im weiteren
Sinne verstehen wir darunter anch noch andere Arten der Anwendung von
Flüssigkeiten auf den Körper oder einzelne Theile desselben. Man kann
daher die Bader eintheilen in l) Wasserbäder; 2) Bäder, wobei die Flüs-
sigkeit auf eine andere Art als durch einfaches Eintauchen an den Körper
applicirt wird ; 3) Dampfbäder.
I. Die Wasserbäder sind entweder allgemeine, wobei der
Körper bis an den Hals oder die Schultern , oder örtliche, theilweise,
wobei nur ein Theil des Körpers eingetaucht wird. Beide Arten von
Bädern können einfach sein, d. h. bloss aus Quell-, Fluss- oderRegen-
wasser bestehen , oder einen Zusaz von Arznei - oder Nahrungs Stoffen
haben, medicinische und ernährende Bäder. — A. Die ein-
fachen allgemeinen Wasserbäder werden entweder kalt , tem-
perirt oder warm , die zusammengesezten hingegen fast immer warm ge-
nommen. — Die kalten Bäder sind entweder sehr kalt, d. h. unter
-\- 10° R., kalt, d. h. von -|- 10 — 15° R., oder kühl, von + 15 — 2 0°
R. Es ist gut , wenn man sich vor dem kalten Bade etwas Bewegung
macht , doch darf sie nicht bis zur Hervorbringung von Schweiss gehen.
Man muss sich den Kopf nass machen , um Congestionen nach dem Ge-
hirn zu vermeiden. Die Dauer des kalten Bades muss sich nach der
Wirkung richten , die man davon erhält ; beim Eintreten des Schauers
räth man, das Bad zu verlassen. Man muss sich nach dem Bade schnell
abtrocknen und sodann eine leichte Bewegung machen. Während der
Verdauung ist das Baden zu vermeiden. Die unmittelbare Wirkung
eines sehr kalten Bades ist ein starker Schauer , welchem alsbald in
Folge des schnellen Zurückdrängens des Blutes aus den Capillaren nach
dem Centrum beschwerliche Respiration , Kopfschmerz, Druck unter dem
Brustbein, zuweilen Ekel und Erbrechen folgt. Nach dem Bade , das in
der Regel nur wenige Minuten dauern darf, entsteht ein stärkerer An-
drang des Blutes nach den peripherischen Theilen , die deprimirende
Nachwirkung ist aber dessenungeachtet eine so nachhaltige, dass die An-
wendung solcher Bäder eine grosse Einschränkung erleiden muss. Nur
bei wenig reizbaren Subjecten mit schlaffer und weicher Faser und deren
Constitution sich durch Trägheit aller Verrichtungen charakterisirt, könn-
BAEDEK. 89
ten sie mit Vortheil als tonisirendes Mittel in Gebrauch gezogen werden,
besonders wenn sie durch Gewohnheit von der Heftigkeit ihrer Wirkun-
gen verloren haben. — Das kalte Bad bringt ähnliche Erscheinungen,
wie die eben beschriebenen, hervor, nur sind sie nicht so intensiv. Nach
dem Bade fühlt man sich frisch, leicht und wohl, und einige Stunden
darauf folgt eine starke Aufregung. Es wirkt stärkend , wenn die
Schwäche vorzugsweise in Atonie besteht , indem es den Tonus aller Or-
gane steigert, die Gewebe fester macht, die durch Transpiration bewirkten
Verluste vermindert, die Thätigkeit des Verdauungssystemes erhöht und
folglich den Wiederersaz erleichtert. Es vermindert zugleich die Reiz-
barkeit der Nerven und die Empfänglichkeit der Haut für rheumatische
Störungen und ist somit ein wichtiges Abhärtungsmittel. Es findet da-
her Anwendung : bei grosser Reizbarkeit und Empfänglichkeit, mit Atonie
verbunden, somit bei Neigung zu rheumatischen Störungen der Haut, bei
chronischer Nervenschwäche, Anlage zu Krämpfen, bei Hypochondrie und
Hysterie; bei habitueller Atonie und Schlaffheit, z. B. bei entkräftenden
Schweissen aus Atonie der Haut, bei chronischen Schleimflüssen, bei Vorfällen
des Mastdarmes, der Scheide, der Gebärmutter, bei Atonie der Geschlechts-
theile aus Missbrauch derselben ; bei Scheintod durch Erfrieren ; als Vorbau-
ungsmittel und zur Vollendung der Kur bei Unregelmässigkeiten des Kreislau-
fes, Neigung zu Congestionen, freiwilligen Blutungen etc. — Im Kindes- und
Greisenalter, bei Congestionen nach innen u. dgl. ist es zu vermeiden. —
Man gebraucht es gewöhnlich als Wannenbad. — Das k ü h le Bad , wel-
ches die Temperatur des Flusswassers zur Sommerszeit hat , wird haupt-
sächlich als Flussbad gebraucht, wobei noch der Wellenschlag und die
Bewegung des Körpers in Betracht kommen. In der Wirkung nähert es
sich dem kalten Bade. Man gebraucht es hauptsächlich bei Schwäche der
Metamorphose, namentlich bei Cachexien, wie Scropheln, Rhachitis, Chlo-
rosis, doch mehr zur Nachkur, bei beschwerlicher und schmerzhafter Men-
struation und Neigung zu Abortus aus örtlicher Schwäche. — Hierher
gehört auch das Meer b ad, welches gewöhnlich auch zu -f- 15 — 20 °R.
genommen wird, in seinen Wirkungen mit dem Flussbade übereinkommt,
welche aber durch den Salzgehalt, stärkeren Wellenschlag, grössere Dich-
tigkeit und folglich grösseren Druck auf den Körper , vermehrt werden,
daher es in denselben Fällen empfohlen wird. — Die temper irten
Bäder, von -j— 2 0 — 2 5 ° R., wirken weder tonisirend , noch schwächend,
und werden meist nur zur Reinigung der Haut benuzt. — Die warmen
Bäder sind entweder warm, von -|- 2 5 — 30 ° R. , oder sehr warm, über
+ 30 ° R. Ueber -f- 36 °R. soll aber nie gebadet werden. Das warme
Bad wirkt wesentlich erschlaffend und beruhigend, indem es alle periphe-
rische Thätigkeit erhöht , das sympathische System folglich frei macht
und zugleich die Gefühlsnerven durch seinen sanften , überall gleichen
Eindruck ermüdet. Es ist daher eins der besten und kräftigsten anti-
phlogistischen und krampfstillenden Mittel; es vermindert den Durst und
90 BAEDKR.
bewirkt die Absonderung eines klaren, reichliehen Urins. Man gebraucht
es bei den meisten acuten Entzündungen und bei Rheumatismen, bei ein-
geklemmten Brüchen , hartnäckigen veralteten Luxationen , beim Wund-
starrkrampf, bei mehreren chronischen Hautausschlägen , bei Scheintod
durch Ertrinken , Ersticken u. dgl. , bei Neurosen mit übermässiger Reiz-
barkeit, Krampf koliken etc. — Das sehr war m e Bad bewirkt sehr
grosse Ausdehnung des Blutes, erregt daher leicht zu heftige Wallungen,
Congestionen nach dem Kopf und der Brust , weshalb man kalte Begies-
sungen oder Fomentationen auf den Kopf machen muss. Man gebraucht
es bei veralteten Rheumatismen, Contracturen und Lähmungen und unter-
stüzt seine Wirkung durch Massiren und Reiben. Die Dauer der warmen
Bäder ist y4 — 1 Stunde. Nach dem lauwarmen Bade muss man sich vor
Erkältung hüten. — Die örtlichen einfachen Bäder dienen meist
nur zur Erfüllung einer besonderen Heilanzeige. Ihre Wirkungen sind,
wie die der allgemeiuen , nach dem Wärmegrad verschieden ; indem sie
gemäss dessen die Säfte von einem Theile mehr zurückdrängen oder dahin
locken , wirken sie als R e p e 1 1 e n t i a oder als R e v u 1 s i v a. 1 ) Das
Halbbad, Semiluvium, und das Sizbad, Insessus. Unter er-
sterem versteht man ein Bad , in welchem der untere Theil des Körpers
bis zum Nabel, unter lezterem ein solches, wobei blos das Becken bis zum
Nabel und die oberen Theile der Oberschenkel eingetaucht sind. Warm
(— 1- 2 5 — 3 0 °) erweitern sie die Capillargefässe der unteren Extremitäten
und der Beckenorgane, bewirken dadurch einen Zufluss der Flüssigkeiten
nach diesen Theilen auf Kosten der oberen Theile ; kalt (unter -j- 2 0 °)
haben sie die entgegengesezte Wirkung. Man gebraucht sie , als allge-
mein erschlaffendes, beruhigendes Mittel, wenn Krankheiten des Herzens,
der grossen Gefässe und der Lungen den Gebrauch' ganzer Bäder verbie-
ten ; zur Beförderung des Menstrual- und Hämorrhoidalblutflusses ; als
beruhigendes Mittel bei entzündlichen Schmerzen und Krämpfen der Un-
terleibs- und Beckenorgane. Atonische Zustände dieser Organe verbieten
sie ; bei diesen , wie z. B. Erschlaffung des Mastdarmes und der Mutter-
scheide, bei passiven Blutflüssen aus diesen Theilen oder krankhaften Ver-
änderungen ihres Gewebes wendet man sie mit' Nuzen kühl oder kalt an.
2 ) Das Handbad, Maniluvium, ist ein Bad, bei welchem die Hand
allein oder bis zum Ellbogengelenk eingetaucht wird. Kalt wie warm be-
wirken sie eine reichliche örtliche Transpiration. Sie bewirken eine Ab-
leitung vom Kopfe und der Brust , weshalb sie sich , namentlich die war-
men, bei Congestionen nach den Kopf- und Brustorganen , beim Blut-
husten, Croup, Lungenkatarrh etc. nüzlich erweisen. 3) Das Fussbad,
Pediluvium, ist ein solches, wobei dieFüsse und meist auch noch der
untere Theil des Unterschenkels eingetaucht sind. Man wendet sie kalt,
warm und sehr warm an, und von ihnen gilt, was von den Handbädern
gesagt wurde. Sie wirken auf eine grössere Fläche des Körpers ableitend
als diese , namentlich auch auf die unteren Theile , weshalb sie besonders
BAEDER. 91
bei solchen Leiden der Kopf- und Brustorgane Anwendung finden, welche
durch gestörte Verrichtungen der Unterleibsorgane begründet sind.
4) Das Augenbad, Balneum oculare, wird ganz gut durch Fo-
mentationen ersezt. — B.Zusammengesezte oder medicinische
Bäder, Balnea coinposita s. niedicinalia. Bei diesen , welche
allgemeine oder örtliche sein können , ist das Wasser mit Arzneistoffen
geschwängert. Ihre Temperatur ist gewöhnlich-}- 2 5 — 3 0 °R., zuweilen
kälter , selten wärmer. — 1) Alkalinische Bäder. Sie lockern die
Haut auf und machen diese wie die inneren Theile geschmeidig, stimmen
krankhafte Ab - und Aussonderungen der äussern Haut , wie auch der
Schleimhäute und Drüsen günstig um und äussern auf das Nervensystem
eine besondere beruhigende Wirkung, a) Bäder mit Aezkali wen-
det man an , wenn man eine schnelle , durchdringende Wirkung auf das
Nervensystem beabsichtigt , wie beim Tetanus , bei Convulsionen der Ge-
bärenden und Neugeborenen, bei der Epilepsie und bei Lähmungen ; man
gebraucht sie ferner -bei metastatischen, schnelle Gefahr drohenden Affec-
tionen wichtiger innerer Organe von Unterdrückung normaler oder ab-
normer Hautabsonderungen , bei bösartigen Hautausschlägen, wie Friesel,
und bei grosser Spannung einzelner Theile, wie bei Verkürzung der Flech-
sen , der Gelenksteingkeit. Zu einem solchen Bade nimmt man je nach
Umständen ^ß — j trockenes Aezkali oder so viel Pfunde äzende Seifen-
siederlauge. — Als örtliche Bäder bei Podagra, atonischen callösen Fuss-
geschwüren , Arthrocace , Metastasen von unterdrückten Fussschweissen.
Hiezu nimmt man 5j — ij trockenes Aezkali auf die Maas Wasser.
b) Bäder mit milden oder kohlen^ au ren Alkalien. Sie
wirken langsamer und milder als die vorigen und werden als allgemeine
Bäder bei chronischen, gichtischen und rheumatischen Beschwerden, chro-
nischen Hautausschlägen , bei habituellen Schleimflüssen , Hautscropheln,
Verhärtungen der Lymphdrüsen und des Zellgewebes u. dgl. angewendet.
Man bereitet sie entweder aus Holzaschenlauge von massiger Stärke, oder
durch Zusaz von riij — xij Pottasche oder Soda auf ein Bad, welchen man
zuweilen etwas Schleim zusezt. — Als örtliche Bäder gehraucht man sie
theils als geschmeidigende, zertheilende, umstimmende Mittel bei rheuma-
tischen, gichtischen Schmerzen der Extremitäten, bei Knochenhautentzün-
dungen von äusseren Ursachen , bei allen Entzündungen fibröser Organe
mit bedeutender Spannung , bei fistulösen Vereiterungen des Hand- und
Fussgelenkes, Drüsengeschwülsten, Contracturen u. dgl., theils als ablei-
tende Gegenreize (Hand- und Fu'ssbäder). Die Bereitung geschieht wie
oben ; von der Pottasche oder der Soda nimmt man 5ij — 5$ auf 4 Pfd.
Wasser. c) Die S ei f enb äd er sind die mildesten Bäder dieser Art
und eignen sich besonders dann, wenn die vorigen wegen zu zarter Haut
und reizbaren Körperbaues nicht anwendbar sind. Man nimmt 1 — 2 Pfd.
Hausseife auf ein Bad. — 2) Säurenbäder, Balnea acida. Diese
wirken reizend , die Thätigkeit der Haut , Nieren, Leber und des Drüsen-
92 BAEÜER.
Systems überhaupt vermehrend, dadurch auflösend auf* das Pfortadersystem
und die Blutcirculation, sowie die Vegetationsprocesse der genannten Ge-
bilde überhaupt regelnd, wahrend sie zugleich die Expansion beschränken.
Sie zeigen sich daher besonders wirksam bei den Folgekrankheiten von
Stockungen im Pfordadersystem und Leberleiden , Gelbsucht , Hypochon-
drie u. dgl. , bei chronischen rheumatischen und gichtischen Hebeln aller
Art , scrophulösen Leiden etc. Man bringt dazu das Chlorwasser , die
Salzsäure und die Salpetersäure , am besten ein Gemisch dieser beiden
Säuren zu gleichen Theilen (das sogenannte Königswasser) theils in gan-
zen oder Halbbädern zu ^vj — x auf ein Bad, zu Fussbädern ^ij — iij auf
ein Bad. Die Temperatur sei — (— 2 8 — 3 0 °R., die Dauer »/2 — 1 Stunde.
— 3) Jodbäder. Diese wirken reizend , die Thätigkeit der Haut, des
Lymph- und Drüsensystems vermehrend, und werden daher gegen scro-
phulöse Leiden aller Art empfohlen. Man gebraucht sie als allgemeine
Bäder und nimmt auf ein Bad 5ij — iij Jod und ^ß — j Jodkali , welche
vorher in ^vj — viij Wasser gelöst werden ; für Kinder weniger. Tempe-
ratur -\- 2 5 — 28° R. , Dauer 1/2 — 3/4 Stunden. — 4) Salzbäder.
Sie sind höchst kräftige, auflösende, die Säftemischung verbessernde, die
Ausscheidung regelwidrig gebildeter Stoffe beschleunigende, den Ab- und
Aussonderungsprocess befördernde Mittel und werden bei chronischen
Hautausschlägen und Schleimflüssen, Stockungsablagerungen, Wassersuch-
ten , chronischen Nervenkrankheiten etc. angewendet. Unter diesen Bä-
dern ist besonders das Seebad, Balneum marinum, zu nennen, bei
welchem ausser dem Salzgehalt noch der Wellenschlag, welcher den Kör-
per wohlthätig erschüttert, und die Bewegung des Badenden selbst in An-
schlag gebracht werden müssen. Sie werden gewöhnlich frisch , d. h.
von -|- 15 — 20° R. genommen. Dauer 5 — 10 Minuten, täglich 1 — 2
Mal. Nach diesen kommen die S o o lenb äder, d.h. in den natürlichen,
meist etwas jod- und bromhaltigen Kochsalzquellen, welche in -j- 18 — 2 5
Temperaturgraden und in 1 0 0 Theilen Wasser zu 6 — 18 Theilen Salz
genommen werden. Dauer 2 0 — 4 0 Minuten. Diese kann man durch
künstliche Salzbäder ersezen, wozu 6 — 3 0 Pfd. Steinsalz auf ein Bad ge-
nommen werden. Ein solches Bad kann 6 — 8 Mal benuzt werden , nur
muss man jedes Mal 1 — 2 Pfd. Salz zusezen. — Salzfussbäder als ablei-
tende Mittel. — 5) Sublimatbäder bewirken eine regere Gefäss-
thätigkeit in der Haut und befördern kräftig den Resorptionsprocess. Man
empfiehlt sie besonders bei syphilitischen Hautausschlägen, sowie bei hart-
näckigen chronischen rheumatischen und gichtischen Leiden und bei Ar-
throcace. Auf der Haut darf keine wunde Stelle sein. Man rechnet
gr. ij — jv Sublimat auf die Maas Badwasser oder etwa 5ij — 5J Sublimat
auf ein Bad. Gewöhnlich fängt man mit 5ij (beim Erwachsenen) an und
steigt auf ^j. Die Bäder müssen in Steingutgefässen genommen werden.
Zu Fussbädern (bei örtlichen chronischen arthritischen Leiden, Geschwü-
sen, Bubonen) nimmt man gr. viij — 5j auf ein Bad. — 6) Schwefel-
BAEDER. 93
b ä d e r. Die schwefelwasserstofFhaltigen Mineralwasser , als allgemeine
Bäder gebraucht, beschleunigen die Ausdünstung und Absonderung der Haut,
verändern die Absorption derselben, lösen Stockungen im Pfordader- und
lymphatischen System , vermindern abnorme Absonderungen der Schleim-
haut der Verdauungsorgane , steigern die Thätigkeit des Nervensystems,
beschleunigen die Thätigkeit des Herzens etc. , eignen sich daher bei
Stockungen in den Venen und Lymphgefässen , bei Krankheiten der
Schleimhäute in Folge unterdrückter Hautthätigkeit, z.B. bei chronischen
Hautausschlägen syphilitischer , psorischer und herpetischer Natur , bei
Folgekrankheiten der Gicht, des Rheumatismus etc. — Künstliche Schwe-
felbäder bereitet man aus ^ij — vj Kalk - oder Kalischwefelleber und
5ij — 51J verdünnter Schwefelsäure auf einBad. Temperatur -f- 2 6 — 3 0°R.;
Dauer 1/2 — 1 Stunde. — 7) Stahl- oder Eisenbäder. Sie besei-
tigen die Schlaffheit und Atonie des Hautorganes , erhöhen die Irritabili-
tät der Muskelfaser, beschleunigen und kräftigen die Circulation des Blu-
tes und der Lymphe, verbessern die Qualität der Säftemasse, stimmen die
Nerventhätigkeit belebend und stärkend um und hemmen die Absonde-
rungen. Sie passen daher bei allgemeiner Körperschwäche nach starken
Blutverlusten, Vereiterungen, Rhachitis, chronischen Schleimflüssen, Neu-
ralgien , Lähmungen etc. Die künstlichen Stahlbäder bereitet man aus
^j — iij Globul. martial. oder Löschwasser oder ^ß — iij Eisenvitriol
oder ^j — ij Liquor ferri muriatici. Jodeisenbäder (^ß Jod-
eisen auf das Bad) werden gegen Scropheln , Bleichsucht , Menstruations-
mangel etc. empfohlen. — 8) Alaunbäder. Als allgemeine, wie auch als
Localbäder gegen krebshafte Affectionen , namentlich der Gebärmutter
empfohlen. Man nimmt ^iij — v rohen Alaun auf einBad. — 9)Chlor-
kalkbader (^vj — xij auf ein Bad) gegen chronischen Blasenausschlag.
— 10) Aromatische und stärkende Bäder wendet man nach
schweren Verwundungen, Fracturen , Blut- und Schleimflüssen, Vereite-
rungen , Lähmungen , Scropheln , Rhachitis , Phthisen u. dgl. an und ver-
wendet dazu Pfeffer- und Krausemünze-, Melissen-, Quendel-, Majoran-,
Thymian- , Lavendel- , Chamillenblumen , Fenchelsamen . Calmuswurzel,
Weiden- , Ulmen- , Eichen- , Kastanienrinde u. dgl. , welche man in Auf-
güssen oder Abkochungen dem Bade zusezt. Nach Umständen fügt man
auch Wein , Weingeist , Kamphergeist bei. Man gebraucht sie als allge-
meine und Localbäder. — 1 1) Malzbäder. Sie wirken auflösend und
die Absonderungen gelind antreibend. Man gebraucht sie daher bei den
Drüsenverhärtungen im Unterleibe der Kinder, bei Scropheln und Rhachi-
tis , bei lymphatischen Abscessen , Steifigkeit und Schwäche der Gelenke,
Arthrocacen, Flechten und Kräze. Man bereitet sie aus einer Abkochung
von 4 — 10 Pfd. geschrotenen Malzes auf ein Bad. Dasselbe Mittel be-
nüzt man zu trockenen örtlichen Bädern bei chronischen Rheumatismen,
rheumatischen Lähmungen, und um gewohnte unterdrückte Fussschweisse
wieder hervorzurufen. — 12) Torfbäder. Der Torf, Turfe s.
94 BAEDER.
Cespes utilis, welcher Essig- und Phosphorsäure und brenzlichtes Oel
enthält, wird zu Bädern (4 — 10 Pfd. auf ein Bad) gegen Lähmungen
empfohlen. — 13) Russbäder wurden als Präservativmittel gegen
Scharlachfieber empfohlen. — 14) Schleimige, erweichende,
demulcirende Bäder. Sie wirken abspannend und besänftigend.
Man wendet sie bei Entzündungen, namentlich fibröser Theile, bei Gelenk-
steifigkeit, Muskelcontracturen nach äussern Verlezungen und bei chroni-
schen Hautausschlägen an. Man bereitet sie aus Abkochungen von schlei-
migen , mehligen Vegetabilien , wie Herb, malvae, althaea, sym-
phyti, Semen lini, Kleien, Heublumen (3 — 6 Pfd. auf ein
ganzes Bad), aus einer Auflösung von Tischlerleim (*/2 — 1 Pfd.) und aus
Milch. Eine wichtige Stelle unter dieser Art von Bädern nehmen diethie-
rischen Bäder, Balnea animalia, ein. Der leidende Theil wird
in das noch ganz warme (geschlagene) Blut so eben geschlachteter Thiere
oder in frisch gemolkene , noch warme Milch eingetaucht. Besonders
haben sich die sogenannten Blutbäder als eines der kräftigsten Mittel
gegen Gelenksteifigkeit gezeigt. Einen schwachen Ersaz für diese geben
das Brüh- und Kuttelwasser. — 15) Narkotische Bäder.
Sie finden selten Anwendung. Man bereitet sie mit Blausäure (5ij — 5J
auf ein ganzes Bad) bei chronischen Entzündungen des Rückenmarkes,
Neuralgien; aus Aufgüssen von Schierlingskraut (^vj — viij) , bei Krebs-
übeln, namentlich der Gebärmutter; als örtliches Bad (^ij — iij) zur Be-
förderung lymphatischer Ausschwizungen ; von Tabak (^vj — viij auf ein
ganzes Bad) bei Brucheinklemmungen und krampfhafter Harnverhaltung.
— 16) Ameise nbä der. Sie werden bei lähmungsartigen Zuständen
angewendet. Zu einem ganzen Bade werden 3 — 6 Maas lebendige zer-
quetschte Ameisen in einen leinenen Sack gethan , dieser in einem Topfe
mit siedendem Wasser angebrüht , worauf man diesen Aufguss und den
Sack mit in das Bad thut und diesen hier noch mehrmals ausdrückt. —
Zu örtlichen Bädern nimmt man 1 — 3 Maas Ameisen. — C. Ernäh-
rende Bäder, B. nutritia. Bei diesen ist das Wasser mit Nah-
rungsstoffen geschwängert. Man wendet sie an , wo das Beibringen von
NahrungsstofFen auf dem gewöhnlichen Wege nicht möglich ist ; sie leisten
indessen nicht viel. Man bereitet sie aus Milch, Fleischbrühe oder Leim-
auflösung.
IL Bäder, bei welchen kein Eintauchen. des Körpers
stattfindet. — 1) Das Sprizbad und die Douche, Adsper-
sio et Ducia. Hierunter versteht man den fortwährenden Strom einer
Flüssigkeitssäule von 2 — 12 Linien Durchmesser , welcher auf irgend
einen Theil des Körpers gerichtet wird. Bei ersterem ist die Flüssigkeits-
säule stärker als bei lezterem. Nach der Richtung des Stromes unter-
scheidet man eine ab- , aufsteigende und seitliche Douche. Sie werden
entweder mittels einer grossen Sprize oder durch eigene Vorrichtungen,
während der Kranke in der Badewanne sizt , applicirt. Diese ist leer bei
BAEDER.
95
warmer Douche , und mit warmem Wasser gefüllt bei kalter Douche. Sie
können kalt oder warm, einfach oder mit Arzneistoffen (meist salziger
oder schwefeliger Natur) geschwängert , angewendet werden. Der Theil,
welcher von dem Strahle getroffen wird , wird roth ; es sind mithin kräf-
tige Reizmittel, welche bei Geisteskrankheiten, nervösem Schwindel, Kopf-
weh und Taubheit, sowie bei Lähmungen, Varicositäten und Angiectasien
kalt, bei Gelenkanschwellungen, Muskelcontracturen , Steifigkeit der Ge-
lenke , chronischen Rheumatismen , Gichtschmerzen , Scirrhen der Gebär-
mutter warm Anwendung finden. Dampfdouchen, s. unten. —
2) Das Sturz- oder Plongirbad, Effusio s. Imb r i f i c ati o.
Bei diesen fällt eine grosse Masse Wasser aus einer Rinne oder sonstigen
Vorrichtung auf den Körper oder einen einzelnen Theil desselben herab.
Seiner mächtigen Einwirkung wegen findet es in der Regel nur bei sehr
hartnäckigen Uebeln wie Geisteskrankheiten, Wasserscheu, Veitstanz,
Starrkrampf, Hypochondrie, Hysterie etc. Anwendung. — 2) DasRe-
genbad, Traufbad, Impluvium forte. Hier fällt das Wasser
(gewöhnlich in der Temperatur von -\- 18 — 2 4° R.) durch eine sieb-
artige Vorrichtung (Brause) wie ein Regen auf den Körper herab. Man
empfiehlt sie bei hartnäckigen Neurosen , als Veitstanz , Hypochondrie,
Neuralgien, kalten Gelenksgeschwülsten, Gelenkssteifigkeit etc. — Ueber
die kalten Begiess"ungen s. den Artikel zusammenziehende Mittel. —
4) Das Staubregenbad, Wasserstaubbad, Impluvium
t e n u e , wird nur als Mittel , die Gesundheit zu erhalten , indem die
Haut durch dasselbe abgehärtet wird , benüzt. Man benüzt dazu eine
eigene Vorrichtung (Staubregenkasten). — 5) Das Tropfbad, Stil-
licidium s. Embrocatio. Bei diesem fällt das Wasser in einzel-
nen Tropfen von grösserer oder geringerer Höhe auf einzelne Theile des
Körpers herab. Man wendet es als zertheilendes Mittel warm (-j— 4 0
— 45 ° R.) bei fixen atonischen Rheumatismen, Lähmungen und Con-
tracturen, kalt bei Geisteskrankheiten, kalten Gelenksgeschwülsten, hart-
näckigen Drüsengeschwülsten u. dgl. an.
ni. Dampfbäder, Balnea vaporaria. A. Wasser-
dampfbäder. Bei diesen wird das Wasser in Dunstgestalt an den
Körper gebracht ; man benüzt sie als allgemeine und Localbäder , ein-,
fach oder mit Arzneistoffen geschwängert. Sie kommen in ihren wesent-
lichen Eigenschaften mit den warmen Wasserbädern überein , haben aber
den grossen Vorzug , dass man sie in höheren Wärmegraden (von — J— 3 0
— 40° R.) und anhaltender anwenden kann, weil ihre Hize durch die
beständige Verdunstung des aus den Dämpfen auf der Oberfläche des
Körpers niedergeschlagenen Wassers gemildert und unschädlich gemacht
wird. Sie üben daher auf die äussere Haut eine ganz eigenthümliche
Wirkung aus ; sie erschlaffen diese , rufen Schweiss hervor , beschleuni-
gen den Kreislauf und die Respiration , alle Verrichtungen gehen leichter
und regelmässiger vor sich und es entsteht eine Neigung zum Schlafe ;
9ß IiAEDER.
sie erregen aber nicht die Spannung der Hautoberfläche, wie die trockene
Wärme. Sie passen daher , wo dies vermieden werden muss und die
warmen Wasserbader wegen ihrer nässenden Eigenschaften nicht gut er-
tragen werden. — Allgemeine einfache Wasserdampf-
b ä d e r. 1 ) Das sogenannte russische Dampfbad, Balneum
vaporarium russicum, wird in besonders dazu eingerichteten
Badestuben genommen , in welchen der Dampf entweder durch Auf-
giessen des Wassers auf heisse Steine entwickelt, oder durch Röhren aus
einem Kessel dahin geleitet wird, und in welchen Stufen angebracht sind,
damit der Badende sich höher oder tiefer sezen oder legen und so nach
Bedürfniss sich höheren oder geringeren Wärmegraden aussezen kann.
Man verbindet meistens das Reiben des Körpers mit Tüchern oder das
Peitschen mit Ruthen und das nachherige Abkühlen mittels Uebergiessen
des Körpers mit kühlem Wasser damit, wodurch die natürliche Spannung
der Haut , welche diese durch das Dampfbad zum Theil verlor , wieder
hergestellt wird. — 2) Das Dampfbad mit Freilassung des
Kopfes. Bei diesem wird reine nicht erwärmte Luft eingeathmet,
weswegen die Respiration und der Kreislauf nicht so sehr wie bei dem
vorigen beschleunigt werden und daher auch die Congestionen gegen den
Kopf geringer sind. Man lässt sie in einem Räucherungskasten oder
einer gut verschlossenen Badwanne nehmen , in welche der Dampf gelei-
tet oder entwickelt wird. — Man lobt die Dampfbäder bei chronischen,
rheumatischen und gichtischen Uebeln, besonders alten arthritischen Läh-
mungen und Contracturen, bei Hautscropheln, Flechten, veralteter Syphi-
lis , Mercurialcachexie , veralteten katarrhalischen Krankheiten , chroni-
schen Nervenkrankheiten , die von gestörter Hautfunction oder von Meta-
stasen herrühren etc. — Plethora und Neigung zu Congestionen nach
innern Organen contraindiciren sie. — Die örtlichen Wasser-
dampfbäder wirken in ähnlicher Weise auf eine beschränkte Stelle
des Körpers, wie die allgemeinen auf den ganzen Körper. An die äussere
Körperoberfläche leitet man den Dampf, indem man den Theil gut um-
hüllt und Gefässe mit heissem Wasser , heisse gekochte Kartoffeln unter-
stellt oder die Dämpfe durch Röhren an den Körpertheil leitet. Sollen
die Dämpfe in einzelne Oeffnungen des Körpers , wie in die Ohren , die
Nase, Scheide, den After geleitet werden, so bedeckt man ein mit
heissem Wasser gefülltes Gefäss mit einem Trichter, durch welchen der
Dampf in die Oeffnung geleitet wird , oder man bedient sich besonderer
Dampfmaschinen, wie die von Symond, Ramadge, Dzondi etc. — Oefters
sezt man dem siedenden Wasser erweichende , aromatische , krampfstil-
lende etc. Arzneistoffe bei. — Man gebraucht sie hauptsächlich bei Ent-
zündungen mit viel Spannung und Schmerz, so bei Rothlauf, bei Augen-,
Mund-, Rachen-, Nasen-, Ohren-, Scheiden-, Afterentzündungen und Ge-
schwüren , bei örtlichen rheumatischen Affectionen , Krämpfen , z. B. der
Blase und des Mastdarmes , bei kalten Gelenksgeschwülsten , Contractu-
BAEDER. 97
ren, verhärteten Drüsen, Milchknoten, bei mangelnder oder unterdrückter
Menstruation, bei Krampfwehen und Rigidität der Genitalien in der
Niederkunft etc. — B. Medicinische Dunst- und ßauch-
bäder. Man versteht hierunter die Anwendung des Dunstes oder
Rauches , in welchen sich Arzneistoffe ganz oder theilweise verwandeln
lassen , auf die äussere , seltener die innere Körperoberfläche. Man be-
nüzt dazu die Apparate für die Wasserdampfbäder mit Freilassung des
Kopfes , und lässt entweder den Dunst oder Rauch durch Verdunsten
oder Verbrennen der Arzneistoffe innerhalb des Apparates selbst ent-
wickeln oder leitet ihn durch Röhren in den Apparat. Die hiezu ver-
wendeten Substanzen sind hauptsächlich folgende: l) Schwefel,
gegen Kräze , veraltete Hautausschläge , eingewurzelte rheumatische Lei-
den, Krankheiten des Lymph- und Drüsensystemes ; 2) Schwefel und
Chlor zugleich, gegen Flechte, Kräze etc. ; 3) Schwefelleber,
gegen Mercurialkrankheit und veraltete Hautausschläge ; 4) Queck-
silberpräparate, besonders Zinnober , gegen syphilitische Krank-
heiten; 5) Chlorgas, gegen Leberkrankheiten; 6) Jod, gegen tu-
berculöse Lungenschwindsucht; 7) Essig, gegen gewisse Affectionen
des Mundes und Halses , lymphatische Exsudationen , Wasserbrüche der
Kinder, brandiges Rothlaufund Bräune; 8) Ammonium, gegen chro-
nische , lymphatische Entzündungen , Lähmungen und rheumatische Lei-
den; zum Einathmen gegen Stimmlosigkeit von Erschlaffung der
Schleimhaut; 9) Alcohol, gegen rheumatische Augenentzündungen;
10) Naphtha aceti et vitrioli, gegen torpide nervöse Schwer-
hörigkeit (durch die Tuba Eustachii); 11) Kampher, gegen
chronische Rheumatismen ; 12) Theer und Kreosot, zum Einath-
men gegen Keuchhusten und Schleimschwindsucht; 13) Gebrannter
Kaffee, örtlich gegen chronische Augenentzündungen; 14) Harze
und Schleim harze (Mastix, Benzoe, Bernstein, Myrrhe, Weih-
rauch, Terpentin, Stinkasant) s. d. Artikel zertheilende Mittel;
15) A d str in gir en d e Pflanzenstoffe, IQ) Aromatische
und 17) Narkotische Pflanzenstoffe, theils durch Verdampfen,
theils durch Verbrennen (s. diesen Art.).
Mit dem Namen Bad belegt man ferner noch einige Heilmittel,
wie : 1) Das S on nen- oder L i chtb ad , Insolatio s. Heliosis,
besteht darin , dass sich ein Mensch theilweise oder ganz nackt an einem
vor Winden geschüzten Orte den Sonnenstrahlen aussezt. Die Wirkung
davon ist eine erregende und reizende und wird bei torpiden Nerven-
krankheiten , Cachexien und als Stärkungsmittel in der Reconvalescenz
angewendet. 2) Das Luftbad, Balneum aereum, besteht darin,
dass sich ein Mensch an einem schattigen , luftigen , jedoch nicht windi-
gen Orte nackt oder nur leicht bekleidet eine Zeit lang aufhält und
darauf warm bekleidet etwas warmes Getränk zu sich nimmt. Es stärkt
und härtet die äussere Haut ab und wird bei Nervenschwäche empfohlen.
Bürger. Chirurgie. 7
98 BAEHUNG.
3) Das Sandbad, Arenatio s. Psammismus. Bei diesem um-
gibt man bei Scheintod den ganzen Körper , ausser dem Gesichte , mit
warmem , trockenem Sande. Es kann auch an einzelnen Theilen ge-
schehen , namentlich nach der Operation von Aneurysmen , um die Blut-
circulation in den Collateralästen zu begünstigen. 4) Das Laubbad,
Balneum in foliis. Man steckt den Kranken in einen mit frischen
Birken- und Erlenblättern gefüllten Sack , worauf ein starker Schweiss
erfolgt. Bei Gicht und Rheumatismus. 5) Das Erdbad, Balneum
terrestre s. Geochosia, empfiehlt man besonders bei Scheintod
durch Bliz und wird durch Eingraben in feuchte Erde ins Werk gesezt.
6) Das S chl am m - oder M oor b ad , Balneum cocnosum. Ein
Bad , welches man aus dem Niederschlag oder Schlamm von Mineralquel-
len bereitet und das in seinen Wirkungen mit den Bädern in solchen
Mineralwassern übereinkommt. 7) Das elektrische Bad, Bal-
neum electricum, s. elektrische Cur.
Bäiillllg', fomentatio s. f Omentum s. fotus, oder Um-
schlag, Epithema (von tili, auf und Ti&tj/Lbi, ich seze, lege). Hier-
unter versteht man die mehr oder weniger lang andauernde Anwendung
eines Arzneimittels an irgend einer Stelle der Körperoberfläche mittels
eines geeigneten Trägers. Man unterscheidet nasse und trockene Bähun-
gen. Die nassen, fomentationes humidae, sind entweder
kalt oder warm in verschiedenen Graden. Sie werden mittels leinener
oder wollener einfacher oder zusammengelegter Tücher, Waschschwämme,
Löschpapier, Thierblasen , welche mit der Feuchtigkeit getränkt oder ge-
füllt, oder in welche die feuchten Arzneimittel eingehüllt sind, applicirt.
Die Tücher müssen halb , d. h. so weit ausgedrückt werden , dass keine
Flüssigkeit abläuft. Ihre Wirkung hängt , abgesehen von der , weiche
ihre Temperatur mit sich bringt, von den Eigenschaften der dazu verwen-
deten Arzneistoffe ab ; demgemäss gibt es erschlaffende , adstringirende,
erregende , narkotische etc. Bähungen. Die kalten müssen gewechselt
werden , bevor sie auf dem leidenden Theile warm werden , weil sie sonst
durch den schnellen und häufigen Wechsel der Temperatur schaden ; bei
den warmen ist dieselbe Vorsicht nöthig. — Die trockenen Bähun-
gen, Fomenta sicca, sind ebenfalls kalt oder warm. Die kalten
werden mittels Thierblasen , die mit Schnee oder Eisstückchen gefüllt
und die in Tücher eingehüllt sind , oder mittels, mit kaltem Sande ge-
füllter Säckchen oder mit kalten Flüssigkeiten gefüllter Flaschen appli-
cirt. Die warmen werden mittels einfach erwärmter, oder mit arznei-
lichem Gas oder Rauch durchzogener leinener oder wollener Tücher, oder
gekrämpelter Baum- oder Schafwolle , oder mittels erwärmter , mit arz-
neilichem Pulver , Mehl , Asche , Sand gefüllter Säckchen oder mittels
mit warmem Wasser oder Sand gefüllter Flaschen oder erwärmter Back-
steine applicirt. Ihre Wirkungen sind entweder einfach die der Wärme,
BAUCHABSCESSE. 99
oder in Verbindung mit dieser von den Arzneistofl'en , deren Träger sie
sind, abhängig.
Rp. Herb, althaeae Rp. Nitri 5viij
malvae Ammonii muriat. iiv
meliloti Aquae gxx
Rad. althaeae Aceti (jjij
Sem. linicontus. sing. part. aequal. M. bene. Kühlender
Conc. misce. Ueberschlag.
Diese Species werden so lange gekocht, Schmucker,
bis das Wasser schleimig wird und dann
durchgeseiht. Erweichende Bähung.
Rp. Herb, althaeae
hyoscyami
Capit. papaveris ana ^ß
Conc. coque in aquae ^iij ad col. ^jß.
Schmerzstillende Bähung.
Rp. Infus, flor. arnicae ex ^vj parat, ^iij
Aceti v i n i ^ j
M. — Zertheilende Bähung.
Rp. Sal. ammoniaci pur. $ß
Spirit. vini commun. ^ij
Aquae ^xvj — xx.
M. — Zertheilender Ueberschlag.
Vogler.
BaUChabseeSSe , Abscessus abdominales. Diese Ab-
scesse können ihren Siz in den oberflächlichen Schichten der Bauchwan-
dungen oder der Bauchhöhlennähe haben. Die oberflächlichen
Abscesse in den Bauchdecken verhalten sich in jeder Beziehung^ wie die
Abscesse anderer Gegenden. Diejenigen aber , welche zwischen den
Bauchmuskeln oder in dem subperitonäalen Bindegewebe entstehen, —
tiefe Bauchabscesse, zeichnen sich durch grosse Schmerzhaftigkeit, hef-
tiges Fieber und einen langsamen Verlauf aus. Die Schmerzhaftigkeit
dieser Abscesse erklärt sich zum Theil aus der Einschliessung der phleg-
monösen Geschwulst, welche ihnen vorausgeht, durch derbe, straffe Mem-
branen, theils aus dem grossen Nervenreichthum der Bauchdecken. Die-
ser Schmerz wird vermehrt durch jeden Druck und durch jede Spannung
der Bauchmuskeln , somit auch durch Husten , Drängen bei der Harn-
oder Stuhlausleerung u. dgl. Die Entzündungsgeschwulst und auch der
ausgebildete Abscess zeigen nie eine deutliche Erhebung über die äussere
Oberfläche , sondern behalten unter dem gleichmässigen Drucke der sie
umspannenden Aponeurosen eine mehr abgeplattete Gestalt. Diese
Abscesse erscheinen in den meisten Fällen an der untern Hälfte des
Abdomen , wo das Bauchfell über das grosse und kleine Becken hingeht,
7*
100 BAWCHABSCE8SB.
weil hier das subperitonäale Bindegewebe am reichlichsten vorhanden ist
und zwar findet man sie am häufigsten in der seitlichen Bauchgegend
zwischen den falschen Rippen und dem Darmbeinkamme und in der
Fossa iliaca. — Nicht selten werden diese Abscesse , noch ehe sie
sich vollkommen ausgebildet haben, tödtlich durch Ausbreitung der Ent-
zündung über das Bauchfell und die Gedärme. Sie brechen selten nach
aussen auf; häufiger ergiessen sie sich in das Bauchfell oder in ein be-
nachbartes Darmstück, oder der Eiter senkt sich und kommt dann in der
Leistengegend, am Oberschenkel oder an irgend einer Stelle des kleinen
Beckens zum Vorschein und bricht hier zuweilen von selbst durch , in
welchem Falle Heilung möglich ist , der Kranke aber doch auch hectisch
zu Grunde gehen kann. — Der in den tiefen Abscessen gebildete Eiter
hat fast immer einen deutlichen Fäcalgeruch, ohne dass deshalb das
Bestehen einer Communication mit dem Darme angenommen werden
dürfte. Die Nähe eines Darmstückes , namentlich eines Theiles des
Dickdarmes genügt , um die übelriechenden Gase durch Diffusion bis in
den Inhalt des Abscesses gelangen zulassen. — Ursachen. Diese
sind mechanische Verlezungen des Unterleibes , besonders auch die mit
geburtshilflichen Operationen verbundene Dehnung und Zerrung der
Unterleibs- und Beckenorgane, Erkältungen, Anhäufungen von Fäcalmas-
sen im Blinddarm und dessen Fortsaz, so wie in dem seitlichen Colon. —
Die Diagnose dieser Abscesse ist besonders in ihrer ersten Entwicke-
lung meist schwierig und werden sie deshalb oft erst erkannt , wenn sie
im Mastdarm , in der Scheide etc. zum Vorschein kommen. Das wich-
tigste Zeichen ist im Anfange der entzündliche Schmerz an einer der
Stellen , wo diese Abscesse am häufigsten aufzutreten pflegen. Dann
müssen die Fiebererscheinungen und die Functionsstörungen einzelner
Unterleibsorgane berücksichtigt werden. Einige Sicherheit kommt in die
Diagnose , wenn sich an der Stelle des Schmerzes eine Geschwulst bildet
und Erscheinungen , wie sie bei eintretender Eiterung vorzukommen
pflegen , wie ein Gefühl von Kälte und Schwere an der leidenden Stelle,
ödematöse Anschwellung in der Umgebung, öftere Frostschauer etc., sich
zeigen. — Behandlung. Die oberflächlichen Bauchabscesse brechen
meist nach aussen auf, doch müssen sie zeitig geöffnet werden, um einer
Eitersenkung vorzubeugen. Durch Blutegel und kalte Fomente sucht
man den Uebergang der Entzündung in Eiterung zu verhüten. Die tie-
fen Bauchabscesse fordern eine strenge antiphlogistische Behandlung
durch zahlreiche Blutegel, kalte Fomente, innerlich Calomel , Opium;
bei mehr chronischer Entzündung zieht man wiederholte örtliche Blut-
entziehungen , später Reizmittel auf die Bauchhaut in Gebrauch. Ist
Eiterung eingetreten , so kann man durch Einreibungen von Quecksilber-
und Jodsalbe, Aufstreichen von Jodtinctur, innere resolvirende Mittel etc.
den Eiter zur Resorption zu bringen versuchen ; gelingt dies nicht bald,
so eüuss man dem Eiter einen Ausweg nach aussen bahnen , um einem
BAUCHSCHNITT. 101
Durchbruch nach innen oder einer Eitersenkung vorzubeugen. Ist der
Abscess äusserlich zu erkennen , so eröffnet man ihn nach gemachtem
Hautschnitt durch schichtweises Trennen der Bauchdecken. Wird die
fluctuirende Geschwulst deutlicher von der Mntterscheide oder dem Mast-
darm aus gefühlt, so eröffnet man sie von diesen aus mit einem Troikart.
Hat sich der Eiter- bis. hinter die Leistengegend herabgesenkt , so eröff-
net man die Geschwulst nach Art der Congestionsabscesse.
BaUCilS Chllltt , Laparotomia (von Xunaqa , der Bauch,
und tb/jvw , ich schneide), Sectio abdominalis. Man versteht
hierunter die Eröffnung der Unterleibshöhle mittels Durchschneidung
ihrer Wandung, um schädliche, -auf andere Weise nicht entfernbare Sub-
stanzen aus ihr wegzunehmen oder anderweitige Operationen an den
Baucheingeweiden vorzunehmen. — Man macht die Operation: l) wenn
dickflüssige Substanzen , wie geronnenes Blut , Sülze , in der Bauch- oder
Beckenhöhle in solcher Masse befindlich sind , dass ihre Resorption nicht
zu hoffen ist, dagegen üble, namentlich Entzündungszufälle von ihnen zu
erwarten oder schon erzeugt sind ; 2) bei Ergiessung des Inhaltes eines
Baucheingeweides (Speisen , Chymus , Koth) , so wie bei einem fremden,
vom Magen und Darm aus oder durch die Bauchwand eingedrungenen
Körper , wenn nicht eine Bauchwunde vorhanden ist , die nach etwaiger
Erweiterung die Entleerung möglich macht , und wenn man den Siz des
Schädlichen erkannt hat, was jedoch bei Kugeln selten oder nie der Fall
ist; 3) wenn bei Ruptur des schwangeren Uterus oder der Scheide der
Foetus in die Bauchhöhle gelangt und auf dem natürlichen Wege nicht
oder ohne grosse Benachtheiligung nicht zu entfernen ist, was auch dann
gilt , wenn die Mutter plözlich gestorben ist , das Kind aber noch lebt ;
4) bei Extrauterinschwangerschaften, sei es früher oder später , wenn der
Foetus lebt oder todt ist , im iezteren Falle namentlich durch Fäulniss
oder als fremder Körper gefährliche Zufälle hervorbringt ; 5) bei Recli-
nation des schwangeren Uterus , wenn er auf anderem Wege nicht zu
reponiren sein sollte; 6) bei Intussusception , wenn sie und ihr Siz be-
stimmt erkannt und andere Mittel dagegen fruchtlos waren; 7) bei inne-
rer Einklemmung von Darmstücken , welche durch Spalten des Gekröses,
Nezes, Zwerchfelles gedrungen sind, oder von dem in die Unterleibshöhle
zurückgedrängten und nicht wieder herauszubringenden Bruchsacke ein-
geschnürt werden. — Ferner macht man die Operation als ersten Act
des Magen- , Darm- und Kaiserschnittes , der Bildung eines künstlichen
Afters, der Exstirpation der Ovarien und anderer krankhaften Geschwülste
in der Bauchhöhle. — Bei grosser Erschöpfung des Individuums , so wie
bei Blutextravasaten , so lange die Blutung noch nicht steht , hat die
Operation zu unterbleiben. — Der Bauchschnitt ist eine der gefährlich-
sten chirurgischen Operationen , weil dabei das sehr verwundbare Bauch-
fell verlezt und der Luft der Zutritt zu den Unterleibsorganen gestattet
102 BAUCHSCHNITT.
wird , weil ferner oft die Därme vorfallen und sie immer nur unter nach-
teiligen Berührungen , selbst gar nicht zurückzubringen sind und weil
im günstigsten Fall ein Bauchbruch eine häufige Folge ist. Dazu kommt
noch die Unsicherheit der Diagnose bei Unterleibsübeln , welche den
Bauchschnitt zu erfordern scheinen. — Man gebraucht zur Operation
1 bauchiges und 1 gerades Scalpell , 1 Pott'sches Bistouri , 1 Hohlsonde
und Pincette , stumpfe Wundhaken , gerade und krumme Kornzangen,
Unterbindungsgeräthe , Nadeln , Fadenbändchen, Schwämme nebst kaltem
und warmem Wasser , Oel , l Sprize , Restaurationsmittel und zum Ver-
bände Charpie , lange , um den Unterleib reichende , 1 Zoll breite Heft-
pflasterstreifen, einen ausgefaserten Leinwandstreifen, Compressen, Hand-
tücher und eine Bauchbinde. — Vor der Operation entleert man Blase
und Mastdarm. Der Kranke liegt horizontal auf einem schmalen Tische
oder einem erhöhten Bette , auf jeder Seite desselben steht ein Gehülfe,
um die Wundränder auseinander zu halten , vorfallende Därme mit den
Schwämmen zurückzuhalten , ein dritter Gehülfe reicht Instrumente zu,
andere unterstüzen den Kranken. Der Operateur steht auf der rechten
Seite des Kranken. Die Stelle des Einschnittes richtet sich nach dem
Size des Uebels , also da, wo das Extravasat, eine Geschwulst', ein frem-
der Körper etc. am deutlichsten bemerkbar ist ; wo möglich vermeide man
grössere Gefässe , besonders die Art. epigastrica, und quere Durch-
schneidung der Muskelfasern, man schneide daher, wenn man die Wahl
hat, am liebsten in der Linea alba zwischen Nabel und Schambein ein.
Die Länge des Schnittes wird durch den Umfang und die Natur des
Uebels bestimmt ; zur Entleerung dickflüssiger Stoffe oder fremder Körper
genügen 1 — iVä' ^ei V°lvulus und inneren Einklemmungen etwa 2 Zoll,
zur Ausziehung eines ausgetragenen Fötus 6 Zoll.
Operation. Unter Anspannung der Haut durchschneidet man
diese und die Muskeln bis auf das glänzende Bauchfell , worauf man die
meist geringe Blutung stillt. Nun geht man an die Eröffnung der Bauch-
höhle, zu welchem Behufe man das Bauchfell an irgend einer Stelle mit
der Pincette hügelförmig erhebt , es flach einschneidet, eine Hohlsonde
einführt und die Oeffnung auf dieser mittels des Pott'schen Bistouris bis
zu der Grösse erweitert, dass man einen beölten Finger einbringen kann,
auf welchem man das Bauchfell in der Richtung und Ausdehnung des
ersten Schnittes spaltet. Sich hervordrängende Eingeweide suchen die
zur Seite stehenden Gehülfen mittels feiner in warmes Wasser oder Oel
getauchter Leinwand oder Schwämme zurückzuhalten. Das weitere Ver-
fahren hat die Entfernung des Schädlichen zum Zweck. Extravasate
entfernt man durch eine Seitenlage des Kranken , durch Aufsaugen mit-
teis feiner Schwämme , durch milde Einsprizungen ; festere Substanzen
nimmt man mit den Fingern oder einer Zange aus. Rührt der Erguss
von Perforation des Darms her, so muss man dessen durchbrochene Stelle
der Bauchwunde zu nähern und an derselben durch eine Gekrössehlinge
BAUCHSTICH. 103
7u erhalten suchen. Sind bei Ruptur des schwängern Uterus
die Eihäute noch nicht geborsten, so öffnet man diese, wobei aber eine
Verlezung des Mutterkuchens vermieden werden muss, und entwickelt den
Fötus an den Füssen , worauf man die Nabelschnur doppelt unterbindet
und durchschneidet; den Abgang der Nachgeburt befördert, man wo mög-
lich durch die Scheide heraus. Ganz ähnlich verfährt man beim Ex-
tra uterinfötus, bei welchem man entweder im 2. — 5. Monat der
Schwangerschaft, wenn man sie sicher erkannt hat, oder im 9. Monat,
wenn die Wehen beginnen, operirt. Bei Reclination des schwan-
gern Uterus bewirkt man die Reposition mit der in die Bauchhöhle
eingeführten beölten Hand. 'Verwicklungen, Ineinander-
schiebungen und innere Einklemmung der Därme entwickelt
man sanft mit beölten Eingern, nachdem man den Darm durch die Wunde
hervorgezogen hat; einschnürende Spalten dilatirt man vorsichtig mit dem
Messer. — Verband und Nachbehandlung. Nach erfülltem
Zwecke der Operation reinigt man die Wunde und die Bauchhöhle vom
Blute und andern Flüssigkeiten mittels weicher Schwämme und vereinigt
die Bauchwunde durch eine hinreichende Zahl von Knopfnähten , welche
man 1 Zoll von einander anlegt und nur durch die Muskeln bis an das
Bauchfell führt. Zwischen die einzelnen Nähte legt man zur genauen und
sichern Befestigung Heftpflaster , welche man mit ihrem mittleren
Theile im Rücken anlegt und deren Enden man über der Wunde kreuzt.
Der untere Wundwinkel muss unter Umständen offen gelassen werden,
in welchem Falle man einen beölten ausgefranzten Leinwandstreifen in
denselben einlegt. Ueber das Ganze legt man eine Compresse, und dar-
über einen Bauchgürtel. — Der Kranke wird mit erhöhtem Kopfe hori-
zontal und wenn sich noch Flüssigkeiten entleeren sollen, etwas nach der
Seite hin mit etwas angezogenen Schenkeln gelagert. Gegen die in der
Regel während oder bald nach der Operation eintretenden nervösen Sym-
ptome gibt man einige Tropfen Opiumtinktur oder 1/2 Gran Morphium
und ordnet eine antiphlogistische Lebensweise an. Entwickelt sich eine
Entzündung des Bauchfells , so verfahre man streng antiphlogistisch mit
Aderlässen, Blutegeln, Eisumschlägen, innerlich Potio Riveri mit Aq.
laurocerasi oder Extr. hyoscyami, Calomel mit Opium. Den
Leib hält man durch Klvstiere offen und sorgt für regelmässige Ausson-
derung des Urines , den man nötigenfalls mittels des Katheters entleert.
Wenn ein Ausfluss aus der Wunde stattfindet, so muss der Verband einige
Mal täglich erneuert werden, ausserdem so selten als möglich. Die blu-
tigen Hefte entfernt man am 6. — 10. Tage. Man unterstüzt die noch
nicht vollkommene Vernarbung durch Heftpflasterstreifen und lässt später
zur Verhütung eines Bauchbruches längere Zeit einen Bauchgurt tragen.
BaUChstich, s. Punktion.
Bauchwassersucht, Hydrops abdominis, Hydrops
104 BAUCHWASSERSUCHT.
ascites, nennt man eine Ansammlung seröser Flüssigkeit in der Höhle
des Unterleibs. Diese Krankheit, deren Entstehungsgeschichte und Dia-
gnose der innern Pathologie anheimfällt , interessirt den Wundarzt nur
insofern, als seine Hülfe in Anspruch genommen wird , solche'Ansamm-
lungen zu entleeren. Um aber dies mit Sicherheit thun zu können, muss
er im Stande sein, zu unterscheiden, ob sich das Wasser auch wirklich in
der Bauchhöhle und nicht in einem in dieser befindlichen Organe ange-
sammelt hat, oder er es sogar nicht mit ganz andern Krankheitszuständen,
wie Tympanites oder Schwangerschaft zu thun hat. — Zunächst ist zu
wissen nöthig, dass die Bauchwassersucht unter zwei Formen auftritt, als
freier Erguss, Hydrops ascites diffusus oder Ascites im
engern Sinne, und als eingesackter, Hydrops abdominis sac-
catus, cysticus. Bei der fr eien B auch was s er s u cht befindet
sich die ergossene Flüssigkeit frei in dem Sacke des Bauchfells und um-
spült die von demselben umschlossenen Eingeweide. Sie äussert sich in
ihrem Entstehen durch Störungen in den Verrichtungen der Unterleibs-
organe, gestörte Verdauung, Verstopfung, reissende Schmerzen im Unter-
leibe, so wie in den Lenden und Füssen ; der Leib fühlt sich etwas voll
an , die Füsse schwellen an den Knöcheln etwas ödematös an und der
Harn wird braun und sazig. Allmälig erreicht die Wasseransammlung
den Grad, dass sie mit Bestimmtheit erkannt werden kann. Der Leib
schwillt gleichförmig an und zwar von unten nach oben. Das sicherste
Zeichen für den untersuchenden Arzt bleibt die vorhandene Fluctuation
des Wassers, und diese ist bereits sehr deutlich bemerkbar, wenn sich die
Wasseransammlung auch nur erst bis in die Gegend des Nabels erstreckt.
Zu ihrer Erforschung genügt es bei beträchtlicher Menge ihres Ergusses,.
dass man die eine Hand flach an die eine Seite des Bauchs anlegt und
mit den Fingern der andern Hand auf der gegenüberliegenden Seite kurz
anschlägt. Ist nur eine geringe Menge Flüssigkeit vorhanden, so genügt
dieses Verfahren nicht. Alsdann muss man die eine Hand in der Gegend,
wo man die Flüssigkeit vermuthet, auflegen und mit den Fingern der an-
dern Hand nahe dabei anschlagen. Nächst der Erforschung der Fluc-
tuation ist die eigentliche Percussion niemals zu verabsäumen. Sie lehrt
uns den Umfang des Ergusses und das , in Bezug auf die Wahl der Ein-
stichstelle höchst wichtige Lageverhältniss der Unterleibseingeweide ken-
nen. — Nach dem Fehlschlagen der pharmaceutischen Behandlung tritt
die Indication ein, das Wasser durch den Bauchstich zu entleeren. Diese
Operation ist zwar gewöhnlich nur Palliativmittel, indem sich das Wasser
bald nach derselben wieder ansammelt ; es ist aber erfahrungsgemäss, dass
die innern, gegen die Ursachen der Wassersucht gerichteten Mittel nach
der Wasserentleerung nicht selten weit kräftiger wirken und dass also
durch die leztere auch eine radicale Heilung eingeleitet werden kann.
Immerhin bleibt die Operation ein Mittel , nicht allein die Beschwerden
des Kranken zu mindern , sondern auch das Leben desselben zu fristen.
BAUMWOLLE. 105
Dieselbe kann sehr oft wiederholt werden. Grosse Schwäche und hecti-
sches Fieber contraindiciren sie als Palliativmittel nicht, nur muss hier
das Wasser langsam und nur theilweise entleert werden ; bei grossen und
schmerzhaften Indurationen und Degenerationen der Baucheingeweide
dagegen beschleunigt sie nur den Tod. Ueber die Ausführung der Ope-
ration s. den Art. Punction. — Die Sackbauchwassersucht
wird entweder durch Blasen, die an der Bauchwand oder an einem Ein-
geweide frei hängen, gebildet oder das Wasser befindet sich in einem am
Bauchfelle gebildeten Sacke. Die hauptsächlichste und oft beinahe allein
bestehende Krankheitserscheinung ist die Geschwulst , die sich nach vor-
hergegangenen Schmerzen oder auch ohne diese , blos unter dem Gefühl
von Druck und Spannung bildet. Diese Geschwulst wächst sehr langsam,
zeigt nur eine undeutliche oder gar keine Fluctuation, auch haben Lagen-
veränderungen auf sie keinen Einfluss. In der Regel ist das Allgemein-
befinden durch diese Wassersucht nicht gestört und es kann ein solcher
Hydrops oft zu einer ungeheuren Grösse anwachsen und 10, 15 bis 2 0
Jahre bestehen, ohne dem Kranken anders als durch seine Last beschwer-
lich zu fallen. Die Cyste, die das Serum enthält, kann sich im Laufe
der Zeit entzünden, mit Eiter füllen, bersten und nach innen oder aussen
sich ergiessen. — Tympanites lässt sich durch den eigenen Percus-
sionston erkennen, der Hydrops ovarii beginnt in den Weichen, ist
hier umschrieben, scharf begrenzt, nicht selten höckerig , die Portio
vaginalis nach einer Seite geneigt ; eine bedeutende Ausdehnung
der Blase bei Harnverhaltung gibt sich durch Drang zum Uriniren bei
Druck auf die Blasengegend und durch das Verschwinden der Anschwel-
lung, sobald man den Harn durch den Catheter entleert hat, zu erkennen.
Bei der Schwangerschaft nimmt der Unterleib regelmässig zu,
Fluctuation fehlt , die Vaginalportion zeigt ihre regelmässigen Verände-
rungen, die Brüste schwellen an etc. und endlich ergibt die Auscultation
den Fötalherzschlag. — Bei der Sackwassersucht ist die Punction das
einzige Mittel , die Ansammlung zu entfernen , und sie muss um so eher
gemacht werden , wenn sich noch keine organischen Veränderungen in
dem Sacke, Verdickungen, Entartungen eingestellt haben.
Baumwolle, B o m b y x , findet eine sehr häufige Anwendung in
der Chirurgie. Der Vorwurf, dass sie durch die ihr eigenthümlichen
Häkchen Wundflächen zu sehr reize und sie deshalb zum Ersaze der Char-
pie untauglich sei , ist durch die Erfahrung widerlegt ; ihrer Weichheit
wegen ist sie in manchen Fällen selbst der Charpie vorzuziehen , und ihre
grosse Wohlfeilheit macht sie ganz besonders bei Armeen und in Spitälern
sehr empfehlungswerth. Die zu chirurgischen Verbänden zu verwendende
Baumwolle muss gut gekardet sein. Riberi macht der Baumwolle den
Vorwurf, dass sie, auf Wundflächen gebracht, ihrer fast gänzlichen Un-
durchdringlichkeit wegen, die Stagnation des Eiters begünstige. Die Er-
fahrung lehrt aber , dass die Anhäufung des Eiters, besonders bei Brand-
106 BAUMWOLLE.
wunden nie Nachtheil bringt , im Gegentheil bleibt der Eiter, wahrschein-
lich in Folge der abgehaltenen Luft, stets gutartig, und selbst die tiefsten
Geschwüre heilen in kurzer Zeit. — Wir bedienen uns der Baumwolle
gewöhnlich : l) zum Schuze leidender Theile gegen die Luft und andere
äussere Schädlichkeiten, so zum Verstopfen des äussern Gehörgangs , zum
Ausfüllen eines hohlen Zahns etc. , ganz besonders aber bei Verbrennun-
gen , wo sie aber zeitig und in dicken Lagen aufgelegt werden muss ;
2) bei Blutungen, wo sie durch ihre Weichheit ganz besonders geeignet
ist , sich allen Vertiefungen anzuschmiegen ; 3) zur Getrennthaltung ge-
wisser Theile, wie des in das unterliegende Fleisch eingewachsenen Nagels ;
als Träger von Arzneistoffen , z. B. bei cariösen Zähnen. — Ausserdem
verwenden wir die Baumwolle noch zu Brenncylindern, Bougie's, zum Aus-
füttern und Unterlegen gegen Druck (Wattverband) , und wegen ihrer
grossen Weichheit zu Schnuren und Stricken , welche mit dem Körper
selbst in Berührung kommen. — Eine neue Eigenschaft haben neuer-
dings Vanzetti und v. Bierkowski in der Baumwolle entdeckt. Sie
äussert nämlich bei allen äusserlichen entzündlichen Affectionen eine kräf-
tige antiphlogistische Wirkung ; sie vertritt sogar sehr gut die Stelle kal-
ter Umschläge. Die Krankheiten , in denen sich die Baumwolle in dieser
Richtung hülfreich erwiesen hat , sind : Erysipelas, Erythem und andere
vorübergehende Röthungen ; ferner heftige Contusionen , Verrenkungen
nach geschehener Einrichtung und Knochenbrüche mit bedeutender Ge-
schwulst , endlich Wunden , sowohl zufällige wie von Operationen , und
Geschwüre. Soll die Baumwolle aber die genannte Wirkung äussern, so
muss sie rein , weiss und geruchlos , auch darf der damit zu bedeckende
Theil durch nichts verunreinigt oder mit Wasser befeuchtet sein. Die
Baumwolle wird unmittelbar auf den leidenden Theil aufgelegt und nur
lose auf ihm befestigt. Eine bestehende Wunde, die durch Eiterung hei-
len soll , verbindet man vorher wie gewöhnlich mit Charpie und legt dar-
über ein hinreichend grosses Stück Watte. Wunden , die durch erste
Vereinigung heilen sollen, wie nach Operationen etc., die also mittels der
blutigen oder trockenen Naht vereinigt worden sind , bedeckt man ohne
Weiteres mit Watte. Nach Verlauf der ersten 2 4 Stunden wird von dem
Verbände nur die locker aufsizende Watte vorsichtig entfernt und frische
aufgelegt, und so verfährt man auch am 3. und 4. Tage. Erst nach
3 Mal 2 4 Stunden nimmt man den ganzen Verband auf das Sorgfältigste
ab , reinigt alle Stellen genau mit lauem Wasser und verbindet von nun
an alle 24 Stunden, bis vollkommene Heilung erfolgt. — Von bedeuten-
dem Werthe wird dieses Mittel in der chirurgischen Hospitalpraxis , be-
sonders in den militärischen Hospitälern , hauptsächlich während eines
Kriegs, wo sich der Anwendung von kalten Fomenten oft grosse Schwie-
rigkeiten entgegenstellen , wie z. B. während des Transports der Ver-
wundeten.
BECKENABSCESSE. 107
BeckenabsceSSC Diese Abscesse sind in den meisten Fällen
die Folgen einer allgemeinen oder umschriebenen Peritonitis , kommen in
verschiedener Ausdehnung und Anzahl vor und haben gewöhnlich ihren
Siz zwischen den Beckengebilden und den über dem Beckeneingange ge-
legenen Darmpartien. Am häufigsten beobachtet man sie (beim Weibe)
in den taschenförmigen Vertiefungen des Beckenabschuitts des Perito-
näums und in den verschiedenen Räumen zwischen den Beckenorganen.
Durch die innigen Verklebungen dieser Organe unter sich sind diese Ab-
scesse vollkommen abgeschlossen. Die Grösse dieser Abscesse ist sehr
verschieden ; in einzelnen Fällen findet man mehrere kleinere von Hasel-
nuss- bis Wallnussgrösse , andere Male ist nur ein grosser Abscess vor-
handen. — Mit diesen Abscessen sind immer innige Verwachsungen der
umgebenden Organe verknüpft, wodurch theils Dislocationen, theils Func-
tionsstörungen derselben bedingt werden können. Unter die wichtigsten
hierher gehörigen Anomalien gehören die Knickungen und vollständigen
Obliterationen des Dünndarms , Verengerungen des Recturns , der Blase,
der Ureteren etc. — Mit diesen peritonäalen Eiterabsackungen verbinden
sich in einzelnen Fällen auch Abscesse ausserhalb des Peritonäums am
Beckengrunde und unter den aponeurotischen Muskeldecken im Becken,
namentlich über dem Iliacus internus und nach dem Verlaufe des
Psoas. Sowohl die ersteren als auch die lezteren Abscesse haben die
Tendenz zur Perforation, welche jedoch bei den ersteren bei stattfinden-
der gehöriger Absackung oft lange , selbst Jahre hindurch hingehalten
wird , so wie dieselben auch noch durch eintretende Resorption vollstän-
dige Heilung zulassen, während bei den lezteren die Perforation eine un-
ausbleibliche Folge zu sein scheint. — Die Perforation findet nach der
Lage des Abscesses und nach der verschiedenen Umgebung auf verschie-
dene Weise statt. Da, wo ein lockeres Bindegewebe die Eiterinfiltration
begünstigt, finden Eitersenkungen oft in grosser Ausdehnung statt, bevor
das eine oder das andere Organ durchbohrt wird. Die äussere Durch-
bruchstelle ist daher bald vom Eiterherde entfernt , bald befindet sie sich
in seiner nächsten Umgebung. Man sieht daher Perforationen in der Nabel-,
Gesäss-, Lenden- und Inguinalgegend , im Rectum , Dünndarm; in der
Blase, dem Uterus, in der Vagina, in der Perinäalgegend, der innern
Schenkelfläche. — Eine besondere Betrachtung muss den Abscessen in
der Hüftbeingrube gewidmet werden. Diese nicht selten vorkom-
menden Abscesse sind in der Mehrzahl der Fälle nicht dort entstanden,
sondern durch Senkung dahin gelangt. Die lezteren nehmen am häufig-
sten von einem cariösen Wirbel, zuweilen von einer vereiterten Niere oder
einer an der hintern Bauchwand angelötheten und dann perforirten Darm-
schlinge etc. ihren Ursprung. Von den selbstständig in der Fossa iliaca
auftretenden Abscessen aber verdanken viele ihre Entstehung einem voraus-
gegangenen Ergüsse von Blut oder Darminhalt , namentlich aber einer
108 BECKENABSCESSE.
Perforation des vorher mit der hintern Peritonäalwand verwachsenen
Wurmfortsazes oder einer durch Anhäufung von Koth und fremden Kör-
pern bedingten Entzündung im Blinddarm , im Anfangstheil des Colon
ascendens und in dem hinter diesem liegenden Zellgewebe ; andere
sind die Folgen einer Beinhaut- oder Knochenentzündung an der innern
Fläche des Darmbeins, oder einer Entzündung des dort liegenden Muskels
(Ileopsoas). Der Eiter dieser Abscesse tritt an denselben Punkten zu
Tage, wie bei den vorgenannten Abscessen. — Diagnose. Diese hat
oft grosse Schwierigkeiten. Die intraperitonäalen Abscesse zeigen , so
lange sie klein sind, oft eine beträchtliche Derbheit und fast nie eine
deutliche Fluctuation, auch lassen sie sich wegen der Verklebung der mei-
sten Nachbarorgane nicht mit Genauigkeit umgreifen, so dass sie sich von
andern Anschwellungen der Beckenorgane nicht leicht unterscheiden las-
sen. Nur wenn sie sehr bedeutend und bis an die Oberfläche gedrungen
sind , sind sie der Diagnose zugängig. Diese Abscesse erschöpfen meist
früher, als es zur Perforation kommt. — Die extraperitonäalen Abscesse
sind oft so tief im Becken gelagert , dass sie sich in ihrem Beginne nicht
immer entdecken lassen1. Ein starker Druck auf die entsprechende Gegend
kann wohl schmerzhaft sein , dieses Symptom kann aber auch andern Lei-
den angehören. Eine häufige Erscheinung dieser Abscesse sind heftige
Neuralgien, die der Ischias gleichen können ; ebenso leidet die Beweglich-
keit der einen oder andern Extremität. Der Hüftbeingrubenabscess
drängt die Eingeweide zur Seite und wölbt sich allmälig als eine nicht
scharf umgrenzte Geschwulst oberhalb, später auch unterhalb des Fallopii
sehen Bandes hervor. — Droht einer der in Vorstehendem aufgeführten
Abscesse seine nächste Umgebung zu durchbrechen, so bildet sich im Um-
fange der Durchbruchstelle reactive Entzündung mit allgemeinen Fieber-
erscheinungen. Je nach dem Organe, welches durchbrochen Avird, ist der
weitere Verlauf der Krankheit ein mehr oder weniger schmerzhafter und
langwieriger. Am raschesten durchbrochen wird die Darm- und die Blasen-
wand und hier wird meist nach kurzem Bestände der Entzündungszufälle
plözlich mit Erleichterung durch den Anus oder die Urethra Eiter ausge-
leert. Am langwierigsten und schmerzhaftesten pflegt der Durchbruch
in der Gesäss-, Lenden - und Perinäalgegend zu sein. Ist der Aufbruch
geschehen, so folgt immer eine langwierige , oft zum Tode führende Eite-
rung. — Prognose. Diese richtet sich nach der Constitution, dem
Siz des Abscesses und der Natur der angesammelten Flüssigkeit. Immer-
hin sind diese Abscesse aber stets als sehr bedenkliche Krankheiten, be-
sonders im Wochenbette, anzusehen. — Behandlung. So lange sich
noch Entzündungserscheinungen bemerklich machen, bekämpft man diese
durch örtliche Blutentziehungen , sobald aber der Abscess eine Tendenz
zum Durchbruche zeigt , so muss man diesem möglichst rasch blutig ent-
gegen kommen. Die Eröffnung geschieht da , wo man dem Abscesse am
besten beikommen kann. Der zweckmässigste Ort für die Eröffnung der
BECKENSYMPHYSENENTZUENDUNG. 109
Abseesse in der Hüftbeingrube ist oberhalb des F a 1 1 o p i 'sehen Bandes
und zwar mittels einer Incision, wie sie für die Blosslegung der A. i 1 i a c a
externa gemacht wird. Drängt sich der Eiter aber mehr gegen einen
der oben genannten Punkte , so schneidet man von hier aus ein. Nur
wenn man es mit jauchig zerflossenen Eiterabsackungen mit Zerstörung
der Nachbarschaft zu thun hat , eilt man mit der Eröffnung nicht , da
durch den Luftzutritt die Zersezung des Eiters und der tödtliche Ausgang
nur beschleunigt wird. Senkungsabscesse dürfen gleichfalls nicht ohne
Weiteres geöffnet werden. S. Senkungsabscesse und Knochen-
krankheiten.— Die Behandlung muss nach dem Auf bruche oder der
Eröffnung , wie bei allen grossen Eiterungen , eine stärkende sein. — S.
weiter die Art. Harn ab sc es s , Krankheiten der Eierstöcke
und Krankheiten des Mastdarms.
BeckengeSCh Wülste. Diese gehen entweder von der G e b ä r-
inutter und ihren Anhängen aus (s. Krankheiten der Gebär-
mutter und der Eierstöcke) oder haben ihren Siz im Darin-
kaual (Anhäufung von Faecalmassen , Entzündung und Perforation des
Wurmfortsazes, Krebs, besonders des Rectums), oder in der Peritonä-
alhöhle (Hydrops ascites, abgesackte Exsudate, Bauchschwanger-
schaft , Cysten etc.) , oder bestehen in Abnormitäten und Afterbildungen
des Omentum (Cysten, Krebs, Fettablagerung etc.), der Harnblase
(Lähmung dieser mit Retention des Harns , Krebs , Polypenbildung) , der
Beckendrüsen, der Beckenmuskeln (Entzündung des Ileopsoas)
und der Beckenknochen (Krebs , fibröse Geschwülste , Knochenaus-
wüchse). Die meisten dieser Geschwülste finden an den geeigneten Orten
ihre nähere Betrachtung.
Beckensymphysenentzündung , Sacro-coxaigia,
Fibrochondritis pelvis, Diastasis spontane a. Der Siz die-
ser Entzündung sind die faserknorpeligen Beckensymphysen , gewöhnlich
die eine Symphysis sacro-iliaca, doch beobachtete man sie auch
an beiden und an der S y m p h. oss. p u b i s. Sie befällt vorzugsweise
zart gebaute junge Leute, namentlich solche, die scrophulös sind und der
Onanie ergeben waren, ferner disponirt Schwangerschaft und Wochenbett
dazu in Folge des grösseren Säftereichthums und der Auflockerung der
Beckenfaserknorpel in dieser Periode. Die Gelegenheits Ursachen
sind mechanische Verlezungen , ein Fall , Stoss , Schlag , ein Sprung auf
die Füsse , Aufheben schwerer Lasten , schwere Entbindungen , Erkältun-
gen , Gicht. Contusionen des Beckens , welche für den Augenblick keine
schlimmen Zufälle herbeiführen , können einen Zustand chronischer Ent-
zündung hinterlassen, die mit der Zeit, besonders wenn andere Einflüsse,
wie Gicht , Rheuma oder Syphilis coneurriren , in Caries mit tödtlichem
Ausgange übergeht. — Symptome. Tiefer Schmerz an der einen
110 BELEBENDE, ERREGENDE MITTEL.
Kreuzgegend , der gegen das Hüftgelenk , die Leistengegend und längs
des ischiadischen Nervs ausstrahlt ; beschwerlicher und bald ermüdender
Gang , wobei beim Auftreten auf den Fuss ein Einsinken erfolgt und der
Körper sich rückwärts neigt. Die Gegend der Synchondrose ist geschwol-
len und gegen Druck empfindlich , selbst gegen das Liegen auf dieser
Seite. Bei Weibern kann man sich durch die Scheide auch von innen
her von der öchmerzhaftigkeit der Synchondrose beim Drucke überzeugen.
Beim Stehen ruht die Last auf der gesunden Extremität , die kranke ist
im Knie und in der Hüfte leicht gebogen und ruht nur auf der Fussspize,
die Hinterbacke ist abgeflacht und ihre Falte steht tiefer. Durch Sen-
kung des Beckens erscheint dieses Glied beträchtlich verlängert. Manch-
mal geht die Verlängerung des Beines in Folge eines Falles oder eines
unvorsichtigen Trittes , z. B. auf der Treppe , unter dem Gefühle eines.
Ruckes durch wirkliche Dislocation in beträchtliche Verkürzung über, die
jedoch durch anhaltende Extension wieder aufgehoben werden kann. In
den höheren Graden des Uebels kann man , wenn man die Hand auf den
Darmbeinkamm auflegt, beim Gehen oder selbst bei der einfachen Beu-
gung der Schenkel, diesen deutlich aufsteigen fühlen. Der Gang wird
immer wankender , die Extremität schwächer , das Gehen beschwerlicher,
der Kranke hat das Gefühl der Taubheit in der leidenden Seite und fie-
bert gegen Abend. In acuten Fällen entstehen consensuelle Reizungen
des Darmkanales und, wenn die Schamfuge entzündet ist, der Harnblase
und Harnröhre. Der Verlauf ist selten acut und dies nur im Kindbette ;
die chronische Form dauert oft sehr lange, selbst Jahre. Wenn die Zer-
theilung nicht eintritt, so kann die Heilung durch Ankylose erfolgen, was
bei der gichtischen Complication meist der Fall ist. Der häufigste Aus-
gang ist der in tödtliche Eiterung oder Caries mit Congestionsabscessen,
die in der Nähe der Synchondrose mitunter neben dem Mastdarm zum
Vorschein kommen. — Die Diagnose ist bei einiger Aufmerksamkeit
auf den Siz der Schmerzen , die constant beim Drucke auf die Synchon-
drose vermehrt werden , in den meisten Fällen nicht schwierig. — Die
Prognose ist im Ganzen ungünstig , weil die in Eiterung und Caries
übergegangene Entzündung fast immer tödtlich endet.
Behandlung. Diese muss sehr activ sein und besteht bei den
acuten Formen besonders in Blutegeln und Merkur, bei der chronischen in
wiederholter Application von Blutegeln, Schröpf köpfen, fliegenden Blasen-
pflastern, Moxen und Glüheisen, Ungt. mercuriale. Ist eine Neigung
zur Dislocation vorhanden, so muss ein Hagedorn'scher Verband angelegt
und das Gehen bis zur völligen Consolidation untersagt werden. Später
können Bäder und kalte Douchen von Nuzen sein.
Belebende, erregende Mittel, Animantia, Excitan-
t i a. Hierunter versteht man solche Reizmittel , welche entweder schnell,
aber nicht andauernd, oder langsam aber anhaltend die geschwächte Ner-
BERUHIGENDE MITTEL. 111
ven- und Gef ässthätigkeit erregen , indem sie entweder direet auf das
Nervensystem einwirken und ihm gleichsam Lebenskräfte mittheilen, und
so indirect auch das nur unter dem Einfluss des Nervensystems thätige
Gefässsystem beleben , oder indem sie belebend direet auf das Gefäss-
system einwirken und diesem neue Kraft zuführen und so indirect auch
das nur unter dem Einflüsse des Gefässsystems thätige Nervensystem be-
leben. — Erstere, die fluchtigen, passen mehr da, wo die beiden Lebens-
factoren mehr schlummern und durch die flüchtige Einwirkung dieser
Mittel gleichsam wieder erweckt werden ; sie finden also ihre Anwendung
da, wo es einer raschen Aufreizung bedarf, wie bei Ohnmächten , beim
Scheintod , bei torpider , an Lähmung grenzender oder bereits in solche
übergegangener Schwäche , und zwar so lange , bis die beiden Lebens-
factoren wieder so weit im Gleichgewichte stehen , dass das Leben fort-
bestehen kann und andere , weiter angezeigte Mittel in Anwendung ge-
bracht werden können. Leztere hingegen , die anhaltend wirkenden,
passen mehr da , wo der eine oder der andere dieser Lebensfactoren oder
beide zugleich wirklich erschöpft oder so geschwächt sind, dass das Leben
(allgemein oder örtlich) zwar schwach fortbesteht , aber die natürlichen
Functionen nur schwach oder ganz unmöglich sind. Diese Mittel zer-
fallen also in solche , welche vorzüglich auf das Nervensystem , und in
solche, welche hauptsächlich auf das Gefässsystem wirken. Zu den erste-
ren, flüchtig und schnell wirkenden Mitteln rechnet man : Ammonium,
Phosphor , die empyreumatischen Oele , Nuxvomica, Electricität und
Galvanismus etc. ; zu den zweiten , den eigentlichen Irritantia, die
ätherischen Oele (Ol. terebinthinae,juniperi, cajeput, cha-
momillae, macis, majoranae, den Kampher u. a.), die ätherisch-
öligen oder abgezogenen Geister (das Kölnische Wasser , derSpirit.
menthae, melissae, serpylli, rorismarini etc.) , die weingei-
stigen Mittel (Alkohol, die Aetherarten, den Wein), die Wärme, die Kälte,
den Essig, die Ameisensäure ; scharfe Mittel, wie den Pfeffer, die Cantha-
riden, die Bertrams- und Bibernellwurzel etc. ; aromatische Räucherungen,
den thierischen Dunst, das Sonnenbad, die Urtication, das Schröpfen, die
Acupunctur etc.
Beruhigende Mittel, Sedantia oderschmerzstillende
Mittel, Anodyna (von « prid. und oSvvrj , der Schmerz). Hierunter
versteht man alle therapeutischen Mittel, sie mögen nun arzneiliche, phy-
sische oder chirurgische sein , welche den Zweck haben , die allgemeine
oder partielle Aufregung und den Schmerz, von welcher Ursache er auch
abhängen mag, zu vermindern. Daher umfassen die S e d a n t i a nicht
bloss alle die arzneilichen Mittel , welche unter verschiedenen Umständen
zu beruhigenden werden können, wie z. B. die erweichenden, kühlenden,
adstringirenden , ja selbst einige reizende Mittel, wenn sie als Revul-
s i v a gebraucht werden , sondern auch viele physische Mittel , die wie die
112 BINDE.
Bäder, die Bähungen, die Compressionsmittel nicht in die Pharmocologie
gehören, sowie endlich eine Menge chirurgischer Verfahren, wie Einschnitte
bei ungleicher Spannung der Theile, das Ausziehen eines fremden Körpers,
eines schmerzhaften Zahnes , Blutentziehungen etc. Die Beruhigung ist
also nicht das Resultat einer eigenthümlichen Heilwirkung, die durch eine
Klasse analoger Mittel hervorgebracht wird , sondern blos der allgemeine
Ausdruck einer secundären therapeutischen Wirkung , die das Product
einer Menge sehr verschiedener und manchmal sogar entgegengesezter
Mittel sein kann. — Indessen gibt es eine Klasse von Mitteln , welche
durch directe Wirkung auf die Nerven die Schmerzen vermindern , die
unter dem Namen der betäubenden Mittel näher erörtert werden sollen.
Betäubende Mittel, Narcotica (von i'UQxou), ich betäube).
Mit diesem Namen belegt man Arzneimittel , welche die Sensibilität her-
unterstimmen und sie abstumpfen und zwar theils unmittelbar durch blosse
Berührung der peripherischen Enden der Nerven , theils mittelbar , indem
die wirksamen Stoffe derselben von den aufsaugenden Gefässen aufge-
nommen, in den Kreislauf gebracht werden und vom Blute aus auf Gehirn
und Nervenmark einwirken. Die äusserlich wirkenden Mittel dieser Gat-
tung können in nicht erregende oder solche , welche die animalen
Lebensäusserungen der Nerven beschränken , ohne die Bildungsthätigkeit
derselben zu vermehren, und in erregende oder solche eingetheilt wer-
den , welche zugleich die Thätigkeit der Blutgefässe , der Nerven und des
Gehirns vermehren. Leztere äussern auch auf die rückführenden und auf-
saugenden Gefässe einige Wirkung. — Zu den nicht erregenden
Narcotica zählt man : die Blausäure und die blausäurehaltigen Wasser
(Aqua laurocerasi, pruni padi, amygd. amar. , persico-
r u m ) und Oele (Oleum laurocerasi, amygd. amar. , cortic.
pruni padi etc.) und das blausaure Kali; zu den erregenden: das
Bilsenkraut, die Belladonna, den Stechapfel, den Giftlattich, Hanf, das
Opium und diesem ähnlich wirkende Substanzen, die Cicuta, Digitalis, den
Tabak , Akonit etc. ; endlich sind noch der Aether und das Chloroform,
sowie der thierische Magnetismus als schmerzstillende Mittel zu nennen.
Binde , F a s c i a , Vinculum. Mit diesem Namen bezeichnet
man ein gewöhnlich aus Leinwand bereitetes , langes und schmales oder
kurzes und breites Verbandstück, welches zur Befestigung, zum Zusam-
menhalten oder Einschliessen irgend eines Theiles des Körpers dient. Man
bereitet auch Binden aus Barchent, Flanell, Seide, Kattun, Gurt und Leder,
je nachdem es der Zweck erfordert. — Die Breite und Länge der Binden
richtet sich nach dem Umfange und der Länge des kranken Körpertheiles.
Zu schmale Binden schneiden an umfangreichen Gliedern ein , zu breite
klaffen. Die Binden für die Hand müssen etwa 1 Querfinger , für den
Kopf 2, für die Arme und Schenkel 3 und für den Rumpf 4 Finger breit
BINDE. 113
sein. Die Lange wechselt von 2 — 27 Ellen. — Man theilt die Binden
in einfache und zusmmengesezte ein. Erstere bestehen aus ein-
fachen Bändern, welche sich nach einer Richtung hin entwickeln ; die lez-
teren hingegen bestehen aus mehreren einzelnen Bindenstücken , die so
zu einem Ganzen vereinigt werden, dass sie entweder in einer oder in ver-
schiedenen Richtungen verlaufen.
I. E inf ach e B in d en. An jeder einfachen Binde unterscheidet
man die beiden Enden und das Mittelstück oder den Grund.
Wird eine Binde in ihrer ganzen Länge auf eine Rolle aufgewickelt , so
erhält man eine einköpfige Binde; rollt man sie von beiden Seiten
gegen die Mitte hin auf, so entsteht eine zweiköpfige Binde. Die
aufgewickelte Binde nennt man Rollbinde. — Um eine einfache Binde
aufzuwickeln , wird das eine Ende einige Mal in sich selbst zusammen-
geschlagen und durch Rollen zwischen den Fingern beider Hände eine
steife Rolle gebildet. Diese Rolle fasst man an ihren Seitenwänden mit
der Spize des linken Daumens und Zeigefingers und legt sie so in die
hohle rechte Hand, dass der aufzurollende Theil der Binden zwischen dem
Daumen und Zeigefinger durchlaufend über den Rücken dieser Hand
herabhängt. Der eingeschlagene 4. und 5. Finger der rechten Hand un-
terstüzen die Rolle. Beide Hände befinden sich dabei in einer Lage zwi-
schen Pro- und Supination. Um nun das Aufrollen der Binde zu bewerk-
stelligen , werden beide Hände in Supination gebracht , wodurch der zwi-
schen den Fingern der linken Hand festgehaltene Bindenkopf sich wie um
zwei Angeln dreht, während der gegen den Zeigefinger angedrückte Dau-
men der rechten Hand den unaufgewickelten Theil der Binde , welcher
dem Zuge der Rolle folgt und sich an diese anlegt , durchlässt. Hierauf
werden die Hände in die erst innegehabte Lage zurückgebracht und das
eben angegebene Verfahren so lange wiederholt , bis die Binde ganz auf-
gewickelt ist. Von Zeit zu Zeit fixirt man die Rolle in der sie haltenden
Hand und zieht den aufzurollenden Theil der Binde mit dem Daumen
und Zeigefinger der rechten Hand fest an , um die Festigkeit der Rolle
zu vermehren. Soll eine Binde auf zwei Köpfe aufgerollt werden , so be-
zeichnet man erst die Mitte derselben, wickelt sie dann von dem einen
Ende aus bis zu dem Zeichen auf und steckt den Kopf mit einer Steck-
nadel fest, damit er sich beim Aufrollen der zweiten Bindenhälfte nicht
abwickele. In Spitälern bedient man sich häufig eigener Bindenwickel-
maschinen. — Mit dem Anlegen der Binde darf nie über der leidenden
Stelle begonnen werden. Um die einköpfige Binde anzulegen , fasst man
sie so in die rechte Hand , dass der Kopf nach oben sieht , ergreift das
freie Ende der Binde mit dem linken Daumen und Zeigefinger , rollt ein
Stück ab, legt es da an, wo man beginnen will und hält es dort mit eini-
gen Fingern fest , bis man es durch einige darüber geführte Kreisgänge
befestigt hat, worauf man mit der weitern Anlegung der Binde in der
Weise fortfährt, dass man den Kopf nahe an dem Gliede herumführt und
Burger, Chirurgie. 8
1 14 BINDE.
jede Uniwickelung (Gang, Tour) die andere etwas deckt. Hat man Theile
von ungleichem Durchmesser zu verbinden , so wendet man zur Vermei-
dung klaffender Spalten den sogenannten Umschlag (Inversio,
Renverse) an, den man so lange als nöthig bei allen Gangen wieder-
holt. Je nachdem der zu verbindende Theil an Dicke zu- oder abnimmt,
werden die Umschläge auf- oder abwärts gemacht. Man bildet sie, indem
man den erschlafften Bindenkopf um seine Achse dreht, während man den
Daumen auf den Rand der zulezt gemachten Bindentour legt, so wohl um
diese zu fixiren, als die Wendungsstelle für den Umschlag zu bestimmen.
Man bildet die Umschläge immer an der gleichen Stelle. — Beim An-
legen der zweiköpfigen Binde wird , während man in jeder Hand einen
Bindenkopf hält , der Grund derselben auf die Mitte der hintern Fläche
des zu umgehenden Theiles gelegt , beide Köpfe nach vorn geführt und
über dem Gliede gewechselt und gekreuzt. Der Schluss der Binde darf
so wenig wie der Anfang in den Bereich der kranken Stelle kommen ; er
wird mit einer Stecknadel oder Nadel und Faden befestigt. — Beim Ab-
nehmen der Binde löst man zuerst den Schluss derselben und übergibt
das Abgewickelte in einem Knäuel von einer Hand in die andere. Ange-
klebte Stellen weicht man mit warmem Wasser auf.
II. Z u s a m m e n g e s e z t e B i n d e n. Zu diesen rechnet man die
TBinde , die Buchbinde, die Scultet'sche und die Gitterbinde. —
l) Die TBinde (Fascia T formis) hat die Gestalt eines lateini-
schen T und besteht aus einem horizontalen Leinwandstreifen , an dem
je nach Bedürfniss ein oder zwei senkrechte Streifen entweder festgenäht
oder mit einer Oehse angeschoben sind (bewegliche TBinde); nicht
selten wird der senkrechte Theil an seinem freien Ende bis auf einige
Zoll gespalten. Die TBinden werden zur Befestigung anderer Verband-
stücke, namentlich am Rumpfe benüzt. — 2) Die Buch- oder Blätter-
binde (F. as cialis s. libriformis) wird hauptsächlich bei Fractu-
ren der unteren Extremitäten angewendet. Man nimmt zu ihrer Herstel-
lung drei Stücke Leinwand , deren Länge und Breite sich nach dem ver-
lezten Gliede richtet , legt sie auf einander , verbindet sie in der Mitte
durch eine Naht und macht in jede Lage von beiden Seiten aus zwei Ein-
schnitte in der Weise, dass die Einschnitte der verschiedenen Lagen nicht
auf einander treffen. Hiedurch erhält man im Ganzen 1 8 Köpfe, weshalb
man diese Binde auch die 18köpfige nennt. Man kann auch mehr als
18 Köpfe bilden. Zweckmässiger wird diese Binde aus einzelnen Lein-
wandstreifen gebildet, welche man in drei Lagen in der Art über einander
legt, dass die Zwischenräume der einzelnen Streifen gedeckt werden : hier-
durch wird es möglich , einzelne beschmnzte Streifen zu entfernen und
durch reine zu ersezen. Die mittlere Lage erhält dabei einen Streifen
weniger als die obere und untere. — - 3) Die vielköpfige Binde,
gewöhnlich die S cu ltet 'sehe Binde genannt, hat dieselbe Bestimmung
wie die vorhergehende, vor der sie aber den Vorzug verdient. Sie wird
BINDE. 115
aus einzelnen Leinwandstreifen zusammengesezt , die so auf einander ge-
legt werden , dass einer den andern zur Hälfte deckt. Die Breite der
Streifen beträgt 2 — 3 Zoll ; ihre Länge muss eine solche sein , dass sie
l1/2 Mal um das Glied gelegt werden können. Die Anzahl der Streifen
richtet sich nach der Länge des Gliedes. Zur bessern Handhabung der
Binde ordnet man sie auf einem Tuche an, welches man unter das zu ver-
bindende Glied bringt. Bei der Anlage beginnt man mit dem untersten
kürzesten Streifen, dessen beide Enden man so um das Glied schlägt, dass
sie sich auf diesem kreuzen. Auf gleiche Weise verfährt man mit den
übrigen Streifen von unten nach oben zu. — 5) Der Gitterbinden
gibt es zwei , eine vierköpfige, auch Kreuzzugsbinde genannt,
zur Vereinigung von Längenwunden, und eine zweiköpfige, für Quer-
wunden bestimmt. Die erste besteht aus vier Bindenstreifen, von welchen
je zwei durch drei schmale Bändchen mit einander verbunden sind, welche
vor ihrer Befestigung so in einander geschoben werden, dass die 6 Bänd-
chen sich kreuzen. Die zweiköpfige Gitterbinde besteht aus zwei Lein-
wandstücken von 1I/2 — 1 Elle Länge und so breit als die Wunde, von
denen das eine von einem Ende an bis zur Mitte mehrfach gespalten, das
andere mit eben so vielen Spaltöffnungen versehen wird. Bei der Anle-
gung der 4köpfigen Binde kommen die gekreuzten Bändchen auf die
Wunde zu liegen ; zwei Köpfe der Binde werden auf der der Wunde ent-
gegengesezten Seite des Theiles auf einer Compresse verknüpft , die bei-
den anderen Köpfe so fest als nöthig angezogen und seitlich befestigt.
Von der 2köpfigen Gitterbinde wird das eine Stück oberhalb , das andere
unterhalb durch einige Zirkeltouren befestigt , die Köpfe des einen Strei-
fens durch die Spalten des anderen gesteckt , die Enden beider in ent-
gegengesezter Richtung angezogen , bis die Wundlefzen mit einander in
Berührung kommen, und sie dann durch weitere Zirkelgänge befestigt.
in. Allgemeine Binden verbände. Der Zirkelverband
(Fasciatio circularis, orbicularis) besteht aus mit einer' ein-
köpfigen Binde ausgeführten kreisförmigen , sich vollständig deckenden
Umwickelungen um einen Körpertheil ; einen einzelnen Gang nennt man
Zirkelgang. Dieser Verband dient zur Befestigung kleiner Verband-
stücke ; auch beginnen und enden die meisten Rollbindenverbände mit
Zirkeltouren. — 2) Der Spiral-, Schnecken- oder Hobelspan-
verband, der Hobel (Fasciatio spiralis, Ascia, Dolabra)
besteht in der Anlegung einer Binde, wobei die Touren sich spiralförmig
um den zu verbindenden Körpertheil winden (Ductus s p i r a 1 e s). Wird
die Binde dabei aufwärts geführt, so heisst der Verband eine Dolabra
a s c e n d e n s , im umgekehrten Falle eine Dolabra descendens.
Decken sich die Touren wenig oder gar nicht, so nennt man den Verband
den kriechenden Spiral verband (D. repens obtusa); er
dient zur leichten Festhaltung anderer Verbanclstücke ; wird ein Dritttheil
jeder Tour durch die nachfolgende gedeckt, so heisst dies der breite
8*
116 BLUTEGELSEZEN.
oder grosse Spiralverband; geschieht die Deckung zur Hälfte
(bei Einwicklungen der Extremitäten), der mittlere und bei solcher zu
drei Viertheilen der kleinere oder schmale Spiralverband. —
Dient der Spiralverband zur Festhaltung anderer Verbandstucke, so heisst
er auch haltender Verband (Fascia t. continens s. con-
tentiva). Legt man ihn fest an in der Absicht , einen Druck aus-
zuüben , so wird er Compressivverband (F. compressiva) ge-
nannt. Eine Abart von diesem ist der austreibende Verband (F.
expulsiva s. expellens), welchen man in Verbindung mit gestuften
Longuetten uud Compressen anwendet , um Secrete aus Hohlgeschwüren
auszutreiben und deren Wandungen durch Zusammendrücken zur Ver-
wachsung zu bringen. — 3) Der Kr e uz verb an d (F. cruciata)
findet an Gelenken seine Anwendung und besteht aus zuerst auf- oder
abwärts steigenden, dann in entgegengesezter Richtung auf- oder abwärts
verlaufenden Gängen , so dass sich je zwei Gänge an irgend einer Stelle
kreuzen (Ductus cruciati). An jeder Kreuztour unterscheidet man
die Kreuzungsstelle und die Strahlen oder Bogen. Es gibt
zwei Arten von Kreuzverband : a) der Schildkrot- oder strahlen-
förmigeVerband (Testudo, Fase, radiata) entsteht, wenn die
Kreuzungspunkte mehrerer Gänge aufeinander fallen und die Bogen der-
selben einander immer mehr genähert oder von einander entfernt werden.
Bei Gelenken fallen die Kreuzungspunkte auf die Beuge - und die Bogen
auf die Streckseite des Gliedes. Steigen die Bogen über dem Gelenke
auf- und unter diesem abwärts, so erhält man eine Testudo reversa,
bei umgekehrtem Verlaufe eine T. i n v e r s a. b) Der Kornähren-
verband (S p i c a) wird dadurch gebildet, dass man bei mehreren Kreuz-
touren diese sich nur theilweise decken lässt, wodurch eine Figur entsteht,
die Aehnlichkeit mit der Stellung der Spelzen einer Kornähre hat. Man
kann eine horizontale oder perpendiculäre , eine auf- oder absteigende
Spina bilden. — 1) Der vereinigendeVerband (Fase, uniens)
wird mit einer zweiköpfigen Binde ausgeführt, indem man über der Wunde
angekommen, entweder den untern Bindengang über den obern umschlägt
oder den einen Kopf durch eine Längenspalte hinter dem andern durch-
steckt und dann beide Köpfe so stark , als zur Vereinigung der Wunde
nöthig ist , anzieht. Man fährt so fort , bis diese geschlossen ist. — ■ Die
Anwendung der Gitterbinde siehe oben. — Man nennt diesen Verband
auch den fleischmachenden, Fase, incarnativa.
Biutegelsezen , Applicatio hirudinum. Mit dem An-
sezen von Blutegeln bezweckt man eine örtliche Blutentleerung aus dem
Capillargefässsystem. Es gibt eine grosse Menge von Verfahren, sie anzu-
sezen. Am zweckmässigsten ist es, wenn es die Localität erlaubt , sie in
ein kleines Weinglas oder in einen gläsernen Schröpfkopf zu bringen,
denselben da umgestülpt aufzusezen , wo sie saugen sollen , und ruhig ab-
KLliTEGELSEZEN. 117
zuwarten, bis sie angebissen haben. Oder man fasst dieselben mit einem
Stückchen Leinwand an ihrem hinteren Theile und leitet den Kopf gegen
die Applicationsstelle hin ; man kann sie mittels eines zusammengerollten
Kartenblattes oder eines Glascylinders ansezen ; lezteres Verfahren ist
beinahe unentbehrlich , wenn die Blutegel in der Tiefe von Höhlen oder
Kanälen applicirt werden sollen , z. B. am Muttermunde. — Wollen die
Blutegel nicht anbeissen , so haben sie entweder schon vorher gesogen,
oder sie häuten sich, oder die Haut ist noch nicht gehörig von riechenden
Schweissen , Haaren , Einreibungen etc. , gereinigt. Ist dies aber gesche-
hen , so bestreicht man zur Beförderung des Anbeissens die betreffende
Stelle mit Zuckerwasser, Milch oder Blut, oder man legt die Blutegel vor-
her in braunes Bier , lässt sie einige Minuten auf einem trokenen Tuche
herum kriechen ; im Nothfall macht man einen kleinen Einstich mit der
Lancette. Wenn sich die Blutegel vollgesogen haben , so fallen sie von
selber ab ; will man dieses Abfallen beschleunigen , so bestreut man sie
mit ein wenig Salz. Nach dem Abfallen begünstigt man die Nachblutung
durch Waschungen mit lauwarmem Wasser. In der Regel hört die Blu-
tung von selbst auf oder man stillt sie durch kaltes Wasser oder Essig
oder das Auflegen von Feuerschwamm doch sehr bald. Zuweilen ist es
indessen ungemein schwer, namentlich bei Kindern, die Blutung zu stillen.
Man hat bei diesen daher solche Stellen , wo grössere Venen oder gar
Arterien liegen, bei der Application sorgfältig zu vermeiden und vielmehr
diejenigen auszuwählen , an welchen sich wegen unterliegender Knochen
mit Leichtigkeit eine Compression ausüben lässt. Zur Stillung solcher
Blutungen empfiehlt man das Aufstreuen von styptisehen Pulvern (Colo-
phonium , Alaun, Gummi arabicum), das Eindrehen von 2 — 3 Charpie-
fäden , das Aufstreichen von Collodium , das Auflegen von Pinghwar-har,
die Cauterisation mit einem zugespizten Stückchen Höllenstein oder einem
glühend gemachten Drahte oder einer Stricknadel , die Verschliessung
der Wunde mittels einer Schieberpincette , oder als das sicherste Mittel
das Durchstechen einer die Bissstelle in sich schliessenden Hautfalte mit
einer Insectennadel und Umschlingungung dieser mit einem Faden in der
Weise , dass sich der Faden auf der Stichwunde kreuzt. — Theile,
welche mit zartem , schlaffen Zellgewebe versehen , z. B. die Augenlider,
der Hodensack , der Penis vertragen die Blutegelstiche nicht gut , weil
grosse Blutunterlaufungen , Geschwulst und Entzündung darnach ent-
stehen; man vermeidet sie daher möglichst; treten diese Zufälle auf, so
wendet man Bähungen von Bleiwasser an. In der Mehrzahl der Fälle thut
man auch wohl, die Blutegel nicht auf die entzündete und geröthete Haut-
stelle selbst, sondern an die Grenze derselben zu sezen ; bei tiefer gele-
gener oder atonischer Entzündungsgeschwulst kann man dies jedoch ohne
Bedenken thun. — Sollten Blutegel zufällig in die Nasenhöhle, den
Magen, den Mastdarm, die Scheide etc. gekrochen sein, so tödtet man sie
durch eine eingesprizte oder verschluckte Kochsalzlösung.
118 BLUTSTILLENDE MITTEL.
Blutstillende Mittel, Haemostatica (von ai/ua, das
Blut , und $(i(x) j ich stille). Die in grosser Anzahl sich darbietenden
Mittel zur Blutstillung müssen , je nach der Grösse, Zahl, Natur und
Lage der Gef ässe , welche das Blut ergiessen , je nachdem die Blutung
in Folge einer Verwundung , einer Verschwärung , einer Ausschwizung,
einer Zusammenschnürung stattfindet, nothwendig verschieden sein. Die
gesunde oder krankhafte Beschaffenheit der Wandungen der Blutgefässe,
aus denen das Blut kommt , die der umgebenden Weichtheile , welche
gesund, entzündet, infiltrirt oder vom Brande ergriffen sein können, die
Natur der Zufälle , welche die Blutung begleiten , das Alter , die Kraft
oder die Schwäche des Kranken sind noch andere Umstände , die man
sorgfältig in Erwägung ziehen muss , um entweder eine richtige Wahl
unter den blutstillenden Mitteln zu treffen oder um methodisch diejeni-
gen anzuwenden , welche in jedem besondern Falle passen. — • Die Blut-
stillungsmittel zerfallen je nach ihrer Wirkungsweise in solche , welche
vorzugsweise auf chemischem Wege Gerinnung des Blutes und dadurch
Verschluss des blutenden Gef ässes bedingen ; in solche , welche wesent-
lich durch Erregung der Contraction der Gefässe wirken und in solche,
weiche auf mechanischem WTege den Blutstrom hemmen. — I. Che-
misch wirkende Mittel. Die meisten zu dieser Gruppe gehören-
den Mittel sind pharmaceutische (Medicamenta styptica, von
c;v(ß(x) , ich ziehe zusammen). Sie wirken nur dann , wenn sie mit dem
Blute selbst in Berührung kommen , indem sie das Eiweiss des Blutes
gerinnen machen ; nebenbei wirken sie auch contrahirend auf die Gefässe.
Man wendet diese Substanzen entweder in Auflösungen oder gewöhn-
licher als Pulver an. Im erstem Falle werden sie in Wunden und be-
sonders in Höhlen , aus denen eine Blutung erfolgt , eingesprizt oder
Charpiebäusche damit getränkt ; im lezteren streut man sie auf die blu-
tenden Gefässe theils direct , theils indem man sie einem Tampon ein-
verleibt. Um das Haften in der Wunde zu sichern , mischt man ihnen
auch Gummi und Harze bei , denen Manche eine specifische Wirksamkeit
zuschreiben. Hieher gehören : schwefelsaures Kupfer , Alaun , schwefel-
saures Eisen, Höllenstein, Mineralsäuren, Weinessig, Weingeist, Theden's
Schusswasser (eine Zusammensezung der drei lezteren). Wenn der Blut-
fluss nur einigermassen beträchtlich ist , so ist die Wirksamkeit dieser
Mittel sehr unsicher und unzureichend ; bei Blutungen aus den kleinsten
arteriellen und venösen Gef ässen leisten sie aber gute Dienste, besonders
wenn Druck damit verbunden wird. Dagegen sind die auch hiebe r
gehörige Cauterisation (Glüheisen) und Electropunctur (s. d. Art.) höchst
wichtige Blutstillungsmittel auch bei Blutungen aus grösseren Arterien.
- II. Die Contraction der Gefässe anregende Mittel.
Die hieher gehörigen Mittel haben zwar mit den vorhergehenden die ge-
nannte Wirkung gemein; sie ist für diese aber nur eine Nebenwirkung,
BLUTUNG. 119
während sie für jene die Hauptwirkung ausmacht. Obenan unter ihnen
steht die Kälte, welche am zweckmässigsten durch Eis angewendet
wird. Für geringere Blutungen reicht schon kaltes Wasser aus ; bei Ver-
lezungen grösserer Arterien ist aber auch das Eis nicht ausreichend. Man
erhält das kalte Wasser in der wärmeren Jahreszeit durch hineingeworfe-
nes Eis auf einem gleichen Kältegrade ; in Ermangelung von Eis oder
Schnee sezt man dem Wasser Salz zu. Weitere hieher gehörige nur
für geringere Blutungen brauchbare Mittel sind : die Ergotinlösung nach
Bonjean, das Br o c chieri'sche , Ch app el in' sehe , Binelli'sche
(Kreosot-) Wasser, Seeale cornutum. — III. Mechanisch wir-
kende Mittel. Die hier in Betracht kommenden Mittel wirken ent-
weder durch Zusammendrücken des blutenden Gefässrohres oder durch
Verklebung der Gef ässoffnung. Zu den ersteren gehören : das T u r -
niket, die Unterbindung der Gefässe (s. dies. Art.), die Um-
drehung der Gefässe, Torsio vasorum, bei welcher die blu-
tende Arterie mit einer eigends dazu construirten Pincette vorgezogen
und 7 — 8mal um ihre Achse gedreht wird ; die Durchschlingung
der Gefässe, welche darin besteht , dass man die hervorgezogene Ar-
terie schief abschneidet und hierauf das zugespizte Ende mit einer Zange
in einen Spalt in die Arterien wand einzieht , die Tamponade, wor-
unter man das Auflegen von mehr oder weniger grossen Kugeln (Tam-
pons) aus Charpie, gekautem Papier oder Feuerschwamm auf die blutende
Oberfläche oder das Einbringen derselben in blutende Höhlen , wie Nase,
Mund, Scheide , After , oft mit styptischen Mitteln getränkt oder bestreut
und unter Anwendung eines Druckes versteht. Zu den verschliessenden
und verklebenden Mitteln rechnet man verschiedene schwammige Kör-
per , welche sich an die Wundränder ansaugen , wie den Feuerschwamm,
Lärchenschwamm , Bovist, Badschwamm, das Pinghwar-har (ein indisches
Laubraoos) , verschiedene mehlige Pulver , welche mit dem abfliessenden
Blute einen Teig bilden , welcher , indem er sich an die Wundfläche an-
klebt , die Mündungen der blutenden Gefässe verschliesst , nach Einigen
durch Abgabe von Sauerstoff an das Blut dieses auch schneller zur Ge-
rinnung bringt; solche Substanzen sind: das arabische Gummi, der
Kirsch- , Pflaumen-, Lärchengummi , das Colophonium. Weitere rein ver-
klebende Mittel sind das Collodium und der Gyps , der entweder trocken
aufgestreut oder mit Wasser zu einem Brei angerührt, indem er erhärtet,
die Wunde verstopft.
Blutung , Blutfluss, Haemorrhagia ( von aipa , das
Blut, und gjjyvvfjt , ich berste), die Hämorrhagie. Mit diesem
Worte bezeichnet man jeden Austritt des Blutes aus seinen Gefässen.
Nicht jede Blutung ist etwas Krankhaftes , es gibt auch physiologische
Blutungen (die normale Menstruation etc.). Eigentlich ist jeder Blut-
fluss für sich keine Krankheit zu nennen , er ist nur das Symptom eines
120 BLUTUNG.
krankhaften Zustandes der blutenden Qefässe oder des ganzen Gefäss-
systemes und hat nicht selten örtliche oder allgemeine Störungen in den
Functionen der leidenden Organe zur Folge. Die Blutflüsse sind entwe-
der dynamischen oder organischen Ursprunges. Die dyna-
mischen können a c t i v , d. h. auf allgemein oder örtlich erhöhter
Thätigkeit des Gef ässsystemes beruhend , oder passiv, auf einem
Schwächezustand desselben beruhend sein. Wird durch den activen
Blutfluss eine allgemeine oder örtliche Plethora gehoben , so nennt man
ihn kritisch; entstand die örtliche Blutung dadurch, dass an einem
entfernt gelegenen Orte die Blutcirculation gestört wurde , consen-
suell. Die passiven Blutungen sind als meistens auf einer Entmischung
des Blutes beruhend, gewöhnlich symptomatische, d. h. Symptome
einer allgemeinen Dyscrasie. — Die Blutungen organischen Ur-
sprunges sind immer die Folge einer Verlezung (Verwundung durch
Stiche etc.) , D i a e r e s i s , oder einer Zerreissung , R, h e x i s , oder einer
Zerfressung, Diabrosis, der Gefässe, daher die Unterscheidung einer
Haemorrhagia per diaeresin, per r hexin und per d i a -
b r o s i n. — Ferner unterscheidet man , je nachdem die Blutung aus
Arterien oder aus Venen erfolgt , arterielle und venöse Blut-
flüsse. Sind leztere dynamischen Ursprunges, so tragen sie immer
den Charakter der Passivität an sich, was sich aus der Structur der Ve-
nen leicht erklärt. — Rücksichtlich des Sizes unterscheidet man die
Blutungen in innere und äussere, je nachdem sie im Innern des
Körpers stattfinden , oder aus einem der Oberfläche näher gelegenen Or-
gane kommen. Im ersteren Falle , wenn das Blut gar nicht nach aussen
gelangt , nennt man die Blutung auch eine verborgene , H. occulta,
im Gegensaze zu der H. a p e r t a , wo das Blut zu Tage tritt. Nach
dem Grade ihrer Heftigkeit bezeichnet man leztere auch wohl mit dem
Namen des Bluttröpfeins, Stillicidium sanguinis, wenn
das Blut tropfenweis abgeht; des Blutflusses, Profluvium
sanguinis, Sanguifluxus, wenn das Blut in einem ruhigen
Strahle fortfliesst ; endlich mit dem des Blutsturzes, Haemor-
rhagia, wenn es mit grosser Heftigkeit hervorbricht. — Nach dem
Orte des Vorkommens theilt man die Blutflüsse in l) Hämor-
rhagien der Schleimhäute, wohin alle Blutflüsse der Mund-
und Nasenhöhle , des Magens und Darmcanales , des Harnsystemes, der
männlichen und weiblichen Geschlechtstheile gehören; 2) Hämor-
rhagien der Haut; 3) Hämorrhagien der serösen Mem-
branen, wohin die Blutergiessung der Pleura , des Herzbeutels , des
Bauchfelles und der Scheidenhaut des Hodens zu zählen sind; 4) Hä-
morrhagien des Zellgewebes, wohin alle Ecchymosen,
Sugillationen, Vibices etc. zu rechnen sind ; 5) Endlich Hä-
morrhagien des Parenchyms der Eingeweide. — Dia-
gnose. Diese ist nur schwierig bei inneren Blutungen, besonders wenn
BLUTUNG. 121
sie in den Höhlen des Körpers ohne Ausweg nach aussen stattfinden :
aber auch wenn das von innen kommende Blut zu Tage tritt, ist es nicht
immer leicht, die Quelle, aus der es fliesst, zu bestimmen ; so kann z. B.
bei einer Blutung aus dem Munde das Blut ebenso gut aus dem hintern
Theile des Mundes, wie aus den Lungen, dem Magen kommen. In
solchen Fällen müssen die der Hämorrhagie vorhergegangenen Umstände,
die sie begleitenden Symptome , die Farbe und Mischung des Blutes mit
andern Stoffen etc. zu Rathe gezogen werden. Ueber innere verborgene
Blutungen können nur die vorhergegangenen Krankheitserscheinungen
(Vorboten) und die Zeichen des Blutverlustes einiges Licht geben.
Erstere sind nach den verschiedenen Körperhöhlen verschieden, z. B. bei
Blutungen in der Schädelhöhle Schwindel, Eingenommenheit des Kopfes,
Betäubung, schwere Träume ; in der Brust Bangigkeit, vermehrte Wärme,
Druck etc. Die Zeichen der Blutleere sind : Gesichtsblässe, kalte Glieder,
kleiner aussezender Puls , kalte Schweisse, Ohrensausen, Schwindel, Ohn-
mächten etc.
Die activen Blutflüsse beruhen, wie schon erwähnt, entweder
auf erhöhte rThätigkeit des ganzen Gefässsystemes, sind
mit einem acht inflammatorischen Fieber verbunden, oder das Gefässleiden
trägt nur den Charakter des Erethismus an sich , oder aber die Blu-
tung ist eine rein örtliche, an der das gesammte Gefässsystem keinen
Äntheil nimmt. Im ersten Falle tritt die Blutung auf der Höhe des Ge-
f ässfiebers ein ; ihm voraus geht das Gefühl des Druckes , der Schwere,
der vermehrten Wärme im leidenden Theile, der sich dabei geröthet und
geschwollen zeigt. Das ausfliessende Blut ist hellroth und erzeugt eine
Entzündungshaut. Solche Blutflüsse sind für das Allgemeinleiden immer
als Krisen zu betrachten , indem der vorher harte und volle Puls weicher
und langsamer , die trockene Haut feucht wird , die Spannung in allen
Theilen nachlässt etc. — Die Hämorrhagien mit dem Charakter des
Erethismus zeigen zwar ähnliche Erscheinungen, doch sind leztere sehr
veränderlich , der Puls ist nicht klein , krampfhaft ; in einem Theile des
Körpers kann Congestion stattfinden , während sich antagonistisch in an-
dern die Erscheinungen des Krampfes und der Blutleere, im Allgemeinen
aber die Zufälle einer gesteigerten Reizbarkeit im Nervensystem kund-
geben. Die Blutung erleichtert zwar den Kranken im Anfange etwas, die
Zufälle der Congestion lassen nach , bald folgt aber ein Gefühl von
Schwäche und Abspannung , das sich bis zu Zuckungen , Unruhe, Schwin-
del, Funken vor den Augen, Ohrensausen etc. steigern kann. — Blutun-
gen ohne Mitleiden des Gefässsystemes sind rein örtlich , deren Grund
in dem Organe selbst liegt ; meistentheils ist es Schwäche mit vermehrter
Reizbarkeit; durch leztere wird ein Zufluss von Blut bedingt, dessen An-
drang zu widerstehen, die erstere nicht gewachsen ist. — Die passiven
Blutflüsse beruhen auf Schwäche und Relaxation der Gefässe und
einer Auflösung des Blutes , wobei Transsudaten desselben stattfindet ;
122
BLUTUNG.
deswegen stellt sich auch häufig die Blutung in mehreren Organen zugleich
ein (wie im Scorbut, Faul- und Fleckfieber). Das ausgetretene Blut (das
nur aus dem in Serum aufgelösten Blutfarbstoff besteht) ist wässrig, gelb-
grün , schwärzlich , gerinnt nicht , ist oft übelriechend und geht leicht in
Faulniss über ; der Puls klein , ungleich , zitternd , aussczend , weich und
leicht wegzudrücken. Die Blutung erleichtert den Kranken gar nicht,
macht ihn im Gegentheile immer schwächer, hinfälliger und es folgen bald
Lähmungen , Sopor , Stupor , Tympanitis , Marmorkälte der Glieder, kalte
klebrige Schweisse und unwillkürlicher Abgang der Excremente. — Die
Blutungen organischen Ursprunges zeichnen sich durch den
Mangel an Vorboten, ein rascheres Ausströmen des Blutes und daher auch
durch eine schneller und plözlich hervortretende Blutleere aus. — Kommt
das Blut aus den Arterien, so springt es hellroth, in Absäzen und mit
Gewalt hervor, während das schwarze, carbonisirte V e n e n b 1 u t langsam
dahin fliegst. Eine hochrothe Färbung zeigt das Blut gewöhnlich bei Blu-
tungen oberhalb des Zwerchfells , eine dunkle bei solchen unterhalb des-
selben. — Ursachen der Blutungen. Sie gehen zum Theil schon aus
dem Gesagten hervor. Zunächst ist einer bei einzelnen Individuen vor-
kommenden krankhaften Anlage zu Blutflüssen zu erwähnen, welche unter
dem Namen der Bluterkrankheit, Hämorrhophilie (Idio-
syncrasia s. Diathesis haemorrhagica) bekannt ist , und auf
einer zarten Construction und Vulnerabilität der Gefässhäute und einer
dünnen , wässrigen Beschaffenheit der Blutmasse zn beruhen scheint. Die
daran leidenden Individuen (B 1 u t e r) sind gewöhnlich zartgebaute san-
guinische Personen mit leicht erregbarem Gef ässsystem , weisser durch-
sichtiger Haut, blonden Haaren und blauen Augen. — Als prädisponiren-
des Moment der activen Blutungen mit dem Charakter der Synocha sind
das mittlere und kräftige Mannesalter , verbunden mit einer robusten und
plethorischen Körperconstitution , und als Gelegenheitsursachen alle stark
reizenden und sehr nährenden Speisen und Getränke , starke Körperbe-
wegung, schneller Temperaturwechsel etc. namhaft zu machen. Zu Blu-
tungen mit dem Charakter des Erethismus sind jugendliche Leute mit
einer reizbaren schwächlichen Körperconstitution prädisponirt und erregt
werden sie ausser von den eben genannten Gelegenheitsursachen durch
Erkältungen und Krämpfe einzelner Theile , wodurch die Circulation hier
gehemmt und in anderen Theilen angehäuft wird , ferner durch die Ein-
wirkung ungewöhnlicher Wärmegrade auf das zu Blutungen disponirte
Organ , die Unterdrückung gewohnter Blutflüsse und schliesslich durch
alle acuten Krankheiten mit dem Charakter des Erethismus. — Die An-
lage zu den passiven Blutflüssen bedingt eine schlaffe , laxe , schwammige
Körperconstitution und das phlegmatische Temperament. Als Gelegen-
heitsursache muss alles betrachtet werden , was zu einer mangelhaften
Blutbildung, zu einer daraus hervorgehenden mangelhaften Ernährung bei-
trägt oder was auch selbst schnell eine Entmischung des Blutes im gesun-
BLUTUNG. 123
den Körper herbeiführen kann. Dahin gehören der Aufenthalt in einer
feuchten , verdorbenen , an Sauerstoff armen Athmosphäre, der Mangel an
Nahrung, an Salzen und Sauren, der Genuss verdorbener Nahrungsmittel,
deprimirende Affecte, Kummer, Sorge, Furcht, der Biss giftiger Schlangen,
Blizschlag , narkotische Pflanzengifte , endlich alle Krankheiten mit dem
Charakter der Schwäche, Faulfieber, Scorbut etc. — Als prädisponirende
Ursachen für die Blutungen organischen Ursprunges müssen betrachtet
werden alle organischen Verbildungen im Gefässsystem selbst, angeborene
wie erworbene. Zu den angeborenen sind zu rechnen : alle Missverhält-
nisse in der Grösse blutreicher Organe zu andern Körpertheilen ; zu den
erworbenen eine durch das Alter des Individuums oder durch krankhaften
Zustand ( kalkartige Ablagerungen und dgl. ) bedingte Mürbigkeit oder
Brüchigkeit der Gefässe , Puls- oder Blutadergeschwülste , Knoten in den
Lungen, enge Kleidungsstücke etc., wodurch der Kreislauf gehemmt oder
erschwert wird. Gelegenheitsursache kann Alles werden, was starke Con-
gestionen nach einzelnen Organen verursacht oder unmittelbar nachtheilig
auf einen bestimmten Gefässtheil einwirkt , wie heftige Erschütterungen,
Quetschungen , Verwundungen, fressende Geschwüre, Knochensplitter etc.
— Prognose. Diese wird bestimmt durch den Charakter der Blutung,
durch die Menge des dabei entleerten Blutes, durch den Ort der Blutung,
durch das Alter und die Individualität des von der Blutung befallenen
Individuums. Die activen Blutungen sind in der Regel weniger ungünstig,
als die passiven, und leztere sind wieder um so gefährlicher, je mehr sich
eiue angeborene Anlage zu Blutungen findet und je grösser der allgemeine
Schwächegrad ist , je mehr die Blutung auf Paralyse des Gef ässsystems
und einer allgemeinen Zersezung des Blutes beruht. Der active Blutfluss
mit synochalem Charakter wird gewöhnlich erst dann gefahrdrohend, wenn
die Blutung das rechte Maass überschreitet, so dass durch ihn ein Schwäche-
zustand herbeigeführt wird , während die activen Blutflüsse mit erethi-
schem Charakter gleich von vorn herein die irritable Schwäche vermehren.
Die Quantität des Blutverlustes bestimmt nicht immer die Gefahr , unbe-
deutende innere Blutungen geben eine schlechtere Prognose als bedeu-
tender Blutverlust durch Verwundungen , Nasenbluten etc. , doch kommt
es im lezteren Falle sehr darauf an , ob das Blut sich langsam und all-
mälig oder sehr rasch ergiesst. Auch kommt in Betracht , dass die
äusseren Blutungen durch die Kunst leichter zu stillen sind. Blutungen
aus grösseren Gefässen und aus Arterien sind bedenklicher, als solche aus
kleineren Gefässen und Venen ; sie sind gefährlicher im Kindes- und Grei-
senalter als im Mannesalter , gefahrdrohender im Allgemeinen bei Män-
nern als bei Weibern. Die Prognose bei Blutungen organischen Ursprun-
ges hängt sehr von der Ursache dieser Blutung ab. Eine Hämorrha-
gia per rhexin oder d i a b r o s i n entstanden ist bedenklicher als die
per diaeresin verananlasste , weil die R h e x i s und Diabrosis oft
auf nicht zu beseitigenden Ursachen beruht. Hämorrhagien nach äussern
1 24 BLUTUNG.
Verlezungen haben , wenn nicht der Blutverlust ein zu bedeutender ist,
nichts Bedenkliches , mindern sogar nicht selten das Wundfieber , den
Schmerz etc.
Behandlung. Sie muss eine verschiedene sein nach dem ver-
schiedenen Charakter der Blutung und im Allgemeinen die Wege verfol-
gen, welche die Natur zur Stillung der Blutungen einschlägt (s. den Art.
T h r o m b o s i s). — Bei der activen Blutung mit synochalem
Charakter handelt es sich zunächst, da sie etwas Kritisches, ein wohl-
thätiges Bestreben der Natur ist, die Congestion, Plethora, die ihr vorher-
gehen, zu beseitigen, nicht davon , sie zu stillen ; im Gegentheil kann es,
wenn sie zu gering ist , nöthig werden , sie zu befördern oder, wenn die
Natur ein edles Organ zur Blutung wählte , dessen Verlezung einen blei-
benden Nachtheil für den Kranken haben kann , sofort eine künstliche
Blutentziehung durch einen Aderlass zu veranstalten , um hierdurch die
Strömung von dem bedrohten Organe abzuleiten. Die innere Behandlung
muss dabei dem Gefässfieber entsprechend , gewöhnlich eine antiphlogisti-
sche im weitesten Sinne des Wortes und zugleich ableitende sein ; daher
reicht man N i t r u m mit Crem, t a r t a r i , mit Tart. vitriolatus,
säuerliche kühlende Laxanzen von Tamarinden , Cassia, unter den Salzen
Natrumtartaricum, Kaliaceticum, Sa 1 Glaube r i , die in-
dessen nicht zu anhaltend angewendet werden dürfen, namentlich nicht bei
Kindern, zarten Frauen etc., weil hier der Uebergang in Erethismus ohne-
hin leicht erfolgt und jene Mittel die Paralyse befördern können. Ist die
Blutung Folge einer unterdrückten normalen oder schon zur Gewohnheit
gewordenen Hämorrhagie , so suche man vorzugsweise die Blutstvömung
wieder nach den früheren Orten , nach den Uterin- oder Hämorrhoidal-
gefässen etc. hinzuleiten , wozu sich die Application von Blutegeln, der
Gebrauch von lauwarmen Fuss - und Halbbädern etc. eignet. Erst dann,
wenn die Blutung die Grenze einer Krise überschreitet und der Blutver-
lust an sich gefahrdrohend wird, ist es Zeit, dagegen einzuschreiten, wenn
nämlich der Ort der Blutung die Anwendung örtlich wirkender Mittel zu-
lässt. — Den activen Blutflüssen mit erethischem Charak-
ter liegt, wie erwähnt, kein Ueberschuss an Kraft und Stärke des Ge-
sammtorganismus, vielmehr oft ein Mangel an Kraft, immer aber eine un-
gleich vertheilte Sensibilität und partiell gesteigerte Irritabilität und ein
daraus hervorgehender Congestivzustand nach einzelnen Organen zum
Grunde. Es kann daher nicht die Rede davon sein, die eben angeführten
Antiphlogistica , Aderlässe etc. in Gebrauch zu ziehen. Höchstens kann
ein mit Vorsicht angestellter kleiner revulsorischer Aderlass nöthig werden.
Meistens reicht man mit Blutegeln aus, die man in die Nähe des leidenden
Organes sezt. Zur Beruhigung des Gefässsystemes nüzen vor Allem Mi-
neralsäuren, namentlich Elix. acid. Hall. mitTinct. digitalis,
etwas Tinct. opii, Acid. phosphoricum zu 2 0 — 40 Tropfen in
Valerianathee , alle %U Stunden gereicht. Ist ein örtlicher Krampf als
BLUTUNG. 125
Ursache der ungleichen Vertheilung des Blutes und der daraus hervor-
gehenden Blutung zu erkennen, so nüzen ausser dem Opium, Hyoscyamus,
der Digitalis besonders Ipecacuanha in r e fr acta dosi, Castoreum, Mo-
schus, Nux vomica, Valeriana, bis dieser Zustand und die Blutung
nachlässt. Dann fahre man mit dem E 1 i x. a c i d. H a 1 1 e r. fort , wähle
hierauf das Elix. vitrioli Mynsichti, Infus, calam. arom.,
c a r y o p h y 1 1 a t. , q u a s s i a e, spater Tinct. chinae composita. Da-
zwischen hinein können zuweilen wieder Antispasmodica nöthig werden.
Wichtig ist bei diesen Blutflüssen auch die Benuzung der ableitenden, re-
vulsorisch wirkenden Heilmethode : örtliche Blutentziehungen, Sinapismen,
Blasenpflaster , locale lauwarme Bäder , geschärft mit Salz , Senf, Asche,
Klystiere etc. Dauert die Blutung troz der Anwendung der genannten
Mittel fort , dann ist es auch hier an der Zeit , zu den örtlich wirkenden
Mitteln seine Zuflucht zu nehmen. — Die passiven Blutungen for-
dern die Energie des Gefässsystemes erhebende und die Contraction der
Faser befördernde Mittel. Hierher gehören die gewürzhaft bittern, die
rein bittern, die gerbstoffhaltigen Mittel und das Eisen innerlich und äus-
serlich angewendet. Ist hingegen die Blutung Begleiter einer adynami-
schen Krankheit, des Faulfiebers etc., so sind auch hier die Mineralsäuren
von grossem Nuzen, so wie bei einem sich ausbildenden Status nervo-
s u s oben genannte tonische Mittel mit ätherischen Oelen , mit gewürz-
haften Mitteln, mit Naphthen etc. zweckmässig verbunden werden. Um
die Blutung rasch zu stopfen , gibt man vorzüglich die Schwefelsäure,
z. B. R p. Elix. a c i d. H a 1 1. 5jj, S y r. cinnamora. ^j , A q. m e n t h.
pip. , A q. menth. crisp. ana ^jiv. M. S. Halbstündlich 1 — 2 Essl.
voll in einer Tasse Haferschleim; oder Rp. Elix. vitriol. Myns. ^j,
Elix. a c i d. H a 1 1. 5jj, A q. cardamo m i 5iv., Syr. cinnamomi^j.
M. S. Wie oben. Auch die Aq. oxy m u riati c a , die Phosphorsäure
zeigen sich von Nuzen ; z. B. Rp. Aq.oxym u r. ^ß, S y r. r u b. i d a e i ^jj,
Aq. cinnamomi s. v. ^vj. M. S. Wie oben; Rp. Acid. phospho-
rici 5jjj- S. Alle Vg Stunden 10 — 2 0 Tropfen in einer Tasse Hafer-
schleim. Sobald hierdurch und durch die geeigneten äussern Mittel die Blutung
etwas gelinder geworden ist , findet besonders die China Anwendung, wel-
cher man Elix. acid. Hall, beisezt. Eine Hauptrolle spielen bei allen
passiven Blutungen die örtlichen Mittel. Neben den styptischen Mitteln
(s. den Art. blutstillende Mittel) wendet man flüchtige Reizmittel,
wie die ätherischen Oele, Camphergeisi, Terpentinöl, Mastix, Weihrauch etc.
so wie adstringirende, tonisch wirkende Mittel , wie die Abkochungen der
China - , Eichen - , Ulmen - , Weiden - , Kastanienrinde , das Gummi Kino,
Succus catechu, die Schmucker'schen Fomentationen etc. in der
Nähe des blutenden Theiles an. — Die Diät muss bei den verschiedenen
Blutungen dem Charakter derselben entsprechend sein ; daher bei activen
Blutungen mit synochalem Charakter magere Diät und kühlende Getränke ;
bei solchen mit erethischem Charakter reizlose und nährende Diät, beson-
1 2 ß BLUTUNG. NASENBLUTEN.
ders schleimige Dinge : Sago, Salep, Gerstenschleim, Fleischbrühe u.dgl.;
bei passiven Blutungen eine kräftige, nährende, reizende Diät: Wein, Ge-
würze, Zimmt, Eier, kräftige Fleischbrühe u. dgl.
Blutungen im Besondern.
Ohrenblutfluss, Hämorrhagica aurium, Otorrhagia
(von ovg, coTog, das Ohr). Blutungen aus dem innern Ohre sind selten.
Am meisten kommen sie in Folge heftiger Kopfverlezungen vor , wo sie
eine Zerreissung bedeutender Blutgefässe und das Vorhandensein von
Fissuren und Fracturen in basi cranii beurkunden. Die Prognose die-
ser Blutungen ist sehr bedenklich ; eine besondere Behandlung nehmen
sie nicht in Anspruch. Ohrenblutflüsse in Folge von Verlezungen durch
stechende Instrumente oder fremde Körper sind meist unbedeutend und
leicht zu stillen. Ferner hat man in seltenen Fällen in Folge anomaler
Menstruation und unterdrückter Hämorrhoiden Blutungen aus den Ohren
beobachtet. Im höchsten Grade bösartiger Fieber mit Colliquation, beim
Scorbut kann neben Blutungen aus andern Organen das aufgelöste Blut
auch aus den Ohren fliessen.
Nasenbluten, Hämorrhagianarium, Epistaxis, R h i-
norrhagia (von qiv, die Nase). Es kommt in der Regel nur aus einem
Nasenloche, meist nur tropfenweise, zuweilen aber auch wohl in massigem
Strome. Wenn das Blut zur äussern Nasenöffnung hervordringt , so ist
die Diagnose sehr leicht, schwieriger hingegen, wenn bei weit nach oben
und hinten liegender blutender Stelle das Blut in den Rachen friesst
(Cho anorr h agia) , wo es dann im Schlafe, besonders von Kindern,
verschluckt und hierauf weggebrochen wird. Vorboten des Nasenblutens
sind Jucken, Kizel in der Nase, Niesen, brennendes Gefühl in den Nasen-
löchern neben den Zufällen der Congestion gegen den Kopf. — Eine
Anlage zum Nasenbluten findet sich im kindlichen Alter und im männ-
lichen Geschlechte. Kinder beiderlei Geschlechts sind dem Nasenbluten
sehr häufig unterworfen , mit den Jahren der Pubertät wird es seltener
und geht nun nicht selten im Jünglinge zum Blutspucken über , während
es sich in der Jungfrau zur Menstruation umformt. Deshalb finden sich
normwidrige Blutflüsse beim weiblichen Geschlecht weit seltener als beim
männlichen , von dem wieder solche mit einer gedrungenen plethorischen
Constitution oder solche, welche einen phthisischen Habitus zeigen, dem
Nasenbluten am häufigsten unterworfen sind. — Gelegen he itsur-
sache ist ausser traumatischen Veranlassungen Alles , was einen Orgas-
mus im ganzen arteriellen Gefässsystem hervorruft oder was einen ver-
mehrten Andrang des Blutes nach dem Kopfe veranlasst, daher grosse
Hize, der Missbrauch spirituöser Getränke, Anstrengung des Kopfes, enge
Halsbinden, organische Fehler in der Brust und in dem Unterleibe, Fieber,
Krämpfe, unterdrückte Menses, Hämorrhoiden etc. ^— Die Prognose
ist verschieden. Nasenbluten bei sonst gesunden Kindern und Jünglingen
oder Mädchen ist an sich in der Regel nicht gefährlich ; doch wer als
BLUTUNG. MUNDBLUTUNG. 127
Kind viel Nasenbluten hatte , bekommt in späteren Jahren leicht Blut-
speien und Schwindsucht, nach den 4 0er Jahren oft Hämorrhoiden und
im Alter ist es oft ein Vorbote der Apoplexie. Im entzündlichen Fieber
ist das Nasenbluten als kritische Erscheinung höchst wohlthatig , während
es im Faulfieber, Scorbut etc. ein sehr übles Symptom ist. — Behand-
lung. Sie muss sich nach dem Charakter der Blutung richten. Früh-
zeitig muss jedes heftige erethische und jedes passive Nasenbluten gestillt
werden, andere Arten dürfen erst gestopft werden , wenn die Blutung die
Kräfte zu erschöpfen droht. Man versucht zuerst Besprizen des Gesich-
tes mit kaltem Wasser ; reicht dies nicht aus, so lasse man kaltes Wasser,
Wasser mit Essig , eine schwache Alaunlösung oder eine Abkochung von
irgend einem adstringirenden Mittel einschnauben oder einsprizen oder
befeuchte mit diesen Flüssigkeiten kleine Charpiebäuschchen und bringe
sie mittels einer Sonde oder Kornzange an die blutende Stelle. Steht die
Blutung auch jezt noch nicht, oder ist überhaupt die blutende Stelle weit
hinten, so führt man die B eil o c q' sehe Röhre oder eine Darmsaite durch
die Nase bis zum Rachen und bindet an die vorgeschobene Feder der
Röhre oder an das aus dem Munde hervorgeholte Ende der Darmsaite ein
hinlänglich dickes Bourdonnet , womit man im Zurückziehen die hintere
NasenöfFnung verschliesst und eine Compression auf die blutende Stelle
ausübt. Von vorn her verstopft man die Nase ebenfalls mit Charpie. Ein
an dem Bourdonnet befestigter und zum Munde herausgehender Faden
dient dazu, das später locker werdende Bourdonnet zu entfernen.
Mundblutung, Haemorrhagia oris, Stomatorrhagia
(von czojU.U; der Mund). Die Blutungen aus dem Munde können einen
sehr verschiedenen Ursprung haben. Wenn das Zahnfleisch die Quelle
ist, so heisst die Blutung Ulorrhagia, ist es die Zahnhöhle, Phat-
norrhagia, am Gaumen und Rachen , Isthmorrhagia, die innere
Fläche der Wange, Gn a to rrh agi a , kommt sie aus der Zunge, Glos-
sorrhagia, aus den Lippen, Cheilorrhagia, aus dem Schlünde,
Pharyngorrhagia. Die Diagnose ist leicht, wenn der Siz der
Blutung die eigentliche Mundhöhle ist, wo dann die Blutung immer leicht
erkannt werden kann , das Blut auch immer leicht und ohne Räuspern
nach aussen gelangt. Wenn das Blut tiefer im Schlünde ergossen wird,
so wird es mit Räuspern , Husten und selbst mit Erbrechen ausgeworfen,
unterscheidet sich dann aber von dem Bluthusten und Bluterbrechen leicht
durch das Fehlen der diesen zukommenden Symptome. - — Die Prognose
hat nichts Bedenkliches , wenn die Blutung die Folge einer leichten Ver-
legung ist und an einer Stelle vorkömmt, wo man leicht beikommen kann;
bedenklicher wird die Prognose werden, wenn das Blut aus der Art. ra-
nina, lingualis oder einer in einem Knochenkanal verlaufenden Arte-
rie kommt , oder wenn endlich die Blutung eine passive, auf einer krank-
haften Beschaffenheit des Gefässsystems oder des Blutes selbst beruhende
ist. — Behandlung. Oft hilft schon das Ausspülen des Mundes mit
128 BLUTUNG. HARNROEHRENBLUTUNG.
kaltem Wasser und Essig. Ist die Blutung symptomatisch , z. B. bei
Scorbut , Morbus Werlhofii, Mercurialgeschwüren etc. , so wendet
man Mundwasser von D e c o c t. chinae, Alaun und Branntwein, von Es-
sig, T i n c t. myrrhae, T i n c t. catechu pro closi 6 0 Tropfen in einer
Tasse Wasser an ; auch saturirte Salbei - , Eichenrindenabkochungen etc.
sind dienlich , daneben die innere Behandlung des Grundübels , im Noth-
falle zieht man das Glüheisen in Gebrauch. — Blutungen aus den Zahn-
höhlen kommen gewöhnlich nur nach Zahnoperationen, besonders Zahn-
extractionen vor , wenn die zerrissene Arterie sich weder zurückzieht noch
contrahirt , so ist die sonst geringfügige Blutung dann oft sehr beträcht-
lich ; zuweilen ist die Blutung gerade nicht stark , währt aber Tag und
Nacht fort. Hilft kaltes Wasser , Wasser und Essig nicht , so wendet
man eine nachdrückliche Compression an , indem man die Zahnlücke mit
Charpie , die in Alaunlösung , Theden's Schusswasser etc. getaucht, oder
mit styptischen Pulvern bestreut ist , ausfüllt , und dann die Kiefer mit
einem Kopftuche zusammenbindet. In verzweifelten Fällen wendet man
selbst das glühende Eisen an. — Bei heftigeren Blutungen aus der
Zunge unterbindet oder cauterisirt man das blutende Gefäss oder übt
einen Druck mit dem Compressorium von Lange auf die Zunge aus.
Starke Blutungen aus der Art. ranina erfordern fast immer das Glüh-
eisen.
Blutungen aus dem männlichen Gliede, Hämorrha-
giapenis, Phallorrhagia (von (pa'KXog, penisj rührt meistens von
äussern Verlezungen her und ist in der Regel leicht zu stillen. Fliesst
das Blut aus der Harnröhre (U r e t h r o r r h a g i a) , so ist es oft schwer,
über den eigentlichen Siz der Blutung zu entscheiden , da er hier ebenso
gut in den Nieren als in dem Verlaufe der Harnröhre sein kann ; hier
gilt , dass der Blutabgang aus allen vor der Blase gelegenen Theilen un-
willkürlich und ohne Drang zum Uriniren stattfindet. Disponirt zu Harn-
röhrenblutungen sind alte Hämorrhoidarii , Wollüstlinge und Säufer. —
Gelegenheitsursachen sind Entzündung der Schleimhaut (Gonorrhoea
chordata), Geschwüre der Harnröhre , Verwundungen derselben durch
Katheter, kleine Harnsteine etc., übermässige Anstrengung beim Beischlaf,
der unvorsichtige Genuss von Canthariden u. dgl. , endlich alle auf Ent-
mischung der Säfte beruhende Krankheiten. Oft beobachtet man solche
Blutflüsse in Folge unterdrückter Hämorrhoiden. — Die Prognose wie die
Behandlung richtet sich nach den veranlassenden Momenten. Die Pro-
gnose ist eine andere , wenn der Blutfluss ein activer als wenn er ein
passiver ist, wenn sich die Ursache beseitigen lässt oder nicht etc. — Die
Behandlung muss zunächst darauf ausgehen , die ursächlichen Momente
zu entfernen : daher beseitige man fremde Körper, stelle einen unterdrück-
ten Hämorrhoidalfluss wieder her, behandle Entzündungen antiphlogistisch,
hebe die durch Reizmittel (Aphrodisiaca) gesezten Blutungen durch Oel-
mixturen, Campher etc. Ist die Blutung passiver Natur , oder abhängig
BLUTUNG. BLUTHARNEN. 1 29
von mechanischen Verlezungen , von Fungositäten, so wendet man Kälte
in Form von Bädern, Umschlägen oder Einsprizungen an, zu welchen lez-
tern man reines Wasser oder Lösungen des Alauns , Zinkvitriols , Ab-
kochungen von gerbstofl'haltigen Mitteln etc. benuzen kann. Wo es an-
geht kann die blutende Stelle gegen einen eingelegten Katheter ange-
drückt werden. — Zu unterscheiden von der Harnröhrenblutung ist das
Blutharnen, Haematuria (von ai/ua, Blut und ovqciv, harnen),
M i c t u s eruent u s. Hier erfolgt der BJutabgang immer unter einem
heftigen Drange zum Uriniren oder mit der Harnentleerung selbst. Das
Blut kommt aus der Blase, kann aber auch aus den Nieren oder den Ure-
thren kommen , in welchem Falle Schmerzen in der Nierengegend und
längs der Harnleiter zugegen sind und das Blut mit dem Harne vermischt
ist. Ist die Blase der Siz der Blutung , so zeigt sich ein Gefühl von
Vollsein, Druck und Krampf in der Blasengegend und ein Brennen in der
Harnröhre, dem sich bald Priapismus, Kälte der Extremitäten, grosse Un-
ruhe, ein kleiner harter Puls und Ohnmächten zugesellen. Das Blut ist
hier nicht mit dem Harne vermischt, sondern scheidet sich auf dem Boden
des Gefässes als eine feste aus rothen Flocken bestehende Masse ab.
Geht diese Coagulation des Blutes schon in der Harnblase vor sich , so
wird dadurch der Eingang in die Urethra mechanisch verschlossen und es
tritt Harnverhaltung ein. Eine Disposition zu Blutungen aus dem uro-
poetischen Systeme findet sich vorzugsweise bei alten Hämorrhoidalis,
die ausschweifend gelebt haben. Gelegen heits Ursachen sind :
Erhizungen und Erschütterungen der Nieren-, der Blasengegend und des
Mittelfleisches z. B. durch Reiten und Fahren , durch einen Fall , Stoss
oder Schlag etc. ; ferner Erkältungen des Unterleibs , Missbrauch von
Aphrodisiacis , das Aufheben und Tragen schwerer Lasten , Nieren- und
Blasensteine, organische Verbildungen in den Harnwerkzeugen , Blasen-
hämorrhoiden und endlich entzündliche Fieber , wo das Blutharnen selbst
kritisch sein kann oder auch Nerven- und Faulfieber, so wie der Scorbut,
•.vo er als Zeichen der Colliquation anzusehen ist. Zuweilen treten diese
Blutungen längere Zeit nach gemachten Steinoperationen auf. — Die
Prognose hängt von den veranlassenden Momenten, von dem Charakter
der Blutung und von der Möglichkeit ab , die Ursache zu entfernen. —
Behandlung. Sie richtet sich nach den Ursachen. Wo Acria ein-
wirkten, gebe man Kampher mit Opium, Oelmixturen, denen aber bei hef-
tigen Schmerzen und entzündlichen Zufällen die Application von Blutegeln
in die Nierengegend vorhergehen muss. War mechanische Gewalt die
Ursache , so lasse man zur Ader und mache hinterher kalte Umschläge in
die Nierengegend ; dazu Ruhe , sparsame Diät, schleimige Getränke, Oel-
mixturen. Entwickelt sich das Uebel allmälig , so entferne man die Ur-
sache, seze, wenn es nöthig erscheint, Blutegel an die Genitalien und
reiche innerlich bei heftigen Schmerzen Emulsio sem. p a p a v. albi
mit etwas Opium, später Uva ursi. Bei passiven Blutungen antiseptische
Bürger, Chirurgie. 9
130 BLUTUNG. GEBAERMUTTERBLUTFLUSS.
und roborirende Mittel. Sind blutende Gefässe nach Operationen nicht
zu erreichen, so bleibt nichts anderes übrig, als die Art. pudenda in-
terna zu unterbinden.
Scheidenblutung, Hämorrhagia vaginae, Colpor-
rhagia (xoXirog, Schooss), Elytrorrhagia (iXvTQov, Scheide).] Die
Blutung aus der Scheide kann activ, passiv, symptomatisch oder trauma-
tisch sein. Oft vertritt sie die Stelle des Menstrual- und Hämorrhoidal-
flusses. Bei weitem am häufigsten ist sie traumatischen Ursprunges und
dann abhängig von Zerreissung des Hymens , Zerreissung der Scheide bei
schweren Entbindungen , von chirurgischen Operationen , zufälligen Ver-
lezungen, Berstung varicöser Gefässe. Andere Veranlassungen zu solchen
Blutungen sind Vorfälle der Scheide, polypöse, condylomatöse und fungöse
Auswüchse , so wie syphilitische und carcinomatöse Geschwüre , eingelegte
und vergessene Pessarien etc. — Die Prognose hängt von den Ursachen
ab und ob diese zu beseitigen sind oder nicht. — Behandlung. Vor
Allem Entfernung der Ursachen. Bei traumatischen Blutungen wendet
man Umschläge , Einsprizungen von kaltem Wasser , styptischen Flüssig-
keiten, Einbringen von Schwämmen, die mit solchen befeuchtet sind , von
mit styptischen Pulvern bestreuten Charpiekugeln etc. an. Dabei muss
ein Katheter in die Blase eingelegt werden.
Gebärmutterblutfluss, Hämorrhagia uteri, Metror-
rhagia (/u^tqu, Gebärmutter). Hierunter ist jeder Blutausfluss aus den
Gehärm uttergefässen, welcher die Grenzen der Menstruation überschreitet
oder ausserhalb der zu dieser Verrichtung bestimmten Zeit stattfindet , zu
verstehen. — Die Ursachen dieser Blutflüsse sind sehr verschieden ;
sie können auftreten : entweder als Uebermass des Monatflusses , oder als
heftiger erschöpfender Blutsturz bei Fehlgeburten, Placenta praevia,
Placentarapoplexien beim Geburtsacte und im Wochenbette ; oder als lang-
wieriger, unausgesezt hervorsickernder Blutabgang bei Uterinleiden, be-
sonders bei Krebs ; ferner in Folge von Entleerung der Uterinapoplexie
(Blutergüsse in die Muskelsubstanz der Gebärmutter) , die besonders bei
altern Weibern in Folge der auffallenden Mürbigkeit der Uterinalfäsern
und Rigidität der Gefässwände zu Stande kommt. Auch mechanische
(bei gehindertem Rückflusse des Blutes), passive (bei Scorbut, Typhus etc.)
und entzündliche Stasen können Veranlassung zur Mutterblutung werden.
— Gelegenheitsursachen sind : heftige Körperbewegung, erhöhter
Geschlechtstrieb , erhizende Getränke , stark nährende Speisen , Onanie,
krampfhafte Reizungen des Darmkanales, schlechte Nahrung, feuchte n-ass-
kalte Wohnung, Rhachitis, Scropheln etc. ; ferner örtliche Einwirkungen,
wie Stoss, Druck, Fall auf den Uterus , Verwundungen durch geburtshülf-
liche Operationen , endlich Aftergebilde aller Art , wie varicöse Gefässe,
Scirrhus , Krebs , Polypen , Auswüchse , Vorfall , Umbeugungen und Um-
stülpungen des Uterus, Vereiterungen desselben. — Die Erkenntniss
dieser Blutungen ist leicht , wenn das Blut frei nach aussen abfliesst ; ist
BLUTUNG. GEBAERMUTTERBLUTFLUSS. 131
jedoch aus irgend einem Grunde der Austritt des in die Höhle des Uterus
ergossenen Blutes gehindert, so ist die Diagnose nicht selten schwer und
oft nur aus den vorhergehenden Zufällen (Schmerz an dem Orte der Er-
giessung, Auftreibung des Unterleibes etc.) und den eintretenden Erschei-
nungen der beginnenden Blutleere (s. oben) auf die stattfindende Blutung
zu schliessen. — Prognose. Sie ist so verschieden wie die Ursachen
und hängt besonders von der Möglichkeit ab , diese zu beseitigen. Eine
Blutung activer Art ist oft kritisch und dann günstig , mit erethischem
Charakter hinterlässt sie gern Recidive , wodurch das Uebel oft chronisch
wird und Hectik, Wassersucht und organische Fehler des Uterus zur Folge
haben kann ; passive oder auf Degeneration des Uterus beruhende Blutun-
gen sind bedenklich. Ist der Blutfluss Symptom eines bevorstehenden
Abortus oder der Molenschwangerschaft, so dauert sie gewöhnlich so lange
fort , bis das Ei oder die Mole von der Gebärmutter getrennt und ausge-
stossen sind. Während aber beide obengenannten Arten von Blutungen
selten lebensgefährlich werden, sind die Blutflüsse , welche von einem fal-
schen Anheftungspunkte der Placenta abhängen , fast immer mit dringen-
der Gefahr verbunden. Bei ihnen , so wie bei den Blutflüssen , welche
von einer vorzeitigen oder verspäteten Trennung der Placenta herrühren,
hängt die Erhaltung des Lebens der Blutenden oft allein von einem als-
baldigen operativen Einschreiten ab. — Behandlung. Bei activen
Blutungen mit synochalem Charakter kann man bei milderen Graden zu-
sehen, oder sich höchstens auf ein kühlendes Verhalten, Ruhe, horizontale
Lage , Cremortartari beschränken ; bei starken robusten Personen
mit vollem hartem Pulse , Fieber , seze man Blutegel an die Genitalien,
Schröpfköpfe an die innere Schenkeifläche, lasse selbst zur Ader und gebe
innerlich Nitrum in Emulsion. Bei Symptomen des Erythismus , wo sich
krankhafte Zufälle einstellen , passen besonders die Mineralsäuren mit
antispasmoclischen Mitteln, dem Opium, Castoreum, der Ipecacuanha, z. B.
Rp. Elix. acid. Hall. 5ijß , Laud. liquid. Syd. 5ß , Tinct.
cinnamomi gj. M. S. Alle ]/2 — 1 Stunden 2 5 — 3 0 Tropfen; bei
sehr hohen Graden von Reizbarkeit passt : Rp. Castoreiopt. gi\ 10,
Rad. ipecac. gr.ij, Op. pur. gr.j, Elaeosacch. cinnamomi 5\j.
M. f. pulv. , divid. in xij part. aequal. S. Alle t/|, ]/2 — 1 Stunden ein
Pulver. Auch die Verbindung der antispasmoclischen Mittel mit Digitalis
erweist sich hier wirksam. Mit diesen innerlichen Mitteln verbindet man
zweckmässig örtlich wirkende , wie sanfte Reibungen des Unterleibes mit
warmen Tüchern, Einreibungen von antispasmodischen Mitteln , - Klystiere
von Chamillen, Valeriana, Assa foetida, Injectionen in die Gebär-
mutter von Chamillen , Valeriana, Belladonna etc. — Bei den
passiven Metrorrhagien handelt es sich von einer schnellen Stillung der
Blutung, die anzuwendenden Mittel müssen daher solche sein, welche be-
lebend und bethätigend auf den Gesammtorganismus wirken und die er-
schlafften Gefässe zur Zusammenziehung fähig machen , oder auch solche,
9*
132 BLUTUNG. AFTEKBLUTUNG.
welche der Blutung auf mechanische Weise entgegentreten. Die hier am
besten passenden inneren Mittel sind die Mineralsäuren, die Tinctura
cinnamomi, je nach Umständen mit Wein, Opium, China, Ratanhia,
Kino etc., ferner Naphthen, Tinct. valerianae mit T i n c t. cinuara.,
das Seeale co^rnutum, der Saccharum saturni, der Alaun,
z, B. Rp. AI um. crud. gr. xv, solve in Aq. menth. crisp. ^iv, adde
Tinct. cinnammomi, S y r. papav. ana ^j . M. S. Alle V4, 1/2
bis 1 Stunden 1 Löffel voll; Vitrio 1. m ar t is zu gr.ij mit China und
Zimmt, das reine Tannin ; bei alten geschwächten cachectischen Individuen
ist die Tinct. cinnamomi mit Tinct. martissalita ein erprob-
tes Mittel. Bei der Metrorrhagie in der Periode des Aufhörens der Men-
struation dienen bei robusten Frauen oft ein revulsorischer Aderlass, inner-
lich Cremor tartari , Nitrum , kühlende Getränke, antiphlogistische Diät ;
bei schwächlicher , reizbarer , hysterischer Constitution dagegen sind die
oben bei der erethischen Form angegebenen Mittel , wie E 1 i x. a c i d.
Hall, mit Tinct. cinnamomi, Tinct. opii, später aromatische
und tonische Bäder, innerlich Calamus aromaticus, Quassia, China
etc. in Gebrauch zu ziehen. — Zu den äusseren Mitteln gehören : Reibun-
gen des Unterleibes mit der blossen Hand, das Auftröpfeln und Einreiben
flüchtiger Mittel, Umschläge von kaltem Wasser , dergleichen Einsprizun-
gen in die Gebärmutter, Einsprizungen von Essig und Wasser, von Ad-
stringentia etc. Zur Beförderung der Contractionen des Uterus nach
Ausstossung der Frucht legt man neben den ebengenannten Mitteln beide
Hände auf den Unterleib und drückt die Gebärmutter zusammen , legt ein
Handtuch fest um den Unterleib oder das Miles'sche Uterinturniket an,
oder einen Sandsack auf, führt die Hand in die Uterinhöhle ein, um das
Blutcoagulum zu entfernen und den Uterus zur Contraction zu reizen
oder bringt endlich einen Tampon , bestehend aus Leinwand , Charpie,
Wasch- oder Feuerschwamm und befeuchtet oder bestreut mit styptischen
Mitteln in die Höhle der Gebärmutter ein. Auch Schweinsbla^en , die
nach ihrem Einbringen mit Luft oder Wasser gefüllt werden, benuzt man.
Schlägt Alles fehl, so comprimirt man die Aorta gegen die Lendenwirbel.
— Bei Blutungen organischen und mechanischen Ursprunges muss in der
Regel die Behandlung zunächst gegen das Grundübel gerichtet sein, doch
können Fälle eintreten , wo der Blutung die allererste Rücksicht zuzu-
wenden ist.
Afterblutung, Hämorrhagia ani, Archorrhagia (o.Q-
%og , der Mastdarm) , Proc torrh agia (jrQoxTog , der After). Diese
Blutung kommt nicht so gar selten vor und kann verschiedene Quellen
haben ; auch kann sie einen sthenischen oder asthenischen Charakter
haben, idiopathisch und symptomatisch vorkommen. Als Symptom einer
andern Krankheit tritt sie auf bei Localleiden des Mastdarmes, Verlezun-
gen desselben , bei der Ruhr , beim Scorbut, Faulfieber etc. (als blutiger
Stuhlgang). Als selbständiges Leiden ist der Hämorrhoidalblutfluss zu
BRAEUNE. 133
betrachten, da er unter Erscheinungen eines Congestivzustandes nach den
Gefässen des Mastdarmes (Moliniina hae m orrhoi da li a) auftritt.
Bei Frauen kommen Blutungen aus dem After vicarirend für die Men-
struation vor. — Die Behandlung muss dem Grundübel und dem
Charakter der Blutung angemessen sein. Sind mechanische, traumatische
Verlezungen oder Operationen die Ursache der Mastdarmblutung, so macht
man Einsprizungen von Wasser , Essig und Branntwein, von Alaunlösung,
Eichenrindendecoct und bringt damit getränkte Charpie oder Wasch-
schwamm ein.
Bräune, Halsentzündung, Angina (von av/a) , ich ver-
engere), Cynanche. Hierunter versteht man alle entzündlichen Krank-
heiten der Organe des Athmens und Schlingens im und am Halse. Der
Chirurgie gehören die Bräunen der Mund - und Rachenhöhle und die der
äussern Theile an. Zu den lezteren rechnet man die An gina paro-
t i d e a , von welcher bei den Krankheiten der Speicheldrüsen die Rede
sein wird. — Die Entzündung der Mund- und Rachenhöhle, Angina
f aucium s. Infi amm atio f aucium s. Isthmitis hat ihren Siz
in der Schleimhaut, die den Isthmus faucium, das Gaumensegel, das
Zäpfchen und die Mandeln (Ang. palatina, uvularis und ton-
sillaris), so wie die Zungenwurzel überzieht. Diese Krankheit gibt
sich, wenn die Geschwulst bedeutend ist , durch Athmungs- und Schling-
beschwerden , eine näselnde Stimme , so wie zuweilen durch Sausen und
Schmerz in den Ohren in Folge der Verschliessung der Eustachischen
Röhren zu erkennen. Bei der Untersuchung , wobei man die Zunge
niederdrückt, findet man die leidenden Theile roth, geschwollen, schmerz-
haft , mit einem zähen Schleime überzogen ; zuweilen ist das Zäpfchen
vorzugsweise entzündet (Ang. uvularis), welches dann besonders ange-
schwollen, verlängert ist und auf der Zunge aufliegt, wodurch ein bestän-
diges beschwerliches Schlingen und Ekel verursacht wird ; bisweilen sind
die Mandeln fast aliein entzündet (Ang. tonsillaris); sie können
dann so angeschwollen sein , dass sie sich berühren und den Eingang des
Halses verschliessen ; nicht selten ist nur eine Mandel entzündet. Man
fühlt die angeschwollenen Mandeln ausserhalb unter der Kinnlade , wo sie
bei der Berührung schmerzen. Mit diesen örtlichen Leiden verbinden
sich Fieber und selbst bei Nacht gelinde Delirien. — Die gewöhnliche
Gelegenheitsursache der Bräune ist Erkältung bei erhiztem Kör-
per, anhaltendes Sprechen, Schreien etc. ; zuweilen entsteht sie im Gefolge
anderer Affectionen, z. B. des Scharlachfiebers , der Syphilis, der Merku-
rialkrankheit ; zuweilen durch mechanische Ursachen , wie durch Ver-
schlucken von Knochenstücken , Fischgräten u. dgl. — Die Krankheit
wird leicht habituell. — Man unterscheidet eine gutartige und eine bös-
artige Bräune. Die gutartige (A. benigna, inflamm atoria)
zeigt die eben angegebenen Symptome, die in der Regel massig und ohne
134 BRAEÜNE.
Gefahr sind und sich in kurzer Zeit von selbst oder durch die Kunst
unterstüzt entscheiden. — Die bösartige oder brandige Bräune
(A. maligna, gangraenosa, putrida, ulcerosa) beginnt mit
den gewöhnlichen Zeichen der Angina faucium, die oft nicht bedeu-
tend sind , wobei aber die Röthe des entzündeten Theiles ins Bläuliche
oder Violette spielt. Auf dieser Röthe bilden sich graue aschfarbene
Flecken, die sich bald mit Borken bedecken, welche nach ihrem Abstossen
tiefe, Jauche absondernde Geschwüre hinterlassen. Dabei zeigt die Zunge
einen dicken graulichen oder schwärzlichen Ueberzug und der Athem
riecht faulig. Die Jauche aus den Geschwüren entzündet die Theile,
welche sie berührt , bringt Kolik und Durchfall , so wie Husten und Ge-
schwüre in der Luftröhre hervor ; in die Eustachische Röhre gelangt, kann
sie das Gehörorgan zerstören. Mit dem Eintritte des Brandes lassen die
Schmerzen. nach oder verschwinden wohl ganz, die Geschwulst vermindert
sich und der Kranke kann leichter schlucken. Mit diesen örtlichen Er-
scheinungen ist ein entsprechendes Allgemeinleiden verbunden, das Fieber
hat den nervösen und faulichten Charakter. — Ausgänge. Die Krank-
heit endet meist mit Zertheilung, nicht selten mit Eiterung, beson-
ders bei der Mandelbräune , welcher Ausgang sich aus der Fortdauer der
Erscheinungen , der Zunahme des Gefühles von Druck im Halse , dem
Ueberziehen der Zunge mit einem dicken graugelben Pelze und einem
Frösteln vermuthen lässt ; mit Verhärtung oder Auflockerung der
Mandeln , was gern bei einem mehr schleichenden Verlaufe und Öfterer
Wiederkehr der Krankheit, namentlich bei scrophulösen Personen der Fall
ist, und mit Brand, entweder nach sehr heftigen entzündlichen Zufällen
oder als Begleiter epidemischer bösartiger Krankheiten , wobei Erleichte-
rung eintritt , die Kräfte aber schnell sinken , die Extremitäten kalt und
mit einem klebrigen Schweisse bedeckt werden, der Puls schnell, klein und
aussezend wird und der Tod bald erfolgt. — Die Prognose richtet
sich theils nach der Örtlichen Affection, theils nach dem sie begleitenden
Fieber. Die gewöhnliche Angina faucium ist in der Regel ganz
ohne Gefahr. Die Bräunen dagegen, welche sich zu einem typhösen Fie-
ber gesellen oder die brandige Form lassen nur eine ungünstige Pro-
gnose zu.
Behandlung. Die leichteren Grade der gewöhnlichen Angina
faucium zertheilt die Natur durch eine reichliche Schleim- und Speichel-
absonderung in der Mundhöhle , was man durch den Aufenthalt im Bette,
Umwickeln des Halses mit Flanell, warme Getränke , welche auf die Haut
wirken, wie Flieder- und Lindenblüthenthee unterstüzt. Bei einem höhe-
ren Grade machen sich Aderlässe , Blutegel am Halse , erweichende Um-
schläge, Einreibungen der grauen Salbe nothwendig ; innerlich gibt man
Nitrum in Emulsion, Salmiak, Spirit. Minder er i, kleine Dosen T a r t.
emetic, Calomel , kühlende Abführmittel aus Manna, Tamarinden und
Salzen. Zur Bähung der entzündeten Theile wendet man Abkochungen
BRAND. 135
von Malva, Flieder, Eibisch mit einem Zusaze von Nitrum und Honig als
Gurgelwasser oder Einsprizung an. Ist die Geschwulst bedeutend , die
Respirationsbeschwerde gross , so erweisen sich Scarificationen hülfreich.
Man führt diese mit einem geraden , spizigen, bis zur Spize mit Pflaster-
streifen umwickelten Bistouri aus und unterstüzt die Blutung durch Gurgel-
wasser von Malvenabkochung oder lauer Milch. Später und bei verminder-
ter Entzündung sind die schleimig-balsamischen Aufgüsse aus Salbei, Me-
lisse und Malve , Einreibungen von flüchtiger Salbe mit Kampher und
Quecksilber angezeigt ; innerlich passt hier besonders der Salmiak. —
Kommt es zur Eiterbildung, so befördert man diese durch warme Dampfe
und erweichende Gurgelwasser, Breiumschläge um den Hals, und hat sich
der Abscess gebildet, so sucht man sein Bersten durch Reizung des
Rachens mit einem Federbarte, durch ein Brechmittel , durch Einsprizun-
gen herbeizuführen oder öffnet ihn mittels eines umwickelten Bistouri's.
— Ueber die chronische Anschwellung der Mandeln s. Krankheiten
der Mandeln. — Geht die Bräune in Brand über, so ist dies entweder
die Folge einer sehr heftigen Entzündung oder sie ist die Begleiterin
eines typhösen Fiebers. Im ersten Falle ist die antiphlogistische Heil-
methode angezeigt, im zweiten muss das Fieber seinem Charakter gemäss
behandelt werden. Man reicht zu diesem Behufe je nach Umständen
Brechmittel, Kampheremulsionen, Baldrian-, Arnicaaufgüsse, Opium mit
Quecksilber, Capsicum, Serpentaria, China mit Säuren etc. Oertlich wen-
det man reizende und fäulnisswidrige Mittel an, wie Aufgüsse von Münze,
Melisse , Raute , Scordium mit Alaun , China , Kampheressig , Holzessig,
Chlorwasser etc. als Gurgelwasser und Einsprizungen. Die brandigen
Stellen bestreicht man mittels eines Charpiepinsels mit Salzsäure . z. B.
Rp. Spirit. sal. aeidi gtt. xxx, Mel. ro s ar. ^iv. M. Ueber die
Verlängerung des Zäpfchens s. Krankheiten des Zäpfchens.
Brand. Unter Brand , Mortificatio, versteht man im Allge-
meinen das Absterben irgend eines mit dem lebenden Körper noch zu-
sammenhängenden Theiles. Ist in einem solchen Theile noch nicht alle
Lebensthätigkeit erloschen , circulirt das Blut noch in den grossen Gefäs-
sen und haben die Nerven ihre Sensibilität nicht verloren , so bezeichnet
man diesen Zustand mit dem Namen heisser Brand, Gangraena
(von ygeupoo, ich verzehre). Hat dagegen der Kreislauf in dem ergriffe-
nen Gebilde ganz aufgehört , sind die Lebenskräfte völlig erloschen, so
nennt man dies kalten Brand, Sphacelus (von öcjxxttw, ich tödte) ;
ist dieser Process in den Knochen vor sich gegangen , so bezeichnet man
dies mit dem Namen Necrosis. — Die Unterscheidung des Brandes in
einen feuchten und trockenen ist unwesentlich , da diese Verschiedenheit
theils von der zufällig angehäuften Säftemasse , theils von der Structur
des erkrankten Organs abhängig ist. — Verlauf und Symptome.
Der Verlauf des durch eine mehr oder weniger deutlich vorausgegangene
136 BHAND.
Entzündung bedingten Brandes gestaltet sich in der Regel auf folgende
Weise : 1) Stadium prodromor um. Die Entzündung ist sehr hef-
tig und hat schnell ihre Höhe erreicht , Schmerz und Hize sind unerträg-
lich brennend, spannend, stechend, die Röthe wird dunkel, purpurfarben,
manchmal grüngelb , violett , die Geschwulst sehr hart und gespannt, die
Function des Theiles bedeutend gestört und das Fieber heftig. — 2)
Stadium gangraenosum. Der Schmerz nimmt ab, und zwar
manchmal ganz plözlich , ist mehr drückend und dumpf, die Geschwulst
wird weich, teigig, ödematös, die dunkle Röthe geht ins Bläuliche, Bräun-
liche über und breitet sich mehr aus, die Wärme vermindert sich mehr
und mehr und die Oberhaut erhebt sich in Blasen , welche mit blutigem
Serum gefüllt sind. Der Kranke hat mehr das Gefühl von Taubheit in
dem ergriffenen Theile. Das bisher entzündliche Fieber verwandelt sich
in einen Synochus, der Puls ist schneller, weniger voll und hart, der
Urin noch röthlich und trüb , das Nervensystem nimmt mehr Antheil und
die allgemeine und örtliche Schwäche ist auffallender. — 3 ) S t a d i u m
sphacelosum. Der früher drückende Schmerz geht in ein Gefühl
von Taubheit und Schwere über und hört endlich, und oft plözlich, ganz
auf, Gefühl und Warme verlieren sich allmälig, so dass endlich Stechen
und Schneiden nicht mehr empfunden werden , der Theil wird kalt oder
nimmt die Temperatur des Zimmers an. Die dunkle Röthe wird noch
missfarbiger , marmorirt , mit erweiterten Venen durchzogen ; der Theil
wird endlich aschgrau, schwärzlich und zulezt ganz schwarz. Der sphace-
löse Theil schwillt noch mehr auf, ist welk , weich , teigig anzufühlen und
beim Drucke entsteht in Folge der beginnenden Zersezung nicht selten
ein knisterndes Geräusch (Emphysemagangraenosum) und die Ober-
haut erhebt sich in einzelnen hohen Blasen , die aber bald zusammenmes-
sen und ein schmuzig gelbes, grünliches, graues, blutiges, scharfes Wasser
enthalten und spät bersten ; die unterliegende Haut ist braunroth , sammt-
artig, weich, breiig, später grau, bleifarben, unempfindlich und leicht zer-
reiblich. Der brandige Theil zerfliesst in Jauche , mit der alle Gewebe
infiltrirt sind und die durch alle Zwischenräume dringt ; es lösen sich ein-
zelne Fezen Haut , Zellgewebe , Sehnenscheiden , Muskeln, Gelenkbänder
ab; es entwickelt sich ein specifischer , scharfer, ammoniakalisch- fauliger,
stinkender Geruch. Den Brand , welcher mit dieser reichlichen Bildung
von Brandjauche auftritt, nennt man den feuchten Brand (Gan-
graena humida), im Gegensaze von einer andern Form, wobei die ab-
gestorbenen Theile zusammenschrumpfen und trocken werden , dem tro-
ckenen Brande (Gangraena sicca, M um i f i ca tio). Der
feuchte Brand entsteht leichter bei rasch verlaufenden Processen, bei Jün-
gern, blutreichen Individuen und an dem Herzen näher gelegenen Theilen,
der trockene Brand mehr unter den gegentheiligen Verhältnissen. — In
der Nachbarschaft des sphacelösen Theiles findet noch Gangrän und etwas
weiter entfernt Entzündung statt. So lange sich diese Symptome kund
BRAND. 137
geben, nennt man den Brand forts chrei tend (Gangr. progr e-
diens). Zu diesen örtlichen Veränderungen gesellen sich alsbald all-
gemeine Erscheinungen als Rückwirkung des Brandes auf den Körper be-
sonders in Folge der Aufsaugung der Brandjauche, und zwar um so mehr,
wenn die brandige Zerstörung von einiger Ausdehnung ist und der Brand
von einer innern Ursache abhangt. Es entsteht das Brandfieber mit
schnellem, kleinem, zitterndem Pulse, erschwerter, röchelnder Respiration,
Durst , Brechneigung , Ohnmächten , Sehnenhüpfen , Flockenlesen , Auf-
treibung des Unterleibes , stinkenden Durchfällen , trübem, zuweilen sehr
dunklem Urine , icterischer Färbung der Haut , erdfahlem eingefallenem
Gesichte , kalten klebrigen Schweissen. — Ausgang e. Der Brand
kann mit Genesung oder Tod endigen. Die Genesung erfolgt entweder
durch Zertheilung der Entzündung oder aber durch Abstossung
des sphacelösen Theiles. Dieser Ausgang erfolgt am häufigsten
beim Brande des Zellgewebes, der Knochen, der Haut, der Schleimhäute
Der Brandschorf wirkt dabei als fremder Körper , Entzündung erregend,
welche sich an der Grenze des Brandigen in der Gestalt einer blass- , sel-
• ten hochrothen Linie, Demarkationslinie, entwickelt. Auf diesem
Entzündungshofe erheben sich längliche Blasen , unter denen Eiter ist,
wodurch später an der Stelle der genannten Linie eine eiternde Spalte
entsteht, welche sich allmälig durch die Haut, das subcutane Zellgewebe,
die Fascien , Muskeln , Nerven , Gefässe , Sehnen und Knochen erstreckt.
Solcher Gestalt wird also das Brandige an allen Seiten vom Lebenden ge-
sondert, der Brandschorf schwimmt zulezt in Eiter oder Jauche und fällt
daher endlich entweder von selbst ab oder kann doch ohne alle Schwierig-
keit entfernt werden. Während die Entzündung in der nächsten Um-
gebung des brandigen Theiles in Eiterung übergeht, bewirkt sie im weite-
ren Umkreise Verwachsung der Theile untereinander , die gewöhnlich so
vollständig ist , dass auch die Gefässe durch dieselbe verschlossen werden,
wodurch einer Seits oft arterielle Blutungen verhütet , anderer Seits die
Resorption der Brandjauche verhindert wird ; nicht selten werden durch
diese adhäsive Entzündung aber auch Seeretionsbehälter verschlossen und
dadurch bedenkliche Folgen herbeigerührt. — Der Tod erfolgt beim
Brande: 1) durch aufgehobene Function des brandig gewordenen Theiles,
wenn derselbe zum Leben unentbehrlich oder mit dem Nervensystem in
einem bedeutenden Consens steht ; 2) durch die Fortschritte des typhö-
sen Fiebers , welche der Einsaugung der Brandjauche zuzuschreiben
sind ; 3) durch hectisches Fieber in Folge zu starker Eiterung oder
durch Verblutungen ; 4) durch Affection der Nerven , Nervenschlag ;
Hier erfolgt der Tod plözlich. — Ursachen. Diese sind prädisponi-
rende und Gelegenheitsursachen. Erstere zerfallen in allgemeine und ört-
liche. Allgemeine Prädispositionen sind: allgemeine Schwäche des
Körpers , sei sie nun angeboren oder natürliche Folge des Alters oder
durch vorausgegangene oder vorhandene Krankheiten , Säfteverlust,
138 BRAND.
grosse Anstrengungen des Körpers und Geistes , durch Mangel an Nah-
rung, Aufenthalt in feuchter, dumpfer Luft etc. entstanden; ferner Dys-
krasien , Scorbut , Syphilis etc. Zu den örtlichen prädisponirenden Ur-
sachen rechnet man : die locale Schwache eines Theiles , die Organisation
eines Theiles selbst; am leichtesten wird das Zellgewebe vom Brande er-
griffen , dann Sehnen und Knochen ; Blutgefässe , besonders Arterien,
widerstehen am längsten ; die Lage der Theile : je entfernter ein Organ
vom Herzen ist , desto leichter entsteht Brand : ferner disponirt ein, nie-
derer Grad von Lebensenergie zum Brand; deshalb werden schwache, ge-
lähmte Theile sehr leicht brandig. — Zu den Gelgen h ei tsursachen
gehören: die Einwirkung von Contagien und Miasmen, die Uebertragung
eines animalischen Giftes , der Genuss des Mutterkornes , die Einwirkung
eines hohen Grades von Wärme oder Kälte , von äzenden Stoffen , länge-
res Verweilen extravasirter Flüssigkeiten in einem Theile, wie Koth, Urin,
Galle , andauernder Druck , heftige Quetschung eines Theiles , Einklem-
mungen, Einschnürungen, Verknöcherungen, Entzündungen, Verwachsun-
gen und Unterbindungen von Gefässen, Erschütterungen und Trennungen
von Gef ässstämmen und Nerven, Erschütterungen und Verwundungen des
Rückenmarkes etc. — Nicht jeder Brand ist die Folge einer Entzündung ;
wenn das Nerven- und Gefässleben in einem Theile plözlich unterdrückt
wird , so erfolgt ein directes Absterben desselben ; ein solcher Theil fällt
alsdann entweder der Fäulniss oder dem mumienartigen Vertrocknen an-
heim und ruft erst an seiner Grenze im Lebenden Entzündung hervor.
Die Ursachen, die diese Art von Brand herbeiführen, sind : Unterbindung
grosser Arterien , Durchschneidung wichtiger Nerven , heftige Kälte- und
Wärmegrade etc. — Die Prognose beim Brande ist im Allgemeinen
immer schlecht ; nur selten kann die Zerstörung einen günstigen Einfluss
auf den Organismus ausüben , indem sie den Körper von einem kranken
oder abnormen Theile befreit ( Zerstörung eines Aneurysma , Absterben
eines Polypen etc.). Der Brand aus äusserer Veranlassung lässt eine gün-
stigere Prognose stellen , als der Brand aus inneren Ursachen, und sie ist
um so günstiger, je leichter die Ursachen zu entfernen sind. Die Prog-
nose richtet sich ferner nach der Wichtigkeit des ergriffenen Organes,
nach dem Stadium und der Ausbreitung des Brandes , ob er noch fort-
schreitet oder sich begrenzt hat ; mit der Begrenzung ist aber noch nicht
alle Gefahr beseitigt, denn der Brand kann wiederkehren, oder der Kranke
an der Eiterung, Resorption der Brandjauche, den arteriellen Blutungen
zu Grunde gehen. Der trockene Brand gibt eine günstigere Prognose,
als der feuchte ; auch ist sie um so günstiger , je weniger der Gesammt-
organismus an dem Processe Theil nimmt und je besser der Kräftezustand
des Kranken ist.
Behandlung. Diese hat die Aufgabe : 1) den Brand zu ver-
hüten, 2) wenn er eingetreten, die üblen Zufälle desselben zu verhüten
und zu behandeln und 3) die Abstossung des Brandigen zu befördern und
BRAND. 139
die Vernarbung herbeizuführen. — Droht der Brand in Folge eines ach-
ten Entzündungsprocesses einzutreten , so ist ein dreistes antiphlogisti-
sches Verfahren einzuleiten. Man lasse demgemäss zur Ader , reiche
innerlich kühlende Mittel und unterstüze dieselben durch eine antiphlogi-
stische Diät. Oertlich empfehlen sich Blutegel, Scarificationen und Eis-
umschläge. Wenn auch in Folge dieser Mittel keine wirkliche Zerthei-
lung eintreten sollte , so gelingt es doch zuweilen, einen andern Ausgang
als Brand , z. B. Eiterung , herbeizuführen , welche man , wenn die Sym-
ptome dieser eintreten, befördert. Bei grossen Schmerzen und mehr ere-
thischer Entzündung sind Narcotica , besonders das Opium , angezeigt.
Bei erysipelatösen Entzündungen ist die Anwendung von Brech- und Ab-
führmitteln am Plaze. Hat die Entzündung , welche den Brand herbei-
zuführen droht , den asthenischen Charakter und neigt sich das Fieber
zum Synochus, so sind selten mehr allgemeine Blutentleerungen gut ; man
beschränkt sich auf die Application von Blutegeln oder auf Scarificatio-
nen und macht dann kalte oder lauwarme Umschläge von Essig mit Salz,
Salmiak , Bleiessig etc. ; innerlich gebe man Mineralsäuren , namentlich
Salz- und Phosphorsäure. Dabei ist nicht zu versäumen , etwa noch fort-
bestehende Ursachen, wie einen Druck, Einklemmungen, Einschnürungen
u. dgl. zu beseitigen oder unwirksam zu machen ; namentlich erweisen
sich Einschnitte bei spannenden Fascien etc. äusserst heilsam. — Hat
sich der .Brand entwickelt, so sucht man das Fortschreiten desselben so-
wohl durch allgemeine , dem Grade und Charakter des Fiebers angemes-
sene, als durch örtliche Mittel zu verhindern. Gegen das beginnende ty-
phöse Fieber verordne man Wein und Selterser Wasser , Hühnerbrühe,
Sago- und Weinsuppen, Mineralsäuren, Naphthen u. dgl. Ist das Nerven-
system sehr geschwächt und schlagen die nervösen Symptome vor , so
können Valeriana , Arnica , Moschus etc. heilsam sein. Aeusserlich zieht
man angemessene Reizmittel in Gebrauch , als verdünnten Essig , Wein,
Branntwein, ätherisch-ölige und tanninhaltige Substanzen, ferner Kampher,
Chamillen, Rosmarin, Thymian, Quendel, China, Eichenrinde etc. für sich
oder in Verbindung, als abgezogene Geister, Aufgüsse, Decocte, trockene
Species etc. , wie es die speciellen Gebräuche erheischen. Etwa vorhan-
dene Complicationen , wie Digestionsstörungen, müssen auf angemessene
Weise , z. B. durch Brech- und Abführmittel , beseitigt werden. — Ist
wirkliches Absterben erfolgt und hat der Zersezungsprocess begonnen, so
ist zunächst zu berücksichtigen , ob der Absterbungsprocess stille steht
oder fortschreitet. Im leztern Falle wirkt die Ursache noch fort und rnuss
die Behandlung gegen diese bis zum Stillstande des Brandes fortgesezt
werden. Alsdann hat man dafür zu sorgen , dass der abgestorbene Theil
keine schädliche Rückwirkung auf den übrigen Körper äussert und mög-
lichst bald ausser Verbindung mit demselben gesezt wird. Bei fortdauern-
der Schmerzhaftigkeit macht man narkotische Fomentationen oder Brei-
umschläge ; innerlich gibt man Opium oder Morphium. Die Einsäugung
140 BRAND DURCH AUFLIEGEN.
der Brandjauehe verhindert man durch freie Einschnitte, welche aber nicht
bis ins Gesunde dringen dürfen , und darauf folgende Waschungen und
Umschläge von Chlorkalksolution oder Einstreuen von China-Kohlenpulver
etc. Völlig abgestorbene Theile entfernt man auf eine schonende Weise
mit dem Messer oder der Scheere. Innerlich reicht man, um der Einsau-
gung entgegenzuwirken , Mineralsäuren , den Kampher ; dabei müssen die
Kräfte durch flüchtige Reizmittel gehoben werden ; solche sind Naphtha,
Moschus , Valeriana , Arnica , Serpentaria , allein oder in Verbindung mit
antiseptischen Mitteln, sodann Wein, Terpenthin, Assa foetida, China.
Daneben gibt man leichte , später nahrhaftere Kost. Die Luft hält man
durch fleissige Lüftung und Käucherungen mit aromatischem Essig, Chlor-
kalk etc. rein. — Die Abstossung des Brandigen überlässt man entweder
der Natur und hilft nur durch pharmaceutische Mittel nach , oder man
schreitet unmittelbar ein und entfernt die der Trennung lange wiederste-
henden Gebilde, als Sehnen, Bänder, Knochen, künstlich, oder man nimmt
endlich den brandigen Theil in seiner Totalität mittels Amputation weg ;
lezteres darf aber erst geschehen , wenn die Demarkation des Brandes in
vollem Gange ist. Hat der Brand ein Glied abgestossen, so wird nicht
selten eine künstliche Nachamputation nöthig , da die übrig gebliebenen
Weichtheile den Knochenstumpf nicht immer zu decken vermögen. —
Ueberlässt man die Abstossung der Natur , so sucht man die Kräfte des
Kranken während dieses Processes gehörig zu erhalten, schüzt ihn vor der
Einwirkung des örtlichen Zersezungsprocesses und befördert die Bildung
der Demarkationslinie durch warme Bleifomente , erweichende Kataplas-
men, wenn die Entzündung zu heftig, oder durch weinige aromatische Um-
schläge , wenn sie zu schwach ist. Die Vernarbung begünstigt man nach
Umständen durch milde ölige oder zusammenziehende Mittel unter fort-
währendem Gebrauche guter Nahrung , frischer Luft und stärkender Arz-
neien.
Brand durch Aufliegen oder von Druck, Gangranaex
decubitu, Decubitus gangraenosus, entsteht durch anhaltendes
Stillliegen im Bette oder durch chirurgische Bandagen und Maschinen,
besonders an den Stellen , wo Knochenvorsprünge dicht unter der Haut
liegen. Man beobachtet ihn daher (in Folge langen Liegens am häufig-
sten an dem Kreuzbeine, den Schulterblättern, den grossen Trochanteren,
den Fersen und Ellbogen. — Der Brand tritt nicht allein in Folge des
Druckes auf, sondern meistens auf Grund eines Allgemeinleidens. Bei
Kranken, welche an typhösem oder fauligem Fieber, an bedeutenden Eite-
rungen etc. leiden, überhaupt nach Krankheiten, durch welche die Ernäh-
rung stark beeinträchtigt wird , ebenso bei Lähmungen sehen wir ihn mit
auffallender Schnelligkeit und in Folge eines unbedeutenden Druckes zu
Stande kommen. Unreinlichke.it und ein ungeeignetes Lager, Federbetten,
begünstigen das brandige Aufliegen. — Der Decubitus tritt unter zwei
Formen auf: bei der einen zeigt sich an der gedrückten Stelle eine leb-
BRAND DER ALTEN. 141
hafte , brennende Entzündungsröthe , aus welcher allmälig Verschwörung
und, wenn die Ursachen fortbestehen, Brand hervorgeht. Bei der andern
entwickeln sich ohne deutlich wahrnehmbare Entzündungserscheinungen
blutrothe oder blaugrüne Flecken , auf welchen sich unter gleichzeitigem
Oedem der Umgegend entweder Binsen erheben, die mit blutigem Serum
gefüllt sind , oder aber sogleich Brandschorfe sich entwickeln. Leztere
Form tritt namentlich bei ausgebreiteten Rüekenmarkslähmungen nach
Verlezungen auf. — Wird die Ursache des Decubitus nicht entfernt , so
breitet er sich immer weiter aus und zerstört nicht blos die Haut und
das subcutane Zellgewebe , sondern auch die Fascien , Muskeln , ja sogar
das Periost und den Knochen selbst. — Die erste Form , die häufig auf
örtlichen Veranlassungen beruht, gibt eine bessere Prognose, als die zweite.
— Behandlung. Vor Allem muss der Decubitus zu verhüten gesucht
werden. Zu diesem Behufe muss man für ein reinlich gehaltenes, ebenes
und elastisches Lager sorgen, wozu sich am besten eine Rosshaarmatraze
eignet ; unter das Betttuch, welches faltenlos erhalten werden muss, bringt
man ein Rehfell mit nach oben gekehrten Haaren oder ein mit Oel be-
strichenes Wachstuch ; unter das Bette stellt man ein grosses mit Wasser
gefülltes Gefäss und lässt den fast horizontal liegenden Kranken seine
Lage häufig verändern. Dabei wäscht man die dem Drucke ausgesezten
Stellen mit frischem Wasser , mit Essig und Wasser , Franzbranntwein,
Kirschwasser, Branntwein oder Bleiwasser mit Kampfergeist. — Zeigt sich
an einer Druckstelle Entzündung , so wäscht oder fomentirt man dieselbe
mit Bleiwasser und legt Baumwolle unter oder man legt denselben auf
eine eingeölte, eingeweichte , theilweise mit Luft gefüllte Rindsblase oder
ein Luftkissen. — Ist die Oberhaut entfernt und die Stelle geschwürig,
so bestreiche man sie mit Collodium , bedecke sie mit einem Bleiweiss-
oder Seifenpflaster , oder verbinde sie mit C e-r a t u m s a t u r n i , s p e r -
maceti oder folgender Salbe: Rp. Album, ovi I, Spirit. vin.
camp h. ^ß , S a c c h. saturni 5 ß , M. (W e i c k a r d) , oder endlich
mit Tanninsalbe. Bildet sich ein Brandschorf, so befeuchtet man unter
fortwährender Anwendung der genannten Mittel die brandige Stelle mit
einer aromatischen Flüssigkeit beim Verbandwechsel. Hat sich der Brand-
schorf gelöst und ein grosses stinkendes Geschwür hinterlassen , so ver-
binde man mit : Rp. Ungt. d i g e s t. , B a 1 s. A r c a e i ana 5j , Ol. t e -
r e b i n t h. ^ ß , C a ■ m p h o r a 5j , M., oder mit einer Mischung von glei-
chen Theilen Gummi elemi und OL ricini. Wollen sich Granula-
tionen bilden, so bepinselt man das Geschwür mit Höllensteinsolution. —
Sehr wohlthätig für Kranke dieser Art sind die sogenannten hydrostati-
schen Betten, d. h. Matrazen aus undurchdringlichem Gummizeug, welche
mit Wasser gefüllt sind.
Brand der Alten, Gangraena senilis. Dieser Brand
kommt als schmerzhafter und unschmerzhafter vor. 1) Der schmerz-
hafte Altersbrand, Pott 's ehe Brand, Gans,, senilis in-
142 BRAND DER ALTEN.
flammatoria s. acuta, Brand der Reichen, Fusszehenbrand, kündigt
sich meistens durch heftige brennende Schmerzen im ganzen Fusse an,
welche Nachts in der Bettwärme zunehmen und sich endlich an einer
Stelle , z. B. an einer oder mehreren Zehen , der Ferse , einem Knöchel
fixiren , wobei das ganze Glied oder der afficirte Theil kalt und taub
ist. Nach einiger Zeit entsteht unter fieberhaften Erscheinungen an den
genannten Punkten und deren Umgebung eine erysipelatöse Röthe der
Haut , auf der sich allmälig blaue oder schwarze Flecken, seltener Blasen
bilden , worauf sich die Oberhaut ablöst , die Umgegend öclematös an-
schwillt und die von der Oberhaut entblössten Stellen schwarz werden
und eintrocknen. Zuweilen trocknet die Haut nicht ein , sondern wird
feucht , violett , weich , gräulich und übelriechend. Der Brand schreitet
meist bis zu dem Zehen- oder Fussgelenke , zuweilen weiter und dies in
3 — 4 Tagen fort; oft beschränkt er sich nur auf die Haut. — Die An-
lage zu diesem Brande findet sich vorzugsweise bei Männern , die durch
Ausschweifungen der verschiedensten Art oder durch Kummer, Hunger
und Kälte sehr herunter gekommen sind , oder an Gicht , Klappenfehlern
des Herzens oder Verknöcherungen der Arterien leiden. — Gelegen-
heitsursachen sind : Erkältungen , Diätfehler , Gemüthsbewegungen,
und leichte äussere Verlezungen , wie der Druck der Fussbekleidung, das
Beschneiden der Hühneraugen etc. Mit dem Eintritte des Brandes stockt
die Circulation und die Arterien füllen sich nicht selten bis in die grossen
Stämme "hinauf mit coagulirtem Blute , wodurch dieselben unwegsam wer-
den. — Meistens sterben die Kranken unter Fieber, Delirien und kaltem
Schweisse ; seltener erfolgt Heilung durch Abstossung des Brandigen ; am
seltensten durch Zertheilung der brandigen Entzündung und Wiederbe-
lebung der gangränösen Partie ; Recidive sind dann aber nicht selten. —
Behandlung. Aderlässe sind nur bei hartem, vollen Pulse, bei Con-
gestionen nach dem Kopfe angezeigt. China und nach Pott grosse
Gaben von Opium lassen oft im Stiche ; lezteres passt nur bei wirklich
eingetretenem Brande. Eine Hauptrücksicht fordern die dem Uebel zu
Grunde liegenden Schädlichkeiten. Ist es Gicht , so reicht man kühlende
Abführmittel, Colchicum mit Extract. aconiti oder Opium nebst
passender Diät; bei rheumatischen Leiden dienen Tart. emeticus,
leichte Abführungen , Salmiak, Colchicum, unter Umständen Blutent-
ziehungen. Beginnt die Entzündung als Erysipelas , so gibt man Brech-
und Abführmittel. Hat sich der Brand begrenzt , so hat man auf die Er-
haltung der Kräfte und wo möglich auf die Entfernung der die grösseren
Arterien verstopfenden Coagula zu sehen. Man gibt demgemäss als stär-
kende Mittel bittere Extracte , Eisenmittel , China , Wein , gute Nahrung.
Längs der verstopften Gefässe sezt man Blutegel an , welchen man später
Einreibungen von Quecksilber- oder Jodsalbe mit Kampher folgen lässt.
Oertlich wendet man erweichende, erschlaffende Mittel an, und zwar wäh-
rend der Entzündungsperiode in trockener Form (Kräutersäckchen) , nach
KORNBRAND. 143
Entwicklung des Brandes in feuchter (Breiumschläge). Zusäze von Opium
mindern oft die Schmerzen. — Einschnitte in die brandigen Theile , so
wie die Amputation sind zu verwerfen.
2) Der schmerzlose Brand der Alten, M umifi catio ,
Necrosis senum, unterscheidet sich von dem schmerzhaften Brande
durch den langsamen Verlauf, das gänzliche Fehlen der Schmerzen und
der entzündlichen Erscheinungen. Der Kranke befindet sich entweder vor
dem Anfalle ganz wohl , oder er klagt über verminderten Appetit , trägen
Stuhlgang, Frösteln, Hinfälligkeit, Schläfrigkeit, ein Gefühl von Schwere,
Kälte, Ameisenkriechen in den Füssen, besonders in der grossen Zehe oder
in den Händen ; der Puls ist langsam und schwach. Eine Hautstelle wird
dunkelroth, blau, dann grau und zulezt schwarz und schrumpft zusammen;
später entstehen mehrere Flecken, die sich nach und nach vereinigen. Der
Brand kriecht meistens langsam weiter und der abgestorbene Theil wird
fest, mumieriartig. Die allgemeine Schwäche nimmt immer mehr zu , der
Puls wird schwächer, aussezend , uud unter kalten Schweissen . Irrereden,
Sehnenhüpfen etc. tritt der Tod ein. Höchst selten kommt es zur Bil-
dung einer Demarkationslinie und Abstossung des Brandigen. — Diese
Art von Brand ist die Folge des allmäligen Sinkens der Lebenskräfte im
ganzen Organismus durch das natürliche Alter und organische Fehler.
Als Gelegenheitsursache bezeichnet man Erkältung. — Behandlung.
Sie besteht nur in der Erhaltung der Kräfte.
Kornbrand, Gangraena cerealis. Diese Art von Brand
tritt im Gefolge der Kriebelk rankheit (Morbus s. Convulsio
cerealis, Raphania) auf, welche durch den Genuss des Mutterkorns
(Seeale cornutum) herbeigeführt wird. — Der Verlauf der Krankheit ist
bald acut , bald chronisch. Bei der acuten Form entstehen gastrische
Symptome , Brechreiz , Magenkrampf, Betäubung, Schwindel, Zittern der
Glieder mit knebelnden Empfindungen. Nach einigen Tagen tritt unter
heftigem Froste Fieber ein , mit bald darauf folgender brennender Hize
und heftigem Durste. Es treten Convulsionen hinzu, die Kräfte des Kran-
ken nehmen ab und es stellt sich ein typhöser Zustand mit Taubheit,
Betäubung, Ohnmächten und Sinken des Pulses ein. Die von den Con-
vulsionen befallenen Theile , am öftersten die Füsse , werden blass , kühl,
schrumpfen zusammen , es tritt blaue , zulezt schwarze Färbung und mu-
mienartige Vertrocknung ein. Der Brand schreitet entweder gegen den
Rumpf fort und der Tod erfolgt gegen den 7. oder S.Tag, oder derselbe
begrenzt sich frühzeitig , häufig an Gelenken , und es gehen nur einzelne
Phalangen verloren. Im Falle der Heilung bleibt ein lebenslängliches
Siechthum zurück. — Die chronische verläuft langsamer und zeigt
deutliche Paroxysmen und Remissionen. Die Erscheinungen dieser Form
gleichen denen der vorigen , doch gibt sie mehr Hoffnung zur Genesung
als diese. — Die Krankheit entscheidet sich , wenn es zur Heilung geht,
durch frieselartige Ausschläge und Abscesse so wie durch Ausleerungen
144 MILZBRANDKAKBUNKEL.
von Schleim und Würmern. — Bei der Leichenöffnung findet man die
Gefässe des Gehirns mit Blut und die Gehirnhöhle , so wie die Rucken-
marks- und Unterleibshöhle mit blutig-serösen Exsudaten erfüllt. — Als
nächste Veranlassung des örtlichen Absterbens bei der Kriebelkrankheit
nehmen die Franzosen eine Arterienobliteration durch Arteriitis, die Deut-
scheu eine durch das Mutterkorn bewirkte Nervenüberreizung und daraus
hervorgehende Lähmung an. — Behandlung. Sie ist bei beiden For-
men gleich und besteht in der Darreichung von Brech- und Abführmit-
teln in starken Dosen, denen man unmittelbar Nervina folgen lässt, unter
welchen besonders die Valeriana, Assa foetida, der L i q. c. c. suc-
c i n a t., das Ammonium, Castoreum, der Kampher, Moschus, das C u p r u m
s u 1 p h. a m m o n. , das Ol. a n i m a 1 e a e t h e r. zu nennen sind ; später
passt neben diesen Mitteln die China. — Aeusserlich zeigen sich beson-
ders die Einreibungen flüchtiger Linimente ins Rückgrat , in den Unter-
leib und die Extremitäten , so wie laue Bäder wirksam. Bei drohendem
Brande wirken am besten narkotische Kataplasmen , Fomente und Bäder.
Die Amputation darf, wenn sie überhaupt nöthig erscheint, erst nach voll-
kommener Begrenzung des Brandes vorgenommen werden.
M i 1 z b r a n d k a r b u n k e 1 , Milzbrandblatter, schwarze
Blatter oder Pocke, bösartige Pustel, Carbunculus con-
t a g i o s u s , p o 1 o n i c u s , g a 1 1 i c u s , h u n g a r i c u s , Anthrax c o n-
t a g i o s u s , Pustula nigra, m a 1 i g n a. Hierunter versteht man eine
brandige Hautentzündung , welche durch einen contagiösen thierischen
Krankheitsstoff , das sogenannte Milzbrandgift, hervorgerufen wird.
— Dieses Gift findet sich in Thieren (Rindern, Schafen, Schweinen, Pfer-
den etc.), welche am Milzbrande (einer fauligen Blutseuche) leiden, oder
daran zu Grunde gegangen sind , und zwar in allen Theilen derselben,
dem Blute, dem Fleische, der Haut, den Hörnern, Haaren, selbst in den
Excrementen. Es ist äusserst schwer zu vertilgen , so dass Felle , welche
schon längere Zeit im Kalke gelegen haben , noch anstecken können.
Dieses Gift, seiner Natur nach ein septisches, scheint verschiedene Grade
von Intensität zu besizen und nicht so flüchtig zu sein, dass es sich durch
die Luft fortpflanzt , wenn es nicht von Thierdunst getragen ist. Der
Genuss des Fleisches solcher Thiere wird manchmal ohne schlimme Fol-
gen ertragen, zuweilen bringt derselbe gastrische, fieberhafte Erscheinun-
gen zu Wege, und bisweilen erfolgt dann auf diese Zufälle der Ausbruch
eines Milzbrandkarbunkels. Am häufigsten erfolgt die Ansteckung, indem
man unmittelbar mit einzelnen thierischen Theilen in Berührung kommt,
beim Behandeln , Schlachten der Thiere, beim Bearbeiten der Felle etc. ;
daher findet sich der Karbunkel am häufigsten an den unbekleideten Kör-
perstellen, an den Händen, Armen, dem Gesichte und dem Halse, und
zwar solcher Personen , die mit Thieren viel umgehen , wie Thierärzte,
Mezger, Abdecker, Gerber, Hirten etc. Dabei muss nicht nothwendig die
Oberhaut verlezt oder eine Wunde zugegen sein ; es dringt auch durch
BRAND. MILZBRANDKARBUNKEL. 145
die unverlezte Epidermis. Zuweilen wird die Uebertragung des An-
steckungsstoffes durch Insecten vermittelt ; es mögen dies die Fälle sein,
wo man die schwarze Blatter scheinbar spontan entstehen sieht. Es
soll sich nämlich diese Krankheit auch in Folge einer Veränderung des
Bluts durch schlechte Nahrungsmittel, unreines Wasser, Mangel an Wein,
angestrengte Arbeit in der Sonnenhize etc. selbstständig entwickeln kön-
nen. Das Contagium einer Milzbrandpustel kann auch von einem Men-
schen auf den andern übertragen werden. — Symptome und Verlauf.
Zuerst entsteht an irgend einer Hautstelle oft nach Empfindung von flüch-
tigen Stichen , von Pricken und Brennen, die den Kranken zu dem Glau-
ben veranlassen , von einem Insect gestochen worden zu sein , ein rother
erhabener Punkt auf der Haut von der Grösse eines Hirsenkorns oder
einer kleinen Linse. Nach Verlauf von 8 — 2 4 Stunden erhebt sich auf
diesem Flecke die Oberhaut in Form eines gelblichweissen , bläulichen
oder schwärzlichen Bläschens , dessen Umfang etwas hart erscheint , das
sich nach und nach vergrössert und dann, wenn es nicht früher aufgekrazt
wird , plazt oder vertrocknet , und sich in einen trockenen, harten Schorf
von schwarzbrauner Farbe verwandelt. Die Haut und das Zellgewebe im
Umfange des Schorfes sind verhärtet , und erstere ist entweder glänzend
weiss oder roth gefärbt oder gefleckt. Die Lymphgefässe und Lymph-
drüsen in der Nachbarschaft entzünden sich in der Regel und der Theil,
auf welchem der Carbunbel sizt , schwillt oft ausserordentlich ödematös
an, wodurch beim Gesichte und Halse Erstickungsanfälle veranlasst werden
können. Sich selbst überlassen , breitet sich der Brandschorf weiter ans,
indem rings um ihn herum neue Bläschen aufschiessen , die sich auf die
oben angegebene Weise verändern. Diese Vergrösserung des Schorfes
geht zuweilen bis zu dem Umfange eines Handtellers und darüber , greift
aber nicht leicht tiefer, als durch Haut und Zellgewebe. Hört das Fort-
schreiten des Brandes auf, so vertrocknen die Blasen, ohne schwarz zu
werden , und die Epidermis schuppt sich ab. An der Grenze der schwar-
zen Kruste bildet sich gegen den 8. oder 11. Tag eine massige Eiterung,
unter deren Einfluss der Brandschorf abgestossen wird. — Kommt das
Contagium mit einer Wundfläche in Berührung, so erfolgt die Resorption
des Giftes und die allgemeine Infection schneller , was eine grössere Ge-
fährlichkeit bedingt. — Nach Carganico, Stromeyeru. A. kom-
men zuweilen in Folge des Milzbrandkarbunkels erysipelatöse Entzündun-
gen der Haut und des Zellgewebes vor, welche schnell in einen feuchten
Brand übergehen . Stromeyer nennt diese Form den feuchten
Milzbrandkarbunkel. — Mit den örtlichen Leiden verbinden sich
allgemeine Krankheitserscheinungen , die in den einzelnen Epidimien und
Individuen sehr verschieden sind. DieReaction ist manchmal bei grossen
Karbunkeln sehr gering. Viel hängt dabei von dem Size des Karbunkels
ab. In der Regel entsteht einige Tage nach der Bildung des Bläschens
ein Frostschauer , dem Hize folgt , mit Verlust dss Appetits , Schwindel,
Bürger, Chirurgie. 10
146 BRAND. MILZBRANDKARBUNKEL.
Kopfschmerzen , Unruhe , Schlaflosigkeit , Angst, Ziehen in den Gliedern,
Mattigkeit und Zerschlagenheit , zuweilen Betäubung. Die Haut ist mei-
stens mit klebrigen Schweissen bedeckt, der Puls selten voll ; gewöhnlich
wird er bald klein und schnell und die Zunge ist trocken. Bald treten
Erscheinungen eines typhösen Fiebers ein und dann geht es in der Regel
mit dem Leben bald zu Ende. — Die pathologisch-anatomische
Untersuchung weist ähnliche Veränderungen wie bei den milzbran-
digen Thieren nach. Das Blut ist theerartig ; die blutreichen Eingeweide,
wie die Leber , die Lungen , besonders die Milz , sind mit Blut überfüllt,
weich und brüchig. In den verschiedenen Körperhöhlen finden sich mehr
oder weniger blutige , bald wässrrige , bald salzige Ablagerungen , eben
solche in den häutigen Gebilden und im Zellgewebe , besonders in der
Nachbarschaft des Karbunkels. Die Muskeln und Schleimhäute haben
eine dunkle livide Färbung. Die angeschwollenen Lymphdrüsen sind blu-
tig infiltrirt. Die Leichen gehen sehr schnell in Fäulniss über und werden
emphysematös aufgetrieben. — Die Erkenntniss dieser Krankheit
bietet bei genauer Berücksichtigung der angegebenen Erscheinungen keine
Schwierigkeit dar ; nur im Entstehen könnte man darüber im Zweifel sein,
doch kann hier die Beschäftigung des Kranken und etwa vorgekommene
weitere ähnliche Fälle auf die Spur leiten. — Der Verlauf des Milzbrand-
karbunkels ist stets acut; er tödtet oft schon in 3 — 4 , häufiger in 5, 7,
9 Tagen. — Die Prognose richtet sich nach dem Size des Uebels ;
besser ist sie , wenn der Karbunkel an den Extremitäten , ungünstiger,
wenn er am Kopfe, im Gesichte oder an der Brust sizt, am ungünstigsten,
wenn er seinen Siz am Halse hat , wo er durch die enorme Geschwulst
Strangulationen oder Apoplexie herbeiführen kann. In der Nähe des
Auges kann er Ectropium , Thränenfluss zur Folge haben , ja das Auge
gänzlich zerstören. Immer hinterlässt der Karbunkel entstellende Narben.
— Behandlung. Die Hauptaufgabe der Kunst ist , das Milzbrandgift
an der Infectionsstelle gründlich zu zerstören, und je frühzeitiger dies ge-
schieht, um so sicherer ist der Erfolg. Kommt man dazu, so lange noch
die erste Blase besteht , so schneidet man dieselbe heraus und äzt die
Wunde nachdrücklich mit Höllenstein. Hat sich bereits ein Brandschorf
gebildet, so ist das Ausschneiden unnüz ; ist er noch auf eine kleine Stelle
beschränkt, so genügt die nachdrückliche Application mit Aezkali, Mine-
ralsäuren, kaustischem Ammoniak, Spiessglanzbutter, und zwar nicht allein
auf den Schorf, sondern auch den ihn umgebenden Blasenkranz. Ist der
Brandschorf bereits umfänglicher, so muss derselbe in mehreren Richtun-
gen dreist bis auf das Gesunde eingeschnitten und dann die eben genann-
ten Caustica, namentlich Salpetersäure und selbst das weissglühende Eisen
angewendet werden. Bei lebhafter Reaction thun einige Blutegel , auch
Schröpf köpfe, in einiger Entfernung von der Blatter applicirt, gute Dienste.
Dabei lässt man Umschläge von Bleiwasser oder erweichende narkotische
Kataplasmen von Leinmehl, Hyoscyomus- und Belladonnablättern mit Blei-
BREIUMSCHLAEGE. 147
wasser machen. Bei geringer örtlicher Reaction wendet man ätherische
Fomentationen und Kataplasmen mit Zusäzen von Kampher an. Sobald
sich die Demarkationslinie gebildet hat, verbindet man mit Ungt. basi-
1 i c u m und behandelt nach Abstossung der Borke das Geschwür seinem
Charakter gemäss. — Die allgemeine Behandlung muss sich nach den
sich ergebenden Erscheinungen richten. Bei gastrischen Zufällen reicht
man Brech- und Abführmittel ; bei Congestionen nach dem Kopfe und
Erstickungsgefahr durch einen Karbunkel am Halse applicirt man Blut-
egel und macht kleine Aderlässe. Leztere machen sich , jedoch mit gros-
ser Vorsicht, zuweilen auch bei einem vollen Pulse nothwendig. Zum Ge-
tränke gibt man anfangs säuerliche Getränke und Chlorwasser ; Ham-
mer empfiehlt den Liquor ammon. caustic. stündlich zu 5 — 1 0
Tropfen in Zuckerwasser; später, wenn die Zeichen eines putrid-typhösen
Zustandes sich einstellen , reicht man Antiseptica , namentlich China und
Säuren in Verbindung mit ätherisch-öligen Mitteln und Aether arten, unter-
stüzt von einer passenden Diät.
Breiumschlag*, Cataplasma (xarctTTkaGGa) , ich lege einen
Brei auf) , ist diejenige Form von Arzneimitteln , welche die Consistenz
eines Breies haben und äusserlich kalt oder warm aufgelegt werden. Man
nimmt gewöhnlich trockene, gepulverte oder zerschnittene Substanzen zur
Basis eines Breiumschlages, welche entweder mit einer heissen Flüssigkeit
zur Consistenz eines Breies angerührt werden , oder welche man darin
kocht , gekochter Breiumschlag, Cataplasma coct um; be-
reitet man den Breiumschlag durch Zerreiben , Zerstossen , z. B. frischer
Wurzeln oder Kräuter , oder hat die zu verwendende Substanz an sich
schon die Breiconsistenz, z. B. der -Schlamm der Mineralquellen, so heisst
er roher Breiumschlag, Cataplasma er u dum, und wenn die-
ser Brei eine etwas dickere Consistenz hat , so heisst er Teig, Pasta.
— Man wählt zu den Breiumschlägen Substanzen, welche mit einer Flüs-
sigkeit zu einem Brei gemacht werden können ; solchen, welche sich nicht
zur Breiform eignen, sezt man Brod- oder Semmelkrume, Mehl, Leinsamen-
mehl u. dgl. bei. Stoffe , welche durch Kochen ihre Wirkung verlieren,
z. B. Wein, Kampher, Spiritus, Ammonium etc. sezt man den Umschlägen
erst im Augenblicke der Anwendung bei. Der Brei darf weder zu dick,
noch zu dünn sein ; er hat die gehörige Consistenz, wenn er so durch das
einhüllende Tuch durchschlägt, dass die Oberfläche von diesem mit Schleim
überzogen erscheint. Der Brei wird entweder unmittelbar auf den kran-
ken Theil gebracht , oder zwischen Leinwand oder Tücher geschlagen.
Die Grösse des Umschlages richtet sich nach dem Umfange des kranken
Theiles ; in der Kegel muss er diesen noch überragen. Er darf nicht zu
dünn aufgetragen sein , dass er sowohl die Temperatur als die Feuchtig-
keit hinreichend lange in sich erhält ; er darf indessen auch durch seine
Schwere nicht belästigen. Man hat darauf zu achten , dass der Kranke
10*
148
BREIUMSCHLAG.
nicht gebrannt wird; der Umschlag hat die richtige Wärme, wenn man
ihn , ohne Schmerz zu fühlen , einige Zeit auf dem Handrücken liegen
lassen kann. Er darf nicht zu lange liegen bleiben, weil er sonst zu sehr
abkühlt und weit mehr schadet, als nüzt ; die längste Zeit ist 1/2 Stunde,
dann muss er mit einem , der schon fertig da liegt , vertauscht werden.
So oft der Breiumschlag gewechselt wird , muss die Applicationsstelle
schnell abgetrocknet und dann erst darf der frische Umschlag aufgelegt
werden. Den Brei, der von dem kranken Theile abgenommen wird, streift
man von dem Tuche , in welches er eingeschlagen ist , in das Gef äss zu
der übrigen Masse und giesst wieder ein wenig Wasser hinzu , damit er
nicht zu dick und trocken wird. Er darf nicht auf hellem Feuer, sondern
muss auf Kohlen oder in glühender Asche warm erhalten und alle 2 4
Stunden muss ein frischer gekocht werden. Kann der Breiumschlag die
Nacht durch nicht sorgfältig fortgesezt werden , so thut man wohl , ihn
zur Nachtzeit auszusezen und den leidenden Theil mit einem mit grauer
Quecksilbersalbe bestrichenen Leinwandstück oder mit einem geeigneten
Pflaster zu bedecken. — Man kann die Breiumschläge nach ihrer Wir-
kung oder nach den in ihnen enthaltenen Arzneistoffen eintheilen ; daher
hat man erweichende Umschläge, C.emollientia, zeitigende, C. ma-
t u r a n t i a ,
C. acria s.
schmerzstillende ,
irritantia etc.
C. anodyna s. sopientia, reizende,
Rp. Flor, chamomill.
— sambuci ana ^j ;
Herb, hyoscyami
Capit. papav. ana ^jß,
Farm, sem. lini ^vj.
M. f. pulv. gross., coq. ad con-
sist. catapl. — Cataplasma ano-
dynum.
(S ob er nheim.)
Rp. Cepar. sub einer, tost.
Farin. sinap. ana 5ij ;
Sapon. nigr. X ß,
Aq. q. s.
Coq. ad consist. cataplasm. —
Cataplasma resolvens.
(Nie mann.)
Rp. Rad. altheae
Herb. alth.
— malv. ana part. jv.
Flor, chamom.
— sambuc. ana part. ij.
M. f. pulv. gross., coq. ad con-
sist. cataplasm. — Cataplasma
emolliens.
(Pharmacop. Würt.)
Rp. Herb. con. macul.
— hyoseyam. ana 5-13;
Flor, chamom.
— sambuc. ana =jj,
Farin. sem. lini 5Jß.
M. f. pulv. S. Mit kochendem
Wasser zum Umschlag anzurüh-
ren. — Erweichender , zeitigen-
der und schmerzstillender Um-
schlag.
(C arus.)
BRUCH. 149
Rp. Farin. tritic.
Spumae cerevis. ana ^viij,
M. leni calore f. catapl. S.
Warm aufzulegen.
Fäulnisswidriger Umschlag
gegen unreine , faulige Ge-
schwüre.
Bnich, Hernia (von EQi'og , der Zweig, daher auch) Ramex,
Euptura. Mit diesem Worte bezeichnet man das Austreten eines Ein-
geweides aus seiner Höhle unter die allgemeinen Bedeckungen oder in
eine andere Höhle , wodurch eine mehr oder weniger hervorspringende
und meistentheils äusserlich wahrnehmbare Geschwulst gebildet wird.
Solche Austretungen beobachtet man am Kopfe , der Brust und dem Un-
terleibe, daher unterscheidet man Kopf-, Brust- und Unterleibs-
brüche. Von den lezteren als den am häufigsten vorkommenden soll
zuerst die Rede sein.
I. Brüche des Unterleibes. A. Von den Brüchen des
Unterleibes im Allgemeinen. — Die Unterleibsbrüche , H e r -
niae abdominales, können sich im ganzen Umfange der Bauch-
wand bilden , weun diese nachgibt oder zum Theil zerreisst. Am häufig-
sten enstehen sie an denjenigen Stellen des Unterleibes , wo schon OefF-
nungen zum Durchgange von Gef ässen, Nerven etc. bestehen. Man theilt
die Brüche ein: l) nach der Stelle, wo sie sich bilden, in Leisten-,
Schenkel-, Nabel-, Sizbeinbrüche etc. ; 2) nach den in dem Bruche ent-
haltenen T h e i 1 e n , in Darm- , Nez- , Darmnez- , Magen- , Harhblasen-
brüche etc.; 3) nach der Zeit der Entstehung in angeborene (H.
congenitae) nnd in erworbene Brüche (H. acquisitae). — Die
Spalte , Oeffnung oder Vertiefung , durch welche das Eingeweide hervor-
tritt, nennt man die Bruchpforte, welche in eine innere und äussere
zerfällt ; wenn zwischen beiden ein Kanal sich befindet , so heisst er
Bruchkanal. Der in diesem Kanäle oder in Ermangelung dessen in
der Bruchpforte befindliche Theil des Eingeweides heisst Bruchhals,
der nach aussen getretene Bruchkörper. Die meisten Brüche drän-
gen bei ihrer Bildung das Bauchfell vor sich her , wo es ihnen dann als
Bruchsack (Saccus herniosus) zur Umhüllung dient. An diesem
unterscheidet man wieder den Hals, Körper und den Boden. In sel-
tenen Fällen kann der Bruchsack ganz oder theilweise fehlen und zwar
wenn das Bauchfell einen Spalt hatte oder wenn sich ein Theil vorlagert,
der in der Bauchhöhle ausserhalb des Bauchfellsackes liegt , z. B. der
untere Theil der Harnblase, oder des Blinddarmes , oder die Nieren. Der
Bruchsack kann sich verdicken, verdünnen, Einschnürungen erleiden etc.
— Die Grösse der Brüche ist sehr verschieden , indem sie bald nur eine
Darmwand, bald eine Darmschlinge , bald endlich einen grösseren. oder
150 BRUCH.
kleineren Theil aller Unterleibseingeweide enthalten. — Die Brüche sind
entweder frei, beweglich, wenn sie in die Unterleibshöhle zurückge-
bracht werden können, oder unbeweglich, wenn dies nicht möglich
ist, wovon der Grund in den Eingeweiden, oder in dem Bruchsacke, oder
in beiden zugleich liegen kann. — In praktischer Hinsicht unterscheidet
man nicht eingeklemmte und eingeklemmte Brüche. —
Diagnose des nicht eingeklemmten Bruches. Sie ist in der
Regel leicht. Man bemerkt eine schnell oder langsam entstandene, un-
schmerzhafte , elastische, kugel- oder birnförmige Geschwulst mit unver-
änderter Haut , die auf einen Druck oder in der Rückenlage von selbst
zurückgeht, bei jeder Anstrengung, beim Husten, Niesen etc. wieder vor-
fällt oder sich vergrössert. Die aufgelegte Hand fühlt beim Husten ein
deutliches Andrängen des Eingeweides. Hierzu kommen noch Functions-
störungen der Unterleibseingeweide, träger Stuhlgang, Kollern, kolikartige
Schmerzen , Aufstossen etc. Das vorliegende Eingeweide gibt sich theils
durch das Gefühl, theils durch die Functionsstörung zu erkennen. — Der
Darmbruch (Enterocele) bildet eine gleichförmige, elastische Ge-
schwulst, welche sich bei Anfüllung der Därme vergrössert und mit einem
gurrenden Geräusche zurücktritt. — Der Nezbruch (Epiplocele)
fühlt sich teigig, ungleich knotig, manchmal strangartig an, hat eine brei-
tere Basis , entwickelt sich langsamer , lässt sich schwer und nur partien-
weise reponiren , wobei kein Gurren zu vernehmen ist, und verursacht oft
ein lästiges Ziehen am Magen. Der Darmnezbruch (Entero -epi-
plocele) bietet die Zeichen beider vorhergehender Arten mit einander
in Verbindung dar. Der Blasenbruch (CystoceleJ fluctuirt , ist
grösser bei angesammeltem Urin, wird kleiner nach dem Wasserlassen und
ein Druck auf die Geschwulst veranlasst Drang zum Uriniren. Nieren-,
Magen- , Leber- und Gebärmutterbrüche werden oft aus dem Orte des
Vorkommens, aus der Störung der Function des vorgelagerten Theiles etc.
erkannt. — Ursachen. Diese sind prädisponirende und Gelegenheits-
Ursachen. Die Anlage zu Brüchen, welche angeboren und erworben
sein kann , besteht in einer Erschlaffung der Bauchdecken und deren na-
türlichen Oeffnungen, bedingt durch Dickleibigkeit, Wassersucht, Schwan-
gerschaft , schnelles Magerwerden , durch Ueberf üllung der Eingeweide.
Die Gelegenheitsursachen sind starke Zusammenziehungen der
Bauchwand beim Aufheben schwerer Gegenstände, Husten, Erbrechen etc.;
ferner äussere Gewaltthätigkeiten , wie Stoss , Schlag etc. — Brüche ent-
stehen häufiger bei Männern als bei Weibern und häufiger auf der rechten
als auf der linken Seite. — Die Prognose nicht zu grosser, reponirter
und durch ein Bruchband zurückgehaltener Darmbrüche ist keine ungün-
stige , indem sie in der Kindheit beinahe immer heilen und Erwachsenen
wenig Unbequemlichkeit bereiten. Darmbrüche sind gefährlicher als Nez-
brüche. Ein sich selbst überlassener Bruch verursacht am Ende grosse
Beschwerden und wird zulezt irreponibel. — Behandlung. Die erste
BRUCH. 151
Indication bei einem beweglichen Bruch ist , ihn zurückzubringen , die
zweite besteht darin , sein Wiedervorfallen zu verhüten. Dies geschieht
entweder durch das Tragen eines Bruchbandes oder durch eine organische
Verschliessung der Bauchöffnung. — Die Zurückbringung eines
Bruches, Taxis, Repositio herniae, wird in einer Lage vor-
genommen , in welcher die Bauchwand möglichst erschlafft ist. Der
Kranke liegt daher auf dem Bücken mit massig erhobenem Kopfe und
Brust und angezogenen Schenkeln. Der Wundarzt steht auf der Seite
des Bauches, erfasst die Geschwulst mit einer Hand, drückt sie sanft und
gleichmässig mit den Fingern zusammen und drängt die Theile allmälig
nach der Oeffnung , aus der sie hervorgetreten sind. Dieses Zurückdrän-
gen muss in der Richtung geschehen , in der die Theile hervorgetreten
sind. Während der Taxis hat sich der Kranke jeder Zusammenziehung
zu enthalten. Die vollkommene Reposition ergibt sich aus dem gänzlichen
Verschwinden der Geschwulst und der frei gewordenen Bauchöffnung. —
Das Wiedervorfallen der Eingeweide verhindert man durch eine fort-
dauernde , gleichmässige Compression , welche gegen die Bauchöffnung
durch besondere Bandagen (Bruchbänder, Bracheria) angebracht
wird . Man hat unelastische und elastische Bruchbänder. Die
ersteren taugen nichts , da sie den Bewegungen des Bauches nicht nach-
geben , sich daher leicht verrücken und bei fester Anlage die Haut wund
machen. Die elastischen Bruchbänder bestehen aus einer mit Leder über-
zogenen und gefütterten Feder und einer an dem einen Ende dieser be-
festigten , die Bruchstelle bedeckenden gewölbten Pelotte, an welcher der
von dem andern Ende der Feder ausgehende Ergänzungs-, so wie der das
Aufsteigen der Bandage verhindernde Schenkelriemen befestigt wird. Die
verschiedenen Brüche bedürfen verschieden construirter Bruchbänder. —
Beim Anlegen eines Bruchbandes liegt der Kranke auf dem Rücken ; die
Eingeweide hält man so lange mit den Fingern zurück , bis die PeloUe
gehörig auf die Bauchöffnung angelegt und der Riemen befestigt ist ;
dann lässt man den Kranken aufstehen , herumgehen , husten , um sich zu
überzeugen , ob das Band gut liegt. Vergl. den Art. Bruchband. —
Bei irreponiblen Brüchen sucht man nur das Grösserwerden zu ver-
hindern , was mit einem Bruchbande mit ausgehöhlter Pelotte oder bei
grossen Brüchen mittels eines gut anschliessenden Suspensorium geschieht.
Durch fortgesezte Rückenlage , sparsame Kost , Abführmittel und täglich
wiederholte Repositionsversuche gelingt es zuweilen, ein allmäsiges Zurück-
treten zu bewirken. — Dies ist die Palliativkur der Hernien. Indessen
wird durch das anhaltende Tragen eines guten Bruchbandes zuweilen eine
radicale Heilung herbeigeführt. Man kann diese Wirkung durch die An-
wendung adstringirender Substanzen unterstüzen. Die eigentliche Radi-
calheilung der Brüche wurde auf verschiedene Weise versucht. Die
neueren , weniger gefährlichen Methoden sind folgende : G e r d y stülpt
nach reponirtem Leistenbruche einen Theil des Hodensackes mit einem
152 BRUCH.
Finger möglichst tief in den Leistenkanal, führt eine mit einem doppelten
Fadenbändchen versehene Nadel bis zum Grunde der Umstülpung und
stösst sie vorn über dem Leistenringe aus. Nachdem er hierauf das eine
Ende des Fadens ausgezogen und das andere wieder in die Nadel ge-
fädelt hat, führt er auch lezteres mit der Nadel einige Linien neben dem
ersten Stiche nach vorn und aussen durch , die Fadenbändchen bindet er
über einem Pflastercylinder zusammen, wodurch die eingestülpte Haut in
ihrer Lage erhalten wird. Hierauf wird der durch die Einstülpung ge-
bildete Sack mit Liquor ammonii causticus bepinselt , um Ent-
zündung, Eiterung und Adhäsion herbeizuführen. Die Fäden werden am
3. , 5. bis 8. Tag herausgenommen, und der Kranke beobachtet noch 4
Wochen lang eine Rückenlage. Lehmann führt einen beölten Charpie-
kegel in die Einstülpung ein. Signorini stösst drei lange Hasen-
schartennadeln durch die Invagination nach aussen und umschlingt sie ach-
terf örmig. W u z e r hat ein eigenes Invaginatorium angegeben. Mayor
bildet eine Längenfalte auf dem Bruche , sticht an dem Grunde dieser
mehrere mit doppelten Fäden versehene Nadeln durch , theilt die Faden-
enden und bindet sie über Baumwoll- oder Schwammcylindern zusammen.
Darüber bringt er einen leichten Druck mit einem Bruchbande an. Die
Fäden nimmt man am 9 . Tage weg. B o n n e t sticht Stecknadeln durch
die Hautfalte und sucht auf diesen die Hautfalte zusammenzudrücken.
B e 1 m a s schiebt mittels feiner Troicartröhren mit Goldschlägerhäutchen
überzogene Gallertcylinder ein und lässt daüber ein Bruchband tragen.
Da diese verschiedenen Verfahrungsweisen eines Theiles nicht immer ohne
Gefahr sind , anderntheils häufig versagen , so beschränkt man sich lieber
auf den Gebrauch eines gut gearbeiteten Bruchbandes. — = Tritt ein Miss-
verhältniss zwischen den vorgefallenen Theilen und der Bruchpforte ein,
wodurch die freie Communication zwischen der Bauchhöhle und dem
Bruche unterbrochen und die Zusammenschnürung des vorgefallenen Thei-
les hervorgebracht wird , so hat man es mit einer Brucheinklem-
mung, Incarceratio herniae, zu thun. Ein solches Missverhält-
niss kann veranlasst werden beim Entstehen eines Bruches, wenn die Ein-
geweide gewaltsam den engen Bauchring durchdringen ; ferner durch das
Hinzutreten weiterer Eingeweidetheile zu einem schon länger bestehenden
Bruche, durch eine Anhäufung von Koth, Darmgas oder durch fremde Kör-
per in den vorliegenden Darmschlingen, durch entzündliche Anschwellung
oder Entartung des Nezes , durch Verwickelung oder allmälige Verenge-
rung der Darmpartien und durch krampfhafte AfFection des Darmkanales.
— Die Stelle der Einklemmung ist entweder in der Bruchpforte , dem
Bruchkanale oder in dem Bruchsacke und zwar hier entweder an dem
Bruch sackhalse oder an seinem Körper, wenn sich Verengerungen daran
gebildet haben oder wenn er zerreisst und Eingeweide sich einklemmten.
Auch können sich Darmschlingen durch bandartige Massen verbinden,
sich mit dem Neze verwickeln , oder Därme durch das Nez brechen.
BRUCH. 153
Häufig ist der durch langes Tragen eines Bruchbandes verdickte und ver-
engte Bruchsackhals der Siz der Einklemmung ; am häufigsten sind es
jedoch die Bruchpforten, welche einschnüren, sie sind aber dabei nicht
activ thätig, sondern nur relativ zu eng, um dem vorgefallenen oder durch
die angeführten Umstände vergrößerten Eingeweide den Rücktritt zu ge-
statten. — Die Symptome der Einklemmung finden ihre Erklärung
theils in der Einschnürung der den Bruch bildenden Theile, theils in der
hierdurch entstehenden Entzündung und ihren Folgen ; sie sind : Ver-
stopfung, Auftreibung des Unterleibs, Appetitlosigkeit, Uebelkeit, Er-
brechen; später wird der Bruch heiss und zuweilen auch roth, der Kranke
bekommt Angst und Unruhe , unlöschbaren Durst und der Puls wird
hart und häufig. Im weiteren Verlaufe stellt sich nicht selten Er-
brechen von Koth ein , die rothe Farbe der Bruchgeschwulst geht ins
Bläuliche über , diese wird mehr teigig , die bis dahin heftigen Schmer-
zen im Unterleibe lassen nach , der Kranke wird ruhiger , ist aber
noch von Schluchzen geplagt , der Puls wird weich , dann klein,
aussezend , das Gesicht fällt ein , es stellt sich kalter Schweiss , Kälte
der Extremitäten ein , der Athem wird leiser , kurz es ist Brand ein-
getreten , in Folge dessen der Kranke entweder , und zwar in den mei-
sten Fällen , bald darauf stirbt , oder es kommt zum Aufbruche der Ge-
schwulst , in welchem Falle der Kranke unter der Bildung eines wider-
natürlichen Afters noch gerettet werden kann. — Man unterscheidet meh-
rere Arten von Einklemm ungen. 1) Die entzündliche oder
acute. Bei ihr treten die Symptome rasch auf, steigen zu einer grossen
Höhe und die Bauchgeschwulst verändert sich in kurzer Zeit beträchtlich.
Sie tritt meistens bei jugendlichen kräftigen Subjecten und in kleinen
frisch entstandenen oder längere Zeit durch ein Bruchband zurückgehal-
tenen Brüchen auf. 2) Die chronische Einklemmung. Hier
kann oft geraume Zeit verfiiessen , bis die Symptome einen beunruhigen-
den Charakter annehmen. Sie kommt gewöhnlich bei alten und sehr
grossen Brüchen vor , und wenn sie durch eine allmälig verstärkte An-
häufung von Darmgas oder Excrementen veranlasst wird , so heisst man
sie auch Koth einklemmung (In c ar ceratio s t er cor a cea).
Zuweilen herrscht in den' Symptomen eine Veränderlichkeit , der Zustand
nähert sich der Kolik, die Bruchgeschwulst wird rasch gespannt , ist aber
nicht sehr schmerzhaft , wechselt oft ihre Grösse , zuweilen ist gar kein
Erbrechen zugegen , der Puls ist klein , der Urin blass , alle Symptome
steigern sich zuweilen rasch , es treten aber auch wieder längere Inter-
missionen ein. Eine solche Einklemmung , welche man besonders bei
sensiblen Subjecten und häufig nach einer Erkältung beobachtet, nennt
man die krampfhafte. — Die nicht acuten Einklemmungen gehen,
wenn keine Aufhebung derselben stattfindet , früher oder später in die
entzündliche über. — Bei den Nezbrüchen ist der Verlauf nicht so stür-
misch , wie bei den Darmbrüchen , es kann selbst die Stuhlverstopfung
154 BRUCH.
fehlen. Lezteres kann auch der Fall sein bei Brüchen , wo nur eine
Wand des Darmes eingeklemmt ist (L i 1 1 r e ' sehe oder Lateral-
b r ii c h e), wo übrigens die -Zeichen der Einklemmung rasch einen hohen
Grad erreichen. — Die Prognose der eingeklemmten Brüche ist im
Allgemeinen ungünstig. Etwas besser stellt sie sich, wenn die Einklem-
mung das Nez betrifft, oder wenn sich bei einem Darme die Gangrän auf
das eingeklemmte Stück beschrankt und sich ein widernatürlicher After
ausbilden kann, oder wenn der früh zu dem Kranken gerufene Wundarzt
den Bruchschnitt zeitig genug anwenden kann. Die chronische Einklem-
mung ist im Allgemeinen weniger gefährlich als die . acute. — Die Be-
handlung der eingeklemmten Brüche muss die Art der Einklemmung
genau berücksichtigen. Ist die Einklemmung eine acute und hat die
Taxis versagt, so lasse man dem Kranken zur Ader , seze Blutegel in die
Umgebung des Bruches , mache kalte Umschläge auf diese , applicire ein
mildes Klystier , höchstens mit einem Zusaze von Ricinusöl oder ein sol-
ches von Bleiwasser und warte dann erst einige Stunden, bevor man die
Taxis wiederum versucht. Gelingt die Reposition des Bruches auch jezt,
selbst nach vorgenommener Anästhesirung des Kranken nicht , so fahre
man mit den angegebenen Mitteln fort, denen man bei verminderter Ent-
zündung Tabaksklystiere (5ß — j Tabak auf 5xij — xvj Wasser), lauwarme
Bleiumschläge, Einreibungen aus Althäasalbe mit Opium, Extr. bella-
donnae oder hyoseyarni beifügt, und lässt den Kranken andauernd
in der Lage zur Taxis. Alle innern Mittel, besonders Abführmittel, sind
bei dieser Form von Einklemmung schädlich ; höchstens erlaube man
Mandelmilch u. dgl. zum Getränke. Jezt versuche man die Taxis noch-
mals, aber immer nur kurze Zeit und mit Vorsicht, damit man den Bruch
nicht noch mehr reize und entzünde. — Hat die Einklemmung einen
mehr chronischen Charakter, ist sie mehr eine Kotheinklemmung und
ist noch keine Entzündung zugegen, so wende man gleich anfangs Essig-,
Seifen - oder Tabaksklystiere , kalte Umschläge auf den Bruch , die von
S a 1 1 m a n n bei der Einklemmung überhaupt gerühmte Tinctura n u -
cis vomicae (gutt. v — x auf 5ij Wasser und davon 1/4 stündlich einen
Theelöffel voll) und Abführmittel aus Salzen mit Ricinusöl, z. B. Rp.
Ol. ri ci n i 5j, Vi t el 1. o v. N. ij, A q. f o n t. 5vij, fiat emuls., adde
Magnes. sulphur. ^ß, Syr. mannae jj. M. S. Stündlich 2 Ess-
löffel voll , in sehr chronischen Fällen Calomel mit Jalappe und versuche
die Taxis , aber eindringlicher und länger , wobei man durch Zusammen-
drücken des Bruches einen Theil des angehäuften Darmgases oder Kothes
in den Unterleib zurückzudrängen sucht. Treten später entzündliche
Zufälle auf, so verfahre man wie bei der acuten Einklemmung. — Ist die
Einklemmung mit Krampf complicirt, so sind warme Bäder, narkotische
Einreibungen , warme Umschläge , Tabaksklystiere und innerlich eine
Emulsio amygdalarum mit Aqualaurocerasi, kleine Dosen
Ipecacuanha mit Tart. emeticus, z. B. Rad. ipec ac. gr. ij,
BRUCH. 155
Tart. e ra e t i c. gr. j , S a c c h. a 1 b i ^iv ; M. f. p. , divid. in viij p. S.
Alle l/4 — 1/2 Stunde 1 P. , auch die oben angegebene Tinct. nucis
v o m i c a e , so wie die Anwendung von Chloroform angezeigt. Auftretende
entzündliche Erscheinungen müssen entsprechend behandelt werden. —
Gelingt es unter dieser Behandlung den Bruch zurückzubringen, so hören
die Zufälle gewöhnlich schnell auf und es tritt Stuhlausleerung ein. Zögert
diese zu lange , so hilft man mit einem milden Abführmittel nach , z. B.
Rp. Ol. lini rec. ^j , G i. arab. q. s. A q. fontan. ^v, f. emuls.
adde Sal. Glaub. , Syr. mannae ana J. M. S. Stündlich 2 Essl.
voll. Nach dem Zurücktritt eines eingeklemmt gewesenen Bruches ver-
säume man nie, sich zu überzeugen, ob der Bruch auch ganz reponirt ist,
weil zuweilen, besonders bei äusseren Leistenbrüchen , die Eingeweide im
Bruchkanale zurückbleiben. — Gelingt aber die Reposition des Bruches
nicht , wird er im Gegentheile gespannter und schmerzhafter , dauert das
Erbrechen fort etc., so muss man von allen weiteren Repositionsversuchen
abstehen und sofort zur Operation schreiten , von der unter solchen Um-
ständen allein noch Hülfe zu erwarten ist. Zwar will Seutin in der
neuesten Zeit durch gewaltsame Ausdehnung der einschnürenden Stelle mit
dem Finger die Operation häufig umgangen haben ; wenn man aber bedenkt,
dass es schon meist sehr schwer fällt, bei der Operation eine dünne Sonde
unter die Einschnürung zu bringen , so wird man diesem neuen Hülfs-
mittel kein zu grosses Vertrauen schenken dürfen , abgesehen davon, dass
ein solches Verfahren nicht ohne Beleidigung der vorliegenden Theile aus-v
zuführen sein dürfte. — Je kleiner der Bruch und je jünger und robuster
das Subject ist , um so weniger darf man mit der Operation zögern ; bei
acuten Einklemmungen wird sie oft schon nach 8 — ] 2 Stunden noth-
wendig.
Die Operation der eingeklemmten Brüche, der Bruchschnitt,
Herniotomia, besteht in der Blosslegung des Bruches , um durch
Hebung der Einklemmung die Eingeweide in den Unterleib zurückzufüh-
ren. Behufs der Operation lässt man den Kranken , nachdem er urinirt
hat, so auf den Rand eines Tisches liegen, dass er seine Füsse auf Stühle
sezen kann. Nach dem Abrasiren der Haare in der Gegend des Bruches
erheben der Operateur und ein Gehülfe über diesem die Haut in eine
Querfalte , welche in der Weise mit einem bauchigem Bistouri durch-
schnitten wird , dass die dadurch entstehende Wunde unten und oben
über die Bruchgeschwulst hinausreicht ; fällt der Schnitt zu klein aus, so
vergrössert man ihn auf der Hohlsonde. Lässt sich keine Falte bilden,
so macht man den Schnitt vorsichtig aus freier Hand. Nun präparirt
man die zu Tage getretenen Zeilgewebschichten behutsam mit Pincette
und flach gehaltenem Messer ab , bis man auf den Bruchsack kommt,
welcher sich durch seine glänzende Oberfläche bemerklich macht und
wenn er nicht verdickt ist und kein Wasser enthält, das Adergeflecht des
Darmes durchscheinen lässt. Den so blossgelegten Bruchsack erhebt
156 BRUCH.
man an der fluctuirendsten Stelle mittels der Pincette hügelförmig und
schneidet ihn mit flach gehaltenem Messer ein , worauf gewöhnlich ein
wenig hellrothliches Wasser ausfliesst ; in die kleine Oeffnung bringt man
das stumpfe Blatt einer Scheere, erweitert sie damit etwas, geht in die so
erweiterte Oeffnung mit dem Finger ein und schneidet den Bruchsack
seiner ganzen Länge nach auf- und abwärts ein. Das hellröthliche Was-
ser kann oft fehlen, man überzeugt sich aber davon, dass man im Bruch-
sack ist , leicht durch die Glätte und die Gefässverzweigung des Darmes
oder das besondere Aussehen des Nezes. Dass der Bruchsack ganz feh-
len könne, wurde schon erwähnt. Die Methode, den Bruchsack gar nicht
zu öffnen und nach Erweiterung der Bruchöffnung den Bruch sammt den
Bruchsacke zu reponiren , hat den Nachtheil , dass man keine Einsicht in
den Zustand und die Beschaffenheit der Theile bekommt, und dabei etwa
bestehende Einschnürungen im Bruchsacke selbst verborgen bleiben ; sie
ist deshalb nur bei kleinen und frischen Brüchen anzurathen. — Nach
Eröffnung des Bruchsackes dehnen sich die Därme gewöhnlich aus und
treten selbst aus ihm hervor. Man entfaltet sie , löst etwa vorhandene
Verschlingungen und zieht den Darm von der Stelle der Einklemmung
etwas nach aussen , worauf er zuweilen unter leichter Nachhülfe oder von
selbst in die Bauchhöhle zurückweicht. Hindert die Ueberfüllung des
Darmes mit Koth oder Luft dessen Reposition und lassen sich diese durch
Weigern nicht vermindern , so hat man die Punktion des Darmes mit
Stecknadeln, der Lancette oder einem kleinen Troicart ausgeübt , um das
Volumen der Därme zu vermindern. Leichte Verwachsungen der vorge-
fallenen Theile mit dem Bruchsacke trenne man mit dem Finger , feste
mit der Scheere, bedeutende und totale lasse man unberührt. Einschnü-
rungen durch Stricturen des Bruchsackes oder durch Bänder oder die
Eingeweide und das Nez selbst löse man. Gelingt troz allem Diesem die
Reposition der vorgelagerten Theile nicht , so muss die Stelle der Ein-
klemmung erweitert werden und zwar entweder unblutig mittels eines
Fingers oder durch kleine Arnaud'sche Haken, wenn die Bruchpforte
nicht sehr eng ist , oder blutig mit dem Messer , was unbedingt den
Verzug verdient. Bei der blutigen Erweiterung lässt man die Eingeweide
von einem Gehülfen auf schonende Weise von dem zu erweiternden Wund-
winkel abziehen , führt dann auf der Spize des linken Zeigefingers oder,
wenn der Raum zu eng ist oder mehr in der Tiefe geschnitten werden
muss, auf einer Hohlsonde ein concaves, schmales geköpftes Bistouri , so-
genanntes Herniotom , zuerst flach ein , und trennt nach aufgerichteter
Schneide die Stelle der Einklemmung , indem man den Griff des Messers
hebt oder mit der Spize des Fingers die Schneide desselben andrückt.
Die Richtung des Schnittes wird durch die Oertlichkeit bestimmt. Die
Bruchpforte muss so viel erweitert werden, dass man den Zeigefinger über
die Stelle der Einklemmung wegführen kann. — Nach gehobenem Hinder-
nisse zieht man den Darm etwas vor , um seine Beschaffenheit zu unter-
BRUCH. 157
suchen , worauf man die vorgelagerten Theile mit beöltem Finger behut-
sam in der umgekehrten Ordnung , in der sie ausgetreten sind, zurück-
schiebt und zwar zuerst das Mesenterium , dann die Därme und endlich
das Nez ; schliesslich überzeugt man sich durch Einführung eines Fingers
von der vollständigen Reposition aller Theile. Nicht selten ist die Repo-
sition indessen durch Umstände erschwert oder unmöglich. Dahin ge-
hören umfassende Verwachsungen , Desorganisationen und brandige Zer-
störung. — Verwachsungen, die sich nicht lösen lassen, bedeckt man mit
Compressen, die man öfters mit einem Althäadecoct benezt, und überlässt
es der Natur , die Theile selbst in die Bauchhöhle zurückzuziehen oder
sie mit Granulationen zu bedecken. Desorganisationen , die meist nur
amNeze vorkommen und in Verdickungen bestehen, bindet man entweder
ab und schneidet das Entartete unterhalb der Ligatur weg, oder man
schneidet das Kranke kurzweg ab und bringt das Gesunde nach etwa
nöthig gewordenem Unterbinden oder Torquiren blutender Gefässe in
den Unterleib zurück. Brandige Zerstörung kann sowohl den
Darm treffen , als das Nez. Von lezterem trennt man den brandigen
Theil ab und bringt das übrige nach Stillung der Blutung zurück. Was
den Brand der Därme betrifft , so darf man sich durch eine dunkle , vio-
lette, selbst schwärzliche Färbung an denselben von ihrer Reposition nicht
abhalten lassen, nur gebietet die Vorsicht, den betreffenden Darm mitteis
einer Gekrösschlinge in der Nähe der Bauchöffnung zu erhalten. Nur
wenn der Darm glanzlos ist , schwarz oder grau aussieht und sich mürbe
und weich anfühlen lässt , ist er wirklich brandig und darf nicht zurück-
gebracht werden, ohne dass der brandige Theil an der Bruchpforte durch
eine Schlinge erhalten wird ; vorher schneidet man den kranken Theil
des Darmes an; erstreckt sich der Brand weit, ist namentlich eine ganze
Darmschlinge brandig , so überlässt man sie lieber unreponirt der Natur.
— - Nach vollbrachter Reposition zieht man die Hautwundränder durch
Heftpflaster massig fest zusammen , bedeckt sie mit Charpie und Com-
pressen und hält das Ganze mit einer T Binde fest. Will man die Bruch-
pforte durch Granulation schliessen, so füllt man den Grund der Wunde
mit Charpie aus. Der Kranke behält bis zur Heilung eine Lage bei , in
der die Bauchdecken erschlafft sind. Er geniesse nur milde Getränke
und wenn nach 1 2 Stunden nicht Stuhlgang erfolgt , so befördere man
diesen durch Klystiere oder milde Abführmittel. Bestehen noch Zeichen
von Entzündung , so behandle man diese antiphlogistisch , sind sie aber
noch Folgen einer Einklemmung , so soll man die reponirten Eingeweide
nöthigenfalls durch Husten wieder herauszubringen suchen. Konnten
die Eingeweide wegen Brand etc. nicht zurückgebracht werden , so be-
deckt man sie so lange mit einer Eibischabkochung oder mit milden Sal-
ben , bis sie sich überhäuten. Nach der Heilung der Operationswunde
muss ein Bruchband getragen werden , weil sonst wieder ein Bruch sich
158 BRUCH. LEISTENBRUCH.
bildet. — Lieber die Behandlung des widernatürlichen Afters s. diesen
Artikel.
B. Von den Unterleibsbrüchen im Besondern.
1) Leistenbruch, Hernia inguinalis, Bubonocele,
ist derjenige Bruch, bei welchem die Eingeweide durch den Bauchring vor-
treten, und der sich anfangs in der Weiche zeigt, nach längerem Bestände
aber, und wenn Hülfe versäumt wird, bei Männern sich in den Hodensack
(Hernia scrotalis), bei Weibern in die äussern Schamlippen senkt
(H. labii pudendi extern i). In praktischer Hinsicht von der
grössten Wichtigkeit ist die Eintheilung in den äussern und innern
Leistenbruch. Der äussere Leistenbruch, welcher durch den
schon bis auf eine leichte Grube verschlossenen hintern Leistenring ein-
tritt, durch den Leistenkanal herabsteigt und aus dem vorderen Leisten-
ringe hervorkommt , liegt über dem Poupart' sehen Bande , hat, wenn
er ganz hervorgetreten ist (vollkommener Leistenbruch) eine birn-
förmige Gestalt, einen länglichen, durch den Leistenkanal sich erstrecken-
den Hals , geht von oben und aussen nach innen und unten in der Rich-
tung des Samenstranges , auf welchem er mit seiner inneren Seite ruht,
hat die Art. epigastrica an seiner untern und innern Seite und lässt
ein Gurren vernehmen , wenn man ihn reponirt. Vergrössert sich der
Bruch, so verliert er seine cylindrische Gestalt und seinen langen schiefen
Hals und tritt mehr breit und gerade nach aussen. Gelangt er in den
Hodensack , so liegt er in der zur Tunica vaginalis communis
gewordenen Fascia transversalis vor den Hoden. Die Bedeckun-
gen dieses Bruches sind : die äussere Haut, die Fascia superficialis,
die Fascia transversalis (Tunica vaginalis communis),
auf welcher sich die Fasern des Cremaster verbreiten, und der Bruch-
sack. — Wenn bei Kindern der durch das Herabsteigen des Hodens aus
dem Bauchfelle gebildete Scheidenhautkanal des Hodens offen blieb und
sich Eingeweide in denselben senken, so entsteht der angeborene Leisten-
bruch (Hernia inguinalis congenita). Er verhält sich vollkom-
men wie der äussere erworbene Leistenbruch , nur weicht er darin von
diesem ab, dass die Eingeweide in der Tunica vaginalis propria,
und also unmittelbar auf und neben dem Hoden liegen. Auch seine Be-
deckungen sind dieselben , nur ist der Bruchsack durch die Tunica vagi-
nalis propria gebildet. — Der innere Leistenbruch, welcher von
der Leistengrube aus unmittelbar durch den vordem Leistenring nach
aussen hervortritt (daher auch der gerade Leistenbruch genannt), liegt
der Mittellinie des Körpers näher, über dem Po upart' sehen Bande, hat
eine kugelförmige Gestalt , einen kurzen Hals , die Art. epigastrica
und den Samenstrang an seiner äussern Seite und veranlasst beim Repo-
niren kein Gurren. Er erreicht nie die Grösse des äussern Leistenbruches,
selbst wenn er tiefer hinab in den Hodensack tritt , wo er ausserhalb der
Tunica vaginalis communis liegt und der Hoden nach vorn und
BRUCH. LEISTENBRUCH. 159
aussen neben ihm sich befindet. Seine Bedeckungen sind : die äussere
Haut , die Fascia superficialis, die Fascia transversalis,
welche aber , gleich den Fasern des Cremaster , durchbrochen sein kann,
und der Bruchsack. — Bei längerem Bestände verändert sich der äussere
Leistenbruch, so dass er von dem innern nicht mehr zu unterscheiden ist ;
er dehnt mit zunehmender Grösse die beiden Leistenringe so aus , dass
sie hinter einander zu liegen kommen , so dass er dann wie der innere
gerade von innen nach aussen hervortritt ; in diesem Zustande nennt man
ihn den kurzhalsigen äussern Leistenbruch. — Der Inhalt
der Leistenbrüche besteht in den meisten Fällen aus dem Krummdarme
und dem Neze , seltener aus dem Blinddärme und dem Wurmfortsaze,
noch seltener treten die Dünndärme ein. Bei inneren Leistenbrüchen
kann auch die Blase theilweise vorfallen , seltener enthalten sie die inne-
ren Geschlechtstheile. — Die Leistenbrüche kommen bei weitem am häu-
figsten bei Männern vor. Innere und äussere Leistenbrüche können auch
gleichzeitig vorhanden sein. — Verschiedene in der Leistengegend er-
scheinende Geschwülste können mit Brüchen verwechselt werden. So
namentlich die Hydrocele mit dem Hodensackbruche. Sie unter-
scheidet sich von diesem aber durch ihre Consistenz und Durchsichtig-
keit, wenn sie nicht zu lange bestanden , ferner dadurch , dass der Darm-
kanal keine Störungen dabei erleidet, dass Rückenlage und Husten keinen
Einfluss auf die Geschwulst haben, dass der Hoden nur undeutlich an der
hintern Seite gefühlt wird und dass die Reposition nicht möglich ist. Bei
der angeborenen Hydrocele lässt sich das Wasser zwar zuweilen zurück-
drängen , doch ist die Geschwulst durchscheinend. Die Hydrocele des
Samenstranges , die sich bisweilen bis in den Leistenkanal erstreckt und
mit einem Nezbruche verwechselt werden könnte, lässt sich nicht so kno-
tig anfühlen wie ein solcher , ist an ihrer Basis breiter und beim Druck
darauf weicht das Wasser leicht nach oben und dehnt den Leistenring
aus , tritt aber ebenso leicht wieder nach unten. Der im Leistenkanale
oder Bauchringe zurückgebliebene Hod,en könnte mit einem unvollkom-
menen Bruche verwechselt werden ; man findet dann aber den Hodensack
leer und beim Druck auf die Geschwulst den dem Hoden eigenthümlichen
Schmerz ; leidet dagegen der im Hodensacke befindliche Hoden an einer
Entzündung , so hat die Geschwulst Aehnlichkeit mit einem Hodensack-
bruche, von welchem er übrigens durch seine Härte., Schwere , den eigen-
thümlichen Schmerz, die veranlassende Ursache leicht unterschieden wer-
den kann. Eine entzündliche Geschwulst des Samen-
stranges kann, da sie durch den Bauchring dringt und bis zum Hoden
herunter steigt, eine zweifelhafte Diagnose geben, besonders wenn sie die
Folge einer heftigen Anstrengung, eines Stosses etc. und mit Störungen
des Darmkanals etc. verbunden ist ; nur die unmittelbare Fortsezung in
den Hoden kann ein Unterscheidungsmerkmal abgeben. F e 1 1 a n -
Sammlungen am Samenstrange können eine Geschwulst bilden,
160 BRUCH. SCHENKELBRUCH.
die mit einem Bruche Aelmlichkeit hat ; da diese aber mit gar keiner
Beschwerde verbunden ist , so ist die Unterscheidung leicht. Dagegen
können Ansammlungen von Fett auf der vordern oder hintern Fläche des
Bauchfelles entstehen , die bei ihrer Vergrösserung durch den Bauchring
in den Hodensack herabsteigen (Fettbrüche) und Nezbrüche fingiren kön-
nen. Ihre allmälige Vergrösserung und die Schmerzlosigkeit beim Drucke
geben schwache Unterscheidungsmerkmale ab. Eine starke V ari c o -
c e 1 e unterscheidet sich von einem Bruche durch die einzelnen ange-
schwollenen Venenstämme, die sich wie ein Haufen Würmer anfühlen las-
sen und dadurch , dass die Geschwulst beim Zusammendrücken zwischen
den Fingern beinahe völlig verschwindet , ohne dass man sie gegen den
Unterleib zurückschiebt. — Behandlung. Der bewegliche äussere
Leistenbruch wird in der Richtung nach aussen und oben , der innere
mehr gerade nach hinten zurückgeschoben. Das Bruchband zur Zurück-
haltung des Leistenbruches muss für den äussern und innern etwas ver-
schieden construirt sein. S. Bruchbänder. — Bei der Operation
des eingeklemmten Leistenbruches fängt man den Hautschnitt über dem
Leistenringe an und sezt ihn bis zum Grunde des Bruches fort und zwar
bei dem äussern Leistenbruche schräg nach innen und unten und bei dem
innern , so wie bei dem kurzhalsigen äussern gerade nach unten , mit der
Vorsicht bei alten Brüchen , dass man den vielleicht auf dem Bruche lie-
genden Samenstrang nicht verlezt und in der Erinnerung, dass es Brüche
ohne Bruchsack gibt, Der Bruchsack darf nicht bis zum Hoden herab
aufgeschnitten werden. Die einschnürende Stelle werde bei dem deut-
lich ausgesprochenen äussern Leistenbruche in der Richtung nach aus-
sen, bei dem innern nach innen und oben, in zweifelhaften Fällen
gerade nach oben eingeschnitten. Wird dennoch die Art. epi-
gastrica verlezt, so stille man die Blutung durch einen Pfropf von
Feuerschwamm oder Leinwand, durch das Hesselbach'sche Compressorium
oder nach Ei-weiterung der Wunde durch Unterbindung. — Verband,
Lagerung des Kranken und Nachbehandlung geschieht nach den ange-
gebenen Vorschriften.
2) Schenkelbruch, H e r n i a c r u r a 1 i s s. f e m o r a 1 i s, heisst
derjenige Bruch , bei welchem die Eingeweide durch den Schenkelring,
und zwar entweder an der innern Seite der Schenkelgefässe , innerer
Schenkelbruch, oder an der äussern Seite derselben , äusserer
Schenkelbruch, vortreten und unterhalb des Poupart'schen Bandes
eine Geschwulst bilden. — Der innere Schenkelbruch tritt durch
den Schenkelring in die Fovea ovalis (Schenkelkanal) unter dem
Processus falciformis (der obere äussere Rand einer Oeffnung in
der Portio i 1 i a c a der Fas'cia lata), und zwar immer neben der
innern Seite der Schenkelgefässe verlaufend, so dass die zunächst liegende
Vena cruralis aussen neben dem Bruche liegt, Kommt der Bruch
nicht bis in die Fovea ovalis, so heisst er ein unvollkommener, gelangt er
BRUCH. SCHENKELBRUCH. 161
bis dahin , ein vollkommener. Der vollkommene innere Schenkelbruch
wird unter dem Poupart'schen Bande als eine kleine, rundliche oder ovale,
quer verlaufende , meist gespannte Geschwulst gefühlt , die vom Scham-
beine in einem rechten oder etwas stumpfen Winkel absteht. Die Art.
epigastrica steigt gewöhnlich 3 — 4 Linien nach aussen vom Bruche
in die Höhe , die Art. obturatoria zieht sich direct nach hinten und
innen hinter dem Eingange des Schenkelkanales am Schambeine hin ;
ausnahmsweise läuft sie in einem Bogen über den Bruchsackhals nach
innen und unten ; der Samen sträng verläuft nach einwärts und oben etwa
3 — 4 Linien vom Bruche entfernt. — Die Bedeckungen dieses Bruches
sind : die äussere Haut, eine Zellgewebeschichte mit Drüsen , das äussere
Blatt der Fascia lata und der Bruchsack. Bei grosser Ausdehnung
der halbmondförmigen Oeffnung der äussern Platte der Fascia lata
kann der Bruch aus dieser hervortreten , in welchem Falle dann dieser
Theil der Bedeckungen fehlt. — Der sehr seltene äussere Schenkel-
bruch macht denselben Weg, aber immer neben der äussern Seite der
Schenkelgefässe , so dass die zunächst liegende Art. cruralis nach in-
nen neben dem Bruche gefühlt wird. Die gleichfalls unter dem Pou-
part'schen Bande liegende massige Geschwulst steigt schmäler werdend
nach innen und unten, steht aber nicht vom Körper ab, so dass man nicht
unter ihre Ränder gelangen kann. Die Art. epigastrica steigt an
seiner innern Seite in die Höhe und die Art. circumflexa ilei liegt
auf der vordem Wand des Bruchsackes. — Seine Bedeckungen sind :
die äussere Haut , die beiden Platten der Fascia lata, die durch
den Bruch nach aussen getriebene Fascia iliaca und der Bruch-
sack. — Der Inhalt der Schenkelbrüche besteht am häufigsten aus einem
Theile des Krummdarmes, seltener demNeze, äusserst selten einem Theile
der Blase. Sie kommen am häufigsten bei Weibern vor. — Verwechs-
lungen können stattfinden mit Leistendrüsengeschwülsten;
diese lassen sich zwar hin - und herschieben , aber nicht wie der Bruch
reponiren ; mit E i t e r a n s a m m 1 u n g e n ; hier leiten die vorausgegan-
genen Erscheinungen , so wie die Fluctuation ; mit Varices an der
Stelle der Saphena magna, wo sie in die F o v e a o v a 1 i s und die
Vena cruralis tritt ; man erkennt den Varix daran , dass , wenn man
ihn wie einen Schenkelbruch zu reponiren sucht , er durch Zufluss von
unten sich rasch wieder füllt. Von einem Leistenbruche unter-
scheidet sich der Schenkelbruch dadurch , dass dieser unter dem Pou-
part'schen Bande, jener über diesem liegt, und dass der Leistenbruch
genau der Richtung des Samenstranges folgt ; bei Weibern ist die Unter-
scheidung oft schwieriger, weil der Samenstrang fehlt und der Bauchring
dem Schenkelring näher liegt. — Behandlung. Den beweglichen
Bruch sucht man, wenn er klein ist, bei angezogenem und etwas einwärts
gekehrten Schenkel gerade von vorn nach hinten zu drücken ; ist der
Bruch gross , so muss die Geschwulst erst abwärts gezogen und dann in
Bürger, Chirurgie. 11
162 BRUCH. NABELBRUCH.
der angegebenen Richtung nach hinten gedrückt werden. Der reponirte
Bruch wird mit einem kurzhalsigen Bruchbande (s. diesen Art.) zurück-
gehalten. Ist der Bruch eingeklemmt , so ist die Einklemmung meist
sehr heftig, es tritt leicht Brand ein, weshalb mit der Operation nicht zu
zögern ist. Bei dieser fängt man den Hautschnitt !/2 — 1 Zoll über
dem Schenkelringe an und führt ihn nach dem Laufe des Poupart'-
schen Bandes über die Bruchgeschwulst, trennt dann in derselben Rich-
tung das Zellgewebe und die zuweilen vorhandenen Fettmassen mit Scho-
nung der Drüsen, durchschneidet nun das obere Blatt der Fascia lata
(Proc. falciformis) und öffnet schliesslich den Bruchsack, welcher
meist nur wenig Feuchtigkeit enthält. Dabei sei man auf den Fall ge-
fasst, dass der Bruch durch die OefFnung des obern Blattes der F a s c i a
lata hervorgetreten sein kann, in welchem Falle man sogleich nach dem
Hautschnitte auf den Bruchsack kommt. Nach der Eröffnung des Bruch-
sackes und Durchschneidung des Processus falciformis ist zuwei-
len die von lezterem herrührende Einklemmung gehoben , und man kann
dann den Bruch reponiren. Ist dies nicht der Fall und besteht die Stelle
der Einklemmung an dem innern Schenkelringe, wo der Druck hauptsäch-
lich von dem Rande des stark angespannten Gimbernat' sehen Bandes
ausgeht , so muss man dieses unblutig durch den Finger oder mit einem
stumpfen Haken oder besser mit dem Bruchmesser trennen. Diese Tren-
nung geschieht, indem man die Spize des linken Zeigefingers so einführt,
dass der Nagel hinter den scharfen Rand des Gimbernat' sehen Ban-
des zu liegen kommt , worauf man das Herniotom flach auf dem Finger
bis hinter den Rand des genannten Bandes bringt, das Messer gegen die
innere Seite, also gerade nach einwärts richtet und dann mit dem Finger
gegen dessen Rücken drückt, bis das Band 1 — 2 Linien tief durch Druck
und nicht durch Zug getrennt wird , was meist unter Krachen geschieht.
Wäre bei einem äussern Schenkelbruche die Operation nöthig , so müsste
man wegen der über ihn weggehenden Art. c ir c u m f 1 e x a i 1 e i die
Operation sehr vorsichtig machen und die Einschneidung des Schenkel-
ringes nach auf- und auswärts durch Schnitte von vorn nach hinten be-
werkstelligen. Etwa vorkommende Blutungen stillt man wie bei der
Operation der Leistenbrüche. — Ein selten vorkommender Bruch ist die
Hernia ligamenti Gimbernati, welcher nicht durch den Schenkel-
kanal, sondern durch eine Oeffnung des G imb ernat 'sehen Bandes
tritt und eine rundliche Bruchgeschwulst mit kurzem Halse darstellt. In
einem von N u h n beschriebenen Falle enthielt der Bruch das Nez.
3) Nabelbruch, Hernia umbilicalis, Omphalocele,
nennt man den Bruch , bei welchem die Eingeweide durch den Nabelring
nach aussen unter die Hautdecken treten. Man unterscheidet einen an-
gebornen oder Nabelschnurbruch und einen nach der Ge-
burtentstandenen oder Nabelringbruch. Der Nabelschnur-
bruch ist eine Bildungshemmung , in deren Folge die Bauchwand an der
BRUCH. NABELBRUCH. 163
Stelle des Nabels offen blieb und die Eingeweide noch zwischen den Nabel-
schnurgefässen liegen ; bei dem Nabelringbruche dagegen wurden die Ein-
geweide nach der Geburt durch den Nabelring vorgetrieben. — Der
Nabelschnurbruch bildet gleichsam eine kegelförmige Ausdehnung
der Nabelschnur mit der Basis nach dem Unterleibe , ist an seiner Ober-
fläche durchsichtig , an seiner Basis mit einem Hautwulste umgeben und
von den Nabelschnurgefässen überzogen, von denen die Vene in der Mitte,
die beiden Arterien auf den Seiten des Bruches liegen. Bedeckt ist die-
ser Bruch von einem äusserst feinen Oberhäutchen der Nabelschnur, wei-
chem Zellstoff und dem vom Bauchfell gebildeten Bruchsacke. — Der
Nabelringbruch bildet mehr eine halbkugelige oder walzenförmige,
an der Basis runde Geschwulst, die nur selten etwas durchsichtig ist und
sich leicht reponiren lässt. Die Narbe des Nabels ist dabei verstrichen.
Seine Bedeckungen sind: die äussere Haut, die Fascia superficia-
lis, die Fascia transversalis, wenn ihre Fasern nicht auseinander
gewichen sind und der aus dem Bauchfell bestehende Bruchsack. — Der
Inhalt der Nabelschnurbrüche besteht gewöhnlich aus einem Theile des
Dünndarmes ; manchmal enthalten diese auch dicke Därme , das Nez, den
Magen , die Leber und die Milz. In den Nabelringbrüchen der Kinder
liegt meist nur ein Theil des Dünndarmes ; in denen der Erwachsenen
auch das Nez , welches dann die andern Eingeweide gewöhnlich einhüllt,
oder auch wenn sie voluminös sind , zuweilen der Magen, die Milz und
ein Theil der Leber. — Ursachen. Bei Kindern Schreien, Drängen
etc. ; bei Erwachsenen , besonders bei Frauen häufig in Folge öfterer
Schwangerschaft , dann bei fetten Personen oder nach Wassersuchten ;
wahrscheinlich war hier der Nabelring nie vollkommen geschlossen. —
Prognose. Kinder mit Nabelschnurbrüchen sterben gewöhnlich in den
ersten acht Tagen. Die Nabelringbrüche der Kinder geben hingegen
eine gute Prognose, indem sie bei passendem Heilverfahren, und oft auch
ohne ein solches, leicht verwachsen. Nabelringbrüche Erwachsener ver-
wachsen schwer und veranlassen Koliken etc. Zur Einklemmung kommt
es selten ; tritt eine solche aber doch ein, so erfolgt bald Brand. — Be-
handlung. Bei den Nabelschnurbrüchen legt man , wenn sie reponirt
werden können , graduirte Compressen auf und befestigt sie mit Heft-
pflasterstreifen und einer Leibbinde. Zuweilen tritt eine Abstossung der
äussern Bedeckungen und Heilung durch Granulationsbildung ein. —
Nabelringbrüche bei kleinen Kindern reponirt man , legt eine convexe
Platte von Holz, Wachs etc. oder eine Muskatnuss auf, welche man mit
Heftpflasterstreifen und einer breiten Leibbinde befestigt. Bei grössern
Kindern und Erwachsenen bedient man sich eines Nabelbruchbandes.
S. Bruchband. — Bei Einklemmungen schneidet man die Haut der
Länge nach vorsichtig ein und öffnet den Bruchsack. Gelingt jezt die
Reposition nicht, so führt man ausserhalb des Bruchsackes in der Rich-
tung nach unten eine Hohlsonde ein und erweitert auf dieser den Nabel-
11*
164 BRUCH. HUEFTBEINBRUCH.
ring mit einem Bruchmesser. Geht dies wegen Verwachsung etc. voraus-
sichtlich nicht an, so macht man an der Basis der Geschwulst einen halb-
mondförmigen Hautschnitt und schneidet von da auf dem Nagel des Fin-
gers mit einem Knopfbistouri den Nabelring vorsichtig ein , wodurch we-
nigstens die Einklemmung gehoben wird. Die Operationswunden ver-
einigt man durch lange und breite Heftpflaster. Die Umlegung einer
Ligatur um die Integumente des Bruches nach der Reposition desselben
ist als unzuverlässig, schmerzhaft, selbst gefährlich zu verwerfen. — Die
im Umfange des Nabelringes vorkommenden als un ächte Nabelbrüche
bezeichneten Brüche zählt man zweckmässiger den Bauchbrüchen zu.
Noch gibt es einen sogenannten falschen Nabelbruch, der aber keine
Eingeweide, sondern nur Luft oder Wasser enthält.
4) Bauchbruch, Hernia ventralis, heisst derjenige Bruch,
bei welchem die- Eingeweide durch eine widernatürliche Oeffnung der
Vorder- oder einer Seitenfläche des Unterleibes hervortreten. Am häu-
figsten kommen sie in der weissen Linie , besonders oberhalb des Nabels
vor (Hernia lineae albae), weniger häufig auf der linken Seite des
Schwerdtknorpels (H. ventriculi), am seltensten in der Lendengegend
(H. lumbalis). Die in der weissen Linie vortretenden Brüche sind
oval, die an den Seiten des Unterleibes mehr rund. Von den Nabei-
brüchen sind sie dadurch zu unterscheiden, dass man bei den in der Nähe des
Nabels erscheinenden diesen daneben bemerken kann , sie auch oval sind.
Der sogenannte meist kleine Magenbruch hat häufig Magenbeschwerden,
Uebelkeit, Erbrechen, Schluchzen, besonders nach dem Essen im Gefolge.
Der Inhalt solcher Brüche ist aber seltener ein Theil des Magens als ein
solcher des Colon transversum; in den andern Bauchbrüchen kön-
nen je nach dem Orte des Vorkommens sehr verschiedene Eingeweide
enthalten sein. Die Bedeckungen dieser Brüche sind dieselben , wie bei
den Nabelringbrüchen ; bei Verlezungen des Bauchfelles fehlt aber der
Bruchsack. Man darf sie nicht mit jenen Geschwülsten verwechseln, die
aus einer durch eine Spalte der weissen Linie hervorgetretenen Portion
Fett bestehen (sog. Fettbrüche) , aber unempfindlich sind , gar keine Be-
schwerde verursachen , sich hart anfühlen und nicht reponirt werden kön-
nen. Die Veranlassungen sind die der Nabelbrüche , ausserdem
Bauchwunden. — Behandlung. Man reponirt sie und legt ein Bruch-
band oder einen mit einer Pelotte versehenen Schnürleib an. Ist wegen
einer Einklemmung eine Operation nöthig , so erweitert man die Bauch-
öffnung nach einer Seite hin, wo keine bedeutenden Gefässe liegen.
5) Hüftbein- oder Rückenbruch, Hernia ischiadica
s. dorsalis, Ischiocele, heisst derjenige Bruch, bei welchem die
Eingeweide über dem Ligamentum sacro-ischiadicum und dem
M. pyriformis und unter dem M. glutaeus durch den Sizbeinaus-
schnitt treten und am Rande des Kreuz- und Schwanzbeines zum Vor-
schein kommen. Dieser sehr seltene Bruch, welcher angeboren oder erst
BRUCH. SCHEIDENBRUCH. 165
später entstanden sein kann , erreicht zuweilen eine bedeutende Grösse
und enthält ausser Därmen auch die Harnblase, den Uterus etc. So lange
er unter dem grossen Gesässmuskel verborgen liegt, ist seine Einklemmung
nicht wohl möglich. Die Unterscheidung von einer Fett- oder Balgge-
schwulst kann schwierig sein. — Die Bedeckungen dieses Bruches be-
stehen, da die Beckenaponeurose wohl in der Regel zerreisst, nur aus der
Haut und den Fasern des M. levator ani. Die Mündung des Bruch-
sackes liegt vor der Art. und Ven. hypogastrica, unterhalb der
Art. obturatoria und oberhalb der gleichnamigen Vene. — Be-
handlung. Man sucht den Bruch nach seiner Reposition durch ein
geeignetes Bruchband oder Suspensorium zurückzuhalten , und sollte er
sich einklemmen und eine Operation nöthig werden, so muss man die Er-
weiterung erst mit stumpfen Haken versuchen und wenn diese erfolglos
bleibt , den Schnitt nach A. C o o p e r nach vorwärts machen und etwa
verlezte Arterien unterbinden.
6) Bruch des eirunden Loches, Hernia foraminis
ovalis, nennt man denjenigen Bruch, bei dem die Eingeweide durch
die für die Vasa obturatoria und den Nervus obturatorius
bestimmte Oeffnung des Ligamentum obturatorium treten. Un-
vollkommen ist dieser Bruch , so lange er zwischen den Muskeln liegt,
vollkommen, wenn er an dem obern innern Theile des Schenkels sichtbar
wird. Ist lezteres der Fall , dann erkennt man ihn durch die elastische
Spannung, durch das Gurren bei der leichten Reposition und durch seine
Lage unter dem Schambeine , gewöhnlich zwischen den M. M. p e c t i -
n a e u s und adductor brevis, oder zwischen den vordem Köpfen
der Adductoren, also zwischen dem Hodensacke (der SchamlippeJ und der
Pfanne oder etwas tiefer. Er durchläuft einen langen Kanal , der von
den M. M. obturator internus und externus, der Membrana
obturatoria und dem M. pectinaeus gebildet ist. Die Vasa ob-
turatoria liegen an seiner äussern und hintern Seite, Aeste des Ner v.
obturatorius vor ihm ; doch können hierin Verschiedenheiten statt-
finden, besonders wenn die A. obturatoria gemeinschaftlich mit der
A. epigastrica entspringt , wo sie dann zuerst auf der innern und
hierauf an der vordem Seite des nie fehlenden Bruchsackes verläuft.-
Dieser Bruch wird häufiger bei Frauen als bei Männern beobachtet , und
kann Därme, Nez und selbst die Urinblase enthalten. Er kann sich auch
einklemmen. — Behandlung. Man reponirt ihn und hält ihn durch
ein modificirtes Leistenbruchband zurück. Bei einer Einklemmung hebt
man diese wo möglich durch stumpfe Haken : wo dies nicht angeht, macht
man nach A. C o o p e r den Schnitt in der Richtung nach innen.
7) Scheidenbruch, Hernia vaginalis, Colpocele,
heisst man denjenigen Bruch , bei welchem die Eingeweide zwischen Ute-
rus und Blase oder Uterus und Mastdarm die vordere oder hintere Scheide-
wand der Vagina nach unten, zuweilen selbst durch die Geschlechtstheile
166 BRUCH. MITTELFLEISCHBRUCH.
nach aussen treiben. Die dadurch gebildete Geschwulst ist elastisch,
unschmerzhaft, leicht reponirbar. Liegt die Urinblase vor , was gewöhn-
lich nur an der vordem Scheidewand der Fall ist(Cystocele vagi-
nal i s), so hat die Kranke Urinbeschwerden und ein Druck auf die Bruch-
geschwulst veranlasst Drängen zum Urinlassen. Zwischen die hintere
Wand der Scheide und den Mastdarm senken sich dagegen häufiger Därme
und Neztheile , und zuweilen ist ein Mastdarmvorfall damit verbunden.
Auch kanu die Bruchgeschwulst zwischen der Scheide und dem Mastdarme
zum Vorschein kommen, welche Varietät man auch zu den Mittelfleisch-
brüehen rechnet, und Schambruch (A. Cooper) oder hintern
Schamlefzenbruch (Seiler) genannt hat. Der Muttermund ist
bei diesen Brüchen ganz frei, was sie von P ro lap s us uteri unter-
scheidet. — Ursachen. Diese Brüche entstehen durch Anstrengungen
bei Erschlaffung der Scheide in Folge häufiger Geburten , des weissen
Flusses, laxer Körperbeschaffenheit etc. — Behandlung. Man repo-
nirt den Bruch, was gewöhnlich leicht geschieht, und hält ihn durch ein
walzen- oder kugelförmiges Pessarium zurück. Ist der Fall neu, so kann
mittels Adstringentia, z. B. Eichenrindendecoct mit Alaun, in Schwämmen
eingebracht, Einsprizungen damit nebst einem Pessarium , verbunden mit
anhaltender Rückenlage manchmal radicale Heilung erlangt werden. Tritt
er während der Geburt vor , so hält man ihn mit den Fingern so lange
zurück, bis der Kopf vorliegt, worauf man die Geburt mit der Zange be-
schleunigt. Bei mit vielen Beschwerden verbundenen Brüchen an der
vordem Wand der Scheide hat man , wenn das Pessarium nicht e/tragen
wird , die Ausschneidung eines verticalen Stückes aus dieser Wand mit
glücklichem Erfolg ausgeführt (South). Eine Einklemmung ist selten
und wohl immer unter Anwendung von Abführmitteln , Rückenlage und
kalten Umschlägen durch die Taxis zu heben.
8) Mittelfleischbruch, Hernia perinaei, ist der Bruch,
bei welchem die Eingeweide bei Männern zwischen Blase und Mastdarm,
bei Weibern zwischen Blase und Scheide so heruntertreten, dass sie beim
Damme eine Geschwulst bilden. Beim Manne liegt diese am Mittel-
fleische, an der einen Seite des Afters, so dass die Raphe etwas zur Seite
gedrängt ist , und zeigt eine runde oder birnförmige Gestalt. Zuweilen
sind Urinbeschwerden damit verbunden. Bei Weibern kann der Bruch
am Mittelfleische seinen Siz haben, oder sich in die Schamlefze verbreiten.
Im ersten Falle ist die Geschwulst rundlich, stumpfkegelspizig, im zweiten
länglich, eiförmig. — Die Mittelfleischbrüche sind meistens klein, bis zur
Grösse eines Hühnereies ; zuweilen erreichen sie aber auch eine beträcht-
liche Grösse. Sie können Därme , Nez oder Theile der Harnblase ent-
halten. — Behandlung. Bei der leicht auszuführenden Reposition
dieses Bruches legt man bei Weibern ein walzenförmiges gekrümmtes,
vorn und hinten abgeflachtes Pessarium ein ; bei Männern bedient man
sich eines besonders construirten Bruchbandes (s. diesen Art.). Bei
BRUCH. HIRNBRUCH. 167
einer vorkommenden Einklemmung würde man nach geöffnetem Bruch-
sacke die einschnürende Stelle durch Schnitte von vorn nach hinten und
zwar in der Richtung nach oben und auswärts beseitigen.
9) Mastdarmbruch, Hernia intestinirecti, heisst der
Bruch, bei welchem sich die Eingeweide in eine umgestülpte und meistens
zugleich vorgefallene Partie des Mastdarmes gesenkt haben. Er gibt
sich durch eine grössere Ausdehnung des Mastdarmvorfalles nach einer
Seite hin und dadurch zu erkennen , dass bei dem Zurückdrücken dieser
seitlichen Erhabenheit des Vorfalles lezterer sich verkleinert , wobei ein
Kollern gehört wird. Personen mit geringer Neigung des Beckens , ge-
ringem Vorsprung des Promontoriums und geringer Krümmung des Heilig-
beins haben die grösste Anlage dazu. — Behandlung. Man reponirt
den Bruch und bedient sich zur Retention der bei dem Mastdarmvorfall
(s. diesen Art.) angegebenen Vorrichtungen. Ist die Reposition nicht
möglich , so schüzt man die vorgefallenen Theile durch ein geeignetes
Suspensorium.
10) Zwerchfellbruch, Hernia diaphragmatica, phre-
n i c a , ist ein solcher , bei welchem die Unterleibseingeweide entweder
durch die natürlichen Oeffnungen des Zwerchfells oder durch abnorme
(bei Fehlern der ersten Bildung, bei Verwundungen) in die Brusthöhle
treten. Er wird meistens durch den Magen , Dickdarm , das Nez , die
Milz , den linken Leberlappen gebildet , und nach dieser Verschiedenheit
der dislocirten Theile sind die dadurch gesezten Beschwerden verschieden.
Die Diagnose ist immer sehr schwierig.
II. Brustbrüche.
Brustbrüche, Herniae thoracicae, sind solche, bei denen
die Lungen oder das Herz durch eine widernatürliche Oeffnung des Tho-
rax nach aussen unter die Hautbedeckungen treten. Sie sind sehr selten
und entweder Folge einer Hemmungsbildung in der* Thoraxwandung oder
Folge einer bedeutenden Fractur oder Caries der Rippen, Zerreissung der
Zwischenrippenmuskeln etc. bei gesund gebliebener oder wieder verheilter
Haut. — Liegt das Herz vor, was nur als angebornes Uebel stattfinden
kann , so ist die Erkennung leicht ; Lungenbrüche erkennt man daran,
dass die weiche elastische Geschwulst bei der Respiration anschwillt und
bei der Exspiration sich vermindert und dass sie ein schmerzhaftes Ziehen
veranlasst. — Behandlung. Bei vorliegenden Lungentheilen legt man
einen passenden Compressivverband oder das Hesselbach' sehe Lungen-
bruchband, s. Bruchband, an. Das Herz lässt man unberührt.
III. Hirnbruch.
Hirnbruch, Hernia cerebri, Encephalocele, heisst
derjenige Bruch, bei welchem ein Theil des Gehirnes mit seinen Häuten
durch eine Oeffnung im Schädel unter die Kopfbedeckungen tritt. Am
häufigsten ist er angeboren , und das Gehirn drangt sich durch die offen
gebliebenen Suturen, zumal in der Mittellinie des Hinterhauptes ; seltener
168 BRUCHBAND.
ist er erworben in Folge einer Verlezung, wodurch ein Substanzverlust am
Schädel gesezt wurde. — Der Hirnbruch charakterisirt sich durch eine
kleine , selten mehr als hühnereigrosse , weiche , gewöhnlich fluctuirende
Geschwulst , die schwach pulsirt und bei der Exspiration sich hebt , mei-
stens an der Spize verdünnt und der Haare beraubt ist, durch Druck sich
etwas verkleinern lässt und dabei Schlafsucht , Krämpfe etc. veranlassen
kann , welche Zufälle aber auch ohne angebrachten Druck vorkommen
können. Kinder mit grossen Hirnbrüchen sterben in der Regel bald ; sie
liegen in Betäubung , erbrechen sich häufig und der Tod erfolgt unter
Convulsionen und Lähmungen. — Verwechslungen können stattfinden :
a) mit der Blutgeschwulst neugeborner Kinder. Bei dieser fehlen
aber die Gehirnzufälle und sie sizt mehr auf den Seitenwandbeinen als
auf den Suturen ; b) mit den Wasserbeuteln am Kopfe Neugeborner.
Diese stimmen hinsichtlich des Sizes und der Cerebralzufälle mit dem Hirn-
bruche überein, unterscheiden sich aber von diesem durch den Mangel an
Fulsation und die geringere Consistenz ; c) mit dem Fungus durae
matris; diese unterscheiden sich durch ihre Entstehung, ferner da-
durch, dass sie gewöhnlich nur im höhern Alter entstehen und Schmerzen,
Stupor etc. vorausgehen. — Behandlung. Angeborne kleine Hirn-
brüche kann man durch allmälig verstärkte Compression mittels Binden
oder besonderer Vorrichtungen von Leder u. dgl. zur Heilung zu bringen
versuchen ; grössere sichert man durch geeignete Verbände vor äusseren
Einwirkungen. Fluctuirt die Geschwulst deutlich, so räth man die Punk-
tion derselben mittels einer Nadel oder eines feinen Troicarts an, wodurch
aber in der Regel nur ein schnellerer Tod herbeigeführt wird.
SniCrLDandj Bracherium s. Hamma, ist eine mechanische
Vorrichtung, mittels welcher wir durch eiueu gleichmässigen äussern Druck
auf die Bruchöffnung einen reponiblen Eingeweidebruch in seiner natür-
lichen Höhle zurückhalten oder einen nicht reponiblen nicht eingeklemm-
ten an seiner weiteren Vergrösserung hindern. — Man theilt die Bruch-
bänder in elastische und in nicht elastische. Die lezteren be-
stehen aus einem Riemen von Leder, Barchent, Leinwand u. dgl. und aus
einer Pelotte, die mit Wolle oder Haaren ausgefüllt ist und zuweilen eine
Grundlage von Eisenblech hat. Da sie den Bewegungen und Ausdehnun-
gen der Körpertheile , um die sie angelegt werden , nicht folgen können,
so liegen sie bald zu fest , bald zu locker und entsprechen daher ihrem
Zweck nur sehr unvollständig. Man wendet sie deswegen nur unter be-
sondern Umständen an. — Die e 1 a s t i s c h e n Bruchbänder haben eine
Feder zur Grundlage, die vermöge ihrer Elasticität allen Bewegungen des
Körpers folgt und dabei doch einen gelinden , gleichförmigen , constanten
Druck auf die Bruchöffnung ausübt. Diese Feder , welche den Körper-
theil, an dem sich der Bruch befindet , in der Regel zur Hälfte umkreist,
wird am besten aus reinem hartem elastischem Stahl bereitet ; nachdem
BRUCHBAND. 169
sie in die nöthige Form geschmiedet ist, wird sie im Kohlenfeuer gehärtet
und dann in Oel abgekühlt. Diese Bruchbänder bestehen aus dem Kopfe,
dem Halse, dem Körper und den Extremitäten. Der Kopf oder die
Pelotte ist derjenige Theil des Bruchbandes, welcher bestimmt ist, die
Bruchöffnung zu verschliessen. Seine Grundlage bildet ein abgerundetes
Stück Eisenblech, Pelottenschild, dessen Form sich nach der Form
der Bruchöffnung richtet und dessen Grösse und Stellung von der Art
sein muss , dass es sich etwas über die Bruchpforte und den Bruchsack-
hals hinaus erstreckt. Er ist mit Leder überzogen und mit Haaren ge-
polstert. Der Hals ist derjenige Theil des Bruchbandes, welcher zu-
nächst am Kopfe liegt und in den Körper übergeht. Der Körper ist
der Theil , der den Leib umgibt ; er besteht zum Theil aus der Feder,
zum Theil aus dem Ueberzuge der Feder mit einer Endigung in einen
Riemen, der den vollen Kreis um den Körper schliesst. Die Extremi-
täten dienen zur bessern Befestigung des Bruchbandes , werden aber
diesem nur dann angefügt, wenn dasselbe nicht für sich allein sicher liegt.
Man versteht darunter Schenkel- und Schulterriemen. — Die Länge der
Bruchbandfeder richtet sich nach dem Umfange des Körpertheiles , den
sie umgeben soll : ihre Dicke und Breite muss gleichfalls nach Umständen
verschieden sein ; wo ein starker Druck angebracht werden soll , z. B. bei
grossen alten Brüchen und bei Personen, die sich viel bewegen oder hart
arbeiten , muss die Feder dicker und breiter sein , als bei Kindern und
Leuten, die eine ruhige mehr sizende Lebensart führen. Die ganze stäh-
lerne Grundlage eines Bruchbandes wird sowohl zum Schuze derselben
gegen die Einwirkung des Schweisses , als auch um ihren Druck auf den
Körper zu mildern, sorgfältig gefüttert und überzogen. In neuester Zeit
werden die Bruchbandfedern galvanisirt , wodurch das Rosten verhütet
wird ; auch überzieht man das ganze Bruchband mit Kautschuk , wodurch
sie eine grosse Dauer erhalten. — Um ein genau passendes Bruchband
anfertigen lassen zu können, ist es nöthig, in jedem einzelnen Falle ein
genaues Mass zu nehmen. Am geeignetsten bedient man sich hierzu eines
doppelten biegsamen Drahtes oder auch einer bandförmigen Bleiplatte,
welche beide sich genau an alle Punkte des Körpers anlegen und einen
getreuen -Abdruck der Feder geben , wie man sie bedarf. Immer muss
dem genommenen Masse ungefähr ein Zoll zugegeben werden , weil die
Fütterung und der Ueberzug der Feder um so viel aufträgt. — Die An-
legung des Bruchbandes muss immer in der Rückenlage geschehen. Man
fixirt den Bruch mit der einen Hand, bringt mit der andern das Band um
den Leib , sezt die Pelotte auf die Bruchöffnung und befestigt dann das
Band , indem man den Ergänzungsriemen in ein an der Pelotte befind-
liches Knöpfchen in der Art einhängt, dass das Bruchband weder zu fest
noch zu lose ist. Sobald dies geschehen, lässt man den Kranken husten,
dann aufstehen und wieder husten , einige Gänge machen , um sich zu
überzeugen , ob das Bruchband recht sizt und ob die Theile gehörig zu-
170
BRUCHBAND.
rückgehalten werden. — Es ist dem Kranken dringend zu empfehlen, das
Bruchband fortwährend bei Tag und bei Nacht zu tragen ; wenn es gut
angepasst ist , so wird er sich auch bald an die kleine Unbequemlichkeit
gewöhnen. Glaubt man auch durch das längere Tragen eines Bruchban-
des eine Radicalheilung erzielt zu haben , so beeile man sich doch nicht
zu sehr mit der gänzlichen Entfernung desselben ; man lasse es zuerst
blos bei Nacht weg , später kann es auch bei Tage bei nicht anstrengen-
der Arbeit und zulezt, wenn keine Spur von Wiederhervortreten des Bru-
ches bemerkt wurde , ganz abgelegt werden. Die verschiedenen Bruch-
bänder sind :
1) Das Leistenbruchband. Dieses ist für Brüche bestimmt,
welche durch den Bauchring hervortreten ; es zeigt bezüglich der Pelotte
einige Verschiedenheit, je nachdem es einen äussern oder innern Leisten-
bruch zurückzuhalten bestimmt ist. Bei den äussern, frisch entstandenen
Brüchen dieser Kategorie muss, da diese Brüche einen langen Hals haben,
die Pelotte stärker convex und so lang sein , dass sie über den vordem
und hintern Leistenring hinausreicht ; in dem Verhältnisse der grösseren
Länge der Pelotte wird der Hals der Feder kürzer sein. Bei dem alten
und grossen äussern und beim innern Leistenbruche , welche beide einen
kurzen Hals haben und rundlich sind , muss der Hals der Feder länger,
die Pelotte mehr dreieckig rund, weniger stark convex und mit ihrem un-
tern Rande gegen das Becken gerichtet sein , so dass dieser den horizon-
talen Ast des Schambeines berührt. — Die Feder des Leistenbruchbandes
bildet in der Regel einen Halbzirkel, der diejenige Hälfte der Beckenpe-
ripherie, an welcher sich der Bruch befindet, umgibt und mit seinem vor-
dem Ende, welches den Hals bildet, gegen den Bauchring hin, mit seinem
hintern oder Schwanzende auf die Wirbelsäule zu liegen kommt. Durch
diese Einrichtung und Lagerung erhält die Feder zwei Wirkungspunkte,
die einander gegenüber liegen. Auf diese Weise ist die Feder in dem
Richter 'sehen Bruchbande beschaffen , welches das am häufigsten ge-
brauchte ist. Weniger zweckmässig sind die Bruchbänder mit mehr oder
weniger langen, meist das ganze Becken umgebenden Federn, wie sie sich
in den Bruchbändern von Camper, Cooper, Squire, Chase u. A.
finden. Sie sind nicht allein für den Kranken sehr beschwerlich, sondern
sie liegen auch nicht so sicher, als die halbzirkelförmigen. Eigenthümlich
und complicirt ist das Bruchband von Lafond; es besteht aus zwei
Federn , die in einander geschoben und durch ein Gewinde und eine
Schraube geschlossen werden können ; es wird , wie auch das Salmon-
sche Band auf der gesunden Seite angelegt. Noch sei angeführt , dass
Einige zur Verstärkung der Federkraft mehrere aufeinander liegende Fe-
dern anwenden (Salmon, Lukas). — Künstliche oder von der ge-
wöhnlichen Form abweichende Pelotten sind folgende : die Windenpelotte
mit dem Stellrade der alten Bruchbänder; die Pelotte von Salmon: sie
ist mittels eines Kugelgelenkes nach allen Seiten beweglich ; die lezterer
BRUCHBAND. 171
nachgebildete Pelotte von Lafond; die Pelotte von Squire: sie kann
am Halse der Feder hin und her geschoben und daher verkürzt oder ver-
längert werden ; Aehnlichkeit mit dieser hat die Pelotte von Chase: sie
ist von Holz und ruht auf einer metallenen Unterlage , auf der sie hin,-
und herbewegt werden kann ; die (birnf örmige) Pelotte von Weissen-
born: sie hängt mit dem schmalen Halse der Feder durch eine gewun-
dene Feder zusammen ; die Pelotte des (doppeltelastischen) Bruchbandes
von He s selb ach: sie besteht aus zwei Pelottenschilden, zwischen wel-
chen eine Kniefeder angebracht ist ; R e i c h e 1 's Modifikation dieser Pe-
lotte , darin bestehend , dass an die Stelle der Kniefeder zwei ins Kreuz
gestellte Federn gesezt sind und die beiden Schilde mittels einer Schraube,
deren Kopfüber dem obern Schilde zu Tage tritt, auseinander geschraubt
werden können. Die (aus Buchsbaumholz bestehende) Pelotte von Lukas
hat eine konische Form, und die von Malgaigne eine pilzähnliche von
solcher Grösse , dass sie (beim innern Leistenbruche) in die Bruchpforte
einzudringen im Stande ist. Zu erwähnen sind endlich noch die Kaut-
schukpelotten, die theils voll, ganz aus elastischem Harze bestehend, theils
hohl und mit Luft oder Wasser gefüllt sind. — Zur Zurückhaltung zweier
zu gleicher Zeit bestehender Leistenbrüche bedient man sich entweder
eines einzigen, mit zwei Pelotten versehenen Bruchbandes oder aber zweier
passender Bruchbänder, die hinten und vorn durch Schnallen, Riemen und
Knöpfe vereinigt werden. Leztere Art ist die gegenwärtig allein ange-
wendete. — Bei irreponiblen Brüchen bedient man sich eines Bruchban-
des mit ausgehöhlter Pelotte ; bei grossen Scrotalbrüchen sind aber eigent-
liche Bruchbänder nicht mehr anwendbar; bei diesen besteht das einzige
Schuzmittel gegen Vergrösserung und Einklemmung in einem Suspenso-
rium , welches den Bruch trägt, und welches je nach dem Umfange des
Bruches an einem Leibgürtel oder an den Schultern aufgehängt wird.
2) Das Schenkelbruchband ist gegen den Austritt der Ein-
geweide durch den Schenkelring bestimmt. Es hat mit dem Leistenbruch-
band gleiche Gestalt, nur mit dem Unterschiede, dass sein Hals kürzer
und in einem schärferen Winkel von dem Körper des Bandes abgeht, weil
der Schenkelbruch näher am Hüftbein liegt als der Leistenbruch, und dass
der lange Durchmesser der Pelotte nicht senkrecht , sondern mehr in die
Quere, nur wenig schief herabwärts laufen muss. Beim äussern Schenkel-
bruch muss der Hals der Feder etwas kürzer sein als beim innern , weil
jener mehr nach aussen liegt als dieser. Der Schenkelriemen ist bei den
Schenkelbruchbändern nicht zu entbehren.
3) Nabelbruchband. Bei kleinen Kindern bedarf man zur
Zurückhaltung der Nabelbrüche keiner eigentlichen Bruchbänder. Das
Einsezen eines rundlichen festen Körpers , wie einer halben Wachskugel
oder Muskatnuss oder einer hölzernen Halbkugel etc. in den Nabelring
und Befestigen desselben mittels sternförmig über die Pelotte geführter
Heftpflasterstreifen und nötigenfalls Unterstüzen des Ganzen mit einer
172
BRUCHBAND.
Binde reicht in den meisten Fällen nicht nur zur Zurückhaltung, sondern
bei der grossen Neigung des Nabelringes zur Obliteration, selbst zur Ra-
dicalheilung solcher Brüche hin. Bei unruhigen und mehr herangewach-
senen Kindern kann man sich des Bandes von Stark bedienen , welches
die Pelotte mit einem Gürtel von Barchent u. dgl. befestigt, von dem aus
ein senkrechtes Stück desselben Stoffes über die Brust weg zum Rücken
und abwärts zwischen den Beinen hindurch eben dahin geht , wo beide
mit einander verknüpft werden ; das aufwärts gehende Stück hat einen
Spalt, durch welchen der Kopf gesteckt wird. T h u n versah das horizon-
tale wie das verticale Stück dieser Bandage in der Nähe der Pelotte mit
einem Stücke Kautschuk, um ihr mehr Elasticität zu geben. Hahn stülpt
die Hautdecken von beiden Seiten gegen den Nabelring einwärts , sie ge-
wissermassen als Pelotte benüzend , und erhält die dadurch gebildete
senkrechte Hautfalte durch Heftpflasterstreifen mit einander in Berührung.
Dieser Verband hält bei täglichem Baden der Kinder 10 — 12 Tage, ohne
dieses 2 0 — 2 8 Tage. Man fährt mit diesem Verbände so lange fort, bis
der Nabelring vollkommen geschlossen ist; 6 — 12 Wochen genügen zur
Kur. — Burow legt ein 3 Zoll breites und 4 Zoll langes Stück Gutta-
percha erweicht mit seiner Mitte auf den reponirten Nabelbruch , drückt
auf die Stelle der Bruchpforte einen entsprechend grossen Charpieballen
auf und wickelt mittels einer flanellenen Rollbinde die noch nicht erkal-
tete Gutta percha mit Zirkeltouren um den Bauch gegen denselben an.
Ist Tags darauf die Gutta percha erkaltet, so lässt man an derselben einen
Bauchgürtel von entsprechender Breite befestigen, der auf der einen Seite
mit einer Schnalle, auf der andern mit einem Riemen endigt ; die Schnalle
kommt beim Schliessen des Gürtels auf die äussere Seite der Gutta percha-
Platte zu liegen ; die dem Leibe zugekehrte Seite dieser bleibt ohne allen
Ueberzug. — Nabelbruchbänder für Erwachsene gibt es eine grosse An-
zahl. Sie wirken entweder auf den Nabelring und schliessen diesen, oder
auf beide Seiten des Unterleibes und drücken so die Spalte in der Linea
alba zusammen oder sie vereinigen beide Wirkungen. Bei der ersten
Art drückt eine halbkreisförmige, etwas breite Feder, die nur die Längen-
biegung hat , mit einer runden, convexen Pelotte auf den Nabelring und
wird durch den Ergänzungsriemen befestigt. Hierher gehören die Bänder
von Plattner, deLaunay, Camper, Richter. Da die einfache
Feder sich leicht verschiebt und der Ergänzungsriemen den Leib zusam-
menschnürt , so nahm man zwei Federn, die an der Pelotte befestigt sind
und am Rücken durch Schnallen befestigt werden ; solche Bruchbänder
sind die von Squire undEagland. Ersteres besteht aus einem ovalen
convexen Pelottenschild , auf dem eine kleine Pelotte angeschraubt ist,
und aus zwei mit ihm durch Charniere verbundenen Federn. Beim Bruch-
bande von E a g 1 a n d ist eine leicht convexe Pelotte aus Zinn zu beiden
Seiten durch Charniere mit den Federn verbunden , welche mit kleinen
tellerförmigen Pelotten auf einem Rückenkissen liegen. Zu der zweiten
BRUCHBAND. 173
Art gehören die Nabelbruchbänder mit dem Federkasten. Durch die
Feder in oder auf der Pelotte lässt sich der Bauchriemen erweitern oder
verengern und passt sich so der Ausdehnung des Unterleibes an, wodurch
ein gleichmässiger Druck sowohl auf die Oeffnung in der Linea alba als
auch auf die Seiten wände des Unterleibes ausgeübt wird. Ein solches
Bruchband ist das von Suret, in dessen hohler Pelotte sich eine Feder
befindet, die durch einen Schlüssel gespannt wird. Modificationen dieses
Bruchbandes sind die Bandagen von Richter, Juville und H arten-
keil. Verdier construirte einen ähnlich wirkenden Verband mit Ho-
senträgerfedern. Die dritte Art umfasst Bruchbänder mit einfachen oder
elastischen Pelotten und elastischen Bauchriemen. Hierher gehören die
Bandagen von Brünnig hausen, Pelotte mit Spiralfeder und Bauch-
gurt aus Hosenträgerfedern, Hesselbach (Moditication dieser, 2 Knie-
federn statt einer Spiralfeder in der Pelotte), Scarpa (wie Brünnig-
hausen), Oken, einfache Pelotte mit Hosenträgerfedergurt , Witt-
stock, ebenso. Unzweckmässig ist das Bruchband von Morrison, das
eine fast zirkeiförmige Feder hat , die vorn einen grossen ovalen Bing
bildet , von dessen einer Seite eine Feder ausgeht , die eine Pelotte trägt,
und das von Lafond, das nach denselben Grundsäzen , wie das für die
Leisten- und Schenkelbrüche gebildet ist. Eothmund gibt ein ziemlich
complicirtes Compressorium an , mittels dessen die Radicalheilung des
Nabelbruches herbeigeführt werden soll. Es besteht aus einer runden
Platte, die nach Einschiebung des Bruches sammt der äussern Bedeckun-
gen und dem Bruchsacke in die dadurch gebildete Tasche eingebracht
wird. Ein allmälig verstärkter Druck soll den invaginirten Bruchsaek
durch adhäsive Entzündung innerhalb 3 — 5 Tagen an dem hintern Um-
fange der Bruchpforte zur Verwachsung bringen. — Für angewachsene
Nabelbrüche muss die Pelotte hohl sein. Uebermässig grosse unterstüzt
man durch einen an einem Leibchen aufgehängten Tragbeutel.
4) Bauchbruchbänder werden ähnlich wie die vorigen gebil-
det. Das von Trecourt besteht aus einer zirkeiförmigen Feder mit
zwei Pelotten, welche zur Seite der Spalte zu liegen kommen und zusam-
mengeschnürt werden. Scarpa gab für Brüche in der Nähe des Schwert-
knorpels ein Leibchen mit Pelotte an , das aber durch ein zweckmässiges
Nabelbruchband ersezt wird.
5) Das Hüft beinbruchband besteht aus einem Leibgürtel, von
dem eine Feder herabsteigt , die eine Pelotte trägt.
5) Band für den Bruch des eiförmigen L o che s. Es
stimmt im Wesentlichen mit dem Schenkelbruchband überein , nur muss
der Hals etwas länger sein und in einem stärkeren Winkel von dem
Körper des Bandes abgehen ; auch muss die Pelotte stärker gewölbt
sein.
7) Scheidenbruchband. Gewöhnlich bedient man sich zur
Zurückhaltung der Scheidenbrüche der Pessarien ; werden diese aber nicht
174 BRUCHBETTEN.
ertragen, so erweist sich ein von Eagland angegebenes Bruchband sehr
nüzlich. Dieses besteht aus einem elastischen Gürtel, an dessen Mitte ein
senkrecht stehender, mit Leder überzogener Metallstab befestigt ist. An
dem nach unten stehenden Ende des lezteren befindet sich eine Spiral-
feder, welche mit einer Pelotte in Verbindung steht.
S) Das Band für den Mittelfleischbruch ist ähnlich con-
struirt, wie das vorige. Scarpa, Kosch und Jacobson haben solche
Bruchbänder angegeben.
9) Das Lungenbruchband besteht aus einem mit Spiralfedern
elastisch gemachten Gürtel und aus einer Pelotte , die ein viereckiges
Stück Sohlleder zur Grundlage hat, welches auf jeder Ecke einen Mes-
singknopf zur Befestigung des Gürtels trägt ; auf diesem Pelottenschilde
in der Mitte befindet sich ein mit Haaren gefülltes Lederkissen von der
Grösse, dass es einige Linien über die Bruchpforte hinausreicht. Sehulter-
und Schenkelriemen , welche in die Messingknöpfe eingehängt werden,
verhindern das Verschieben der Bandage.
10. Herzbruchband. Wollte man sich eines solchen bedienen,
so könnte man das vorhergehende benüzen, nur müsste, da das Herz kei-
nen Druk erleiden darf, die Pelotte hohl sein.
Bruchbetten. Bei Fracturen des Rumpfes und der unteren Ex-
tremitäten ist vor Allem ein zweckmässiges Bett nothwendig. Für die
Spitalpraxis hat die Herstellung passender Lagerstätten keine Schwierig-
keit , man findet in den Krankenhäusern meistens Vorrichtungen , welche
theils die willkürliche Erhöhung und Erniedrigung des Kopf- und Fuss-
theiles (und die Bildung von doppeltgeneigten Flächen für die unteren
Extremitäten) , theils die Erleichterung bei den Stuhlausleerungen , theils
die Bequemlichkeit des Kranken zum Lesen und Schreiben bezwecken.
Wir besizen solche sogenannte mechanische Betten von S t ö c k e 1 ,
Braun, Böttcher, Earle, W^eikert, Amesbury^ Hager,
Mayor, Schindler u. A. Bruchstühle haben angegeben : Unger,
Hofer, Theden. In der Privatpraxis stehen aber solche Hülfsmittel
gewöhnlich nicht zu Gebote, man ist hier in den meisten Fällen genöthigt,
die gewöhnlichen Lagerstätten beizubehalten , und es bleibt in diesem
Falle nichts übrig, als diese so herzurichten , wie es die Umstände gestat-
ten.— Geht es an, so wähle man eine Bettstelle, die nicht zu breit (nicht
über drei Fuss) und der Körperlänge des Kranken angemessen ist. Gut
ist es, wenn das Fussende nicht über das Bett herausragt. Auf den Boden
der Bettstelle kommt ein gleichförmig gefüllter Strohsack und auf diesen
eine feste , mit Seegras , Heu , Moos oder am besten mit Rosshaaren ge-
füllte Matraze. Um die Gleichförmigkeit des Lagers zu sichern, bringen
Einige eine hölzerne Platte zwischen Strohsack und Matraze ; wenigstens
wird dies bei Brüchen des Oberschenkels für nothwendig gehalten. Nur
wenn keine Matraze zur Hand ist, kann ein Federbett benuzt werden ; ein
BRÜSTBINDEN. 175
solches erhizt zu sehr, gibt zum Durchliegen Veranlassung und gefährdet
durch Auseinanderweichen der Federn die Gleichförmigkeit des Lagers.
Besser bedient man sich eines die ganze Bettlade ausfüllenden , prall ge-
füllten Spreusacks, wozu man einen überall zu habenden Bettüberzug be-
nüzen kann, den man nach dem Füllen zunäht ; damit die Spreu aber nicht
durch das Gewicht des Körpers auseinander getrieben und dadurch Ver-
anlassung zu Unebenheiten gegeben wird, ist es nothwendig, dass zwischen
den Spreu- und Strohsack eine hölzerne Platte gelegt werde und dass die
Seitentheile der Bettlade etwas über den Spreusack heraufragen ; bei nie-
dern Seitentheilen muss der Strohsack fortbleiben. Tn der Gegend des
Bettes , wohin das Becken des Kranken zu liegen kommt , wird ein mehr-
fach zusammengelegtes Leintuch quer herüber gelegt , um ihn leicht auf-
heben zu können ; unter den Kopf bringt man ein massig hohes Polster,
und zum Zudecken bringt man eine in ein Leintuch eingeschlagene wol-
lene Decke oder ein leichtes Federbett , dessen Druck man durch eine
über das Glied gestellte Reifenbahre oder in Ermangelung dieser durch
eingesteckte Küferreife abhält. Das Bett wird so gestellt , dass man von
allen Seiten leicht beikommen kann, und über der Mitte desselben an der
Decke des Zimmers oder an einem Querbalken ein Strick befestigt , der
an seinem untern Ende ein Querholz trägt, mittels dessen sich der Kranke
etwas in die Höhe ziehen kann , um dadurch die Stuhlausleerung zu er-
leichtern. — Wird eine Erneuerung des Lagers nothwendig, so geschieht
dieses am leichtesten dadurch , dass man ein zweites Bett wie das erste
vorrichtet , es neben dieses stellt und dann den Kranken behutsam von
dem einen in das andere hinüber hebt. Ist dies nicht ausführbar , so be-
reitet man entweder ein Lager auf einer auf einen Tisch gelegten Platte,
etwa einer Thür , oder man bringt den Kranken auf ein auf dem Fuss-
boden hergestelltes Lager, auf welchem einen oder dem andern der Kranke
so lange bleibt , bis das Bett wieder erneuert ist. Behufs der Verlegung
des Kranken wird derselbe von einem Gehülfen unter den Armen gefässt,
andere ergreifen das quer über das Bett gelegte Leintuch , ein weiterer
Gehülfe hält den gesunden Fuss , der Wundarzt selbst aber übernimmt
das gebrochene Glied , worauf der Kranke unter gleichmässigem Erheben
ohne Zerren und Reissen auf das zubereitete Lager , gebracht wird.
BrUStbilldeil. Es gibt eine ziemliche Anzahl solcher, die sich
aber auf folgende wenige , meist mit Tüchern ausgeführte zurückführen
lassen. 1) Die s e ch s köp f i g eBr us tb i n d e von B e n e d i ckt. Diese
Binde ist zur Befestigung anderer Verbandstücke bei Operations- und an-
dern Wunden in der Brust- und Achselhöhlengegend bestimmt. An ein
länglich viereckiges Stück Leinwand werden 6 Bänder genäht und zwar
je eines auf jede Ecke und zwei in die Mitte des obern Randes. Die 2
lezten Bänder werden auf der kranken Achsel gekreuzt, von da nach der
gesunden Achselhöhle, dann um die Brust geführt und auf der die Wunde
176 BRUSTBINDEN.
deckenden Compresse zusammengeknüpft. Die 2 von den obern Ecken
ausgehenden Bänder kreuzt man auf der gesunden Schulterhöhe , dann in
der gesunden Achselhöhle und geht über die Brust herüber, um sie gleich-
falls auf der Compresse zusammenzuknüpfen. Das dritte von den unteren
•Ecken abgehende Paar Bänder wird in Zirkeltouren um die Brust geführt
und ebenfalls auf der Compresse geknüpft. — 2) Die dreieckige
B r u s t b i n d e von M a y o r. Um irgend einen Verband an dem vordem
oder hintern Theile des Brustkastens festzuhalten , wird ein dreieckiges
Stück Leinwand so angelegt, dass das Mittelstück nach unten, die beiden
Enden um .die Brust herumgeführt werden und die Spize des Dreieckes
aufwärts auf eine Schulter zu liegen kommt. An diese wird ein Band
angebracht und an den um den Leib herumgeführten und vereinigten, die
Leibbinde bildenden Enden befestigt. Je nach dem Size des Uebels wird
das Dreieck auf der Brust oder auf dem Rücken angelegt. — 3) Die
vierköpfige oder zusammengesezte aufhebende Binde
der Brüste. Man nimmt ein viereckiges Stück Leinwand von entspre-
chender Grösse, welches man an jeder Ecke mit einem 2 Ellen langen und
2 Querfinger breiten Bande versieht , so dass zwei davon an dem äussern
Rande horizontal und zwei an dem untern Ende perpendiculär befestigt
-werden. Bei der Anlegung lässt man die kranke Brust in die Höhe
heben und legt den Theil der Binde , an dem sich die horizontalen
Bänder befinden, ganz nahe unter der Brust an, führt die Bänder um den
Leib auf den Rücken , wechselt sie dort , führt sie wieder nach vorn und
vereinigt sie unter den Brüsten. Nun schlägt man das Stück Leinwand
über die leidende Brust hinauf, führt die senkrechten Bänder über die
Schultern, wechselt sie auf dem Rücken, geht unter den Achseln mit ihnen
vor und befestigt sie auf der Mitte der Brüste. Sind beide Brüste krank,
so muss das Stück Leinwand so gross sein, dass es beide Brüste bedeckt.
— Diese Binde dient nicht allein zur Unterstüzung der Brüste , sondern
auch zur Befestigung von Verbandstücken und Kataplasmen an densel-
ben. — 4) Kreuzbrustbinde, Viergespann, Quadriga.
Diese Binde hat ihren Namen von den kreuzweise laufenden Touren,
welche die Zügel von 4 Pferden an einem Wagen vorstellen sollen. Man
nimmt dazu Bänder von 2 4 — 3 6 Zoll Länge und 2 l/2 Z. Breite auf 2 Köpfe
gerollt. Der Grund der Binde wird unter die Achsel gelegt, beide Köpfe
über die Schulter derselben Seite geführt, daselbst gekreuzt, der eine über
den Rücken , der andere über die Brust nach der andern Achselhöhle ge-
zogen. Hier kreuzt man die Köpfe, führt sie auf die Schulter, kreuzt sie
abermals und geht nach hinten und nach vorn unter die andere Achsel,
wo man angefangen hatte. Nun steigt man mit Hobelgängen , die dicht
unter den Achseln anfangen , um den Brustkasten herum, so dass sie sich
stets einander ein wenig decken. Die Kreuzung der Köpfe geschieht in
absteigender Linie ; der Kopf, welcher nach hinten geht , wird stets bei
der Kreuzung der untere , und wird an dieser Stelle umgeschlagen. —
BRUSTDRUESENENTZUENDUNG. 177
Diese Binde ist für Brüche des Brustbeins und der Rippen bestimmt, übt
aber einen lästigen Druck aus.
BrastdrÜSenentzÜndung, Inflammatio mammarum,
Mastitis. Sie hat ihren Siz entweder in dem die Drüse umgebenden'
Fettgewebe , oder in der Drüse selbst oder in dem hinter der Drüse gele-
genen Zellgewebe. — Die Entzündung des subcutanen Fett-
gew e b e s tritt mit dem Charakter der Phlegmone auf und zwar bald als
Phlegmone diffusa, bald als Phlegmone circumscripta,
und verläuft bald acut, bald chronisch. — Ursachen. In manchen
Fällen ist es eine Quetschung, Verbrennung oder anderweitige Reizung
der äussern Haut, namentlich ein Vesicans etc., welche diese Entzündung
herbeiführt ; andere Male wird das gesammte Fettpolster ohne nachweis-
bare Veranlassung plözlich von Phlegmone befallen. Diese zwei Gattun-
gen von Entzündungen können während der Lactation auftreten wie aus-
serhalb dieser. Nicht so ist es bei einer dritten, wo die Entzündung ihren
Ausgang von der Drüse selbst nimmt , indem zu einer schon bestehenden
Drüsenentzündung die Phlegmone des umgebenden Bindegewebes sich
hinzugesellt ; solche Fälle kommen ausschliesslich nur während der Lacta-
tion vor. Endlich kommt noch eine chronisch verlaufende Entzündung in
Folge von Neubildungen in der Brustdrüse vor. — Symptome. Diese
sind die der phlegmonösen Entzündung überhaupt; umfangreiche, harte,
tief geröthete Geschwulst, in welcher die Brustwarze versenkt (eingezogen)
ist, stechende, lancinirende Schmerzen und eine eigenthümlich brennende
Hize. — Behandlung. Bei dieser ist zunächst auf die Aetiologie
Rücksicht zu nehmen ; dadurch kann es gelingen, eine weitere Ausbreitung
der Entzündung zu verhüten , den regelmässigen Ausgang in Eiterung
wird man aber bei der acuten Form niemals abwenden können. Blutent-
ziehungen und Kataplasmen dienen dazu , die Heftigkeit der Entzündung
und namentlich auch der Schmerzen zu mindern und eine Verbreitung
nach der Tiefe zu verhüten. Sobald Fluctuation entdeckt werden kann,
was am häufigsten nach unten und aussen geschieht , so macht man eine
tiefe Incision, wodurch meist eine grosse Menge Eiter entleert wird. In
der Regel findet sich nur ein grosser Eiterheerd , doch trifft man auch
deren mehrere ganz abgesondert , die dann einzeln eröffnet werden müs-
sen. Sich selbst überlassen, durchbrechen solche Abscesse gegen den 10.
Tag die Haut, indem sie die Gewebe in ihrer Umgegend nach aussen und
innen hin zerstören. Auf solche Weise kann die Drüse secundär ergriffen
werden. Eitersenkungen hat man zuweilen gegen die Achselhöhle hin,
ferner zur Regio hypochondriaca und epigastrica beobachtet,
den Eiter sich selbst hinter die Drüse begeben sehen. Eine beschränktere
Phlegmone unterbricht die Lactation nicht. — Die Entzündung des
Drüsengewebes selbst kommt in der bei weitem grössten Mehrzahl
der Fälle in der Säugungsperiode vor. — Ursachen sind : Erkältung,
Barger, Chirurgie. 12
178 BRUSTDRUESENENTZUENDUNG.
Gemiithsaffecte, Unterlassen des Säugens, schnelles Abgewöhnen des Kin-
des; ferner äussere Gewalttätigkeiten, dyskrasische Leiden. Zu den Ent-
zündungen rechnet man das zuweilen plözlich auftretende Schwellen der
Mamma , welche in einer wirklichen Retentio lactis besteht und
in Folge einer plözlichen Erkältung, einer Gemüthsbewegung, bei zu stür-
mischer Absonderung der Milch (Einschiessen), nach zu heftigem Saugen
des Kindes nicht selten entsteht. Die Drüse schwillt dabei an, wird hart,
uneben, höckerig (Milchknoten). Die Farbe der Haut ist aber un-
verändert , zuweilen ist sie sogar etwas blässer als auf der andern Seite.
Heftige Schmerzen und zuweilen auch Fieberbewegungen stellen sich ein.
Diese Schwellung kann ohne üble Folgen vorübergehen , aber auch Ver-
anlassung zu einer wirklichen Entzündung werden. Die eigentliche Ent-
zündung der Milchdrüse, welche ihren Siz in den Milchkanälen und in den
Drüsenbläschen hat, charakterisirt sich durch Schmerz und Schwellung an
einzelnen Stellen der Drüse ; der Schmerz ist dumpf, drückend , hier und
da lancinirend , aber nicht brennend und stechend, wie bei der oberfläch-
lichen Entzündung. Gewöhnlich bilden sich in der Umgegend des War-
zenhofes einzelne deutlich fühlbare Höcker aus , die sich allmälig auch
stärker röthen. Im weiteren Verlaufe greift diese ursprünglich vom Drü-
sengewebe ausgehende Entzündung auch auf das interlobuläre Bindege-
webe, später auf das subcutane Fettgewebe, zuweilen sogar auf das hinter
der Brustdrüse gelegene Bindegewebe über. Dabei ist heftiges Fieber
zugegen. — Ausgänge. Das nicht sehr schnell verlaufende Leiden
endet in der Regel mit Eiterung, häufig bleiben auch Verhärtungen, per-
manente Milchknoten zurück ; höchst selten erfolgt Zertheilung , Gangrän
nur bei ganz unzweckmässiger Behandlung. — Behandlung. Handelt
es sich von Milchknoten ohne Entzündung, so legt man das Kind fleissig
an oder entfernt die Milch mittels eines Milchglases ; daneben legt man
Baumwolle auf, die mit Zuckerdampf durchräuchert oder mit Kampher
bestrichen ist , reibe Spirit. Mindereri, Spirit. camphoratus,
Linimentum volatile camphoratum ein, übe eine.leichte Com-
pression aus und unterstüze die Mamma mit einem Suspensorium. Besteht
wirkliche Entzündung, so kann man den Inhalt der Milehkanäle mit Milch-
pumpen vorsichtig absäugen , worauf man , wenn man das Säugen unter-
brechen will, dünne Wassersuppen, kräftige Purganzen gibt, Quecksilber-
salbe einreiben lässt, und entweder eine durch einen Kleisterverband, oder
nach Spengler durch Ueberstreichen der ganzen Brust mit Ausnahme
der Warze mit einer dicken Lage Coliodium auszuübende gleichmässige ,
Compression oder die Application zahlreicher Blutegel in Gebrauch zieht,
wodurch man, wenn auch nicht Zertheilung, doch Beschränkung der Eite-
rung zu erzielen vermag. Soll das Säugen aber fortgesezt werden , so
dürfen weder Blutegel noch Abführmittel, kaum eine schmälere Diät ver-
ordnet werden , sondern man befördert geradezu den Ausgang der Eite-
rung durch die Anwendung von Kataplasmen ; nur bei hoch gesteigerten
BRUSTDRUESENENTZUENDUNG. 1 79
Entzündungen können bei kräftigen Personen einige Blutegel angelegt
werden. — Kommt es zur Eiterung, so bilden sich in der Regel mehrere
Abscesse , deren Zahl von den von der Entzündung ergriffenen Drüsen-
läppehen abhängt. Diese Abscesse erscheinen meistens hinter der Warze
oder in ihrer Umgebung ; hat die Entzündung ihren Siz nur im Drüsen-
gewebe , so braucht der Abscess 10 — 1 4 Tage zu seiner vollständigen
Entwicklung , hat jene aber auch das umgebende Bindegewebe ergriffen,
so ist der Verlauf stets viel schneller. Sobald es zur Bildung von Ab-
scessen kommt , muss das bis dahin fortgesezte Säugen aufgegeben wer-
den. Zur Beschleunigung dieses Ausganges wendet man erweichende,
schmerzstillende , am besten mit einem Zusaze von Hyoscyanius oder Co-
nium versehene warme Breiumschläge an , die man die Nacht über durch
ein Cicuta- oder Mercurialpflaster ersezt. Wie bei allen Drüsenabscessen,
so ist auch hier eine frühzeitige Eröffnung des Abscesses nicht vorteil-
haft , man muss diese aber auch nicht zu lange hinausschieben ; sobald
man Schwappung von irgend einigem Umfange fühlt, sie nicht gar zu tief
liegt und die Schmerzen heftig sind , thut man gut , den Abscess durch
einen Lancettenstich zu öffnen. Man erspart dadurch der Kranken viel
Schmerzen und führt das Uebel oft wochenlang eher , als es sonst ge-
schehen wäre , der Heilung zu. Nach der Eröffnung des Abscesses fährt
man mit den feuchtwarmen Umschlägen fort, die man aber bald kräftiger
und reizender machen darf, da der nun eintretende chronische und tor-
pide Entzündungszustand einer Bethätigung bedarf. Am besten eignen
sich Zusäze von bittern gewürzhaften Kräutern: Raute, Absynthium, Me-
lisse etc. Die Abscessöffnung bedeckt man nur mit einer Lage Charpie.
Eine geringe zurückbleibende Härte verschwindet unter der Anwendung
zertheilender Pflaster und Salben. Die Heftigkeit des Fiebers macht bis-
weilen eine innerliche kühlende Behandlung mit Salpeter, Emulsionen etc.
nöthig. — Entzündung desBindegewebes hinter derBrust-
drüse, Phlegmone profunda mammae. Sie kann einen drei-
fachen Ursprung haben. Sie geht bald von der Brustdrüse aus, oder die
Entzündung kommt vom Thorax her, woselbst ihr eine Vomica, ein pleu-
ritisches Exsudat , Caries , Necrose der Rippen zu Grunde liegen kann,
oder sie kann endlich ohne nachweisbare Veranlassung bei sehr geschwäch-
ten Subjecten entstehen. — Symptome. Sie sind : bedeutende An-
schwellung , durch welche die an sich unveränderte Brustdrüse nach vorn
geschoben wird; die Haut ist gespannt, glatt, heiss, auch wohl etwas ge-
röthet und immer von aufgelaufenen Venen durchzogen ; die Schmerzen
sizen tief , sind drückend , bohrend , und werden durch Druck auf die
Mamma nur wenig vermehrt ; dabei ein heftiges Entzündungsfieber. Der
Verlauf ist schnell. In 48 Stunden kann die Brust schon das Dreifache
ihres ursprünglichen Volumens erreicht haben. In der Regel erfolgt schon
vor dem 5. Tage der Uebergang in Eiterung, seltener in Gangrän, noch
seltener in Verhärtung. — Behandlung. — Diese muss streng anti-
12*
180 BRUSTDRUESENEXSTIRPATION.
phlogistisch sein : Application zahlreicher Blutegel , Einreibungen von
Mercurialsalbe , daneben Ableitungen auf den Darmkanal durch antiphlo-
gistische Abführmittel. Meistens kommt es zur Bildung eines grossen
Abscesses hinter der Mamma , die gleichsam auf einer mit Flüssigkeit ge-
füllten Blase zu sizen scheint. Bei acut verlaufenden Fällen ist die Diag-
nose dieses Abscesses mit keinen Schwierigkeiten verbunden, anders ist
es, wenn er sich als chronischer entwickelt hat ; hier kann nur die Berück-
sichtigung aller anamnetischer Momente einiges Licht verbreiten ; im Noth-
falle greife man zum Probetroicart. Besteht kein Zweifel über das Vor-
handensein von Eiter , so verschafft man diesem möglichst frühzeitig Ab-
fluss , indem man den Abscess an dem abhängigsten oder am deutlichsten
hervorragenden und fluctuirenden Punkte durch einen tiefen Einschnitt
öffnet. Wenn sich die Entzündung und Eiterung auf die Brustdrüse fort-
gepflanzt hat , so können die Krankheitserscheinungen den hier zu Stande
gekommenen Abscessen zugeschrieben und der grosse Abscess hinter der
Mamma kann übersehen werden. Einige Aufklärung kann der Umstand
geben , dass die Eröffnung dieser oberflächlicher gelegenen Abscesse die
Zufälle nicht ganz mindert. Nach dem Rathe von C 1 o q u e t soll man
durch einen dieser Drüsenabscesse einen elastischen Katheter bis in die
hinter der Drüse befindliche Eiterhöhle einschieben und damit allmälig die
Entleerung des Eiters bewirken; Hey und Velpeau rathen , durch die
ganze Dicke der Brustdrüse direct auf den Abscess einzuschneiden.
BrUStdrÜSeneXStirpation. Man versteht hierunter die Tren-
nung der Brustdrüse vom Thorax mittels des Messers , wobei ihre Haut-
decke erhalten wird oder nicht. Die Indicationen zur Exstirpation der
Brustdrüse sind einfache Verhärtungen der ganzen Drüse oder einzelner
Theile, welche andern Mitteln widerstehen und in Scirrhus überzugehen
drohen, Hypertrophie, welche durch Grösse und Schwere im hohen Grade
belästigt, Scirrhus und Carcinom. Je nach der Ausdehnung dieser Krank-
heiten wird bald die partielle , bald die totale Exstirpation, bald die gänz-
liche Abtragung der Brust (Amputatio s. Ablatio mammae) not-
wendig. Bei grossen, offenen Krebsen, besonders wenn sie tief gehen und
die Rippen angegriffen sind , operirt man nicht. Die liegende Stellung
bietet sowohl für die Kranke als für den Operateur grössere Bequemlich-
keit dar als die sizende, wie sie auch für die Anwendung des Chloroforms
besser taugt; der Operateur steht auf der Seite der zu operirenden Brust.
— Behufs der Entfernung eines kleineren Knotens genügt ein Längen-
schnitt aus freier Hand oder mittels einer Hautfalte , worauf man die Ge-
schwulst mit einem Haken oder einer Pincette fasst und ausschält. Die
Vereinigung der Wunde geschieht mit Heftpflaster. — Handelt es sich
von der Entfernung einer grösseren Geschwulst oder der ganzen Brust-
drüse , sq wird der Arm der kranken Seite emporgehoben und fixirt , die
Haut theils durch die linke Hand des Operateurs , theils durch einen Ge-
BRUSTDRUESENEXSTIRPATION. 181
hülfen gespannt, welcher leztere zugleich mit der Compression der wahrend
der Operation sprizenden Gefässe beauftragt wird. Die zu entfernende
Geschwulst wird mit zwei ovalen Schnitten umgangen, welche schräg, etwa
der Richtung des unteren Randes des grossen Brustmuskels entsprechend,
verlaufen, so dass also der Wundwinkel nach innen und unten, der andere
gegen die Achselhöhle hinsieht , von welchem lezteren aus die Wunde
durch einen einfachen Schnitt leicht zu erweitern ist , um kranke Achsel-
drüsen zu entfernen. Die Grösse des Ovals, welches von den beiden ellip-
tischen Schnitten eingeschlossen wird, ist einerseits von der Ausdehnung
der Erkrankung , besonders der Verwachsung mit der Haut , andererseits
von der Grösse der Geschwulst abhängig. Bei grossen Geschwülsten muss
genug Haut fortgenommen werden, um eine genaue Vereinigung bewirken
zu können. Von den beiden Schnitten, welche dreist bis durch den Pa-
niculus adiposus mit einem Zuge geführt werden können , wird der
untere zuerst gemacht , da man durch das ausströmende Blut gestört wer-
den würde , wenn man ihn erst nach dem obern machen würde. Wurden
die Schnitte an der Grenze der Brustdrüse geführt , so zieht man diese
mit einer Hakenzange hervor und löst sie in grossen Zügen vom P e c t o -
ralis major ab. Sind aber die beiden Incisionen näher aneinander ge-
rückt worden , könnte also mehr Haut erhalten werden , so muss diese,
indem man sie mit dem Finger oder einer Pincette aufhebt , von der
Mamma rings herum frei gemacht werden, worauf dann erst die Ablösung
der lezteren in der eben angegebenen Weise geschieht. Bei dieser Ab-
lösung kommt alles darauf an , dass alles Krankhafte aufs Sorgfältigste
entfernt wird. Man fühlt mit dem Finger nach und schneidet nachträg-
lich noch alles, was krankhaft erscheint und sich durch grössere Härte zu
erkennen gibt, aus ; man darf sich dabei nicht scheuen, kleinere und grös-
sere Stücke des Pectoralis major fortzunehmen. Nach Beendigung
der Operation werden alle vorher comprimirten oder noch blutenden Ge-
fässe sorgfältig unterbunden. Sind die Ach s el drüse n geseh wollen,
so müssen sie jezt gleichfalls entfernt werden. Man verlängert zu diesem
Behufe den obern Winkel des elliptischen Schnittes nach oben und aus-
sen bis in die Achselhöhle ; bei zu beträchtlicher Entfernung der Wunde
von der Achsel , oder wenn die Achseldrüsen für sich allein exstirpirt
werden sollen, macht man in der Richtung des Randes des Pectoralis
major einen besondern Schnitt, wobei der Arm noch stärker als vorher
erhoben werden muss. Man schneidet zunächst gerade auf die zu entfer-
nenden Geschwülste ein , spaltet die sie bedeckende Fascie in grosser
Ausdehnung, löst die Verbindungen zwischen ihnen und dem Thorax zuerst
und schält sie, während sie mit einem Haken vorgezogen werden, allmälig
weiter aus dem sie umgebenden Bindegewebe heraus. Alle sprizenden
Gefässe werden sogleich hervorgezogen und unterbunden. Erkennt man
eine Arterie vor ihrer Durchschneidung, so umsticht oder unterbindet man
sie vorher. Kommt man in die Nähe der Achselgef ässe, so muss die Ver-
182 BRUSTDRUESENFI§TEL.
lezung der Vene ebensosehr wie die der Art. axillaris vermieden werden.
Am besten thut man , wenn man so weit vorgedrungen ist , die zu den
angeschwollenen Drüsen tretenden Gefässe im Ganzen zu unterbinden
und die Drüsen selbst von der Ligatur abzuschneiden. Zur Losschälung
der Drüsen bedient man sich am besten stumpfer Instrumente, selbst der
Fingernägel. Wenn die Hautränder der Brustwunde sich ohne Zerrung
aneinander legen lassen, so muss man stets die Vereinigung durch Prima
intentio versuchen, was man mit Nähten , Heftpflaster oder mit dem
Wundzängelchen ins Werk sezt. War der Hautverlust zu bedeutend , um
die Hautränder ohne Zwang zu vereinigen , oder wurde die Brust ampu-
tirt , so lässt man die Wundränder einander so viel als möglich nähern,
bedeckt den dazwischen liegenden Theil der Wunde mit einer dünnen
Lage Charpie , legt darüber hinreichend lange und breite Heftpflaster-
streifen, bedeckt die Gegend der Wunde mit Charpie und Compresse und
hält das Ganze mit einer Brustbinde fest. Die Unregelmässigkeit der
Wunde in der Achselhöhle gestattet nur selten die erste Vereinigung.
Man füllt die Achselhöhle , aber nicht die Wunde , mit loser Charpie aus
und legt den Arm hier, wie auch bei der einfachen Exstirpation mit einer
Mitella dicht an den Leib. Die spätere Behandlung ist die der eiternden
Wunden. Eitersenkungen, die sich nicht selten nach der Exstirpation der
Achseldrüsen gegen den Arm bilden und sich durch eine auf den Ober-
arm übergreifende Phlegmone kund geben , erfordern eine oder mehrere
Incisionen.
BrUStdrÜSenfistel, Milchfistel, Fistula mammae,
nennt man mehr oder weniger tief in die Mamma eindringende Fistel-
gänge, durch welche Eiter und Milch oder auch Milch allein entleert wird.
Mit Eiter fliesst die Milch aus , wenn durch die Eiterung Milchgänge ge-
öffnet oder Drüsenläppchen zerstört worden sind ; nur Milch ergiesst sich
(Milchfistel im engeren Sinne), wenn nach dem Erlöschen des Eiterungs-
processes die Auskleidung eines Milchganges mit der äussern Haut an
der Stelle der ehemaligen Abscessöffnung verwächst , oder ein enger , mit
schleimhautähnlichem Gewebe überzogener Gang permanent bleibt ; selten
mögen solche Fisteln in Folge von Verwundung der mit Milch gefüllten
Drüse oder durch Plazen eines strozenden Milchganges entstehen. — B e-
handlung. Die Heilung der ersten Art von Milchfisteln bietet keine
Schwierigkeit dar ; Unterstüzung der Mamma , die Anwendung von Kata-
plasmen, Gegenöffnungen bringen sie in kurzer Zeit zum Schluss. Schwe-
rer hält die Heilung bei den eigentlichen Milchfisteln , doch wird diese
durch die Aufhebung der Function der Brustdrüse sehr unterstüzt , ja sie
können in diesem Fall von selbst oder unter Anwendung einer leichten
Compression und Betupfen mit Höllenstein heilen. In hartnäckigen Fäl-
len, namentlich wenn ein langer enger Fistelgang besteht, muss man
BRUSTDRUESENGESCHWUELSTE. 183
diesen spalten, oder mit einem dünnen Stückchen Höllenstein oder einem
glühenden Drahte in seiner ganzen Ausdehnung berühren.
BrUStdrÜSengeSChwiÜSte. Die Brustdrüse kann nicht allein
der Siz der verschiedenartigsten Geschwülste sein, sondern diese kommen
auch sehr häufig in ihr vor. Der Grund dieser Häufigkeit ist ohne Zwei-
fel in der unregelmässigen , oft unterbrochenen oder gar nicht zur Ent-
wicklung gekommenen Function der Mamma , zum Theil wohl auch in
ihrer exponirten Lage zu suchen. Die hauptsächlichsten Geschwülste der
Brustdrüse sind : l) Hypertrophie der Brüste. Diese kann eine
partielle oder totale sein , und bald mehr das umhüllende Bindegewebe,
oder die Drüsensubstanz oder beide Gewebe zugleich betreffen und da-
durch verschiedene Vergrösserungszustände der Brüste zur Folge haben.
Die Hypertrophie des Bindegewebes der Brustdrüse, wel-
che die sogenannten chronischen Geschwülste der Mamma bildet , wird
häufig mit dem Scirrhus verwechselt , indem sie auch harte Knoten dar-
stellt ; indessen zeigen diese nicht ganz die Härte des Scirrhus , die Haut
über ihnen ist beweglich , sie sind deutlich gelappt , lassen sich von der
Brustdrüse ein wenig erheben und sind ganz schmerzlos. Diese partielle
Hypertrophie kommt vorzugsweise bei jungen Frauen vor und bleibt nicht
selten nach einer Entzündung der Mamma zurück oder bildet sich auf
Grund einer schleichenden Exsudation. Unter gehöriger Regelung der
Diät und der Menstrualfunctionen und der Anwendung von Blutegeln,
zertheilenden Salben , der Compression werden diese Geschwülste nicht
selten , wenn gleich oft erst nach längerer Anwendung zur Heilung ge-
bracht. — Die Hypertrophie des Drüsengewebes betrifft ent-
weder die ganze Drüse , und diese kann eine Grösse erreichen , dass sie
bis auf den Bauch oder noch tiefer herabhängt , oder sie macht sich nur
an einzelnen Lappen oder Läppchen der Drüse geltend, in welchem Falle
sie verschiedene Metamorphosen durchlaufen kann. Leztere Form von
Hypertrophie erscheint bald als eine einfache Vermehrung der Drüsen-
substanz und des interstitiellen Bindegewebes, bald macht sich eine cysten-
artige Formation bemerklich, indem eine Erweiterung der Drüsenbläschen
und Milchkanäle stattfindet, wobei eine schleimige oder colloidartige Masse
mit Epithelialzellen , Cholestearinplättchen etc. , oder polypenähnlichen
Wucherungen in ihrem Innern enthalten sind. Nach dieser verschiedenen
Bildung können diese Geschwülste eine sehr verschiedene Grösse , Form
und Consistenz darbieten ; die Grösse kann wechseln von der einer Hasel-
nuss bis zu der eines Menschenkopfes ; die Form eine einfache, mehr oder
weniger rundliche, glatte oder höckerige, die Consistenz eine feste, selbst
harte , oder eine weiche , fluctuirende, ähnlich einer Balggeschwulst, sein.
Dieses verschiedene Verhalten der in Rede stehenden Geschwülste hat
ihnen verschiedene Namen verschafft: J. Müller nennt sie Cystosar-
coma mammae, Chelius Carcinoma hydatides, Birkett
184 BRUSTDRUESENGESCHWUELSTE.
varicöse Erweiterung der Milchgänge etc. — Diese Ge-
schwülste unterscheiden sich vom Krebse durch ihre gelappte Gestalt, die
geringere Harte, ihre Beweglichkeit, ihr Vorkommen zur Zeit der Puber-
tätsentwicklung, ihre glatte scharfe Begrenzung, das Fehlen der der krebs-
haften Entartung eigenthümlichen Schmerzen, so wie überhaupt eines tie-
feren Leidens. — Eine wesentliche Disposition zur Entstehung dieser
immer gutartigen hypertrophischen Zustände liegt in dem sympathischen
Verhältnisse der Brüste zum Uterus, so dass Störungen in den Functionen
dieses Organes häufig zu Brustdrüsenhypertrophie Anlass geben , wohin
die Fälle gehören , wo nach Unterdrückung der Menstruation oder nach
dem Aufhören derselben in späteren Jahren der hypertrophische Zustand
sich entwickelt. Zuweilen geben Verlezungen, namentlich Quetschungen,
oder Reizungen der Brüste durch geschlechtliche Aufregung zur Hyper-
trophirung Anlass. — Behandlung. Diese muss sich vor allem die
Entfernung der veranlassenden Ursache zur Aufgabe machen ; es muss
daher die unterdrückte Menstruation wieder hergestellt , abnorme Reiz-
zustände der Geschlechtsorgane müssen beseitigt werden etc. Nächstdem
zieht man bei entzündlichem Zustande Blutentziehungen , kalte Fomen-
tationen , kühlende Abführmittel , die methodische Compression , bei ab-
normer Fettbildung Jod innerlich und äusserlich, bei geschlechtlicher Auf-
regung Kampher in Gebrauch. Kommt man mit diesen Mitteln nicht zum
Ziele , so bleibt die Exstirpation der erkrankten Theile , bei sehr grosser
Ausdehnung aber der ganzen Mamma als leztes Mittel übrig. Bei Hyper-
trophie der ganzen Brust umkreist man nach Dieffenbach die Brust-
drüse mit einem am untern Rande geführten halbkreisförmigen Schnitte,
löst die Drüse, schneidet eine dicke Lage ab und lässt erstere wieder an-
heilen. — 2) Fettgeschwüls t.e. Diese finden sich bald im ganzen
Umfange der Brustdrüse und zwischen den einzelnen Lappen derselben,
so dass sich dieser Zustand der Fetthypertrophie nähert , bald in dem
unter der Drüse befindlichen Bindegewebe , bald im Umfange der Brust
und erreichen zuweilen eine bedeutende Grösse. Die Exstirpation ist hier
das einzige Mittel, wobei man nach Dieffenbach bei unter der Drüse
gelegenen Lipomen auf die oben angegebene Weise verfährt. — 3) F a-
sergeschwülste kommen äuserst selten in der Brustdrüse vor. —
4) Knorpel- und Knochengeschwülste werden gleichfalls selten
beobachtet. Sie charakterisiren sich durch eine grössere Consistenz und
scharfe Begrenzung und ihre Exstirpation bietet deshalb keine Schwierig-
keit dar. — 5) Balggeschwülste. Es finden sich die verschieden-
artigsten Formen dieser Geschwülste (s. Cysten), welche oft eine sehr
bedeutende Grösse erreichen. Ihre Behandlung geschieht nach allgemei-
nen Regeln und ihre Exstirpation ist leicht auszuführen. — 6) Krebs.
Unter allen Geschwülsten der Brustdrüse ist der Krebs am häufigsten, wie
er auch in keinem Organe häufiger als in der Brustdrüse vorkommt. Er
befällt vorzugsweise die weibliche Brust, doch kommt er auch bei Man-
BRUSTWARZENDECKEL.
185
nern vor. Er tritt als harter und weicher Krebs mit mannichfaltigen Zwi-
schenstufen und zwar bald in der Drüse selbst, bald im Umhüllungsgewebe,
seltener an der Brustwarze auf und zeigt alle charakteristischen Eigen-
schaften des Krebses im Allgemeinen (s. Krebs). Der harte Krebs wird
häufiger als der weiche beobachtet ; nicht selten combiniren sich beide
Formen mit einander oder gehen in einander über, so dass .sie nicht scharf
von einander getrennt sind ; auch combiniren sich mitunter gutartige Ge-
schwülste mit Krebs. — Eines der constantesten Symptome des Brust-
krebses ist die Anschwellung der Achseldrüsen; diese tritt ge-
wöhnlich ein, sobald der Erweichungsprocess in der Geschwulst beginmt;
demnächst erfolgt die Verwachsung der Geschwulst mit ihren Um-
gebungen und die Anwesenheit lancinirenderSchmerzen in der-
selben. — Der Brustkrebs befällt häufiger ältere als jüngere Frauen,
zeigt sich namentlich in der Periode der Decrepidität und bei unfrucht-
baren Frauen. Nicht selten findet Erblichkeit statt. — Das einzige
Hülfsmittel beim Brustkrebse ist die Operation , nur muss sie nicht zu
spät vorgenommen werden. So lange die Krebsgeschwulst noch streng
abgegrenzt , auf dem Brustmuskel noch beweglich ist und die Achseldrü-
sen noch nicht in Mitleidenschaft gezogen sind , so dass die Möglichkeit
gegeben ist , dass alles Kranke entfernt werden kann , so lange darf man
sich der Hoffnung hingeben, eine radicale Heilung herbeizuführen. Man
sollte daher mit der Operation nicht zögern, sobald man eine Brustge-
schwulst als krebsartig erkannt hat. Bei weiter vorgeschrittenem Krebse
muss man sich fast immer auf Recidive gefasst machen. Gleichwohl
können unter solchen Umständen heftige Schmerzen, Blutungen aus einem
aufgebrochenen Carcinom , schwammige Wucherungen desselben etc. die
Operation noch erheischen ; es gelingt dadurch nicht selten , solche Pa-
tienten noch eine Reihe von Jahren bei einem erträglichen Wohlbefinden
zu erhalten. Nehmen während der Wundheilung einzelne Wundstellen
ein verdächtiges Aussehen an , so wendet man die beim Krebs angegebe-
nen Aezmittel an. Erkranken die Narben , so schneidet man sie alsbald
aus. — Ist wegen zu grosser Ausbreitung des Brustkrebses oder tiefer
körperlicher Zerrüttung keine Operation mehr möglich , so kann es sich
nur davon handeln , die oft unerträglichen Schmerzen durch eine grosse
Reinlichkeit und geeignete Mittel zu mildern; unter lezteren sind na-
mentlich Kataplasmen , denen man narkotische Substanzen beisezt , zu
nennen ; folgender Umschlag von Halle wird besonders gerühmt : man
kocht Leinsamenmehl , Karottenbrei und Karottensaft , sezt nach dem
Kochen ^ß Schweinefett hinzu und streut auf jeden warmen Umschlag
^j Pulv. herb, cicutae. Dieser Umschlag wird alle 6 Stunden er-
neuert.
BrUStwarzendeckel, Brusthütchen, sind Fingerhutähn-
liche Instrumente , welche zum Schuze entzündeter oder wunder Brust-
186 BRUSTWARZE.
warzen benuzt werden und aus Holz, Hörn, Elfenbein, Glas, Blei, Blech,
Silber , Kautschuk und Gutta percha gefertigt werden. Die besten sind
die aus decalcinirtem Elfenbein und aus Gutta percha.
Brustwarze, Krankheiten derselben. Die Brustwarze
mit dem Warzenhofe ist nicht selten der Siz von Entzündungen, von Ex-
coriationen und Schrunden, so wie, jedoch höchst selten, eines Epithelial-
krebses.
Die Entzündung der Warze und des Warzenhofes kommt nur
bei säugenden Frauen vor und ist in der Mehrzahl der Fälle die Folge
von Excoriationen , die sich gern beim Säugungsgeschäft entwickeln.
Häufig geht diese Entzündung in die der Brustdrüse über. Die Behand-
lung besteht in der der genannten Excoriationen. Kommt man zeitig
dazu, so wendet man einige Blutegel an, welche jedoch nicht auf den ent-
zündeten Warzenhof selbst, sondern in dessen Nähe zu sezen sind. Tritt
Eiterung ein, so bilden die Abscesse deutliche Hervorragungen, welche
in der Regel die Grösse einer Nuss nicht überschreiten, die Haut darüber
ist glatt , ein wenig gespannt , bläulich gefärbt. Comprimirt man die
Mamma , so tritt eine solche Hervorragung noch stärker hervor und der
Finger entdeckt Fluctuation. Diese Abscesse können in der Drüse sizen,
aber auch von einer Phlegmone circumscripta zwischen den gegen
die Warze convergirenden grösseren Milchgängen herrühren. Im lezteren
Fall wird der Schmerz durch das Säugen des Kindes nicht gesteigert,
auch kann das Säugen fortgesezt werden , da sich der Eiter der Milch
nicht beimischt. Die Entwicklung dieser Abscesse geht in der Regel so
schnell von statten , dass sie kaum bemerkt wird. Man begünstigt ihre
Zeitigung durch die Anwendung erweichender Kataplasmen und öffnet
sie , sobald Fluctuation wahrgenommen wird. Der Natur überlassen,
unterminirt der Eiter die Haut in grösserem Umkreise , wodurch die Hei-
lung bedeutend verzögert wird.
Das W u n d s e i n der Brustwarze besteht entweder in einfachen Ex-
coriationen oder in mehr oder minder tiefen Rissen oder Schrunden,
welche sich meist in der ersten Zeit des Säugens bei jungen Frauen mit
zarter Haut und hellem Teint entwickeln. Der Grund ihrer Entstehung
liegt in dem wiederholten Anlegen der Kinder, in mangelhafter Reinlich-
keit, und eine zu geringe Warze begünstigt ihr Auftreten. Der Siz die-
ser Schrunden ist vorzugsweise die Grenze zwischen der Warze und dem
Warzenhofe , seltener der vordere Theil der Warze , noch seltener der
Warzenhof allein. Sie gewinnen sehr schnell eine bedeutende Tiefe,
namentlich wenn der Säugling sehr gierig ist : dann bluten sie auch , be-
sonders während des Säugens sehr reichlich ; sie verursachen ausserordent-
liche Schmerzen , so dass die Frauen beim Beginne des Säugens oft laut
aufschreien. Man sucht das Wundwerden durch Waschungen mit Salz-
wasser , Rothwein , verdünntem Branntwein , Tanninlösungen und anderen
BUBO. • 187
Adstringentien zu verhüten. Sind die Warzen aufgesprungen, so leisten
Perubalsam, Alaun, eine Auf losung von Borax 0j aufAq. rosarum 5j),
namentlich aber eine starke Höllensteinlösung (gr. x auf ^j Aq.) oder das
Betupfen mit Höllenstein (2 — 3 Mal täglich) gute Dienste; auch das
Bestreichen mit Collodium , das Aufkleben eines Goldschlägerhäutchens
mittels Collodium (nach Reclam), so wie die Salbe von Huf el an d
(Rp. Gummi arabici 5ij , B a ls. per u vi an. 5j , O 1. amy gdal.
dulc. 5jß, A q. rosar. ^j M.) erweisen sich nüzlich.
Der Krebs der Brustwarze wird nach allgemeinen Regeln behan-
delt.
Bub 0 (ßovßcov , die Leisten) , Panochia, Leistenbeule,
Drüsenbeule in den Leisten, Pauke. Bubo bezeichnet im
Allgemeinen eine jede entzündliche Anschwellung der lymphatischen Drü-
sen, im Besondern eine Drüsenanschwellung in der Leistengegend. Be-
züglich der Symptome, des Verlaufes, der Ausgänge und Behandlung die-
ses Uebels siehe den Art. Lymphdrüsenkrankheiten. — Am
häufigsten kann der Bubo mit einem Leisten - oder Schenkelbruche ver-
wechselt werden , besonders wenn dieser alt , verwachsen und irreponibel
ist. Die diagnostischen Merkmale sind : der Bruch entsteht meist plöz-
lich nach einer gewaltsamen Anstrengung des Körpers , vergrössert sich
beim Husten , Niesen , Brechen etc. , ist nicht selten mit Verdauungsbe-
schwerden, Kollern und ziehenden Schmerzen im Leibe verbunden und
steht durch Darm , Nez oder ein anderes Eingeweide mit der Unterleibs-
höhle in einer sichtbaren Verbindung ; seine Geschwulst ist gewöhnlich
glatt, rund , elastisch , vermindert sich , wenn er nicht entzündet und ver-
wachsen ist , durch horizontale Lage. Ein Bubo entsteht dagegen ge-
wöhnlich langsam, wächst nur allmälig, ist hart, uneben , lässt sich etwas
verschieben und steht mit den nahegelegenen Lymphgefässen in einer
sichtbaren Verbindung. Beim Leistenhoden findet man den entsprechen-
den Hodensack leer. — In Betreff ursächlicher Verhältnisse unterscheidet
man den Bubo insons s. benignus von dem Bubo venereu s.
Dieser ist ein Symptom der Syphilis (s. diesen Artikel) , jener tritt als
Symptom verschiedener anderer Krankheiten, welche nicht allein seine
Entstehung bedingen , sondern auch seinem ferneren Verlauf eine be-
stimmte Richtung geben, auf. Man nimmt folgende Formen an: 1)
Bubo crescentium, Wachsbeule, eine wenig schmerzhafte be-
wegliche Leistendrüsenanschwellung zur Zeit der Pubertät bei schnell-
wachsenden jungen Leuten ; verschwindet bei ruhigem Verhalten von
selbst. 2) Bubo scrophulosus, Symptom der Scrophelkrankheit,
wonach sich die Behandlung richtet. 3) Bubo catarrhalis et
rheumaticus entsteht gewöhnlich nach Erkältung der Füsse , verläuft
als ein entzündliches Leiden, seltener als ein chronisches, zur Drüsenver-
härtung dann hinneigend. Antiphlogistische Diät, ruhiges , warmes Ver-
188 • CARBUNKEL.
halten reicht oft zur Heilung dieses Uebels hin ; zuweilen fordert es auch
eine allgemeine und örtliche antiphlogistische Behandlung. 4) B u b o
metastaticus et criticus kommt als solcher oft nach exan thema-
tischen Fiebern, z. B. Pocken, Scharlach vor, und ist dann häufig kritisch,
aber auch nach nervösen , typhösen , z. B. der Pest. Man muss in der
Regel diesen Bubo frühzeitig in Eiterung zu sezen suchen und bald öff-
nen. 5) Bubo sympathicus; durch Fortpflanzung einer krankhaften
Reizbarkeit der Lymphgefässe erscheint diese Anschwellung in den Leisten-
drüsen sehr häufig beim Tripper , bei Geschwüren an den Unterschenkeln,
in den Achseldrüsen nach Einimpfung der Pocken. Nur durch Vernach-
lässigung , Erkältung , Anstrengungen entzünden sich die Drüsen heftig
und erfordern dann eine antiphlogistische Behandlung , durch Blutegel,
Mercureinreibungen , Bleiwasserumschläge etc. ; in der Regel erfolgt die
Zertheilung bei ruhigem Verhalten. 6) B üb o gangraen o sus ent-
steht entweder in einem dyscrasischen Subjecte , nach Missbrauch des
Quecksilbers , bei epidemisch herrschendem Hospitalbrande , oder nach
einer sehr heftigen , namentlich erysipelatösen Entzündung der Leisten-
drüsen, und nimmt dann schnell einen grossen Umfang ein, wobei die be-
nachbarten Theile mit zerstört werden. Die Behandlung ist wie beim
Brand; namentlich haben sich Boraxiösungen (5j — ij auf ^j Wasser)
als Umschlag sehr hülfreich erwiesen ; vor Allem sind frühzeitige Ein-
schnitte angezeigt.
c.
CARBUNKEL, Brand schwär, Carbunculus benig-
nus, Anthrax. Dieser besteht in einer Entzündung der in die Maschen
der Lederhaut eindringenden Fortsäze des Unterhautbindegewebes , wo-
wodurch diese anschwellen, bald aber , von der widerstehenden Lederhaut
eingeschnürt, absterben. Er stellt sich anfangs als eine kleine Geschwulst,
als eine Art Knoten in der Haut dar, die sehr hart, rund, oft wenig er-
haben ist , bald aber zu dem Umfange eines Kronenthalers bis zu dem
eines Tellers anwächst. Die Haut darüber ist anfangs dunkelroth , geht
aber bald ins Blaue oder Bräunliche , bei Greisen selbst ins Schwarze
über ; die anfangs gelinden Schmerzen werden später unerträglich bren-
nend , wie eine glühende Kohle , woher der Name des Uebels. Die Ge-
schwulst bleibt lange hart , ihre Erweichung zeigt an , dass in der Tiefe
Brand eingetreten ist. Gegen den 6. — 8. Tag erscheinen auf den am
meisten gespannten Punkten gelbe Bläschen, welche plazen und eine dünne
Flüssigkeit ergiessen ; durch das Plazen dieser Bläschen entstehen nun
mehrere Löcher auf der Spize der Geschwulst , durch welche man Fezen
CARBUNKEL. 189
abgestorbenen Bindegewebes erblickt. Aus diesen Löchern , welche all-
mälig grösser und zahlreicher werden , ergiesst sich ein schlechter Eiter,
ohne dass die Geschwulst im Geringsten zusammenfiele oder die Schmer-
zen nachliessen ; die Haut kann aber auch in ihrer ganzen Ausdehnung,
so weit sie die Geschwulst bedeckt, brandig werden ; tritt dieser Fall ein,
so stirbt auch das Unterhautbindegewebe unter ekelhaftem Gestank ab.
Mit diesen örtlichen Zufällen geht meistens eine allgemeine Reaction
Hand in Hand, welche sich nach der Empfindlichkeit des Individuums und
nach dem Size und der Grösse des Carbunkels richtet. Sizt er am Kopfe
oder am Halse, so sind die allgemeinen Zufälle am heftigsten ; am häufig-
sten zeigt er sich am Rücken in der Gegend der Schulterblätter. Bleibt
der Carbunkel sich selbst überlassen , so vergrössern sich die Oeffnungen
immer mehr, so däss die abgestorbenen Gewebetheile austreten können,
die Eiterung wird besser und am Ende tritt Heilung ein. Zuweilen geht
aber auch die Umgebung des Carbunkels in Verjauchung über, es findet
Resorption der Jauche statt und diese, so wie die anhaltenden Schmerzen,
Appetit- und Schlaflosigkeit führen den Tod unter colliquativen oder ty-
phösen Erscheinungen herbei. — Der Carbunkel zeigt sich besonders im
Sommer und Frühjahr, meistens bei Erwachsenen und bei solchen Per-
sonen, die durch Alter, Schwäche und Elend gebeugt sind. Reizende
Salben , Unredlichkeit , Blasenpflaster etc. können die Entwicklung der
Carbunkel begünstigen ; ausserdem entstehen diese zuweilen im Gefolge
von Ausschlagskrankheiten, der Masern, Blattern, im Typhus. — Die
Prognose ist günstig bei guter Constitution , bei Carbunkeln von mas-
sigem Umfange, welche nicht am Kopfe oder Halse sizen, denn bei diesen
ist die Prognose immer zweifelhaft. — Behandlung. Der Versuch,
den beginnenden Carbunkel gleich einer phlegmonösen Entzündung durch
reichliche Blutegel, Schröpfköpfe im Umkreise der Geschwulst, kalte Um-
schläge zu zertheilen, wird wohl selten gelingen. Bei dem ausgebildeten
Carbunkel handelt es sich davon , eine gutartige Entzündung herbeizu-
führen, der Einschnürung der Theile Schranken zu sezen und der Jauche
und den abgestorbenen Geweben einen freien Austritt zu verschaffen ;
dies geschieht am zweckmässigsten durch einen gehörig tiefen , über die
Circumferenz und den Boden der Geschwulst hinausreichenden Kreuz-
schnitt. In den ersten Tagen nach der Spaltung macht man einfache
Breiumschläge , später legt man in die Einschnitte Charpie , welche mit
Terpentinöl befeuchtet oder mit Digestivsalbe bestrichen ist, und darüber
einen Umschlag von Leinmehl oder ätherischen Kräutern. Bei bedeuten-
der brandiger Zerstörung wendet man , um den Abstossungsprocess des
Brandigen zu befördern und die Weiterverbreitung des Brandes zu hin-
dern, Kalkwasser, Holzessig, Chlorkalklösung, Kreosot , Cauterisation mit
Säuren oder dem Glüheisen an. — Die allgemeine Behandlung ist nach
Umständen leicht antiphlogistisch und antigastrisch , die Kräfte unter-
stüzend während der eiterigen Abstossung des Brandigen.
190 CASTRATION.
CälieS s. Knochenschwärung.
Gastratl021, Exstirpation des Hodens, Entmannung.
Man versteht hierunter diejenige chirurgische Operation, mittels welcher
einer oder beide Hoden aus dem organischen Zusammenhange getrennt
werden. Diese sehr schmerzhafte Operation ist, wenn sie bei krebshafter
Degeneration gemacht ist , von sehr zweifelhaftem Erfolge , indem nicht
selten Recidive folgen. Nur wenn das Uebel noch nicht lange besteht,
die Folge einer äussern Gewaltthätigkeit ist, mit keinem Allgemeinleiden
in Verbindung steht, und alles Entartete entfernt werden kann, ist der
günstige Erfolg wahrscheinlicher. Geradezu contraindicirt ist die Ope-
ration bei fortbestehendem Allgemeinleiden , von dem die Krankheit des
Hodens abhängt , wenn die nahe gelegenen Drüsen angeschwollen sind,
wenn bei gleichzeitigem Erkranktsein des Samenstranges die Verhärtung
desselben sich so hoch hinauf erstreckt , dass die Excision im Gesunden
nicht möglich ist. Man muss aber wohl prüfen , ob der Samenstrang
selbstständig oder sympathisch erkrankt ist, im lezten Fall ist er überall
gleichmässig dick , aufgewulstet , nicht hart , wird gegen den Bauchring
allmälig dünner, und wenn an ihm. Ungleichheiten und Höcker sind, so
rühren diese von aufgetriebenen Samenstranggefässen her ; er ist frei von
den eigenthümlichen stechenden Schmerzen und die Schmerzen desselben
werden durch Unterstüzung des Hodens gemindert. Der so sympathisch
erkrankte Hoden contraindicirt die Operation nicht. Bei sarkomatöser
Entartung des Hodens , copiöser Absezung plastischer Lymphe in dem
Gewebe des Hodens und bei abnormer Gefässentwicklung soll die Art.
spermatica interna unterbunden werden (s. den Art. Unterbin-
dung der Ge fasse); in Beziehung zu diesem Verfahren steht auch
die Durchschneidung des Samenstranges mit Zurücklassung des Hodens,
welcher sodann zusammenschrumpft ; das Gleiche geschieht , wenn das
Vas deferens unterbunden und durchschnitten oder ein Stück von
ihm ausgeschnitten wird. — - Die Exstirpation des Hodens geschieht fol-
gendermassen : Die Haare der betreffenden Theile werden abrasirt , der
Kranke horizontal auf einen Tisch gelegt, eine Querfalte über den Samen-
strang in der Richtung desselben wird eingeschnitten und dieser Schnitt
auf der Hohlsonde über den Bauchring und bis in den Grund des Hoden-
sackes erweitert. Das den Samenstrang umgebende Zellgewebe wird
durch einige an den Seiten desselben verlaufende Langenschnitte ge-
trennt, der Samenstrang in die Höhe gehoben und dadurch das an seiner
untern Fläche noch festsizende Zellgewebe gespannt. Dieses durchsticht
der Operateur mit dem flachgehaltenen Bistouri , bringt den Zeigefinger
der linken Hand in diese Oeffnung und trennt den Samenstrang bis zum
Bauchringe von dem Zellgewebe los. Indem man nun den Hoden in die
Höhe hebt, um die Spannung des Samenstranges zu vermindern, fasst ein
Gehülfe den Samenstrang oberhalb der Stelle, wo er abgeschnitten werden
CATHETER. 191
soll, der Operateur unterhalb dieser Stelle und schneidet ihn quer auf 2/3
seiner Dicke durch , worauf man die Art. spermatica und den Ast
der Art. epigastrica, welcher im Samenstrange verläuft, unterbindet,
und nun die völlige Trennung des Samenstranges vollendet. Der Hoden
wird aus seinem Sacke ausgeschält , wobei man die Verlezung der Harn-
röhre und der Scheidewand des Scrotums zu vermeiden hat. Alle bluten-
den Gefässe unterbindet man sogleich. Ist der Samenstrang soweit gegen
den Bauchring entartet , dass ihn der Gehülfe nicht mehr festhalten
kann , so lege man nach Isolirung des Samenstranges um denselben eine
Ligatur, welche man auf einem Holzplättchen zusammenbindet, halte da-
mit den Samenstrang, bis die Arterie isolirt unterbunden ist und entferne
dann die erste Ligatur, indem man sie auf dem Holzplättchen durchschnei-
det; eine totale Unterbindung wird gleichfalls vorgenommen, wenn man
beim Einschneiden des Samenstrangs viele kleine Arterienzweige vorfindet,
die man nicht alle einzeln unterbinden kann. Nur schnüre man hierbei
die Ligatur möglichst fest zusammen , weil dadurch allein den heftigen
Zufällen, welche die Unterbindung der Nerven bedingt , vorgebeugt wer-
den kann. Erstreckt sich die Entartung des Samenstranges so hoch, dass
er diesseits des Bauchringes nicht im Gesunden abgeschnitten werden
kann , so werde der Leistenkanal eingeschnitten und der gesunde Theil
des Samenstranges getrennt. Nach verrichteter Exstirpation reinigt
man die Wunde , legt das Ende des Samenstranges der Länge nach in
dieselbe und befestigt die Ligaturen mit einem Heftpflasterstreifen. Die
Wunde wird mit 3 — 4 blutigen Heften und Heftpflasterstreifen vereinigt,
mit zarter Charpie und Compresse bedeckt und mit einer T Binde fest-
gehalten. Entdeckt man nach dem Verbände blutende Gefässe, so müs-
sen sie unterbunden werden. Stellt sich Trismus und Tetanus ein , so
muss man die Ligatur losschneiden. — Eine weitere Operationsmethode
ist , den Hoden sammt seiner Hodensackhälfte mit einem Schnitt wegzu-
nehmen. — Auch mit der galvanocaustischen Schneideschlinge (s. E 1 e c-
trotherapie) ist der Hoden weggenommen worden.
CataplaSHia, s. Breiumschlag.
Catlieter (von xa&tqfiiSj hinablassen). Vor Alters bezeichnete
man damit jedes Instrument, welches bestimmt war, in irgend einen zu-
fälligen oder natürlichen Kanal eingeführt zu werden. Gegenwärtig ver-
steht man nur Instrumente darunter , welche in verschiedener Absicht in
die Tuba Eustachii und durch die Harnröhre in die Blase eingeführt
werden. Sie stellen cylinderförmige, verschiedentlich dicke, gerade oder
gekrümmte Röhren dar , welche entweder unbiegsam oder elastisch , und
im ersten Falle am besten von Silber, im zweiten aus Kautschuk oder
Gutta percha bereitet sind. — Der Catheter der Eustachischen
Trompete ist eine Röhre von 6 Zoll Länge, von der Dicke einer Raben-
feder bis zu der einer Gänsefeder , von durchgängig gleichem Kaliber;
192
CATHETER.
hinten ist die Röhre trichterförmig ausgeweitet , um das Rohr einer In-
jectionssprize aufzunehmen , und mit einem oder zwei Ringen versehen,
um die Richtung der gebogenen Spize wahrzunehmen. Er ist verschieden
gekrümmt : an dem vordem abgerundeten Ende ist 1 1 a r d ' s Catheter in
der Ausdehnung von 5 Linien in einem Winkel von 144 ° gebogen,
Boy er 's in einem von 13 6°, Delau's in einem von 100 — 105°.
Kuh 's Catheter ist 6 — 8 Linien lang im Winkel von 130 — 135° ge-
bogen, Gairal's 2 Zoll im Winkel von 145°. Mo eil er' s Catheter
sind von 4 — 5V2 Zoll lang, 3/i — 1 V4 Linien dick und 5 — 7 Linien
lang im Winkel von 135 — 140° gebogen. Saissy's Catheter ist
S förmig gekrümmt , der von W a t h e n wird nach vorn allmälig dünner
und endigt mit einem durchbohrten Knopfe , C 1 e 1 a n d dagegen empfahl
flexible silberne Catheter. D e 1 e a u bediente sich Kautschukröhren mit
einem silbernen Ansazstücke und Kuh wendet entweder ein feines Me-
tallröhrchen , über welches eine Gummiröhre verschiebbar ist , oder einen
gewöhnlichen silbernen Catheter als Conductor an, in welchem eine Kaut-
schukröhre vorgeschoben werden kann , Wolf verfährt umgekehrt und
D e 1 e a u nahm einen silbernen Stift zum Leiter. L i n c k e hat einen
halb silbernen , halb aus Kautschuk gefertigten Catheter , der mit Hülfe
eines eisernen Conductors eingeführt wird. Der Schnabel des Catheters
darf weder zu kurz noch zu lang sein ; die Weite des Catheters braucht
1 1/.2 Linien nicht zu übersteigen ; doch ist es gut , wenn man mehre Ca-
theter von verschiedener Stärke und Biegung zur Hand hat. Der feste
silberne Catheter verdient vor dem flexiblen den Vorzug. — Der Ca-
theter der Harnwege richtet sich in seiner Grösse und Form
nach Geschlecht , Alter und Grösse der Person , für welche er bestimmt
ist. Für erwachsene Personen weiblichen Geschlechts betrage die Länge
6, für Mädchen 4 — 5 Zoll; für erwachsene Männer 10 — 11 Zoll, für
die verschiedenen Alter der Kindheit 5 — 7 Zoll. Die Dicke ist eben-
falls verschieden; für Weiber 2 Linien, für Mädchen l1/^ Linien, für
Männer 2^/3, für jüngere Personen l1/^ Linien. Der gewöhnliche männ-
liche Catheter ist zu zwei Dritttheilen seiner Länge gerade und zu einem
Dritttheile gekrümmf. Diese Krümmung, welche das vordere oder Blasen-
ende einnimmt , entspricht dem Abschnitte eines Kreises , dessen Durch-
messer 6 Zoll beträgt ; für Abweichungen der Harnröhre , wie sie häufig
bei Greisen vorkommt , bedient man sich (nach M e r c i e r) mit Vortheil
ein- und zweifach kreisförmig gebogener Catheter , d. h. Catheter , von
denen der einfach gebogene ganz gerade und nur 5 3/4 Linien von seinem
Blasenende in einen stumpfen Winkel von 110° umgebogen ist , während
der zweifach gebogene eine erste Knickung wie der vorige, aber nur 39/10
von seinem Ende , dann aber noch eine zweite , etwas stumpfwinkligere
von 110°, lO1/^ Linien von der ersten Biegung entfernt, hat; eine andere
Art von männlichem Catheter ist ganz gerade , oder nach B e r t o n an
seinem vordem Ende sehr wenig gebogen. Die weiblichen Catheter sind
CATHETEßISMÜS. 193
gerade und nur vorn 1 — 1V2" ^ang schwach gebogen. Das hintere Ende
der metallenen Catheter ist zu beiden Seiten mit Ringen versehen , an
dem vordem Ende, welches in der Regel conisch abgerundet ist, befindet
sich an der einen Seite eine gehörig grosse und sorgfältig abgerundete
Oeffnung. Die AVandungen des Catheters dürfen nicht zu dünn , seine
äussere Oberfläche muss gehörig glatt und polirt und jeder Catheter mit
einem in seine Höhle passenden silbernen oder eisernen Drahte (D o k e,
Mandrin) versehen sein. — Cloquet hat einen doppelläufigen Ca-
theter angegeben , welcher bei Einsprizungen in die Blase benuzt wird.
Zur Ueberwindung von Hindernissen in der Harnröhre (Verengerungen)
bedient man sich silberner (Boy er) oder zinnerner (Mayor), mit einem
conischen oder spizen Ende versehener Catheter, dessen Wandungen sehr
dick und deren Spize solid ist.
CatheterismUS, Catheter isiren, bezeichnet die kunstge-
mässe Einführung des Catheters in eine natürliche Oeffnung des Körpers,
eine Operation , welche je nach der Stelle der Einführung wesentliche
Verschiedenheiten zeigt. — Der Catheterismus der Eustachi-
schen Trompete wird vorgenommen zur Diagnose der Krankheiten
dieser Röhre so wie des mittleren Ohres, zur Ausführung von Injectionen
von Wasser, Luft oder Dämpfen in dasselbe und zur Application der che-
mischen oder dynamischen Mittel zur Heilung der Stricturen der Tuba.
Die Einführung des Catheters kann durch das Nasenloch der entsprechen-
den Seite, durch das Nasenloch der gegenüberliegenden Seite und durch
den Mund geschehen. Der Kranke sizt dabei dem Lichte gegenüber,
mit etwas zurückgebeugtem Kopfe, der im Nothfalle von einem Gehülfen
fixirt wird. Bei der Einführung des Catheters durch das
Nasenloch der entsprechenden Seite ergreift der Operateur
den vorher eingeölten oder in warmes Wasser getauchten Catheter mit
seiner Rechten an seinem hintern Ende wie eine Schreibfeder so, dass die
Concavität des Instrumentes abwärts gekehrt ist , führt den Schnabel in
das bestimmte Nasenloch ein , wobei er die Sonde schräg nach oben
richtet , und schiebt diese parallel mit der Nasenscheidewand unter fort-
währendem Senken ihrer Spize fort , bis dieselbe den Boden der Nasen-
hohle berührt und hinter das Velum p a 1 a t i n u m hinabgleitet , was
man deutlich fühlt. Jezt liegt die Sonde parallel mit dem Boden der
Nasenhöhle und wird ohne Schwierigkeit bis an die hintere Rachenwand
vorgeschoben , wo man , bei Erwachsenen etwa in der Entfernung von
3 Zoll von der äusseren Nasenöffnung, den Widerstand dieser Wand fühlt.
Nun gibt man dem Schnabel eine kleine seitliche Drehung nach aussen,
legt die hintere Partie der Sonde an die Nasenscheidewand an und zieht
sie V2 — 3/4 Linie weit zurück , während die Spize die seitliche Rachen-
wand nicht verlässt, worauf diese von der hintern Wand des Gaumen-
segels (in Folge einer durch die Berührung mit der Sonde erzeugten
Bürger, Chirurgie. 13
194 CATHETERISMUS.
Schlingbewegung) über den hintern rundlichen Wulst der Mündung der
Eustachischen Trompete weggedrängt und während einer in diesem Augen-
blicke der Sonde mitgetheilten Drehung nach aussen oft mit einer ziem-
lichen Gewalt in die Mündung dieser Röhre eingeführt wird. Verfehlt
man diese , so muss das Manöver wiederholt werden. Die elastischen
Catheter werden auf die gleiche Weise eingeführt, und wenn sie in die
Tuba eingedrungen sind, zieht man den Leitungsdraht zurück. Mehrere,
wie Itard, Gairal, Lincke u. A. messen vor der Einbringung der
Catheter die Entfernung der Zähne vom weichen Gaumen, um danach die
Entfernung der Tubamündung von der vordem Nasenöffnung zu bestim-
men. — Ist das Instrument eingeführt , so hält man es auf den Fingern
der linken Hand zugleich mit dem Nasenflügel fest und legt den kleinen
Finger auf die Stirn des Kranken ; auf diese Weise folgt die Hand jeder
Bewegung des Kopfes. Soll der Catheter längere Zeit liegen bleiben,
so kann ihn der Kranke halten oder man hält ihn mit eigends dazu er-
fundenen Vorrichtungen (Klammern u. dgl.) * fest. — Einführung
des Catheters durch das Nasenloch der entgegengesez-
t e n Seite. Dies geschieht nur , wenn Verengerungen u. dgl. des an-
dern Nasenloches die Einführung des Catheters durch dieses nicht erlau-
ben. Die Operation geschieht mit Deleau's Catheter, dessen äusserste
Spize 3 Linien lang etwas zurückgebogen ist , so dass der dadurch gebil-
dete Winkel gegen die convexe Seite des Schnabels zu liegt. Sobald
der Catheter 2 Zoll und einige Linien vorgedrungen ist , gibt man ihm
eine Richtung nach der zu untersuchenden Tuba. Wenn er eine horizon-
tale Richtung angenommen hat , nähert man das Instrument dem hintern
untern Rande der Nasenscheidewand und macht verschiedene Bewegungen,
um in die Oeffnung der Tuba einzudringen. K u h catheterisirt vorher
die Tuba der permeablen Seite , unl die Entfernung derselben von der
äussern Nasenöffnung kennen zu lernen. — Einführung des Ca-
theters durch den Mund. Sie ist nur, möglich bei Menschen,
welche es in ihrer Gewalt haben , das Gaumensegel sehr zusammenzuzie-
hen ; bei ihnen ist die Tubamündung sichtbar ; die genannte Eigenschaft
dürfte indessen nur sehr wenigen Menschen zukommen. — Das Eindrin-
gen des Catheters in die Tuba erkennt man an dem Festhalten desselben,
indem er weder vor - noch zurückbewegt werden kann , an dem Gefühle
des Kranken, der den Catheter im Ohre fühlt, an der Möglichkeit, eine
durch den Catheter geführte Sonde weiter vorschieben zu können, an dem
Gefühle , wenn man Luft durch den Catheter bläst , dass dieselbe in das
Ohr eindringt und ein Geräusch in diesem verursacht.
Der Catheterismus der Harnwege, welcher besonders zur
Entfernung der in der Blase zurückgehaltenen Flüssigkeiten , aber auch
um Flüssigkeiten einzusprizen und den innern Zustand der Blase zu unter-
suchen, unternommen wird, ist verschieden, je nachdem man beim Manne
oder Weibe, mit dem gebogenen oder geraden Catheter operirt, — Wenn
CATHETERISMUS. 195
man beim Manne und mit g,e bogenem Catheter operirt , so fasst
man den Penis des in der Nähe des Bettrandes mit fiectirten Schenkeln
liegenden oder auch sizenden oder stehenden Kranken mit dem Daumen
und Zeigefinger der linken Hand hinter der Eichel, ohne die Harnröhre
zu drücken. Mit der rechten Hand fasst man den beölten Catheter am
Griffe so, dass der Daumen an der der Convexität entsprechenden, Zeige-
und Mittelfinger an der andern Seite liegen, lässt diese Hand in der Nähe
des Nabels, oder bei beleibten Kranken seitlich am Bauche ruhen , senkt
die abwärts gerichtete Spize des Catheters in die gerade aufwärts gerich-
tete Harnröhrenmündung und schiebt diesen weiter gegen den Damm
hin , während man den Penis ihm entgegen- und gleichsam auf ihn her-
aufzieht , so dass also beide Hände in entgegengesezter Richtung bewegt
werden. Ist so die Spize des Instrumentes bis unter den Schambogen
(an den Bulbus) gebracht, so entfernt man den Griff so viel vom Bauche,
dass der vordere Theil des Catheters mit der Achse des Körpers einen
Rechtwinkel bildet , schiebt den Catheter , indem man ihn leicht an den
Schambogen heraufhebt und nun den Penis nicht mehr vorzieht, noch
etwas weiter, bis man unter dem Schambogen durch ist , und senkt unter
beständigem behutsamen Weiterschieben den Griff immer mehr , bis man
ihn ganz nach den Schenkeln herabbringen kann. Nimmt er diese Rich-
tung leicht an, hat sich vor ihm der Widerstand vermindert, ist er freier
beweglich , so kann man annehmen , dass er sich in der Blase befindet,
und man lässt den Urin ab , nachdem man den im Catheter befindlichen
Draht herausgezogen hat. Man bringe die Spize des Catheters nicht zu
tief in die Blase , um diese nicht zu reizen. — Wie man den Catheter
überhaupt nur sehr sanft einführen und fast nur durch seine eigene
Schwere vorwärts dringen lassen muss , so darf man ihn auch namentlich,
wenn die Einführung stockt , nie mit Gewalt vorwärts drängen , sondern
man ziehe ihn vielmehr etwas zurück und ändere je nach Hindernissen
die Einführung. Entfernt man den Griff zu früh vom Bauche , so stösst
die Spize gegen die Schambeine, was an dem festen Widerstände erkannt
wird ; man muss hier den Griff wieder senken und erst nach tieferer Ein-
senkung wieder heben ; ist man ungewiss, ob die Spize unter dem Scham-
bogen sei , so untersuche man dies mit dem an den Damm gebrachten
Finger. Senkt man den Catheter , ehe man den Griff hebt , zu tief ein,
oder ist seine Spize nach einer Seite hin gerichtet , so dehnt er die Harn-
röhre vor ihrem membranösen Theile sackartig aus , und man muss ihn
etwas zurückziehen, genau in die Richtung der Achse des Körpers brin-
gen und seinen Griff mehr vom Bauche aufheben ; hilft dies aber nicht,
so bringt man den Finger an den Damm oder selbst in den Mastdarm,
um die falsche Richtung zu fühlen und zu ändern. Zieht man den Penis,
wenn das Instrument an den membranösen Theil gelangt ist , ferner an,
so wird dieser gegen den Schambegen gedrückt und der Eintritt in ihn
verhindert. In der membranösen Portion wird der Catheter oft durch
13*
196 CATHETERISMUS.
eine Falte an der untern Wand aufgehalten, man inuss ihn etwas zurück-
ziehen , mehr vom Bauche entfernen , auch stärker an den Schambogen
heranheben ; bisweilen hilft es, wenn man einen etwas stärker gekrümmten
Catheter nimmt , oder das Scrotum nach vorn zieht , um die Harnröhre
anzuspannen ; sehr nüzlich ist es , den Catheter durch den in den Mast-
darm gebrachten Finger zu leiten. In schwierigen Fällen gelingt auch
oft ein mit einem gelinden Drucke verbundenes Drehen des Catheters um
seine Achse. Der Eintritt des Catheters in den Blasenhals wird oft durch
eine Anschwellung der Prostata oder durch Krampf verhindert ; im ersten
Falle benuzt man den M e r c i e r ' sehen Catheter und verfährt, wie es bei
den Krankheiten dieser Drüse angegeben ist , im zweiten hält man den
Catheter etwas ruhig , reibt das Mittelfleisch und schiebt dann denselben
in gehöriger Richtung fort. Nicht selten erweist sich hier auch das Be-
streichen der Catheterspize mit einem narkotischen Extracte von Nuzen.
Elastische Catheter, wenn sie von einem Hindernisse aufgehalten werden,
dringen oft ein , wenn man den Draht ungefähr 1 Zoll zurückzieht und
dann den Catheter vorschiebt. Hat man einen falschen Weg gebahnt,
was sich durch den Abfluss von Blut zeigt , so kann man versuchen , mit
einem möglichst dicken Catheter über die verlezte Stelle wegzukommen.
— Manchmal fliesst durch den Catheter kein Urin , obgleich er in die
Blase gelangt ist , der Grund hiervon kann darin liegen , dass gar kein
Urin in der Blase ist (bei Lähmung dieser) oder in der Verstopfung der
Oeffnung des Catheters durch einen Blut- oder Schleimpfropf; man be-
seitigt diesen durch Einführung des Drahtes oder durch Einsprizen von
lauem Wasser, oder auch mittels einer in die Cathetermündung eingesez-
ten Saugsprize. Bei der paralytischen Urinverhaltung muss man, um die
Blase ganz zu entleeren , einen Druck auf die Unterbauchgegend aus-
üben. — Bei der Einführung des geraden Catheters , bei welcher der
Kranke auf dem Bettrande sizt , bringt man den Penis aufwärts in einen
Winkel von 40° zur vordem Fläche der Schambeine und schiebt den
Catheter leicht bis an den Schambogen, senkt nun den Penis , bis er mit
der vordem Fläche etwas mehr als einen rechten Winkel bildet, und führt
den Catheter bis zur Prostata, senkt den Penis noch mehr, etwa um 40°,
hebt die Spize des Catheters und schiebt diesen drehend in die Blase.
M o u 1 i n zieht den Penis , während der Kranke halb nach vorn gebeugt
steht oder sizt, anfangs in horizontaler Richtung stark nach vorn , bringt
den Catheter rotirend bis zum Schambogen , zieht den Penis immer mehr
auf den Catheter und bewegt ihn mit diesem allmälig gegen den Boden.
Ist der Catheter in die Blase eingedrungen , so erhebt man ihn allmälig
wieder. — Soll der Catheterismus wiederholt werden und sind bedeutende
Schwierigkeiten damit verbunden , so lässt man den Catheter liegen , be-
festigt ihn aber sorgfältig , damit er nicht zu tief eindringen und die
Blase beschädigen kann. Die Befestigung geschieht an einer über den
Penis gezogenen, vorn offenen leinenen Seheide, welche an ihrem vorderen
CAUTERISATION. 197
Rande zwei Bänder hat, die man durch die Ringe des Catheters schlingt;
die Scheide selbst befestigt man am Unterleibe. Man verstopft den Ca-
theter und öffnet ihn alle 3 — 4 Stunden, um den Urin zu entleeren; alle
6 — 7 Tage legt man einen frischen ein , damit er sich nicht zu sehr er-
weicht und incrustirt. Erträgt der Kranke das Liegenbleiben des Ca-
theters nicht , so muss dieser , so oft es nothwendig ist, von Neuem ein-
geführt werden. — Die Einführung des Catheters beim Weibe ist,
wenn man das Gesicht dazu benuzen kann, leicht; dies geht jedoch in
der Regel nicht an , man nauss daher den Tastsinn zur Auffindung der
Harnröhrenmündung zu Hülfe nehmen , wozu Uebung gehört. Die Per-
son liegt mit etwas von einander entfernten Schenkeln auf dem Rücken ;
der Wundarzt bringt die Spize des Zeigefingers der einen Hand mit nach
oben gerichteter Volarseite vom Damme aus an die vordere Wand des
Scheideneinganges , geht dann langsam und sorgfältig tastend nach vorn,
um das Orificium urethrae aufzusuchen, welches an dem dasselbe
umgebenden Ring erkannt wird , worauf er , nachdem er es aufgefunden,
wieder etwas zurückgeht und nun die Fingerspize hinter dem wulstigen
Ringe ruhen lässt. Jezt wird die Spize des mit der Concavität nach oben
gerichteten in der andern Hand gehaltenen Catheters auf die am wulsti-
gen Ringe ruhende Fingerspize gebracht , mit dieser in die Urethra ge-
leitet und das Instrument dann gerade fort in die Blase geschoben.
CautGriSatlOD.. Mit diesem Namen bezeichnet man die mehr
oder minder nachdrückliche Anwendung der Aezmittel oder des Feuers
auf irgend eine Stelle unseres Körpers. Von der potentiellen Cauteri-
sation oder der Anwendung der Aezmittel war schon in dem Artikel Aez-
mittel die Rede ; hier wird nur von der actuellen Cauterisation
oder der Anwendung der Brennmittel oder dem Brennen gespro-
chen ^werden. — Der Zweck des Brennens ist theils die örtliche Tödtung
selbst, theils die Reaction, welche dadurch in der Umgebung des Ertödte-
ten hervorgerufen wird. Die Wirkung der Brennmittel oder des Feuers
unterscheidet sich wesentlich von der der Aezmittel ; während diese lang-
sam und nur auf den Ort der Anwendung wirken, einen weichen, sulzigen,
langsam sich abstossenden Brandschorf bilden , eine asthenische Entzün-
dung erregen und eine anfangs destructive Eiterung und entstellende
Narben hinterlassen , ist die Wirkung des Feuers eine plözliche und er-
schütternde, weithin sich erstreckende, mit weit verbreiteter Entzündung
hypersthenischer Art, hartem , trockenen , unempfindlichen , sich bald lö-
senden Brandschorfe , nachfolgender gutartiger Eiterung und nicht ent-
stellender Narbe. — Das Brennen geschieht entweder dadurch , dass
man einen brennbaren Gegenstand , wie Watte (Moxa) , Schiesspulver,
Phosphor etc. auf der Oberfläche des Körpers abbrennt , oder dass man
ein glühendes Eisen auf denselben einwirken lässt. — Das glühende
Eisen (Ferrum candens) wird in verschiedenen Formen nach Ver-
198 CAUTERISATION.
schiedenheit des zu brennenden Theiles und des Zweckes der Operation
angewendet ; am häufigsten findet die beilförmige oder p r i s m a t i - .
sehe Form Anwendung, ausserdem wird die conische und knopf-
förmige nicht selten in Gebrauch gezogen. Die prismatischen Eisen
gebraucht man besonders bei dem flüchtigen Ueberfahren eines Theiles,
die conischen , wo man auf eine bestimmte kleinere Stelle einwirken will,
z. B. bei Blutungen, die knopff örmigen, wo man nachdrücklich einwirken
und eine bleibende Fontanelle bilden will. Zum Brennen in Höhlen be-
dient man sich entweder eines conischen Eisens und einer Röhre zum
Schuze für die nächsten Theile, oder eines glühenden Troicarts, den man
durch seine Scheide bis zur bestimmten Stelle führt. Zum Brennen wird
das Eisen in einem Kohlenbecken weissglühend gemacht. Der Kranke
wird so gelagert , dass der zu brennende Theil gehörig fixirt und das In-
strument frei aufgesezt werden kann. Bei der Schmerzhaftigkeit der
Operation ist die Anwendung des Chloroforms sehr zu empfehlen. Das
Eisen wird mit einer Hand fest gehalten , während die andere zur Fixi-
rung oder zum Schuze nebenliegender Theile verwendet wird. Man
wirkt mit dem Glüheisen entweder durch unmittelbare Berührung , Cau-
terisatio per contactum oder in der Entfernung , objeetive
Cauterisation, C. indistans. Im leztern Falle hält man es in
einer Entfernung von einigen Zollen gegen den Theil und nähert es die-
sem allmälig, "bis der gewünschte Grad von Reizung eingetreten ist. Wird
das Gliiheisen unmittelbar auf die Haut applicirt , so geschieht dies ent-
weder , indem man es unter stetem Drucke strichweise darüber hinzieht,
transcurrente Cauterisation, oder indem man es längere Zeit fest
auf eine Stelle aufsezt , i n h ä r i r e n d e Cauterisation. Zu dem
erstem Zwecke bedient man sich am besten des prismatischen Eisens ;
man kann damit schnell die erforderliche Anzahl von Strichen machen,
welche man in einer Entfernung von 1J-/2 — 3 Zoll von einander zieht.
Diese Application geschieht gewöhnlich in der Absicht , einen heftigen
Reiz auf die äussere Haut auszuüben oder eine Ableitung nach derselben
hin zu etabliren. Bei dem nachdrücklichen und längern Aufsezen des
Glüheisens , wozu man sich des conischen oder knopfförmigen bedient,
muss es leicht um seine Längenachse gedreht werden , damit es nicht an-
klebe ; man wendet es an, um einen Theil zu zerstören, um eine Blutung
zu stillen oder um eine Fontanelle zu sezen. Mit der gehörigen Vorsicht
kann man die verschiedensten Körpertheile brennen , doch meidet man
gerne sehr nervenreiche und von dünner Haut bedeckte Stellen mit unter-
liegenden Knochen und Sehnen. Benachbarte edle und zarte Theile
schüzt man durch nasse Compressen. — Nach der Anwendung des glü-
henden Eisens bedeckt man die Brandstelle mit Baumwolle , womit man
fortfährt, wenn die Verbrennung rasch heilen soll, während, wenn längere
Zeit Eiterung unterhalten werden soll , die Abstossung des Brandschorfes
durch erweichende Kataplasmen oder Salben befördert wird und wenn
CHARPIE. 199
diese erfolgt ist , behufs der Fontanellbildung Erbsen eingelegt werden.
Hat man wegen Blutung cauterisirt , so verhüte man sorgfältig den zu
frühen Abfall des Schorfes. — Eine langsame und andauernde Cauteri-
sation bewirkt man durch die Moxa oder den Brenncylinder.
Man benüzt dazu eine leicht entzündliche Substanz , durch deren Ver-
brennung ein oberflächlicher Brandschorf hervorgebracht wird. Zu die-
sem Zweck hat man bald ein Stück Lunte , bald Werg , bald Sonnen-
blumenmark , bald Phosphor , Kalium , Schiesspulver , Löschpapier mit
Weingeist, Oblaten mit Schwefeläther getränkt etc. in Gebrauch gezogen.
Im Allgemeinen versteht man aber unter Moxa einen Cylinder aus Baum-
wolle , um welchen ein Stück Leinwand durch eine Naht befestigt ist ;
seine Höhe betragt ungefähr 1 Zoll, seine Dicke 1/2 — 1 Zoll. Diesen
Cylinder zündet man an seinem einen Ende an , während er mit dem an-
dern Ende auf der betreffenden Hautstelle mittels einer Kornzange, eines
Drahtes oder mittels eines Moxaträgers festgehalten wird. Das Abbrenen
der Moxa (M oxibustio) wird durch Blasen mit dem Munde oder mit
Hülfe einer Röhre befördert. Das Tränken der Baumwolle mit einer
Auflösung von Salpeter macht das Blasen überflüssig. M a y o r applicirt
statt der Moxa einen eisernen , in heissem Wasser erhizten Hammer
(Moxahammer). — Die nächste Wirkung der Moxa ist die der actuellen
Cauterien. Auf das Gefühl der Wärme folgt schnell ein lebhafter stufen-
weise zunehmender Schmerz und endlich Zerstörung der Cutis , worauf
der Schmerz etwas nachlässt. Vermöge dieser allmäligen Steigerung des
Schmerzes wird eine gradweise Aufregung "und Reizung herbeigeführt,
die sich nach und nach von der Oberfläche bis auf die tiefgelegenen Ge-
bilde erstreckt, weshalb die Moxa, besonders bei Affectionen tiefer liegen-
der Organe , bei welchem sich die Erregung eines starken Gegenreizes
nöthig macht, ihre Anwendung findet, und hier selbst vor dem glühenden
Eisen den Vorzug verdient.
Cephalaematoma, s. Kopfblutgeschwulst derNeu-
gebornen.
Cnarpie, Linteum carptum, ist in ihre Fäden zerlegte
Leinwand , zu welchem Behufe diese in quadratische Stücke von 3 — 4
Zoll geschnitten werden muss. Die zu Charpie benuzte Leinwand darf
nicht neu, aber auch nicht zu sehr abgenuzt, weder zu fein, noch zu grob,
nicht gestärkt , muss aber rein und weiss sein. Bei der Bereitung der
Charpie hält man das Leinwandstückchen zwischen den Fingern der lin-
ken Hand ausgespannt , und zieht mit den Nägeln des Daumens und
Zeigefingers der rechten Hand die einzelnen Fasern aus, wobei man aber
im Ausziehen derselben mit den vier Seiten des Läppchens wechseln
muss , weil sich dieses sonst zusammenranzelt. Die auf diese Art ge-
wonnene Charpie nennt man gezupfte, Linteum carptum; lässt
200
CHARP1E.
man dabei die Faden ohne Ordnung auf einander fallen , so erhält man
rohe Charpie; legt man aber die Fäden in Ordnung auf oder neben
einander , so erhält man glatte, geordnete Charpie. Aus der
rohen Charpie lässt sich auch durch Ausziehen mit den Fingern oder
durch Kämmen glatte Charpie darstellen. Durch Schaben der Leinwand
mit einem Messer erhält man die geschabte Charpie, Linteum
ras um. Die sogenannte englische Charpie oder Charpie-
w a 1 1 e wird in Fabriken bereitet ; eine dieser nachgebildete Charpie ist
die gekrämpelte von Eichheimer; sie wird durch Behandeln der
rohen Charpie auf der Krazmaschine hergestellt. Statt der Charpie hat
man sich auch der Baumwolle, des Werges, der Wolle etc. bedient, doch
eignen sich diese Substanzen mehr zum Ausfüllen mit untergelegter Char-
pie. — Im Allgemeinen beniizt man die Charpie , um fremde Körper,
Luft von einer kranken Stelle abzuhalten, Arzneistoffe aufzunehmen, Un-
gleichheiten beim Verbände auszufüllen , Druck der Verbandstücke zu
verhüten, Flüssigkeiten aufzusaugen, Oeffnungen zu erweitern oder zu ver-
stopfen etc. Die rohe Charpie benuzt man vorzüglich znm Ausfüllen von Un-
gleichheiten etc., die geordnete zum Verbände von Wunden und Geschwüren,
zu welchem Behufe man sie in verschiedene Formen bringt. 1) Das Char-
piebäuschchen, Pulvillus,Plumasseau, ist diejenige Form,
welche am häufigsten gebraucht wird ; man macht sie bald rund , bald
oval, bald viereckig und von verschiedener Grösse. Das viereckige
bereitet man , indem man eine erforderliche Quantität Charpie oben und
unten gerade abschneidet, oder man biegt diese Charpie in der Mitte um
und schneidet die ungleichen Enden ab. Ein halbovales Bäuschchen
erhält man , wenn man geordnete Charpie in der Mitte mit einem Faden
locker umschlingt, beide Hälften zusammenlegt und die Spizen abschnei-
det. Das ovale Bäuschchen bildet man , indem man beide Enden von
der geordneten Charpie halb um ihre Achse dreht, oder besser mit einem
Faden umschlingt und umschlägt. Das runde Charpiebäuschchen wird
dargestellt, indem man geordnete Charpie in der Mitte mit einem Faden
umschlingt, die Charpiefäden strahlenförmig ausbreitet und die Spizen
derselben rund herum abschneidet. Man bedeckte früher die Trepan-
öffnungen damit. — 2) Der Charpiekuchen wird zur Bedeckung
grosser eiternder Flächen benüzt. Man bereitet ihn, indem man eine
grössere Partie geordneter Charpie mit der rechten Hand fasst , die läng-
sten Fäden zwischen den Zeigefinger der linken Hand und den Tisch
bringt und diese Fäden durch Zurückziehen der rechten Hand auf dem
Tische in paralleler Richtung liegen lässt ; man fährt damit so lange von
rechts nach links fort , bis man die nÖthige Breite hat ; muss die Länge
des Kuchens grösser sein als die Charpie lang ist, so fängt man mit einer
neuen Lage an, die man, die erste Lage zu einem Dritttheile bedeckend,
auf diese in der angegebenen Weise aufträgt. Den so gebildeten Kuchen
kehrt man um, und beschneidet ihn oben und unten ; er kann mit Salbe
COLLODIUM. 201
bestrichen werden. Statt dieses Kuchens kann man sich auch mehrerer
unbeschnittener kleiner Plumasseaux bedienen. — 3) Der Charpie-
ballen oder Knaul, Ciamus linteus, fr. Tampon, Pelotte,
wird auf verschiedene Art bereitet. Die einfachste ist , man nimmt eine
Partie rohe Charpie und rollt sie in der Hand zu einer Kugel. Oder
man legt zwei Lagen platt gedrückter geordneter kreuzweise über ein-
einander , bringt auf die Kreuzungstelle eine Leinwand - oder Charpie-
kugel , führt über diese die Charpie herüber und bindet sie zusammen ;
über der Unterbindungsstelle schneidet man die Charpie ab und schlägt
sie aus einander. Oder man legt eine Charpiekugel auf ein Stück Lein-
wand , schlägt diese über die Kugel , bindet sie darüber zusammen und
schneidet die überflüssige Leinwand weg. Man benüzt die Charpieballen
theils zur Ausfüllung blutender Höhlen , in welche man so viele einzelne
Kugeln bringt , bis die Höhle ausgefüllt ist , theils um einen Druck auf
einen Arterienstamm auszuüben. — 5) Die Charpiewieken, Za-
pfenmeissel, Turundae, fr. Bourdonnets, sind bestimmt, in
Höhlen, wie in Wunden, Abscesse und Fisteln eingebracht zu werden, sei
es, um diese offen zu erhalten oder um Blutungen zu stillen (lezteres na-
mentlich bei natürlichen Höhlen). Sie werden auf verschiedene Weise
bereitet : man nimmt eine erforderliche Menge geordneter Charpie , um-
bindet diese in der Mitte mit einem Faden, beugt sie an dieser Stelle um
und schneidet die ungleichen Spizen ab ; oder man schlingt um das obere
Ende des eben angegebenen Bourdonnets einen Faden herum, so dass ein
runder Kopf gebildet wird , man nennt dies einen Docht (Meche) ; lez-
teres Bourdonnet kann man auch in einer grösseren Strecke mit einem
Faden umwinden, wodurch es an Festigkeit gewinnt; oder mar, i • inbindet
einen Bündel umgeschlagener und unten gleichgeschnittener Charpie in
der Mitte mit einem langen Faden , den man, um die Wieke daran aus-
ziehen zu können , aus der Wunde heraushängen lässt. Zum Einbringen
der Wieken bedient man sich der Finger, mit denen man sie einfach ein-
schiebt oder drehend einbringt , ferner der geknöpften Sonden , der Pin-
cette, der Kornzange, für tiefere Höhlen der Meschenträger, bei der Nase
der Bellocq' sehen Röhre. — 3) Der Charpiepinsel, Wund-
pinsel, Penicillus, wird auf verschiedene Weise gemacht. Man
nimmt eine Partie glatte Charpie , umwickelt sie spiralförmig mit einem
Faden nicht ganz bis an die Enden , die man gleichschneidet ; oder man
legt in der Mitte zusammengeschlagene Charpie um ein Stäbchen von
Holz , Fischbein oder um eine Sonde und befestigt sie daran mit einem
Faden. Diese Pinsel dienen zur Reinigung tiefer Abscesse etc., nament-
lich in der Nase , dem Rachen , wie auch zum Einbringen von Arznei-
stoffen in solche. Sie werden durch die gewöhnlichen Malerpinsel er-
sezt.
COilOulUIH , die gallertartige Lösung der Schiesbaumwölle in
202 COLLODIITM.
Aether , hat sich zunächst als Deckungsmittel wunder Flächen nüzlich
gemacht. Vor den bisher gebräuchlichen Mitteln zur unblutigen Vereini-
gung getrennter Körpertheile zeichnet es sich dadurch aus, dass es der
Haut fester anhängt , dieselbe auf keine Weise reizt , eine gegen atmos-
phärische Luft und äussere Schädlichkeiten sicher schüzende Decke bildet,
welche weder von Wasser noch von Alkohol aufgelöst wird und durch-
scheinend ist , dass es bei seiner Anwendung keine erhöhte Temperatur
fordert und keinen unangenehmen Geruch verbreitet. Dagegen verursacht
der Aether, bis er verdunstet ist, was 10 — 16 Secunden Zeit erfordert,
in der wunden Stelle einen Schmerz, der jedoch flüchtig ist und keinen
dauernden Nachtheil hinterlässt. Behufs der Vereinigung einer Wund-
spalte hält man diese mit den Fingern zusammen und überpinselt sie mit
Collodium , oder man bringt mit Collodium getränkte Leinwandstreifen
hinzu. — Diese Art von Vereinigung gewährt den Vortheil , dass man
nasse Umschläge machen kann , ohne dass dabei die Verklebung aufgeht
oder nachlässt ; nur Essig löst das angetrocknete Collodium wieder ab ;
erst nach 4 Tagen lockert es sich von selbst. Eine Schwierigkeit des
Gebrauches liegt darin , dass dieses Klebemittel nur auf ganz trockenen
Flächen haftet. Man ist daher genöthigt , das völlige Aufhören der Blu-
tung bei Wunden abzuwarten. Hat sich ein Collodiumstreifen über einer
Wunde auf der Lederhaut einmal gesezt , so wäscht ihn nachfliessendes
Blut oder Eiter, oder abgesonderter Harn, Thränen etc. nicht fort. Des-
wegen muss man Rücksicht darauf nehmen , dass die zu erwartenden Se-
crete abfliessen können. — Ausser bei Wunden ist das Collodium noch
ferner mit Nuzen in Gebrauch gezogen worden : bei Krankheiten der
Haut, wo es wegen seiner Eigenschaft, durch Contraction einen Druck auf
die betreffenden Hautpartien auszuüben, zur Beschränkung der Circulation
in denselben beiträgt; wirksam erwies es sich beim Rothlauf, Ekzem,
Zoster, Intertrigo, Lupus exedens, Acne, Herpes labia-
lis; ferner bei Brust - und Hodenentzündungen , Lymphangioitis,
Angiectasien, Oedema pedis, Fussgeschwliren, Frostbeulen, entzünde-
ten Hämorrhoidalknoten, wunden Brustwarzen, Verbrennungen 1. und 2.
Grades , eingewachsenem Nagel , Prosopalgie etc. - — Um das Collodium
für die verschiedenen Zwecke brauchbarer zu machen , hat man ihm ver-
schiedene Substanzen beigemischt. Das von Lauras angegebene Col-
lodium elasticum hat J. E. Richter folgendermassen abgeändert :
1) Collodium terebinthina tum: ^j Terpenthin in ^j Collodium
aufgelöst, klebt und haftet gut und dauernd, ist zähe und passt besonders
zu Verbänden, zur Vereinigung von Wunden u. dgl. 2) Collodium
r i c i n a t u m , aus *)j Ol. r i c i n i in ^j Collodium aufgelöst , ist sehr
dehnbar , weich , elastisch , angenehm für die Haut und eignet sich treff-
lich zum Bestreichen von Hautentzündungen und Ausschlägen. — Von
dem Collodium cantharidale war bei den ableitenden Mitteln die
Rede.
COLLOID. 203
ColiOld, Colloidsubstanz ist eine gallertartige, leimige (col-
loide), mehr oder weniger durchsichtige, wasserhelle oder gelbliche, selbst
bräunliche Materie , welche sich namentlich in drüsigen Organen (Schild-
drüse, Milz, Leber, Niere, Eierstock) nicht selten findet und ihrem Wesen
nach noch wenig gekannt ist. Nach V i r c h o w ist diese Substanz viel-
leicht ganz analog derjenigen des Gallertkrebses und liegt möglicher Weise
dem Tuberkel zu Grunde ; H e n 1 e glaubt , dass sie Faserstoff enthalte
und der Boden für die Bildung bösartiger Geschwülste (der Krebse und
Tuberkel) sei ; nach F r e r i c h s ist sie der Synovia ähnlich und soll das
sogenannte Pyin nebst Albumin und besonders Natron-Albuminat darin
enthalten sein, während M u 1 d e r und V i r c h o w die gänzliche Verschie-
denheit dieser Substanz von den Proteinstoffen , also auch dem Albumin
behaupten , und Lezterer sie nur entfernt mit dem Schleim vergleichen
zu können glaubt , von dem sie sich indessen durch ihre Löslichkeit in
Essigsäure unterscheidet. Da nicht nachgewiesen ist , dass die Colloid-
substanz als solche aus dem Blute ausgeschieden wird, dagegen ihrüeber-
gang in Tuberkel - und Krebsmasse nicht ganz unwahrscheinlich ist , so
könnte dieselbe vielleicht als eine in mannigfacher Verwandlung begrif-
fene Materie angesehen werden. Unter dem Mikroskop findet man das
Colloid bald vollkommen amorph , bald Zellen und Kerne , sogar Fasern
in verschiedener Menge und auf verschiedenen Stufen ihrer Entwicklung,
zuweilen auf dem Stadium der Fettmetamorphose, enthaltend. ■ — Die Col-
loidsubstanz findet sich bald in untergeordneter Menge , in andern Ge-
schwülsten, wie inFibroiden, Enchondromen etc., bald tritt sie als wesent-
licher Bestandtheil hervor , indem sie entweder mehr oder weniger dick-
wandige zellige Räume erfüllt , oder in wirklichen geschlossenen Cysten
sich befindet , oder in ein neugebildetes , noch in seiner Entwicklung be-
griffenes Gewebe infiltrirt ist. Nach diesem verschiedenen Verhalten stellt
Frerichs drei Formen von Colloidgeschwülsten auf, nämlich: die alveo-
lare Gallertgeschwulst, die Colloidcysten und das infiltrirte Colloid. —
Die alveolare Gallertgeschwulst unterscheidet sich, wo sie rein
ausgeprägt auftritt , von- den Gallertcysten nur durch geringeren Umfang
der Gallertmassen und ein derberes Bindegewebstroma. Ihre Grundlage
bildet ein faseriges Gerüste, bald von sehr zarter, bald von derber, schein-
bar faserknorpeliger Beschaffenheit, welches mehr oder weniger deutliche,
theils abgeschlossene , theils communicirende , zellige Hohlräume von der
Grösse eines Stecknadelkopfes bis zu der einer Wallnuss einschliesst , die
mit der Gallertmasse gefüllt sind. Ihr Siz ist fast ausschliesslich der
Magen , der Darmkanal und das Bauchfell. Der ihnen weiter beigelegte
Namen Gallertkrebs, Alveolarkrebs bezeichnet sie als Krebs-
geschwülste, was sie aber nach Frerichs und Bruch nicht sind.
Die Colloidcysten wachsen schnell zu einer bedeutenden Grösse,
wobei ihr Inhalt allmälig dünnflüssiger wird. Zuweilen finden Blutergüsse
204 COMPÄESSE.
und Entzündungen in ihnen statt, von denen die erstem, wenn sie in eine
grosse Cyste erfolgen, eine innere Blutung zur Folge haben können, wäh-
rend die Entzündung zuweilen fibrinöse Exsudate an der innern Seite der
Cystenwand bedingt. Gruveilhier beobachtete als Rückbildungspro-
duct solcher Exsudate mörtelartige Concretionen. Die Entzündung gros-
ser Geschwülste der Art führt schnell zum Tode durch Erschöpfung. Zu-
weilen plazen die aufs äusserste gefüllten Cysten , was je nach der Loca-
lität Heilung oder doch Besserung , oder aber den Tod zur Folge haben
kann. Sie bedingen sehr bald beträchtliche Störungen des Allgemeinbe-
findens , welche mit der beim Krebse auftretenden Kachexie grosse Aehn-
lichkeit haben , welche F r e r i c h s aber von dem Säfteverluste , C r u -
veilhier von mechanischer Störung abzuleiten geneigt ist, welche diese
voluminösen und rasch wachsenden Neubildungen veranlassen. Am häu-
figsten kommen diese Cysten im Ovarium vor, doch trifft man sie auch in
der Schilddrüse , im Unterhautzellgewebe , im Neze , in Lymphdrüsen an ;
Schuh fand eine solche einmal an der Zunge. — Die i n fil tr irte
Co 1 1 oi d ges ch wuls t (Mülle r's Collonema, Rokitansky 's
gallertartiges Sarkom) ist eine auf einer niederen Entwicklungsstufe ste-
hende Geschwulstform , deren Inhalt sich von dem in andern Colloidge-
schwülsten vorgefundenen durch seine Gerinnung in Weingeist unter-
scheidet. — Die Colloidgeschwülte bilden eine zusammenhängende Gruppe
von Neubildungen , die darin von den Krebsgeschwülsten abweichen, dass
sie nach der Ausrottung nicht wiederkehren, nicht die dem Krebse eigen-
thümlichen Schmerzen zeigen , .nicht erweichen und verschwären und die
gallertartige Masse keine Zellengebilde enthält , welche für Krebszellen
genommen werden könnten. Thatsache ist es indessen , dass sie häufig
mit Krebs combinirt auftreten.
Colotomia, s. After, künstlicher.
COÜipreSSe , Drucktuch, Bausch, Compressa, Splenia,
PI agul a, nennt man Stücke weicher, gebrauchter reinerLeinwand ohne Saum
und Naht, welche in eine bestimmte Form zwei-, drei-, vier- und mehrfach
zusammengelegt werden. Unter gewissen Umständen bereitet man auch
Compressen aus Flanell, Papier, Filz etc. Die Gestalt, Grösse und Dicke
derselben richtet sich nach dem kranken Theile und dem Zwecke , den
man im Auge hat. Bei ihrer Anlegung ist es nöthig, dass die Ränder der
Leinwand eingeschlagen werden, damit sie nicht ausfranzen, diese gleich-
massig zusammengelegt wird und ohne Falten ist. — Man theilt die Com-
pressen in einfache und vielfache. Die einfache Com presse (C.
simplex) ist ein einfaches Stück Leinwand, mit welchem man in der
Regel eine Wundfläche bedeckt. Will man dem Wundsecret einen leich-
ten Ausgang verschaffen, so macht man mehrere kleine Oeffhungen in die
Leinwand und dies nennt man eine gefensterte Compresse (C. fene-
strata). Schneidet man ein viereckiges Stück Leinwand von seinen vier
CONDYLOMA. 205
Ecken gegen die Mitte hin ein, so erhält man ein Maltheserkreuz,
verfährt man auf diese Art mit einem länglich-viereckigen Stück Lein-
wand, so hat man ein Andreaskreuz. Spaltet man ein Stück Lein-
wand von einem Seitenrande bis in die Mitte, so erhält man die gespal-
tene Compresse. Man gibt den Compressen auch sonst noch ver-
schiedene Formen , man macht sie dreieckig , viereckig , länglich , leztere
nennt man auch Lönguetten. — Die vielfache Compresse
besteht aus einem mehrfach zusammengelegten Stücke Leinwand. Sie
ist entweder gleichförmig, eben, und dient in dieser Form zur
Decke über den Charpieverband bei Wunden etc. , zur Unterlage fester
Verbandstücke und zur Ausfüllung von Unebenheiten oder endlich zur
Anwendung von Umschlägen oder die Compresse ist ungleichförmig
(ge stuf t , graduirt ), d.h. es werden mehrere Compressen, von denen
immer die folgende kleiner ist als die vorhergehende auf einander gelegt.
Diese Abnahme in der Grösse der Compressen kann entweder nach allen
Seiten hin , oder nur nach zwei oder auch nur nach einer Seite hin statt-
finden. Damit sich die einzelnen Theile einer solchen Compresse nicht
verschieben, ist es nöthig, dass man sie mit einigen Nadelstichen auf ein-
ander befestigt. Man gebraucht die gestuften Compressen, um einen Druck
auf blutende Gef ässe , auf Fistelgänge oder auf den Grund tiefer Wund-
flächen auszuüben.
Condyloma, Feig warze, nennt man einen Auswuchs , der
sich hauptsächlich an den Verbindungsstellen zwischen den Schleimhäu-
ten und der äussern Haut an der Vorhaut , den Schamlefzen , am After,
findet , doch auch an andern Körperstellen angetroffen wird. Das Innere
derselben besteht aus Bindegewebe. Sie haben einen kräftigen Vegeta-
tionstrieb , sind sehr gef ässreich , empfindlich und sondern eine serös-
schleimige , übelriechende Flüssigkeit ab. Ihr Wachsthum ist unbe-
grenzt und sie können einen sehr grossen Umfang erreichen. Sie haben
theils Neigung zum Schwinden, theils zur fibrösen Verhärtung, theils zum
Ulceriren. Beim Verschwinden hinterlassen sie keine Narben. — Man
unterscheidet breite und spize Condylome. Diebreiten, Condylo-
ma t a lata, sind mehr oder weniger gestielt , stehen einzeln oder in
Gruppen und sind auf ihrer Oberfläche abgrundet. Die spizen Condy-
lome , Cond. acuminata, sind zugespizt und sizen auf einer breiten
Basis auf. Bei fernerem Wachsthum jedoch theilt sich die Spize baum-
f örmig , wodurch diese Auswüchse Aehnlichkeit mit Hahnenkämmen oder
Blumenkohl bekommen. — Die Condylome treten meistens im Gefolge der
Syphilis auf, doch kommen sie auch unabhängig von dieser durch Unrein-
lichkeit, durch den Reiz blenorrhoischer Ausflüsse und öftere Reibung vor.
— Behandlung. Breite Condylome verschwinden oft schön während
der allgemeinen antisyphilitischen Behandlung ; geschieht dies nicht , so
kann man dieselben, weun sie einzeln stehen, mit der C o o p e r 'sehen
206
CYSTEN.
Scheere abtragen und ihren Boden mit Höllenstein äzen ; stehen ihrer
viele beisammen , so fomentirt man sie mit Bleiwasser , oder bestreut sie
mit Sabinapulver , oder äzt sie mit Kali c a u s t i c u m , Butyrum a n -
timonii, Aq. regia oder Schwefelsäure oder legt folgende Salbe auf
Charpie gestrichen auf: Rp. Butyr. antimon. , Hydrargyr. mu-
ri a t. corros. ana5j, Pulv. herb, sabinae 5ij, Ungt. rosati 5vj.
M. f. Ungt (Neumann). Die spizen Condylome weichen einer allge-
meinen Behandlung nicht so leicht und fordern daher häufiger zerstörende
Mittel , die man der Reihe nach und abwechselnd anwenden muss. Die
Zerstörung derselben muss beharrlich fortgesezt werden, bis die stets wie-
derkehrenden Wucherungen ausbleiben.
Contractu!*, s. Verbrennung.
CoxarthrOCace , s. Hüftsgelenksentzündung.
Cysten , Balg g esc h wülste, Sackgeschwülste, T u -
mores cystici, tunicati, saccati,Cystides,Lupiae, sind
solche Geschwülste, welche aus einem geschlossenen Sacke (Balge) be-
stehen , in dessen Höhle sich ein Stoff von verschiedener Consistenz be-
findet. Diese Bälge sind entweder wirkliche Neugebilde , oder sind von
einer schon bestehenden Wand einer Höhle oder eines Kanales gebildet.
Die ersteren bezeichnet man als ächte, die lezteren als u nacht e Balg-
geschwülste. Nach Bruch kommen die wahren Cysten zu Stande, indem
in irgend ein normales oder pathologisches Gewebe ein Erguss irgend
einer Flüssigkeit , Serum , Blut, eiterbildendes Exsudat, Colloidmasse etc.
statt findest, und das umgebende Parenchym sich im Umkreise durch Druck
und Spannung oder mit Hülfe der gerinnbaren Bestandtheile des Ergus-
ses und weiterhin durch W7achsthum oder neue entzündliche Exsudation
verdichtet. Der Inhalt der Cyste ist diesemnach das Primäre, die Cysten-
wand das Secundäre. Die unächten Balggeschwülste entstehen gewöhnlich
in Folge von Erweiterung, Hypertrophie der Wand eines schon vorhandenen
Hohlgebildes oder Anhäufung des Inhaltes in demselben ; hierher gehören
die blasigen Ausdehnungen zelliger Räume , die H y d a t i d e n , die Aus-
dehnungen der Haut- und Schleimhautfollikel, die F o 1 1 i c u 1 a r c y s t e n ;
die Ausdehnungen der Schleimbeutel , dieHygrome; die wassersüch-
tigen Ausdehnungen der bindegewebigen Scheiden der Sehnen, die Gang-
lien ; endlich rechnet man noch hierher die Blasenwürmer. -> — Rück-
sichtlich der Beschaffenheit und Consistenz der in der Höhle der Cysten
enthaltenen Materie unterscheidet man die seröse oder W as s erb alg-
ge schwulst (Cystis serosa), wenn der Inhalt in einer dünnen, dem
Serum ähnlichen Flüssigkeit besteht ; die Honiggeschwulst (Me-
li c er is), wenn die Materie die Consistenz von eingedicktem Honig hat;
Breigeschwulst (Atheroma), wenn sie breiartig und mit einzel-
nen festeren Körpern untermischt ist (daher auch der Name Grüzge-
CYSTEN. 207
schwulst). — 1) Aechte Balggeschwtilste. a) Die ein-
fache seröse Balggeschwulst, Cystis serosa simple x,
stellt gewöhnlich einen runden , elastisch gespannten , von einer ringsum
geschlossenen , verschieden dicken Bindegewebskapsel umgebenen Raum
mit meist klarem , farblosem oder gelblichem Inhalte dar , welcher aus
einer eiweisshaltigen , dem Brustserum ähnlichen Flüssigkeit besteht , in
der freie Kerne, junge Zellen, Epithelialzellen, Elementarkörner und freies
Fett suspendirt sind. Die Innenwand der Cyste ist mit einer einfachen
oder mehrfachen Zellenlage bedeckt. Die in der Wand der Cyste sich
verbreitenden Gefässe gehören meist dem befallenen Organe an. Diese
Cyste bildet die Grundform der ächten Balggeschwülste und aus ihnen
entwickeln sich die verschiedenen Cystengeschwülste , welche darin über-
einkommen , dass sie in ihren Wandungen und in ihrem Inhalte die Or-
gane der äussern Haut und ihre Absonderungen enthalten. — Diese Ge-
schwülste kommen am häufigsten da vor, wo Zellgewebe in grösserer Menge
gehäuft ist , wie unter der Haut , zwischen Muskeln , in der Achselgrube,
seltener im Parenchym von Organen und in Knochen (Osteocy-
s t e n ) ; bei lezteren kommen sie an und in den Knochen vor , in welch
lezterem Falle diese blasenförmig aufgetrieben sind. — Ursachen.
Manchmal sind diese Cysten angeboren, andere Male" entstehen sie in
Folge äusserer Gewaltthätigkeiten, wie von anhaltendem Druck, Stoss etc. ;
zuweilen ist ihr Zusammenhang mit dyskrasischen Zuständen , mit Skro-
pheln, Rheumatismus, Gicht, Syphilis etc. nicht zu verkennen. Nicht sel-
ten entstehen diese Geschwülste in Mehrzahl. — Die seröse Cyste nimmt
in der Regel langsam an Grösse zu ; zuweilen bleibt sie stehen ; andere
Male wächst sie immer fort und kann eine bedeutende Grösse erreichen.
— Der Balg kann sich entzünden und durch die eintretende Eiterung
zur Verwachsung kommen ; dasselbe kann in Folge von Verschwörung ge-
schehen : gewöhnlicher schliesst sich die OerTnung wieder und der Balg füllt
sich von Neuem , oder es bleibt diese Stelle geschwürig , es entleert sich
fortwährend ein schlechter Eiter, es entstehen fungöse Auswüchse und die
Oeffhung widersteht hartnäckig der Heilung ; bei heftiger Entzündung
kann der Balg ganz auseitern. In seltenen Fällen berstet der Balg spon-
tan. — Die Balggeschwulst kann durch Druck nachtheilig wirken. —
Behandlung. Diese bezweckt entweder die Zertheilung der Ge-
schwulst oder man sucht sie durch Ausschneiden , Abbinden , Herbeifüh-
rung einer Verwachsung mittels Entleerung ihres Inhaltes oder durch Zer-
störung ihres Balges nach Eiterung zu beseitigen. Nicht selten werden
mehrere dieser Verfahren mit einander verbunden. Die Zertheilung
der Cysten, wozu Einreibungen von Quecksilber- und Jodsalbe, von flüch-
tigen Mitteln, zertheilende Pflaster, Blasenpflaster etc., sowie ein metho-
discher Druck empfohlen sind, wird nicht allein meist vergebens versucht,
da damit der Balg nicht beseitigt werden kann , sondern die genannten
Mittel schaden auch zuweilen , da die Geschwulst durch die fortgesezte
208 CYSTEN.
Reizung in ihrem Wachsthum gefördert oder in Entzündung versezt wer-
den kann. Die Exstirpation ist das beste Verfahren, wenn sie an-
wendbar ist (s. den Artikel Exstirpation). Bei der Ausschälung die-
ser Geschwülste hat man sich sehr zu hüten , dass man den Balg nicht
öffnet. Gelingt es nicht , den Balg ganz auszuschneiden , sei es , weil er
im Anfange der Operation verlezt wurde, oder weil derselbe zu tief dringt,
oder fest mit wichtigen Gebilden verwachsen ist , so muss zu seiner gänz-
lichen Entfernung ein gemischtes Verfahren in Anwendung gebracht wer-
den, indem man den Rest des Balges unterbindet, oder durch Aezung und
Vereiterung zu zerstören sucht. Nach der gänzlichen Ausrottung der Ge-
schwulst sucht man die Wunde durch erste Vereinigung zu heilen. Das
Abbinden der Geschwulst ist nur angezeigt, wenn die Geschwulst sehr
gross , gestielt und an der Basis mit zahlreichen , ausgedehnten Blutge-
fässen versehen ist; über das Verfahren dabei s. den Art. Abbinden.
Eine Verwachsung des Balges bewirkt man nach Entleerung des
Inhaltes durch Erregung einer adhäsiven Entzündung. Diese Heilmethode
passt nur für kleine Cysten , deren Exstirpation nicht ausführbar ist.
Das mildeste Verfahren zur Erregung einer Entzündung ist, die Geschwulst
zu punktiren, den Inhalt zu entleeren und dann einen Compressivverband
anzulegen. Füllt sich der Balg von Neuem wieder, so öffnet man die
Geschwulst mit dem Troicart , lässt den Inhalt durch die Canüle ausflies-
sen und sprizt dann durch diese eine reizende Flüssigkeit , wie warmes
Wasser , Wasser mit Wein oder Essig oder verdünnte Jodtinctur ein,
welche man nach einiger Zeit wieder abfliessen lässt und dann einen
drückenden Verband anlegt. Wird hierdurch der gehörige Grad der Ent-
zündung erzielt , so erfolgt plastische Ausschwizung und Verwachsung ;
tritt eine sehr heftige Entzündung ein, so ist Abscessbildung die Folge,
welche zur Vereiterung und Losstossung des Balges führt. Um den Balg
durch Vereiterung zu entleeren , spaltet man die Geschwulst und
füllt die Höhle derselben nach Entleerung des Inhaltes mit Charpie aus.
Die. eintretende Eiterung löst entweder den Balg, so dass er nach wenigen
Tagen ausgezogen werden kann , oder derselbe wird allmälig durch den
Eiterungsprocess zerstört und stückweise ausgestossen. Bei mangelnder
Thätigkeit reizt man die innere Fläche des Balges durch Bestreichen mit
Schwefelsäure , Spiessglanzbutter etc. Die Vereiterung kann auch durch
die Einsprizung einer sehr reizenden Flüssigkeit nach vorausgegangener
Punction der Geschwulst herbeigeführt werden. Nach dem Eintritte der
Entzündung macht man erweichende Umschläge und öffnet den Sack,
wenn er weich und schwappend ist. Wo eine grössere Narbe und die
Ausbreitung der Entzündung vermieden werden soll, zieht man ein Haar-
seil durch die Geschwulst, das man je nach dem erforderlichen Grade der
Entzündung mit milden oder scharfen Salben bestreicht. — b) Die ge-
häuften Balggeschwülste, T-u mores cystici conglome-
rati, sind nicht ganz selten angeboren und erhalten alsdann den Namen
CYSTEN. 209
angeborenes Cyste nhygrom, Hygroma celluloso-cysti-
cum congenitum. Diese Geschwülste haben eine glatte, rundliche
Oberfläche und werden nur da, wo sie über die Medianlinie hinübergehen,
durch eine Längenfnrche in zwei Hälften getheilt ; in andern Fällen sind
sie höckerig. Gewöhnlich flnctuiren sie in ihrer ganzen Ausdehnung
gleichmässig , andere Male , wenn sie durch eine Scheidewand abgetheilt
sind, kann die eine Cyste fluctuiren, die andere nicht, indem in der einen
ein flüssiger, in der andern ein gelatinöser oder breiiger Inhalt sein kann ;
die Fluctuation ist auch sehr undeutlich, wenn die Cystenwandungen eine
sarkomatöse Beschaffenheit haben. Gewöhnlich ist die Haut über diesen
Cysten , wie über allen anderen , leicht verschiebbar und unverändert, zu-
weilen braunröthlich gefärbt , selbst brandig und geschwürig. Diese Ge-
schwülste , welche man bisweilen bis zu mehreren Hunderten beobachtet
hat , zeigen sich erbsen- bis wallnussgross , können aber auch die Grösse
eines Kindskopfes erreichen. Am häufigsten kommen sie am vordem und
hintern Theile des Halses , in der Brust- und Achselgegend , sowie in der
Sacral- und Perinäalgegend vor. Sie liegen bald reihenweise , den Zügen
des atmosphärischen Bindegewebes folgend, bald an einzelnen Stellen ge-
häuft. Nach der Geburt wachsen sie bald rasch , bald langsam , bleiben
auch unverändert, zuweilen entzünden sie sich und vereitern. — Die Ent-
stehungsweise dieser Geschwülste ist unbekannt. — Behandlung. Am
zweckmässigsten erweist sich die wiederholte Punction dieser Cysten oder
das Durchziehen eines Fadens durch dieselben , um die Wiederansamm-
lung zu verhüten und Adhäsiventzündung oder Vereiterung herbeizufüh-
ren. Die Eröffnung grosser Geschwülste , welche am Halse sizen, ist in
einzelnen Fällen zur Ausrottung durchaus nothwendig. Mit der operati-
ven Behandlung verbindet man zertheilende Einreibungen in der Ge-
schwulstgegend und bei älteren Kindern eine entsprechende allgemeine
Behandlung. — c) Zusammengesezte Balggeschwülste, Tu-
mores cystici compositi, Cystoide (Müller). Diese treten
unter zwei Formen auf: aa) in der Wandung einer für immer vor-
herrschend bleibenden Muttercyste entstehen Cysten zweiter Ordnung,
und diese können sofort Muttercysten für eine tertiäre Formation werden.
Zuweilen findet man durch Schwinden der Zwischenwände die einzelnen
Cysten mit einander in Verbindung und die ganze Geschwulst stellt eine
vielkammerige Cyste dar. bb) Es entstehen die Cysten zweiter Forma-
tion auf der Innenfläche einer Muttercyste und wachsen in deren
Höhle hinein , so dass sie zuweilen die Muttercyste vollständig ausfüllen ;
in den secundären Cysten finden sich wieder neue blumenkohlartige Aus-
wüchse. Der leere Raum in der ursprünglichen Muttercyste ist mit einer
serösen oder mehr schleimigen Flüssigkeit ausgefüllt. — Diese Gewächse
finden sich am häufigsten in der Nähe der Eierstöcke. Sie erreichen mit-
unter eine ungeheure Grösse und sind entzündungsfähig , wodurch sie
mit ihren Umgebungen verwachsen, in ihren Wandungen verdickt und mit
Bürger, Chirurgie. 14
210 CYSTEN.
eiterähnlicher Flüssigkeit gefüllt werden können. Der Entstehung mag
in einzelnen Fällen die Entartung einer Graafschen Follikel zum
Grunde liegen. — Die Behandlung besteht hauptsächich in dem Aus-
schneiden oder Abbinden der Geschwulst. — d) Höher organisirte
Balggeschwülste. Es gibt Cysten, deren Balg höher organisirt ist,
als derjenige der serösen Cysten und auch ihr Inhalt erscheint weniger
gleichförmig und formlos, sondern enthält verschiedenartige, theils form-
lose, theils organisirte Bestandtheile. Der überall geschlossene Balg die-
ser Geschwülste ist gewöhnlich dick und gleicht in seiner Structur bald
mehr einer Schleimhaut, bald mehr der äussern Haut, ohne jedoch mit
diesen Gebilden auf irgend eine Weise zusammenzuhängen , weshalb sie
als wahre Neugebilde zu betrachten sind. Man findet sie im Unterhaut-
zellgewebe, zuweilen zwischen den Muskeln, besonders häufig aber in den
Ovarien. — Die der Haut ähnlichen Balggeschwülste zeigen
im Innern ein mehrfach geschichtetes Pflasterepithelium , das sich in den
einzelnen Lagen wie die normale Epidermis verhält ; dann folgt ein der
Cutis ganz ähnliches Gewebe , und noch tiefer ein dem Unterhautzellge-
webe entsprechendes lockeres Bindegewebe. Ebenso fehlen in diesem
Hautgewebe die Haarbälge mit Haarwurzelscheiden und Haaren nicht ;
selbst Schweisdrüsen finden sich vor. Im Innern enthalten diese Bälge
mehr oder weniger seröse oder schleimige Substanzen, Epithelialblättchen
und Kernzellen, ausgefallene Haare, sowie fettige Substanzen, welche aus
Elain und Margarin, seltener aus Cholestearin bestehen. Zuweilen kom-
men in Eierstockscysten auch Knochenstücke und Zähne vor, die meist in
den Schichten der hautartigen Cystenwandungen liegen ; beide kommen
mit den normalen Knochen und Zähnen überein. In seltenen Fällen bil-
det sich als örtliche Wucherung der Epidermis ein Hörn. Die schleim-
ha u tähn liehen Cysten haben auf der Innenfläche gleichfalls ein Epi-
thelium und unter demselben ein lockeres , gef ässreiches Bindegewebe.
Die Innenfläche ist gewöhnlich uneben, wie granulirt, oder zottig. Der
Inhalt ist wässrig , schleimig , zuweilen gallertartig und es sind ihm Epi-
thelialzellen beigemischt. — Die höher organisirten Cysten bilden häufig
die Honig - und Breigeschwulst. Ihre Entwicklungsgeschichte ist noch
dunkel. — Die Behandlung besteht in der Exstirpation , seltener im
Abbinden und in der Vereiterung.
2) Unächte B algge s chwüls te. a)Hydatiden. Darunter
versteht man sehr dünnhäutige Cysten mit einem wässerigen Inhalte , so
dass das Ganze eine durchsichtige Wasserblase (vdaTiq , Wasserblase)
darstellt. Je nachdem diese Bälge blos mit Flüssigkeit gefüllt oder auch
von Thieren bewohnt sind , nnterscheidet man wahre und falsche Hyda-
tiden. — Die falschen Hydatiden sind in den meisten Fällen als
Producte einer örtlichen Wassersucht im atmosphärischen Bindegewebe
zu betrachten, wodurch zellige Räume desselben blasig aufgetrieben wer-
den. In drüsigen Gebilden beruht- die Hydatidenbildung auf enormer
CYSTEN. 211
Ausdehnung der feinsten Drüsenbläschen und Drüsenkanälchen. Diese
Hydatiden finden sich am häufigsten da , wo zartes Bindegewebe ist , am
Samenstrang, Adergeflecht etc., unter serösen Häuten und Schleimhäuten,
auch im Innern von Röhrenknochen. Meistens kommen sie gehäuft und
traubenförmig beisammen liegend vor und variiren von der Grösse eines
Stecknadelkopfes bis zu der einer Faust , selbst eines Kindskopfes. Sie
können lange bestehen , ohne sich zu verändern ; zuweilen berstet der
Balg und der ergossene Inhalt wird resorbirt oder erregt Entzündung.
In edleren Organen, wie im Gehirn, können sie lebensf ährlich werden. —
Die Behandlung der zugänglichen Hydatiden besteht in der Punction
oder in dem Ausschneiden derselben. - — Die wahren Hydatiden,
Blasenwürmer, blasigenEntozoen, stellen blasenähnliche, mit
einer wasserhellen Flüssigkeit gefüllte Bälge dar. Die einfachen Blasen-
würmer ohne Kopf und Saugapparat nennt man Acephalocysten;
die vollkommener organisirten sind der Blasenschwanz und der
Hülsenwurm, — Die Acephalocysten sind gleichförmige Blasen
mit einem festen zelligen Balge und einer klaren Flüssigkeit , welche zu-
weilen einzeln, häufig aber in grosser Anzahl in einem Sacke vorkommen ;
sie finden sich am häufigsten in der Leber. Die Zufälle, welche sie erre-
gen, hängen von ihrem Size ab. Sie können absterben und resorbirt wer-
den, wobei der Balg ve'rkalkt oder sich mit einer fettwachsähnlichen Masse
anfüllt. Absterbende Acephalocysten können Eiterung in ihrem Balge
erregen. — Der Blasenschwanz, Cysticercus cellulosae,
besteht aus einer zarten , elliptischen , mit Serum gefüllten Blase ; der
etwas dunklere Kopf ist rundlich und endigt mit einem stumpfen Bussel,
an welchem 4 Papillen oder Saugwarzen sizen , die mit einem doppelten
Hakenkranze umgeben sind. Der Kopf ist durch einen dünnen Hals mit
dem blasenf orangen Körper verbunden und kann vorgestreckt und zurück-
gezogen werden. Er kommt im Unterhautzellgewebe, zwischen Muskeln,
im Gehirn und in den Augenkammern vor. — Der Hülsenwurm, Ec-
hinococcus, unterscheidet sich von dem vorigen durch seinen gros-
sen Umfang, indem er selbst die Grösse einer Faust erreichen kann, durch
einen einfachen Hakenkranz und dadurch, dass er auf seiner innern Fläche
zahllose sand - oder hirsenkorngrosse Individuen von derselben Familie
enthält. Er kommt vorzugsweise in den Unterleibsorganen vor. — Ueber
die Entstehung dieser Hydatiden ist nichts Näheres bekannt. — Die Be-
handlung besteht in ihrer Entfernung durch einen Einschnitt , durch
welchen man sie herausdrückt, oder wenn dies nicht vollständig geschehen
kann, durch Zerreissung der zarten Blasen mittels einer Sonde. Zuweilen
kann es nöthig werden, den Sack durch Einlegen von Charpie in Entzün-
dung und Eiterung zu versezen. — b)Follicularcysten. Sie be-
ruhen auf einer abnormen Ausdehnung der Haut- und Schleimhautfollikel
mit Ansammlung ihres Absonderungsproductes . Man unterscheidet dem-
nach Hautfollicularcysten und Schleimhautfollicularcysten. — Die Haut-
14*
212 CYSTEN.
follicularcysten werden wegen ihres dicklichen Inhaltes häufig als
( follikuläre ) Brei- oder Honiggeschwülste (Atheromata s.
Meliceres) bezeichnet. Sie sizen in der Haut und kommen bald ein-
zeln, bald in Mehrzahl vor. Ihre Grösse variirt zwischen der einer Erbse
bis zu der einer grossen Nuss. Sie haben eine rundliche Form , fühlen
sich fest, zuweilen fluctuirend an und sind etwas beweglich. Nicht selten
kann man den Ausführungsgang der Drüse als einen dunkeln Fleck er-
kennen und den Inhalt der Geschwulst durch Druck entleeren. Der Balg
dieser Cysten ist verschieden dick, hängt mit den Umgebungen mehr oder
weniger fest zusammen, und ist auf seiner Innenfläche mit einem Epithe-
lium überzogen. Der Inhalt ist verschieden , jedoch fast immer grössten-
teils aus Fett bestehend ; er kann festweich , talgartig, käseartig , flüssig
oder ölartig sein ; mitunter findet man ihn trocken , grumös ; öfters trifft
man auch kalkartige Massen an. Ferner sind es diese Cysten, aus welchen
sich am häufigsten hornartige Excrescenzen erheben. Sie kommen am
häufigsten auf dem Kopfe , im Gesichte , am Halse , am Rücken vor. Die
Ursachen sind Unreinlichkeit der Haut, äusserer Druck, unterdrückte
Hautausschläge etc. ; die nächste Veranlassung ist eine mechanische, krampf-
hafte oder organische Verschliessung des Ausführungsganges einer Haut-
follikel , eine zu dickliche Beschaffenheit des Inhalts oder endlich Läh-
mung des Drüsenbalges • es gibt auch eine erbliche Disposition. Sie kön-
nen Jahre lang unverändert bleiben, zuweilen entleeren sie sich von selbst.
Bei rascher Vergrösserung oder äusserem Drucke entzünden sie sich, kön-
nen eitern und fistulöse Geschwüre veranlassen. — Behandlung. Ist
der Ausführungsgang der Drüse zu entdecken, so kann man ihn durch eine
Sonde zu erweitern und den Inhalt auszudrücken versuchen. Sicherer ist
es, die Geschwulst zu exstirpiren. — Die Schleimhaut follicular-
cysten kommen vorzüglich in der Mutterseheide , in und an der Gebär-
mutter vor, wo sie häufig für polypöse Excrescenzen gehalten werden;
in den Acinis der Schilddrüse bilden sie den Balgkropf. Diese Cysten be-
stehen aus einem zarthäutigen Balge von Zellgewebe , zeigen im Innern
ein mehr oder weniger deutliches Epithelium und zuweilen Abtheilungen.
Der Inhalt ist bald wässrig, schleimig, bald dickflüssig, gallertartig, auch
eiterig. Im schleimigen Inhalte findet man Elementarkörner , Kerne und
Zellen von epithelialem Charakter. Diese Cysten kommen bald einzeln,
bald in Mehrzahl vor und haben die Grösse einer Erbse oder Nuss. Sie
liegen bald sehr oberflächlich und sind dann zuweilen gestielt , bald sind
sie im submucösen Zellgewebe eingebettet und ragen nur theilweise her-
vor. Es scheint diesen Geschwülsten ein chronischer entzündlicher Zu-
stand zu Grunde zu liegen. Grössere Geschwülste fluctuiren deutlich. —
Behandlung. Kleinere hervorragende Cysten nimmt man mit der
Scheere weg oder entfernt sie durch Abbinden. Grössere tiefliegende
spaltet man , legt Charpie in die Höhle und lässt die Wunde durch Eite-
rung heilen. — c) Synovialcysten. Diese werden durch die Wan-
CYSTEN. 213
düngen der Sehnenscheiden oder Schleimbeutel gebildet und enthalten
eine der Synovia mehr oder weniger ähnliche Flüssigkeit. Je nach ihrem
Vorkommen in dem einen oder dem andern der genannten Organe unter-
scheidet man Sehnenscheiden- und Schleimbeutelcysten. — Die Sehnen-
scheidencysten, Tendovaginalcysten, Ganglien, Ueber-
beine sind partielle Ausdehnungen der Sehnenscheiden, und stellen rund-
liche, abgegrenzte, elastisch gespannte, fluctuirende Geschwülste von der
Grösse einer Haselnuss bis zu der eines Taubeneies oder einer Wallnuss
dar, über welchen die Haut unverändert ist und welche gegen Druck nicht
empfindlich sind. Sie zeigen sich am häufigsten an langen Sehnen , be-
sonders wo mehrere beisammen liegen, in der Nähe von Gelenken, nament-
lich am Handgelenke , aber auch am Fussgelenke. Selten sind sie in
Mehrzahl vorhanden. Grössere Ueberbeine hindern mehr oder weniger
die Bewegungen der benachbarten Sehnen. Der Balg ist gebildet durch
partielle Ausdehnung einer oder mehrerer Sehnenscheiden, deren äusseres
fibröses Blatt mehr oder weniger verdickt ist , während eine Umstülpung
des innern serösen Blattes die Sehnen umgibt. Zwischen den Blättern
befindet sich eine der Synovia ähnliche wasserhelle oder gelbliche dick-
liche Flüssigkeit. Die Sehnen sieht man daher im Innern des Balges ;
zuweilen findet man sie verdünnt , verändert , auch mit einander verwach-
sen. Manchmal ist der Balg in mehrere Abtheilungen geschieden. In der
Flüssigkeit schwimmen bisweilen , namentlich bei Ueberbeinen an der
Hand, neben FaserstofTflocken, epithelialen Kernen, Zellen, Blättchen, ein-
zelne oder viele, glatte, verschieden geformte, dem äussern Ansehen nach
knorpelige Körperchen von der Grösse eines Stecknadelkopfes bis zu der
einer Bohne. Diese Körperchen scheinen einen mehrfachen Ursprung zu
haben und theils durch partielle Einstülpungen der innersten Haut des
Sackes zu entstehen, theils intracapsuläre Gerinnungsproducte zu sein. —
Ursachen. Aeussere Gewalttätigkeiten oder starke Anspannung der
Sehne und damit Entzündung und Ausschwizung. Selten liegen innere
Ursachen , wie Rheumatismus , Gicht etc. zum Grunde. Die Ueberbeine
treten oft rasch auf, andere Male entstehen sie langsam. Meist bleiben
sie , bei einer gewissen Grösse angekommen , stehen , selten verschwinden
sie von selbst. Entzünden sie sich und brechen sie auf, so hinterlassen
sie hartnäckige Geschwüre. — Behandlung. Frische Ueberbeine kann
man zu zertheilen versuchen ; in dieser Absicht macht man Einreibungen
von Jod- und Quecksilbersalbe , von Ochsengalle mit Hirschhornsalz , von
Ol. origani, von Kampher mit Terpenthinöl, z.B. Rp. Camp hör. 5j
solve in Ol. terebinth. ^ß, M. ; legt Charpiebäuschchen mit folgen-
der Mischung auf: Rp. Tint. jodinae 5üj , Aq. destill, 5ÜJ , M.,
gebraucht reizende Bäder , legt zertheilende und blasenziehende Pflaster
auf, bringt einen Druck mittels Bleiplatten u. dgl. auf die Geschwulst an
etc. Gelingt die Zertheilung nicht , so kann man ein Aezmittel appli-
ciren oder die Geschwulst durch eine Incision öffnen , ihren Inhalt aus-
214 CYSTEN.
drücken und durch Compression das fernere Wachsen verhindern. Ein-
greifender ist das Verfahren von V e 1 p e a u , der nach der Punction der
Geschwulst eine reizende Flüssigkeit, wie heisses Wasser, verdünnte Jod-
tinctur etc. einsprizt und durch nachfolgende Compression den Balg zur
Verwachsung zu bringen sucht. Dieses Verfahren kann durch Ausbreitung
der Entzündung höchst gefahrlich werden. Dasselbe gilt von dem Ein-
ziehen eines Haarseiles. Die sichersten Behandlungsmethoden der Ueber-
beine bestehen in der partiellen Exstirpation und in der subcutanen Zer-
schneidung derselben. Die erstere ist nur da rathsam, wo die Geschwulst
frei sizt, daher bis zu ihrer Basis zugänglich ist. Nach der Operation wird
die Wunde genau vereinigt und ein leichter Druckverband angelegt. Bei
Individuen, bei denen sich Rheumatismus, Gicht, Scropheln n. dgl. nach-
weisen lassen , unterlässt man die Operation besser , da hier gern ausge-
breitete Entzündung, schlechte Eiterung, hartnäckige Fisteln etc. entste-
hen. Die weniger gefährliche , aber auch weniger sichere subcutane Zer-
schneidung des Balges wird mit dem D i e ff e nb ach 'sehen Tenotom
oder mit dem Kystotom vonEmmert ausgeführt. Hauptsache bei dieser
Operation ist, dass der Balg nach verschiedenen Richtungen durchschnit-
ten und so alle abgesonderten Räume geöffnet werden , damit eine gehö-
rige Reaction entsteht und keine geschlossenen Säcke zurückbleiben.
Nachdem der Inhalt des Balges ausgedrückt ist , wird die Wunde wie bei
der einfachen Incision behandelt. Hennemann unterhält durch ein in
die Stichwunde eingeschobenes Fischbeinstäbchen den Ausfluss > einige
Tage hindurch. — Die Schi ei m beutele ysten, Hygrome, stellen
mehr oder minder umfangreiche Geschwülste dar und entstehen in Folge
einer krankhaften flüssigen Ansammlung in den Schleimbeuteln (Bursae
mueosa e). Man findet sie daher an Stellen, wo Schleimbeutel zu liegen
pflegen, unter der Haut, unter Sehnen und Muskeln, über Knochenvor-
sprüngen , also meistens in der Nähe von Gelenken , am häufigsten an der
Kniescheibe und am Ellbogengelenke. Mitunter kommen dieselben auch
an ungewöhnlichen Orten vor und sind dann neugebildete Schleimbeutel.
Der Balg der Hygrome ist verschieden dick und auf der Innenfläche bald
glatt , bald mit unorganisirten , geronnenen oder mit organisirten Exsuda-
ten in den verschiedensten Formen bedeckt ; zuweilen ist derselbe auch
abgetheilt. Der Inhalt ist bald wässerig , hydropischem Exsudate ganz
ähnlich , oder schleimig , eiweissartig , der Synovia gleichend , oder blutig
von ergossenem Blute, auch fibrinös oder eiterig; selten findet man die
oben beschriebenen Körperchen. Die Form der subcutanen Hygrome ist
gewöhnlich rundlich , diejenige der subtendinösen verschieden und unbe-
stimmt. Der Grund der krankhaften Ansammlung ist in den meisten Fäl-
len in einer chronischen oder acuten Entzündung , hervorgerufen durch
örtliche Einwirkungen , namentlich Quetschungen in Folge eines Falles,
Stosses etc. , oder durch allgemeine Ursachen , wie Rheumatismus , Gicht,
Scropheln etc., oder durch Uebergang einer Entzündung von benachbarten
DAMMRISS. 215
Gebilden aus zu suchen. Auch ein erbliches Vorkommen der Hygrome
ist beobachtet worden. Grössere Geschwülste beeinträchtigen die Bewe-
gungen, besonders wenn der Balg entzündet ist. Kalte Hygrome entzün-
den sich häufig durch Misshandlung und die Entzündung kann sehr heftig
werden , Abscessbildung und hartnäckige fistulöse Geschwüre zur Folge
haben. Schlimm ist es, wenn das subtendinöse Hygroma mit einer Gelenk-
höhle communicirt. — Behandlung. Man sucht die Geschwulst zu
zertheilen , was man bei bestehender Entzündung durch Blutegel , kalte
Umschläge , Quecksilbereinreibungen , bei chronischem , kaltem Zustande
durch Jodsalbe , Jodtinctur , Zugpflaster , Moxen u. dgl. und Druck ins
Werk sezt. Damit muss , wenn innere Ursachen zu Grunde liegen , eine
entsprechende innere Behandlung verbunden werden. Schlägt die Zerthei-
lung fehl, so geht man zur Punction mit Druckverband, oder zurPunction
mit Injection, zum Ziehen eines Haarseiles, zur subcutanen Zerschneidung
oder der Exstirpation des Balges über (s. die Ueberbeine), oder man
schneidet diesen auf und bewirkt die Heilung durch Eiterung. Die ein-
greifenden Kurverfahren sind nur bei subcutan gelegenen Hygromen rath-
sam. S. auch Wassergeschwulst aufder Kniescheibe.
D.
D AMMHISb , Ruptura perinaei, entsteht meistens wäh-
rend der Geburt und er beschränkt sich entweder auf die Trennung der
hintern Schamlefzencommissur , oder der Riss geht, bis zum Mastdarme,
wobei selbst der Sphincter mit getrennt sein kann. Leichte Dammrisse
heilen gewöhnlich von selbst bei fortgesezter, Seitenlage mit einander ge-
näherten Schenkeln ; seltener ist dies der Fall bei grösseren Rissen wegen
des Lochialflusses und der bei der Stuhlausleerung eintretenden Ausdeh-
nung; nie geschieht dies bei totaler, bis in den Mastdarm dringender
Durchreissung (s. Wunden des Dammes), und in allen Fällen, wo
jene Heilung ausbleibt, ist sowohl für die Kranke, wie für ihre Umgebung
ein höchst lästiges Uebel gegeben. Kommt die Vereinigung eines Damm-
risses nicht zu Stande , so überhäuten sich die beiden Wundränder und
die Heilung ist nur durch Abtragung dieser Wundränder und Vereinigung
derselben durch die Nacht möglich. Diese Abtragung sezt man ins Werk,
indem man die Spaltenränder nach einander mit einer Pineette oder der
Ectropiumzange fasst und sie mit einem geraden Messer , weniger zweck-
mässig mit einer Scheere abträgt. Nach der Stillung der Blutung mit-
tels kalten Wassers vereinigt man die Spalte durch die Knopfnaht , indem
man eine gehörig starke, gekrümmte , mit einem gewichsten Fadenbänd-
chen versehene Wundnadel, 1 1/2 Linie vom hintern Wundwinkel entfernt,
216 DARMABSCESSE.
durch die beiden Ränder nach ihrer ganzen Tiefe ein- und durchsticht,
den Faden nachzieht, und auf dieselbe Weise vier Linien näher gegen die
Scheide eine zweites , und wenn die Grösse des Risses es erfordert , eine
dritte Ligatur einführt. Nach der Reinigung der Wunde knüpft man die
Hefte, zuerst das hinterste, mit zwei einfachen Knoten so fest, dass sich
die Wundlefzen derb berühren , zusammen , worauf man die Fadenenden
dicht am Knoten abschneidet. Bei messerscheuen Kranken soll man nach
Nevermann die überhäuteten Wundlippen mit ungelöschtem Kalke auf-
frischen und dann eine ruhige Lage beobachten lassen. Wie man auch
verfährt , so muss eine solche auf der Seite mit angezogenen und zusam-
mengebundenen Schenkeln eingehalten werden ; auf den Damm legt man
eine Compresse oder einen Schwamm mit kaltem Wasser. Nach Danyau
und N e 1 a t o n erfolgt die Vereinigung der WTundränder , selbst bei älte-
ren Fällen ohne Auffrischung bei ruhiger Lagerung mit oder ohne Sutur.
Dabei lässt man eine leichte Diät führen und sorgt durch Oelemulsionen
und erweichende Klystiere für eine leichte breiige Oeffnung , wobei die
Kranke aber nicht drängen oder ihre Lage verändern darf ; den Harn lasse
dieselbe in eine vorgehaltene blecherne Muschel, von welcher ein Schlauch
in ein Gefäss führt, oder man entleere ihn mittels des Catheters. Die
Hefte entfernt man nach dem 5. Tage vorsichtig; das am After bleibt am
längsten liegen. Bei ununterbrochener Ruhe verbindet man die Wunde
täglich mit Bleiwasser , und wenn einzelne Stellen eitern , so fördert man
ihre Vernarbung durch Höllenstein. Ist die Vereinigung ganz oder gröss-
tentheils misslungen , so wiederholt man die Operation sogleich oder
später.
JJärnitlüSCeSSe« Hierunter versteht man Bauchabscesse, welche
durch eine oder mehrere fistulöse Oeffnungen mit der Höhle eines Darms
in Verbindung stehen. Die Perforation des Darms geht entweder von
einem Abscess der Bauchdecken aus, oder sie tritt in Folge einer von den
Darmhäuten ausgehenden Verschwärung ein mit nachfolgender Abscess-
bildung in der Umgebung des Darms. Nur von diesen lezteren ist hier
die Rede. Die Veranlassung zu solchen Darmabscessen können geben :
Einklemmung einzelner Darmpartien, Anhäufungen von Kothmassen,
fremde steckengebliebene Körper, Würmer, typhöse, dysenterische Ulcera-
tionen der innern Darmfläche etc. Es kommt indessen bei solchen Darm-
perforationen nur dann zu Abscessen in der Umgebung, wenn Anheftun-
gen des kranken Darmstücks an seine Nachbartheile stattgefunden haben,
andernfalls folgt eine tödtliche Ergiessung in die Bauchhöhle. DieDarm-
abscesse haben bald eine mehr oberflächliche , bald eine tiefere Lage und
können sich diesemnach bald durch die Bauchdecken nach aussen ent-
leeren , was eine Kothfistel zur Folge hat , bald ergiesst sich der Eiter in
den Darm , wo er dann mit der Oeffnung entleert wird ; endlich kann der
Eiter bei tief unten im kleinen Becken liegenden Abscessen durch Sen-
DARMABSCESSE. 217
kung an der Mutterscheide, am Mastdarm, am Oberschenkel etc. zu Tage
treten. S. die Art. B auch ab s c es s e und B e ck e n ab s c e s s e. —
Am häufigsten kommen Darmabscesse am Blinddarm und seinem
wurmförmigen Fortsaze vor. Der Grund davon ist darin zu
suchen , dass diese Darmpartie durch ihre Lage und Form am meisten
Kothanhäufungen und dem Steckenbleiben fremder Körper ausgesezt ist,
wodurch nicht selten zu Entzündung (T y p h 1 i t i s) , Verschwärung und
Brand , und weiterhin zur Perforation derselben Veranlassung gegeben
wird. Zuweilen geht die Entzündung von dem Zellgewebe aus , welches
den Blinddarm in der Darmbeingrube anheftet (Perityphlitis); die
Perforation des Darms geschieht in diesem Fall von aussen nach innen.
Die Perforation kann an einer oder mehreren Stellen und an der hintern
oder vordem Darmwand geschehen und den Darminhalt in den Bauch-
fellsack mit meist tödtlicher Peritonitis , oder ausserhalb desselben sich
ergiessen , in welchem Falle es zu Bildungen von Abscessen und je nach
der Lage dieser zur Entstehung von Kothfisteln oder zu Eitersenkungen
nach entfernteren Punkten konimt (s. oben und B e ck e n a b s ce s s e ).
Die Abscesse , welche in Folge einer Perityphlitis auftreten , zeigen
an einer gewissen Stelle einen entzündlichen Schmerz, der sich auf Be-
tasten vermehrt , es ist Fieber zugegen und es machen sich Functionsstö-
rungen bemerklich. Den Abscessen , welche sich aus einer Entzündung
und Verschwärung in Folge einer Kothanhäufung (Typhlitis sterco-
rea) entwickeln, gehen in der Regel längere Zeit Störungen in der Stuhl-
auslerung , Verstopfung oder auch Durchfall vorher , mit kolikartigen
Schmerzen in der -rechten Darmbeingrube. Mit der Steigerung der Ent-
zündung und dem Eintritt des Ulcerationsprocesses werden diese Schmer-
zen anhaltender und heftiger und breiten sich mehr über den Unterleib
aus. Die Perforation mit dem Austritt der Kothmassen kündigt sich bis-
weilen durch plözlich eintretende heftige Schmerzen in der Coecalgegend
an. Es entwickelt sich nun ein entzündliches Fieber mit Uebelkeit ,• Er-
brechen , Spannung und Auftreibung des Unterleibes und in der Coecal-
gegend macht sich eine Geschwulst bemerklich , welche mehr oder weni-
ger empfindlich ist und auf Anschlagen einen matten Ton gibt. Im gün-
stigen Falle bleiben die Entzündung und der Abscess auf die Umgebung
der Perforationsstelle beschränkt , Fieber und peritonitische Symptome
massigen sich und es verbleibt nur die Entzündungsgeschwulst in der
Darmbeingrube. Der Durchbruch des sich bildenden Abscesses erfolgt
entweder durch die Bauchdecken, oder der Eiter senkt sich in das kleine
Becken und kommt am Mastdarm etc. zum Vorschein oder er bricht sich
in einen Darm Bahn, wo er dann mit dem Stuhl ausgeleert wird. — Be-
handlung. Bei bestehender Verstopfung mit fühlbarer Anhäufung von
Fäcalmassen in der Coecalgegend kann man versuchen, durch die fortge-
sezte Anwendung auflösender und abführender Mittel nebst Klystieren
der Perforation vorzubeugen. Sind einmal peritonitische Erscheinungen
218 DARMSCHNITT.
eingetreten, so sind Stuhl {inhaltende Mittel, besonders Opium, angezeigt,
bis diese Erscheinungen verschwunden sind. Daneben Aderlässe, Blut-
egel, kalte Umschläge auf die leidende Inguinalgegend. Ist Aussicht auf
Zertheilung der Entzündungs- und Eitergeschwulst vorhanden , so wendet
man die geeigneten Mittel an. Bereitet sich der Durchbruch des Eiters
nach aussen vor , so befördere man diesen und eröffne den Abscess früh-
zeitig.
Darms Chnitt, Enterotomia, Laparo - enterotomia,
nennt man die Eröffnung irgend eines Darmstückes nach vorhergegange-
ner Einschneidung der Bauchwandungen. Man unternimmt diese Ope-
ration, um aus einem Darmtheile einen fremden Körper, welcher auf dem
gewöhnlichen Weg nicht entfernt werden kann , durch seine Gegenwart
lebensgefahrliche Zufälle hervorbringt und sich deutlich durch das Ge-
fühl entdecken lässt, zu entnehmen, oder den auf natürlichem Wege nicht
zu entleerenden Excrementen einen Ausweg zu verschaffen (s. über Lez-
teres den Art. künstlicher After). Der Ort des Einschnittes wird
durch den Siz des fremden Körpers bestimmt. Der Operateur macht,
an der rechten Seite des in der Nähe des Bettrandes liegenden Kranken
stehend , vorsichtig einen etwa 2 Zoll betragenden Längenschnitt durch
Haut und Muskeln bis auf das Bauchfell, die Art. epigastrica und
andere Arterien vermeidend , erhebt das Bauchfell mit einer Pincette
hügelfönnig und schneidet es so weit ein , dass er eine Hohlsonde ein-
schieben kann ; auf dieser erweitert er den Schnitt , bis er einen Finger
einführen kann und sezt auf lezterem die Dilation mit dem Pott' sehen
Bistouri bis zur Grösse der Hautwunde fort. Nun lässt er die Wund-
ränder auseinanderhalten , führt den beölten linken Zeigefinger in die
Bauchhöhle, um die Lage des fremden Körpers zu untersuchen und wenn
der Darm nicht mit dem Bauchfell verwachsen ist , so zieht er den be-
treffenden Theil in die Bauch wunde , sticht ihn mit einem bis zur Spize
mit Leinwand umwickelten Bistouri an und erweitert die Oeffnung bis
zur nöthigen Grösse und zwar nach der Längen - oder Querachse des
Darmes , je nachdem dadurch die Verwachsung am sichersten geschont
werden kann. Ist der Darm angewachsen, so hebt er seine vordere Wand
mit der Pincette in eine Falte , schneidet diese ein und erweitert den
Schnitt mit dem Pott'schen Bistouri auf der Hohlsonde oder dem Finger,
und zwar in die Quere, wenn er nicht gross werden muss, sonst nach der
Länge des Darmes. An dem in der Darmwunde gelassenen Finger führt
man eine passende Zange ein und entfernt damit den fremden Körper.
Ist die Darmwunde über 1/2 Zoll lang, so muss man sie, um Kotherguss
in die Bauchhöhle zu verhüten , durch eine Gekrösschlinge dicht hinter
der Bauchwunde erhalten. In den unteren Winkel der Wunde legt man
ein Leinwandstreifchen , um einem Extravasate , das sich bilden könnte,
den Ausweg offen zu erhalten, vereinigt die übrige Wunde durch die blu-
DRUCK. 219
tige Naht und Heftpflaster, legt eine Compresse über die Wunde und
hält das Ganze durch eine Bauchbinde fest. Man lässt strenge Ruhe,
Rückenlage und eine antiphlogistische Lebensweise beobachten und hält
den Leib durch Klystiere offen. Entwickelt sich eine Bauchfellentzün-
dung , so behandelt man sie nach bekannten Regeln. Wenn die Hefte
locker werden, was gewöhnlich gegen den 6. Tag geschieht, so entfernt
man sie ; die noch nicht feste Vernarbung unterstüzt man durch Heft-
pflasterstreifen und lässt später zur Verhütung eines Bauchbruches längere
Zeit einen Bauchgurt tragen.
Druck, Compressio. Hierunter begreift man die Anwendung
jedes Verfahrens , wo durch äussere Mittel eine Zusammendrückung der
thierischen Substanz erzielt wird. — Die Wirkung des Drucks ist sowohl
nach seiner Dauer und Heftigkeit, wie nach seiner Ausbreitung, nach den
dazu verwendeten Hülfsmitteln und nach der comprimirten thierischen
Substanz verschieden. Sie ist zum Theil eine rein physische , zum Theil
eine vitale. Alles Leben gedeiht nur in einem ihm angewiesenen Räume,
wird dieser Raum von aussen beschränkt , so folgt eine Behinderung des
Lebensprocesses , der sich nicht mehr so frei entfalten kann und mit die-
ser Behinderung alle.Reactionen des Organismus , das Hinderniss zu be-
wältigen und ist es zu mächtig , es unschädlich zu machen. Ein plöz-
licher heftiger Druck, ein Druck , dem die organische Faser nicht Wider-
stand zu leisten vermag, bewirkt Trennung, Zerreissung, plözlich eintre-
tende Stockung der Functionen und nach der Wichtigkeit des comprimir-
ten Theils Örtlichen oder allgemeinen Tod. Ein schnell vorübergehender,
leichter Druck wird dagegen von der Elasticität der Gewebe leicht er-
tragen, der Theil erhebt sich nach Aufhören des Druckes sogleich wieder
und auf den Reiz folgt vermehrter Turgor und Säftezufluss. Zwischen
beiden äussersten Heftigkeitsgraden des Drucks liegen unendliche Mittel-
stufen , die bei der Mannigfaltigkeit der Wirkung ihrer Anwendung ein
weites Feld eröffnen. Ein Druck, stark genug, um das Lumen der Ge-
fässe zu comprimiren , hindert die Circulation der Flüssigkeiten in den-
selben, ein Druck auf die Nerven ihre Leitungsfähigkeit , wird er längere
Zeit fortgesezt, so wird der jenseits des Drucks von den Centralorganen
entfernt liegende Theil seiner Zufuhr beraubt , er wird weiss, kalt, stirbt
ab, mumificirt und wird durch Eiterung abgestossen. Ist der Druck nur
so stark, die Circulation in den Herzgefässen zu behindern, so sucht sich
das Leben dem beschränkten Räume zu accomodiren, die Resorption stei-
gert sich, Flüssigkeiten, Fett, die Weichtheile, ja endlich sogar die Kno-
chen werden aufgesaugt und es erfolgt ein atrophischer Zustand, der sich
mit dem Aufhören des Drucks wieder auszugleichen strebt. Oft bedarf
man der Reactionsbestrebungen des Organismus zum Heilzweck und die
erhöhte Resorption, die Adhäsionen , welche sich bei fortgeseztem Drucke
bilden , die durch ihn hervorgerufene Entzündung sind der Zweck , wes-
220 DRUCK.
halb man einen Druck auf den Körper einwirken lässt. — Wir wenden
den Druck an : 1 ) um die Circulation in einem Theile zu beschränken,
daher bei Entzündungen , zur Unterbrechung der Circulation in Arterien
und Venen; 2) um die Nervenleitung aufzuheben, daher bei mehreren
schmerzhaften Nervenaffectionen ; 3) um die Resorption zu befördern, da-
her bei Pseudoplasmen, bei Ausschwizungen und Extravasaten, Stricturen
etc. ; 4) um die Adhäsion einander genäherter Flächen zu befördern, da-
her bei Fisteln, bei der Heilung der Blutaderknoten und Brüche; 5) um
die Lebensthätigkeit in dem comprimirten Theile zu vermindern ; 6) um
die Lebensthätigkeit in dem comprimirten Theile zu vernichten , die Li-
gatur; 7) um die organische Faser gewaltsam zu trennen. — Der Druck
wird entweder von aussen nach innen angewendet (Compression im engern
Sinne) oder von innen nach aussen (Dilatation; s. Erweiterungs-
mittel); er ist entweder momentan oder andauernd , mittelbar oder un-
mittelbar. — Es kann hier nur von den verschiedenen Arten von Druck
die Rede sein. Weiteres ist bei denjenigen Krankheitsformen nachzulesen,
bei denen der Druck als Heilmittel angezeigt ist. — 1) Kreisförmige
Compression auf einer schmalen Fläche mittels eines Ban-
des, einer Halsbinde , eines Sacktuchs u. dgl. , welche im Nothfall durch
einen Knebel fester angezogen werden. Sie kann nur an einer Extremität
in Anwendung kommen , und darf nicht zu lange am Plaze bleiben , wenn
das Leben des comprimirten Theils nicht gefährdet werden soll. Man
gebraucht sie , um die Einsaugung eines Gifts unmittelbar nach seiner
Einimpfung zu verhindern , um Krämpfe zu verhüten oder zu stillen , um
die ^Entwicklung eines epileptischen Anfalls (wenn dieser unter Vorboten
eintritt) oder eines intermittirenden Fiebers zu verhindern. — 2) Kreis-
förmige gleich massige Compression auf eine ausge-
dehnte Fläche. Diese , massig stark und eine Zeit lang angewendet,
steigert die Contractilität der Gewebe , befördert den Lauf des venösen
Blutes und der Lymphe , beschränkt den Lauf des arteriellen Bluts , ver-
hindert und mässigt somit den Blutandrang in den comprimirten Theilen
und die ödematöse Anschwellung , befördert die Resorption ergossener
Flüssigkeiten, vermindert das Volumen der Theile und wirkt der excessiven
Thätigkeit der Muskeln entgegen. Zu stark und zu lange angewendet,
kann sie Einschnürung der Theile , oder Atrophie , Lähmung und unvoll-
kommene Ankylose herbeiführen. Die Mittel , durch welche diese Com-
pression ins Werk gesezt wird, sind die Rollbinden, breite Gürtel, Schnür-
strümpfe , Suspensorien , Heftpflasterstreifen. Um einen stärkeren seit-
lichen Druck damit zu verbinden (bei Pulsadergeschwülsten, sinuösen Ab-
scessen, Fisteln, blutenden Gefässen etc.), legt man graduirte Compressen
oder Longuetten unter. — 3) Seitliche, umschriebene (mittel-
bare oder unmittelbare) Compression. Hierher gehört die
Compression der Kopf blutgeschwulst der Neugeborenen mit Bleiplatten,
die Zurückhaltung von Gehirn- uud andern Brüchen, so wie von Vorfällen,
ECCHYMOMA. ECCHYMOSIS. 221
die Compression der Speichel-, Koth- und anderer Fisteln, die Compres-
sion der Pulsadergeschwülste , die Compression der Harnröhre , bei dem
Unvermögen , den Harn zu halten etc. , wozu meistens besondere mecha-
nische Vorrichtungen beniizt werden.
E.
ECCHYMOMA (von fx und /v/üt.og , Saft), Haematoma,
Blutgeschwulst, nennt man eine Blutergiessung in das Zellgewebe,
wobei das Blut eine umschriebene , weiche und fluctuirende Geschwulst
bildet, über welcher die Haut meistens bläulich erscheint. Beule,
Blutbeule nennt man die Geschwulst , wenn sie auf einem Knochen
aufsizt und eine in der Regel harte Beschaffenheit hat. Die Blutgeschwulst
ist die Folge von äussern Gewaltthätigkeiten, meist verübt durch stumpfe
Körper , wie Prügel , Steine etc. — Ecchymosis, Blut unterlau-
fung, ist nur dem Grade nach vom Ecchymoma verschieden. Hier
ist das Blut ebenfalls ins Zellgewebe ergossen, aber in geringerer Menge,
flach und in grösserer Ausbreitung. Das ergossene Blut theilt den Haut-
bedeckungen eine violett rothe , livide oder selbst schwarze Fäi-bung mit.
Die Blutunterlaufung wird auch mit dem Namen Suggillatio bezeich-
net ; darunter verstehen Einige aber die Blutunterlaufungen in Folge äus-
serer Gewaltthätigkeiten , wie Quetschungen etc. , während sie die Blut-
ergiessungen in das Zellgewebe in Folge von Entzündungen , Fiebern,
Blutzersezung etc. mit dem Namen Ecchymose bezeichnen; in der
Mehrzahl der Fälle werden indessen Ecchymose und Suggillation zur Be-
zeichnung eines und desselben Zustandes gebraucht. — In gerichtlich-
medicinischer Hinsicht von Wichtigkeit ist die Unterscheidung der Ec-
chymose von den Todtenflecken, d. h. die Entscheidung, ob die an einem
Leichname vorgefundenen Flecken während des Lebens oder erst nach
dem Tode entstanden sind. Bei der Ecchymose findet eine Zerreis-
sung der Gefässe statt, daher tritt das Blut in seiner Totalität, d. h. Flüs-
sigkeit und Körperchen , aus , und drängt sich in die Zwischenräume der
Fasern und übrigen Gewebe hinein ; hier gerinnt das Blut , bildet eine
feste Masse , in welcher die Blutkörperchen mit ihrem Farbestoffe einge-
schlossen sind und dem Ganzen die Farbe geben. Wenn man daher
einen solchen Fleck einschneidet, so findet man eine Menge von kleinen
Partikeln geronnenen Blutes. — Die Todtenflecke bilden sich unter
dem Einflüsse der Schwere und finden sich daher immer an denjenigen
Stellen , zu welchen das Blut durch seine Schwere hingetrieben wird.
Schon der Umstand, dass sie nicht vereinzelt, sondern in mehr oder weni-
ger verbreitetem Umfange vorkommen, erleichtert ihre Erkenntniss. Ein
222 EIERSTOCKKRANKHEITEN.
Einschnitt in die Haut offenbart aber ihre Natur vollständig. Man sieht
dann , dass keine Zerreissung von Blutgefässen , sondern allein eine An-
füllung des Capillargef ässnezes besteht ; die Lederhaut erscheint weiss
und mit einem schwarzrothen Gef ässneze bedeckt. Ausser den Todten-
flecken bilden sich an blutreichen Körpern gern rothe Flecken und Strei-
fen der Haut wie von Blutaustritt und folglich von Quetschungen her-
rührend , an Stellen , wo irgend ein anderer Körper , wie Kleidungsstücke
oder Unterlagen, drückend einwirkte. Auch bei ihnen zeigt die nähere
Untersuchung, dass das Blut sich innerhalb der Gefässe befindet. — Das
in das Zellgewebe extravasirte Blut wird bald von den aufsaugenden Ge-
fässen wieder aufgenommen, wobei der Fleck unmerklich verschwindet.
Diese Zertheilung kündigt sich durch die Veränderung in der Farbe der
Haut an. Die schwarze oder bläuliche Färbung wird von Tag zu Tag
heller , geht ins Rothe , ins Gelbliche über , welch lezteres immer lichter
wird, bis es am Ende vollständig verschwindet. In dem Masse , als die
Ecchvmose sich zertheilt , breitet sie sich immer mehr aus , was von dem
Dünnerwerden des Blutes herrührt. Aus diesem Grunde sieht man tief-
sizende Ecchymosen oft erst mehrere Tage nach dem Zufalle erscheinen.
Die Aufsaugung des Blutes kann mit unglaublicher Schnelligkeit und
ohne ein Zeichen der Entzündung vor sich gehen , das Blut kann aber
auch an Ort und Stelle Entzündung und in Folge deren Abscesse, Brand
veranlassen* oder es kann sich einkapseln. — Behandlung. Der Blut-
erguss muss wo möglich zur Resorption gebracht werden ; zu diesem Be-
hufe wendet man sogenannte zertheilende (resolvirende) Umschläge an,
anfangs von kaltem Wasser , von Salzwasser, Bleiwasser , Wasser mit Es-
sig , Branntwein , Kampherspiritus , Acetum Scillae, Arnicatinktur,
Jodtinktur, örtliche Blutentziehungen, später Auflösungen von Salmiak in
rothemWein, Arnicainfus. etc., methodischer Druck begünstigt die Resorp-
tion sehr ; hierher gehört die volksthümliche Behandlung der Beulen am
Kopf durch das Aufbinden eines Geldstückes. Um das ergossene Blut
auf eine grössere Fläche zu verbreiten , dient das Zerdrücken der Blut-
geschwulst. Gelingt es nicht, die Aufsaugung und Zertheilung herbei-
zuführen, so macht man einen Einschnitt, worauf man es mit einer eitern-
den Wunde zu thun bekommt, die ihrer Beschaffenheit gemäss behandelt
werden muss.
Eierstock, Krankheiten desselben. Der Eierstock, des-
sen von einer serösen und fibrösen Kapsel (Albuginea) umschlossenes
Parenchym aus einem sehr dichten, weichen, bräunlichrothen, sehr gefäss-
reichen Zellgewebe (Keim- oder Eierlager, Stroma) und aus 12 — 2 0 voll-
kommen geschlossenen , von einem Capillargef ässnez umsponnenen Säck-
chen (Graafsche Bläschen), welche das Ei (Keim) enthalten, besteht,
unterliegt vorzüglich in den mittlem und höhern Lebensjahren wie es
scheint , in Folge öfterer Congestionen , bei unbefriedigter Geschlechts-
EIERSTOCKKRANKHEITEN. BNTZÜENDUBfG. 223
neigung oder zu häufiger geschlechtlicher Erregung, einigen Krankheiten,
deren Existenz, sobald sie nicht eine bedeutendere und durch die Bauch-
decke , Scheide oder After wahrnehmbare Geschwulst bilden , dunkel
bleibt. Da in der Regel nur ein Eierstock erkrankt, so besteht dabei oft
das Empfängnissvermögen, so wie die Menstruation fort. Doch stört das
kranke Ovarium bisweilen die Function benachbarter Theile , wie Darm,
Harnblase, Schenkeigefasse und Nerven und erregt auch wohl hysterische
Nervenzufälle. — Am häufigsten beobachtet man die hydropischen An-
schwellungen des Eierstocks , seltener kommt die Entzündung desselben
vor; bisweilen unterliegt das Organ einer entzündlichen oder scirrhösen Ver-
härtung und als Afterbildung beobachtet man Cysten , fibroides Gewebe,
Krebs, aber nie Tuberkel.
Eierstocksentzündung, Oophoritis. Sie kann entweder
eine oder mehrere Follikel oder das Stroma betreffen. Die erste Form
kommt ausser dem Puerperium vor, die Stromaentzündung dagegen, welche
den ganzen Eierstock erfasst , ist in der Mehrzahl der Fälle eine puer-
perale, wo sie dann meist unter den übrigen Puerperalprocessen verschwin-
det. — Symptome und Verlauf. So lange das Bauchfell nicht in
grösserer Ausdehnung durch Entzündung in Mitleidenschaft gezogen ist,
ist keine auffallende Schmerzempfindung zugegen , da dies aber bei den
intensiveren Entzündungen selten ausbleibt , so fehlt auch der Schmerz
selten. Dabei stellen sich Affectionen der Gebärmutter , so wie Blasen-
reizung mit brennendem Schmerz beim Harnen , Schmerz bei der Stuhl-
entleerung , ein Gefühl von Taubheit oder acute Neuralgie in der ent-
sprechenden Extremität und anderweitige Erscheinungen von Hyperämie
in den Beckenorganen ein. Die Menses cessiren oder zeigen sich nur
momentan ; manchmal gesellt sich eine Hämorrhagie aus dem Uterus
hinzu. In den höheren Graden von Entzündung tritt sehr schnell Tym-
panitis, sehr hartnäckige Verstopfung ein, und es macht sich ein entwickel-
ter Puls bemerkbar , dessen Frequenz mit der sichtbaren Heftigkeit der
übrigen Symptome in keinem Verhältnisse steht. Das wichtigste dieser
Symptome ist der Schmerz in der Weichengegend , daher der Siz dessel-
ben mit Genauigkeit zu ermitteln ist. Die äussere Untersuchung gibt
darüber sehr wenige verlässliche Aufschlüsse , sofern man bei dem tiefen
Siz desselben im Becken nur bei dünnen Bauchwandungen und durch
starkes Hinabdrücken dieser den Herd des Schmerzes zu erreichen ver-
mag. Wichtigere Ergebnisse liefert die Exploration durch die Vagina
und das Rectum, wobei man sich aber zu hüten hat , eine Uterus aflfeetion
für eine Eierstockkrankheit zu nehmen. x4.uf diesen Wegen entdeckt man
auch am leichtesteu die von dem Eierstock gebildete Geschwulst. — Diese
Entzündung bildet , ohne Zweifel weun sie auch auf einer niedern Inten-
sitätsstufe stehen bleibt , häufig den Ausgangspunkt zu sehr bedeutenden
nachträglichen Desorganisationen und namentlich zur Bildung mancher
Cystenarten , insbesondere von Eiter- und serösen Bälgen , welch leztere
224 EIERSTOCKKRANKHEITEN. ABSCESSE.
wohl nicht selten zum Hydrops ovarii heranwachsen. Im günstigsten
Falle kommt es zur Verödung der ergriffenen Gr a a P sehen Bläschen
mit nachträglicher Resorption der ergossenen Exsudate. — Die Stroma-
entziindung führt häufig zur Vereiterung des Ovariums. — Ursachen.
Diese sind oft dunkel. In vielen Fällen leitet eine gewaltsame Störung
der Menstruation das locale Uebel ein und nicht selten beebachtet man
es im Gefolge intensiverer Metritiden traumatischen Ursprungs , so wie
häufiger geschlechtlicher Erregungen. — Prognose. Sie ist in allen
Fällen, wo sich anhaltende allgemeine und örtliche Reactionserscheinun-
gen vorfinden (und wo eine grössere Intumescenz des Ovariums sich er-
kennen lässt, insoweit ungünstig, als sich eine nicht bestimmbare, manch-
mal unheilbare Metamorphose des ergriffenen Organs hervorbilden kann.
Lethal wird das Leiden bei acutem Verlauf nur in den höchst seltenen
Fällen, wo durch jauchiges oder eiteriges Zerfliessen des ergriffenen Eier-
stocks eine weit verbreitete Peritonitis hervorgerufen wird. Viel häufiger
führen die chronischen Entartungen zu Tode. Nicht heftig und topisch
auftretende Uebel lassen einen günstigen Verlauf hoffen , so lange man
keine beträchtlichere Geschwulst findet. — — Behandlung. Bei acutem
Auftreten des Uebels empfiehlt sieh der sogenannte antiphlogistische Ap-
parat und zwar na^ch Massgabe der Zufälle die allgemeine oder nur die
örtliche Antiphlogose. Die örtliche besteht in der Application von Blut-
egeln in die Leistengegend, an das Perinäum oder an die Vaginalportion.
Bei Neigung zur Verstopfung hebt man diese zunächst durch Klystiere
mit Ricinusöl , geht später zu gelinden Abführmitteln über und zieht in
dringenden Fällen das Calomel in grösseren Gaben , bei zunehmender In-
tumescenz des Eierstocks in Verbindung mit Jalappa in Gebrauch. Da-
neben lässt man Bäder gebrauchen und wendet anhaltend Kataplasmen
und Fomentationen auf den Unterleib an. Bei chronischem Verlaufe er-
weisen sich neben Körper- und Gemüthsruhe , entsprechender Diät , Ent-
haltsamkeit vom Coitus, kräftige äussere Ableitungsmittel, die Einreibung
der grauen Salbe und die innere Anwendung des Calomels allein oder
mit Kampher und Opium oder des jodinsauren Quecksilbers, z. B. Hy-
dra r g. j o d i c i gr. j , Succ. juniperi i n s p i s s. gr. xij , P u 1 v. r a d.
liquirit. q. s. f. pilul. No. 8. S. Früh und Abends 2 — 4 Stück,
nüzlich. Den Beschluss bildet zweckmässig der geregelte Gebrauch sa-
linischer Mineralwasser , der Molkenkur , der Soolenbäder und bei vor-
handenen Anschwellungen der Gebrauch jodhaltiger Mittel und des See-
bades.
Eierstocksabscesse, Abscessus ovarii. Abscesse des
Eierstocks kommen am häufigsten im puerperalen Zustande vor, doch be-
obachtet man sie auch bei jungfräulichen Individuen in Folge heftiger
Oophoritiden und zwar hier nur als Follicularaffection , während die in
Folge puerperaler Entzündung entstehenden sowohl folliculär als paren-
chymatös sein können. Die folliculären Abscesse können bei längerer
EIERSTOCKKRANKHEITKN. ABSCESSE. 225
Dauer eine sehr beträchtliche Grösse erleiden und die Cystenwand sehr
lange , oft eine lange Reihe von Jahren der Perforation widerstehen.
Weniger umfangreich pflegen die parenchymatösen Ab'scesse zu sein , sie
wachsen aber viel schneller als die folliculären. Häufig gehen sie von
mehreren kleinen Eiterherden aus , die im weiteren Verlaufe zusammen-
tfiessen. Dieser Abscess eignet sich meist sehr bald , oft nach wenigen
lagen oder Wochen, zur Perforation. In sehr acuten Fällen erfolgt die
Perforation oft früher als es durch hinzutretende Peritonitis zu Verwach-
sungen mit den Nachbartheilen gekommen ist, in welchem Falle es zum
Erguss in den Peritonäalsack mit nachfolgender tödtlicher Bauchfeilent-
zündung kommt. In den weniger acut auftretenden Fällen dagegen findet
eine solche Verlöthung statt und der Erguss des Eiters erfolgt durch all-
mälige Anfressung und Perforation des angelötheten Gebildes in dieses.
Am häufigsten trifft diese Perforation den dicken Darm, insbesondere den
Mastdarm , äusserst selten die dünnen Därme. Nebst dem Darme wird
die vordere Darmwand und am häufigsten die entsprechende Inguinal-
gegend oder die Nabelgegend durchbohrt. Selten brechen die Ovarien-
abscesse durch die Blase , die Gebärmutter , dem Scheidengrund oder in
der Perinäalgegend nach aussen. — Ein acut entstandener Abscess
.•«•-••hliesst sich oft nach der Entleerung des Eiters bald, namentlich ist dies
bei den parenchymatösen Abscessen der Fall ; dagegen pflegen die lang-
sam entstandenen und lange bestandenen Abscesse sich immer aufs Neue
wieder zu füllen und entweder durch Erschöpfung oder durch Pyämie zum
Tode zu führen — Symptome und Verlauf. Troz der Heftigkeit
der Erscheinungen , namentlich der allgemeinen , beim acuten Auftreten
der Abscesse wird die Eiterablagerung im Eierstock in der Regel erst er-
kannt, wenn sich in der Eierstockgegend eine scharf umschriebene , mehr
oder weniger rasch wachsende Geschwulst entdecken lässt, die fieberhaf-
ten Erscheinungen und die eintretende Fluctuation lassen dann mit ziem-
licher Sicherheit auf das fragliche Uebel schliessen. Von nun an belästigt
die Geschwulst nur noch durch seine Schwere , da mit dem eintretenden
Stillstand des örtlichen Fortschritts alle bisher bestandenen Zufälle ver-
schwinden ; die Kranken können sich dabei oft Jahre lang ziemlich wohl befin-
den, doch kommen auch Fälle vor, wo sie unter reeidivirenden Fieberzufällen
abmagern, ein kachektisches Aussehen bekommen und noch vor dem Ein-
tritt der Perforation oder bald nach derselben sterben. Der Eintritt der
Perforation gibt sich im Allgemeinen durch das Oberfiächlichwerden der
Entzündungszufäile , durch Zunahme der Anschwellung und deutlicheres
Hervertreten der Fluctuation kund. Die allgemeine und örtliche Reaction
ist mehr oder weniger bedeutend, je nach dem Widerstände, der sich dem
Durchbrach entgegenstellt. Nach erfolgtem Ergüsse nach aussen tritt
ein um so beträchtlicherer Nachlass der Erscheinungen ein , je vollstän-
diger die Entleerung, je gutartiger der Eiter und je acuter der ganze Ver-
lauf gewesen ; Im entgegengesezten Falle dagegen stellen sich. Erschei-
Burger, Chirurgie, 15
226 EIERSTOCKKRANKHEITEN. WASSERSUCHT.
nungen erneuerter Eiteranhäufung , jauchiger Zersezung oder pyämischer
Processe mit ihren Folgen ein. — Behandlung. Im Entwicklungs-
stadium der Abscessbildung fällt die Behandlung mit der gegen die Ent-
zündung zusammen ; später sucht man durch den Gebrauch von Mercuria-
lien und ableitenden Mitteln auf den Darmkanal das Stationärwerden der
Abscesse zu begünstigen. Bei offenbarer Tendenz zur Perforation be-
günstigt man die Entleerung des Eiters auf dem kürzesten Wege nach
aussen, was, wenn der Eiterherd zugänglich ist, am besten mit dem Mes-
ser geschieht. Am leichtesten ist dies in der Leisten- und vordem
Bauchgegend ausführbar, wo man aber die Verlezung von Gedärmen und
Gefässen zu vermeiden hat. Man schneidet da ein , wo sich die Fluctua-
tion am frühesten gezeigt hat. Im Nothfall kann man am Scheiden-
gewölbe einschneiden. Bei rasch sich bildenden Abscessen genügt eine
baldigst vorgenommene massig grosse Oeffnung ; bei chronischen Absces-
sen eilt man in der Regel mit der Eröffnung nicht sehr , weil die Cysten-
wand nicht , wie beim acuten Abscess , zur Heilung geneigt ist und das
Secret gern jauchig wird ; hat man sie aber durch die Punktion entleert
und tritt Jaucheanhäufung ein , so kann man weiteren Zerstörungen nur
durch eine ergiebige Erweiterung der Punktionsöffnung vorbeugen. Bei
Eintritt von Zeichen der Erschöpfung vor und nach dem Durchbruche des
Abscesses gibt man roborirende Mittel, bei colliquativen Zufällen und
Resorptionserscheinungen erweisen sich Opium und die antiseptischen
Mittel nüzlich.
Eierstockwassersucht, Hydrops ovarii, Hydro varion,
Hydroophoria. Man pflegt jede Ansammlung von Flüssigkeit im
Ovarium als Hydrops desselben zu bezeichnen, auch wenn der fluctuirende
Inhalt kein Wasser, sondern irgend ein flüssiges Entzündungsproduct ist.
Gewöhnlich werden folgende drei Arten von Eierstockwassersuchten an-
genommen : 1) Eierstockhydatidenwassersucht, Hydrops
ovarii hydatidosus, wo eine verschiedene Menge unter sich nicht
verbundener, lose neben einander liegender Wasserblasen (einfache Cysten)
von der Grösse einer Erbse bis zu der eines Taubeneies, einzelne selbst
bis zu der eines Mamiskopfs, während die andern klein bleiben), die sich
höchst wahrscheinlich aus den Graafschen Follikeln hervorgebildet
haben (theils auch Neubildung sind) , frei in dem mehr oder weniger ent-
arteten und zu einem häutigen Sacke gewordenen Ovarium sich befinden
und einen verschiedenen Inhalt (eine dünne lichtgelbe Serosität, die nicht
selten durch Blutt.heile röthlich , bräunlich oder braunschwarz gefärbt ist,
andere Male eine gelatinöse Flüssigkeit (s. Colloid), auch Eiter- und
Jaucheergüsse etc.) zeigt. — 2) Sackwassersucht des Eier-
stocks, Hydrops ovarii saccatus, wo die Wasseransammlung
zwischen der serösen und fibrösen Haut des Ovariums statthatte und lez-
teres oft nur durch die davon abhängige Compression schwindet , oder
wohl auch durch Entzündung und Verhärtung die Veranlassung zur Was-
EIERSTOCKKRANKHEITEN. WASSERSUCHT. 227
sersucht gab. Das dem reinen Serum ähnliche Wasser ist in einem ein-
zigen oder auch in mehreren Sticken enthalten , welche nicht communi-
ciren, aber auch nicht lose neben einander liegen , sondern adhäriren und
eine Art von falscher Zellenbildung zeigen. — 3) Zellenwasser-
sucht des Eierstocks, Hydrops ovarii cellulosus s. cysti-
c u s , der häufigste Hydrops, wo der entartete, knotige Eierstock eine un-
bestimmte Anzahl grösserer oder kleinerer, zum Theil mit einander com-
municirender, nicht mit reinem Serum , sondern mit den verschiedenartig-
sten Flüssigkeiten angefüllte Cysten (zusammengesezte Cystoiden , s.
Cysten) enthält. Auch eine alveolare Entartung des Eierstecks kommt
vor (s. Colloid). — Gewöhnlich erkrankt nur ein Eierstock, bisweilen
jedoch beide nach einander , wo alsdann der eine stets hinsichtlich der
Grössenzunahme und Lage Veränderung hinter dem andern zurückbleibt.
— Symptome. Das Leiden tritt entweder mit einer Reihe von Ent-
zündungs - und Congestionszufällen , oder ohne diese , als einfache Vege-
tationsanomalie schleichend auf. Hat die Geschwulst einige Grösse er-
reicht , so macht sich in der Gegend des Eierstocks anfangs nur ein Ge-
fühl von Druck und Schwere bemerklich , später erscheinen eine Reihe
von Zufällen, welche von dem mechanischen Einfluss der Geschwulst her-
rühren. Dieselben gehen vorzugsweise von der Compression des Ree-
tums, der Blase, der Gebärmutter, von der Zerrung der Uterusbänder und
von dem Drucke der Beckengefässe aus und äussern sich diesem nach als
Verstopfung, Blähungen, Harnbeschwerden, wehenartige Schmerzen, Taub-
heit im Schenkel der entsprechenden Seite etc. Mit dem Grösser-
werden der Cyste vermindern sich diese Zufälle , weil sie sich aus dem
Becken erhebt , dagegen treten aber andere auf, welche von der Com-
pression der Bauch- und Brustorgane herrühren. Diese bestehen in Ver-
dauungsbeschwerden, Athmungs und Circulationsbeschwerden. Hand in
Hand mit diesen Erscheinungen geht die eigentümliche Ausdehnung des
Leibes und die Beschwerde , welche das Gewicht der Geschwulst verur-
sacht. Die Form des Leibes ist gewöhnlich eine kugel- oder fassförmige;
bei kleinen, seitlich gelagerten Cysten springt dagegen eine Seite über
die andere vor ; bei Vorhandensein mehrerer Cysten zeigt der Bauch ein
höckeriges Aussehen. So lange die Geschwulst durch consecutive Ent-
zündungen noch keine Verwachsungen mit ihrer Umgebung eingegangen
hat, ist sie beweglich und verschiebbar ; durch das Scheidengewölbe und
den Mastdarm fühlt man Fluctuation. — Viele Cysten erreichen nur eine
massige Grösse, bleiben dann unverändert und beeinträchtigen das Leben
und die Gesundheit auf keine auffallende Weise ; auch eine Verkleinerung
der Cysten kommt vor und zwar entweder unter Abnahme des Inhalts oder
indem die Wandungen derselben eine Metamorphose erleiden , unter wel-
chen namentlich die Verknöcherung zu nennen ist. In andern Fällen
sind dagegen die Cysten in einem beständigen Wachsthum begriffen, wel-
ches meist stossweise erfolgt und ohne Grenzen ist. Hier treten mit der
15*
228 EIERSTOCKKHANKHEITKN. WASSEKSUCHT.
Zeit heftige Zufälle von entzündlicher Heizung und von Bluterschöpfung
hinzu und es gehen dann die Individuen, wenn die Kunst nicht einschrei-
tet, unter den Erscheinungen der Peritonitis oder unter den Zufällen der
Hydrämie bei Hinzutritt hydropischer Ergüsse zu Grunde. — Der Durch-
bruch der Cyste erfolgt mit oder ohne vorbereitende Entzündung auf ver-
schiedenen Wegen , am häufigsten durch das Rectum und mit oder ohne
nachfolgende Verödung des Cavums. Seltener erfolgt die Entleerung des
Inhalts einer Cyste in die Bauchhöhle. — Behandlung. Im Beginne
des Uebels, wo die Diagnose noch nicht festgestellt ist, kann die Behand-
lung begreiflicher Weise nur eine symptomatische sein. Am häufigsten
hat man es hier mit Entzündungszufällen zu thun und es kommt dann
dieselbe Behandlung zur Anwendung, wie sie gegen Oophoritis empfohlen
wurde. Später zieht man unter einem gehörigen diätetischen Regime
Abführmittel , Diuretica , Mercurial - und Jodmittel , die Entziehungskur,
«alinische Mineralwasser in Gebrauch und wenn dieses Heilverfahren ohne
Erfolg bleibt und dringendere Zufälle eintreten , so hat eine chirurgische
Behandlung einzutreten. Diese zerfällt in eine palliative und eine radi-
cale ; die erste sezt sich bloss die einfache Entleerung des Inhalts des
Cystovariums zur Aufgabe, die radicale strebt eine Verwachsung oder die
völlige Entfernung desselben an. Die Punktion der Cyste wird ent-
weder durch die Bauchdecken, oder durch den Scheidengrund oder durch
das Rectum vorgenommen. Ueber das Verfahren dabei s. den Art. Punk-
tion. Das Palliativverfahren ist wegen seiner Gefährlichkeit (bedingt
hauptsächlich durch die nachfolgende Bluterschöpfung) und wegen der
Unsicherheit der beabsichtigten Erleichterung nur auf die Fälle zu be-
schränken, wo gefahrdrohende oder sehr lästige Zufälle zugegen sind. —
Die Radicalverfahren haben alle mit Ausnahme der Exstirpation
die Erregung einer Entzündung und damit eine Verwachsung der Cysten-
wände durch plastisches Exsudat oder Granulationsbildung zum Zwecke.
Die Verfahren sind folgende : 1 ) Punktion der Cysten und Offenhalten
derselben durch Einlegen von Röhren. Dieses Verfahren verspricht mehr
Erfolg , wenn die Punktion von der Scheide aus , als wenn sie an der
Bauchwand vorgenommen wird, weil sich im ersteren Falle die sich bildende
Jauche vollständiger entleeren kann ; 2) Reizung der Cysten wand
durch Injectionen; dieses Verfahren ist nicht zu empfehlen, da sich
die eintretende Reaction nicht zum Voraus bestimmen lässt ; 3) Inci-
sion der Cyste. Zur Ausführung dieser Operation sah man sich bei
der einfachen Parazentese durch die ungewöhnliche Zähflüssigkeit des
Cystenmhalts , so wie bei vergebens versuchten Exstirpationen veranlasst
und da sie dabei manchmal ohne Lebensgefahr geübt wurde, so Führte
man sie auch selbständig aus. Um einen Erguss des Inhalts in die Bauch-
höhle bei dem Zusammensinken der Cyste zu verhüten , suchte man eine
Verwachsung der Punktiorisstellen hervorzurufen und wandte zu diesem
Zwecke Aezmittel auf die betreffende Stelle , das wiederholte Einstechen
EIERSTO0KKKANKHE1TEN. WASSERSUCHT. 229
mehrerer langen Nadeln etc. an , legte auch die Cyste bloss und liess sie
so lange ollen liegen, bis sich im Umfange der Wunde Adhäsionen gebil-
det hatten, worauf man zur Incision schritt. Dieses Operationsverfahren
weist mehrere gelungene Fälle auf. 4) Verbindung therapeuti-
scher Mittel mit der Punktion. Brown wandte längere Zeit
innerlich und äusserlich Mercurialien an, gab daneben diuretische Mittel,
welche er später mit tonischen verband und legte eine drückende Bauch-
bandage an , um das Wachsthum der Cyste zu hemmen , worauf er zur
Punktion und Entleerung derselben schritt. Die Nachbehandlung be-
stand in der mehrwöchentlichen Anwendung eines- gutgepolsterten Druck-
verbandes und in dem längere Zeit fortgesezten Gebrauche obiger Medi-
camente. Andere wandten nach geschehener Paracentese Antihydropica
und innerlich und äusserlich Jod an. Dieses Verfahren soll einige gün-
stige Erfolge gehabt haben ; es empfiehlt sich durch seine geringere Ge-
fährlichkeit. — Von allen diesen Verfahren ist indessen nur bei einfachen
Cysten etwas zu erwarten. Sobald mehrere Cysten neben einander liegen
oder sich secundäre Cysten in einer Muttercyste entwickeln, so wie bei der
alveolaren und einer sarcomatösen Entartung (Cystosarcom) können sie
nichts leisten. Hier hat man ein eingreifenderes , das Uebel vollständig
beseitigendes Verfahren, d. h. die Exstirpation der Ovariencyste oder des
ganzen Eierstocks in Vorschlag gebracht und auch wiederholt ausgeführt.
— Die Exstirpation des Ovariums ist ein Eingriff von grösster Be-
deutung. Nach den statistischen Nachrichten über diese Operation ver-
lor mehr als die Hälfte der Operirten das Leben ; es ist deshalb gewiss
gerechtfertigt , wenn diese Operation nur dann gemacht wird , wenn die
Krankheit bedeutend beschwert oder das Leben des Individuums gefähr-
det ist. Ausserdem ist, um über die Zulässigkeit der Operation urtheilen
zu können, Folgendes zu berücksichtigen. 1) Die Ovariencysten besizen
fast immer Adhärenzen ; das Vorhandensein und die Ausdehnung derselben
ist niemals im Voraus mit Sicherheit zu bestimmen; 2) ob die Grundlage
der Cystenbildung ein bösartiges Neugebilde, ist ebenfalls bisweilen nicht
zu diagnosticiren ; 3) es stellt sich somit öfters erst bei der Operation
heraus, dass dieselbe nicht zu vollenden ist, und zwar wegen zu bedeuten-
der Adhärenzen , oder wegen des Vorhandenseins einer nicht ganz ent-
fernbaren bösartigen Neubildung , welche die Grundlage der Cystenbil-
dung ist. Man hat somit in allen Fällen die Kranke allen Gefahren der
Operation ausgesezt , ohne irgend etwas erreicht zu haben. Auf der an-
dern Seite kann aber auch nicht unerwähnt bleiben , dass die Krankheit
manchmal so qualvoll ist, dass von Seiten der Leidenden der dringendste
Wunsch erwacht, selbst mit offenbarer Lebensgefahr von ihrem Uebel be-
freit zu werden. Auch ist in vielen Fällen beim Fortbestande der Krank-
heit an eine längere Lebensfristung nicht zu denken, wogegen in solchen
Fällen die Operation noch immer einen befriedigenden Erfolg haben kann.
Dieselbe ist deshalb nicht unbedingt zu verwerfen. Hat man sich für
230 EIERSTOCKKRANKHEITEN. GESCHWUELSTE.
die Operation entschieden , so kann diese auf zwei ziemlich verschiedene
Arten ausgeführt werden , und zwar mit dem kurzen oder langen Schnitt.
Vor der Operation sorgt man für Stuhl- und Harnentleerung ; die Kranke
liegt auf dem Rücken auf einem schmalen Tische und 3 — 4 Gehülfen
sind zur Unterstüzung des Operateurs und der Kranken bereit. 1) Kur-
zer Schnitt. Man macht einen Schnitt von etwa 2 Zoll Lange bis
auf die Cyste , punktirt dieselbe , zieht hierauf den zusammengehaltenen
Sack durch die Wunde heraus und trennt seine Basis nach der Unterbin-
dung des Stiels mit dem Messer. Bei diesem Verfahren wird die Exstir-
pation bisweilen durch vorhandene Adhäsionen , bei deren Durchtrennung
der kleine Schnitt zu wenig Zugänglichkeit gewährt, sehr erschwert, man
empfiehlt daher 2) einen grossen Einschnitt von 4 — 5 Zoll in der
weissen Linie zwischen dem Nabel und der Schambeinsymphyse durch die
Haut zu machen, das Bauchfell in der Ausdehnung von 3 — 4 Zoll zu
spalten und dann die Hand in die Bauchhöle einzuführen, um sich eine
nähere Kenntniss von dem Verhalten der Geschwulst zu den Nachbar-
organen zu verschaffen. Erweist sich der Schnitt als zu klein , so ver-
größert man ihn nach Bedürfniss. Sollten sich bedenkliche Hindernisse
für die Fortsezung der Operation ergeben, so kann sie häufig ohne Lebens-
gefahr für die Kranke abgebrochen werden. Andernfalls spaltet man nun
den Balg , hebt die Geschwulst durch die Wunde allmälig hervor , löst
leichtere Adhäsionen schonend mit der Hand und durchschneidet derbere,
worauf man an die Trennung des Stiels geht, nachdem man ihn mit einer
Nadel durchstochen und die damit eingeführte Ligatur um beide Hälften
des Stiels gebunden hat. — Nach Vollendung der Operation bringt man,
wenn es nöthig ist , die Bauch - und Beckeneingeweide in ihre natürliche
Lage , taucht etwa in die Beckenhöhle ergossenes Blut oder andere Flüs-
sigkeiten mit einem zarten Schwämme auf und heftet die Bauchwunde
nach bekannten Regeln, nachdem man die Ligatur nach aussen geleitet
hat. Meistens reicht man nach der Operation ein Opiat , ist auch wohl
genöthigt, bei erschöpften Operirten zu analeptischen Mitteln zu greifen ;
gegen das häufig auftretende Erbrechen erweist sich das Morphium , wie-
auch ein Opiumklystier von Nuzen. Später muss der eintretenden Peri-
tonitis kräftig entgegengewirkt werden. Wenn der Tod nicht eintritt,
was meistens zwischen dem 2. und 6. Tage nach der Operation geschieht,
so erfolgt die Heilung meist in auffallend kurzer Zeit ; nur die Abstos-
sung der Ligatur verzögert sich.
Feste Eierstockgeschwülste. Solche sind: 1) die ein-
fache Hypertrophie mit mehr oder weniger beträchtlicher Gewebs-
veränderung ; 2) die Fette ysten mit oder ohne Haar- und Kno-
chenbildung; 3) die Apoplexien; 4) das Fibroid; 5) das
E n Chondrom und die Verknöcherung und 6 ) die verschiedenen
Krebsbildungen. — 1) Die einfache Hypertrophie mit
Gewebs Verdichtung ist meistens das Resultat einer acuten oder
EIERSTOCKKRANKHEITEN. GESCHWUELSTE. 231
chronischen Entzündung und geht aus einer mehr oder weniger reich-
lichen Exsudation fibrinöser Flüssigkeit in das Parenchym des Eierstocks
hervor, welche mit der Zeit starre Producte sezt. Diese Affection erreicht
nie einen bedeutenden Umfang. — 2) die Fettcysten gehen in den
meisten Fällen aus den Graafschen Follikeln hervor, enthalten eine
homogene, gelblich weisse Talgmasse, zuweilen mit andern Beimengungen
und erreichen oft die Grösse eines Kindskopfs. Selten sind sie eine Neu-
bildung. Sehr häufig finden sich in ihnen Haare, Zähne und Knochen-
concremente. — 3) die Apoplexien bestehen in einem Bluterguss in
einen Graafschen Follikel, welcher dadurch zu einem bedeutenden Um-
fang anwachsen kann. Der Bluterguss kann spontan oder in Folge von
Punktionen entstehen. — 4) die fibrös en Geschwülste kommen
für sich bestehend als rundliche solide Massen, oder als fibröse Zwischen-
substanz bei den fibrösen Cystoiden vor. Lezteres ist der häufigere Fall.
Sie können die Grösse eines Kindskopfs erreichen. Zuweilen sind sie mit
Krebs, Fettcysten etc. combinirt. — 5) das En Chondrom kommt sel-
ten vor ; die Knochenbildung besteht in partieller oder totaler Ver-
knöcherung anderer Neubildungen oder auch einer Cystenwand. — 6) der
Krebs der Ovarien kommt als fibröser und medullärer vor.
Der erstere ist die bei weitem seltenere Form, die gewöhnlich keinen be-
deutenden Umfang erreicht. Der Medullarkrebs kann ursprünglich als
solcher auftreten oder in einem anderweitig erkrankten Ovarium entstehen,
oder von einem andern Organe, am häufigsten dem Uterus auf das Ovarium
übertreten ; häufig combinirt er sich mit der alveolaren Entartung des
Eierstocks , weshalb Einige diese Krebsform als alveolaren Krebs
bezeichnen (s. Colloid und Krebs). Der Krebs kann lange Zeit auf
das Ovarium beschränkt bleiben und eine ungeheure Grösse erreichen ; in
einzelnen Fällen pflanzt er sich auf die Nachbargebilde fort. Wenn der
anfangs harte Krebs sich erweicht r so kann er zu diagnostischen Miss-
griffen Veranlassung geben. — Erscheinungen und Diagnose.
Die Erscheinungen der vorstehend aufgeführten Eierstockgeschwülste be-
ziehen sich beinahe sämmtlich nur auf die mechanischen Verhältnisse.
Das Auftreten derselben ist meist an keine auffallenden Symptome ge-
knüpft. Die meisten geben bei der Untersuchung das Gefühl einer ela-
stischen Derbheit und einer glatten Oberfläche und zeigen sich unem-
pfindlich ; nur die Apoplexien und der erweichte Krebs ergeben nicht sel-
ten eine dunkle Fluctuation. — Behandlung. Die Hypertrophien
und die geringeren Apoplexien können durch ein die Resorption betäti-
gendes Verfahren rückgängig gemacht werden. Zu diesem Behufe zieht
man gelind ausleerende Mittel , die Merkurialien , das Jod innerlich und
ausserlich, lösende Mineralwasser, die Soolen- und Seebäder, örtliche Ab-
leitungen, eine gemässigte Antiphlogose in Gebrauch. Die schlaffen Fi-
broide können derselben Behandlung unterworfen werden , wodurch zum
wenigsten ihr Fortschritt gehemmt werden kann. Gegen die. übrigen
232 EITERUNG.
Geschwülste sind alle therapeutischen Eingriffe erfolglos ; bei ihnen kann
daher nur von einer symptomatischen Behandlung die Rede sein , nament-
lich sind es die hin und wieder auftretenden Entzündungszufälle , Stuhl-
verstopfung , Harnbeschwerden etc. , gegen die man einschreiten muss.
Bei den einfachen Formen dieser Geschwülste, mit Ausnahme des medul-
lären Krebses , kann die Rede davon sein , sie durch die Exstirpation zu
entfernen.
Eiterung, Suppuratio, Pyosis. Hierunter versteht man
die Umwandlung des bei der Entzündung gesezten Exsudats in Eiter. —
Die Eiterbildung, Pyogenesis, erfolgt nach den allgemeinen Ge-
sezen der organischen Entwicklung, wie die Bildung von Körnchenzellen,
und zwar beobachtet man dabei folgenden Vorgang : in dem anfangs
durchaus flüssigen , formlosen Exsudate entwickelt sich da , wo dasselbe
sich in Eiter umzuwandeln im Begriffe ist , zuerst wahrscheinlich durch
Aggregation der Moleküle, Kerne und demnächst um diese Kerne Zellen-
membranen, welche Productionen sich mit dem ursprünglichen, wahrschein-
lich etwas veränderten Serum des exsudirten Plasmas mischen und so den
vollständigen Eiter darstellen. Wahrscheinlich ist der Vorgang der Bil-
dung ganz derselbe , wenn der Eiter aus festem Exsudat besteht , indem
hier stets eine Verflüssigung des Exsudats vorausgeht. Aus extra-
vasirtem Blute kann sich , nachdem dasselbe wieder erweicht ist , Eiter,
und zwar wahrscheinlich auf demselben Wege entwickeln. Immer ist in
allen diesen Fällen eine dem Liquor sanguinis ähnliche Flüssigkeit
das Plasma des Eiters , aus welchem durch die Entwicklung der Eiter-
körperchen der Faserstoff verschwindet, so dass die zurückbleibende Eiter-
flüssigkeit sich dem Blutserum analog verhält. Die Körnchenzellen schei-
nen auf doppelte Weise entstehen zu können : entweder nämlich in der
Art , dass fertig gebildete Eiterzellen sich allmälig mit einem körnigen
Inhalte füllen, oder dadurch, dass Körnchen sich zu Kugeln an einander
legen, um welche sich nachträglich Zellenmembranen entwickeln. — Die
ausgebildeten Eiterkörperchen bestehen also nach dem Vorhergehenden
aus zwei Substanzen , einer Kern- und einer Hüllensubstanz, die
sich chemisch verschieden verhalten. Der einfache Eiterkern entsteht
durch das Verschmelzen von 2 — 3 Elementarkörperchen. — Das Eiter-
körperchen ist keiner weiteren Entwicklung fähig.
Der Eiter, P u s , ist aus zwei Bestandtheilen zusammengesezt,
aus den Eiterkörperchen, und aus einer Flüssigkeit, Eiterserum,
in welcher diese suspendirt sind. — Das Eiterserum kommt in seinem
Verhalten ganz mit dem Blutserum überein, nur dass es keinen Faserstoff*
enthält wie dieses ; sein Hauptbestandtheil ist aufgelöstes Eiweiss. —
Die Eiterkörperchen sind in gutem Eiter ziemlich gleichförmig,
sphärisch, an der Oberfläche körnig, derb, gewöhnlich undurchsichtig ; ihr
Durchmesser betragt 0,00 5 Linien und darüber: in Haufen erscheinen
>ic gelblich weiss ; wegen ihrer specitischen Schwere sinken sie im Eiter-
serum zu Bodeir; ihre Hüllensubstanz ist eiweissig, der Kern faserstoffig.
Ausser den Eiterkörperchen finden sieh im Eiter bisweilen noch andere
rundliche Mölecule (Körnchenzellen), Kry stalle und FaserstoffgerinnseK
— Die Consistenz des Eiters hängt von der Menge der darin suspendir-
ten Eiterkörperchen ab. Enthalt er dieselben in grosser Menge, ist er
von milder rahmartiger Beschaffenheit, von fadem Geruch und süssliehem
Geschniack, so nennt man ihn guten Eiter (P u s bona m et 1 a u d a-
b i 1 e) ; enthalt er wenig Eiterkörperchen in vielem Serum — serösen
Eiter; ist derselbe stinkend, grünlich, bräunlich, und corrodirt derselbe
gesunde Hautstellen, so nennt man ihn Jauche (I c hör, Sanies).
Diese Verschiedenheit des Eiters hängt theils von der Constitution des
Kranken, theils von örtlichen Umständen ab. So erzeugen cachectische
Individuen meistens jauchigen Eiter, und ein guter Eiter verdirbt, wenn
er nach Eröffnung eines Abscesses nicht frei abfliessen kann. Andere
Verschiedenheiten des Eiters hängen oft von fremden Beimischungen ab,
wie Blut, Schleim, Milch etc.; auch Gemüthsbewegungen , Erkältungen
etc. üben einen Einfluss auf die Beschaffenheit des Eiters. — Der Eiter
kann mit Schleim , Blut , Milch , besonders aber mit ersterem verwechselt
werden ; man hat sich deshalb von jeher viele Mühe gegeben, beide Flüs-
sigkeiten auf chemischem Wege zu unterscheiden (Eiterprobe n).
Eine der neuesten und besten Methoden ist die von Scher er. Der-
selbe sezt zu der zu untersuchenden Flüssigkeit so lange Alkohol hinzu,
bis ein Niederschlag entsteht, und digerirt diesen in gelinder Wärme mit
destillirtem Wasser. Bleibt ein im Wasser unlöslicher Rückstand , so
enthielt die Flüssigkeit Albumin und folglich Eiter. Löst sich der ganze
Niederschlag wieder auf, so war es nur Schleim, der ja auch durch Alko-
hol , jedoch in einem im Wasser wieder löslichen Zustande, gefällt wird.
Hat sich ein Theil des Niederschlags im Wasser gelöst , während ein an-
derer ungelöst blieb, so handelt es sich um ein Gemenge von Schleim und
Eiter. Man kann alsdann durch Filtriren den aufgelösten Schleim von
dem präeipitirten Albumin trennen, und nachdem man durch abermaligen
Zusaz von Alkohol zu dem Filtrat aufs Neue den Schleim niedergeschlagen
hat, beide Stoffe sogar quantitativ bestimmen. Weniger sicher ist die
mikroskopische Untersuchung , weil auch im normalen Schleime Zellen
vorkommen, die den Eiterkörperchen durchaus gleichen. Eine grosse An-
zahl solcher Zellen lässt indessen ziemlich sicher auf eine Eiterung schlies-
sen. — Die Unterscheidung des Eiters von der Milch ist leicht, indem die
Milchkügelchen viel kleiner als die Eiterkörperchen sind, keinen Kern und
eine glatte Oberfläche haben. — Die Unterscheidung des Eiters vom Blut
ist an und für sich leicht , da sich die Eiterkörperchen von den scheiben-
förmigen , kernlosen , farbigen Blutkügelchen wesentlich unterscheiden ;
schwieriger ist es aber, darzuthun, ob sich Eiter im Blut befindet, weil sich
im Blute ausser den farbigen Blutkörperchen auch farblose , sogenannte
234
EITERUNG.
Lymphkörperchen finden, die mit den Eiterkörperchen übereinstimmen. —
Bedingungen zur Eiterbildung. Je reicher ein Theil an blut-
führenden Haargefässen ist und je laxer seine Gewebe sind, desto geneig-
ter ist er zur Eiterbildung ; daher ist diese im Zellgewebe und auf Schleim-
häuten am häufigsten anzutreffen. Soll aber Eiterung zu Stande kommen,
so ist es nothwendig , dass das Blut eine quantitativ und qualitativ ver-
änderte Flüssigkeit absondert und die Haargef ässe in eine solche Erschlaf-
fung versezt werden , dass sie diese Flüssigkeit durchlassen. Beide Be-
dingungen sind bei der Entzündung und zwar bei den höhern Graden der-
selben gegeben. Obgleich aber in der Regel dem Entstehen von Eiter
Entzündung vorhergeht, so gibt es doch auch Fälle, in welchen sich Eiter
bildet ohne irgend eine bemerkbare Spur von Entzündung , namentlich
sieht man erschlaffte Schleimhäute Eiter ohne Entzündung abscheiden ;
ebenso sieht man die kalten Abscesse ohne bemerkbare Spuren von Ent-
zündung zu Stande kommen ; in gleicher Weise sieht man Blutextravasate
unter Schmelzung sich in Eiter verwandeln , wie man auch zuweilen in
dem Faserstoffgerinnsel des Herzens und der grossen Gefässe, welches in
gar keinem organischen Zusammenhange mit dem Körper steht , Eiter-
körperchen antrifft. Es müssen also noch andere Momente Theil haben,
die wir nicht kennen. Einigen Aufschluss hierüber gibt die Thatsache,
dass dies vorzugsweise bei scrophulösen, cachektischen Subjecten vorkommt
und dass oft an mehreren Stellen zugleich eiterige Absonderungen ent-
stehen, ohne dass äussere locale Ursachen mit gewirkt hätten. Der leztere
Umstand weist auf eine wesentliche Betheiligung der Blutmasse bei diesem
Vorgange hin , was zu der Annahme einer eigenen purulenten Dia-
these geführt hat. — Die Nerven sind nicht ohne Einfluss auf die Eiter-
bildung ; die Durchschneidung des Hauptnervens eines Gliedes lässt diese
nicht zu Stande kommen. — Wirkung der Eiterung aufden
Körper. Diese ist eine örtliche und allgemeine. Mit der Bildung von
Eiter lassen die auf eine beträchtliche Höhe gesteigerten Entzündungs-
symptome etwas nach, der Schmerz wird dumpfer, mehr klopfend , Röthe
und Geschwulst nehmen etwas ab , leztere wird weicher , fluctuirend, die
Umgegend ödematös. Ist die Eiterung bis zu einem gewissen Grade ge-
diehen , so wird der ganze Organismus in Mitleidenschaft gezogen , es
treten Fieberbewegungen hinzu , welche mit einem stärkeren oder schwä-
cheren Frostanfalle beginnen, nach kürzerer oder längerer Dauer des lez-
tern in Hize übergehen, wobei der Puls sehr beschleunigt wird , Wangen
und Hände heiss werden , und mit starkem Schweisse und Bodensaz im
Urin endigen. Man nennt dieses Fieber Eiter ungsfieber, Febris
suppurativa. Ein solcher Anfall erscheint entweder nur einmal, oder
er wiederholt sich öfter (Mat ur ations fie b er), in der Regel so lange,
bis die Entleerung des Eiters zu Stande gekommen ist. — Wird eine
copiöse Eiterung durch längere Dauer allzu sehr erschöpfend , so nimmt
das Eiterungsfieber zu und es stellt sich Abzehrung ein. Man nennt dann
ELECTROTHERAPIE. 235
das Fieber hektisches oder Zehrfieber, Febris hectica s.
consumtiva. Seiner Natur nach ist es vom Eiterungsfieber nicht ver-
schieden. Es macht meistens gegen Abend einen Anfall ; später werden
die Anfalle häufiger , stellen sich Mittags und Abends ein. Der Kranke
geht endlich unter erschöpfenden Schweissen und Diarrhöen zu Grunde.
— Das Zehrfieber und wahrscheinlich auch schon das Eiterungsfieber ist
unzweifelhaft einer Eiterresorption zuzuschreiben. Dass Eiter in die Blut-
masse gelangen kann, steht fest (s. Pyämie). Auch gewisse flüchtige
Bestandtheile des Eiters können eine Eiterinfection bewirken. In Spi-
tälern, wo viele Kranke mit eiternden Wunden liegen, entwickelt sich eine
eigentliche Diathesis purulenta, so dass fast alle frischen Wunden
mit Eiterung heilen. — Die Eiterung tritt entweder in neugebildeten ge-
schlossenen Höhlen oder auf freien Flächen auf. Die Eiterbildung in
geschlossenen Höhlen , nennt man Eiterbeule, Eitergeschwulst.
S. Abscess und Wunden, — B.e handlung. Diese bezweckt im
Allgemeinen Beförderung der Eiterung. Handelt es sich um eine offene
Eiterung, so besteht die Behandlung gewöhnlich in einem der Vitalität
der Eiterfläche angemessenen Salbenverbande. Bei profuser Eiterbildung
macht sich die Anwendung stärkender Mittel örtlich und innerlich noth-
wendig ; namentlich erweist sich bei sinkenden Kräften eine leicht ver-
dauliche nährende Kost , guter Wein , ein Infusum oder Decoctum
chinae mit Säuren nüzlich. Bei zu geringer Eiterung liegt der Grund
entweder in einem zu gereizten Zustande oder in einer Schlaffheit oder in
Torpor des Theiles. Im ersten Falle ist ein antiphlogistisches Verfahren,
der Gebrauch lauwarmer Umschläge , im zweiten ein trockener Verband
oder reizende Salben und Tinkturen in Anwendung zu bringen. Bei ge-
schlossenen Eiterungen befördert man die Eiteransammlung durch er-
weichende, oder bei torpidem Zustande durch reizende Breiumschläge und
sorgt dann für die Entleerung des Eiters (s. Abscess).
Electrotherapie. Man verteilt hierunter die Heilmethode,
wo man dem Körper electrisches Fluidum, welches man ausser demselben
zu polarer Thätigkeit erregt hat , zuströmen lässt. Das electrische Agens
im Allgemeinen erregt die organischen Bewegungen , beschleunigt den
Kreislauf , die Respiration , die Ab- und Aussonderungen , erhöht die Ge-
hirn- und Nerventhätigkeit. Der positive Pol der Electricität ergreift aber
vorherrschend das Muskel- und Gef ässsystem , der negative Pol das Ner-
vensystem , und durch die vereinte Wirkung beider wird also das gegen-
seitige Verhalten des irritablen und sensiblen Lebens im Totalorganismus
stärker hervorgerufen. Ihre Anwendung passt daher überhaupt bei ver-
minderter Thätigkeit der organischen Verrichtungen , vorzugsweise jedoch
bei verminderter Thätigkeit des Nervensystems sowohl an sich, als im Ein-
flüsse auf andere Verrichtungen. — Unter den vielen Krankheiten , bei
welchen die Electricität angewendet wurde , sind es nur die nachfolgen-
2'3€ BLECTROTHERAPIE. ELKCTRIC1TAET.
den, bei denen sieh eine Hülfe von ihr erwarten lässt : 1) Asphyxien; hier
dient sie als Erweekungsmittel , aber nur bei solchen , wo die kurz vorher
noch volle Lebenskraft schnell unterdrückt wurde , wie durch Ertrinken,
Erhängen, Ersticken; 2) örtliche Lähmungen und zwar hauptsächlich bei
solchen, welche durch Verlezung der Nerven entstanden sind, z. B. Läh-
mung der Augenmuskeln nach Quetschverlezungen , Amaurosen , welche
durch Erschütterung des Augapfels, durch Einwirkung eines grellen Lich-
tes oder betäubende Mittel ; Taubheit , Lähmung der Zunge und Verlust
des Geruches , welche in Folge von starken Erschütterungen , Convulsio-
nen und apoplectischen Anfällen , Lähmungen der Harnblase , des Mast-
darmes und der Extremitäten, welche in Folge von Rückenmarkserschüt-
terungen entstanden sind. Doch hat man auch solche örtliche Lähmun-
gen , welche durch Metastasen hervorgerufen wurden , hie und da mit
Erfolg mit der Electricität behandelt ; 3) gegen rheumatische und gich-
tische Beschwerden , gegen Ausschlagskrankheiten , welche nicht gehörig
ausbrechen, gegen Verhaltung der Menstruation aus Erschlaffung, gegen
Bleichsucht, Rhachitis, Drüsenverhärtungen, kalte Geschwülste, Geschwüre,
Varicositäten der Beine, Angiectasien und gegen Warzen, welche in gros-
ser Anzahl vorhanden sind , wurde die Electricität mit verschiedenem Er-
folge angewendet. — Man hat sich bis jezt folgender Hauptverfahrungs-
weisen bedient: der Reibungselectricität, der Berührungselectricität oder
des Galvanismus , der Electropunctur und der electro-magnetischen und*
magneto-electrischen Apparate ; noch ist die in neuester Zeit in Anwen-
dung gekommene mehr chemisch-physikalisch wirkende Art von Electri-
cität, die Electrolysis und die Galvanocaustik zu erwähnen.
Anwendung der Reibungselectricität. Zu dieser bedient
man sich der Electrisirmaschinen mit dem nöthigen Isolirungsapparat,
Ketten, der Kleist'schen oder Leidner-Flasche, Entlader etc. Man hat Cy-
linder - und Scheibenmaschinen ; bei beiden wird die Elektricität durch
Reiben des Glases am Reibkissen hervorgebracht , die durch Saugspizen
aufgesaugt und dem Conductor zugeführt wird. Die Kleist'sche oder
Leidner-Flasche besteht aus einem gläsernen Gef ässe , welches auswendig
und inwendig mit Metallplättchen überzogen ist, während der freigelassene
Saum der Oeffnung des Glases die beiden Metallflächen isolirt. Die po-
sitive Electricität , der innern Fläche durch einen Metallstab zugeleitet,
zersezt durch vertheilenden Einfluss die natürlichen Electricitäten an der
äussern Fläche , treibt die positive zurück und bindet die negative , die
vermöge ihrer gegenseitigen Anziehung umgekehrt von jener einen Theil
bindet. Bringt man nach der Ladung zwischen beiden Flächen eine lei-
tende Verbindung zu Wege , so stürzen die beiden darauf angesammelten
Electricitäten mit grosser Schnelligkeit gegen einander und bringen ver-
möge ihres schnellen Durchganges durch die in die Leitung aufgenomme-
nen Organe eine heftige Erschütterung hervor. Mit mehreren solcher
Flaschen bildet man eine Batterie. — Die Anwendungsarten dieser Elec-
ELKCTROTHEHAPIE. — iCLECTRTCITAET. 237
tricität sind : a) Das electrisehe Bad. Hierunter versteht man die
einfache Mittheilung der Electrität , welche zwischen dem Kranken und
Conducfcor der in Bewegung gesezten Maschine mittels metallener mit iso-
lirenden Handhaben versehener Stäbe hergestellt wird., der Kranke mag
isolirt sein oder nicht , wobei man die Electricität am Centialende oder
am peripherischen Ende des leidenden Theiles einströmen lässt. Das elek-
trische Bad ist die mildeste Art und Weise, die Electricität anzuwenden;
man kann von ihm zu den kräftigeren Methoden übergehen. — b) Die
Durchströmung. Hierbei bringt man das eine ( peripherische oder
Central-) Ende des leidenden Theiles mit dem Conductor der Maschine
und das andere. Ende mit einem festen metallenen, auf den Boden reichen-
den Leiter oder mit dem Reibzeug der Maschine in Verbindung , wobei
der Kranke isolirt sein kann oder nicht. Diese Art wirkt ebenfalls nicht
stark und kann Stunden lang fortgesezt werden. — e) Electrisiren
durch den electrischen Hauch (Wind), die elektrische
D o u a h e. Man lässt das elektrische Fluidum aus dem Conductor der
Maschine oder aus einer Leidner Flasche durch Metallspizen oder durch
Halbleiter in den leidenden Thejl strömen, wobei man eine Menge Fünk-
chen und bei Nacht einen leuchtenden Büchel wahrnimmt. Diese Art
wirkt stärker und ist besonders da anwendbar, wo die der Haut nahe ge-
legenen Nerven und sonstige Theile oder die Hautnerven selbst gereizt
werden sollen. Man beniizt es namentlich bei Augen- und Ohrenkrank-
heiten. — d) Electrisiren durch Funkenziehen. Der Kranke
ist auf dem Isolirschemel ., steht mittels einer Kette mit dem Conductor
in leitender Verbindung , und wird so mit einer gewissen Quantität Elec-
tricität geladen , welcher er sich auf die benachbarten Körper zu entledi-
gen sucht ; nähert man dem so geladenen Körper (gewöhnlich dem leiden-
den Theile) einen in eine Kugel sich endigenden und mit dem Boden
durch eine Kette in leitender. Verbindung stehenden Draht oder andere
nicht elektrische Körper, so entweicht die Electricität in Form eines Fun-
kens .; oder man lässt, statt die Electricität dem Körper in Funkenform zu
entziehen , die Electricität in Funkenform in den nicht geladenen Körper
des Kranken überspringen, indem man den in eine Kugel sich endigenden
Draht mitteis einer Kette mit dem Conductor in Verbindung sezt , und
dem leidenden Theile des nicht isolirten Körpers nähert. Um die Wirkung
zu erhöhen , bedeckt man auch den leidenden Theil öder die Kugel des
Drahtes mit einem Nichtleiter , z. B. Flanell, Tafifet, oder bestreicht ihn
mit Oel. Diese Anwendungsart ist die gewöhnlichste und für die meisten
Fälle passendste , indem man den Grad der Stärke beliebig modificiren
kann. — e) Electrisiren durch Schläge. Dieses geschieht mit
der Leidner Flasche. Der leidende Theil des Kranken wird mit dem äus-
sern, und ein anderer Theil seines Körpers mit dem innern Belege der
geladenen Flasche, oder umgekehrt, in unmittelbare Berührung gebracht,
wodurch im Augenblicke der doppelten Berührung eine mehr oder weni-
238 ELECTROTHERAPIE. ELECTRICITAET.
ger heftige Erschütterung hervorgebracht wird. Mittels Lane's Aus-
ladeelectrometers kann man gleichmassige, nach der Entfernung der zwei
demselben eigentümlichen Messingkugeln , stärkere oder schwächere
Schläge ertheilen.
Anwendung der Berührungs- (Contact-) Electricität
oder des Galvanismus. Zur medicinischen Anwendung des Galvanis-
mus bedarf man einer galvanischen Batterie , Leitungsschnüre und ver-
schiedene Vorkehrungen zur Leitung des Stromes durch verschiedene
Körpergegenden und besondere Apparate zum schnellen Schliessen und
Oeffnen der Ketten. Meistens bedient man sich der Volta 'sehen Säule,
seltener eines Trog- oder Beckerapparates. Zur Construction einer Vol-
ta'sehen Batterie wählt man in der Regel Platten von Kupfer und Zink
von Thalergrösse , welche man auf einer Glasunterlage in der Weise auf-
baut, dass man mit einer Zinkplatte beginnt, dann eine solche von Kupfer
folgen lässt , dann eine mit Salzwasser oder verdünnter Säure getränkte
Scheibe von Tuch, Filz, Flanell oder Pappe auflegt und nun wieder Zink,
Kupfer, Leiter und so fort folgen lässt, bis man mit einer geöhrten Kupfer-
platte schliesst. Auf diese Weise nach Volta geschichtet, ist an der er-
sten Zinkplatte der positive , an der obersten Kupferplatte der negative
Pol ; legt man dagegen mit Ritter erst eine Kupferplatte , dann den
feuchten Leiter, dann Zink, Kupfer, Leiter, so ist der positive Pol an der
ersten Kupfer- , der negative an der lezten Zinkpiatte. Von den Becher-
und Trogapparaten ist der Daniel l'sche der bekannteste. Er besteht
aus einem cylinderförmigen Gefäss von Kupfer, welches mit einer Kupfer-
vitriollösung zur Hälfte gefüllt , und in welches ein gleich hohes , spiral-
förmig gewundenes, mit einer Blase umgebenes Zinkblech hineingesteckt
und lezteres dann mit einer Salmiak- oder Kochsalzlösung vollgefüllt
wird. Ausser dem D a n i e 1 1 'sehen Apparate ist noch der hydroelectrische
Apparat von G r o v e , der Apparat von Bimsen, die Kette von Roberts
zu erwähnen. — Man benuzt den Galvanismus als galvanische Strömung
oder man erzeugt Schläge und Erschütterungen, indem man die Kette ab-
wechselnd schliesst und öffnet. Die Anwendungsarten sind: a) Das gal-
vanische Bad. Der leidende Theil wird in ein Gefäss voll Salzwasser
untergetaucht , sodann bringt man den Leitungsdraht des einen Pols der
Säule in die Flüssigkeit, und den des andern Pols mittels einer Armatur
an eine ausserhalb des Salzwassers befindliche Stelle des leidenden Thei-
les ; oder beide Hände oder Füsse werden je in ein Gefäss mit Salzwasser
getaucht und in jedes derselben ein Pol der Säule geleitet. — b) Die
Armaturen. Man versteht hierunter Metallplatten und Stäbe, welche
so geformt sind, dass sie dem leidenden Theile genau anpassen, mit einem
Häkchen zur Aufnahme des Leitungtdrahtes versehen sind und mittels ge-
eigneter Bänder oder Heftpflaster an die Körpertheile befestigt werden.
Die Hautstellen , welche diese Armaturen bedecken , befeuchtet man mit
Salzwasser. Will man die Wirkung verstärken , so beraubt man die Stel-
ELECTR0THERAP1E. ELECTRICITAET. 239
len durch vorher aufgelegte Blasenpflaster ihrer Oberhaut und bedeckt sie
mit einem feuchten Schwämme oder mit einem Stücke frischen Fleisches,
über welche erst die Armatur angelegt wird. So verfährt man z. B. bei
der Epilepsie , hartnäckiger Gelenkwassersucht ; bei lezterer braucht man
auch blosse Platten , welche auf zwei der Oberhaut beraubte Hautstellen
(auf die eine eine Kupferplatte, auf die andere eine Zinkplatte, oder je ein
Plattenpaar, das eine mit der Kupferseite, das andere mit der Zinkseite)
gelegt und mit Draht oder' mit einer Kette verbunden werden. — c) Die
Metallbürsten. Man lässt die Electricität durch ein hechelartig mit
Drahtspizen versehenes Metallblech, die Spizen gegen die Haut gerichtet,
auf den leidenden Theil einwirken , und drückt , um die Wirkung zu er-
höhen, die Spizen etwas in die Haut ein. — d) Der feuchteSchwamm.
Man befestigt auf die Spize des Leitungsdrahtes einen feuchten Schwamm
und bringt ihn so an den leidenden Theil, — Bei jeder dieser Anwen-
dungsarten wird der Grad der Wirkung durch Stärke und Zahl der Plat-
tenpaare bestimmt. Zu beobachten ist , dass , wenn man zwei an dem
gleichen Uebel leidende Organe, z.B. beide Augen, Ohren etc., galvanisch
zu behandeln hat, man nicht den einen Pol auf das eine und den andern
Pol auf das andere Organ einwirken lasse , sondern dass man beide Or-
gane mit dem angezeigten Pole nach einander oder beide zugleich mittels
eines gabelförmig getheilten Leiters behandle.
Anwendung der Electropunctur. S. den Art. Acupunctur.
Die Einwirkungsarten sind : a) der galvanische Schlag; dieser wird
erzeugt, wenn man, nachdem eine Nadel mit dem einen Draht verbunden
ist, die andere mit dem andern Poldrahte berührt, oder nachdem die Nadel
mit dem Zinkpole verbunden ist , den Draht des Kupferpoles an eine Haut-
stelle bringt, unter der ein Nervenstamm liegt ; b) das Funkenziehen;
hier verbindet man den Zinkpol mit einer eingestochenen Nadel und be-
rührt mit der Spize des Leitungsdrahtes vom Kupferpole Hautstellen, die
keine verdickte Epidermis haben ; c) das Brennen wird .ebenso erzeugt,
nur dass man nicht mit der Spize, sondern mit der Seite des Drahtes den
Theil anhaltend und fest berührt ; d) das sanfte Durchströmen;
dies wird erlangt, wenn man mit dem einen Pole der Säule die Nadel in
Verbindung bringt und mit dem andern eine dauernde Verbindung mit
einer Körperstelle einleitet.
Anwendung der electrolytischen und galvanocausti-
schen Methode. Bei der ersten wird meistens die D a n i e 1 1 'sehe
galvanische Zink-Kupfer-Kette benüzt , in welcher der Zinkpol der posi-
tive, der Kupferpol der negative ist. Die speeifische Kraft, welche einem
jeden dieser galvanischen Ströme inne wohnt, ist nach Crusell im Zink-
pole die saure , befestigende, zusammenziehende, im Kupferpole die alka-
lische, verflüssigende, nachlassende. Diese Wirkung äussert sich nun der-
gestalt, dass, wenn ein Geschwür, eine offene Krebsgeschwulst u. dgl.,
mit der Zinkplatte bedeckt oder mit dem Zinkpole der Kette in Verbin-
240 KT.ECTnnTFiKüAPib;. — klkctiucjtaet.
<lung gesezt und <ler galvanisch«1 Strom eingeleitet wird, mich einiger Zeit
ein dicker Schorf, eine Coagulntionssehieht oontrahirten , vortrockneten.
verbrannten Gewebes sieh vorfindet. Auf gleiche Weise können dicke
Lagen schwammiger Wucherungen, krrbsiger fimgösor Excresernzcn, Con-
dylome, Gefässe und eroetile Geschwülste etc. ohne Blutung, ohne üblen
Geruch und fast schmerzlos abgetragen werden. Selbst grossere Opera-
tionen werden auf eleetrolytisehe Weise vollzogen ; so eine ganze link-
<eitige weibliche Brust , welche scirrhös war , ohne Blutung und Messer
abgenommen ; ein Fuss. der brandig geworden war. wurde gerettet, indem
dem Brande electrolytisch Grenzen gesezt wurden. — - Am Kupferpole
geht ebenfalls eine chemische Gewebsverwandlung aber mehr verflüssi-
gender Natur vor sich ; wenn es sich daher um eine Auflösung, z. B. von
Exsudaten . Geschwülsten , von Callusmassen im Umkreise von Geschwü-
ren u. dgl. handelt , so wird der Kupferpol mit der kranken Stelle in
Verbindung gebracht. Tn der neuesten Zeit ist namentlich der galvano-
caustischen Methode (von Middeldorpf u. A.) grosse Ausdehnung
gegeben worden . indem besondern Instrumenten die elektrische Glühhize
mitgetheilt wurde , mit Hülfe deren man unter Mitwirkung von Druck.
Zug , Schnitt oder Zusamnievisehnürung schnell und scharf begrenzt auf
die zu operirenden Theile einwirken kann : auf diese Weise werden mit-
tels der Schneideschlinge verschiedenartige Fistelgänge . wie Mastdarin-
fisteln , Thranenfisteln , durchschnitten , gestielte blutreiche Geschwülste
(Polypen etc.), selbst Körper-theile , wie das Zäpfchen, die Mandeln, der
Penis etc. abgetrennt : mittels verschiedener Arten sogenannter Brenner
Knochenfisteln , cariöse Zähne . telangiectatische Geschwülste , Harn-
röhrenverengerungen etc. eauterisirt. Ferner findet die Galvanocaustik
noch Anwendung : bei Neuralgie , zur Blutstillung bei Blutern . Varicen,
vergifteten Wunden , Abscessen , Cysten , der Kanula , Pseudarthrose und
wie schon oben angegeben wurde . bei Brand . Geschwüren , Carcinom.
M id d el d orp f 's Batterie ist aus 4 einfachen G r o v e 'schon eonstanten
Ketten in der Art zusaramengesezt . dass mittels eines geschickt ange-
brachten Commutators schnell die Combination zur einfachen Kette , zur
Säule aus zwei Paaren hergestellt werden kann. Zu den Leitungen, die,
wie natürlich , mit den Polen der Batterie communiciren , gehören seiden-
übersponnene , mit kurzen Unterbrechungen in Kautschukhülsen gefasste
Kupferdrähte, welche den galvanischen Strom zu den Operationsinstru-
menten führen , an welchen die Schliessung durch Platindraht vermittelt
wird. Dieser durch den galvanischen Strom zum Weissglühen erhizte
Platinschliessungsdraht ist eigentlich die Seele des Instrumentes. Die
Instrumente sind mit Schliessknöpfen oder Schliesschiebern versehen,
welche dem Operateur durch leichten Fingerdruck gestatten , den galva-
nischen Strom und somit auch das Glühen des Platins augenblicklich zu
unterbrechen. Der Patient wird sizend oder liegend vor oder zur Seite
iler Batterie postirt , so dass ihn die Leitungsdrähte umgeben ; und die
ELYTRORHAPHIE. 241
Instrumente kommen kalt mit der Applicationsselle in Berührung, wo man
dann erst durch einen Fingerdruck die intensivste Hize zu beliebigen End-
zwecken des Brennens , Zerstörens , Schneidens etc. sich entwickeln lässt.
Noch sei kurz der electrischen Moxe oder des galvanischen
Brenn kegeis gedacht, der von Hall, Br. Cooper, Bird in engem
Anschlüsse an die C r u s e 1 1 'sehe Methode bei Geschwüren und Gelenk-
geschwülsten in Anwendung gebracht worden ist. Der positive Pol
einer galvanischen Säule oder Batterie wird von Hall irgendwo am Kör-
per des Kranken , der negative auf das zu äzende Geschwür etc. ap-
plicirt.
Anwendung des Electro-Magnetismus und der Magneto-
Electricität. Man gebraucht einen magneto-eleetrischen oder electro-
magnetischen Apparat, die nöthigen Leitungsdrähte und Armaturen. Die
electro-magnetischen Apparate sind einfacher und deshalb minderen Stö-
rungen unterworfen , als die magneto-eleetrischen , und wenn man sich
eines Zellenelementes bedient , in ihrer Wirkung gleichmässig. Behufs
der Anwendung bringt man die Pole auf dieselbe Weise an , wie beim
Galvanismus , so dass der Strom durch derf Theil geht , auf welchen man
zu wirken beabsichtigt ; man lässt beide Erschütterungsbecher mit den
Händen fassen , wenn man Arme und Beine durchströmen lassen will ; an
Rücken und Glied befestigt man sie , wenn man auf das Rückenmark zu
wirken strebt ; auch kann man den einen Theil mit dem einen Pole fest
armiren und mit dem andern, den man mit der Hand wie einen Conductor
führt , die Stelle mannigfach wechseln. Bei Leiden des ganzen Körpers
oder der Extremitäten ist es oft zweckmässig , den ganzen Körper oder
das betheiligte Glied im Bade zu electrisiren ; zu diesem Behufe bedient
man sich längerer Leitungsdrähte aus übersponnenem Kupferdrahte , an
welchem grössere Metallplatten angelöthet sind , und senkt dieselben ent-
weder beide in das nicht metallene Wassergef äss zu beiden Seiten des
Gliedes ein , oder man stellt jedes Glied in ein besonderes Gefäss und
bringt in jedes einen Leitungsdraht , doch darf die Wassermenge nicht
allzu gross sein, oder man muss sich bei derselben eines verhältnissmässig
starken Stromes bedienen. — Man kann den Strom massigen, wenn man
sich in die Strömung einschiebt und den einen Pol nur durch die be-
feuchteten Finger auf den kranken Theil wirken lässt ; man kann sich
hierzu auch eines Moderators, bestehend in einer Glasröhre, bedienen. —
Man wendet den Electromagnetismus besonders bei Neuralgien, Lähmun-
gen, chronischen Rheumatismen etc. an.
Elytrorhaphie (von iXvzQov, die Scheide, und QU(pf], die Naht)»
Scheidennaht. Man versteht hierunter eine Operation, durch welche»
behufs der Beseitigung eines Gebärmuttervorfalles , die Mutterscheide
mittels Wegnahme eines Theiles ihrer Schleimhaut verengt wird. — Die
Kranke liegt horizontal mit etwas erhöhtem Kopfe so am Rande eines
Burger, Chirurgie. 16
242 ELYTRORHAPIE.
Tisches , dass die Sizknorren noch etwas hervorragen ; die Oberschenkel
werden stark von einander entfernt , in einen Rechtwinkel zum Stamme
gebracht , die Knie möglichst flectirt , und so lässt man die Kranke ihre
Füsse mit den Händen fassen. Während zwei Gehülfen die Schenkel der
Frau fixiren, schneidet der Operateur bei vorliegendem Uterus, der nöthi-
genfalls mittels der Muzeux'schen Hakenzange hervorgezogen wird , zuerst
auf der rechten Seite ein elliptisches Stück aus der Schleimhaut der
Scheide heraus, welches 2 — 3 Zoll lang; 1 — 2 Zoll breit ist und sich mit
dem einen Ende bis in die Nähe des Mutterhalses erstreckt. Man um-
gränzt es mit zwei gebogenen Schnitten , fasst es oben mit der Pincette
und trennt es gegen die Scheidenmündung mit einem convexen Messer
von dem unterliegenden Gewebe ab. Eine gleiche Excision macht man
auf der linken Seite , und wenn der Vorfall alt , die Scheide sehr schlaff
und weit ist , so schneidet man ein drittes Stück aus der vordem Wand
aus. Bei dem Abtrennen der Schleimhaut muss man sich vor der Ver-
lezung der Blase und des Mastdarmes hüten ; man bringt daher einen
silbernen Catheter in die Blase , der als Leiter dient , während der in den
Mastdarm eingeführte Finger eines Gehülfen die Nähe des leztern anzeigt.
Nach gestillter Blutung vereinigt man die Wunden , wenn die Scheide
schlaff und weit ist, durch Knopf hefte , und zwar führt man 8 — 5 lange
Fäden durch die Lefzen einer Wunde hindurch , knüpft von ihnen aber
jezt nur so viele und zwar dem Mutterhalse zunächst zu, als ohneHinder-
niss für die Reposition des Vorfalls geschehen kann. Alsdann reponirt
man den Uterus und knüpft die noch offenen Hefte in der Scheide zu.
Hat man drei Stücke excidirt , so heftet man nur die WTunde an der vor-
dem Wand, die Ränder der beiden seitlichen Wunden legen sich nach der
Reposition von selbst aneinander. In den meisten Fällen kann man die
Heftung ganz unterlassen ; die Eiterung bildet eine stärker contrahirte
Narbe, als die durch die schnelle Vereinigung gebildete ist. Manche ope-
riren auch auf die Weise , dass sie die Schleimhaut der Scheide in eine
Falte erheben und diese dann wegschneiden ; noch Andere legen zuerst
die Heftfäden ein und schneiden dann die erhobene Falte aus. Nach der
Operation beobachtet die Kranke eine Rückenlage mit erhöhtem Becken
und aneinandergeschiossenen Schenkeln ; Verband ist keiner nöthig ; nur
wenn der reponirte Uterus nicht in seiner Lage bleiben sollte, bringt man
einen in kaltes Wasser getauchten Schwamm in die Scheide und erhält
eine vor die Genitalien gelegte Compresse mit einer T Binde fest. Man
macht öfters Injectionen von kaltem Wasser in die Scheide und bei hef-
tigen Schmerzen legt man kalte Umschläge auf die Scham- und Damm-
gegend, denen man nach Bedürfniss noch weitere antiphlogistische Mittel
beifügt. Mit dem Eintritt der Eiterung sprizt man lauwarme schleimige
Decocte , später leichte aromatische Abkochungen ein. Die Hefte lässt
man auseitern. Tritt nach der Heilung keine hinreichende Zusammen-
ziehung der Scheide ein , so wendet man adstringirende und balsamische
EMPYEM A. 243
Mittel an, welche man in Einsprizungen oder mittels Schwämme, die z. B.
mit einem Decoct. quere u s c. Tinct. myrrhae getränkt werden,
oder in Salbenform mittels Charpieballen in die Scheide bringt. Die
Operirte muss bis zur Heilung der Wunden in der horizontalen Lage ver-
harren.
jSHipiiysenia, (von iv und cpvGaoo, ich blase auf), Pneuma-
t o s i s , das Emphysem, die Windgeschwulst. Man versteht hier-
unter die Ansammlung gasartiger Stoffe im ganzen Körper oder in ein-
zelnen Theilen desselben. Die Gasarten entstehen im Innern des Körpers,
meistens in Folge fauliger Zersezung (spontanes Emphysem), oder
es tritt atmosphärische Luft in Folge einer Trennung an irgend einem
Punkte der Respirationsorgane in das Zellgewebe (traumatisches
Emphysem). Der hauptsächlichste Siz des Emphysems ist das subcu-
tane «Zellgewebe, doch findet es sich auch in allen übrigen zelligen Orga-
nen. Es gibt sich durch eine weiche , elastische , färb- und schmerzlose
Geschwulst zu erkennen , welche beim Drücken ein knisterndes Geräusch
vernehmen lässt. Vom Oedem unterscheidet es sich durch das genannte
Geräusch , so wie dadurch , dass die Haut den Fingereindruck nicht be-
hält. Es tritt zuerst an einer einzelnen Stelle auf, verbreitet sich über
den ganzen Körper und bewirkt eine ausserordentliche Ausdehnung der
Haut ; besonders schnelle Fortschritte macht es , wo viel schlaffes Binde-
gewebe angehäuft ist, z. B. am Halse, den Augenlidern, dem Hodensacke,
den Brustwandungen. — Behandlung, Das s p o nt an e Emphysem
erfordert die Wiederaufrichtung der deprimirten Lebenskraft und die Be-
seitigung des dem Uebel zum Grunde liegenden krankhaften Zustandes
der örtlichen wie der allgemeinen Circulation. Günstig wirken auch Ein-
reibungen von gelind reizenden und adstringirenden Stoffen bei gleich-
zeitigem innerem Gebrauche kräftiger Stimulantia, Tonica und
Antiseptica. — Beim traumatischen Emphysem muss die Natur
der mechanischen Verlezung, so wie der Zustand der Respiration berück-
richtigt werden. Ist es durch eine penetrirende Wunde an irgend einem
Theile des Respirationsapparates veranlasst worden , so muss die äussere
Wundöffnung in dem Grade erweitert werden, dass die Luft frei austreten
kann, und je so lange offen erhalten werden, bis die Oeffnung in den
Luftwegen, geschlossen ist. Wirkt das Emphysem durch seine ungeheure
Ausdehnung lähmend auf die Respirationsfunktionen , so macht man Ein-
schnitte und sezt Schröpf köpfe auf. Hat der Kranke nicht durch die Ver-
lezung selbst einen starken Blutverlust erlitten , so ist in vielen Fällen
eine Blutentleerung nöthig.
Empyema (von iv, in und itvov, Eiter), Pyothorax, Eiter-
brust. Hierunter versteht man die Ansammlung von Eiter in der Pleura-
höhle , wobei der Eiter entweder in dieser selbst gebildet wird oder von
16*
244 EMPYEM A.
einer andern Bildungsstätte aus in diese dringt. — Symptome. Der
Kranke fühlt eine Angst und Beengung des Athmens , insonderheit beim
Liegen auf der gesunden Seite. Die kranke Seite des Thorax ist ausge-
dehnt, die Rippen sind von einander gedrängt und ihre Beweglichkeit ist
gehindert ; daselbst macht sich eine ödematöse Anschwellung bemerklich,
welche sich oft weit verbreitet. Mit der Compression der Lunge findet
nicht selten eine Verdrängung des Herzens auf die entgegengesezte Seite,
sowie ein Abwärtsdrücken des Zwerchfelles statt , was dem Kranken ein
Gefühl von Vollsein und Schwere in der Gegend des leztern verursacht.
Bei der Auscultation macht sich Mangel des respiratorischen Geräusches,
bei der Percussion matter Ton , beim Sprechen verminderte oder aufge-
hobene Vibration des Thorax bemerklich. Mit diesen Erscheinungen sind
in höherem oder geringerem Grade die Zufälle des hektischen Fiebers,
trockener oder feuchter Husten , kleiner häufiger Puls , Aufgetriebenheit
des Gesichtes, Hize in den Handflächen, Durst etc. verbunden. — Ur-
sachen. Abscesse in den Lungen und der Leber, weiche sich in die
Brushöhle öffnen, Entzündungen der Lungen und der Pleura nach äussern
Verlezungen und penetrirenden Wunden , Rippenbrüche etc. — Pro-
gnose. Diese ist entschieden ungünstig bei grösseren Ansammlungen
und bejahrten Subjecten ; bei diesen kann sich nach Entleerung des Eiters
die zusammengedrückte Lunge nicht mehr ausdehnen, die Höhle füllt sich
mit schlechtem Eiter und der Kranke geht hectisch zu Grunde. — In
glücklichen, aber sehr seltenen Fällen erfolgt Resorption des Eiters unter
starken Schweissen , reichlicher Absonderung eines stark sedimentirenden
Harnes , reichlicher Stuhlentleerung bei steigendem Appetit , allmäliger
Zunahme der Kräfte und leichterer, freierer Respiration. In anderen Fäl-
len tritt Verschwärung der Lungen ein und der Eiter wird durch dieselben
ausgehustet. Dieser Vorgang ist aber nur möglich , wenn die Lunge vor-
her durch pleuritische Adhäsionen ringsum befestigt wurde. Lezteres
muss auch der Fall sein, wenn das Empyem nach aussen durchbricht, was
zuweilen geschieht ; wäre es nicht , so würde der Pyothorax in einen Pyo-
pneumothorax verwandelt. Nach Entfernung des Eiters durch die Thorax-
wand bleibt lange Zeit ein fistulöses Geschwür zurück. — In jugendlichen
Körpern dehnt sich nach der Entleerung des Eiters theils die Lunge wie-
der aus , theils schliesst sich die Höhle durch Entwicklung von Fleisch-
wärzchen, und die Heilung kommt zu Stande, indem unter gleichzeitigem
Zusammensinken des Thorax die Pleura mit der Oberfläche der Lunge
verwächst. — Behandlung. Ist der spontane Aufbruch nicht zu er-
warten , auch keine Aussicht vorhanden , durch eine innere Behandlung
etwas zu erzwecken und droht dem Leben von der Compression der Lunge
und des Herzens Gefahr , so ist die Eröffnung der Brusthöhle (Opera-
tio empyematis) angezeigt. S. den Art. P un c tion. Diese Ope-
ration kann indessen nur dann einen günstigen Erfolg haben , wenn die
Ansammlung nicht mit andern unheilbaren Brustkrankheiten verbunden,
ENCHONDROMA. 245
der Kranke nicht schon durch die lange Dauer des Uebels oder durch
colliquative Zufälle in hohem Grade entkräftet und im Alter noch nicht
sehr vorgerückt ist. Die Eitersammlungen , welche die Folge äusserer
Verlezungen sind , geben für den günstigen Erfolg der Operation noch
die meiste Hoffnung. Je früher diese unternommen wird, um so mehr ist
von ihr zu erwarten.
EüChondrOma (von ip und / opSqoc, Knorpel) , Knorpelge-
schwulst ist eine gutartige Geschwulst, die sich im Ganzen, je nach
der Lage , mehr oder weniger schmerzlos und meist langsam entwickelt,
ohne irgend ein Allgemeinleiden vorauszusezen oder zu bedingen. Sie
kann 10 — 20 Jahre hindurch als durchaus unschädliche Geschwulst fort-
bestehen ; sie kommt sowohl in Knochen als in Weichtheilen vor , in
lezteren aber seltener. Bei den Knochen erscheint sie bald im Innern
(centrales Enchondrom), bald an der Oberfläche derselben (pe-
ripherisches Enchondrom). Das centrale Enchondrom
ist die häufigste Form und kommt gewöhnlich an den kleinen Röhren-
knochen der Hand und des Fusses, seltener an den Knöcheln, an den Ge-
lenkenden des Knies, den Rollhügeln des Schenkels und den Höckern des
Oberarms vor. Es beginnt mit einer Erweichung der spongiösen Knochen-
substanz im Innern des Knochens , an deren Stelle die weiche Masse des
Enchondroms auftritt, welche während ihres Wachsthums die den erkrank-
ten Knochen umhüllende Corticalsubstanz vor sich hertreibt und blasig
ausdehnt. Die hierdurch gebildete Schale schwindet weiterhin manchmal
bis auf einzelne inselartige Stückchen auf der Oberfläche der immer glat-
ten sphäroidischen Geschwulst. Befinden sich solche schalige Auftreibun-
gen über Hohlräumen des Enchondroms, so entsteht beim Druck mit dem
Finger das Gefühl , als ob Pergament zusammengedrückt würde. Ueber
Gelenkenden schreitet die Geschwulst gewöhnlich nicht fort. Die Haut
übe* dem Enchondrom bleibt unverändert. Auf dem Durchschnitte zeigt
die innere Masse einen bindegewebigen Bestandtheil und eine gallert- oder
knorpelartige , gelbliche oder graulichweisse durchscheinende Substanz.
Der bindegewebige Theil durchsezt in Form scheidenartiger Fortsäze von
der äussern Umhüllung her die ganze Geschwulst und theilt dieselbe in
zellige Räume der verschiedensten Form und Grösse , innerhalb welcher
die ebengenannte knorpelige Masse liegt, die sich ausschälen und leicht aus-
drücken lässt. Mikroskopisch untersacht, zeigt sich das trennende Binde-
gewebe vollkommen übereinstimmend mit anderem dichten Bindegewebe
und mit reichlichen Blutgefässen durchzogen ; die eingebettete Masse kommt
mit dem Knorpel überein und besteht aus halbdurchsichtigen Knorpelkör-
perchen. Durch Kochen dieser Masse wird eine ansehnliche Menge Knor-
pelleim (C h o n d r i n) erzielt , den J. Müller vom gewöhnlichen Leim
unterscheidet. Manchmal findet man auch Knochenkörperchen in dieser
Masse. — Das peripherische Enchondrom entwickelt sich an
246 ENCHONDROMA.
Knochen, die vorzugsweise reich an spongiöser Substanz sind, als Beeken-
knochen, Basis cranii, spongiöse Gelenkenden des Femur, der Tibia,
den Rippen. Es tritt an dem äussern Umfange des Knochens auf und ist
mit keiner Knochenrinde , sondern von der oft verdickten Beinhaut um-
geben, dagegen finden sich im Innern knochige Neze mit grösseren Hohl-
räumen. In der Structur und dem chemischen Verhalten kommt dieses
Enchondrom mit dem centralen überein. Die Geschwulst ist weniger sphä-
roidisch , mehr buckelig, lappig, was davon herrührt, dass die ganze Ge-
schwulst aus einem Conglomerat rundlicher Körper von der Grösse einer
Erbse bis zu der einer Wallnuss besteht. — Das Enchondrom der
weichen Theile ist viel seltener als die beiden ersteren. Die rund-
liche Geschwulst ist hier von einem dünnhäutigen Balg umgeben ; mehrere
Beobachter haben in diesem Enchondrom deutliche Verknöcherimg mit
feinstrahlichen Knochenkörperchen beobachtet, und die durch feines Faser-
nez getrennten Hohlräume sind mit gruppenartig neben einander gelager-
ten Knorpelzellen ausgefüllt. Das Kochen des Inhalts ergibt nur den
gewöhnlichen Leim (Colla). Das Enchondrom der Weichtheile tritt na-
mentlich in drüsigen Organen auf und wurde bis jezt wiederholt in der
Umgegend der Unterkiefergegend , in der Parotis und deren Nachbar-
schaft und in der Mamma und ihrer Umgebung , sowie im Hoden beob-
achtet. — Ursachen. Die Enchondrome entstehen meistens in Folge
mechanischer Verlezungen , wie Quetschungen u. dgl. ; es scheinen aber
die örtlichen Ursachen nicht immer allein zu wirken ; dafür spricht , dass
Enchondrome zuweilen an mehreren Körperstellen zugleich auftreten, z.B.
an beiden Händen oder an Händen und Füssen. Doch lässt sich bis jezt
eine Abhängigheit der Knorpelgeschwülste von einer bestimmten Dyskra-
sie nicht nachweisen. Die Entstehung derselben fällt meistens in die Pe-
riode der Kindheit und J. Müller glaubt, dass mechanische Beeinträch-
tigungen des Lebens und des Bildungsprocesses der Knochen in dieser
Zeit die erste Veranlassung zur Entstehung dieser Geschwülste an lezteren
gebe. — Sie können in eine spröde elfenbeinartige Masse umgewandelt
werden oder auch verjauchen. — Die Diagnose der Enchondrome ist
nicht immer leicht. Selbst wenn sie an der Peripherie durchweg knorpe-
lig sind, haben sie doch eine den Knochen gleiche Resistenz, fühlen sich
steinhart, elfenbeinartig an, wie der Scirrhus der Brustdrüse oder wie ein
wahrer Knochenauswuchs. Gewöhnlich haben sie aber eine grosswarzige
Oberfläche und die an der Peripherie liegenden Knollen scheinen sich
nach innen umzurollen und nicht unmittelbar in die Oberfläche des Mut-
terbodens überzugehen. Exostosen dagegen haben eine glatte oder zackige
Oberfläche, sezen sich nach allen Seiten gleichmässig in die normale Kno-
chensubstanz fort und haben meist einen mehr oder weniger schmerzhaf-
ten Verlauf und ein schnelleres Wachsthum. Schwieriger möchte unter
Umständen die Unterscheidung von einer Fasergeschwulst sein. — Be-
handlung. Die Entfernung des Enchondroms ist nur auf operativem
ENTZUENDUNG. 247
Wege möglich ; es versteht sich übrigens, dass man zu diesem erst greift,
wenn die Geschwulst durch ihren Siz und ihre Grosse die Function wich-
tiger Theile beeinträchtigt oder durch bald zu erwartenden Aufbruch dem
Leben Gefahr droht. Sizt es in Weichtheilen , so wird es exstirpirt ; bei
dem peripherischen Knochenenchondrom thut man, wo es angeht, dasselbe,
wozu man sich eines Knorpelmessers, des Meisseis und Hammers oder der
Säge bedient. Nach Dieffenbach kann auch nach partieller Exstir-
pation Vernarbung erfolgen. Das centrale Enchondrom erfordert die Am-
putation oder Exarticulation des ergriffenen Knochens.
Entzündung, Inflammatio, Phlogosis (von ylsyw,
(pXoyooo , ich brenne) , bezeichnet den Zustand von grösserer Anf üllung
der Haargef ässe mit Blut , verbunden mit Stockung desselben , sowie mit
stärkerem Drucke der Blutsäule auf die Gef ässwand und mit vermehrter
Permeabilität derselben , in Folge welcher , so wie einer eigenthümlichen
Umwandlung des Blutes , zu einer plastischen Ausschwizung Veranlassung
gegeben wird. Ein auf diese Weise erkrankter Theil wird geröthet, heiss,
schmerzhaft und schwillt auf, daher betrachtet man Röthe, Hize, Schmerz
und Geschwulst als die Cardinalsymptome der Entzündung. — Der
Schmerz fehlt bei der Entzündung nur selten. Er steht gewöhnlich in
geradem Verhältniss mit der Heftigkeit der Entzündung ; er wird indessen
nach dem ergriffenen Gewebe, dem Verlaufe der Entzündung und beson-
ders nach der Empfindlichkeit des Kranken mannigfach modificirt ; er
kann daher gelind oder heftig auftreten , drückend , spannend , stechend,
dumpf, klopfend, brennend etc. sein. Man schreibt den Entzündungs-
schmerz der Spannung und Compression zu , welche die Nerven durch die
Anschwellung des entzündeten Theiles erleiden ; er mag aber auch wohl
in die Nerven selbst betreffenden Veränderungen begründet sein. Der
entzündliche Schmerz ist fix und wird durch äussern Druck vermehrt. —
Die Röthe ist das constanteste Symptom der Entzündung und wechselt
vom Rosenrothen bis Braunrothen , was von der Heftigkeit der Entzün-
dung , von der Beschaffenheit des entzündeten Organes , wie auch von
der Ursache der Entzündung abhängen kann. Die Röthung ist die Folge
der vermehrten Anfüllung der Capillargefässe mit Blut und des Eindrin-
gens von Blutkügelchen in solche Gefässe, welche im normalen Zustande
nur Blutserum führen. Später wird die Röthe auch bedingt durch die
Färbung des Gewebes in Folge von Ausschwizung von Blutfarbestoff, in
welchem Falle sie dann dunkler als im Anfange ist. Gewöhnlich ist die
Röthe in der Mitte dunkler und nimmt allmälig gegen die Peripherie ab
(diffus), selten ist sie scharf abgegrenzt. — Hize. Die Vermehrung der
Wärme ist in vielen Fällen blos subjectiv , andere Male wird sie auch
durch die aufgelegte Hand empfunden und durch das Thermometer ange-
zeigt. Der Grad der Hize steht gewöhnlich im Verhältniss mit der Hef-
248 ENTZUENDUNG.
tigkeit der Entzündung und ist nach den Entzündungsursachen verschie-
den , z. B. beim Rothlauf brennend , stechend , bei der Phlegmone mild.
Der Grund der Wärmevermehrung liegt wahrscheinlich in dem regeren
Stoffwechsel in den entzündeten Theilen. — Die Ges ch wulst findet
ihre Erklärung anfangs in der vermehrten Anhäufung des Blutes in den
entzündeten Theilen und später in dem Erguss der plastischen Lymphe
oder anderweitigen Exsudationen ; noch später in der neuen Zellen - und
Gefässbildung in dem entzündlichen Exsudate. Ihr Umfang hängt von
der Heftigheit der Fntzündung und dem mehr oder minder lockern Ge-
webe des ergriffenen Theiles ab. — Zu den vier genannten Symptomen
gesellt sich eine mehr oder minder bedeutende Functionsstörung des
entzündeten Theiles, die sich je nach der functionellen Eigenthümlichkeit
desselben verschieden äussert. — Wenn die Entzündung gef ässreiche,
sehr empfindliche Theile befällt und einen bedeutenden Umfang einnimmt,
so erfolgt eine fieberhafte Reaction, welche man Entzündungsfieber
(Febris inflammatoria) nennt. Die Heftigkeit dieses Fiebers steht
im Verhältniss zu der Heftigkeit der Entzündung und der Wichtigkeit des
entzündeten Organs. — Chemisches und physikalisches Ver-
halten des Blutes in der Entzündung. Es ist chemisch nach-
gewiesen, dass in dem entzündeten Blute der Faserstoff vermehrt und die
Blutkügelchen in geringerer Anzahl vorhanden sind. In Folge der Ver-
änderung in der Blutmischung gerinnt das Blut in der Entzündung lang-
samer , aber fester , als bei normalem Blute, was besonders dem grösseren
Faserstoffgehalte zuzuschreiben ist. Hierauf beruht die Bildung der soge-
nannten Entzün d un gs haut (Crusta inflammatoria). Diese
kommt auf folgende Weise zu Stande. In Folge der langsameren Gerin-
nung des entzündeten Blutes bekommen die Blutkörperchen Zeit , sich,
ehe die Gerinnung des Faserstoffes erfolgt, unter das Niveau des Liquor
sanguinis zu senken; dieser ist deshalb seiner Blutkörperchen beraubt,
erscheint daher nicht roth , sondern bietet das Aussehen des geronnenen
Faserstoffes, d. h. ein derbes, zähes, gräulich weisses Gerinnsel dar. Die
Bildung der Crusta inflammatoria beruht indessen nicht immer
auf einer örtlichen Vermehrung des Faserstoffes, sondern kann auch ihren
Grund in einer Verminderung der Blutkörperchen haben , wie es bei der
Chlorose, bei Anämie, so wie auch endlich nach schnell wiederholten Ader-
lässen angetroffen wird. — Mikroskopische Entzündungser-
scheinungen. Diese lernt man an der künstlich in Entzündung ver-
sezten Schwimmhaut des Frosches kennen. Auf einen angebrachten Reiz
tritt eine Verengerung der Haargefässe unter gleichzeitiger Beschleuni-
gung des Blutlaufes in denselben ein ; auf diese folgt früher oder später
eine Erweiterung der Haargefässe nebst Verlangsamung des Blutstromes.
Mit dieser Verlangsamung der Blutbewegnng tritt früher oder später eine
Unregelmässigkeit in dieser ein , das Blut stockt in einzelnen Theilen,
während es in andern benachbarten noch vorwärts dringt ; es wogt hin
ENTZUENIHNG. 249
und her und stockt zulezt gänzlich an der am meisten gereizten Stelle.
Dabei nimmt , theils in Folge von Ausschwizung , theils durch Abführen
des Blutplasmas nach den Venen hin , das leztere ab ; es wird concentrir-
ter und verklebt die Blutkörperchen miteinander. Häufig zerreissen einige
der vollgefüllten Haargefässe und es finden sich dann in dem entzünde-
ten Parenchvm kleinere oder grössere Extravasate vor. In Folge der
Stase, so wie mittels der durch diese erzeugten Verdünnung und grösseren
Permeabilität der Gef ässwand kommt es endlich zur Ausscheidung von
plastischen Bestandteilen aus dem stockenden Blute , welche man nach
ihrer Zusammensezung als fibrinöses , seröses und hämorrhagisches Exsu-
dat zu bezeichnen pflegt. — Ueber die vorstehenden Thatsachen findet
unter den verschiedenen Beobachtern eine ziemlich grosse Uebereinstim-
mung statt ; nicht so ist es mit der Erklärung derselben, und es sind hier-
über die verschiedensten Ansichten geltend gemacht worden , von denen
wir nur die von Brücke als die wahrscheinlichste und von andern Beob-
achtern bestätigte anführen wollen, und nach welcher die Verlangsamung
und endliche Stockung des Blutstromes auf einer krankhaften Zusammen-
ziehung der kleinsten Arterien beruht. — Diagnose der Entzün-
dung. Oberflächliche Entzündungen sind leicht zu erkennen ; bei tiefern
bietet die Diagnose dagegen oft grosse Schwierigkeiten dar. Hier muss
die Functionsstörung des entzündeten Theiles, das Fieber, die Beschaffen-
heit des gelassenen Blutes und sehr oft der Schmerz leiten, der sehr häufig
den Umfang und den Siz der Entzündung andeutet. Oertliche Hyperämie
unterscheidet sich von der Entzündung durch die geringere Intensität der
Erscheinungen. — Ursachen. Diese zerfallen in prädisponirende und
Gelegenheitsursachen. Zu den ersteren rechnet man: eineUeberfülle von
Blut mit sehr plastischer Beschaffenheit desselben , wie dies bei jungen
und kräftigen Individuen der Fall ist ; Dyskrasien , wie Scropheln , Syphi-
lis etc. ; endlich, hinterlässt die Entzündung eines bestimmten Organs eine
Prädisposition zu späteren abermaligen Entzündungen. Gelegenheitsur-
sachen sind : thierische Ansteckungen , Unterdrückung gewohnter Auslee-
rungen , rauhe Luft , Hize , Kälte, äzende Substanzen, Stoss, Schlag, Ver-
wundung etc. — Verschiedenheiten der Entzündung. Man
unterscheidet: 1) nach der Dauer des Verlaufes — acute, chro-
nische und intermittirende Entzündungen. Acut heisst eine
Entzündung, wenn sie in wenigen Tagen verläuft; chronisch, wenn die
Entzündungssymptome Wochen , Monate , selbst Jahre lang dauern ; i n -
termittirend, wenn streng von einander geschiedene Anfälle eintre-
ten und in bestimmten Zeiträumen auf einander folgen; 2) nach dem
Zustande der Lebensthätigkeit — active, passive, erethi-
sche und torpide Entzündungen ; die active Entzündung zeigt im
Allgemeinen die oben angegebenen Erscheinungen ; die passive ent-
wickelt sich weniger rasch und mit weniger Energie; die erethische
Entzündung tritt rasch unter lebhaften Schmerzen und mit mehr blasser
250 ENTZUENDUNG.
Röthe auf; die torpide Entzündung entwickelt sich langsam, ist wenig
schmerzhaft und hat einen schleichenden Verlauf; 3) nach den exsu-
dativen Producten — seröse, fibrinöse, suppurative und
gangränöse Entzündungen ; die seröse Entzündung hat eine ent-
schiedene Neigung zu seröser Ausschwizung , die fibrinöse zur Faser-
stoffexsudation ; die suppurative zeigt eine entschiedene Tendenz zur
Eiterbildung und die gangränöse zum Uebergang in Brand; 4) nach
dem Einflüsse des Witterungscharakters — katarrhalische
und rheumatische Entzündungen ; erstere befällt die Schleimhäute,
leztere die fibrösen und serösen Gebilde ; 5) nach den Modifikationen,
welche die Entzündung durch allgemeineK rankheiten erleidet —
gichtische, syphilitische, scrophulöse, scorbutische
Entzündungen; 6) nach dem Eindringen der Entzündung in das er-
griffene Organ — oberflächliche, erysipelatöse und phleg-
monöse oder tief eindringende Entzündungen ; 7 ) nach den nä-
hern Ursachen — idiopathische und symptomatische; die
ideopathische Entzündung bildet sich in Folge äusserer schädlicher
Einwirkungen auf das afficirte Organ, z. B. Verlezungen ; die sympto-
matische ist das Symptom eines weitausstrahlenden Krankheitsproces-
ses , wie z. B. die Augenentzündung bei den Masern. — Ausgänge.
Die Entzündung endigt sich entweder mit Zertheilung , oder sie geht in
örtlichen Tod (s. Brand) über, oder die von der Entzündung gesezten
Producte (s. Exsudationen) erleiden verschiedene Umwandlungen (s.
Eiterbildung, Verhärtung). — Die Zertheilung, Reso-
lut i o , ist gänzliche Rückkehr des entzündeten Theiles zum Normalzu-
stande , unmittelbar und ohne Dazwischenkunft einer neuen Krankheit,
indem die Krankheitssymptome allmälig gelinder werden und zulezt ver-
schwinden. Dieser Ausgang ist zu hoffen, wenn der Entzündungsreiz früh-
zeitig entfernt werden kann , wenn die Entzündung nicht zu schnell zu
einem hohen Grade sich steigert, der Schmerz nicht besonders heftig und
nicht klopfend ist und wenn sich das die Entzündung begleitende Fie-
ber durch Schweiss und Bodensaz im Urin entscheidet. — Behand-
lung. Die erste Indication ist die Entfernung der Ursache , wenn sie
noch fortwirkt. Damit kann oft schon allein eine Zertheilung herbeige-
führt werden. Man entfernt demgemäss fremde Körper aus der Wunde,
sucht Gifte zu neutralisiren oder zu zerstören ; nicht entfernbare Entzün-
dungsreize sucht man durch einhüllende , bef änftigende Mittel weniger
schädlich zu machen etc. Kann die Ursache nicht entfernt werden , oder
hat die Entzündung schon eine bedeutende Höhe erreicht, so tritt die
eigentliche therapeutische Indication ein. Diese verlangt die Anwendung
der antiphlogistischen Heilmethode. Zu den wichtigsten hierher
gehörigen Mitteln rechnet man die Blutentziehungen, die Kälte, die Com-
pression, die feuchte und trockene Wärme, die antiphlogistischen Neutral-
und Mittelsalze, einige Quecksilber- und Spiessglanzpräparate, kalte Nar-
ENTZUENDUNG. 251
cotica und Ableitungen. Von höchster Wichtigkeit ist die Diät und Le-
bensweise des Kranken. Alle erhizenden Speisen und Getränke müssen
vermieden und mehr wässerige und flüssige Nahrungsmittel (Wassersup-
pen, gekochtes Obst, Reis, Gerste etc.), so wie kühlende, süsse oder säuer-
liche Getränke (Wasser , Zuckerwasser , Brodwasser, Limonade, Himbeer-
saft , Weinstein in Wasser etc.) gereicht werden. Dabei muss sich der
Kranke körperlich und geistig ruhig verhalten und dem entzündeten Theile
eine solche Lage gegeben werden, dass der Abfluss des venösen Blutes
von demselben begünstigt ist. — Die Blutentziehungen wendet
man je nach der Heftigkeit und Ausdehnung der Entzündung so wie nach
der Wichtigkeit des erkrankten Organes entweder allgemein durch Ader-
lassen, oder örtlich durch Ansezen von Blutegeln, blutiges Schröpfen und
Scarificationen an. Die allgemeinen Blutentziehungen schwächen
rasch , vermindern die Blutkügelchen , beschränken die Faserstoffbildung
und machen die Circulation freier ; soll ein Aderlass aber diese Bedingun-
gen erfüllen, so muss das Blut rasch und in grosser Menge entzogen wer-
den. Der Aderlass ist angezeigt , wenn die Entzündung rein , heftig und
von entzündlichem Fieber begleitet ist. Die örtlichen Blutentziehun-
gen passen mehr im Anfange der Entzündung, besonders wenn diese gering
ist, wo kein Fieber zugegen oder dieses durch allgemeine Blutentziehungen
bereits gemässigt oder gebrochen ist. Am häufigsten gebraucht man Blut-
egel, welche man in der Regel nicht auf die entzündete Stelle selbst, son-
dern an die Grenze davon ansezt. Das blutige "Schröpfen verdient den
Vorzug, wenn man auf tiefer liegende Entzündungen wirken und zugleich
kräftig ableiten will. Scarificationen wendet man da an, wo Blutegel nicht
leicht anzubringen sind, wie z. B. im Munde, an den Augen etc., oder wo
eine bedeutende Spannung gehoben werden muss. — Die Kälte wirkt
durch Verminderung der Aufregung der sensiblen Nerven und durch Be-
förderung der Contraction der erweiterten Haargefässe. Sie entzieht
dem entzündeten Theile die übermässige Wärme so sehr, dass sie, zu lange
angewendet , sogar das Leben in demselben ganz zerstören kann. Ihre
Anwendung passt besonders bei idiopathischen , namentlich traumatischen
Entzündungen , in deren Beginne , wenn sich noch keine bedeutende Ge-
schwulst eingestellt hat, oder wenn sie mit Blutextravasaten verbunden oder
zu Exsudationen besonders geneigt sind. Man sezt sie so lange fort , als
die Erkältung dem Gefühle des Kranken wohlthuend ist. Je nach dem
beabsichtigten Kältegrad gebraucht man Wasser, Schnee, Eis oder erkäl-
tende Mittel , wie Essig , Weingeist , Schwefeläther , Kochsalz etc. ; eine
häufige Anwendung finden die Schmucker 'sehen Fomente (Essig, Sal-
peter, Salmiak und Wasser). Auch die Auflösung des essigsauren Bleies
in Wasser (als Aqua saturnin a), von Zincum sulphuricum,
Borax etc. erweist sich besonders bei traumatischen Entzündungen nüz-
lich. Man wendet die Kälte mittels zusammengelegter Tücher (kalte Um-
schläge) oder in der Form von Begiessungen (Irrigationen) an ; Eis und
252 ENTZUENDUNG.
Schnee legt man am besten in Thierblasen auf. — Wenn die Kälte nicht
mehr passt oder nicht mehr ertragen wird, so geht man zur feuchten
War rat e über. Man macht von ihr Gebrauch bei sehr heftigen, sehr schmerz-
haften , mit grosser Spannung und Trockenheit verbundenen Entzündun-
gen , bei bereits begonnener Ausschwizung , besonders wenn Eiterung er-
wartet werden muss. Nicht selten führt sie aber auch die Zertheilung
herbei. Man wendet die feuchte Wärme in Form von Bähungen (Fo-
mentationen) oder Breiumschlägen (Kataplasmen) an. S. diese Ar-
tikel. Zu den ersteren dient lauwarmes Wasser , der Absud schleimiger
Kräuter , Wurzeln , Blüthen und Samen , der Herba malvae, Flore s
verbasci, sambuci, Radix althaeae, der officinellen S p e c i e s
emollientes etc. ; auch die Anwendung von lauem Bleiwasser passt
hier. Zu den Kataplasmen gebraucht man Weizenkleie , Hafergrüze,
Roggen- , Leinsamenmehl , Semmel etc. , welchen man bei sehr schmerz-
haften Entzündungen Narcotica, wie zerstossene Mohnköpfe, Bilsenkraut,
Belladonna, Schierling etc. zusezt ; die gleichen beruhigenden Mittel kann
man auch den Bähungen beisezen. Manche Entzündung , z. B. die soge-
nannten kritischen, die gichtischen, rheumatischen, erysipelatösen ertragen
die Anwendung nasser Mittel gewöhnlich nicht. In solchen Fällen wendet
man mit Nuzen die trockene Wärme an, indem man den Theil mit
Flanell , Watte oder warmen Säckchen , die mit Kräutern, Kleie, Bohnen-
mehl etc. gefüllt sind, bedeckt. — Die Compression des entzündeten
Theiles, welche besonders bei Entzündungen der Drüsen (namentlich des
Hodens , der Brustdrüse , der Lymphdrüsen) in Anwendung kommt, wirkt
direct der Gefässerweiterung und der weiteren Blutüberfüllung des com-
primirten Organes entgegen. — Zu den antiphlogistischen innern Mit-
teln rechnet man die Neutral- und Mittelsalze, welche die Eigen-
schaft besizen , die Plasticität des Blutes zu vermindern. Unter diesen
Salzen steht der Salpeter oben an ; er eignet sich besonders bei reinen
Entzündungen ohne gastrische Complication ; sind leztere zugegen, so gibt
man dem schwefelsauren Natron, der schwefelsauren Magnesia, dem phos-
phorsauren Natron etc. den Vorzug. Bei katarrhalisch-rheumatischen Ent-
zündungen leistet der Salmiak, bei rheumatischen der Brechweinstein gute
Dienste. — In einem mehr vorgerückten Stadium der Entzündung, wenn
der entzündliche Ausschwizungsprocess bereits begonnen hat , zieht man
Mittel in Gebrauch, welche die Aufsaugung der Entzündungsproducte be-
fördern. Hier eignet sich besonders das Quecksilber ; es vermindert die
Plasticität des Blutes , befördert die Secretionen und stimmt die Reizbar-
keit des Nervensystems herab. Bei acuten Entzündungen gibt man das
Calomel , bei chronischen den Mercurius sublimatus corrosi-
v u s und Merc. praecipitatus ruber. Bei gewissen dyskrasisch-
chronischen Entzündungen ist das Jodkali ein kräftiges , die Resorption
beförderndes Mittel. — Bei Entzündungnn mit besonderer Aufgeregtheit
passen die Narcotica frigida, wie die blausäurehaltigen (Aqua
ENTZUENDUNG DER ARTERIEN. 258
laurocerasi, Aq. cerasorum acidorum etc.) , das Bilsenkraut,
Morphium. Auch die Digitalis zeigt sich von grossem Nuzen , indem sie
nicht allein durch Beschränkung der Herzthätigkeit die Heftigkeit des
Blutandranges zu dem entzündeten Theile mässigt, sondern auch durch Be-
tätigung der Nierenthätigkeit vortheilhaft wirkt. Die narkotischen Mittel
erfordern aber immer grosse Vorsicht in Bezug auf die Zeit ihrer Anwen-
dung. — Die Ableitungen dürfen erst in Anwendung kommen, wenn
die Heftigkeit der Entzündung schon gebrochen ist. Im Allgemeinen leitet
man Entzündungen edler Organe auf minder wichtige , besonders excer-
nirende ab , wie auf die äussere Haut , den Darmkanal. Hierzu dienen
Aderlässe an entfernt gelegenen Orten, reizende Klystiere, Abführmittel,
Brechmittel, Halbbäder, hautröthende Mittel (Senf, Meerrettig, Jodtinctur
etc.) , blasenziehende (Cantharidenpflaster, Crotonöl etc.), oder tiefergrei-
fende , Eiterung bewirkende Mittel (Seidelbastrinde, Brechweinsteinsalbe,
Fontanellen , Haarseil, Moxe, Glüheisen). Der Grad der Ableitung hängt
von der Heftigkeit der Entzündung, der Dignität des befallenen Organes,
der Constitution des Kranken, dem Genius epide m i c u s ab. — Gegen
die zurückbleibende Erweiterung und Erschlaffung der Gef ässe und gegen
Auflockerungen der Gewebe sind tonisirende und resolvirende Mittel an-
zuwenden ; in erster Hinsicht dienen : das kalte Wasser, Bleiwasser, Kalk-
wasser , Alaun , Kupfer- und Zinksalze , kalte , adstringirende Pflanzenab-
kochungen etc. ; zur Förderung der Einsaugung eignen sich Ammonium-,
Quecksilber- und Jodsalbe. Diese Mittel dürfen aber erst zur Anwendung
kommen, wenn jede krankhafte Reizung verschwunden ist
Es folgt nun hier die Betrachtung der Entzündung einiger Gewebe,
die sich der Entzündung im Allgemeinen am ungezwungensten anschliesst,
wogegen einigen anderen Entzündungen , wie der der Gelenke , der Kno-
chen , des Zellgewebes , der Nerven besondere Artikel gewidmet werden
sollen.
Entzündung der Arterien, Inflam matio arteriarum,
Arteriitis. Sie beschränkt sich entweder auf eine bestimmte Stelle der
Arterie (circumscripte Arteriitis), oder sie verbreitet sich über
grössere Gef ässstrecken (diffuse Arteriitis), und kann acut oder
chronisch verlaufen. Die begrenzte Arterienentzündung ensteht ge-
wöhnlich in Folge einer mechanischen Einwirkung auf die Arterie , wie
Verwundung , Quetschungen etc. , und ist meist von keinen üblen Folgen
begleitet; wenn durch sie ein Gefäss obliterirt, so geschieht dies nur auf
eine kleine Strecke , und mit Hülfe der Collateraläste stellt sich die Cir-
culation bald wieder her. Die diff us e Arteriitis kann durch Missbrauch
geistiger Getränke, Fortpflanzung der Entzündung von benachbarten Thei-
len aus , mechanische Reizung durch von den Arterienwandungen abge-
löste Concretionen , selten durch Ausbreitung der begrenzten traumati-
«chen Arteriitis auf grössere Strecken entstehen. Der Kranke hat dabei
längs des entzündeten Gefasses ein Gefühl von Brennen: die Pulsationen
254 ENTZUENDUNG DER LYMPHGEFAESSE.
sind gewöhnlich stärker als im gesunden Zustande , das Glied ist ange-
schwollen, schwer , die Beweglichkeit vermindert , worauf bald Kälte oder
sehr lebhafte Schmerzen folgen. In Folge der Entzündung kann sich ein
Exsudat absezen und zwar sowohl in und zwischen die Arterienhäute, wie
auf ihre innere Seite. Dieses Exsudat , das gewöhnlich ein faserstoffiges
ist , bedingt seröse und eiterige Infiltration der Zellscheide , Lockerung,
Mürbigkeit, Erbleichung und Lähmung der Ringfaserhaut, Trübung, Wul-
stung , Zerreisslichkeit und leichte Äblöslichkeit der innern Gef ässhaut,
Blutpfropf im Arterienrohre. Organisirt sich das Exsudat , so kommt es
zur Obliteration der Arterie oder es zieht auch seine eiterige Zerschmel-
zung, und wenn dieser Eiter nicht verkreidet, Pyämie nach sich. Zuwei-
len kommt es zur Bildung des atheromatösen Processes (s. den Art. Ar-
terien). — Die Arterienentzündung kann sich zertheilen, gewöhnlicher
aber ist die vollständige oder unvollständige Verschliessung der Arterie ;
Vereiterung führt zur Ruptur und Blutung; Verdickung, so wie der athe-
romatöse Process legen den Grund zur Erweiterung (Aneurysma) und Zer-
reissung der Arterie. Störung des Blutlaufes iann zu Gangrän oder zu
Stase und Oedem, oder zur Atrophie des Theiles, welcher sein Blut durch
die kranke Arterie erhält, führen. — Behandlung. Diese Entzün-
dung fordert reichliche und wiederholte Blutentziehungen , innerlich Sal-
peter oder kühlende Abführmittel mit Bilsenkrautextract , Lactuca-
r i u m oder Blausäure ; später sezt man dem Nitrum Digitalis bei , dazu
antiphlogistische Diät. Exsudative Processe fordern die Anwendung des
Quecksilbers
Entzündung des fibrösen Gewebes. Sie kommt im Ali-
gemeinen selten vor und ist in ihrem Verlaufe und in ihrer Ausbreitung
weit langsamer als die anderer Gewebe. Nur die gefässreicheren sehni-
gen Gebilde , wie das Periosteum und Perichondrium , sind leichter der
Entzündung unterworfen. Diese Entzündungen zeichnen sich durch harte
Geschwulst und grosse Schmerzhaftigkeit, welche durch Bewegungen ver-
mehrt wird, aus ; sie sind meistens rheumatischer oder gichtischer Natur.
Das entzündete fibröse Gewebe ist der Vereiterung und Verschwärung,
der Verhärtung mit Verdickung und Verknöcherung des sehnigen Gebil-
des, der Verwachsung derselben mit den Nachbartheilen oder Aufhebung
des Zusammenhanges mit denselben und Atrophie des lezteren fähig.
Ausgang in Brand und Umwandlung des Exsudates in Krebs ist selten,
dagegen findet sich die Metamorphose in Tuberkel bei Entzündungen der
Beinhaut häufig. — Behandlung. Oertliche Blutentziehungen, Queck-
silber innerlich und äusserlich, erweichende Umschläge und Kataplasmen,
Bäder mit Seife, später mit Lauge, auch wohl trockene aromatische Ein-
hüllungen ; bei heftiger Spannung Einschnitte. Bei chronisch gewordener
Entzündung sind mehr oder minder kräftige Hautreize am Plaze.
Entzündung der Lymphgefässe, Lymphangitis. Sie
entsteht vorzüglich durch Verwundungen und durch Eindringen scharfer
ENTZUENDUNG DER LYMPHGEFAESSE. 255
Stoffe in dieselben ; gewöhnlich ist die nächste Drüse mit entzündet. Der
Verlauf der Lymphgefässentzündung ist entweder acut oder chronisch.
Bei der acuten Lymphgefässentzündung zeigt sich , wenn das
Gefäss oberflächlich liegt, nach dem Laufe des entzündeten Gefässes eine
zarte rosenrothe Hautfärbung, welche von der verlezten, entzündeten oder
in Eiterung stehenden Stelle aus sich bis zur nächsten Lymphdrüse hin-
zieht ; zuweilen fühlt man die kranken Saugadern als gespannte , knotige
Stränge ; in der ganzen Ausdehnung , in welcher die Röthung bemerkt
wird, besteht ein heftiger brennender Schmerz, welcher schon durch einen
leichten Druck gesteigert wird. Betrifft die Entzündung eine tiefe Schicht
von Lymphgef ässen, welche entweder auf Grund unbekannter allgemeiner
Ursachen oder nach tiefen Verlezungen und Eiterungen (z. B. bei com-
plicirten Knochenbrüchen) entsteht, so ist der Schmerz tief, stechend und
fix ; es bilden sich harte Knoten in der Tiefe, das Glied schwillt allmälig
an und erst später stellt sich Röthung der Haut ein und zwar in Gestalt
von unregelmässigen Flecken. Damit ist Fieber, Durst, Uebelkeit, Er-
brechen , selten Delirien verbunden. Wenn sich die Entzündung nicht
zertheilt, so folgt entweder Verschliessung oder abscessartige umschriebene
Vereiterung der kranken Saugader ; auch kann die acute Form in die
chronische übergehen. In Folge der Verschliessung von Saugadern be-
obachtet man Oedem ; wenn der Eiter aus den Lymphgetässen in das Blut
übergeht , so kann Pyämie eintreten. Die Behandlung der acuten
Lymphdrüsenentzündung erfordert je nach Umständen einen Aclerlass oder
die Application zahlreicher Blutegel längs der rothen Streifen, kalte Fo-
mentationen, reichliche Einreibungen von grauer Salbe, die Compression,
Bäder; bei vorhandenem Fieber gibt man die innerlichen Antiphlogistica;
später passt Calomel. Kommt es zur Bildung eines Abscesses , so legt
man Kataplasmen auf und öffnet ihn bei Zeiten. — Die chronische
Entzündung derLymphge fasse, Lymphangitis chronica,
Elephantiasis Arabum, geht gewöhnlich aus der acuten hervor,
und hat daher oft dieselben Ursachen, pflegt indessen selten in Folge von
Verlezungen aufzutreten. Häufig beruht sie auf miasmatischen oder kli-
matischen Verhältnissen und zeigt sich daher epidemisch oder endemisch.
Meistens tritt sie nach wiederholten Anfällen der acuten Form auf. Sie
beginnt mit einer erysipelatösen Röthung mit schmerzhaften Streifen nach
dem Verlaufe der Lymphgefässe ; damit sind nicht selten gastrische Be-
schwerden verbunden. Bald stellt sich Anschwellung des befallenen
Tkeiles ein , der mit der Zeit einen ausserordentlichen Umfang erreicht.
Auch die Lymphdrüsen schwellen an, vereitern zuweilen sogar. Die Epi-
dermis verdickt sich stellenweise , wird rissig , rauh ; an andern Stellen
fehlt die Oberhaut und die Cutis ist mit Krusten bedeckt, die durch Aus-
schwizungen entstehen ; auch durch die Risse der Epidermis dringt eine
solche gerinnende Flüssigkeit : andere Male bildet diese Flüssigkeit unter
der unversehrten Oberhaut helle Blasen , die weisse Narbenflecke hinter-
25G ENTZUENDUNG DER MUSKELN.
lassen. Die Farbe der Haut wird dunkler, schrnuzig und nicht selten
entstehen Geschwüre an den verdickten Theilen. Der gewöhnlichste Siz
dieser Krankheit ist der Unterschenkel ; doch beobachtet man sie auch am
Sero tum , an der Vorhaut des Penis , den Brüsten. Sie beruht auf einer
Verschliessung der Lymphgef ässe, deren Inhalt in das Bindegewebe trans-
sudirt und zu Neubildungen von Bindegewebe Veranlassung gibt. — Die
Behandlung muss darauf hinwirken , die Aufsaugung der ergossenen
Flüssigkeit zu befördern und das Auftreten der gern reeidivirenden Ent-
zündung zu verhüten. Hierzu dient der antiphlogistische Apparat und
eine methodische Compression nebst Jod und fortwährenden Irrigationen.
Scarificationen sind zu vermeiden, da sie gewöhnlich zum Brande führen.
Bei unheilbarem Uebel hat man die Amputation mit Erfolg unternommen.
Entzündung der Lymphdrüsen, s. den Art. Lymph-
drüsen.
Entzündung der Muskeln, Myositis. Bei dieser ist zu-
nächst nur das die Muskelbündel umgebende Zellgewebe ergriffen und die
Muskelsubstanz wird nur seeundär verändert. Gewöhnlich befällt die
Entzündung nur einzelne, zerstreute, kleinere Stellen des Muskels in Form
von Heerden , seltener einen ganzen Muskel auf einmal ; dagegen pflanzt
sie sich sehr leicht durch seine ganze Masse fort. Man beobachtet eine
acute und chronische Form. Erstere entsteht meistens in Folge
traumatischer Einwirkungen oder durch heftige Erkältungen (sogenannter
acuter Muskelrheumatismus) und ist mit heftigen Schmerzen, Hize, Kräm-
pfen , die bei jedem Versuch einer Bewegung hervortreten , und starker
Gesehwulst verbunden , deren Folgen um so gefährlicher sind , weil die
umschliessenden Fascien der Anschwellung entgegentreten ; die anfäng-
lich bestehende Contraction der Muskeln wird am Ende zur Contractur.
Die chronische Muskelentzündung geht entweder aus der acuten hervor
oder entsteht durch Fortpflanzung von nahe gelegenen Theilen , oder
durch rheumatische , gichtische oder syphilitische Ursachen ; sie äussert
sich mehr durch Steifigkeit als Schmerz. — Die Veränderungen , welche
in dem entzündeten Muskel hervorgebracht werden können , sind Verhär-
tung , fibröse Umwandlung , Vereiterung und Verschwörung des intersti-
tiellen Zellgewebes, zuweilen Brand. Die anatomische Untersuchung
zeigt Röthung und je nach der Heftigkeit der Entzündung bald ein wäs-
seriges, albuminöses, fibrinöses , bald eiteriges Exsudat. Bei wässeriger
Infiltration wird das Muskelgewebe erweicht , blassröthlich , die Muskel-
faser büsst mehr oder weniger ihre Contractilität ein und das Gewebe
zerfällt endlich in eine breiige Masse. — Behandlung. Sie muss in
einer energischen Antiphlogose bestehen , wobei man der schmerzhaften
Muskelspannung und der Krämpfe wegen den betroffenen Theil ruhig und
in einer den Muskel erschlaffenden Lage halten muss. Beim Befallen-
sein von organischen Muskeln zieht man zur Herabstimmung der motori-
schen Nerventhätigkeit narkotische Mittel in Gebrauch. Später muss
ENTZUENDUNG DER VENEN. 257
einer bleibenden Verkürzung des muskulösen Gebildes durch einen ge-
hörigen Grad von Ausdehnung vorgebeugt werden.
Entzündung der Schleimhäute. Sie spricht sich haupt-
sächlich durch Veränderung der Secretion aus , die im Anfange vermehrt
ist , auf der Höhe der Entzündung fast ganz aufhört und nicht selten
Wutige Exsudate zur Folge hat. Später wird wieder Schleim erzeugt,
welchem Eiterkörperchen beigemischt sind. Eine mehr oberflächliche
Entzündung (die catarrhalische) liefert ein albuminös-seröses , eiteriges
Exsudat, eine intensivere erzeugt ein faserstoffiges. Lezteres kann nach
der Art seiner Umwandlung zur Vereiterung oder Schmelzung, Verdickung
oder Verhärtung der Schleimhaut Veranlassung geben. — Behand-
lung. Bei heftigen Entzündungen kann eine sehr energische antiphlo-
gistische Behandlung nöthig werden ; bei massigen Entzündungen genügen
anfänglich einhüllende besänftigende , später zusammenziehende und bal-
samische Mittel.
Entzündung der serösen Häute. Diese Entzündung kommt
sehr häufig vor und geht entweder von dem subserösen Zellstoffe ursprüng-
lich aus oder es wird dieser durch Weiterverbreitung von benachbarten
Geweben aus ergriffen, wie dies auch in umgekehrter Richtung stattfinden
kann. Die Entzündung ist meist acut, von heftigen, stechenden Schmer-
zen und Fieber begleitet und erreicht leicht höhere Grade. Sie zieht
Verdickung und Trübung der Membran nach sich und kann alle Arten
von Exsudaten und deren Metamorphosen mit sich führen. Sie geht in
Zertheilung, Verwachsung,. Eiterbildung, Brand, selten inülceration über.
Die chronische Entzündung tritt unter der Form der hydropischen Affec-
tionen auf. — Behandlung. Sie besteht in einer kräftigen Anti-
phlogose, namentlich in Blutentziehungen , dann in die Resorption beför-
dernden Mitteln und kräftigen allgemeinen und localen Gegenreizen , wie
Darmentleerungen, Vesicatorien etc.
Entzündung der Venen, Phlebitis, kommt ziemlich häufig
vor. Sie ist mit mehr oder weniger heftigen Schmerzen und rothen
Streifen in der Haut nach dem Laufe der Venen , so wie mit Fieberbe-
wegungen verbunden. Verengerung und Verstopfung des Venenrohres
und damit ödematöse Anschwellung des betreffenden Theiles ist eine häu-
fige Folge der Venenentzündung. Ist Coagulation des Blutes in den
Venen eingetreten , so fühlt man diese als feste, knotige Stränge. Bei
fortschreitender Entzündung bilden sich Eiterinfiltrationen . Abscesse und
Empyeme in inneren Organen und Höhlen. Selten kommen Kalkablage-
rungen auf der innern Gefässhaut vor. — Phlebitis erfolgt gewöhnlich
durch Verlezung beim Aderlassen , bei complicirten Beinbrüchen , nach
Amputationen etc. ; ferner durch Erkältungen, im Verlaufe erysipelatöser
und typhöser Krankheitsprocesse, nach zurückgetretenen Hautausschlägen
etc. Häufig tritt im Gefolge der Venenentzündung Pyämie ein. — Be-
handlung. Sie sei streng antiphlogistisch, Blutegel, graue Salbe etc.
Burger, Chirurgie. 17
258 epulis.
Eplsiorrh.aph.ie (von £tugloi> , die äussere Scham und QUtprj, die
Naht) , Schamlefzen naht. Diese Operation hat die theilweise Ver-
schliessung des Scheideneinganges zum Zweck , um den Gebärmuttervor-
fall zu verhindern. Man macht von dieser Operation Gebrauch , wenn
die Elytrorrhaphie (s. diesen Art.) sich nicht eignet, sie verdient auch wohl
bei sehr weiter und schlaffer Scheide den Vorzug. Die Lagerung der
Kranken ist wie bei der Elytrorrhaphie. Nach Abscheerung der Haare der
Schamlefzen und Reposition des Uterus fasst der Wundarzt (nach F r i c k e)
die eine grosse Schamlefze mit der linken Hand , stösst mit der rechten
ein spizes Bistouri zwei Finger von ihrer obern Commissur mit abwärts
gerichteter Schneide hindurch, führt das Messer in einem Zuge bis hinter
die hintere Commissur bogenförmig herab und schneidet durch einen
zweiten schräg nach oben geführten Messerzug den abgetrennten Rand
der Schamlefze vollends ab. In derselben Weise wird auf der andern
Seite verfahren, so dass die Schnitte etwa 1 Zoll vor dem After sich ver-
einigen. Nach Stillung der Blutung durch kaltes Wasser oder Torsion
werden die Wundränder der beiden Schamlefzen durch 10 — 12 in Ent-
fernungen von 4 Linien einzulegende Knopfnähte in der Weise ver-
einigt, dass nach hinten zu etwa l/2 Zoll frei bleibt , um dem Menstrual-
blute und Schleim einen Abfluss zu gewähren. War der Vorfall bei der
Operation hinderlich , so legt man vor derselben einen kleinen beölten
und mit einem Faden versehenen Schwamm ein , den man dann nach der
Heilung aus der frei gebliebenen Oeffnung auszieht. — Verband ist nicht
erforderlich. Die Operirte beobachtet nur eine Seiten- oder Rückenlage
mit zusammengebundenen Knieen. Auf die Schamlefzen macht man kalte
Umschläge ; den Urin entleert man mit dem Catheter und den Stuhlgang
befördert man durch Klystiere. In die Scheide macht man durch die
freigelassene Oeffnung Einsprizungen in den ersten Tagen von kaltem
Wasser, später von Chamillenabsud. Die Hefte entfernt man nach 4 8
Stunden. Bei einer später eintretenden Geburt trennt man die Verwach-
sung oder macht seitliche Einschnitte.
Epillis (von irvL auf und ovlov , Zahnfleisch), Zahnfleisch-
gewächs, Zahn fleisch ge schwulst. Mit diesem Namen belegt
man schwammige Wucherungen am Zahnfleische von sehr verschiedener
Beschaffenheit, indem sie sich bald fest, hart und unempfindlich, bald
weich, schwammig, leicht blutend und empfindlich zeigen, bald mit breiter
Basis , bald gestielt aufsizen. Nach der verschiedenen Natur dieser Ge-
schwülste hat man eine Epulis ossea, fungosa, sarco m.a t o s a ,
fibrosa, carcinomatosa unterschieden. Sie gehen gewöhnlich von
der Beinhaut aus ; ist die Beinhaut des Kieferrandes der Ausgangspunkt,
so wölben sie das Zahnfleisch unter allmäliger Verdünnung desselben vor
sich her ; ist es das Periost eines Alveolus , so verdrängen sie einen oder
ERFRIERUNG.
259
mehrere Zähne. Sie kommen häufiger an der unteren als an der oberen
Kinnlade vor. Beim Sprechen , Kauen, Schlucken erregen sie beträcht-
liche Beschwerden ; durch die fortwährende Insultation der gegenüber-
stehenden Zähne werden sie in Ulceration versezt, was das Leiden bedeu-
tend vermehrt; sie können eine beträchtliche Grösse erreichen. — Be-
handlung. Diese besteht in der frühzeitigen Wegnahme der Ge-
schwulst. Die Natur so wie die Form des Uebels bestimmen die Art
und Weise des chirurgischen Verfahrens. In den meisten Fällen wird es
nothwendig, zuvor die Wurzeln oder die cariösen oder locker gewordenen
Zähne auszuziehen; zuweilen verschwindet dadurch nach kurzer Zeit die
Geschwulst von selbst. Gewöhnlich wird es aber nothwendig , die Ge-
schwülste wegzunehmen. Bei oberflächlichen oder gestielten geschieht
dies durch Abbinden oder Abschneiden derselben mit Scheere oder Mes-
ser, mit nachfolgender nachdrücklicher Anwendung des Glüheisens. Oft
gibt erst eine vorläufig an der Basis der Geschwulst bis auf den Knochen
geführte Incision über den Siz des Uebels Aufschluss. Nach Befund
wird dann die Afterproduction mit der Beinhaut oder selbst mit dem be-
treffenden Knochen weggenommen, oder diese auch nur mit dem Glüheisen
berührt. Bei tiefem Siz in einer Alveole kann selbst die Resection des
Alveolarfortsazes nothwendig werden. S. Resection. Nach der Ope-
ration zieht man anfangs milde schleimige , später leicht adstringirende
Mundwasser in Gebrauch.
Erbgrind, s. Kopfgrind.
Eririenillg, Congelatio, tritt ein , wenn durch hohe Kälte-
grade dem Körper oder einzelnen Theilen die Wärme bis zur völligen
Erstarrung entzogen wird. Dieser Zustand tritt um so leichter ein , je
schwächer der Körper ist und je weniger respiratorische Thätigkeit und
Bewegung während der Einwirkung der Kälte stattfindet. Wird der Kör-
per oder ein einzelner Theil anhaltend einer heftigen Kälte ausgesezt, so
ist die nächste Wirkung die, dass sich die Haargefässe an der Oberfläche
zusammenziehen ; hierdurch häuft sich das Blut in den innern Theilen
an ; die Folge davon ist, wenn die Kälte auf den ganzen Körper einwirkt,
dass sich eine grosse Ermüdung und eine unüberwindliche Neigung zum
Schlafe einstellt , und wenn sich der Mensch dieser Neigung hingibt , so
ist er meistens verloren ; die Glieder , von deren Oberfläche alle Blutkör-
perchen zurückgedrängt sind, sind blass, die Bewegungsfähigkeit und Em-
pfindung vermindert sich, es tritt ein Zustand von Erstarrung ein, endlich
gefrieren die Säfte und der Tod ist unvermeidlich , wenn nicht schnelle
Hülfe eintritt. — Auf ähnliche Weise äussert eine starke Kälte ihre Wir-
kung auf einzelne Theile. Die Erscheinungen sind nach der Dauer der
Einwirkung und dem Grade der Kälte verschieden. Bei dem leichtesten
Grade werden Theile, wie die Wange, die Nase, das Ohr blass, steif und
starr ; Schmerz entwickelt sich entweder sogleich oder er tritt erst auf,
17*
260 ERFRIERUNG.
wenn der Theil einem schnellen Temperaturwechsel ausgesezt wird ; es
macht sich dann ein unerträgliches Brennen fühlbar. Bei einem höheren
Grade entwickeln sich entweder sogleich, namentlich wenn man den Theil
auch nur einer massigen Wärme aussezt , oder auch erst nach einigen
Tagen Blasen , beträchtliche Geschwulst und ein spannender , stechender
Schmerz. Bei geringerer Entzündung erneuert sich die Epidermis unter
den Blasen, bei heftigerer folgt Verschwärung mit jauchiger Secretion.
Im höchsten Grade ist alle Lebensthätigkeit aufgehoben. Diese Morti-
fication tritt entweder sogleich ein, oder es geht eine kurze Entzündung,
welche man als gangränöse bezeichnet, vorher. Die hier sich erhebenden
Blasen enthalten weisse oder graue Flecken , welche von einer brandigen
Zerstörung des Papillarkörpers der Haut herrühren. Bei noch heftigerer
Einwirkung der Kälte ist die ganze Haut brandig, und beim höchsten
Grade ist die ganze Dicke des Gliedes ergriffen. — Behandlung.
Erfrorene bringt man zunächst in ein kaltes Zimmer , bedeckt sie, nach
vorsichtiger Entkleidung, um die gefrorenen Glieder nicht zu zerbrechen,
mit Schnee oder mit in eiskaltes Wasser getauchten Tüchern , oder legt
sie in eine Wanne mit kaltem Wasser ; bei Allem diesem muss der Kopf
frei bleiben. Sind hierdurch die Glieder wieder biegsam geworden , so
legt man den Körper in ein kaltes Bett in einem kalten Zimmer, reibt ihn
mit kalten Spirituosen Flüssigkeiten , sezt kalte reizende Klystiere , hält
Riech- und Niesemittel vor die Nase, bläst mit Vorsicht Luft in die Lun-
gen , wenn sich das Athemholen nicht einstellen will , und sprizt kaltes
Wasser auf die Herzgrube. Erst nach und nach bringt man den Verun-
glückten in etwas wärmere Luft, gibt ihm gelinde schweisstreibende Mit-
tel, Flieder-, Melissenthee mit Minderer 's Geist, warmen Wein etc.,
um eine gelinde Ausdünstung zu bewirken. Alles dieses muss aber mit
grosser Vorsicht geschehen, da das Blut oft mit Ungestüm in die Lungen
eindringt und den Kranken durch Lungenschlagfluss oder Lungenentzün-
dung tödten kann. — Bei erfrorenen einzelnen Theilen muss man mit
gleicher Vorsicht zu Werke gehen. Man reibt sie zuerst mit Schnee
oder taucht sie in kaltes Wasser ; innerlich gibt man Wasser mit etwas
Wein. Ist die Circulation wieder etwas im Gange , so macht man noch
einige Tage Umschläge von kaltem Wasser oder Bleiwasser, und vom 3.
oder 4. Tage an nimmt man hierzu verdünnten Essig, Branntwein, Kam-
phergeist etc. , um die Haargefässe zur Contraction zu bringen. Nach
und nach bringt man den Kranken in eine höhere Temperatur und reicht
ihm innerlich warmes Getränk. Man fährt auf diese Weise fort , bis die
Geschwulst verschwunden und brandige Theile sich abgestossen haben.
Zögert der Wiedereintritt der Circulation und der Empfindung , nachdem
der Theil vollständig aufgethaut ist , so wendet man warme aromatische,
weinige Fomentationen an. Ist hingegen in Folge zu rascher Erwärmung
eine bedeutende Blutüberfüllung eingetreten, so muss man alsbald zu kal-
tem Wasser mit Bleiessig versezt zurückkehren. Hat der Theil eine blaue
ERFRIERUNG. FROSTBEULEN. 261
Färbung und ist er sehr geschwollen , so sezt man Blutegel in die Um-
gebung. Die Amputation oder Exarticulation, welche sich sehr oft durch
Hervorstehen der Knochen und durch Hautmangel nothwendig machen,
dürfen erst vorgenommen werden , wenn der Brand sich vollständig be-
grenzt hat. In einzelnen Fällen hat man nur nöthig, die hervorstehenden
Knochen mit der Knochenzange abzukneipen.
Bei schwächlichen , leucophlegmatischen Personen , Kindern und
Weibern bringt die Kälte, besonders feuchte Kälte und häufige Abwechs-
lung von Wärme und Kälte an den dieser am meisten ausgesezten Theilen,
wie den Händen und Füssen , den Ohren , der Nase die sogenannten
Frostbeulen, Winterbeulen, Perniones, hervor. Je nach
der verschiedenen Einwirkung nimmt man gewöhnlich vier verschiedene
Grade oder Arten von Frostbeulen an. Den ersten Grad bildet die
sogenannte erythematöse Frostbeule. Das Wesen derselben besteht
in einer passiven Hyperämie der Haut ; leztere erscheint oft glänzend
roth , dabei findet sich geringe Geschwulst , dagegen ein lästiges Jucken,
Priekeln und Brennen , welche Erscheinungen Abends , besonders wenn
auf Kälte Thauwetter folgt, heftiger sind. Den zweiten Grad stellt
die phlegmonöse Frostbeule dar. Bei dieser durchdringt die Affec-
tion nicht nur die ganze Haut, sondern breitet sich auch auf das darunter
liegende Zellgewebe aus. Die Röthe ist dunkler , zuweilen violett, die
Geschwülst bedeutender, der Schmerz heftig. Beim dritten Grade,
der geschwürigen Frostbeule , findet sich eine heftige Entzündung,
Geschwulst und Schmerz, und es bilden sich Blasen, welche leicht in hart-
näckige Geschwüre sich umwandeln, die viel Jauche absondern. Bei dem
vi e rten Grade, der brandigen Frostbeule, entsteht Brand in dem
erfrorenen Theile , der sich ausbreitet , bis er an gesunden Theilen an-
kommt , wo er eine Demarkationslinie bildet. — Die Frostbeulen sind
meist heilbar , kehren aber gern wieder. — Behandlung. Sie muss
sich nach dem Vitalitätszustande richten ; bei mehr passiver Hyperämie
muss sie reizend und adstringirend, bei mehr gereiztem und entzündlichem
Zustande reizmildernd und antiphlogistisch sein. Unter den Reizmitteln,
welche für die zwei ersten Grade passen, sind zu nennen : das öftere Rei-
ben mit Schnee, Waschungen mit eiskaltem Wasser, Wasser und Brannt-
wein, Citronensaft, Kamphergeist , Salmiakgeist mit Weingeist, verdünnte
Salz- oder Schwefelsäure (Rp. Acid. nitric. dilut. , Aq. cinna-
m o m i ana ^ß. M. S. Mit einem Federbarte aufzustreichen. R u s t),
Steinöl, Terpentinöl (Rp. Ol. petrae 5j, Ol. terebinth. 3Ü3, Li-
nimt. volat. camph. ^iß , Spirit. sal. ammon. caust. ^ß
M. S. Morgens und Abends einzureiben) , Jodtinktur und Seifenliniment,
Kampher mit Perubalsam (Rp. Camphor. tritae, Bals. indici
nigr. ana •) j , Ungt. pomadin. ^ß. M. f. Ungt. S. Abends ein-
zureiben. L o c k s t ä d t), Capsicumtinktur, heisse Kataplasmen mit Alaun,
das Bestreichen mit Höllenstein, Bäder von Chlorkalklösungen (Jj Chlor-
622 ERSCHUETTERUNG.
kalk auf 2 Pfd. kaltes Wasser), Eichenrindenbäder etc. Bei mehr ent-
zündetem Zustande werden zuweilen Blutegel und Abführungen , Um-
schlage von Bleiwasser und Opiumtinktur etc. nöthig. Nach gehobener
Entzündung geht man zu den Reizmitteln über. Die geschwürigen Frost-
beulen erfordern trocknende Salben, die je nach Umständen mild oder
reizend sein müssen ; am gebräuchlichsten ist Ceratum saturni,
Ungt. Zinci mit Myrrhe, Kampher, Opium oder Perubalsam (Rp.
O p i i p u r i , Camplior. ana 3j , B a 1 s. i n d i c i n i g r. ^)iv , Ungt.
nigri 5J. M. S. Frostsalbe. Kopp), mit Chlorkalk (Rp. Calcar.
chlorat. 5j, Ungt. cerei Jj. M. D. S. Frostsalbe. Trusen), und
wenn schwammiges Fleisch entsteht, Betupfen mit Höllenstein. Sehr ge-
rühmt wird ein Liniment aus Collodium 3 0 Th. , venetianischem Terpen-
tin 12 Th., Ricinusöl 6 Th., mit welchem die Frostbeule, mag sie aufge-
brochen sein oder nicht , mittels eines Pinsels überstrichen wird. Dieses
Ueberstreichen wird mehrmals wiederholt, bis sich eine luftdichte Decke
gebildet hat , unter welcher die Heilung rasch vor sich geht. Bei alten
Geschwüren müssen vor ihrer Heilung Fontanellen eingelegt werden. —
Durch kalte Waschungen und warme Bekleidung , so wie Einreibungen
von Kamphergeist , Seifenliniment , Salmiakgeist mit AVeingeist , so wie
Vermeidung zu enger Fussbekleidung sucht man die Wiederkehr der
Frostbeulen zu verhindern. — Gegen Schrunden aus Kälte an den
Händen empfiehlt Heine eine Mischung von Schwefelalkohol 3j mit
Ol. papav. 5j, mit welcher die Hände früh und Abends bestrichen werden.
Erschütterung, Commotio, heisst die durch eine stumpf
wirkende mechanische Gewalt in einem Körpertheile hervorgebrachte vor-
übergehende Verschiebung oder geringfügige Trennung seiner feinsten
Partikelchen, wobei die Vitalität des Theils mehr oder weniger bedeutend
leidet. — Die mechanische Gewalt versezt nämlich die getroffenen Theile
in eine schwingende zitternde Bewegung und verursacht dadurch eine
wenn auch manchmal nur momentane Verrückung der feinsten organi-
schen Fibern, und ohne Zweifel auch die Zerreissung einiger derselben.
Wegen der Elasticität der festen und festweichen organischen Theile kön-
nen jene Schwingungen auch auf einen ganz andern, als den getroffenen
Theil, fortgeleitet werden und dort erschütternd einwirken. Dabei kann
der Erschütterungszustand nur beschränkt oder allgemein verbreitet sein.
— Erscheinungen. Ein erschütterter Theil zeigt wenig sichtbare
materielle Veränderungen , die dynamischen sind Folge der durch die
Schwingungen hervorgerufenen Erschlaffung der Faser : bei geringen Gra-
den der Erschütterung tritt eine rasch vorübergehende Erregung der
Nervenfunction, bei höhern Graden eine plözliche Unterdrückung oder
Schwächung der Vitalität, Abnahme der Empfindung und Bewegung, und
wegen der verringerten Gefässresistenz erhöhter Zufluss der Säfte mit den
nachfolgenden Zeichen der Congestion oder Entzündung ein ; die höchsten
ERWEICHENDE MITTEL. 263
Grade können durch gänzliche Vernichtung der Nerventhätigkeit plöz-
lichen Tod zur Folge haben. Immer ist die Functionsstörung unmittel-
bar nach stattgehabter Verlezung am stärksten und nimmt , wenn das
Leben nicht vollständig vernichtet wurde, allmälig wieder ab. — Pro-
gnose. Sie richtet sich hauptsächlich nach der Stärke und Art der ein-
wirkenden Gewalt und nach der Wichtigkeit des getroffenen Theils. ■ —
Behandlung. Unmittelbar nach einer heftigeren Commotion , wenn
ein hoher Grad von Schwäche vorhanden ist, sind belebende Mittel inner-
lich und äusserlich angezeigt ; solche Mittel sind : Riechmittel, Hautreize,
Wein, NajDhthen, Valeriana, warme aromatische Umschlage, geistige Ein-
reibungen etc. ; doch sind solche Mittel immer mit Vorsicht anzuwenden
wegen der sich später entwickelnden entzündlichen Reaction ; häufig sind
diese Mittel gar nicht erforderlich , dagegen ist prophylactisch Kälte an-
zuwenden , die man nöthigenfalls durch örtliche und allgemeine Blutent-
leerungen unterstüzt , mit welchen Mitteln man aber auch nicht zu weit
gehen darf, um den geschwächten Theil nicht noch mehr zu schwächen.
Zurückbleibende Nervenschwäche mit passiver Gef ässüberfüllung behan-
delt man mit reizenden, namentlich ätherisch-öligen Mitteln, unter welchen
die Arnica die erste Stelle einnimmt.
Erweichende, erschlaffende Mittel, Emoiiientia,
Relaxantia, Malactica (von /uaXaxevitxog , erweichend). Man
versteht darunter alle Substanzen , welche im Allgemeinen die lebenden
Organe zu erschlaffen oder zu erweichen streben , indem sie in die Poren
der Haut und die Zwischenräume anderer fester Theile eindringen , die
Cohäsion derselben vermindern und ihr Gewebe auftreiben. Insofern sie
dadurch Reizungen beseitigen oder vermindern , Schmerzen heben oder
vermindern können, heissen sie lindernde Mittel, Demulcentia;
insofern sie die trockenen, rauhen und spröden Theile anfeuchten, schlüpf-
rig und geschmeidig machen, heissen sie anfeuchtende, Humec-
t a n t i a , und geschmeidig machende, Lubricantia, und in-
sofern sie bei heftigen Hautreizen und Schmerzen , z. B. Verbrennungen,
Insectenstichen etc. , der Haut einen milden, deckenden Ueberzug geben
und durch Abhaltung der atmosphärischen Luft und anderer schädlicher
Stoffe , oder durch Einhüllung und Zersezung scharfer Stoffe den Reiz
vermindern, heissen sie einhüllende Mittel, Obvolventia, I n -
volventia. Deshalb erweisen sie sich nüzlich bei phlegmonösen Ent-
zündungen, schmerzhaften Drüsenverhärtungen , Entblössungen der Haut-
papillen, schmerzhaften chronischen Hautausschlägen; als eiterungsbeför-
dernde Mittel bei Wunden, Abscessen und Geschwüren , wo die entzünd-
liche Spannung die Ursache des Mangels an Absonderung eines guten
Eiters ist, oder die Theile sonst sehr gereizt sind ; bei falschen Ankylosen
und Muskelcontracturen , in Verbindung mit activer und passiver Bewe-
gung , weil sie die Biegsamkeit der Theile vermehren und wiederher-
264 , ERWEICHUNG.
stellen , wenn dieselbe durch zu lange Ruhe verloren gegangen ist. Zu
anhaltend angewendet, wirken sie nachtheilig, weil sie die Fasern zu sehr
erschlaffen, die Reizbarkeit zu sehr abstumpfen , die Anhäufung von Blut
und Serum in den Theilen befördern und auf eiternden Flächen die Wu-
cherung der Granulationen befördern. — Es gehören hierher : die feuchte
Wärme (von + 2 6 — 3 4° R.), welche in der Form von Bähungen, Kata-
plasmen, Bädern, Douchen in Anwendung kommt ; die Mucilaginosa,
namentlich das arabische und Traganthgummi , die Wurzeln , Blätter und
Blüthen einer grossen Menge von Pflanzen aus der Familie der M a 1 -
va c e a e , besonders die Malven, Althäen etc.; die Wurzeln von Sym-
phytum officinale, die Stengel, Blätter und Blüthen von Verba-
s c u m, der Samen von Linum usitatissimum, die Blüthen von S a m-
bucus niger etc.; die S az m ehl arten und die sazmehlh alti-
gen Samen und Wurzeln, z. B. das Mehl aus den Getreidearten, die
Bohnen , Erbsen , Linsen , die Kartoffeln , die schleimigen, süss-
säuerlichen Früchte und säuerliche Blätter, der Apfel , die
Quitten, die schwarzen Maulbeeren, der Hauslauch etc. ; die schleimi-
gen Mittel mit einiger Schärfe, die Blätter und die innere grüne
Rinde von Sambucus niger, die Kohlblätter, die weissen Rüben; die
schleimigen, zuckerhaltigen Mittel , der Honig, die Manna, die
Blätter und Wurzeln des Mangolds ; dieeiweissstoffigen Mittel,
das Eiweiss, Eigelb, die Milch; die Fette, Wachs, WTallrath, Talg, Ca-
caobutter, Knochenmark, Butter, Milchrahm, die verschiedenen thierischen
Fette, wie Schweinsfett, Hundsschmalz etc. ; dieOele, Knochenöl, EierÖl,
Leberthran, Oliven-, Mohn-, Reps-, Leinöl etc.
Erweichung, M a 1 a c i a. Mit diesem Ausdrucke bezeichnet
man die verminderte organische Cohäsion und Consistenz eines Theiles in
Folge einer vorausgegangenen mehr oder weniger nachweisbaren Entzün-
dung und Congestion. In Folge der Blutstockung, Ansammlung der
Säftemasse überhaupt und Austritt von Blutbestandtheilen in das nahe-
liegende Zellgewebe bei der Entzündung wird die Ernährung und die
Lebensthätigkeit verschiedenartig verändert, wobei es zu einem Erlöschen
der Vegetation kommen kann , was sich durch eine geringere Spannkraft,
eine grössere Weichheit und Auflockerung der Gewebe ausspricht. Ein
solcher Zustand tritt häufig bei Schleimhäuten ein , denen alle fibrösen
Bestandtheile fehlen. Leucophlegmatische Individuen sind ihm besonders
ausgesezt. — Die Z eichen der nach Entzündungen zurückbleibenden
Erweichung sind die der passiven Hyperämie , der Blutüberfüllung ohne
Schmerz und Hize , Neigung zu serösen Ausschwizungen, geringere Con-
sistenz des Organs und Störung seiner Funktion. Die Erweichung kann
aber auch ohne Entzündung durch Blutcachexie entstehen. Es beginnt
der Krankheitsprocess hier von einer Lähmung der Haargefässe aus ; das
wenig belebte und zur festen Bildung nicht geeignete Blut, welches in
ERWEITERUNGSMITTEL.
265
dem Gewebe stockt , wandelt sich in eine gleichartige , eiweissstoffartige,
aufgelöste Masse um und zieht das von dieser Masse durchdrungene Ge-
webe in den Kreis der Schmelzung mit hinein. Meistens beginnt aber
auch hier dieser Process mit einem Stadium der activen Reizung. —
Prognose. Bei weit vorgeschrittener Zerstörung der Gewebe ist auf
eine Rückbildung nicht zu hoffen, bei niederen Graden dagegen , wo das
eigentümliche Gewebe nicht gelitten hat , kehrt dieses nicht selten zum
normalen Zustande zurück , oder greift doch das Uebel nicht weiter um
sich. — Behandlung. Die Erweichung als solche erfordert die Er-
hebung der gesunkenen Lebensthätigkeit in der organischen Substanz und
in der Sphäre der reproductiven Nerven , Beseitigung der passiven Sto-
ckung der Säfte und eine auf den Verfall der Plastik gerichtete kräftige
Gegenwirkung. Im Allgemeinen ist daher eine excitirende, roborirende,
tonisirende , den Zusammenhang des organischen Gewebes befördernde
Behandlung in Anwendung zu bringen. Bestehende Dyscrasien müssen
getilgt, schlechte Kost, ungesunde Wohnung etc. beseitigt werden. Con-
gestive oder entzündliche Erscheinungen erfordern zuweilen massige ört-
liche Blutentziehungen. Gegen erweichte Schleimhäute zieht man , so
weit sie von aussen zugänglich sind, Auflösungen von Alaun, Zinkvitriol,
Höllenstein mit Opiumtinktur in Gebrauch. Die Erweichung des fibrösen
Apparates, besonders der Gelenkbänder, sucht man durch tonische Bäder,
Einreibungen und Blasenpflaster zu heben, und wo diese Mittel fehlschla-
gen, wendet man Bandagen und Apparate an, um die fehlende Festigkeit
zu ersezen.
Erweiterungsmittel, D i 1 a t a n t i a. Man bedient sich dieser
zur Erweiterung natürlicher, krankhaft verengter oder krankhafter Kanäle
und Oeffnungen und zu einfacher Offenhaltung künstlich gemachter Oeff-
nungen , z. B. bei der Thränenfistel , Speichelfistel etc., oder natürlicher
Oeffnungen, wenn sie eine Neigung haben sich zu verengen. Sie wirken
durch Compression von innen nach aussen, drücken somit die Wandungen,
mit denen sie in Berührung kommen, auseinander , treiben die in densel-
ben stockenden Säfte zurück und befördern die Resorption. Dies ge-
schieht entweder auf rein mechanische Weise , wie es die verschie-
denen Arten von Mund- , Mutter- , Ohrenspiegel etc. , die verschiedenen
Dilatatorien der Bruchpforte und ähnliche Werkzeuge thun ; — oder dy-
namisch, indem sie als reizende Körper die Schleimhaut der Kanäle zu
grösserer Thätigkeit anreizen , somit eine vermehrte Absonderung des
Schleims erregen , welcher bald eiterartig wird und dadurch die Schmel-
zung und Aufsaugung des im Gewebe der Schleimhaut und der nächsten
Umgebung abgelagerten Faserstoffes und der stockenden Säfte befördern ;
— oder dynamisch und mechanisch zugleich , indem sie die in
dem Kanäle abgesonderte Flüssigkeit aufsaugen, dadurch aufquellen und
somit die Wandungen der Kanäle und Ränder der Oeffnungen auch me-
266 ERWEITERUNGSMITTEL.
chanisch auseinander treiben. — Die Erweiterungsmittel zerfallen in die
eigentlichen Erweiterungsmittel , Dilatantiaactiva, und in Mittel,
welche einen Kanal oder eine Oeffnung bloss offen zu halten bestimmt
sind, Dilatantia passiv a. — Die activen Erweiterungsmit-
tel gebraucht man bei Verengerungen des Thränen-, Nasen- und Ohren-
kanals, der Speiseröhre, Harnröhre, des Mastdarmes und zur Erweiterung
der Fisteln und anderer krankhafter Kanäle und Oeffhungen, wenn sie zu
dem beabsichtigten Zwecke zu enge sind und die Erweiterung mit dem
Messer nicht zulässig ist. Ihre Dicke wird allmälig vermehrt. Während
eines Entzündungszustandes dürfen sie nicht angewendet und wenn ihre
Anwendung eine zu starke Entzündung erregt , müssen sie bis nach der
Beseitigung dieser ausgesezt werden. Wenn man mit dem Gebrauche
derselben aufhört, ehe die Ursache der Verengerung gehoben ist, so kehrt
diese wieder zurück. Die hierher gehörigen Mittel sind l) aufquel-
lende, auch Quellmeissel, Turundae intu. mescentes, ge-
nannt. Zu diesen zählt man a) den Pressschwamm, Spongia
marina compressa; es ist dies ein in Wachs oder in arabischen
Gummischleim getauchter und dann bis zur Trocknung gepresster Bade-
schwamm. Bei seiner Anwendung schneidet man entsprechend lange und
dicke Stücke ab, rundet die Kanten, befestigt einen Faden daran und bestreicht
siemitOel, Schleim oder Eiweiss. Oder man umwickelt ein Stück feuchten
Schwammes in kegel- oder cylinderf örmiger Form mit Bindfaden und taucht
ihn dann in geschmolzenesWachs oder Gummischleim, worauf man den Bind-
faden entfernt und den Schwamm glättet ; b) die Darmsaiten, Chordae
s. Cereoli crassescentes; sie werden zum Gebrauche in warmem
Wasser eingeweicht , bis zur Trocknung ausgespannt , polirt , in entspre-
chend lange Stücke geschnitten , an dem einen Ende mit der Feile und
mit Bimsstein abgerundet , an dem andern umgebogen oder mit einem
Knöpfchen von Siegellack oder Bein versehen und vor der Einführung mit
Oel, Butter, Wachssalbe oder Eiweiss bestrichen. Sie finden hauptsächlich
bei Verengerungen des Thränenkanals und der Harnröhre Anwendung ;
c) die p o r ö s e n W u r z e 1 n oder andere Pflanzentheile, wie die
Eibisch- , Enzian- , Wallwurzel , das Hollunder- und Sonnenblumenmark,
die Ulmenrinde, die Feigen. Man gebraucht sie bei Fisteln und Verenge-
rungen der Nasenöffnungen. — 2) Nicht aufquellende; dahin ge-
hören a) die Kerzen oder Bougies, Candelae s. Candelulae;
es sind dies biegsame, glatte, gemeinlich 10 — 12 Zoll lange Körper von
verschiedenem Kaliber und Material, welche bald cylindrisch, bald konisch,
bald an ihrem unteren Ende bauchig sind und hauptsächlich bei Verenge-
rungen langer Kanäle , wie der Speiseröhre , Harnröhre , des Mastdarmes,
Anwendung finden ; man hat folgende Arten von Kerzen : «) Wachs-
kerzen, Wachsbougies, Candelae cereae, Cereoli; man
entnimmt sie dem gewöhnlichen Wachsstocke ; ß) Pflasterbougies,
Cereoli simplices; in geschmolzenes Wachs oder heilkräftige Pfla-
ERYTHEMA. 267
stermasse getauchte und nach dem Erkalten aufgerollte und geglättete
Leinwandstreifen ; y) elastische Bougies; aus Fäden gewobene, mit
Leinöl oder elastischem Harzfirniss überzogene polirte Körper, welche ent-
weder hohl oder voll (massiv), gerade oder gebogen sind ; man fertigt sie
auch aus Gutta percha; S) Metallbougies, Röhren oder Drähte
von Blei oder Zinn , oder einer Mischung von Blei , Zinn und Wismuth,
welchen man die erforderliche Krümmung gibt ; f)Knochenbougies,
aus Elfenbein und Knochen gefertigte Körper, denen man durch Behand-
lung mit Salpeter- oder Salzsäure die phosphor- und kohlensauren Kalk-
salze entzieht, wodurch sie, in warmes Wasser gelegt, weich und biegsam
werden ; £) Fischbeinbougies; rf) Pergamentbougies, ge-
rollte Pergamentstreifen ; &) H e c k e r 'sehe (medicamentöse) Bougies,
Fäden, welche in äzkali- oder quecksilbersublimathaltige Masse mehrmals
getaucht , getrocknet und gerollt sind und sowohl bei hartnäckigem chro-
nischen Tripper , als auch bei callosen Stricturen der Harnröhre mit Vor-
theil gebraucht werden ; b) die Därme von kleinen Thieren, als
Kazen, Kaninchen, Schafen ; diese werden mittels geeigneter Vorrichtungen
in die verengerte Stelle des Kanals (Speiseröhre , Harnröhre , Mastdarm)
gebracht und sodann mit Luft , Wasser oder Charpie gefüllt. c) Die
Charpiewieken und Dochte (s. Charpie). — Die Dilatantia
passiva sezen sich nur der Schliessung von Oeffnungen entgegen; es
gehören hierher : die Charpiewieken und Dochte, die Kerzen,
die Röhren von gestrichenem Heftpflaster oder von Kaut-
schukplatten oder Stücke elastischerCatheter; leztere die-
nen hauptsächlich zur Herausbeförderung von Flüssigkeiten aus Körper-
höhlen, wie Brust- und Bauchhöhle, der Höhle der Tunica vaginalis;
ferner die silbernen und goldenen Röhren, welche man zur Hei-
lung der Thränen- und Speichelfistel gebraucht; die Bell 'sehen Röhr-
en e n für die NasenöfFnungen , Dupuytren 's Scheibe ncy linder,
Reisinger's Scheibenröhre, Hennemann 's Knopf von Kaut-
schuk , welche leztere drei zur Offenhaltung der geöffneten Froschge-
schwulst dienen.
Erysipelas , s. R o t h l a u f.
Erythema (vou iovfraivw , ich mache roth) , R ö t h u n g. 'Mit
diesem Namen bezeichnet man die oberflächliche Entzündung der Haut,
welcher immer äussere Ursachen zu Grunde liegen. Jeder äussere Reiz
kann sie erzeugen , Hize , Frost, chemische scharfe Stoffe, Insectenstiche,
ein scharfes Wund- oder Geschwürsecret , scharfer Vaginalschleim , Koth
oder Urin, mechanische Verlezungen. Je empfindlicher das Hautorgan
ist , um so leichter entsteht sie , daher leichter bei Kindern und Frauen,
als bei Männern ; ebenso bei fetten Personen leichter als bei magern ;
erstere leiden besonders im Sommer an solchen Stellen häufig daran , wo
268 EXSTIRPATION.
zwei Hautflachen sich gegenseitig reiben oder drücken, wie zwischen den
Hinterbacken etc. &» Wundsein. Es gesellt sich Erythem sehr oft zu
Wunden , welche man auf rohe Weise durch Drücken und Waschen rei-
nigte und durch Nähte und reizende Klebepflaster zu fest vereinigte.
Pflaster und Salben bringen dasselbe auch bei unverlezter Haut nicht sel-
ten hervor. Unreinlichkeit und zu reichliche oder unzweckmässige scharfe
und gesalzene Kost begünstigt seine Entstehung ; ebenso die Retentionen
gewohnter Ausleerungen, des Monatflusses, der Hämorrhoiden etc. — Das
Erythema charakterisirt sich durch eine oberflächliche, nach der Peripherie
abnehmende Röthe, die beim Fingerdruck erbleicht, aber sogleich wieder er-
scheint, geringen Schmerz und unbedeutende Anschwellung, so wie durch
das Fehlen jeglicher Störung des Allgemeinbefindens, wenn diese nicht
durch seine Ausdehnung bedingt wird. — Der Verlauf des Erythems
ist meist ein schneller, immer gutartig ; nur wo die Ursachen nicht zu ent-
fernen sind, kann es lange dauern und sich mit oberflächlicher Verschwä-
rung, Schrunden u. dgl. verbinden. — Behandlung. Sie ist einfach,
wenn die Haut der Wirkung schädlicher Einflüsse entzogen werden kann ;
meist reichen dann kalte Umschläge aus ; ist dies nicht möglich, wird das
Erythem z. B. durch das scharfe Secret eines Geschwürs etc. unterhalten,
so schüzt man die Umgegend durch fleissiges Baden und Waschen mit fri-
schem Wasser oder Bleiwasser, Auflegen von Bleiwasser, Blei- oder Zink-
salbe , Bleiweiss , Bestreichen mit Collodium. Sehr oft muss man Abfüh-
rungsmittel geben und die Diät verändern. Bei scrophulösen Kindern
muss man sich hüten , Erytheme durch austrocknende Mittel zu heilen,
selbst häufiges Waschen solcher leicht entzündeten oder verschwärten
Stellen vermeiden , weil sich nicht selten die Entzündung auf ein edles
Organ wirft. Man muss sich mit der Reinlichkeit begnügen und entspre-
chende innere Mittel in Gebrauch ziehen.
Exstirpation , Ausschneiden, Ausschälen, Exstir-
p a t i o , ist die zur Beseitigung von Pseudoplasmen mittels des Messers
unternommene Operation. Die Operation differirt nach der Grösse, Gestalt
und Lage der Geschwulst, immer aber muss man suchen, von der die Ge-
schwulst bedeckenden Haut so viel zu erhalten, dass die Wunde sich nach
der Exstirpation vollkommen und genau schliessen lässt. — Ist die Haut
über einer Geschwulst gesund und beweglich, liegt diese oberflächlich und
hat sie nicht über 1 — l1/^ Zoll im Durchmesser, so führt man einen ein-
fachen, geraden Schnitt mit oder ohne Faltenbildung durch die Haut, der
die Geschwulst auf beiden Seiten */4 — */2 Zoll überragt. Bei grösseren
Geschwülsten macht man , um mehr Raum zur Ausschälung zu gewinnen,
zwei Schnitte, welche sich auf dem Gipfel jener unter einem Rechtwinkel
kreuzen und sie ebenfalls überragen. Ist die Geschwulst noch grösser,
oder ist die Haut auf derselben unbeweglich, exulcerirt oder sonst krank,
so macht man zwei bogenförmige Schnitte , welche über die Seiten der
EXSTIRPATION. 269
Geschwulst laufen und eine Ellipse bildend an ihren Enden in einander
fallen. Ist die Haut krank , so müssen diese Bogenschnitte alles Krank-
hafte einschliessen ; werden sie wegen der Grösse der Geschwulst gemacht,
so muss man sie so führen, dass die an den Seiten stehenbleibende Haut
nach der Exstirpation der Geschwulst gerade die Wunde deckt. Unter Um-
ständen kann auch ein T oder Vf örmiger Schnitt nöthig werden. Auf welche
Weise man auch die Haut durchschneidet, immer müssen die Schnitte die
Grenze der Geschwulst überschreiten, damit die Ablösung der Haut von
der Geschwulst leicht und vollkommen erfolgen kann. Behufs der Ausfüh-
rung dieser Operation zieht man die Hautränder auseinander oder fasst
einen Wundrand nach dem andern mit der Pincette und sobald es angeht
mit den Fingern und trennt die Haut mit dem Messer in grossen Zügen
von der Geschwulst bis zu deren Basis los, wobei man sich, wenn die Ge-
schwulst mit Flüssigkeit gefüllt ist , vor der Verlezung des Balges zu
hüten hat. Ist dieser sehr dünn und das Zellgewebe zwischen ihm und
der Haut sehr locker, so kann man sich zur Trennung des Scalpellstieles
oder Fingers bedienen , doch verdient die Klinge den Vorzug , deren
Schneide man aber mehr der Haut als dem Balge zuwenden muss. Hat
man zwei Bogenschnitte gemacht, so bleibt der von ihnen eingeschlossene
Hauttheil unberührt auf der Geschwulst. Ist diese bis zu ihrer Basis hin
blossgelegt , so lässt man die Haut zu beiden Seiten nötigenfalls mit
stumpfen Haken zurückhalten , zieht die Geschwulst mit einem spizen
Haken oder der linken Hand gegen sich und trennt sie von den unter-
liegenden Theilen vollends ab. Man schneidet hierbei womöglich von
unten nach oben, damit das abfliessende Blut nicht die Schnittfläche decke ;
erstreckt sich aber die Geschwulst in die Tiefe zwischen Muskeln und an-
dere Theile, so trennt man dort zuerst, wo es am leichtesten ist, um Raum
zu gewinnen. Stellen, an denen grössere Gef ässe in die Geschwulst gehen,
trennt man so spät als möglich. Während der Ausschälung lässt man mit
einem Schwämme fortwährend kaltes Wasser auf die Schnittfläche auf-
träufeln , damit man sieht , was man zerschneidet ; dadurch wird zugleich
die Blutung aus kleinen Gef ässen gehemmt. Sprizen Arterien , so lässt
man die blutenden Stellen mit dem Finger comprimiren oder man unter-
bindet , bevor man weiter operirt. Ist durch die Grösse einer Balgge-
schwulst der Raum für die Lostrennung ihrer Basis sehr behindert , so
kann man nötigenfalls den Balg, wenn er bis an jene schon ausgelöst ist,
eröffnen und entleeren. — Nach geschehener Exstirpation untersucht man
nochmals mit Auge und Finger die ganze Wundfläche, ob nichts Krankes
z urückgeblieben ist, was man mit der Pincette fassen und mit Messer oder
Scheere exstirpiren muss. — Die Wunde heilt man wo möglich durch
schnelle Vereinigung, legt deshalb die Wundränder an einander, vereinigt
sie mit Heftpflastern oder mittels der ^blutigen Naht , legt darüber eine
Compresse , welche man mit einer Binde festhält. Konnte ein Theil eines
270
EXSUDATION.
Balges nicht entfernt werden , so muss Eiterung eingeleitet werden (siehe.
Cysten, Fettgeschwülste).
ExSUdatlOIl, Ausschwizung. Man versteht hierunter das
Austreten von Blutbestandtheilen durch die Haargefässwände. Dieses
Austreten kann zu Stande kommen , wenn das durch die Capillaren strö-
mende Blut eine Abänderung seiner Bestandtheile erlitten hat , wie dies
bei den Dyskrasien statt hat , und wenn die Haargefässwände durch ver-
mehrten Druck der Blutsäule und Verdünnung oder Erschlaffung für die-
sen oder jenen Bestandtheil des normalen oder kranken Blutes mehr oder
weniger permeabel geworden sind , auch sich die Attraction der innerhalb
und ausserhalb der Capillaren befindlichen Flüssigkeiten auf einander
geändert hat. Es kann sonach ein Exsudat eben sowohl eine allgemeine,
auf den Blutzustand sich beziehende, als eine rein locale Bedeutung haben.
Im ersten Falle findet die Ausscheidung das eine Mal , wie die des Bla-
stems, unmerklich statt (z. B. bei Krebs, Tuberkeln), das andere Mal, wie
dies auch bei der rein örtlichen Exsudation der Fall ist, unter mehr oder
minder auffälligen pathologischen Erscheinungen. Das leztere zeigt sich
am deutlichsten bei der entzündlichen Exsudation, welche übrigens ebenso
gut rein örtlich sein, als aus rein dyskrasischen Producten bestehen kann.
Nicht unmöglich ist es , dass bisweilen pathologische Ablagerungen , die
man einer veränderten Secretion zuschreilbt, durch gehemmte Resorption,
gestörte Lymphgefässthätigkeit, zu Stande gekommen sind. Jedes Ex-
sudat tritt bei seiner Bildung in flüssiger Form auf und besteht aus den-
selben Materien , welche das Blut zusammensezen. Je nachdem nun die
eine oder die andere derselben vorwiegend ist , denn in jedem Exsudate
finden sich so ziemlich alle Blutbestandtheile vor, erhalten die Exsudate
verschiedene Namen , nämlich 1) das f as e r s t o f f i g e ( f ibr in ö s e )
Exsudat zeichnet sich durch seine freiwillige Coagulation aus und be-
steht hauptsächlich aus Fibrin , dem in verschiedenem Verhältniss (doch
nie in grosser Menge) gelbliches Serum beigemischt ist. Nach der ver-
schiedenen Zusammensezung unterscheidet man mehrere Arten von Faser-
stoffexsudaten ; a) das einfache oder plas t is ch- f a s er s t o f f ige
Exsudat; dieses hat eine graue, grauröthliche oder gelbliche Färbung,
bildet membranöse Ausbreitungen, Pfropfe, oder es schwimmt in Flocken,
die sich aus dem flüssigen Theile ausscheiden ; es ist sehr klebend, durch-
scheinend , mit vielen Kernen und kernhaltigen Zellen. Dieses Exsudat
kommt besonders bei Wunden vor , welche per primam intentio-
n e m heilen ; ferner bei Entzündungen seröser und zellstoffiger Gewebe,
der innern Gefässhaut, der Knochen; seine Umwandlung besteht in Ver-
schrumpfung und Organisirung ; b) das croupöse Exsudat (eiterig
zerfliessender Faserstoff) ist gelb oder grünlich gelb , sehr gerinnfähig,
weniger klebend, mit ansehnlichem Fettgehalte, bildet Flocken und Mem-
branen , ist aber keiner weiteren Organisation fähig. Es zerfliesst sehr
EXSUDATION. 271
bald zu eiteriger Flüssigkeit und hat dann häufig eine corrodirende , die
Gewebe schmelzende Eigenschaft. Dieses Exsudat wird gewöhnlich in
sehr grosser, erschöpfender Menge abgesezt; es liegt ihm eine qualitative
Erkrankung des Faserstoffes zum Grunde. Es kommt bei Schleimhaut-
entzündungen , besonders in den Luftwegen und im Darmkanale vor.
c) Das tu bereu löse Exsudat; es bildet, wenn es rein ist, eine graue
oder gelbliche Masse ; gewöhnlich ist es aber mit Salzen vermischt und
stellt dann eine feste gelbe Masse dar. — 2) Das eiweissstoffige
(albuminöse) Exsudat. Es enthält viel Eiweiss , aber auch noch
Faserstoff und manchmal viel Serum , Blutfarbestoff" und Fett ; man be-
zeichnet es darnach als rein albuininöses, faserstoff- oder se-
rös-alb um inö s es. Es ist flüssig, klebrig, bisweilen fast ölartig, ent-
weder farblos und durchsichtig, oder röthlich gelb, opak und milchweiss ;
meistens gerinnt das Eiweiss später, wenn sich das Serum vermindert hat.
Dieses Exsudat macerirt alle Gewebe, mit denen es in Berührung kommt,
verwandelt sich leicht in Eiter und verjaucht schneller, als das faserstof-
fige Exsudat ; bisweilen organisirt es sich auch. Es kann sich in Krebs-
masse umwandeln, tuberculisiren, eine Fettumwandlung, sowie eine Speck-
entartung erleiden. — 3) Das wässerige (seröse) Exsudat ist als
rein seröses ( hydropisches , den Hydrops serosus constituirendes)
dünnflüssig , wässrig , klar , farblos oder blassgelblich , und nicht als Ent-
zündungsproduet anzusehen ; es ist daher auch nicht organisationsfähig.
Dagegen kommt seröses Exsudat mit Eiweiss oder Faserstoff in Folge von
Entzündung vor und bildet den Hydrops fibrinosus. Das albu-
minös-seröse Exsudat ist klebrig, einer dünnen Synovia ähnlich oder
trübe ; in faserstoffig-serösen finden sich Fibringerinnungen als Flöekchen,
weiche salzar.tige Klumpen ; diese beiden Arten sind organisationsfähig.
Das seröse Exsudat macerirt die Gewebe. — 4) Das hämorrhagi-
sche Exsudat. Wenn eines der vorgenannten Exsudate eine grössere
Menge Blutfarbestoff enthält, so stellt es das hämorrhagische Exsu-
dat dar, welches also ein fibrös-, albuminös- oder serös-hämorrhagisches
und darnach mehr oder weniger gerinnend sein kann. Diese Exsudate
sind immer roth und kommen hauptsächlich auf serösen Häuten, nament-
lich bei Leuten vor , die sehr herunter gekommen sind und wo das Blut
der Zersezung nahe ist (wie beim Scorbut u. dgl.). — In Betreff der Ver-
breitung und Anordnung der Exsudate finden Verschiedenheiten statt. In
parenchymatösen Organen sind sie durch das ganze Gewebe verbreitet ;
die Vertheilung erfolgt hinter die Fasern und Gefässe und scheidet sich da-
durch in Streifen ab. Bei membranösen Organen ergiesst sich das Exsu-
dat auf die freie Fläche ; ist es ein faserstoffiges, so bildet es eine Pseudo-
membran ; ist es nicht gerinnbar, so bleibt es flüssig, verharrt in geschlos-
senen Säcken und wird , wenn es möglich ist , nach aussen entleert. Auf
die Beschaffenheit des Exsudates ist die Menge und Beschaffenheit des
Körper- und Organenblutes, die Beschaffenheit der Haargef ässwandungen,
272 EXTRAVASAT.
der Siz der Entzündung (mehr im arteriellen oder venösen Theile des
Haargefässnezes) und die Ursache derselben von Einfluss. — Jedes der
oben genannten Exsudate geht, wenn es nicht bald aus dem Körper aus-
gestossen oder resorbirt wird , Umwandlungen ein , welche theils von zu-
fälligen (mechanischen , chemischen oder organischen) Momenten , theils
von einer eigentümlichen , ihnen von vorn herein innewohnenden Quali-
tät abhängig zu sein scheinen. Wenn sich in einem Exsudate die Bedin-
gungen der Zellen- und Faserbildung (Proteinverbindungen, Fett, Säuren)
befinden, dann entstehen in demselben nach den Gesezen der Zellentheo-
rie, Elementarkörperchen , Zellenkerne, Zellen und Fasern, welche unter
günstigen Verhältnissen den physiologischen gleichen , und sich zu nor-
malen Geweben fortbilden können ; im entgegengesezten Falle wird durch
abnorm gestaltete, mikroskopische Körperchen (z. B. Exsudatkörperchen,
Entzündungskugeln, Körnchenzellen, Eiterkörperchen , Exsudatzellen) ein
pathologisches Gewebe erzeugt. — Folgen der Exsudation. Zu-
nächst wird in dem entzündeten Organe die Function gestört; das Organ
kann anfangs durch die grössere Blutmenge und das Exsudat eine ächte
oder unächte Hypertrophie erleiden , später aber durch Schrumpfung des
Exsudats etc. an Volumen abnehmen. In hohlen Organen kann Verenge-
rung und Erweiterung , in Röhren Verstopfung und Verschliessung zu
Stande kommen. In der Nachbarschaft des Exsudats tritt Blutarmuth ein ;
auch wird sie nach der verschiedenen Natur desselben imbibirt, macerirt,
arrodirt und corrodirt, verjaucht oder in Schmelzung versezt , oder nahe
Organe erleiden Verschiebungen. Endlich erleidet das Blut mannigfache
Veränderungen, und wenn Exsudate , zumal wenn sie durch Metamorpho-
sen den Blutbestandtheilen differenter geworden sind , in das Blut wieder
aufgenommen und mit demselben fortgeführt werden, so erzeugen sie eine
Art Gährung in demselben , welche in höherem Grade zur raschen Zer-
sezung desselben wird (s. Pyämie).
Extravasat , Erguss, Extravasaten, bedeutet im Allge-
meinen den Austritt von Flüssigkeiten oder halbflüssigen Stoffen (Blut,
Lymphe , Synovia , Chylus , Galle , Fäcalmaterie , Harn) aus ihren natür-
lichen Behältern in andere Höhlen (Extravasat, Erguss), oder in
das freie Zellgewebe und in die Substanz anderer Organe, z.B. des Hirns,
der Lunge (I n f i 1 1 r a t i o). Unter Extravasat schlechthin versteht man
gewöhnlich blos den Austritt von Blut und sezt bei dem der andern Flüs-
sigkeiten deren Namen bei, z. B. Harnextravasat. Am häufigsten erfolgt
der Erguss in Folge traumatischer Einwirkungen (Quetschungen , Risse,
Wunden), doch auch manchmal durch Ausdehnung, Eiterung, Brand. —
S. auch den Art. Ecchymoma.
FASERGESCHWULST. 273
F.
FasergeSChwulst, Tumor fibrosus (auch F le i s ch g e -
schwulst, Sarkoni genannt) , ist eine Neubildung, welche der Haupt-
masse nach aus Fasergewebe besteht. Die Fasern , welche diese Ge-
schwülste zusammensezen , sind meist Bindegewebsfasern , seltener glatte
oder einfache Muskelfasern und zuweilen auch elastische Fasern. Je nach
dieser Zusammensezung unterscheidet man Bindegewebsgeschwül-
ste und Muskelfa sergeschwülste. — Die Consistenz der Faser-
geschwülste ist eine sehr verschiedene ; sie sind bald weich , elastisch und
dann meist auch blutreich ; hierher gehören die weichen Polypen ; bald
sind sie fest, derb, wenig elastisch, gleichen auf Durchschnitten dem fibrö-
sen, sehnigen Gewebe ; solcher Art sind die festen, fibrösen Polypen ; man
bezeichnet diese Gebilde näher als fibröse Gebilde (Fibroide,
Desmoide). Eine mittlere Consistenz bilden die Muskelfa serge-
schwülste (Myoide). Verneuil schlägt für alle Geschwülste,
welche hauptsächlich aus Bindegewebe bestehen , als Allgemeinbezeich-
nung den Namen Fibrom vor. — Der Verlauf der Fasern , welche die
Fasergeschwulst bilden , ist ein sehr mannichfaltiger : bald laufen sie pa-
rallel , bald stellen sie verschiedenartige Neze dar , bald sind sie unregel-
mässig unter einander gemischt ; in die Zwischenräume der Fasern sind
zellige Elemente eingestreut. — Eine Modifikation der Fasergeschwülste
bildet die Balgfasergeschwulst, Cystosarcoma. Es ist dies
eine Geschwulst , welche aus einer faserigen Masse besteht , in welcher
Bälge enthalten sind. J. Müller unterscheidet drei Formen: 1) Cy-
stosarcoma simplex, bei welcher die Cysten ihre besondere Haut
haben und im Innern glatt sind. Diese Form kommt am häufigsten vor
und ist zuweilen angeboren. 2) Cystosarcoma proliferum; die
Cysten enthalten in ihrem Innern jüngere gestielte Cysten. 3) Cysto-
sarcomaphyllodes; die Geschwulst bildet eine feste unebene Masse
von der Consistenz des Faserknorpels, enthält in ihrem Innern Höhlen und
Spalten , welche nur wenig Flüssigkeit enthalten , keine deutliche eigene
Haut besizen , sondern grösstentheils mit warzenähnlichen , oder Blätter-
und blumenkohlartigen Gewächsen angefüllt sind. Eine weitere Moclifi-
cation der Sarcome ist eine schwarze Färbung — melanotische Fa-
sergeschwulst (Sarcoma melanodes). Am häufigsten findet man
solche Pigmentablagerungen in lockern Bindegewebsgeschwülsten. — Die
Fasergeschwülste kommen besonders unter zwei Hauptformen vor , einer
rundlichen und einer länglich gestielten. Die erste Form haben meistens
die festen , überall gleichmässig eingeschlossenen Fasergeschwülste , wäh-
rend die zweite denjenigen zukommt , die sich auf freien Flächen ent-
Burger, Chirurgie. -[g
274 FAEULNISSWIDRIGE MITTEL.
wickeln. Die Balgfasergeschwülste haben gewöhnlich eine rundliche,
höckerige Gestalt und zeigen Fluctuation. — Die Sarcome kommen an
den verschiedensten Körperstellen vor und zeigen meistens eine dem um-
gebenden Gewebe analoge Bildung ; so findet man die lockern Bindege-
websgeschwülste am häufigsten auf Schleimhäuten (als Polypen) , auf der
äussern Haut (als Condylome. , Warzen) , am Zahnfleisch (als Epulis) , die
Myoide in der Gebärmuttersubstanz etc. , die Fibroide mit fibrösen Häu-
ten , der Beinhaut , den Bändern zusammenhängend. Die Balgfaserge-
schwülste sind am häufigsten an den Ovarien oder in ihrer Nähe , an den
Hoden und in der weiblichen Brust anzutreffen. Auch in und an den
Knochen kommen die Sarkome vor und heissen dann Osteosarkome.
Haben sie ihren Siz innerhalb des Knochens, so treiben sie in ihrer weite-
ren Entwickelung den umgebenden Knochen blasig auf. Am häufigsten
findet man die Osteosarkome im Unterkiefer ,« in der Highmorshöhle , an
den Becken- und Schädelknochen und in der Nähe der Gelenkenden grös-
serer Röhrenknochen. — Die Sarkome bilden sich aus Blastem heraus,
welches durch Erguss aus zerrissenen Gefässen oder durch Ausschwizung
aus hyperämischen und entzündeten Gefässen geliefert wird. Daher sieht
man diese Geschwülste in Folge mechanischer Verlezungen oder bestehen-
der Dyskrasien , vorzüglich der Scropheln und Syphilis entstehen. — Die
Geschwülste wachsen bald rasch, bald langsam, je nachdem sie locker und
gefässreich, oder fest und blutarm, frei gelegen oder eingeschlossen sind.
Sie können eine bedeutende Grösse erreichen , die benachbarten Theile
verdrängen und dadurch bedeutende Beschwerden erregen. Die Osteosar-
kome durchbrechen manchmal die Knochen. — Die Sarkome sind völlig
unschmerzhaft, durch äussere Reizung können sie aber in Entzündung und
Verschwärung versezt werden. Die Fibroide sind ausserdem einer Ver-
knöcherung und krebsigen Entartung fähig. — Behandlung. Im An-
fange kann man versuchen , das Wachsthum dieser Aftergebilde durch
wiederholtes Ansezen von Blutegeln , durch fortgesezte kalte Umschläge,
Ableitungsmittel , durch die innerliche und äusserliche Anwendung des
Jod etc. zu hindern. Gelingt dies nicht, so müssen sie entfernt werden,
was man je nach ihrer Beschaffenheit durch Ausschneiden, Ausreissen, Ab-
binden , Aezen oder Brennen , oder durch Einziehen eines Haarseiles be-
werkstelligt. Osteosarkome können dieResection, Exarticulation oder die
Amputation nöthig machen.
FäullÜSSWidrige Mittel, Antiseptica, Antiputredi-
n o s a. Man versteht hierunter Mittel , welche entweder dem Zersezungs-
process organischer Substanzen entgegenwirken , oder die nachtheiligen
Einwirkungen eines todten, inFäulniss übergegangen, noch am Leben haf-
tenden Theiles vermindern. Zu den Mitteln , die der Fäulniss Einhalt
thun und die Lebenskraft im leidenden Theile und in dessen Peripherie
erwecken, rechnen wir folgende : rein scharfe Mittel, wie Senfmehl, spani-
FAEULNISSWIDRIGE MITTEL. 275
scher Pfeffer , Knoblauch , Meerrettig , der gemeine Rettig (bei geringer
Entzündung); das Löffelkraut, Brunnenkresse, Gartenkresse etc. (bei scor-
butischen Geschwüren u. dgl.) ; die Folia sennae, sabinae, Flor,
arnicae, Euphorbium (bei Caries , Necrose). Zu den Mitteln, welche
den nachtheiligen Einfluss auf den Organismus hemmen, gehören alle Sub-
stanzen , welche Flüssigkeiten , also auch die faule Jauche begierig ein-
saugen, mithin alle Pulver poröser Körper, der Badeschwamm etc., haupt-
sächlich aber solche , welche zugleich die weitere Zersezung des Todten
aufhalten , und diese Eigenschaft hat hauptsächlich die Kohle. Man
wendet sie als Einstreupulver allein oder in Verbindung mit Kampher,
Kalmuswurzel , Harzen auf Jauche absondernde Flächen , oder als Zusaz
zu Breiumschlägen bei Brand, oder endlich unter Salben gemengt als Ver-
bandmittel bei brandigen etc. Geschwüren an. Endlich gibt es fäulniss-
widrige Mittel, welche die Eigenschaften der beiden vorgenannten Abthei-
lungen von Mitteln in sieh vereinigen. Dahin gehören: 1) die rein ad-
stringiren d en Mittel, wie namentlich Galläpfel, die Eichenrinde, Wei-
denrinde , Tormentill- , Ratanhiawurzel , die Wallnussschalen, welche man
entweder in Abkochung für sich allein oder in Verbindung mit aromati-
schen und Spirituosen Mitteln zu Umschlägen und Verbandwasser , oder
das Pulver für sich allein oder in Verbindung mit Kohle , Kampher , har
zigen und aromatischen Substanzen zum Einstreuen anwendet. Ferner
gehört hierher der Alaun. 2 ) Die adstringirenden bittern und
gewürzhaften oder tonischen Mittel , wie die Chinaarten , die
Radix cascarillae, Herba scordii, rutae, salviae, roris-
marini, absynthii, "marubii, Flores tanaceti, chamomil-
lae, Radix calami aromatici, rubiae tinctorum, rhei,
welche man entweder in der Abkochung zu Umschlägen , Verband wasser
und Einsprizungen oder als trockenes Pulver zum Einstreuen und in Sal-
benform für sich allein oder in Verbindung mit andern antiseptischen Mit-
teln, wie Kampher, Myrrhe, Kohle, Alaun etc. anwendet. 3) Die aroma-
tischen, nicht adstringirenden Pflanzen, wie die Herba
menthae, melissae, mari, thymi, serpylli, majoranae,
Radix dauci, valerianae, imperatoriae albae, iridis flo-
r e n t i n a e. 4) Die ätherischen Oele, namentlich das Oleum c a -
ryophyllorum, cajeputi, anthos, menthae piperitae,
rutae, calami aromatici (besonders bei Beinfrass) ; auch der Kam-
pher und seine Präparate werden häufig gebraucht. 5) Das Kreosot,
bei brandigen, unreinen und Krebsgeschwüren, Caries etc. 6) Die wein-
geistigen Mittel, besonders die edlen rothen Weine. 7) Schleim-
harze, Harze und Balsame , wie die Asa foet ida, Myrrhe, Aloe,
Storax, Mastix, Perubalsam, Theer, Copaivabalsam etc. 8) Die Säuren,
wie die Salpeter- , Salz- , Schwefel- und Phosphorsäure , die Kohlensäure,
welche man in der Form von gährenden Umschlägen , aus Bierhefe etc.,
in Anwendung bringt), der Holzessig, Citronensaft etc. 9) Das. Chlor
18*
276 FETTGESCHWULST.
und seine Verbindungen mit Salzbasen, wie Chlorkalk , Chlor-
wasser etc. Endlich 10) Neutralsalze, wie der Salmiak, Salpeter, Koch-
salz, Borax etc.
FettgeSChWIllst, Lipoma (von linoc , das Fett) nennt man
eine Neubildung , deren Hauptbestandteil in Fettgewebe besteht. Diese
häufig vorkommenden Geschwülste bieten mancherlei Verschiedenheiten
dar, welche man als Eintheilungsmomente benüzt hat. Diese Verschieden-
heiten ergeben sich einerseits aus der chemischen Zusammensezung der
in der Geschwulst befindlichen Fettart, andererseits daraus, ob die Fett-
geschwulst hauptsächlich nur aus Fettgewebe , oder noch aus andern Ge-
weben und Gebilden zusammengesezt ist.
1) Die einfacheFettgeschwulst, Lipoma simplex, be-
steht in einer Fettanhäufung im Unterhautzellgewebe und erscheint bald
unter der Form einer mehr oder weniger abgegrenzten Geschwulst (Li-
poma circumscriptum), bald verliert sich jene unmerklich in das
umgebende Fettgewebe (Lip. diffusum). Das Fett der Lipome ist
dem normalen Fette ganz ähnlich. — Die Lipome sind unschmerzhaft,
fühlen sich elastisch an , sind verschiebbar und die sie bedeckende Haut
ist unverändet. Man findet sie öfter in Mehrzahl, zuweilen selbst in gros-
ser Menge bei demselben Kranken; sie erreichen nicht selten einen gros-
sen Umfang. — Man unterscheidet bei der Zergliederung leicht das Binde-
gewebe , welches die Geschwulst, rings umhüllt , nach innen eine Menge
in verschiedenen Richtungen sich kreuzender Verlängerungen schickt und
ziemlich lockere , mehr oder weniger grosse , unvollständig geschlossene
Maschenräume bildet, die das Fett in sich schliessen. Stärkere Durch-
züge theilen die Geschwulst manchmal in mehrere Lappen , so dass die-
selbe aus einem Conglomerat mehrerer Fettanhäufungen zu bestehen
scheint. Andere Male ist auch eine stärkere Gesammtumhüllung vorhan-
den, das Fettgewebe daher wie in einen Balg eingeschlossen und von den
Umgebungen abgegrenzt (B al g - F et t g e s chwul s t). Die Hülle der
Fettzellen ist meistens zart, andere Male ist sie dick und zeigt dann einen
Zellenkern , bisweilen findet sich in den Zellen Margarin und Margarin-
säure (sternförmige , strahlige Krystallisationen). Die Zellenmembran
scheint aus einer Proteinverbindung zu bestehen , der Inhalt aus den ge-
wöhnlichan Fettbestandtheilen : Margarin, Elain und Stearin in wechseln-
den Verhältnissen. — Die Lipome wachsen gewöhnlich langsam, bleiben
auch manchmal im Wachsthum stehen ; haben sie aber einmal eine ge-
wisse Grösse erreicht, so wachsen sie oft schnell und erreichen dann einen
bedeutenden Umfang. Das Gewicht ist , mit dem Volumen verglichen,
gering , doch zerren sie manchmal die sie bedeckende Haut so hervor,
dass sie nur noch an einem von der Haut gebildeten Stiele sizen. — Die
Fettgeschwülste sind meist gutartig ; durch beständige Reizung können
sie sich entzünden und in Verschwärung übergehen ; auch kann sich im
FETTGESCHWULST. 277
Innern ein Abscess entwickeln. — Die Ursachen der Lipome sind
dunkel. Meistens beginnen sie ohne äussere Veranlassung, zuweilen in
Folge einer Quetschung oder eines Druckes. Mit Ausnahme des Hand-
tellers und der Fusssohle können fast alle Theile der Siz von Lipomen
werden ; am häufigsten findet man sie am Halse , auf den Schultern und
am Rumpfe. Zuweilen sind sie angeboren. Mit der allgemeinen Fett-
sucht steht die partielle Fettanhäufung nicht in noth wendigem Zusammen-
hange, denn diese kommt bei magern und fetten Personen vor. Wo viele
Lipome zugleich erscheinen , muss eine allgemeine Ursache, eine eigen-
thümliche Blutentmischung wirken. — Eine eigenthümliche Modifikation
des diffusen Lipoms ist das Fettmuttermal, Naevus maternus
lipomatodes nach v. W a 1 1 ,h e r oder Telangiektasia lipoma-
todes nach Chelius. Es ist hier das Lipom mit einer Masse erwei-
terter Capillargef ässe durchzogen , bildet beuteiförmige Hervorragungen,
und ist zuweilen stark behaart. S. Gefässgeschwulst. — Be-
handlung. Kleinere Fettgeschwülste kann man durch Druck , magere
Diät , Einreibungen von Jod- und Quecksilbersalbe , Ochsengalle , Nussöl
und Minderer 's Geist, durch Auflegen von Empl. mercuriale oder
Gummi ammoniac. cum acet. squill. zu zertheilen suchen. Mei-
stens wird aber ihre Entfernung durch das Messer nöthig. Man hat bei
der Operation darauf zu sehen , dass von der lipomatösen Masse nichts
zurückbleibt, widrigenfalls entweder die Wiederkehr des Uebels oder eine
langwierige, schlechte Eiterung, welche den Kranken aufreiben kann, oder
hartnäckige Fisteln zu erwarten sind. Andererseits kann eine starke Blu-
tung die Operation sehr erschweren. In einzelnen Fällen entstehen nach
der Exstirpation neue Lipome an andern Körperstellen.
2) Die Faserfettgeschwulst (Speckgeschwulst, Stea-
toma, Lipoma mixtum nach J. M üll er). Bei dieser Form des
Lipoms überwiegt das Bindegewebe die Menge des Fettgewebes, so dass
breite , weissbläuliche , sehnenartige Streifen die Geschwulst durchziehen ;
dadurch werden die Räume für das Fett enger, die Consistenz der ganzen
Geschwulst mithin derber , fester. Das Fett selbst hat einen grösseren
Antheil von Stearin , wodurch es von festerer Consistenz und mehr kör-
niger Beschaffenheit ist. — Die Speckgeschwulst hat ihren Siz selten im
Unterhautzellgewebe , sondern mehr in der Tiefe unter den Fascien , in
den Zwischenräumen der Muskeln , in der Nähe der Knochen, an den Ex-
tremitäten , im Becken , in der Highmorshöhle etc. und hängt fast immer
mit einem fibrösen Gewebe zusammen. — Die Form dieser Geschwülste
ist im Allgemeinen rundlich , doch fühlt man gewöhnlich mehrere zusam-
menhängende kugelige Massen durch , die an den vorspringenden Punk-
ten eine grössere Consistenz zeigen , als an den Vertiefungen. Die
Haut über der Geschwulst bleibt lange unverändert und verschiebbar, und
diese selbst ist unschmerzhaft und selbst gegen stärkeren Druck unem-
pfindlich. — Das Steatom entwickelt sich bald spontan , bald nach vor-
278 FETTGESCHWULST.
ausgegangenen mechanischen Verlezungen durch stumpfe Körper. Eine
besondere Dyskrasie lässt sich nicht nachweisen ; die Scropheln sollen
dazu disponiren. Die Steatome wachsen meist langsam , doch erreichen
sie manchmal eine bedeutende Grösse. Sie sind anfangs beweglich, ver-
wachsen aber später mit ihren Umgebungen. Sie können Jahre lang un-
verändert bleiben und nur durch ihre Masse beschweren ; andere Male
entzünden sie sich , eitern , schwären oder gehen in krebshafte Degenera-
tion über. — Entwickelt sich die Speckgeschwulst in einem Knochen, so
nennt man sie Knochenspeckgeschwulst, Osteosteatoma.
Das Osteosteatom kann entweder von der Beinhaut ausgehen oder sich im
Innnern der Knochen entwickeln. Im erstem , häufigsten Falle kann bei
Röhrenknochen das Gewächs den ganzen Knochen umfassen. Seine Wur-
zeln dringen später in die Knochenmasse ein , welche durch Absorption
schwindet , so dass es scheint , als sei die Afterbildung aus dem Knochen
gewuchert. Liegt das Gewächs in einer knöchernen Höhle , so füllt es
diese nach und nach aus , erweicht die knöcherne Schale , dehnt sie aus
und durchbricht sie endlich. Im lezteren Falle geht die Afterbildung von
der Markhöhle oder einzelnen Markzellen aus , die umgebende Knochen-
masse wird erweicht, verdrängt, der Knochen nach und nach blasig aufge-
trieben und an einzelnen Stellen zerbrochen. Die blasige Auftreibung
des Knochens , welche sich manchmal findet , ist Veranlassung gewesen,
die Krankheit mit dem Namen Winddorn, Spina ventosa, zu be-
legen. — Die grössere oder geringere Festigkeit der Steatome hängt von
dem Vorwalten des Faser- oder Fettgewebes ab. Ist das Steatom in Er-
weichung übergegangen , so findet man in demselben bald nur an einzel-
nen,-bald an mehreren Stellen, je nachdem Entzündung oder bösartige
Degeneration Ursache der Erweichung ist, entweder verschiedene Entzün-
dungsproducte, theils infiltrirt, theils in Höhlen gesammelt, oder es zeigen
sich entzündungslose , mit Krebsjauche infiltrirte Stellen oder Höhlen mit
verschieden gefärbter, dicklicher, milchiger, käsiger oder sülziger Flüssig-
keit , in welcher sich viele Fetttropfen , Elementarkörner, körnige Zellen-
gebilde etc. befinden. — Behandlung. Sie besteht allein in der Ex-
stirpation des Afterproducts. Hängt dieses mit einem Knochen zusammen,
so muss dieser zugleich entfernt werden ; an Gliedmaassen kann die Am-
putation nöthig werden.
2) Die geschichtete Fettgeschwulst, Gallen fettge-
schwulst, Cholesteatoma, ist ein Gebilde , dessen Hauptbestand-
teil Fett ist , und das bis jezt am häufigsten im Gehirn und in Knochen
(Schädelknochen, Unterkiefer) beobachtet wurde. Die Cholestearinmasse,
welche diese Geschwülste ausfüllt , ist weich , leicht durchscheinend , von
der Farbe des weissen Wachses, aber perlmutterglänzend. Ausser Gallen-
fett findet sich noch Stearin und Eiweiss. Die Form der Geschwulst ist
im Allgemeinen rundlich , doch auch oval ; manchmal zeigen sich kleine
Hervorragungen auf der Oberfläche derselben. Die Cholestearinmassen
FINGERKRAMPF. 279
sind entweder von einer besonderen dickeren oder dünneren Membran
umschlossen (Cholesteatoma cysticu m), oder liegen auf der Ober-
fläche von Geschwüren. — Das Innere der Gallenfettgeschwulst besteht
aus dünnblätterigen , meist concentrisch liegenden Schichten , welche für
sich wieder aus polyedrischen , den Pflanzenzellen analogen Zellen beste-
hen ; zwischen den Schichten sind krystallinische Fette abgelagert, welche
theils tafel- , theils blättchenf örmig erscheinen ; die ersteren bestehen
wahrscheinlich aus Cholestearin , die lezteren aus Stearin. — Das Chole-
steatom ist ein gutartiges Gebilde und wird nur durch seinen Siz innerhalb
der Schädelhöhle und in den Knochen gefährlich. Ueber die Ursachen
dieser Neubildung ist nichts bekannt. Die Behandlung besteht in der
Exstirpation, wenn dem Gewächse beizukommen ist.
Das Lipoma colloides (Gluge) entsteht durch Erweichung
der gewöhnlichen Fettgeschwulst.
Fingerkrampf, Schreibekrampf, Spasmus s cript o-
rius, das Zittern der Hände. Dieser Zustand darf nicht mit den
convulsivischen Bewegungen verwechselt werden ; es ist eine Reihe schwan-
kender unvollständiger Zuckungen, unfreiwilliger, häufig wiederholter oder
unausgesezter Bewegungen , und ist als eine Schwächung der Muskelcon-
traction anzusehen. Er tritt ein, sobald die Hand die Stellung zum Schrei-
ben einnimmt und zwar ziehen sich zuerst die Flexoren des Daumens und
Zeigefingers, welche die Feder anhaltend und fest halten müssen, weniger
die drei übrigen Finger, unwillkürlich und so heftig zusammen, dass diese
Muskeln schmerzhaft werden ; dann geht die Zuckung auf das Handge-
lenk über, wobei die Hand mehr oder weniger schnell von einer Seite zur
andern schwankt , so dass der Kranke fast immer seine Arbeit aufgeben
muss. Anfänglich pflegt der Krampf bald vorüber zu gehen , wenn man
die Feder sogleich niederlegt , kehrt aber nach und nach leichter wieder
und dauert länger an. — Die meisten Kranken zeigen die nervöse Con-
stitution , sie sind sehr reizbar. — Gelegenheitsursachen sind :
moralische Einflüsse , heftige Aufregung , Schreck , Kummer , Sorge , Un-
glück , Nachtwachen etc. Die Erfahrung lehrt , dass die Krankheit viel
häufiger geworden ist , seitdem die Stahlfeder so häufig an die Stelle der
Federpose getreten ist ; die erstere ist viel härter und gibt weniger nach
als die Federpose , es gehört daher zum Schreiben mehr Druck auf die
Finger. Meistens werden Männer befallen. — Das Leiden ist das Zeichen
der Reizung, die auf irgend einen Theil des Nervensystems ausgeübt wird,
mit grösserer oder geringerer Betheiligung der Nervencentren. — Be-
handlung. Sie ist allgemein und örtlich. Landluft , freie Wohnung,
Beschäftigung im Garten und Feld , Reisen, diätetisches Verhalten, leicht
verdauliche Kost ; zuweilen Antispasmodica , Bäder , kühlende Getränke.
Rückkehr zur Federpose. Besserer Erfolg ist von den orthopädischen
Maschinen zu erwarten. Cazenave gibt zwei Vorrichtungen an : einen
280 FINGERVERKRUEMMUNG.
Contentivverband , der aus einem Federhalter, der mit zwei Druckschrau-
ben versehen ist, und aus zwei Kautschukringen besteht, deren jeder eine
Druckschraube trägt ; — dieser Apparat schmiegt sich den drei ersten Fin-
gern an und vereinigt sie und die Feder zu einem Stücke, — und eine neuere
Vorrichtung , die aus einer Platte von Mahagonyholz besteht , an deren
unterer Flache in den vier Ecken Elfenbeinkiigelchen spielen, welche Rä-
derchen vertreten. Auf der Handfläche dieser Platte erheben sich zwei
Polster, die man zusammendrücken oder entfernen kann, je nach der
Breite der Hand. Zwischen beiden Polstern etwas nach vorn findet sich
eine Stüze , die mittels einer Druckschraube niedriger oder höher ge-
schraubt werden kann. Sie dient besonders zur Fixirung und Unterstü-
zung des Daumens. Bei der Anwendung bringt man die mit der Feder
versehene rechte Hand zwischen beide Polster, fixirt den Daumen auf der
Stüze und schreibt , wobei die Hand ohne Schwierigkeit mit Hülfe der
Elfenbeinkiigelchen sich bewegt.
Filiger, überzählige. Diese Deformität kommt unter zwei
Formen vor. Entweder articulirt der überzählige Finger mit dem Mittel-
handknochen des Daumens, des Zeige- oder kleinen Fingers , gleicht den
übrigen Fingern an Gestalt, ist aber nicht mit den gehörigen Bewegungs-
organen versehen und hindert bei -seinem ferneren Wachsthum die Be-
wegungen des nebenstehenden Fingers. Oder es ist nicht nur ein über-
zähliger Finger, sondern auch ein überzähliges Os metacarpi vorhan-
den, der Finger hat seine vollkommene Organisation und freie Beweglich-
keit. — Bei den Zehen können dieselben Verhältnisse stattfinden. — In
dem ersten Falle ist die Hinwegnahme des überzähligen Fingers durch
Exarticulation aus seiner Verbindung mit dem Mittelhandknochen indi-
cirt. Im zweiten Falle wird man keine Veranlassung haben, den Finger
zu entfernen, da er bei seiner Beweglichkeit nüzlich sein kann ; müsste er
aber dennoch der Deformität wegen beseitigt werden, so hätte man zu-
gleich auch das Os metacarpi mit hinwegzunehmen.
Fingerverkrümmung, Contractu radigitorum. Schon
in dem Vorwiegen des Flexionsapparates der Hand über deren Extensions-
apparat liegt eine grosse Disposition zur krankhaften Beugung. Alles,
was nun diese beiden Factoren beeinträchtigen kann , wie entzündliche
Zustände , Narben auf der Haut etc. , so wie Lähmung der Beuger oder
Strecker, können eine permanente Fingerverkrümmung herbeiführen; eine
sehr häufige Veranlassung zur Contractur der Finger gibt eine eigenthüm-
liche Krankheit , deren Grund Dupuytren in einem Zurückziehen der
Palmaraponeurose, G o y r a n d und V e 1 p e a u in der Bildung neuer fibrö-
ser Streifen suchten , J o b e r t aber in der neuesten Zeit in einem sub-
inflammatorischen Zustande des Zellgewebes , welches sich verhärtet und
retrahirt und sich dann an die fibrösen Gewebe, an die Palmaraponeurose.
FINGERVERWACHSUNG. 281
an die Haut selbst und an die Knochen festsezt, gefunden zu haben glaubt.
Dieser Zustand findet sich besonders bei Leuten , die harte Arbeiten ver-
richten müssen, wobei die Palmarfläche der Hand starken Druck ausüben
muss, z. B. bei Hufschmieden, Maurern u. dgl. Die Krankheit beginnt ge-
wöhnlich am kleinen Finger, ergreift dann den Ringfinger, selten geht sie
auf den mittlem und noch seltener auf die übrigen Finger über. — Be-
handlung. Diese muss nach den bedingenden Ursachen verschieden
sein. Bei wahren Contracturen hilft der Sehnenschnitt; bei. Verkrüm-
mungen in Folge von Narben zeigen sich Maschinen wirksam. Solche
sind der Apparat von Fabriz von Hilden, das Brett von E v e r s ,
die Wundlade von Bass, die Blechschienen von Arnaud und Schre-
ger, der Apparat von Duterre. Vergl. Wunden der Extremi-
tät e n. — Anlangend die retrahirten Streifen , so macht Dupuytren
einen oder mehrere Ausschnitte in dieselben , bis der Finger vollständig
gestreckt werden kann ; Goyrand legt den Streifen durch einen Längen-
schnitt bloss und nimmt ihn dann ganz weg , worauf er die Wunde durch
erste Vereinigung zu heilen sucht ; J o b e r t endlich durchschneidet den
Streifen , indem er zwischen diesem und der Phalanx seitlich am Finger
mit derLancette einen Einschnitt macht, dann ein nur an der Spize schnei-
dendes geknöpftes Bistouri flach einbringt, dieses auf- und abwärts schiebt,
und den Streifen zulezt mit der aufgerichteten Schneide trennt. Nach
der Operation wird bei allen diesen Methoden die Hand auf ein Finger-
brett befestigt.
FingerverwaellSUng. Diese Abnormität ist entweder ange-
boren oder zufälliger Weise, am häufigsten durch Verbrennung, entstan-
den und kann verschiedene Grade, zeigen. — Bei der angeborenen Ver-
wachsung ist die Verbindung entweder durch eine häutige, oder eine flei-
schige oder eine knöcherne Zwischensubstanz vermittelt. Die erste Art
der Verbindung ist die häufigste. Die normale Bildung der Finger kann
bei diesen Verwachsungen überdies auf mannigfaltige Weise beeinträch-
tigt sein. — Behandlung. Diese kann nur in der Trennung der
Verwachsung bestehen, welche indessen darin eine Contraindication findet,
wenn die Finger zu einer unförmlichen Masse , in der jene nicht einmal
einzeln angedeutet sind , verschmolzen sind , oder wenn in ihrer ganzen
Länge eine knöcherne Verwachsung besteht und dabei die Gelenke man-
geln. Aufgeschoben muss die Operation werden während des Bestehens
der Scrophulosis oder von örtlichen Krankheiten des verbildeten Theils,
und so lange der Krankheitsprocess , welcher die Verwachsung erzeugte,
z. B. eine Entzündung nach Verbrennung, nicht völlig verschwunden ist.
— In der Regel operirt man bei Kindern nicht vor dem Ende des ersten
Lebensjahres nnd wenn die Finger an beiden Händen verwachsen sind,
nicht an beiden Händen unmittelbar nach einander , sondern in einem
Zwischenraum von 2 bis 3 Monaten. — Häufig tritt nach der Operation
282 FINGERVERWACHSUNG.
troz der grössten Sorgfalt in der Nachbehandlung , Wiederverwachsung
ein ; diese ist besonders in dem Zeitpunkte zu fürchten, wo sich die Gra-
nulationen von dem hintern Winkel der Wunde erheben und die Wund-
ränder von beiden Seiten zusammentreten. — Die Operation ist je nach
der Art der Verwachsung verschieden und besteht: 1) in der einfachen
Trennung derselben ; 2) in der Trennung nach vorgängiger Bildung und
Ueberhäutung des obern Spaltenwinkels mittels eines eingelegten Blei-
drahts ; 3) in der Trennung der Verwachsung, Heranziehen der Haut und
seitlichen Einschnitten; 4) in der Trennung mit nachfolgender Transplan-
tation ; 5) in gleichzeitiger Trennung der Knochen. — Bei der ein-
fachen Trennung sticht man, nach gehöriger Fixirung der in Pro-
nation gesezten Hand und während die zu trennenden Finger von einander
abgezogen werden, ein spizes Bistouri mit der Schneide gegen sich gerich-
tet , von der Dorsalseite her senkrecht durch die verbindende Substanz
und zieht es längs der Mittellinie dieser unter Schonung der Gelenkvor-
ragungen gegen sich. Man kann auch in umgekehrter Richtung von den
Fingerspizen aus trennen. Bleiben an den Hautwunden stärker hervor-
ragende Lefzen , so trägt man sie mit der Scheere ab ; die Blutung stillt
man , wenn es nöthig ist , durch Unterbindung. — Sind mehr als zwei
Finger verwachsen , so trennt man sie nach einander auf dieselbe Weise.
— Als Verband legt man einen an seinem mittleren Theile unbestriche-
nen Heftpflasterstreifen mit dem unbestrichenen Theile in den obern
Spaltenwinkel, klebt ihn auf dem Rücken und der Fläche der Hand straff
gegen den Vorderarm hin an, legt darüber eine schmale Longuette, hüllt
dann jeden verwundeten Finger in ein mit lauem Wasser befeuchtetes
Läppchen , welches man mit Heftpflasterstreifen befestigt und wickelt die
Finger nebst der Hand mit schmalen Binden ein. Zulezt befestigt man
die Hand mit gestreckten und auseinander gespreizten Fingern auf ein
Brettchen und legt sie in eine Schlinge. — Nach eingetretener Eiterung
wird dieser Verband 1 bis 2 Mal genau auf die angegebene Weise , be-
sonders am obern Spaltenwinkel , von wo aus die Verwachsung gern wie-
der beginnt, erneuert, mit dem Unterschied, dass man, um die Ueberhäu-
tung zu beschleunigen, die Finger mit in Bleiwasser getauchten Läppchen
umgibt , und so bis ans Ende der Heilung fortgefahren , wobei man zu
üppige Granulationen mit Höllenstein niederhält. — Bei der Trennung
nach Bildung des obern Spaltenwinkels, welches Verfahren
besonders bei festerer Verwachsung Anwendung findet , sticht man nach
Rudtorffer an der Stelle des obern Spaltenwinkels eine Nadel, deren
Spize lancettförmig und deren hinteres Ende mit einer Höhle versehen
ist, um einen 2 Zoll langen Bleidraht aufzunehmen, senkrecht durch und
zieht den Bleidraht ein, welcher gegen die Volar- und Dorsalseite haken-
förmig umgebogen und in dieser Lage mit Heftpflaster und einer Binde
befestigt ist. Den Draht , den man bisweilen bewegt , lässt man in der
Wunde liegen, bis sie in allen Punkten übernarbt ist, wozu oft 3 — 4 Mo-
FINGER VERWACHSUNG. 283
nate erforderlich sind. Ist der Stichkanal übernarbt, so entfernt man den
Draht, trennt von jenem aus mit einem schmalen Bistouri die Finger auf
die oben angegebene Weise, und verfährt auch ferner , wie es dort ange-
führt wurde. Beck legt statt des Drahts eine breite Bleiplatte ein. —
Nicht selten tritt auch hier Wiederverwachsung unaufhaltsam ein ; nach
Dieffenbach gelingt es sogar nicht einmal, den Kanal zum Ueber-
häuten zu bringen , indem üppige , den Draht umringende Granulation,
entzündliche Anschwellung der Finger etc. den Draht vor erreichtem
Zwecke zu entfernen nöthigen. — Hält man die einfache Trennung der
Verwachsung nicht für ausreichend und andererseits die Verpflanzung
eines Hautlappens für zu weit gehend , so kann man sich durch Heran-
ziehen der Haut und seitliche Einschnitte helfen. Man
spannt zu diesem Behufe die Zwischenhaut stark an , macht, vom vorder-
sten Punkte des Zusammenhangs anfangend, mit der Spize eines Scalpells
eine Incision längs der Mitte der ganzen Verwachsung , ohne dieselbe
ganz durch zu trennen. Hierauf dreht man die Hand um und verfährt
auf der Volarseite der Finger auf gleiche Weise , worauf man die übrige
Zellgewebsverbindung von vorn nach hinten durchschneidet. Nun löst
man die Hautränder am hintern Dritttheil der Wunde und macht an der
äussern Seite jedes Fingers eine Incision durch die Haut von der Länge
der hintern Phalanx , dann vereinigt man die Hautränder im Trennungs-
winkel mit einer Anzahl feiner Knopfnähte inwendig so weit hinauf, als
auswendig die Incisionen gemacht wurden und nähert auch die Ränder
des vordem Theils der Wunde durch spiralförmig angelegte Pflaster-
streifen. Weiter hinten werden ebenfalls zur Unterstüznng der Knopf-
naht mit Unterbrechung schmale Streifen um die Finger geführt , nach-
dem man vorher die Incisionswunden mit etwas Charpie ausgefüllt hat.
Die Hand wird auf einem Brettchen befestigt und unter Umständen kalt
fomentirt. Nach einigen Tagen ersezt man die Nähte durch spiralförmige
Pflasterstreifen und macht Umschläge von Bleiwasser. — Die Trans-
plantation eines Hautstücks zwischen die getrennten Finger ist
bei einer Verwachsung, welche die Breite der Finger hat , die einzig
sichere Operationsart. Die Lappen können entweder aus der Zwischen-
haut oder aus einem angrenzenden Theile der Hand gebildet werden. —
Dieffenbach macht behufs der Bildung des Lappens aus der Zwischen-
haut auf der Rückseite der Hand an der Grenze der Verwachsung und
eines Fingers mit einem kleinen und spizigen Scalpell einen Längenschnitt,
welcher bis zur Hälfte der hintern Phalanx reicht. Ein gleicher, mit dem
ersten paralleler Schnitt wird an dem hintern Theile des Fingers entlang
gemacht , worauf man beide Incisionen durch einen Querschnitt vereinigt.
Alsdann präparirt man den umschnittenen Hautstreifen mit einer möglichst
grossen Menge Zellgewebe bis zu dem Normalpunkte der Trennung der
Finger los ; seine Breite beträgt bei Erwachsenen 1/i Zoll , bei Kindern
weniger. Dann lässt man die Finger auseinander spannen und macht
284
FINGERVERWACIISÜNG.
zuerst auf der Rückseite eine Längenincision zwischen den Fingern durch
die Haut und dann an der untern Seite eine zweite längere bis zur Hand
reichende, worauf man die übrigen Verbindungen trennt. An der Volar-
seite der Finger führt man quer vor dem Endpunkte der Incision einen
Schnitt von etwas über l/i Zoll Länge. Hierauf schlägt man den Lappen
zwischen die getrennten Finger hindurch und befestigt das vordere schmale
Ende des länglich viereckigen Lappens mittels dreier Knopfnähte an den
Wundrand der queren Tncisionswunde an der Volarseite. Die übrigen
Wundränder der Finger werden durch Pflastersireilen einander genähert
und dann der Raum zwischen den Fingern mit weicher Charpie ausge-
füllt, und zwar gegen die Spizen hin mit einer dickern Lage, so dass die
Finger aus einander gesperrt werden, damit der Lappen nicht den minde-
sten Druck erfahre, worauf man die Finger mit einer schmalen Binde um-
gibt, um die Lage der Charpie zu sichern, und schliesslich die Hand auf
einem Brettchen befestigt. Die Gegend des Lappens , welche vom Ver-
bände frei bleiben muss, wird bei eintretender Entzündung mit Bleiwasser
fomentirt und die Suturen nach der festen Vereinigung desselben ent-
fernt , der Lappen aber noch längere Zeit durch einen zwischen den Fin-
gern hindurch geführten und auf der Dorsal- und Volarseite der Hand
angeklebten Pflasterstreiien angedrückt ; die Heilung der übrigen Wunden
der Finger erfolgt ohne Schwierigkeit. Sind mehrere Finger verwachsen,
so wird eine weitere Operation später gemacht. — Bei der Bildung
eines Lappens aus der Umgebung der Finger macht man , nach
Zell er, während die Haut am Rücken der Mittelhand retrahirt wird,
einen Vförmigen Schnitt auf der Dorsalseite der Finger in die Haut , so
dass die Spize des Schnitts in die Mitte der die Finger verbindenden
Substanz fällt. Der Lappen wird mit möglichst vielem Zellstoff abge-
trennt, zurückgehalten und, nachdem die Finger auf die oben angegebene
Weise gespalten sind, zwischen die zwei Finger gegen die Handfläche her-
abgeschlagen. Daselbst wird er mit blutigen Heften oder einem Klebe-
pflaster befestigt, die Wunde auf dem Rücken der Hand mit Heftpflaster-
streifen zusammengezogen und des Weitern wie oben verfahren. Stirbt
der Lappen ab, was gern geschieht, so verfährt man , als wäre keiner ge-
bildet worden. - — B 1 a s i u s bildet zwei kürzere Lappen , nämlich einen
Dorsal- und Volarlappen. — Bei knöcherner Verwachsung kann,
wenn die Finger förmlich unter einander verschmolzen sind , von keiner
Operation die Rede sein , ist dagegen nur eine dünne knöcherne Verbin-
dung an dem hintern Theile der Finger vorhanden, so kann .eine solche
versucht werden. Man trennt zuerst die weichen Theile auf der Dorsal-
und Volarseite , sägt hierauf die knöcherne Verbindung mit einer feinen
Säge entweder einfach durch oder nach Bedürfniss einen Theil derselben
aus, zieht die Seitenlappen zusammen und vereinigt sie durch Nähte. In
ähnlicher Weise wäre zu verfahren, wenn es sich von einer Verwachsung
der Zehen handelte.
FISTEL. 285
FlStGl , F i s t u 1 a. Hierunter versteht man Im weiteren Sinne ein
enges, sehr tief eindringendes Geschwür, welches zwischen einem tief lie-
genden Gewebe , einem Organe oder einer Höhle und der Oberfläche der
äussern Haut oder einer Schleimhaut eine abnorme Verbindung herstellt ;
im engern und eigentlichen Sinne nennt man Fisteln solche abnorme Ka-
näle, welche von der äussern Haut zu irgend einem normalen oder krank-
haften Secretionsorgane oder zu dessen Ausführungsgange hinführen und
aus welchem daher fortwährend ein Theil des Secretes jener nach aussen
oder in eine andere Höhle entleert wird. Diese Fisteln nennt man auch
vollkommene oder wahre, im Gegensaze zu den erstgenannten,
welche man als unvollkommene oder falscheFisteln, röhren-
förmige Geschwüre, Hohlgeschwüre bezeichnet. Die lezteren
haben immer nur eine Oeffnung; befindet sich diese in der äussern Haut,
so heisst die Fistel eine unvollkommene äussere; befindet sie sich
in einer Schleimhaut , so heisst sie eine unvollkommene innere.
Die vollkommenen Fisteln besizen stets zwei Oeffnungen, zwischen welchen
der Fistelgang verläuft. Die innere , meist auf einer Schleimhaut sizende
Oeffnung befindet sich entweder in der Mitte eines etwas erhabenen Ringes
oder auf der Spize eines kleinen Hügels, zuweilen auch zwischen Schleim-
hautfalten versteckt , die äussere meist sehr kleine und enge ist oft von
schwammigen Auswüchsen umgeben , sizt zuweilen auch auf einem rothen
Höckerchen oder erscheint eingezogen. — Die fistulösen Gänge sind bald
einzeln, bald in Mehrzahl vorhanden, bald sind sie kurz, bald lang, bald
laufen sie gerade oder in verschiedenen Richtungen und sind weit oder
eng. Das Innere der Fisteln ist von einer schleimhautähnlichen Membran
(der Fistel membran) ausgekleidet , die lebhaft roth gefärbt ist und
Schleim oder Eiter secernirt , aber weder Zoten noch ein eigenes Epithe-
lium besizt. In der nächsten Umgebung der Fistelgänge findet sich ge-
wöhnlich eine bedeutende Härte , die Folge einer erloschenen oder noch
bestehenden chronischen Entzündung in der Umgebung der Fistel , was
man mit dem Namen Callosität bezeichnet. — Die mit Eitergängen in
Verbindung stehenden Fistelgänge erkennt man daran, dass sie eine grös-
sere Menge Eiter ausscheiden , als ihre Grösse vermuthen lässt, ferner an
dem vermehrten Abfliessen des Eiters, wenn man von einer gewissen Seite
her einen Druck anbringt. Am sichersten ermittelt man ihre Anwesenheit
und Richtung durch die Einführung einer Sonde. Man benuzt am besten
hierzu eine silberne , der man nach Erforderniss eine entsprechende Bie-
gung geben kann. Die Sonde wird leicht zwischen Daumen und Zeige-
finger gehalten und ohne Gewalt zu gebrauchen eingeführt. Manchmal
ist es nöthig, den Fistelgang vorher mit dem Messer oder mit Darmsai-
ten oder Pressschwamm zu erweitern. Zuweilen machen Einsprizungen
von lauem Wasser den Eiterherd bemerkbarer. — Solche fistulöse Gänge
bilden sich am häufigsten bei Abscessen und Geschwüren in laxen Ge-
286 FISTEL.
weben , wenn Aponeurosen darüber gespannt sind , wodurch der Eiter zu-
rückgehalten wird , dessgleichen wenn die Eröffnung von Abscessen zu
lange verschoben oder die Oeffhung zu klein gemacht oder diese durch
einen unzweckmässigen Verband wieder verstopft wurde , endlich wenn
fremde Körper, Kugeln, Knochensplitter etc. zurückgehalten sind. Stich-
und Schusswunden bedingen schon durch ihre Natur die fistulöse Form.
— Die Fisteln, welche mit einem secernirenden Organe oder dessen Aus-
führungsgange in Verbindung stehen , entstehen bald durch Verwundung,
bald durch Zerreissung des Behälters in Folge von Unwegsamkeit des nor-
malen Ausführungsganges , bald durch Eröffnung eines in der Nähe be-
findlichen Abscesses in denselben. — Das Schliessen der leztgenann-
ten Fisteln bewirkt man entweder durch Hervorrufung eines kräftigen
Granulations - und Vernarbungsprocesses , oder durch Vernichtung des
secernirenden Organes ; fistulöse Ausführungsgänge sucht man durch Ein-
legen von Röhren zur Heilung zu bringen, oder nach Umständen legt man
einen neuen Ausführungsgang an und sucht dann den fistulösen zur Ver-
narbung zu bringen. — Die Heilung der Eiterfisteln ist nur möglich
durch Beseitigung der Ursachen, welche sie unterhalten. Bei vorhandener
Caries oder Nekrose müssen diese gehoben werden ; inliegende fremde
Körper sucht man auszuziehen. Liegt der Grund in einem gehinderten
Abflüsse , so vergrössert man die Mündung mit dem Messer oder durch
quellende Körper, sprizt laues Wasser ein, badet den Theil und gibt ihm
eine passende Lage. Viele Fisteln können auf diese Weise zur Hei-
lung gebracht werden ; versagen diese Mittel aber ihren Dienst , so gibt
es drei Wege, auf welchen die Heilung zu Stande gebracht werden kann,
nämlich die Aezung, die Unterbindung und die Spaltung. — Die A e z u n g
zieht man in der Absicht in Gebrauch, die Wandungen der Fistel in eine
adhäsive oder suppurative Entzündung zu versezen. Zu diesem Behufe
sprizt man entweder scharfe Flüssigkeiten ein, z. B. Sublimat-, Höllenstein-,
Aezkalisolution, verdünnte Mineralsäuren, Jodtinctur, heisses Wasser, und
wiederholt dieseEinsprizungen je nach der Intensität des Schmerzes alle 2 — 3
Tage , oder man führt Wieken oder Bougies ein , welche mit Aezmitteln
bestreut oder befeuchtet sind ; solche Aezmittel sind : gepulverter Höllen-
stein, rother Präcipitat, Spiessglanzbutter, Cantharidentinktur, Pasten von
Sublimat, Chlorzink etc. : auch eine mit äzenden Substanzen bestrichene
baumwollene Schnur , die den ganzen Kanal ausfüllt und deren Fäden
man mit der Verengerung des Ganges vermindert, erweist sich zweckmäs-
sig ; weniger wirksam ist die Einführung einer erhizten Sonde. — Die
Unterbindung unternimmt man in der Absicht , sowohl um den Ein-
und Ausgang der Fistel zu erweitern, damit der Eiter frei abfliessen kaun,
als auch , um in dem Kanäle selbst einen neuen Entzündungs- und Eite-
rungszustand zu erregen und dadurch diesen zur Schliessung zu bringen.
Die Anwendung der Unterbindung ist nur möglich , wenn der Fistelgang
zwei Mündungen hat. Ist daher nur eine einzige zugegen , so muss
FONTANELLE. 287
die zweite erst angebracht werden. Eine solche Gegenöffnung legt
man entweder durch einen freien Einschnitt oder Einstich gegen das
Ende einer eingeführten Sonde , oder durch Ausstich vom Eiterherde aus
an , bis zu welchem man durch den Gang eine Nadel oder einen Troicart
führt , worauf man die Schnur hindurchführt. Die eingezogene Schnur
bindet man leicht zusammen und zieht dieselbe alle 2- — 3 Tage fester zu-
sammen. Dieses Verfahren sezt man fort, bis die ganze Dicke der Fistel
durchschnitten ist , oder bis sich gesunde Granulationen und guter Eiter
zeigen , so dass hierdurch die Schliessung des Kanales erwartet werden
kann. — Die Spaltung der Fistel , Syringototnia, ist, wenn sie
anwendbar ist, dasjenige Verfahren, welches am schnellsten und sichersten
zum Ziele führt. Man nimmt die Spaltung entweder auf der Hohlsonde
mit einem geraden Messer vor, oder man führt ein geknöpftes Fistelmesser
in den Kanal ein und spaltet damit die Decke. Ist nur eine Oeffnung
vorhanden , so leitet man auf der Hohlsonde ein spizes Fistelmesser ein,
durchsticht mit diesem am Endpunkte die Weichtheile und durchschneidet
die Brücke , indem man das Messer gegen sich anzieht. Liegt die Fistel
unter Theilen, die geschont werden müssen, so nimmt man nur eine theil-
weise Spaltung vor, indem man entweder nur den Eingang erweitert, oder
auch noch eine Gegenöffhung anlegt. In den Spalt legt man Charpie ein
und heilt die Fistel durch Eiterung. Mit Nuzen zieht man in neuester
Zeit zur Spaltung der Fisteln die galvanocaustische Schneideschlinge (s
Electrotherapie) in Gebrauch. — Die Compression der Fisteln
mittels gestufter Longuetten und Binden hindert den Abfiuss des Eiters.
Sie passt nur , wenn der Fistelgang nach der Anwendung von Aezmitteln
mit gesunden Granulationen ausgefüllt ist.
Fontanelle, Fonticulus, Exutorium. Man versteht hier-
unter eine eiternde , künstlich erzeugte und durch die Anwesenheit frem-
der Körper unterhaltene Continuitätstrennung, welche man in der Absicht
anlegt, sowohl um Säfte von wichtigeren Organen ab- und nach der Haut
hinzuleiten und zugleich durch die in lezterer stattfindende Secretion
auf antagonistischem Wege die Resorption in andern Theilen zu erhöhen,
als auch, um Säfte aus dem Organismus fortzuschaffen und die Säftemasse
umzuwandeln. Die Stelle, wo man eine Fontanelle sezt, soll wo möglich
immer eine solche sein , wo unter der Haut sich weiches Zellgewebe und
Fettpolster befindet und keine bedeutenden Blutgefässe und Nerven vor-
handen sind; dagegen vermeidet man die Nähe der Knochen, die Bäuche
der Muskeln, die Sehnen und überhaupt alle Stellen, welche einer starken
Bewegung oder einem Drucke ausgesezt sind. Man wählt daher am Arme
die Vertiefung an der Spize des Deltamuskels ; am Oberschenkel die Ge-
gend hinter dem grossen Trochanter oder die Vertiefung am untern Theile
seiner innern Fläche (zwischen dem Muse, vastus internus und dem
Muse, sartorius); am Unterschenkel die Vertiefung zwischen dem
288 FONTANELLE.
innern Kopfe des M. gastrocnemius und den Sehnen des S a r t o -
r i u s , G r a c i 1 i s und Semitendinosus; im Nacken zwischen den
beiden Muse, trapezii oder zwischen dem S p 1 e n i u s und Complexus;
ferner applicirt mau Fontanellen am Kopfe auf dem Scheitel oder zwischen
dem Zitzenfortsaze und dem Winkel des Unterkiefers ; längs der Wirbel-
säule zu den beiden Seiten der Dornfortsäze , endlich in den Zwischen-
rippenräumen. Man kann natürlich nach Bedürfniss auch an andern
Stellen Fontanellen appliciren. — Man unterscheidet oberflächliche
und tiefere Fontanellen. Die oberflächlichen, welche ihren Geschwürs-
grund nur in den obersten Schichten des Corions haben und daher auch
Hautfontanellen heissen , werden durch Vesication gebildet und,
nachdem man die zur Blase erhobene Epidermis abgezogen hat, mit schar-
fen Mitteln, z. B. Ungt. digest. , basilicum, terebinth. je mit
einer Beimischung von Cantharidenpulver , rothem Präcipitat, das Ungt.
sabinae, euphorbii; Einstreupulver von rothem Präcipitat , Zucker,
Euphorbium- oder Seidelbastpulver; Seidelbastrinde, Epheu etc. unter-
halten. Diese Art von Fontanellen erregen einen lebhaften Reiz , son-
dern in reichlicher Menge eine seröse Flüssigkeit oder dünnflüssigen Eiter
ab, bewirken oft ein lästiges Jucken und unterhalten nicht selten in ihrem
Umfange ein Erythem und Anschwellung der benachbarten Drüsen. Statt
ihrer bedient man sich in manchen Fällen des durch Pustelsalben (z. B.
Ungt. tartari stibiati etc.) erzeugten künstlichen Ausschlages. Die
Hautfontanelle wird vorzugsweise gegen chronische Entzündungen der
Schleim- und serösen Häute und der Haut empfohlen, z. B. gegen Schleim-
schwindsucht, veraltete rheumatische Beschwerden, Neigung zu Rheuma-
tismen , Brustbräune , scrophulöse Hautausschläge , Augenentzündungen,
Drüsenanschwellungen und gegen verschiedene Leiden, die nach Blattern,
Masern und Scharlach zurückbleiben. — Die tieferen Fontanellen haben
ihren Geschwürsgrund in dem der Haut zunächst gelegenen Zellgewebe,
zuweilen noch tiefer und heissen deshalb Zellgewebsfontanellen.
Sie werden mit dem Messer, dem potentiellen oder dem actuellen Caute-
rium gebildet und durch Digestivsalben oder fremde Körper , wie Erbsen,
Bohnen , kleine unreife Orangen , Pfefferkörner , Kügelchen von Epheu-
holz, Veilchenwurzel, Enzianwurzel, Hörn, Knochen, Elfenbein etc. , oder
durch beide Mittel zugleich unterhalten. Das Verfahren mit dem Messer
(über das mit den Cauterien s. die Art. Aez mittel und Cauterisa-
tion) ist folgendes: man erhebt die Haut in eine Falte, durchschneidet
sie mit einem Bistouri der Länge nach auf V2 — 1 Zoll, füllt die Wunde
mit einer festen Charpiekugel aus und hält diese mit einer Compresse und
Binde fest. Nach eingetretener Eiterung ersezt man die Charpiekugel
durch eine oder mehrere Erbsen, welche man täglich wechselt. Bei sehr
ängstlichen Personen kann man die Fontanelle mittels eines Vesicans bil-
den , indem ' man nach Wegnahme des Oberhäutchens eine kleine Kugel
von Cantharidenpflaster fest aufbindet, bis sich eine Durchbohrung der
FREMDE KOERPER. 289
Haut gebildet hat und die Oeffnung ein Fontanellkügelchen aufnehmen
kann. Dieses Verfahren ist indessen das schmerzhafteste und langwie-
rigste. — Entstehen in der Fontanelle heftige Schmerzen , so vermindert
man die Anzahl der Erbsen und legt zeitweise Breiumschläge auf. Ent-
wickelt sich eine zu heftige Entzündung in der Umgegend, so müssen die
eingelegten fremden Körper entfernt und Umschläge von Bleiwasser ge-
macht werden. Ueppige Granulationen am Rande der Fontanelle besei-
tigt man durch Betupfen mit Höllenstein. Reizen dagegen die fremden
Körper nicht genug, so hüllt man sie in scharfe Salben oder streut reizende
Pulver ein. — Die Zellgewebsfontanellen veranlassen einen tieferen ört-
lichen Zufluss der Säfte, eine reichliche Eiterung, reizen aber gewöhnlich
weniger als die Hautfontanellen und sind , wenn die Eiterung im Gange
ist , gewöhnlich wenig oder gar nicht «chmerzhaft. Man empfiehlt sie
vorzugsweise gegen enronische Entzündungen der Faserhäute , Synovial-
häute , der Gelenke, der tiefer liegenden edlen Organe, als Gehirn und
Rückenmark und ihrer Hüllen, Herz, Lungen etc. und der tieferen Gebilde
des Auges. — Will man eine Fontanelle zuheilen lassen, so vermindert
man allmälig die Zahl der eingelegten Erbsen und lässt diese zulezt
ganz fort.
Fremde Körper, Corpora aliena; Fremdkörper-
krankheiten, Allentheses. Unter fremden Körpern versteht man
-alle diejenigen, welche von aussen in den Körper eingedrungen sind oder
an demselben haften , ohne in den Säften , mit denen sie in Berührung
kommen, auflöslich zu sein. Im weiteren Sinne rechnet man auch manche
natürliche oder krankhafte Producte des Organismus , welche aufgehört
haben, an dem Stoffwechsel Theil zu nehmen und durch mechanische Ver-
hältnisse in ihm zurückgehalten werden, zu den fremden Körpern. Hier
wird nur von der ersten Art von fremden Körpern die Rede sein ; fremde
durch widernatürliche Oeffnungen , wie Wunden , eingedrungene Körper
werden bei diesen besprochen werden. Ueber die fremden Körper der
.zweiten Art s. den Art. Neubildungen. — Unter Fremdkörperkrank-
heiten werden die krankhaften Zustände verstanden , welche durch die
Einwirkung fremder Körper hervorgerufen werden.
A. Von den fremden Körpern im Allgemeinen. — Die
Zufälle, welche fremde, absichtlich oder zufällig in natürliche Körper-
öffnungen gelangte Körper veranlassen können, hängen ab von der Grösse
und Form der fremden Körper , so wie von der Körperstelle, wo sich die-
selben befinden. Körper , die Flüssigkeiten einsaugen , vergrössern sich
nach einiger Zeit, werden dadurch oft eingeklemmt und dehnen die um-
gebenden Theile aus. Unebene , scharfe und spizige Körper verwunden
die Umgebungen und bleiben leicht irgendwo stecken, oder gelangen auch
ganz in die Continuität der Theile, und machen, indem sie durch die Be-
wegungen der Theile im Zellgewebe weiter geschoben werden , bisweilen
Burger, Chirurgie. 1 9
290 FREMDE KOERPER.
merkwürdige Wege , wie dies besonders von Nadeln beobachtet worden
ist. Am gefährlichsten sind die in die Luftwege gelangten Körper , in-
dem darnach Erstickungszufälle eintreten. Befinden sich fremde Körper
in Ausfuhrungsgängen, so können sie diese verstopfen und zu Retentionen
Veranlassung geben. — Wo fremde Körper stecken bleiben , wirken sie
reizend auf ihre Umgebungen, erregen Krampfzufälle, Entzündung, Eite-
rung , Verschwörung oder Brand. Es kommt aber auch nicht selten vor,
dass fremde Körper selbst von bedeutendem Umfange nur eine gelinde
oder vorübergehende Wirkung äussern, indem sich das Organ schnell an
die Gegenwart derselben gewöhnt. — Die fremden Körper , welche vor-
ragende Körpertheile umschliessen , behindern den Rückfluss des Blutes
und verursachen daher mehr oder weniger bedeutende Anschwellung, Ent-
zündung, Verschwärung, selbst Brand. — Die Entfernung der frem-
den Körper geschieht zuweilen durch die Natur selbst , oder sie werden
eingehüllt, so dass sie weniger belästigen. Ersteres kann durch Husten,
Niesen , Erbrechen oder durch Fortbewegen in kanalförmigen Behältern
geschehen, wie z. B. verschluckte Körper durch den After abgehen. Um-
ständlicher ist der Process der Natur, wenn die Körper spizig, scharf sind.
Hier kann es geschehen, dass sie in die Wandung des Kanales einbohren,
daselbst ein Geschwür veranlassen und durch dasselbe in benachbarte
Höhlen oder in das Zellgewebe gelangen , wo sie dann zuweilen beträcht-
liche Strecken, theils ihrer Schwere, theils der Muskelbewegung folgend,
zurücklegen und endlich an sehr entfernten Punkten für sich allein oder
unter Bildung eines Abscesses durch die Haut zum Vorschein kommen.
Selten werden feste Körper aufgelöst und eingesogen. Oefter werden sie
eingekapselt oder bilden in häutigen Behältern sackförmige Erweite-
rungen oder Divertikel (wie im Darmkanale , in der Harnblase) , wo sie
dann oft Jahre lang unschädlich liegen bleiben können. — AVerden die
fremden Körper nicht von der Natur ausgestossen , so müssen sie , wenn
sie Beschwerden verursachen, mit Hülfe der Kunst entfernt werden.
Hierzu bedient man sich entweder zangen- oder löffelartiger Instrumente,
mit welchen man sie auszieht , wenn sie sich an zugänglichen Stellen be-
finden , oder aber man bahnt sich einen Weg zu ihnen , indem man den
Kanal oder die Höhle, in welchen sie sich befinden, blutig eröffnet. Dies
kann z. B. bei fremden Körpern in dem Kehlkopfe, der Luftröhre, Speise-
röhre etc. nothwendig werden. Wenn der Kanal, in welchem der fremde
Körper steckt, durchgängig ist, so kann man bei unschädlicher Beschaffen-
heit des Körpers diesen weiter stossen , dass er frei und dann von selbst
ausgestossen wird. Dies geschieht z. B. bei fremden, im Schlünde stecken
gebliebenen Körpern.
B. Von den fremdenKörpern imBesondern. I. Von
den fremden, von aussen in den Organis mus gelangten
Körpern. l) Fremde Körper in den Augen. Sie können
zwischen die Augenlider und den Augapfel eindringen, am Augapfel haf-
FREMDE KOERPER. 291
ten oder in dessen Höhle gelangen. Ihre Gegenwart verursacht gewöhn-
lich einen lebhaften Schmerz , Thränenfluss , Lichtscheu und Augenlid-
krampf; später tritt Entzündung des Auges ein. Unter die Augenlider
gerathene fremde Körper , wie Staub , Asche, Sand, ausgefallene Augen-
wimpern, Getreidegrannen etc. sucht man durch Streichen des Auges gegen
den innern Augenwinkel hin unter Beihülfe der Thränen zu entfernen.
Reicht dieses Verfahren nicht aus, so geht man mit einem feinen Maler-
pinsel unter das obere Augenlid und streicht über den Bulbus hin , oder
man benüzt unter Aufhebung des obern Augenlides einen kleinen Papier-
cylinder oder die Pincette zu seiner Wegnahme. Hat der fremde Körper
sich in den Membranen des Auges festgesezt , wie dies häufig mit Glas-
splittern, Metallstückchen , Stahlfunken, Stückchen von Zündhütchen etc.
geschieht , so sucht man sie mit einer Pincette , dem Daviel'schen Löffel,
einer Sonde, einem schlingenartig zusammengelegten Rosshaare oder auch
mit einer gekrümmten Staarnadel wegzunehmen. Stahlfunken etc. räth
man mit einem Magnet auszuziehen. Körper, die in das Innere des Auges
eingedrungen sind, entfernt man, wenn eine Wunde der Hornhaut zugegen
ist, mit einer geeigneten Pincette (z. B. der A m m o n ' sehen), andernfalls
macht man vorher den Hornhautschnitt. — 2) Fremde Körper in
der Nasenhöhle. Solche sind Erbsen , Bohnen , Kirschkerne , Holz-
splitter , abgebrochene Pfeifenspizen etc. , die absichtlich oder zufällig in
die Nasengänge gerathen. Sind diese Körper klein und glatt, so verur-
sachen sie nur einen Reiz zum Niesen ; grössere, besonders wenn sie auf-
quellen oder uneben sind , veranlassen Anschwellung der Nasenschleim-
haut oder selbst der Nase , thränende und geröthete Augen , Schmerz,
Athmungsbeschwerden, Blutungen, einen acuten oder chronischen Schnu-
pfen, selbst Verschwärung der Schleimhaut und Caries der Nasenknochen ;
wenn der Körper lange Zeit stecken bleibt , so werden zuweilen Zufälle
von Gehirnreizung beobachtet. — Behandlung. Lassen sich die
fremden Körper nicht durch Schnäuzen oder durch Niesmittel entfernen,
so muss es vermittels Instrumenten geschehen. Die passendsten sind :
der Daviel'sche Löffel, die Pincette, die Korn- oder eine kleine Polypen-
zange. Mit diesen geht man, nachdem man mit einer Sonde den Ort des
fremden Körpers ausfindig gemacht hat , um den Körper und wirft oder
zieht ihn nach unten. Der Kranke, besonders wenn es ein Kind ist, darf
dabei nicht liegen , weil der leicht durch die Choanen fallende Körper in
die Luftröhre gleiten könnte. Bei Erwachsenen kann man zuweilen den
fremden Körper nach hinten in den Schlund stossen, oder mittels eines
durch die B e 1 1 o c q ' sehe Röhre von hinten nach vorn eingeführten Char-
pietampons gegen das vordere Nasenloch stossen. Ist der Körper gross
und uneben, derselbe auf keine Weise zu entfernen und schon starke Ge-
schwulst zugegen, so spalte man die Nasenöffnung nach oben und vereinige
die Wunde nach der Extraction des fremden Körpers wieder durch die
Naht. In die Nasenhöhle gekrochene Thierchen entfernt man durch
19*
292
FREMDE KOERPER.
Niesmittel und Einsprizungen oder Dämpfe von Tabaksabsud. — 3)
Fremde Körper im äussern Gehörgang. Diese kommen meist
bei Kindern vor, die sich Bohnen, Erbsen, Kirschkerne, Glasperlen etc. in
die Ohren stecken , ausserdem sind es Insecten , welche hineinkriechen,
wie Flöhe, Ohrwürmer, Schnaken, oder die darin ausgebrütet werden, end-
lich verhärtetes Ohrenschmalz. Die dadurch erzeugten Beschwerden sind :
ein dumpfer Schmerz , Druck im Ohre , Ohrensausen , Schwerhörigkeit,
Kopfschmerz , Blutung , Ohrenfluss , selbst Zerstörung des Trommelfells,
Caries, Gehirnreizung und völlige Taubheit. — Hat man durch eine Sonde
den fremden Körper, seine Grösse etc. möglichst ermittelt , so sucht man
ihn , während man den Gehörgang durch Auf- und Auswärtsziehen der
Ohrmuschel gerade streckt , mittels eines Ohrlöffels, des D a v i e 1 ' sehen
Löffels , einer Haarnadel , oder einer feinen Zange oder Pincette heraus-
zuheben oder zu ziehen. Gequollene Erbsen oder Bohnen kann man mit
gehöriger Vorsicht durch eine krumme Staarnadel einstechen oder zer-
stückeln. Lose Körper lassen sich zuweilen durch einen an beiden Enden
offenen und bis zur Weite "des Gehörganges umwickelten Federkiel an-
saugen und während des Saugens ausziehen. Kleine, bewegliche Körper
lassen sich schon durch Einsprizungen entfernen ; das Gleiche gilt bei
Insecten. Verhärtetes Ohrenschmalz erweicht man erst durch Einspri-
zungen von warmem Oel , Seifenwasser und befördert es dann , wenn es
durch die Einsprizungen nicht schon entfernt wurde , mit einem Ohrlöffel
aus dem Gehörgange. — 4) Fremde Körper in der Mund- und
Rachenhöhle. Solche Körper sind meistens Knochensplitter, Fisch-
gräten etc. , welche sich beim Genüsse der Nahrungsmittel in die Zunge,
Mandeln, Gaumensegel etc. einspiessen. Die Entfernung solcher Körper
ist mit keinen Schwierigkeiten verbunden. Man bedient sich dazu der
Pincette. Zuweilen bleiben hastig verschlungene Speisemassen in der
Schlundhöhle stecken , welche Erstickungsgefahr verursachen können.
Man holt sie mit den Fingern vorsichtig heraus. — 5) Fremde Kör-
per im Kehlkopfe und in der Luftröhre. Diese bestehen
meistens in Speisetheilen , welche, wenn durch Lachen, Schreien, Gähnen
während des Niederschluckens der Kehldeckel erhoben wird, in die Stimm-
rize und von da in den Kehlkopf oder die Luftröhre gelangen , wenn sie
nicht anders durch den eintretenden Husten sogleich wieder zurückge-
worfen werden. Nicht selten sind es auch andere Körper , wie Bohnen,
Steinchen u. dgl. , welche namentlich Kindern in den Kehlkopf gerathen.
Die Zufälle, welche hierdurch erregt werden, sind äusserst stürmisch ; hef-
tiger convulsivischer Husten , Veränderung der Stimme , Unruhe, Erstik-
kungsgefahr , convulsivisches hörbares Athmen , wechselt mit freien Pe-
rioden, wo grosse Erschöpfung und scheinbare Ruhe eintritt ; die Zufälle
steigern sich in neuen Anfällen und unter den fürchterlichsten Erschei-
nungen der Erstickung sterben die Kranken plözlich oder alle Stadien
des Erstickungstodes langsam durchlaufend. In andern Fällen lassen die
FREMDE KOERPER. 293
Erscheinungen nach , obschon der Körper noch in der Luftröhre verweilt.
Am heftigsten sind die Zufälle, wenn der fremde Körper in der Stimmrize
haftet. Im Allgemeinen sind die Zufälle geringer , wenn der fremde
Körper in der Luftröhre als wenn er im Kehlkopfe ist ; nur wenn er in die
Ventrikeln des Larynx sich eingebettet hat, sind die Erscheinungen zu-
weilen minder stürmisch. — Sollte der fremde Körper noch aus der
Stimmrize hervorragen, so kann man ihn mit einer Zange entfernen. Hat
er aber eine tiefere Lage und ist er durch Erregung von Vomituritionen
nicht zu beseitigen , so schreite man ungesäumt zur Eröffnung der Luft-
röhre (siehe den Art. L u ftr Öhr e n - und K e hlko p f s chnitt). —
6) Fremde Körper im Schlünde. Die fremden Körper sind theils
Nahrungsmittel , die wegen ihrer Grösse den engen Kanal nicht passiren
können , theils sind es Substanzen , welche mit den Nahrungsmitteln zu-
fällig verschluckt wurden, z. B. Knochenfragmente, Nadeln, Holzsplitter,
oder die zufällig oder absichtlich verschluckt wurden : Glas, Steine, Knö-
pfe, Münzen, Messer, Nadeln, theils sind es Körper , die bei Operationen
in den Schlund geriethen , exstirpirte Polypen oder Tonsillen. Die Zu-
fälle , welche fremde Körper im Schlünde erregen , sind nach der Form
derselben und nach ihrem Size sehr verschieden. Ein grosser hinter dem
Kehlkopfe sizender Körper drückt diesen zusammen und erregt dadurch
Erstickungszufälle , was zu der Täuschung Veranlassung geben könnte,
der fremde Körper stecke in der Luftröhre ; doch fehlt der röchelnde Ton
beim Athmen und es ist unmöglich, auch nur Flüssigkeiten zu schlucken ;
auch gibt die Sondirung des Schlundes Aufschluss. Ist der Körper klein,
so erregt er lebhaften örtlichen Schmerz , krampfhaftes Würgen, Vomitu-
ritionen, erschwertes Schlingen, Angst, Klopfen der Carotiden. — Bleibt
ein fremder Körper im Schlünde , so erregt er Entzündung und Eiterbil-
dung , Durchbohrung des Schlundes , der Luftröhre , der Aorta und den
Tod ; es bleibt somit keine Wahl , und die Entfernung jeden fremden
Körpers im Schlünde ist auf das Schleunigste angezeigt. Gelingt die
Entfernung nicht den Bestrebungen der Natur durch Schlingbewegung
oder Erbrechen , nach unten oder nach oben , bleiben Brechanregungen,
Klopfen auf den Rücken , Verschlingen grosser fetter Brodbissen etc.
fruchtlos , so muss man entweder versuchen , den Körper mit einem an
einer Fischbeinsonde befestigten Schwamm nach oben zu bringen , oder
ihn mit der Schwammsonde in den Magen zu stossen. Kann man dem
Körper mit Zangen beikommen , so zieht man ihn selbstverständlich mit
diesen aus. Für die Ausziehung der in den schifff örmigen Gruben hängen
gebliebenen Körper hat Betz eine fast rechtwinklig gebogene, sich seit-
wärts öffnende Zange angegeben. Schlägt alles fehl, so muss die Speise-
röhre geöffnet werden (s. Speiseröhrenschnitt). — 7) Fremde
Körper im Magen und Darmkanal e. Fremde Körper können
mit den Speisen, durch absichtliches oder unabsichtliches Niederschlucken
oder durch Hinabstossen vom Schlünde aus in den Magen gelangen.
294 FREMDE KOERPER.
Häufig sieht man sie ohne grosse Beschwerden zu erregen durch den Mast-
darm wieder abgehen, z. B. Kugeln, Münzen, Steine, Obstkerne, zuweilen
bewirken sie aber nachtheilige Folgen , besonders wenn die Körper spiz
und scharf sind. In diesem Falle können sie sich in die Magen- oder
Darmwand einbohren, chronische Entzündung, Verhärtung oder Versch wä-
rung hervorrufen und so durch ein langwieriges Unterleibsleiden den Tod
bringen. In seltenen, Fällen durchbohren sie Magen - und Darmwand
ganz und gelangen auf längerem oder kürzerem Wege aus dem Organis-
mus, namentlich wenn die Stelle der Durchbohrung mit den Bauchdecken
verwächst, hier ein Abscess sich bildet und nach dessen Aufbruch der
fremde Körper ausgestossen wird. Andere Folgen der fremden Körper
beruhen auf der durch sie bewirkten Unwegsamkeit des Darmkanales, wie
Verstopfung, Ileus, Darmentzündung etc. Am häufigsten beobachtet man
das Verweilen der fremden Körper an dem Pylorus und der V a 1 v u 1 a
coli; zuweilen sezen sie sich in Brüchen fest. — Behandlung. Man
sucht das Abgehen des fremden Körpers durch den Mastdarm mittels Ab-
führmitteln zu befördern, reicht zugleich schleimige Getränke, und treten
entzündliche Erscheinungen ein , so verfährt man antiphlogistisch. Be-
reitet sich ein Durchbruch des fremden Körpers vor, so legt man erwei-
chende Umschläge über, öffnet aber den sich bildenden Abscess erst, wenn
man versichert ist, dass der Darm mit den Bauchdecken gehörig fest ver-
wachsen ist. Erfolgt von allem Diesen nichts und dauern die Zufälle
fort, so bleibt nur die künstliche Eröffnung des Magens oder Darmkanals
übrig (s. Magenschnitt und Darmschnitt). — Wenn ein fremder
Körper sich in einem Bruche festsezt und Einklemmung eintritt , so ver-
sucht man die Reposition des Bruches, und wenn diese erfolglos bleibt, so
öffnet man den Bruchsack, hebt die Einklemmung und schiebt die Darm-
schlinge in die Bauchhöhle zurück. Wäre der Darm stark entzündet oder
von dem fremden Körper schon durchbohrt , oder wäre die Reduction un-
möglich , so spaltet man den Darm , zieht den fremden Körper aus und
verfährt im Uebrigen wie bei den brandigen Darmbrüchen. S. Bruch.
— Einen in den Magen gerathenen Blutegel tödtet man durch Salzwas-
ser , welches man den Kranken trinken lässt , gibt dann ein Brechmittel
und stillt eine etwaige Magenblutung durch Eispillen etc. — 8) Fremde
Körper im Mastdarme. In den Mastdarm gelangen fremde Körper,
indem sie entweder absichtlich oder zufällig durch den After hineinge-
bracht werden (Messer, Feilen, Zangen, Stücke Holz, Metall), oder indem
sie , den Weg durch den Darmkanal durchlaufend , hinter dem Sphincter
sich festsezen (Gräten, Knochen, Nadeln, Kirschkerne etc.). Sie veran-
lassen Verstopfung , Krampf, Entzündung des Mastdarmes, welche leztere
durch die Ausbreitung auf die übrigen Eingeweide gefährlich werden oder
Eiterung und Fistelbildung im Mastdarme veranlassen kann. — Man
untersucht den Siz und die Gestalt des fremden Körpers mit dem beölten
Zeigefinger , worauf man ihn mit einer auf dem Finger eingeleiteten Po-
FREMDE KOERPER. 295
lypen- oder Steinzange auszieht. Uni die Ausziehung zu erleichtern, kann
man vorher Einsprizungen von Oel machen. Die besondere Beschaffenheit
der Körper machen nicht selten die eigenthümlichsten Mechanismen noth-
wendig , worüber sich aber keine speciellen Vorschriften geben lassen ;
Marchetti entfernte einen Schweinsschwanz, indem er ein ausgehöhltes
Stück Schilf über denselben schob, um den Mastdarm vorVerlezung durch
die Borsten zu schüzen , und durch dieses den Schwanz auszog ; eine
Glasflasche liess man durch die kleine Hand eines Knaben herausholen etc.
Zuweilen zeigt sich die Notwendigkeit , dem Kranken vorher zur Ader
zu lassen, oder zur Beseitigung des Krampfes einige Zeit eine mit E x t r.
belladonnae oder hyoscyami bestrichene Wieke in den Mastdarm
zu schieben. Nach Ausziehung des fremden Körpers können Sizbäder,
schleimige Klystiere und selbst ein entzündungswidriges Verfahren nöthig
werden. — 9) Fremde Körper in der Harnröhre und den
weiblichen Geschlechtstheilen. In die Harnröhre und Blase
gelangen durch Ungeschicklichkeit , Leichtsinn oder Muthwillen Stücke
von Cathetern, Nadeln , Holzstückchen etc. und veranlassen hier ähnliche
Zufälle, wie Harnblasen- und Nierensteine, und ausserdem Blutung aus den
Theilen, Fisteln, Stricturen. Zuweilen entsteht auch Harnverhaltung. —
Fremde Körper in der Scheide oder im Uterus veranlassen Blutungen,
Geschwüre , eiterige , übelriechende Ergüsse , Fisteln und zuweilen auch
Beschwerden bei der Stuhl- und Urinausleerung. — In der Scheide sind
es meistens Pessarien , vorzüglich wenn sie sich incrustirt haben, welche
die genannten Zufälle hervorbringen ; doch hat man auch die seltsamsten
Gegenstände angetroffen, wie Nadelbüchsen, Wachslichte, Möhren, Tannen-
zapfen etc. — Aus der Blase lassen sich fremde Körper in den meisten
Fällen wohl nur nach vorher gemachtem Blasenschnitte entfernen. Zum
Ausziehen derselben aus der Harnröhre bedient man sich einer langen
schmalen Pincette, des D a v i e 1 ' sehen Löffels, der H u n t e r ' sehen Harn-
röhrenzange, der Drahtschlingen oder kleiner mittels einer Kanüle einge-
führter Bohrer. Hat sich schon örtliche Entzündung ausgebildet , so
macht man warme Umschläge und nach dem Durchbruche des Abscesses
Chamillenumschläge. Zuweilen rnuss man wohl die Harnröhrenmündung
erweitern , wenn ein Steinchen in der Fossa navicularis steckt , in
andern Fällen kann es nöthig werden, auf einen in der Harnröhre befind-
lichen Körper einzuschneiden , um ihn entfernen zu können ; die Behand-
lung der hierdurch gesezten Wunde geschieht nach den bei den Wunden
des Penis angegebenen Regeln. ■ — Die fremden Körper in der Mutter-
scheide lassen sich gewöhnlich leicht mit einer Zange ausziehen ; nur die
mit Incrustationen überzogenen Pessarien machen hiervon eine Ausnahme ;
nicht selten müssen diese erst zerbrochen werden , ehe ihre Ausziehung
ins Werk gesezt werden kann.
II. Von den fremden, äusserlich am Körper haften-
den Körpern. Die Körpertheile , welche hier in Betracht kommen,
296 FROSCHGESCHWULST.
sind die Finger, Zehen, der Penis etc., und die fremden Körper bestehen
meistens in angesteckten metallenen Ringen oder in umgelegten Schlin-
gen von Fäden , Schnüren , Bändern etc. Diese liegen zuweilen so fest
an , dass sie von dem Betreffenden nicht nur nicht entfernt werden kön-
nen , sondern auch den Rückfluss des Blutes behindern und damit An-
schwellung, Schmerz , Entzündung und Brand verursachen, ferner an der
Berührungsstelle einschneiden und Schwärung herbeiführen. — Die Ent-
fernung solcher Körper hat manchmal grosse Schwierigkeiten , indem der
Ring oder die Schlinge von den angeschwollenen Umgebungen so über-
deckt sind , dass man sie kaum sehen und ihnen nur mit Mühe beikom-
men kann. Die Art der Entfernung richtet sich nach der Beschaffen-
heit des umschliessenden Körpers und nach der Zugänglichkeit desselben.
Metallene Ringe gelingt es zuweilen dadurch zu entfernen, dass man den
angeschwollenen Theil mit einem glatten seidenen Bande oder Faden
dicht umwickelt und deren freies Ende unter den Ring zu bringen sucht ;
indem man nun das Band etc. von hinten vor. wieder abwickelt, wird der
Ring damit vorgeschoben. Glückt es auf diese Weise nicht , so müssen
solche Ringe durchgekneipt , durchgesägt , durchgefeilt oder , wenn sie
von sprödem Stahl sind , mit Feilkloben entzweigebrochen werden , wo-
bei man vorerst suchen muss , einen schüzenden Gegenstand unterzubrin-
gen. Schlingen von weichem Stoffe durchschneidet man mit Scheere
oder Messer. Das Durchschneiden einer tief liegenden Fadenschlinge
kann zuweilen dadurch erleichtert werden , dass man dieselbe mit einer
Pincette fasst, anzieht und dann hier durchschneidet ; kann man eine ge-
bogene Hohlsonde unterschieben, so durchschneidet man auf dieser. Lässt
sich der fremde Körper wegen zu bedeutender Aufwulstung der Haut nicht
sehen, was sich besonders beim Penis ereignet, so muss man vor und hin-
ter der Einschnürung so tief gegen dieselbe einschneiden , dass die Hohl-
sonde oder ein Haken untergeschoben werden kann , auf welchem man
durchschneidet.
FrOSChgeSChwillst, Fröschleingeschwulst, ßanula.
Man belegt mit diesem Namen (wegen der Nähe der Art. ran in a) Ge-
schwülste von verschiedener Form , Grösse und Beschaffenheit , welche
ihren Siz unter der Zunge zu den Seiten des Frenulum haben. — Die
Froschgeschwulst stellt sich unter der Form einer abgeplatteten , rund-
lichen oder ovalen, bläulich schimmernden und deutlich fluctuirenden Ge-
schwulst dar. So lange die Ranula klein ist, macht sie keine Beschwer-
den , mit der Zeit aber nimmt sie an Grösse zu und hindert dann das
Kauen und besonders die Sprache in bedeutendem Grade. Sich selbst
überlassen, erreicht die Geschwulst oft eine bedeutende Grösse, verdrängt
die Zunge , treibt die Zähne oft nach aussen und bildet einen Vorsprung
unter dem Kinn. In diesem Zustande kann sie selbst Erstickungszufälle
veranlassen. Zuweilen plazt sie , füllt sich aber sehr schnell wieder , was
FURUNKEL. 2^7
sich oft wiederholen kann ; auch kann sie sich entzünden und eitern. Der
anfangs dünne Balg verdickt sich bei längerem Bestehen, namentlich wenn
die Geschwulst schon mehrmals geplazt ist. Auch der zuerst helle, klare,
klebrige Inhalt wird mit der Zeit trübe , flockig , eiterig. — Ueber das
Wesen der Ranula sind verschiedene Ansichten geltend gemacht worden :
nach den Einen besteht die Geschwulst in einer Ausdehnung des Wharton'-
schen Ganges durch angehäuften Speichel in Folge von Verschliessung der
Mundöffnung des Speichelganges ; die chemische Untersuchung des Inhaltes
lässt aber nicht die mindeste Uebereinstimmung mit dem Speichel erken-
nen ; andere sehen in ihr eine ganz neu gebildete Cyste , analog anderen
Balggeschwülsten mit epithelialem Inhalte ; noch Andere halten sie für
eine entartete Schleimdrüse , wieder Andere endlich für eine wassersüch-
tige Anschwellung eines hier gelegenen Schleimbeutels , welche leztere
Ansicht die meisten Anhänger gefunden hat. — Behandlung. Sie be-
steht in der Punction oder der einfachen Incision der Geschwulst , der
Incision derselben mit nachfolgender Cauterisation der ganzen Höhle , in
der Ausschneidung eines Theiles der äussern Wand , der Einlegung von
Charpiewieken, eines Bleidrahtes, von Röhrchen (Dupuytren). Schuh
schlägt die Exstirpation der ganzen vorher entleerten Cyste vor. Ragt die
Geschwulst unter dem Unterkiefer hervor, so öffnet man sie von hier und
von der Mundhöhle aus und zieht ein Haarseil durch.
Frostbeule, s. Erfrierung.
Furunkel , Blutschwär, Furunculus ist eine Entzündung
der in, die Maschen der Lederhaut sich einsenkenden Fortsäze des Unter-
hautbindegewebes , welche , von der Lederhaut an ihrer Ausdehnung ge-
hindert, absterben. Nach Rokitansky unterscheidet sich der Furun-
kel vomCarbunkel nur dadurch, dass bei ersterem nur ein einziger Binde-
gewebskegel entzündet, beim Carbunkel aber eine ganze Gruppe ergriffen
ist. — Diagnose. Die Affection beginnt mit einer kleinen harten Ge-
schwulst , die tief unter dem Niveau der Haut liegt und meistens an den
Hüften, den Hinterbacken, den Schenkeln, im Nacken oder in der Achsel-
höhle erscheint. Die Geschwulst wird allmälig konisch, ohne sich aber
sehr über die Haut zu erheben, schmerzhaft, dunkel- oder violettroth und
erreicht in einigen Tagen die Grösse einer Wallnuss oder darüber. Zwi-
schen dem 5. und 8. Tage spizt sie sich mehr und mehr zu und wird an
ihrem höchsten Punkte weiss und weich. Bald nachher bricht sie auf und
entleert eine serös-blutige Feuchtigkeit , nach deren Entleerung in der
kleinen Oeffnung ein fester gelber Pfropf sichtbar wird. Dieser Pfropf,
welcher aus Exsudatmasse und aus nekrotischem Bindegewebe besteht,
wird meistens nach 2 oder 3 Tagen ausgestossen , worauf eine klaffende
Oeffnung zurück bleibt, der Schmerz verschwindet, die Geschwulst zusam-
mensinkt , die Höhle sich ausfüllt und die Oeffnung mit Hinterlassung
GALLENBLASENFISTEL.
einer Narbe nach einigen Tagen sich schliesst. — Nicht selten erscheinen
mehrere Furunkel gleichzeitig oder nach einander. — Bei empfindlichen
Subjecten , bei Kindern , oder wenn der Furunkel an empfindlichen Thei-
len sizt, entstehen nicht selten Fieberbewegungen , Schlaflosigkeit , Man-
gel an Esslust, Delirien etc. und benachbarte Lymphdrüsen schwellen
au> — Ursachen. Die Prädisposition zum Furunkel ist derjenigen zur
eryripelatösen Entzündung analog. Störungen in den ersten Wegen, wie
sie durch schlechte Nahrungsmittel verursacht und unterhalten werden ;
äussere Hautreize , Blasenpflaster, reizende Salben, Unreinlichkeit, schwe-
felhaltige Bäder, das Haarseil, gewisse Ausschläge, z.B. Blattern, können
die Entwickelung der Furunkel begünstigen. Häufig sieht man sie wäh-
rend der Reconvalescenz von Fiebern und entzündlichen Krankheiten der
Haut entstehen. Oft erscheinen sie, ohne dass die geringste Ursache für
ihr Entstehen aufzufinden wäre ; sie zeigen sich dann gewöhnlich bei ple-
thorischen Individuen und im Frühjahr. — Behandlung. Sie besteht
in der Beförderung der Eiterung , zu welchem Ende man kleine , wenig
schmerzende Furunkel mit einem Empl. diachyl. composit., galb.
croc. u. dgl. bedeckt; bei schmerzhaften Furunkeln wendet man erwei-
chende Breiumschläge mit einem Zusaze von narkotischen Kräutern an.
Bei sehr schmerzhafter Spannung, Fieber etc. schneidet man ihn seiner gan-
zen Länge nach ein und wendet dann erweichende Breiumschläge an. In
den meisten Fällen öffnet sich der Furunkel von selbst oder man öffnet
ihn mit der Lancette ; der Pfropf stösst sich beim Fortgebrauche erwei-
chender Breiumschläge los. Bilden sich viele Furunkel bei demselben In-
dividuum , so sucht man die Ursache zu beseitigen , wendet Schwefel-,
Kleien- oder Malzbäder an, oder reibt den ganzen Körper mit feingepul-
vertem Lehm ein, den man am nächsten Morgen abwäscht ; innerlich gibt
man von Zeit zu Zeit ein leichtes Abführmittel, reicht Mineralsäuren
(nach Fosbzoke grosse Dosen A c i d. sulphur. d i 1 u t. und zwar bis
zu 5vj p die), Quecksilber, Antimon, den Arsenik in der Form der So-
lutio Fowleri und regulirt die Lebensweise. Masse wendet mit
grossem Nuzen Bierhefe (dreimal täglich einen Esslöffel mit Wasser ver-
dünnt) an. Nach Nelaton wird durch Umschläge mit concentrirtem
Alkohol die Abtreibung der Furunkel immer erlangt.
Fussverkrümmung, s. Klump füsse.
G.
GALLENBLASENFISTEL, Fistula biliosa s. bi-
liar is, entsteht durch Trennung der Gallenblase oder des Gallenganges,
GALLENBLASENFISTEL. 299
nachdem diese vorher eine Verwachsung mit dem Peritonäum eingegangen
haben. — Diagnose. Man erkennt die Gallenblasenfistel viel mehr an
der Natur der Flüssigkeit, die sie ergiessen, als an ihrer Lage. Denn sie
haben ihren Siz nicht immer in der Lebergegend, sondern öffnen sich auch
manchmal an entfernteren Stellen , als am Nabel , Rücken , in der rechten
Weiche , am Oberschenkel etc. Sie ergiessen bald reine Galle , bald ein
Gemenge von Galle , Schleim und Eiter. Manchmal wird die Gesundheit
durch solche Fisteln wenig beeinträchtigt und behalten die Excremente
ihre natürliche Färbung ; in anderen Fällen treten wesentliche Verdauungs-
störungen ein mit folgender Auszehrung, was hauptsächlich davon abhängt,
ob alle Galle nach aussen entleert oder theilweise noch durch den Duc-
tus choledochus in das Duodenum geführt wird. Die Unterbrechung
des Ausflusses durch einen Gallenstein kann sehr gefährliche Zufälle her-
vorbringen. Nicht selten verschliesst sich die Fistelöffnimg von selbst, ge-
wöhnlich nachdem ein Gallenstein abgegangen ist. Die Ursache der Gal-
lenblasenfistel ist gewöhnlich eine Anhäufung der Galle in der Gallenblase
(Hydrops vesicae felleae), wodurch sich unter den kurzen Rippen
eine gleich anfangs umgrenzte , gleichförmige, schwappende Geschwulst
bildet , welche sich langsam unter nicht sehr heftigen Schmerzen vergrös-
sert, und sich oft auf einen Druck, oder auch, wenn die Gallenblase stark
angefüllt ist, von selbst vermindert, indem sich ein Theil der Galle in den
Darmkanal ergiesst, worauf unter Kolikschmerzen gallige Stühle erfolgen.
Diese Erscheinungen unterscheiden die Anfüllung der Gallenblase von
dem Leberabscesse. Mit der Zunahme der Anschwellung der Gallenblase
kommt es zur Entzündung , damit zur Anheftung an das Bauchfell und
indem sich durch Verschwärung eine Oeffnung bildet , zur Entstehung
einer Gallenblasenfistel. Die Ursachen dieser Gallenanhäufungen sind ge-
wöhnlich Gallensteine. Seltener erfolgt ein Durchbruch in Folge eines
Abscesses. — Behandlung. Die Heilung der Gallenblasenfistel ist
nur möglich , wenn der gemeinschaftliche Gallengang noch wegsam öder
der Ductus cysticus für bleibend geschlossen ist. Zunächst hat man
sich mittels behutsamen Einbringens einer Sonde in die Gallenblase über
die Anwesenheit von Gallensteinen Gewissheit zu verschaffen , und diese,
wenn solche vorgefunden werden , zu entfernen. Hierzu ist gewöhnlich
Erweiterung der Abscessöffnung und später des fistulösen Ganges noth-
wendig. Die Erweiterung geschieht am gefahrlosesten durch Einbringen
vonBougies, Darmsaiten, Pressschwamm. Eine für zweckmässig erachtete
blutige Erweiterung darf nie eine zu grosse Ausdehnung haben , um die
Verwachsungen der Gallenblase mit der Bauchwand nicht zu überschrei-
ten, was eine Gallenergiessung in die Bauchhöhle zur Folge haben würde.
Die Fistel werde bis zu dem Grade erweitert , dass man eine Kornzange
unter Führung des linken Zeigefingers einbringen, damit den Stein fassen
und ausziehen kann , wobei man sich durch Umdrehen der Zange über-
zeugt , dass man die Gallenblase nicht mit gefasst hat. Grössere Steine
300 GAUMEN, DEFORMITAET DESS.
könnte man vorher zertrümmern. Man erhält die äussere Fistelöffnung
offen, so lange man noch Gallensteine vermuthet, da man sonst das Wie-
deraufbrechen derselben zu erwarten hat. Sind alle Steine entfernt , so
schliesst sich die Fistel gewöhnlich von selbst bei einem blos deckenden
Verband.
Gaumen , Deformität desselben. Die bedeutendste und
häufigste Missbildung des Gaumens ist die angeborene Spaltung dessel-
ben, welche, sofern sie sich blos auf das Gaumensegel bezieht, Gaumen-
spalte, sofern sie aber den knöchernen Gaumen betrifft , Wolfsra-
chen genannt wird. — Die Spaltung des Gaumens kommt als Fehler der
ersten Bildung nicht sehr selten vor , beschränkt sich oft blos auf das
Zäpfchen (Uvula bifida), oder betrifft das ganze Gaumensegel , oder
es ist gleichzeitige Spaltung des Gaumensegels und des knöchernen Gau-
mens zugegen. — Die blose Spaltung des Zäpfchens macht gar keine
Beschwerden oder bedingt höchstens unbedeutende Schwierigkeiten beim
Sprechen und Schlingen. Bei der eigentlichen Gaumenspalte dagegen
sind grosse Beschwerden zugegen , die sich in den ersten Tagen des Le-
bens bemerklich machen , indem das Kind gar nicht oder nur höchst un-
vollkommen saugen kann, besonders in horizontaler Lage. In der spätem
Lebenszeit macht sich vorzüglich eine Störung der Sprache bemerklich,
indem diese mehr oder weniger unverständlich und unangenehm ist. Zu-
gleich können an diesem Uebel leidende Personen die Luft nicht mit Ge-
walt aus dem Munde ausstossen und in horizontaler Lage nicht ohne Be-
schwerden trinken. Die Untersuchung zeigt einen dreieckigen Raum mit
aufwärts gerichteter Spize , der sich bei der Exspiration verkleinert. —
Ist mit dem Gaumensegel zugleich auch der knöcherne Gaumen gespalten,
so hängen die Ränder des ersteren parallel mit einander herab , ohne wie
bei der alleinigen Spaltung des Gaumensegels , im Augenblicke der Ex-
spiration einander näher zu rücken. Die bei der Spaltung des weichen
Gaumens bestehenden Beschwerden und Störungen finden sich hier in
noch höherem Maasse. — Ausser diesen angeborenen kommen auch er-
worbene Spaltungen und Substanzdefecte des Gaumens vor. Sie können
die Folgen von Verlezungen , namentlich Schusswunden , besonders bei
Selbstmordversuchen, oder von Ulceration und Necrose, hauptsächlich sy-
philitischer Natur sein. — Behandlung. Die einzige Hülfe bei allen
diesen Missbildungen und Formfehlern besteht in der Vereinigung der
Spalte nach vorläufiger Auffrischung ihrer Ränder. Man nennt die Ope-
ration Gaumennaht, St aphylorrhaphie, wenn es sich blos um die
Vereinigung einer angeborenen Gaumenspalte handelt; dagegen Palato-
plastik, Staphyloplastik, wenn ein Substanzverlust ausgeglichen
werden soll. Diese Operationen sind weniger hinsichtlich des dadurch
gesezten Eingriffes , als vielmehr der Schwierigkeiten wegen , welche ihre
Ausführung bietet, von Bedeutung.
GAUMEN, DEFORMITAET DESS. 301
l)Gaumennaht, Staphylorrhaphia (von aiucpvXf], Zäpfchen,
und Qucpr], Naht). Diese Operation, welche von Graefe im Jahre 1817
zuerst ausgeführt, von Roux 1819 vereinfacht wurde, ist nur bei Er-
wachsenen ausführbar und zerfällt in zwei Acte : die Auffrischung und
die Anlegung der Nähte. Die Auf f ris ch un g geschieht entweder mit
Aezmitteln (Salzsäure, Schwefelsäure, Cantharidentinctur etc.) oder durch
Abtragen der Spaltränder. Das erstere Verfahren eignet sich nur bei sehr
kleinen Spalten oder blosen Durchlöcherungen des Gaumens. Behufs der
blutigen Abtragung fasst man den einen Spaltenrand mit einer langschenk-
ligen, in den Schenkeln gekrümmten Hakenpincette (Gr ae fe , Ebel),
einem scharfen Häkchen, einer Kornzange (Roux, Dieffenbach) oder
H r u b y 's Gaumenhalter an seinem unteren Ende, stösst oberhalb der ge-
fassten Stelle ein schmales , spiziges Messer ein und trägt mit sägenden
Zügen einen Streifen in der Breite eines halben Strohhalmes ab. Nach-
dem man diesen Schnitt gerade aufwärts bis über den obern Winkel der
Spalte hinausgeführt hat, wendet man das Messer und durchschneidet den
untersten Theil des Randes gleichfalls. Ebenso verfährt man auf der an-
dern Seite. Weniger zweckmässig ist hierzu eine von Roux und A 1 -
cok empfohlene Winkelscheere. — Nach gestillter Blutung durch Gur-
geln mit kaltem AVasser geht man an die Anlegung der Nähte, den
schwierigsten Act der Operation , für welchen zahlreiche Verfahren und
Instrumente erfunden worden sind. Zu den Nähten bedient man sich
nach von Gräfe und Roux, gewöhnlicher Ligaturfäden oder nach
Dieffenbach eines Bleidrahtes. Zur Einführung der Fäden b'enuzte
Gräfe zuerst kleine krumme Nadeln, die er mit Hülfe eines geraden
Nadelhalters , 2 — 3 Linien vom Spaltenrande entfernt , von hinten nach
vorn einführte. An die Stelle dieser krummen Nadeln sezte Ebel zwei-
schneidige , lancettförmige, gerade, und im grössten Durchmesser 1 Linie
breite Nadeln , die er mit einem knief örmig gebogenen Nadelhalter ein-
führte. Aehnlich sind die später von Gräfe und Dieffenbach ange-
gegebenen feinen lanzenf örmigen Nadeln , wie auch ihr Nadelhalter dem
E b e l'schen ähnlich ist. Nur sind die Dieffenbach 'sehen Nadeln an
ihrem hinteren Ende rund und hohl zur Aufnahme des Bleidrahtes. Zur
leichteren Durchführung der Nadel durch das Gaumensegel von hinten
nach vorn , drückt man das leztere mit dem Finger oder Kornzange der
Nadelspize entgegen , die man , hat sie den Gaumen durchdrungen , mit
derselben Zange fasst und so die Nadel sammt dem Fadenende vollends
durchzieht. Ebenso führt man das andere Ende des Fadens durch die
entsprechende Stelle des entgegengesezten Spaltenrandes, worauf man die
beiden Fadenenden durch den Mund nach aussen leitet. — D o n i g e s ,
Smith, Lesenberg u. A. bedienen sich gestielter Nadeln in der Form
eines scharfen Hakens , an welchen sich dicht hinter der Spize ein Oehr
befindet. Nachdem man das vorher mit der Hakenpincette fixirte Gau-
mensegel von hinten nach vorn durchbohrt hat , zieht man den Faden aus
302 GAUMEN, DEFORMITAET DESS.
dem Oehr mit einer Pincette hervor und verfährt auf der andern Seite
ebenso. Um die Losmachung des Fadens zu erleichtern , hat F o r a y -
stier ein Instrument erfunden, an dem vorn eine kleine Nadel angesteckt
ist , die man , nachdem man die Vorrichtung wie eine gestielte Nadel ge-
handhabt hat, mit einer Kornzange sammt dem durch ein Oehr derselben
laufenden Faden fasst und herauszieht. Ein von Depierris angegebe-
nes , von Blandie modificirtes, höchst sinnreiches, aber auch complicir-
tes Instrument erleichtert die Anlegung der Naht sehr. — Hat man auf die
eine oder die andere Weise 3, 5, 7 Ligaturen, der Spaltlänge entsprechend,
die erste etwa 3 Linien unter dem obern Winkel der Spalte eingelegt und
hierauf eine nochmalige Reinigung der Wundränder vorgenommen, so geht
man an das Schliessen der Nähte, was am besten in der Reihenfolge von
oben nach unten geschieht. Zu diesem Behufe schlingt man jede Ligatur
vor dem Munde in einen chirurgischen Knoten, den man mit den Fingern
oder mit Hülfe des von D o n i g e s angegebenen Knotenschliessers so lange
gegen den Gaumen hindrängt, bis dessen Wundränder in genauer Berüh-
rung sind. Auf diesen Knoten sezt man noch einen einfachen zweiten,
den man auf die Seite der Wunde hinzieht und schneidet an ihm die En-
den kurz ab. Dieffenbach dreht die Enden seiner Bleiligatur zu-
sammen , geht aber , ehe er die oberste ganz schliesst , auch zur Drehung
der übrigen über ; die Enden schneidet er ebenfalls kurz ab. — Kann
man die Spaltenränder wegen Spannung nicht an einander bringen , so
macht man nach Dieffenbach auf jeder Seite der Spalte einen Schnitt
durch das Gaumensegel , wodurch zwei klaffende , ovale Oeffnungen ent-
stehen, die sich durch Granulation bald wieder schliessen. — Nicht selten
muss die Gaumennaht öfter wiederholt werden , bis eine Vereinigung er-
zielt wird.
2) Operation des Wolfsrachens. Der Wolfsrachen schliesst
sich nicht selten nach frühzeitig ausgeführter Operation einer oft gleich-
zeitig bestehenden Hasenscharte von selbst, was man durch häufig wieder-
holtes Zusammendrücken der beiden Oberkieferhälften , sowie durch Be-
streichen der Spaltenränder mit Cantharidentinctur unterstüzen kann. Er-
folgt die Schliessung der Spalte hierdurch nicht , so muss diese auf
operativem Wege zu bewirken gesucht werden , was man entweder blos
durch eine Verschiebung der Schleimbaut des weichen Gaumens oder aber
durch eine wirkliche knöcherne Vereinigung ins Werk sezt. Der Ver-
schluss durch die Schleimhaut allein , welchen man entweder durch eine
plastische Operation oder durch bloses Herbeiziehen aus der Nachbar-
schaft bewirken kann , blieb meist ohne Erfolg. Betreffs der knöchernen
Vereinigung hat Dieffenbach vorgeschlagen, nach vorheriger Durch-
schneidung des Schleimhautüberzuges den knöchernen Gaumen in paral-
leler Richtung mit dem Alveolarfortsaz, 3 — 4 Linien von diesem entfernt
der ganzen Länge nach von hinten nach vorn mit einer feinen Stichsäge
zu durchsägen und nach Auffrischung der Spaltränder die beweglich ge-
GAUMEN, DEFORMITAET DESS. 303
machten Hälften des knöchernen Gaumens mit Golddraht zusammenzu-
ziehen. Dieses Verfahren wurde von Wutzer und B ü h r i n g modifi-
cirt. Lezterer stiess ein spiziges , meisselartiges Messer vom Munde aus
mit einiger Gewalt durch das knöcherne Gaumengewölbe , trieb die hier-
durch entstandenen Lücken durch kleine Holzkeile auseinander und be-
wirkte hierdurch , sowie durch einen von einer Lücke zur andern geführ-
ten und in der Mundhöhle zusammengedrehten Draht die Annäherung der
Spaltränder. Bardeleben schlägt zur unblutigen Durchschneidung des
Gaumengewölbes den galvanokaustischen Apparat vor.
3) Operation erworbener Gaumendefecte. Kleine und
frische Substanzverluste können durch Cauterisation mit Aezmitteln zum
Verschlusse gebracht werden. Sind diese aber nur von einer einigermas-
sen grossen Ausdehnung , so sind sie nur auf operativem Wege zu besei-
tigen , die bei solchen im Gaumensegel entweder in der oben beschriebe-
nen Gaumennaht mit ausgiebigen Seitenschnitten, oder aber in einer Ueber-
pflanzung von Nachbartheilen auf die Oeffnnng (Palatoplastik) besteht.
Bei lezterer von Sedillot zu verschiedenen Malen ausgeführten Opera-
tion wurde das Gaumensegel zur Verschliessung des Defectes benuzt,
indem dieses in grösserer oder geringerer Ausdehnung eingeschnitten oder
an seinen Seitentheilen abgelöst wird. — Löcher im harten Gaumen kön-
nen nur durch die von Bühring angegebene Knochennaht zum Ver-
schlusse gebracht werden. OefFnungen , deren Verschliessung gar nicht
zu bewirken ist , verstopft man durch Obturatoren, z. B. den
D ie ff e nb a ch 'sehen , der aus elastischem Gummi besteht und zwei
Doppelscheiben, wie ein Hemdknopf, darstellt; besser sind die aus vulca-
nisirtem Gummi gefertigten , unter welchen besonders ein von C h a r -
riere angegebener Apparat zu nennen ist. Er besteht aus einer runden
Gaumenplatte und einem auf dieser befestigten viereckigen Kästchen, wel-
ches zwei bewegliche Seitenflügel und eine Achse hat , die in der Mitte
der Gaumenplatte etwas hervorspringt ; wird nun diese Achse mit einem
besonderen Schlüssel gedreht , so bewegen sich die genannten Flügel ab-
wärts und das Gaumengewölbe befindet sich zwischen der Gaumenplatte
und diesen Flügeln, damit die Vorrichtung befestigend.
Nach den Operationen am Gaumen ist die grösste Ruhe des operir-
ten Theiles nöthig ; deshalb ist alles Sprechen und Lachen , wo möglich
auch Husten, Niessen etc. zu vermeiden. Der Kopf muss vorwärts gebeugt
gehalten werden oder auf der Seite liegen , damit der Speichel aus dem
Munde abfliessen kann. Von Zeit zu Zeit wird der Mund vorsichtig mit
Wasser ausgespült; bei heftigem Durst lässt man kleine Stückchen Eis in
demselben zergehen. Hat man die Naht angewendet , so nimmt man die
Ligaturen zwischen dem 3 . und 5 . Tage, in welcher Zeit sie sich gewöhn-
lich locker zeigen, weg, indem man den Knoten derselben fasst, anzieht,
die Schleife mit der Hohlscheere durchschneidet und das Heft mit der
304 GEBAERMUTTERBEUGUNGEN.
Pincette sanft entfernt. Zur Befestigung der Narbe bepinselt man sie mit
Borax und Honig und lässt langsam Rothwein verschlucken. Kleine un-
vereinigt gebliebene Stellen sucht man durch Betupfen mit Höllenstein
etc. zur Vernarbung zu bringen ; nöthigenfalls legt man von Neuem ein
Heft an.
GrebärmutterbeUgUngen , Versiones uteri. Hierunter
versteht man Abweichungen dieses Organes von seiner normalen Stellung
in Bezug auf seine Achse. — Diese Abweichung kann entweder darin
bestehen , dass der Grund des Uterus nach der einen oder der anderen
Seite geneigt ist (S chie f 1 age) , oder derselbe sich dem Kreuzbein
nähert (Rückwärtsbeugung), oder aber gegen die Schambeine sich
richtet (Vorwärtsbeugung). Die erste der genannten Lageverände-
rungen erregt keine bedeutenden Zufälle und wird deshalb selten Gegen-
stand einer chirurgischen Behandlung ; von den beiden andern ist die erste
häufiger als die zweite und beide können in höherem oder geringerem
Grade bestehen. Von diesen eigentlichen Umkehrungen des Uterus ist
die Unibeugung dieses Organes, wobei die vordere oder hintere Wand
desselben eingebogen oder eingeknickt ist , die entgegengesezte aber im-
mer gewölbt erscheint, zu unterscheiden. Diese Abnormität, welche man,
je nachdem die vordere oder hintere Wand eingebogen ist, als Prona-
tio s. Antroflexio oder Supinatio s. Retroflexio uteri be-
zeichnet , kann angeboren oder erworben sein und entsteht im lezteren
Fall gewöhnlich im Wochenbette, nach Erschütterungen des Uterus durch
Niessen und Husten , nach dem Aufheben schwerer Lasten etc. Im
Uebrigen fällt sie in ihren Erscheinungen wie in der Behandlung mit der
Umkehrung zusammen, weshalb nur die leztere hier abgehandelt wird.
Bei der häufiger vorkommenden Rückwärtsbeugung, Retro-
ver s i o , weicht die Längenachse der Gebärmutter so von der Central-
linie des Beckens ab, dass sich der Grund der ersteren nach der Aushöh-
lung des Kreuzbeins senkt , während der Mutterhals nach vorn gegen die
Schambeinverbindung in die Höhe steigt. Die dadurch hervorgebrachten
Beschwerden sind nach dem Grade der Dislocation verschieden. Ist das
Uebel angeboren , so macht es sehr oft , ausser der Unfähigkeit zu em-
pfangen , gar keine Zufälle und wird daher im Leben auch nur selten er-
kannt ; ist es hingegen erworben , welches der Fall ebenso gut im nicht-
schwangern, wie im schwangeren Zustande der Gebärmutter sein kann, so
ist die Stuhl - und Urinausleerung in hohem Grade gehindert , manchmal
völlig unterdrückt; es entsteht heftiges, äusserst schmerzhaftes Drängen,
eine Schwere und Völle im Unterleibe, Aufgetriebenheit und Schmerzhaf-
tigkeit desselben , Neigung zum Erbrechen und wirkliches Erbrechen,
Kopfschmerzen , Schwindel , Fieber , grosse Unruhe , Anwandlungen von
Ohnmächten und selbst der Tod , wenn der Uterus nicht in seine Lage
GEBAERMUTTEREXSTIRI'ATTON. 305
reponirt wird. Bei menstruirten Frauen tritt an die Stelle der unregel-
niässigen Menstruation ein immer mehr überhand nehmender weisser Fluss,
welcher zulezt organische Veränderungen im Parenchym der Gebärmutter
hervorruft. Ist die Kranke zugleich schwanger , so treten vorher Kreuz-
schmerzen , Blutfluss und Abortus ein. Die Untersuchung durch die
Scheide lässt das Uebel leicht erkennen. — Bei der Vorwärtsbeu-
gung, Antroversio, ist derselbe Drang zum Urinlassen , ohne viel
Urin zu lassen : dabei Uebelkeit , starker Drang zum Stuhlgange ; später
stellt sich heftige Fieberaufregung , Neigung zum Erbrechen ein und die
Regio hypogastrica wird sehr empfindlich , die Regio pubis ist
bei Nichts ch wangern voller, bei Schwangern besteht ein Hängebauch. Bei
der Untersuchung findet man den Muttermund so hoch nach hinten aufge-
stiegen , dass er kaum zu erreichen ist. — Ursachen. Die p r ä d i s -
ponirenden sind vorzüglich ein weites , zu wenig oder zu stark incli-
nirtes Becken und grosse Schlaffheit der Theile , namentlich der Mutter-
bänder. Gelegenheitsursachen sind : die üble Gewohnheit , Koth
und Urin zu lange anzuhalten , Heben und Tragen zu schwerer Lasten,
Erschütterungen der Beckeneingeweide und das zu feste Binden des Un-
terleibes während der Schwangerschaft. In seltenen Fällen führen Dege-
nerationen des Uterus und seiner Umgebungen die Umkehrung herbei. —
Die Prognose richtet sich nach der Möglichkeit, die Ursachen zu ent-
fernen. — Behandlung. Vor Allem ist Blase und Mastdarm zu ent-
leeren. Ist dies geschehen , so tritt der Uterus bei der Retroversio
in der Seitenlage mit vorgebeugtem Oberleibe beinahe immer von selbst
allmälig in seine natürliche Lage zurück. Geschieht dies nicht , so geht
man mit zwei Fingern in die Scheide ein und drückt damit den Fundus
uteri auf sanfte Weise langsam in die Höhe. Ist der Uterus in seine
normale Lage getreten , so bringt man einen konisch geschnittenen
Schwamm nach hinten ein und lässt die Kranke unter Beibehaltung der
Seitenlage die grösste Ruhe beobachten. — Bei der Antroversio ver-
sucht man die Reposition in der Rückenlage der Kranken mit gehö-
rig erhöhtem Becken, indem man mit zwei Fingern der einen Hand in die
Scheide eingeht , und gleichzeitig mit der andern Hand den Fundus
uteri von den Schambeinen aus in die Höhe drückt. Nach erfolgter
Reposition muss die Kranke noch längere Zeit eine Rückenlage beobach-
ten. Entzündliche Zufälle werden mit Blutegeln, Emulsionen etc. behan-
delt , und erst wenn diese beseitigt sind , kann an die Reposition gedacht
werden. — Zuweilen muss diese durch Einlegen eines ringförmigen Mut-
terkranzes erhalten werden.
G-ebärmutterexstirpation , Exstirpatio uteri. Bei
dieser äusserst eingreifenden Operation wird der Uterus theilweise oder
gänzlich exstirpirt, und zwar geschieht dies bei einem zufälligen oder
künstlich bewirkten Vorfall desselben , oder ohne dass ein solcher vor-
Burger, Chirurgie. 20
306
GEBAERMUTTEREXST1RPATION.
handen ist. Die Operation wurde wegen Krebs , Brand und wegen veral-
teter Vorfälle und Umkehrungen gemacht. — Die partielle Ausrottung
wurde besonders von Dupuytren und Lisfranc cultivirt ; die Resul-
tate waren indessen von der Art , dass die Operation von dem Ersteren
wieder verlassen wurde , welche überhaupt nur einen sehr beschränkten
Eingang in die Praxis fand. Was nun vollends die Totalexstirpation" be-
trifft, so steht die Grösse ihrer Gefahren mit der Wahrscheinlichkeit ihrer
Heilsamkeit in einem allzu ungünstigen Verhältnisse. Es wird bei ihr das
Bauchfell verlezt und anderweitig insultirt ; leicht verwundet man Blase
und Rectum, die in Folge der Krankheit fester mit dem Uterus verbunden
sind ; es wird jedesmal die Bauchhöhle geöffnet, so dass in sie Luft ein-
tritt und die Därme prolabiren können ; ferner kommen starke, schwer zu
stillende Blutungen vor, sowohl aus Arterien, wie aus Venen, die gewöhn-
lich sehr erweitert und dadurch überdies zu gefahrvoller Entzündung dis-
ponirt sind ; endlich ist die Operation sehr schwierig auszuführen , wenn
nicht ein künstlicher Vorfall des Uterus bewirkt wird , der aber für sich
wieder mit Nachtheilen verbunden ist. So entstehen gewöhnlich nach der
Operation sehr rasch heftige Entzündung, Brand und andere Zufälle, die
schnell zum Tode führen ; manche Operirte sterben in wenig Stunden,
aufgerieben von dem heftigen Eingriff der Operation. Andererseits lässt
die Operation wegen der Natur des Gebärmutterkrebses fast noch weniger
als die Rrustamputation eine radicale Heilung hoffen, da das Uebel höchst
selten ein locales ist , auch die Entartung oft weiter sich erstreckt (auf
Blase, Mastdarm, Scheide), als man denkt. Dies beweisen die drei Fälle,
die zu Gunsten der Operation angeführt werden ; die betreffenden Frauen
überlebten zwar die Operation , starben aber sämmtlich noch vor Ablauf
eines Jahres unter Leiden, die denen des Krebses wenig nachstanden. Und
bei Prolapsus und Umstülpung des Uterus ist bis auf seltene Ausnahmen
dieses zu gefahrvolle Heilmittel nichts weniger als dringend nöthig, indem
die dadurch entstehenden Leiden durch ein zweckmässiges Verfahren oft
erträglich zu machen sind.
I. Partielle E x s tirpart ion. l.Act. Fixirung oder
Herabziehung der Vaginalportion. Oslander bewirkte ein
Herabsteigen der Vaginalportion mittels zweier Fadenschlingen , die er
mit krummen Nadeln durch diese zog , oder wenn sie gross tentheils zer-
stört war, so Hess er den Grund des Uterus durch die Hand eines Gehül-
fen herab drücken , fixirte den Muttermund mit dem linken Zeigefinger in
die Aushöhlung des Os. sacrum und steckte den Mittel- und Ringfinger
in die Gebärmutter. Die Franzosen bedienen sich zur Herabziehung und
Fixirung der Muzeux 'sehen oder R e c a m i e r 'sehen Hakenzange oder
mehrerer gerader oder krummer scharfer Haken , die durch ein zweiblät-
teriges Scheidenspeculum eingebracht werden. Ein starkes Herabziehen
des Uterus ist nicht räthlich. — 2. Act. Die Abschneidung der
Vaginalportion oder die Ausschneidung des Halses des Uterus kann
GEBAERMUTTEREXSTIRPATION. 307
mit dem gewöhnlichen, concaven, geknöpften Scalpell, oder mit einer lang-
griffigen C o o p e r 'sehen Scheere oder mit O s i a n d e r 's oder S a u t e r's
Scheere geschehen. Man übergibt das Fassungsinstrument einem Gehül-
fen , versichert sich mit dem linken Zeigefinger seiner Insertion an der
Vaginalportion , lässt es erheben und so den Uterus nach unten einen
Vorsprung bilden, bringt auf dem schon in der Scheide befindlichen Zeige-
finger das Messer an die Vaginalportion und drückt es von unten nach
oben durch dieselbe. Dies muss so hoch als möglich und in einem oder
zwei Zügen geschehen ; auch mit der Scheere wird von unten nach oben
geschnitten. Erstreckte sich die Krankheit hoch , so höhlte L i s f r a n c
mittels eines geraden , spizen Messers durch einen vordem und hintern
halbmondförmigen Schnitt einen Conus bis in den Uterus aus. Es wurden
zu dieser Operation eine Menge besonderer Instrumente erfunden (Hy-
sterotome oder Metrotome), die theils einfache , theils mit einem
Fassungsinstrumente verbundene Messer sind. Zu den ersteren gehört
Oslander 's, Palet ta 's, Dupuytren 's, Bellini 's Metrotom , zu
den lezteren (schnäpperartigen) C a r e 1 1 a 's Metrotom , H a t i n 's Utero-
tom, Colombat's, Mille's, Aronsohn's Hysterotom. Bei allen die-
sen Instrumenten wird eine schmerzhafte Erweiterung der Scheide erfor-
dert und sie nehmen entweder zu viel oder zu wenig weg. C h a s s a i g-
nac will hier auch einen E er as e ur (s. Abbinden) anwenden, wie
auch die galvano-kaustische Schneideschlinge (s. Electrotherapie)
wiederholt mit Nuzen hier angewendet wurde. — 3. Act. Stillung
der Blutung. Bei massiger Blutung bringt man einen mit Pulvis
stypticus bestreuten Badeschwamm ein oder man führt das einfache
Speculum von Eecamier an die blutende Stelle und drückt die in ihm
sich befindende Charpie durch den Stempel fest an die Wundfläche. Fin-
det eine arterielle Blutung statt, die sich durch den Tampon nicht stillen
lässt , so muss das Glüheisen durch das Speculum applicirt werden. —
Gegen etwa sich einstellende starke Nachblutungen tamponirt man in Ver-
bindung mit kalten Fomentationen. Der meist gefährlich werdenden Ent-
zündung der Gebärmutter und des Bauchfelles kommt man durch Ader-
lässe, Blutegel etc. zuvor. Nach eingetretener Eiterung macht man täglich
4 — 6 laue Wasserinjectionen und lässt täglich ein Bad nehmen ; später
sprizt man schwache Chlorkalksolutionen ein ; die Vernarbung erfolgt
dabei schnell, der Stumpf gestaltet sich zu einer Art von Muttermund, die
Menses erfolgen regelmässig und es können Schwangerschaft und Geburt
ohne Störung vor sich gehen.
II. Totale Exstirpation. a) Durch die Vagina und bei
nicht vorgefallenem Uterus. Mehrere haben als Voract das Mit-
telfleisch eingeschnitten , um die Hand leichter in die Scheide führen zu
können. l.Act. Fixirung oder Herabziehung der Gebär-
mutter. Um die Operation zu erleichtern, haben Struve u. A. zuerst
einen künstlichen Vorfall zu bewirken empfohlen , was aber nicht immer
20*
308 GEBAERMUTTEREXSTIRPATION.
möglich ist ; meistens muss man sich auf die Fixirung und Anziehung des
Uterus bei der Operation selbst beschränken. Dies kann entweder durch
Abwärts drücken des Uterus durch die Hand eines Gehülfen geschehen,
oder man benüzt dazu kreuzweis eingeführte Ligaturen oder verschiedene
Zangen, wie starke Polypen-, Knochen- oder Steinzangen, die besonders
hierzu construirte zerlegbare Zange von S t r u v e oder endlich scharfe
Haken oder Hakenzangen. — 2. Act. Trennung des Scheiden-
gewölbes von der Gebärmutter. Sauter schnitt mit einem
kurzschneidigen, langgestielten Scalpell den Scheidengrund 2 — 3 Linien
tief rund um die Vaginalportion ein und trennte dann längs zweier bis
zum Scheidengrund eingeführten Finger die Blase dicht vom Uterus mit
einer nach der Schneide gebogenen Scheere. Das Zellgewebe um den
Hals des Uterus kann auch mit den Fingern zerrissen werden. — 3. Act,
Trennung des Uterus von seinen Anhängen und dem
Bauchfelle. Sauter schnitt die vordere Bauchfellfalte mit der seit-
lich gekrümmten Scheere so ein , dass er zwei Finger in die Bauchhöhle
bringen konnte , trennte die Verbindung zwischen Uterus und Rectum,
hakte die Finger über die hinten noch anhängende Bauchfellfalte , zog
sie herab und trennte sie. Dann wurden die Finger hakenförmig auf die
eine Seitenverbindung gelegt und herabgezogen , das concave , stumpf-
spizige Messer an die Seite des Fundus angelegt und so die Seitenver-
bindung von oben nach unten bis gegen die Scheide hin getrennt und
dasselbe auf der andern Seite wiederholt. Zulezt wurde die an den beiden
unteren Seitentheilen noch am Uterus hängende Scheide vollends hart am
Uterus getrennt. Recamier u. A. schnürten vor der völligen Auslösung
des Uterus das runde Mutterband mit der Art. uterina mit einer Liga-
tur zusammen. D u b 1 e d will den Gebärmuttergrund schonen, weil er nie
krank sei, und durch seine Zurücklassung der Blutung aus den Eierstocks-
arterien, sowie dem Vorfall der Därme vorgebeugt werde. Er schnitt dem-
gemäss das Bauchfell vor und hinter dem Uterus ein , legte an die den
Fingern hinten und vorn zugänglichen breiten Bänder und zwar an das
untere Drittheil derselben eine , die Art. uterina einschliessende Ligatur,
trennte dann mit einer geraden Scheere diese Bänder am Uterus durch,
zog den Körper desselben nach aussen, schnitt den kranken Theil ab und
Hess den Grund mit den Trompeten zurück. — • 4. Act. Stillung der
Blutung und Vereinigung der Bauchwunde. Einige beschrän-
ken sich auf die Tamponade , Andere unterbinden die Mutterbänder mit
den Gefässen. — Bei dem vorgefallenen und umgestülpten
Uterus legte man uca den Hals desselben eine Ligatur und schnitt ihn
darunter mit einem Kreisschnitte weg. Man hat den Uterus auch abge-
bunden ; doch ist dies sehr schmerzhaft und kann leicht eine gefahrvolle
Entzündung zur Folge haben. — Bei blos vor ge f allenemUterus prä-
parirte Langenbeck die vorgetriebene Scheide von ihrer Verbindung
mit dem Uterus ab, trennte dann das Bauchfell von dem Uterus und löste
GEBAERMUTTERFIBROIDE. 309
diesen auf solche Weise bis an den Rand seines Grundes aus der Hülle
des Bauchfells , wo er ihn von diesem so abschnitt , dass noch ein kleines
Stück seiner Substanz hängen blieb. Den Beutel , welchen das Bauchfell
hernach bildete , füllte er nach Uinstechung der Gef ässe mit Charpie.
Recamier wendete mit Glück die Unterbindung an , nach welcher er
jedoch den Schnitt zur Ablösung des Uterus zu Hülfe nahm. Ohne Zwei-
fel Hesse sich hier mit Vortheil der Ecraseur von Chassaignac
anwenden. — b) Exstirpation von der Bauchhöhle aus. Diese
von Gutberiet vorgeschlagene , allgemein getadelte Operation wurde
von Langenbeck und D e 1 p e c h ausgeführt. Langenbeck durch-
schnitt die weisse Linie von der Schambeinfuge bis 2 Zoll unter dem
Nabel , Hess die Wundränder möglichst von einander ziehen , mit dem in
die Blase geführten Catheter deren Grund hervorheben, erhob das Bauch-
fell mit der Pincette hügelf örmig , schnitt es ein und erweiterte den
Schnitt auf der Hohlsonde und dann auf dem Finger. Nachdem er die
Därme aufwärts, die Blase abwärts hatte drücken lassen, zog er den Gebär-
muttergrund möglichst hervor, schnitt das rechte breite Mutterband durch,
zog diesen noch mehr hervor , schnitt die Scheide im Gesunden mit der
Scheere durch und trennte endlich das linke breite Mutterband. Die
Bauchwunde wurde vereinigt und in die Scheide ein Schwamm gelegt ;
der Ausgang war rasch tödtlich ; auch der Fall von D e 1 p e c h endete
unglücklich.
Gebärmutterfibroid (auch Steatom und Sarkom genannt)
kommt häufig vor. Es ist eine Fremdbildung von mehr oder weniger
rundlicher Form und faserig-elastischer, meist sehr fester Textur, die be-
sonders im Körper und Grunde des Uterus in der Substanz eingebettet ist.
Es ist gutartig und seine Nachtheile beschränken sich mit wenig Ausnah-
men auf die von demselben bewirkten mechanischen Einflüsse. Sie finden
sich in der Tiefe vom Peritonäalüberzug bis zur Schleimhaut. Die im
Innern sizenden zeigen Polypenform. Sie kommen von der Grösse eines
Stecknadelkopfes bis zu der eines Mannskopfes und darüber vor , so dass
sie ein Gewicht von 2 0 — 3 0 Pfund haben können; sie sind bald einzeln,
bald in Mehrzahl vorhanden: Nach dem Siz in der Substanz des Uterus
ragt diese Neubildung bald mehr in die Uterushöhle , bald mehr in das
Becken oder in die Bauchhöhle hinein. Diese oberflächlichen werden am
grössten. Wo sie liegen, bilden sie eine Höhle in der Substanz der Gebär-
mutter. Die grösseren Fibroide erheben den Uterus, die kleineren senken
ihn herab ; auch können sie denselben auf die eine oder die andere Seite
treiben , selbst eine Antro- oder Retroversio oder Knickung verursachen.
Die auswärts wachsenden können heftige Zufälle durch Zerrung und Com-
pression der Beckenorgane herbeiführen. Auf der Innenfläche bewirken
sie eine seröse oder eiterige Secretion und bei tiefem Size Blutungen. Sie
erweichen sich zuweilen ; andere Male findet in ihrem Innern eine Ablage-
310
GEBAEKMUTTEKKREBS.
rung von Kalk - oder Knochenplatten statt. Die inneren zerren zuweilen
die Schleimhaut des Uterus nach und bilden daraus einen dünnen Stiel,
an dem sie hängen. Auch die subperitonäalen können sich abschnüren.
Der erstere reisst zuweilen los und es findet so Naturheilung statt. —
Selten verjauchen oder vereitern sie spontan. In sehr seltenen Fällen ent-
halten sie im Innern Cysten. — Die Ursachen sind völlig unbekannt.
— Symptome. Die innern geben sich bei vorgeschrittenem Wachs-
thum durch wehenartige Schmerzen , Brennen in der Uterusgegend , Stö-
rungen der Catamenialfunction und eiterförmige Blenorrhoe der Gebär-
mutter zu erkennen. Liegt das Fibroid im Halse des Uterus , so bedingt
es Sterilität ; ausserdem ist die Conception nicht gehindert , doch erfolgt
meist vorzeitige Niederkunft , zuweilen Berstung der Gebärmutter. Dazu
kommen Störungen der Stuhlausleerung und der Harnsecretion , durch
Druck auf die Nerven Empfindungs - und Bewegungsstörungen der einen
oder der andern Extremität ; endlich gesellen sich zuweilen Peritonitis,
sowie Entzündung der Zellgewebslagen in der Beckenhöhle mit Abscess-
bildung hinzu. — Unterscheidung von fibrösen Polypen. Es ist
rund und überschreitet nie den Muttermund ; der Krebs sizt meist am
Cervicaltheile , die Umgegend ist krank ; Krankheiten der Ovarien klärt
eine genaue Untersuchung, die Anwendung der Utevussonde auf. — Pro-
gnose. Sie können lange Jahre ohne Nachtheile als nur die mechani-
schen bestehen , die aber zuweilen sehr beschwerlich und auch lebensge-
fährlich sind. — Behandlung. Eine Radier. lheilung gewährt nur ein
operatives Verfahren. Die Operation ist aber viel seltener anwendbar, als
z. B. bei den fibrösen Polypen ; sie ist nur bei nicht grossen ausführbar.
Man zieht es mit einem spizen Doppelhaken hervor , während Mastdarm
und Blase entleert und die Kranke in die Steinschnitfclage gebracht wird.
Der Muttermund muss gespalten werden, worauf man das Fibroid mit den
Fingern auslöst. Nach Umständen muss das untere Gebärmutversegment
in verschiedenen Richtungen eingeschnitten werden. Während des Vor-
ziehens des Tumors vollendet man seine Ausschälung mit den Fingern und
dem Messer. Die Blutung ist meist unbedeutend ; sie wird durch kalte
Injectionen gestillt. Die Operation ist immer sehr verlezend , langwierig
und schwierig. — Man hat auch die Entfernung derselben von der Becken-
höhle aus versucht, aber mit unglücklichem Erfolg. — Ist die Entfernung
nicht möglich , so ist man auf eine symptomatische Behandlung angewie-
sen. Das lästigste und gefährlichste Symptom ist die Metrorrhagie.
Tannin, essigsaures Blei, Opium, kalte Douche sind die Mittel dagegen.
Bei Anämie gibt man Eisenmittel, China, Ratanhia etc. Bei Dysmenorrhoe
zieht man allgemeine und örtliche Blutentziehungen , bei nervösem Zu-
stande Kataplasmen, Morphium in Gebrauch.
Gebärmutterkrebs, Scirrhus et Carcinoma uteri,
tritt fast stets an dem Halse dieses Organes , namentlich an der hintern
GEBAERMUTTERKREBS. 311
Lippe des Muttermundes und meistens als medullärer, selten als Faser-
krebs auf. — Symptome. Die Krankheit beginnt meistens mit Unregel-
mässigkeit der Menstruation, die Kranke fühlt eine lästige Schwere in der
Tiefe der Scheide, Druck im Kreuze, Drängen nach dem Damme, Ziehen
nach dem Verlaufe der Mutterbänder , dumpfe stechende Schmerzen im
Halse des Uterus , die sich allmälig steigern und auf die Weichen , den
Magen und bis in die Brüste erstrecken ; nicht selten zeigt sich Brennen
beim Urinlassen, Stuhlzwang; die Brüste werden voller, härter. Es stellt
sich ein saniöser oder blutiger Ausfluss ein , der sich allmälig in einen
scharfen, übelriechenden weissen Fluss mit Abgang dicker Schleimpfröpfe
verwandelt , auf den nicht selten Blutungen folgen. Dabei finden Ver-
dauungsstörungen , Unruhe , Schlaflosigkeit , Melancholie , Hysterie statt.
Bei der Untersuchung der Scheide findet man diese heiss , den Mutter-
mund tiefer stehend, geschwollen, höckerig, hart oder weich, gegen Druck
empfindlich , den Muttermund weiter und unregelmässig. Endlich wird
der Ausfluss anhaltend und bedeutender , er nimmt einen specifischen,
höchst stinkenden Geruch an ; die Jauche ist dünn , gräulichgelb oder
lederfarbig , und mit fauligen Flocken oder Blutklumpen vermischt ; an-
dere Male ist sie dick und grünlich gelb , immer aber sehr scharf, alle
Theile, mit denen sie in Berührung kommt, corrodirend. 'Die stechenden
und brennenden Kreuzschmerzen erreichen nun den höchsten Grad und
verlassen die Kranke nie, verhindern das Aufrechtstehen und Gehen. Die
Blutungen sind oft ausserordentlich profus. Das allgemeine Befinden
leidet in hohem Grade ; alle Erscheinungen der hektischen Consumtion
mit der charakteristischen bleifarbenen Gesichtsfarbe treten auf, und der
Tod erfolgt entweder in Folge der Blutungen, der Säfteentmischung oder
durch Wassersucht. — Bei der Untersuchung während des Lebens in den
späteren Perioden des Leidens findet man die Vaginalportion in einen
harten oder spongiösen, blumenkohl- oder morchelartigen Auswuchs ver-
wandelt , oder statt derselben fühlt man eine schwammige Excavation,
welche mit verschiedenartigen Auswüchsen be&ezt ist. Manchmal dringt
der Finger durch Oeffnungen in der vordem Wand der Scheide in die
Blase. — Bei der Section zeigt sich der Gebärmutterhals in einen
"blumenkohl ähnlichen , gef ausreichen , bläulich-grünlichen , halb faulenden
Auswuchs verwandelt oder ganz zerstört , und seine Stelle von einem
schwammigen Geschwüre eingenommen, das sich auf das Scheidengewölbe
erstreckt und manchmal auf den Mastdarm und. die Blase übergreift.
Die scirrhöse Degeneration erstreckt sich in der Regel nur 2 — 4 Linien
über die Geschwürsfläche und geht als schmuziggraue Infiltration in das
Gesunde über; der Grund der Gebärmutter ist meistens normal. — Ur-
sachen. Die grösste Disposition zu Gebärmutterkrebs findet sich zwi-
schen dem 40. und 50. Jahre, als der Zeit des Aufhörens der Menstrua-
tion; er kann sich indessen vom 2 0. — 7 0. Lebensjahre entwickeln. Ge-
legenheitsursachen sind : häufig und ungestüm ausgeübter Beischlaf, Abor-
312 GEBAERMUTTERKREBS.
tivmittel , Abortus , Nichtbefriedigung des aufgeregten Geschlechtstriebes,
Unterlassen des Selbststillens, stark nährende, erhizende Speisen und Ge-
tränke, Erkältungen, Gicht, Unterdrückung der Menstruation, des Trippers,
deprimirende Leidenschaften , mechanische Schädlichkeiten , wie schwere
Zangenentbindungen etc. — Die Dauer der Krankheit wechselt von eini-
gen Monaten bis 3 — 6 Jahren. — Behandlung. Von einer erfolg-
reichen pharmaceutischen Behandlung des Uebels kann nur die Rede sein,
so lange es sich noch nicht als krebsiges ausweist , sondern in gutartiger
Anschwellung , Verhärtung und Ulceration besteht. In diesen Fällen er-
weisen sich nüzlich : wiederholte Application von Blutegeln an die Scham-,
Damm-, After- und Kreuzgegend, blutige Schröpf köpfe an die Oberschen-
kel , Aderlass , Salzbäder , die aufsteigende Douche von kaltem und lauem
Wasser oder Alaunsolution, Molken, Abführmittel aus Tamarinden, Manna,
Tart. tartaris., Haller 's Sauer, Cicuta, Digitalis, Belladonna, Calen-
dula innerlich und äusserlich , z. B. Herb, calendul. pulv. , Ferri
oxydat. fusci, Ext. calend. ana 3j- M. f. cum mucil. gi ar ab.
q. s. pil. Nr. CX; co n sp. c. pu 1 v. cinn am. D. s. tägl. 3mal 3 — 6
Stück (Rust); Thierkohle, Jod, Merc. solub. Hahne m., Gold, Eisen,
daneben künstliche Geschwüre am Austritte des Nervus ischiadicus,
das Adelheids- und Kreuznacher Wasser und Behandlung einzelner Sym-
ptome. Ist es zur eigentlichen krebsigen Degeneration gekommen , so
besteht die Behandlung blos in der Entfernung des Entarteten durch das
Aezmittel oder das Messer, welchem Vorgehen aber sowohl die tiefe Lage
des Uterus als die Unmöglichkeit , die Grenzen der Degeneration zu be-
stimmen , viele Hindernisse bereiten. Wo auf die Operation verzichtet
wird, hat eine palliative Behandlung einzutreten. - Die Aezmittel passen
nur im Anfange der Krankheit oder bei oberflächlicher Ulceration. Re-
c a m i e r bediente sich des Höllensteins, Dupuytren des Aezsteins oder
des Mercur. nitrosus zum Aezen. Die Aezmittel werden mittels
Träger durch einen hohlen Mutterspiegel an die Vaginalportion 1 — 2
Minuten lang applicirt und alles Entartete in einen Brandschorf verwan-
delt , dann ein Bad und täglich einige Injectionen von lauem Wasser ge-
braucht, und nach 5, 8 — 12 Tagen wird die Aezung wiederholt. Reca-
mier, Lisfranc u. A. haben glückliche Erfolge mit der Aezung erzielt.
— Die Exstirpation des Uterus ist entweder partiell oder total. S. den
Art. Gebärmutter exstirpation. Die partielle Exstirpation soll
nur im Anfange der Krankheit , so lange der Krebs noch auf einen Theil
des Uterus beschränkt ist und keine Zeichen eines krebsigen Allgemein-
leidens vorhanden sind , gemacht werden. Die totale Exstirpation des
Uterus sezt eine so bedeutende Verwundung und gibt eine so geringe
Wahrscheinlichkeit ihrer Heilsamkeit, dass sie von der bei Weitem gröss-
ten Mehrzahl der Aerzte als unthunlich angesehen wird. — Die pallia-
tive Behandlung hat vorzüglich die Schmerzen zu lindern, den Gestank
zu vermindern und die Blutungen zu verhüten. In ersterer Absicht macht
GEBAERMUTTERPOLYPEN. 313
man Injectionen mit narkotischen Substanzen , von lauem Wasser, Blei-
wasser, Phosphorsäure (einige Tropfen auf dielnjection) ; innerlich dienen
Extr. belladonnae, Opium , besonders Morphium mit Arsenik oder
Blei , ferner Spirit. Minderer i. Zur Verminderung des Gestankes
lässt man Kalkwasser , Chlorkalksolution (5j auf giv Wasser) oder Holz-
essig (5j auf ^vj A q. s a 1 v i a e) einsprizen. Bei profusen Blutungen
gibt man innerlich Alaun , Alaunmolken , Schwefelsäure, phosphorsaures
Eisen mit Ratanhiaextract, und sprizt Bleiwasser ein.
Gebärmutterpolypen entwickeln sich entweder am Grunde
des Körpers oder an den Wandungen des Halses des Uterus. Sie können
als Schleim-, Fleisch- und fibröse Polypen auftreten , haben in der Regel
eine birnförmige Gestalt, einen dünnen langen Stiel und sind mit einer
glatten glänzenden Haut überzogen. Andere Male zeigen sie sich rund,
mit einer breiten Basis aufsizend, haben eine ungleiche, warzenartige, ge-
furchte Oberfläche, eine bald mehr weiche , schwammige, bald mehr feste
Structur und sind mit Höhlen versehen , welche verschiedene Massen ent-
halten. Sie können eine sehr bedeutende Grösse erreichen. — Die
Symptome, welche die Entwicklung eines Polypen in der Gebärmutter-
höhle andeuten, sind im, Anfange der Krankheit sehr zweideutig; so lange
das Gewächs sehr klein ist, verursacht es keine merkliche Störung in dem
Organe. In dem Masse aber , als der Polyp an Umfang zunimmt , be-
wirkt er üebelkeit, Neigung zum Erbrechen , Schwere und Ziehen in der
Lenden- und Kreuzgegend, Prickeln und Stechen in den Brüsten. Nach
und nach dehnt der Polyp die Wandungen des Uterus aus , die Vaginal-
portion fängt an sich zu verstreichen , wird dicker und härter und der
untere Abschnitt der Gebärmutter erscheint umfänglicher. Endlich öffnet
sich der Muttermund, es stellt sich ein einer Quittenabkochung ähnlicher
Ausfluss, manchmal eine heftige Blutung ein und der Polyp tritt entweder
allmälig oder plözlich unter wehenartigen Schmerzen und Drängen auf
die Geburtstheile durch den Muttermund heraus. Mit dem Eintritt des
Polypen in die Scheide nimmt er schneller an Umfang zu , verursacht
Druck auf die Blase und den Mastdarm , und daher Beschwerden bei der
Urin- und Stuhlausleerung , es stellen sich häufige und reichliche Ergüsse
eines verschiedentlich gefärbten, zuweilen sehr übelriechenden Blutes oder
auch einer schleimigen Flüssigkeit ein , wodurch die Kranke sehr entkräf-
tet wird. Endlich tritt der Polyp, indem er immer grösser wird, aus der
Scheide hervor und zeigt sich an der äussern Scham, zieht die Gebärmut-
ter nach sich und zerrt sie fortwährend, daher die Schmerzen in den Len-
den und dem Kreuze sich immer mehr steigern und sich ein anhaltendes
schmerzhaftes Ziehen und Spannen im Unterleibe einstellt ; zuweilen
kommt es zur Umstülpung des Uterus ; der Harn geht entweder unwill-
kürlich ab , oder wird mit grosser Schwierigkeit entleert. Die immer
häufiger sich einstellenden Blutungen bringen die Kranke herab, das Aus-
314 GEBAERMUTTERPOLYPEN.
sehen wird gelblich, die Respiration beschwerlich, es tritt Husten, Fieber
ein und der Tod erfolgt allmälig durch Schwächung der Kräfte oder plÖz-
lich durch Hämorrhagie. — So wie der aus der Scheide hervorgetretene
Polyp der Luft ausgesezt ist und von dem Harn bespült wird , entzündet
er sich und ulcerirt. — Entwickelte sich der Polyp auf dem Halse, näher
oder entfernter vom Muttermunde , so kann er früher entdeckt werden,
weil er sehr bald in die Scheide gelangt. In diesem Falle erregt er früher
Zufälle des Druckes auf die Blase und den Mastdarm , aber seltener Blu-
tungen. Das Gewicht des Polypen kann auch die Gebärmutter nach un-
ten ziehen , die Anschwellung ihrer Mündung und ihres Halses bewirken,
führt aber keine Umstülpung dieses Organes herbei. Die starke, anhal-
tende Reizung, welche der Uterus erleidet, kann eine krebsige Entartung
herbeiführen. — Diagnose. Schwangerschaft unterscheidet
sich von den Polypen durch ihren regelmässigen Verlauf, durch die Weich-
heit und Elasticität der Gebärmutter, durch die gewöhnliche Abwesenheit
der monatlichen Reinigung , die grössere und regelmässigere Ausdehnung
des Unterleibs, endlich durch die Kindsbewegungen. — Die Umstül-
pung der Gebärmutter zeigt , wenn sie unvollständig ist, die um-
gekehrte Form des Polypen , eine grössere Eröffnung des Muttermundes,
und eine bleibende Reposition ist möglich. Bei der vollkommenen Um-
stülpung zeigt der Uterus zwar dieselbe Form , wie der Polyp , allein den
umgestülpten Uterus umgibt oben der Muttermund in der Form einer
Falte , unter welcher man nicht eindringen kann ; auch ist dieser Theil
weich und die Umstülpung erfolgt gewöhnlich nach einer kurz vorher ge-
gangenen Geburt. — Der vorgefallene Uterus ist härter und em-
pfindlicher als ein Polyp, hat an seinem untern Theile eine tief eindrin-
gende Oeffhung , ist reponibel , zwischen Scheide und Uterus kann man
nicht tief eindringen und es fehlen die Blutungen. — Fungöse Aus-
wüchse sind die Folgen eines noch anderweitig erkrankten Uterus, was
sich durch Härte und Schmerzhaftigkeit bei der Berührung, so wie durch
unregelmässige Gestaltung des Muttermundes und Blutung bei der Be-
rührung zu erkennen gibt. — Scirrhöse Geschwülste charakteri-
siren sich durch grosse Härte und Ungleichheit der Geschwulst, durch ein
Gefühl von Brennen und Beissen, durch stechende und bohrende Schmer-
zen , durch einen copiösen , scharfen weissen Fluss und durch Abgang
schwarzer Blutcoagula. — Ursachen. Diese sind häufig unbekannt ;
man glaubt jedoch, dass sie durch Reizungen der Gebärmutter, schwierige
Geburten, zu häufigen Beischlaf, Onanie, Blenorrhagien etc. entstehen
können ; oft aber sieht man sie ohne alle erkennbaren Ursachen auftreten.
Gewöhnlich entwickeln sie sich zur Zeit des Aufhörens der Menstruation ;
jedoch beobachtet man sie auch bei jungen Personen, sehr selten bei al-
ten Weibern. — Prognose. Sie muss sich richten nach der Dauer
des Uebels und nach dem Grade , welchen dasselbe erreicht hat ; ferner
nach dem Size des Polypen , in wiefern dieser für die Operation leichter
GEBAERMUTTERPOLYPEN. 315
oder schwerer zugänglich ist, dann nach den übrigen, durch den Polypen
bereits veranlassten örtlichen Leiden, als Vorfälle der Gebärmutter , scir-
rhöse Entartungen derselben etc. , endlich nach dem allgemeinen Kräfte-
zustand. — Mutterpolypen hindern zwar nicht die Empf ängniss , verur-
sachen aber gewöhnlich Abortus ; doch kann die Schwangerschaft auch
ihr natürliches Ende erreichen. Operirte Uteruspolypen kehren nicht
leicht wieder. — Behandlung. Diese kann nur in der Entfernung
der Polypen durch eine Operation bestehen. Nur in seltenen Fällen hat
man in Folge der Zusammenschnürung des Polypen durch den Mutter-
mund ein Absterben und Abfallen desselben beobachtet. Die Entfernung
der Gebärmutterpolypen wird durch Abbinden und Abschneiden ins Werk
gesezt. Das Abreissen und die Zerstörung durch Aezmittel sind theils
wegen der nachgiebigen Beschaffenheit der Theile , in welchen der Polyp
wurzelt , theils wegen der Raumverhältnisse nicht wohl anwendbar. In-
dessen hat O'Grady die Aezung in der neuesten Zeit mittels einer
eigends hierzu construirten Zange , welche an ihren vorderen Enden in
einer Aushöhlung Höllen stein trägt, durch welchen der zwischen die Zan-
genlöffel gefasste Polyp zerstört wird , ausgeführt. Nach Abgang des
Polypen wird, um die Einwirkung des Aezmittels auf den Mund und Hals
der Gebärmutter zu verhindern , eine Lösung des kohlensauren oder Jod-
wasserstoffkali eingesprizt. — An die Operation der Gebärmutterpolypen
kann nur gedacht werden, wenn sie durch den Mutiermund in die Scheide
herabgetreten sind. Sollte der Muttermund nicht hinlänglich erweitert
sein, um die Instrumente zur Polypenwurzel führen zu können , so erwei-
tert man ihn mit Pressschwamm, und wenn Gefahr auf dem Verzug stünde,
so müsste man zur blutigen Erweiterung greifen. Sizt der Polyp hoch,
so kann man ihn mit einer passenden stumpfen oder Hakenzange sanft
und vorsichtig herabziehen. — Vor der Operation müssen wo möglich
Ursachen und Complicationen , z. B. Syphilis, so wie eine durch Blutver-
lust etc. entstandene Schwäche bekämpft , oder ein subinflammatorischer
Zustand des Uterus beseitigt werden. — 1) Unterbindung. Die
hauptsächlichsten Verfahrungsweisen bei dieser sind : a) man kann die
Ligatur um den Fuss des Polypen vermittels eines doppelten oder zweier
auf eine bewegliche Weise miteinander verbundener Cylinder legen und
sodann den Knoten mit diesen Cylindern zusammenziehen. Man kann
auf diese Verfahrungsweise den doppelten Cylinder und die Pincette von
L e b r e t , so wie alle an diesen Instrumenten von Keck, Lau gier,
Bullet, Contigli, Clarke angebrachten Modificationen beziehen ;
in die nämliche Kategorie kann man auch die Instrumente von David,
Klett, Löffler, Cullerier, Görz, Nissen und die von Jörg
und Meissner eingeführten Modificationen bringen ; b) die Faden-
schlinge kann um den Polypen mittels eines Schiingenträgers gelegt und
die Zusammenschnürung mit Hülfe eines einzigen Cylinders oder eines
Schlingenschnürers verrichtet werden. Diesem Verfahren gehören die
316 GEBAERMUTTERPOLYPEN.
Instrumente von Herbina ux, Stark, Desault und die von B i -
chat, Hunter, Gräfe u. A. angegebenen Modificationen an; c) die
Ligatur kann mittels Schiingenträger um die Wurzel des Polypen ange-
legt und durch Vorschieben kleiner Kugeln, durch welche die beiden En-
den der Ligatur gehen, zusammengeschnürt werden. Dieser Methode ge-
hören die (Rosenkranz-) Instrumente von Bouchet, Löffler und ihre
Modificationen durch Saut er, Ribke an. — Es genügt, von jeder die-
ser drei Verfahrungsarten nur eine näher anzugeben, zu welchem Zwecke
die erprobtesten ausgewählt werden; diese sind die Verfahren von Nis-
sen, Bichat-Desault und Ribke. — Vor der Operation entleert
man Blase und Mastdarm. Die Kranke wird auf ein Querbett oder einen
Tisch so gelagert , dass der Körper zwischen Sizen und Liegen die Mitte
hält, Schenkel und Beine seien massig gebogen, Damm und Kreuzgegend
frei. Man untersuche noch einmal genau, um sich von der Beschaffenheit
und dem Size des Polypen zu überzeugen ; die Anwendung eines Scheiden-
spiegels erweist sich hierbei von grossem Nuzen. — Nissen bediente
sich eines Instruments, welches aus zwei 12 Zoll langen, vorn gebogenen
Röhren besteht , deren eine an der Innenseite eine Rinne hat , in welche
die andere gelegt werden kann ; beide Rinnen werden durch 2 verschieb-
bare Doppelröhrchen , deren eines mit einem Stäbchen über die anein-
ander gelegten Röhren hinaufgeschoben, und deren zweites mit der Hand
angesteckt wird , vereinigt. Nachdem die Fadenenden in beide Röhren
eingebracht sind, legt man diese mit Fett bestrichen aneinander und führt
sie (ohne die Doppelröhrchen) behutsam auf 2 Fingern der einen Hand
wie ein Zangenblatt bis an die Polypenwurzel. Dann hält man die eine
Röhre fest und bewegt die andere um den Polypen herum , worauf man
sie wieder zusammenlegt und sie mit den Röhrchen schliesst. Hierauf
wird die Ligatur gehörig stark angezogen und verknüpft. Den Apparat
befestigt man an den Oberschenkel. — Zu dem B i c h at-D e s ault'-
schen Verfahren gebraucht man als Schiingenträger eine gebogene , sil-
berne, vorn offene, unten mit 2 Ringen versehene Röhre , und als Schlin-
genschnürer ein an seinem obern Ende geöhrtes Stäbchen, welches an
seiner Mitte auseinander schraubbar ist , damit statt der unteren Hälfte
ein kürzeres, mit einer Gabel versehenes Stück angeschraubt werden kann.
Man führt das eine Ende der Ligatur durch die Röhre und wickelt es um
ihren Ring, steckt das andere durch das Oehr des Schlingenschnürers,
wickelt es um dessen Gabel , zieht einen zweiten , anders als die Ligatur
gefärbten , zu einer Schlinge zusammengelegten Faden ebenfalls durch
den Schlingenschuürer , befestigt die freien Enden an dessen Gabel und
lässt die Schlinge in gleicher Länge mit ihm herabhängen. Nun fasst
man beide Instrumente zusammen , führt sie auf die angegebene Weise
zum Stiele des Polypen, löst dann die Ligatur vom Ringe der Röhre, hält
den Schlingenschnürer mit der linken Hand fest und geht mit der Röhre
rund um den Polypenstiel herum bis wieder zum Schlingenschnürer. Jezt
GEBAERMTJTTERPOLYPEN. 31 7
übergibt der Operateur den leztern einem Gehülfen , steckt das hintere
Ende der Röhre durch die Schlinge des farbigen Fadens , löst dessen
Enden am Schlingenschnürer , zieht sie an und lässt so die Schlinge an
der Röhre hinaufgleiten , die , an ihrem obern Ende angekommen , den
Faden in sich fasst und durch das Oehr des Schlingenschnürers hindurch-
gleitet. Man entfernt nun die Röhre , zieht die beiden Enden der Liga-
tur gehörig an , drängt den Schlingenschnürer gegen die Polypenwurzel,
schraubt, wenn er zu sehr hervorragt, das kürzere Endstück an, befestigt
die Enden an die Gabel und schraubt , um die Schlinge zu schnüren, den
Schlingenschnürer so weit auseinander, bis die Schlinge gehörig festliegt,
worauf man diesen über einer Compresse an den Oberschenkel befestigt.
— Ribke bedient sich zweier silberner, S förmig gebogener Röhren, die
an ihrem untern Ende durch ein Charnier und einen Stift vereinigt wer-
den können , am obern Ende gefenstert sind und daselbst einen vor- und
rückwärts schiebbaren Draht enthalten. Als Schlingenschnürer dient eine
Reihe elfenbeinerner Kugeln , die auf Schnurenden gereiht sind. Die
Enden werden an eine stählerne Stellwinde befestigt , auf der sie durch
das Umdrehen der Welle aufgerollt werden. Man führt die Schnur durch
das Fenster eines Schiingenführers doppelt ein und befestigt die Schlinge
durch Vorschieben des Drahtes in der Röhre, verfährt dann mit dem zwei-
ten Schiingenführer auf dieselbe Weise , zieht darauf die Schlinge zu,
schliesst das Instrument , fädelt die Kugeln auf die Fadenenden und be-
festigt ihr Ende um die Welle. Hierauf führt man auf dem beölten lin-
ken Zeigefinger die vorher beölten Schiingenführer, wie den Löffel einer
Geburtszange, bis zur Wurzel des Polypen, zieht alsdann den , beide Ge-
linder zusammenhaltenden Stift heraus , führt einen jeden derselben in
einem Halbzirkel um den Polypen herum, worauf man beide wieder anein-
ander legt und mittels des Stifts vereinigt. Man hält die Schiingenführer,
lässt von einem Gehülfen die Kugelreihe bis zur Wurzel des Polypen hin-
aufstreifen und die Ligatur auf die Welle winden , löst jeden Schiingen-
führer einzeln , indem man den Draht zurückzieht , so dass die Schlinge
frei wird und entfernt ihn und schnürt nun die Ligatur fest zu , bis ein
Gefühl von Druck, aber kein Schmerz entsteht. Die Stellwinde legt man
auf eine dicke Compresse auf den Schambug und befestigt sie mit einem
breiten Tuche. — Nach Anlegung der Ligatur bringt man die Kranke zu
Bette, lässt sie Ruhe beobachten und magere Kost führen. Jeden zwei-
ten Tag schnürt man die Ligatur fester zu. Fängt der Polyp an zu ver-
jauchen, so macht man Einsprizungen von aromatischen Aufgüssen und
Chlorkalklösung. Hat die Ligatur durchschnitten und der Polyp geht
nicht freiwillig ab, so zieht man ihn mit einer Polypen- oder Geburtszange
oder mit einem scharfen Haken hervor. — Chassaignac bedient sich
seines Ecraseur zur Abschnürung der Uteruspolypen (s. den Art.
Abbinden), Middeldorpf der Galvanocaustik (s. Electrothe-
rapie). — Entsteht nach der Unterbindung heftiger Schmerz oder
318 GEBAERMUTTERUM8TUELPUNG.
Krampf, so wendet man narkotische Mittel, besänftigende Klystiere etc.
an, und wenn dies nicht bald hilft, so lasst man die Ligatur nach. Ent-
zündungen des Uterus und der Unterleibsorgane fordern neben der An-
wendung antiphlogistischer Mittel die Lüftung oder Entfernung der Liga-
tur ; bei eintretender Blutung schnüre man die Ligatur fester. Urinver-
haltung beseitigt der Catheter. Löst sich der Polyp nicht, stirbt er nicht
ab , so schliesst die Ligatur nicht , oder der Stiel ist sehnig ; in diesem
Falle zieht man ihn vor und schneidet ihn ab. — 2) Abschneiden.
Dies verdient im Allgemeinen den Vorzug und ist nur contraindicirt a)
wenn der Polyp mit einer breiten Basis aufsizt ; b) wenn seine Wurzel
weder zu erreichen, noch zugänglich zu machen ist; c) wenn frühere Blu-
tungen die Kranke schon sehr geschwächt haben und besondere Umstände
eine stärkere Blutung beim Schnitte befürchten lassen. Zum Abschneiden
bedient man sich einer S förmig gebogenen Scheere mit langen Griffen
mit abgerundeten Spizen oder auch einer über die Fläche gebogenen
Scheere, welche man an zwei beölten Fingern an die Wurzel des Polypen
leitet und diese damit abschneidet. Langgestielte Polypen kann man an
ihrem Stiele unterbinden und dann vor der Ligatur abschneiden. Bei
einem vorhandenen Prolapsus oder einer Inversion des Uterus schneidet
man den Polypen ohne Weiteres mit einer Scheere*oder einem Messer ab,
worauf man den Uterus reponirt. Bei entstehender heftiger Blutung
bringt man , wenn der Polyp an der Vaginalportion sass , Charpiebäusche
mit styptischen Mitteln, beim Size in der Gebärmutterhöhle Einsprizungen
von kaltem Wasser oder einer styptischen Flüssigkeit , kalte Umschläge
auf den Bauch etc. an.
GebärmutterrheumatismUS gibt sich durch reissende , zie-
hende Schmerzen im Becken, die nicht vom Kreuzbeine ausgehen, sondern
dem Laufe der runden Mutterbänder folgen , öftere Schmerzen im Ober-
schenkel, wiederholte Blutungen, die stossweise erfolgen und durch Säuren
nicht gemässigt , von Kälte vermehrt werden , zu erkennen. Fieber ist
selten damit verbunden. — Behandlung. Warme Fomentationen
auf den Unterleib, warme Bäder, innerlich P u 1 v. D o w e r i. Bei länge-
rer Dauer der Krankheit Einreibungen mit Liniment, volat. , Ungt.
Autenrieth., Sinapismen, warme Bekleidung.
GebärmutterumstÜlpung, Inversio uteri. Man ver-
steht hierunter ein Herabsinken des Grundes und Körpers des Uterus
durch den geöffneten Muttermund , so dass in den höheren Graden die
innere Fläche dieses Organs zur äussern wird. Je nach dem Grade die-
ser Umkehrung unterscheidet man eine unvollkommene und vollkommene
Umstülpung. Bei der unvollkommenen, Inversio uteri in-
completa, findet man den Muttermund rund geöffnet und aus dem-
selben einen elastischen , glatten , gewölbten Körper hervorragen , neben
welchem die Fingerspize in den Mutterhals gelangt , ringsum aber nur
GEBAERMUTTERUMSTUELPUNG. 319
eine ringförmige Vertiefung entdeckt. Dabei fühlt die Kranke aber
wehenartige Schmerzen und hat einen ungewöhnlichen Blutabgang. Bei
der vollständigen Uinstiilpung, Inversio uteri completa,
ist die Gebärmutter völlig umgekehrt , und zeigt sich als ein glatter, ela-
stischer , birnförmiger Körper , der in seiner Mitte keine Oeffnung hat,
zwischen oder vor den Schamlefzen. Die Blutungen sind dabei sehr
stark, die Kranke fühlt ein lästiges Ziehen in den Leisten , Schmerzen in
der Kreuz- und Lendengegeml. Diese Symptome sind von Uebelkeit,
Ohnmächten, Convulsionen besätet, die gewöhnlich abnehmen , wenn
man die Gebärmutter in die Sein i de zurückdrückt. Durch den Zutritt
der Luft, die Berührung der Kleidungsstücke und die Benezung mit Urin
tritt gern Entzündung , Ulceration der Oberfläche des Uterus und selbst
Brand ein: — Diagnose. Die Unterscheidung der Umstülpung von
einem Polypen ist schwierig. Man beachte hier folgende Umstände. Bei
der Umkehrung kann man an ihrem obern Ende nur eine rinnen-
f örmige Vertiefung entdecken , bei dem Polypen aber mit dem Finger
oder einer Sonde in die Höhle des Uterus gelangen ; der umgekehrte
Uterus fühlt sich an seinem oberen Theile , weil er hohl ist, weicher und
nachgiebiger an , als ein Polyp ; ist die Umstülpung unvollständig, so ist
das prolabirte Stück unten schmäler als oben , was sich bei dem Polypen
umgekehrt verhält ; endlich wächst der Polyp , einmal durch den Mutter-
mund hindurchgetreten, auffallend schnell. — Ursachen. Sie sind bei
vorhandener Laxität des Uterus oder bei übermässiger Ausdehnung des-
selben übereilte Geburten bei weitem Becken , besonders in aufrechter
Stellung der Kreissenden , zu kurze Nabelschnur, bedeutende Umschlin-
gung derselben , während die Frucht schnell ausgestossen wird , und be-
sonders unvorsichtiges Anziehen der Nabelschnur bei noch nicht gehörig-
gelöster Placenta. — Behandlung. Die frische Umkehrung reponirt
man ungesäumt , um der schnell eintretenden Entzündung zu begegnen.
In horizontaler Lage und bei erhöhtem Becken schiebt man bei unvoll-
kommener Umstülpung den Grund der Gebärmutter mit den conisch zu-
sammengelegten Fingern wieder durch den Muttermund zurück, bei voll-
ständiger Umkehrung drückt man den Grund der Gebärmutter mit der
ganzen Hand zusammen und schiebt ihn nach der Führungslinie des
Beckens in die Höhe. In schwierigen Fällen kann man den Uterus zu-
nächst am Muttermunde und dann erst den Fundus zurückzudrücken ver-
suchen. Hindert eine krampfhafte Zusammenschnürung des Muttermun-
des die Reposition , so bestreicht man den Vorfall mit erwärmtem Hyos-
cyamusöl , legt einen in Hyoscyamusabkochung oder Chamilleninfus ge-
tauchten Schwamm auf denselben , was man Öfters wiederholt, und gibt
innerlich starke Gaben Opiumtinktur. Lässt dann der Krampf nach , so
macht man die Reposition. Sizt der Mutterkuchen noch an der umge-
stülpten Partie , so reponirt man ihn der entstehenden , oft gefährlichen
Blutungen wegen mit und entfernt ihn nur dann vorher, wenn er nur noch
320 GEBAERMUTTERVERSCHLIESSUNG.
wenig anhängt. Geschah die Umkehrung durch einen Polypen , so ent-
fernt man denselben vor der Reposition. Sollte Entzündung einen Auf-
schub der Reposition nöthig machen, so verfahre man erst antiphlogistisch.
Die Repositionsversuche dürfen nie zu gewaltsam sein und zu lange fort-
gesezt werden ; man wiederhole sie lieber in angemessenen Pausen. Ist
die Reposition gelungen, so lasse man die Hand noch einige Augenblicke
in der Höhle des Uterus liegen, um Contractionen hervorzurufen, und bis
die etwa noch nicht abgegangene Nachgeburt sich ablöst. Dann beob-
achte die Kranke eine ruhige Rückenlage und vermeide jede Anstrengung.
Ist die Reposition aber in keiner Weise möglich, so verhüte man die Ent-
zündung und versuche später die Einlegung eines Mutterkranzes. Ist
der Uterus in einem Zustande von krebshafter Entartung , so wird dessen
Entfernung durch die Ligatur allein oder mit nachfolgender Ablösung
durch das Messer angezeigt.
Gebärmutterverengerung u n d v e r s c h 1 i e s s u n g. Die
Verschliessung der Gebärmutter , A t r e s i a u t e r i , welche immer
im Muttermund sizt, kann angeboren, oder nach Verlezungen, besonders
bei schweren Entbindungen entstanden sein , und sie besteht dann ent-
weder in einer wirklichen parenchymatösen Verwachsung des Muttermun-
des , oder blos in einer häutigen Verschliessung desselben. Im unge-
schwängerten Zustande gibt sich der krankhafte Zustand durch die Er-
scheinungen der Zurückhaltung des Menstrualbluts zu erkennen , ist aber
Schwangerschaft zugegen , so bedingt er Zufälle , welche auf eine durch
mechanische Veranlassungen zurückgehaltene Geburt schliessen lassen.
— Im ersten Falle treten allmonatlich die Beschwerden der Menstruation
ein, ohne dass Blutabgang erfolgt, der Unterleib dehnt sich allmälig aus,
der Leib schwillt an. Bei der Untersuchung findet man die Scheide
ganz frei , dagegen hat sich die ausgedehnte Gebärmutter in die Becken-
höhle herabgesenkt. Ist der Muttermund durch eine Membran verschlos-
sen, so dehnt sich diese oft sackförmig aus und drängt sich hervor. Die
Verschliessung des äussern Muttermundes erkennt man mit dem Finger,
die des innern durch eine Sonde. — Zur Beseitigung dieses Uebels ist
eine Operation nöthig , die je nach dem Size der Verschliessung etwas
verschieden sein muss. Ist die äussere Oeffnung des Muttermundes ver-
schlossen, so bringt man den linken Zeigefinger an die Stelle, welche ge-
öffnet werden soll, und führt auf demselben einen gekrümmten Troicart,
das Pharyngotom oder Osiander's Hysterotom , nach Dieffenbach
auch eine Scheere ein und durchstösst die Membran, die den Muttermund
verschliesst. Ist aber der Kanal des Mutterhalses oder der innere Mutter-
mund verwachsen , so sticht man mit dem Pharyngotom oder Hysterotom
an der zu eröffnenden Stelle vorsichtig ein , und erweitert , wenn man in
die Gebärmutterhöhle eingedrungen ist, die Oeffnung mit einem geknöpf-
ten Bistouri nach der Richtung des Kanals. Die Wiederverwachsung
GEBAERMUTTERVORFALL. 321
hindert man durch eingelegte Charpiewieken , biegsame Bougies oder
Darmsaiten. Die in der Regel eintretenden heftigen entzündlichen Zu-
fälle müssen durch streng antiphlogistisches Verfahren bekämpft werden.
— Ist der Muttermund während der Schwangerschaft verwachsen oder
durch Verhärtung oder scirrhöse Entartung so verändert , dass er durch
die Wehen nicht eröffnet werden kann , vielmehr der ganze untere Ab-
schnitt der Gebärmutter so herabgetrieben , dass eine Zerreissung zu be-
fürchten steht , so schneidet man die vorliegende Wandung nach beliebi-
ger Richtung ein (Scheidenkaiserschnitt, Hysterotomia
vaginalis). — Die Verengerung der Gebärmutter kommt eben-
falls angeboren wie erworben vor. Der gewöhnliche Siz der Verengerung
ist der Vaginaltheil des Uterus und die nächste Veranlassung derselben
ein hier stattgefundener Entzündungsprocess, hervorgerufen durch schwere
Entbindungen, Störungen in der Menstruation, geschlechtliche Ausschwei-
fungen, unzeitig gebrauchte Emmenagoga etc. Ist die Verengerung nicht
bedeutend , so erzeugt sie ausser einigen schmerzhaften Empfindungen
während der Menstruation keine Symptome , im entgegengesezten Falle
aber die oben bei der Verschliessung der Gebärmutter angegebenen Be-
schwerden. Findet Schwangerschaft statt , so macht die Verengerung
sich hauptsächlich zu Ende derselben , wo sich der Gebärmutterhals ver-
streichen und erweitern soll , in ihren Folgen geltend. Bei der Unter-
suchung findet man dann lezteren oftmals so verengt , dass er kaum eine
gewöhnliche Knopfsonde durchlässt und dabei die Schleimhaut von cal-
löser, cartilaginöser Beschaffenheit. Vor einer Verwechslung der Ver-
engerung mit scirrhöser Entartung des Vaginaltheils wird den vorsichtigen
Arzt die grössere Empfindlichkeit des lezteren und die ihn bisweilen
durchfahrenden stechenden Schmerzen auch ausser der Menstruations-
und Schwangerschaftszeit schüzen. Wo leztgenannte Verhältnisse nicht
bestehen, erregt die Verengerung gar keine Zufälle, deshalb ist aber auch
ihr Dasein nach bereits erloschenem Uterinleben eine ganz gleichgültige
Erscheinung. — Zur Beseitigung der Verengerung trägt nicht selten eine
entstandene Schwangerschaft vermöge des reger gewordenen Uterinlebens
das Meiste bei ; wo dies aber nicht der Fall war , und die Geburtswehen
nicht im Stande sind, die zum Durchgang des Kindes nöthige Erweiterung
des Muttermundes zu bewerkstelligen, reicht auch ebenso oft die Anwen-
dung eines Dilatators nicht aus, sondern man muss die Verengerung nach
mehreren Seiten hin behutsam einschneiden, um bei kräftiger werdenden
Wehen einer Ruptur des Uterus vorzubeugen. Erkennt man ausser der
Zeit des Gebarens die Verengerung , so sind Bougies , Darmsaiten , der
Pressschwamm , elastische mit Wasser oder Luft anzufüllende Röhren die
gewöhnlichen Erweiterungsmittel.
GebärmutterVOrfall, Prolapsus uteri, heisst das Herab-
sinken der Gebärmutter in die Scheide bei unveränderter Richtung ihrer
Burger, Chirurgie. 21
322 GEBAERMUTTERVORFALL.
Längenachse. — Man unterscheidet einen unvollkommenen oder
vollkommenen Vorfall , je nachdem der Uterus nur bis an den Ein-
gang der Scheide oder bis zwischen oder vor die Schamlefzen tritt. Mit
dem Vorfall kann zugleich eine Umstülpung der Gebärmutter verbunden
sein (Prolapsus uteri cum inversione). — Bei dem unvoll-
kommenen Vorfalle ist die Scheide verkürzt, die Scheidenportion
des Uterus erscheint länger und 'wird als eine birnförmige Geschwulst
leicht gefühlt und mit dem untersuchenden Finger umgangen ; an dem
untersten Theil dieser Geschwulst fühlt man den querlaufenden Mutter-
mund. Dabei klagt die Kranke über Kreuz- und Lendenschmerzen,
Druck in der Scheide, Drang zum Stuhlgang und Uriniren, oder aber ge-
hinderten Urinabfluss. Zugleich leidet sie gewöhnlich an Leucorrhoe
und zuweilen an Blutflüssen. Während der Menstruation und im Stehen
sind die Beschwerden stärker, als im Liegen und ausser der Menstruation.
— Beim vollkommenen Vorfalle liegt der untere Theil des Ute-
rus zwischen den Schamlefzen oder vor denselben als eine halbkugelför-
mige oder cylindrische , unten schmälere , mit Schleimhaut überzogene
Geschwulst, an welcher man den Muttermund wahrnimmt. Rings um die
Geschwulst fühlt man eine Falte als Eingang in die mit nach unten ge-
zogene und umgestülpte Scheide , in welche Umstülpung sich Unterleibs-
eingeweide senken können, so dass der Bauch dünner erscheint. Durch
den Zutritt der Luft , die Einwirkung des Druckes beim Sizen und die
Benezung mit Urin wird die Oberfläche der vorgefallenen Theile entzün-
det , ulcerirt , selbst brandig oder auch mit derber Haut überzogen. Zu
diesen örtlichen Veränderungen treten ausser den bei dem unvoll-
kommenen Vorfalle angegebenen Erscheinungen oft Uebelkeit, Krämpfe
und Ohnmächten. — Die Muttermundöffnung lässt die Art des Leidens
zur Genüge erkennen. — Ursachen. Eine Prädisposition geben Er-
schlaffung der Befestigungen des Uterus durch öftere Schwangerschaften,
Schleim- und Blutflüsse und andere schwächende Krankheiten. Gelegen-
heitsursachen sind: heftige Anstrengungen beim Heben, Drängen, Husten,
zu frühes Aufstehen aus dem Wochenbette etc. Ausserdem können
Krankheiten der Eingeweide mit Ansammlung der Fäces etc. und Ge-
schwülste im Unterleibe oder an der Gebärmutter durch Druck oder
Schwere die Vorfälle bedingen. Die Prognose ist nicht schlecht, wenn
die Ursachen des Vorfalls beseitigt werden können und das Uebel noch
keinen bedeutenden Grad erreicht hat , andernfalls ist sie nicht günstig.
— Behandlung. Ein noch nicht weit gediehener Vorfall tritt ge-
wöhnlich bei horizontaler Rückenlage der Kranken von selbst zurück.
Geschieht dieses nicht , so schiebt man ihn nach vorausgeschickter Ent-
leerung der Blase und des Mastdarms mit den Fingern nach der Achse
des Beckens zurück , was am besten Morgens früh gelingt. Man lässt
hierauf die Kranke mehrere Wochen eine Rückenlage beobachten und
verbietet ihr alles Drängen u. dgl. Zugleich wendet man örtlich und
GEBAERMUTTERVOEFALL. 323
nilgemein stärkende Mittel an , wie flüchtige Einreibungen in den Unter-
leib , bringt Schwämme mit zusammenziehenden Mitteln , wie D e c o c t.
quere us, tormentillae, ratanhiae, gallarum turcicarum
etc. mit Zusaz von Alaun , Rothwein angefeuchtet in die Scheide , macht
Einsprizungen damit, lässt Lohbäder gebrauchen etc. ; innerlich gibt man
Gentiana, Quassia, Trifolium, China, Eisenmittel. — Ist der
Uterus vollständig vorgefallen , so lässt man der Reposition eine Vorkur
vorangehen, wenn sie nicht leicht ausgeführt werden kann und die Theile
ausserdem geschwollen und entzündet sind. Man wende warme Bäder,
erweichende Umschläge, innerlich kühlende Mittel bei schmaler Kost und
Rückenlage mehrere Tage oder Wochen an, nehme örtliche und selbst all-
gemeine Blutentleerungen vor , ehe man die Reposition wieder versucht,
die nun aber gewöhnlich leicht zu bewerkstelligen ist. Zur Retention
wendet man dann , da in den meisten Fällen eine radicale Heilung nicht
zu hoffen ist , entweder walzenförmig zugeschnittene Schwämme, die mit
einer T Binde zurückgehalten werden oder noch besser die Mutterkränze
( s. diesen Art.) an. P a u 1 y bedient sich zweier kleinen runden Kaut-
sekukpessarien von 2- — 2^/2 Zoll im Durchmesser, die nach einander ein-
gelegt werden, so dass eines das andere trägt : das obere Pessarium hält
den Uterus in seiner normalen Lage fest, das untere fixirt sich gegen den
Scheideneingang hin, da es hier als dem engsten Theil der Scheide , troz
seines kleinen Umfanges, Widerhalt findet. Nach 3 — 5 Wochen soll sich
in der Regel keine Spur mehr von dem Vorfall zeigen , wenn man die
Pessarien wegnimmt. Dies soll seinen Grund darin haben, dass die Scheide
durch die fremden Körper in ihrem ganzen Umfange in einen leichten
Grad von Entzündung versezt , hierdurch die Contractilität der Scheide
eines Theils gesteigert, dann aber auch die Spannkraft aller den Uterus
umgebenden Theile vermehrt werde. Ein längeres Liegenlassen der Pes-
sarien würde nachtheilig wirken. — Vermögen die Mutterkränze den
Vorfall nicht zurückzuhalten oder werden sie nicht ertragen , so besteht
die einzige Hülfe in der Herbeiführung einer organischen Verengerung
der Scheide mit oder ohne Excision ihrer Wandung mittels der Naht,
E 1 y t r o r 1- ha p h i a (s. diesen Artikel), Colpodesmorrhaphia, oder
mittels Zängelchen , oder durch Vereinigung der Schamlefzen mittels der
Naht, Episiorrhaphia (s. diesen Artikel) oder durch einen eingeheilten
Ring. — Die Colpodesmorrhaphie wurde von B e 1 1 i n i bei einem
Scheidenvorfall ausgeführt und zur Verengerung der Scheide bei Mutter-
vorfall empfohlen ; er fasste das obere Segment der nach aussen getrie-
benen Scheide mit einer Hakenzange , umstach diesen Theil in Hufeisen-
form mit einer krummen Nadel und schnürte ihn durch Anziehen der
Fadenenden zusammen ; nach 1 0 Tagen fiel der brandiggewordene Theil
der Scheidenschleimhaut ab und als die danach zurückgebliebene eiternde
Stelle vernarbt war, war der Vorfall geheilt. — Desgranges empfiehlt
die Einsezung möglichst vieler Klemmerchen in die Falten der Sch'eiden-
21*
324
GEBAERMÜTTERWASSERSUCHT.
wandung , wodurch diese comprimirt und in Entzündung und Verschwä-
rung versezt werden, worauf die Instrumente (in 5 — 10 Tagen) abfallen.
Die Application derselben niuss 8 — 10 Male wiederholt werden; die Be-
handlung dauert 2 — 3 Monate. — Zum Zusammenhalten der Schamlefzen
durch einen Ring bedient man sich eines solchen mit einem Charnier,
ähnlich einem Ohrring , der durch den untern Theil der Schamlefzen ein-
gezogen und geschlossen wird. — Ausser den genannten Verfahren wurde
ferner die Scarification und die Cauterisation der Scheidenschleimhaut
(mit dem Glüheisen), jedoch ohne wesentlichen Erfolg, in Anwendung ge-
bracht. — Wird die Operation versagt oder ist der Prolapsus nicht zu-
rückzubringen , so bleibt nichts übrig , als einen Tragbeutel anzulegen.
Wird der vorgefallene Uterus krebsig , so soll man ihn durch die Ligatur
oder den Schnitt wegnehmen.
GebärmutterwaSSerSUCht, Hydrometra (von vSooq,
Wasser und fjrjTQa , Gebärmutter) , Hydrops uteri, uterinus, ist
eine Ansammlung hydropischer Flüssigkeit im Uterus und kommt in der
Schwangerschaft und ausser dieser vor. Hier wird nur von der lezteren
die Rede sein. Das Wasser befindet sich entweder frei in der Höhle
der Gebärmutter (Hydrometra ascitica, Ascites uterinus)
oder es sind Hydatiden im Uterus (Hydrometra cystica, vesicu-
laris, hydatica). Symptome; Ausbleiben der Menstruation,
statt derselben tritt Leucorrhoe ein ; dieses Zeichen fehlt fast nie bei
Hydrometra ascitica, häufig aber bei H. cystica. Späterhin
bildet sich über den Schambeinen eine Geschwulst , ganz in der Gestalt
des Uterus, die allmälig zunimmt, gegen den Nabel hinaufsteigt und sich
oft über den ganzen Unterleib verbreitet. Bei Hydrometra asci-
tica, nicht aber bei H. cystica zeigt diese Geschwulst bei genauer
Untersuchung oft deutliche Fluctuation, welche auch die Exploration kund
gibt , wo sie hinter der fast ganz verstrichenen Vaginalportion des ge-
schlossenen, nicht in die Höhe gestiegenen Muttermundes am deutlichsten
wahrzunehmen ist. Die Vagina ist kalt, die Portio vaginalis weich,
teigig. Dabei zeigt sich ein Gefühl von Druck , Schwere im Unterleib,
eine Empfindung, als wolle der Uterus vorfallen, bei Hydrops asciti-
c u s stellt sich ein periodischer Ausfluss des angesammelten Wassers mit
Erleichterung der Beschwerden ein , dem indessen spasmodische Zufälle
und wehenartige Schmerzen vorhergehen. Dazu ödematöses Anschwellen
der untern Extremitäten , verminderte Harnsecretion. Später gesellen
sich secundäre Zufälle hinzu, wie Spannung im Unterleibe, in der Kreuz-
und Lendengegend, Dispnoe, Asthma, Mangel an Appetit, Verstopfung,
Tympanitis, zuweilen stinkende Durchfälle, Strangurie , Dysurie , kachec-
tisches Aussehen , allgemeine Abmagerung , hectisches Fieber, colliquati-
sche Schweisse undzulezt der Tod durch Erschöpfung. — Die Diagnose
ist nicht leicht, da sowohl Schwangerschaft als Hydrops abdominis
GEBAERMUTTERWASSERSUCHT. 325
ähnliche Zeichen haben. Von der 8 chwang er s ch aft unterscheidet
sich das Uebel durch folgende Merkmale: 1) die Krankheit kommt nicht
selten in Lebensperioden vor , wo keine Conceptionsthätigkeit mehr statt-
findet; 2) die Geschwulst des Unterleibs wachst schneller als in der
Schwangerschaft ; sie ist weniger hart , weniger warm, mehr elastisch als
der schwangere Uterus ; 3) es fehlen die gewöhnlichen Erscheinungen,
welche in den ersten Schwangerschaftmonaten sich einzustellen pflegen ;
dieses Zeichen gilt aber nichts bei Hydrometra cystica; 4) die
Scheide fühlt sich kalt an, die Vaginalportion ist weicher, matschiger und
verstreicht sich früher als in der Schwangerschaft ; das untere Segment
des Uterus ist gespannt, gewölbt, man fühlt hinter demselben keinen har-
ten Körper (Kindstheile), keinen Fötalherzschlag, wohl aber Fluctuation ;
5) das Uebel hat häufig schon im 6. Monate seine Höhe erreicht und es
tritt allgemeine Wassersucht hinzu, in andern Fällen dauert es weit über
den gewöhnlichen Termin der Schwangerschaft; 6) nicht selten erscheint
bei Hydrometra in den ersten Monaten noch die Menstruation, und mit
ihr zugleich oder ohne sie geht die hydropische Flüssigkeit ab. Von der
freien Bauchwassersucht unterscheidet sich der Hydrops uteri
durch die Bildung der circumscripten Geschwulst über dem Schambogen,
die der Form des Uterus entspricht und sich bei veränderten Lagen und
Stellungen des Körpers ziemlich gleich bleibt , ferner durch den später
erfolgenden Hinzutritt von Oedem der Füsse und Genitalien , durch die
später eintretende Functionsstörung der Unterleibseingeweide und durch
den periodischen wässerigen Ausfluss aus den Genitalien. — Ursachen.
Prädisposition gibt eine reizlose , torpide Körperconstitution. Oft sind
organische Fehler des Uterus, schnell aufeinanderfolgende , besonders un-
zeitige Geburten , Fluor albus, Molenschwangerschaften etc. die Ur-
sache. — Prognose. Sie ist um so ungünstiger, je Öftersich das
Wasser nach der Entleerung wieder ansammelte , was beweist , dass eine
fortwirkende innere Ursache vorhanden ist. Ist das Uebel noch local,
der Uterus gesund, die Constitution gut, so ist die Prognose nicht so übel.
— Behandlung. Man entleert das Wasser durch den zu eröffnenden
Muttermund mittels einer stumpfen Sonde oder einer zangenartigen Vor-
richtung nicht auf einmal, sondern in Absäzen. In Fällen, wo das Leben
der Kranken bedroht wäre , müsste man zu der Paracentese des Uterus
(siehe Function) seine Zuflucht nehmen. Innerlich gibt man die Con-
traction des Uterus bewirkende Mittel, Cinnamom., Seeale cornu-
t u m ; dabei Diaphoretica und Diuretica. Der Wiederkehr der Hydro-
metra beugt man hauptsächlich durch Anordnung einer zweckmässigen
Lebensweise, tonische Mittel, bittere Extracte, China, eisenhaltige Mineral-
wasser, stärkende Bäder etc. vor. Ist sie Folge einer vorausgegangenen
Metritis, so wird der Gebrauch der Antimonialia, Mercurialia und der Di-
gitalis, so wie die Einreibung der Quecksilbersalbe empfohlen.
326 GEFAESSGESCHWULST.
GefäSSgeSChwulst, Telangiectasia (von iskoc , Ende,
ayyeiov, Gef äss und ixiaOig, Erweiterung) , e r e c t i 1 e Geschwulst,
farbiges Muttermal, Naevus vasculosus. Man bezeichnet
damit eine Erweiterung der Haargefässe der Haut und des Unterhautzell-
gewebes , so wie des Anfanges der Schleimhäute, höchst selten der Kno-
chen. Diese Erweiterung kann entweder das arterielle oder das venöse
Capillargefässnez betreffen und ist meistens angeboren ; selten tritt sie in
spätem Lebensperioden spontan oder nach einer äussern Einwirkung, einem
Stosse etc. auf, wobei es aber in vielen Fällen zweifelhaft bleibt, ob nicht
ein kleiner unbemerkter Keim vorhanden gewesen ist. Es ist nicht er-
wiesen , ob nicht bei der Entwicklung der Telangiectasia neben der Er-
weiterung der Haargefässe auch eine Neubildung von Gef ässen , welche
sich mit den Capillaren in Verbindung sezen, stattfindet; da wo sich diese
Geschwülste über die Haut erheben , scheint eine solche Neubildung von
Gefässen ausser Zweifel. — Die Haargef ässerweiterung tritt unter ver-
schiedenen Formen auf, bald in flächenhafter Ausbreitung, bald als Ex-
crescenz oder als Geschwulst. Die erste Form zeigt sich als eine geröthete.
wenig oder gar nicht über die Haut erhabene Stelle , auf welcher man
bald nur einzelne erweiterte Gef ässverästelungen, bald eine intensive Röthe
bemerkt. Der Umfang der gerötheten Stelle ist häufig rundlich, zuweilen
verschiedenartig gestaltet , scharf abgegrenzt oder verwischt. Die Röthe
ist bald mehr roth , bald mehr bläulich , manchmal von helleren Stellen
unterbrochen. Die angiectasischen Excrescenzen stellen bald einen dün-
nen , gestielten Auswuchs , bald ein rundliches Gewächs mit breiter oder
dünner Basis, glatter oder mehr oder weniger tief getheilter, eingekerbter
Oberfläche dar. Andere Male sizen eine Menge kleiner, rundlicher Aus-
wüchse neben einander, oder die Excrescenz ist mehr flach ausgebreitet.
Die Excrescenzen sind mit einer dünnen , oder aber auch mit einer viel-
schichtigen Epidermis bedeckt, und haben eine bald hellere bald dunklere
Färbung. Die Geschwulstform tritt am häufigsten im subcutanen Zell-
gewebe auf, wo die rundlichen und verflachten Geschwülste ein täuschen-
des Gefühl von Fluctuation geben , sich elastisch anfühlen und eine röth-
liche oder bläuliche Färbung zeigen. Bei jeder Anstrengung, wodurch
der Umlauf des Blutes beschleunigt wird, schwellen diese Geschwülste an,
der Kranke findet in ihnen ein Kribeln oder Klopfen, welches leztere man
auch bisweilen sehen und fühlen kann. Compression verkleinert die Ge-
schwulst , Druck auf die zuführenden Gef ässe vermindert ihre Spannung.
— Das Innere der Gefässgeschwülste zeigt ein von lockerem Zellgewebe
zusammengehaltenes Convolut von erweiterten Gefässen , welches ein Ge-
webe darstellt, das leicht mit Blut erfüllt werden und gleich dem normalen
erectilen oder cavernösen Gewebe aufschwellen kann. Bisweilen trifft man
in grösseren Geschwülsten dieser Art mit Blut gefüllte Höhlen an (s. den
Art. Venen). Findet sich in diesen Geschwülsten eine grössere Menge
GEFAESSGESCHWULST. 327
Fett, so stellen sie das F e tt m u 1 1 e r in a 1 , Naevus maternus 1 i p o-
matodes s. Telangiectasia lipomatodes dar. — Der S i z der
Gefässgeschwülste kann überall am Körper sein, am häufigsten findet man
sie aber am Kopf, Hals und Rumpf; die nach der Geburt entstandenen
sizen häufiger an den Extremitäten. Zuweilen sind sie in Mehrzahl vor-
handen. — Die angeborenen Telangiectasien bleiben nicht selten bei
ihrem ursprünglichen Umfange stehen, zuweilen vergrössem sie sich etwas
nach der Geburt und bleiben dann stationär oder bilden sich auch spon-
tan zurück, indem die Gefässe sich verengen oder auch ganz obliteriren,
oder die krankhafte Stelle sich entzündet und ausschwärt. In andern
Fällen wächst die angiectasische Stelle stetig fort , ihre Consistenz wird
grösser und ihre Temperatur höher , als die ihrer Umgebungen ; die bis
dahin glatte Oberfläche wird höckerig wie ein Hahnenkamm , oder einer
Maulbeere, Erdbeere etc. ähnlich. Diese Entwicklungsstufe kann indessen
schon bei der Geburt bestehen. Zuweilen können diese Geschwülste eine
ausserordentliche Grösse erreichen. — Die Zufälle , welche diese krank-
haften Bildungen nach sich ziehen können, bestehen hauptsächlich in hart-
näckigen oft lebensgefährlichen Blutungen, die spontan oder in Folge von
Verlezungen auftreten können ; auch Wucherungen, die sich bisweilen aus
solchen Gefässen entwickeln , können zu erschöpfenden Blutungen Anlass
geben. — Diagnose. Verwechslungen mit Aneurysmen, Varicositäten,
Abscessen und Markschwamm sind möglich. Die zwei ersten Krankheits-
formen kommen aber nur fast bei Erwachsenen vor und sind durch Druck
vorübergehend gänzlich zu beseitigen. Die genaue Beachtung des Ver-
laufes eines Abscesses kann vor Verwechslung schüzen. Der Markschwamm
kommt nie als angeborene Krankheit vor, ist fast immer von bedeutenden
Schmerzen begleitet , die ihn bedeckende Haut wird erst gegen die Zeit
des Aufbruchs hin missfarbig und die Geschwulst lässt sich durch Druck
nicht verkleinern. — Die Prognose dieser Geschwülste ist im Allge-
meinen günstig, wird indessen durch ihren Siz, so wie nach dem Ueber-
wiegen der arteriellen oder venösen Gefässe modificirt ; am schlechtesten
ist die Prognose , wenn sie ihren Siz in den Knochen haben. — Be-
handlung. Kleine stehenbleibende Capillarerweiterungen lässt man
am besten unbelästigt. Ausserdem muss man suchen , die erweiterten
Capillargefässe zur Verengerung oder Verschliessung zu bringen oder
ganze Gebilde hinwegzunehmen oder zu zerstören. Den ersten Zweck
erreicht man durch Behinderung des Blutzuflusses oder durch die Er-
regung einer obliterirenden Entzündung ; den zweiten durch Cauterisation,
Exstirpation oder Abbinden. Durch Behinderung des Blutzu-
flusses wirkende Mittel sind : 1) die K ä 1 1 e und adstringirende
Mittel, wie Fomentationen mit Bleiwasser , Alaunlösung, Betupfen mit
Höllenstein oder einer concentrirten Lösung desselben ; passt nur bei
kleinen flachen Telangiectasien. 2) Die C ompres s ion ; sie richtet
nicht viel aus und eignet sich nur bei kleinen oberflächlichen , über Kno-
328 GEHIRNHAUTKREBS.
chen liegenden Malern ; hierher gehört auch das öftere Bestreichen der-
selben mit Collodium. 3) Unterbindung der zuführenden
Arterien, ist unsicher. — Entzündung erregende Mittel sind :
1) das Durchstechen der Geschwulst mit z ahlreich en Ins ec-
tennadeln; unsicher. 2) Das Durchführen eines Haarseils
kann leicht eine beunruhigende Blutung veranlassen ; besser ist das Durch-
führen mehrerer baumwollener Faden, welche man zugleich zum Abschnü-
ren der Geschwulst benuzt. 3) Subcutane Zerreissung der Ge-
schwulst mit einer Staarnadel. 4) Einimpfung der Kuhpocken
in die Geschwulst. 5) Tätowiren der Geschwulst mit Blei- oderZink-
weiss , dem man etwas Karmin beimischt , um die richtige Hautfarbe zu
erhalten ; ist nur bei kleinen oberflächlichen Muttermälern anwendbar
und nicht ganz sicher. — Die Zerstörung oder Hin wegnähme
der Geschwulst geschieht : 1 ) durch Cauterisation mit dem Glüh-
eisen oder dem Aezmittel , wie dem Aezsteine oder besser dem Chlorzink
und der Wiener Aezpaste; die Aezmittel zerstören die Geschwulst sicher,
wenn sie nicht zu tief eindringt ; die Einwirkung des Glüheisens ist eine
zu heftige ; 2) durch Exstirpation; man wendet sie hauptsächlich bei
Telangiectasien von massiger Ausbreitung und beiExcrescenzen mit brei-
ter Basis an ; die Schnitte müssen dabei aber im Gesunden geführt wer-
den , um eine bedeutende Blutung zu verhüten. Ausgebreitete Gefäss-
geschwülste greift man stellenweise an, indem man aus dem hervorragend-
sten Punkte elliptische Incisionen macht , nachdem man unter der zu ex-
cidirenden Stelle Nadeln durchgeführt hat, damit man nach der Excision
gleich die umwundene Naht anlegen kann. Bei gefahrdrohenden Blutun-
gen zieht man das Glüheisen in Gebrauch; 3) durch Abbinden; es
eignet sich dieses besonders bei gestielten Excrescenzen ; bei herorragen-
den Geschwülsten mit breiter Basis kann man nach Durchstechung der-
selben mit einer oder zwei mit doppelten Fäden versehenen Nadeln nach
mehreren Seiten hin unterbinden, s. den Art. Abbinden. Auch die
galvanocaustische Schneideschlinge ist anwendbar. S. den Art. E 1 e c -
trotherapie. Endlich kann bei grossen Telangiectasien der Glied-
massen , besonders wenn das Leben durch Blutungen gefährdet ist , die
Amputation nothwendig werden.
Gehirnentzündung, s. Wunden.
Gehirnerschütterung, s. Wunden.
Gehirnhautkrebs, Fungus durae m a t r i s , entwickelt sich
entweder auf der äussern oder auf der innern Fläche der harten HirnhautT
kann aber auch von der Diploe seinen Ursprung nehmen , zerstört im
erstem Falle bei weiterem Wachsthum den Knochen, tritt damit unter
die äussern Schädeldecken und erhebt diese halbkugelförmig ; im zweiten
Falle wuchert es gegen die Hirnsubstanz. Dieses Aftergebilde gehört
seiner Structur nach meistens zum Zellenkrebs (s. Krebs). — Sym-
GEHIRNHAUTKREBS. 329
ptome. Diese sind im Anfange dunkel. Es stellen sich mehr oder
weniger heftige , anhaltende oder periodische , oft über den ganzen Kopf
verbreitete , oft nur auf die leidende Stelle beschränkte Schmerzen, Ein-
genommenheit des Kopfes, Schwindel, Erbrechen, Betäubung, Convulsio-
nen , Lähmungen einzelner Körpertheile etc. ein. Im weiteren Verlaufe
drängt das von der äussern Girnhautfläehe ausgehende Carcinom den
Knochen vor sich her, verdünnt ihn dergestalt, dass nur ein dünnes leicht
gehobenes Blatt der äussern Tafel übrig bleibt , welches beim Drucke ein
knatterndes Geräusch (Pergamentknittern) wahrnehmen lässt. Endlich
kommt es zum Durchbruche des Knochens , wobei eine meist runde, mit
zackigen Rändern versehene OefFnung gebildet wird , durch welche der
Schwamm nach aussen tritt und eine Geschwulst bildet, die zuweilen an
einer Stelle weich und fluetuirend , an der andern hart ist , pulsirt und
rasch an Grösse zunehmend , den Knochenrand bald überragt , wodurch
dieser dem Gefühle entzogen wird. Die Reibung der Geschwulst an dem
scharfen Knochenrande verursacht Schmerzen. Mit dem Hervortreten des
Schwammes aus der Schädelöffnung lassen die Zufälle von Hirndruck zu-
weilen nach, stellen sich aber sogleich wieder ein, wenn man einen Drnck
auf die Geschwulst ausübt. — Andere Male zieht der Schwamm den
Knochen in den Degenerationsprocess mit hinein , dieser erweicht, wird
fleischig und bildet mit dem Schwammgewächse eine Masse ; in diesem
Falle besteht weder ein Knochenrand noch eine Knochenöffnung und die
mit den Schädelknochen organisch zusammenhängende Geschwulst zeigt
keine Pulsation. — In den seltenen Fällen, wo das Schwammgewächs von
der innern Fläche der Dura mater ausgeht , tödtet es, ohne dass es
nach aussen kommt, meistens durch Hirndruck. — Ursachen. Sie sind
meist dunkel. Zuweilen geht der Entwicklung des Leidens eine mecha-
nische Einwirkung , eine Quetschung , Erschütterung etc. voraus, andere
Male entsteht es ohne erkennbare Veranlassung. Meistens befällt es dys-
crasische, cachectische Subjecte. — Diagnose. Verwechslung ist be-
sonders möglich mit Hirnbruch und erectilen Geschwülsten.
Der Hirnbruch ist aber angeboren und bildet eine gleichmässig weiche
und begrenzte Geschwulst, die leicht und ohne Schmerzen in die Schädel-
höhle zurückzuführen ist , was bei dem Schwammgewächse sich anders
verhält. Die erectilen Geschwülste erreichen nie einen so grossen
Umfang, ohne die Haut zu verändern und Pulsationen dieser Geschwülste
hören nach Compression des entsprechenden Astes der Carotis externa
auf. — Prognose. Sie ist ungünstig. Auf operativem Wege gelingt
die gänzliche Entfernung des Gewächses selten und überlässt man das
Uebel sich selbst, so kommt es zur Erweichung und zum Aufbruch der Ge-
schwulst und der Kranke erliegt der nachfolgenden profusen Absonderung,
den Blutungen, Schmerzen etc. — Behandlung. Wenn man das Leiden
frühzeitig erkennt , so kann man versuchen , durch Anwendung von Kälte,
durch wiederholte Blutentziehungen, ableitende Mittel etc. eine Rückbildung
330 GELENKENTZUENDUNG.
desselben herbeizuführen. Ist die Geschwulst einmal äusserlich zum Vor-
schein gekommen, so ist nur von der Hinwegnahme des Schwammes noch
etwas zu erwarten , welche man entweder durch Ausschneiden oder
Abbinden ins Werk sezt. Behufs der Exstirpation spaltet man
die Haut über der Geschwulst durch zwei halbmond- oder kreuzförmige
Schnitte über die Grenzen derselben hinaus und präpanrt die Lappen bis
zur Basis der Geschwulst und bis auf den Knochen ab. Findet sich die
Knochenlücke zu klein , um zur Basis des. Gewächses frei zu gelangen,
oder ist gar keine OefTnung zugegen , was bei der mit Erweichung des
des Knochens auftretenden Form immer der Fall ist , so durchsägt man
den Knochen mittels des Osteotoms , oder des Trepans und der Brücken-
säge. Ist die Basis der Geschwulst auf diese Weise zugängig gemacht,
so löst man sie mit dem Scalpellstiei , oder wo dies nicht ausreicht , mit
einem convexen Messer von der Hirnhaut ab, worauf man die Wurzelstelle
äzt. Zeigt sich die Hirnhaut entartet , so muss diese mit weggenommen
werden. Während der ganzen Operation muss man auf starke Blutung
gefasst sein, weshalb man fortwährend kaltes Wasser aufträufeln lässt, und
sobald eine stärkere Blutung eintritt , ihr durch Unterbindung , Finger-
druck etc. begegnet. Der Verband der Wunde ist wie nach der Trepa-
nation zu bestellen. — Zur Abbind ung des Schwammgewächses wird
dasselbe auf die eben angegebene Weise blossgelegt , worauf man die
Basis desselben mit einer Ligatur umgibt und mittels eines Schiingen-
schnürers massig fest zusammenschnürt ; bei bedeutender Grösse des Ge-
wächses legt man mittels Durchstechung der Basis mehrere Ligaturen an.
Entstehen nach der Schnürung bedeutende Hirnzufälle , Erbrechen , Con-
vulsionen etc., so muss die Schlinge sogleich locker gemacht werden. Die
Nachbehandlung ist wie bei den Abbindungen überhaupt. Der gern er-
folgenden Hirnreizung wegen ist die Exstirpation dem Abbinden vorzu-
ziehen. — Uebermässig grosse Geschwülste unterstüzt und schüzt man
durch einen geeigneten Verband.
CyenirnkxefoSj Carcinoma cerebri. Die Erscheinungen die-
ses Leidens fallen mit denen des Hirnhautschwammes zusammen. Selten
kommt es vor, dass solche' Krebse die harte Hirnhaut und die Schädel-
knochen durchbrechen und unter den äussern Schädelbedeckungen zum
Vorschein kommen, da sie in der Regel längst vorher tödtlich werden.
Von einer Behandlung kann keine Hede sein.
Gehörgang, Krankheiten desselben, s. Ohrkrank-
heiten.
Gelenkentzündung , Arthrophlogosis. Diese kann ih-
ren Siz haben in den fibrösen Gelenkbändern, in der Syno-
via 1 h a u t , in der Oberfläche der articulirenden Knochen-
enden und in der spongiösen Substanz derselben. Häufig treten
GELENKENTZUENDUNG. 331
die Entzündungszufälle in diesen das Gelenk zusammensetzenden Organen
isolirt auf und es bleibt die Entzündung auf sie beschränkt , viel häufiger
schreitet dieselbe aber allmälig von einem auf das andere über und hat
dann , wenn die Zertheilung nicht gelingt , meist verschiedene organische
Veränderungen, wie den Gliedschwamm (Tumor albus, Arthro-
cace), Verrenkungen aus innern Bedingungen (Luxatio-
nes spontaneae), Gele nkwasse rsmcht (Hydarthros), Ge-
lenkeiterung (A r t h r o p y o s i sj , Gelenksteifigkeit (Anky-
losis) zur Folge. — Die Gelenkknorpel werden immer nur secundär
ergriffen. — Die Gelenkentzündung ist entweder idiopatisch oder
symptomatisch und ihr Verlauf acut oder chronisch. — Die
Ursachen sind äussere Gewaitthätigkeiten , Erkältung und allgemeine
Krankheiten , wie Scropheln , Gicht , Rheumatismus , Syphilis, Hautkrank-
heiten, Metastasen, Unterdrückung gewohnter Secretionen etc.
I. Entzündung der Gelenkbänder, Arthrophlogo-
sis fibrosa, Inflammatio ligamentorum. Sie kann acut oder
chronisch sein. — Symptome a) der a c u t e n G e 1 e n k b ä n d e r e n t-
zündung. Als Vorboten gehen ihr nicht selten Ziehen in den Gliedern,
Fieber etc. voraus. Dann stellen sich stechende oder reissende Schmer-
zen in dem Gelenke ein , welche durch Druck und Bewegung vermehrt
werden ; bald tritt eine elastisch feste , glänzende , bei heftiger Entzün-
dung geröthete und beim Befühlen äusserst empfindliche Geschwulst hinzu,
welche die Form der Gelenkenden verbirgt. Das Gelenk hat eine vor-
wiegende Tendenz , eine bestimmte Lage , und zwar eine solche , welche
die um das Gelenk herum liegenden Bänder und Muskeln ins Gleichge-
wicht bringt und jede Spannung derselben aufhebt, einzunehmen. Nicht sel-
ten strahlen die Schmerzen weit über das Gelenk hinaus. Die fieberhaften Er-
scheinungen stehen in genauem Verhältniss zu den örtlichen Erscheinungen ;
je stärker Geschwulst und Schmerz, desto lebhafter das Fieber. — b) S. der
chronischen Entzündung. Diese entsteht, wenn sie nicht aus der
acuten hervorgeht, ohne Fieber, zuweilen unter heftigen, meist aber unter
geringen Schmerzen, die nur beim Druck und Bewegungen zunehmen und
bei ruhigem Verhalten oft wieder ganz verschwinden. Es bildet sich eine
mehr oder weniger feste, elastische, ungefärbte Geschwulst, die manchmal
nur partiell ist und häufig nur die innere Seite des Gelenkes einnimmt.
Mit der Zunahme der Geschwulst magert das Glied ab , wird im Gelenke
gebogen und jede Streckung wegen Verdickung der Bänder und des Zell-
gewebes unmöglich. - — • Das Wesen der Gelenkbänderentzündung ist
eine entzündliche Exsudation zwischen den Fasern und an der Aussen-
fläche der Gelenkbänder, die bei kräftigen Individuen und acuter Entzün-
dung ein fibrinöses. Product liefert , welches sich an grossen Massen um
das Gelenk lagert, dasselbe steif und dick erscheinen lässt und nur schwer
zur Resorption gebracht werden kann. Bei weniger kräftigen Subjecten
und chronischer Entzündung ist das Exsudat oft mehr seröser Natur und
332
GELENKENTZUENDUNG.
es zeigt das Gelenk eine mehr teigige Geschwulst. In einem späteren
Zeiträume wird das Exsudat in eine sülzige oder speckartige , weissgraue,
gelbliche oder bräunliche Masse verwandelt, in welcher man Sehnen, Ge-
fässe und Nerven verlaufen sieht. In weit vorgeschrittenen Fällen nehmen
auch die andern Gebilde des Gelenkes an der Zerstörung Antheil ; die
Synovialhaut verwandelt sich in eine speckige Masse, die Knorpel werden
resorbirt und die Gelenkenden cariös. — Bei den fibrinösen Exsudationen
der Gelenkbänder kommt es durch die tonischen Muskelkrämpfe anfangs
häufig zu Verschiebungen der Gelenkenden (spontane Luxationen). Bei
den serösen Infiltrationen kommen sie erst später zu Stande , wenn der
Gebrauch der Glieder wieder möglich geworden ist. — Ursachen. Sie
sind die oben angegebenen, hauptsächlich aber traumatische und rheuma-
tische. — Die Gelenkbänderentzündung kann in allen Gelenken entste-
hen , kommt aber am häufigsten im Knie - und Ellbogengelenk vor. —
Ausgänge. Die acute Entzündung kann sich endigen in Zertheilung,
in oberflächliche Eiterung und in Vereiterung des Gelenkes ; die chroni-
sche Verdickung der Gelenkbänder und Vereiterung des Gelenkes, welche
leztere im glücklichsten Falle Ankylose, in der Regel aber hectische Con-
sumtion herbeiführt. — Prognose. Sie ist in acuten Fällen nicht un-
günstig, da es einer energischen Behandlung fast immer gelingt, Zerthei-
lung herbeizuführen. Ist die Entzündung aber chronisch geworden , so
ist die Prognose immer ungünstig. — Behandlung. Sie besteht in
den acuten Fällen und bei traumatischer Ursache in Blutentziehungen, bei
Plethorischen in einem Aderlasse , sonst aber in der wiederholten Appli-
cation von Blutegeln oder blutigen Schröpf köpfen und kalten Umschlägen.
Dabei die erforderliche innere Behandlung und strenge Ruhe des leiden-
den Theiles. Bei rheumatischer und gichtischer Entzündung zeigt sich
neben massigen örtlichen Blutentziehungen der Brechweinstein, das Col-
chicum , zuweilen auch das Opium und das Quecksilber von Nuzen ; bei
zum Grunde liegender scrophulöser Ursache gibt man Leberthran und
Jodkali und lässt warme Bäder gebrauchen. Ist hierdurch die Entzündung*
gemildert, oder hat diese gleich anfangs einen schleichenden Verlauf, so
lässt man die graue Quecksilbersalbe einreiben und wendet fliegende Blasen-
pflaster an. Ist aller entzündliche Reiz beseitigt, und bleibt noch Verdickung
und Anschwellung der Bänder und des Zellgewebes zurück, so dienen be-
hufs der Beförderung der Resorption Einreibungen der Mercurialsalbe für
sich oder mit Liquor ammonii caustici und Kampher, von Jodsalbe,
das Auflegen eines camphorirten Mercurialpflasters, ein Druckverband, in
Eiterung erhaltene Biasenpflaster, Moxen und das glühende Eisen. Geht
die Entzündung in oberflächliche Eiterung über , so öffnet man den Ab-
scess und behandelt ihn nach allgemeinen Regeln. Kommt es zur Ver-
eiterung im Gelenke, so sorge man für gehörigen Abfluss des Eiters, halte
das Glied ruhig und unterstüze die Kräfte ; droht Erschöpfung, so ist die
Absezung des Gliedes angezeigt. S. Gelenkeiterung.
GELENKENTZUENDUNG. 833
IL Entzündung der Synovialmembran, Arthrophlo-
gosis synovialis, Inflainm atio membranae synovialis,
Synovitis. Sie tritt entweder als primäres Leiden auf oder hat sich
von andern Gebilden auf die Synovialhaut fortgepflanzt. Sie ist entweder
acut oder chronisch ; am häufigsten das erstere, mit entschiedener Neigung,
chronisch zu werden. — Symptome a) der acutenForm: das ganze
Glied ist schmerzhaft , doch wird der Schmerz meistens mehr an einer
Stelle empfunden ; er ist nie reissend oder ziehend , sondern besteht in
einem Gefühle von Schwere, dumpfem Drucke, Brennen. Je heftiger der
Schmerz, desto lebhafter pflegen auch die begleitenden Fiebererscheinun-
gen zu sein. Bald stellt sich eine fluctuirende Geschwulst ein, die an den-
jenigen Stellen am deutlichsten wahrgenommen wird , welche am wenig-
sten von weichen Theilen bedeckt sind und welche 8 — 10 Tage zu-, und
von da sammt dem Schmerz allmälig wieder abnimmt. — b) S. der chro-
nischen Entzündung. Bei dieser fehlen anfangs die fieberhaften
Erscheinungen und die lebhaften Schmerzen , nur nach Anstrengungen
und auf Druck wird der Schmerz empfunden ; sie macht sich oft erst
durch ihre Producte bemerklich ; die Zufälle steigern sich nur allmälig. —
Nach dem Grade und der Dauer des Leidens zeigen sich verschiedene
Veränderungen in dem Gelenke. Bei leichteren Graden von Entzündung
ist die Synovialhaut geröthet und die Gelenkhöhle mit einer etwas trüben,
dünnen , oft röthlichen Flüssigkeit angefüllt. Bei höheren Graden von
Entzündung ist das seröse Exsudat mit plastischen Stoffen vermischt , die
Synovialhaut aufgewulstet , mit Granulationen bedeckt und endlich bildet
sich eine gef ässreiche Pseudomembran auf ihr , welche ein schwammiges
Aussehen darbietet. Bei chronischem Gange und längerer Dauer des Lei-
dens ist die Verdickung der Gelenkbänder und der äussern Seite der Sy-
novialhaut in Folge von Exsudaten bedeutender , die leztere im Innern
mehr aufgewulstet, mit weissen Streifen durchzogen und mit zottigen oder
lappenartigen Auswüchsen besezt. Das Exsudat in der Gelenkhöhle ist
trüber , schmuziggrau und selbst flockig. Bei eiterigem oder jauchigem
Exsudate ist die Synovialhaut mit festeren , villosen oder franzenartigen
Hervorragungen versehen, der Gelenkknorpel mit einem Niederschlag be-
deckt, der Knorpel selbst matt , glanzlos und , wie auch die spongiösen
Enden der Knochen, verschiedentlich zerstört. Zuweilen wandeln sich die
Exsudate in Tuberkel um, durch deren Schmelzung Vereiterung und Ver-
jauchung herbeigeführt wird. Auch hämorrhagische Exsudate kommen
vor. — Ursachen. Sie sind mechanische Schädlichkeiten , Erkältung,
Rheumatismus, Gicht, Tripper, Syphilis, Missbrauch des Quecksilbers. —
Diese Entzündung befällt vorzugsweise oberflächlich gelegene Gelenke,
besonders das Kniegelenk und kommt mehr im erwachsenen als kindlichen
Alter vor. Zuweilen werden mehrere Gelenke zugleich befallen. — Aus-
gänge. Die acute Form kann in Zertheilung, bei rascher Steigerung in
Eiterung übergehen. Die chronische Entzündung kann mit Vereiterung
334
GELEXKENTZIENDUNG.
und Verjauchung der Kapsel und auch der Nachbartheile oder mit Ver-
dickung und Verwachsung der Kapsel oder bei sehr schleichendem Ver-
laufe mit Gelenkwassersucht und Erschlaffung der Bänder endigen. —
Prognose. Sie ist bei der traumatischen und rheumatischen Form nicht
ungünstig , so lange die Entzündung nicht chronisch geworden ist , denn
diese ist immer schwer mit Gründlichkeit zu heilen , da sie leicht Rück-
fälle macht. Die aus innern Ursachen entstandenen Entzündungen lassen
immer nur eine zweifelhafte Prognose zu. Hat das Gelenk in seinen ver-
schiedenen Theilen schon organische Veränderungen erlitten, ist der Auf-
bruch erfolgt , so ist der glücklichste Ausgang Ankylose , meist tritt aber
die Notwendigkeit ein, das Glied abzunehmen. — Behandlung. Die
acute Synovialhautentzündung erfordert immer eine entschiedene antiphlo-
gistische Behandlung ; bei hohem Grade derselben allgemeine , bei gerin-
geren Graden wiederholte örtliche Blutentziehungen durch Schröpfköpfe
oder Blutegel ; bei heftigem Fieber innerlich Nitrum. Bei der rheumati-
schen und gichtischen Form geht man dann zum Brechweinstein und Col-
chicum , bei der scrophulösen zum Leberthran , bei bestehendem Tripper
und Syphilis zum Decoctum Zittmanni über. Bei der traumati-
schen Synovialhautentzündung kann man anfangs kalte Umschläge an-
wenden , doch dürfen sie nicht zu lange fortgesezt werden. Hat sich bei
dieser Behandlung der Schmerz , selbst beim Drucke völlig verloren , ist
aber Fluctuation im Gelenke zugegen, dann müssen äussere Hautreize an-
gewendet werden , unter denen sich anfangs die fliegenden Blasenpflaster
am wirksamsten erweisen ; daneben zieht man Einreibungen von Quecksil-
bersalbe mit Kampher und Liquor ammonii caustici, Ueb erschlage
von Spiritus Mindere ri, reizende und zertheilende Pflaster , das
Empl. de ammoniaco c. acet. s quill, etc. in Gebrauch. Während
der ganzen Kur muss das leidende Glied durchaus ruhig gehalten werden.
Gegen die zurückbleibende Steifigkeit wendet man flüchtige Einreibungen
mit Liniment, v o 1 a t i 1 e , Dampf- und Douchebäder, locale Bäder mit
Salz , Soole , Schwefel , thierische Bäder und vorsichtige Bewegung des
Gelenkes an. — Ist die Entzündung chronisch geworden und besteht Ver-
dickung der Synovialhaut , so sezt man wiederholt wenige Blutegel an,
und wenn die Geschwulst weicher wird, so wendet man eine leichte Com-
pression , Einreibungen der flüchtigen und Quecksilber- oder Jodsalbe, in
Eiterung erhaltene Blasenpflaster, Fontanellen, Moxen, das glühende Eisen
an. Entsteht Eiterung im Gelenke , so verfährt man , wie es bei der Ge-
lenkeiterung angegeben ist.
III. Entzündung der Gelenkenden der Knochen, A r -
throphlogosis ossium, Ostitis articularis. Diese Entzün-
dung tritt entweder in den articulirenden Flächen (Ostitis articula-
ris peripherica), oder in der spongiösen Substanz der Gelenkenden
(Ostitis articularis centralis) auf. — 1) Peripherische
Entzündung der Gelenkenden. Dieses von Einigen als Ulce-
GELENKENTZUENDUNG. 385
ration, von Anderen als Entzündung der Knorpel bezeichnete Leiden tritt
entweder idiopathisch , ursprünglich in den Gelenkenden wurzelnd , oder
auf sie von den Nachbartheilen , der Synovialhaut oder dem spongiösen
Theile des Knochens fortgepflanzt , auf. — Symptome a) der idio-
pathischen oberflächlichen Entzündung. Es stellen sich im
Anfange nur geringe und vorübergehende Schmerzen ein , welche sich
besonders Nachts in der Bettwärme , wie auch bei Bewegungen des Ge-
lenkes vermehren und nicht selten bei Ruhe desselben verschwinden.
Später wird der Schmerz anhaltender und auf eine bestimmte Stelle fixirt
und das Glied wird stärker als bei irgend einer andern Form von Gelenk-
entzündung verkrümmt. Mit diesem treten sympathische Schmerzen ein,
die in entfernter liegenden Theilen des Gliedes ihren Siz haben und ihren
Grund in den statthabenden tonischen Muskelkrämpfen finden. Erst nach
mehreren Wochen oder Monaten stellt sich Geschwulst des Gelenkes mit
einer leichten äusserlichen Entzündung ein. Diese Geschwulst ist nicht
bedeutend , nicht fluctuirend , entspricht dem hauptsächlichsten Size des
Schmerzes und hat die Form der Gelenkenden. Nach kürzerer oder län-
gerer Zeit kommt es mit oder ohne Dislocation des Gelenkes (zu welch
lezterer namentlich die Muskelcontractionen beitragen) zur Eiterung und
endlich zum Aufbruche und der Kranke geht entweder hectisch zu Grunde
oder er erholt sich wieder und die Heilung erfolgt durch Ankylose. —
In seltenen Fällen kann, besonders bei reizbaren Personen, die Krankheit
acut verlaufen und in Zeit von wenigen Wochen tödtlich werden. —
b) S. der secundären peripherischen Gelenkentzündung.
Die bestehenden Schmerzen steigern sich von Neuem , werden bohrend
und stechend und es stellt sich Fieber ein. Das Gelenk fängt an sich zu
beugen und ist bei Bewegungen und Druck sehr empfindlich. Später
nimmt auch die Geschwulst zu , es bildet sich Fluctuation und endlich
erfolgt der Aufbruch , der in der Regel zur Verjauchung des Gelenkes
und zum Verluste des Gliedes oder des Lebens und nur in sehr glück-
lichen Fällen zur Verwachsung der Gelenkenden führt. — 2) Centrale
Gelenkentzündung. Symptome. Diese meist schleichend ver-
laufende Entzündung beginnt unter sehr unbedeutenden Schmerzen mit
einer elastischen, ungleich sich ausbreitenden Geschwulst der äusserlichen
Gelenktheile, welche der Form nach von den ausgedehnten Gelenkköpfen
herzurühren scheint , in Wirklichkeit aber zum grössten Theile in dem
Periost, den Bändern und dem Zellgewebe ihren Siz hat. In vielen Fällen
ist dabei die Function des Gliedes nicht wesentlich gestört. Nach kür-
zerer oder längerer Zeit kommt es in den entzündeten Knochenenden zur
Eiterbildung , und der Eiter bahnt sich seinen Weg entweder in die Ge-
lenkhöhle hinein durch Ulceration der Knorpel, oder er gelangt ausserhalb
der Gelenkhöhle nach aussen. Im ersten Fall tritt der Eiter durch meh-
rere OefFnungen zu Tage , im zweiten kommt es zur Bildung von Ge-
schwülsten, welche aufbrechen und einen käsigen Eiter entleeren ; in bei-
336 GELENKENTZUENDL'NG.
den Fällen zeigt die eingeführte Sonde Caries. Diese Form der Krank-
heit ist es, welche Rust mit dem Namen Arthrocace bezeichnet hat.
— Der Verlauf dieser Entzündung ist aber auch manchmal acut , der
Schmerz gleich von Anfang an bedeutend , beim Drucke sich vermehrend
und die ganze Constitution bedeutend angegriffen. — Die pathologi-
schen Veränderungen, welche sich bei der peripherischen
Knochenentzündung finden , betreffen hauptsächlich den überkleidenden
Knorpel. Dieser ist zwar nicht fähig , entzündet zu werden , erleidet
aber dennoch Veränderungen, die sich nur von einer eigenthümlichen Er-
nährungsstörung ableiten lassen. Die Knorpel büssen ihre blauweisse
Farbe ein , werden mehr gelblich , erweicht und zerfallen in ihre Fasern.
Späterhin findet man sie durch Ulceration zerstört, durch Eiter oder
schwammige Granulationen vom Knochen emporgehoben. Da wo der
Knorpel fehlt , ist der Knochen entweder rauh oder mit schwammigen
Granulationen besezt ; die darunter liegende Knochenpartie zeigt ver-
mehrte Vascularität , oder blutige Infiltration , oder ein schwammiges Ge-
webe. Hat die Synovialhaut an der Entzündung Theil genommen , so
findet man die oben angegebenen Veränderungen an derselben. — Bei
der centralen Entzündung der Gelenkenden findet man in noch wenig
vorgeschrittenen Fällen das spongiöse Gewebe erweicht, aufgelockert, dun-
kelroth , weitmaschig , sehr gef ässreich und seine Räume nicht selten mit
röthlicher Lymphe angefüllt. Die Knorpel erscheinen äusserlich noch un-
versehrt, aber von dem Knochen abgelöst. In weiter vorgerückten Fällen
sind die Knorpel und Knochen zerstört, die Synovialhaut und Gelenkbän-
der desorganisirt , die Gelenkhöhle mit ichorösem Eiter angefüllt. Nach
einer mehr acuten Entzündung findet man die Gelenkenden von natür-
licher Textur und beim Durchsägen nur eine oder mehrere Höhlen , die
abgestorbene Knochenstücke enthalten und durch eine oft feine Fistel-
öffnung mit dem Gelenke communiciren. Im Umfange dieser Höhlen
finden sich meist vasculöse Granulationen ; an einzelnen Stellen ist der
Knorpel zerstört , an andern unverändert ; die Synovialhaut zeigt die Ver-
änderungen, wie nach acuter Entzündung. Oft findet man in den Gelenk-
köpfen Höhlen , die mit käsigem Eiter (Tuberkelmasse) gefüllt sind. —
Ursachen. Bei der p e r i p h e r i s c h e n Entzündung ist die Ursache
oft nicht nachzuweisen ; nicht selten geben Rheumatismus, Gicht, zurück-
getretene Ausschläge und unterdrückte Menses die Veranlassung ; zuwei-
len gibt eine Verlegung , ein Fall oder Schlag die nächste Veranlassung.
— Der centralen Entzündung liegen immer dyskrasische Leiden , na-
mentlich Scropheln zum Grunde, und es kann dieselbe durch eine leichte
Gelegenheitsursache , durch einen Fall , eine grössere Anstrengung , eine
Erkältung etc. hervorgerufen werden. Sie kommt besonders gern am
Knie-, Fuss- , Hand- und Ellbogengelenke vor, kann indessen auch jedes
andere Gelenk befallen. Das jugendliche Alter ist ihr am meisten aus-
gesezt , während die peripherische Entzündung mehr nach der Zeit der
GELENKENTZUENDUNG. 337
Pubertät bis zum Alter von 3 0 — 3 5 Jahren vorkommt. — Prognose
und Ausgänge. Die peripherische Entzündung gibt immer eine
ungünstige Prognose, da "das Uebel oft im Anfange vorkommt und baldige
Zerstörung der Gelenktheile hervorgebracht wird. Auch bei der cen-
tralen Entzündung ist die Prognose immer höchst vorsichtig zu stellen,
besonders bei den Entzündungen grösserer Gelenke und ungünstigen Ge-
sundheits- und Lebensverhältnissen des Kranken. Der Erguss des Eiters
in die Gelenkhöhle kann durch die nachfolgenden Zerstörungen zum Ver-
lust des Gliedes oder des Lebens führen. Nimmt der Eiter seinen Weg
nicht durch die Gelenkhöhle, so kann man sich bei guten constitutionellen
Verhältnissen der Hoffnung hingeben , das Uebel mit falscher Ankylose
und Verkrümmung zur Heilung kommen zu sehen. — Behandlung.
Sie besteht zunächst in der Anwendung von örtlichen Blutentziehungen,
die man in angemessenen Zeiträumen wiederholt , und bei fieberhaften
Aufregungen in der Darreichung von salinischen Abführmitteln ; später
geht man zum innerlichen oder äusserlichen Gebrauch des Quecksilbers
über , wobei es aber nicht bis zum Speichelfluss kommen darf. Bei scro-
phulöser Entzündung gibt man den Leberthran in grossen Gaben. Ist
jede Schmerzhaftigkeit beim Drucke geschwunden, so kommen die Ablei-
tungsmittel an die Reihe, Vesicatore oder Fontanellen , Moxen und Glüh-
eisen. Kommt es zur Bildung von Abscessen, so muss man dieselben nach
den Regeln behandeln , welche bei der Gelenkeiterung angegeben sind.
Befinden sich die Beugemuskeln in grosser Spannung , so hat man gera-
then, sie subcutan zu durchschneiden.
IV. Entzündung des ganzen Gelenkes, Arthrophlo-
gosis totalis. Diese Entzündung , welche alle das Gelenk zusammen-
sezenden Theile ergreift, kann, wie schon erwähnt, bald acut, bald chro-
nisch sein. — 1) Acute Gelenkentzündung. Sie hat fast immer
die Synovialhaut oder die knöchernen Gelenkenden und die Synovialmem-
bran zugleich zum Ausgangspunkte. - — Symptome. Zuerst zeigt sich
eine schmerzhafte Behinderung der Bewegungen mit nachfolgender fluctui-
render Geschwulst ; bald stellt sich auch Fieber ein , nicht selten mit ga-
strischen Störungen. Zuweilen treten früher als die Localerscheinungen
der Entzündung sympathische Symptome , wie Schauer , Unbehaglichkeit,
Apetitlosigkeit auf. Sehr bald ist die Functionsstörung des Gelenkes aus-
gesprochener, es tritt Schmerz hinzu, welcher sich über das ganze Gelenk
und oft sogar darüber hinaus verbreitet , gewöhnlich aber an einer Stelle
besonders heftig ist ; Druck und Bewegung vermehrt denselben. Die Haut
über der Geschwulst ist nicht immer verändert, sie ist gespannt und glän-
zend. Die Geschwulst ist von wechselnder Grösse , indem sie oft theil-
weise verschwindet und in derselben oder in grösserer Ausdehnung wie-
derkehrt. Sie wird theils durch Exsudationen in die Umhüllungen des
Gelenkes, theils in die Synovialhöhle , in den meisten Fällen durch beide
zugleich bedingt. Sie zeigt an verschiedenen Stellen eine verschiedene
Bürger, Chirurgie. 22
338 GELENKENTZUENDUNG.
Consistenz , ist fester , wo Knochen und fibröses Gewebe liegen , weicher,
selbst fluctuirend, wo die Synovialhaut nur schwach bedeckt ist. DieHize
in dem entzündeten Gliede richtet sich nach der Intensität der Entzün-
dung. Die Stellung des Gliedes ist eine solche , wo die geringste Span-
nung stattfindet ; sie wird vom Kranken instinctmässig gesucht. Bei der
Bewegung des Gelenkes oder auf Druck macht sich zuweilen eine Art
von Knarren bemerklich. — Die acute Gelenkentzündung geht entweder
in Zertheilung über , was unter Verminderung der Erscheinungen, oder in
Eiterung , was unter Steigerung derselben geschieht ; sie kann auch mit
Brand endigen oder endlich chronisch werden. — 2) Chronisch eGe-
lenkentzündung. Die selbstständig auftretende chronische Entzün-
dung nimmt ihren Ausgang , wie die acute , von den Gelenkenden , oder
von der Synovialhaut. — Sympto m e. Bei der aus der acuten hervorge-
gangenen chronischen Entzündung bleibt die Verdickung der Synovial-
haut und die Ansammlung einer grösseren Menge auch qualitativ verän-
derter Synovia bestehen, und die Bewegungen des Gelenkes werden durch
beide sehr beeinträchtigt. Die selbstständig auftretende chronische Ent-
zündung beginnt ohne Fieber und mit geringen Schmerzen , welche nur
durch Bewegungen oder durch Druck auf das Gelenk hervorgerufen wer-
den. Ist sie rheumatischen Ursprunges, so hat sie meist den Erguss einer
grossen Menge wässeriger Flüssigkeit im Gelenke zur Folge , welche
Krankheit man als Gelenkwassersucht bezeichnet. Bei scrophu-
lösen Individuen entwickelt sich aus dem Exsudat, welches in der äussern
Umgebung der Synovialmembran abgelagert ist, ein sarkomatöses Gewebe,
in welchem zulezt Eiterung und in weiterer Folge Verschwärung auftritt.
Diesen Ausgang, welcher bei der in Rede stehenden, wie bei der aus der
acuten Entzündung hervorgegangenen chronischen Entzündung eintreten
kann , bezeichnet man als Gliedschwamm, Fungus articuli,
Tumor albus. Werden durch Verschwärung die Gelenkbänder zerstört,
so entsteht, zumal bei der häufig auftretenden sympathischen Muskelcontra
ctur, eine Verschiebung der Gelenkenden gegen einander, eine Verren-
kung aus innern Bedingungen, Luxatio spontane a. Im
weiterem Verlaufe kommt es zu Zerstörungen der spongiösen Gelenkenden,
welche mit der bei der Gelenkendenentzündung angegebenen überein-
kommen und die mit dem Namen Arthrocace belegte Art von A r -
throphlogosis begründen. Der in den Gelenken angesammelte Eiter
kann, nachdem er die Gelenkkapsel durchbrochen hat, in den Zwischen-
räumen der Muskeln weithin sich verbreiten und zu consecutiven Absces-
sen (Congestionsabscessen) Veranlassung geben. — Als eine besondere
Art der chronischen Gelenkentzündung ist die entzündliche Ver-
schrumpfung der Gelenkenden anzuführen, welche zuerst am
Hüftgelenk erkannt wurde, wo sie R. W. Smith mit dem Namen Malum
coxae senile belegte. Später wurde sie auch an den meisten übrigen
Gelenken als chronisch rheumatische Entzündung beschrieben. Diese
GELENKENTZUENDUNG. 339
Gelenkentzündung zeichnet sich durch bedeutende Missgestaltung aus,
welche die Gelenkenden durch Abflachung und Verbiegung, die Umge-
bungen des Gelenkes durch Entwicklung von stalactitenförmigen Osteo-
phyten , sowie endlich die articulir enden Flächen durch Eburnation und
Abschleifung erleiden. Dabei verdickt sich die Synovialhaut , nimmt eine
braune oder graue Farbe an , bedeckt sich mit Pseudomembranen oder
zottigen Wucherungen. Die Synovia ist trüb, dünn , von schmuziggrauer
Farbe , niemals bildet sich aber Eiter im Gelenk oder seiner Umgebung.
Dem Uebel geht längere Zeit ein dumpfer Schmerz und eine Kraftlosig-
keit des betreffenden Gliedes voraus. Bei Bewegungen des Gliedes macht
sich ein rauhes Knarren in dem Gelenke bemerklich, sowie eine Schmerz-
haftigkeit , die gerade nicht besonders heftig ist , aber oft weit über den
Umfang des Gelenkes sich hinaus erstreckt. Dabei magern die das Ge-
lenk umgebenden Muskeln in Folge der Unthätigkeit , zu welcher das
Glied verdammt ist , in auffallendem Grade ab. — Der Verlauf des
Leidens ist immer sehr schleichend. Es befällt jugendliche wie hoch-
bejahrte Individuen beiderlei Geschlechts , jedoch nie vor den Jah-
ren der Pubertät. — Die Ursachen, Ausgänge und die Pro-
gnose der Gelenkentzündung sind die oben angegebenen ; hinsichtlich
der Ursachen der entzündlichen Verschrumpfung der Gelenkenden ist an-
zuführen , dass directe Veranlassungen oft gar nicht nachzuweisen sind,
manchmal Erkältungen die Schuld zu tragen schienen und das Leiden zu-
weilen nach übermässigen Anstrengungen oder nach einer Quetschung des
Gelenkes entstand. — Behandlung. Das Glied muss in einer abso-
luten Ruhe gehalten und der zu befürchtenden Ankylose wegen in einer
passenden Lage fixirt werden, wozu sich am besten eine rinnenartige Vor-
richtung eignet. Bei der acuten Gelenkentzündung verfährt man streng
antiphlogistisch , nimmt reichliche örtliche und bei jungen kräftigen Sub-
jecten allgemeine Blutentziehungen vor, macht kalte Umschläge oder Irri-
gationen, so lange sie kein Unbehagen erregen, und lässt Quecksilbersalbe
in starken Dosen einreiben. Nach Abnahme der Erscheinungen legt man
ein grosses Vesicator auf das Gelenk und wendet eine Compression mit-
tels des Kleisterverbandes an. — Bei der chronischen Entzündung
zieht man wiederholte Blutentziehungen durch Blutegel oder Schröpf-
kröpfe in Gebrauch, denen man nach einiger Zeit Ableitungen, besonders
Fontanellen, Moxen, das Glüheisen folgen lässt. Von grossem Nuzen sind
die Einwicklungen mittels Pflasterstreifen , Flanellbinden oder mit dem
Kleisterverbande. Daneben muss die dem Leiden zu Grunde liegende
Dyskrasie berücksichtigt und bei langer Dauer desselben darf die Unter-
stüzung der Kräfte nicht versäumt werden. — Bei der entzündlichen
Schrumpfung der Gelenkenden empfiehlt man Blasenpflaster, reizende Sal-
ben, Douche- und Dampfbäder.
Gelenkeiterung, Arthropyosis, Pyarthros, Absces-
22*
340 GELENKEITERUNG.
s u s articuli bezeichnet im engeren Sinne eine Ansammlung von Eiter
innerhalb einer Gelenkhöhle. Im weiteren Sinne gebraucht man diesen
Ausdruck auch uneigentlich für Abscesse , die ausserhalb der Kapsel in
der Nähe eines Gelenkes auftreten. In der Mehrzahl der Fälle ist die
Gelenkeiterung die Folge einer vorausgegangenen Gelenkentzündung und
jene zu erwarten , wenn diese lange mit steigender Heftigkeit und mit
beträchtlichem Fieber andauert. Die schon bestehende Geschwulst nimmt
an Umfang zu , es stellt sich Fluctuation , Oedem in der Umgegend und
bald auch Röthung der das Gelenk bedeckenden Haut ein. Diese Eiter-
bildungen treten manchmal sehr rasch ein, namentlich nach acuten Exan-
themen , beim acuten Rheumatismus und nach Quetschungen und Ver-
stauchungen der Gelenke. Im weiteren Verlaufe kommt es zur Verschwö-
rung der Gelenkenden und der Gelenkkapsel zugleich oder lezterer allein,
und somit zum Aufbruche des Gelenkes. In vielen Fällen tritt der Eiter
nicht unmittelbar zu Tage , sondern erst nachdem er Senkungsabscesse
gebildet hat , also mehr oder weniger entfernt vom Gelenke. Die Menge
des Eiters ist gross, nimmt täglich zu, statt wie bei andern Abscessen täg-
lich weniger zu werden, und unter dem Zutritte der Luft nimmt derselbe
schnell eine schlechte Beschaffenheit an. In Folge der Zerstörung der
Gelenkenden und der Erweichung oder Zerstörung der Bänder verlieren
die ersten ihren Halt, folgen dem Muskelzuge, wodurch die sogenannten
spontanen Luxationen zu Stande kommen. — Ein seltener Ausgang dieser
gefährlichen Eiterungen ist der durch Ankylose. Man darf ihn erwarten,
wenn der Eiter sich allmälig bessert , an Menge abnimmt, die Geschwulst
und die Beweglichkeit sich vermindert, auch die Kräfte des Kranken sich
wieder heben. Bei Weitem häufiger stellt sich aber eine schnell um sich
greifende Verjauchung ein , in Folge welcher der Kranke früher oder spä-
ter unter den Erscheinungen der Pyämie oder des hectischen Fiebers zu
Grunde geht, wenn die Amputation oder Resection ihn nicht noch zu ret-
ten vermögen. — Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Prognose
immer nur eine höchst zweifelhafte sein kann. — Behandlung. Bei
geschlossenen , nicht acuten Eiteransammlungen in Gelenken kann man
versuchen , die Resorption des Eiters zu befördern. Zu diesem Behufe
zieht manCalomel, Salmiak, Senega, Digitalis, Phellandrium aqua-
ticum, Einreibungen der Quecksilbersalbe in Gebrauch , gibt von Zeit
zu Zeit Abführmittel und wendet die Compression an. Mitunter sind Ab-
leitungen von den Blasenpflastern bis zu Haarseilen und Fontanellen in-
dicirt , jedoch nie, wenn das ganze Kapselband vom Eiter ausgedehnt ist.
Gelingt es auf diese Weise nicht , den Eiter zu beseitigen , so muss er
künstlich entleert werden. Dies muss jedoch in einer solchen Weise ge-
schehen , dass jedweder Eintritt von Luft in das Gelenk unmöglich ist.
Weniger sicher wird dies durch die subcutane Eröffnung des Gelenkes
mit einem Tenotom erreicht ; besser eignet sich der Schuh 'sehe , R e y -
bard'sche oder G u e r i n 'sehe Apparat hierzu; bei lezterem wird der
GELENKSTEIFIGKEIT. 341
Eiter durch eine der Troicartkanüle genau angepasste Sprize ausgepumpt ;
über die Anwendung der beiden andern Instrumente s. den Art. Punk-
tion. Nach der möglichst vollständigen Entleerung des Eiters wird die
kleine Wunde zugeklebt und das ganze Glied mit einer weichen Binde
eingewickelt. — Bei schon geöffneten Gelenkabscessen sucht man den
Abfluss des Eiters durch die mildesten Mittel zu befördern. In dieser
Absicht zieht man Fomentationen oder noch besser, wo es angeht, Bäder
von reinem Wasser, schwacher Lauge, Chamillenaufguss in Gebrauch ; aus-
serdem bedeckt man die Oeffnungen mit trockener oder mit milder Salbe
bestrichener Charpie, ohne sie indessen zu verstopfen. Lässt die Eiterung
beträchtlich nach , so kann man sich auf einen comprimirenden Verband
beschränken, der die Fistelöffnung frei lässt. Die allgemeine Behandlung
richtet sich nach dem Grade und Charakter des Eiterungsfiebers und dem-
gemäss können sich bald kühlende Mittel, Potio River i, Elix. acid.
Hall., bald stärkende, besonders kräftige nährende Kost, wie Eier, Bier,
Wein, Chocolade, und Infus, und Decoct. chinae, Chinin etc. nöthig
machen. Man darf nie versuchen, die Gelenkfisteln durch zusammenzie-
hende Mittel zur Heilung bringen zu wollen ; sie müssen von selbst zu-
heilen. — Ist die Eiterung sehr profus , bedroht die Consumption der
Kräfte und das hectische Fieber das Gesammtleben , dann bleiben die
Resection der Gelenkenden oder die Amputation des leidenden Gliedes
die einzigen Mittel zur Erhaltung des Lebens.
Gelenksteifigkeit , A n k y 1 o s i s , (von uvxvkooi, ich krümme,
mache unbiegsam), nennt man denjenigen Zustand eines Gelenkes, wobei
dieses in Folge von organischen Veränderungen seine Beweglichkeit ver-
loren hat. Man unterscheidet vollkommene und unvollkommene
Ankylose, je nachdem die zwei sich entsprechenden Knochenflächen eines
Gelenkes völlig mit einander verschmolzen sind, so dass sie nur ein Stück
darstellen , oder die Gelenkflächen mit dem knorpeligen Ueberzuge mehr
oder weniger erhalten sind , die Beweglichkeit aber durch Knochenneu-
bildung im Umfange des Gelenkes, Verdickung oder Verknöcherung der
Gelenkbänder , oder durch anderweitige neugebildete Massen in der Um-
gegend des Gelenkes zu Grunde gegangen ist. Die auf Verkürzung, Ver-
dickung der das Gelenk umgebenden Weichtheile beruhende Gelenk-
steifigkeit (falsche Ankylose) gehört zu den Contracturen (siehe den
Art. Verkrümmung). — Die häufigste Veranlassung zur Anky-
lose geben Entzündungsprocesse , besonders dyskrasischer Art , in den
Gelenken mit folgender Zerstörung der Gelenktheile , in welchem Falle
die Ankylose als günstiger Ausgang dieser Krankheitsprocesse zu betrach-
ten ist. Seltnere Ursachen sind Concretionsbildung im Umfange des
Gelenkes und Verknöcherungsprocess in den Gelenkbändern. — Be-
handlung. Ist die Ankylose einmal nicht zu verhüten , so muss man
bestrebt sein, das Gelenk in derjenigen Richtung zu erhalten, welche spä-
342 GELENKVERRENKUNG, SPONTANE.
terhin für den Kranken die vorteilhafteste ist. Betrifft die Ankylose
z. B. das Unterkiefergelenk , so muss man , um später die Einbringung
von Speisen in den Mund zu ermöglichen , den Unterkiefer in leichter
Senkung erhalten. Ober- und Unterschenkel müssen gestreckt, der Fuss
im rechten Winkel zum Unterschenkel, der Arm gestreckt und ein wenig
vom Thorax entfernt gehalten werden. Der Vorderarm muss gegen den
Oberarm in mittlerer Beugung und in einer Mittelstellung zwischen Pro-
und Supination sich befinden. Die Hand muss gerade ausgestreckt und
die Finger halb gebeugt erhalten werden. — Die Behandlung der be-
stehenden Ankylose hat sich nach der Art und nach, dem Grade derselben,
sowie nach der Gelenkstellung zu richten. Bei knöcherner Verwachsung
sezt man sich entweder vor , ein neues Gelenk zu bilden , oder den ver-
wachsenen Knochen nur eine dem Gebrauche des Gliedes besser entspre-
chende Stellung zu geben. Zur Erreichung dieser Zwecke sind verschie-
dene Wege eingeschlagen worden: 1) die Durchsägung in der Nähe der
Verwachsung; 2) die Aussägimg eines keilförmigen Knochenstückes;
beide Operat ionen wurden von Rhea Barton ohne Erfolg ausgeführt ;
3) die gewaltsame Brechung; sie wurde von Louvrier mittels einer
Maschine, von B. Langenbeck mit den Händen in Ausführung ge-
bracht ; der Erstere war nicht glücklich , dagegen hatte das Langen-
beck 'sehe Verfahren Erfolge aufzuweisen , welche zur Nachahmung auf-
fordern. Der Kranke wird durch Chloroform in eine tiefe Betäubung
versezt, damit eine vollständige Erschlaffung der Muskeln herbeigeführt
und diese werden durch nachfolgende gewaltsame Bewegung nur gedehnt,
nicht zerrissen. Die fibröse oder auch knöcherne Zwischensubstanz, welche
die Gelenkenden in dieser oder jener Stellung unbeweglich fixirt , wird
hierauf zerrissen und zerbrochen. Das Glied wird nun mit Schienen in
der geeigneten Stellung erhalten und die Entzündung durch die Anwen-
dung der Kälte niedergehalten. War die Ankylose nicht die Folge einer
cariösen Zerstörung , so kann man durch diese Methode nicht nur eine
günstigere Stellung, sondern auch (nach Erlöschen der Entzündung) eine
nicht unbeträchtliche Beweglichkeit des Gelenkes durch anfangs passive,
späterhin active Bewegungen zu erreichen hoffen. Sind die ein Gelenk
unbeweglich machenden Producte nicht zu starr , so kann man in einzel-
nen Fällen auf milderem Wege Erfolge erzielen. In dieser Absicht wen-
det man erweichende Mittel , wie Wasserdämpfe, Bäder, Einreibungen er-
weichender Salben , Althäasalbe , Schweine- oder Gänsefett an , lässt das
Glied in die Eingeweide frisch geschlachteter Thiere stecken, täglich ge-
linde, allmälig verstärkte Bewegungen des Gliedes vornehmen etc.
Verrenkung entzündeter Gelenke, Luxatio spon-
tan e a. Wie in Vorstehendem schon mehrfach erwähnt wurde, tritt wäh-
rend des Verlaufes der Gelenkentzündungen nicht selten eine Ausrenkung
eines der das betreffende Gelenk zusammensezenden Knochen ein. Diese
GELENKVERRENKUNG, SPONTANE. 843
Dislocation , welcher man den Namen Verrenkung aus innern Be-
dingungen beigelegt hat, wird durch die üblen Stellungen, welche ent-
zündete Gelenke einzunehmen pflegen, wesentlich begünstigt. Das Haupt-
agens aber , welches bei diesen Verrenkungen thätig ist , sind die krank-
haft contrahirten Muskeln. Diese haben um so weniger Widerstand zu
überwinden, als bei den in den Gelenken vor sich gegangenen Zerstörun-
gen der Gelenkkopf von seinen Bändern nicht mehr gehalten wird. Da
gewöhnlich die Beugemuskeln contrahirt sind , so erfolgt die Verrenkung
auch in der von ihnen dem Gelenkkopfe angegebenen Richtung. Da,
wohin der Gelenkkopf vorzüglich drückt , erfolgt auch zuerst die ulceröse
Zerstörung. Die Ansammlung von Eiter im Gelenke kann in einzelnen
Fällen das Austreten des Gelenkkopfes befördern. Dieses Austreten geht
sehr oft ganz allmälig , in vielen Fällen aber ganz plözlich , bei irgend
einer Bewegung oder auf ein angewendetes äusseres Reizmittel vor sich.
Der ausgetretene Kopf bildet an der Stelle , wohin er sich begibt , ein
neues Gelenk , wodurch die Bewegungen des Gliedes sehr eingeschränkt
werden. Nicht selten erfährt der Kranke damit eine grosse Erleichte-
rung, indem die Muskelspannung mit der Ausrenkung zum grossen Theile
nachlässt , wie auch dadurch, dass zwei" einander berührende ulceröse
Knochenflächen von einander entfernt werden , sehr häufig die Hei-
lung des Leidens angebahnt wird. — Ausser diesen ulcerösen Dislocatio-
nen kommen solche auch in Folge von Verlängerungen der Gelenkbänder
vor , wie man sie häufig bei rheumatischen Gelenkentzündungen beobach-
tet. Diese Entzündungen hinterlassen nicht selten eine Erschlaffung und
Erweichung des fibrösen Apparats, und indem nun bei Anstrengungen der
Muskeln und bei den Unterextremitäten der Druck der Schwere des Ober-
körpers auf ein solches seiner Festigkeit beraubtes Gelenk wirkt , findet,
ohne irgend eine Zerstörung oder sonstige Veränderung ausser etwa einer
vermehrten Synoviasecretion , ein allmäliges Austreten des Gelenkkopfes
aus seiner Höhle statt. Dieses Ausrenken erfolgt mitunter so ganz ohne
Schmerzen, dass der Kranke es oft erst bemerkt, wenn es schon zu einem
bedeutenden Grade gediehen ist. — Diese atonischen Dislocationen haben
vor den ulcerösen das voraus , dass ihre Reduction lange Zeit möglich
bleibt , wenn es auch in vielen Fällen nicht gelingt , den Gelenkkopf an
seiner normalen Stelle zu fixiren. — In vielen Fällen kann man durch
eine zweckmässige Stellung des Gliedes bei Gelenkentzündungen den ge-
nannten Nachtheilen vorbeugen. Dies geschieht durch gut gepolsterte
Schienen oder Drahtrinnen , die aber dem Gliede möglichst viele Berüh-
rungspunkte darbieten müssen. Auch wenn sich die Muskeln schon be-
deutend contrahirt haben, können diese Mittel noch mitNuzen zur allmä-
ligen Verbesserung der Stellung in Gebrauch gezogen werden ; auch be-
sonderer leichter Extensionsmaschinen hat man sich zu diesem Zwecke
bedient ; doch erheischt die Anwendung dieser grosse Vorsicht.
344 GELENKMAEUSE.
GelenkmäUSe, Mures articulares, bewegliche Kör-
per in den Gelenken, Corpora mobilia in articulis, Co r -
pora interarticularia, sind feste Körper , welche man bald frei in
der Gelenkkapsel, bald durch einen Stiel an die Synovialhaut angeheftet
findet. Man hat sie in verschiedenen Gelenken, namentlich aber in Char-
niergelenken und am häufigsten unter diesen im Kniegelenke beobachtet.
Sie zeigen eine verschiedene Form , sind rundlich , oval , länglich , platt
oder unregelmässig ; ihre Oberfläche ist meistens glatt , abgerieben, glän-
zend, bisweilen auch uneben und rauh. Ihre Grösse variirt von der einer
Linse bis zu der einer Mandel und darüber. Sie sind von verschiedener
Beschaffenheit, bald fibrös gallertartig, bald knorpelartig, bald knöchern ;
zuweilen sind sie nur im Innern knöchern. Der Ansaz , mit dem sie an
der Synovialhaut anhängen , ist entweder breit oder gestielt , mitunter
fadenförmig, so dass eine leichte Gewalt hinreicht, sie vollends abzulösen.
Die Zahl dieser Körper ist sehr wechselnd, bald findet man sie vereinzelt,
bald in grosser Zahl beisammen. — Die Entstehungsweise der
Gelenkkörper ist eine dreifache: 1) die Körper entstehen ausserhalb der
Gelenkkapsel , indem sich eine beschränkte Einstülpung der Synovialhaut
bildet, die wie ein Beutel in die Gelenkhöhle ragt und sich nach und nach
zu einem dünnen Stiele oder auch ganz abschnürt. Solche Körper haben
einen serösen Ueberzug und im Innern Zellgewebsfasern mit Fettzellen,
auch Knochensubstanz. Erschlaffung der Gelenkkapsel, die Bildung von
Osteophyten , von kleinen Knötchen aus Zellgewebe oder Fettgewebe auf
der subserösen Seite der Synovialhaut können zu deren Einstülpung An-
lass geben. 2) Die Körper entstehen innerhalb der Gelenkkapsel durch
eigenthümliche Entwicklung der Gelenkzotten, ferner aus fibrinösen, albu-
minösen Gerinnungen , Niederschlägen , nach Entzündungen der Kapsel,
nach Blutergüssen in die Gelenkkapsel oder auch spontan. Im ersten
Falle hängen sie bisweilen noch an der Innenwand an. Dieser Körper
erscheint formlos oder unbestimmt körnig , hat mitunter einen geschich-
teten Bau und zeigt im Innern Fett, Kalkdeposita, Knorpel- und Knochen-
substanz ; die beiden lezteren Substanzen finden sich besonders in den
aus den Gelenkzotten hervorgegangenen Körpern. 3) In seltenen Fällen
mag die Gelenkmaus , wie einige angenommen haben , ein abgesprengtes
Stückchen Knorpel oder Knochen sein, dessen Form und sonstige äussere
Beschaffenheit durch Abreibung und Einwirkung der Synovialflüssigkeit
mehr oder weniger verändert wurde. Ob die Gelenkkörper , wenn sie
einmal getrennt sind, durch Imbibition oder peripherische Umlagerung an
Grösse zunehmen, wird von Einigen angenommen, von Andern in Zweifel
gezogen. — Die fremden Körper in den Gelenken treten bald unvermerkt
auf, bald gehen ihnen entzündliche Erscheinungen , Wassersucht der Ge-
lenkkapsel oder eine Gelenkverlezung vorher. — Symptome. Die
Gelenkkörper können ohne Zweifel lange bestehen , ohne dass man eine
GELENKMAEUSE. - 345
Ahnung von ihnen hat. Plözlich empfindet der Kranke aber ohne be-
kannte Veranlassung einen äusserst heftigen Schmerz in dem Gelenke,
welcher ihn des Gebrauchs des betreffenden Gliedes beraubt. Dieser
Schmerz ist zuweilen so heftig, dass der Kranke ohnmächtig wird. Dies
ist in der Regel das erste Symptom der Krankheit und zugleich ein patho-
gnomonisches. Zuweilen fehlt es aber auch und die Kranken haben das
Gefühl eines in dem Gelenke sich bewegenden Körpers oder fühlen den-
selben auch mit den Fingern an irgend einer Oberfläche des Gelenkes.
Sehr oft besteht dabei eine Entzündung der Synovialhaut mit wässerigem
Erguss in die Gelenkhöhle ; in andern Fällen erscheint das leidende Ge-
lenk durchaus unverändert. Gewöhnlich erklärt man den Schmerz aus
der gelegentlichen Interposition des Körpers zwischen die Gelenkflächen
der Knochen. Rieh et stimmt dieser Ansicht nicht bei; nach ihm pas-
sen die Gelenkflächen so genau aufeinander und werden durch die Mus-
keln etc. so fest zusammengehalten , dass die Einschiebung eines Körpers
von der Grösse , wie solche vorkommen , nicht wahrscheinlich sei ; dazu
kommt noch, dass die Gelenkknorpel absolut unempfindlich sind. Hier-
nach bliebe nur die Annahme , dass der Schmerz auf einer Zerrung oder
Quetschung eines Theiles der Synovialmembran in Folge einer plözlichen
oder heftigen Bewegung beruhe. — Prognose. Sie ist nicht schlecht,
sofern das Gelenk nicht anderweitig erkrankt ist ; hingegen verursachen
sie viele Beschwerden und die zur Beseitigung dieser Körper üblichen
Operationen sind meist lebensgefährliche Verwundungen. — Behand-
lung. Man kann zunächst versuchen , durch geeignete Mittel und län-
gere Ruhe des Gliedes den Reizzustand des Gelenkes zu beseitigen , wo-
rauf es zuweilen gelingt , durch längeres Tragen einer passenden Leder-
bandage den beweglichen Körper so zu fixiren , dass er das Gelenk nicht
mehr beeinträchtigt. Bleibt diese Behandlung ohne Erfolg , so bleibt
nichts Anderes übrig , als den fremden Körper auf operativem Wege un-
schädlich zu machen. Bevor an eine Operation gedacht werden kann,
muss jede entzündliche Reizung in dem zu operirenden Gelenke getilgt
und demgemäss eine ruhige Lage , Einwicklung , nötigenfalls örtliche
Blutentziehungen und antidyscrasische Mittel in Gebrauch gezogen wer-
den. — Es giebt drei Operationsmethoden , mittels deren der fremde
Körper theils entfernt , theils unschädlich gemacht wird , nämlich : das
dire cte Au s s chnei den desselben , die s üb c ut an e E r Öffnung
der Gelenkkapsel und die anhaltende Fixirung des Körpers
an einer Stelle, wo er das Gelenk nicht reizt. — Das Ausschneiden
des fremden Körpers wird auf folgende Weise in's Werk gesezt : Nach-
dem der Körper an eine Stelle gedrückt ist , wo er am oberflächlichsten
liegt und am besten fixirt werden kann (am Kniegelenk die innere Seite);
lässt man durch einen Gehülfen die Haut über dem Körper verziehen,
um den Paralellismus zwischen Haut- und Kapselwunde aufzuheben, fasst
dann denselben mit den Fingern der linken Hand und macht auf demsel-
346 GELENKMAEUSE.
ben einen der Grösse des Körpers entsprechenden Einschnitt. Sobald
der Körper entblösst ist und nicht sogleich von selbst heraustritt, fasst
man ihn mit einer Pincette oder einem spizen Haken , um sein Zurück-
treten oder Verschwinden unmöglich zu machen, und zieht ihn aus. Sizt
der Körper auf einem Stiele, so durchschneidet man diesen mit dem Mes-
ser oder der Scheere. Ist der Körper entfernt , so wird die abgezogene
Haut losgelassen und die Wunde rasch und genau mit Heftpflaster ge-
schlossen , um den Zutritt der Luft in das Gelenk zu verhüten , worauf
man zur Verhinderung jeder Bewegung des Gelenkes einen leichten Ver-
band anlegt. Sollten mehrere Körper in einem Gelenke sich befinden,
so sucht man sie vor der Operation an dieselbe Stelle zu bringen und
schneidet sie gemeinschaftlich aus ; gelingt dies nicht, so muss jeder ein-
zeln in Zwischenräumen ausgeschnitten werden. Treten keine Entzün-
dungserscheinungen ein, so heilt die Wunde in einigen Tagen durch
schnelle Vereinigung. Entsteht Entzündung, so muss ihr durch strenges
antiphlogistisches Verfahren, namentlich Blutegel und kalte Umschläge,
entgegengewirkt werden. Diese Operation hat manche glückliche Er-
folge aufzuweisen; sie hat aber auch nicht selten heftige Entzündung und
Eiterung hervorgerufen und Ankylose, den Verlust des Gliedes, selbst den
Tod zur Folge gehabt. — Bei Weitem weniger gefährlich ist die von
G o y r a n d geübte subcutane Eröffnung der Gelenkkapsel. Derselbe
stösst , nachdem der fremde Körper gegen eine vorspringende Stelle der
Kapsel angedrängt ist, an der Basis einer Hautfalte ein schmales Bistouri
unter die Haut , führt es subcutan gegen den Körper und öffnet die Kap-
sel, worauf derselbe unter dem Drucke der Finger der linken Hand in das
subcutane Bindegewebe tritt. Ist dies geschehen, so wird ein geeigneter
Verband angelegt, um den Rücktritt des Körpers zu verhindern. Die
weit von der Kapselwunde entfernt liegende Hautwunde wird mit Charpie
und einem Pflasterstreifen bedeckt. Nach geheilter Kapselwunde , also
etwa nach 6 — 8 Tagen, wird der fremde Körper ohne alle Gefahr durch
eine einfache Incision exstirpirt. Diese Operation wurde zu wiederholten
Malen mit glücklichem Erfolge ausgeführt, doch sind auch einige Fälle
bekannt, die nicht so glücklich endigten. — Auch zeigten sich Schwie-
rigkeiten, die Kapsel so zu öffnen, dass der Körper frei austreten konnte;
gestielte Körper würden nur durch einen glücklichen Zufall herausbeför-
dert werden können. B o n n e t und L i s t o n modificirten das Verfahren
von G o y r a n d dahin , dass sie an der Basis einer Hautfalte einen vor-
läufigen Einschnitt in der Nähe des fixirten fremden Körpers in das Zell-
gewebe machten , um ihm daselbst einen Plaz zubereiten und hierauf
von diesem Einschnitte aus mit dem Tenotom in das Gelenk eindrangen,
worauf B o n n e t nach ergiebiger Eröffnung der Kapsel den Körper im
Zurückziehen des Tenotoms in zwei Theile trennte, während ihn L i s t o n
mit dem gekrümmten Tenotom an den für ihn zubereiteten Ort hinzog ;
bei beiden Operationsarten trat der fremde Körper mit Leichtigkeit aus.
GELENKWASSERSUCHT. 347
Der ausgetretene Körper kann nun entweder der Aufsaugung überlassen
oder spater ausgeschnitten werden. Unter 1 1 auf diese Weise operirten
Fällen endigte nur ein einziger unglücklich. — Das Verfahren von Vel-
p e a u , den fremden Körper im Gelenke zu zerstücken, verdient, der mög-
lichen Insultation des Gelenkes wegen , keine Nachahmung ; das Gleiche
gilt von dem Verfahren von Dumoulin, welcher den fremden Körper
mit Nadeln subcutan umstach und denselben dann sammt der ihn umge-
benden Synovialmembran mit den eingezogenen Fäden abschnürte. —
Behufs der anhaltenden Fixirung des fremden Körpers drängte
Dieffenbach denselben an eine passende Stelle gegen einen Knochen,
schlug einen Stahlnagel durch den Körper bis in den Knochen und Hess
den Nagel zur Erregung von Entzündung 4 — 6 Tage am Plaze , in der
Absicht, eine Verwachsung des Körpers an einer Stelle herbeizuführen,
wo er kein Hinderniss bereitet. Zwei auf diese Weise behandelte Fälle
verliefen glücklich, bei einem dritten traten Entzündung und Eiterung ein.
J o b e r t fixirte den fremden Körper durch Nadeln. In der neuesten Zeit
legt Wolf um den Körper eine Serre-fine und fixirt dieses durch ein
Drahtgitter.
GelenkwaSSerSUCht, Gliedwasser, Hydrops arti-
culi, Hydarthrus, Hydarthrosis (von vdwg , Wasser , und aq-
S-qov , Gelenk). Man versteht hierunter die Ansammlung einer mehr
oder weniger wässerigen Flüssigkeit in einer Gelenkhöhle. — Alle Ge-
lenke sind der Wassersucht unterworfen ; am häufigsten wird das Knie-
gelenk davon befallen , doch kommt diese Krankheit nicht selten auch im
Ellbogen-, Hand-, Fuss- und Schultergelenk vor. — Ursachen. Prä-
disponirt für diese Krankheit sind lymphatische, mit schlaffen Gelenken
behaftete Personen , zumal bei schlechter Nahrung und Wohnung. Die
nächsten Ursachen sind : äussere Gewalttätigkeiten , Verstauchungen,
Verrenkungen , Wunden , fremde Körper, oder Erkältungen und dyscrasi-
sche Krankheiten, in deren Folge bald acute, bald schleichende Entzün-
dung der serösen Gelenksäcke auftritt • endlich die Unterdrückung des
Schweisses , eines Exanthems oder der Menstruation. Bisweilen fehlen
alle Entzündungserscheinungen und die Wassersucht ist die Folge von
Atonie der Haar- und der aufsaugenden Gefässe oder von seröser Blut-
beschaffenheit. — Je nach dieser verschiedenen Entstehungsweise ist dann
fmch die hy dropische Flüssigkeit bald rein serös , gelblich , auch röthlich
gefärbt, bald albuminös oder fibrinös, und die Synovialmembran entweder
nicht organisch verändert , nur schlaff ausgedehnt , oder verdünnt oder
verdickt , und auf der Innenfläche mit plastischen Exsudaten bedeckt etc.
— Symptome. Dem Wasserergusse gehen oft vage Schmerzen vorher
und die Beweglichkeit des Gelenkes ist behindert. Die Geschwulst ent-
steht ohne Veränderung der Hautfarbe ; sie ist weich , fluctuirend und
durch die Insertionen der Gelenkkapsel begrenzt, weshalb sie nicht überall
348 GELENKWASSERSUCHT.
gleichmässig, sondern da am stärksten hervortritt, wo das Kapselband am
nachgiebigsten und am wenigsten von Muskeln , Sehnen etc. bedeckt ist.
So zeigt sich z. B. die Geschwulst am stärksten am Handgelenke an der
Volar- und Dorsalseite ; am Ellbogengelenke an den Seiten des Olecra-
non ; am Schultergelenke vorn zwischen dem Delta- und grossen Brust-
muskel ; am Kniegelenke an den Seiten , hauptsächlich der innern , und
vorn , wobei die Kniescheibe emporgehoben ist ; am Fussgelenke an der
Vorderseite der Knöchel etc. Bei der Beugung des Gelenkes wird die
Geschwulst grösser und gespannter , bei der Streckung wird die Fluctua-
tion deutlicher. Die Geschwulst giebt dem drückenden Finger nacL,
ohne eine Grube zu behalten . was bei dem Oedem der Gelenke nicht der
Fall ist , und der Druck erregt wenig oder gar keine Schmerzen. Diese
Erscheinungen sind die der atonischen Form. Bei der entzündlichen
Gelenkwassersucht zeigt das Gelenk eine höhere Temperatur, eine grossere
Empfindlichkeit als das gesunde, und ist zuweilen leicht geröthet. — Die
Wasseransammlung bildet sich bald schnell , bald , und zwar gewöhnlich,
sehr langsam , erreicht entweder nur einen geringen Grad oder wird sehr
bedeutend. Die Quantität der ergossenen Flüssigkeit kann sich ver-
ändern, oft sogar ohne bemerkbare Ursache. Häufig wird diese Flüssig-
keit allmälig wieder resorbirt und die Gelenkwassersucht geht in Genesung
über. Zuweilen mehrt sich auch die Ansammlung so , dass Zerreissung
der Synovialhaut eintritt, die Flüssigkeit in das umgebende Bindegewebe
sich ergiesst , wo dann schliesslich Resorption derselben erfolgt. — Ge-
ringere Ansammlungen beeinträchtigen die Bewegungen der Gelenke,
wenn entzündliche Schmerzen fehlen , nicht sonderlich , grössere dagegen
erschweren die Beugung und das Gelenk verliert an Festigkeit, selbst
spontane Luxationen können daraus entstehen. — Prognose. Der idio-
pathische Hydarthrus wird nur langsam und durch eingreifende Mittel zum
Verschwinden gebracht und kehrt selten wieder ; der symptomatische
erscheint oft schnell und verschwindet schnell von selbst oder unter dem
Einflüsse milder Mittel , macht aber häufig Recidive. — Behandlung.
Diese muss sich nach den Ursachen , der Dauer und dem Grade der An-
sammlung richten. Ist die Wassersucht von entzündlichen Erscheinungen
begleitet, so verfährt man antiphlogistisch, macht örtliche Blutentziehun-
gen mittels Blutegeln oder Schröpf köpfen , applicirt Fomente von Blei-
wasser, erweichende Kataplasmen etc. in Verbindung mit absoluter Ruhe
des Gliedes. Zunächst müssen Allgemeinleiden , welche mit der Gelenk-
wassersucht in Causalnexus stehen, beseitigt werden. Bei zu Grunde lie-
gendem Rheumatismus reicht man das Colchicum und die diuretischen
Salze, namentlich N atr um carb o ni cu m und Nitrum; bei seröser
Blutbeschaffenheit passen die Eisenpräparate. Im Allgemeinen sollen
sich nach Gimelle und Biechy bei der Gelenkwassersucht grosse
Gaben von Tartarus stibiatus nüzlich erweisen , nach B o n n e t ist
aber nur bei frischen und acuten Hvdarthrosen von diesem Mittel etwas
GELENKWASSERSUCHT. 349
zu erwarten , bei den chronischen Gelenkwassersuchten sei es so unmäch-
tig, als es bei der Hydroeele sein würde. — Neben der innerlichen Be-
handlung muss man eine örtliche in Gebrauch ziehen, welche die Aufsau-
gung der ergossenen Flüssigkeit und die Verhütung der Wiederkehr dersel-
ben zum Zweck hat. Hat man es mit der atonischen Form von Wassersucht
zu thun und ist die Ansammlung nicht eine sehr veraltete und bedeutende,
so ist eine reizende, belebende und stärkende Heilmethode am Plaze. Die
Mittel zur Erreichung dieses Zweckes sind: öftere Reibungen, Einreibungen
mit Linimentum saponato-camphoratum, von Quecksilbersalbe
mit Kampher , von Kamphergeist mit Cantharidentinktur, von flüchtigem
Liniment , Salmiakgeist , die Schmucker' sehen Fomentationen , Räu-
cherungen von Wachholder, Zucker, Harzen etc. , reizende Pflaster, z. B.
das Gummi ammoniac. c. acet. s quill. , Douchen, Bepinselungen
mit Jodtinktur , die endermatische Anwendung des Jods , Senfpflaster,
grosse das ganze Gelenk einhüllende , häufig wiederholte fliegende oder
lange Zeit unterhaltene Blasenpflaster , Fontanellen , Haarseile , Moxen,
das glühende Eisen , die Acupunctur und endlich die Anwendung einer
Compression mit Binden, Pflastern oder mittels des Kleisterverbandes. —
Wenn durch diese Behandlung die Resorption der ergossenen Flüssigkeit
nicht gelingt, und die Ansammlung so bedeutend ist, dass die Function
des Gelenks wesentlich gestört ist , so kann bei gänzlicher Abwesenheit
von entzündlicher Reizung und jedweder Desorganisation die Entleerung
des Wassers unter Vermeidung von Lufteintritt in die Gelenkhöhle vor-
genommen werden. Zu dem Ende macht man entweder die Punktion
subcutan mit dem Trocart , oder man macht , wenn es sich zugleich von
der Entfernung eines Gelenkkörpers aus der Gelenkhöhle handelt , einen
Einschnitt mit dem Bistouri. Nach geschehener Punktion und nach Ab-
fluss der Flüssigkeit kann man sich entweder begnügen, die Wiedererzeu-
gung des Exsudats durch einen zweckmässig angelegten Compressivver-
band mechanisch zu verhindern oder aber durch Aussaugen der Flüssig-
keit mittels der Vorrichtung von G u e r i n (s. Punktion) oder durch
Jodinjectionen eine adhäsive Entzündung in dem Gelenke zu erregen.
Lezteres Verfahren wurde namentlich von V e 1 p e a u und B o n n e t geübt
und von Ersterem dazu 1 Theil T i n c t. j o d i und 1 — 2 Theil Wasser,
von Bonnet 16 Gram. Wasser, 2 Gram. Jod und 4 Gram. Jodkali be-
nüzt. Beide Practiker wollen nie üble Folgen von diesen Einsprizungen
gesehen haben , und wenn sie je Gelenkvereiterungen zur Folge hatten,
wovon Berard Fälle anführt , so liegt nach B o n n e t der Grund darin,
dass dieses Mittel bei Subjecten mit tief zerrütteter Constitution und bei
mit Fungositäten-und Luxatio spontanea complicirten Hydarthrosen
in Anwendung gebracht worden sei. — Die eingesprizte Flüssigkeit wird
1 — 2 Minuten in der Gelenkhöhle zurückgehalten und durch Kneten des
Gelenkes mit allen Punkten der Synovialhaut in Berührung gebracht,
worauf man sie ohne Nachhülfe wieder ausfliessen lässt. Das in der Ge-
350 GESCHWUELSTE.
lenkhöhle zurückbleibende wird ohne Nachtheil resorbirt. Nach der In-
jection ist grosse Ruhe des Gelenkes und genaue Aufmerksamkeit auf
die Erscheinungen der Gelenkentzündung nothwendig, welche sich in der
Anschwellung, der Röthe und Schmerzhaftigkeit des Gelenkes und in dem
begleitenden Fieber aussprechen. Mit Hülfe topisch erweichender und
narkotischer Mittel oder selbst der örtlichen Blutentziehungen verliert
sich die Entzündung und tritt Zertheilung ein. Jedenfalls ist es räthlich,
ehe man zu diesem immerhin eingreifenden Mittel greift, vorher die mil-
deren Mittel zu versuchen.
GeSClrWÜlstC , T u m o r e s , nennt man im Speciellen patholo-
gische Neubildungen , welche von den umgebenden Theilen abgegrenzt
sind und sich durch das anatomische Messer von denselben abtrennen, als
isolirte Gebilde darstellen lassen. Diese pathologischen Neugebilde sind
zwar dem Organismus fremdartige oder zu seinem Typus nicht gehörige
Gebilde , sie kommen aber in ihrer Organisation ganz mit den normalen
Organen des Körpers überein, indem sie durch den Zellenbildungsprocess
(Entwicklung von Kernen , Zellen , Faserzellen etc.) entstehen , wachsen
und ernährt werden (organisirte Neubildungen). Die nächste
Ursache ist eine örtliche Ernährungsanomalie , welche andauernd besteht,
ein permanent perverser Ernährungsprocess. Wahrscheinlich entstehen
die Neubildungen in den Interstitien der normalen Gewebe aus dem da-
selbst befindlichen Plasma sanguinis, ohne dass hierbei Entzün-
dungserscheinungen stattfinden. Ueber die späteren Entwicklungsvor-
gänge (nämlich Zellen-, Faser-, Gef ässbildung , Zerfallen etc.) herrschen
verschiedene Ansichten. Nach Rokitansky wären sie von einer dem
Blastem an und für sich von vorn herein innewohnenden differenten Quan-
tität abhängig, so dass in einer ursprünglichen Anomalie der Blasteme die
Basis der Verschiedenheiten der Neubildungen zu suchen wäre. Nach
J. Vogel sind dagegen die Formelemente , welche sich aus einem Bla-
stem entwickeln, in ihrer Qualität von der Qualität der Gebilde abhängig,
welche das Blastem liefern. — Bei weiterem Wachsthum drängt das
Pseudoplasma die Gewebe seines Mutterorgans oder diejenigen der be-
nachbarten Organe auseinander, bedingt durch Druck Atrophie derselben
und wird endlich, stetig fortschreitend, als eine Geschwulst sinnlich wahr-
nehmbar. — Unter allen Eintheilungsarten der Geschwülste ist die Ein-
theilung nach den Elementen, aus welchen sie bestehen und wornach sie
in zwei grosse Gruppen zerfallen, in gutartige und bösartige, die in prac-
tischer Hinsicht wichtigste. Solche , deren histologische Elemente mit
denen des normalen Körpers übereinstimmen , die , einmal entstanden , zu
bleibenden Theilen des Körpers geworden sind und ebenso wie die nor-
malen Gewebe ihr Bestehen behaupten, an dem allgemeinen Stoffwechsel
Antheil nehmen und wachsen, nennt man homologe, gutartige Ge-
schwülste (Tu mores benigni); solche hingegen, die, auf der höchsten
GESCHWUER. 351
Stufe ihrer Entwicklung angekommen , sich nicht langer unverändert
erhalten können, sondern ihrer Natur nach zerfallen, in Erweichung über-
gehen und die sie umgebenden und von ihnen umschlossenen Gewebe in
diesen Zerstörungsprocess mit hineinziehen , nennt man heterologe bös-
artige (krebsige) Geschwülste (Tu mores maligni, carcinoma-
t o s i). Die gutartigen Geschwülste beruhen auf rein localen Vorgängen,
wirken nur durch Verdrängung , Verschiebung oder Druck nachtheilig,
üben keinen besondern Einfluss auf die Zusammensezung des Blutes aus,
wie sie auch nicht aus einer abnormen Mischung desselben hervorgehen
und entstehen endlich nach der Exstirpation nicht wieder. Die bösartigen
beruhen wesentlich auf einem bestimmten Allgemeinleiden , kehren nach
der Exstirpation an derselben oder an einer andern Stelle wieder und
führen fast immer den Tod des davon befallenen Individuum herbei. —
Die Diagnose der Geschwülste gehört zu den schwierigsten Aufgaben
der Chirurgie und ist nur durch die Auffassung ihrer gesammten Merk-
male möglich , wobei dennoch nicht selten noch Täuschungen mit unter-
laufen. Zunächst ist die Grösse einer Geschwulst von Bedeutung, inso-
fern gewisse Neubildungen nur einen gewissen Umfang erreichen , wie
Atherome , Ganglien , Neurome , während andere , wie Krebse , Lipome,
Enchondrome, ein fast unbegrenztes Wachsthum besizen. Die Oberfläche
ist bald kugelig , rund oder oval (Balggeschwülste , Ganglien) , drüsig-
höckerig (Enchondrome , Markschwämme , Steatome , Cystosarcome) oder
birnförmig (Polypen). Zu bemerken ist indessen , dass die Oberfläche
nach dem Bau und den normalen Umhüllungen des befallenen Organs
wechseln , die eine oder die andere der zuerst angegebenen Geschwülste
daher uneben , höckerig , eine Krebsgeschwulst dagegen glatt und rund
sein kann. Das Gleiche gilt von der Consistenz und Elasticität der Ge-
schwülste, indem eine Geschwulst, welche Flüssigkeit enthält, wegen gros-
ser Dicke ihrer Wandungen und gleichzeitiger strozender Anfüllungen
nicht blos nicht fluetuiren , sondern sogar recht hart erscheinen kann.
Andererseits kann eine Fett- oder Colloidmasse ein der Fluctuation sehr
ähnliches Gefühl erzeugen. Hier giebt der Probetrocart den sichersten
Aufschluss. Noch sei bemerkt , dass die bösartigen Geschwülste in der
Regel sehr schmerzhaft sind , besonders bei Nacht , die Schmerzen sich
als durchschiessende, blizähnliche, weithin ausstrahlende manifestiren, die
über der Geschwulst befindliche Haut mit dieser verwächst und dieerstere
ihre Wurzeln mehr oder weniger tief in das umgebende Gewebe hinein-
treibt. — Die Geschwülste sind meist nur auf operativem Wege zu be-
seitigen ; die Art und Weise , wie dies geschieht , wird bei den einzelnen
Geschwülsten des Nähern erörtert werden.
CyeSCJlWÜr, Ulcus, ist eine langsam entstandene Trennung or-
ganischer Theile, bedingt durch Abnormität des Vegetationsprocesses und
verbunden mit der Absonderung einer ichorösen und saniösen Flüssigkeit
352 geschwuer.
und einer fortdauernden Zerstörung der Theile , in welchen es seinen Siz
hat. Die eiternde Wunde ist ein fortschreitender Reproductionsprocess
mit Absonderung eines guten Eiters und Neigung zur Heilung. — Die
Geschwüre bilden sich entweder aus einer schon bestehenden eiternden
Fläche heraus , oder sie entstehen in Folge einer Entzündung an einer
bis dahin unversehrten Stelle. Im lezteren Falle der Geschwürsbildung
geht immer eine Entzündung eigentümlicher Art (ulceröse Entzün-
dung) voraus , gemeiniglich ist sie erysipelatöser Natur , die Haut von
missfarbenem lividen Aussehen , und der Kranke empfindet darin ein
schmerzhaftes Jucken und Beissen. Unter entzündlicher Resorption und
Verdünnung der Haut oder blasenförmiger Erhebung der Oberhaut oder
des Epitheliums , die sich mit einer missfarbigen Flüssigkeit füllt, bricht
die entzündete Stelle auf und es verwandelt sich das blossliegende Haut-
stück in eine absondernde Fläche. Der Process der Geschwürsbildung
wird als Verschwärung, Ulce ratio, Exulce ratio, bezeichnet.
— Ursachen. Diese sind innere oder äussere. Zu den ersten gehört
jede krankhafte oder abnorme Mischungsveränderung im ganzen Organis-
mus oder in einzelnen Theilen desselben , wodurch entweder schon allein
oder durch den Beitritt einer äussern Gelegenheitsursache der Zusammen-
hang an einzelnen Organtheilen aufgehoben wird. Es sind allgemeine
in der Constitution begründete Krankheiten , denen eine Abnormität in
den Assimilationswerkzeugen , in der Haut , den Drüsen etc. zu Grunde
liegt , wie Scropheln , Gicht , Scorbut etc. Zu den äussern Ursachen ge-
hören alle Schädlichkeiten, welche Entzündung und Eiterung hervorrufen,
den Zusammenhang der Theile aufheben ; Wunden und Abscesse, welche
entweder durch eine bestehende Krankheitsanlage oder durch unzweck-
mässige Behandlung an der Heilung gehindert werden. — Die Dauer
der Geschwüre ist sehr verschieden : einfache örtliche Geschwüre heilen
meist leicht, die complicirten oder von einem Allgemeinleiden abhängigen
erst nach Beseitigung der veranlassenden Ursache. Manche Geschwüre
werden indessen selbstständig, habituell, der Organismus gewöhnt sich an
sie , so dass sie nicht heilen , wenn auch die Grundursache beseitigt ist.
— Eintheilung der Geschwüre. Man theilt die Geschwüre ein nach
der Dauer, der Form, der Beschaffenheit der Absonderung, nach dem Vi-
talitätszustande der Geschwürsfläche , nach den Ursachen und dem Size.
Diesem nach unterscheidet man frische und veraltete, runde, ovale , unre-
gelmässig gestaltete , buchtige , fistulöse , callöse , ödematöse , varicöse,
entzündliche , erethische , atonische , idiopathische , symptomatische etc.
Geschwüre. — Diagnose. Diese gründet sich zum Theil auf die äus-
seren Erscheinungen des Geschwürs , wie seine Form , Absonderung , auf
die Vitalität und organische Structur der nachbarlichen Gebilde , zum
Theil auf die Constitution, die Lebensweise, das Alter und das Allgemein-
befinden des Kranken. — Prognose. Sie richtet sich nach der eigen-
tümlichen Natur und Ursache, welche der Entstehung und Fortdauer des
GESCHWUER. 353
Geschwürs zu Grunde liegt , nach seiner Dauer und Form , nach seinem
Size und der Lage des geschwürigen Theiles , nach der Verschiedenheit
des Subjects und der körperlichen Constitution und dem Alter desselben.
So heilen einfache , blos örtliche Geschwüre leichter als solche , welche
mit constitutionellen Leiden zusammenhängen ; kreisrunde langsamer , als
ovale oder längliche : sinuöse oder fistulöse schwerer als flache , offene.
Geschwüre an der untern Körperhälfte heilen ungerner als an der obern ;
Knochen- und Drüsengeschwüre sind hartnäckiger als Haut- und Muskel-
geschwüre etc. — Ausgänge. Die Geschwüre durchlaufen, wenn sie
heilen, eine Reihe von Entwicklungsstufen : 1) Stadium detersio-
nis s. mundificationis; das Geschwür reinigt sich, indem sich die
missfarbigen verdorbenen Theile von der Oberfläche desselben abstossen,
wodurch es ein besseres Aussehen bekommt und die Absonderung mehr
eiterartig wird ; 2) Stadium granulationis; es schiessen gesunde
Granulationen auf, wodurch der Substanzverlust mehr oder weniger ersezt
wird ; 3) Stadium cicatrisationis; die Granulationen ziehen sich
zusammen, bedecken sich mit einem dünnen Häutchen, und das Geschwür
vernarbt endlich , und zwar von den Rändern aus gegen die Mitte. —
Behandlung im Allgemeinen. Diese ist entweder palliativ oder
radical. Die palliative Behandlung hat einzutreten , wenn das Ge-
schwür von Dyscrasien abhängt , die nicht beseitigt werden können , oder
wenn dasselbe als vicarirende Secretionsfläche für ein nicht fungirendes
Secretionsorgan zur Erhaltung des relativen Wohlbefindens nothwendig
ist. In diesem Falle lässt man das Geschwür entweder bestehen und
sorgt nur dafür, dass dasselbe möglichst wenig Beschwerden und Schaden
verursacht , verbindet es täglich mit milden Pflastern (Empl. nigrum,
diachylon, saponatum etc.) , wäscht oder badet es fleissig, so dass
es rein gehalten und vor äussern schädlichen Einwirkungen bewahrt wird;
oder man bringt das Geschwür zur Heilung , legt aber dafür ein künst-
liches an einer andern , bequemeren oder passenderen Stelle an. — Die
radicale Behandlung bezweckt einerseits Tilgung der dem Schwä-
rungsprocesse zu Grunde liegenden Ursachen, andererseits Erregung einer
normalen Reproductionsfähigkeit auf der Geschwürsfläche , so dass die
Störung des Zusammenhanges ausgeglichen wird. Ein Haupterforder-
niss bei der Behandlung jeder Art von Geschwür ist Sorge für Reinlich-
keit und sorgfältiges Verbinden , um das Geschwür vor dem Zutritt der
Luft zu schüzen. Die Reinigung sezt man durch Baden in lauwarmem
Wasser oder Abspülen mit Wasser in's Werk, worauf man die Umgebung
sorgfältig abtrocknet. Der Verband besteht gewöhnlich in Umschlägen,
Salben, Oelen oder anderen Flüssigkeiten, die man mit Leinwandläppchen
oder Charpie auf das Geschwür bringt. Die Wahl der örtlichen Mittel
richtet sich nach der Verschiedenheit der Geschwüre.
I. Idiopathische Geschwüre. Diese sind entweder ein-
fach oder complicirt. 1) Einfaches Geschwür, Ulcus simple x.
Burger, Chirurgie. 23
354 ÜESCHWUER.
Es zeigt gleichförmige ebene Ränder
und eine normale Umgebung. — Behandlung. Sie besteht in dem
Bedecken des Geschwürs mit milden Salben oder Pflastern. Wachsen
die Granulationen zu üppig , so beschrankt man sie durch Auflegen von
trockener Charpie und einen gelinden Druckverband. Ist dies nicht aus-
reichend , so hält man sie durch Betupfen mit Höllenstein oder Kupfer-
vitriol nieder. Bleibt die Vernarbung auf einem gewissen Punkte stehen,
so bedeckt man die Geschwürsfläche mit Emplast. saponatum,
Empl. lythargyri s im p 1. oder E m p 1. c er us s ae. Dabei unter-
sage man den Genuss gesalzener, geräucherter, fetter Fleischspeisen, blä-
hender Hülsenfrüchte , erhizender Getränke. — Sind die Granulationen
blass , wachsen sie zu langsam , so sind tonisirende oder adstringirende
Mittel angezeigt ; besonders wird das Opium in geistiger oder wässeriger
Auflösung empfohlen oder auch schwache Höllensteinlösungen 0j Höllen-
stein auf ^j Wasser). Rust bedient sich folgender Verbindung: Rp.
L a p i d. i n f e r n a 1. 513, solv. in Aq. destill, ^vj — ix, a d d e T i n c t.
opii simpl. 5j — jß. M. D. S. Zum Verband; auch schwefelsaures
Zinkoxyd (gr. ij auf ^j Wasser) und schwefelsaures Kupferoxyd (gr. j auf
5j Wasser) erweisen sich nüzlich. Salbenverbände, selbst mit reizenden
Arzneistoffen , sind nicht zu empfehlen. — 2) Das entzündliche
Geschwür hat eine empfindliche, lebhaft rothe , leicht blutende Ober-
fläche , wulstige , aufgetriebene , empfindliche Ränder und geschwollene,
harte, geröthete, heisse und schmerzhafte Umgebungen. Die Absonderung
ist sparsam , schleimig , oft blutig. Eine unzweckmässige Lebensweise,
Diätfehler, Erkältung, Mangel an Reinlichkeit, verdorbene Verbandmittel,
fremde Körper etc. können jedes Geschwür in einen entzündlichen Zu-
stand versezen. — Behandlung.- Man ordnet eine zweckmässige
Lebensweise an , reicht kühlende Getränke etc. und gibt dem Theile eine
erhöhte Lage. Das Geschwür selbst bedeckt man mit einem mit milder
Salbe bestrichenen Leinwandläppchen und macht darüber Umschläge von
Bleiwasser , warme Fomente oder Breiumschläge , denen man unter Um-
ständen etwas Hb. hyoscyami, bellad., conii macul. etc. beifügen
kann. Bei heftigen Graden von Entzündung kann das Ansezen von Blut-
egeln nöthig werden. Ist die Entzündung mehr erysipelatöser Natur, so
eignen sich oft trockene warme Kräutersäckchen besser ; daneben gibt man
Brech- und Abführmittel. — 3) Das reiz bar e , er ethis ch e oder
schmerzhafte Geschwür ist eine Varietät des entzündlichen und
wird von Rust unter dem gemeinschaftlichen Namen hypersthenisches
Geschwür abgehandelt. Es hat ungleiche, blasse Granulationen, gezackte,
scharfe unterminirte Ränder, schmuzig rothe Absonderung und ist in allen
seinen Theilen äusserst schmerzhaft und empfindlich. — Behandlung.
Hängt der erethische Zustand von allgemeiner zu grosser Nervenreizbar-
keit ab, so sind innerlich und äusserlich narkotische Mittel am Plaze , in-
nerlich namentlich Blausäure, Bilsenkraut und Opium, äusserlich dieselben
GESCHWUER. 355
Mittel nebst Belladonna , Cicuta und Lactucarium in Form von Kataplas-
men, Fomentationen oder Salben, z. B. Rp. Opiipuripulv. 3ß, Vi-
tell. ovij, Cerati simpl. §ij. M. S. Zum Verband ; ferner Lein-
und Mandelöl , Salben von Wallrath mit einem Zusaz von Opium , z. B.
Rp. Ungt. cetacei, Ungt. hydrarg. einer, ana ^ß , Opii
pulv. 5ß- M. f. Ungt. Liegen dem Erethismus gastrische Unreinig-
keiten zu Grunde, so reicht man Brech- und Abführmittel. Ist die über-
grosse Empfindlichkeit rein örtlich, so sucht man den erethischen Charak-
ter des Geschwürs umzuändern , indem man die ganze Geschwürsfläche
zerstört , zu welchem Behufe man rothen Präcipitat aufstreut, mit Höllen-
stein betupft, mit Sublimat - oder Chlorzinksolution fomentirt. T y r r e 1
fand folgende Solution wirksam : Rp. Aq. calcariae ^j, E x t r. opii
aquos. 5j, Mucilag. gi. arab. ^ij. M. Mit Charpie oder feiner
Leinand anzuwenden. — 4) Das asthenische, torpide oder indo-
lente Geschwür. Es bildet den Gegensaz des vorhergehenden Ge-
schwüres. Es zeigt glatte , blasse, zusammengefallene oder auch ödema-
töse Ränder , einen schlaffen , zottigen lividen Grund ohne Granulationen,
eine dünne , wässerige Absonderung und eine grosse Unempfindlichkeit.
— - Behandlung. Diese muss auf Erhöhung der Lebensthätigkeit,
sowohl im ganzen Organismus , als örtlich im Geschwüre selbst gerichtet
sein. Man lässt daher bei allgemeiner Schwäche eine nährende Diät,
Wein, Bier geniessen und gibt China, Cascarille etc. Aeusserlich wendet
man dem Grade der Torpidität angemessene Reizmittel an. Am allge-
meinsten anwendbar sind aromatisch-ätherische Umschläge von Chamillen-
infus und zwischen hinein leichte Cauterisationen mit Höllenstein. Bei
vermehrter Secretion eines schlaffen Geschwürs dienen adstringirende Sub-
stanzen, als Cortex Salicis, quercus, putaminumnucumjug-
landum u. dgl. im Decoct oder in Pulverform, ferner Höllenstein- oder
Sublimatlösung mit oder ohne Opium , die Chlorzinksolution , Bleiwasser
mit Opium, eine Auflösung von Lapis divinus, Campherwein, Myrrhen-
tinktur, eine Salbe von China mit Wallrath und Mandelöl, oft ganz einfach
ein Verband mit trockener Charpie. Bei verminderter Eiterung in einem
reizlosen Geschwür macht man von reizenden Salben Gebrauch ; solche
sind : Ungt. praeeipit. rubr. , Ungt. digestiv. ,basilicum,
elemi, Bals. per u vi an. ; flache reizlose Geschwüre , welche wenig
secerniren, kann man mit einem Pflaster : Empl degalban. crocat.,
ammoniaci, citrinum bedecken. Hat man in dem Geschwüre die
gehörige vegetative Thätigkeit hervorgerufen, so ist die weitere Behand-
lung wie bei einer eiternden Wunde. — 5) Das unreine, faulige
oder brandige Geschwür. Es charakterisirt sich durch faule, selbst
brandige Beschaffenheit der festen Theile auf seiner Oberfläche und in
seinem Umfange. Die Geschwürsfläche hat ein faules, missfarbiges, asch-
graues Ansehen und ist unempfindlich ; die Absonderung besteht in einer
stinkenden Jauche ; die Ränder sind in der Regel schlaff, welk, dünn ; die
23;*
356 GESCHWUER.
Umgegend ist häufig Ödematös. So verhält es sich , wenn das Geschwür
auf einem allgemeinen Schwächezustand beruht. Andere Male beruht es
auf einer sehr gesteigerten Entzündung und dann ist die Umgegend hef-
tig entzündet , daher dunkelroth und äusserst schmerzhaft , während das
Geschwür selbst sich in einen Brandschorf umwandelt. Zu den brandi-
gen Geschwüren sind die sogenannten fressenden oder p h a g e d ä n i-
schen Geschwüre zu zählen, welche gleichzeitig durch ulceröse Auf-
saugung und brandige Zerstörung in die Breite und Tiefe um sich grei-
fen. — Der faulige und unreine Zustand der Geschwüre entwickelt sich
in den Geschwüren und eiternden Wunden besonders in Folge solcher
Verhältnisse, welche die Jauche lange im Geschwüre zurückhalten und so
zu ihrer Verderbniss Anlass geben ; also am meisten durch Unreinlichkeit,
seltenen und unordentlichen Verband, sehr heisse und feuchte Luft. Solche
Geschwüre kommen häufig bei Leuten vor , welche lange in Elend und
Armuth gelebt haben und in einem entkräfteten abgezehrten Zustande
sich befinden. — Behandlung. Sie muss auf eine vorsichtige Stei-
gerung der Lebensthätigkeit in dem Geschwüre gerichtet sein, wenn diese
auf einer niedern Stufe steht ; bei übermässiger Erhöhung derselben muss
sie herabgestimmt und jeder Reiz vermieden werden. Neben einem fleis-
sigen Wechsel des Verbandes wird man im ersten Falle eine allgemein
stärkende sogenannte antiseptische Behandlung einleiten, daher innerlich
China, Mineralsäuren , Kampherwein etc. geben und eine nahrhafte mehr
reizende und gewürzhafte Diät vorschreiben. Die äusseren Mittel müssen
gleichfalls kräftig erregend sein und werden bei reichlicher Absonderung
in trockener, bei mehr trockenem Verhalten in flüssiger Form angewendet.
Solche Mittel sind : die Eichen- , Weiden- und Kastanienrinde , die Wall-
nussschalen , das Scordium, Chinarinde, Weingeist, Essig, Citronensäure,
Alaun, Terpentinöl , Chlornatron, Salmiak, Salpeter, Kampher, besonders
aber der Holzessig , das Kreosot , eine concentrirte Chlorkalklösung, der
Kampherwein , die verdünnte Salpetersäure (gutt. 5 0 auf 1 Quart A q.
destill.). Folgende Verbindungen haben sich sehr wirksam gezeigt:
Rp. Bals. arcaei 3|j , Pulv. chinae alcohol. 5j- M. S. Zum
Verband ; Rp. Ferrijodati 5ß , U n g t. c e t a c e i ^j . M. f. U n g t.
S. Zum Verband ; R p. P h o s p h a t i f e r r i 3ij , U n g t. s i m p 1 i c. ^j .
M. exact. f. u n g t, S. Zum Verband; Rp. Cort. chin. alcohol.,
Pulv. rad. rhei ana ^ß, Camphor. 5i- M. f. pulv. S. Zum Ein-
streuen; Rp. Pulv. cort. chinae, — carbon. tiliae ana5ij,
Gummi myrrh. 5j, Camphor. ^j. M. S. Zum Einstreuen ; Rp.
Fuligin. splendent. pulv., Adip. suill. ana^ij, coq. leni
i g n e per vj h o r a s. S. Zum Verband. — Bei den entzündeten Ge-
schwüren muss die Behandlung antiphlogistisch sein. Die phagedänischen
Geschwüre, wenn sie keinen specifischen Charakter haben, werden auf die
oben angegebene Weise und besonders durch alterirende Mittel , Aezmit-
tel, Sublimatlösung, Aq. phagedaenica, und selbst durch das Glüh-
GESCHWTER. 357
eisen an ihrem Fortschreiten gehindert. — 6) Das schwammige oder
fungöse Geschwür. Aus demselben schiessen schwammige Aus-
wüchse hervor, oder sein Grund ist damit besezt. Diese sind entweder
weich, schlaff, bleich, blaulich oder dunkel gefärbt, unempfindlich und
leicht blutend oder auch fester, roth und höchst empfindlich. Das Secret
ist diesem nach bald wässerig oder jauchig, bald eiterförmig. Diesen
Wucherungen liegt theils ein örtlicher , theils ein allgemeiner Schwäche-
zustand zu Grunde ; ersterer wird gewöhnlich durch die Anwesenheit frem-
der Körper, Knochensplitter etc., so wie erschlaffende und reizende Salben
herbeigeführt. — Behandlung. Vor Allem sind diese Ursachen zu
entfernen , eine etwa vorhandene Schwäche , Dyscrasien etc. nach allge-
meinen therapeutischen Regeln zu behandeln. Verschwindet nun dieFun-
gosität nicht von selbst , so verbinde man entweder bloss mit trockener
Charpie oder mit einer Auflösung von Höllenstein und wende einen ge-
linden Druckverband an. Wirksam zeigen sich auch zusammenziehende
Wundwasser von Decoct. cort. Salicis, cort. chinae, cort.
q u e r c u s , wässerige Auflösungen von Blei , Zink mit Opium oder ad-
stringirende Streupulver , Zucker , Alaun, blauer und weisser Vitriol, das
Betupfen mit Höllenstein oder das Belegen der Geschwürsfläche mit Chlor-
zinksolution. Um bedeutende schwammige Wucherungen zu zerstören,
zieht man den rothen Präcipitat, Kreosot, Spiessglanzbutter , concentrirte
Mineralsäuren , die Sublimat - oder Chlorzinkpaste oder endlich das glü-
hende Eisen in Substanz , das Abbinden oder Abschneiden mit Messer
oder Scheere in Gebrauch. — 7 ) Das schwielige oder callöse Ge-
schwür. Es zeigt dicke , knorpelartig harte, meist glatte, trockene,
weissliche oder bläuliche , unempfindliche Ränder und einen meist tor-
piden missfarbigen Grund ohne Granulationen , der eine dünne Jauche
absondert. Am häufigsten trifft man den callösen Zustand bei alten Ge-
schwüren älterer Subjecte , namentlich am untern Theile des Unterschen-
kels an. Er entsteht von innern oder äussern heizen, welche wiederholte
entzündliche Anfälle herbeiführen , die mit plastischer Ausschwizung ver-
bunden sind. Solche Reize sind Dyscrasien , wie Syphilis , Gicht, ferner
Unreinlichkeit , zu reizende Behandlung , der Missbrauch der Bleimittel,
Mangel an Ruhe , Spannung der Haut über Knochenvorsprüngen etc. —
Die Behandlung erheischt anhaltende Ruhe, zweckmässige Lage, pas-
sende Diät, leichte Abführmittel neben Berücksichtigung^ der bestehenden
Dyscrasie. Kommt es unter der Anwendung dieser Behandlung nicht zur
Schmelzung der Callositäten , so sucht man diese durch örtliche Mittel
herbeizuführen. So lange sie noch frisch sind, vermag man sie bisweilen
durch erweichende Breiumschläge neben Scarificationen oder folgende
Lösung: Rp. Alcal. fix. 5ij, Camp hör. ^ij, Sacch. a Ib. ^ij, tere
c. aq. fönt. ^ij. M. S. Das Geschwür damit zu befeuchten — aufzuloc-
kern. Sind die Callositäten sehr bedeutend und hartnäckig , so wendet
man einen methodischen Druck an, wo derselbe sich gut anbringen lässt,
358 GESCHWUEK.
wie an den untern Extremitäten. Am geeignetsten ist hierzu der Bayn-
ton'sche Pflasterverband. Man nimmt hierzu Emplast. diachyl.
simple x oder adhaesivum, bei reizbarer Haut Empl. album
coctum oder saponatum, welches man auf starke Leinwand streicht
und dann in zollbreite Streifen schneidet , die man gleich einer Binde in
Zirkel- oder Hobelturen um das Glied führt, wobei jede Tour die vorher-
gehende zur Hälfte decken muss. Der Verband wird alle 3 — 4 Tage
erneuert. S e u t i n wendet den Kleisterverband an ; andere ziehen Blei-
platten und Schnürstrümpfe in Gebrauch. Sollte die Anwendung des
Druckes seinen Dienst versagen, so muss man zu dem Aezmittel oder dem
Messer greifen. In ersterer Hinsicht streut man rothen Präcipitat in das
Geschwür oder bestreicht die callösen Ränder mit Kali causticum,
Brechweinsteinlösung, Butyrum antimonii oder legt eine Sublimat-
oder Chlorzinkpaste auf. Die Abstossung des Brandschorfes befördert
man durch Umschläge. An minder wichtigen Theilen und wo es die Lo-
calität gestattet, kann man den Callus mit dem Messer wegnehmen. Um
die Wiederkehr des Callus zu verhindern, muss man die ursächlichen Mo-
mente entfernt halten. — 8) Das ödematöse Geschwür. Es ge-
sellt sich entweder zu einem bereits bestehenden Geschwüre Oedem oder
es entsteht ein Geschwür in einem schon vorher wassersüchtigen Theile.
Die Ränder solcher Geschwüre sind aufgedunsen, bleich oder ervsipelatös
geröthet, der Grund glatt, blass, unempfindlich, die Absonderung ist wäs-
serig, geruchlos. Oedematose Geschwüre haben Neigung brandig zu wer-
den, zumal wenn die Wassersucht in höherem Grade vorhanden , mit all-
gemeiner Körperschwäche verbunden und der schwärende Theil von laxer
Beschaffenheit ist. Sie kommen besonders an den untern Extremitäten,
den Geschlechtstheilen und den Augenlidern vor. — Behandlung.
Erhöhte Lage , methodischer Druck durch gut angelegte Binden und
Schnürstrümpfe und Reiz- und Stärkungsmittel, unter denen die trockene
aromatische Wärme in Form von Kräuterkissen , balsamischen Räucherun-
gen (Bernstein , Mastix , Benzoe etc.) , sanfte Frictionen mit weichen er-
wärmten Tüchern etc. obenan stehen. Das Geschwür wird entweder
trocken oder mit belebenden und adstringirenden Mitteln behandelt.
Kälte und Nässe ertragen diese Geschwüre niemals. — 9) Das varicöse
Geschwür. Es entsteht entweder aus einem Blutaderknoten, der sich
entzündet und in Ulceration übergeht , oder es ist durch andere zufällige
Umstände entstanden und wird durch die Varicosität des Umkreises unter-
halten. Diese Geschwüre haben meist eine rundliche Form , scharf ab-
gegrenzte, häufig callöse Ränder, einen flachen, speckigen oder braunröth-
lichen Grund , manchmal blutig gefärbtes Secret. Die Umgegend ist
braun oder blau gefärbt , mehr oder weniger im Zustande chronischer
Entzündung. Die varicosen Geschwüre kommen nur an den untern Ex-
tremitäten, hauptsächlich den Unterschenkeln vor , wo so häufig Varicosi-
tät angetroffen wird. Die veranlassende Ursache ist meist ein Druck,
GESCHWUER. 359
Stoss, Krazen etc. — Behandlung. Hauptbedingung ist eine längere
Zeit beobachtete horizontale Lage. Dabei Umschläge von reinem oder
Bleiwasser über das Geschwür, geeignete Diät und öfters kühlende Ab-
führmittel. Zur Beförderung der Vernarbung dienen leichte Cauterisa-
tionen mit Höllenstein , Fomentationen mit Auflösungen von Zink- und
Kupfervitriol etc. Kann der Kranke keine Ruhe beobachten, so wendet
man die methodische Compression mit dem B a y n t o n ' sehen Pflaster-
verband an. Später lässt man einen Schnürstrumpf tragen. S. Venen.
— 1 0) Das buchtige oder sinn Öse Geschwür. Es zeigt unter-
minirte , dünne , unregelmässige , dunkelrothe , bläuliche oder bräunliche
Ränder, einen unreinen, schmuzigen Grund und ein wässeriges oder käse-
artiges Secret. Die sinuösen Geschwüre kommen am häufigsten an sol-
chen Körperstellen vor , wo eine dünne Haut über vielem laxem Fett und
Zellgewebe liegt, z. B. am After, Halse, unter den Achsein , in den Wei-
chen und entstehen besonders bei zu später oder unzweckmässiger Eröff-
nung von Abscessen. Scrophulöse und syphilitische Abscesse gehen be-
sonders häufig in diese Form von Geschwüren über. — Behandlung.
Die Aufgabe der Kunst besteht darin , die unterminirten , leblosen , die
Eiterung unterhaltenden Ränder entweder wieder zu beleben oder zu ent-
fernen. Besteht die Loslösung in geringerem Grade, so können recht-
winklige Einschnitte in die Ränder in der Hoffnung versucht werden, dass
sich diese zurückziehen , verdicken und anlegen werden. Sind dieselben
aber sehr verdünnt, dunkelblau oder braun, so fasst man sie mit der Pin-
cette und trägt sie an der Grenze ihrer Anheftung mit dem Messer oder
der Scheere ab. Soll das Geschwür gleichzeitig gereizt werden , so zer-
stört man die Ränder durch Cauterisation mit Höllenstein , Aezstein oder
Spiessglanzbutter. — 11) Das fistulöse Geschwürs. Fistel.
IL Symptomatische Geschwüre. Diese Geschwüre ent-
stehen aus allgemeinen Krankheiten , Dyscrasien, Retentionen etc. allein
oder unter Mitwirkung äusserer Schädlichkeiten. Sie sind verschieden
nach der Natur des ihnen zu Grunde liegenden Allgemeinleidens , also
scorbutische, scrophulöse, syphilitische, carcinoma-
töse, merkurielle, herpetische, abdominelle etc. ; hier
wird nur von den lezten die Rede sein ; betreffs der übrigen wird auf die
Art. Syphilis, Krebs, Mercurialkrankheit etc. verwiesen. —
Das abdominelle, physkoniöse oder venöse Geschwür sizt
fast ausschiesslich an den untern Extremitäten und charakterisirt sich
hauptsächlich durch die Kennzeichen einer erhöhten Venosität, d. h. einer
gestörten Circulation im Venensystem , welche als Folge einer mangelhaf-
ten Thätigkeit der Unterleibsorgane, der Unterdrückung oder des Mangels
natürlicher und gewohnter Blutaussonderungen etc. betrachtet wird. Aus
diesem Grunde hat man ihnen den Namen venöse Geschwüre gegeben ;
v. Walther nennt sie Visceralgeschwüre, weil sie mit krankhaf-
ten Zuständen oder Anlagen der Eingeweide in ursächlichem Zusammen-
360 GESCHWUER.
hange stehen. — Man kann nach R u s t drei verschiedene Arten von Ab-
dominalgeschwüren unterscheiden , nämlich : das eigentliche Abdo-
minalgeschwür, Ulcus physconiosum s. abdominale im
engern Sinne, das Hämorrhoidal- und das Menstrualgeschwür.
Die äussern Unterschiede dieser Geschwüre unter sich sind unbemerkbar
und unwesentlich , nur die Anamnese , das Geschlecht der Kranken etc.
können eine specielle Diagnose derselben begründen. — Als charakteri-
stisches Merkmal kommt allen drei Formen zu : ihre Entstehung ohne
Localursache , ihre gewöhnlich stationäre Beschaffenheit und ihre unter
allen Umständen gleichmässige Eiterung , die eher Erleichterung als
Schwächung mit sich führt. Die Form dieser Geschwüre ist ursprünglich
rund , wird aber beim Zusammenfliessen mehrerer kleiner Geschwüre un-
regelmässig ; der Grund ist karnös , mit vielen Fleischwärzchen und Blut-
punkten besäet ; die Ränder sind anliegend, glatt und scharf, als wären sie
mit dem Messer abgeschnitten , und haben eine schmuzig weisse Farbe.
Die Absonderung ist dem Fleischwasser ähnlich , dünnflüssig , blutig und
jauchig, so dass sie die Umgegend corrodirt. Sind sie Folge eines unter-
drückten Hämorrhoidal- oder Menstrualflusses , so treten zu der Zeit, wo
diese Blutaussonderungen hätten erscheinen müssen , stärkere oder gerin-
gere Blutungen aus diesen Geschwüren ein. Diese Periodicität ist bei
den Menstrualgeschwüren bei weitem auffallender als bei den Hämorrhoi-
dalgeschwüren. Diese Geschwüre können sich übrigens aus allen zufäl-
ligen Verlezungen, namentlich aber aus den Excoriationen, die durch vie-
les Krazen enstehen, herausbilden, wozu das durch Abdominalplethora und
Hämorrhoidalzustände herbeigeführte lästige Hautjucken Veranlassung
gibt. — Wenn die Secretion dieser Geschwüre die Stelle natürlicher oder
krankhaft angewöhnter Absonderungen vertritt, so nennt man sie vica-
rirende Geschwüre. Dies gilt namentlich von den Menstrual- und
Hämorrhoidalgeschwüren. Auch Geschwüre mit reichlicher Absonderung
in Folge von mangelhafter Urinsecretion (Ulcus urinosu m), von unter-
drückten Fussschweissen etc. gehören hierher. — Die Menstrual- und
Hämorrhoidalgeschwüre zeigen zur Zeit der Molimina eine entzündliche
Reizung und vergrössern sich ; ausser dieser Zeit haben sie einen torpiden
Charakter, schliessen sich auch wohl temporär. — Diese Geschwüre erfor-
dern die angemessene Behandlung der Grundkrankheit, Regulirung und Re-
tablirung der zu Grund liegenden Absonderungen. Heilen sie dabei nicht
von selbst , so muss eine entsprechende Localbehandlung zu Hülfe kom-
men. Zur Zeit des Reizzustandes zieht man milde Mittel , ausser dieser
mehr oder weniger reizende Mittel in Gebrauch. Bei den Menstrual- und
Hämorrhoidalgeschwüren empfiehlt A. C o o p e r die örtliche Anwendung
der Aqua phagedaenica, innerlich Calomelpillen und später das
Eisen mit Myrrhe. — Bei Geschwüren , welche habituell geworden sind
und nach erfolgter Heilung des Grundleidens noch fortdauern, ist es rath-
sam, besonders bei bejahrten und abgelebten Individuen erst ein künst-
GESICHTSKRAMPF. 361
liches Geschwür an einer passenden Hautstelle anzulegen und in hinrei-
chender Eiterung zu erhalten , ehe man den ernstlichen Versuch macht,
sie zur Heilung zu bringen.
Gesichtskrampf, Spasmus musculorum faciei. Dieser
Krampf kann ein tonischer oder klonischer sein und sich durch krampf-
haftes Zusammenziehen einzelner wie mehrerer Gesichtsmuskeln ausspre-
chen. Prädisposition und Ursachen sind : reizbare und sensible
Constitution, Erkältungen, Verlezungen der Nerven, fehlerhafter Bau des
Schädels , Desorganisationen in der Nähe von Nerven, Druck auf die Ner-
ven, übermässige Ausleerungen aller Art , Unterdrückung gewohnter Aus-
leerungen , heftige Geistesanstrengungen , Gemütsbewegungen etc. —
Behandlung. Man beseitige wo möglich die Ursachen. Vermuthet
man eine entzündliche Reizung, so entsprechen Antiphlogistica, ein be-
sänftigendes, ableitendes Verfahren. Wenn wichtige Crisen unterbrochen
wurden, so befördere man die Crisen, besonders der Haut, die Nieren-
secretion. Bei grosser Herabstimmung der Vitalität des sensiblen Systems
dienen Analeptica, Moschus, Aether, Wein, kleine Gaben Opium. Direct
krampfwidrige Mittel sind: Chamillen, Melisse, Campher, Asa foe-
tida, Naphtha, Aether, Moschus, Castoreum, Chloroform, Opium, Hyos-
cyamus, Digitalis, Blausäure etc. ; Fomentationen, Einreibungen von L i -
niment. volatile, Opium , Aether, Ol. hyoscyami, Chloroform ;
Sinapismen, Vesicantien, Einreibungen der Autenrieth'schen Salbe, ender^
matische Anwendung des Morphium aceticum etc., — Luftverände-
rung, Vermeidung von Gemüthsbewegungen, leichte Nahrungsmittel, Bäder.
— Bleibt diese Behandlung fruchtlos , so kann als leztes Hülfsmittel die
Durchschneid ung der verschiedenen Gesichtsmuskeln versucht wer-
den; weniger verspricht die Durchschneidung des Nervus facialis.
Es ist besonders Dieffenbach, welcher die subcutane Myotomie im
Gesichte geübt hat. Den Orbicularis palpebrarum durchschnitt
er am obern , am untern Lide und an der äussern Augenwinkelgegend.
Am obern Lide wurde ein feines sichelförmiges Messer unter der Augen-
braue eingestochen, unter der Haut bis an den Tarsalrand geführt, und
der Muskel auf einem unter das Lid geschobenen Holzplättchen im Zurück-
ziehen des Messers durchschnitten. Ebenso verfuhr er am untern Lide,
wo er das Messer an den äussersten Fasern des Orbicularis einführte
Für den dritten Schnitt wurde das Messer von der Schläfengegend aus
bis in die Nähe des äussern Augenwinkels gebracht. Die Wangen- und
Oberlippenmuskeln trennte er in der Richtung zwischen Nasenflügel und
Ohrläppchen, von ersterem bis zum vordem Masseterrande , indem hier
das Messer eingestochen und dann gegen die Schleimhaut zu schneidend
zurückgezogen wurde. Den Depressor anguli oris durchschneidet
man am besten von innen nach aussen , indem unter- und ausserhalb des
Mundwinkels an der äussern Grenze des Orbicularis oris ein Messer
362 GESICHTSSCHMERZ. ♦
bis gegen die Schleimhaut eingestochen, dann parallel mit der Kieferbasis
bis in die Nabe des Kinns fortgeführt und im Zurückziehen nach aussen
gegen die Haut zu gedrückt wird. Bei der krampfhaften Contractur des
Mundes , in Folge deren die Mundspalte verengt und rundlich ist, durch-
schneidet Dieffenbach den Kreismuskel von aussen nach innen an
drei Stellen , nach oben, nach unten und nach aussen. — Um die subcu-
tane Blutergiessung an den Schnittstellen zu beschränken , bedeckt man
diese mit Charpiebäuschen und drückt sie durch Heftpflasterstreifen
fest an.
Gesichtslähmung, Paralysis musculorumfaciei. Die
Gesichtsmuskeln der untern Gesichtshälfte bekommen ihre motorische In-
nervation vom Antliznerven. Wenn dieser auf einer Seite gelähmt ist,
so sind Mund und Nase nach der entgegengesezten Seite verzogen , der
Mundwinkel steht hier höher wie dort; beim Kauen fallen auf der gelähm-
ten Seite die Speisen in den Zwischenraum zwischen die Mahlzähne und
Backen und müssen öfter mit den Fingern wieder über die Zähne zurück-
gebracht werden ; die Kranken beissen sich auch wohl beim Kauen auf
die Backe ; beim starken Ausathmen schlottert dieselbe. Wenn die Läh-
mung des Facialnervens nicht vollständig ist, so zeigen sich diese Verzie-
hungen des Mundes nur bei Bewegungen , wenn sie vollständig ist , auch
in der Ruhe auf eine entstellende Weise. — Die Ursachen dieser Läh-
mung sind die der Muskellähmung überhaupt; am häufigsten beobachtet
man sie in Folge von Apoplexie. — B e h a nd 1 u n g. Schlagen die
pharmaceutischen Mittel fehl (s. den Artikel Lähmung), so kann man
versuchen , die Deformität durch Excisionen von Haut an der Seite der
Lähmung und durch subcutane Myotomie , welche leztere indessen nur
bei unvollständiger Lähmung etwas verspricht , zu heben. Uetner die
Durchschneidung der verschiedenen Gesichtsmuskeln s. den Art. Ge-
sichtskrampf.
GesichtSSChmerz, Neuralgia facialis. Derselbe hat
seinen Siz in den Aesten des Nervus trigeminus und zwar kann er
in einem einzigen oder in mehreren derselben auftreten. Diesem nach
unterscheidet man eine Neuralgia frontalis, infraorbitalis
und m axillaris. — 1) Neuralgia frontalis. Sie geht vom
Nerv, supraorbitalis aus und der Schmerz schiesst bei ihr vom
Kande der Augenhöhle nach aufwärts über die Stirne gegen den behaar-
ten Theil des Schädels zu, strahlt auch gegen die Orbita, die Augenwin-
kel und die Schläfengegend aus. Während des Anfalles bemerkt man
eine Senkung des Augenlides , Klopfen der Arterien , Thränenfluss , Rö-
thung des Auges , zuweilen auch Trockenheit der entsprechenden Nasen-
höhle. — Behandlung. Nach fruchtlosem Gebrauche pharmaceuti-
scher Mittel (s. den Art. Neuralgie) durchschneidet man den Nerv.
supraorbitali s dicht über dem F or amen supraorbitale. Zu
GESICHTSSCHMERZ. 363
diesem Behufe zieht man die Augenbraue über den Orbitalrand herab,
um die Haut zu spannen , und macht über der Mitte der Orbita etwas
mehr gegen die Nase hin einen etwa 4/2 Zoll langen Querschnitt bis auf
den Knochen. Die sprizende Art. supraorbitalis zeigt die Lage
des Nervens genau an. Um die Wiedervereinigung des Nervens zu ver-
hindern, fasst man das peripherische Ende des durchschnittenen Nervens
mit der Pincette und schneidet ein Stück von 4 — 5 Linien Länge davon
ab. — 2) Neuralgia infraorbitalis (F o th er gill 'scher Ge-
sichtsschmerz). Sie hat ihren Siz in den Verästelungen des gleichnami-
gen Nervens und erreicht oft eine unausstehliche Höhe. Der Schmerz
verbreitet sich vom Foramen infraorbitale aus über die Wange,
das untere Augenlid , die entsprechende Nasenseite , die Oberlippe , zu-
weilen in die obern vordem Zähne , den Sinus maxillaris, den Gau-
men. — Behandlung. Als leztes Hülfsmittel hat man die Durch-
schneidung des Nerv, infraorbitalis vorgenommen und hierbei zwei
verschiedene Verfahren befolgt, nämlich von der Mundhöhle aus und von
aussen durch die Haut. Bei dem erstem Verfahren , welches sehr un-
sicher ist , erhebt man die Lippe , sticht oben und hinter dem zweiten
Backenzahn in der Richtung des Jochbeins bis zur Höhe des untern Au-
genhöhlenrandes ein und durchschneidet damit in der Richtung nach vorn
hart am Knochen sämmtliche Weichtheile. Schliesslich sucht man das
peripherische Ende des Nervens auf, fasst es mit der Pincette und schnei-
det ein Stück davon mit der Scheere ab. — Um den Nerven von aussen
her zu trennen, macht man an der Stelle, wo er in das Gesicht tritt , also
etwa 2 Linien unterhalb des untern Augenhöhlenrandes parallel mit die-
sem eine 1/2 — */4 Zoll lange Incision bis auf den Knochen so , dass die
Mitte des Schnittes über dem zweiten Backzahne sich befindet. Hierauf
macht man über die Knochenöffnung hin noch mehrere Querschnitte, um
den Nerven noch besonders zu durchschneiden , worauf man Charpie in
die Wunde legt und diese durch Granulation heilen lässt, um ein Zusam-
menwachsen der Nervenenden zu verhindern. Andere führen die Opera-
tion subcutan aus , d. h. sie stechen ein Tenotom etwa 1/2 Zoll von dem
Foramen infraorbitale nach aussen in die Haut und dringen unter
dieser bis über die genannte Knochenöffnung hinaus , worauf sie wieder-
holte Schnitte über diese Oeffnung machen. — 3) Neuralgia maxil-
laris. Diese hat ihren Siz im dritten Ast des Trigeminus, ergreift
diesen aber nicht immer ganz , sondern beschränkt sich oft nur auf ein-
zelne Aeste desselben , wie den Nerv, temporalis superficialis,
den Nerv, alveolar is inferior, besonders dessen R a m u s men-
talis, und die Verbindungsäste , welche der Nerv, maxillaris in-
ferior hinter den Unterkiefer zum Facialis schickt. — Ist der N.
temporalis superficialis (s. auriculari s an t er io r) vorzüg-
lich der Siz der Neuralgie, so verbreitet sich der Schmerz von der Schläfe
aus nach dem Laufe der Art. temporalis gegen den Scheitel , die
364 GLIEDMASSEN, KUENSTLICHE.
Stirn- und Hinterhauptsgegend , zuweilen auch hauptsächlich gegen die
Wangen- und Infraorbitalgegend , und macht sich zugleich im vordem
Theile des Ohrs und im äussern Gehörgang fühlbar. — Die Durchschnei-
dung dieses Nervens geschieht am besten über dem hintern Theil des
Jochbogens , indem man da , wo die Pulsationen der Schläfenarterie ge-
fühlt werden , die in einer Längenfalte erhobene Haut einschneidet , die
Temporalarterie aufsucht , nach vorwärts schiebt und nun den hinterwärts
liegenden Nerven durch einen Schnitt bis auf den Jochbogen trennt, oder
noch besser resecirt. — Bei neuralgischer Affection des Nerv, alveo-
laris inferior verbreiten sich die Schmerzen in den untern Zähnen,
in dem Zahnfleische , in der Kinnhaut und in der Unterlippe. — Die
Durchscheidung dieses Nervens wurde in verschiedener Weise ausgeführt.
Warren machte einen Hautschnitt von der Incisura sigmoidca
herab, legte die Parotis bloss und schob sie nach hinten, durchschnitt den
Masseter und entblösste den Knochen. Nun wurde der Ast des Unter-
kiefers in seiner Mitte trepanirt und aus dem so zugänglich gemachten
Nerven ein '/2 Zoll langes Stück ausgeschnitten. Lizars durchschnitt
den Nerven vom Munde aus. Er machte mit einem Scalpell einen per-
pendiculären Schnitt nahe am Kronenforts az ; dann führte er eine Gau-
menlancette zwischen dem Fortsaze und Flügelmuskel ein und scarificirte
den Knochen um das Foramen m a x i 1 1 a r e p o s t. herum bis der Nerv
durchschnitten war , was sich durch einen äusserst heftigen Schmerz zu
erkennen gab. — Bei der Neuralgie des Nerv, mentalis gehen die
Schmerzen von dem Foramen mentale aus und verbreiten sich über
die Haut des Kinns und der Unterlippe. — Um diesen Nerven zu durch-
schneiden, trennen Einige die Unterlippe in der Gegend des zweiten Back-
zahns bis zum Foramen mentale vom Knochen ab und durchschnit-
ten dadurch den Nerven , schnitten auch wohl ein Stück von ihm aus ;
Andere suchten subcutan zu dem Nerven zu gelangen, Berard endlich
schnitt direct auf ihn ein.
GliedmaaSSen , künstliche. Um den Verlust der obern oder
untern Gliedmaassen nach Amputationen oder durch andere Umstände
durch mechanische Vorrichtungen zu ersezen , hat man sich zu verschie-
denen Zeiten verschiedener Mittel bedient, welche entweder blos die Ver-
stümmelung fremden Augen entziehen sollen, oder zugleich gewisse Func-
tionen des Gliedes nachahmen. Dem ersteren Zwecke zu entsprechen,
suchte man die Form des verloren gegangenen Theils durch Fantome von
Blech , Holz , Leder, Pappe, Tuch, Leinwand etc. mit Wolle oder Haaren
ausgestopft nachzubilden. Complicirte Vorrichtungen wurden schon in
sehr früher Zeit verfertigt, die jedoch zu schwer waren. — 1) Künst-
liche obere Gliedmaassen. Viele Individuen begnügen sich , den
Aermel des Kleides mit Baumwolle oder irgend einer andern Substanz,
wodurch er eine dem Arme ähnliche Form erhält, auszufüllen. Dief-
GLIEDMASSEN, KUENSTLICHE.
365
fenbach lässt einen langen Handschuh von Leder fertigen und diesen
auspolstern. Andere dagegen, denen jede Verstümmelung empfindlich ist,
haben sich mit diesen einfachen Vorrichtungen nicht begnügt , sondern
vielfach versucht , auch die Bewegungen des Gliedes bis auf einen gewis-
sen Grad herzustellen. Diese Versuche haben zum Theil auf ziemlich
sinnreiche Erfindungen geführt. — Wilson liess einen Arm von Leder
fertigen , an welchem die ersten Finger der Phalangen , das Hand- und
Ellbogengelenk Nuss-, die übrigen Gelenke der Finger Gynglimusgelenke
waren. — Für die verloren gegangene Hand hatBaillif zumErsaz die-
ser einen sehr sinnreichen Mechanismus erfunden. Diese künstliche Hand
ist von Blech gearbeitet , durch Gelenke biegsam und wird , wenn sie der
Verstümmelte trägt, mit einem Handschuh bekleidet. Sie wird von einer
blechernen Armschiene gehalten, die in Form eines Cylinders mit Riemen,
welche bis zum Oberarm, hinauflaufen , um den Stumpf befestigt wird.
Ein Gelenk befindet sich zwischen Hand und Schiene nicht. Die Finger
dagegen haben drei nach der Vorlarfläche hin zu beugende Gelenke, und
ebenso viele sind am Daumen. Diese Fingergelenke werden durch Darm-
saiten oder Kettchen , welche innerhalb der Finger über Rollen laufen,
und in der Hand selbst von eben so vielen, an einem Gestelle befestigten,
messingenen Spiralfedern angezogen werden , in Flexion erhalten. Die
Extension der Finger geschieht durch Darmsaiten , welche an einem be-
weglichen , innerhalb der Hand verborgenen Gestelle festgeknüpft sind.
Dieses bewegliche Gestelle wird von einer Schnur oder Darmsaite mittels
gewisser Bewegungen des Vorderarms gegen die Armschiene angezogen,
so dass der, welcher die Hand trägt , sie nach Belieben öffnen kann , wel-
ches er durch das Strecken des Vorderarmes bewirkt. Es wird zu dem
Ende ein Gürtel um die Brust geschnallt , von dessen vorderer Seite ein
verticaler Riemen über die Schulter der betheiligten Seite fortgeht. An
diesem Schulterriemen ist ein elastisches Gürtelstück angebracht, von des-
sen vorderem Ende die Schnur oder die Darmsaite ausgeht, welche durch
eine trichterförmige Röhre in der Armschiene läuft und das Gestell der
Extensoren bewegt. Der elastische Gurt wird bei flectirtem Ellbogen an
den Schulterriemen geschnallt, so dass er sich spannt, sobald der Vorder-
arm gestreckt wird. Für die Extension des Daumens wird eine eigene
Schnur an dem Brustgürtel befestigt ; je mehr der Oberarm alsdann von
der Brust entfernt wird , desto stärker wird der Daumen allein extendirt.
— v. Graefe schlägt folgenden künstlichen Arm zu der künstlichen
Hand von B a i 1 1 i f vor : der Oberarm wird mit einer Scheide umgeben,
von welcher Spiralfedern zum Vorderarm gehen , welche die Flexion des
Ulnargelenkes bewirken. An der entgegensezten Seite sind Darmsaiten
befestigt, welche von dem obern und hintern Rande des Vorderarms nach
vorn und oben zum Achselstücke des Brustriemens laufen. Würde der Vor-
derarm durch Beugung des Stumpfs nach der Brust hin vermöge der Spi-
ralfedern flectirt , so blieben es auch die Finger. Würde der Stumpf von
366 GLIEDMASSEN, KUENSTLICHE.
der Brust entfernt, so geschähe, vermöge der Anspannung der Saiten, Ex-
tension im Ulnargelenk und dadurch Ausstreckung der Finger. — Zum
Ersaz eines in der Mitte des Oberarms amputirten Arms liess Stark
einen künstlichen Arm anfertigen , der nicht nur die Form möglichst ge-
treu gab, sondern auch die nöthigsten Bewegungen durch einen einfachen
und wohlfeilen Mechanismus gestattete. Derselbe besteht mit Einschluss
der Hand aus vier Theilen. Die drei obern sind aus dünnem Eissenblech
gearbeitet und bilden Röhren , die von oben nach unten an Dicke abneh-
men , und von denen das obere Ende des untern jedes Mal in das untere
des obern eingeschoben ist. Mit dem untersten ist die Hand, die von Holz
gefertigt ist, auf gleiche Weise in Verbindung gesezt. — Der dem Ober-
arm entsprechende Theil hat ungefähr in der Mitte einen hölzernen Boden,
auf welchem der Stumpf ruht. An der hintern Seite greift er über die
Achsel weg , an der vordem ist er für die Aufnahme der Achselhöhle bo-
genförmig ausgeschnitten. Die zweite Röhre entspricht dem obern Theil
des Vorderarms und stellt genau die Form des Ellbogens dar. Sie ragt
in den Oberarmtheil hinein und articulirt mit demselben durch einen die
Röhren quer durchsezenden beweglichen Bolzen. Ein bogenförmiger, ge-
zähnter Eisenstab im Innern des Oberarmtheils fixirt den Arm sowohl in
der Beugung wie in der Streckung , indem ein gezähnter , im Vorderarm-
theil befindlicher Stellhaken in die Zähne desselben eingreift. Das obere
Ende des genannten Hakens steht mit einem dünnen Eisenstabe in Ver-
bindung, welcher an seinem untern Ende mit einem Knopfe versehen ist,
der durch eine Oeffnung in der Wand des Vorderarmtheiles nach aussen
ragt. Wird dieser Knopf von oben nach unten gezogen, so wird der Haken
aus den Zähnen gehoben und der Vorderarm kann, wenn er gebeugt war,
gestreckt werden , indem er , sich um den Gelenkbolzen drehend, mit sei-
nem vordem schwerern Theile hebelartig nach unten sinkt. Soll der Arm
gebeugt werden, so wird er mit der andern Hand nach oben bewegt, wor-
auf, wenn die Beugung einen rechten Winkel (bis zu welchem Grade sie
nur möglich ist) erreicht hat , der Haken in die Zähne der Stange sich
einstemmt und den Arm in der gegebenen Stellung hält. Auch die Pro-
und Supination ist einigermaasen möglich, und zwar dadurch, dass in das
untere Ende der Vorderarmröhre eine andere bis zur Hälfte ihrer Länge
eingeschoben ist , die sich in ersterer leicht herumdrehen lässt. Durch
einen Haken und eine Feder , die mit einem Knopfe nach aussen tritt,
lässt sich die Hand drehen und in der gegebenen Stellung fixiren. — Die
von leichtem Holz gearbeitete und hohle Hand ragt in die Vorderarmhöhle
hinein und wird durch einen Bolzen gehalten. Ein Ausschnitt an der
Beugeseite der Vorderarmröhre lässt Beugung und Streckung der Hand zu.
Eine mit einem Knopfe auf der Rückenfläche der Vorderarmröhre nach
aussen tretende Feder lässt die Hand in der gegebenen Richtung fest-
stellen und diese wieder aufheben. Die gleichfalls hölzernen Finger sind
nicht hohl und die ersten Glieder derselben aus einem Stücke , welches
GLIEDMASSEN, KUENSTLICHE. 367
auf einer Walze sizt, welche durch einen Bolzen mit zwei seitlichen Fort-
säzen der Hand articulirt. Eine Zahnung von Eisen , in welche eine im
Innern der Hand befestigte und mit einem Knopfe nach aussen tretende
Stahlfeder eingreift , stellt das Gelenk der vier Finger in der gegebenen
Richtung fest, welche man ihm entweder mit der andern Hand oder durch
Aufstüzen gibt. Das zweite Gelenk der Finger wird durch ein ganz ein-
faches Charnier gebildet. Die lezten Glieder sind blosse Fortsäze der
zweiten. Der nur aus einem Stücke bestehende Daumen hat ein besonde-
res Gelenk , welches dem eines Zirkels gleicht , und ebenfalls mit einer
eisernen Zahnung und einem Stelib.iken versehen ist, welche Einrichtung
den Daumen unter Beihülfe einer Stellfeder festzustellen und zu bewegen
erlaubt. — Die ganze Vorrichtung wird durch vier Riemen an der Schul-
ter und um den Körper befestigt. Ueber den Arm kommt der Aermel
des Rocks , über die Hand ein Handschuh. Durch das Kleid hindurch
wird derjenige Knopf angezogen oder gedrückt , der dem zu bewegenden
Gliedtheile entspricht. — Noch ist die künstliche Hand des Göz von
Berlichingen zu erwähnen. — 2) Künstliche untere Glied-
maas s e n. Der gewöhnlichste und einfachste Ersaz für den Verlust des
Ober- oder Unterschenkels ist die Stelze, auf welcher der Verstümmelte
entweder mit dem Knie , oder mit dem Stumpfe des Oberschenkels ruht,
und welche , wenn sie gleich die Deformität nicht deckt , doch die Orts-
veränderung gestattet. Ein bedeutender Uebelstand der Stelzfüsse ist,
dass sie den Verstümmelten durch ihre Unbeweglichkeit belästigen , wenn
er sich sezen will ; man hat diesem Uebelstande dadurch abzuhelfen ge-
sucht , dass man an der äussern Seite der aus zwei Stücken bestehenden
Stelze unter dem Kniestücke eine Feder angebracht hat , mittels welcher
der Theil derselben , welcher den Unterschenkel darstellt , gebeugt und
gestreckt werden kann. — Ruht der Kranke mit dem Knie auf der Stelze,
so muss die Stelle , auf welche sich das Knie stüzt , gut gepolstert sein ;
zu beiden Seiten steigen zwei eiserne oder hölzerne Schienen in die Höhe,
wovon die äussere bis zum grossen Trochanter sich erstreckt , und welche
bei untergelegten Compressen mittels Riemen festgeschnallt wird. Die
innere ist kürzer und wird ebenfalls durch zwei Riemen befestigt. Stüzt
sich der Verstümmelte mit dem Rumpfe auf, so geschieht dies in dem
obern ausgehöhlten und gut ausgepolsterten Theile der Stelze , von wel-
chem an der äussern Seite gleichfalls eine Verlängerung in die Höhe
steigt, welche zur Befestigung dient. Nicht selten erfährt dabei die Narbe
einen solchen schmerzhaften Druck , dass der Kranke ihn nicht zu ertra-
gen vermag. Um diesem Uebelstande zu begegnen , hat Wagner für
den amputirten Oberschenkel einen Stelzfuss angegeben, auf welchem der
Amputirte gleichsam sizt. Er besteht aus einer ovalen Schiene von Eisen-
blech , welche , ausgepolstert , der untern Fläche des gebeugten Stumpfes
zur Unterlage dient. Die Befestigung geschieht durch zwei Riemen , die
von einer Seite der Schiene zur andern laufen. An der untern convexen
368 GLIEDMASSEN, KUENSTLICHE.
Seite der Schiene ist eine ziemlich dicke eiserne Schraubenmutter ange-
bracht , die etwas schräg nach unten vorsteht nnd mit der Schiene etwa
einen Winkel von 8 5° bildet. Am hintern Rande der Schiene ist ein
dritter Riemen befestigt , welcher über das Gesäss heraufsteigt und mit
einem Beckengürtel in Verbindung gesezt wird. Der eigentliche Stelz-
fuss ist von starkem Holze , dem gesunden Fusse der Länge nach ent-
sprechend und gehörig stark ; an seinem obern Ende befindet sich ein
eiserner Ring mit Schraubengängen , zur Verbindung mit der Schiene.
Dieser Stelzfuss gewährt unter Anderm den Vortheil, dass ihn sein Träger
beim Sizen und Liegen zur Bequemlichkeit abschrauben kann. — Da die
Stelzen bei aller Vollkommenheit doch manche Unbequemlichkeiten dar-
bieten , so hat man sich bemüht , mechanische Vorrichtungen aufzufinden,
die nicht nur die Gestalt des verloren gegangenen Gliedes wiedergeben,
sondern auch die meisten Bewegungen desselben nachahmen sollten. Hier-
her gehören die Erfindungen von Addison, Wilson, White, Pott,
Brünninghausen, Stark, Behrend, Kühl u. A. Brünning-
h a u s e n 's Fuss , welcher von Stark, Baillif und Dornblüth ver-
schiedentlich verändert wurde , besteht aus vier Stücken , aus einem Wa-
denstücke von Kupfer , aus einem Fersenstücke , einem Mittelfussstücke
und einem Zehenstücke , sämmtlich aus Lindenholz genau nach dem ge-
sunden Fusse gearbeitet. Das Fersenstück ist mit dem Wadenstück un-
beweglich verbunden, mit dem Mittelfussstücke aber ist es durch ein star-
kes Charnier vereinigt , welches vermöge des keilförmigen Ausschnitts,
der sowohl vom Fussrücken als von der Sohle her zwischen beide Stücke
verläuft, die Bewegungen des Mittelfusses nach oben und unten zulässt.
Eine zungenf örmige Feder drückt vom Fersenstücke aus im obern Aus-
schnitt gegen das Mittelfussstück und hält den Fuss , wenn er ruht , in
Depression. Das Zehenstück ist an der Sohle mit dem Mittelfussstücke
durch zwei starke Federn vereinigt , die es in der Depression erhalten.
Vom Fussrücken verläuft ein keilförmiger Ausschnitt zwischen Zehenstück
und Mittelfussstück , so dass sich das erstere nur beim Auftreten auf die
Fussspize gegen das leztere anschmiegt. Stark hat diesem Apparate
ein Kniegelenk hinzugefügt und denselben für den Gebrauch nach
Amputationen im Oberschenkel eingerichtet. Der Stumpf wird nämlich
in einen bequemen blechernen Schaft gesenkt , der vorn höher ist als
hinten. Von der äussern Seite dieses Schaftes geht ein eiserner Stab in die
Höhe , der bis zu dem Hüftbeine reicht und mit einem breiten , star-
ken Gürtel um das Becken dergestalt befestigt wird , dass es bei jeder
Bewegung des Fusses etwas rück - und vorwärts rücken kann. Knie-
und Wadenstück werden durch ein Charnier vereinigt. Zur Verhü-
tung einer zu starken Streckung und Beugung ist hinten ein Haken
und vorn eine Platte angebracht. Der Haken greift in einen in der Höhle
des Kniestücks angebrachten Stab , die Platte ist gespalten , am Waden-
stücke befestigt und greift über einen am Kniestücke befindlichen Knopf.
GLIEDMAASSEN, KUENSTLICHE. 369
— Der künstliche Fuss von B a i 1 1 i f ist complicirter als der von Brün-
ninghausen und weniger brauchbar, weil man beim jedesmaligen Vor-
schreiten mit der Hand eine Schnur anziehen muss , um mit dem steifen
Fusse zu schreiten. Dagegen zeichnet sich der künstliche Fuss von Palm
durch grosse Einfachheit aus. Derselbe besteht aus einem ausgehöhlten
hölzernen Wadenstücke , in welchem der Stumpf aufgenommen wird.
Dieses endigt nach unten mit einer abgerundeten Fläche , die einer con-
caven Fläche am Fussstüeke entspricht , welche jedoch einer grösseren
Kreislinie angehört, so dass die runde Endigung des Wadenstückes in der
Aushöhlung des Fussstücks einigen Spielraum hat. Die Vereinigung ge-
schieht mittels einer in die Höhe ragenden und in das Wadenstück einge-
passten Scheibe, welche durch einen eisernen Stift festgehalten wird (die
Einrichtung gleicht ungefähr den bei den Gliederpuppen befolgten Grund-
säzen). Die Befestigung vermittelt ein Beckengürtel mit einem Tragbande
und mit Seitenriemen, zu deren Sicherung noch ein Schenkelgürtel ange-
bracht ist. Die Bewegung des Unterfusses wird durch Riemen bewerk-
stelligt, welche, von dem Beckengürtel ausgehend, über die vordere
und hintere Fläche bis zu dem beweglichen Unterfuss gehen, wo sie befe-
stigt sind. Wenn das Knie gebogen wird , so wird der hintere Riemen
erschlafft, der vordere gespannt. Es wird also beim Biegen des Knies die
Fussspize in die Höhe gehoben , beim Strecken des Knies wird sie dage-
gen wieder nach unten gerichtet. — Eine ähnliche Vorrichtung wie am
Fusse ist für das Knie angegeben , wenn durch Amputation des Ober-
schenkels das Kniegelenk verloren gegangen ist. — Die künstlichen Füsse
von Heine und Behrens sind ihres complicirten Mechanismus wegen
wenig in Gebrauch gekommen. — Der künstliche Fuss von Miles ist
vorzugsweise dazu bestimmt , nach der Amputation unmittelbar über den
Knöcheln das Gehen zu erleichtern. Der Apparat besteht aus einem künst-
lichen Fuss und einem hohlen, durch Schnüren geschlossenen Unterschen-
kel zur Aufnahme des Stumpfs. Der obere Theil des Apparats dient zur
Aufnahme des Oberschenkels und bietet zwei Stüzpunkte für den Hüft-
beinkamm und Sizbeinknörren. Beide Theile des Apparats sind am Knie-
gelenke durch articulirende Hebel verbunden , welche durch Federkraft
die Beugung und Streckung ausführen. Charriere und Martin haben
einige Veränderungen an diesem Apparat angebracht. S e r r e hält die
Vergrösserung des Stüzungsapparats über den ganzen Oberschenkel und
selbst bis zum Becken für überflüssig und findet ein Bewegungsgelenk an
den Zehen unnöthig. Der künstliche Fuss der Marg. Carol. Eichler
ist im Wesentlichen wieder , was die Gelenke betrifft , in der Art wie die
Gliederpuppen , nämlich mittels Zapfen und Fugen gebaut. Zur Herstel-
lung der Bewegung dienen starke , mit Darmsaiten in Verbindung ste-
hende Spiralfedern. — Dornblüth, der sich um diesen Theil der
Mechanik sehr verdient gemacht hat , stellt folgende aus der Erfahrung
entnommene Säze für die Verfertigung eines künstlichen Beines auf:
Burger, Chirurgie. 24
370 GURGELWASSER.
1) das künstliche Glied muss der Forin nach dem natürlichen gleich sein,
besonders soll der Schaft dem Rumpfe angemessen geformt werden ;
2) es muss zugleich dauerhaft und dem Körper, der es tragen soll, ge-
mäss leicht sein ; beim Gehen und Stehen dürfen weder Sicherheit noch
Bequemlichkeit vermisst werden , und besonders muss die elastische Ver-
bindung des Fussgelenks haltbar sein ; übrigens findet sich der sichere
und bequeme Gang erst nach einiger Uebung mit Krücke und Stock;
3) die Apparate müssen möglichst einfach und wohlfeil sein ; 4) die Be-
festigung des künstlichen Gliedes an dem Stumpfe muss sicher sein und der
Druck möglichst zertheilt werden. Der freie Gebrauch des noch vorhandenen
Kniegelenks darf nicht beschränkt , die Haut durch Aufwärtsgleiten nicht
sehr angespannt und auf Kosten der Amputationsfläche gezerrt werden.
Leztere muss einen oder mehrere Zolle vom Boden des Cylinders entfernt
bleiben und darf nicht auf einem Kissen ruhen. Von der Schamgegend,
dem Gesässknorren , dem Trochanter und der Gräte des Schenkels , dem
Kopfe des Wadenbeins, den Beugesehnen in der Kniekehle bei rechtwin-
keliger Gelenkbiegung ist vorzüglich jeder Druck abzuhalten. Die Schafte
dürfen nicht gepolstert sein ; das Polster vermehrt das Gewicht des Appa-
rates, zerrt die Haut, schmiegt sich der eigenthümlichen Form des Rum-
pfes nicht an , drückt auf die Beckenknochen , wird vom Schweisse hart,
die Weichtheile werden von der Narbe und dem Knochenende abgezogen
etc. Das Blech des Schafts wird daher nur mit Leder überzogen , und
dieser ist von der Art , dass er auf den Stumpf geschoben werden kann,
nachdem der leztere mit einem Tuche und einer Zirkelbinde mehr und so,
dass die Weichtheile nach unten getrieben werden, umwickelt worden ist.
— Bei der Amputation des Unterschenkels berücksichtige man , ob der
Kranke sich später einer Stelze oder eines künstlichen Fusses bedienen
will. Im erstem Falle muss der Unterschenkel hoch oben unter dem Knie
abgenommen werden , damit der Stumpf nicht weit nach hinten hinaus-
reicht ; im zweiten Falle amputire man so tief als möglich am Unterschen-
kel. — Nach der Amputation der Fusswurzelknochen stopft man nach der
Heilung und der festen Vernarbung den Stiefel mit Wolle aus. — Die
Zeit der Anlegung eines künstlichen Gliedes betreffend, so darf diese erst
dann erfolgen , wenn sich der Knochen fest geschlossen und abgerundet
hat, und der Druck daselbst gar keine Schmerzen verursacht, was meistens
bis 6 Monate nach der Operation der Fall ist. Stelzen , welche die ver-
wundete Seite des Stumpfs nicht drücken, können früher angelegt werden.
GlirgelwaSSer, Gargarisma(vony«^a^w, ich gurgle).
Mit diesem Namen bezeichnet man ein flüssiges Arzneimittel , welches in
verschiedenen Krankheiten der Mund- nnd Rachenhöhle angewendet wird.
Es wird , während der Kopf zurückgebeugt ist , durch den aus der Luft-
röhre kommenden Luftstrom in Bewegung gesezt und damit längere Zeit
mit dem hintern Theile der Mundhöhle in Berührung erhalten ; die
GUERTEL. 371
Schlund- und Gaumensegelmuskeln wiedersezen sich dabei dem Ver-
schlucken und dem Eindringen der Flüssigkeit in die Nasenhöhle. Da
zu dem Gurgeln eine bestimmte Kraft und Gewandtheit gehört , so ist es
bei kleinen Kindern nicht anwendbar. Man kann sich zu Gurgelwässern
aller im Wasser auf löslichen arzneilichen Substanzen bedienen , und sie
nach ihrer Wirkung in erweichende , zusammenziehende etc. eintheilen.
Am häufigsten wendet man Abkochungen oder Aufgüsse von Vegetabilien
an und bestimmt den Grad der Temperatur bei ihrer Anwendung.
Rp. Flor, sambuc. Rp. Alum. crudi 5j,
Herb, malvae ana 5üj, solv. in
inf. c. aq. ferv. q. s. Aq. salviae ^vj
Col. 5viij adde. adde
Meli, crudi 5J Tinct. pimpinell. JJ3,
M. S. Erweichendes Gurgel- Syr. moror. 3vj.
wasser, lau anzuwenden. M S. Zusammenziehendes Gurgel-
wasser, bei erschlafftem Zäpfchen.
Rp. Aq. chlorinic. ^13,
Dect. sem. hord. ^x,
Syr. moror. ^jß.
M. S. Antiseptisches Gurgel-
wasser, bei brandiger Angina.
Gürtel , C i n g u 1 u m , nennt man eine mehr oder weniger breite,
aus Leinwand , Barchent , Leder oder andern Stoffen verfertigte Binde,
welche die Brust oder den Unterleib umgibt. — 1) Der Brustgürtel,
Cingulum pectorale, wird aus Leinwand, Barchent, Leder etc. ver-
fertigt , umgibt den Brustkasten von den falschen Rippen bis zur Achsel-
höhle kreisförmig und wird durch Bänder oder Riemen und Schnallen an
einander befestigt ; vor dem Herabgleiten von den Schultern sichert man
ihn durch Tragriemen. Mayor fertigt den Gürtel aus doppelter Lein-
wand und füttert ihn mit einer Lage Watte , Wolle oder Charpie. Die
Befestigung geschieht durch Bänder und Bandschleifen, Um das Abglei-
ten zu verhindern, wird ein Leinwanddreieck mit seiner Mitte im Nacken
angelegt, die Enden über die Schultern nach der Brust geführt und hier
an die Brustbinde befestigt ; das Gleiche geschieht mit der Spize des
Dreiecks hinten. — Die S ch ult e r - , Trag- oder Jo chbinde , die
Serviette mit dem Scapulier, Fascia scapularis, besteht aus
einem mehrfach zusammengelegten Stück Leinwand (Handtuch, Serviette),
welches so lang sein muss , dass es den Leib 1V2 Mal umgibt. Dieses
wird auf 2 Köpfe gerollt, die Binde dann um den Oberleib herumgeführt,
und das freie Ende mit Stecknadeln oder einigen Nadelstichen befestigt.
Zur Sicherung der Lage dieser Binde dient das Scapulier oder der Trä-
ger. Dieser besteht aus einem gehörig langen , 6 — 8 Finger breiten
24*
372 GUTTA PERCHA.
Streifen Leinwand, in welchen in der Mitte seiner Länge nach eine Spalte
geschnitten ist. Diese Spalte wird über den Kopf des Kranken herein-
gestreift und die beiden Enden dieses Scalpuliers vorn und hinten an die
Brustbinde befestigt'. Man kann den Träger auch von einem Ende bis
zur Mitte spalten , und die gespaltenen Enden , indem man sie vorn oder
hinten kreuzt, an die Brustbinde befestigen. Einfache Bänder thun den
nämlichen Dienst. — Das Brusttuch von Hofer besteht aus einem
Stück Leinwand oder Barchent von 4 — 5 Fuss Länge und 1 Fuss Breite,
welches an dem einen Ende in gleicher Entfernung vier länglich-viereckige
Einschnitte (Knopflöcher), an dem andern Ende vier Knöpfe hat. In der
Mitte der Leinwand , 4 Zoll vom obern Rande entfernt , befindet sich ein
weiterer 5 Zoll langer Einschnitt , durch welchen man bei der Anlegung
den Arm der leidenden Seite führt , während man auf der andern Seite
die 4 Knöpfe durch die vier Einschnitte steckt, sie fest anzieht und je 2
und 2 zusammenbindet. — Sämmtliche vorgenannte Verbände dienen zur
Befestigung von Verbandstücken an der Brust nach Verwundungen, nach
der Operation des Empyems , sowie bei Rippenbrüchen. — 2) Der
Leibgürtel, Cingulum abdominale, ist vom weichem Leder
oder Barchent verfertigt und zuweilen mit Leinwand oder Flanell gefüt-
tert. Dieser Gürtel , welcher den ganzen Unterleib umschliesst , hat ent-
weder an einem Ende Riemen und an dem andern Schnallen , wodurch
man ihn fester schnallen kannj, oder es sind an beiden Enden Bänder an-
gebracht ; über die Schultern laufen bisweilen zwei Tragriemen , welche
an dem Rückentheile des Gürtels angebracht sind und sich auf der Brust
kreuzen. Ein billigerer Gürtel kann von Leinwand in der Art, wie ihn
M a y o r für die Brust (s. oben) angegeben hat, hergestellt werden. Statt
des Dreiecks versieht man diesen mit Tragbändern. — Diese Verbände
dienen zur Befestigung anderer Verbandstücke , sowie zur Unterstüzung
während der Schwangerschaft , bei der Wassersucht , bei Brüchen des
Darmbeines etc. — Einige besondere Gürtel für den Bauchstich , wie sie
von Brunn inghausen und M o n r o angegeben wurden , werden auf
das Genügendste durch zwei Handtücher ersezt , welche man so um den
Leib legt , dass sie die Punctionsstelle zwischen sich frei lassen und ihre
Enden sich auf dem Rücken kreuzen ; zwei zu den Seiten des Kranken
stehende Gehülfen ziehen sie in entgegengesezter Richtung massig fest
an, zuerst in der Absicht, um diese Stelle zu spannen und dann nach voll-
zogener Operation das Wasser allmälig auszutreiben, nach dessen Entlee-
rung sie liegen bleiben , indem man sie mit Stecknadeln befestigt. —
Eine Reihe weiterer Leibbinden, wie die von Stark für Schwangere und
Entbundene, die vereinigenden Leibbinden von Hof er und v. Siebold
(zum Verband nach dem Kaiserschnitt bestimmt), der geschnürte Leibgür-
tel, werden durch ein mit Tragbändern versehenes Handtuch ersezt.
Gutta Percha, s. Gummi Geltania, ist der erhärtete Milch-
GUTTA PERCHA. 373
saft eines auf Malaeca, Borneo und andern malayisehen Inseln wachsenden,
zur Familie der Sapoteen gehörigen Baumes , nämlich der Isonandra
Gutta, Hook. Man unterscheidet drei Arten des Milchsaftes: Gutta
girek. Gutta tuban und Gutta percha. Die Gutta percha hält
gewissermassen die Mitte zwischen Kautschuk und Leder , fühlt sich
speckig an, hat blätteriges Gefüge, Chocoladenfarbe , die Consistenz
und Zähigkeit des Sohlleders , aber weniger Elasticität als Kautschuk.
Der Geruch erinnert an Leder und Bast ; Geschmack besizt sie nicht ;
durch Aether wird sie weiss. — Die Gutta percha lässt sich vielfach an-
wenden. Diese ihre vielseitige Anwendbarkeit beruht vorzüglich auf fol-
genden Eigenschaften : 1) auf ihrer grossen Formbarkeit, wodurch
die genaueste Anpassung des betreffenden Verbandstückes erzielt werden
kann. Sie eignet sich daher zu Pelotten für Bruchbänder und Turnikets,
zu Deckplatten des Schädels nach der Trepanation, zu Obturatoren für
den perforirten Gaumen , zu Verbänden bei Knochenbrüchen und Klump-
f üssen etc. ; nach plastischen Operationen , besonders zur Formung der
Nase; zur Bedeckung der Nagelmutter nach Verlust des Nagels u. dgl.m. ;
2) auf ihrer grossen Widerstandsfähigkeit gegen Zersezung durch
thierische Flüssigkeiten, während sie bei einer massigen Elasticität eine
hinreichende Steifheit besizt , die einmal erhaltene Form auch fernerhin
zu behalten , wodurch ihr entschiedener Vorzug vor dem Kautschuk ge-
sichert wird. Sie ist daher vor diesem geeignet zur Verfertigung von
Pessarien, Cathetern , Bougies , Röhren aller Art etc. ; 3) auf der grossen
Leichtigkeit ihrer Bearbeitung, wodurch der Wundarzt in
Stand gesezt wird , sich ein fehlendes Instrument selbst zu verfertigen
oder ein vorhandenes auf eine passende Weise zu verändern ; 4) auf ihrer
Unverwüstlichkeit, indem sie immer wieder zu andern Zwecken
verwendet werden kann; sie erweicht sich nämlich in heissem Wasser
gleich einem Teige , in welchem Zustande ihr jede beliebige Form gege-
ben werden kann , die sie , wieder erkaltet , behält, was durch Eintauchen
in kaltes Wasser, oder weich angelegt, durch Fomentationen mit kaltem
Wasser beschleunigt wird. Selbst Abfälle , wie man sie z. B. beim Zu-
schneiden der Platten zu Schienen erhält, lassen sich durch Kneten in
heissem Wasser zu einer zusammenhängenden Masse vereinigen, die dann
wieder zu irgend einem andern Zwecke verwendet werden kann. — Hat
man Gutta percha zu Schienen benüzt, so werden diese behufs ihrer Ent-
fernung mit in heisses Wasser getauchten Flanelllappen umwickelt , wo-
durch sie sich erweichen. — Gutta percha ist ein sehr guter Electrici-
täts-Isolator ; in der Gestalt dünner Bänder und Fäden gibt es vortreffliche
isolirende Auf hängebänder, in Plattenform die ausgezeichnetste isolirende
Basis ab etc. — Um die Gutta percha zu Cathetern zu verwenden, muss
sie vorher aufgelöst und die Lösung auf die Gewebegrundlage , wie bei
den Cathetern aus Gummi elasticum , aufgetragen werden. Sie ist in
Schwefelalcohol , in Chloroform und in den rectificirten Oelen von Ter-
374
GYPS VERBAND.
pentin , Harz , Theer lösbar ; das beste Lösungsmittel ist der Schwefel-
alcohol , da nach dessen sehr schneller Verdunstung die darin gelöste
Gutta percha vollkommen gereinigt mit allen ihren früheren Eigenschaften
zurückbleibt. Mit dieser Auflösung lassen sich alle Stoffe durch Auf-
streichen vollkommen wasserdicht machen ; diese Flüssigkeit lässt sich
aber auch noch anderweitig verwenden , z. B. bei penetrirenden Brust-
wunden, offenen Gelenkwunden, welche man, nachdem sie mit Heftpflaster
bedeckt worden sind, mit der Guttaperchalösung überzieht, ferner als
Schuzmittel bei Sectionen, Geschwüren u. dgl. , deren Secret die Umge-
gend leicht corrodirt ; endlich hat es sich bei Eczema und andern Haut-
krankheiten nüzlich erwiesen. A c t o n verband zu diesem Zwecke Gutta
percha und Kautschuk mit einander. Er löst 5j Gutta percha in 5j
Benzol (flüchtiges Princip der Kohlennaphtha) und gr. x Kautschuk in
derselben Menge Benzol bei gelinder Wärme auf, mischt dann beide in
gleichen Verhältnissen zusammen und trägt die Masse mit einem Pinsel
auf. — Gutta percha wird weder durch Aezkalilauge , verdünnte Säuren,
noch von Harnsäure oder irgend einer thierischen Flüssigkeit angegriffen.
Nur concentrirten Säuren widersteht sie nicht. — In neuerer Zeit wird
auch Guttaperchapapier in Gebrauch gezogen, welches sich durch Hervor-
rufung einer stark vermehrten Hautausdünstimg auszeichnet , in welcher
Eigenschaft es sich hauptsächlich bei acutem und chronischem Rheuma-
tismus und bei der Gicht nüzlich erweist.
Gipsverband. Dieser schon in den ältesten Zeiten bekannte
Verband wurde ausschliesslich bei Fracturen des Unterschenkels und zwar
vorzüglich bei schiefen Brüchen in der Nähe des Fussgelenkes angewen-
det, wo eine stete Ausdehnung schwer zu bewerkstelligen ist. — Um den
Gypsguss zu machen, ist ein entsprechend langer und breiter Kasten, des-
sen Wände zum Herabklappen und Wegnehmen eingerichtet sind, nöthig.
Das Innere des Kastens sowie den Unterschenkel , der eingehüllt werden
soll , bepinselt man zuvor mit Oel. Wickelt man das Glied mit Binden
ein , so beölt man , statt des Unterschenkels , diese. Man mischt eine
Meze ganz weissen , nicht frisch gebrannten pulverisirten Gyps unter ste-
tem Umrühren mit ungefähr 8 Quart Wasser, so dass die Masse die Con-
sistenz der Buttermilch hat. Mehr Gyps würde zu viel Hize entwickeln
und zur Verbrennung des Gliedes Anlass geben. Diese Mischung wird
über den schwebend und in der gehörigen Ausdehnung in dem Kasten
gehaltenen Unterschenkel gegossen nnd lezterer nach Erkaltung der Masse
entfernt , worauf man die Gypshülse auf eine Schwebe stellt. Will man
eine Stelle des kranken Gliedes frei ma'chen , um sie beschauen zu kön-
nen, so schneidet oder bohrt man daselbst ein Loch ein. Man kann auch
einen Guss bereiten , der sich jederzeit bequem abheben lässt und mit
dessen Hülfe man auf den obern Theil des Unterschenkels kalte Um-
schläge machen oder eine daselbst befindliche Wunde verbinden kann.
GYPSVERBAND. 375
Man giesst zu diesem Behufe den Kasten nur so weit voll , dass das
Schienbein über die Fläche des Gypses hervorragt , drückt in die leztere,
ehe sie ganz erhärtet , mehrere Gruben mit dem Finger ein , überstreicht
sie dann überall mit Oel , giesst darauf den Kasten voll und erhält so
einen Deckel , welcher in jene Gruben der ersten Schicht mit ebenso vie-
len Zapfen eingreift und daher hinlänglich fest liegt. Die scharfen Rän-
der des ersten Gusses kantet man ab. — Auch beim Klumpfusse wurde
der Gypsverband angewendet. — In neuester Zeit hat der Gyps bei der
Behandlung der Knochenbrüche eine von der frühern ganz verschiedene
Anwendungsweise gefunden. Seitdem nämlich die unbeweglichen Bruch-
verbände eine grössere Verbreitung gefunden haben, ging das Bestreben
der AVundärzte dahin, eine schnell trocknende Substanz aufzufinden. So
kam man auch wieder auf den Gyps, welcher zu dem angegebenen Zwecke
in ziemlich übereinstimmender Weise von Mathie s e n, van deLoo
und P i r o g o f f verwendet wurde. Der Leztere bediente sich einer Mi-
schung von gleichen Theilen gepulverten Gyps und Wasser , mit welcher
die Verbandstücke getränkt werden. Ein mit dieser Mischung herge-
stellter Verband ist schon in 8 Minuten vollkommen steif und für Feuch-
tigkeit und Nässe undurchdringlich. Bei einfachen Brüchen sind bei
diesem Verbände keine Schienen nöthig. Nach Einhüllung des gebro-
chenen Gliedes mit trockener Leinwand und Belegung der Ungleichheiten
mit Baumwolle , Werg oder Charpie werden (an die Stelle der Schienen)
längliche ,3 — 6 Zoll breite und mit der Mischung getränkte dicke Com-
pressen von grober Leinwand der Länge des Gliedes nach angelegt und
diese hierauf mit andern gleichfalls getränkten (zum Unterschiede von
jenen Streifen genannten) ähnlich zubereiteten Verbandstücken 1 4/2 — 2
Mal kreisförmig umgeben. Händelt es sich von einem Verbände , der
längere Zeit zu seiner Anlegung erfordert , so kann man das rasche Er-
härten des Gypses willkürlich durch Zusaz von ein wenig dünn gekochtem
Tischlerleim verlangsamen. Um diesen unbeweglichen Verband, von dem
Erfinder Gypsklebeverband genannt , wenn es nöthig ist , enger
machen zu können , legt P i r o g o f f die der Länge des Glieds nach an-
gelegten Verbandstücke (von ihm Schienen genannt) nach vorn so an,
dass sie sich nicht ganz berühren, und bringt ein langes in Oel getränk-
tes Band in die Lücke , ebenso tränkt er die der Lücke entsprechenden
Stellen der Streifen mit Oel , welches leztere die Verbindung der Gyps-
lösung hindert und gestattet , dass man späterhin die ganze Kapsel auf-
schneiden kann. Auch Fenster lassen sich bei complicirten Brüchen ganz
leicht anbringen. Bei Schiefbrüchen kann man Schienen von Pappe und
Holz anwenden.
376 HAARSEIL.
H.
HciaXSeil, Eiter band, Setaceum, Seton nennt man einen
an beiden Rändern ausgefranzten Leinwandstreifen oder eine aus meh-
reren Fäden bestehende Schnur von Baumwolle oder Seide, welche in die
Haut oder in irgend eine Geschwulst eingezogen werden , um eine fort-
dauernde Ableitung, einen gehörigen Grad von Entzündung, die Verklei-
nerung irgend einer Geschwulst durch anhaltende Eiterung, oder die
Durchgängigmachung irgend eines Ganges zu bezwecken. — Man kann
das Haarseil überall anwenden , wo die Haut sich in eine Falte erheben
lässt. Gewöhnlich wird es bei Krankheiten des Kopfes im Nacken , bei
denen der Brust an dem vordem und seitlichen Theil derselben zwischen
zwei Rippen , bei Krankheiten des Unterleibes am Oberschenkel oder
Oberarme , bei Krankheiten der Gelenke in der Nähe dieser in Anwen-
dung gebracht. Im Allgemeinen sind auch hier , wie beim Fontanell?
Stellen, unter denen unmittelbar Knochen, starke Muskeln etc. liegen, zu
vermeiden. — Soll das Haarseil durch die Haut gezogen werden, so ge-
schieht dies am besten mit der Haarseilnadel , in deren breites Queröhr
der ausgefranzte V2 — 3/4 Zoll breite und 1 — 2 Ellen lange Leinwand-
streif oder die Schnur glatt eingefädelt ist. Der Wundarzt erhebt mit
dem Daumen und Zeigefinger der linken Hand mit Unterstüzung eines
Gehülfen die Haut in eine horizontale, im Nacken aber in eine senkrechte
Falte , durchsticht diese etwas über ihrer Basis mit der geölten Seton-
nadel in die Quere , und zieht das Haarseil so weit nach , dass sein ein-
gefädeltes Ende frei zur zweiten Wundöffnung hervorsieht. Hat man
keine Setonnadel zur Hand, so durchstösst man die aufgehobene Hautfalte
mit einer Lancette oder einem zweischneidigen Bistouri , und zwar von
unten nach oben, und führt nun unter der mit der Falte etwas erhobenen
Klinge das Haarseil entweder mit Hülfe einer geöhrten Sonde, oder nach-
dem das Ende desselben durch Aufträufeln von Siegellack unbiegsam und
spizig gemacht worden ist, durch den Wundkanal. Nachdem die NadelT
die Sonde oder das belackte Haarseilende beseitigt ist, werden die Wund-
öffnungen mit besalbten oder beölten Charpiebäuschen bedeckt, das kür-
zere Ende des Eiterbandes mit einem Heftpflasterstreifen befestigt , das
längere aber in ein flaches Päckchen zusammengefaltet , in Wachspapier
und Leinwand eingewickelt und mit Heftpflaster , Compresse und Binde
so befestigt , dass es von der Absonderung nicht verunreinigt werden
kann. — Bei der Einziehung der Eiterschnur in eine Höhle, welche Flüs-
sigkeit enthält , z. B. in einen Abscess , verfährt man wie es bei den Ab-
scessen angegeben ist. Soll eine Eiterschnur durch eine Geschwulst ge-
zogen werden, die keine Flüssigkeit enthält, so bedient man sich entweder
einer Setonnadel oder eines Stilets mit einer Trocartspize, und führt die-
HAEMORRHOID ALKNOTEN. 377
selben nur in einer solchen Richtung und so tief durch die Masse der
Geschwulst, dass man nicht Gefahr läuft, bedeutende Gefässe oder Ner-
ven zu verlezen. — Das eingezogene Eiterband lässt man liegen, bis
Eiterung eingetreten ist, was in 3 — 4 Tagen der Fall ist; dann nimmt
man den Verband ab, weicht die in den Hautwunden befindlichen Krusten
mit warmem Wasser los und zieht einen frischen Theil des Eiterbandes,
nachdem man ihn zuvor mit Oel oder einer milden Salbe bestrichen hat,
in den Wundkanal nach. Das alte mit Eiter getränkte Stück wird ab-
geschnitten und der Verband wie früher bestellt. So fährt man täglich
ein bis zwei Mal fort , und wenn das Haarseil beinahe verbraucht ist , so
näht man an den Rest ein neues an, welches man mit dem alten einzieht.
— Verursacht das Haarseil heftigen Schmerz und Entzündung, so macht
man es dünner, bestreicht es mit milden Salben und bedeckt die Wunden
mit Breiumschlägen. Ist die Eiterung nicht reichlich genug, so verstärkt
man entweder die Dicke des Eiterbandes oder bestreicht es mit reizenden
Salben , z. B. Digestiv- oder Cantharidensalbe. Wird die Eiterung zu
profus , so wendet man innerlich und äusserlich stärkende Mittel an. —
Man hüte sich, die Hautbrücke zu schmal zu machen und das Haarseil zu
flach unter der Haut fortzuführen ; in beiden Fällen wird die Haut blau-
roth, dünn, stirbt ab und das Haarseil fällt aus, was die Herstellung eines
neuen an einer andern Stelle nöthig macht. — Entsteht beim Durch-
stechen der Setonnadel bedeutende Blutung , so suche man sie durch
Druck oder kalte Umschläge zu stillen; gelingt dies nicht, so mus man
die Hautbrücke spalten und das blutende Gefäss unterbinden. — Das
Haarseil ist eines der durchgreifendsten und wirksamsten Ableitungsmittel.
Man wendet es besonders bei Krankheiten des Gehirns , der Sinnorgane,
des Kehlkopfes , bei Ansammlungen von Eiter oder Wasser in der Brust-
und Unterleibshöhle, in den Gelenkhöhlen, bei chronischen Entzündungen
dieser Organe, bei kalten und tiefsizenden Abscessen etc. an.
HämatOCele, s. Hydrocele.
Hämorrhoidalknoten, Goldaderknoten, Varices hae-
morrhoidales sind varicöse Ausdehnungen der Venen im untern
Theile des Mastdarms, indem sich durch die Anhäufung des Blutes in
diesen Gef ässen und in ihrer Umgebung widernatürliche Beutel und Säcke
von verschiedener Gestalt und von der Grösse einer Erbse bis zu der
einer welschen Nuss bilden. Sind diese Säcke geschlossen und trocken,
so nennt man sie blinde Hämorrhoiden (Haemorrhoides
c o e c a e) , sind sie offen und ergiessen sie Blut , so bezeichnet man sie
mit dem Namen fliessendeHämorrhoiden (H. fluentes, aper-
tae). Haben die Geschwülste eine bedeutende Grösse, so nennt man sie
Sackhämorrhoiden (H. saccatae), wenn sie klein sind, Zacken
(Tubercula haemorrhoidalia). — Sind die Knoten von einiger
Grösse , so sind sie nur selten noch reine varicöse Erweiterungen der Ve-
378 HAEMORRHOIDALKNOTEN.
nen , sondern Erweiterungen des Zellgewebes in Folge von Austritt und
Coagulation von Blut in dasselbe. Durch diese verschiedene Structur der
Hämorrhoidalknoten wird der Unterschied inVarices haemorrhoi-
d a 1 e s und eigentliche Hämorrhoidalknoten begründet , welche leztere
auch Mariscae genannt werden. — Die erste Wirkung einer Hämor-
rhoidalgeschwulst ist , was auch die primäre Entstehungsweise gewesen
sein mag , Loslösung der Schleimhaut von der Muskelhaut und dadurch
Verengerung des Kanales. Nach und nach wird durch die schleichende
Entzündung Serum und Exsudat in den Geschwülsten erzeugt , und die
wiederholten Anstrengungen während des Stuhlganges treiben dieselben
immer tiefer herab und bringen sie endlich zum Austritte aus dem Darm-
rohre. Durch die Contractionen des Sphincter ani wird auf die pa-
thologischen Producte ein Druck ausgeübt , was bedeutende Schmerzen,
zeitweise erhöhten Entzündungszustand etc. zur Folge hat. — Sym-
ptome. Die Hämorrhoidalknoten , welche an dem äussern Rande des
Afters, an der innern Seite des Mastdarms, in der Gegend des Sphincters
oder oberhalb desselben sizen können, stellen sich als bläulich rothe, ela-
stische , zuweilen aber auch (wenn das Blut in ihnen geronnen ist) als
harte, glatte Geschwülste dar, welche unter ziehenden, drückenden, reis-
senden Schmerzen im Kreuze periodisch anschwellen und dann wieder
schlaff werden , so dass nur die leeren Beutel zurückbleiben. Sind sie
fliessend, so stellt sich ein periodischer Blutfluss ein , der oft mit grosser
Erleichterung für den Kranken verbunden ist, nicht selten aber auch den-
selben sehr schwächt und selbst in Lebensgefahr sezt. — Wenn die Hä-
morrhoidalknoten eine bedeutende Grösse erreichen, und wenn die hinter
dem Sphincter gelegenen Geschwülste beim Stuhlgange hervorgetrieben
werden , so werden sie öfters durch die Afteröffnung eingeklemmt , wo sie
dann bedeutend anschwellen, ausserordentlich schmerzhaft, in Entzündung
versezt und selbst brandig werden können. Dabei stellt sich ein höchst
schmerzhafter Zwang ein, dieLIoden werden krampfhaft gegen den Bauch-
ring gezogen und der Schmerz verbreitet sich oft über den ganzen Unter-
leib. — Manchmal gehen die Hämorrhoidalknoten in Eiterung über , in
welchem Falle durch die Verbreitung des Eiters in dem leeren Zellgewebe
bedeutende Zerstörungen und Fisteln veranlasst werden können. Zuwei-
len kommt es auch zur Degeneration der Mastdarmschleimhaut. — Ur-
sachen. Diese sind ausser der Prädisposition , welche schon in dem
aufrechten Gange , dem ohnedies beschwerlichen Rückflusse des Blutes in
dem Pfortadersystem , welches keine Klappen besizt , in erblicher Anlage
und dem vermehrten Zuflüsse des Blutes zu den Organen der Unterleibs-
höhle im vorgerückten Alter gegeben ist , der häufige Genuss reizender
Speisen und Getränke , Wein , Kaffee , Druck des schwangeren Uterus,
örtliche Reizungen des Mastdarms durch harten Koth , häufiges Reiten,
oder der nahegelegenen Theile, z. B. der Blase beim Blasensteine etc. —
Behandlung. Diese hat sich nach dem Zustande zu richten , in wel-
HAEMORR.HOIDALKNOTEN. 379
chem sich die Häniorrhoidalgeschwülste befinden. — Sind sie entzündet,
so wendet man neben der Anordnung einer kühlenden Diät, grösster
Ruhe und horizontaler Lage , Ricinusemulsionen mit Nitrum , spater den
Cremor tartari mit Schwefel , Blutegel an das Mittelfleisch , Ueber-
schläge von Bleiwasser , Bestreichen mit Ungt. althaeae, Leinöl, fri-
scher Butter, Fomente von Chamillen, Flieder mit Milch , lauwarme Was-
ser- und Dampfbäder an. Ist die Entzündung Folge der Einklemmung
der Knoten , so sucht man sie mit den beölten Fingern zurückzubringen,
wobei der Kranke mit dem Steisse hoch liegen und sich alles Drängens
enthalten muss , und wenn dies nicht leicht geht , so entleert man sie mit
einem einfachen Lancettstich. Ist die Entleerung mehr krampfhafter
Art , so verbindet man die antiphlogistischen Mittel mit Antispasmodicis
und sezt an die Stelle der kalten Umschläge milde Oeleinreibungen, milde
Salben mit Opium , Hyoscyamus , Belladonna , narkotische Fomentationen
und Dampfbäder. Bei zurückbleibendem Torpor der Knoten nach ge-
hobener Entzündung passt Rust's Mischung: Rp. Ungt. saturn. ^ß,
AI um. crud. 5jj , Opii puri 513. M. S. Mittels Leinwandläppchen
aufzulegen. - — Geht die Entzündung in Eiterung über , so muss diese
durch die Anwendung feuchter Wärme befördert und der Abscess zeitig
geöffnet werden. — Droht die Blutung erschöpfend zu werden , so gebe
man innerlich neben strenger Ruhe Schafgarbe, Mineralsäuren, Eisensalze,
z. B. Rp. Extr. millefol. ^j Limat. mart. alcohol. 5jj , Pulv.
c o r t. c i n n a m. q. s. u t f. p i 1 1. g r. jj , c o n s p. c. pulv. c i n n a m.
D. S. Dreimal täglich 3 — 5 Pillen; äusserlich dienen kalte Sizbäder,
kaltes Wasser mit Essig , mit Weingeist , kalte Decocte von zusammen-
ziehenden Kräutern oder Auflösungen von Alaun etc. als Einsprizungen
in den Mastdarm oder als Fomentationen mit einem Schwamm , Tampo-
nade. — Wenn die Knoten wegen ihrer Grösse oder ihrer Verhärtung etc.
andauernde Beschwerden verursachen , ausserhalb des Mastdarms liegen
oder bei jedem Stuhlgange vorfallen und die Kothausleerung hindern , so
müssen sie durch ein operatives Verfahren entfernt werden. Hängen die
Hämorrhoidalknoten von einem innern Leiden ab , so entferne man nicht
alle, sondern nur die grösseren, härteren und schmerzhafteren , weil sonst
nachtheilige Zufälle für den Gesammtorganismus entstehen könnten. —
Die Entfernung der Hämorrhoidalknoten geschieht entweder durch Ex-
stirpation oder Unterbindung oder Cauterisation. Vor der Operation
wird der Darmkanal durch ein Klystier entleert , der Kranke auf den
Bauch gelegt mit erhöhtem Steisse, ein Gehülfe zieht die Hinterbacken
auseinander und der Kranke presse wie beim Stuhlgange die Knoten her-
vor. — Die Exstirpation ist angezeigt , wo äussere Hämorrhoidal-
knoten weggenommen werden sollen. Man fasst den Knoten mit einer
Pincette , einem spizen Haken oder mit einer dnrchgezogenen Faden-
schlinge, zieht ihn an und schneidet ihn mit der C o o p e r ' sehen Scheere
so ab , dass noch etwas an der Basis desselben zurückbleibt , wodurch die
380
HALFTER.
Wunde zum Theil bedeckt, die Nachblutung und eine zu knappe Ver-
narbung verhindert wird. Die Blutung ist selten bedeutend und wird
gewöhnlich durch Zusammendrängung der Wunde durch den Sphincter
gestillt ; im Nothfalle tamponirt man oder applicirt ein bohnenf örmiges
glühendes Eisen auf die Wunde. — Die Unterbindung passt beson-
ders bei inneren Hämorrhoidalknoten. Der vorgedrängte Knoten wird
mit einer Pincette oder einem Haken fixirt, seine Basis mit einer starken
Ligatur umgeben, diese fest zugezogen, der Knoten dann mit einer Lan-
cette angestochen , um ihn zu entleeren , und hierauf die Ligatur noch-
mals so fest als möglich zusammengezogen. Ist der Knoten gross , hat
man zu besorgen, dass die Ligatur abgleite, so sticht man eine Nadel mit
doppeltem Faden durch die Basis des Knotens , theilt die Ligatur und
bindet den Knoten nach zwei Seiten hin ab (s. den Art. Abbinden),
worauf man wieder die Eröffnung vornimmt. Nachdem die Fadenenden
dicht am Knoten abgeschnitten worden sind , bringt man den Hämorrhoi-
dalsack in den Mastdarm zurück. Die Ligatur fällt in wenigen Tagen
ab. C h a s s a i g n a c bedient sich hier auch seines Ecraseurs (s.
Abbinden), zu welchem Behufe er die Hämorrhoidalgeschwülste vor-
her stielt. Bei breiter Basis, halb innen, halb aussen liegend, sticht man
eine krumme Nadel durch und bildet einen Stiel. Es fliesst kein Blut,
in 1 0 Minuten ist Alles vorbei und die Wunde heilt rasch. — Die C a u -
terisation wird besonders von französischen und englischen Aerzten
geübt. Houston touchirt die nach aussen gezogenen Knoten mit einem
in Salzsäure getauchten Holzstäbchen überall und schiebt sie darauf mit
diesem Stäbchen in den Mastdarm zurück. Die Folge davon soll reich-
liche Eiterung aus dem After und baldige Heilung sein. H u t i n benüzte
mit demselben Erfolge die Wiener Aezpaste bis zur Mortification der
Knoten , während Amussat mit demselben Mittel (und zwar in festem
Zustande) den Stiel der Geschwulst bis zur völligen Mortification caute-
risirt , dann das Contentum der Geschwulst durch einen Lancettstich ent-
leert, kaltes Wasser einsprizt und hierauf alles in das Rectum zurück-
gleiten lässt. H.Lee wendet die concentrirte Salpetersäure an , aber
nicht auf die Knoten selbst, sondern auf die umgebende Schleimhaut, und
rechnet dabei nach Erzielung der Narbenbildung auf allmälige spontane
Verödung der Knoten. L i s f r a n c touchirt die Knoten leicht mit Höl-
lenstein. Velpeau wandte in einem mit Fissuren verbundenen Falle
ein Glüheisen in Gestalt eines Flaschenstöpsels auf die ganze Masse an
und reponirte diese mit dem Glüheisen , um auch die innen gelegenen
Theile zu treffen.
HämOSpasie, s. Schröpfen.
Xialrter, C a p i s 1 t u m , ist ein Verband, welcher bei Verlezungen
des Unterkiefers zur Anwendung kommt. Man hat eine einfache und
doppelte Halfter. — Zur Herstellung der einfachen Halfter, Ca-
HALFTER. 381
p i s t r u m s im p 1 e x , nimmt man eine (> — 7 Ellen lange , 2 Daumen
breite und auf einen Kopf gerollte Binde. Ist die Verlezung auf der
linken Seite des Unterkiefers, so fängt man mit der Binde im Nacken an,
führt die Rolle über dem rechten Ohre zweimal um den Kopf, um das
Ende der Binde zu befestigen. Ist man mit der Binde wieder im Nacken
angekommen, so führt man sie unter dem rechten Ohre vorwärts über den
vordem Theil des Halses bis zum Ort der Verlezung , steigt dann über
den kranken Kiefer neben dem äussern Augenwinkel in die Höhe , geht
schräg über den Scheitel , hinter dem rechtem Ohre herunter und unter
dem Kinn vorwärts bis wieder zur verlezten Stelle. Ueber diese steigt
man auf dieselbe Art, wie bei der vorigen Tour, und zwar so, dass diese
nach hinten zur Hälfte bedeckt wird , in die Höhe. Auf dem Scheitel
führt man die Tour etwas nach vorwärts und geht hinter dem rechten
Ohre bis in den Nacken hinab , über die kranke linke Seite , und macht
zwei Zirkelgänge um das Kinn. Dann läuft man nach der kranken Seite
um den Hals und steigt über den rechten Kiefer und die Wange neben
dem äussern Augenwinkel in die Höhe schräg über den Scheitel weg und
hinter dem linken Ohre nach dem Nacken hinab bis wieder zur gesunden
Seite. Von hier geht man unter dem Kinn weg und zum dritten Male
über die kranke Seite , allein hier noch etwas weiter vorwärts als beim
zweiten Gang , dann wieder hinter dem rechten Ohr in den Nacken nach
der kranken Seite zu und über das Ohr derselben Seite nach der Stirne
hin in die Höhe , und endigt die Binde in Zirkelgängen um den Kopf.
— Dieser Verband dient bei Schiefbrüchen des Unterkiefers ; ist dieser
in die Quere gebrochen, so fängt man gleich nach den Zirkelgängen um
den Kopf mit den Gängen schief über das Kinn und das Hinterhaupt an.
— An den Kreuzungsstellen heftet man die Touren aneinander. — Die
doppelte Halfter, Capistrum duplex, erfordert eine etwas
längere Binde , als die vorige , sonst ist sie ihr gleich. Man rollt zuerst
ein Stück von einer Elle Länge ab, legt die Mitte dieses Stücks unter das
Kiun, leitet das. Ende über die rechte Wange zum Scheitel und führt den
Bindenkopf den gleichen Weg auf der linken Seite zum Scheitel , so dass
er sich mit dem Ende der andern Seite hier kreuzt. Nun geht man mit
dem Kopfe hinter dem rechten Ohre hinab , über den Nacken und die
linke Seite des Halses weg bis unter das Kinn. Hierauf steigt man wie-
der über die rechte in die Höhe , so dass die zweite Tour die erste zur
Hälfte bedeckt, und geht schräg über den Scheitel und hinter dem linken
Ohre über den Nacken hinab , unter dem rechten Ohre vor bis wieder
unter das Kinn. Von hier steigt man wieder über die linke Wange in
die Höhe , schräg über den Scheitel , wo die Touren sich kreuzen , dann
hinter dem rechten Ohre hinab, über den Nacken weg, unter dem linken
Ohre vor, über das Kinn und wieder nach dem Nacken. Diese lezte
Tour um das Kinn wiederholt man noch einmal , und nachdem die Binde
unter dem linken Ohre vorwärts bis unter das- Kinn geführt ist , macht
382 HALSFISTELN.
man eine dritte Hobeltour über die rechte WaDge , den Scheitel und
Nacken und auf gleiche Weise über die linke Wange bis zum Nacken,
worauf man die Binde in Zirkelgängen um den Kopf endigt. — Einige
legen die doppelte Halfter mit einer zweiköpfigen Binde an. Der Grund
der Binde wird unter dem Kinn angelegt , dann führt man beide Köpfe
über die Wange zum Scheitel, kreuzt sie da, geht hinter den Ohren zum
Nacken hinab , kreuzt sie nochmals , steigt mit den Köpfen hinter den
Ohren wieder zum Scheitel empor und nach geschehener Kreuzung über
die Wangen hinab unter das Kinn. Hier werden die Köpfe nochmals ge-
wechselt , ein dritter Hobelgang wie zuerst gemacht und die Binde in
Zirkelgängen um den Kopf geendigt. — Wie die einfache Halfter für den
einfachen Bruch , so ist die doppelte für den auf beiden Seiten gebroche-
nen Unterkiefer bestimmt ; auch bei Luxationen dieses Knochens finden
beide ihre Anwendung.
Halsflstelll, Fistulae colli. An der vordem Halsfläche
kommen Fisteln vor , die angeboren oder erworben sein können. Die
angeborene Halsfistel (Fistula colli congenita) ist als
Bildungshemmung zu betrachten und mündet entweder in den Pharynx
(Pharyngeal fistel) oder endet blind. Leztere gehören ihrer Lage
und Beschaffenheit nach in der Mehrzahl zu den Pharyngealfisteln. Diese
angebornen Fisteln kommen höchst selten vor , scheinen zuweilen erblich
zu sein und wurden in manchen Fällen erst zur Zeit der Pubertät bemerkt,
indem alsdann die Absonderung ihrer Wandungen sich vermehrte. Bis
jezt wurden sie häufiger bei weiblichen als bei männlichen Individuen be-
obachtet. — Die Pharyngealfisteln sind als Folge nicht vollstän-
diger Verwachsung der im Fötalzustande am Halse befindlichen Kiemen-
oder Visceralspalten zu betrachten. Die davon zurückbleibende in der
Regel kleine Fistel ist meistens einfach, häufiger auf der rechten als linken
Seite, und wenn zwei Fisteln da sind, so ist die rechte in der Regel wei-
ter als die linke. Bisweilen sieht man mehrere Oeffnungen übereinander.
Die äussere Mündung der Fistel findet sich entweder zwischen den beiden
Köpfen des Sternocleidomastoideus oder am innern Rande des-
selben mehr oder weniger vom Schlüsselbein entfernt. Die Oeffnung ist
gewöhnlich so eng, dass selbst die feinsten Sonden nicht eingeführt wer-
den können. Die Haut in der Umgebung ist zuweilen etwas geröthet
und aufgewulstet, meist aber nur leicht eingezogen. Die geringe Abson-
derung aus der Fistel ist bald dünn und wässerig , bald klebrig eiweiss-
artig, selten purulent und findet zuweilen nur periodisch statt. Gewöhn-
lich kann die Sonde nur eine Strecke weit eingeführt werden ; in andern
Fällen lässt sich durch die Haut ein härtlicher Strang fühlen, der gegen
den Schlundkopf hin verläuft. Meistens zeigt der Gang am Ende oder
hinter der äussern Mündung eine sackartige Erweiterung. Selten gelingt
es wegen der Enge und der Biegungen des Ganges , eine Sonde ganz
HALS, SCHIEFER. 383
durchzuführen. — Behandlung. Da das Uebel keine Beschwerden
verursacht , so überlässt man es am besten sich selbst. Heilversuche mit
reizenden Injectionen hatten sogar den Tod zur Folge. Neuhofer
schlägt vor, den Kanal mit einem in concentrirte Salpetersäure getauchten
Silberdraht zu cauterisiren. — Die Trachealfi stein beruhen auf
medianer Spaltung in Folge von unvollständiger Vereinigung derVisceral-
wülste. Man findet sie daher in der Mittellinie des Halses in der Form
einer mehr oder weniger langen und tiefen Spalte , welche in einen meist
blind endigenden Fistelgang führt. Ist die Fistel penetrirend, so gelingt
es bisweilen, die Sonde bis in das Luftrohr zu führen oder es dringt Luft
aus der Fistel.' Die Heilung kann durch Wundmachung der Fistelränder
versucht werden. — Erworbene Hals fisteln. Diese können die
Folgen von Schuss-, Stich- etc. Wunden, Abscessen u. dgl. sein, bald
nur einen , bald mehrere oberflächliche und tiefe Fistelgänge zeigen und
mit dem Kehlkopfe oder der Luftröhre in Verbindung stehen. Wenn
diese Fisteln vollkommen sind , so dringt je nach ihrer Weite mehr oder
weniger Luft hervor. Bei grossen Oeffhungen respirirt der Verlezte allein
durch die Fistel und die Stimme ist verloren , doch stellt sich diese so-
gleich wieder ein, wenn die Oeffnung zugehalten wird. Unvollkommene
Fisteln des Kehlkopfs und der Luftröhre , wie solche durch Abscesse in
deren nächster Nähe bisweilen hervorgebracht werden , veranlassen mehr
oder weniger Emphysem der vordem Halsgegend (Luftkropf). Bei Fisteln
zwischen Zungenbein und Schildknorpel strömt nicht viel Luft durch die
Fistel, dagegen ergiessen sich durch dieselbe noch Mundschleim, Speichel,
Getränke. — Man kann die Schliessung der Luftfisteln durch Wund-
machen derFistelränder und Heftung der Wunde, durch Cauterisation
oder Einheilung eines Hautlappens versuchen. Schlägt dies fehl, so lässt
man eine gut anliegende Deckplatte von Metall, Hörn, Gutta percha etc.
tragen. — Communicationen zwischen dem Luft- und
Speiserohr am Halse sind selten. Abscesse und penetrirende Wunden
dieser Gebilde können sie herbeiführen. Von der Weite und Richtung
des Fistelganges hängt es ab, dass mehr oder weniger leicht flüssige Nah-
rungsmittel in das Luftrohr gelangen und Hustenanfälle bewirken. Von
einer Behandlung kann keine Rede sein , nur palliative Hülfe durch An-
wendung der Schlundsonde ist möglich.
Hals, Schiefer, Caput obstipum, Cervix obstipa,
Torticollis, Obstipitas capitis, bezeichnet eine Deformität,
deren Ursache am Halse zu suchen ist, deren Wirkung aber sich am Kopfe
äussert. Dieser ist nämlich nach rechts oder links oder auf das Brustbein
gebeugt. In den einfachsten Graden ist der Kopf bloss auf die Seite ge-
zogen, bildet gleichsam eine geringe permanente Seitenbewegung, welche
nicht sehr belästigt. Ist indessen die Schiefheit bedeutender, wirkten
die sie erzeugenden Ursachen mit grösserer Kraft, so steht das Kinn nach
384 HALS, SCHIEFER.
oben, der Scheitel des Kopfes ist bis zur Schulter herabgesenkt, der ganze
Kopf hat sich um seine Achse gedreht, so dass das Gesicht nach der ent-
gegengesezten Seite hinsieht. Der Hals erscheint auf der Seite , welcher
das Gesicht zugewandt ist und auf welcher das Ohr höher steht , länger
und breiter als auf der andern Seite , die Haut ist gespannt und die Mus-
keln springen nur wenig vor ; auf derjenigen dagegen, nach welcher der
Kopf geneigt ist , sind die Muskelvorsprünge , namentlich die Sternalpor-
tion des Kopfnickers , sehr deutlich zu erkennen. Der Hals scheint hier
kaum zu bestehen und die entsprechende Gesichtshälfte ist verkürzt,
gleichsam eingeschrumpft, so dass das Antliz unsymmetrisch erscheint, wo-
durch in Verbindung mit der Schiefstellung des Mundes und der Augen
eine höchst eigenthümliche , gewissermassen traurige und melancholische
Physiognomie bedingt wird. Die Deformität des Gesichts entwickelt sich
jedoch erst bei längerem Bestehen des Uebels. Mit dieser Verkrümmung
ist Schmerz auf der kranken Seite und zuweilen ein Ziehen im Halse ver-
bunden. Die Schulter der schiefen Seite steht höher als die andere. —
Ursachen. Diese liegen entweder in den weichen Theilen, in der Haut
und den Muskeln (O b s t i p i t a s muscularis), seltener in dem Knochen-
system (O b s t. o s s a r i a) , wo entweder Verschwärung oder Erweichung
der Halswirbel oder eine Verwachsung derselben unter einander , oder
endlich eine allmälige Krümmung stattfindet, wie es bei Lastträgern oder
im Greisenalter beobachtet wird. Am häufigsten liegt die Ursache des
schiefen Halses in den den M. sternocleidomastoideus betreffen-
den krankhaften Zuständen. Die abnorme Contractilität desselben kann
durch Lähmung des entgegengesezten Muskels oder durch anhaltendes
Zusammengezogensein in Folge von Gewohnheit, oder durch anhaltenden
Krampf, oder durch Rheumatismus und Entzündung, oft durch Druck und
Zerrung bei künstlichen Geburten , durch Verwachsung desselben mit an-
liegenden Theilen, z. B. nach grössern Abscessen am Halse , Verkürzung
der Haut durch Narben nach Verbrennungen und Wunden mit Substanz-
verlust bedingt werden. - — Am häufigsten ist der schiefe Hals erworben,
seltener angeboren. Im leztern Falle beruht er meist auf unvollkommener
Bildung der obern Halswirbel oder auf unvollkommener Entwicklung des
M. sternocleidomastoideus. — Prognose. Sie richtet sich
nach den Ursachen und der Dauer des Uebels. Fast alle veralteten Fälle
dieser Art sind unheilbar , namentlich wenn sie von Verbildung oder ca-
riöser Zerstörung der Halswirbel ausgehen , oder wenn die verkürzten
Muskeln und die verkürzte Haut bedeutend desorganisirt sind ; im ent-
gegengesezten Falle ist die Prognose, besonders bei. jungen Subjecten,
günstig. — Behandlung. Die Anwendung dynamischer Mittel führt
nur selten allein und höchstens bei beginnender Verkrümmung zum Ziele.
Die Mittel, die man anwendet, sind : erweichende, zertheilende Einreibun-
gen , Kataplasmen und Dämpfe , womit man die contrahirten Muskeln zu
erschlaffen sucht, und reizende Einreibungen, die Electricität, der Galva-
HALS, SCHfEFER. 385
nisnius, vorzugsweise wo Lähmung stattfindet, um die erschlafften Muskeln
der andern Seite zur Contraction zu bringen. Neben diesen Mitteln müs-
sen die contrahirten Muskeln durch Streichen und Kneten zu verlängern
gesucht werden , wohin auch die allmälige Dehnung der Muskeln in der
Chloroformnarkose gehört. Ist Krampf oder Entzündung die Ursache der
Verkrümmung, so wendet man die entsprechenden krampf- und entzün-
dungswidrigen innern und äussern Heilmittel an. Gegen den aus einer
Erkrankung der Wirbelsäule hervorgegangenen schiefen Hals darf nur
höchst selten und immer erst, wenn die Entzündung der Wirbel ganz auf-
gehört hat, eine Behandlung eingeleitet werden. — Um den Kopf in der
geraden Richtung zu erhalten und ihn selbst auf die entgegengesezte Seite
zu ziehen , hat man verschiedene Verbände und Maschinen angegeben.
Solche sind : S t a r k s Gurtenverband, R i c h t e r ' s lederner Kranz, K ö h -
1 e r ' s Müze mit Brustgürtel, B o y e r s Maschine, Jörgs, LeVache r's,
Delacroix's Vorrichtungen etc. Alle diese Verbände für sich allein
angewendet, führen nur langsam und oft höchst unvollkommen zur Heilung
und stehen dem operativen Verfahren nach. — Der Zweck dieses leztern
ist Trennung der contrahirten Haut oder des contrahirten Muskels. Wird
die Deformität durch Narben bedingt , so kann durch subcutane Ab-
lösung oder Excision derselben in einer solchen Richtung und Ausdeh-
nung, dass dadurch einer abermaligen Verkürzung vorgebeugt wird, Hülfe
geleistet werden. Während der Heilung muss der Kopf durch eine der
oben angegebenen Vorrichtungen in gerader Richtung erhalten werden,
um eine breitere Narbe zu erzielen. — Die Durchschneidung de?
contrahirten M. sternocleidomastoideus verrichtet man nach
Dieffenbach auf folgende Weise: der Kranke sizt oder liegt, ein hin-
ter ihm stehender Gehülfe neigt den Kopf des Patienten nach der Seite
des verkürzten Muskels, um ihn möglichst zu erschlaffen, ein anderer Ge-
hülfe fixirt die Hände und den Rumpf. Der Operateur umfasst mit Dau-
men und Mittelfinger der linken Hand die zu durchschneidende Portion
des Muskels nahe über der Clavicula, zieht sie an sich, sticht die flach
gehaltene Klinge eines kleinen , gekrümmten federmesserf örmigen Teno-
toms neben dem Daumen und dicht hinter dem Muskel ein , bis er mit
dem Mittelfinger die Messerspize fühlt, ohne jedoch die Haut auf der an-
dern Seite zu durchbohren. Der gefasste Muskel wird nun losgelassen,
die Schneide des Tenotoms dem zu durchschneidenden Muskel zugewendet,
der Kopf möglichst stark nach der entgegengesezten Seite gewendet, um
den verkürzten Muskel straff zu spannen und dieser in demselben Augen-
blicke , indem der Operateur das Tenotom mit einer hebeiförmigen Be-
wegung aus der Wunde zurückzieht , durchschnitten , was unter einem
krachenden Geräusche geschieht. Der Klinge folgt der Daumen des Ope-
rateurs . indem er das in die Wunde sich ergiessende Blut herausdrückt
und einer weitern Ansammlung desselben vorbeugt. Der Verband besteht
in einem Charpiebausch , welcher mit einem Heftpflaster befestigt wird ;
Bürger, Chirurgie. 25
386 HALSZELLGEWEBSENTZUENDUNG.
der Kopf aber wird durch eine Halsbinde , welcher man durch Einlegen
eines Stückes Pappe die nöthige Festigkeit gibt, in der Weise befestigt,
dass er in der früheren fehlerhaften Stellung verharrt. Nach Vernarbung
der kleinen Stichwunde fängt man an, die sich bildende Sehnennarbe all-
mälig auszudehnen, indem man entweder eine der oben angegebenen Vor-
richtungen in Gebrauch zieht , oder auch nur die Halsbinde auf der Seite
der Verkürzung steifer und fester macht , als auf der entgegengesezten
Seite , womit man in der Regel auch ausreicht. — : Bei einem etwa ein-
tretenden grösseren Blutergusse wendet man einen conpriinirenden Ver-
band an. Bildet sich eine heisse , schmerzhafte Entzündungsgeschwulst,
so zieht man kalte Umschläge und Blutegel in Gebrauch. Kommt es zur
Eiterung, so schneidet man von der Stichwunde an ein. — Sind noch an-
dere Muskeln contrahirt , wie der C u c u 1 1 a r i s , der Platysma myo-
ides, so müssen auch diese durchschnitten werden.
HalszellgewebsentzÜXldung, brandigeZellgewebs-
verhärtung des Halses, Cynanche subungualis, Pseudo-
erysipelassubtendinosum colli, Angina typhodes, ex-
terna. Diese zuerst von Ludwig beschriebene Krankheit gibt sich
zunächst durch die Entstehung einer harten , wenig schmerzhaften Ge-
schwulst in dem die Submaxillardrüsen und zuweilen auch in dem die
Parotiden umgebenden Zellgewebe zu erkennen. Diese Geschwulst brei-
tet sich sodann nach verschiedenen Richtungen hin aus bis zum Manu-
brium sterni und zur Zunge, welche nunmehr nach oben und hinten
gedrängt wird , und auf einem hochrothen , harten Grunde ruht , dabei
wird die Bewegung der Kiefer , so wie auch das Sprechen und Schlingen
beschwerlich. Es entzündet sich nun auch die Haut rothlaufartig und
das Gesicht schwillt ödematös auf und allmälig wird auch die bisher harte
Geschwulst an einer Stelle weich. Endlich bricht die Geschwulst nach
aussen oder in der Mundhöhle auf und ergiesst eine dünne, grauliche oder
röthlich braune , sehr übel riechende Jauche. Das Allgemeinbefinden,
welches im Anfange der Krankheit wenig gestört war, wird im Verlaufe
derselben immer mehr ergriffen ; es stellen sich gastrische Zufälle , Be-
engungen und ein Fieber mit nervösem und putridem Charakter ein. —
Die Krankheit tödtet in der Mehrzahl der Fälle und zwar meistens nach
dem 10. bis 14. Tage ihres Verlaufs. — Als Ursachen dieser Krank-
heit werden vorzüglich metastatische und dyscrasische Ablagerungen nach
nicht vollständig kritisirtem Typhus und exanthematischen Fiebern be-
schuldigt. Oft ist auch die Ursache nicht aufzufinden. Die Krankheit befällt
jugendliche und Subjecte im ersten Mannesalter. — Behandlung. Im
Anfange sind Blutegel, Calomel, erweichende Umschläge in Anwendung zu
bringen ; Rösch macht eine Ableitung mit Ungt. acre; sobald aber ein
Abscess entdeckt werden kann, ist ein Einschnitt in denselben vorzunehmen.
Handverkrümmung, s. K l u m p -F u s s und h a n d.
HARNABSCESS. 387
.us-
HarnabsceSS, Abscessus nrinbsus, ist eine durch Ai
tretung des Harns aus einem krankhaften Harnbehälter entstandene Eiter-
geschwulst. Alles was daher die natürliche Aussonderung des Harns ver-
hindert , Verwundungen , zufällige oder absichtliche durch Operationen,
Quetschungen , Steine , Verengerungen , Vereiterungen der Harnorgane
kann mittelbar oder unmittelbar eine Extravasation des Harns und somit
einen Harnabscess hervorbringen. Nach der Stelle, wo der Harn ausge-
treten ist und wohin er sich ergossen hat , besonders aber ob dabei der
natürliche Ausführungsgang des Harns frei ist oder nicht , darnach ent-
stehen die verschiedenen Zufälle der Ergiessung und Infiltration und dar-
nach richtet sich die Prognose und Behandlung. Beim Austritt des Harns
am obern Theile des Harnleiters dringt derselbe meistens in das Zell-
gewebe zwischen dem Bauchfell und den benachbarten Theilen ; geschieht
dies am untern Theile des Harnleiters , so dringt er in die Beckenhöhle ;
am vordem Theile der Harnblase ergiesst er sich in den Hodensack oder
in die Scham - oder Leistengegend oder ins Mittelfleisch , ebenso beim
Austritt längs der Harnröhre, Ergiesst sich der Harn in die Unterleibs-
höhle, so erfolgt gewöhnlich der Tod ; nimmt der Harn aber seinen Weg
nach aussen , so erscheint unter verschiedenen Beschwerden an irgend
einem Theile des Unterleibs, des Mittelfleisches, des Hodensacks etc. eine
Geschwulst, die schnell wächst , über welcher die Haut glänzend und ge-
spannt , die Umgebung , namentlich das Zellgewebe , von einer rothlauf-
artigen Entzündung ergriffen und bald brandig wird , und welche endlich
aufbricht und eine deutlich nach Harn riechende Jauche entleert. Mit
dem Wachsen der Geschwulst lassen die Harnbeschwerden nach. Kann
sich aber der Harn durch die widernatürlichen Oeffhungen nur tropfen-
weise entleeren, so entsteht eine sogenannte unvollkommene innere Harn-
fistel (s. diesen Artikel) , welche keine Geschwulst, sondern vielmehr eine
chronische Entzündung und Verhärtung des Zellgewebes und mit harten
callösen Wandungen versehene Gänge bildet, die man bis zum Herde des
Uebels verfolgen kann. — Die Behandlung der Harnabscesse richtet
sich nach dem Orte und ihrer Form ; innere Abscesse und Ergiessungen
von Harn sind unheilbar. Die äusserlich wahrnehmbaren Abscesse muss
man so zeitig als möglich Öffnen, ehe sie grössere Zerstörungen anrichten ;
insbesondere aber sucht man die Ursachen des Austretens des Harns,
z. B. einen Stein im Harnleiter zu entfernen etc. Vor Allem aber ist es
nöthig , den etwa verschlossenen natürlichen Weg für den Harn frei zu
machen und offen zu erhalten , was durch den Catheter geschieht. Die
Callositäten des Zellgewebes erfordern die Anwendung erweichender Um-
schläge , den Abscess selbst behandelt man nach allgemeinen Regeln und
unterstüzt nebenbei die Kräfte des Kranken durch angemessene innere Mittel.
HamblasenabsceSS, Abscessus vesicae urinariae.
Er entsteht nach Entzündung der Häute der Blase durch Verlezungen,
25*
388 HARNBLASENGESCHWUELSTE.
Blasensteine , Hämorrhoiden , schwere Geburten, durch Abscesse benach-
barter Theile etc. Die Zeichen sind die des Bauchabscesses und die ge-
störte Funktion der Blase ; es zeigt sich eine Geschwulst am Mittelfleische od.
am Unterleibe, in der Leistengegend, bisweilen in der Schamgegend etc. Die
Geschwulst entleert sich entweder in die Blase, wobei der Eiter durch die Harn-
röhre ausfliegst und im Harn Eiter mit Blutstreifen sichtbar wird, oder nach
aussen in das Zellgewebe, wodurch ein Harnabscess entsteht, oder durch den
Mastdarm oder einen andern Darm, oder durch die Scheide oder endlich in
die Unterleibshöhle. Im lezteren Falle erfolgt der Tod sehr bald. Da
stets mit dem Eiter Harn ausfliesst , so werden die benachbarten Theile
dadurch gereizt und entzündet ; bei der Communication des Abscesses
mit dem Darmkanal fliesst Harn in denselben und Koth in die Blase.
Das Allgemeinbefinden leidet meist sehr und es entsteht abzehrendes Fie-
ber. Die Prognose ist daher in den meisten Fällen sehr ungünstig. Die
Behandlung besteht in zeitiger Eröffnung eines äusserlichen Absces-
ses, in möglichster Entfernung der Ursachen, z. B. Steine etc. und in der
Offenhaltung des natürlichen Weges für die Harnausleerung durch den
Catheter. Dabei muss die allgemeine Behandlung dem Kräftezustand
des Kranken und etwaigen Complicationen angemessen sein. Laue Halb-
bäder , Einsprizungen- in die Blase , Umschläge und grosse Reinlichkeit
sind wegen des durch den Ausfluss entstandenen gereizten Zustandes der
benachbarten Theile nothwendig.
Hamblase, Geschwülste und Afterbildungen in der-
selben. Die Afterproducte der Harnblase bilden die unheilbarsten
Blasenkrankheiten. Sie treten entweder als Tuberkel oder als polypöse,
scirrhöse, markschwammige , seltener nielanotische Bildungen, am häufig-
sten unter der fungösen Form , bald gestielt , bald mit breiter Basis auf-
sizend , bald lappig , knollig , bald glatt, bald ungleich, bald weich, bald
knorpelhart, von der Grösse einer Erbse bis zu der eines Hühnereies oder
einer Mannsfaust, manchmal mit Steinmassen incrustirt auf; haben bald
in den Geweben der Harnblase , insbesondere der Schleimhaut und dem
Zellgewebe , zwischen Mucosa und Muscularis und hier besonders am
Corpus trigonum und der hintern Wand , bald in den Nachbarorga-
nen, Prostata, Scheide, Uterus, Mastdarm , ihren Ausgangspunkt. — Im
Allgemeinen gehören sie dem höhern Alter an ; meist werden sie bei alten
Säufern und ausschweifenden Leuten nach chronischen Blasenentzündun-
gen gesehen und durch Blasenkatarrh, so wie durch Steine veranlasst. —
Symptome. Diese Blasengeschwülste haben in ihren Symptomen viel
mit denen der Steinkrankheit, chronischer Blasenentzündung, Blasenka-
tarrh und Prostataleiden gemein, Sie sind örtliche und allgemeine. Die
örtlichen Erscheinungen sind : häufiger Drang zum Urinlassen , unan-
genehme Empfindungen am Blasenhalse, die sich oft zu heftigen stechen-
den Schmerzen steigern und sich zum Damme, der Harnröhre entlang bis
HARNBLASENLAEHMUNC. 389
bot Eichel erstrecken und hier ein juckendes Gefühl verursachen , auch
zu den Schambeinen , den Weichen und dem Kreuzbeine ausstrahlen.
Diese Schmerzen vermehren sich nach dem Urinlassen, so wie beim Gehen,
Reiten , Fahren und Genuss erhizender Dinge. Umänderung im Urin,
veränderte Secretion der Blasenschleimhaut, daher Abgang von scharfem
Schleim, Eiter, Eiweiss, ammoniakalischem Urin, Abgang von reinem oder
zerseztem, schwärzlichen , Öligten Blute , von Lymphflocken , Zellgewebs-
fezen, fungöser, faseriger und medullarsarcomatöser Masse. Veränderun-
gen in der Harnexcretion , plözliches Anhalten des Urins , gänzliche Auf-
hebung, aber auch Incontinenz. Anschwellung der umliegenden Drüsen,
Schmerzen nach dem Samenstrange. Endlich Gefühl einer weichen
schwammigen Masse mit dem Catheter. — Die allgemeinen Symptome
sind meist die der Krebsdyskrasie, gelbliches Aussehen, hectisches Fieber,
Marasmus. — Diagnose. Sie ist immer schwierig und namentlich tritt
leicht Verwechslung mit Lithiasis ein , weil die Symptome ähnlich sind,
der Catheter oft eine dem Stein ähnliche Resistenz fühlen lässt und end-
lich die Geschwülste manchmal damit incrustirt sind. — Diese Geschwülste
sind-, da sie der Mehrzahl nach der Krebsdyskrasie ihren Ursprung ver-
danken j obgleich man sie nach vollf ührtem Steinschnitte schon amputirt,
resecirt , abgebunden und mittels Cauterisation zerstört hat, im Allgemei-
nen a4s ein Noli me tangere zu betrachten und die Behandlung daher
am besten nur eine symptomatische, bestehend in milder Kost, Milchkuren,
Anwendung des Catheters, leichten erweichenden Einsprizungen , Bädern,
Dämpfen, Fomentationen aus Schierling und schmerzmildernden Mitteln,
besonders dem Lactucarium. Blutungen stillt man durch kalte Clysmata,
kalte Umschläge und Säuren. Nur wenn man die Excrescenz als eine
gutartige erkennt, kann man deren Entfernung versuchen (s._ Polypen).
Harnblasenlähmung, Paralysis vesicae urinariae.
Dieselbe kann zwei verschiedene , in ihren Erscheinungen einander ganz
entgegengesezte Krankheitszustände der Harnblase darstellen, je nachdem
die Lähmung den Blasenkörper oder den Blasenhals betrifft ; im
ersten Falle erscheint die Blasenlähmung als Harnverhaltung , im andern
als Harnfluss. — Die paralytische Harnverhaltung (Ischu-
ria s. Retentio urinae paralytica) oder Lähmung des Blasen-
körpers besteht darin, dass die Harnblase in Folge von Lähmung des M.
detrusor urinae ihr Contractionsvermögen und mit diesem die Fähig-
keit, den Harn auszutreiben, verloren hat ; es entsteht dadurch Anhäufung
des Harns in der Blase , übermässige Ausdehnung dieses Behälters , ohne
dass der Kranke irgend einen Reiz zum Harnen empfindet. Die ausge-
dehnte Blase bildet eine unschmerzhafte Geschwulst über der Schoosfuge,
welche oft so gross wird , dass sie , zumal bei nicht völlig unterdrückter
Harnsecretion, mit Schwangerschaft oder Wassersucht verwechselt werden
kann. Beim Drucke auf sie fliesst der Harn durch die Harnröhre ab, ja
390
HARNBLASEN LAEHMUNG.
auch schon der Druck der Bauchmuskeln und des Zwerchfells vermag bei
grosser Anfüllung der Blase ein Auströpfeln des Harns zu bewirken, das-
selbe findet bei Husten und Niesen statt und bisweilen ist es dem Kranken
unter Anstrengung noch möglich , den Harn nach Willkür auszupressen.
Die Einführung des Catheters kann bei der paralytischen Harnverhaltung
immer ohne Schwierigkeit bewirkt werden ; der Harn fliesst durch ihn ab,
ohne einen Strahl zu bilden. Eine solche Harnverhaltung kommt sehr
langsam zu Stande und sie kann lange bestehen, ohne gefährliche Zufälle
herbeizuführen , da diesen , namentlich dem Brande , der Berstung der
Blase und ihren Folgen durch das von Zeit zu Zeit erfolgende Abtröpfeln
des Harns vorgebeugt wird. — Ursachen. Dieses Leiden ist vorzüg-
lich alten Leuten eigen und bedingt durch den Verlust, des Contractions-
vermögens der Blase bei der im hohen Alter allgemein abnehmenden Mus-
kelthätigkeit. Sie kann aber auch bei jüngeren Personen vorkommen, die
ein ausschweifendes Leben geführt haben , ferner bei solchen , welche in
Folge ihrer sizenden Lebensart an Plethora abdominalis leiden,
und endlich ist sie nicht selten Folge der üblen Gewohnheit , den Harn
lange an sich zu halten. Als secundäres Uebel kommt sie vor bei Krank-
heiten des untern Theiles des Rückenmarkes , Druck auf die Sacralnerven
etc. ; apoplectische Zustände des Gehirns haben ebenfalls Blasenlähmung
zur Folge. Bei durch heftige Contusionen der Kreuzbein- und Lenden-
gegend und Commotionen herbeigeführten Rückenmarkslähmungen kommt
sie gemeiniglich gleichzeitig mit Lähmung der unteren Extremitäten vor.
— Die Prognose richtet sich nach den Ursachen, dem Grade und der
Dauer der Krankheit , so wie nach dem Alter des damit behafteten Indi-
viduums. Bei alten Leuten ist sie gewöhnlich unheilbar , bei jüngeren
Personen ist die Prognose günstiger ; die Heilbarkeit hängt hier von der
Möglichkeit ab, die Ursachen zu entfernen. Das Hinzutreten krampfhaf-
ter oder entzündlicher Zufälle trübt die Prognose sehr, da leztere gewöhn-
lich zu Degenerationen der Blase führen. — Behandlung. Sie hat
zwei Zwecke zu erfüllen : den Harn aus der Blase zu entfernen und die
Contraction der Blase wieder herzustellen. Das sicherste und zweckmäs-
sigste Mittel , den Harn auszuleeren , ist die Einbringung des Catheters,
die man wiederholt, so oft sich die Blase auch nur einigermaassen gefüllt
zeigt , wenn man es nicht vorzieht , den Catheter liegen zu lassen ; der
Kranke lernt ihn indessen bald selbst appliciren. Die Entleerung des
Harns sezt man so lange fort , bis der Harn beim Ausfliessen aus dem
Catheter wieder einen stärkeren Strahl bildet, was ein Beweis des wieder
erlangten Contractionsvermögens der Blase ist. — Der zweiten Indication
genügt man durch die Anwendung solcher Mittel , welche als specifische
Reize für die Harnwerkzeuge bekannt sind, nämlich : Wachholder, Bären-
traube, die natürlichen Balsame, Oleum animale Dippelii, Arnica,
Sabina, Moschus, Ipecacuanha in kleinen Dosen, der Kampher, die spani-
schen Fliegen etc., welche Mittel man später mit tonisch - aromatischen
HARNBLASENLAEHMUNG. 391
vertauscht. Aeusserlich wendet man die Kälte an in Form von Umschlä-
gen und Waschungen auf die Schamgegend und das Mittelfleisch, in Form
der Klystiere , der Douche auf die Blasengegend und das Kreuzbein , in
Form von Injectionen in die Blase ; man macht Einreibungen von erre-
genden flüchtigen Salben, Linimentum volatile, Cantharidentinctur,
Salmiakgeist, Spiritus serpylli, Terpentinöl, Steinöl und ätherischen
Oelen in die genannten Gegenden, legt Blasenpflaster auf die Blasen- und
Kreuzgegend , wendet allgemeine stärkende Bäder , den Galvanismus , die
Electricität an. — Entzündliche Zustände des Rückenmarkes in Folge von
Quetschung etc. erfordern ein streng antiphlogistisches Verfahren ; zurück-
bleibende Extravasate sucht man durch kalte Umschläge, flüchtige Salben,
ein grosses Vesicator, Fontanell auf das Kreuzbein zu beseitigen.
Der paralytische Harnfluss oder das Unvermögen, den Harn
zurückzuhalten (Incontinentia urinae s. Enuresis paraly-
t i c a) besteht bald in dem beständigen unwillkürlichen tropfenweisen Ab-
gange des Harns ohne alle Empfindung , bald nur in einem so heftigen
und plözlichen Drange zum Harnen , dass der Kranke ihn wider Willen
gehen lassen muss ; oft besteht er auch darin , dass er nur des Nachts un-
willkürlich abgeht. Der Grund dieser Erscheinung liegt im ersten Falle
in einer gänzlichen Lähmung, im andern in einer Schwäche des Schliess-
muskels der Blase. Dieses Uebel hat nicht nur die Verbreitung eines
üblen urinösen Geruches zur Folge, sondern verursacht auch ein schmerz-
haftes Wundsein der Nachbartheile der Geschlechtsorgane. Von der pa-
ralytischen Harnverhaltung mit Abtröpfeln des Harns unterscheidet sich
der Harnfluss dadurch , dass der Catheter bei dem leztern wenig oder gar
keinen Urin in der Blase vorfindet, weil derselbe abfliesst, sowie er in die
Blase gelangt und dadurch , dass die Blase keine Geschwulst und An-
schwellung des Unterleibes bildet. — Ursachen. Sie sind: übermäs-
sige Ausdehnung oder Quetschung des Blasenhalses bei der Operation des
Steinschnittes, Quetschung desselben bei schweren Entbindungen, Ulcera-
tion des Blasenhalses und dadurch bedingte Zerstörung des Schliessmus-
kels ; oft ist dieses Leiden auch die Folge hohen Alters , ein Symptom
von Apoplexie, Rückenmarksleiden etc. — Die Prognose ist insofern
ungünstig , als das Uebel sehr oft ungeheilt bleibt. — Behandlung.
Zunächst sind , wenn es möglich ist , die Ursachen hinwegzuräumen und
dann ist die Wiederherstellung des Contractionsvermögens des Sphin-
ctervesicae zu versuchen ; die Mittel , welche hier ihre Anwendung
finden müssen , sind die bei der Ischuria paralytica angegebenen.
Um das höchst lästige Uebel in Fällen , wo es unheilbar ist , erträglicher
zu machen, bedient man sich beim männlichen Geschlecht entweder be-
sonderer Druckwerkzeuge, welche die Harnröhre comprimiren, oder besser
eigener Vorrichtungen, welche den abfliessenden Harn aufnehmen (s.
Harnrecipienten); es gibt solche auch für das weibliche Geschlecht,
wo sie aber ihren Zweck weniger gut erfüllen ; zweckmässiger zieht man
392 HARNFISTELN.
hier einen elastischen Mutterkranz in Gebrauch , der nach den Schambei-
nen hin convex ist und durch Zusammendrücken der Harnröhre diese
möglichst schliesst. — Bei Kindern verliert sich der nächtliche Harnab-
gang meist mit dem Alter ; beiAtonie gibt manTonica, China, Eisen etc.,
verhindert die Kinder vor dem Bettegehen am Trinken und sieht darauf,
dass sie vor dem Schlafengehen das Wasser lassen ; bei Lahmung des
Blasensphincters dient P u 1 v. D o v e r i gr. jv , alle Abend 8 Tage lang
fortgesezt , Aconit in der torpiden Form. Gegen den nächtlichen Harn-
abgang Erwachsener haben sich Sabina, die Canthariden niizlich erwiesen ;
z. B. Rp. Pulv. cantharid. gr. iij — x, Camp hör. gr. x, Sapon.
venet. 3j. M. f. pil. Nr. 40. S. 1 — 3 Pillen 3 Mal täglich.
Hamfisteln , Fistulae u r i n a r i a e , sind mehr oder minder
lange enge Gänge , welche mit ihrer innern Oeffnung an irgend einem
Punkte des uropoetischen Systems münden, also entweder von der Niere,
den Ureteren , der Blase oder der Urethra ausgehen und sich oft an sehr
entfernten Orten, am Damme, Hodensacke, an der Ruthe, an den Hinter-
backen, an den Schenkeln, an den Lenden, am Unterleibe, in der Vagina,
dem Mastdarm endigen. Diesemnach unterscheidet man nach dem Size
der innern Mündung eine Fistula renalis, vesicalis, urethra-
1 i s , oder nach der Ausmündung der Fistel eine Fist. perinaei,
penis, umbilicalis, oder endlich nach beiden OefFnungen eine B 1 a-
senmastdarm-, Harnröhren mastdarm- und Blasen sehei-
denfistel. Indessen münden nicht alle Harnfisteln nach aussen, son-
dern es gibt solche, welche blind endigen, und diese bezeichnet man zum
Unterschiede von den mit zwei Mündungen versehenen, welche man voll-
ständige nennt., als unvollständige innere Harnfisteln. Unrichtigerweise
nennt man auch solche fistulöse Geschwüre , welche sich in der Nachbar-
schaft der Harnwege befinden, ohne sich aber in diese einzumünden, Harn-
fisteln und bezeichnet sie zum Unterschied von den leztgenannten als un-
vollständige äussere Fisteln. — Die Richtung der fistulösen Gänge ist
meistens gekrümmt ; oft führen mehrere Gänge zu einer und derselben
innern Oeffnung ; selten führen mehrere äussere OefFnungen zu ebenso
vielen innern. Gewöhnlich sind die Wandungen der Fistelgänge sehr hart
und die Callositäten breiten sich weit aus. — Diagnose und Sym-
ptome a) der unvollständigen äussern oder falschen Harn-
fistel(Fist. urinariaincompleta externa s. spuria). Diese
in Folge von Abscessen oder Geschwüren meistens in der Nähe des Harn-
röhrenkanals vorkommende Fistel characterisirt sich dadurch, dass aus ihr
nie Urin und aus der Harnröhre nie Eiter fliesst , und dass die in den
fistulösen Kanal eingeführte Sonde nicht in die Harnröhre oder Blase ein-
dringt oder mit dem eingebrachten Catheter in Berührung kommt. Sie
kann mit Caries der Beckenknochen etc. complicirt sein. — b) Der un-
vollkommenen innern Harnfistel (Fist. urinaria incom-
HARNFISTELN. 393
pleta interna). Diese gibt sich durch ein Gefühl von Schmerz wäh-
rend oder nach dem Uriniren , durch einen blutigen oder eiterigen Aus-
üuss aus der Harnröhre, vorzüglich aber durch eine Geschwulst zu erken-
nen , welche sich wahrend des Hamens vergrössert , durch einen Druck
vermindert oder ganz verschwindet , worauf Urin mit Eiter vermischt aus
der Harnröhre fliesst ; zuweilen finden sich die Zeichen einer nicht be-
grenzten Harnergiessung ins Zellgewebe. Diese Fistel entsteht gewöhn-
lich an der Urethra , selten an den Harnleitern oder an der Blase. —
c) Der vollständigen Harnfistel (F. urinaria com pleta).
Diese Fistel , welche von der Niere , den Harnleitern, der Blase oder der
Harnröhre entspringen und nach aussen in der Lendengegend, der Weiche,
am Damme etc. ausmünden , oder mit dem Mastdarme , dem Colon , der
Scheide, oder mit der Höhle des Unterleibes communiciren kann, charakte-
risirt sich durch den Ausfluss von Urin, welcher beständig andauert, wenn
die Fistel von der Blase, aber nur während des Hamens zugegen ist, wenn
sie von der Harnröhre entspringt ; indessen fliesst der Harn auch bei sehr
engen Fistelgängen und freier Harnröhre zuweilen allein durch leztere,
und bei Blasenfisteln mit engem und gekrümmtem Kanäle oft nur bei
Anstrengungen zum Harnen durch diesen aus. Steht die Fistel mit der
Scheide oder dem Mastdarme in Verbindung , so fliesst der Urin aus die-
sen Kanälen ; auch kann man mit dem in dieselben eingeführten Finger
oder die in die Blase gebrachte Sonde die Fistelmündung blos fühlen.
Communicirt die Fistel mit dem Mastdarme, so kann der Urin mit Fäcal-
materie gemischt sein. Zuweilen zeigt sich Verhärtung nach dem Laufe
des fistulösen Kanales oder im ganzen Umfange des Dammes Entzündung,
schlechte Eiterung , Fleischwucherung an der Fistelöffnung , und es kann
Abmagerung, hectisches Fieber etc. mit dem Uebel vergesellschaftet sein.
— - Ursachen. Die der falschen Harnfistel sind Abscesse oder Ge-
schwüre, die der unvollkommenen innern äussere Gewalttätigkeiten, Zu-
rückhaltung des Harns , rohes Catheterisiren , ein eingezwängter Stein,
Abscesse. Die completen Fisteln entstehen meistens in Folge von Harn-
verhaltung , Zerreissung , Verlezung der Blase , oder aus den incompleten
Fisteln. Die Fisteln , welche sich bei Männern in den Mastdarm öffnen,
sind meist die Folge der Operation des Steinschnittes , sowie die mit der
Vagina in Verbindung stehenden die Folge schwerer Geburten oder von
Ulceration der Scheide. Auch Krebs des Mastdarms und der Mutter-
scheide können zu Harnfisteln Veranlassung geben. — Prognose. Sie
richtet sich nach den Verschiedenheiten der Harnfisteln , sowie der Con-
stitution des Subjects. Am schwierigsten zu heilen sind solche , welche
von einem grossen Substanzverluste in der Harnröhre, von einer beträcht-
lichen und ausgedehnten Verengerung dieses Kanales begleitet werden.
Fisteln , welche mit dem Mastdarm oder der Scheide communiciren , sind
sehr schwierig , oft gar nicht zu heilen. Schlechter Kräftezustand trübt
die Prognose sehr. — Behandlung a) der incompleten äussern
394 HARNFISTELN.
Fistel. Man sucht sie durch Druck zu heilen, und wenn dies nicht aus-
reicht , so erweitert man den Gang trichterförmig , sorgt für gehörigen
Abfluss des Eiters und bringt die Callositäten durch zertheilende Brei-
umschläge etc. zur Zertheilung. Allgemeine Leiden müssen einer ent-
sprechenden Behandlung unterworfen werden. — b) Der incomple-
ten in nern Fistel. Bei frischen Fisteln genügt oft das Einlegen eines
Catheters in die Harnröhre zur Heilung. Verengerungen dieser müssen
vorher durch Kerzen beseitigt werden. Schlägt diese Behandlung fehl,
und ist die Fistel schon alt , so muss die incomplete Fistel durch Incision
in eine complete verwandelt werden ; sind weit verbreitete Gänge und
Sinuositäten zugegen, so müssen diese gespalten werden. — c) Der com-
pleten Fistel. Wenn sie mit den Nieren oder den Harnleitern com-
municiren, so sind sie unheilbar, es wäre, denn, dass ihnen fremde Körper
oder Verengerungen der Harnröhre zu Grunde lägen , durch deren Besei-
tigung möglicher Weise noch Hülfe geschafft werden könnte. — Bei den
completen Harnröhrenfisteln, welchen meistens Verengerung der Harnröhre
zu Grunde liegt , besteht die erste Tndication in der allmäligen Erweite-
rung dieses Kanales durch Bougies und elastische Catheter zu seinem na-
türlichen Lumen. Durch den eingelegten Catheter , welcher vermittels
einer T Binde gehörig befestigt wird , entleert man den Urin , so oft er
sich in der Blase angesammelt hat. Schliesst sich die Fistel unter dieser
Behandlung nicht , was seinen Grund in der callösen oder schleimhaut-
ähnlichen Beschaffenheit der Fistel haben kann , so bringt man eine ge-
rinnte Sonde (eine seitlich gefurchte , wenn die Fistel an der Seite der
Harnröhre einmündet ) in die Urethra , und eine vorn offene Hohlsonde
durch die Fistel ein und erweitert leztere in der Weise mit einem Bi-
stouri, dass die Wunde einen Trichter bildet, dessen Spize in der Urethra
liegt. Auf dieselbe Weise schneidet man sämmtliche Fistelgänge ein.
Ist die innere Fistelmündung sehr schwielig , so scarificirt man sie oder
trägt den Mündungsrand mit der Cooper'schen Scheere ab und vereinigt
die Wunde entweder blutig oder man leitet die Heilung derselben durch
Granulation ein. A. Cooper empfiehlt , die innere Mündung mit Sal-
petersäure zu betupfen und deren Contraction zu befördern; Dieffen-
b a c h benuzt dazu concentrirte Cantharidentinctur. Die Schliessung der
Harnröhrenfisteln ist ferner durch die blutige Naht versucht und dazu die
Knopfnaht, die umwundene Naht und D ie f fenbach's Schnürnaht be-
nuzt worden ; sie eignet sich nur bei Fisteln in der Nähe des Hodensacks,
wird aber gewöhnlich durch die sich zu hoch steigernde Entzündung ver-
eitelt. Auch hat man die Schliessung der Fistel durch Transplantation eines
Hautstückes (A. Cooper u. A. ) und durch Hautverschiebung (Dief-
fenbach) ausgeführt. Die erstere misslang häufig durch die Heftigkeit
der eintretenden Reaction, leztere deckt die Fistel nur äusserlich und lässt
sie innen. Bei kurzen und nicht weiten Fisteln kann man die Schliessung
durch Cauterisation versuchen. Es versteht sich , dass man bei allen die-
HARNFISTELN. 395
sen Verfahren durch Einlegen eines Catheters in die Harnröhre den Urin
von der Fistel abhalten niuss. — Muss man bei noch verhandener, sehr
hartnäckiger Strictur operiren , so führt man durch die Urethra eine ge-
rinnte Sonde bis an die Strictur, durch die Fistel und ihre innere Mün-
dung eine Hohlsonde und schneidet auf lezterer die Fistel bis zur Strictur
und diese selbst gegen die Leitungssonde ein. Führt die Fistel nicht zur
Strictur, so muss man gerade auf diese hin alle sie bedeckenden Theile
in der Richtung gegen die Spize der Leitungssonde hin einschneiden. Ist
die Harnröhre an der Stelle der Strictur ganz verschlossen , so führt man
eine Leitungssonde bis an die Strictur und eine gebogene Hohlsonde durch
die Fistel , ebenfalls wo möglich bis zur Strictur , und macht dann einen
gehörig tiefen Längenschnitt, der alle bedeckenden Theile und die Strictur,
wenn sie nur dünn ist , spaltet ; nimmt die leztere aber eine grössere
Strecke der Harnröhre ein , so fasst man den verwachsenen Theil mit der
Pincette und schneidet ihn mit dem Messer oder der Scheere aus, worauf
man in dem ersten Falle einen die Harnröhre gerade ausfüllenden elasti-
schen Catheter durch diese bis in die Blase, im zweiten Falle eine elasti-
sche Bougie durch die Wunde in die Blase, eine zweite durch die Harnröh-
renmündung bis zur Wunde einführt und sie dann auf dem Wege der Eite-
rung zur Heilung bringt. Sobald sich Granulationen in dem Grunde der
Wunde zeigen , entfernt man die Bougie und führt einen elastischen Ca-
theter bis in die Blase, der bis zur völligen Heilung liegen bleibt. — Die
Excision eines Stücks aus der Harnröhre ist immer eine schwierige und
gefährliche Operation ; es kann bedeutende Blutung, heftige Entzündung,
erschöpfende Eiterung etc. die Folge sein.
Die Blasenmastdarm fistel (Fistula vesico-rectalis)
kann man zur Schliessung zu bringen versuchen , indem man durch Ein-
legung eines biegsamen , immer offen erhaltenen Catheters in die Blase
unter Beobachtung einer ruhigen Seitenlage eine fortdauernde Ableitung
des Urins von der Fistel unterhält ; dabei muss der Mastdarm durch Kly-
stiere leer erhalten werden. Wenn diese Fistel die Folge der Verlezung
des Mastdarms beim Steinschnitt ist, wurde von D e s a u 1 1 und Dupuy-
tren die Spaltung des Mastdarms von der verlezten Stelle ab bis an sein
Ende mit glücklichem Erfolge ausgeführt. Dupuytren hat bei diesen
Fisteln , wenn auch nicht völlige Heilung , so doch bedeutende Besserung
durch die Anwendung des glühenden Eisens und der Aezmittel bewirkt,
indem er seinen Mastdarmspiegel stark beölt in den Mastdarm einbringt,
die Stelle der Fistel genau untersucht und dann das glühende Eisen in
die Fistel und bis in die Blase einführt. Auf ähnliche Weise verfährt
man mit dem Höllenstein. Nach 4 Stunden wird die Cauterisation wieder-
holt und während dessen durch vorsichtig applicirte erweichende Klystiere,
Einlegung eines elastischen Catheters und eine Bauchlage Koth und Urin
von den Fistelmündungen abzuleiten gesucht. Fünf bis sechs Cauterisa-
tionen reichen oft hin , das Uebel bedeutend zu verbessern. — - Bei einer
396 HARNFISTELN.
Harnröhrenmastdarmfistel (Fist. urethro - rectalis )
schnitt A. C o o p e r auf einer in die Blase gebrachten Steinsonde links
an der Rhaphe ein, drang dann zwischen Prostata und Mastdarm, um die
zwischen diesem und der Harnröhre befindliche Fistelcommunication zu
trennen , legte einen Catheter in die Harnröhre und Blase und füllte die
Dammwunde mit Charpie , worauf sich diese und die Fistel im Mastdarm
bald schlössen. Man kann auch , wie beim vorigen Falle , die Cauterisa-
tion und zwar entweder mit einem glühenden Drahte oder mit einem Höl-
lensteinstifte vornehmen.
Die Blasenscheidenfistel (Fist. vesico- vaginalis)
hat bedeutende Beschwerden in ihrem Gefolge ; der in der Scheide flies-
sende Urin entzündet und excoriirt nicht allein diese , sondern auch die
Schamlefzen , den Damm, das Gesäss, die Schenkel , und erzeugt dadurch
nicht allein ein unerträgliches Jucken und Brennen , sondern auch einen
höchst üblen Geruch ; nicht selten kommt es zur Ablagerung steiniger
Massen zwischen den Schamlippen , die Blase verliert nach und nach ihre
Capacität und die Harnröhre kann sich verengen. — Höchst selten ge-
lingt es , diese Fistel auf unblutigem Wege zur Schliessung zu bringen ;
ist dieselbe schon alt, callös , mit Substanzverlust verbunden , so sind die
Aussichten auf einen glücklichen Erfolg auch bei blutigen Eingriffen sehr
gering. — Nach D e s a u 1 1 soll , behufs der Schliessung der Fistel auf
unblutigem Wege , ein gehörig dicker , biegsamer Catheter in die Blase
gebracht , an einer Maschine , die einem Bruchbande ähnlich ist , mittejs
eines verschiebbaren und mit einer Oeffnung zur Aufnahme des Catheters
versehenen silbernen Stabes befestigt und , um die Ränder der Fistel zu
nähern , eine Wieke von Leinwand oder eine Art von Handschuh finger,
der mit Charpie ausgestopft, mit elastischem Harz oder Wachs überzogen
ist (nach Barnes eine Flasche von elastischem Harze) in die Mutter-
scheide eingebracht werden, welcher diese ausfüllt, aber nicht ausdehnt.
Dabei Vermeidung der Rückenlage. Selten kommt die Heilung vor einem
halben oder ganzen Jahre zu Stande. — Gelingt die Schliessung der
Fistel auf diesem Wege nicht , so hat man verschiedene Behandlungsme-
thoden angegeben, und zwar 1) die Vereinigung der wundgemachten
Ränder durch eine Naht; 2) die Cauterisation mit Anlegung der Naht;
3) die Cauterisation ohne Naht; 4) die Schliessung der Fistel durch
Transplantation ; die Verschliessung der Scheide. — Der Operation lässt
man den Tag vorher ein Abführmittel aus Ol. r i c i n i und kurz vor der-
selben ein Klystier vorhergehen ; Scheide und Blase werden durch Ein-
sprizen von kaltem Wasser gereinigt. Die Kranke liegt am besten auf
dem Rücken auf dem vordem Rande eines Operationstisches mit weit ge-
öffneten, im Knie- und Hüftgelenke flectirten und von zwei Gehülfen fixir-
ten Schenkeln. Der Operateur sizt zwischen den Beinen der Kranken. —
1) Operation durch die Naht. a) Durch die Knopfnaht.
Man bringt vor der Operation einen Catheter in die Blase, durch den man
HARNFISTELN,
397
kaltes Wasser einsprizt und wieder ablaufen lässt , zieht die Gesehlechts-
theile durch stumpfe Haken auseinander , sezt dann einen scharfen Dop-
pelhaken in das Scheidengewölbe , ebnet dadurch die Runzeln und zieht
den Theil der Scheide , in welchem sich die OefFnung befindet , so weit
vor, dass man sie sehen kann. Nun häkelt man den Rand mit einem Con-
junctivahäkchen an , durchsticht ihn mit der Spize eines feinen Scalpells
eine halbe Linie breit und umschneidet ihn in der Weise, dass die Wunde
eine weitere äussere und engere innere Oeffnung bekommt und nach vorn
und unten hin etwas spizig ausläuft ; dann sezt man das Häkchen an einen
andern Theil und vollendet die Umschneidung, so dass man den ganzen
Saum als einen Hautring herausbringt. Nun sprizt man kaltes Wasser in
die Scheide und trocknet sie durch Schwammstücke. Behufs der Anle-
gung der Naht fasst man die kurze, krumme, an den Seiten wenig schnei-
dende , mit starkem gewichsten seidenen Faden versehene Nadel mit einer
Nadelzange quer über dem Oehr und durchsticht zuerst vorn den breiten
Wundrand in einer Breite von 2 — 3 Linien, kommt mit der Nadel am
Rande der Blasenschleimhaut heraus , bis die Mitte des Fadens in der
Oeffnung angekommen ist. Dann geht man durch das Loch mit der Nadel
ein , durchsticht die andere Lefze an der Grenze der Blasenhaut , führt
die Nadel wieder heraus und zieht den Faden so weit nach , bis beide
Enden gleich lang aus den Geschlechtstheilen heraushängen. Dann spült
man die Wunde ab , trocknet sie und bestreicht sie leicht mit verdünnter
Cantharidentinctur, um die Einwirkung des Urins aufzuheben, worauf man
den Faden mit einem Doppelhaken ziemlich fest zusammenknüpft. Auf
diese mittlere Naht lässt man eine hintere und dann eine vordere folgen.
Unmittelbar nach der Operation reinigt man die Scheide durch Einspri-
zungen von kaltem Wasser, trocknet sie mit einem Schwämme und stopft
sie mit Charpie aus, in welche man Wein einsprizt. Durch die Harnröhre
bringt man einen dicken langen Catheter , lagert die Kranke auf den
Rücken und leitet den Catheter in ein Uringlas , um die Blase leer zu er-
halten. Durch den Catheter sprizt man täglich mehrmals kaltes Wasser
in die Blase. Nach 3 Tagen zieht man bei hoher Steisslage die Charpie
mit einer Kornzange aus , sprizt die Scheide mit lauem Wasser aus und
bringt wieder Charpie in diese. — Am andern Tage ziehe man die bei-
den hintern Nähte mit der Pincette an , durchschneide sie und ziehe sie
aus. Die vordere Naht entfernt man erst am folgenden Tage, bringt dann
Charpie in die Scheide und besprizt diese mit Chamillenthee , den Urin
leitet man noch einige Tage durch den Catheter ab und lässt erst gegen
den 8. Tag die willkürliche Entleerung vornehmen. Die Operation kann
misslingen , indem alle oder mehrere Suturen durchschneiden. Ist eine
theilweise Vereinigung zu Stande gekommen, so nimmt man für den Rest
die Hülfe der Cauterisation in Anspruch. Gelingt die völlige Schliessung
der Fistel damit nicht, so kann die Operation später wiederholt werden. —
Hat die Fistel mehr die Gestalt einer Querspalte, so bringt man eine Quer-
398 HARNFISTELN.
naht an , weil diese die geringste Spannung verursacht. — Bei weit zu-
rückliegenden Fisteln rauss man entweder einen Mutterspiegel zu Hülfe
nehmen oder die Anlegung der Naht muss nach dem Gefühl geschehen.
Zum Abtragen der Fistelränder bedient man sich im ersten Fall eines nur
an der Spize schneidenden, sichelförmigen Messers, im zweiten Falle einer
geraden Scheere , deren eines Blatt spizig, das andere abgerundet ist. —
b) Vereinigung der Fistel durch die Schnürnaht. Die
Schnürnaht wurde von Dieffenbach für kleine Fisteln mit dünnen
schlaffen Rändern im vordem und mittlem Theile des Scheidengewölbes
angegeben. Die Lagerung ist die oben angegebene. Der Rand der Oeff-
nung wird entweder mit einem Schiebhäkchen gefasst und in Papierdicke
oberflächlich abgeschält oder Tags vorher durch Cauterisation mit concen-
trirter Cantharidentinctur in Entzündung versezt. Zur Heftung führt man
zwischen Blasen- und Scheidenhaut eine kleine, stark gekrümmte Nadel
mit einem seidenen gewichsten Faden etwa 2 Linien vom Rande entfernt
um die Oeffnung herum , indem man einsticht , aussticht , durch die Aus-
stichspunkte wieder einsticht , bis man wieder aus dem ersten Ausstichs-
punkte herauskommt. Den Rand bestreicht man mit Tinct. cantha-
r i d u m und knüpft dann den Faden zusammen. Ein Ende wird kurz ab-
geschnitten, das andere zur Scheide herausgeleitet. Die Nachbehandlung
ist wie bei der Knopfnaht. Diese Naht verschliesst die Fistel gut und
hinterlässt diese , auch wenn sie misslingt , kleiner. — c) Umschlun-
gene Naht. Sie passt für Fisteln im vordem Theile der Scheide sehr
gut. Man trägt die Ränder mit dem Scalpell ab, nachdem man die Schei-
denwand mit einem scharfen Haken vorgezogen hat, und sticht eine starke
Insectennadel mit der Nadelzange quer über durch beide Wundränder des
vordem Mundwinkels 3 — 4 Linien breit hindurch. Dann umschlingt man
die Nadel mit einem dicken gewichsten doppelten Faden einige Male,
biegt die Nadel etwas aufwärts, wiederholt die Verschlingung noch einige
Male und kneipt dann die Enden der Nadel einige Linien vom Faden
entfernt ab. Ein Gehülfe zieht an den Fadenenden etwas hervor , worauf
man in Entfernungen von 3 Linien so viele weitere Nadeln einlegt, als er-
forderlich sind. Schliesslich führt man um sämmtliche Nadeln einen Faden
herum, um den genähten Theil etwas von der Oberfläche abzuheben und
die Wunde der Einwirkung des Urins zu entziehen. Die Scheide füllt
man mit Charpie aus und legt einen Catheter in die Blase. Die Nadeln
entfernt man, sobald sie locker sind. — d) Falznaht. Diese rührt von
Blasius her. Er trägt die Ränder bei einer Längenfistel ab, trennt Blase
und Scheide 4 Linien im Umkreise von einander, 'sticht von zwei an einen
Faden gefädelten krummen Nadeln die eine von der Blasenseite her erst
durch den linken Blasenrand an dessen freier Seite, dann durch den rech-
ten Blasenrand an dessen adhärenter Seite, ferner durch den linken Schei-
denrand, an der freien Seite zulezt durch den rechten Scheidenrand wieder
an seiner adhärenten Seite und führt ganz ebenso 2 — 3 Linien weiter
HARNFISTELN. 399
nach vorn die andere Nadel durch die Wundränder. Auf diese Weise
werden mehrere Hefte angelegt, deren Enden durch ein Heftstäbchen
geführt werden , um die Naht später entfernen zu können. Die Fistel
wird dadurch so geschlossen , dass der rechtseitige Blasenrand zwischen
den beiden Lamellen des linken Fistelrandes und der linksseitige Schei-
denrand zwischen den beiden Platten des rechten Fistelrandes zu liegen
kommt. Das Verfahren hat sich bewährt. — Ausser den genannten
Nähten wurden auch die Kürschner- und die Zapfennaht zur Vereinigung
der Blasenscheidelfistel angewendet ; die erstere vereinigt aber nicht genau
genug und über die leztere liegen zu wenig Erfahrungen vor. — Ebenso
wurde die Naht von der Blase aus angelegt ; die Schwierigkeit dieses
Verfahrens hat indessen nicht sehr zur Nachfolge aufgemuntert. — An-
statt der Nähte hat man versucht , die Fistelränder durch zangen- oder
klauenartige Werkzeuge nach vorangegangener Verwundung und Caute-
risation zur dauernden Vereinigung zu bringen, sie haben jedoch den von
ihnen gehegten Erwartungen nicht entsprochen. — 1) Vereinigung
der Ränder nach vorausgegangener Cauterisation.
a) Mit Anlegung der Naht. Die Aezung der Ränder verdient bei
grosser Laxität der Scheidenhaut, sowie bei den kleinen Fisteln den Vor-
zug vor dem Schnitte. Als Aezmittel bedient man sich des Höllensteins,
des Aezsteins, des Liquor hydrarg. nitr., der concentrirten Cantha-
ridentinktur , des Kreosot ; im Allgemeinen gibt man aber dem Glüheisen
den Vorzug vor dem Aezmittel. Die Aezung muss immer zwei Tage
vor der Anlegung der Naht unternommen werden , damit die gehörige
Reaction erwacht, die Oberfläche sich abstösst und rothe Entzündung zu-
gegen ist. Am besten passt die Cantharidentinktur , mit welcher man
die gehörig getrocknete Oeffnung auswendig und inwendig wiederholt
bepinselt. Die Wahl der Naht richtet sich nach den Umständen und
wird nach den angegebenen Regeln vollführt. — Die Cauterisation mit
dem Glüheisen geschieht durch den R i c o r d ' sehen Mutterspiegel, durch
welchen man das rothglühende hakenförmige , der Grösse der Fistel an-
gemessene Zapfeneisen nach vorheriger Verstopfung der Oeffnung der
Fistel durch ein Schwammstückchen einführt und auf diese einige Linien
weit auf den Umkreis einwirken lässt. Am dritten Tage, oder wenn sich
der Brandschorf löst, legt man die geeignete Naht, aber nicht zu fest an.
Die Scheide stopft man nach der Operation mit Charpie aus. — b) Ohne
nachfolgende Naht. Soll eine Fistel allein -durch Brennen zur
Schliessung gebracht werden , so muss man das Glüheisen kräftig einwir-
ken lassen. Dieses Verfahren passt besonders bei kleinen Fisteln ; grös-
sere werden damit allmälig verkleinert und dadurch ihre Vereinigung
erleichtert. Bei der Ausführung dieser Operation bringt man einen
geölten Mutterspiegel so in die Scheide , dass die Oeffnung der Fistel
genau in der Mitte der Oeffnung des Spiegels liegt. Das Glüheisen muss
ein kleines Knie bilden und eine Kugelform haben. Man richtet es gegen
400 HAHNFLUSS.
die Fistel, deckt diese zu und dreht es. Mau stopft durch das Speculum
Charpie ein und legt einen Catheter in die Harnblase , der liegen bleibt.
Man wiederholt die Application des Glüheisens in Zwischenräumen von
3 — 7 Tagen. Während der Kur muss die Kranke die Rückenlage ver-
meiden. — Dieffenbach räth besonders, kleine versteckte Fisteln in
der Nähe des Muttermundes zu brennen und auch diesen lezteren mit zu
cauterisiren , damit er mit den Fistelrändern verwachse und so die Oeff-
nung schliesse. — 3) S ch li es s u n g der Fistel durch Trans-
plantation. Man hat den Lappen aus der Scheidenhaut, aus dem
Collum uteri, aus der Blase, aus der Schamlefze und aus der äussern
Haut genommen. Diese Verfahren schlugen fast alle fehl. — Der Haupt-
grund des häufigen Misslingens der vorgenannten Operationen zur Schlies-
sung dieser Fisteln ist in der Wirkung des Urins auf die Wunde zu su-
chen. Henke glaubt in der neuesten Zeit ein Verfahren angeben zu
können , durch welches man den Urin von der Wunde ableiten kann.
Man legt in die Blase einen starken weiblichen Catheter , welcher inwen-
dig durch eine Längenscheidewand in zwei getrennte Röhren getheilt ist.
An dem aus der Harnröhre hervorstehenden Ende sind an beide Röhren
elastische Schläuche befestigt. Durch den einen Schlauch wird ein Strom
lauwarmen Wassers in die Blase hineingeleitet, durch den andern fliesst
derselbe wieder ab. Auf diese Weise wird die innere Wand der Blase
stets von Wasser überrieselt und dadurch der aus deu Ureteren in die
Blase fliessende Urin so sehr mit Wasser verdünnt, dass seine nachtheilige
Wirkung ganz aufgehoben wird. — Die Erfahrung muss erst noch lehren,
ob die Voraussezungen des Erfinders sich bestätigen. — Verschlies-
s u n g der Scheidenmündung. Diese Operation wurde von V i d a 1
bei sehr grossen unheilbaren Blasenscheidenfisteln vorgeschlagen und
ausgeführt, passt jedoch nur bei Personen, deren Menses bereits aufgehört
haben. Man nimmt sie in der oben angegebenen Lage vor, fasst mit
einer langen Balkenzange den Rand der einen grossen Schamlefze und
schneidet ihn von hinten nach vorn mit einer scharfen Scheere J/4 Zoll
breit ab. Dasselbe geschieht auf der andern Seite. Die einander gegen-
überliegenden Wundränder werden nun durch Kopfnähte vereinigt. Nach
der Operation sprizt man wiederholt kaltes Wasser in die Urethra ein,
macht kalte Umschläge und legt einen Catheter in die Blase. Die Nähte
entfernt man , sowie sie sich lösen. Eine unvollständige Verschliessung
der Scheide sucht man durch Höllenstein, Cantharidentinktur , reizende
Salben, das Glüheisen zu ergänzen.
IiarnnUSS, un willkürlicher, Incontinentia nrinae.
Dieses Leiden äussert sich auf doppelte Weise : entweder der Urin geht
tropfenweis (H a r n t r ö p f e 1 n , S t i 1 1 i c i d i u m nrinae), ohne allen
Drang , bisweilen sogar ohne alle Empfindung , immerwährend ab , oder
der Kranke wird , wenn sich die Blase bis auf einen gewissen Punkt ge-
HARNFLUSS. 401
füllt hat , plözlich von einem so heftigen Reize zur Entleerung befallen,
dass er ganz gegen seinen Willen den Harn fliessen lassen muss. Der
Krankheit liegt entweder eine erhöhte Reizbarkeit der Muskeln der Blase,
oder eine Lähmung derselben , namentlich des Sphincters zu Grunde.
Hieraus ergeben sich zwei Formen der Enuresis, die Enuresis ere-
thistica und die Enuresis paralytica. Von der leztern war bei
der Harnblasenlähmung die Rede, es wird deshalb hier nur die Enure-
sis erethistica zur Sprache kommen. Bei dieser empfindet der
Kranke vor dem wirklichen Harnabgänge einen Trieb zum Uriniren, den
er nicht zu überwinden vermag und der um so heftiger ist , ja sogar
schmerzhaft sein kann , wenn der Krankheit ein congestiver oder wirk-
lich entzündlicher Zustand der Blase zu Grunde liegt. Ist der Zustand
ein mehr krampfhafter (Enuresis spastica), so treten die Schmerzen
nur periodisch auf, schiessen vorwärts gegen die Harnröhre und erzeugen
an der Eichel nicht selten ein unbehagliches Jucken , wogegen die Bla-
sengegend beim Drucke sich nur wenig empfindlich zeigt. Dabei wird
der Harn mit Heftigkeit, fast stossweise ausgetrieben. Eine Spielart der
erethistischen Enurese ist die Enuresis nocturna, das sog. Bett-
pissen , welche häufig bei Kindern und nur selten bei Erwachsenen beob-
achtet wird und wo das die Contraction der Blase veranlassende Moment
häufig der Urin selbst ist. — Ursachen. Alles was eine erhöhte Em-
pfindlichkeit der Blase oder einen vorübergehenden Reiz ihrer Muskelhaut
hervorruft , kann die erethistische und spasmodische Enurese bedingen,
daher Congestions- oder chronische Entzündungszustände der Blase,
Wurm-, Hämorrhoidal-, Menstrualreiz etc. Die Enuresis nocturna
findet ihren Grund am häufigsten in einer üblen Angewohnheit und wird
begünstigt durch vieles Trinken am Abend , durch eine unbequeme Lage
im Bette, zu tiefen Schlaf, Erschlaffung der Blase, Schärfe des Harns durch
zu viel Harnsäure. — Prognose. Sie ist nicht ungünstig, da dasüebel
meist auf zu beseitigenden dynamischen Missverhältnissen beruht. —
Behandlung. Man entferne die Ursachen durch angemessene Mittel
und wirke dann dem Charakter der Krankheit gemäss dieser entgegen.
Diesem nach werden sich daher bald Antiphlogistica , bald Demulcentia
und Antispasmodica nöthig machen, welche man sowohl innerlich als äus-
serlich unter der Form von Bähungen , Bädern , Einreibungen , Umschlä-
gen, Klystieren anwendet. Bei Kindern entsteht die Enurese häufig aus
einer Unlust zum Aufstehen, wenn sie das Bedürfniss des Urinirens be-
fällt. Das zweckmässigste ist hier, sie mehrmals des Nachts zu erwecken,
sie am Tage den Urin möglichst lange zurückhalten zu lassen , um so die
Blase an den Reiz desselben zu gewöhnen, Abends alle erhizenden Speisen
und Getränke , sowie vieles Trinken zu vermeiden. Empirisch nüzte oft
Rp. Tinct. opiicroc. 5ß, Tinct. nuc. vomic. 5 j , Tinct. se-
cal. cornut. 5j S. Morgens und Abends 10 — 2 0 Tropfen je nach
dem Alter der Kinder. Erwachsenen gibt man bei einer besondern
Burger, Chirurgie. 26
402 HARNRECIPIENTEN.
Schwäche oder Reizbarkeit der Blase alle Abend ein Cantharidenpulver,
ein Opiat oder nach Art au d das Strychnin in folgender Form: Rp.
Strychnini Decigramm. j, Conserv. rosar. Gramm, ij. M.
f. pil. 2 4. D. S. Morgens und Abends anfangs 1 , später 2 Stück zu
nehmen. — In Fällen , wo der Harn sehr scharf ist , viel Harnsäure oder
deren Salze enthält, wird Benzoe empfohlen. — Bei unheilbaren Fällen
muss der Kranke sich eines Harnrecipienten bedienen.
Harnrecipient, ßeceptaculum urinae, ist eine Vorrich-
tung , welche bestimmt ist , den in Folge gewisser krankhafter Zustände
des uropoetischen Systems unwillkürlich abgehenden Harn aufzunehmen.
Der verschiedene Bau der Harnorgane bei den Männern und Weibern
erfordert verschiedene Apparate. Für die erstem reicht man mit Flaschen
von verschiedenen Stoifen aus , in deren Hals der Penis gesteckt und die
Flasche durch Riemen , die an ihren Hals befestigt sind , um das Becken
angelegt wird. Solcher Art sind die von F a b r i z von Hilden, Hei-
ster, Bell und Oslander angegebenen Vorrichtungen. Zu den
brauchbarsten Apparaten dieser Art gehört der von J u v i 1 1 e , der in
der Schambeingegend mit einer elfenbeinernen, durchbohrten und zum
Anschrauben einer Kautschukröhre mit einem silbernen Schraubenringe
eingefasst, versehen ist. In dieser Röhre ruht der Penis, und an das vor-
dere Ende derselben wird eine silberne Kapsel angeschraubt , an deren
Oeffnung sich ein Schwamm befindet , durch welchen der Urin durch-
sickert. Dieser Schwamm sowohl, sowie ein Trichter, welcher an seinem
untern Ende eine Klappe hat, verhindert das Zurückfliessen desselben beim
Gehen. Die silberne Kapsel wird entweder an einen Schenkel angelegt
oder in eine in den Beinkleidern angebrachte Tasche gesteckt, und um sie
zu entleeren , braucht man sie nur abzuschrauben. — Der Harnrecipient
von Köhler besteht aus einer zur Aufnahme des Penis bestimmten elfen-
beinernen Röhre und einer mit Firniss überzogenen Pferdeblase. Diese
Vorrichtung trifft nur der Vorwurf, dass die Blase einer baldigen Zerstö-
rung unterworfen ist, sonst empfiehlt sie sich durch ihre Wohlfeilheit und
Bequemlichkeit. — Feburier's von Verdier verbesserter Harnreci-
pient beruht auf ähnlichen Grundsäzen , wie der Juville'sche, doch
macht sein complicirter Mechanismus das Instrument zu theuer und zu
zerbrechlich. — Bei dem weiblichen Geschlechte erfüllen die
Harnrecipienten den von ihnen geforderten Zweck weniger, indem sie sich
nicht allein leicht verschieben, sondern die Kranken auch am Gehen und
Sizen hindern. Es ist dies um so übler, als der unwillkürliche Abgang
des Urins bei Frauen (in Folge schwerer Geburten) viel häufiger als bei
Männern vorkommt. Die gerügten Mängel haben besonders die Harn-
recipienten, welche die Schamtheile in der Gestalt einer metallenen Mu-
schel, an welche eine Blase u. dgl. für die Aufnahme des Urins befestigt
ist, umfassen. Solche Vorrichtungen haben Fried d. A. , Köhler,
HARNROEHRENENTZUENDUNG. 403
G e r d y angegeben ; ähnlich sind auch die Apparate von Böttcher,
Bonn und Stark beschaffen. Zweckmassiger ist der Harnrecipient von
V e r d i e r. Er besteht aus einem elliptischen Zinkdraht , der mit Lein-
wand und darüber mit Leder überzogen ist. An diesem Ringe ist ein
Beutel von Wachstaffent mit einer Zugschnur befestigt , in welchem ein
Schwamm liegt. An dem obern Theile des Ringes ist ein elastisches
Tragband angebracht, welches an einen Beckengürtel geknöpft wird ; nach
hinten wird der Apparat durch Schenkelbänder festgehalten. Bequem
aber nur bei geringer Harnentleerung brauchbar ist die Vorrichtung von
Fried d. J., welche aus einer T Binde besteht, die in der Gegend der Vulva
mit einem Schwämme versehen ist. Reinlichkeit, namentlich ein häufiger
Wechsel des Schwammes ist bei allen Apparaten, die mit einem Schwämme
versehen sind, eine unerlässliche Bedingung.
Harnröhre, Krankheiten derselben. Unter diesen ist
Entzündung die häufigste und diese gibt hinwiederum zu den meisten
andern Erkrankungen dieses Körpertheils , wie Abscessen , Geschwüren,
Blutungen, Verengerungen, polypösen Excrescenzen, Veranlassung.
HamrÖhrenabsceSS, Abscessus mr e t h r a e , entsteht zu-
weilen nach einer acuten Entzündung der Harnröhre , weit öfter durch
Stricturen derselben, unvorsichtiges Catheterisiren oder rohe Anwendung
von Bougies, namentlicher äzender, Harnröhrensteine oder auch traumati-
sche Ursachen. Am häufigsten ist der Siz derselben in der Nähe des
Bulbus : zuweilen öffnet sich der Abscess daselbst , zuweilen entfernt am
Hodensacke, Mittelfleisch etc. — Man muss diese Abscesse durch erwei-
chende Umschläge rasch zeitigen und frühzeitig öffnen ; Steine etc. sucht
man zu entfernen. S. Harnabscesse.
Harnröhrenentzündung, Tripper, Gonorrhoe a (von
yovr\ , Samen, und qorj , Fluss). Die Entzündung der innern Haut der
Harnröhre hat beim Beginne ihren Siz immer in der Fossa navicu-
1 a r i s , breitet sich aber von da nicht selten längs der ganzen Urethra,
zuweilen selbst über die Schleimhaut der Blase aus. — Symptome.
Die Entzündung gibt sich beim Manne zuerst durch ein juckendes Ge-
fühl an der Mündung der Urethra zu erkennen , was sich zuweilen über
die ganze Eichel ausbreitet ; dabei sind die Ränder der Mündung etwas
angeschwollen und entzündet und die Harnausleerung ist schmerzhaft.
Dieser Schmerz , gewöhnlich ein Brennen , ist zuweilen gering , oft aber
heftig und verbreitet sich bis an die Wurzel des Gliedes , das selbst an-
schwillt ; verbreitet sich diese Geschwulst in das Parenchym der Cor-
pora cavernosa, so entstehen schmerzhafte Krümmungen des Penis
(Chorda), weil nun bei der Erection, die sich häufig einstellt, die schwam-
migen Körper sich nicht ausdehnen können. Dabei finden nicht selten
Blutergüsse aus der Harnröhre statt. Durch die Anschwellung ist der
Urethrakanal verengert , deswegen auch der Strahl des Urins vermindert,
26*
404 HARNROEHRENENTZUENDUNG.
manchmal ganz unterbrochen. Nach einiger Zeit stellt sich der Ausfluss
einer erst serösen, dann dickeren gelblichen, eiterf örmigen Materie ein;
dieser ist bei heftiger Entzündung nur gering , missfarbig , grünlich,
schwärzlich (von beigemischtem Blute) , oft ganz fehlend (t rocken re
Tripper); es stellen sich unter solchen Umständen Fieberbewegnngen,
Hoden-, Augenentzündungen etc., oder auch gefährliche Urinverhaltungen
ein (synochalerTripper). Bei minderen Reizungsgraden fehlen jene
Erscheinungen , dagegen fühlt der Kranke Schwere im Becken, Empfind-
lichkeit der Testikel , der Iguinaldrüsen , der Prostata , wobei die beiden
leztern angeschwollen sind. Zuweilen wird die Oberfläche der Eichel
von einer Entzündung befallen, in deren Folge es zur Absonderung einer
puriformen Flüssigkeit kommt (Eicheltripper, Balanitis). Manch-
mal entzündet sich die Vorhaut und schwillt so bedeutend an , dass sie
nicht über die Eichel zurückgebracht werden kann (P h i m o s i s) , oder
wenn dieses gewaltsam geschieht , so schnürt sie sich hinter der Eichel
zusammen (Paraphimosis). Manchmal complicirt sich der Tripper
mit Rothlauf (erysipelatöser Tripper), in welchem Falle die Röthe
der Eichel etc. rosig , dem Fingerdrucke weichend , die Vorhaut meist
ödematös angeschwollen, der Ausfluss dünner ist und gastrische Symptome
zugegen sind. — Beim Weibe hat die Entzündung ihren Siz in der
Mutterscheide, von wo aus sie sich über die Schamlippen, die Urethra und
die Clitoris verbreitet. In diesen Theilen entsteht ein schmerzhaftes
Jucken und Brennen und es stellt sich bald ein copiöser Ausfluss ein,
dessen Schärfe zuweilen so gross ist , dass die Theile , mit denen er in
Berührung kommt, excoriirt werden. — Ursachen. Sie sind : Stösse
auf die Harnröhre , starkes Reiten , Onanie , häufiger Coitus , Einbringen
fremder Körper in die Harnröhre , ungegohrne Getränke , gichtische , her-
petische Schärfen , zurückgetriebene Hautausschläge etc. , am häufigsten
aber Ansteckung beim Beischlafe. — Ein eigentlicher syphilitischer (vi-
rulenter) Tripper entsteht nur in den seltenen Fällen , wenn Chanker-
^gift beim Coitus in die Harnröhre gelangt. Der von einem solchen
Tripper genommene, auf die äussere Haut übergeimpfte Eiter erzeugt da-
selbst Chanker. — Ausgänge. Die Harnröhrenentzündung kann sich
endigen : invollkommeneGenesung, in den chronischen oder
sogenannten Nachtripper, in örtliche oder allgemeine Folge-
krankheiten, wie Auflockerung und Verdickung der Schleimhaut,
Vergrösserung und Verhärtung der Drüsen, Verengerungen, Stricturen der
Harnröhre (durch Callöswerden eines durch die Entzündung gesezten
Faserstoffexsudates) , Geschwüre , Anschwellung und Verhärtung der Pro-
stata und verschiedenartige Hautausschläge ; in verschiedene Metasta-
sen auf andere Schleimhäute (wie der Augen , der Nase , des Mastdarms,
der Blase), selten auf seröse und fibröse Häute, dann auf Drüsen (nament-
lich die Inguinaldrüsen), endlich auf die Hoden. — Prognose. Sie ist
im Allgemeinen günstig, besonders wenn der Kranke sonst gesund ist und
HARNROEHRENENTZUENDUNG. 405
die diätetischen und arzneilichen Vorschriften befolgt. — Der Nachtripper
widersteht, wenn er lange gedauert hat, oft allen Mitteln. — Behand-
lung. Sie richtet sich nach seinen ursächlichen Momenten und nach
der Heftigkeit der begleitenden Symptome. Bei gelinderer Entzündung
lässt man den Kranken Milch , Molken , Mohnsamen- , Mandelmilchemul-
sionen u. dgl. zu sich nehmen oder verordne Rp. Emuls. amygdal.
gvj, Aq. lauroceras. 5j Syr. simpl. gfi. M. S. 2stündlich 1 Ess-
löffel voll ; dabei Beobachtung von Ruhe , Vermeidung aller scharfen und
hizigen Dinge und Tragen eines Suspensoriums. Wenn Stuhlverstopfung
zugegen ist, so verordnet man ein leichtes Abführmittel von Tama-
rinden , Manna , Ricinusöl oder Electuariumlenitivum. Ist aber
die Urethritis heftig, sind Krümmungen des Gliedes da, so wende man
neben der genannten Behandlung nach Massgabe der Umstände Ader-
lässe, Blutegel an den Damm , Sizbäder , erweichende Umschläge und
Klystiere an und gebe innerlich Calomel. Ist der Kranke nicht pletho-
risch, so kann man vorsichtig narkotische Mittel reichen , Emulsionen mit
Aqua laurocerasi, Extr. hyoscyami, Opium , Kampfer und be-
sänftigende Klystiere sezen. Dieselbe Behandlung erfordert die Stran-
gurie. Bedenkliche Hämorrhagien aus der Harnröhre bekämpft man
durch Compression des Gliedes , durch Einsprizung einer Auflösung des
arabischen Gummi oder des essigsauren Bleies. Wenn die entzündlichen
Erscheinungen verschwunden sind und der Ausfluss sich vermindert , so
wendet man Mittel an, welche die noch bestehende krankhafte Reizbarkeit
der Schleimhaut beseitigen , wie Opium und die Mineralsäuren. Bleibt
noch längere Zeit ein sparsamer Ausfluss einer serösen Flüssigkeit zurück,
so dienen leicht adstringirende Flüssigkeiten von essigsaurem Blei, schwe-
felsaurem Zink , Sublimat , Höllenstein etc. für sich oder mit Opium , so-
wie die verschiedenen balsamischen und tonischen Mittel, wie Copaivabal-
sam , Terpentin , Myrrhe , Catechu , Cubeben etc. Unter diesen sind es
besonders der Cubebenpfeffer und der Copaivabalsam , welche sich einen
grossen Ruf erworben haben. Beide Mittel müssen aber, wenn sie etwas
nüzen sollena in grosser Gabe gereicht werden, z. B. Rp. Balsam, co-
paiv. 5 j , Vit eil. ov. q. s. , Syr. emuls. 3ij , Aq. foenic. ^vj,
Tinct. opii simpl. gtt. XX. M. S. Gut umgeschüttelt alle 3 Stun-
den 1 Esslöffel voll; Rp. Piper, cubebar. 3ß — j, Sal. ammon.
dep. , Rad. liquirit. pulv. ana gr. X. M. f. pulv. dent. dos.
aeq. Nr. vj. S. "Alle 3 Stunden ein Pulver; Rp. Bals. copaiv. ,
Gum. arab. ana 5ij, Aq. flor. naph. ^jj terendo bene mixtis
a d d e : Pulv. cubebar. ^ij M. f. b o 1 i N r. vj ; c o n s p. Pulv. c i n -
nam. D. S. Dreimal täglich ein Stück. Bei geschwächten Verdauungs-
kräften sprizt man entweder folgende Mischung mehrmals täglich ein :
R p. Bals. copaiv. 3ij — 5vj , V i t e 1 1. ov. N r. j , Extr. opii g r. j
Aq. destill. 5vjj. M. , oder wendet die folgende als Klystier an: Rp.
Bals. copaiv. c. Vitell. ov. subact. 5$ , Camphor. gr. jv.,
406 HARNROEIIRENENTZUENDUNG.
Ext. opii aquos. gr.j, A q. gummös, ^iv. M. Diese Mittel erregen
zuweilen Leibschmerzen und starke Durchfälle ; in diesem Falle hilft ein
Beisaz von Opium oder eine Verminderung der Gabe , oder ein völliges
Aussezen derselben auf einige Zeit. — In neuerer Zeit ist die abortive
Behandlung des Trippers empfohlen worden. Zu diesem Behufe wendet
man den Cubebenpfeffer und den Copaivabalsam in den oben angegebenen
und selbst in noch stärkeren Dosen in allen Stadien der Krankheit an
oder lässt äzende oder adstringirende Flüssigkeiten in die Harnröhre ein-
sprizen. Besonders wurden Höllensteinsolutionen wirksam gefunden,
welche R i c o r d in der Mischung von gr. ij Argent. n i t r i c. auf §viij
Aq. destill, in viertelstündigen Pausen einsprizt. Einige stiegen sogar
bis zu gr. x, auf 5j Wasser, was aber offenbar zu stark ist, da schon nach
schwächeren Lösungen die heftigsten Schmerzen und Blutharnen ent-
stehen. Während dieser Einsprizungen muss das Glied einige Zoll hin-
ter seiner Oeffnung fest zusammengedrückt werden , um das zu tiefe Ein-
dringen der Flüssigkeit zu verhindern. Die Injectionssprize muss von
Glas sein. — Wird der Ausfluss chronisch, wobei sich nur ein sparsamer
Abgang eines zähen Schleimes und sehr selten , meist nur in Folge von
Diätfehlern, ein Brennen zeigt , so muss die Behandlung gegen die ver-
anlassende Ursache gerichtet werden. Diese kann sein : krankhafte er-
höhte Reizbarkeit , Erschlaffung der organischen Veränderung der Harn-
röhrenschleimhaut. Im ersten Falle erweisen sich Narcotica mit Adstrin-
gentien innerlich, wie das Opium mit Bleisalzen, oder ähnliche Einspri-
zungen nüzlich, z. B. Rp. Extr. opii aquos. gr. viij, s. in Aq. de-
still. 5iv ad de: Mucilag. gi. arab. §ß , Acet. lythargyr.
gutt. viij. M. S. 2 Mal täglich in die Urethra einzusprizen. Bei auf
Atonie beruhendem Nachtripper sind balsamische, tonische, austrocknende
Arzneien in verschiedenen Formen und Verbindungen erforderlich , unter
denen sich besonders Copaivabalsam (Rp. Bals. copaiv. 5ij , Ext.
stipit. dulcam. 5 j * Pulv. rad. rhei 3ß , Gumm. arab. q. s. ut
f. pill. gr. ij consp. pulv. ein n am. D. S. 4 Mal täglich 8 Pillen zu
nehmen), Terpenthin (Rp. Bals. copaiv. 5üj s. in spirit. vini
r e c t i f. , Ol. t e r e b i n t h. a n a 5ij , Ol. menth. p i p. gtt. viij . M. S.
Zu 40 — 5 0 Tropfen 4 Mal des Tags mit Zuckerwasser zu nehmen),
Myrrhe , Alaun , Catechusaft , Gummi , Ammoniak, Chinin, Eisenpräparate
(Rp. Sulp hat. Chinin, gr. iij, Carbonati ferri gr. x, Pulv.
rad. liquir. gr. xij, Ol. menth. er. gtt. j, m. f. pulv. d. tal. dos.
Nr. xij D. in Chart, cerat. S. 3 Mal täglich 1 Pulver), Chlorkalk
(Rp. Calcar. chlorinic. 5j , E m u 1 s. amygdal. Jvij , Tinct.
opii simpl. 5j, Syr. emulsiv. §j. M. S. Alle 3 Stunden 1 Esslöffel
voll), in sehr torpiden Fällen selbst Canthariden (Rp. Tinct. cantha-
rid. Bals. peruv. ana 5ij- M. S. Wohl umgeschüttelt zu 2 4 Tropfen
in einem halben Glase Wein 4 Mal zu nehmen) als heilsam bewährt. Mit
diesen innerlichen Mitteln verbindet man Einsprizungen von Argent.
HARNROEHRENPOLYPEN. 407
11 i t r i c. (gr. jj — x auf ^viij Aq.) , Plumb. acetic. , Zincumsul-
phur. , Cuprum sulph. , Ferrum j od at. , Alaun, Chlorkalk, Ab-
kochungen von China, Eichenrinde, Galläpfeln, Ratanhia etc., indem man
von den schwächeren zu den stärkeren übergeht. In hartnäckigen Fällen
bringt man trockene oder in die eben genannten Lösungen oder Abko-
chungen getauchte Meschen in die Harnröhre ein oder äzt mit Höllen-
stein. — Krankhafte Veränderungen der Schleimhaut geben sich durch
Schmerz an einer bestimmten Stelle und beim Urinlassen kund und die
Behandlung muss eine verschiedene sein , je nachdem Geschwüre , Ver-
engerungen der Harnröhre oder krankhafte Veränderungen der Prostata
zugegen sind. Ein mit Blutstreifen vermischter Ausäuss weist auf die
Gegenwart von Geschwüren hin und hier dienen Sublimateinsprizungen
und der Gebrauch der Bougies. Ein verminderter und oft auch verän-
derter (gedrehter oder getheilter) Urinstrahl und die Untersuchung lassen
eine Strictur erkennen, welche durch Bougies etc. beseitigt werden muss.
Ein copiöser Schleimfluss , besonders nach Urin- und Stuhlausleerungen,
lässt auf eine Anschwellung der Prostata schliessen , und hier sind nach
dem verschiedenen Beizungszustande der Drüse Blutegel , Einreibungen
der Quecksilber- und Jodsalbe, Cauterisationen mit Höllenstein und inner-
lich Salmiak , Jod , Jodquecksilber , Jodeisen , balsamische und stärkende
Mittel angezeigt. — Der Eicheltripper fordert, wenn er nicht syphi-
litischen Ursprungs ist , nur strenge Reinlichkeit , öfteres Waschen der
Eichel mit lauem Wasser, Milch, Bleiwasser. — Die Behandlung des
Trippers beim Weibe besteht während der Entzündungsperiode
hauptsächlich in dem Gebrauche allgemeiner Bäder und erweichender
Einsprizungen und Dämpfe ; später geht man zu adstringinenden Ein-
sprizungen über und gibt innerlich den Copaivabalsam. Bei vorhandenen
Geschwüren macht man Einsprizungen von Höllensteinsolution, von Chlor-
wasser oder verdünntem Creosot. — Der virulente Tripper macht bei
beiden Geschlechtern eine specifische Behandlung nöthig.
HamrÖhrenpolypen finden sich beim Mann im Verlaufe des
ganzen Harnkanals , sehr häufig aber in der Fossa navicularis, wo
sie die Festigkeit der Feigwarzen haben ; bei Alten haben sie besonders
ihren Siz in der Pars membranacea und prostatica und nahe beim Bla-
senhalse. Bei Frauen, bei denen sie häufiger vorkommen, sizen sie haupt-
sächlich an der äussern Oeffnung der Urethra , bedecken die leztere und
verlängern sich mehr oder weniger in den Kanal der Urethra. — Symp-
tome. Sie verursachen schmerzhafte Störungen beim Harnen, ein Drän-
gen dazu ; der Urin ist nicht selten bluthaltig ; die Schmerzen steigern
sich oft sehr, es stellt sich ein Gefühl von Schwere und bei Männern nicht
selten vollkommene Harnverhaltung ein. Ursachen sind Syphilis,
Tripper, Unreinlichkeit , beständige Aufregung der Geschlechtstheile,
weisser Fluss. — Behandlung. Bei Männern zieht man sie, wenn sie
408 HARNROEHRENVERENGERUNG.
in der Nähe des Orificiums sizen, mit einer Pincette vor und schneidet sie
mit einer schmalarmigen stumpfspizigen Scheere an ihrer Basis ab. Sizen
sie zu tief, so zieht man sie erst mit einer Schlinge von Silberdraht her-
vor. Die Blutung stillt man durch Injection von kaltem Wasser. Bei
sehr weit hinten sizenden Polypen schneidet man an der entsprechenden
Stelle der Harnröhre ein, zieht den Polypen vor und schneidet ihn an sei-
ner Basis mit der C o o p e r ' sehen Scheere oder mit dem Knopfmesser weg.
Die blutende Stelle berührt man mit Höllenstein, legt einen flexiblen Ca-
theter in die Blase und vereinigt darüber die Wunde. — Bei Weibern
kann der Polyp durch Abbinden , Cauterisation oder Excision entfernt
werden. Gestielte zieht man vor , schneidet sie ab und stillt die nach-
folgende Blutung mit kaltem Wasser. Breitaufsizende bindet man am
besten ab, da sie, abgeschnitten, nicht selten lebensgefährliche Blutungen
verursachen. Kann der Urin nicht frei entleert werden , so bringt man
einen dünnen elastischen männlichen Catheter geölt neben dem unterbun-
denen Polypen in die Blase. Der Polyp fällt nach einigen Tagen ab oder
kann mit der Scheere im Todten abgeschnitten werden. Nach dem Ab-
gange des Polypen macht man Umschläge von Eibischabkochung mit
Bleiwasser und betupft den zurückgebliebenen Rest desselben mit Höl-
lenstein. — Zur Zerstörung der Auswüchse hat Garru immer das Auf-
streuen eines Pulvers aus Alaun und Herba sabinae auslänglich ge-
funden. Bei tiefsizenden Polypen wendet Garru eine mit obigem Pul-
ver bestreute Wachsbougie an.
HamrÖhrenverengerung, Strictura Urethra. Hier-
unter versteht man eine Beeinträchtigung des Harnröhrenkanales an einer
oder mehreren Stellen , wodurch der Abfluss des Harns in höherem oder
geringerem Grade gehindert ist. Das Wesen der Harnröhrenstricturen
besteht in einer fibrös schwieligen Verdichtung und Verdickung der Harn-
röhrenwand, welche krankhafte Veränderung vorzüglich beim Uebergreifen
einer Schleimhautentzündung in das Corpus cavernosum, mit
Sezung eines callös werdenden Faserstoffexsudats oder durch constringi-
rende Vernarbung eines tiefern Geschwürs zu Stande kommt. Es findet
sich hierbei in den höhern Graden die Schleimhaut , das submueöse Zell-
gewebe und auch das Corpus cavernosum urethrae zu einem weis-
sen , festen, narbigen Gewebe, fibroidem Callus, verwandelt und verödet.
Dieser organischen Verengerung steht gegenüber die sogenannte krampf-
hafte Strictur der Harnröhre , ein vital- dynamischer Vorgang , welcher in
Folge von Reizen verschiedener Art plözlich entsteht und ebenso schnell
wieder verschwindet. — Die organischen Verengerungen stellen sich
unter verschiedenen Formen dar : als Strang, Klappe, Ring, der mehr oder
weniger Dicke haben , callös sein kann , varicöse , polypöse und condylo-
matöse Wulstung oder Wucherung; endlich als Narben von Geschwüren
etc. — Der zur Entzündung am meisten disponirte Theil der Harnröhre
HARNROEHRENVERENGERUNG. 409
ist der gefäss- und zellgewebreichere Bulbus, daher auch in seiner Nähe,
4, 5 — 5^2 Zoll vom äusssern Orificium urethrae entfernt, der ge-
wöhnliche Siz der Stricturen ist , deren Ausdehnung oft kaum eine Linie
beträgt, , zuweilen aber auch die eines Zolles und selbst darüber erreicht.
Gewöhnlich ist nur eine Strictur vorhanden , doch beobachtet man auch
deren mehrere bei demselben Individuum. — Symptome und Ver-
la u f. Die Verengerung gibt sich anfangs nur durch unbedeutende Be-
schwerden beim Harnlassen, ein leichtes Jucken in der kranken Stelle der
Harnröhre , verbunden mit dem Abflüsse eines klebrigen Schleims kund.
Nach und nach wird der Abfluss des Urins erschwerter , er fliesst nicht
mehr in einem kräftigen dicken Strahle bogenförmig zur Erde , sondern
derselbe wird dünner , oft getheilt oder gedreht und fällt troz der kräf-
tigsten Contraction der Blase senkrecht zu Boden. In einem noch höhe-
ren Grade des Uebels fliesst der Urin , während die Eichel des Penis oft
dunkelblau anschwillt, .nur tropfenweise ab, und jeder, selbst der geringste
Diätfehler , die geringste körperliche Anstrengung , jede geschlechtliche
Aufregung reicht hin , das erschwerte Harnlassen in eine vollkommene
Harnverhaltung umzuwandeln. Wenn die eigentliche Ausleerung des
Urins auch vorüber ist , so bleibt doch immer eine kleine Portion dessel-
ben hinter der verengten Stelle zurück , welche später in der hängenden
Lage des Gliedes durch ihre eigene Schwere nach und nach abfliesst.
Diese Ansammlung des Urins hinter der Strictur hat am Ende auch die
Folge, dass dieser Theil der Harnröhre zuerst krankhaft ausgedehnt, dann
aber auch gewöhnlich von einer chronischen Entzündung ergriffen wird,
deren Folge eine Exulceration der Schleimhaut , nicht selten aber auch
eine Berstung der Harnröhre ist, wo sodann Urininfiltrationen in das be-
nachbarte Zellgewebe stattfinden , welche hier brandige Zerstörung der
Weichtheile oder im günstigeren Falle die Entstehung von Abscessen und
Urinfisteln veranlassen. Wird dieser Ausgang aber auch nicht herbei-
geführt, so entstehen doch andere wichtige Veränderungen. Die krank-
hafte Erweiterung der Harnröhre erstreckt sich gewöhnlich sehr bald auf
den Blasenhals und die Blase selbst , und an die Stelle des unwillkür
lichan Harntröpfeins tritt nun das Unvermögen , den Urin in der Blase
zurückzuhalten , so dass nun der Urin beständig abfliesst , so lange näm-
lich die Strictur noch nicht ganz unwegsam ist. Je mehr sie lezteres
wird , je mehr die Blase daher von dem sich in ihr ansammelnden Urin
ausgedehnt wird , desto mehr verliert diese an Contractionsvermögen,
desto mehr wird ihre Schleimhaut und deren Absonderung krankhaft ver-
ändert , und theils hierdurch , theils durch den langen Aufenthalt in der
Blase wird der Urin in eine limpide, übelriechende Flüssigkeit umgewan-
delt und somit ein immer wirksameres Mittel , einen chronischen Entzün-
dungszustand in der Blase zu unterhalten , der sich endlich durch die
Harnleiter bis zu den Nieren forterstrecken , zu Exulcerationen oder
zur brandigen Zerstörung Veranlassung geben und ein hectisches Allge-
410 HARNROEHREN VERENGERUNG.
meinleiden herbeiführen kann. Nicht minder theilt sieh die Entzündung
der Prostata mit , was Substanzveränderung derselben und Abscheidung
eines eiterartigen Schleims , der sich als stinkender, fadenziehender Bo-
densaz im gelassenen Urin findet , zur Folge hat. Consensuell können
auch die Samenbläschen, Vasa deferentia und Hoden ergriffen wer-
den. Die Folge hiervon sind häufige nächtliche Pollutionen, bei welchen,
sowie beim Coitus , der Samen ohne Schnellkraft oder nach schon vor-
übergegangener Erectio penis tropfenweise durch seine eigene Schwere
oder zuweilen ohne alles Gefühl bei der Stuhl- oder Urinausleerung ab-
geht. — Ursachen. Sie beruhen auf einfacher Entzündung oder sind
Folgen von Gonorrhoen. Ziemlich allgemein misst man den beim Trip-
per angewandten Einsprizungen die Entstehung der Stricturen bei. Die
Erfahrung lehrt indessen , dass sich Stricturen bilden können , ohne dass
Einsprizungen gemacht worden sind , und andererseits , dass häufig Ein-
sprizungen gemacht werden , ohne dass es zur Bildung von Stricturen
käme. Leugnen lässt sich jedoch nicht, dass eine bei entzündlichem Zu-
stande der Harnröhre gemachte Einsprizung die Entzündung steigern und
so die mittelbare Ursache einer Strictur werden kann. Weiber werden
selten von Stricturen befallen. — Die Krankheiten, welche mit der Stric-
tur verwechselt werden können, sind : eine kranke Prostata, in der Harn-
röhre eingeklemmte Nieren- oder Blasensteine , Geschwülste der benach-
barten Theile. Eine genaue Beobachtung der diesen verschiedenen
Krankheiten eigenthümlichen Erscheinungen , hauptsächlich aber die Un-
tersuchung mit dem Catheter, wird über das bestehende Leiden bald Auf-
schluss geben. — Prognose. Diese ist nach dem Size, nach dem
Grade , nach der Beschaffenheit und der Dauer des Uebels verschieden.
Je näher dem Orificium urethrae, je frischer und ausdehnbarer, je
kürzer und weniger eng die Strictur ist, um so leichter kann sie entfernt
werden. Haben sich schon consecutive Leiden der Harnröhre eingestellt,
so ist die Prognose zwar ungünstiger, doch kann mit der Beseitigung der
Strictur der Zustand des Kranken erträglicher gemacht werden. Am un-
günstigsten ist die Prognose , wenn auch nicht für die mögliche Beseiti-
gung der Strictur, so doch für die Herstellung des Kranken, wenn bereits
mehrere der oben genannten Complicationen bestehen. — Rückfälle sind
sehr häufig. — Behandlung. Vor Allem müssen etwa noch bestehende
allgemeine Krankheitszustände , welche mit der Verengerung in einem
ursächlichen Verhältniss stehen , berücksichtigt werden. — Der eigent-
liche Zweck der Behandlung der Strictur besteht in der Entfernung des
Hindernisses , welches sich dem Abflüsse des Urins entgegenstellt ; ehe
man aber an diese Behandlung geht , ist es nothwendig , sich eine mög-
lichst genaue Kenntniss von dem Size, der Form, Grösse und Ausdehnung
der Strictur zu verschaffen. Zu diesem Behufe nimmt man eine elasti-
sche Bougie , deren Dicke der Harnröhrenmündung entspricht , bestreicht
sie mit Oel und führt sie , indem man den Penis mit dem Daumen und
HARNROEHRENVERENGERUNG. 411
Zeigefinger der linken Hand leicht hinter der Eichel fasst, in das Ori-
ficium urethrae ein und zieht in dem Masse den Penis in die Höhe,
als man mit der Bougie eindringt, die man wie eine Schreibfeder hält und
sanft drehend fortbewegt. Ist man mit der Bougie an der Strictur an-
gekommen , so macht man genau an der Harnröhrenmündung einen Ein-
druck mit dem Nagel in die Bougie und bezeichnet sich so die Entfer-
nung der Strictur von dem Orificium urethrae. Man nimmt nun
eine dünnere , elastische , oder eine Wachskerze , ungefähr von der Dicke
des Urinstrahls , trägt auf sie den Nageleindruck von der ersten Kerze
und sucht sie , auf die angegebene Weise eingeführt , unter Vermeidung
jeder Gewalt durch die Strictur zu bringen; dass dies geschehen ist, da-
von überzeugt uns das Eindringen der Kerze über den Nageleindruck,
ferner dass dieselbe , wenn man sie zurückziehen will , etwas angehalten
wird , und wenn man sie ganz frei lässt , nicht in die Höhe weicht. „ Ge-
schieht lezteres, so ist dies ein Beweis, dass sich die Kerze vor der Stric-
tur gekrümmt hat , ohne in dieselbe eingedrungen zu sein. Die Bildung
eines falschen Weges ergibt sich aus dem Schmerze, den der Kranke em-
pfindet , aus der Möglichkeit , die etwas zurückgezogene Kerze in einer
andern Richtung weiter vorwärts zu bringen und an dem fehlenden Ein-
drucke, den man immer an einer Wachskerze als Wirkung der Strictur
wahrnimmt. Gelingt das Einführen der Kerze in die Strictur nicht , so
versucht man es mit einer dünneren. — Wenn die Beschaffenheit der
Strictur das Eindringen der Kerze unmöglich macht, so sucht man sich
einen Abdruck von derselben zu verschaffen , um darnach sein weiteres
Verfahren einrichten zu können. Zu diesem Zwecke bedient man sich
einer Mo d ellir b o ugi e , d. h. einer Bougie, an deren unterem Ende
ein Büschel Seide befestigt ist, welcher in Modellirwachs (nach Du camp
aus gleichen Theilen gelbem Wachs, Diachylon, Schusterpech und Harz,
nach Lallemand aus Wachs und Pech bestehend) getaucht und nach
dem Erkalten des Wachses mit den Fingern so geformt wird , dass der
Ansaz dem Umfange der Sonde gleichkommt. Eine solche Sonde ä
empreinte wird einige Zeit gegen die Strictur gedrückt und gibt dann
ein ziemlich getreues Bild von derselben. Aehnlich wie die genannte
Explorationssonde werden aus Leinwand gefertigte und mit Wachs über-
zogene Bougies benüzt (Civiale). — Die eigentliche Behandlung der
Harnröhrenstricturen besteht in der Erweiterung derselben, was entweder
auf mechanischem oder chemischem W^ege in's Werk gesezt wird.
Zur ersteren Art gehören die unblutige und blutige Dilatation, zu der lez-
tern die Cauterisation. — 1 ) Die unblutige Erweiterung der
Harnröhre passt nur bei Verengerungen , die weder zu frisch, noch zu
alt, nicht zu sehr verhärtet, wie auch nicht zu sehr empfindlich sind. Sie
zerfällt in drei geschiedene Methoden: die allmälige Erweiterung durch
Bougies, die forcirte Erweiterung durch conische und cylindrische Sonden
und die Anwendung forcirter Injectionen. — Die allmäligeAusdehnung
412 HARNROEHRENVERENGERUNG.
durch Einlegung von Bougies hat den Zweck , die Strictur selbst durch
einen excentrischen Druck zu comprimiren, die aufgelockerte Schleimhaut
zusammenzudrücken, die Resorption in der comprimirten Stelle anzuregen,
so einen Rückbildungsprocess zu bewirken und das Lumen der Harnröhre
zu erweitern. Das gewöhnliche Erweiterungsmittel ist die B o u g i e , die
Kerze, der Wachsstock. S. Erweiterungs mittel. Die
Pflasterbougies werden , weil sie nur unbedeutend anschwellen und dabei
sehr weich werden, nicht mehr viel angewendet. Die Bleibougies nehmen
keine Politur an und machen , wenn sie dünn sind , gern falsche Wege ;
gegenwärtig werden sie fast nur noch zur Beendigung der Kur angewen-
det. Die Pergamentbougies sind nicht biegsam genug ; das Gleiche gilt
von den Fischbein- und Knochenkerzen. An die Stelle dieser verschiede-
nen Instrumente sind in der neuern Zeit die elastischen Bougies getreten,
die , sind sie hohl , mittels eines nach der Harnröhre gebogenen Stilets
ein- und über die Strictur hinausgeführt werden ; sie bestehen aus Schläu-
chen , die mit einem Firniss oder mit Guttaperchalösung überzogen sind.
Einen stärkeren Druck üben die anschwellenden Darmsaiten aus; die Aus-
dehnung erfolgt allmälig und ohne Schmerzen zu verursachen ; dies , so
wie ibre grosse Biegsamkeit bei der nöthigen Resistenz macht sie zu dem
brauchbarsten und beliebtesten Erweiterungsmittel. Um einem Drucke
auf die ganze Urethra zu entgehen , hat man die Anwendung bauchiger
Bougies empfohlen ; sie sind unzweckmässig , da sie sich nicht an der
Stelle erhalten lassen , auf die sie wirken sollen. Ausser diesen eigent-
lichen Bougies hat man noch besondere Vorrichtungen erfunden , die als
Dilatatoren wirken. So hat man vorn geschlossene Thierdärme durch die
Strictur gebracht und dann mit Luft , Wasser oder Quecksilber gefüllt.
Montain, Pereve, Michelena u. A. haben metallene Dilatatoren
angegeben , die durch einen Mechanismus auseinander getrieben werden
können. Diese Apparate wirken zu gewaltsam. — Für die Einführung
der Bougies gelten die oben bei der Untersuchung der Harnröhre gegebe-
nen Regeln. Hat die Bougie die Strictur passirt , so zieht man sie nach
Umständen sogleich wieder zurück, oder lässt sie so lange liegen , als der
Kranke ihren Druck vertragen kann, was im Anfange nur eine kurze Zeit
ist, später aber bis zu mehreren Stunden ausgedehnt werden kann. Man
applicirt die Bougie täglich oder mehrere Male des Tags und geht in dem
Masse , als sich die Harnröhre erweitert , von niederen zu höheren Num-
mern über. Benique führt in dem Falle , wo es nicht gelingt , eine
Bougie durch die Strictur zu bringen , eine Metallröhre und durch diese
ein Bündel dünner Bougies ein ; von diesen Bougies sucht er die eine
oder die andere sanft durch die Strictur zu schieben , die er dann nur
ganz kurze Zeit liegen lässt und allmälig mit dickeren vertauscht. Aehn-
lich verfahren A m u s s a t und Z e i s s e 1 ; der Erste versucht eine sehr
feine dünne Bougie durch die Strictur zu bringen ; diese bleibt liegen
und am folgenden Tage dringt er seitlich mit einer gleich feinen Bougie
HARNROEHRENVERENGERUNG. 413
ein , die gleichfalls neben der ersten liegen bleibt. So führt er täglich
immer wieder eine neue Bougie ein, bis ein Bündel von 5 — 6 in der Ure-
thra liegt. Dieses Bündel soll mehr erweitern , als eine einzige Bougie
von demselben Umfange, auch sollen sie ihrer grossen Biegsamkeit wegen
leichter ertragen werden, um so mehr, als der Urin neben den Bougies
abfliessen könne. Später geht er dann zu der gewöhnlichen Dilations-
methode mit allmälig dickeren Bougies über. Z eis sei führt auch eine
sehr feine Bougie ein , gelangt er damit aber nicht über die Strictur , so
lässt er sie ruhig in der Urethra liegen und führt neben ihr eine eben so
feine zweite Bougie ein ; dadurch geschieht es oft , dass schon die erste
etwas verschoben wird , oder die zweite gelangt an den Ort der Bestim-
mung; geht es auch mit der zweiten nicht, so führt er eine dritte, vierte
u. s. f. ein ; eine von ihnen überwindet das Hinderniss, oder findet durch
Zufall den Weg , den man oft mit der grössten Mühe nicht finden kann.
Diese lässt er liegen und geht dann zu dickeren über. — Zweckmässig
ist es , die Behandlung mit Darmsaitenbougies zu beginnen und mit Blei-
bougies zu beschliessen. Ist die Permeabilität der Harnröhre auch her-
gestellt, so ist es doch räthlich, noch einige Zeit lang Bougies tragen zu las-
sen. — Die graduelle Erweiterung führt, wenn auch langsam, doch sicher
zum Ziele. Man darf aber nicht die Geduld verlieren , selbst wenn man
nach einigen Wochen noch keinen sehr bemerklichen Erfolg erzielt. —
Die forcirte Erweiterung, besonders von M a y o r empfohlen, hat
das für sich , dass Metallsonden mit abgerundeter Spize von einer Dicke,
dass sie genau der Weite der Harnröhre entsprechen und so gleichsam
den Kanal wie eine Docke ausfüllen , ebenso einen excentrischen Druck
auf die Wandungen des Kanales ausüben, als durch Druck von vorn nach
hinten die Verengerung auf die zweckmässigste Weise erweitern. Die
cylindrische Metallsönde dringt leichter bis- an die Verengerung als eine
biegsame Bougie ; ein vorsichtiger, methodischer, anhaltender Druck macht
sie in das Hinderniss eindringen , und wo eine Bougie eine lange Zeit
braucht , eine Erweiterung zu erzielen , bewirkt das die Metallsonde in
kurzer Zeit. Man hat bei ihr nicht die Bildung falscher Wege , wie mit
den conischen Sonden , zu fürchten r auch durchdringt bei gleichzeitigem
Harnröhrenkrampfe ein dicker Catheter die Verengerung leichter, als eine
dünne Saite. Zu bemerken ist jedoch, dass die Anwendung solcher Son-
den einen ziemlich reizlosen Zustand der Harnröhre voraussezt , und von
möglichen nachtheiligen Folgen , besonders wenn man die Einführung
übereilt, nicht ganz frei ist. Es ist daher räthlich, wenn man von dieser
Methode Gebrauch machen will , sie auf Verengerungen , bedingt durch
Stränge , Klappen oder ganz kurze circuläre fadenförmige Schnürungen
zu beschränken , und ihre Anwendung bei unnachgiebigen , langen Stric-
turen zu unterlassen , wenn man sich nicht der Gefahr aussezen will,
Quetschungen und Zerreisaungen hervorzurufen. Mayor's Catheter
sind von Zinn oder einer andern wohlfeilen Metallcomposition, welche eine
414 HARNROEHRENVERENGERUNG.
gute Politur annimmt und nicht brüchig ist. Er hat solche von 2 — 4^2
Linien Durchmesser ; sie haben eine abgerundete olivenf örmige Spize.
Bei der Einführung dieser Sonde macht man , an der Strictur angekom-
men, mit einiger Gewalt kleine Biegungen nach verschiedenen Seiten wie
mit einem Bohrer , unterbricht aber diese Bewegungen von Zeit zu Zeit,
um dem Kranken Ruhe und den Theilen Zeit zur Ausdehnung zu gönnen.
Hat der Catheter die Strictur durchdrungen, so lässt man ihn 2,3,4 Tage
liegen , worauf man ihn zurückzieht und durch einen stärkeren ersezt.
Leroy d'Etiolles wendet ein dem Heurteloup'schen Steinbrecher ähn-
liches Instrument an und nennt sein Verfahren retrograde Dilatation.
Boy er bedient sich zu dem Catheterisme force eines stark ge-
arbeiteten metallenen Catheters mit conischer Spize, will dieses Verfahren
aber nur in dringenden Fällen bei gänzlich oder fast gänzlich unterdrück-
ter Urinausleerung angewendet wissen. Er dringt gerade ein ohne seit-
liche Bewegung. Dieses Verfahren ist nicht nachzuahmen. — Die f o r -
cirten Einsprizungen gewähren keine besonderen Vortheile, schei-
nen im Gegentheile durch übermässige Ausdehnung der Harnröhre diese
wie die Blase zu reizen und die Zufälle zu vermehren. Sie werden nach
Amussat mittels einer an beiden Enden offenen Sonde, an deren äusse-
rem Ende eine mit Flüssigkeit gefüllte Kautschukflasche befestigt ist,
ausgeführt, indem man bei zusammengedrücktem Gliede die Flasche durch
einen Druck entleert. Despinay bediente sich einer einfachen, Serre
einer sich selbst füllenden Sprize. — 2) Die blutige Erweiterung
oder die Incision der Verengerungen, Urethrotomia in-
terna, wird besonders gegen Stricturen empfohlen , welche der Dilata-
tion oder Cauterisation widerstehen, daher gegen die langen callösen Ver-
engerungen, d.h. solche, welche in einer geschrumpften, weissen, fibrösen,
wenig ausdehnbaren, und nach geschehener Ausdehnung bald in den alten
Schrumpfungszustand zurückfallenden Schwiele bestehen ; ebenso soll bei
in Folge von Narben entstandenen Verengerungen die Incision durch die
Dilatation unterstüzt die sicherste , schnellste und vollkommenste Heil-
methode sein. Die Gegner der Methode behaupten dagegen, dass man
von ihr keine gründliche Heilung hoffen dürfe , weil die gemachten Inci-
sionen sich entweder sogleich wieder schliessen werden, oder, wenn sie
daran verhindert werden, in Eiterung übergehen und eine Narbe zur Folge
haben , die sich contrahirt und das frühere Uebel zurückführt. — Man
unterscheidet eine innere und eine äussere Incision. Behufs der
i n n e r n Incision sind eine Menge Instrumente erfunden worden und wer-
den noch immer erfunden, die grösstentheils aus Röhren bestehen, in wel-
chen troicart- oder lancettf örmige Klingen verborgen sind , die durch ein
Stilet vorgeschoben werden können und mit welchen die Strictur entweder
von vorn nach hinten oder von hinten nach vorn durchgetrennt wird. Die
in ersterer Richtung wirkenden Instrumente sind unsicher und bilden
leicht falsche Wege , weshalb sie ausser Gebrauch sind. Von den von
HARNROEHRENVERENGERUNG. 415
hinten nach vorn wirkenden Instrumenten sind die vollkommensten und
am häufigsten angewendeten die Urethrotome von Ricord und Ivän-
chich, auf deren Beschreibung, so wie auf ein der neuesten Zeit ange-
höriges Instrument von Hammer wir uns beschränken. Ricord hat
ein gerades und gekrümmtes Urethrotom angegeben. Der gerade be-
steht aus einer gerinnten Canüle und aus einem viereckigen eisernen
Schafte, der an seinem Ende eine kleine Messerklinge trägt. Die Canüle
ist aus Silber, 8 Zoll lang und nach Umständen verschieden dick (^/jo —
lijlQ Linie). Sie ist gleichförmig cylindrisch und am Vesicalende stumpf
abgerundet. Das äussere Ende ist durch einen Ring verstärkt , daselbst
mit einem Schraubengange versehen , der eine kleine Stellschraube auf-
nimmt, die zur Fixirung des Schafts dient. Die Canüle ist ihrer ganzen
Länge nach mit einer offenen viereckigen Rinne versehen, in welcher der
Schaft mit der Messerklinge frei hin - und hergleitet. Die genannte
Rinne endigt sich 5 Linien vom Visceralende der Canüle mit einer schief
aufsteigenden kleinen Fläche , auf welcher die Messerklinge , die sonst in
der Rinne ganz verborgen liegt , allmälig in dem Masse , als man den
Schaft vorschiebt , heraustritt. Gegenüber der Rinne trägt die Canüle
einen Massstab ; endlich befinden sich zu beiden Seiten der leztern an
dem äussern Ende zwei Ringe. Der Schaft mit der Messerklinge über-
ragt , wenn leztere sich unmittelbar am Fusse der aufsteigenden Fläche
befindet, die Canüle um 5/4 — ll/2 Zoll, der Schaft fängt ungefähr 1 Zoll
von seinem Urethralende an etwas dünner zu werden und endigt mit einer
4 — 5 Linien langen und 2/3 — s/4 Linie breiten etwas geschweiften und
abgerundeten, gut schneidenden Messerklinge. Ein verschiebbarer klei-
ner Handgriff am äussern Ende kann mit einer kleinen Stellschraube an
dem Schafte festgestellt werden ; er dient dazu, das stärkere oder schwä-
chere Hervortreten des Messers zu regeln. — Die Anwendung dieses In-
struments , welches nur für Verengerungen im geraden Theile der Harn-
röhre bestimmt ist, ist einfach. Nach vorläufiger Erweiterung der Strie-
tur bis zu dem Grade , dass man das kleinste Urethrotom in und durch
diese führen kann , bringt man das gut beölte Instrument langsam und
schonend ein und über die Verengerung weg und stellt das Messer so,
dass es an der aufsteigenden Fläche mehr oder weniger hervortritt ; hier-
auf ergreift man die Canüle und zieht das ganze Instrument bis vor die
Verengerung , wodurch man sicher ist , sie incidirt zu haben ; nun zieht
man den Schaft zurück , um das Messer unschädlich zu machen und ent-
fernt hierauf das ganze Instrument. — Das gekrümmte LTrethrotom R i -
cord's unterscheidet sich von dem geraden nur darin, dass die 8 — 9
Zoll lange Canüle leicht gebogen ist. Die kleine aufsteigende Fläche
befindet sich da, wo die Krümmung des Instruments anfängt und die Rinne
an der untern convexen Seite des Instruments. — Bei der Anwendung
dieses Instruments muss der gekrümmte Theil desselben ganz durch die
an oder hinter der Biegung der Harnröhre befindliche Verengerung hin-
416 HARNROEHRENVERENGERUNG.
durch. — Ivänchich's Urethrotom ist eine Modification des R i c o r d'-
schen. Um das Zurückziehen des Schafts sicherer und schneller zu be-
wirken, hat er um das Extraurethi-alende desselben eine elastische Spiral-
feder angebracht , die mit einem Ende am Schafte befestigt ist und sich
mit dem andern an die Canüle stiizt. Ein Druck auf den mit einem Hüt-
chen versehenen Schaft verkürzt die Feder und lässt die Messerklinge
vortreten ; mit dem Aufhören des Druckes zieht sich durch die Ausdeh-
nung der Feder das Messerchen von selbst in die Rinne zurück. Die
Spiralfeder ist in einen hohlen Cylinder eingeschlossen. Ivänchich hat
auch federnde gerade Urethrotome mit zwei Messerklingen construirt.
Diese befinden sich je in einem Arme des gabelförmig gespaltenen Schafts.
— Dem gekrümmten Urethrotom Ricord's gab Ivänchich eine grös-
sere Krümmung, dehnte die Rinne an der convexen Seite der Canüle bis
an das Vesicalende derselben aus, brachte dazu hier die kleine aufsteigende
Fläche an und veränderte den Schaft in der Art, dass er ihn von der Bie-
gung der Canüle an mit einer Uhrfeder zusammenlöthete , die bis an die
aufsteigende Fläche reicht und mit der bekannten Messerklinge endigt.
Desgleichen wurde diesem Urethrotom die Spiralfeder beigegeben. Die
Incision geschieht mit diesen Instrumenten wie mit dem R i c o r d 'sehen,
nur schneidet Ivänchich in der Regel die im Allgemeinen dickste un-
tere Wand der Verengerung ein. Zur Verhütung der Verwachsung der
kleinen Schnittflächen führt Ivänchich einige Tage lang von 4 zu 4
oder von 6 zu 6 Stunden entsprechend dicke Kautschukbougies ein, zieht
sie aber jedesmal sogleich wieder zurück. Später wird ein methodisches
Dilatationsverfahren eingeleitet. — Das Urethrotom von Hammer be-
steht aus einem geraden metallenen, in der Mitte mit einer tiefen Rinne
versehenen Stabe, in welchem eine nur am obern Ende 1 — 1'/2 Zoll weit
schneidende Klinge verborgen ist. Am Metallstab befindet sich eine
Olive , die abgeschraubt und mit andern von grösserem oder kleinerem
Umfange vertauscht werden kann. Der Metallstab besteht aus 3 Abthei-
lungen und zwar 1) aus der längsten und dünnsten mit der Rinne für die
Klinge; 2) aus einer dickeren, die eine Fortsezung der Rinne enthält,
aber auch von einer schmalen horizontalen Furche durchbrochen ist , in
welcher die Klinge durch eine kleine Schraube so befestigt wird, dass sie
wie in einem Charnier geöffnet und geschlossen, aber auch zugleich herabge-
zogen werden kann; 3) aus einem Stücke, welches eben so lang wie die
2 . Abtheilung ist , und welches von einer senkrechten Längenfurche ganz
durchrochen ist, so dass derTheil zurück- und wieder vorwärts geschoben
werden kann. — Durch Entfernen des einen Ringes vom andern, so weit
als möglich , wird es ganz geschlossen und durch eine kleine Schraube
festgestellt. Vermittels dieser kleinen Schraube kann man das Instrument
in jeder beliebigen Oeffnung feststellen und dann durch gleichmässiges
Anziehen der beiden Ringe mit dem Zeige- und Mittelfinger gegen den
Griff der Klinge abwärts bewegen , so dass ein Schnitt hervorgebracht
HARNROEHRENVERENGERUNG. 417
wird, wie mit einem Bistouri , weil der metallene Stab mit der Olive un-
verrückt an der früheren Stelle festgehalten wird. Der Ring dient nur
zur Einhakung des linken Daumens, um der linken Hand, die das Instru-
ment sammt dem Penis fest zusammendrückt, als Stüze zu dienen. — Boi
der Anwendung wird das Urethrotom geschlossen eingeführt , so dass die
Olive hinter die Strictur dringt. Nachdem man die Olive durch Vor-
wärtsdrehen an die Strictur hingeführt hat , um sich nochmals über den
genauen Siz derselben zu vergewissern, drängt man das Instrument wieder
etwa 4 — 8 Linien hinter die Strictur zurück, damit der Anfang der Klinge
dieser gerade entspricht, zieht nun den ganzen Penis etwas stark an , um-
fasst ihn sammt dem Instrument sehr fest , öffnet lezteres , so weit dies
möglich ist , und stellt es dann durch die kleine Schraube fest. Hierauf
fasst die rechte Hand das untere Ende des Instruments in der Art , dass
der dicke Griff sich gegen die Hohlhand anstemmt , während der in die
Ringe eiDgesezte Zeige- und Mittelfinger die Klinge durch Anziehen her-
abbewegt und dadurch der Schnitt vollführt wird. Ist der Schnitt ge-
macht, so schliesst man das Instrument durch Oeffnen der kleinen
Schraube , entfernt ferner die Schraube und zieht nun die ganze Klinge
aus der Urethra, während der Metallstab mit der Olive liegen bleibt. An
die Stelle der entfernten schneidenden Klinge wird jezt die stumpfe Klinge
■eingeführt, die uns als Dilatator über den Umfang des Schnittes oder das
Gelingen der Operation Aufschluss gibt. Wird der Schnitt nicht aus-
reichend , so führt man die schneidende Klinge wieder ein und nimmc
eine Erweiterung des ersten Schnittes vor. Man kann mit diesem In-
strumente statt eines tiefen Schnittes zwei seichte seitliche anbringen,
ohne dass man nöthig hätte, dasselbe zwei Mal einzuführen. — Die äus-
sere Incision, Harnröhrenschnitt, Urethrotomia ex-
terna (la Boutonniere) , wurde ursprünglich zu dem Zwecke empfohlen,
um bei Urinverhaltung in Folge eines Blasensteines in die Blase zu ge-
langen ; man machte hier statt des Steinschnitts einen kleinen Schnitt
zwischen dem Hodensacke und dem After und legte dann in jenen eine
Röhre ein, um so dem Urin Ausfluss zu verschaffen. Später wurde diese
Operation auch bei Harnröhrenverengerungen ausgeführt und namentlich
in neuester Zeit von Civiale, Scharlau, insbesondere aber von
S y m e empfohlen. Nach Lezterem soll diese Operation bei sehr ausge-
dehnten , unnachgiebigen , callösen Stricturen, welche jedem Dilatations-
versuche unüberwindlichen Widerstand leisten, gemacht werden. Er führt
zunächst eine leicht gekrümmte, auf ihrer convexen Seite gerinnte Lei-
tungssonde, welche klein genug ist, um leicht durch die Strictur hindurch
zu gehen, ein, lässt sie durch einen Gehülfen halten und macht an der
Stelle der Verengerung einen 1 */2 Zoll langen , Haut und Zellgewebe
durchdringenden Schnitt , hebt nun , die Sonde mit der linken Hand er-
greifend, die Urethra nach aussen, sticht hinter der Strictur ein die Rinne
der Sonde treffendes Messer ein und spaltet, lezteres nach vorn schiebend,
Burger, Chirurgie. 27
418 HARNROEHREN VERENGERUNG.
das verdickte Gewebe. Hierauf wird die Sonde entfernt und ein silberner
Catheter auf gewöhnlichem Wege in die Blase geführt, wo man ihn die
zwei nächsten Tage hindurch , während Patient ruhig im Bette bleibt,
liegen lässt. Anfangs soll der Urin gewöhnlich durch die Operations-
wunde abfliessen, in seltenen Fällen jedoch seinen natürlichen Weg durch
die Harnröhre nehmen. Vom 8 — 10. Tage an soll zwei Monate lang
wöchentlich oder alle 14 Tage einmal eine massig starke Bougie einge-
führt und dieses im Laufe des ersten Jahres noch etliche Mal wiederholt
werden. Die Heilung der Wunde erfolgt durch Granulation. — Schar-
lau führt, besonders bei undurchdringlicher Strictur, in der Lage zum
Steinschnitt einen silbernen , an der Spize durchbohrten und an der con-
vexen Seite mit einer Rinne versehenen Catheter in die Harnröhre und
bis zur Strictur, lässt den Hodensack in die Höhe heben und die Haut
nach allen Seiten gleichmässig anspannen. Jezt sticht man die Spize
eines kleinen bauchigen Messers bis auf eine Linie vor dem Ende des
Catheters durch die Harnröhre hindurch ein , so dass noch ein Theil der
wegsamen Harnröhre geöffnet wird und schneidet dann in der Länge von
1^2 — 2V2 Zoll abwärts , wobei Haut, Fascien und das Fettpolster ge-
trennt werden. Nach gestillter Blutung sucht man von dem wegsamen
geöffneten Theile der Harnröhre aus die Strictur, führt in diese ein spizes,
gekrümmtes Bistouri und schneidet , den Rücken der Klinge gegen den
Kranken gekehrt, vorsichtig abwärts durch die ganze Strictur, bis man in
die Pars membranacea gelangt. Jezt nimmt man einen feinen,
leicht gebogenen Troicart mit conisch zugespiztem, nicht scharfem Stilet,
schiebt ihn in die Blase , wobei man weitere Stricturen unter Anwendung
von einiger Gewalt zerstört. Ist die Blase erreicht , so lässt man den
Troicart einen Augenblick liegen, schiebt dann den Catheter vorwärts und
bringt ihn nach Ausziehung des Troicarts vollends in die Blase , wo er
liegen bleibt. Die weitere Behandlung besteht in der Anwendung dicker
Bleibougies , welche man gegen das Ende der dritten Woche ein-
legt und so lange beibehält , bis die Wunde völlig geschlossen ist. Von
jezt ab entfernt man die Bougie auf 6 — 8 Stunden, legt sie aber 2 — 3
Mal täglich auf eine Stunde ein. — Die Einschneidung der Harnröhre
von aussen ist eine Operation , die , wenn es nur einigermassen möglich
ist , eine Bougie einzuführen , am besten unterbleibt , denn es kann die-
selbe , besonders wenn die Stricturen , wie gewöhnlich in dem hintern
Theile der Harnröhre sizen, mannigfache Gefahren, wie heftige Blutung,
Entzündung, erschöpfende Eiterung, Brand, Urininfiltration, Fistelbildung
zur Folge haben und hierdurch wie auch durch die Contraction der zu-
rückbleibenden Narbe die radicale Heilung vereitelt werden. 3) Die
Cauterisation der Stricturen wird gegenwärtig nur noch wenig
angewendet, da die Erfahrung gezeigt hat, dass sie in geringem Grade
angewendet, gänzlich nuzlos ist, in bedeutenderem Grade aber eine sehr
heftige , mitunter gefährliche Reaction sezt , während welcher sich die
HARNROEHRENVERENGERUNG. 419
Strictur wieder bildet. Wir können deshalb kurz sein. — Die Zerstö-
rung der Verengerungen geschieht entweder mit Höllenstein oder weniger
gut mit äzendem Kali, und wird entweder von vorn nach hinten oder von
innen nach aussen ins Werk gesezt. Bei der Cauterisation von vorn
nach hinten verschafft man sich zuerst durch eine gewöhnliche Kerze
auf die oben angegebene Weise Kenntniss von dem Size der Strictur.
Nachdem dies geschehen , tragt man die Entfernung der Strictur auf eine
mit Höllenstein armirte Bougie , d. h. eine an ihrem unteren Ende mit
einem Stückchen Höllenstein versehene Wachskerze über und führt diese,
nachdem man sie beölt hat , in die Urethra bis zur Strictur , wo man sie
massig und nach der Empfindung des Kranken kürzere oder längere Zeit
andrückt. Diese Operation wird einen Tag um den andern oder täglich
wiederholt. Nach Lösung des Brandschorfes sucht man durch eine ein-
fache Bougie die natürliche Weite der Harnröhre vollends herzustellen.
Um der Gefahr einer Verlezung der gesunden Schleimhaut zu entgehen,
führten Loyseau, Hunter, Home u. A. das Aezmittel durch eine
biegsame silberne oder elastische Röhre an den Ort seiner Bestimmung.
— Whately bedient sich des leicht zerfliessbaren Kali causticum.
— Bei der Cauterisation von innen nach aussen oder innerhalb der
Strictur verfährt Arnott folgendermassen. Nachdem er sich mit einer
jeden Eindruck annehmenden Kerze über den Siz und die Beschaffenheit
der Strictur Kenntniss verschafft hat, führt er eine gehörig starke Canüle
bis zur Strictur ein. Zur Cauterisation durchstösst er ein Stück Höllen-
stein , das etwas dünner als die Strictur weit ist , in der Mitte mit einem
Metalldrahte und sezt auf diesen vor und hinter dem Höllensteine ein
V2 Zoll langes Stück einer gewöhnlichen Bougie. Die so zubereitete
Kerze wird durch die Canüle bis zur Strictur und durch diese hindurch
geführt , so dass der Höllenstein leztere in allen Punkten berührt ; hier-
auf wird , nachdem die Cauterisation geschehen und der Draht zurückge-
zogen ist, ein Draht mit einem Leinwand- oder Baumwollbäuschchen durch
die Canüle eingeführt , um das , was sich von dem Aezmittel verflüssigt
hat, aufzusaugen. — Mit grösserer Sicherheit und Genauigkeit lässt sich
die Cauterisation mittels des D u c a m p ' sehen oder Lallemand' sehen
Aezmittelträgers ausführen. Vor der Anwendung des Aezmittels wird
mit der Explorationssonde (der oben beschriebenen Modellirbougie) ein
genauer Abdruck von der Strictur genommen und dann erst der Aezmittel-
träger in Wirksamkeit gesezt. Dieser Aezmittelträger besteht aus einem
Hohlcy linder , welcher einen Schaft aufnimmt , der an seinem vorderen
Ende mit einer Rinne von Piatina versehen ist. In diese Rinne legt man
kleine Stückchen Höllenstein, dessen Menge etwa 4/2 Gran beträgt. Um
sie zu befestigen , schmilzt man sie mittels des Löthrohrs zusammen , wo-
bei aber die Hize nicht zu gross werden darf, dass ein Aufblähen des
Höllensteins veranlasst wird. Dieser Porte-caustique wird , in die Röhre
zurückgezogen, bis zur verengten Stelle geführt, dann in die Strictur vor-
27*
420 HARNVERHALTUNG.
geschoben und innerhalb derselben mehrmals um seine Achse gedreht , so
dass leztere allenthalben von dem Höllensteine berührt wird. Nach hin-
länglicher Aezung zieht man das Stilet in die Röhre zurück und entfernt
diese mit ihm aus der Harnröhre. Drei derartige Cauterisationen in dem
Zwischenräume von 2 — 3 Tagen angestellt, sollen zur Zerstörung der
verengten Theile hinreichen , so dass man nun zur Anwendung der Bou-
gies übergehen kann, die hier, wie bei der blutigen Dilatation, die unent-
behrlichsten Unterstüzungsmittel bleiben. — D u c a m p ' s und Lalle-
mand's Verfahren ist vielfach modificirt worden, so von Segalas,
Cazenave, Pasquier, Dupuytren u. A. — Schliesslich sei noch
des Versuchs erwähnt , organische Stricturen durch Galvanismus zum
Schmelzen zu bringen , und wollen Cr u sei, Baumgartner und
Willebrand eine schnellere Heilung damit , als bei jeder andern Me-
thode erzielt haben. S. den Art. Electrotherapie. — Thiele-
mann behandelt die Stricturen in neuester Zeit allein ohne alle mecha-
nische Hülfsmittel durch den innerlichen Gebrauch des Kalijodatum
(5ij auf Aq. destill, ^vj. 3 Löffel voll täglich) mit dem besten Erfolg.
Daneben strenge Milchdiät.
HarnrÖhrenverSChlleSSUng , Atresia Urethra e. Es
besteht entweder nur eine oberflächliche Verschliessung der Harnröhren-
mündung oder die Verwachsung sizt tiefer. Im ersten Falle ist die Ope-
ration leicht; man zieht die Vorhaut so weit zurück, dass die Eichelspize
entblösst wird, sticht dann eine Lancette mit nach oben und unten gerich-
teten Schneiden durch die verschliessende Membran und verhütet das
Wiederverwachsen durch Einlegen einer beölten Charpiewieke oder eines
Bougiestücks. Im zweiten Falle sticht man einen entsprechend dünnen
Troicart nach der Richtung der Harnröhrenmündung bis in den wegsamen
Theil der Urethra ein und erhält die Oeffnung durch ein Stück eines
biegsamen Catheters offen. Ist eine solche Eröffnung wegen gänzlichen
Mangels oder völliger Destruction des vordem Harnröhrentheils nicht aus-
führbar , so macht man an der untern Fläche des Penis in die Harnröhre
da einen Einstich, wo sie am weitesten nach vorn durch Harnansammlung
und Auftreibung bezeichnet wird. — Ueber die fehlerhafte Ausmündung
der Urethra s. den Art. Hypospadia.
Harnsteine, s. Neubildungen.
Harnverhaltung, Retentio urinae, Ischuria (von
lö/co, ich halte an und ovqov, der Harn). Mit diesem Namen bezeichnet
man denjenigen Krankheitszustand , wo aus irgend einem Grunde der be-
reits abgeschiedene Harn zurückgehalten wird. Je nachdem das Hinder-
niss für die Ausleerung im Nierenbecken, in den Harnleitern, in der Blase
oder in der Harnröhre sich vorfindet , unterscheidet man eine Ischuria
renalis, ureterica, vesicalis und urethralis. Es ist dabei
die Ausleerung des Urins entweder völlig unterdrückt (Ischuria im
HARNVERHALTUNG. 421
eigentlichen Sinne) , oder derselbe kann unter massigen Beschwerden
(Dysuria) oder unter bedeutenden Schmerzen nur tropfenweise ausge-
leert werden (Stranguria). — 1) Ischuria renalis et urete-
r i c a. — In der Mehrzahl der Fälle ist es ein Schleimgerinnsel, ein Blut-
pfropf oder ein Stein, seltener sind es Anschwellungen der Gekrösdrüsen,
des Uterus und der Eierstöcke, Scirrhen, Steatome etc. , welche zu dieser
Urinverhaltung Anlass geben. Da jedoch solche Hindernisse selten beide
Seiten betreffen , so ist die Verhaltung selten eine vollständige und des-
halb auch das Erkennen der Krankheit immer sehr schwer. Die nächsten
Folgen einer solchen Harnverhaltung sind Anhäufung des Urins oberhalb
der unwegsamen Stelle und Ausdehnung der betreffenden Theile, wodurch
die leztern nach und nach sich oft um das Doppelte, selbst Dreifache ver-
grössern. Dabei klagt der Kranke nur über einen drückenden, stechen-
den Schmerz , welcher sich von der Nierengegend nach abwärts erstreckt
und bei Bewegungen des Körpers zunimmt ; oft zeigen sich auch die Sym-
ptome der Entzündung und des Krampfes. Im Anfange der Krankheit
wird weniger Urin ausgeleert, bald aber wird durch die vicarirende Thätig-
keit der andern Niere die natürliche Menge Harn wieder ausgeschieden,
und das Leiden kann lange ohne Nachtheil für den Organismus bestehen.
Anders ist es wenn beide Harnleiter unwegsam sind, oder wenn durch den
fortdauernden Reiz sich zu dem einfach erkrankten Harnleiter eine Ent-
zündung gesellt, die dann gewöhnlich in Brand übergeht und ein Bersten
des Theiles und damit eine Ergiessung des Urins ins Zellgewebe oder in
die Unterleibshöhle nach sich zieht , in welchem lezteren Falle der Tod
bald erfolgt, während im erstem Urinfisteln die Folgen sind. — In selte-
nen Fällen wird der Urin von den Nieren wieder resorbirt , wo dann eine
F e b r i s p u t r i d a , begleitet von Erbrechen , urinösen Schweissen etc.
entsteht und den Tod des Kranken ebenfalls schnell herbeiführt. — Be-
handlung. Sie kann nur symptomatisch sein und hat sich nach den
vorhandenen Zufällen zu richten. Bei heftigen Schmerzen und entzünd-
lichen Erscheinungen dienen locale Blutentziehungen, erweichende Kly-
stiere , Bäder , Umschläge etc. und kalte Narcotica. Bei mechanischen
Hindernissen sind erschlaffende , erweichende diluirende Getränke neben
Bädern, Klystieren passend. Bei fehlendem Reizzustande können- er-
schütternde Bewegungen durch Reiten , Erbrechen etc. das Herabsteigen
eines Steins befördern. Krampfhafte Zufälle erfordern Anodyna.
Harnablagerungen nach Rupturen müssen schleunig eröffnet werden,
wenn sich äusserlich eine Geschwulst zeigt. — 2) Ischuria vesica-
lis. Diese am häufigsten vorkommende Form von Harnverhaltung er-
zeugt nach dem Grade und der Dauer der Ansammlung sehr verschie-
dene, immer aber sehr lästige und gefahrdrohende Zufälle. Der Kranke
fühlt anfangs bei einem steten Drange zum Harnen ein Gefühl von
Schwere und Spannung in der Blasengegend und im Damme ; bald er-
hebt sich über den Schambeinen eine sich nach und nach bis zum
422 HARNVERHALTUNG.
Nabel hin erstreckende Geschwulst , die angefüllte Blase , welche gegen
die Naehbargebilde , vorzüglich aber gegen den Damm einen Druck aus-
übt und hier die Scheide und den Mastdarm belästigt, daher auch von
diesen aus leicht gefühlt werden kann. Die angefüllte Blase stellt sich
anfangs als eine fluctuirende , später als eine elastisch sich anfühlende
und bei fehlender Entzündung unschmerzhafte Geschwulst dar, welche im
weiteren Verlaufe der Krankheit einen aufgetriebenen, schmerzhaften Un-
terleib, erschwertes Athmen , Uebelkeiten, Erbrechen, grosse Angst, kalte
Schweisse und Ohnmächten herbeiführt. In seltenen Fällen kann die
starke Ausdehnung der Blase fehlen , wenn nämlich ihre Häute eine be-
sondere Rigidität besizen. — Wird das Uebel nicht zeitig gehoben , so
entsteht gewöhnlich eine sich über den Unterleib ausbreitende Entzün-
dung, welche leicht in Brand übergeht, und entweder in Folge des Bran-
des an und für sich oder in Folge der Ergiessung des Urins in die Unter-
leibshöhle den Tod herbeiführt. Nur wenn die Ergiessung des Urins ins
Zellgewebe ausserhalb der Höhle des Bauchfells erfolgt und hier Veran-
lassung zur Bildung yon Harnfisteln gibt , kann das Leben erhalten wer-
den, ebenso wenn sich der Urachus öffnet und dadurch dem Harn ein Weg
durch den Nabel geöffnet wird. Ist der Ausweg durch die Harnröhre nicht
gänzlich verschlossen, so dehnt sich die Blase zwar bis zu einem gewissen
Grade aus , dann aber widerstehen die Eingeweide des Unterleibs , die
Bauchmuskeln, das Zwerchfell der weitern Ausdehnung und der Urin muss
sich von Zeit zu Zeit theilweise durch die Harnröhre einen Abfluss bah-
nen , die Ausdehnung der Blase nimmt also nicht ferner zu , ein Zustand,
der Monate lang fortdauern kann, ohne üble Folgen nach sich zu ziehen.
— In den Fällen , wo aus Atonie der Blase keine entzündliche Reaction
eintritt , wird , wie bei der Ischuria ureterica, früher oder später
durch Resorption des Urins eine Febris putrida und der Tod herbei-
geführt. Dies geschieht auch bei den Harnverhaltungen , bei welchen,
wenn auch längere Zeit hindurch ein Theil des Urins ausgeleert wird, die
Blase doch immer mit Urin gefüllt bleibt, welcher, indem er sich zersezt,
Entartungen der Blase und kachektisches Allgemeinleiden herbeiführt. —
Die Ursachen der Ischuria vesicalis können sein : Entzündung,
Krampf, Lähmung der Blase und Verstopfung derselben: diesem nach
unterscheidet man eine entzündliche, krampfhafte, paraly-
tische und mechanische Harnverhaltung. — a) Entzündliche
Harnverhaltung (Ischuria inflammatoria). Der Entzün-
dungszustand kann acut oder chronisch sein. Bei der acuten Form sind
die Zufälle jederzeit höchst gefährlich. Ausser dem heftigsten Drange
zum Uriniren fühlt der Kranke einen tief sizenden Schmerz in der Blase
und den naheliegenden Theilen , der sich bei der Berührung vermehrt ;
dabei ist die Blasengegend aufgetrieben , auch wohl geröthet , auch ist
Fieber zugegen. — Die Entzündung kann sich über die Unterleibseinge-
weide verbreiten, es entsteht Aufstossen und Erbrechen, und der Kranke
HARNVERHALTUNG. 423
ist verloren, wenn nicht bald Hülfe geschafft wird. — Bei der chroni-
schen Form (Isch. chronica) empfindet der Kranke beim Beginne
des Uebels eine kizelnde, sich oft bis in die Harnröhre ausdehnende Em-
pfindung in der Blase , die sich im Laufe der Zeit in einen nagenden
Schmerz verwandelt, wobei der Harnfluss gehemmt oder unterbrochen wird.
Mit dem Urin geht in Folge der Entartung der Blase zuweilen Blut,
Schleim, Eiter ab. — Die Ursachen der entzündlichen Harnverhaltung
sind : Gewalttätigkeiten , welche das Mittelfleisch und die Blasengegend
treffen, Steine in der Blase, hoher Grad der Tripperentzündung, entzünd-
liche Hämorrhoidalbeschwerden , die sich auf die Blase fortpflanzen , zu-
rückgetretene Gicht und Hautausschläge, Erkältungen etc. — Behand-
lung. Die acute Form fordert die kräftigste Antiphlogose , mit Rück-
sicht auf die zu Grunde liegende Ursache. Man lässt zur Ader, sezt Blut-
egel an den Damm , die Blasengegend und gibt innerlich schleimige
Getränke in kleinen Quantitäten, Calomel. Um die krampfhafte Zusam-
menschnürung des Blasenhalses , die fast nie fehlt , zu heben, müssen zu-
gleich warme Ueberschläge über die Schamgegend und das Perinäum,
warme Bäder , Dämpfe von Chamillen an das Mittelfleisch , Einreibungen,
Klystiere mit Opium etc. angewendet werden. Vesicantien sind zu ver-
meiden. Bei Tripperentzündung macht man Umschläge über den Penis,
bei Hämorrhoidalbeschwerden sezt man Blutegel an den Mastdarm und
gibt innerlich Schwefel mit Cremor tartari. Meistens kommt bei die-
ser Behandlung der Urin bald in Fluss , wo nicht , so versuche man die
Application eines elastischen Catheters, den man aber nicht zu tief in die
Blase einbringen darf, um dieselbe nicht noch mehr zu reizen. Gelingt
es nicht , den Catheter einzuführen und droht Brand der Blase , so muss
der Blasenstich ohne Aufschub gemacht werden. — Bei der chronischen
Form beobachte man vorzugsweise eine strenge Diät , vermeide erhizende
Speisen und Getränke , erhalte die Leibesöffnung durch erweichende Kly-
stiere, gebrauche oft warme Bäder , Dampfbäder und mache Quecksilber-
einreibungen in das Mittelfleisch. Sind Schmerzen in der Blase vorhan-
den , so gebe man Calomel mit Opium innerlich ; zurückgetretene Haut-
ausschläge erfordern Ableitungen durch Einreibungen von Brechwein-
steinsalbe , durch Anlegung künstlicher Geschwüre oder man legt Öfter
Sinaspismen auf oder sezt trockene Schröpf köpfe ; dabei diaphoretische
Getränke. Den angesammelten Urin entleert man durch den Catheter. —
b) Die krampfhafte Harnverhaltung (Ischuria spasmo-
dica) tritt meist plözlich auf, der Kranke empfindet häufigen schmerz-
haften Drang zum Uriniren , wobei der Harn nur tropfenweise abgeht.
Bei dieser Form ist der Blasenhals , nicht selten auch die Urethra an ein-
zelnen Stellen , bei gleichzeitiger krampfhafter Zusammenziehung der
Muskeln des Dammes und des Afters , verengt, deshalb erstreckt sich der
zusammenschnürende , ziehende Schmerz von der Blase bis in die Harn-
röhre und in der Eichel entsteht zuweilen ein Kizel , der schmerzhafte
424 HARNVERHALTUNG.
Erectionen erregt. Der Schmerz wird beim Harnfluss gelinder, am
Ende des Hamens aber am stärksten , er kommt und verschwindet wech-
selsweise, der Kranke fiebert nicht, aber der Puls ist klein. Der Catheter
geht bald leicht , bald schwer , bald gar nicht ein. — Besonders unter-
worfen sind dieser Form von Harnverhaltung alle sehr empfindlichen, hyste-
rischen, hypochondrischen, zu Krämpfen geneigten, oder an Hämorrhoiden,
Gicht, Blasenkatarrh etc. leidenden Individuen • die häufigsten Gelegenheits-
ursachen aber sind : Erkältung , Aerger , Hämorrhoidal- , Wurmreiz , der
Genuss ungegohrener Getränke, ein zu langes Zurückhalten des Urins etc.
Von der entzündlichen Harnverhaltung unterscheidet sie sich , wenigstens
im Anfange, durch den Mangel aller entzündlichen, sowie auch durch das
periodische Nachlassen und AViederkehren der ihr eigenthümlichen Sym-
ptome. — Behandlung. Diese hat besonders die Gelegenheitsursachen
zu berücksichtigen , deshalb wendet man bei Hämorrhoiden Schwefel mit
Cremor tartari, bei Erkältungen diaphoretische Mittel , vorzüglich
den Campher, (lezterer dient auch bei Cantharidenmissbrauch), bei Wür-
mern Anthelmintica, sowie nach dem Genüsse ungegohrener Ge-
tränke Magnesiausta mit einem aromatischen Zusaze an. Als eigentliche
Antispasmodica benuzt man : warme Umschläge von Chamillen , Ci-
cuta, Bilsenkraut, Belladonna etc. auf die Damm- und Blasengegend, Ein-
reibungen flüchtiger Salben mit Opium und Hyoscyamus, das Liniment,
diureticum (Rp. Ol. terebinth. ^ß, Vi teil, o v. 5ij, Aq. menth.
pip. ^vj. M. S. In die Blasen- und Inguinalgegend einzureiben). Kly-
stiere von Chamillen, Asa foetida, Opium, Tabak, warme Halbbäder,
Dampfbäder etc. ; Vesicatorien auf das Heiligbein und Mittelfleisch , ge-
bratene Zwiebel auf lezteres gelegt. Innerlich gibt man Oelmixturen mit
Opium, Dover'sches Pulver, Calomel mit Opium, Asa foetida (Rp.
Asae foetid. ^ß, Rad. ipecac. , Op. puri, Ol. menth. pip. ana
gr. vj , M. f. p i 1. gr. ij , c o n s p. Sem. 1 y c o p o d. S. 3 Mal täglich 1 0
Stück. Richter), und lässt dabei warme schleimige Getränke in gerin-
gen Mengen gemessen. Kindern gibt man Lycopodium, z. B. Rp. Sem.
lycopod. 3ij , Syr. alth. gß , A q. foenic. gij. M. S. Alle 2 Stun-
den einen Kinderlöffel voll. Henke rühmt : Rp. Acet. squill. 3jß.
S p i r. c. C. r e c t i f. 5j , Syr.mannat.5ij, T i n c t. o p i i s i m p 1.
gtt. ij. M. D. S. Alle 3 Stunden 10 — 14 Tropfen zu geben. — Kehrt
das Uebel häufig zurück , so empfiehlt R u s t folgende Pillenmasse : R p.
Acid. muriat. , Acid. nitric. ana 5 j , Sem. lycopod. ^ß. M. f.
pil. gr. ij. D. S. 3 Mal täglich 6 — 12 Stück, und dazu den Thee aus
Flor, stoechados citr. Als Volksmittel hat einen gewissen Ruf be-
kommen das Sezen auf einen kalten Stein und das Umschlagen der fri-
schen Haut von einem Ei um die Eichel. — Kommt der Harn bei dieser
Behandlung nicht zum Flusse, so muss auch hier der Catheter eingeführt
werden, wobei man oft ein bedeutendes Hinderniss im Blasenhalse findet.
— Gesellen sich entzündliche Zufälle den krampfhaften bei, so verbindet
HARNVERHALTUNG. 425
man die antiphlogistische Heilmethede mit der antispasmodischen. —
c) Paralytische Harnverhaltung (Ischuriaparalytica).
Von dieser ist bei der Harnb 1 a s enläh mun g (s. diesen Artikel) die
Rede. — d) Mechanische Harnverhaltung (Ischuriae causa
mechanica). Dieser können sehr mannichfaltige Ursachen zu Grunde
liegen. Das dem freien Abflüsse des Harns entgegentretende Hinderniss
befindet sich entweder innerhalb der Blase oder ausserhalb derselben. Zu
der ersten Klasse gehören Steine, Schleim- und Blutklumpen oder andere
von aussen eingedrungene fremde Körper, dann aber auch polypöse Aus-
wüchse, Desorganisationskrankheiten des Blasenhalses etc. Zu den ausser-
halb der Blase liegenden Ursachen , welche durch Druck auf den Blasen-
hals wirken , gehört eine schwangere , dislocirte oder auch krankhaft ver-
änderte Gebarmutter, Geschwülste im Becken, besonders aber Krankheiten
der Prostata. Auch Dislocationen können zu Harnverhaltungen Anlass
geben. — Bei Steinen , Blut- und Schleimpfröpfen hilft nur die Einfüh-
rung des Catheters ; bei polypösen Auswüchsen , deren Diagnose immer
unsicher ist , sowie dem anliegenden Uterus u. dgl. besteht die palliative
Hülfe in der Anwendung des Catheters ; dem Grundleiden muss entspre-
chend entgegengewirkt werden. Ueber die Behandlung der Krankheiten
der Prostata s. den Art. Vorsteherdrüse. — 3) Ischuria ure-
thralis. Dieser Harnverhaltung liegen ebenfalls meist mechanische Ur-
sachen , wie Steine, Blutpfröpfe , von aussen her gekommene fremde Kör-
per, polypöse Auswüchse, Stricturen zu Grunde, sie kann aber auch durch
eine hoch gesteigerte Entzündung der Harnröhre herbeigeführt werden.
— Bei weichen fremden Körpern hilft die Einführung des Catheters ;
Steine u. dgl. müssen auf die in dem Art. fremde Körper, Polypen
auf die in dem Art. Harnröhrenpolypen angegebene Weise entfernt
werden. Verursacht eine Strictur eine complete Harnverhaltung, was zu-
weilen in Folge von Excessen verschiedener Art plözlich geschieht , so
sucht man zunächst durch Einführen einer feinen Bougie, die man allmä-
lig verstärkt , sowie durch Aderlässe , Blutegel an den After und Damm,
Bäder, erweichende Klystiere mit etwas Opium etc. den dringendsten An-
forderungen zu genügen, worauf man sodann die Behandlung der Strictu-
ren beginnt. S. Harnröhrenverengerung. Wenn die Einführung
der Bougie nicht gelingt, so ist der Blasenstich (s. den Art. Punction)
angezeigt , welcher dem von Einigen (Desault, Boy er) empfohlenen
Durchbrechen der Strictur mit einer konischen Sonde in den meisten
Fällen vorzuziehen ist. Einige rathen , wenn die Strictur nicht zu weit
hinten sizt , die Urethrotomie zu machen , womit dann nicht selten eine
Radicalheilung der Strictur verbunden werden kann. Ueber diese Opera-
tion s. den Art. Harnröhrenverengerung. — Die Entzündung der
Harnröhre , welche ein Zeichen des Trippers , aber auch durch rohes Ca-
theterisiren, durch Einbringen scharfer, äzender Dinge etc. veranlasst sein
kann , erfordert eine antiphlogistische Behandlung ; meistens kommt man
426 HASENSCHARTE.
mit localen Blutentziehungen durch Blutegel, an das Mittelfleisch gesezt,
und hinterher durch Breiumschläge auf die Scham- und Mittelfleischgegend
aus ; ist das aber nicht der Fall , so können allgemeine Blutentleerungen
etc. , und wenn man damit auch nicht zum Ziele kommt , wohl auch der
Blasenstich indicirt sein, da es häufig nicht gelingt, mit dem Catheter in
die Blase zu gelangen , zu dem man überhaupt nur im äussersten Falle
greifen darf, da er einerseits sehr heftige Schmerzen verursacht und ande-
rerseits die Entzündung steigert.
M&SeilSCll&rte, Labium leporinum, Lagostoma (von
Xayog, der Hase, und Gto/uu, der Mund). Mit diesem Namen bezeichnet
man eine Trennung oder Spaltung der Lippen , in welche sich die rothen
Ränder derselben fortsezen. In der bei weitem grössten Mehrzahl der
Fälle ist sie ein Fehler der ersten Bildung , selten die Folge einer Ver-
wundung der Lippen , bei welcher die Wundränder unvereinigf geblieben
sind und sich überhäutet haben ; im erstem Falle sind die Spaltenränder
platt und mit einer feinen Epidermis überzogen, im zweiten unregelmässig
und schwielig. — Man beobachtet die Hasenscharte fast immer an der
Oberlippe, höchst selten an der Unterlippe. Die Lippe ist dabei entweder
nur theilweise oder gänzlich gespalten und oft ist mit der Spalte der wei-
chen Theile auch eine Spalte des Oberkiefers und Gaumens verbunden
(W olfs rächen, Palatum fissu m). Die Spalte ist zuweilen ein-
fach, manchmal liegt aber zwischen ihren Rändern ein grösseres oder klei-
neres Mittelstück und dann erstreckt sich die Fissur meistens bis in den
Gaumen hinein , so dass Nasen- und Mundhöhle zusammenlaufen. Nicht
selten ragt vom untern Theile der Nasenscheidewand ein Knochenstück,
welches mehrere Schneidezähne oder ihre Keime enthält , in die Spalte
hinein (doppelt er Wolf s rächen). — Nur wenn die Hasenscharte
mit einer Spalte im Knochen verbunden ist , hindert sie bei Kindern das
Säugen. Bei Erwachsenen wird durch die Hasenscharte immer die Sprache,
besonders die Pronunciation der Lippenbuchstaben , undeutlich. Beim
Reden fliesst ihnen der Speichel , beim Kauen fallen ihnen die Speisen
aus dem Munde- — Behandlung. Die Hasenscharte kann nur durch
eine Operation geheilt werden, welche darin besteht, dass man die Schar-
tenränder mit schneidenden Instrumenten abträgt und diese frische Spalte
vereinigt. Dies geschieht um so leichter, je weniger hoch sich die Spalte
bis in die Nase erstreckt und je weniger sie klafft. Ist die Hasenscharte
mit Wolfsrachen complicirt, so vermindert oder schliesst sich dieser nach
der Operation der ersteren in der Regel von selbst und zwar desto eher,
je jünger das Kind ist ; bisweilen bleibt er aber zeitlebens. — Die schick-
lichste Zeit zur Operation der einfachen Hasenscharte sind die ersten 4— 5
Monate, doch sind die ersten 10 — 14 Tage nach der Geburt abzuwarten,
um dem Kinde Zeit zu lassen, die Körperfunctionen zur Entwicklung zu
bringen, Ist die Operation in der genannten Zeit versäumt worden , so
HASENSCHARTE. 427
ist es der Halsstarrigkeit und Ungelehrigkeit der Kinder wegen gerathen,
bis zum 13. oder 15. Jahre zu warten. Der günstigste Zeitpunkt der
Operation der mit Spaltung des Alveolarrandes complicirten Hasenscharte
oder wenn bei doppelter Hasenscharte ein Vorsprung der Incisivknochen
besteht, ist das Alter von 5 — 6 Monaten. — Einige Tage vor der Ope-
ration kann man die Kinder Heftpflaster tragen lassen, welche die Lippen-
theile einander nähern, wodurch das Kind an den Verband gewöhnt wird.
Ragen Zähne in die Spalte , welche die Vereinigung hindern würden , so
zieht man sie , wenn es Milchzähne sind , aus , ebenso Zähne der zweiten
Bildung , wenn sie nicht durch einen anhaltenden Druck zurückgedrückt
werden können. Kinder hält man vor der Operation lange wach und sät-
tigt sie dann, damit sie gleich nach der Operation schlafen. — Die Ope-
ration wird auf folgende Weise verrichtet : Nachdem das Kind gehörig
fixirt ist , was dadurch geschieht , dass es ein Gehülfe auf dem Schoosse
festhält , und ein hinter diesem stehender zweiter Gehülfe den Kopf des
Kindes mit beiden an den Unterkiefer desselben gelegten Händen an die
Brust von jenem drückt und dabei zugleich die Maxillararterien in der
Nähe der Mundwinkel comprimirt , wird bei etwas vorwärts geneigtem
Kopfe von dem vor dem Kinde sizenden Operateur , wenn es nöthig ist,
zuerst die Lippe in hinreichendem Umfange mit einem gewölbten Bistouri
von dem Zahnfleische abgetrennt , worauf er mit der Scheere oder dem
Bistouri die Ränder der Spalte abträgt. Mit der Scheere, welche ent-
schieden den Vorzug verdient, verfährt man folgendermaassen : der Ope-
rateur fasst mit einer starken Hakenpincette den einen äussersten Lippen-
winkel, zieht ihn etwas ab und nach unterwärts, um ihn zu spannen, führt
dann das stumpfspizige Blatt einer kurzen , starken und scharfen Scheere
hinter der Pincette an der Seite des Lippenrandes bis über das Spaltende
hinauf und trennt durch kräftiges Schliessen der Scheere den Saum in
seiner ganzen Länge und in gehöriger Breite , wenigstens einige Linien
breit in einem Schnitte ab. Während des Schneidens schiebt man die
Scheere etwas nach oben. Ein gleicher Schnitt wird durch den andern
Rand geführt und beide Wundränder durch Daumen und Zeigefinger des
Gehülfen zusammengedrückt. Die beiden Schnitte müssen sich über dem
Schartenwinkel genau mit einander vereinigen. Wird der Schnitt nicht
mit einem Male vollendet, so werde er in derselben Richtung fortgeführt.
-7- Bei dem Gebrauche des Messers befestigt man die Lippe auf einer
untergeschobenen Holzplatte oder besser durch den Lippenhalter von
B e i n 1 , dessen mit Kork oder Holz eingelegtes Blatt man unter die Lippe
und so hoch hinaufbringt, dass die beiden Blätter den Spaltenwinkel über-
steigen , und schliesst dieselben so , dass ungefähr */j Linie von der na-
türlich beschaffenen Haut neben dem rothen Spaltenrande unbedeckt bleibt.
Man sticht alsdann ein gerades spizes Bistouri 1 Linie oberhalb des Scharten-
winkels ein und zieht es längs des Lippenhalters in einem Zuge abwärts.
Ebenso verfährt man am andern Spaltenrande. — Die Blutung wird in
428 HASENSCHARTE.
den meisten Fällen durch eine genaue Vereinigung gestillt ; nur selten
wird die Unterbindung nöthig. Die Vereinigung der Wundränder ge-
schieht am besten mittels der umwundenen Naht. Man bedient sich dazu
gerader goldener oder silberner Stifte mit abnehmbaren stählernen lanzen-
förmigen Spizen oder der sogenannten Kaisbader Insectennadeln; But-
c h e r verwirft sowohl diese , wie die erstem ; die Insectennadeln deshalb,
weil sie sich leicht krummbiegen , und gebraucht lange , dünne , gerade,
polirte, aber elastische, gut gehärtete Stahlnadeln, welche am untern Ende
in eine feine Spize auslaufen, über welcher sie */2 — 3/4 Zoll weit eine
dreikantige Form haben. Man sticht die erste Nadel , während man den
linken Lippenrand mit dem Daumen und Zeigefinger der linken Hand
fixirt, genau an der Grenze des rothen und weissen Lippentheiles und drei,
bei weit klaffender Spalte vier Linien von den Wundrändern entfernt,
senkrecht durch die Haut bis an die innere Lippenhaut , bringt sie dann
in eine horizontale Richtung , so dass ihre Spize beim Fortschieben nahe
an der Lippenschleimhaut zum Vorschein kommt. Man fixirt nun die
andere Lefze , sezt die Nadelspize da in ihren Wundrand ein , wo sie an
der ersten Lefze hervorkam und führt sie durch jene nach aussen und
oben hindurch. Alsdann schiebt man die Nadel noch so weit fort , dass
ihre Mitte der Wundspalte entspricht und legt um sie einen Faden herum,
dessen Enden ein Gehülfe massig angespannt hält. Hierauf legt man noch
1 — 3 Nadeln in Zwischenräumen von 2 — 3 Linien ein. Zur Vereinigung
der Wundspalte umschlingt man die Nadeln mit Faden , und zwar legt
man denselben bei der ersten Nadel mit seiner Mitte quer über die Wunde,
führt seine beiden Hälften zu den Seiten zwischen Haut und Nadelenden
nach unten , kreuzt sie auf der Wundspalte , indem man sie wieder nach
oben führt und lässt sie nachmals hinter den Nadelenden nach unten lau-
fen, so dass sie also eine liegende co beschreiben. Durch diese Anlegung
des Fadens müssen die Wundränder genau aneinander gezogen werden.
Alsdann knüpft man die Enden unter der Nadel mit zwei einfachen Kno-
ten , schneidet sie nahe an diesem ab , und legt um die andern Nadeln
ebenso Fäden herum ; liegt aber die Wundspalte zwischen zwei Nadeln
nicht genau zusammen, so kreuzt man die Enden des von der obern kom-
menden Fadens unter derselben und führt sie zur nächsten, um dort damit
dieselben Touren zu machen. Hat man Insectennadeln benuzt, so werden
diese nun zu beiden Seiten eine Linie von den Umschlingungen abge-
knippen und zum Schuze der Haut unter die Nadelenden ein Streifen Heft-
pflaster geklebt. Um die Wirkung der Muskeln , welche die Vereinigung
hindern könnte, zu beschränken, wendet man 2 — 3 lange Heftpflaster-
streifen an , die mit der Mitte im Nacken angelegt , mit den Enden unter
den Ohren nach vorn geführt und zwischen je zwei Nadeln gekreuzt wer-
den, ohne aber leztere zu drücken. — Bei sehr hoch in die Nasenhöhle
gehender Spalte kann keine Nadel eingelegt werden ; hier legt man eine
Knopfnaht ein. Wenn man bei der Operation rothe Lippensubstanz er-
HASENSCHARTE. 429
spart hat, so heftet man diese mittels Knopfnahten an, und wo die Span-
nung der angefrischten Ränder gering ist , kann man auch die umschlun-
gene Naht mit Knopfnähten abwechseln lassen. A. J. Wood fürchtet
den Druck der Nadeln und der umschlungenen Fäden ; er knüpft daher
die mit einer gewöhnlichen Nadel eingeführten Fäden auf kleinen ange-
schobenen Silberscheiben. — Bei der doppelten Hasenscharte macht
man, wenn das Mittelstück breit und gesund ist, die Auffrischung auf bei-
den Seiten desselben und führt die Nadeln durch die Ränder der Scharte
und durch das Mittelstück. Ist dieses schmal, unförmlich, so nimmt man
es weg. Ein in die Spalte hineinragendes Knochenstück (Incisivknochen
oder aufwärts gerichteter Alveolarrand) fasst man mit einer gepolsterten
Kornzange und drückt es nieder , was bei Kindern nicht lange nach der
Geburt ohne Knochenbruch gelingt , während es bei Kindern von einem
Jahr und darüber nur durch Knochenbruch erreicht werden kann. Manch-
mal wird der abgebrochene Incisivknochen so locker, dass er abwärts sinkt.
In einem solchen Falle soll man nach Butcher einen Draht oder Na-
deln durch die Knochenstücke führen , um sie an ihrem richtigen Plaze
zu befestigen. Nach Bland in soll man vor dem Niederdrücken der In-
termaxillarknochen ein Vf örmiges Stück aus dem Vomer mit der Knochen-
scheere ausschneiden. — Beim Wolfsrachen trennt sich die vereinigte
Wunde sehr leicht von oben her wieder und reisst manchmal ganz auf,
indem der hier oft schräg nach aussen gehende Nasenflügel der Vereini-
gung der Lippenspalte entgegenwirkt. Um daher die Nasenöffhung an
ihrer hintern Grenze zu verengen, sticht Blasius eine lange, starke
Stecknadel zwischen Wange und Nase durch leztere hindurch, steckt Blei-
blättchen auf die beiden Enden der Nadel und treibt diese durch Auf-
rollen der Nadelenden mit einer Drahtzange gegen einander. Diese Nadel
bleibt bis zur festen Verheilung der Lippenspalte liegen. — Nach der Ope-
ration lässt man das Kind immer etwas nach der Seite geneigt halten und
achtet sorgfältig auf Blutung ; man gibt ihm nur flüssige Nahrung und
zwar nur durch den Mundwinkel. Stellen sich Krampfzufälle ein , so
reicht man etwas Syrupus opiatus. Den abfliessenden Nasenschleim
entfernt man fleissig mit einem Pinsel, bis man am 3. Tage die Heft-
pflaster abnimmt und die Nadeln entfernt, von denen man einzelne, beson-
ders die unterste, wohl noch 1 — 2 Tage länger liegen lässt. Beim Aus-
nehmen der Nadeln bestreicht man das Spizenende mit Oel, hält mit dem
linken Daumen und Zeigefinger die Wunde zusammen, fasst mit der rech-
ten Hand das Knopfende der Nadel und zieht diese. drehend und langsam
heraus ; die noch liegen bleibenden Fäden bepinselt man mit Collodium.
Jede Nadel muss sogleich durch einen Pflasterstreifen ersezt werden. —
Eine eintretende starke Entzündung nach der Operation bekämpft man durch
Umschläge von Bleiwasser ; hilft dies nicht, so lässt man den Faden etwas
nach. Reissen die Nadeln aus , so wendet man sogleich wieder die um-
schlungene oder die Knopfnaht an ; eine einzelne Nadel ersezt man durch
430 HAUTHOERNER.
Heftpflaster. — Wenn es nicht zur Vereinigung der Spalte im harten
Gaumen kommt, so muss spater eine besondere Operation zur Erreichung
dieses Zweckes vorgenommen werden. S.Gaumen. — Bei Erwachsenen
folgt der Verheilung der Spaltenränder nicht selten eine Einkerbung des
untern Randes , die sich allmälig zu einer Rinne gestaltet und eine Ent-
stellung bedingt, die nach Jahren eine zweite Operation veranlassen kann.
Man schreibt diesen Vorgang der Narbencontraction und dem Zurück-
bleiben der fibrösen Substanz im Wachsthum zu. Zur Vermeidung dieses
Uebelstandes haben mehrere Wundarzte bei der Operation eine winkliche
Vereinigung angestrebt und an der Stelle , wo die Einkerbung sich zeigt,
eine Hervorragung des Lippenrandes angelegt. H u s s o n und Petre-
q u i n frischten zu diesem Behufe die Ränder elliptisch an , wodurch bei
der Vereinigung eine Verlängerung der Oberlippe mit nach unten vortre-
tendem Mittelstücke erreicht wird ; M i r a u 1 1 bildet mit Schonung der
rothen Lippensubstanz einen keilförmigen Lappen , der die knopff örmige
Vorragung des untern Lippenrandes nach der Vereinigung repräsentirt.
Die rings um den keilförmigen Lappen sich bildende horizontale Narbe
wirkt der Contraction der vertikalen Narbe entgegen. Friedberg legt,
das Verfahren von Malgaigne modificirend , die angefrischten Ränder
der ersparten rothen Lippensubstanz in der Mitte übereinander und befe-
stigt sie so , wodurch sich in der Mitte zwei horizontale Narben ergeben,
die der Contraction der verticalen Narbe wirksam entgegentreten.
HautnÖrner , Cornua humana, sind hornartige Auswüchse
von verschiedenem Umfang und verschiedener Anzahl , welche aus der
Oberfläche der Haut oder häufiger aus einem Hautfollikel ihren Ursprung
nehmen. Sie bilden cylindrische oder konische Zapfen von der Consi-
stenz der Nägel, die oft eine Länge und Dicke von mehreren Zollen errei-
chen. Sie sind von verschiedener Gestalt, bald warzen- oder schwielen-
artig, bald konisch, bald hornartig gekrümmt oder gewunden. Auf ihrer
Oberfläche sind sie meist mit erhabenen Längsstreifen versehen. Ihre
Farbe ist gelblich , grau , braun oder schwärzlich. — Man hat diese Aus-
wüchse am behaarten Theile des Kopfes , auf der Stirne , Nase, den Wan-
gen , auf der Brust , dem Rücken , an den Extremitäten , an der Vorhaut
etc. beobachtet. — Sie bilden sich entweder aus einer Warze, einer klei-
nen Balggeschwulst hervor, oder es lagern sich Hornmassen an der Ober-
fläche ab , die langsam an Masse zunehmen. Keimen sie aus einer Ge-
schwulst heraus , so sind sie anfangs von einer dünnen bastartigen Haut
überzogen , welche sie später nur noch an ihrer Basis umfasst und den
Auswuchs auf der Cutis festhält, mit der sie beweglich sind. Sie beste-
hen aus verhornten Epidermiszellen, die sich zu Fasern verlängert haben ;
die tieferen Schichten sind stets weicher und poröser , als die oberen.
Sie erregen durch ihr Gewicht, durch die Reizung der unterliegenden
Haut sehr viel Beschwerden und können zn Hautentzündungen und Ulce-
HAUTKREBS. 431
rationen Anlass geben , die bisweilen einen sehr bösartigen Charakter an-
nehmen. Sehr häufig wird das Hörn zufällig abgerissen oder von der
Natur abgestossen , worauf es sich dann wieder regenerirt. — Die Ur-
sachen sind dunkel. In manchen Fällen entsteht das Uebel aus mecha-
nischer Veranlassung , durch Stoss , Reibung , aus Narben etc. , auch hat
man dies in ursächliche Beziehung zu Menstruationsstörungen , Gicht,
Rheumatismus, Rhachitis gebracht. Es kommt meist erst im vorgerück-
ten Alter und häufiger bei Frauen, als bei Männern vor. — Seinem We-
sen nach ist das Uebel eine Hypertrophie der Epidermis , die in ihrer
Entwicklung nach aussen durch keinen Druck beschränkt, ihre Spize nicht
gegen die Haut, wie das Hühnerauge, sondern gegen die freie Oberfläche
treibt. — Behandlung. Je nach der muthmasslichen Ursache zieht
man umstimmende Mittel, Antimonial- und Quecksilberpräparate, Spec.
lignorum, Decoct. Zittmanni, Bäder etc. in Gebrauch. Das
Hauptmittel besteht in der Exstirpation , die in der Weise vorgenommen
wird , dass man an der Basis die gesunde Haut durch zwei halbmondför-
mige Schnitte trennt und das Hörn mit seiner Wurzel herausschält, wobei
sorgfältig alles Verdächtige entfernt werden muss, indem sonst das After-
product wieder kommen kann. Die Absägung , das Abfeilen oder Ab-
schneiden schafft nur vorübergehende Hülfe , da seine Wiedererzeugung
nicht ausbleibt.
Hautkrebs, Epithelialkrebs, Warzenkrebs, Can-
croid, Cancer cutaneus, Carcinoma epitheliale, Ver-
ruca cancroides, PseudoCancer cutaneus. Der Hautkrebs
kommt vorzugsweise an den Stellen vor, wo die Haut sehr reich an Folli-
keln ist und in die Schleimhaut übergeht , wie an den Lippen , der Nase,
der Vorhaut etc. Er tritt nach Schuh unter drei verschiedenen Formen
auf, nämlich als warzenähnlicher, acinöser und infiltrirter Epithelialkrebs.
— Der warzenähnliche Epithelialkrebs gründet sich auf eine Hy-
pertrophie der normalen Hautpapillen , welche von einer dicken Epithe-
lialschicht bedeckt sind. Es bilden sich Knötchen von Erbsen- bis Boh-
nengrösse , welche schmerzlos und von der Farbe der umgebenden Haut
oder Schleimhaut sind. Nach kürzerer oder längerer Zeit tritt eine Ab-
schilferung der Epidermis ein ; die Epidermiszellen werden durch ein von
den hyperämischen Papillen abgesondertes Secret abgehoben , wodurch
die vergrösserten, an ihrer Spize roth punktirten Papillen zu Tage treten.
Im weiteren Verlaufe wird besonders durch äussere Einflüsse die Reizung
und Hyperämie vermehrt, das Knötchen wird schmerzhaft, die Umgegend
geröthet , die Geschwulst wächst. Die Oberfläche desselben wird rissig,
höckerig , aus den Rissen dringt eine braunröthliche Flüssigkeit hervor,
die zu Krusten von gleicher Farbe vertrocknet , wieder abgestossen und
durch neue ersezt wird. Durch allmälige Zerstörung der Epidermishüllen
werden die Papillen frei , fallen auseinander , es schiessen in ihrer Umge-
432 HAUTKREBS.
bung neue auf, die Epithelialzellenbildung wird wuchernd und erscheint
in dem Grunde des Geschwürs unter der Form von rothen , blumenkohl-
artigen, fungösen oder hahnenkammförmigen Wülsten. Die Ränder des
aus diesem Krebse hervorgehenden Geschwürs sind gewöhnlich etwas in-
durirt, leicht knotig oder auch glatt , callös , bald gleichmässig rund oder
auch ausgezackt. Die im Grunde wuchernden Excrescenzen zerfallen,
werden brüchig , lösen sich von ihrer Unterlage leicht ab und geben zu
Blutungen Veranlassung. Der Warzenkrebs befällt das Gesicht, den
Penis , den untern Theil der Gebärmutter und den Mastdarm. — Der
a c i n ö s e Epithelialkrebs beschränkt sich nicht allein auf die Haut,
sondern tritt auch zwischen den Muskeln oder in der Schleimhaut auf.
Er bildet harte runde Knötchen , die durch Wachsthum zusammentreten
und eine unebene höckerige Masse von der Grösse einer Erbse bis zu
der einer Wallnuss darstellen. Die Haut darüber färbt sich bald bläulich
roth und bricht endlich durch, worauf sich eine Geschwürsfläche darstellt,
die mit einem schmuzig weissen, dünnen Secret bedeckt ist, welches bald
einen üblen Geruch annimmt. Indem auf diese Weise die einzelnen
Knoten überall durchbrechen und von den Seiten her zusammenfliessen,
wird sowohl die Haut weithin zerstört , als auch die tiefer liegenden Ge-
webe mit Heerden (Alveolen) durchsezt , die Ränder des Geschwürs wul-
sten sich auf und die Haut ist unterminirt. Bald wird der dunkelrothe,
knorpelartig anzufühlende, buckelige Geschwürsgrund rissig und buchtig,
indem einzelne Stellen zerfallen und durch Verschwärung losgestossen
werden , wobei öfter Blutungen eintreten. Der ganze Process ist von
mehr oder weniger heftigen Schmerzen begleitet. Bald werden die be-
nachbarten Lymphdrüsen in Mitleidenschaft gezogen. Dieser Krebs
kommt hauptsächlich an den Uebergangsstellen der Haut zur Schleimhaut
oder auf der Schleimhaut selbst vor , daher an den Lippen , der Zunge,
der innern Wangenseite , am Auge , im Mastdarm , am Penis , an den
Schamlippen , der Clitoris , am Hodensack etc. , ferner im Narbengewebe
und in den Knochen. — Der infiltrirte Epithelialkrebs ist der zer-
störendste und wird besonders an der Unterlippe beobachtet. Die Lippe
ist ohne Abgrenzung gegen die Umgebung gleichmässig geschwollen und
unter Weichwerden und unter dunkelvioletter Färbung der Haut bricht
die Lippe meist an mehreren Stellen zugleich auf. — Ueber die Ent-
stehungsursachen des Uebels ist nichts Sicheres bekannt. Man
hat es bei alten wie bei jungen gesunden Leuten ohne erkennbare Ursache
auftreten sehen. — Prognose. Sie ist im Allgemeinen nicht ungünstig,
so lange das Leiden noch auf einer niedern Entwicklungsstufe steht.
Selbst dann , wenn ein geschwüriger Zustand eingetreten ist , die benach-
barten Lymphdrüsen etwas in Mitleidenschaft gezogen sind , lässt sich
durch die vollständige Hin wegnähme durch das Messer, seltener durch
das Aezmittel noch eine radicale Heilung hoffen. Erst wenn spontan
oder durch unvollkommene Kunsthülfe gereizt , umfangreiche Verschwä-
HAUTKREBS. 433
rangen eingetreten sind , kann durch bedeutende Schmerzen , Blutungen,
Functionsstörungen die Ernährung beeinträchtigt und direct der Tod her-
beigeführt werden. Es folgen dann aber auch secundäre oder metasta-
tische Cancroide in innern Organen undRecidive wie bei andern Krebsen.
Nach Virchow ist dies namentlich der Fall, wenn die Bildung cancroi-
der Alveolen in der Tiefe eingetreten ist. — Die Dauer der Krankheit
beträgt im Durchschnitte 2 — 3 Jahre. — Behandlung. Die einzig-
heilbringende Behandlung besteht in der möglichst frühzeitigen Entfer-
nung des Krebses , welche am zweckmässigsten durch Schnitte , die im
Gesunden zu führen sind, geschieht, aber auch durch eingreifendes Aezen
bewirkt werden kann ; reizende Salben und oberflächliche Aezungen sind
schädlich. Ueber die Exstirpation wird bei den einzelnen Krankheiten
gehandelt werden. — Als Aezmittel bedient man sich am häufigsten
der Arsenikpasten, dann der Wiener Aezpaste und des Chlorzink (s. Aez-
mittel). Der Arsenik wird besonders in der Form des Cosme' sehen
Pulvers angewendet. Es wird dieses mit Wasser oder Speichel zur Paste
gemacht und mit einem Spatel auf das vorher mit «Charpie gereinigte
Geschwür und dessen Ränder getragen ; man bedeckt das Ganze leicht
oder lässt es offen. Die dadurch erzeugten Schmerzen sind bedeutend.
Nach 6 — 14 Tagen trennt sich der Brandschorf. Bleiben nach der Ab-
stossung unreine oder harte Stellen zurück, so wird auf diese das Pulver
wieder aufgetragen. Die Heilung hat alsdann rasch von statten zu gehen.
Eine mildere Anwendungsweise des Arseniks ist die von Hellmund an-
gegebene in Salbenform. Diese Salbe (s. Aezmittel) wird nach voll-
kommener Reinigung des Krebsgeschwürs auf kleine Plumasseaux mes-
serrückendick gestrichen und über das Geschwür und dessen Ränder aus-
gebreitet. Dieser Verband macht ein gelindes Brennen, manchmal selbst
heftige Schmerzen. Nach ihrer Wirkung muss die Arseniksalbe durch
Vermehrung oder Verminderung des Zusazes von Cosme' schem Pulver
verstärkt oder geschwächt werden. Dieser Verband wird täglich mit
Sorgfalt erneuert , bis sich am 6 . oder 7 . Tage ein weisser , filzartiger
Brandschorf gebildet hat ; dann verbindet man mit der balsamischen
Salbe. Gegen den 14. Tag stösst sich der Brandschorf ab und eine
reine Wundfläche kommt zum Vorschein. Einzelne wieder unrein wer-
dende Stellen erfordern die erneuerte Anwendung der Arseniksalbe. —
Die Wiener Aezpaste wird auf das Geschwür und seine Umgebung auf-
getragen und 5 — 10 Minuten wirken gelassen. Dann wird der Brei mit
einem Spatel fortgenommen und der Brand bedeckt. — Das Chlorzink
wird in der von Canquoin gegebenen Vorschrift angewendet. Der Teig
wird zu flachen Kuchen ausgerollt und auf der Geschwürsfläche befestigt ;
je nachdem diese Aezpaste mehr oder weniger tief einwirken soll , macht
man den Kuchen dicker oder dünner und nimmt mehr oder weniger Chlor-
zink dazu. Dieses Mittel macht einige Stunden lang heftige Schmerzen
und die benachbarten Theile schwellen an; nach 8 — 14 Tagen beginnt
Burger Chirurgie. 28
434 HERPES.
die Abstossung der brandigen Partien , nach deren Vollendung die Ver-
narbung rasch vorschreitet. — Ist das Krebsgeschwür unheilbar gewor-
den, so kann man nur palliativ verfahren, indem man die Kräfte aufrecht
erhält, durch Narcotica, Opium oder Morphium die Schmerzen zu lindern
sucht. Das Geschwür hält man möglichst rein , bedeckt es mit milden
Salben , z. B. Cerat , dem einiges Zinkoxyd (5ß auf ^j) zugesezt ist,
mit Fomenten oder Kataplasmen , denen man bei grosser Schmerzhaftig-
keit Narcotica zusezt, und hält jede reizende Einwirkung ab. Dem Ge-
stanke der Krebsjauche begegnet man am besten durch Bestreuen der
Geschwürsfläche mit Köhlenpulver.
HerpCS (von ignoa , ich krieche) , Flechte, ist eine nicht an-
steckende Hautkrankheit, die sich durch den haufenweisen Ausbruch von
kugelförmigen Bläschen auf einem entzündeten Grunde von runder oder
unregelmässiger Form und geringer Ausdehnung charakterisirt. Die
Eruption manifestirt sich selten durch einen hohen Grad von Heftigkeit
und ist gewöhnlich nicht von Symptomen constitutioneller Störung be-
gleitet. Nach einem gewissen Bestände endigen die Bläschen entweder
mit Aufsaugung des Inhaltes, Austrocknung ohne Berstung oder mit Ber-
stung und Bildung eines bräunlichen Schorfes , der bald abfällt. — Die
verschiedenen Arten des Herpes werden je nach ihrer Form und der An-
ordnung der Haufen in zwei Gruppen eingetheilt, und zwar in eine phlyc-
tänenartige und in eine ringförmige. Die phlyetänenartige cha-
rakterisirt sich durch die unregelmässige Form und die Vertheilung der
Haufen und umfasst alle örtlichen Formen. Die ringförmige Gruppe
charakterisirt sich durch die kreisförmige Anordnung und die Gestalt
ihrer Bläschenhaufen. Zu der ersten Gruppe gehört der Herpes la-
bialis, auricularis, palpebralis und praeputialis etc. , zu
der zweiten hauptsächlich der Zoster (s. diesen Art.) — Alle Arten von
Herpes können vorzüglich bei ungünstiger Körperconstitution, Vernach-
lässigung, Unreinlichkeit, falscher Behandlung, langer Dauer inVerschwä-
rung übergehen (Flechtengeschwür, Ulcus herpeticu m). Ein
solches Geschwür hat einen zelligen , sehr empfindlichen , glatten, nässen-
den , meist oberflächlichen , weit ausgebreiteten Grund mit zackigen , zer-
nagten , hochrothen Rändern. Die Absonderung ist bald dünnflüssig,
serös, bald scharf, die angrenzenden Theile corrodirend und von einem
widerlichen Gerüche. Die sehr empfindliche, mit kleienartigen, schmuzig
braunen Krusten oder Borken besezte Umgebung des Geschwürs reizt
durch ein lästiges, brennendes Jucken den Kranken stets zum Krazen und
macht ihm schlaflose Nächte. — Ursachen des Herpes. Die entfernten
Ursachen sind verborgene Dyscrasien , vorzüglich Syphilis, Scropheln,
Gicht , Hämorrhoidal- und Menstrualanomalien , Gallenschärfe , alimentäre
Schädlichkeiten, zarte Haut, Erkältungen bei schwizender Haut, Gemüths-
bewegungen deprimirender Art. Nicht selten findet sich eine angeerbte
HERPES. 435
Geneigtheit za Flechten. — Prognose. Herpes ist im Allgemeinen ein
leicht zu heilender Ausschlag ; entscheidender als die Formen sind die
Ausbreitung , die Häufigkeit der Nachschübe und die Dauer des Uebels
für die Prognose. Gefährlich ist es, lange bestehende und als vicariren-
des Leiden auftretende Geschwüre schnell durch örtliche Mittel zur Hei-
lung zu bringen. — Behandlung. Die erste Indication ist die Ent-
fernung der Ursache. Liegen dem Leiden Dyscrasien zu Grunde , so
inuss die Behandlung gegen diese gerichtet werden. Gegen Fehler der
Leber , Hämorrhoidal- und Menstrualleiden u. dgl. dienen auflösende und
eröffnende Mittel ; bei unterdrückter Hautthätigkeit sucht man diese wie-
der in Gang zu bringen etc. ; dabei eine milde , nicht zu reichliche Diät.
Nach Beseitigung der Causalmomente wendet man Antiherpetica an. Zu
diesen gehören die Antimonial- und Quecksilberpräparate , der Schwefel,
der Graphit (Rp. Graphit, dep. ^ß , Meli. desp. ^ij ; m. f. Ele-
ctuar. D. S. Früh und Abends einen Theelöffel voll zu nehmen), das
Anthracokali (Rp. An thr ac okali simpl. gr. jj, Pulv. rad. liquir.
gr.v. M. f. pulv. D. tal. Dos. Nr. ijj. D.S. Täglich zu verbrauchen),
das Jod, der Leberthran, die Dulcaniara (Rp. Ext. dulcam. ^ß, Pulv.
stipit. dulcam., Antimon, crud. ana ^ij. M. f. pil. pond.
gr. ij , consp. lycopod. S. 2 Mal täglich 15 — 3 0 Pillen zu nehmen),
Herb, jaceae, Sassaparilla etc. — Die äusserlichen Mittel wendet
man in der Form von Waschungen, Bähungen und Salben an. Bei hef-
tigen Schmerzen und entzündlichem Zustande erweisen sich milde, erwei-
chende Mittel wirksam , wie Bestreichen mit Rahm , Mandelöl etc. Bei
reizloserem Zustande zieht man Einreibungen von Mandelöl und Kalk-
wasser zu gleichen Theilen , von Graphit (R p. Graphit. 5ij , Flor,
zinci 3ß , Axung. porci ^j. M. f. Ungt. S. Morgens und Abends
davon einzureiben), Chlorkalk (Rp. C a 1 c a r. c h 1 o r i n i c. gr. xv — ^j,
Carbon, praep. ^ß, Aq. commun. q. s. ut f. liniment. S. Ei-
nige Mal täglich auf die Ausschlagsstellen aufzutragen) , Borax , Theery
A q. phagedaen. etc. in Gebrauch. Gerühmte Mischungen zum äusse-
ren Gebrauche sind ferner: Rp. Muriat. hydrargyr. mitis 5j,
Flor, s u 1 p h u r. 3üj , Axung. d e p. ^j. M. e x a c t. S. Salbe , in die
afficirten Stellen einzureiben. Rp. Kreosot, g u 1 1. v — xx, Ol. o 1 i v a r.
Jß. M. f. liniment. D. S. 2 — 3 Mal täglich in die afficirten Stellen
einzureiben. Rp. Merc. Sublimat, corros. gr. viij, Aq. rosar.
5vj — v"j ,Lact. sulph. 5ij, Sacch. saturni 3ß- M. S. Wohl um-
geschüttelt dreimal täglich die Flechten damit zu benezen. Zum Ver-
bände herpetischer Geschwüre kann man folgende Salbe benüzen : R p.
Ungt. ceruss. ^j , Sulph. praecip. 5ij, Hydra r. mur. corros.
►)ß. M. S. Zum Verbände ; oder: Rp. Cinnabaris5j, Camphor.
^ j , C e r a t. simpl. ^j . M. f . u n g t. S. Zum Verbände ; oder : R p.
Hydr. mur. mite 5ß , Sulph. dep. 5j, Adip. suill. ^ß. S. Zum
Verbände. — Zu den äusserlichen Mitteln gehören auch die allgemeinen
28*
436 HODENKRANKHEITEN. ENTZUENDUNG.
Ableitungen durch Fontanellen , Seidelbast, und die Bäder. Zu den lez-
teren gehören namentlich die natürlichen Schwefelquellen und die künst-
lichen Schwefelbäder ; doch leisten auch einfache Wasser- und Seifen-
bäder gute Dienste. Bei sehr eingewurzelten und weit verbreiteten
Flechtenausschlägen zeigen sich Sublimatbäder (s. Bäder) von Nuzen,
mit welchen man zweckmässig die Hungerkur und das Zittmann' sehe
Decoct, wie auch den innerlichen Gebrauch des Arseniks verbindet. Bei
veralteten Flechtenausschlägen kann die befallene Stelle mit einem Bla-
senpflaster oder mit Höllenstein zerstört werden.
Herpes exedens, s. Lupus.
Hoden, Kr ankheiten derselben. Der Hode mit seinem
Nebenhoden unterliegt nicht selten der Entzündung mit ihren Folgen ;
er kann eine Ver gr ö s s er un g erfahren, welche höchst selten aus einer
ächten Hypertrophie hervorgeht , sondern fast immer die Folge einer ve-
nösen Stase oder von Entzündung und ihren Producten ist , oder eine
Atrophie erleiden, die eine marastische sein kann oder durch Druck,
Verwachsung, Entzündung und schlechte Ernährung des Hodens zu Stande
kommen kann. Von Afterbildungen kommen am Hoden Krebs und
Tuberkel vor, von denen der erstere gewöhnlich ein Markschwamm ist
und vorzugsweise den Hoden einnimmt , während der Tuberkel sich ge-
wöhnlich im Nebenhoden niederlässt. Endlich beobachtet man zuweilen
eine Neuralgie des Hodens.
Die Hodenentzündung, Inflammatio testiculi (Sand-
kloss) betrifft entweder den Hoden selbst, Orchitis (ogyig, Hode),
oder was häufiger der Fall ist , den Nebenhoden, Epididymitis.
Meist wird nur der eine Hode von Entzündung ergriffen (gewöhnlicher
der linke) , selten beide zugleich ; oft einer nach dem andern. Es kann
die Orchitis eine primäre sein , allein häufiger ist sie eine sympathische
und metastatische. Ihr Verlauf ist acut oder chronisch. — Symptome.
Die Entzünpung fängt bisweilen mit Ziehen und Spannen im Samen-
strange und Hoden , vermehrter Wärme und Schwere daselbst an , worauf
bald Anschwellung, Röthe, Hize und Schmerz folgen, wozu sich nicht sel-
ten Uebelkeit, Kolik und Fieber gesellen. Immer ist der Hode etwas an
den Bauchring angezogen. Meist findet eine Exsudation in die Höhle
der Tunica vaginalis statt. — Ursachen. Sie sind mechanische
Einwirkungen , Erkältungen , Syphilis , Weiterverbreitung oder Versezung
des Trippers. — Ausgänge. Die Hodenentzündung kann sich endigen:
in Zertheilung, Eiterung, Verhärtung und Brand (sehr selten). Zuweilen
bleibt die Wasseransammlung in der Tunica vaginalis zurück, auch
kann der Hoden schwinden. — Prognose. Sie ist im Allgemeinen
nicht ungünstig ; sie wird es aber , wenn Dyscrasien im Körper wohnen,
wo dann leicht Schwinden, Verhärtung oder Zerstörung des Hodens folgen
kann. — Behandlung. Man lässt den Kranken eine ruhige Lage im
HODENKRANKHEITEN. ENTZUENDUNG. 437
Bette beobachten und unterstüzt den Hodensack durch ein Suspensorium.
Des Weitern verfährt man antiphlogistisch. Aderlässe sind selten von-
nothen, meist genügen örtliche Blutentziehungen , die man längs des Sa-
menstrangs, am Mittelfleische und an der Innern Seite der Schenkel vor-
nimmt. Bei mechanischen Ursachen bedient man sich im Anfange mit
Nuzen der kalten zertheilenden Umschläge aus Wasser, Salmiak und
Essig , auch Bleiwasser , doch muss man bald zu erweichenden Umschlä-
gen übergehen , denen man bei grosser Schmerzhaftigkeit narkotische
Kräuter , Hyoscyamus , Conium etc. beifügt. Innerlich gibt man Opium
mit Nitrum oder versüsstem Quecksilber. Catarrhalische, gichtische und
rheumatische Hodenentzündungen fordern die Anwendung trockener
Wärme , camphorirter Tücher u. dgl. ; die gonorrhoische das Einhüllen
des Penis und Scrotums in warme erweichende und zertheilende Um-
schläge , wodurch in manchen Fällen die Blenorrhoe wieder erscheint.
Die syphilitische Hodenentzündung verlangt eine antisyphilitische Behand-
lung. Manchmal erweist sich je nach der Indication ein mildes Diapho-
reticum , Abführmittel oder Emeticum wirksam. — Bei der chroni-
schen Entzündung des Hodens lässt man einen Monat hindurch voll-
kommene Rückenlage beobachten , gibt Morgens und Abends 2 — 3 gr.
Calomel mit gr. j Opium, bis die Mundhöhle afficirt ist, sezt zwei Mal in
der Woche Blutegel , macht Umschläge von gleichen Theilen Campher-
solution und Essig auf das Scrotum und reicht alle 4 Tage ein Abführ-
mittel von Sennainfus und Magnesia sulphurica. — Bleibt nach
der Zertheilung noch eine Anschwellung des Hodens zurück, so reibt man
Quecksilbersalbe mit Campher ein. — Kommt es zur Eiterung, so
öffnet man den sich bildenden Abscess frühzeitig und behandelt ihn nach
allgemeinen Regeln ; man hüte sich aber die in der Abscessöffnung sich
zeigenden graulich weissen Flocken wegzunehmen ; es sind dies die zu-
sammengewickelten Gefässe des Hodens. — Ueber die Verhärtung des
Hodens s. weiter unten. — Das am schnellsten und sichersten wirkende
Mittel bei der Hodenentzündung ist die Compression des Hodens mit
Heftpflasterstreifen. Sie passt bei allen Arten von entzündlichen Hoden-
anschwellungen und in allen Zeiträumen und ist entweder allein Hülfe
leistend oder erfordert noch einige Unterstüzung durch Blutentziehungen,
kühlende und zertheilende Mittel. Der Schmerz in dem entzündeten
Hoden wird nach der Anwendung der Compression im Anfange zwar etwas
gesteigert, jedoch hält derselbe nicht lange an und nach kurzer Zeit, oft
nach einer Viertelstunde, findet sich der Kranke, auch wenn er früher die
heftigsten Schmerzen ausgestanden hatte , so schmerzenfrei , dass er das
Bett verlassen und im Zimmer umhergehen kann. Um die Compression
in's Werk zu sezen, fasst man, nachdem man das Scrotum von den Haaren
befreit hat , mit der linken Hand den leidenden Hoden und Samenstrang
so , dass sie isolirt sind und drückt den Hoden sanft in den Grund des
Hodensacks herab. Nun führt man mit gut klebendem, daumenbreiten
438 HODENKRANKHEITEN — VERHAERTUNG.
und eine Elle langen Heftpflasterstreifen zuerst einige Zirkeltouren ober-
halb des Hodens ziemlich fest um die den Samenstrang bedeckende Haut
des Scrotums. Von hier sezt man die Zirkeltouren , die sich einander
halb decken , nach unten zu bis dahin fort , wo die plözliche Abrundung
des Scrotums dieselbe unmöglich macht , worauf man die Streifen so an-
legt, dass sie da, wo die ersten Streifen angelegt sind, anfangen und in
der Richtung des Längendurchmessers des Hodens über den Grund der
Geschwulst fortgeführt und an der hintern Seite derselben festgeklebt
werden. Sind beide Hoden entzündet , so legt man die Compression an
dem einen auf die angegebene Weise an und thut dann das Gleiche bei
dem zweiten, wobei aber wegen des mangelnden Raumes der bereits com-
primirte Hoden mitgefasst wird. Die Pflaster bleiben liegen , bis sie so
locker sind, dass man mit der Scheere eindringen und sie durchschneiden
kann. Man legt hierauf einen neuen Verband an und wiederholt ihn so
oft, bis alle Härte geschwunden ist. — Einfacher geschieht die Compres-
sion nach Abrasiren der Haare durch Collodiumbepinselungen.
Hodenverhärtung, Indu ratio testiculi. In Folge von
Entzündung kommt es zur Exsudation einer Flüssigkeit , die , wenn sie
eine faserstoffige ist, sich zu einer schwieligen Masse umwandelt und da-
durch eine bedeutende Vergrösserung des Hodens bedingt, die sich unter
der Form einer harten, gewöhnlich glatten, doch nicht selten auch höcke-
rigen, etwas schmerzhaften Geschwulst darstellt. Die scrophulöse Hoden-
anschwellung ist weniger hart und weniger schmerzend als der Scirrhus,
der sich durch lancinirende Schmerzen charakterisirt. Der Hode wird
dabei in eine gelblichweisse, geronnene Masse verwandelt, wie man sie in
den scrophulösen Drüsengeschwülsten findet ; der Samenstrang ist mei-
stens in natürlichem Zustande ; diese Induration geht manchmal in Ulce-
ration über, es bilden sich schmerzhafte, leicht blutende Auswüchse, der
Samenstrang schwillt an und es entsteht nicht selten eine krebshafte De-
generation. Die syphilitischen Anschwellungen des Hodens und des Sa-
menstranges , als einer eingewurzelten Lustseuche , entstehen langsam,
ohne irgend eine Gelegenheitsursache , und entwickeln sich gewöhnlich
vom Nebenhoden aus. — Behandlung. Die einfache Hodenverhärtung
als Folge der Orchitis erfordert wiederholte Applicationen von Blutegeln,
erweichende Breiumschläge , Merkurialsalbe und Tragen eines Suspenso-
riums, auf welches Verfahren gewöhnlich die Zertbeilung erfolgt. Zieht
sich diese in die Länge , so kann man folgende Salbe gebrauchen : R p.
Tinct. canthar., Camphorae tritae ana3j, Ol. amygd. dulc.
§jß, Sapon. venet. 5jß. M. f. liniment. D. S. 2 Mal des Tags
einzureiben; oder: Rp. Kali hydrojod.,Natr. carbon. dep. sicci
ana 5ß , Ungt. pomadini ^ß — 5vj. M. f. ungt. D. S. Morgens
und Abends eine Bohne gross einzureiben; oder folgendes Pflaster tragen
lassen: Rp. Hydro jodat. lixiviae ^ij , malax. cumEmpl. de
gumm. ammoniac, Empl. resolv. foetid., E mpl. ly th ar gyr.
HODENKRANKHEITEN. BLASENSARKOM. 439
ana 5ij- D. S. Auf Leder gestrichen um das Scrotum zu legen. — Bei
der nach dem Tripper zurückgebliebenen Hodenverhärtung räth man, den
Schleimfluss durch reizende Kerzen , Einsprizungen etc. wieder herzustel-
len. — Syphilitische und scrophulöse Verhärtungen erheischen eine pas-
sende allgemeine antisyphilitische oder antiscrophulöse Behandlung.
Blasensarkom des Hodens, Sarcoma cysticum, Mor-
bus cysticus testis. Diese seltene, von A. Cooper als Hydatiden-
krankheit des Hodens beschriebene Affection besteht aus Cysten , welche
eine anfangs dünne helle , später zuweilen dicke , zähe und eiweissartige
und selbst mit Blut gefärbte Flüssigkeit enthalten und sich in der Sub-
stanz des Hodens entwickeln. Es finden sich deren manchmal nur 2
oder 3, andere Mal ist eine zahllose Menge vorhanden. Ihre Grösse va-
riirt von der eines Hirsenkorns bis zu der eines Taubeneies. Sie zeigen
glatte Wände ; zuweilen entzünden sie sich , dann ergiesst sich eine coa-
gulable Lymphe in dieselben und sie verdicken sich mehr oder weniger.
Manchmal entspringen an einer Stelle ihrer Wandungen läppchenartige
Excrescenzen , welche die Höhle allmälig theilweise oder ganz ausfüllen
können. Die Cysten vergrössern sich gewöhnlich auf Kosten des Gewe-
bes des Hodens , das atrophisch und durch ihren Druck aus seiner Lage
verdrängt wird. Wenn Entzündung entsteht, so wird Fibrine sowohl zwi-
schen als in die Cysten abgesezt und organisirt, so dass zulezt keine Spur
des natürlichen Hodengewebes zu finden ist, dieses Organ zum Theil aus
fester Masse, zum Theil aus den mit Flüssigkeit erfüllten Cysten besteht.
In veralteten Fällen findet man die Geschwulst mit fibrösen Bändern durch-
zogen und die Wandungen der Cysten zuweilen in Knorpel oder Knochen
verwandelt. — Symptome. Das Uebel entsteht unmerklich , langsam
und ohne Schmerzen zu erregen. Nach mehreren Monaten stellt es sich
als eine indolente ovale Geschwulst dar, die undeutlich fluctuirt und nicht
empfindlich oder schmerzhaft ist. Ihre Oberfläche ist gemeiniglich glatt
und eben, zuweilen jedoch unregelmässig. Der anfangs freie Nebenhoden
verliert sich später in der allgemeinen Geschwulst. Diese belästigt, wenn
sie einen bedeutenden Umfang erreicht, durch ihre Masse, wenn sie nicht
gut unterstüzt wird. — Ursachen. Zuweilen wird ein Stoss oder Schlag
angegeben, meistens entwickelt sich die Krankheit aber ohne eine erkenn-
bare Ursache. — Diagnose. Die Krankheit kann mit Hydrocele und
Markschwamm verwechselt werden und die Diagnose ist oft sehr schwierig.
Die Geschwulst ist oval , nicht birnf örmig , wie bei der Hydrocele , auch
erregt ein Druck auf die Stelle , wo sich bei Hydrocele gewöhnlich der
Hoden befindet , keinen Schmerz ; auch ist die Geschwulst nicht durch-
sichtig. — Der Krebs entwickelt sich rascher, als das Blasensarkom, die
Geschwulst ist weniger eben und regelmässig , auch leiden bei lezterem
der Samenstrang und die benachbarten Drüsen nicht, sowie der allgemeine
Gesundheitszustand des Kranken nicht getrübt ist. — Behandlung.
Keine Art von Behandlung, weder örtliche noch allgemeine, kann bei die-
440 HODENKRANKHEITEN. ATROPHIE.
ser Krankheit etwas niizen. Das einzige Mittel ist die Exstirpation,
welche nie einen Wiederausbruch der Krankheit in andern Theilen zur
Folge hat.
Fibröse Entartung der Hoden. Man findet den Hoden in
einzelnen Fällen in eine fibröse Masse verwandelt, so dass von einem se-
cernirenden Gewebe keine Spur mehr zu entdecken ist. Zuweilen ist
diese fibröse Masse von einer wässerigen Flüssigkeit infiltrirt , häufiger
aber ist sie dicht und fest und sogar knorpelartig. Manchmal finden sich
2 — 3 kleine, mit einer serösen Flüssigkeit gefüllte Zellen darin vor.
Die Grösse des Hodens bleibt bisweilen unverändert; andere Male findet
man sein Volumen vergrössert oder um ein Weniges verkleinert. Die
Krankheit ist nicht mit Schmerz verbunden. Der äusserliche und inner-
liche Gebrauch von Jod kann versucht werden, um die Krankheit im Fort-
schreiten aufzuhalten ; sonst ist aber von einer therapeutischen Behandlung
nichts zu erwarten. Die Krankheit hat keinen bösartigen Charakter ; und
da sie im Allgemeinen wenig oder keine Beschwerden verursacht, so wird
die Exstirpation des Hodens selten erforderlich.
Hodenatrophie, Atrophia genitalium. Diese besteht
in einer mehr oder weniger beträchtlichen Verminderung des Volumens
der Hoden , die den vollständigen Verlust der Verrichtungen dieses Or-
gans zur Folge hat. Sie kann einen Hoden allein oder beide zu gleicher
Zeit betreffen. Sie ist eine Alterserscheinung , oder sie tritt bei Jüngern
Individuen nach auszehrenden erschöpfenden Krankheiten , in Folge von
Druck durch Hernien , Aftergebilde , Ergüsse und schwieliges Exsudat in
der Scheidenhaut , sowie durch Schrumpfung von Entzündungsproducten,
die in's Hodenparenchym abgelagert wurden , endlich bei Verwachsungen
des Hodens mit seiner Scheidenhaut durch schwieliges Exsudat auf.
Nicht gar selten kann keine Ursache aufgefunden werden. Wenn nur
ein Hode ergriffen ist, so übt die Atrophie keinen Einfluss auf den Orga-
nismus und die Zeugungskraft des Individiums aus ; sind aber beide Ho-
den befallen, so beginnt , auch bei noch vollkommenem Mannesalter , der
Geschlechtstrieb zu erlahmen , es ist keine Lust zum Beischlafe da , auch
erfolgt keine Samenergiessung beim Coitus , die Füsse wanken , werden
kraftlos, dünn , der Bart fällt aus , die Stimme wird heisser , kreischend,
fistulirend , endlich werden die Kranken kindisch. Die Hoden verlieren
dabei allmälig ihre Empfindung, verschwinden fast bis zur Grösse einer
kleinen Bohne , das Scrotum und der Penis hängen schlaff herab , der Sa-
menstrang wird atrophisch. — Behandlung. Von einer solchen kann
nur bei jüngeren Personen und von diesen auch nur bei solchen die Rede
sein, wo ein Schwächezustand zu Grunde liegt. Hier basirt sich die Be-
handlung neben einer passenden, nährenden, reizenden Diät, die in Trüf-
feln, Austern, guten Fischen, Wild etc. besteht, auf die Beizung der Ge-
nitalien durch Cantharidentinktur , Einreibungen von Linimentum
phosphoricum, Ungt. nervinum, Spir it. ar omat. compo-
HODENKRANKHEITEN. KREBS. 441
s i t. und den innerlichen Gebrauch des Opiums , der Vanille , des Gin-
seng, Bals. peruvian. und vorzüglich der Tinct. seinin. stram-
monii 2 — 3 Mal des Tags zu 5, 10 — 15 Tropfen, oder des Extract.
s t r a m m o n i i zu */2 Gran pro dosi, doch mit aller Vorsicht.
Hodenkrebs, Cancer testiculi. Der Hoden wird nächst
den Brüsten am häufigsten von Krebs befallen, was theils in seiner Lage,
theils in seiner Function und in seinem äusserst regen Leben zu suchen
ist. Es kommt am Hoden der Scirrhus und der Markschwamm vor ; lez-
terer bei weitem häufiger, als der erstere. — Dem Scirrhus geht ent-
weder eine Entzündung, äussere Gewalttätigkeit voraus, oder er entsteht
spontan , ohne eine offenbare Ursache ; manchmal gehen ihm ziehende
Schmerzen nach dem Laufe des Samenstrangs voraus. Der Hode schwillt
an , wird härter , schwerer , kann aber lange in dem Zustande bestehen,
ohne Schmerzen zu verursachen. Endlich nach einer zufälligen Reizung
oder auch von freien Stücken wird die Geschwulst bedeutend härter, un-
gleich und höckerig, es stellen sich heftige reissende, brennende Schmer-
zen ein, die sich über den ganzen Verlauf des Samenstranges ausdehnen ;
die Scirrhosität verbreitet sich über den Sameustrang , welcher dicker,
knotig und fest wird , die benachbarten Lymphdrüsen schwellen an und
verhärten. Zu gleicher Zeit entwickeln sich in Folge der heftigen Schmer-
zen und der Störung des Schlafs Verdauungsschmerzen , der Kranke ma-
gert ab , verfällt in Zehrfieber und bekommt ein gelbliches Aussehen.
Endlich verwächst der Hoden mit seinen Umgebungen ,- die Haut des Ho-
densackes entartet, die Geschwulst bricht auf und es bildet sich ein miss-
farbiges Geschwür mit verdickten Rändern , harten, schmerzhaften, häufig
blutenden Wucherungen, mit bräunlicher , übelriechender Absonderung,
und der Kranke geht unter den angegebenen Erscheinungen hectisch zu
Grunde. Das Innere eines auf diese Weise entarteten Hodens besteht
aus einer harten speckartigen Masse von bräunlicher oder gräulicher
Farbe, manchmal mit einzelnen Zellen versehen, welche eine saniöse Flüs-
sigkeit enthalten. — Der Markschwamm beginnt entweder mit Ge-
schwulst des Hodens oder des Nebenhodens, wobei ersterer immer eine
eiförmige oder runde Gestalt ohne Ungleichheit an der Oberfläche behält.
Der Schmerz ist dabei höchst unbedeutend. Mit dem Wachsthum der
Geschwulst stellt sich ein täuschendes Gefühl von Fluctuation ein , wel-
ches im weiteren Verlaufe an einzelnen Stellen besonders bemerklich
wird und den nahen Aufbruch andeutet. Damit werden die Venen des
Hodensacks varicös , seine Haut wird missfarbig , die Inguinaldrüsen
schwellen an und die Geschwulst sezt sich längs des Samenstrangs in die
Unterleibshöhle fort. Endlich kommt es zum Aufbruch der Geschwulst
und damit zum Aufschiessen sehr bedeutender mannigfach lappig einge-
schnittener Wucherungen, die oft sehr gefässreich sind und leicht bluten
(Fungus haematodes). Mit dem Aufbruche der Geschwulst werden
die Schmerzen ausserordentlich heftig, es stellt sich hectisches Fieber mit
442 HODENKRANKHEITEN. NEURALGIE.
den Zeichen der Krebsdyscrasie , Störung der Verdauung , Blähungen,
Verstopfung , Ascites mit dem Ausgang in den Tod ein , welchen der
schneller verlaufende Markschwamm bälder als der Scirrhus herbeiführt.
— Mit der fortschreitenden Krankheit bildet sich in Folge der Reizung
eine Wasseransammlung in der Höhle der Scheidenhaut (Hydrosarco-
cele), welche sich als eine pralle gleichmässige Anschwellung, manchmal
mit deutlicher Fluctuation darstellt. — Der Hodenkrebs kann, so lange
er nicht aufgebrochen ist, mit anderweitigen Anschwellungen verwechselt
werden. In den meisten Fällen leitet aber die Anamnese die Diagnose.
Im Allgemeinen ist ins Auge zu fassen , dass bei allen nicht bösartigen
Hodengeschwülsten der Hoden nicht die grosse Härte zeigt , der Samen-
strang , wenn er auch angeschwollen ist , nicht knotig ist , auch die dem
Krebse eigenthümlichen lancinirenden Schmerzen fehlen. Insbesondere
ist vor einer Verwechslung des Markschwamms mit Hydrocele zu warnen,
besonders wenn bei lezterer einmal dieTunica v aginalis verdickt
ist, oder wenn die Wasseransammlung zu einer bereits vorhandenen An-
schwellung des Hodens hinzugetreten ist. In diesem Falle entscheidet
die elastische, gleichförmige Beschaffenheit, die Birnform der Geschwulst
und die Integrität für die Hydrocele. Bei fehlender Verdickung der
Scheidenhaut gibt ein hinter das Scrotum gehaltenes Licht Aufschluss, in-
dem die Hydrocele dann durchsichtig erscheint. — Cystengeschwülste im
Hoden sind selten , verlaufen langsam und schmerzlos und lassen den
Samenstrang unversehrt. — Prognose. Sie ist ungünstig. Von der
einzig möglichen Hülfe, der Hinwegnahme des entarteten Hodens, ist nur
dann etwas zu hoffen , wenn das Uebel noch nicht lange besteht , noch
durchaus auf den Hoden beschränkt ist , noch keine Spuren eines allge-
meinen krebsigen Leidens vorhanden sind ; aber auch bei diesen Verhält-
nissen sind Recidive nicht selten; es ist deshalb die Prognose immer
zweifelhaft zu stellen. — Behandlung. Es ist nur von der Exstir-
pation des Hodens etwas zu erwarten, die aber möglichst bald vorzuneh-
men ist. S. Castration.- Ist die Krankheit schon zu weit gediehen,
so bleibt nichts übrig, als die Kräfte des Kranken zu unterstüzen und
ihm die möglichste Linderung zu verschaffen.
Neuralgie des Hoden, reizbarer Hoden. Zuweilen ist
der Hode , ohne dass eine Structurveränderung in ihm wahrzunehmen
wäre, so schmerzhaft , dass der Kranke sein Leiden kaum zu ertragen im
Stande ist. — Man kann versuchen , die Schmerzen durch kleine Gaben
Calomel mit dem Decoct. sassaparill. compos. zweimal täglich
gereicht und eine Zeit lang fortgesezt, durch die Anwendung eines Bella-
donnapflasters auf die kranke Stelle und eines Blasenpflasters auf die
Leistengegend mit nachfolgendem Auflegen von Ungt. cetacei et
o p i i , zu mildern. Auch den Arsenik , Chinin und Ferrum carbo-
n i c u m kann man versuchen. Sehr häufig versagen alle Mittel , und A.
HODENSACKKRANKHEITEN. WASSERANSAMMLUNG. 443
Cooper sah sich wiederholt veranlasst , den Hoden zu exstirpiren , um
den Kranken von seinen Schmerzen zu befreien.
Hodensackkrankheiten. Am Hodensacke beobachtet man
folgende Krankheiten :
Verdickung des Zellgewebes, Sarcoma s. Sarcocele
scroti. Das Zellgewebe ist von einer Menge fettiger, wässeriger und
sanguinolenter Flüssigkeiten infiltrirt , wodurch eine Geschwulst gebildet
wird, welche die Form einer Pyramide hat , deren Spize dem Schambeine
entspricht und welche oft eine solche Grösse erreicht, dass der Penis fast
ganz verschwindet und man nur noch die Vorhaut als eine Falte bemerkt.
Ihr Gewicht steht mit ihrem Volum im Verhältniss : man hat ein Gewicht
von 10 — 2 0, selbst von 6 0 — 8 0 Pfund beobachtet. Diese Geschwülste
sind meistens unschmerzhaft, nicht entzündet, ohne Veränderung der Farbe
der Haut , man bemerkt nur verschiedenartig grosse Rauhigkeiten , die
durch Höhlungen getrennt sind, welchen die Cryptae mucosae oder
die Haarwurzeln entsprechen , so wie gelbliche Krusten oder Schuppen,
welche nach ihrem Abfalle oberflächliche Geschwüre hinterlassen, die eine
ichoröse Feuchtigkeit absondern. Man kann die Geschwulst drücken,
ohne dass der Kranke leidet ; sie belästigt nur durch ihr Gewicht. Hoden
und Samenstrang befinden sich meist in natürlichem Zustande. — Die
Krankheit kommt am häufigsten in heissen Ländern, doch auch in Frank-
reich , England und Deutschland vor. Es sollen ihr besonders sizende
Handwerker unterworfen sein. — Das Uebel scheint eine Varietät der
Elephantiasis zu sein. — Behandlung. Hat das Leiden noch keinen
bedeutenden Grad erreicht, so kann man die Zertheilung versuchen durch
Antimonial - und Quecksilber- , so wie diaphoretische Mittel abwechselnd
mit Mineralsäuren ; äusserlich durch Waschmittel von verdünnter Schwefel-
säure , von Auflösung des Sublimats , des Grünspans, Salmiaks. Schlägt
dieser Versuch fehl und nimmt die Geschwulst an Umfang zu , so bleibt
die Operation das einzige Mittel. Man macht von der Oeffnung der
Vorhaut zwei Schnitte , welche sich nach unten von einander entfernen
und unter dem Hoden auf beiden Seiten der Geschwulst zusammenlaufen.
Man schneidet dann in dieser Richtung alle zwischen den Corpor. ca-
vernosis, der Ruthe und dem Hoden liegenden Theile durch , wobei
man sich wohl hüten muss , diese Theile so wie den Samenstrang zu ver-
lezen , und nimmt dann die ganze unterhalb der Linie des Einschnittes
liegende Masse weg. Zurückbleibende Reste der entarteten Masse schält
man noch sorgfältig aus , unterbindet dann die blutenden Gefässe und
vereinigt die Wunde durch Heftpflaster und eine passende Binde.
Wasseransammlung im Zellgewebe des Hodensak-
kes, Oedema scroti. Sie bildet eine weiche Geschwulst , welche
den Eindruck des Fingers behält, wenn sie sich vergrossert, gespannt und
fest wird , die Runzeln des Hodensackes ausgleicht , sich auf den Penis
444 HODENSACKKRANKHEITEN.
KREBS.
ausbreitet, wodurch dieser ganz bedeckt und durch Anschwellung der Vor-
haut oft die Ausleerung des Urins gehindert wird. — Es kann Entzün-
dung, Eiterung und Brand an dieser Geschwulst entstehen. — Das 0 e -
dema scroti kommt höchst selten idiopathisch , desto öfter aber sym-
ptomatisch , besonders als Begleiter der allgemeinen Wassersucht vor ;
nicht selten entsteht es in Folge eines mechanischen Hindernisses in der
Circulation, z. B. durch ein schlechtes Bruchband, eine callöse Hautnarbe,
oft auch in Folge der Reizung durch den Urin und einer Erkältung. —
Die Behandlung besteht in der Entfernung der Ursachen und in dem
Gebrauche der bei dem Oedem überhaupt empfohlenen Mittel. Ueber
die Ansammlung von Wasser in der Scheidenhaut des Hodens, so wie von
Blut in den verschiedenen Bedeckungen des Hodens s. den Art. Hydro-
c e 1 e und Hämatocele.
Hodensackkrebs, Cancer scroti, Schornsteinfeger-
krebs, Cancer caminianorum. Es ist dies ein Epithelialkrebs
und zwar die acinöse Form desselben (s. Hautkrebs). — Symptome
und Verlauf. Das Leiden beginnt als ein kleiner, ziemlich resistenter
Knoten oder als eine warzenförmige Excrescenz (Russwarze), welche lange
als örtliches Uebel fast unverändert bleiben und nur langsam und ohne
Schmerzen an Umfang zunehmen kann. Wenn das Gewächs einen ge-
wissen Umfang erreicht hat, so fängt es an, sich zu röthen, zu excoriiren,
zu nässen , sich mit Borken und zottigen Hautpapillen zu bedecken und
sich endlich in ein Geschwür mit ungleichen, harten, aufgeworfenen Rän-
dern und blumenkohlartigen Fungositäten umzuwandeln, in dessen Gefolge
juckende brennende Schmerzen auftreten. Im weiteren Verlaufe dehnt
sich das Geschwür nach unten und oben aus , die benachbarten Lymph-
drüsen schwellen an , endlich wird auch der Hoden und Samenstrang er-
griffen, es stellt sich hectisches Fieber , Abmagerung ein und der Kranke
erliegt unter den heftigsten Schmerzen der bedeutenden Zerstörung. —
Ursachen. Diese sind im Anfange rein örtlich und sind in dem An-
sezen von Russ, vom Dampfe der Steinkohlen, dem Staube der Wolle in
den Runzeln des Hodensacks zu suchen , wodurch in Verbindung mit der
beständigen Friction des Hodensacks bei dem Besteigen sehr enger Ka-
mine oder beim Weben chronische Entzündung , Verdickung und endlich
Ulceration des Hodensacks herbeigeführt wird. — Die Krankheit entsteht
fast nie vor dem 3 0. Jahre. — Prognose. Sie ist nicht ungünstig,
so lange sich das Leiden noch auf den Hodensack beschränkt ; sind die
Leistendrüsen geschwollen, so ist die Bildung von Krebsdyscrasie und die
Wiederkehr des Uebels zu fürchten. — Behandlung. Die warzen-
artige Verdickung der Haut kann durch Abhaltung der Reize , Reinlich-
keit , Bäder , erhöhte Lage des Hodensacks , wiederholtes Ansezen von
Blutegeln, kalte und warme Ueberschläge , Compression mit nicht reizen-
den Pflastern etc. zertheilt werden. Ist es zur Ulceration gekommen , so
HOSPITALBRAND. 445
exstirpirt man die entartete Haut , und wenn der Hoden ergriffen ist, den
Hoden ; weniger sicher ist das Aezmittel.
Hospital Drand, Gangraena nosocomialis. Mit diesem
Namen bezeichnet man einen gangränösen Zustand von Wunden und Ge-
schwüren, veranlasst durch ein eigentümliches Contagium, das sich theils
spontan erzeugt , theils durch Weiterverbreitung fortpflanzt. — Sym-
ptome. Wenn dieses Contagium eine wunde Stelle afficirt , so wird
diese dadurch in einen Zustand von Reizung versezt, die nach der In- und
Extensität des Ansteckungsstoffes , nach dem Lebenszustande der Wund-
fläche und des Kranken überhaupt mehr oder weniger bedeutend ist, selbst
ein Reizfieber mit vorwaltend entzündlichem , gastrischen oder nervösen
Charakter hervorrufen kann. Die Wund- oder Geschwürsfläche fängt an
zu schmerzen, wird empfindlich , mehr geröthet , trocken und sondert ein
wässeriges Secret ab, zugleich schwellen die Wundränder an, stülpen sich
öfters nach aussen um, werden von einem erysipelatösen Kreise umgeben
und ödematös. Die nun im weiteren Verlaufe der Krankheit eintretende
zerstörende Wirkung des Contagiums zeigt sich unter zwei Formen , der
geschwürigen und pulpösen, welche jedoch in einander übergehen.
— Bei der geschwürigen Form beginnt die krankhafte Veränderung
an einer schmerzenden Stelle mit einer leichten kreisförmigen Aushöh-
lung, deren scharfe und aufgeworfene Ränder eine dunklere Farbe als die
übrige Wundfläche haben. Der Grund dieser Exulceration ist mit einer
bräunlichen zähen Jauche bedeckt , die sich bald an der Oberfläche und
in die Tiefe verbreitet und die bis dahin hochrothen Granulationen zer-
stört. Diese Zerstörung geht weit rascher vor sich , wenn sich mehrere
solcher Verschwärungen gleichzeitig an verschiedenen Punkten der Wunde
entwickeln. Dabei kann diese an den nicht afficirten Stellen in der Hei-
lung fortschreiten. Zuweilen wird sogleich die ganze Fläche der Wunde
von der zerstörenden Ulceration ergriffen , welche eine bräunliche eigen-
tümlich stinkende Jauche absondert. Die Granulationen sind kleiner
und kegelförmig , anstatt halbkugelig zu sein und haben an ihrer Spize
kleine Ecchymosen. Die Wunde vergrössert sich kreisförmig und hat
eine violette Färbung ; auch die Umgegend ist roth oder violett ; die
Lymphgefässe und Drüsen der Nachbarschaft entzünden sich, die scharfen
erhabenen Ränder der Wunde stülpen sich um und geben derselben da-
durch eine becherförmige Gestalt. — Bei der pulpösen Form stellt
sich zuerst ein heftiger Schmerz ein, dann nehmen die Granulutionen eine
violette Farbe an, woraus sich bald eine weissliche, dünne, hautartige Lage
auf ihnen bildet, die mehr oder weniger fest anhängt und in alle Zwischen-
räume, selbst unter die Haut und zwischen die Muskeln dringt, womit die
Secretion der Wunde grösstenteils aufhört. Dieses pseudomembranöse
Erzeugniss, das sich gewöhnlich sehr rasch entwickelt, wird immer dicker,
zersezt sich an seiner Oberfläche, wird graulich, pulpös und erzeugt dann
446 HOSPITALBRAND.
wieder einen jauchigen Ausfluss von einem ausserordentlich üblen Ge-
rüche, der von dem anderer Brandjauche ganz verschieden ist und an dem
der Kundige schon von Weitem die Krankheit zu erkennen vermag. Die
Masse stellt das brandig gewordene Gewebe selbst dar, weshalb sie sich
auch nicht entfernen lässt. — Dieses Leiden kann einige Verschiedenhei-
ten in seinem äussern Ansehen darbieten; diese lassen sich abei> leicht
unter die beiden eben beschriebenen Formen bringen , von denen sie nur
mehr oder weniger veränderte Schattirungen sind. — Beim Umsichgreifen
der brandigen Zerstörung werden nach und nach alle Gebilde, selbst Ge-
fässe, Nerven, Sehnen, Bänder, Knochen zerstört ; am schnellsten zerflies-
sen aber die weichen Gebilde, namentlich das Zellgewebe , was bei tiefer
greifendem Hospitalbrande oft eine ungleichmässige Verth eilung bedingt.
Die Zerstörung grosser Blutgefässe kann bedeutende Blutungen zur Folge
haben. — Mit den örtlichen Erscheinungen verbinden sich allgemeine,
die diesen entweder vorangehen oder auf sie folgen. Das Erstere findet
statt, wenn sich der Hospitalbrand in Folge verdorbener Luft von selbst
entwickelt, oder wenn eine Ansteckung durch die Luft erfolgt ; das Lez-
tere hingegen, wenn der Brand durch örtliche Uebertragung des Contagiums
(mittels Verbandstücken, die mit Brandjauche etc. verunreinigt sind) entsteht.
Diese allgemeinen Erscheinungen sind verschieden nach der Witterungs-
und Krankheitsconstitution und entsprechen bald mehr dem phlegmonösen
Entzündungsprocesse, bald einem mehr erysipelatösen , bald mehr dem
Typhus durch Eiterresorption. Darnach ist der Puls entweder voll und
hart, oder schnell und klein; die gastrischen Erscheinungen, welche selten
ganz fehlen , deuten auf mehr oder weniger Gallenreiz. Das Fieber ist
anhaltend mit kaum merklicher Remission, Frostschauer treten häufig auf,
die Haut ist trocken, der Durst heftig, der Kranke niedergeschlagen und
betäubt. — Die Dauer des Hospitalbrandes richtet sich nach der Con-
stitution des Kranken , nach der Intensität der Krankheit und nach der
Ausdehnung der Wunde. Gewöhnlich sind die Fortschritte des Brandes
sehr rasch, so dass oft binnen 2 4 Stunden ein ganzes Glied ergriffen und
vernichtet werden kann ; selten macht er sehr langsame Fortschritte. —
Die Erkenntniss des Hospitalbrandes ist in der Regel nicht schwer.
Von jedem andern Brande unterscheidet sich der Hospitalbrand durch
"sein Entstehen aus einem Contagium oder Miasma, durch seinen rascheren
Verlauf, durch das gleichzeitige Befallenwerden mehrerer Kranken und
durch die eigentümliche, weissliche und aschgraue Masse, womit sich die
Geschwürsfläche bedeckt. Jede Wunde, welche sich ringförmig vergrös-
sert, eine becherförmige Gestalt annimmt und deren Granulationen kegel-
förmig werden, ist des Hospitalbrandes verdächtig ; kommt dazu noch der
eigenthümliche Geruch und ein steter, zuweilen unerträglicher Schmerz,
so ist kein Zweifel mehr vorhanden. — Die Entstehung dieser Brand-
form beruht auf der zersezenden Einwirkung eines seiner Natur nach noch
unbekannten Contagiums auf Wunden und Geschwüre. Nach Thomson
HOSPITALBRAND. 447
und Rust soll sich der Hospitalbrand auch bei nicht verwundeten Per-
sonen, z. B. Krankenwärtern , Wäscherinnen etc. unter der Bildung eines
Bläschens, das zu einem Geschwür wird, entwickeln. Das Contagium kann
auf jeder Art von Continuitätstrennung haften und sich verbreiten, beson-
ders gern aber werden frische gequetschte Wunden und alte , schlaffe
cachektische Geschwüre befallen. Scorbutische , an Mercurialdyscrasie,
an Typhus und an Puerperalfieber Leidende , so wie überhaupt ge-
schwächte Individuen haben eine besondere Empfänglichkeit , die keines-
wegs durch ein einmaliges Befallen getilgt wird. — Prognose. Sich
selbst überlassen wird der Hospitalbrand durch seine schnelle Ausbreitung
fast immer tödtlich ; der Tod erfolgt entweder an Blutungen, an den ty-
phösen Erscheinungen in Folge der Resorption der Jauche , oder an Ab-
zehrung in Folge der heftigen Schmerzen oder der Eiterung nach besei-
tigtem Brande. Ist das Uebel erst kürzlich entstanden , hat es nur ein-
zelne Stellen einer oberflächlichen Wunde ergriffen, sind die äussern Ver-
hältnisse des Kranken gut, ist er von robuster Constitution , so kann man
einen günstigen Ausgang hoffen. Das sicherste Zeichen der Heilung ist
schnelles Verschwinden der eigenthümlichen Schmerzen in der Wunde
und Rückkehr des Schlafs. Die Heilung kommt unter Abstossung des
Brandigen zu Stande ; in manchen Fällen bildet sich eine Demarkations-
linie , welche dem Brande Grenzen sezt. Recidive sind nicht selten.
— Behandlung. Sie zerfällt in eine prophylactische und in eine die
Krankheit selbst betreffende. Erstere hat zum Zweck , einerseits die
Krankheit zu verhüten , andererseits die Weiterverbreitung derselben zu
verhindern. Die Verhütung der Krankheit geschieht am besten da-
durch , dass man eine Zusammenhäufung von Verwundeten möglichst ver-
meidet , alle mit Eiter besehmuzten Verbandstücke sogleich entfernt , für
häufige Erneuerung der Bett- und Leibwäsche , für gehörige Lufterneue-
rung , mittlere Temperatur , gesunde Nahrung mit etwas Wein sorgt und
zeitweise Räucherungen mit salpetersauren Dämpfen oder Chlorgas an-
stellt. Der W'eiterverbreitung des einmal ausgebrochenen Hospi-
talbrandes kann allein durch Isolirung der davon Ergriffenen mit Sicher-
heit vorgebeugt werden. Bei den Uebrigen wendet man einen Verband
mit aromatischem Essig oder Chlorkalkauflösung an. — Die Behandlung
der Krankheit selbst hat zum Zweck , das Contagium in der Wunde zu
zerstören neben angemessener Berücksichtigung des Allgemeinleidens und
etwaiger Complicationen. Zur Zerstörung des Gifts können alle Mittel
dienen, welche im Stande sind, die organische Substanz zu zersezen , da-
her die Aezmittel und das Feuer. In leichteren Fällen wendet man zu-
erst schwächere Aezmittel an, bei ausgebreitetem und rasch um sich grei-
fenden Hospitalbrande hingegen schafft nur die nachdrückliche Anwen-
dung des Glüheisens Hülfe. Unter den Aezmitteln sind besonders zu
nennen: der Chlorkalk sowohl trocken als in starker Solution, z.B. Cal-
car. oxymuriat. ^ß, solv. in Aq. fönt an. ^j. Cola; der Höllen-
448 HUEFTGELENKSCONTRACTÜR.
stein, mit welchem man die Wunde nachdrücklich bestreicht, Mineralsäu-
ren, namentlich die Salz- und Salpetersäure, das Kreosot; stärker wirken
das Aezkali, von welchem man Stücke in die pulpöse Masse legt, der Ar-
senik in der Form der F o w 1 e r ' sehen Solution (1 Theil auf 1 — 2 Theile
Wasser), die C anqu oin'sche Chlorzinkpaste. Vor der Anwendung
dieser Mittel reinigt man die Wunde möglichst von der klebrigen Masse
mit einer schwachen Pottaschenauflösung , worauf man sie sorgfältig mit
Charpie austrocknet. Wird durch die genannten Mittel der brandigen
Zerstörung nicht bald Einhalt gethan , so greift man zu dem Glüheisen,
mit welchem man die vorher gereinigte Wunde in ihrer ganzen Ausdeh-
nung so nachdrücklich cauterisirt , dass sie von einer völlig trockenen
Brandkruste bedeckt ist ; man muss dabei in alle Vertiefungen und Buch-
ten eindringen und zu diesem Zwecke Gänge zwischen Muskeln und Haut
aufschlizen. Wird eine Stelle wieder feucht , so muss die Anwendung
des Feuers wiederholt werden. Die Abstossung des Schorfs , sowohl der
Aezmittel wie des Glüheisens wartet man ab unter der Anwendung geeig-
neter , dem Vitalitätszustande angemessener Fomente (Bleiwasser , Essig-
wasser oder aromatischer Flüssigkeiten) oder reizender Salben, z. B. Rp.
Ol. terebinth. sij, Cort. chinae pulv. 5üj, Sal. ammon. dep.
Jj. M. f. Ungt. S. Zum Verbände ; oder Rp. Ol. therebinth.,
Carbon, praep. ana ^j M. ; zeigt sich von Neuem eine afficirte Stelle,
so wiederholt man die Cauterisation ; hat die Wunde ein gutes Aussehen,
so behandelt man sie auf gewöhnliche Weise. — Die allgemeine Behand-
lung richtet sich nach den vorliegenden Indicationen ; gastrische Störun-
gen beseitigt man durch Brech - und Abführmittel. Ist der Krankheits-
charakter ein mehr inflammatorischer, so sind zuweilen, zumal bei jungen
kräftigen Subjecten, Aderlässe von Nuzen. Meistens entsprechen dem
Reizfieber kühlende , zumal antiseptische Mittel , als säuerliche Getränke,
Chlorwasser, H a 1 1 e r ' s Sauer u. dgl. Der gewöhnlich bald eintretenden
Schwäche begegnet man durch excitirende und tonisirende Mittel in Ver-
bindung mit antiseptischen. Heftige Schmerzen und eintretende Diar-
rhöen erfordern den Gebrauch von Opium.
Hüftgelenks COIltractur, Contractu racoxae. Die häu-
figste Form, unter der dieses Leiden auftritt, besteht in einem Aufgezogen-
sein des Oberschenkels an den Unterleib ; der Kranke kann nicht aufrecht
gehen oder stehen , er kann auch beim Liegen den Schenkel nicht aus-
strecken, so wie er, wenn er gehen will, den Körper gebückt halten muss.
Die Ursachen dieser im Hüftgelenke stattfindenden Beugung liegen gröss-
tentheils in den Muskeln. Die Veranlassung kann in einer gestörten In-
nervation der Muskeln liegen , wodurch entweder eine Schwäche oder
gänzliche Lähmung einer Muskelpartie bedingt wird, während die antago-
nistische in ihrem normalen Typus fortwirkt , oder eine excessive krampf-
hafte Thätigkeit einer Muskelpartie bewirkt wird , während die entgegen-
HUEFTGELENKSCONTRACTÜR. 449
gesezte nicht verhältnissmässig Widerstand leistet. Es kann aber auch
eine andauernde Haltung des Schenkels in flectirter Stellung , wie sie bei
Gelenkfracturen , chronischer Gelenkentzündung etc. nothwendig wird,
eine Rigidität der Muskeln , Verlust ihrer Elasticität und Contractilität,
zulezt organische Verkürzung der Flexoren , Verlängerung der Strecker
und damit Fixirung in der gegebenen Stellung herbeiführen. Die gleichen
Folgen können selbstständige Entzündungen der Muskeln haben. Ge-
wöhnlich sind daher die Adductoren, der Pectinaeus, Psoas,
Iliacus internus verkürzt, während die Muskeln der hintern Fläche
Erschlaffung zeigen. — Das in Contraction befindliche Glied erleidet
mannigfache Veränderungen. Die verkürzten Muskeln fühlen sich hart
an und springen strangartig hervor, während die Antagonisten dieser all-
mälig atrophisch werden und endlich der fettigen Metamorphose verfallen ;
auch die verkürzten Muskeln werden mit der Zeit dünner. — Das ganze
Glied befindet sich in einem atrophischen Zustande und der Knochen kann
aus seiner Höhle gedrängt werden, wie man dies so häufig nach der Coxal-
gie beobachtet. — Wichtig für die Behandlung ist es, zu wissen, ob man
es bloss mit einer Muskelcontractur oder auch noch mit anderweitigen
Veränderungen im Gelenke zu thun hat. Aufschluss hierüber gibt eine
tiefe Chloroformnarkose , in welche man den Kranken versezt. In dieser
kann der Widerstand der bloss contrahirten Muskeln durch einen geeig-
neten Zug oder Druck überwunden werden. Lässt der Schenkel sich
aber nicht bloss nicht strecken, sondern auch nicht beugen, so muss ausser
der Contractur noch ein anderes Hinderniss zugegen sein. — Behand-
lung. In der Regel wird man gut thun , seine Zeit nicht mit der An-
wendung pharmaceutischer Mittel , nämlich erweichender für die verkürz-
ten Muskeln und reizender für die erschlafften zu verlieren, sondern wird
nach Beseitigung jeder etwa bestehenden Entzündung zu dem allein Hülfe
verheissenden Gebrauch von mechanischen Mitteln übergehen. In man-
chen noch nicht veralteten Fällen kann durch wiederholten Zug und Druck
mit der Hand unter gehöriger Fixirung des Beckens, oder durch allmälige
permanente Extension , welche mit passenden und wenig drückenden Ma-
schinen ausgeführt wird , die Verlängerung der Muskeln erreicht werden.
Solche Maschinen besizen wir von Mayor (welche der Hagedorn-Dzondi'-
schen Schiene gleicht), Bonnet (RinnenapparateJ , Martin, Lorin-
ser u. A. Die Vorrichtung von Martin besteht aus einem Beckengür-
tel und einem Halbstiefel, die durch Stahlstäbe mit einander in Verbin-
dung stehen, welche am Knie und an der Hüfte Mechanismen haben , die
ihnen verschiedene Stellungen zu geben erlauben. Lorin ser's Appa-
rat besteht aus seiner Vorrichtung für das verkrümmte Knie (s. Knie-
verkrümmung) unter Beigabe eines besondern Betts mit Polstern für
Kopf und Schultern , so wie für das Becken , welch lezteres durch eine
Schraube allmälig erhöht werden kann. — In schwierigeren Fällen , wo
diese Verfahren gar nicht oder mit zuviel Zeitaufwand und unter grossen
Barger, Chirurgie. 29
450 HUEFTGELENKSENTZUENDUNG.
Beschwerden zum Ziele führen würden , kann man die gewaltsame Aus-
dehnung der verkürzten Muskeln in der Chloroformnarkose nach der An-
gabe von B. Langenbeck (s. Gelenksteifigkeit) in Gebrauch
ziehen, wobei aber keine Zerreissung, sondern nur eine allmälige Dehnung
der contrahirten Muskeln erfolgen darf. Wo diese Methode nicht zum
Ziele führt oder unausführbar ist , bleibt noch das wirksamste Verfahren,
nämlich die subcutane Durchschneidung der betheiligten Muskeln übrig.
Die Muskeln, welche bis jezt durchschnitten wurden, sind der Rectus
femoris, Pectinaeus, die Adductoren, der G*acilis und
Sartori us. In vielen Fällen genügt die Durchschneidung der Ad-
ductoren und des G r a c i 1 i s , welche oben an ihrer Insertion am
Schambeine , wo sie am deutlichsten vorspringen , vorgenommen wird.
Man führt sie nach B o n n e t von aussen nach innen aus und zwar, indem
man nach innen und vorn von der Tuberositas ischii einen Ein-
stich in die Haut macht und dann mit einem stumpfen Tenotom bis zum
innern Ende der Leistenfalte eindringt. Ein Gehülfe schüzt durch Auf-
legen der Finger auf die Art. und V-en. femoralis diese vor Ver-
lezung. Den Sartorius durchschneidet man , indem man 1 0 Linien
über dem grossen Trochanter und 3 — S^Zoll hinter der Spina ante-
rior superior oss. ilei einsticht und das stumpfe Tenotom bis vor
den genannten Muskel, 7 Linien unter der Spina anterior, einführt. Die
auf die Leistenfalte aufgelegten Finger schüzen den Nerv, und die Art.
cruralis. Drückt man das eingeführte Messer mit den Fingern der
linken Hand nieder , bis es vor dem Schenkelhalse aufgehalten wird , so
durchschneidet man ausser dem Sartorius noch den G r a c i 1 i s , den
Tensor fasciae latae, die vordem Fasern des Glutaeus m e -
dius und einen Theil der Kapsel. Nach der Durchschneidung der Mus-
keln lässt man 3 — 4 Tage vorüber gehen, worauf man eine der oben ge-
nannten Maschinen in Gebrauch zieht , um den Muskeln wieder ihre ur-
sprüngliche Länge zu verschaffen. Ist dieser Zweck erreicht , so be-
schliesst man die Kur durch Uebungen der Muskeln , um diesen wieder
ihre volle Kraft und Beweglichkeit zu geben , was man nötigenfalls
durch spirituöse Einreibungen , die kalte Douche und die Electricität
unterstüzt.
Hüftgelenksentzündung, Coxitis, Coxalgie, Mor-
bus coxarum, Coxarthrocace, freiwilliges Hinken, L u -
xatio spontane a. Sie hat einen acuten und chronischen Verlauf und
durchläuft drei Stadien. — Symptome. Bei der acuten Form ent-
stehen schnell nach einer auffallenden Gelegenheitsursache heftige Schmer-
zen im Hüftgelenke , welche sich an der innern Seite des Schenkels bis
zum Knie erstrecken und an ersterer Stelle durch Druck und Bewegung
vermehrt werden. Die betreffende Hinterbacke ist mehr oder weniger ge-
schwollen. Die Gesässfalte steht etwas tiefer, der Schenkel ist gegen den
HUEFTGELENKSENTZUENDÜNG. 45 1
Unterleib angezogen und der Fuss etwas nach aussen gewendet. Die bei-
den Extremitäten sind entweder von gleicher Länge oder die kranke Ex-
tremität ist etwas verkürzt oder verlängert , was aber nur scheinbar ist
und von einer veränderten Stellung des Beckens abhängt. In den höheren
Graden von Entzündung ist Fieber zugegen. Beim Stehen und Gehen
legt der Kranke das ganze Gewicht des Körpers auf die gesunde Extre-
mität , beugt das Knie der leidenden Seite und berührt den Boden blos
mit der Spize des Fusses. Wenn die Entzündung nicht zertheilt wird, so
geht sie in Eiterung über , es bilden sich Eiteransammlungen in und um
das Gelenk, das Fieber wird hectisch, die Kräfte des Kranken sinken: er
magert ab und eine Messung der beiden Extremititäten zeigt die kranke
wirklich verlängert. Endlich kommt es zum Aufbruche der Abscesse und
meistens zum Austreten des Schenkelkopfs aus der Pfanne , welcher sich
gewöhnlich auf den Rücken des Darmbeins lagert. Der Kranke geht nun
entweder hectisch zu Grunde oder die Eiterung mindert sich , es stossen
sich Knochenstücke los und der Kranke kann mit einem ziemlich brauch-
baren Hüftgelenke davon kommen. — Bei der chronischen Hüft-
gelenksentzündung treten des langsameren Verlaufs wegen die
Symptome deutlicher hervor. Der Kranke fühlt anfangs am Morgen eine
gewisse Steifigkeit im Hüftgelenke, die sich den Tag über bei geringerer
Anstrengung verliert, bei stärkerer aber vermehrt. Flüchtige Schmerzen
durchziehen, den rheumatischen ähnlich, die ganze Extremität, oder fixi-
ren sich mehr auf das Hüftgelenk und werden durch Druck auf die Leiste
oder hinter den grossen Trochanter, durch festes Auftreten, durch ausge-
dehnte Bewegungen des Hüftgelenkes gesteigert. — Früher oder später,
nach Monaten oder selbst nach Jahren und unter abwechselnder Besse-
rung und Verschlimmerung zeigt sich eine Verlängerung der Extremität,
bei Erwachsenen um mehrere Zolle, welche sich indessen bei genauer Be-
sichtigung als eine Senkung des Beckens an der leidenden Seite ausweist.
Mit dieser Stellung erfolgt zugleich eine leichte Achsendrehung des Bek-
kens , wodurch die Spina dem Trochanter major etwas genähert
wird, was Veranlassung gegeben hat, die Verlängerung für eine wirkliche
zu halten. Zu gleicher Zeit tritt eine krampfhafte Anspannung der Beuge-
muskeln ein , wodurch das Hüftgelenk etwas gebogen erscheint ; damit
werden die Glutaei erschlafft , sie verlieren dadurch ihre Wölbung , die
Falte der Hinterbacke der leidenden Seite erscheint verstrichen, auch das
Kniegelenk ist etwas gebogen, der Fuss etwas nach aussen gewendet, das
ganze Glied abgemagert. Jede Bewegung ist schmerzhaft und der Gang
sehr hinkend. Es stellt sich jezt ein heftiger Schmerz im Knie ein, der
durch Druck nicht, wohl aber durch Bewegungen im Hüftgelenke vermehrt
wird. Im weiteren Fortschreiten des Uebels kann es bei vermehrter Se-
cretion der Synovia und entzündlicher Erweichung des Kapselbandes
durch Herabsinken des Schenkels und Eindringen von Flüssigkeit in die
Pfanne zu einer wirklichen Verlängerung des kranken Beins kommen, was
29*
452 HUEFTGELENKSENTZUENDUNG.
durch genaue Messungen von den vorspringenden Punkten des Beckens
aus erhoben werden kann. — Im weiteren Verlaufe der Krankheit tritt
nun meistens eine Verkürzung des kranken Gliedes ein , womit man ge-
wöhnlich den Beginn des dritten Stadiums bezeichnet. Diese Verkürzung
kann die Folge der Ausrenkung des Schenkels oder in seltenen Fällen der
ulcerösen Zerstörung des Schenkelkopfs und der Pfanne sein. Die Ver-
renkung erfolgt gewöhnlich ajuf das Darmbein , wobei dann die Fussspize
und das Knie stark nach innen gewendet , der Trochanter höher gerückt,
und etwas nach vorn gedreht ist ; in seltenen Fällen erfolgt die Verren-
kung auf das eiförmige Loch , in die Incisura ischiadica oder auf den
horizontalen Ast des Sehambeins , wo sich die Richtung und Länge des
Gliedes dann verschieden verhalten. Bisweilen erfolgt gar keine Verren-
kung. — Zuweilen erreicht die Krankheit hier ihr Ende , indem der
Schenkelkopf verwächst oder ein neues Gelenk bildet, wo dann der Kranke
mit einem unheilharen Hinken davon kommt. In den meisten Fällen
kommt es aber zur Eiterung im Gelenke , zum Aufbruche der Abscesse
und der Kranke geht hectisch zu Grunde ; in sehr seltenen Fällen mindert
sich die Eiterung und die Abscessöffhungen schliessen sich. — Dia-
gnose. Mit der Coxalgie können verwechselt werden: 1) die ange-
borne Luxation des Schenkels. Bei dieser ist aber der Schenkel
gleich anfangs verkürzt und kann durch Anziehen ohne Schmerz etwas
verlängert werden ; mit dem Aufhören des Zuges verkürzt er sich wieder.
Dabei ist die Bewegung des Schenkels frei und die Fusssohle wird ganz
auf die Erde gesezt. 2) Verschiebung des Darmbeins. Dieses
Leiden , welches durch Schwäche und Schlaffheit der Bänder bedingt ist?
zeigt von Anfang an eine Verkürzung des Gliedes , welche durch einen
Zug aufgehoben werden kann. 3) Hüftweh. Der Schmerz folgt bei
diesem dem Laufe des ischiadischen oder des Schenkelnervens ; es findet
sich ein Gefühl von Lahmheit in dem Schenkel und die beiden Extremi-
täten zeigen gleiche Länge. 4) Mal um coxae senile. Der Schmerz
im Hüftgelenke ist hier sehr gering, der Kranke klagt mehr über Steifig-
keit , Druck auf das Hüftgelenk pflegt nicht schmerzhaft zu sein , es tritt
keine Verkrümmung , kein Knieschmerz ein. Es ist weder Fieber noch
Neigung zur Eiterbildung vorhanden, die Krankheit endigt meist mit völ-
liger Steifheit des Hüftgelenks und mit wahrer Verkürzung, wobei aber
die Fusssohle platt auf den Boden aufgesezt werden kann. 5) Psoitis.
Hier ist meistens das Hüftgelenk bald in hohem Grade flectirt , wie dies
bei der Coxalgie erst nach Monaten möglich ist ; die Schmerzen sind
manchmal unerträglich , das Fieber sehr heftig. Nach dem Aufbrechen
des Abscesses lassen die Erscheinungen nach und das Gelenk streckt sich
von selbst wieder. — Ursachen. Sie sind die der Gelenkentzündungen
(s. diesen Art.). Ob die Entzündung häufiger in dem Gelenkkopfe als in
der Synovialhaut und dem Kapselbande besteht , lässt sich nicht mit Be-
stimmtheit angeben. — Prognose. Sie ist immer bedenklich. Nur
HUEFTLEIDEN DER GREISE. 453
wenn das Uebel frühzeitig erkannt und gehörig behandelt wird , ist voll-
kommene Heilung möglich ; später bleibt , wenn auch Heilung erfolgt,
doch meistens ein hinkender Gang zurück ; bei entstandener Ausrenkung
oder Ankylose ist das Hinken sehr bedeutend. Kommt es zur Bildung
von Abscessen und zur cariösen Zerstörung im Hüftgelenke , so ist nur
selten Rettung möglich. — Bei guter Constitution und wo mehr äussere
Schädlichkeiten die Krankheit hervorbrachten, ist die Prognose günstiger
als bei allgemeinen dyskrasischen Leiden. — Behandlung. Diese muss
bei traumatischen und rheumatischen Formen sehr entschieden antiphlo-
gistisch sein. Es kann selbst anfangs ein Aderlass indicirt sein ; sons t
sind Schröpf köpfe oder Blutegel , in angemessenen Zwischenräumen wie-
derholt , die Hauptmittel ; selbst in scrophulösen Fällen leisten Blutegel
gute Dienste. Daneben gibt man innerlich den Umständen entsprechend
bei fieberhaft acutem Zustande Nitrum , bei rheumatisch acuten Fällen
Brechweinstein ; Scrophulösen gibt man , so lange Fieber vorhanden ist,
die Plummer 'sehen Pulver, später Leberthran und dazwischen drastische
Abführungen. Dabei ist die strengste Ruhe des leidenden Gliedes , die
man am besten mittels eines zweckmässigen Verbandes erzielt , unerläss-
lich. Mindert sich die Entzündung und die Schmerzhaftigkeit , so geh
man zu dem Gebrauche der Ableitungsmittel über. Bei den traumatischen
Fällen sind sie meist überflüssig ; bei den rheumatischen reichen oft Bla-
senpflaster aus , die man abwechselnd hinter den grossen Trochanter und
auf die Leistengegend legt. Erweisen sie sich als unzureichend, so greift
man zu dem Glüheisen , welches sowohl in den Fällen , wo das Uebel mit
Verdickung des Kapselbandes , als auch wo es mit Atonie und beginnen-
der Luxation verbunden ist , gute Dienste leistet. Man macht mit dem
prismatischen, weissglühenden Eisen 3 — 4 kräftige Streifen hinter dem
grossen Trochanter und unterhält nach dem Abstossen der Brandschorfe
die Eiterung durch reizende Salben. Bei den scrophulösen Coxalgien eig-
nen sich besonders die Fontanellen und das Haarseil , welche man hinter
dem grossen Trochanter applicirt. S. Fontanelle. — Man unterstüzt
die Ableitungsmittel durch Einreibungen der Quecksilbersalbe. Wenn
auch Besserung eintritt , so muss der Kranke doch noch längere Zeit das
Bett hüten, auch dürfen die eiternden Stellen nicht zu schnell unterdrückt
werden. — Bilden sich Abscesse , so überlässt man ihre Eröffnung am
besten der Natur und unterstüzt dann die Kräfte des Kranken durch toni-
sche Mittel und gute Nahrung. In Fällen, wo der Kranke he ctisch auf-
gerieben zu werden drohte , hat man in neuerer Zeit einige Male die Re-
section des cariösen Schenkelkopfs und bei grösserer Zerstörung die
Exarticulation des Schenkels versucht. Gegen die nach der Hüftgelenks-
entzündung zurückbleibende Verkrümmung verfährt man, wie es in dem
Art. Hüftgelenkscontractur angegeben ist.
Hüftleiden der Greise, Malum coxae senile. Dieses
454
HUEFLEIDEN DER GREISE.
Leiden , welches zuerst von R. Smith am Hüftgelenke alter Leute er-
kannt und mit dem obigen Namen belegt wurde , kommt nach neueren
Erfahrungen auch bei jüngeren Personen, jedoch, wie es scheint, nicht,
vor der Pubertät , sowie an andern Gelenken vor , und beruht auf einer
chronischen Entzündung der Gelenke. Der Veränderungen wegen, welche
die Gelenkenden bei dieser Entzündung erleiden , hat man dem Leiden
verschiedene Namen beigelegt , wie Atrophie der Gelenkknorpel, A r t h r o-
xerosis (Stromeyer), entzündliche Verschrumpfung der Gelenkenden
(Bardeleben) etc. Diese Veränderungen bestehen in einem allmäligen
Schwinden der Knorpel , wodurch bei Bewegungen ein «eigentümliches
Reibungsgeräusch erzeugt wird. Mit der Zeit tritt an die Stelle des Knor-
pels ein dem Porcellan ähnlicher Ueberzug. Hand in Hand mit diesen
Veränderungen des Knorpels geht eine Auflockerung der Gelerikenden
und eine Atrophie des Knochengewebes , wodurch der Schenkelkopf und
seine Höhle mannichfaltige Missstaltungen erleidet. Der Schenkelkopf
verliert gewöhnlich seine Kugelform ; er plattet sich ab , bekommt einen
überhängenden Rand ; der Schenkelhals verkürzt sich so bedeutend , dass
der Kopf gerade aus dem Schafte entsprungen scheint. Die Pfanne wird
flacher und weiter, das Ligamet um teres ist resorbirt. Das Gewebe
des Kopfs ist meistens porös und leicht, mitunter durch kreideartige Ab-
lagerung verdichtet. Diese Verdichtung kommt besonders am Schenkel-
halse vor, so dass man an eine durch Callusbildung geheilte Fractur glau-
ben sollte. Die Synovialmembran verdickt sich , nimmt eine braune oder
graue Farbe an und zeigt zottige Wucherungen, niemals aber entsteht
Eiterung im Gelenke. Bei Fällen, die lange gedauert haben, findet man
häufig stalactitenf örmige Osteophyten , welche vom Schafte des Knochens
und von den Beckenknochen entspringen und die sich mit einander ver-
binden, ohne dass es jedoch zu einer Obliteration der Gelenkhöhle käme,
da die polirte Oberfläche derselben keiner Knochenproduction fähig zu
sein seheint. Sehr oft werden gleichzeitig beide Hüftgelenke ergriffen.
— Symptome. Das Gelenk ist der Siz anhaltender dumpfer Schmer-
zen, die anfangs durch Bewegungen nicht vermehrt werden, doch ermüdet
dasselbe sehr leicht. Tiefer Druck auf den Gelenkkopf ist in geringem
Grade schmerzhaft , die das Gelenk umgebenden Muskeln magern sehr
ab und zeigen, ohne gelähmt zu sein, eine auffallende Kraftlosigkeit, was
wohl seinen Grund darin hat , dass die Muskeln nicht in Thätigkeit ge-
sezt werden. Vor Allem charakteristisch ist das rauhe Knarren bei Be-
wegungen, welches die Resorption der Knorpel andeutet. — Der Verlauf
ist immer sehr schleichend. — Ankylose ist ein nicht seltener Ausgang
dieses Leidens. — Ursachen. In manchen Fällen entstand das Uebel
nach übermässigen Anstrengungen oder nach Erschütterungen und Quet-
schungen des Hüftgelenks. Zuweilen wird eine Erkältung angeschuldigt
und einige Mal schien Gicht damit in Verbindung zu stehen. Indessen
entstand es auch ohne alle nachweisbare Veranlassung. — Prognose.
HÜEFTWEH. 455
Sie ist ungünstig ; bei alten Leuten ist gar nichts auszurichten, und selbst
bei jüngeren Personen und nach mechanischen Veranlassungen richten die
gewöhnlichen Mittel selten etwas aus. — Behandlung. Es werden
spanische Fliegen , Jodkali - Einreibungen , Dampfbäder und die kalte
Douche empfohlen.
Hüftweh, Ischias (nervosa Cotugni), Neuralgia
ischiadica ist ein Uebel, das in chronischer und acuter Form auftritt,
in lezterem Falle mit Fieber verbunden ist und folgende Symptome
hat : Schmerz in der einen oder andern Hüfte, welcher zwischen dem gros-
sen Trochanter und dem Sizbein in der Höhe des Sizbeinausschnittes be-
ginnt und sich nach oben zum Heiligbein , nach unten an der äussern
Seite des Oberschenkels bis zur Kniekehle, von hier nach vorn, längs der
äussern Seite der Spina tibiae erstreckt und sich vor dem äussern
Knöchel im Rücken des Plattfusses endigt. Er verfolgt somit den Lauf
des Nervus ischiadicus und heisst dann Ischias nervosa p o -
s t i c a. In andern Fällen beginnt er am vordem Theil der Hüfte , geht
nach der Inguinalgegend, von hier an der innern Seite des Oberschenkels
zur Wade, verfolgt somit den Lauf des Nervus cruralis und heisst
dann Ischias nervosa antica. Diese leztere Form ist seltener und
der Schmerz dabei geringer als bei der ersten Form. Der Schmerz ist
seiner Natur nach reissend, ähnlich dem rheumatischen, äusserst heftig,
mit einem Gefühl von Taubheit mit convulsivischen Bewegungen verbun-
den ; zuweilen ist der Schmerz milder oder es besteht überhaupt statt ihm
nur ein unangenehmes Gefühl von Ameisenkriechen, welches aber plözlich
in die heftigsten Schmerzen übergehen kann , wenn eine starke Anstren-
gung des Beins hinzukommt ; er nimmt des Abends , in der Bettwärme,
durch Aerger, Zorn, Schreck zu, oft in dem Grade, dass der Kranke nicht
im Stande ist , im Bette zu bleiben und dass selbst Convulsionen der lei-
denden Seite entstehen. Dieser Schmerz ist nur selten und zwar nur im
Anfang des Uebels anhaltend , meist periodisch , mit freien Intermis-
sionen von kürzerer oder längerer Dauer , worauf er dann mit erneuer-
ter Heftigkeit wiederkehrt. — Das Uebel kann bei längerem Bestehen
zu Schwäche, Zittern, Abmagerung, endlich Lähmung der leidenden Seite
führen. — Ursachen. Diese sind oft sehr dunkel. Man beschuldigt
Gewalttätigkeiten aufs Hüftgelenk, Heben schwerer Lasten, unterdrückte
Blutflüsse, Metastasen von Gicht, Syphilis, Herpes, Milchversezung, schnell
geheilte alte Geschwüre, besonders aber starke plözliche Erkältungen. —
Behandlung. Bei heftigem Fieber und plethorischen Individuen
Aderlässe, sonst Blutegel, Schröpfköpfe nach dem Verlaufe der Nerven,
Einreibungen von Merkurialsalbe mit Ol. hyoscyami, von Chloro-
form mit Ol. olivarum, Umschläge des verdünnten E 1 i x. a c i d.
H a 1 1 e r i, erweichende und narkotische Fomentationen , Einhüllen des
Gliedes in gewärmte Wolle. Innerlich leichte Diaphoretica, Pulv. Do-
456 HUEFTWEH.
w e r i , Ammonium aceticum. Ist das Fieber getilgt , so erweisen
sich , besonders wenn das Leiden durch Erkältung herbeigeführt wurde,
Blasenpflaster, welche man in entsprechender Grösse entweder nahe der
Incisura ischiadica, am Capitulum fibulae und an den Mal-
leolen, oder aber in fingerbreiten Streifen nach der Richtung des Schmer-
zes applicirt, sehr nüzlich ; auch Einreibungen des Ol. crotonis werden
gerühmt ; es verursacht Pusteln , die unter der Anwendung kalter Um-
schläge schnell heilen. Bei veraltetem, hartnäckigem Uebel zieht man die
Moxa, das Glüheisen in Gebrauch , daneben reicht man innerlich Merku-
rialmittel, besonders den Sublimat, antirheumatische Mittel, wie die T i n c t.
antimon. acris, das Guajacharz (Rp. Tinct. antimon. acris5üj,
Tinct. guajac. ammoniat. 5ij , Tinct. opii simpl. 5ß. M. S.
4 mal des Tags 3 0 — 40 Tropfen in einem schleimigen Vehikel zu neh-
men), Vinum colchici (Rp. Vin. sem. colchic. ^ß , El ix. au-
rant. comp os. 3ij- D. S. Täglich 3 mal 2 0 — 3 0 Tropfen), Stram-
monium (R p. E x t r. s t r a m m o n. gr. ij — iv, Merc. sublim, corros.
gr. iij , solv. in aq. de still. 5iß. D. S. Alle 2 Stunden 3 0 — 5 0
Tropfen}, Ferrum carbonicum (gr. v — x. 3 mal täglich und stei-
gend), Rhustoxicodendron, Veratrin,01. jecoris aselli.
Auch Terpentin innerlich und äusserlich wird gerühmt, z. B. Rp. Ol.
terebinth. rectific. 5üj , Vitell. oviNo. 1, terendomisc.
c. Aq. menth. p ip. ^ij, Sy r. f lor. aurant. ^j, L a ud ani liquid.
Syd. ^j — 513. M. f. emuls. D. S. 3 mal täglich 1 Esslöffel zu neh-
men; — Rp. Spirit. terebinth. 5ij, Camphorae *)j, solut.
adde Sapon. nigr. 5j, Ungt. nervin. 5j, Cuminipulv. 5ij,
Sal. c. c. succ. gr. xv, M. exacte, f. iiniment. S. In die schmerz-
haften Stellen einzureiben. Noch haben sich folgende Mischungen äus-
serlich hülfreich erwiesen: Rp. Aconitini gr. xviij , Ol. olivar. 5ß,
Axung. porci 5j. M. f. Ungt. S. 2 — 3 mal des Tags in die
schmerzhaften Stellen einzureiben; Rp. Veratrini puri gr. v — x,
Adip. suill. gß — j. M. f. Ungt. D. S. 2 — 3 mal täglich eine
Bohne gross einzureiben; Rp. Extr. b eil ad onn ae 5i~ — ij , Adip.
suill. ^j. M. f. Ungt. S. Zum Einreiben. — Auf Cauterisation des
Ohrs (Helix) mit dem Glüheisen soll der Schmerz ganz oder grösstentheils
aufhören. — Zur Unterstüzung der Kur leisten Seifen-, Salz-, Schwefel-,
Sublimat-, Douchebäder, Wiesbaden, Tepliz, Trenchin, das Morphium en-
dermatisch vorzügliche Dienste. — Im Stadium der beginnenden Läh-
mung, der Atrophie legt man ein Stückchen brennenden Feuerschwamm zwi-
schen der grossen und kleinen Zehe auf und unterhält die Eiterung mit Dige-
stivsalbe f das leidende Glied wird mit einer Salbe aus 5j Baumöl und gr. vj
Phosphor 3 mal täglich eingerieben. — In verzweifelten Fällen kann man die
von Malagodi ausgeführte Resection des Nerv, ischiadic. versuchen.
Hühnerauge, Krähenauge, Leichdorn, Clavus, be-
HÜEHNERAUGE. 457
steht aus hypertrophirter Epidermis, die übereinander liegende Schichten
bildet, von welcher ein härterer Kern zapfenartig in die Cutis eindringt.
Dieser Zapfen sezt sich auch oft nach oben durch das Hühnerauge fort
und erscheint an der Oberfläche desselben als ein centraler heller oder
dunkler Kern. — Nicht selten entsteht unter einem Hühnerauge ein Ab-
scess , besonders wenn es seinen Siz über einem Schleimbeutel hat , was
häufig der Fall ist. Das Hühnerauge entsteht durch Druck; daher zeigt
es sich am häufigsten an den Körpertheilen , an welchen die Haut ohne
Fettpolster, nur durch eine Fascie getrennt auf einem hervorstehenden
Knochen aufliegt, wie auf dem Rücken der Zehen , auf ihren Articulatio-
nen und zwischen den Zehen. Hier wird es durch enge Schuhe , selbst
enge Strümpfe hervorgebracht. — DerClavus wächst periodisch und stösst
zu bestimmten Zeiten den aus hornartiger Substanz gebildeten Kern bei
geborstenen überliegenden Epidermiallamellen aus. An und für sich ist
das Hühnerauge unschmerzhaft , aber durch Druck auf die unterliegende
Cutis erregt es in dieser Schmerz , Entzündung , Eiterung. — Die Be-
handlung der Hühneraugen erfordert vor Allem Vermeidung des
Drucks ; sie verschwinden dann gewöhnlich nach und nach von selbst
durch Abschuppung der Oberhaut und Ausstossung des Kerns. Kann der
Druck nicht vermieden werden, so legt man 8 — 12 Stückchen Leinwand,
die mit einer erweichenden Salbe bestrichen sind und in der Mitte eine
Oeffhung haben , die genau der Grösse des Hühnerauges angemessen ist,
über einander und bringt sie so auf dem Fusse an , dass das Hühnerauge
von der Fussbekleidung nicht berührt werden kann. Sizt es auf derFuss-
sohle , so bedient man sich einer Filzsohle mit einer Oeffhung. — Zur
directen Entfernung der Hühneraugen sind viele Methoden empfohlen.
Man reibe das Hühnerauge 2 Mal täglich mit einer erweichenden Salbe
ein, Ungt. Althaeae, Liniment, volatile, und bedecke es in der
Zwischenzeit mit einem erweichenden Pflaster, z. B. Empl. mercu-
riale, cicutae oder saponatum; alle Morgen und Abende wird der
Fuss !/2 Stunde in ein warmes Wasser gestellt und während dieser Zeit
das Hühnerauge stark mit Seife gerieben , hierauf die aufgeweichte und
weisse Oberfläche mit einem stumpfen Messer abgeschabt und dies 8 —
12 Tage so fortgesezt. Oder man bade den Fuss vor dem Schlafengehen
in warmem Wasser, schneide dann so viel als möglich, ohne dass es blutet
ab und berühre den Clavus alsdann etwas stark mit Höllenstein, den man
etwas mit Speichel befeuchtet hat, worauf man etwas rohe Baumwolle um
die Zehe wickelt. Oder man lege in ein nach der Grösse des Hühner-
auges gefenstertes Heftpflaster ein aus venetianischer Seife, pulverisirtem
ungelöschtem Kalk und Wasser gemachtes Kügelchen, klebe darüber vor
dem Schlafengehen ein Heftpflaster, am Morgen nehme man den Verband
weg und wiederhole dies 2 — 3 Mal, worauf das Hühnerauge gewöhnlich
verschwindet ; später nehme man noch ein Fussbad. ßust bediente sich
eines Kügelchens aus Empl. litharg. comp. Weitere Mittel sind :
458
HYDROCELE.
R p. T i n c t. j o d i i §ß, J o d u r e t. f e r r i gr. xij , B u t y r. a n t i m 0 n.
5$. M. S. Nach gehörigem Abschaben des Clavus mit einem Pinsel aus-
zustreichen (eine dreimalige Anwendung soll zur Heilung hinreichen) ;
auch das wiederholte Bestreichen mit der Tinct. jodinae allein er-
weist sich schon von Nuzen. — Rp. Empl. de gi. ammoniac.
de gi. galb. crocat. , — diachyl. comp, ana ^ß, Camphorae
^j ; M. f. Empl. S. Dick auf Leinwand zu streichen u. in der Grösse des Hüh-
nerauges aufzulegen. — Rp. Empl. diachyl. comp, gß , Campho-
rae, Aerugin. ana^j. M. — Rp. Empl. litharg.spl.5j, Argent.
nitr. fus. gr. ij — iij. M. — Rp. Ceraeflavae, Gum. ammon.
ana 5ij , colliquat. addeAerugin. 3iß. M. f. Empl. S. Wie
oben. Auch heftig reizende Pflaster, z. B. Empl. cantharidum,
werden mit Nuzen angewendet ; wahrscheinlich erregen sie Exsudation
unter der verdickten Epidermis und dadurch Abhebung derselben ; da-
gegen sind Aezmittel zu verwerfen, da sie heftige Entzündung, ausgebrei-
tete Eiterung und selbst Brand im Gefolge haben können. Auch bei dem
Abtragen der Hühneraugen mit dem Messer inuss man vorsichtig verfah-
ren, namentlich soll es nicht bis zum Bluten getrieben werden, indem da-
durch leicht gefährliche Zufälle herbeigeführt werden können.
HundsWUth, s. Wunden.
HydrOCele und HämatOCele sind zwei Krankheitsformen,
die auf Ansammlungen von Flüssigkeiten im Hodensacke beruhen, welche,
obgleich von sehr verschiedener Beschaffenheit, doch manche Ärmlich-
keiten darbieten , welche Täuschungen veranlassen können , weshalb ihre
Zusammenstellung gerechtfertigt erscheint.
Die Hydrocele (von vdwg, Wasser und y.rjlrj, Bruch), Wasser-
bruch, besteht in einer Ansammlung von wässeriger Feuchtigkeit in den
Häuten des Hodens. Das Wasser kann dabei in der Scheidenhaut des
Hodens oder in der zelügen Umhüllung des Samenstrangs angesammelt
sein. Wesentlich verschieden von diesen Ansammlungen ist die Wasser-
ansammlung in dem Zellgewebe des Hodensacks, das Oedema scroti.
S. Hodensack. — 1) Die Wasseransammlung in der Schei-
denhaut des Hodens (Hydrocele tunicae vaginalis te-
s t i s ) entsteht langsam als eine Geschwulst , die sich vom Grunde des
Hodensacks allmälig gegen den Bauchring erhebt und im Anfange eine
ovale, später eine birnförmige Gestalt zeigt. Mit zunehmender Grösse
verliert die Geschwulst ihre anfänglich weiche und blasenartige Beschaf-
fenheit, wird gespannter und elastischer, die Haut des Hodensacks verliert
nach und nach ihre Runzeln , wird glatt , die Rhaphe wird auf die Seite
geschoben und der Penis erscheint in das bisweilen bis zur Grösse eines
Kindskopfs aufgetriebene Scrotum zurückgezogen. Die Geschwulst
nimmt den Fingerdruck nicht auf, auch verändert sie bei den verschiede-
nen Körperlagen ihre Form nicht , wenn nicht eine freie Verbindung
HYDROCELE. 459
zwischen der Unterleibshöhle und dem Wasserbruche stattfindet : ist dies
aber der Fall , so tritt in der Rückenlage das Wasser in die Bauchhöhle.
Die Geschwulst ist beim Drucke schmerzlos ; nur an ihrer hintern und
innern Seite, wo gewöhnlich der Hode und der aufwärts gehende Samen-
strang liegen, macht sich Schmerz bemerklich. Im Verhältniss zu ihrer
Grösse fühlt sich die Geschwulst leicht an ; auch erscheint sie bei einem
dahinter gehaltenen Lichte durchsichtig, wenn ihr Inhalt klar, wasserhell
und die Scheidenhaut nicht verdickt ist. Ist lezteres der Fall, oder auch die
Flüssigkeit dick, gallertartig geworden, so wird die sonst gewöhnlich deut-
liche Fluctuation unbestimmt. Bei langer Dauer des Wasserbruches wird
"bisweilen der Samenstrang und der Hoden varicös , lezterer wohl auch
atrophisch. Bei alten voluminösen Hydrocelen sieht man nicht selten die
Gef ässe des Samenstrangs von einander und nach vorn getrieben , die
Venen des Hodensacks angeschwollen , leztern selbst entzündet und ge-
schwürig. — Diagnose. Von einem Hodensackbruche unter-
scheidet sich der Wasserbruch der Scheidenhaut des Hodens durch die
Art der Entstehung, indem die Geschwulst bei dem erstem stets am obern
Theile des Scrotums erscheint, beim Wasserbruch hingegen sich zuerst
unten zeigt und nach oben steigt ; der Bruch erregt gastrische u. a. Be-
schwerden , der Wrasserbruch nicht ; die Hydrocele ist meistens durch-
sichtig , der Bruch nicht ; dieser fluctuirt nicht und zeigt Unebenheiten,
auch vergrössert er sich beim Husten und sonstigen Anstrengungen , was
beim Wasserbruch nicht der Fall ist. Die Verhärtung des Testikels
bietet eine grössere Schwere , Härte, Unebenheit , so wie Empfindlichkeit
dar, wogegen der Wasserbruch eine elastische, gleichförmige, unschmerz-
hafte Geschwulst zeigt. Verhärtung des Hodens und Wasseransammlung
können zu gleicher Zeit bestehen (Hydrosarcoeele). Dann lässt
sich der Hoden nicht gut fühlen , er ist hart und uneben und die Ge-
schwulst ist schwerer ; auch ist der Samenstrang angeschwollen. Der
Markschwamm des Hodens zeigt zwar ein täuschendes Gefühl von
Fluctuation, doch ist dabei die Geschwulst immer noch an einigen Stellen
hart , der Hoden ist geschwollen und die Geschwulst erstreckt sich längs
des Samenstrangs in die Bauchhöhle ; auch leidet dabei der Gesammt-
organismus. Bei der Hämatocele ist die Geschwulst schwerer, voll-
kommen undurchsichtig und praller. — Ursachen. Sie sind im Gan-
zen noch sehr unbestimmt. Häufig entsteht die Hydrocele durch Erkäl-
tungen und Erschütterungen des Scrotums , durch Druck , Stoss, durch
das Vorhandensein eines Bruchs , vorzüglich eines eingeklemmten , durch
Krankheiten des Testikels , durch schlechte Bruchbänder etc. — Pro-
gnose. Die einfache ohne Complication bestehende Hydrocele ist im-
mer heilbar. Wird sie durch Krankheiten des Hodens oder durch eine
Hernie veranlasst , so müssen diese Krankheiten erst gehoben oder der
Hode auch gänzlich entfernt werden , ehe von einer Heilung des Wasser-
bruchs die Eede sein kann. — Bei Kindern verschwindet die Hydrocele
460 HYDROCELE.
oft von selbst, bei Erwachsenen nie ; bei älteren Personen tritt sie oft vi-
carirend für andere Uebel auf, wo sie dann nicht geheilt, sondern nur
palliativ behandelt werden darf. — Behandlung. Diese ist entweder
palliativ oder radical. Die erste beabsichtigt bloss Entleerung,
keineswegs aber Verhütung der Wiedererzeugung des Wassers. Sie ist
angezeigt bei alten Subjecten aus dem schon angegebenen Grunde und
bei Entartungen des Hodens , wenn der Kranke die Castration nicht zu-
l'asst oder diese wegen Erkrankung des Samenstrangs bis in die Bauch-
höhle nicht mehr ausführbar ist. — Die Palliativkur der Hydrocele
besteht in der Durchbohrung des Sacks und Entleerung des Wassers.
Zur Ausführung dieser Operation bedient man sich eines Troicarts oder
der Lancette. Der erstere verdient im Allgemeinen den Vorzug, weil die
in der Wunde liegen bleibende Röhre ein Verschieben der Haut und eine
Infiltration des Wassers in dieselbe verhütet , weil durch die Röhre das
Wasser besser abfliessen und durch sie eine Sonde zur etwaigen Unter-
suchung der Höhle leichter eingeführt werden kann. Die Lancette zieht
man in Gebrauch , wo man innere Verlezungen zu fürchten hat , was na-
mentlich bei einer sehr geringen Menge WTasser geschehen kann. Vor
der Punktion vergewissert man sich über die Lage des Hodens und der
Samengef ässe , zu deren Vermeidung man im Allgemeinen den Einstich
in der Mittellinie der Geschwulst macht. Die beste Stelle zum Einstich
ist der vordere und untere- Theil derselben. Behufs der Ausführung der
Operation umfasst der Wundarzt das Scrotum mit der linken Hand so,
dass er es seitlich zusammendrückt , und zwar um dadurch die vordere
Wand vom Samenstrange zu entfernen. Mit der vollen rechten Hand
fasst er einen beölten dünnen Troicart , legt den Zeigefinger an die Ka-
nüle, so dass er 6 — 10 Linien von der Spize entfernt ist, und sticht ihn
an einer Stelle, wo keine ausgedehnte Vene liegt, rasch etwas schief von
oben durch , bis das Aufhören des Widerstandes zeigt , dass er in die
Wasserhöhle eingedrungen ist. Man zieht hierauf das Stilet aus, schiebt
die Kanüle etwas tiefer in die Scheidenhaut hinein und hält sie dann un-
verrückt, damit nicht während des Abfliessens des Wassers die zusammen-
fallende Scheidenhaut sich von ihr losstreife. Ist die Wasseransammlung
sehr gross , so unterbricht man von Zeit zu Zeit den Abfluss , damit der
Hode nicht zu schnell vom Drucke befreit und somit ein schneller An-
drang vom Blute vermieden werde. Stockt der Abfluss, so führt man eine
Sonde durch die Röhre ; ist aber der Inhalt zu dick , um abzufliessen, ist
er in Zellen oder in Hydatiden enthalten, so zieht man die Röhre aus und
geht, wenn es die Umstände nicht verbieten, zur Radicaloperation über.
Nach geschehener Entleerung verschliesst man die Oeffnung der Röhre
mit dem Finger, zieht diese aus, indem man neben ihr die Haut zurück-
hält , bedeckt die Stichöffnung mit einem Klebepflaster und legt einen
Tragbeutel an. — Operirt man mit der Lancette, so sticht man diese mit
auf- und abwärts gerichteter Schneide bis in die Höhle der Scheidenhaut
HYDROCELE. 461
und erweitert im Herausziehen die Oeffnung noch etwas. Während des
Wasserabflusses muss das Scrotum gut unterstüzt werden , damit sich die
Haut nicht verschiebt und das Wasser nach aussen zu fliessen verhindert.
Geschieht dies dennoch, so muss man durch Einführung einer Sonde den
Ausfluss wieder herstellen. — Die Punktionsöffnung schliesst sich ge-
wöhnlich schnell ; entsteht Entzündung, so fordert diese zertheilende Um-
schläge und Blutegel , und wenn sie ihren Grund in Infiltration des Was-
sers ins Zellgewebe des Hodensaeks hat , Incisionen. Bildet sich Eiter-
ansammlung, so ist eine zeitige Eröffnung am Plaze. Ist ein bedeutendes
Blutgefäss , wohl selbst die Samenschlagader verlezt , was sich durch
schnelle Bildung einer Geschwulst kund gibt, so lässt man anhaltend kalte
Umschläge machen, oder unterbindet das blutende Gefäss. Nach Dief-
fenbach soll man das Scrotum mit Pflasterstreifen umwickeln und dar-
über kalte Umschläge machen. — Die Radicalkur der Hydrocele kann
auf doppelte Art bewirkt werden ; entweder durch Erhöhung der Resorp-
tionsthätigkeit , Verminderung der Exhalation und Zusammenziehung der
Scheidenhaut , so dass die Höhle derselben erhalten wird oder durch Er-
regung eines solchen Entzündungsgrades, dass Verwachsung der Scheiden-
haut in sich selbst und mit der Albuginea des Hodens entsteht. — Der
erste Zweck (Zertheilung der Hydrocele) wird in der Regel nur bei Kin-
dern erreicht und zwar empfiehlt man gelind reizende Ueberschläge von
Essig, Salmiak in Essig gelöst, von Weingeist, z. B. Rp. Pulv. am-
m o n. muriat. 5j, A c e t i , S p i r i t. v i n i r e c t. ana ^iv. M. S. Drei
Mal täglich mit Leinwand überzuschlagen ; oder : R p. P u 1 v. a m m o n.
muriat. ^ß, A q. fluviatil. ^x, Acet. squillae ^ij. M. S. Lau-
warm überzuschlagen; ferner von Arnicatinktur , Jodtinktur, z. B. Rp.
Tin ct. j o d inae 5i — ij, A q. d es t i 11. ^j. D.S. Zu Ueberschlägen ;
nüzlich erweisen sich auch Abkochungen der Damascenerrose in rothem
Wein, Eichenrindendecoct, Alaunlösung, spirituöse Waschungen, Räuche-
rungen mit Essig, Bernstein, Campher, Zinnober. Zur Anspornung der
Resorption lässt man enge Suspensorien tragen und unterhält Blasen-
pflaster und künstliche Geschwüre auf der Geschwulst , Fontanellen am
Schenkel und gibt dabei wiederholte Brech- und Purgirmittel. Kinder-
w o o d eröffnet die Geschwulst mit einer breiten Lancette, und zieht nach
Entleerung des Wassers ein Stück der Scheidenhaut vor , welches er mit
der Scheere abschneidet ; dadurch soll ein gelinder Grad von Entzündung
hervorgerufen werden, welcher gerade hinreicht, um die exhalirenden und
resorbirenden Gefässe zum natürlichen Zustand zurückzuführen und so
die Heilung ohne Verwachsung zu bewirken. Bei verdickter Scheiden-
haut ist dieses Verfahren nicht anwendbar. Baschwitz wendet nach
der Punktion eine Compression mit Pflasterstreifen wie bei der Hoden-
entzündung an. Mutski u. A. empfehlen die Acupunktur. — Die
zweite Art, die Hydrocele radical zu heilen , kann auf verschiedene Weise
ins Werk gesezt werden, nämlich 1) durch den Schnitt, 2) durch die
462 HYDROCELE.
Ausschneidung der Scheidenhaut, 3) durch Einsprizungen, 4) durch das
Haarseil, 5) durch das Aezmittel und 6) durch die Wieke. — Bei der
Operation durch den Schnitt (Incision) fasst der Operateur das
Scrotum des liegenden Kranken mit der linken Hand und comprimirt es
seitlich. Hierauf sticht er auf der grössten Höhe der Geschwulst ein
spiziges Bistouri senkrecht mit gegen den Stamm gekehrter Schneide ein,
bis dasselbe in die Scheidenhaut eingedrungen ist, was man an dem Auf-
hören des Widerstandes erkennt , und macht dann rasch durch Senken
des Hefts und Vorschieben des Instruments einen Schnitt, der mindestens
so gross sein muss, dass man mit dem Zeigefinger der linken Hand leicht
einbringen kann. Dieser erste Schnitt kann auch nach vorheriger Bil-
dung und Einschneidung einer Hautfalte , wenn sich die Haut erheben
lässt , gemacht werden. Während dieser Eröffnung der Scheidenhaut-
höhle muss der Druck der linken Hand etwas nachlassen , damit die
Flüssigkeit nicht zu schnell ausströmt , wodurch der Samenstrang einer
Verlezung ausgesezt würde. Auf dein eingeführten Zeigefinger wird der
Schnitt mit einem Knopfbistouri oder einer Kniescheere nach auf- und
abwärts so erweitert, dass die vordere Wand der Scheidenhaut ihrer gan-
zen Länge nach gespalten ist. Sollte der Hoden vorfallen , was gesche-
hen kann, wenn man den Schnitt zu weit nach unten verlängert, so repo-
nirt man ihn mit Schonung. Findet man ihn entartet , so wird die Ca-
ssation vorgenommen; Hydatiden fasst man mit derPincette und schnei-
det sie mit der Scheere weg. Findet man die Scheidenhaut bedeutend
verdickt, so muss ein Streifen derselben an einem Wundrande mittels der
Hohlscheere abgetragen werden, damit die WTundränder sich nicht anein-
ander legen können. — Nach gestillter Blutung lässt man einen Gehülfen
beide Zeigefinger hakenförmig in die beiden Wundwinkel bringen und so
die Höhle der Scheidenhaut zugängig machen; dann legt man in diese ein
in Oel getauchtes Leinwandläppchen so ein , dass es den Hoden umgibt
und seine Ränder nach aussen vorstehen. Bei jungen , reizbaren Indivi-
duen und nicht verdickter Scheidenhaut genügt dies meistens ; in den
entgegengesezten Fällen muss die von dem Läppchen gebildete Höhle mit
in Oel getauchten Charpiebäuschchen ausgefüllt, darüber weiche Charpie
gelegt und die Hautränder mit Heftpflasterstreifen einander genähert wer-
den. Durch untergelegte Compressen unterstüzt man das Scrotum so,
dass es nicht herabhängt. — Die Nachbehandlung richtet sich nach dem
Grade der sich einstellenden Entzündung. Wird sie zu heftig, so wendet
man kalte Umschläge, Blutegel etc. an, macht den Verband lockerer und
entfernt die etwa eingelegte Charpie. Mit der eintretenden Eiterung
nimmt man von dem Verbände weg, was vom Eiter gelöst ist, und ersezt
es durch neues ; am 7. — 9. Tage pflegt sich das Läppchen zu lösen, wel-
ches man dann wegnimmt und nun den Verband täglich auf die frühere
Weise , aber ohne Läppchen bestellt. In dem Verhältnisse , wie sich die
Höhle zwischen Scheidenhaut und Hoden mit Granulationen anfüllt, füllt
HYDROCELE. 463
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man sie weniger mit Charpiewieken aus. Entsteht eine Eiteransammlun
welche man durch Einführen von Charpiewieken in den Grund der Höhle
verhüten kann , so verschaffe man dem Eiter durch blutige Dilatation der
Wunde Abfluss. Die Heilung kommt binnen 4 — 6 Wochen zu Stande.
— Dielncision ist nebst derlnjection die am häufigsten geübte Methode.
— Bei der E x c i s i o n der Scheidenhaut wird verfahren , wie beim
Schnitte; nachdem die Scheidenhaut geöffnet ist, wird diese hervorgezo-
gen und in ihrem ganzen Umfange ausgeschnitten. Der Verband und die
Nachbehandlung ist wie bei der Incision. Textor heilt die Wunde
durch schnelle Vereinigung. — Die Excision ist nur eine unnöthige Coni-
plication der Incisionsmethode und deshalb auch jezt verlassen. — Die
Injectionsmethode ist ein Verfahren der neuesten Zeit , welches
nur bei einfacher Hydrocele anwendbar ist. Behufs ihrer Ausführung
wird die Punktion auf die oben angegebene Weise mit dem Troicart in's
Werk gesezt , und nun erst eine genaue Untersuchung des Hodens und
der Scheidenhaut vorgenommen , um , wenn diese nicht gesund befunden
werden , von der ferneren Operation abzustehen. Sind jene Theile ge-
sund , so schiebt man die Kanüle gehörig tief ein , wobei man sich ver-
sichert, dass sie sich gewiss in der Scheidenhauthöhle befindet, und sprizt
nach Entleerung des Serums mit einer genau in die Kanüle passenden
Sprize eine Flüssigkeit ein, deren Wahl sich nach der grösseren oder ge-
ringeren Reizbarkeit des Kranken oder auch nur nach der des Wasser-
sacks richtet. Diesem nach benüzt man kaltes oder heisses Wasser, Was-
ser und Wein , Weingeist , eine Kali- , Alaun- oder Höllensteinlösung,
heissen Portwein, Jodtinktur (3jj auf xvj Wasser), Aufgüsse aromatischer
Kräuter etc. Von der gewählten Flüssigkeit wird so viel eingesprizt, dass
die Geschwulst fast ihre vorige Grösse erreicht, dann die Sprize entfernt,
die OefFnung der Kanüle mit dem Finger verschlossen und die Einsprizung
so lange zurückgehalten , bis ein lebhafter Schmerz entsteht, worauf man
die Flüssigkeit abfliessen lässt, sie auch wohl mit der Sprize auspumpt.
Bei unempfindlichen Subjecten kann eine zweite und selbst eine dritte
Einsprizung noth wendig werden. — Latour zieht der Einsprizung
einer Flüssigkeit das wiederholte Einhlasen von Cantharidenpulver vor,
Deconde empfiehlt Chlorgas zur Reizung der Scheidenhaut. G i m -
bernat, Schreger, Zang blasen nach gemachter Punktion und nach
dem Abflüsse des Wassers zu wiederholten Malen Luft in die Höhle und
drücken diese nach 10 — 15 Minuten wieder aus. Baudens hält die
gewöhnliche Operationsmethode mit dem Troicart für unzweckmässig, da
Verlezung des Hodens und die Folgen davon entstehen können. Er
macht zuerst mit der Spize einer Lancette einen kleinen Einstich in den
hervorragenden Punkt der Geschwulst und lässt einige Theelöffel Flüssig-
keit auslaufen , um die Geschwulst schlaffer und dadurch den Hoden für
die Untersuchung zugänglicher zu machen. Lezterer wird nun hinauf-
geschoben und beide Wände des Hodensacks so aneinander gebracht , als
464 HYDROCELE.
ob man ein Haarseil durch dasselbe ziehen wollte, worauf ein Troicart
durch die Hautfalte geführt wird, dessen Kanüle in der Mitte eine seitliche
Oeffnung hat und an beiden Enden offen ist. Indem man jezt die Haut-
falte loslässt, breitet sie sich auf der Kanüle aus und ihre mittlere Seiten-
öffnung tritt mit der Höhlung der Scheidenhaut in Communikation. Nach
Zurückziehung des Stilets fliesst der Inhalt aus den offenen Enden der
Kanüle aus, durch welche Baudens nun je nach dem Reizzustande der
Scheidenhaut erst nur Luft , später Wasser und endlich eine schwache
Lösung von Höllenstein (5/6 Gran auf ^iv Wasser) einsprizt, zu welchem
Behufe die mit einer Doke verschlossene Kanüle liegen bleibt. — Nach
der Operation wird die Stichöffhung mit einem Heftpflaster bedeckt und
das Scrotum mittels eines Tragbeutels unterstüzt. Am folgenden Tage,
oder auch schon nach Verlauf von einigen Stunden gibt sich die ge-
wünschte Entzündung durch Schmerz, Geschwulst und Röthe zu erkennen,
worauf man erweichende Umschläge macht , mittels deren man die Ent-
zündung auf einem mittleren Grade erhält. Eine zu heftige Entzündung
erfordert eine antiphlogistische Behandlung. Hat sich die Injections-
flüssigkeit statt in die Scheidenhaut in's Scrotum infiltrirt , so muss man
sogleich bis auf die Infiltration einschneiden , antiphlogistisch verfahren
und Kataplasmen anwenden. Die Einsprizungen haben eine ziemlich
häufige Anwendung gefunden , obgleich sie oft ungewiss wirken , da man
die individuelle Reizbarkeit nicht im Voraus bestimmen kann. — Das
Einziehen des Haarseils geschieht, indem man nach vollzogener
Punktion durch die Kanüle des Troicarts eine längere Röhre so tief ein-
führt, bis man sie am obern vordem Theil des Hodensacks fühlt, worauf
man eine spizige geöhrte , ' mit mehreren Seidenfäden versehene Sonde
durch die Röhre einbringt und durch das Scrotum durchstösst. Indem
man nun die Sonde auszieht , wird das Haarseil nachgezogen , dessen En-
den man hierauf nach zurückgezogener Röhre lose zusammenknüpft. Die
Stichöffnungen werden mit Heftpflastern belegt , das Scrotum in einen
Tragbeutel gelegt, und wenn Eiterung eingetreten ist und nach 10 — 12
Tagen die Geschwulst gefallen ist , so werden bei jedem Verbände einige
Fäden ausgezogen , bis sie sämmtlich entfernt sind und die Höhle ver-
wachsen ist. Holbrook zieht mit einer gewöhnlichen Nadel einen
Faden durch die in eine Falte gefasste Scheidenhaut, welchen er am 3.
Tage wieder entfernt. Onsenoort bindet das Scrotum nach und nach
durch. — Dieses Verfahren ist seiner Gefährlichkeit wegen , indem der
Hode dabei leicht verlezt wird und gern Eitersenkungen entstehen, fast
ganz verlassen. — Das Einlegen einer Wieke besteht in dem Ein-
bringen einer Charpiewieke oder eines Bougiestückes in einen mit dem
Messer , Troicart oder der Lancette in die Höhle der Scheidenhaut drin-
genden Einschnitt. Dieses Verfahren reizt zu sehr. — Behufs der
A e z u n g bringt man das Aezmittel (Aezstein) in einem Pflasterkorbe
auf die vordere Seite der Geschwulst und lässt es 6 — 8 Stunden liegen.
HYDROCELE. 465
Wenn der Schorf abgefallen ist , so schneidet man die geäzte Stelle ein
und bedeckt sie nach geschehener Entleerung der Geschwulst mit einem
Plumasseau. Dieses Verfahren ist als zu reizend zu verwerfen. — Alle
die angeführten Operationsmethoden ausser dem Schnitte haben neben
den namhaft gemachten Nachtheilen noch die weiteren, dass sie über den
eigentlichen Gesundheitszustand des Hoden im Dunkeln, etwaige Compli-
cationen nicht erkennen lassen. Bei dem Schnitte wird dies nicht allein
vermieden , sondern man kann noch , wenn es für nothwendig gefunden
wird, gleich die Castration ausführen und eine etwa bestehende Hernie
reponiren. Dazu kommt noch, dass der Schnitt einen zur Heilung gün-
stigen Grad von Entzündung erregt.
2) Der angeborne Wasserbruch (Hydrocele conge-
nita) besteht in einer Ansammlung von Wasser in der Höhle des Schei-
denhautkanals , welcher entweder in seiner ganzen Länge oder nur an
einzelnen Stellen offen geblieben ist , wodurch mehrere Formen dieses
Wasserbruches begründet werden : a) der Scheidenhautkanal ist in seiner
ganzen Ausdehnung offen und mit Wasser gefüllt. Die dadurch gebil-
dete Geschwulst ist länglich rund und erstreckt sich vom Bauchringe bis
über den Hoden ; der von dem Wasser umgebene Hoden ist schwer zu
fühlen , dagegen lässt sich der Samenstrang nach aussen hin längs der
hintern Fläche der Geschwulst deutlich erkennen. Da die Communika-
tion mit der Bauchhöhle offen ist , so kann das W'asser hin- und zurück-
fliessen, was die Geschwulst bei den verschiedenen Körperstellungen bald
grösser , bald kleiner erscheinen lässt. Diese Volumsveränderungen er-
folgen nicht immer mit gleicher Leichtigkeit ; sie treten langsamer ein,
wenn der obere Theil des Scheidenhautkanal^ schon etwas verengt ist ;
es wird hier oft ein fortgesezter Druck von unten nach oben erfordert,
um das Wasser zurückzudrängen. Das Uebel kann angeboren, aber auch
erworben sein, was beweist , dass das Wasser nicht allein aus der Bauch-
höhle in den Scheidenfortsaz fliesst , sondern dieser Wasseransammlung
auch ein Missverhältniss zwischen Secretion und Resorption auf der in-
nern Fläche des Scheidenkanals zu Grunde liegt. Die Krankheit ver-
schwindet bei kleinen Kindern häufig von selbst. Nicht selten ist mit
derselben ein gleichzeitiges Hervortreten eines Darm- oderNezstücks ver-
bunden. — Viquerin empfiehlt die Zurückbringung des Wassers in
die Bauchhöhle und Anlegung eines Bruchbandes, wobei durch Verwach-
sung des Scheidenkanals Heilung erfolgt. — b) Der Scheidenhautkanal
verwächst über dem Hoden , bleibt aber von da an bis in die Bauchhöhle
offen. Die Geschwulst , welche hier gebildet wird , ist blasenartig und
erstreckt sich selbst durch den Bauchring hinein. Die Behandlung ist
dieselbe, wie im vorigen Falle. A. Wernher führte bei einem Knaben
zwei Insectennadeln durch eine gebildete Falte und umwickelte jene lose
mit Achtertouren. Bei einem Erwachsenen durchschnitt er den Schei-
denhautkanal subcutan. — c) Der Scheidenhautkanal ist im Bauchring
Burger, Chirurgie. 0\)
466 HYDROCELE.
geschlossen , der übrige Theil aber offen. In diesem Falle erstreckt
sich die Wassergeschwulst bis in den Grund des Hodensacks und das
Wasser kann nicht in den Unterleib gedrückt werden. — Die Behand-
lung besteht in der Anwendung der oben angegebenen zertheilenden
Mittel. Wird dadurch die Heilung nicht bewirkt, so kann man die Acu-
punktur versuchen , oder man bläst nach vorgängiger Punktion Luft ein
oder macht die Incision. — d) Der Scheidenhautkanal ist von oben und
unten obliterirt. Indem sich das Wasser in dem offen gebliebenen Theile
desselben ansammelt, wird eine abgeschlossene, längliche, oben schmälere,
unten breitere Geschwulst gebildet , deren Inhalt sich durch Druck nicht
entfernen lässt. Die Behandlung ist dieselbe , wie im vorigen Falle. —
Ist eine Hydrocele mit einem Bruche verbunden, in welchem Falle sich
das Wasser im Bruchsacke befindet, so- tritt gewöhnlich die Hydrocele zu
einer schon vorher bestehenden (angebornen oder zufälligen) Hernie ;
selten findet das umgekehrte Verhältniss statt. In den meisten Fällen
ist die mit einer Hydrocele verbundene Hernie eine mit Verwachsungen
verbundene, und es ist die abnorme Secretion aus der innern Fläche des
Bruchsacks Folge der Entzündung selbst, welche die Verwachsung be-
dingt. Die Ursachen dieser Entzündung können sein : ein unzweckmäs-
siges Bruchband, Erkältungen, äussere Gewalttätigkeiten, Einklemmung
des Bruchs. Dabei findet man das Wasser bald nur im Grunde des
Bruchsacks , in welchem Falle die Geschwulst eine mehr kegelförmige
Gestalt zeigt und der Hoden nicht gut zu fühlen ist ; bald begrenzt sich
die Geschwulst am Hoden (bei angeborner Hernie oder Hydrocele) , der
am untern und hintern Theile derselben fühlbar ist ; andere Male neh-
men die vorgefallenen Eingeweide den Bruchsack ganz ein und das Was-
ser umfliesst nur ihre äussere Oberfläche und ihre Zwischenräume , wo
dann die Geschwulst sich mehr oval darstellt ; es kann endlich ein kleines
Darm- oder Nezstück an der Bruchpforte liegen und das Wasser den
Scheidenkanal ausfüllen. Die Diagnose einer mit einem Bruche com-
plicirten Hydrocele ist nicht selten mit Schwierigkeiten verbunden , doch
wird die Anwesenheit von Wasser sich durch das elastische , zuweilen
deutlich fluctuirende Gefühl oft wohl von, dem prallen , teigigen des
Bruchs unterscheiden lassen. Bei einer reponiblen Hernie bleibt nach
ihrer Reposition noch eine Völle im Grunde des Bruchsacks zurück. Bei
länger fortgesezter horizontaler Lage kann sich das Volumen der Ge-
schwulst verringern, indem ein Theil des Wassers in die Bauchhöhle zu-
rücktritt, während es sich bei fortgeseztem Stehen durch das Wiederher-
vortreten des Wassers vergrössert. Die Behandlung ist verschieden,
je nachdem die Hernie beweglich oder angewachsen ist. Eine beweg-
liche Hernie reponirt man nach gemachtem Hautschnitte, worauf man den
Bruchsack öffnet und , während der Bruch durch ein Bruchband zurück-
gehalten wird , durch eine der oben angegebenen Methoden , am besten
durch Einlegen von Charpiewieken , den Sack zur Verwachsung bringt.
HAEMATOCELE. 467
Ist der Bruch irreponibel, so muss man die Scheidenhaut, wie beim Bruch-
schnitte den Bruchsack , öffnen , um nicht innenliegende Eingeweide zu
verlezen. Ist die Hernie eingeklemmt , so löst man wie beim Bruch-
schnitte die Einklemmung; findet sich eine geringe Adhärenz der Hernie,
so trennt man diese und bewirkt die Reposition , worauf man den Sack
zur Verwachsung bringt ; ist die Verwachsung eine feste und bedeutende,
so beschränkt man sich auf eine palliative Hülfe (Tragen eines Suspen-
soriums).
3) Wassergeschwulst der allgemeinen Scheiden-
haut (Hydroeele tun icae vaginalis communis). Diese be-
steht entweder in einer ödematösen Anschwellung des Zellgewebes , wel-
ches den Samenstrang umgibt oder in einer Ansammlung von Wasser in
einer oder mehreren Zellen des Samenstrangs, oder endlich in Hydatiden.
Im ersten Falle entsteht eine Geschwulst, welche längs des Samenstrangs
verläuft , unten breiter als oben und unschmerzhaft ist. Ein Druck ver-
mindert ihren Umfang, wenn dieser aber aufhört, kehrt sie sogleich wie-
der. Unterhalb der Anschwellung unterscheidet man den Hoden deut-
lich. Besteht diese Geschwulst innerhalb des Bauchrings, so wird dieser
ausgedehnt. — Dieses Leiden kann mit einer varicösen x4jischwellung des
Samenstrangs und besonders mit einem Nezbruche verwechselt werden.
Von lezterem unterscheidet es sich durch die geringere Consistenz , eine
weniger unregelmässige Oberfläche und eine breitere Basis. — Im An-
fang genügt das Tragen eines Suspensoriums ; verursacht das Uebel Be-
schwerde, so öffnet man unter Schonung der Samenstranggefässe die Ge-
schwulst durch einen Schnitt , legt Charpie in die Wunde und lässt diese
durch Granulation heilen. — Die Wasseransammlung in einer
oder mehrer e.n Cysten (Hydroeele cystica) hat meistens ihren
Siz in der Mitte des Samenstrangs. Die Geschwulst, welche sie bildet,
ist sehr gespannt , umschrieben , unschmerzhaft und undurchsichtig. Sie
kann nicht verkleinert werden. Den Hoden und Samenstrang fühlt man
deutlich. — Bei jugendlichen Personen gelingt ihre Zertheilung nicht
selten durch die oben bei der Palliativkur angegebenen Mittel ; wo nicht,
so kann man die Acupunktur versuchen , oder man legt die Cyste durch
einen Schnitt bloss , öffnet sie , nimmt von ihr weg , so viel angeht , und
heilt die Wunde durch Granulation.
Hämatocele, Blutbruch. Wie bei der Hydroeele Wasser, so
findet sich hier Blut in die verschiedenen Bedeckungen des Hodens ergos-
sen. Die dadurch gebildete Geschwulst gleicht auch im Allgemeinen der
Hydroeele, nur unterscheidet sie sich von derselben durch ihre constante
Undurchsichtigkeit , Schwere und Festigkeit , und wird anfänglich durch
jede Bewegung vergrössert. Sie ist beim Beginn weich, fluetuirend,
wird aber bald teigig, fester, Druck verursacht mehr oder minder Schmerz,
mit dem Bauchringe steht sie in keiner Verbindung und sie verkleinert
sich weder durch horizontale Lage noch durch äussern Druck. -^ Der
30*
468 HAEMATOCELE.
Erguss kann seinen Siz in dem Zellgewebe des Hodensaeks , in der T u -
nica vaginalis funiculi spermatici und t e s t i s oder endlich
in dem Parenchym des Hodens selbst haben. 1) Hämatocele der
Zellhaut (Haematocele oedematosa, cellularis). Diese
Form ist nichts weiter als eine Ecchymose , wo sich nach einer äussern
Gewalt, durch welche Gefässe zerrissen sind, das Blut in das Zellgewebe
des Hodensacks ergiesst. Dieser schwillt dabei je nach der Menge des
ergossenen Blutes an und stellt eine gleichmässige , glatte , glänzende,
gespannte , schmerzlose , rothe , violette , zuweilen marmorirte Geschwulst
dar. 2) Hämatocele durch Bluterguss in die Scheiden-
haut des Samenstrangs oder des Hodens (Haematocele
cystica s. vaginalis). Ist das Blut nur in der Scheidenhaut des
Samenstrangs eingeschlossen , so ist der untere Theil des Scrotum , in
welchem man den Hoden deutlich fühlt , nicht ausgedehnt , dagegen er-
streckt sich die Ausdehnung bis zum Leistenring ; wenn sich aber das
Extravasat blos auf die Höhle der Tu nica vaginalis erstreckt , so
erfolgt dfe Anschwellung von unten herauf und man kann den Samen-
strang deutlich fühlen. Der Hoden selbst befindet sich an der hintern
untern Seite des Hodensacks , wo er sich beim Drucke mit dem Finger
durch den eigenthümlichen Schmerz zu erkennen gibt. — 3) Bluter-
giessung in die Substanz des Hodens (Haematocele va-
r i c o s a). Der Hoden ist weich , geschwollen , schmerzlos , oder auch
hart und sehr empfindlich beim Drucke. Das leztere ist der Fall , wenn
eine mechanische Verlezung vorausgegangen und eine entzündliche Rei-
zung vorhanden ist, das erstere dagegen, wenn andere Ursachen die Auf-
lösung der gefässreichen Substanz bedingen. — Ursachen. Der Hä-
matocele der Zellhaut liegen gewöhnlich äussere Gewalttätigkeiten,
Quetschung des Hodensacks etc. zu Grunde ; die Hämatocele der Schei-
denhaut entsteht fast immer entweder durch Verlezung eines Gef ässes
bei der Operation des Wasserbruchs oder in Folge von Zerreissung an-
geschwollener Gefässe. Im ersten Falle ist sie leicht zu erkennen, indem
sich die Scheidenhaut nach Ausleerung des Wassers sogleich wieder füllt,
auch Blut durch die Wunde ausfliesst. Schwerer ist die zweite Art von
Blutbruch zu erkennen und oft nicht von einem Wasserbruche zu unter-
scheiden; indessen entsteht er in der Regel schneller als dieser und ist
undurchsichtig. In Betreff der Art der Entstehung dieser lezten Form
ist zu bemerken , dass die Zerreissung varicöser Gefässe entweder die
Folge von Quetschung sein oder aber erfolgen kann , wenn die Gefässe
bei der raschen Entleerung des Wassers bei der Punktion des Wasser-
bruchs plözlich von ihrem gewohnten Drucke befreit werden. Eine dritte
Art von Blutbruch bildet sich spontan , langsam , ohne äussere Gewalt-
tätigkeit, durch Durchschwizen von Blut, besonders bei Greisen; diese
ist nicht von der Hydro cele zu unterscheiden und wird erst bei der Ope-
ration erkannt. — Prognose. Die Hämatocele, welche ihre Entstehung
HYPERAEMIE. 469
einer äussern Einwirkung verdankt , kann , besonders wenn sie noch neu
ist, meistens zur Resorption gebracht werden. Schlimm ist die Prognose,
wenn der Bluterguss die Folge einer adynamischen Krankheit ist , da
leicht Brand und der Tod erfolgen kann. — Behandlung. Die Hä-
matocele der Zellhaut lässt sich gewöhnlich unter Anwendung einer anti-
phlogistischen Behandlung , durch kalte Umschläge , bei gleichzeitiger
Unterstüzung des Hodens durch einen Tragbeutel und ruhigem Verhalten
zertheilen. Gelingt dies nicht , wird die Geschwulst immer bedeutender,
so entleert man das Blut durch mehrere , gehörig tiefe Incisionen und
macht zertheilende Umschläge. Bei der Blutansammlung in der Schei-
denhaut des Samenstrangs oder des Hodens kann man kalte resolvirende
Umschläge versuchen, wenn sie aber nicht bald helfen, so muss die Schei-
denhaut geöffnet, das Blut entleert, ein etwa verleztes Gef äss unterbunden
werden; ist bei einer Blutung des Samenstrangs das blutende Gef äss
nicht zu fassen und ist die Blutung sehr stark, so kann eine totale Unter-
bindung des Samenstrangs und selbst die Castration nöthig werden. Bei
der Blutergiessung in die Substanz des Hodens verfährt man, wenn sie
die Folge äusserer Gewaltthätigkeiten ist, antiphlogistisch, zertheilend,
und gelangt man hierdurch nicht zum Ziele , so ist die Castration ange-
zeigt. Diese wird auch meistens bei der spontanen Blutergiessung
nöthig, aber erst, wenn gefährliche Zufälle eintreten.
Hygroma, s. Schleimbeutelwassersucht.
Hyperämie , Hyperaemia (von vtcsq , über, übermässig und
ai/Lia, das Blut). Mit diesem Namen bezeichnet man jede übermässige An-
f üllung der Haargef ässe eines Organs oder Gewebes mit Blut, womit eine
Erweiterung der Gefässe und in Folge davon eine Verminderung in der
Schnelligkeit des Blutlaufs verbunden ist. Dieser Zustand, welcher sonst
den Namen Congestion führte , ist noch kein krankhafter , denn alle
Organe scheinen zur Zeit ihrer grössten Wirksamkeit in einer grösseren
Anf üllung sich zu befinden , so die Verdauungs- und Geschlechtsorgane
etc. ; er kann aber durch Steigerung in Stasis und wirkliche Entzündung
übergehen. — Der hyperämische Zustand gibt sich durch erhöhte Röthe,
vermehrte Wärme , ein Gefühl von Schwere in dem ergriffenen Theile zu
erkennen ; Geschwulst ist nie bedeutend ; Funktionsstörungen finden nicht
statt. — ! Man unterscheidet eine active , eine passive und eine mechani-
sche Hyperämie. — Ursachen. Hyperämie wird verursacht durch ver-
mehrten oder verminderten Luftdruck, gesteigerte oder verminderte Herz-
thätigkeit , vermehrten oder verminderten Luftdruck , durch örtliche Rei-
zung eines Organs. In Folge dieser Einwirkungen wird eine Erregung
der sensitiven Nerven und damit eine antagonistische Lähmung der Ge-
f ässnerven gesezt , oder nach einer andern Auslegung eine gesteigerte
Anziehung des Blutes , eine gesteigerte Verwandtschaft des Parenchyms
zum Blute herbeigeführt. So sieht man in Folge der Verminderung des
470 HYPERAEMIE.
äussern Luftdrucks beim Schröpfen Hyperämie entstehen. In Folge ver-
mehrter Herzthätigkeit entsteht Hyperämie in den Venen und Haarge-
f ässen weicher Organe , in welchen sich diese mehr ausdehnen können,
als in festeren. Im hohen Alter , nach langem Säugen etc. ist die Ener-
gie des Herzstosses vermindert ; hier bildet sich gern Hyperämie in den
weichen Organen , indem sich das Blut in den Haargef ässen und Venen
derselben anhäuft. Hyperämie entsteht in den Fingern, der Hand, wenn
man den Arm längere Zeit abwärts hängt , im Gesicht , wenn man den
Kopf niedersenkt ; hier wird der Blutdruck vermehrt , während der Stoss
des Herzens derselbe bleibt. Innere organische Krankheiten bringen
oft Congestionen gegen äussere Organe hervor , indem sie die regelmäs-
sige Innervation durch ihren Heiz unterbrechen. Durch plözlichen Ver-
lust eines Gliedes oder dessen plözliche Lähmung, z. B. durch Verlezun-
gen des Rückenmarkes , entstehen Congestionen gegen innere Organe,
was einer Unregelmässigkeit in der Innervation zuzuschreiben ist. Quet-
schungen , Erschütterungen haben , besonders in blutreichen Organen,
z. B. in dem Gehirn, den Lungen nicht selten Hyperämie zur Folge. —
Die häufigste Ursache der Hyperämie bildet gehemmter Rückfluss des
Blutes durch die Venen, dessen Grund in und an den Venen selbst, oder
in einem erkrankten , den Blutlauf störenden Organe liegen kann. Die
leztere Art macht die mechanische Hyperämie aus. Der Unter-
schied zwischen der a c t i v e n und passiven Hyperämie beruht nur
auf dem Verhalten der überfüllten Capillargefässe. Activ ist die Hy-
perämie , wenn diese Gef ässe die Fähigkeit behalten , ihren Inhalt auszu-
treiben , sobald die übermässige Erregung aufhört ; passiv dagegen ist
sie , wenn die Gef ässe durch Erschlaffung und Lähmung , so wie über-
haupt Erkrankung ihrer Wände die Fähigkeit verloren haben , sich auf
ihr normales Volumen wieder zusammenzuziehen. — Ausgänge. Der
gewöhnliche Ausgang ist Zertheilung, und es erfolgt diese entweder plöz-
lich oder langsam, und zwar besonders , wenn die Ursache entfernt wird ;
heftige Hyperämien verschwinden oft unter dem Eintritte von Blutungen.
Oefter wiederkehrende oder lange dauernde Hyperämien bedingen Atro-
phie des Organs durch Verminderung oder völlige Aufhebung der eigent-
lichen parenchymatösen Feuchtigkeit (des Blastems) und der normalen
Secretion, wodurch der kranke Theil trocken wird. Passive Hyperämien
leiten gewöhnlich asthenische Entzündungen ein , active sind die Vorläu-
fer sthenischer Entzündungen. — Prognose. Hyperämien haben an
sich keine Bedeutung, in wichtigen Organen aber, wie im Gehirn, können
sie durch Exsudation gefährlich werden. — Behandlung. Man ent-
fernt die Ursache , wenn es möglich ist , beseitigt daher den krankhaften
übermässigen Reiz oder das mechanische Hinderniss , und wo ein er-
schöpfter lähmungsartiger Zustand sich findet , zieht man Reizmittel in
Gebrauch , um den hyperämisirten Theil wieder zu dem normalen Zu-
stande zurückzuführen. Man bedient sich hierzu der verschiedenen me-
HYPERTROPHIE. 471
chanischen, chemischen oder specifiisch - irritirenden Mittel , die man auf
den hyperämischen Theil selbst anwendet , oder mittels deren man in
minder wichtigen Organen Hyperämie hervorzubringen sucht ; solche
Mittel sind: trockene Schröpf köpfe , Senfpflaster, Blasenpflaster, Fonta-
nellen, Reiben mit Schnee, Ammoniak, Branntwein, Umschläge mit kaltem
Wasser , Bleiwasser etc. Bei Congestionen gegen wichtige Organe kön-
nen allgemeine und örtliche Blutentziehungen nöthig werden.
Hypertrophie, H/pertrophia (von V7T€Q, über und Toscpsiv,
ernähren) , Ueber nährung. Hierunter versteht man den Zustand,
wo ein Organ eine Massenzunahme erfährt, ohne dass dabei eine wesent-
liche Structurveränderung stattfindet. Meistens ist mit dieser Massen-
zunahme eine Gewichts- und Volumszunahme , oder statt lezterer eine
Verdichtung des Gewebes verbunden. Die Uebernährung beschränkt
sich entweder nur auf einen Theil eines Organs (partielle Hyper-
trophie), oder sie ist über das ganze Organ ausgedehnt (totale Hy-
pertrophie). In hohlen Organen kann die Höhle von der Hypertro-
phie unberührt bleiben (einfache H.) , oder sie wird vergrössert (ex-
centrische H.), oder sie erleidet eine Verengerung (concentrische
H.). - — Die Massenzunahme eines Organs wird nicht durch eine Ver-
grosserung der einzelnen Gewebeelemente bedingt , sondern durch eine
Vermehrung derselben. Ein hypertrophirtes Organ zeigt fast immer einen
vermehrten Blutgehalt; ob sich neue Gefässe in einem solchen bilden,
ist noch nicht ausgemacht ; die schon vorhandenen findet man bisweilen
erweitert und verdickt. Die Hypertrophie zeigt sich vorzugsweise im
Zell- und Fettgewebe , den Knochen , der äussern Haut und der Schleim-
haut. — Die nächste Ursache der Uebernährung ist in einer übermäs-
sigen interstitiellen Anhäufung von BildungsstofF zu suchen, der sich ent-
sprechend dem umgebenden Gewebe organisirt. Eine solche Anhäufung
kann geschehen durch übermässige Ausschwizung von Blutplasma, durch
Bildung entzündlich plastischer Exsudate , durch gehemmte Resorption
und durch anomale Blutbeschaffenheit. Die vermehrte Ausschwizung
von Blutplasma wird vermittelt durch wiederholte oder andauernde , aber
langsam entstandene Blutvermehrung in den Haargef ässen des bestref-
fenden Organs, besonders in Folge mechanischer Hyperämie , durch ver-
mehrte oder angestrengte Thätigkeit des Organs , besonders im Muskel-
gewebe, sowie durch Reizung der Gefässnerven. Die entzündliche Hy-
pertrophie manifestirt sich durch Bildung von Bindegewebe und Gef ässen
in Folge von Entzündungen. Die Hypertrophie nach gehemmter Re-
sorption zeigt sich bei Krankheiten der Venen und Saugadern , wie Ent-
zündung dieser, Varicosität der Venen, Lähmung der Saugadern. Die
anomale Blutbeschaffenheit führt besonders Hypertrophie des Fett- und
Knochengewebes herbei. — Der hypertrophische Zustand kann durch die
Massen- und Gewichtszunahme auf nebenliegende Theile durch Verdrän-
472 HYPOSPADIE UND EPISPADIE.
gung derselben, Verengerung von Höhlen und Kanälen, Beschwerung etc.,
so wie durch abnorme Thätigkeitsäusserungen des übernährten Organs
von nachtheiligen Folgen begleitet sein. Er kann selbst bei wichtigen
Organen durch Unterbrechung zum Leben nothwendiger Verrichtungen
den Tod zur Folge haben. — Die bald rasch , bald langsam zu Stande
kommende Hypertrophie ist einer Rückbildung fähig ; unter Umständen
kann ein hypertrophisches Gebilde sich auch entzünden , vereitern , ver-
schwären, brandig werden oder degeneriren. — Die Behandlung hat
die Aufgabe , die Rückbildung des hypertrophischen Zustandes herbeizu-
führen, oder, wenn dieser Versuch fehlschlägt und Umstände die Beseiti-
gung desselben nothwendig machen, diese auf mechanischem Wege oder
durch Bewirkimg einer Entzündung und Vereiterung in's Werk zu sezen.
Behufs der Rückbildung der Hypertrophie zieht man Mittel in Gebrauch,
welche dem Andränge und der Ansammlung des Blutes in den Haarge-
f ässen entgegenwirken und die Resorption anspornen. Bei mehr activer
Congestion dienen die Anwendung der Kälte , wiederholte örtliche Blut-
entziehungen und die Einreibung der grauen Salbe , bei passiver Conge-
stion ein methodischer Druck , Bepinselungen mit Jodtinktur, Einreibun-
gen mit Jod- und Quecksilbersalben. Bei weniger zugänglichen Organen
zieht man Ableitungsmittel in Gebrauch. Geeignete innere Mittel können
die Kur unterstüzen , z. B. bei Hypertrophien drüsiger Organe, wie der
Schilddrüse und der Brüste, die Anwendung von Jodmitteln. — Die me-
chanische Entfernung geschieht je, nach der Beschaffenheit und dem Size
der Hypertrophie mittels Ausschneiden, Abbinden, Wegäzen etc. : in Ent-
zündung und Eiterung versezt man das hypertrophische Organ mittels
Haarseil u. dgl.
HypOSpadie und Epispadie, Hypospadia et Epispa-
dia (von vtto, unter, iiu, auf, und Cnau), ich ziehe, weil das Glied bei
dieser Missbildung in dem ersten Falle abwärts, bei dem andern auf-
wärts gekrümmt ist) , untere und obere Harnröhrenspalte.
Unter Hypospadie versteht man eine Hemmungsbildung am männ-
lichen Gliede , bei welchem der Penis an seiner untern Fläche gespalten
ist , während bei der Epispadie dasselbe am Rücken der Ruthe statt
hat. Beide Zustände kommen inv verschiedenen Graden vor. Bei den
geringeren Graden der Hypospadie ist nur die Eichel gespalten oder die
Oeffnung der Harnröhre befindet sich an der untern Seite der Eichel in
der Nähe der Fossa navicularis oder des Frenulum , wobei der
Penis meistens etwas nach unten gekrümmt ist ; im höheren Grade der
Missbildung besteht eine Oeffnung zwischen der Wurzel des Penis und
dem Hodensacke, wobei weder eine Rinne an der untern Seite des Penis,
noch eine Oeffnung an der Eichel bemerkbar ist ; im höchsten Grade
besteht ein Halbkanal , eine rinnenförmige Vertiefung an der untern
Seite des Penis, die von der Spize der Eichel bis zur Wurzel des Gliedes
HYPOSPADIE UND EPISPADIE. 473
und meistens auch bis in die Blase sich erstreckt ; die Spalte ist mit
einer rechlichen Schleimhaut überzogen. In sehr seltenen Fällen beste-
hen gleichzeitig mehrere solcher widernatürlichen Oeflfhungen an der
untern Fläche des Penis ; aus ihnen ergiesst sich Urin und Samen. Bei
derEpispadie findet man ebenfalls mehrere Grade, und zwar ist ebenfalls
nur die Eichel , oder die ganze Länge des Gliedes gespalten , der Spalt
erstreckt sich in die Blase oder erscheint im höchsten Grade als Inver-
sio vesicae; das Glied ist nach oben gekrümmt. Die mit diesem
Bildungsfehler Behafteten werden Halbverschnittene, Hypo-
s p a d i a e i und Epispadiaei genannt. — Von grosser Wichtigkeit
sind diese Hamröhrenspalten besonders in gerichtlich-medizinischer Hin-
sicht. Bei geringeren Graden derselben, d. h. bei denen, wo die Harn-
röhrenöffnung in der Nähe der Eichel sich befindet und das Glied eine
normale oder der Norm nahe kommende Länge hat, findet Zeugungs-
fähigkeit statt; dagegen sind die Hypospadiäen und Epispadiäen, deren
Harnröhrenöffnung in der Mitte des Penis oder an dessen Wurzel be-
findlich ist , wohl begattungsf ähig, aber nicht als zeugungsfähig zu be-
trachten. — Die Heilung dieser Zustände ist in der Regel mit vielen
Schwierigkeiten verbunden und kann nur auf operativem Wege zu Stande
gebracht werden. Die Behandlung ist verschieden je nach dem Grade
der Missbildung ; meistens sind es nur die leichteren Grade , die eine
Heilung zulassen. — l) Operation der Hypospadie. Besteht
nur eine Spaltung der Eichel bis zum Bändchen, so trägt man die Ränder
der Spalte schräg ab und legt drei umschlungene Insectennadeln an.
Das Einlegen einer kurzen Röhre beim Uriniren hält den Urin von der
Wunde ab , die meist leicht heilt. Einen Monat später nimmt man die
Schliessung der alten Oeffnung mittels Transplantation eines Hautstücks
vom Penis oder der Vorhaut vor. Befindet sich die Spaltung weiter hin-
ten und bildet sie eine offene Rinne , so frischt man die Spaltenränder
an, vereinigt sie mit Insectennadeln, leitet den Urin durch einen am hin-
tern Theil eingelegten Catheter ab und schliesst die zurückbleibende
Oeffnung durch Cauterisation oder die Schnürnaht. Eine einfache Oeff-
nung am untern Theile des Penis schliesst man wie eine Harnröhrenfistel.
S. Harn f is tel. ■ — Den fehlenden Kanal der Harnröhre stellt man
entweder durch Perforation des Penis her oder man bildet durch Trans-
plantation einen neuen Weg. Bei der Durchbohrung des Gliedes ver-
fährt man auf folgende Weise. Befindet sich die Oeffnung der Harnröhre
in der Nähe der Eichel , so durchbohrt man diese bis zur falschen Harn-
röhrenmündung , legt sodann eine Kanüle ein und schliesst die untere
Harnröhrenöffnung auf die oben angegebene Weise. Bei der Durchboh-
rung einer grösseren Strecke wird das Glied stark angespannt und in
gerader Richtung vom Körper abgezogen, dann führt man einen entspre-
chend starken Troicart , der statt einer silbernen mit einer Bleiröhre ver-
sehen ist, von der Eichel aus, welche stets mit einer blinden Harnröhren-
474 IMPFEN.
Öffnung versehen ist, an der untern Seite des Penis unter der Haut bis
in den vorhandenen Theil der Harnröhre, zieht das Stilet aus und lässt
die Bleiröhre liegen. Die Behandlung muss streng antiphlogistisch sein
und kalte Umschläge angewendet werden. Die Bleiröhre vertauscht man
später mit einer Bleisonde. — Die Bildung eines neuen Kanals durch
Transplantation verrichtet man, wenn keine Rinne vorhanden ist und der
Urin aus einer hinten sich befindenden Oeffnung ausfliesst. Man fasst
an jeder Seite des Penis eine Hautfalte und zieht sie über den Ort , wo
die Harnröhre gebildet werden soll , zusammen. Hierauf näht man die
Bänder der Falte mit einer geraden Nähnadel der Länge nach zusammen,
macht dann zu beiden Seiten des Gliedes eine Incision durch die Haut,
um die Spannung zu heben , und schneidet die Ränder der zusammen-
genähten Falte mit einer scharfen Scheere ab, worauf man die Wundrän-
der so genau zusammennäht, dass Epidermis an Epidermis kommt. Der
Urin wird durch einen Catheter aus der alten Oeffnung geleitet. Dieser
Kanal wird nach vorn geöffnet und durch die Eichel fortgesezt , indem
man diese durchbohrt , wenn sie geschlossen ist oder durch eine Naht
schliesst , wenn sie gespalten ist. Die untere falsche Oeffnung schliesst
man durch Aezen oder ein anderes Verfahren , wobei ein elastischer Ca-
theter in die Harnröhre geführt werden muss. — Operation der
Epispadie. Diese ist im Allgemeinen nach einer der für die Be-
handlung der Hypospadie angegebenen Methoden auszuführen, wenn über-
haupt eine Operation zulässig ist , da das Glied hier stets sehr kurz und
an den Schambogen hinaufgezogen ist.
I.
Impfen der KllhpOCken, V a c c i n a t i o. Dieses besteht in
der Verwundung der Oberhaut und Uebertragung des Kuhpockenstolfes
in die Wunde , um eine Ansteckung und einen eigenthümlichen Krank-
heitsprocess, die Vaccine, hervorzurufen , wodurch erfahrungsgemäss
für einige Zeit die Empfänglichkeit für die Menschenblattern aufgehoben
oder doch vermindert wird. Man kann die Kuhpocken in jedem Lebens-
alter und zu jeder Zeit impfen , doch geschieht die erste Impfung am
zweckmässigsten im ersten Lebensjahre nicht vor den ersten sechs Wo-
chen und vor Beginn des Zahngeschäfts bei guter Witterung und gesun-
dem Zustande des Kindes. — Die Einimpfung der Kuhpocken geschieht
auf verschiedene Weise, doch sind besonders zwei Methoden im Gebrauch :
man impft entweder mit dem frischen Pockenstoffe , den man von einem
Individuum auf das andere überträgt, oder man impft mit aufbewahrtem
Impfstoffe, den man, wenn er getrocknet ist, vorher erweicht. Die erste.
Art der Impfung ist die zweckmässigste. — Impft man mit frischem
IMPFEN. 475
Stoffe aus einer Pustel (von Arm zu Arm) , so lässt man das Kind von
einer sizenden Person auf dem Schoose halten , sticht in den Rand einer
wasserhellen Pustel eines in der Nähe des Impflings befindlichen Indivi-
duums die Spize einer schmalen Lancette seicht ein und nimmt mit der-
selben den hervorquellenden Lymphtropfen auf. Nun fasst- man den
Oberarm des Impflings von hinten mit der linken Hand so, dass die Haut
in der Gegend des Ansazes des Deltamuskels , wo die geeignetste Impf-
stelle ist , gespannt wird , macht mit der Lancette mehrere , gewöhnlich
3 — 4 , kleine, flache, womöglich kein Blut gebende und etwa einen Zoll
von einander entfernte Hautschnitte , oder auch flache , eine halbe Linie
tief unter die Epidermis dringende Stiche, und fasst dann zu wiederholten
Malen mit der Spize der Lancette aus der geöffneten Pustel Lymphe auf, die
man sanft auf die Wunde streicht. Auf dieselbe Weise verfährt man an dem
andern Arme. Tritt auch etwas Blut hervor, so hindert dies die Absaugung
der Lymphe nicht. Man lässt die Impfstelle trocknen, ehe man die Kin-
der wieder anzukleiden erlaubt ; Verband ist unnöthig. — Impft man mit
aufbewahrtem Stoff (der jedoch nicht zu alt sein darf), so befeuchtet man
ihn mit reinem Wasser , um einen Theil auf die Spize der Lancette brin-
gen zu können. Im Uebrigen verfährt man ganz, wie im vorhergehenden
Falle. Zu bemerken ist, dass der auf Elfenbein, Glasplatten, Fischbein-
stäbchen , in Glasröhren aufgefasste , oder von Charpief äden , Haarpinsel,
Waschschwamm etc. aufgenommene Impfstoff sorgfältig vor der Einwir-
kung der atmosphärischen Luft, vor starker Hize und Kälte verwahrt wer-
den muss , damit er nichts an seiner Wirksamkeit verliert. — Die Er-
scheinungen nach einer haftenden Impfung sind folgende : Am 1 .
und 2. Tage sieht man ausser der Spur des Schnittes nichts. Am 3. — 4.
Tage macht sich in der Mitte der nun etwas gerötheten Impfstelle ein
kleines hartes, in der Haut sizendes und dieselbe überragendes Knötchen
bemerkbar. Am 5. Tage hat sich die kleine Geschwulst bereits mehr
entwickelt und stellt eine kegelförmige Papel dar, deren Spize ein wenig
einzusinken beginnt. Am 6. Tage wird die Basis der Papel breiter und
ihre Spize zeigt einen deutlichen Eindruck. Inzwischen hat sich auch
ein heftiges Jucken an der Impfstelle entwickelt. Am 7. Tage hat die
Geschwulst und Entzündungsröthe in der Umgegend zugenommen ,, die
PapeL aber verwandelt sich in ein oben eingedrücktes vielfächeriges
Bläschen von der Grösse einer Linse und von gelblicher Farbe , welches
von einem silberweissen Ringe umzogen ist , unter dem sich offenbar be-
reits Flüssigkeit befindet. Dieser ringförmige WTall vermehrt sich am
8. Tage und wird in seiner Peripherie von einem hellrothen Gürtel um-
geben ; auch ist einige fieberhafte Aufregung zugegen. Das Bläschen
hat jezt den höchsten Grad seiner Ausbildung und die Grösse einer Erbse
erlangt ; sein bisher ganz heller Inhalt fängt in manchen Fällen schon
an, sich zu trüben. Am 9. Tage entwickelt sich die peripherische Röthe
sehr stark und die Geschwulst erstreckt sich von einer Impfstelle zur
476 IMPFEN.
9
andern. Das Bläschen ist nun zu einer wahren Pustel geworden, deren
Inhalt weisslich oder blassgelblich wird. Am 10. Tage ist die Pustel
breiter geworden, in der Mitte nicht mehr eingedrückt, der Inhalt nimmt
eine eiterige Beschaffenheit an , die Umgegend ist heftig entzündet und
oft die ganze obere Hälfte des Oberarms bis zu den Achseldrüsen ge-
schwollen und sehr schmerzhaft. Fieberbewegungen und bei Kindern
deshalb grosse Unruhe fehlen selten. Am 1 1 . Tage erscheint die Pustel
hart, abgeflacht , arm an flüssigem Inhalt , von perlgrauer oder schmuzig
gelber Farbe , und sie fängt an von der Mitte aus zu vertrocknen. Von
jezt an nehmen die Entzündungserscheinungen wieder ab und die Ab-
trocknung der eiterig gewordenen Pustel schreitet vom 1 2 . Tage an
unter Verminderung der Röthe und Geschwulst fort , indem sich ein
Schorf bildet , der in den folgenden Tagen immer dunkler und härter
wird, bis er endlich zwischen dem 2 1. und 2 4. Tage unter Abschuppung
der umliegenden Epidermis und mit Hinterlassung einer rundlichen , fla-
chen, weissen, punktirten Narbe abfällt. — Bisweilen verzögert sich die
Entwicklung der Pocken , selbst um zwei Tage , was , wenn sie dann nur
in der angegebenen Art statt hat, der Aechtheit der Vaccine keinen Ein-
trag thut. Bisweilen bilden sich aber falsche Kuhpocken, welche
nicht schüzen und einen von dem obigen abweichenden Verlauf haben ;
die Entzündungsperiode tritt schon vor Ablauf der ersten 48 Stunden
ein , den sich bildenden Bläschen fehlt die Vertiefung , die Härte unter
der Haut, der rothe Hof, sie jucken sehr, erzeugen aber weder Fieber,
noch Anschwellung der Achseldrüsen und hinterlassen einen gelbgrünen,
locker aufsizenden Schorf; oder die Pusteln oder Bläschen sind von star-
ken Entzündungszufällen begleitet , besonders charakterisiren sie sich
aber durch einen sehr raschen , schon in fünf Tagen beendigten Verlauf.
Hier muss die Impfung wiederholt werden. Die Ursache davon kann
sein, wenn man mit unächtem Stoffe impft, wenn der Impfstoff nicht was-
serhell, oder wenn die aufbewahrte Lymphe verdorben ist , endlich wenn
man zu tiefe Einschnitte oder Stiche macht. — Zuweilen sieht man mit
dem Ausbruche der Kuhpocken am Arme einen ähnlichen Ausschlag an
andern Körpertheilen, besonders auch im Gesicht auftreten. Scrophulöse
Kinder scheinen hierzu besonders geneigt zu sein. — Die Behandlung
nach vorgenommener Impfung besteht blos in einer gehörigen Regulirung
des Verhaltens. Man sorge , dass das Kind die Pocke nicht aufkrazt,
ebenso dass es nicht an den Oberarmen und unter den Achseln gefasst
wird. Bei heftiger Entzündung bestreicht man die Impfstellen mit
Milchrahm oder macht kalte Umschläge , und bei etwas bedeutendem
Fieber ordnet man eine gehörige Diät an. Wird die Eiterung an der
Pockenstelle bedeutend, so dienen Umschläge von Bleiwasser. Hautaus-
schläge verschwinden entweder von selbst bei gehörigem Verhalten oder
beim Gebrauche leicht diaphoretischer Mittel. — Ist die Impfung miss-
lungen, so muss sie nach Verlauf einiger Zeit wiederholt werden.
incision. 477
XncisiOD., Incisio, Schnitt, Einschnitt. Mit diesem
Worte bezeichnet man die Trennung der Weichtheile mittels eines schnei-
denden Instruments. Der Schnitt wird gewöhnlich mit dem Messer aus-
geführt und zwar bedient man sich entweder eines solchen , bei welchem
die Klinge mit dem Hefte beweglich verbunden ist , Bistouri, oder
eines solchen, wo diese zwei Theile unbeweglich mit einander verbunden
sind, Scalpell; seltener wird die S c h e e r e benüzt ; sie dient mehr zur
Excision von Theilen, welche in Höhlen sizen, sowie zur Durchschneidung
häutiger , strangartiger Theile u. dgl. — Die Incisionen unterscheiden
sich durch ihre Ausdehnung, durch ihre Tiefe, durch ihre Lage, durch
ihre Richtung, und je nachdem sie mit oder ohne Trennung der Haut
gemacht werden. Eine Incision von geringer Ausdehnung nähert sich
dem Stiche. Die seichten Einschnitte, die man in das Zellgewebe behufs
der Entleerung infiltrirter Flüssigkeiten etc. macht, werden Scarifica-
tionen genannt. — Behufs der Ausführung einer Incision mit
Trennung der Haut müssen die zu .durchschneidenden Theile mög-
lichst angespannt sein; ein jeder Einschnitt muss von seinem Anfang bis
zu seinem Ende scharf begrenzt sein , er darf nicht allm'alig auslaufen,
wobei die Haut an den äussersten Punkten nur theilweise getrennt und
gerizt ist , sondern muss in den Winkeln die gleiche Tiefe , wie in der
Mitte haben. Der Schnitt selbst muss mehr durch Zug, als durch Druck
bewirkt und das Messer zugleich in möglich langen Zügen geführt wer-
den, weil ein langer Schnitt nicht so schmerzt, als mehrere kurze. Immer
muss der Operateur das Instrument in seiner Gewalt haben , so dass er
es auf beliebige Weise wenden, fortführen und anhalten kann und hierauf
hat die Art, das Messer zu halten, grossen Einfluss. Man fasst nämlich
dasselbe 1) wie eine Schreibfeder, indem man den Daumen an die eine,
den Zeigefinger an die andere Seite des Griffs in der Nähe der Klinge
und den Mittelfinger zur Seite der Klinge selbst anlegt , die beiden an-
dern Finger aber einschlägt oder aufstüzt ; das Griffende liegt dabei an
der Radialseite des Zeigefingers. 2) Man fasst das Messer wie ein Tisch-
messer ; Daumen und Mittelfinger ergreifen dasselbe in der Nähe des
Charniers , der Zeigefinger wird auf den Rücken der Klinge gelegt je
nach Bedürfniss mehr oder weniger nach vorn , die übrigen Finger um-
fassen das Heft und halten es in der Hohlhand fest. Diese Position ge-
währt die grosste Kraft und Sicherheit. 3) Das Messer wird wie ein
Geigenbogen gehalten, d. h. man legt den Daumen dicht hinter dem
Charnier auf die eine , alle übrigen Finger in einer Reihe auf die andere
Seite des Instruments, und zwar so an, dass der Zeigefinger an der Fläche
der Klinge, der Mittelfinger dem Daumen gegenüber, die übrigen weiter
hinten angelegt sind. Wird das Heft durch den 4. und 5. Finger gegen
denUlnarrand der Hand angedrückt, so kommt mehr Kraft in den Schnitt.
4) Man fasst das Messer in die volle Hand , indem der Daumen von der
478 incision.
einen, die übrigen Finger von der andern Seite das Heft umfassen. Man
hat bei dieser Position viel Kraft, ist aber weniger Herr über das Instru-
ment als z. B. bei der zweiten Art , das Messer zu halten. Bei den drei
ersten Arten kann man das Messer sowohl mit nach unten als mit nach
oben gerichteter Schneide fassen , nur dass man bei der zweiten Art den
Zeigefinger statt auf den Rücken der Klinge an deren Seite legt. —
Man macht die Incisionen entweder von aussen nach innen oder von innen
nach aussen , und zwar können diese beiden Arten in der Richtung von
sich , gegen sich , von links nach rechts und von rechts nach links ge-
macht werden. — 1) Incision von aussen nach innen. Macht
man einen geraden Einschnitt, so kann dies mit oder ohne Bil-
dung einer Hautfalte geschehen. Das erstere Verfahren ist da zu em-
pfehlen , wo man nicht tiefer als durch die Haut schneiden oder wo man
die Verlezung eines unter dieser liegenden wichtigen Theils vermeiden
will ; die Haut muss aber zu diesem Zwecke beweglich und dehnbar sein.
Man erhebt dieselbe mit beiden Händen in eine Falte, deren Höhe die
Hälfte der beabsichtigten Schnittlänge betragen muss ; den mit der rech-
ten Hand gefassten Theil der Falte übergibt man einem Gehülfen und
durchschneidet hierauf, indem man das wie einen Geigenbogen gehaltene,
mit dem hintern Theil der Schneide auf die Mitte der Falte aufgesezte
convexe Messer gegen sich zieht , diese in einem Zuge bis auf ihren
Grund ; ist die Falte sehr hoch , so sezt man die Schneide mit ihrem
Spizentheile auf und macht eine doppelte Bewegung von der Spize nach
dem Griffe hin und dann zurück. Die Incision ohne Hautfalten-
bildung ist schmerzhafter, aber sehr oft nothwendig. Man spannt auf
die oben angegebene Weise die zu durchschneidende Partie , fasst ein
gerades spizes Bistouri , sezt seine Spize rechtwinklig zur Körperober-
fläche auf den Anfangspunkt des Schnitts und senkt sie so tief ein , als
der Schnitt werden soll. Dann neigt man es in schiefem Winkel gegen
die Haut und führt es in gerader Richtung und bei einem der Tiefe des
Schnitts angemessenen Druck fort bis zu dem beabsichtigten Endpunkte,
worauf man es wiederum erhebt und in derselben Richtung , in welcher
der Schnitt begonnen wurde , auszieht. — Aehnlich wie die gerade In-
cision macht man auch mehrfache und in andern Richtungen
verlaufende Schnitte. Als allgemeine Regel gilt hier, da.ss man bei
Combination mehrerer Schnitte mit dem leichtesten anfange und bei zwei
über einander liegenden Einschnitten den untern zuerst mache , um nicht
durch das aus dem obern abfliessende Blut gestört zu werden. Die haupt-
sächlichsten Formen dieser zusammengesezten Schnitte sind folgende :
a) der elliptische Schnitt. Man macht ihn da , wo man ein gan-
zes Hautstück entfernen muss. Er besteht aus zwei gebogenen Ein-
schnitten, die an beiden Enden zusammenstossen. Man muss hierbei die
zu durchschneidende Stelle gehörig anspannen , die Schnitte durch per-
pendiculäres Einsezen und Ausziehen des Messers scharf begrenzen und
incision. 479
«•ich hüten , dass sich die Schnitte in ihren Endpunkten nicht kreuzen,
b) Der halbmondförmige Schnitt. Er besteht aus zwei ge-
krümmten Einschnitten , welche verschieden grossen Kreisen angehören
und mit ihren Enden zusammenstossen , übrigens nach den eben angege-
benen Regeln gemacht werden. c) Kreuzschnitt. Man macht ihn,
wenn man einen unter der Haut gelegenen Theil biossiegen, jene aber
erhalten will. Er besteht ans zwei geraden, sich unter rechten Winkeln
durchkreuzenden Schnitten , von denen man einen geraden zuerst macht
und den andern in zwei Hälften bildet , die von den Endpunkten nach
dem ersten Schnitte hingeführt werden. Die vier Lappen trennt man
nach einander bis zu den Endpunkten der Hautschnitte los. Der X-
Schnitt gleich dem Kreuzschnitt, c) Der V-Schnitt besteht aus zwei
geraden Einschnitten, die in einem spizen Winkel zusammentreffen. Man
macht den zweiten Schnitt in der Richtung gegen das Ende des ersteren.
Der Winkel , unter welchem die beiden Schnitte zusammentreffen , kann
verschieden gross sein ; ist er ein rechter , so entsteht dadurch ein L-
Schnitt. e) Der T - Schnitt. Man lässt den zweiten Schnitt auf die
Mitte des ersten fallen. — 2) Incision von innen nach aussen
oder von der Tiefe nach der Oberfläche. Diese macht man dann , wenn
man die Verlezung eines unterliegenden Theiles verhüten und den zu
durchschneidenden während des Schnittes selbst von jenem entfernen will.
Dieser Schnitt sezt eine natürliche oder künstliehe Oeffnung voraus, durch
welche das Messer eingeführt wird ; auch die Scheeren finden hier sehr
oft zweckmässig ihre Anwendung. Man schneidet entweder mit freiem
Messer oder auf der Hohlsonde oder dem Finger ; immer ist dabei die
Schneide des Messers nach oben gerichtet. Mit freiem Messer kann
man auf verschiedene Weise verfahren, a) Das Messer wird durch eine
bereits bestehende Oeffnung in eine Höhle eingeführt, oder wo eine solche
Oeffnung fehlt (z. B. bei einem geschlossenen Abscesse) , sticht man es
rechtwinklig ein , senkt dann sogleich den Griff desselben , so dass die
Rückenseite in schräger Richtung gegen den zu durchschneidenden Theil
steht , und schiebt das Messer rasch fort , indem man mit demselben zu-
gleich die Wandung durchschneidet und nach oben spannt. Am Ende
des Schnitts hebt man den Griff wieder, so dass er in einem Rechtwinkel
zur Schnittfläche zu stehen kommt, b) Man führt das Bistouri, nachdem
auf die eben angegebene Weise eingestochen worden ist , rasch bis zum
entgegengesezten Endpunkte der Schnittlinie , sticht es hier aus , senkt
seinen Griff stark und zieht es mit schräg auf- und rückwärts gekehrter
Schneide gegen sich, c) Man bildet eine Hautfalte, wie oben angegeben,
und stösst ein spizes Bistouri durch die Basis derselben. Indem man
dasselbe auszieht, durchschneidet man die ganze Hautfalte von unten nach
oben. Bei der Lappenbildung verfährt man auf ähnliche Weise, nur dass
man hier die faltenartig erhobenen Weichtfceile von der Basis aus schief
ausschneidet. — Die Hohlsonde oder der Finger schüzen nicht
480 INCISION.
allein die unterliegenden Theile noch mehr gegen das Messer , sondern
sie geben für dieses auch einen Leiter ab , weshalb man diese Incision
gewöhnlich mit ihnen macht. Es muss dabei in den äussern Theilen eine
Oeffhung vorhanden sein , welche unter die zu durchscheidende Partin
führt, und wo diese fehlt, macht man eine mittels -eines Einstichs. Den
Finger benüzt man, wenn es die Grösse der OefTnung zulässt. Auch hier
gibt es mehrere Verfahren , die Trennung zu bewirken, a) Man führt
eine Hohlsonde so weit ein , als der Schnitt sich erstrecken soll. Nun
sezt man die Spize eines geraden Bistouris in die Rinne der Hohlsonde
ein und führt dieses unter einem Winkel von 4 5° bis zum geschlossenen
Ende der Sonde fort , worauf man nach rechtwinkliger Erhebung des
Messers dieses zugleich mit der Sonde aus der Wunde heraushebt.
b) Die Spize der entsprechend weit eingeführten Sonde wird durch Sen-
ken ihres Griffs emporgedrückt , so dass sie die Haut zu einem kleinen
Hügel erhebt. In diesen sticht man ein Bistouri in der Art ein, dass die
Spize desselben in die Rinne der Sonde zu stehen kommt , worauf durch
Fortschieben des schräg gehaltenen Messers gegen den Griff der Sonde
die Theile getrennt werden. Lezteres Verfahren wendet man an, wenn
eine dünne Wandung zu durchschneiden ist, während das vorhergehende
bei der Durchschneidung dicker Weichgebilde seine Anwendung findet.
c) Man führt das Messer bis zum Ende der Hohlsonde ein und führt den
Schnitt entweder durch gleichzeitiges Erheben der ganzen Schnittfläche
aus oder indem man das spize (am besten sichelförmige) Messer an dem
Endpunkte des beabsichtigten Schnitts durch die Haut aussticht und dann
gegen sich zieht. — Benüzt man den Finger als Leiter, so wird auf ihm
ein spizes oder geknöpftes Bistouri flach eingeführt und die zu incidirende
Wandung nach Aufwärtswendung der schräg gestellten Schneide unter
dem Drucke des Fingers und unter gleichzeitigem Fortschieben des Fin-
gers und Messers durchschnitten. Der Schnitt wird wie mit der Hohl-
sonde (a) geendigt. — Die Incision ohne Trennung der Haut
oder der subcutane Schnitt besteht darin, dass ein dünnes schmales
Messerchen, entfernt von dem Orte, wo etwas durchschnitten werden soll,
eingestochen, eine Strecke unter der Haut fortgeführt wird. Diese Ope-
rationsweise, ursprünglich für die Tenotomie erfunden, wird jezt auch an
andern Stellen angewendet, wo man den Lufteintritt verhindern will, z.B.
bei Ganglien etc. Auch gehören hierher die Punktionen bei verschobener
Haut. S. Subcutane Operationen.
Ischias, s. Hüftweh.
KAPSEL- ODER KUEKASSVERBAND. 481
K.
Kapsel- oder KüraSS Verband. Der Gebrauch von Kapseln,
um einem gebrochenen Gliede eine feste unverrückbare Hülle zu geben,
ist schon alt. Petit, der den Apparat als zweckmässig lobt, beruft sich
auf S c u 1 1 e t ; abgebildet findet sich ein solcher bei Heister. Die einen
im Augenblicke leicht herzustellenden Verbände dieser Art bestanden aus
Rinnen, einer obern und einer untern, von Pappe, Kupfer, Weissblech,
welche man durch drei Bänder verband ; die andern , ganz zugerichteten,
bestanden aus Hülsen , die aus einzelnen , durch Charniere verbundenen
Stücken zusammengesezt und im Innern gefüttert waren. Meistens hat-
ten diese Verbände Fenster , um bestehende Wunden verbinden zu kön-
nen. Lafayeliess eine Maschine von Weissblech anfertigen, welche
die ganze untere Extremität mit dem Becken in sich fasste ; sie bestand
aus zwei durch Charniere verbundenen Längenstücken , welche sich unter
dem Gliede platt auslegen Hessen. Um sie für alle Subjecte, grosse und
kleine , benuzen zu können , wurde die Vorrichtung später aus mehreren
Stücken angefertigt, die nach Bedürfniss in einander geschoben oder aus-
gezogen werden konnten. ßonnet construirte eine Maschine , welche
den ganzen Körper von den Achselhöhlen abwärts unbeweglich zu machen
erlaubte ; die Grundlage derselben bestand' zuerst aus Eisendraht , später
aus Pappe , welche über eine Form gemodelt und dann gefüttert wurden.
Mayor Hess für den gebrochenen Unterschenkel zwei blecherne Halb-
kanäle, nachdem dieser durch dicke Compressen umgeben war, zusammen-
löthen. Die neueste Vorrichtung dieser Art endlich ist der Apparat von
Löwenhardt. Er besteht aus zwei, durch ein Drahtcharnier verbun-
denen Halbkanälen von Blech , die übereinander greifen, so dass man die
Kapsel lockerer oder fester anlegen, sie auch dem jedesmaligen Umfange
des Gliedes bequem anpassen kann. Sie ist gefüttert und wird mit drei
Riemen und Schnallen geschlossen. Dieser Verband wird für die obere
und untere Extremität benüzt. Abgesehen davon , dass diese Art von
Verbänden insofern kostspielig und umständlich sind, dass man für jedes
Glied, ja für jeden Verlezten einen besondern Apparat anfertigen lassen
muss , wenn er genau passen soll , so entsprechen sie auch den einfachen
Gesezen der Mechanik nicht und ein Glied wird sich nie in einem Kürass
so befestigen lassen , als durch zwei oder drei Schienen oder durch eine
Schiene, die das Glied zur Hälfte oder zu zwei Drittheilen umgibt. —
Die in der neuesten Zeit in Gebrauch gekommene Guttapercha (s. die-
sen Artikel) gibt ein vortreffliches Material zu einem Kapselverbande ab,
da sie biegsam ist und alle Formen annimmt. Man geht folgendermassen
dabei zu Werke. Man nimmt eine viereckige Guttaperchaplatte von der
Länge des Theils , welchen man damit umgeben will , von einer solchen
Bürger, Chirurgie. Ol
482 KAUMITTEL.
Breite, dass sie zwei Dritt- oder drei Viertheile desselben einzuhüllen ver-
mag, und einer Dicke von 1 — Sll2 Linien nach dem Umfange und der
Stärke des Gliedes. Man erweicht diese Platte durch Eintauchen in sie-
dendes Wasser, legt sie, nachdem der Bruch eingerichtet ist und während
das Glied gut gehalten wird, unter dasselbe, formt sie, indem man sie um
dessen Umrisse herumbiegt, und befestigt sie mit einer Rollbinde, damit
sie ihre Form nicht einbüsst. Hierauf benezt man sie mittels eines in
kaltem Wasser getränkten Schwamms oder einer Compresse, um sie schnel-
ler fest zu machen. Nach Verfluss von einigen Minuten ist dies der Fall ;
man nimmt nun die Binde weg, und damit die Rinne das Glied nicht ver-
lässt, umgibt man das Ganze mit einer hinreichenden Anzahl von Riemen
oder Bändern von Guttapercha von der Breite von zwei Querfingern.
Die Riemen kleben, wenn sie erweicht sind, fest genug an der Rinne an,
um jedes fremde Mittel zur Befestigung entbehrlich zu mächen. Bei der
Abnahme lässt man das Glied in warmes Wasser halten , worauf sich der
Apparat leicht entfernen lässt. — Es ist räthlich, das Glied vor der An-
lage der Guttapercha mit Compressen oder Watte zu umgeben , welche
die Ausdünstungsflüssigkeit aufnehmen, da andernfalls diese, vermöge der
Undurchdringlichkeit der Guttapercha zurückgehalten, einen unerträg-
lichen Gestank annimmt , auch zu Rothläufen , Excoriationen und Aus-
schlägen Veranlassung gibt. — Die Kapsel wird gern beulig.
Karbunkel, s. Carbunkei.
KaUHllttel, Masticatoria. Hierunter versteht man weiche
oder feste arzneiliche Substanzen , welche man kauen oder auch nur in
den Mund nehmen lässt , um verschiedene Zwecke damit zu erreichen.
Man bedient sich derselben nämlich: 1) um die im Munde befindlichen
Organe zu erregen, bei Lähmungen der Zunge und der Lippe, bei chro-
nischen unschmerzhaften Affectionen des Zahnfleisches und der innern
Fläche der Backen , chronischer Anschwellung und gutartiger Verhärtung
der Zunge, der Mandeln und Speicheldrüsen , bei Erschlaffung des Zahn-
fleisches und des Zäpfchens , und wählt dann nach Erforderniss scharfe,
gewürzhafte und adstringirende Substanzen. 2) Als derivatorische Reize,
um die Schleimhaut des Mundes und die Speicheldrüsen zu vermehrter
Absonderung des Schleims und Speichels anzuregen , bei rheumatischen
Kopf-, Zahn- und Ohrenschmerzen , bei nicht entzündlichen Congestionen
nach dem Kopfe, bei chronischem Schnupfen, nicht tuberculösen Anschwel-
lungen der Halsdrüsen. In dieser Absicht gebraucht heissen sie auch
speichelflusserregende Mittel, Sialagoga und mund-
schleimausleerende Mittel, Ap ophlegmati cantia per
os. Hierzu bedient man sich gewöhnlich der scharfen Substanzen. 3)
Um widerliche, von den Organen der Mundhöhle oder der Luftröhre aus-
gehende Gerüche zu verbessern. Hierzu bedient man sich entweder der
feineren Gewürze, welche den üblen Geruch bloss verdecken, oder solcher
KAUTSCHUK. 483
Substanzen , welche die Eigenschaft haben , die Gerüche zu zerstören.
Contraindicirt sind die Kaumittel bei allen acuten und bei allen von eini-
gem Schmerz begleiteten chronischen Entzündungen der Mundhöhle, weil
die Entzündung dadurch gesteigert werden könnte. — Als Kaumittel
werden benüzt : die Arons-, Bertram-, Iris-, Ingwer-, Rhabarberwurzel, die
Stengel der Angelika , der Imperatoria etc. , der Meerrettig , Knoblauch,
das Tabakskraut, die Blätter und Samen mehrerer Pfefferarten , Senfkör-
ner ; an diese scharfen Mittel schliessen sich an : die aromatischen , äthe-
risches Oel haltigen Mittel und aromatische Harze : die Nelken , der
Zimmt, die Wachholderbeeren, der Campher, die Amber, der Mastix etc. ;
tonische und adstringirende Mittel sind : die Chinarinde , die Ratanhia-
wurzel, Drachenblut, der Catechusaft etc. Geruchzerstörende Mittel sind :
der geröstete Kaffee , die Pflanzenkohle , der Chlorkalk. — Alle diese
Mittel werden entweder für sich gekaut , oder wenn sie in Pulverform
sind, gewöhnlich theils allein, theils in Verbindung mit anderen, mitZuk-
ker, Stärkmehl oder Traganth- und arabischem Gummischleim zu Trochis-
cen geformt. Compositionen dieser Art sind :
Rp. Pulv. capsici 5üj Rp- Carbon, sub. 5ij
„ rad. zingib. ^ß Cort. cinnamom. 5j
Sacch. albi Sacch. albi
Mucil. gi. tragacanth. ana ^ß Mucil. gi. tragac. ana ^j.
M. f. Trochisci No. ix. M. f. Trochisci No. x.
Rp. Calcar. chlorat. 5ij Rp- Elaeosacch. cinnamom.
Sacch. albi Rad. angelic.
Mucil. gi. tragac. ana ^j. Sal. ammon. dep. ana.
M. f. Trochisci No. x. Eine Messerspize voll in dem Munde
bis zum Zerfliessen zu halten ;
gegen Zungenlähmung.
Ka.UtSCh.llk, elastisches Harz, Federharz, Resina
elastica, cayennensis, Gummi elastic um, findet sich als
Milchsaft in mehreren Bäumen Brasiliens und Guiana's , wie in S i p h o -
nia Cahuchu, Lobelia CaoutchoucyJatropha elastica
u. A. , ist fest, mehr oder weniger braun , biegsam , sehr elastisch , ge-
schmacklos und im Wasser unlöslich ; es kommt in breiten Stücken und
in Flaschenform zu uns. Es wird zu mancherlei chirurgischen Verband-
stücken benüzt. Man fertigt theils Instrumente aus dem elastischen
Harze an, theils benüzt man es als Lack über solche. Man verfertigt aus
ihm Bougies , Catheter , Klystierröhren u. dgl. Die Flaschen des elasti-
schen Harzes benüzen wir als Injectionssprizen, Milchpumpen, Harnreci-
pienten u. dgl. Vielfach werden auch die Spiralfedern durch Streifen
des elastischen Harzes ersezt , wie in den Nabelbruchbändern. Nur zu
Instrumenten, die einer scharfen Flüssigkeit anhaltend ausgesezt sind, wie
zu Mutterkränzen , taugt es nicht , weil es durch solche zersezt wird. —
31*
484 KLUMPFUSS UND HAND.
In der neuesten Zeit hat man dem Federharz durch Verbindung mit
Schwefel (unter dem Namen des Vulkanisirens) ganz neue Eigenschaften
gegeben , welche es zu neuen Verwendungen in der Chirurgie geschickt
machen. Diese Eigenschaften sind folgende: 1) das mit Schwefel be-
handelte Federharz bleibt bei allen gewöhnlichen Temperaturen elastisch,
während es in seinem gewöhnlichen Zustande bei einer solchen von 4 0° F.
schon ganz starr ist ; das vulkanisirte Federharz wird von keinem bekann-
ten Auflösungsmittel , z. B. Kohlenstoffbisulphurat, Naphtha, Terpentinöl
angegriffen; Hize, die nicht über die Vulkanisirungstemperatur (19 0° F.)
steigt, schadet demselben nicht; 3) es widersteht der Zusammendrückung
ungemein. — Man verfertigt aus dem vulkanisirten Federharze : Schweben
zur Verhütung des Aufliegens, Rollbinden, T-Binden, Scultet'sche Binden,
Arm- und Fussbänder , Gürtel , Kniebinden , Strümpfe, dauernd gefüllte
oder zu füllende Pelotten, Bruchbänder, Pessarien, Luftkissen zum Zurück-
halten von Mastdarmvorfällen, Kissen zu verschiedenen Zwecken, Exten-
sionsapparate, Harnrecipienten, künstliche Milchbrüste etc.
Kleisterverband, s. Papp verband.
KlumpfuSS und Hand. Mit diesem Namen bezeichnet man
Verkrümmungen des Fusses und der Hand , von welchen die des erstem
bei weitem häufiger vorkommen, als die der Hand.
Klumpfuss. Der Fuss kann auf verschiedene Weise verkrümmt
werden, und nach der verschiedenen Richtung, die derselbe einnimmt, be-
legt man die Deformität mit besondern Namen. Ist der Fuss nach innen
gedreht, so bezeichnet man ihn speciell mit dem Namen Klumpfuss,
V a r u s ; findet die Drehung nach aussen statt, so heisst dieser Zustand
Plattfuss, Valgus; ist die Ferse aber so nach hinten und in die
Höhe gezogen , dass die Fusssohle mit dem Unterschenkel eine gerade
Linie bildet, so erhält die Deformität den Namen P f er defus s , Pes
equinus. — Die Verkrümmungen der Füsse sind in den meisten Fällen
angeborne Uebel, seltener bilden sie sich im Laufe des Lebens. Im ersten
Falle werden sie durch eine Retraction der Muskeln erzeugt, im zweiten
dagegen sind sie das Resultat verschiedener Krankheiten , welche auf die
Muskeln wirken , diese entweder contrahiren oder paralysiren , oder ver-
schiedener Gelenk- oder Knochenkrankheiten. — 1) Der Klumpfuss,
Knollfuss, Talipes varus, ist diejenige Deformität des Fusses, wo
derselbe so um seine Längenachse gedreht ist , dass die Fusssohle mit
dem Unterschenkel mehr oder weniger perpendiculär und nach hinten und
innen gerichtet ist, der äussere Rand des Fusses sich nach unten, der in-
nere hingegen sich nach oben gedreht hat, und die in die Höhe gezogene
Ferse und Zehen einander sich so nähern , dass der nach aussen stehende
Fussrücken convex geformt wird , und die Zehen bei einem hohen Grade
und wenn beide Füsse Klumpfüsse sind, einander gegenüberstehen. Die
Fusssohle zeigt sich gefaltet, der Malleolus internus ist verschwun-
KLUMPFUSS UND HAND. 485
den, der extern us erscheint mehr nach hinten gerückt, auf dem Rücken
des Fusses bemerkt man eine starke Hervorragung , durch den Kopf des
Astragalus gebildet , am äussern Fussrande eine hornartige Verhärtung,
die Achillessehne ist sehr stark angespannt, die Wade fehlt beinahe ganz,
die Extremität leidet gewöhnlich an Atrophie, die Kniee stehen auswärts,
die Kniekehlen einwärts, die Füsse erscheinen sehr verkürzt. Die Exten-
sion und Flexion des Fusses ist aufgehoben , die Ab- und Adduction nur
in geringem Grade möglich. Die Knochen der Fusswurzel sind nach dem
Grade der Verkrümmung mehr oder weniger aus ihrer gegenseitigen Be-
rührung gewichen. Das Os naviculare, cuboideum, der C a 1 c a -
neus und Astragalus sind dabei gewöhnlich um ihre kleinere Achse
gedreht. Manchmal wird auch eine wirkliche organische Verbildung der
Knochen beobachtet. Der Bänderapparat der Fusssohle und des innern
Fussrandes , ebenso die Fascia plantaris, zeigt sich verkürzt , der
des Fussrückens und des äussern Fussrandes ausgedehnt. Die Muse.
gastroenemii, der M. soleus, tibialis posticus und anti-
cus, plantaris, flexor longus digitorum pedis, abduetor
hallucis,transversalis pedis, flexor brevis digiti m i -
nimi, flexor longus und brevis h a 1 1 u c i s erscheinen verkürzt.
Es besteht dabei Atrophie dieser Muskeln und vorzüglich des Soleus
und der Gastroenemii. — An der Stelle des Auftretens findet sich
ein neugebildeter Synovialsaek ; in den niedern Graden liegt er auf dem
Calcaneo-Cuboidalgelenk , in den höhern zwischen dem Kopf des Astra-
galus und dem äussern Knöchel. Ein mit Varus Behafteter hat einen
humpelnden Gang, er schwankt von einer Seite zur andern, balancirt und
rudert mit den Armen, und tritt hart auf. — Ursachen. Der an ge-
bor ne Klumpfuss ist die Folge einer überwiegenden Thätigkeit der Beuge*-
muskeln des Fusses ; die in den Knochen vorhandenen Veränderungen sind
als seeundäre Erscheinungen zu betrachten. Diese Form des Klumpfusses
ist diejenige, die am häufigsten angeboren vorkommt ; alle kleinen Kinder
haben Anlage dazu , man kann die Sohlen bei ihnen mit Leichtigkeit an-
einander legen. — Der nach der Geburt entstehende Klumpfuss kann
durch verschiedene Ursachen bedingt werden , wie Verlezungen und Ge-
schwüre der Füsse, wodurch der Kranke genöthigt wird, mit dem äussern
Fussrande aufzutreten ; ferner Verkürzung der Wadenmuskeln durch Ent-
zündung oder Atrophie , spasmodische Beschwerden in der ersten Kind-
heit, Contractur der Aponeurosis plantaris, Lähmung der Schien-
beinnerven. — Prognose. Sie richtet sich nach den Graden und
Complicationen des Uebels. Günstig ist sie noch da , wo die Krankheit
nur in den Muskeln und Sehnen ihren Siz hat und die Knochen ihre nor-
male Form noch nicht verändert haben, was namentlich bei Kindern , die
noch nicht gehen, der Fall ist ; ferner wenn die verkürzten Muskeln nicht
zu hart und angespannt , die verlängerten hingegen nicht ganz gelähmt
und zu sehr gedehnt sind , wenn der Kranke noch fern vom Alter der
486
KLUMPI'TPP UND HAND.
Mannbarkeit ist und der Körper nicht an andern , vornehmlich dyscrasi-
schen Krankheiten leidet. Sehr ungünstig ist die Prognose bei bestehen-
der Ankylose der Fusswurzelknochen. — Behandlung. Diese hat die
Aufgabe, die gerade Richtung des Fusses und den natürlichen Antagonis-
mus der Muskeln wieder herzustellen. Dieser Zweck wird theils durch
mechanische Vorrichtungen in Verbindung mit dynamischen Mitteln, theils
und hauptsächlich durch ein operativ-chirurgisches Verfahren mit Unter-
stüzung von mechanischen Vorrichtungen erreicht. — Vor allem hat man
dem Fusse seine gerade Stellung wieder zu geben, was am besten mit den
Händen geschieht ; alle Streckmaschinen dürfen nur Nachahmungen dieser
sein und sind nothwendig, weil die Hände den erforderlichen permanenten
Druck nicht ausüben können. Die Manipulationen werden z. B. bei
einem Varus linker Seite auf folgende Weise ausgeführt : man ergreift
mit der rechten Hand die Ferse so , dass die vier lezten Finger das hin-
tere Ende des Calcaneus nach aussen ziehen , während der Ballen des
Daumens die nach aussen abgewichenen Fusswurzelknochen nach innen
drückt , zugleich aber die ganze Hand die Ferse nach unten zieht. Die
linke Hand wird so über den Fussrücken angelegt , dass die vier lez-
ten Finger den Innenrand nach unten rollen und zugleich die Fussspize
nach aussen ziehen, während der Daumen ebenfalls den Gegendruck macht
und die ganze Hand die Fussspize der vordem Fläche des Unterschenkels
nähert. In den leichteren Graden hält man den Fuss zwischen den Ma-
nipulationen durch einen Verband in der gegebenen Lage , wozu sich der
von Brückner ganz gut eignet. Derselbe wird mit einem langen vier-
eckigen, nach Art eines Halstuchs zusammengelegten Stück Leinwand aus-
geführt. Dieses Tuch wird unter der Wade angelegt, das längere Ende
um die Knöchel, von aussen nach innen über den Rücken des Fusses und
die Mitte des innern Fussrandes, über die Sohle nach aussen geführt und
durch gehöriges Anziehen der Fuss nach aussen gebogen ; die Tour wird
wiederholt, dann der Zipfel des Tuchs vom äussern Fussrande schräg nach
aufwärts gegen den obern geführt , beide mit einem Packknoten auf dem
Fussrücken vereinigt , um die Knöchel herumgeführt und zusammenge-
knüpft. Dieses Tuch wird täglich ein oder zwei Mal angelegt, neben den
Manipulationen warme Bäder gebraucht und in die verlängerten Muskeln
stärkende, in die verkürzten erweichende Einreibungen gemacht, Statt
dieser Binde kann man auch Heftpflasterstreifen benüzen , die man wie
diese anlegt ; sie verrücken sich weniger , als die Binde. Noch vorteil-
hafter ist nach W. Lyon die Einwicklung des Fusses bis zum Knie mit
einer Binde von Guttapercha ; die erkaltete Binde hält den Fuss in der
ihm gegebenen normalen Richtung fest ; alle zwei Tage wird sie frisch
angelegt. Dieser Verband erweist sich auch nach gemachtem Sehnen-
schnitt als brauchbar. — Ausser den genannten Verbänden sind eine
Reihe von Maschinen erfunden worden, unter denen die von Scarpa und
Delpech als die brauchbarsten zu bezeichnen sind. Die Anwendung
KLUMPFUSS UND HAND. 487
von Maschinen bat aber seit der Einführung des Sehnenschnitts eine
grosse Beschränkung erfahren ; sie werden fast nur noch zur Nachkur
bonuzt. Nur in folgenden Fällen muss man von den Maschinen Gebrauch
machen , ohne den Muskelschnitt als Einleitung zur Kur zu betrachten :
a) in den Fällen , wo eine Erschlaffung der Bänder die Ursache ist , dass
das Kind anfängt, mit der äussern (oder innern) Kante des Fusses aufzu-
treten, während der Fuss wohlgebildet ist ; hier verhindert nur das Tragen
einer Maschine die Bildung eines wirklichen Klumpfusses ; b) wo eine
rhachitische Verkrümmung im Fussgelenke die Schuld trägt ; c) in den
Fällen, wo eine Lähmung einzelner Muskeln Veranlassung ist, dass die Ant-
agonisten das Uebergewicht erhalten. Man hat zwar auch hier gehofft,
durch den Muskelschnitt die Lähmung zu heben, doch gewinnt man durch
denselben wenig , und man kommt durch stärkende Einreibungen , kalte
Douche und Manipulationen , durch die Anwendung des Electro-Magne-
tismus und durch die Benuzung zweckmässiger Vorrichtungen ohne ihn
ebenso weit. — Guerin und Dieffenbach haben dasUmgiessen des
Fusses mit Gyps mit vielem Erfolge in Anwendung gebracht , nachdem
demselben vorher so viel als möglich seine gerade Stellung wieder gegeben
war. Ueber das Verfahren dabei s. den Art. Gypsverband. Eine
sehr kräftige Extensionsmaschine, sowohl ohne als nach gemachtem Sehnen-
schnitte anwendbar , hat Strom eyer angegeben. Derselbe hat auch
die S c a r p a ' sehe Maschine (S c a r p a ' s Schuh) vereinfacht ; er wendet
sie am Schlüsse der Kur , namentlich nach vorausgegangener Tenotomie
an. Von Eoss wurde diese Maschine wiederum einer Modifikation unter-
worfen, welche eine weniger drückende Befestigung bezweckt. — Bei dem
Varus macht sich vor Allem die Durchschneidimg der Achillessehne noth-
wendig ; je nach dem Grade und der Art der Klumpfüsse müssen aber
auch oft noch besonders der Tibialis posticus, die Plantaraponeu-
rose und der Flexor hall u eis durchschnitten werden , theils wegen
ihrer Spannung, theils wegen ihrer auch nach der Durchschneidung der
Achillessehne fortbestehenden Contractur. Behufs der Durchschneidung
der leztern kniet der Kranke auf einem Polsterstuhle; der Unterleib stüzt
sich gegen die Lehne des Stuhles und die Füsse sind dem Lichte zuge-
kehrt. Ein Gehülfe lässt sich neben dem zu operirenden Fusse auf ein
Knie nieder , umfasst mit der einen Hand den Fuss , die andere legt er
oberhalb der Knöchel um das Glied, unterstüzt dasselbe durch sein Knie,
welches eine feste Unterlage bildet und spannt, indem er den Fuss in die
normale Lage zu bringen sucht , die Achillessehne möglichst stark an,
welche dann als ein harter Strang dicht unter der Haut zu fühlen ist.
Die geeignetste Stelle zur Durchschneidung ist etwas oberhalb der Knö-
chel ; bei Erwachsenen gewöhnlich 1 Zoll , bei Kindern Y2 Zoll darüber.
Ueber die Operation selbst s. subcutane Operationen. Die ortho-
pädische Nachbehandlung nach dem Sehnenschnitte darf erst dann be-
ginnen , wenn alle Reaction an dem Orte der Operation aufgehört hat.
488
KLUMPFCSS UND HAND.
Es muss also die Hantwunde geheilt sein, keine Röthe mehr in der Gegend
sich zeigen , keine Anschwellung stattfinden und ein leichter Druck nicht
stechende Schmerzen verursachen ; dann erst lege man die Maschine an,
das eingewickelte und schon dadurch etwas geregelte Glied wird überall,
wo ein Druck der Maschine oder der Riemen unvermeidlich ist, mit Watte
umgeben, die Gurten und Riemen werden schwach angezogen, das Fass-
brett wenig elevirt und sehr langsam werde mit dem Eleviren desselben
und der Extension durch den Apparat fortgefahren, um der zwischen den
Sehnenenden neugebildeten fibrösen Masse allmälig die Länge zu geben,
welche dem Muskel fehlt. — 2) Der Plattfuss, T a 1 i p e s v a 1 g u s ,
ist eine dem Klumpfusse entgegengesezte Missstaltung ; es ist nämlich der
Fuss nach aussen abgewichen, aber ohne wirkliche Verdrehung, dabei
ragt der innere Knöchel stark hervor, steht tiefer, und unter dem äussern
ist eine mehr oder minder tiefe Aushöhlung bemerklich ; der Fussrüeken
hat seine natürliche Wölbung und dieFusssohle ihre Aushöhlung verloren.
Die Körperlast ruht besonders auf der Verbindung zwischen Astragalus
und Os naviculare, und die Erschlaffung der Bänder dieser Articu-
lation ist es , welche dem Valgus den Plattfuss beigesellt. Im höchsten
Grade werden die Fusswurzelknochen so ausgetreten, dass der innere Rand
des Fusses einen Bogen bildet , dessen Convexität nach innen gerichtet
ist. Die Bänder an der innern Seite und der Sohle sind dann ausge-
dehnt, die an der äussern Seite retrahirt ; sie verdicken und verharrschen,
so dass zwischen den einzelnen Knochen die Beweglichkeit aufhört. Der
Muse, extensor digitor. pedis, der Extenso r hall u eis pro-
p r i u s , der Tibialis anticus und die MM. peronaei sind ver-
kürzt. Der Kranke geht auf dem innern Fussrande, wobei die Knie nach
innen, die Füsse nach aussen gerichtet sind. Der Gang igt sicher , aber
etwas wiegend, nicht hart, kann aber nur auf kurze Strecken ohne Schmer-
zen fortgesezt werden, indem die Körperlast bei jedem Tritt auf die Ner-
venstämme der Sohle drückt. — Ursachen. Der Valgus, welcher fast
immer beide Füsse betrifft , scheint öfter paralytischer Natur zu sein als
der Varus und ist wohl immer ein acquirirter Zustand. Es liegt ihm eine
Atonie und Erschlaffung der Palmaraponeurose und der Ligamente zu
Grunde , welche die Tarsalknochen unter einander und mit den Knochen
des Unterschenkels verbinden. — Behandlung. In den niedern Gra-
den des Valgus (Pes planus) zeigt sich eine stärkende Behandlung von
Nuzen, eine kräftige Nahrung, eisenhaltige Mineralwasser, See- und Sool-
bäder, Fussbäder von Eichen-, Ulmenrinde, stärkende Einreibungen, kalte
Fussbäder und Einwicklung des Fusses mit einer mit Weingeist benezten
Binde. Dabei lässt man Schnürstiefeln tragen , die innen mit starkem
Leder besezt sind. In den höhern Graden des Uebels kommen dazu noch
stark ableitende Mittel, wie Vesicatoren , Einreibung der Brechweinstein-
salbe und selbst die Anwendung des Glüheisens an den innern Fussrand.
Lonsdale lässt die Kranken ein allmälig dicker werdendes Stück Kork,
KLÜMPFUSS UND HAND. 489
welches vorzüglich zwischen den Astragalus und die Keilbeine drückt , so
lange tragen, bis der Bogen des Fusses wieder hergestellt ist ; damit gehen
die Kranken herum. In schwierigen Fällen benüzte er hierzu ein Polster,
wobei der Patient liegen bleibt. Heller wendet eine Maschine an , an
welcher eine an dem Fussrande des Fussbrettebens in horizontaler Rich-
tung angebrachte Pelotte anhaltend und unter allmäliger Verstärkung auf
den innernRand des Fusses drückt. — Wenn die Sehnen der drei Waden-
muskeln und des Extensor digitörum communis pedis bedeu-
tende Resistenz darbieten , so müssen sie durchschnitten , der Fuss dann
eingewickelt und an die vordere Fläche des Unterschenkels über den Fuss-
rücken fort eine gepolsterte Schiene gelegt werden , welche mit einer ge-
stärkten Binde angedrückt wird und den Fuss in der Stellung eines Pferde-
fusses erhält. — 3) Der Pfer d efuss , Spizfuss, Pesequinus,
ist diejenige Deformität des Fusses , wobei der ganze Plattfuss mit dem
Unterschenkel eine und dieselbe Richtung hat , die Ferse stark in die
Höhe gezogen ist und der Kranke beim Gehen nur vorn mit dem Ballen und
den Zehen auftritt. Die Achillessehne ist stark angespannt und der Fuss
erscheint durch die starke Flexion zugleich so gekrümmt , dass die Con-
vexität des Rückens und die Concavität der Sohle bedeutend zugenommen
haben. Die starke Contraction der Wadenmuskeln widersezt sich der
Beugung des Fusses. — Der Pferdefuss zeigt sich unter dreierlei Formen :
bei der einfachen Form ist der Vorfuss in gerader Richtung ausgestreckt;
als eine zweite Form ist diejenige zu bezeichnen, wo der Pferdefuss
zugleich einwärts gezogen ist (Talipes e qui no - var u s) , und als die
dritte diejenige , wo der Fuss auswärts steht (Talipes equino-val-
gus). Bei den zwei lezten Formen hat das Fussgelenk eine Deformität
erlitten. — In Folge der starken Erhebung der Ferse tritt beim Pferde-
fuss die Tibia mehr hinterwärts an den hintern Theil des Calcaneus und
verlässt zum Theile die für dieselbe bestimmte Articulationsfläche des
Talus ; dadurch erleidet dieser und die Tibia eine Veränderung in ihren
Flächen in der Weise , dass sie nicht mehr conform sind. Die untern
Flächen der Fusswurzelknochen rücken näher zusammen , die obern wei-
chen dagegen auseinander , wodurch der stark gewölbte Fussrücken ent-
steht. — Ursachen. Der Pferdefuss kann angeboren und erworben
sein. Seine nächste Ursache besteht in der Verkürzung der Wadenmus-
keln, öfters sind aber auch die MM. plantaris, tibialis posticus
und peronaeus in Mitleidenschaft gezogen. Veranlassung zur Ent-
stehung dieser Verkrümmung geben : Wunden und Geschwüre an der Ferse,
wodurch der Kranke genöthigt wird , mit dem vordem Theil des Fusses
aufzutreten ; ferner krankhafte Affectionen der Fusswurzelknochen , der
Wadenmuskeln, wie z. B. Krampfund Entzündung, endlich widernatür-
liches Angezogensein des Unterschenkels an den Oberschenkel. — Pro-
gnose. Der Pferdefuss gestattet, wenn der Kränke jung ist und noch
keine organischen Veränderungen bestehen, eine gute Prognose ; er ist in
490 KLUMPFÜSS UND BAND«
höheren Graden so leicht heilbar, als ein leichter Varas. — Behand-
lung. Diese hat die Aufgabe, die Ferse herab und den Vorderfuss in
die Höhe zu bringen. Gegenwärtig verliert man mit den Maschinen, wie
solche von Scarpa, Jörg und L a n g e n b e c k angegeben wurden,
seine Zeit nicht mehr , um diesen Zweck zu erreichen , sondern man übt
den Sehnenschnitt aus, welcher beim Pferdefuss die günstigsten Resultate
liefert. Die Sehnen betreffend , welche durchschnitten werden müssen,
so ist es vor Allem die Achillessehne, deren Durchschneidung nothwendig
ist, und bei dem einfachen Pferdefuss, so wie bei dem T al ip es equino-
valgus genügt diese Durchschneidung auch, wogegen bei dem Talipes
equino-varus neben der Trennung der Achillessehne nicht selten auch
die des Tibialis anticus und p o s t i c u s , und in Fällen des höch-
sten Grades auch eine Theilung der Plantarfascie sich nöthig macht.
Mittels einer der obengenannten Maschinen oder auch der Stromeyer'-
schen gelingt es leicht, dem Fusse seine natürliche Stellung zu geben und
ihn in dieser bis zur Heilung zu erhalten. — Noch niuss einer seltenen
Art von Fussverkrümmung gedacht werden, bei welcher der Fuss eine der
vorigen entgegengesezte Richtung annimmt und welcher man den Namen
Talipes calcaneus beigelegt hat. Diese Species besteht in einem
Hinaufziehen des Vorfusses , erzeugt durch Verkürzung und Contraction
des Extensor communis, des Tibialis anticus, des Exten-
sor hallucis longus, des Peronaeus tertius und der Plantar-
fascie ; der Bogen des Fusses ist sehr verstärkt, das Fersenbein den Zehen
genähert, und beim Gehen berührt nur das hintere Ende des Fersenbeins
den Boden. Man beobachtet zuweilen eine Complication mit Valgus
(Talipes c a 1 c a n e o - v a 1 g u s). — Das Uebel kommt angeboren und
erworben vor. Im ersten Falle besteht keine Paralyse der Wadenmuskeln,
im leztern ist eine solche dagegen immer vorhanden. Bei dem Talipes
calcaneo- valgus sind meist die Muskeln der ganzen Extremität pa-
ralysirt und atrophirt. — Bei den angebornen Fällen genügt die Durch-
schneidung des Extensor communis digit pedis und darnach
die Anlegung einer Maschine, welche aus einem horizontalen und perpen-
dicularen Brettchen besteht, die in einem Winkel durch Charniere verbun-
den sind und mittels zweier halbmondförmiger Schrauben einander ge-
nähert oder von einander entfernt werden können. Bei den erworbenen
Fällen durchschneidet man die Plantarfascie und übt einen Druck auf
den Fussrücken aus ; zuweilen wird die Trennung der tieferen Muskeln
nöthig, Bei dem Talipes calcaneo- valgus reicht man immer mit
der Durchschneidung der Plantarfascie aus. Als Nachkur legt man die
eben beschriebene Maschine an.
Klump band, Talipomanus, kommt , wie bemerkt , weder so
häufig , noch auch in so verschiedenen Formen , wie der Klumpfuss vor.
Sie gibt sich durch folgende Zeichen zu erkennen : die ganze Hand ist
flectirt , die Finger sind eingeschlagen und lassen sich nicht öffnen , die
KLYSTIER. 491
Hand kann nicht gebraucht werden und verfällt deshalb nach und nach
in Atrophie. Mit der Flexipn ist entweder beständige Pronation oder
Supination verbunden. — Ursachen. Das Uebel ist entweder ange-
boren oder erworben ; lezteres ist der häufigere Fall ; Fracturen am untern
Ende des Radius, Luxationen , Contusionen und Subluxationen , wie auch
Narben nach Verbrennungen geben hierzu Veranlassung. Dem Leiden
kann jedoch auch Lähmung der Extensoren oder Flexoren der Arm-
muskeln zu Grunde liegen. — Behandlung. Diese muss nach
den verschiedenen Ursachen theils eine dynamische , theils eine mechani-
sche sein. Maschinen zur Streckung der Fland haben angegeben: Hel-
let, Bouvier und Delacroix. Besteht Contraction der Beuger, so
wird die Deformität durch die Tenotomie gehoben. Die zu durchschnei-
denden Muskeln sind hauptsächlich der Palmaris magnus und par-
v u s ; dreht sich, was häufig der Fall ist, die Hand in Folge der Operation
nach ihrem Ulnarrande, so muss auch der Flexor carpi ulnaris
durchschnitten werden , man muss dabei aber die Lage des Ulnarnervens
berücksichtigen. Ist die Wunde geheilt, so muss dem Gliede eine solche
Lage gegeben werden , dass die Theile, die früher durch Contraction ge-
beugt waren, sich in Extension finden. Hierzu benuzt man eine der oben
angegebenen Maschinen. Sie bestehen meist aus einer Hohlschiene von
Eisenblech zur Aufnahme des Vorderarms , und einer beweglichen Hand,
die mittels eines Charniers mit der Hohlschiene verbunden ist.
Klystier, Ciysma, C 1 y s t e r , Clysterium (von xkvteiv,
bespülen, ausspülen), Enema (dasHineingesprizte), nennt man eineEin-
sprizung von tropfbaren oder elastischen Flüssigkeiten in den Mastdarm,
welche entweder bald wieder ausgeworfen oder ganz oder zum Theil auf-
gesaugt, und so unmittelbar in den Strom des Kreislaufs gebracht werden.
Nach den verschiedenen Zwecken, welche man durch solche Einsprizungen
zu erreichen sucht, ist die Quantität und Temperatur der Flüssigkeit ver-
schieden. Soll die Einsprizung eine Darmkothentleerung bewirken , so
darf die Quantität tropfbarer Flüssigkeit bei Erwachsenen nicht unter 8
und nicht über 16 LTnzen , bei Kindern nicht unter 4 und nicht über 6,
bei Neugebornen nicht unter 2 und nicht über 4 Unzen sein. Soll aber
die eingesprizte Flüssigkeit ganz oder theilweise aufgesaugt werden, so
darf die Quantität tropfbarer Flüssigkeit bei einem Erwachsenen nicht 6,
bei Kindern nicht 2 Unzen überschreiten , weil grössere Quantitäten den
Mastdarm zur Contraction und Austreibung des Eingesprizten reizen
würden. Bei elastischen Flüssigkeiten wird die Quantität nach dem Kubik-
inhalt der Sprize oder , wie bei künstlich bereiteten Gasarten , nach der
Capacität des Behälters (gewöhnlich einer Thierblase) gemessen. — Die
Temperatur variirt von 0 \- 3 5° R. ; in der Regel gibt man der tropf-
baren Flüssigkeit eine Temperatur von 2 8 — 3 0°; nur adstringirende Kly-
stiere werden zu niedern Graden gegeben. — Bei der Anwendung des
492
KLYSTIER.
Klystiers muss der Kranke auf die linke Seite gelegt werden, das Becken
muss höher als der Stamm liegen und der Körper etwas gekrümmt wer-
den , um die Bauchmuskeln zu erschlaffen. Man bringt die mit Oel be-
strichene Kanüle nach der Richtung des Mastdarms vorsichtig und sanft,
jedoch nicht, zu tief ein und sprizt nun die Flüssigkeit , wahrend der
Kranke den Athem an sich hält, langsam und gleichmässig ein. — Nach
der Wirkung der Klystiere kann man folgende Arten unterscheiden : 1 )
einfache, 'gelind eröffnende Klystiere, Clysmata sim-
plicia, aperientia; sie werden angewendet, wo man einmal Oeffnung
herbeiführen will , oder bei grosser Trockenheit des Darmkanals. Man
nimmt dazu entweder einfaches Avarmes Wasser mit Milch, Honig, Zucker
versezt , oder Kleienabsud , Molken , sezt diesen Flüssigkeiten auch wohl
etwas Oel zu ; bei Blähungskrankheiten Aufgüsse von Kamillen , Anis,
Kümmel ; bei hizigem Fieber versezt man diese Flüssigkeiten mit Salpeter
(5j) oder Sauerhonig (5J). 2) Stark eröffnende, abführende
Klystiere, Clysmata eccoprotica, laxantia; diese reizen den
Mastdarm und per consensum den ganzen Darmkanal zur Contraction
und Austreibung seines Inhalts , und werden gebraucht , wenn die gelind
eröffnenden Klystiere den Zweck nicht erfüllen, oder wenn die abführen-
den Mittel im Magen nicht ertragen werden oder durch den Mund nicht
beigebracht werden können. Bei hartnäckigen Verstopfungen schickt
man passend ein einfaches Klystier voraus. Man bereitet sie gewöhnlich
aus Kamillenaufguss oder Hafergrüzenabkochung , welchen man entweder
laxirende Salze, wie Polychrestsalz, Glaubersalz, Bittersalz, Kochsalz (5vj
— 5iß), oder Manna (^j — ij), Aloe (5j) , Ricinusöl (^ß — ij), Tamarin-
denmark (sjj — ij ) , versüsstes Quecksilber und meistens auch etwas fettes
Oel zusezt ; oder aus einem Aufguss von Sennesblättern (ex 5vj — ^j)
oder Jalappen wurzel (ex 5l — 5üj)- 3) Die stopfenden Klystiere,
Clysmata obstipantia, welche den Stuhlgang hemmen sollen , be-
stehen gewöhnlich aus einem Absude von 5ß — 5j Salepwurzel auf ^x — xij,
mit einem Zusaze von 5j — ij Amylum. In dringenden Fällen kann man
auch noch etwas Ipecacuanha aufgiessen , und sezt den heissen Absuden
noch 5j heisses Wachs , und bei grosser Empfindlichkeit und Stuhlzwang
etwas Opiam. bei. 4) Reizende Klystiere, Clysmata irritan-
t i a. Mit diesen bezweckt man eine kräftige Erregung der trägen peri-
staltischen Bewegung der Därme und eine reichliche Absonderung der
Darmfeuchtigkeiten , besonders des Mastdarms. Sie werden theils als
Erweckungsmittel bei verschiedenen Arten des Scheintods, theils als anta-
gonistische, derivirende Reize auf den Darmkanal, bei manchen Vergiftun-
gen, Gehirnkrankheiten , wie Blutsehleimflüsse, Kopfverlezungen , Säufer-
wahnsinn, theils als kräftig eröffnende Mittel bei hartnäckigen Verstopfun-
gen ohne Entzündung gebraucht. Man bereitet sie entweder aus Kamil-
lenaufguss oder Hafergrüzenabkochung, welchen man Weinessig (^j — ij),
namentlich bei narkotischen Vergiftungen, Neutralsalze, Kochsalz, Glauber-
KLYSTIER. 493
salz, Bittersalz (^j — ij), Salmiak ^ß — j), Brechweinstein (gr. j — vj),
bei narkotischen Vergiftungen, Delirium tremens, Seife (5j — üj),
Brechwurzelpulver (*)j — 5j) zusezt , oder aus einem Aufgusse von Ta-
backsblättern (ex 5ß — 5^)- Leztere erregen auf eigentümliche Art
den Motus peristalticus, während sie auf die willkürlichen Muskeln
eine abspannende Wirkung äussern , und werden daher bei Scheintod
durch Unterdrückung des Kreislaufs, wie Ertrunkenen, Erhängten, durch
Kohlendampf Erstickten , bei Schlagfluss , Vergiftungen durch Opium,
Säuferwahnsinn, und bei einigen Arten von Krämpfen, wie Krampf- und
Windkolik aller phlegmatischen Personen , die zugleich an Verstopfung
leiden, bei hartnäckigen Krämpfen der Harnblase und der Harnröhre und
daher rührenden Dysurien und Ischurien, beim Wundstarrkrampf, wo sie mit-
tels einer elastischen Röhre über die Flexura iliaca hinaufgebracht
werden müssen, mit mehr oder weniger gutem Erfolg gebraucht. Am häufig-
sten wendet man sie bei Brucheinklemmungen an, wo sie aber nur bei Koth-
einklemmungen nüzlich sind , bei entzündlichen Einklemmungen vor der
Taxis aber immer schaden, nach dieser aber wieder angezeigt sind, weil
der Motus peristalticus durch die Entzündung unterdrückt ist.
Der Tabaksrauchklystiere bedient man sich selten mehr, weil die Quan-
tität des dazu verbrauchten Tabaks sich nicht genau bestimmen lässt. —
5) Lindernde, einhüllende, erweichende, erschlaffende
Klystiere, Cl. lenientia, demulcentia, involventia, emol-
lientia, relax antia. Ihre Wirkung erstreckt sich nicht blos auf
die Schleimhaut des Mastdarms, sondern da sie aufgesaugt werden, auch
auf alle Unterleibsorgane und selbst auf den ganzen Organismus. Sie
passen daher nicht allein bei Entzündungen und entzündlichen Reizungen
des Mastdarms , wie Tenesmus , Hämorrhoidalschmerz , sondern auch bei
ähnlichen Leiden des ganzen Darmkanals und der übrigen Unterleibs-
organe , Diarrhoen , Ruhren , Kolik , Strangurie , Nierenschmerzen etc.
Man bereitet sie aus verschiedenen Schleim- und ölhaltigen Substanzen,
besonders aber Kuhmilch , Abkochung von Hafergrüze , Gerstengraupe,
Malz , Leinsamen , Eibischwurzel , Salepwurzel , Stärkmehl , arabischem
Gummi , Eigelb und sezt denselben nach Erforderniss ein fettes mildes
Oel bei. Da sie aufgesaugt werden sollen , dürfen sie nur zu kleinen
Quantitäten gegeben werden. Formel: Rp. Herb. malv. conc,
Flor, chamomill., Sem. lini contus. ana ^ij, c o q. Lact.
vaccin. ^xvj, c o 1. 5xij adde Ol. lini sjjiv. M. S. zu 2 Klystieren.
— 6) Beruhigende, schmerzstillende Klystiere, C 1.
sedantia, sopientia, anodyna. Sie zerfallen in narkotische
und krampfstillende. Die narkotischen bereitef man hauptsächlich
aus einer schleimigen Abkochung und sezt denselben Tinct. opii
0ß — j) oder Extr. opii aq. (gr. ij — iij) oder Extr. belladon.
0ß — 5ß), Extr. hyoscyami Qß — 5j) zu, oder aus einer Ab-
kochung von Mohnköpfen (ex 5ij — üj) oder aus einem Aufguss von
494 KLYSTIER.
Herb. s. Radix belladonnae (ex *)ß — 5ß), Herb, hyoscyam.
(ex *)j — 5ß)- Man gebraucht sie hauptsächlich bei Entzündungs-
schmerzen in den Beckenorganen, entzündlichen Brucheinklemmungen,
beim Ileus, bei krampfhaften Stricturen des Mastdarms, des Blasenhalses
und der Harnröhre, bei krampfhaften Beschwerden der Unterleibsorgane,
bei Vergiftungen mit organischen Giften (Strychnin, Opium), überhaupt
auch in allen Fällen, wo Narcotica angezeigt sind , diese aber durch den
Mund nicht beigebracht werden können. Zu bemerken ist, dass die narkoti-
schen Mittel, durch Klystiere beigebracht, ihre Wirkungen schneller und
deutlicher äussern, als vom Magen aus, und ist daher beim Gebrauche der-
selben die grösste Vorsicht zu empfehlen. — Die krampfstillenden
Klystiere, Cl. antispasmodica passen bei rein krampfhaften
Affectionen der Brust- und Unterleibsorgane und Störungen des Nerven-
lebens in der Brust- und Bauchhöhle. Gewöhnlich nimmt man ein
Infus, flor. chamom. mit Haferschleim , von jedem 3 Unzen, löst
darin 5j — ij Asa foetida auf und sezt ^j Leinöl zu. Auch passt
folgende Formel : Rp. Rad. valerianae ^ij, Fol. aurant., Herb,
millefol., Flor, chamom. ana 5j, in f. a q. ferv. ^ij, col. ^xvj
adde Gummi asae foetid. 5üj, Ol. lini ^ij M. S. Zu 3 Kly-
stieren. Gegen die Bleikolik: Rp. Ol. nuc. jugland. ^J3, Vini
rubri ^j. M. Beim Ileus und Volvulus ist ein Absud der gebrannten
Kaffeebohnen (ex 5ij — ^ß) empfohlen. Bei krampfhaften, schmerz-
haften Hämorrhoidaibeschwerden im Mastdarm und bei Verdickung des-
selben rühmt Kopp. : Merc. dulc. gr. j — iv, Gummi arab. ^ß,
Aq. valerianae ^jß M. exact. S. Zu 1 Klystier. — Tabaks-
klystiere , in Absicht auf die lähmende , muskelabspannende Eigenschaft
des Tabaks , bei Krampf koliken , krampfhaften Ischurien und Dysurien,
krampfhafter Brucheinklemmung, beim Tetanus. — 7) Flüchtig
reizende Klystiere, Cl. Stimulantia. Sie äussern ihre mehr
oder weniger energische Wirkung zuerst auf den Dickdarm und die
andern Unterleibsorgane und secunclär auf den ganzen Organismus.
Da sie aufgesaugt werden, dürfen sie nur in kleinen Quantitäten gegeben
werden. Die Mittel , welche hier in Gebrauch kommen , gehören den
weingeistigen und ätherisch-öligen an, welche einem einfachen Vehikel
zugesezt werden. Die ersteren gebraucht man bei grosser Schwäche in
typhösen Fiebern , wenn sie durch den Mund nicht beigebracht werden
können oder im Magen nicht ertragen werden. Man benuzt dazu Alko-
hol und weingeistige Tincturen (5j — §ß) , Aetherarten Qj — 5j).
Die ätherisch öligen Mittel zieht man in Nervenfiebern und Neuralgien,
besonders der Lenden- und Hüftnerven in Gebrauch. Man verwendet
dazu Campher Qj — 5j), Terpenthinöl (§ß — j) mit Eigelb oder ara-
bischem Gummischleim abgerieben. 8) Die balsamischen Klystiere,
Cl. balsamica, bei Leiden der Schleimhäute , wie Leucorrhoe, colli-
quativen Diarrhoen , Darmschwindsucht und Geschwüren , Tripper ange-
KLYSTIER.
495
wendet , bereitet man aus Terpenthin , Copaivabalsarn in folgender Zu-
sammensezung : Rp. Terebinth. 5üj, Meli. crud. ^j, Vit eil.
ovor No. y|, Inf. flor. chamom. ^iv. — Rp. Bals. copaiv.
5ij — 5vj, V i t e 1 1. o v. No. j, Extr. o p i i g r. j. D e c o c t. avenae
excortic. ^iv. M. — 9) Tonische Kly stiere, Cl. tonicas.
tonotica. Man gebraucht sie bei Gekrösschwindsucht, bei Schwäche-
zustand nach hizigen Fiebern , bei Wechselfiebern , besonders wenn der
Magen -die China nicht erträgt. Man bereitet sie aus Abkochungen von
Rad. gentianae, Hb. centaurei,millefolii, cort. chinae,
Chinapulver in einer Flüssigkeit suspendirt , und von Chinin ; z. B.
Rp. De co ct. cort. chinae ex 5ij par. ^iij, Tinct. opii sirnpl.
5j\ Mucilag. g. arabic. ^ß. M. — Rp. Chinin, sulphur. 5jr
Mucilag. g. arab. 5J, A q. de s t i 1 1. sp 1. 5ijß. M. ~ 10) A d-
stringirende Kly stiere, Cl. adstringentia. Diese dürfen
ihrer Natur nach nur in einer Temperatur von wenigen Wärmegraden,
und weil sie eingesaugt werden sollen , in geringer Quantität gegeben
werden. Man gebraucht sie bei Blutungen aus dem Mastdarm , bei ato-
nischen Hämorrhoiden, Erschlaffung des Mastdarms, daher bei Prolapsus
ani , Blähungsbeschwerden ohne entzündliche Reizung, bei hartnäckigen
Diarrhöen ohne Entzündung , und bereitet sie aus kaltem Wasser , aus
Abkochungen von Galläpfeln, Eichenrinde , Tormentilla , Ratanhia, Kino
etc. (Rp. Rad. tormentillae, Rad. rat an h-, Cort. quere, ana
^ß, conc. M. f. species. S. Morgens und Abends den 6. Theil mit
2 Weingläsern heisses Wasser angebrüht und gelind gekocht zum Kly-
stier ; bei Mastdarmvorfall) , ferner verdünnten Mineralsäuren , Blei-
wasser ; lezteres ist namentlich bei Brucheinklemmungen empfohlen.
11) A u f 1 ö s e n d e K 1 y s t i e r e, C 1. r e s o 1 v e n t i a. Bei Stockungen
im Unterleibe gebraucht man die sogenannten Visceralklystiere , welche
man aus Auflösungen von Seife , Salmiak , Seignetesalz oder aus Ab-
kochungen seifenartiger und bitterer Pflanzen, wie Rad. saponariae,
taraxaei, graminis, Hb. millefolii, centaurei, cardui
benedicti, fumariae etc. bereitet und denselben nach Bedürfnis^
Asa foetida oder andere Antispasmodica zusezt. Bei hartnäckigen
Drüsenanschwellungen im Bauche gebraucht man Jodklystiere , z. B. Rp.
J o d i i g r. j — ij , Kali h y d r o j o d. g r. x — xv, s o 1 v. in A q. comm.
de still. 5iji3 adde Mucilag. sem. lini^jß. M. S. zu 2 Klystie-
ren : Rp. Tinct. jodinae gtt. xx, Mucilag. sem. 1 i n i ^ij. M. S.
Zu 1 Klystier. Bei Verdickungen der Häute des Mastdarms gebraucht
man auch Klystiere mit M er cu r. d ul c is gr. i — vj. — 12) Fäul-
nisswidrige Kly stiere, Cl. antiseptica. Sie müssen zu
niedrigen Temperaturgraden gegeben werden und zwar applicirt man
Klystiere mit Kohlensäure in Gasform bei fauligen scorbutischen Leiden
des Darmkanals , bösartigen stinkenden Geschwüren , z. B. Krebs des.
Mastdarms, und bei fauligen Fiebern , mit Mineralsäuren (10 — 4 0 Tropfen
496 KNIEGELENKENTZUENDUNG.
auf 1 Klystier) bei drohendem Brande ; mit Citronensaft oder Weinessig
(5ij — 5ß auf 1 Klystier) bei galligen und fauligen Fiebern; mit Silber-
salpeter als umstimmendes Mittel (gr. j — iv auf ^vj Wasser) 'beim
Abdominaltyphus , auch bei Entzündung der Darmschleimhaut. —
13) Wurm widrige Klystiere, C 1. anthelmintica. Man
wendet sie hauptsächlich gegen die Ascariden an und bereitet sie aus Ab-
kochungen scharfer Pflanzen , wie Tabakskraut , Sabadillsamen (5j — ij)
oder bitterer und widrigriechender, ätherisches Oel haltiger Pflanzen-
stoße, wie Herb, absynthii, Rad. filicis, Valeriana e, Semen
tanaceti, aus fettem, etwas scharfem Oel, Oleum ricini, jecoris
as elli etc. — 14) Ernährende Klystiere, C 1. nutrientia.
Man gibt sie in der Absicht , um Nahrungsstoffe in den Körper zu brin-
gen , wenn diese aus irgend einem Grunde nicht in den Magen gebracht
werden können. Man bereitet sie aus starker, ungesalzener Fleischbrühe,
Milch, Gallerte, Sulz, Eigelb, Stärkmehl, Salep u. dgl. — 14) Kly-
stiere aus atmosphärischer Luft. Man wendet sie bei hart-
näckiger Verstopfung, Kotherbrechen, nicht entzündlichen Brucheinklem-
mungen, überhaupt bei Motus antiperistalticus an und benüzt
dazu eine Thierblase oder die Magenpumpe.
Xniegelenkentzündung, Arthrophiogosisgenu, Go-
narthrocace, Tumor albus genu, zeigt alle Formen der
Gelenkentzündung (siehe diesen Artikel), und zwar treten hier die Er-
scheinungen der Entzündung der Bänder und der spongiösen Enden der
Knochen für sich deutlicher hervor , als an den übrigen Gelenken. Der
Verlauf kann acut oder chronisch sein. — Symptome: l) der Ent-
zündung der Bänder. Die acute Form tritt entweder plözlich
auf oder nachdem mehrere Tage Schmerzen in den verschiedenen Ge-
lenken vorausgegangen waren , die sich nun im Kniegelenke fixiren ;
dieses schwillt an , die Geschwulst ist elastisch gespannt , die Haut glän-
zend, zuweilen geröthet. Die Schmerzen, die durch jede Bewegung und
Berührung so wie durch die Bettwärme vermehrt werden , breiten sich
nicht selten über einen Theil des Gliedes aus, ebenso die Anschwellung ;
das Glied zeigt sich manchmal ödematös angeschwollen. Die An-
schwellung des Knies zeigt manchmal eine fluctuirende Beschaffenheit,
wenn durch Affection der Synovialhaut vermehrte Ergiessung in die
Gelenkkapsel statt findet. In höheren Graden ist Fieber zugegen. —
Wird die Entzündung nicht zertheilt , so breitet sie sich auf die andern
Gebilde des Gelenks aus und bringt Vereiterung desselben , Zerstörung
der Knorpel und der Gelenkenden der Knochen hervor , oder sie geht
unter Abnahme aller Erscheinungen , mit Ausnahme der Geschwulst,
welche bestehen bleibt , weich wird und manchmal den Eindruck des
Fingers behält, in den chronischen Zustand über. — Bei der chroni-
schen Bänderentzündung zeigt sich eine weiche , teigig-elastische , un-
KNIEGELENKENTZUENDUNG. 497
gefärbte Geschwulst mit geringem Schmerze , der sich nur bei Druck
und Bewegungen vermehrt. Mit allmäliger Zunahme der Geschwulst
wird die Haut glänzend , etwas wärmer und mit varicösen Venen durch-
zogen ; das Glied magert ab, wird im Gelenke gebogen, es stellen sich ein
Gefühl von Schwere , Mattigkeit und Hize im ganzen Gliede und zeit-
weise heftigere Schmerzen ein. Nach kürzerer oder längerer*Zeit wird
die Geschwulst unter Vermehrung der Schmerzen und den Erscheinungen
des hectischen Fiebers an einzelnen Stellen fluctuirend , die Haut ver-
dünnt sich, bricht endlich auf, es ergiesst sich ein dünner flockiger Eiter,
die eingeführte Sonde zeigt cariose Zerstörung und der Kranke geht
hectisch zu Grunde. — 2) Entzündung der Synovialhaut ist
leicht durch die Fluctuation zu erkennen , die sich bald nach dem Auf-
treten der Entzündung bemerklich macht und zu beiden Seiten und über
der Patella zuerst gefühlt werden kann. Wird die Entzündung nicht
zertheilt , so ist entweder Vereiterung des Kniegelenks die Folge , oder
der Zustand wird chronisch, in welch' lezterem Falle sich die fluctuirende
Beschaffenheit der Geschwulst allmälig verliert, indem sich die Synovial-
haut verdickt und plastische Exsudate abgesezt werden. Der Schmerz
ist meistens gering, er vermehrt sich erst mit dem Eintritt der Eiterung.
Ein acuter Verlauf führt leztere schneller herbei. — 3) Die Entzün-
dung der Knochenenden characterisirt sich durch einen äusserst
langsamen Verlauf, geringe Schmerzen und eine Geschwulst, welche an-
fangs die Form der aufgetriebenen Gelenkenden zeigt,, später aber durch
seröse oder plastische Exsudation sich über das ganze Gelenk ausbreitet.
Unter vermehrten Schmerzen wird endlich die Haut geröthet , es bilden
sich Abscesse, die eingeführte Sonde zeigt Caries und es treten die Er-
scheinungen der hectischen Consumption ein. — Wie beim Hüftgelenke,
so kann auch beim Kniegelenke eine Luxatio spontanea erfolgen
und zw,ar geschieht sie in der Regel nach innen, wobei der Condyl.
femor. int. den innern Rand der Tibia um */4 — 1 Zoll überragt. —
Die Ursachen sind die in dem Art. Gelenkentzündung ange-
gebenen. Zu bemerken ist noch , dass traumatische und rheumatische
Ursachen besonders die Entzündung der Bänder und der Synovialhaut,
die Serophelkrankheit die der spongiösen Knochenenden bedingt. —
Behandlung. Sie ist ähnlich wie bei der Hüftgelenkentzündung.
Man verfährt streng antiphlogistisch , sezt wiederholt Schröpfköpfe oder
Blutegel , lässt Quecksilbersalbe einreiben etc. und berücksichtigt den
constitutionellen Character der Entzündung , gibt innerlich z. B. anti-
rheumatische Mittel , Brechweinstein , Opium , Colchicum , bei Syphilis
Quecksilber, bei Scrophulosis Leberthran, Tinct. jodi etc., doch sind
die örtlichen Mittel gewöhnlich die wichtigsten. Dabei ist aucn hier
strenge Ruhe nothwendig , namentlich hat man von vorn herein die zu
starke Beugung des Unterschenkels zu verhüten, zu welchem Behufe man
ein kleines Spreukissen unter die Kniekehle legt. Unter den später an-
Burg-er, Chirurgie. 32
-498 KNIEVERKRUEMMUNGEN.
zuwendenden Hautreizen sind Vesicantien, Moxen weniger zu empfehlen,
als das Glüheisen , mit dem man 1 — 4 Streifen zu beiden Seiten der
Patella zieht. Die Application des Glüheisens muss nach Umständen
wiederholt und die Eiterung unterhalten werden. Das Glüheisen hilft
aber nur , so lange noch nicht Caries da ist. ' Zeigt sich Neigung zur
Luxation , so befestigt man das Glied auf eine gefütterte, leicht concave
Schiene oder auch in einer Pappkapsel. Die Funktion des fluctuirenden
Gelenkes ist zu vermeiden , ebenso die Erweiterung der Fisteln. Ist die
Eiteransammlung nicht beträchtlich , sind keine Fisteln an der hintern
Seite des Gliedes und kann man annehmen , dass die Caries nicht tief
sei , so ist die Resection des Kniegelenkes angezeigt ; man darf aber ,nie
mehr als lj.2 Zoll der Tibia und etwa 1 — l1^ Zoll vom Femur weg-
nehmen ; ausserdem ist nichts von ihr zu erwarten und es ist dann die
Amputation des Oberschenkels oder, wenn blos der Kopf der Tibia cariös
wäre, die Exarticulatio cruris angezeigt.
KniegelenkwaSSerSUCht, Hydrops genu , wird eine
Ansammlung von seröser oder serös-albuminöser Flüssigkeit in der Syno-
viaihöhle des Kniegelenks genannt, in Folge deren eine mehr oder minder
umfangreiche Geschwulst des Gelenks entsteht, die von den Insertionen
des Kapselbandes begrenzt wird. — Symptome: Die Geschwulst
befindet sich immer an der vordem Fläche , nie an der hintern , weil
das Kapselband hier zu eng ist. Sie ist unregelmässig , gleich anfangs
ßuctuirend und bei jeder Bewegung die Gestalt ändernd. Sie sizt ent-
weder vorn oder an den Seiten , im leztern Falle tritt sie an der innern
Seite meistens stärker hervor und wird durch die Kniescheibe und ihre
Flechse in zwei Theile getheilt. Die Kniescheibe , die bei ausgestreck-
tem Schenkel nach vorn gedrängt wird , ist sehr beweglich , lässt sich
leicht rückwärts drücken , erhebt sich aber bei nachlassendem Drucke
sofort wieder. Bei der Beugung des Knies liegt die Kniescheibe fest
auf dem Condylus des Oberschenkels zwischen den mehr hervorgetretenen,
aber auch gespannteren Wasserhügeln. Die Kniegelenkwassersucht hin-
dert den Kranken nicht am Gehen , wenn sie nicht sehr entzündlich und
schmerzhaft ist , doch kann das Glied nicht gut gebeugt werden ; bei
acuten Hydarthrosen ist das Knie andauernd etwas gebeugt und dann ist
die Streckung schwer. Ist auch das äussere Zellgewebe inliltrirt, so hört
auch die Beweglichkeit der Kniescheibe in Folge der äussern Anschwel-
lung auf. — Ueber Diagnose, Ursache, Prognose und B e-
handlung s. den Art, Gelenkwassersucht.
Knieverkrümmungen, Curvaturae genu. Das Knie-
gelenk ist verschiedenen Richtungsveränderungen unterworfen , deren
Grund entweder in krankhafter Affection der betreffenden Gelenkenden,
oder in einem Erkranktsein der verschiedenen zum Kniegelenkapparate
gehörigen Faser- und Knorpelgebilde, oder in einer krankhaften Thätig-
KNIE VEBKEUEMMUN GEN. 499
keit und Texturbeschaffenheit der Muskeln und Sehnen liegen kann. —
Die Verkrümmungen des Kniees sind entweder angeboren oder erworben.
Das Kindesalter ist demselben am häufigsten unterworfen , theils weil in
diesem Alter die Epiphysen der Knochen noch weich und nachgiebig,
theils die diesen Deformitäten häufig zu Grunde liegenden Krankheiten
(Khachitis, Scrophelsucht etc.) vorzugsweise dem Kindesalter eigen sind.
Die Zeit der Entstehung fällt gewöhnlich in die des Stehen- und Gehen-
lernens, obgleich auch in späteren Lebensaltern Knieverkrümmungen sich
ausbilden können. — Man unterscheidet folgende Formen von Kniege-
lenkverkrümmungen : l ) die Kniekrümmung nach einwärts,
Ziegen- oder Kuhbein, Weinstühlchen (Genu valgum) trifft
bald nur die eine , bald beide Extremitäten. Im ersten Falle liegt das
kranke Knie am gesunden an, der Unterschenkel weicht nach unten immer
mehr und mehr ab , so dass die Entfernung der Füsse am bedeutendsten
ist. Der äussere Gelenkkopf des Os femoris ist nicht zu fühlen, der
innere ragt nach innen hervor; das Gleiche ist der Fall bei den Knöcheln;
dabei tritt der Kranke mehr -mit dem innern Rande des Fusses , als mit
der Fusssohle auf. Der Muse, bieeps femoris und seine Sehne
spannt sich bei versuchter Extension , das kranke Knie senkt sich im
Stehen zugleich etwas nach vorwärts , der Kranke steht mit dem Becken
schief und neigt sich beim Gehen auf die kranke Seite. Sind beide Ex-
tremitäten ergriffen, so liegen beide Kniee an einander, oft steht das eine
hinter dem andern. Der Gang ist hin und her wankend und sehr unsicher,
die Füsse werden dabei gleichsam nach auswärts geschleudert. — Be-
günstigt wird diese Verkrümmung durch die an und für sich bestehende
grössere Schwachheit der innern Seite des Knies. Gelegenheits-
ursachen sind : Wunden und Geschwüre am äussern Fussrande,
wodurch der Kranke genöthigt -ist , beim Gehen nur mit dem innern
Fussrande aufzutreten ; der Valgus erzeugt daher als Compensations-
krümmung immer Ziegenbeine ; ferner Verkrümmungen an der äussern
Seite des Knies, wodurch die daselbst liegenden Sehnen und Bänder ver-
kürzt werden ; die üble Gewohnheit, die Kinder immer auf der nämlichen
Seite zu tragen, wodurch das Knie mit dem Arme stark nach innen ange-
drückt wird ; endlich Stehen und Tragen in ungünstiger Stellung (Bäcker,
Lastträger etc. — Die Auswärtsbeugung des Knies, Säbel-
oder Sichelbein (Genu varum), kommt gewöhnlich an beiden
Extremitäten zugleich vor , welche im Zustande der Extension eine mehr
oder weniger regelmässige elliptische Gestalt annehmen. Bei höheren
Graden sind meist auch die Knochen des Unterschenkels nach aussen ge-
krümmt. Die Condylen des Os femoris, so wie die Malleoli ver-
halten sich umgekehrt , wie im vorhergehenden Falle und die Kranken
gehen mehr auf dem äussern als dem innern Fussrande. Die Sehnen
der M. M. semitendinosus und semimembranosus fühlen sich
hart und gespannt an. Zuweilen ist das eine Knie ein-, das andere ans-
32*
500 KNIEVERKRUEMMUNGEN.
wärts verkrümmt (Genu introrsum und extror-sura), — Die
schon im normalen Zustande vorwiegende Kraft derjenigen Muskeln,
welche die Auswärtsbeugung des Knies, bewirken , bringt bei Vorhanden-
sein von rhachitischen und scrophulösen Knochenleiden leicht die eben
beschriebene Deformität hervor. Der Varus erzeugt als Compensations-
krümmung Säbelbeine. — 3) Die Vorwärtsbeugung des Knies
(Contractura genu) besteht darin, dass der Oberschenkel mit dem
Unterschenkel im Knie einen Winkel bildet und sich beide daher in be-
ständiger Beugung befinden. Die Flexoren des Unterschenkels , als der
Muse, bieeps femoris, der Semitendinosus und Semimem-
branosus sind krankhaft verkürzt, das Knie erscheint nach vorwärts
gedrängt. Verkürzung der hinteren Gelenkbänder , Degenerationen der
Kapselmembran , Ablagerungen von Concrementen auf der vordem Ge-
lenkfläche, ankylotische Verwachsungen geben oft auch die Veranlassung
zu dem in Rede stehenden Leiden. Nicht selten ist die Vorwärtskrüm-
mung des Knies mit einem Pferdefuss complicirt , welcher durch das Be-
streben des Kranken entsteht, die Verkürzung des Gliedes auszugleichen
und so das Gehen noch möglich zu machen. Gelegenheits-
ursachen dieser Deformität sind: Geschwüre oder Verwundungen
an der Fusssohle oder an der Ferse, wodurch der Kranke genöthigt wird,
mit der Fussspize aufzutreten, Verbrennungen oder Verwundungen in der
Kniekehlengegend , Entzündung des Kniegelenks, langwierige Kranken-
lager, wobei die unteren Extremitäten sich anhaltend in gebogener Lage
befinden. — 4) Die Rück wärt sb eugung des Kni.es, das Ein-
gesunkensein des Knies (Genu recurvatum) kommt sehr
selten vor. Das Knie bildet auf seiner vordem Fläche eine flache Ver-
tiefung und biegt sich in der Kniekehle aus. — Eine zu kleine Patella
oder gänzlicher Mangel derselben , oder grosse Erschlaffung der Beuge-
muskeln und der hinteren Bänder des Kniegelenkes können dieses Leiden
hervorbringen. — Prognose. Sie ist bei den verschiedenen Formen
von Kniekrümmungen eine verschiedene. Bei allen kommt es darauf an,
so früh als möglich zweckmässige Mittel in Gebrauch zu ziehen , um
wirkliche organische und formelle Veränderungen zu verhüten. — Die
Einwärtskrümmung gewährt immer eine ungünstigere Prognose , als die
Auswärtskrümmung , weil bei jener meist bedeutendere Veränderungen
der Gelenkenden vorhanden sind , als bei dieser , wo gewöhnlich die
grösste Schuld in der Krümmung der Röhrenknochen liegt. Bei der
Curvatur des Knies ist die Prognose nicht ungünstig, so lange noch keine
ankylotische Verwachsung eingetreten ist. — Behandlung. Vor
Allem müssen die der Verkrümmung zu Grunde liegenden allgemeinen
und örtlichen Ursachen berücksichtigt werden. Erst nach möglichster
Beseitigung dieser kann ein orthopädisches Verfahren eingeleitet werden.
— Bei der Verbiegung des Knies nach innen müssen auf der äussern
eingezogenen Seite des Knies erweichende Mittel, so wie Manipulationen,
KNIEVERKEUEMMUNGEN. 501
auf der innern hervorgedrängten Seite aber auf die ausgedehnten Theile
reizende und stärkende Einreibungen und Waschungen angewendet
werden. Bei höheren Graden dieses Uebels müssen neben diesen Mit-
teln mechanische Vorrichtungen in Gebrauch gezogen werden. Die ver-
schiedenen zu diesem Zwecke angegebenen Maschinen wirken entweder
so, dass sie die gekrümmte Extremität in fortwährender Extension erhal-
halten, wie z. B. die Maschinen von Fabriz von Hilden, H. v. Gers-
dorf und Ryff, oder sie üben auf die hervorragende innere Seite des
Knies einen angemessenen Druck oder Zug aus , wie die Apparate von
Scultet, Bass, Köhler, Trampel, Jörg u. A., oder es sind end-
lich beide Zwecke in einer Maschine vereinigt, wie es bei der von Heine,
Siebenhaar, Vollmer, und unter gleichzeitiger Befestigung des
Fusses an ein Fussbrett , wie es bei der von Neumann und Heller
der Fall ist. Die zwei lezt genannten Vorrichtungen , die sich immer
bewährt haben, bestehen ans langen Seitenschienen, die sich oben unter
Vermittlung ovaler Kissen auf das Becken stüzen und unten ein Quer-
brett tragen, das die Bestimmung hat, die Füsse aufzunehmen; ist nur
ein Knie verkrümmt , so ist nur eine Seitenschiene nöthig. Die Kniee
werden durch zwei Riemen, die sich kreuzen, unter Beihülfe von Schnallen
an die Schienen hergezogen und befestigt (Heller) oder der Zug wird
durch eine mit einer Kniekappe in Verbindung stehende Schraube ins
Werk gesezt (Neu mann). — Die Behandlung der Auswärts-
krümmung des Knies gleicht im Ganzen der des vorhergehenden
Falles , nur dass Alles in umgekehrter Richtung geschehen muss. Bei
der Vorrichtung mit den Riemen müssen diese länger sein, indem sie das
Knie an die an der gegenüber liegenden Seite befindliche Schiene hinzu-
ziehen haben. Bei der andern Maschine mit der Schraube trägt diese
eine Pelotte, welche das Knie einwärts drängt. — Bei der Vorwärts-
beugung des Knies reicht man in leichteren Fällen mit Einreibungen,
Bädern, dem Anhängen eines Sandsacks, ferner mit allmäliger Streckung
durch die Maschinen von Strome y er und Jalad-Lafond aus;
kräftiger wirkt der Streckapparat von Lorinser. Dieser besteht aus
zwei durch ein Charnier mit einander verbundenen Brettchpn zur Auf-
nahme des Ober- und Unterschenkels und aus einem dritten Brettchen,
welches die Basis des Apparats ausmacht und oben mit dem obern Theile
des Unterschenkelbrettchens beweglich verbunden ist. Das horizontal
liegende Grundbrett besizt an seinem untern Ende in der Mitte seiner
Breite einen Längeneinschnitt zur Aufnahme einer Schraube, welche durch
eine am Unterschenkelbrette befindliche Schraubenmutter läuft und mit
einem Schlüssel in Bewegung gesezt werden kann. Auf dieser Vorrich-
tung wird das kranke Glied gelagert , mit breiten gepolsterten Leder-
binden darauf befestigt und dasselbe nun durch täglich wiederholte Dre-
hungen der Schraube allmälig gestreckt; eine über das Knie weglaufende
mit Riemen versehene Lederbinde unterstüzt die Streckung. Weitere
502 KNOCHENABSCESS.
hieher gehörige Maschinen wurden früher von Fabriz von Hilden,
. Scultet, H. v. Gersdorf, Bell u. A. angegeben, und Köhler
und Trampel erfanden Extensionsstühle. Bei gleichzeitiger Muskelcon-
tractur durchschnitten D ie f f enb ach, Stromeyer, Duval, Guerin
die Beuger. Louvrier gab eine Vorrichtung an, mittels deren das
Glied gewaltsam und piözlich ausgedehnt werden soll , ein Verfahren,
das der möglichen Zerreissung der Haut, Gefässe und Nerven, so wie der
gefährlichen Entzündung wegen , die eintreten kann , nicht viele Nach-
ahmer fand; weniger lässt das Verfahren von B. Langenbeck, welcher
das Glied unter starker Chloroformnarkose mit den Händen gewaltsam
streckt (s. Gelenksteifigkeit), befürchten. — Beider Rück-
wärtsbeugung des Knies wendet man zusammenziehende und stär-
kende Mittel in die Kniekehle an und umgibt das Glied mit einer Testudo.
Knochen, Krankheiten derselben. Die Knochenkrank-
heiten treten entweder als rein örtliche (primäre) Affectionen auf, oder
sie sind die Folge eines Allgemeinleidens (secundäre). Hinsichtlich
ihres Ursprunges zerfallen sie noch in mechanische und organische Krank-
heiten. Die ersteren bestehen in Trennungen des Zusammenhangs und
Lageveränderungen der Knochen, die lezteren sind hauptsächlich Textur-
veränderungen, und zwar der mannichfaltigsten Art, deren Wesen grössten-
theils noch in tiefes Dunkel gehüllt ist. — Von den mechanischen
Knochenkrankheiten betrachten wir hier blos die Knochenbrüche, indem
wir die Knochenwunden passend dem Abschnitt „ Wun den" .einver-
leiben , den Verrenkungen aber einen besondern Artikel widmen. Die
organischen Knochenkrankheiten werden dagegen hier vollständig (mit
Ausnahme der Afterbildungen) in alphabetischer Ordnung ihre Betrach-
tung finden.
KnOChenabsCeSS, Abscessus ossium. Der acut entste-
hende Knochenabscess wird fast nur an den Diaphysen der Röhren-
knochen, vorzugsweise an den untern Extremitäten, beobachtet; am selten-
sten in breiten und spongiösen Knochen, häufiger an den kurzen Phalan-
gen, überhaupt an den Knochen mit Markhöhlen. — Diagnose und
Symptome. Die vorausgehende Entzündung kommt selten zur Beob-
achtung ; nach Klose entwickelt sie sich jedoch stets in der Diploe des
Knochens und die secundäre Phlegmone unterscheidet sich von andern
gleichartigen Entzündungen durch den Ausgang in Verwachsung der
Fascien und Hautgebilde mit den Knochen. Der Knochen selbst nimmt
an Volumen zu und verändert seine Gestalt. Das Dickerwerden beruht
auf einer Anfüllung der Knochenzellen der Diploe mit Exsudaten, welche
später erweichen und die innere und äussere Lamelle des Knochens auf-
heben. Sticht man eine Probenadel ein , so findet man nach Durchboh-
rung der äussern Lamelle den Knochen weich und nachgiebig , wie com-
pacte Drüsenmasse , nach der Bildung des Abscesses zeigt sich aber das
KNOCHENABSCESS. 503
Gcgentheil , nämlich eine Verdichtung und Elfenbeinhärte des Knochens.
Tritt nun Eiterung ein, so werden die Zellenwände zerstört und es bilden
sich , unter unerträglichen und klopfenden Schmerzen , nach und nach
grössere Eiteransammlungen, welche schliesslich die innere Lamelle durch-
brechen oder zur Resorption bringen und sich in die Markhöhle ergiessen.
Die Wandungen der Höhle glätten sich und werden mit einer schleim-
hautähnlichen Membran überzogen. Von ihr aus entwickeln sich (nach
Abfluss des Eiters) neue Gefässe , welche eine Menge von Fettkügelchen
zwischen sich führen. Je nach der Ausbreitung des Eiterherdes entste-
hen eine oder mehrere Durchbruchstellen mit entsprechenden Fistelgängen
in den Weichtheilen. Geht man mit der Sonde durch die Fistelgänge,
so fühlt man die Ränder derselben rauh , aber weich , und in der Tiefe
des Knochens einen weiten leeren Raum, ohne auf eine rauhe Fläche oder
einen entblössten Knochen zu stossen. Auch durch die Percussion lässt
sich die Knochencaverne erkennen. Andere Male scheint es der Natur
nicht zu gelingen, solche Abscesse zu öffnen. Die Krankheit macht dann
lange Perioden des Stillstandes und des Nachlasses, bis unter erneuerten
bohrenden, klopfenden Schmerzen die Geschwulst wieder zunimmt, Schlaf
und Appetit gestört und die Kräfte erschöpft werden. — Die Unte r-
scheidung des offenen Knöchenabscesses von N e c r o s e mit Sequester-
bildung beruht auf dem in lezterem Falle mit der Sonde wahrnehmbaren
Gefühl von rauhen Wänden und beweglichen Theilen. Von der Caries
unterscheidet sich der Knochenabscess wesentlich dadurch, dass bei jener
die darüber befindliche Haut unverändert , die Diploe gelockert und in
ihrem Gefüge zerstört ist, ohne aufgetrieben zu sein. Auch hat die Caries
ihren Siz vorzugsweise in den spongiösen Knochen und ist gewöhnlich
mit scrophulöser oder tuberculöser Dyscrasie verbunden. Bei der Unter-
suchung mit der Sonde fühlt man den Boden des Geschwürs rauh , un-
gleich , es fehlt eine eigentliche Höhle und es lassen sich einzelne
Knochentheilchen mit Leichtigkeit lostrennen ; der Eiter ist dünnflüssig
und färbt die silberne Sonde schwarz. — Behandlung. Kommt das
Leiden zur Behandlung , so lange der Abscess noch geschlossen ist , so
kann nur durch die Perforation der durch die Verdickung und Verknöche-
rung des Periosts verstärkten Abscesswandung das Glied oder selbst das
Leben gerettet werden. Ist der Aufbruch von selbst erfolgt, so sind es
die necrotisirten Knochenränder , welche der spontanen Heilung unüber-
windliche Hindernisse in den Weg legen. Es ist daher die künstliche
Entfernung dieser Ränder die Hauptindication bei der Behandlung.
Diese wird durch Trepaniren der betreffenden Knochenstelle erfüllt und
es müssen so viele Trepankronen aufgesezt werden als Fistelgänge vor-
handen sind. Nach bewirkter Ausbohrung wird die Knochenhöhle von
Spänen etc. durch Aussprizen mit kaltem Wasser gereinigt , dann in die
Bohrlöcher lockere , mit kaltem Wasser befeuchtete Charpiebäusche ein-
gebracht, eine feuchte Charpiedecke auf die äussere Oeffnung gelegt und
504 KNOCHENBRAND.
diese mit schmalen Zirkelpflastern lose befestigt. Der Verband wird täg-
lich erneuert und gegen die nachfolgende heftige Knochenentzündung
ungefähr 8 Tage lang eiskalte Umschläge gemacht ; später macht man
laue Einsprizungen. In den Bohrlöchern stellt sich eine gutartige Eite-
rung, ein, an den Wänden schiessen gutartige Granulationen auf, und
binnen einigen Wochen schliessen sich die Gänge vollständig ; dabei
nimmt der vorher unförmliche Knochen an Umfang ab.
Knochenbrand, Necrosis (von vexQooa, ich tödte). Man
versteht hierunter ein völliges Absterben der Knochensubstanz. Die
Necrose kann alle Knochen ergreifen ; am liebsten befällt sie jedoch die
compacten Knochen , wie die Diaphysen der Röhrenknochen und die har-
ten Lamellen der platten Knochen , seltener leiden die Gelenkenden und
die schwammigen Knochen. — Sie entsteht in jedem Alter und bei jedem
Geschlechte; gewöhnlich zeigt sie sich aber in Jüngern Lebensjahren vor
der Pubertät. — Ursachen. Als solche sind alle Schädlichkeiten zu
betrachten , welche die Ernährung der Knochen durch die Bein- oder
Markhaut aufheben. Sie sind entweder äussere, wie mechanische
Gewalttätigkeiten, welche eine Entblössung, Erschütterung, Quetschung
des Knochens zur Folge haben, oder innere, wie Entzündung der Bein-
und Markhaut und des Knochengewebes , welche in Vereiterung und Ver-
jauchung übergeht , daher besonders scrophulöse , tuberculöse , rheumati-
sche, syphilitische etc. Entzündungen. — Je nach dem Umfange und der
Einwirkungsstelle der veranlassenden Ursache stirbt bald ein ganzer Kno-
chen (Necrosis totalis), bald nur ein Knochentheil (N. p a r t i a 1 i s)
ab , und in dem lezteren Falle ist bald der äussere (N. externa, su-
perficialis, peripherica), bald der innere Theil eines Knochens
(N. interna, centralis) befallen. — Die abgestorbenen Knochen
zeigen die verschiedensten Grössen und Formen. Sie haben meistens eine
schuppige Gestalt , sind in der Mitte am dicksten , gegen die Ränder
dünner und hier unregelmässig, zackig, buchtig etc. Die Fläche, die sich
von dem übrigen Knochen ablöste , ist immer rauh, wie angefressen. Im
Uebrigen unterscheiden sie sich wenig von dem normalen Knochengewebe ;
sie sind, wenn sie nicht durch Jauche missfarbig und angeäzt sind, nur et-
was bleicher und bisweilen etwas fester. Das abgestorbene Knochenstück
führt den Namen Sequester. — Ein abgestorbenes Knochenstück
wird ähnlich wie beim Brande der Weichtheile nach und nach von den
lebenden Theilen abgestossen. Die Dauer dieses Processes ist sehr ver-
schieden und der Vorgang dabei folgender. An der Grenze des Abge-
storbenen entwickelt sich eine Entzündung in der lebenden Knochensub-
stanz , in Folge welcher vermehrte Resorption von Knochenmasse statt-
findet , wodurch sich eine Demarcationslinie bildet , die unter fortschrei-
tender Erweichung und Resorption des Knochengewebes nach und nach
den Sequester frei macht , welcher endlich durch die von der gesunden.
KNOCHENBRAND. 505
Knochenfläche aufschiebenden Granulationen mit Eiterung abgestossen
wird. Geht die Abstossung in kleinen unmerklichen Partikelchen vor
sich, so nennt man diesen Vorgang E x fo 1 i ati o insensibilis. —
Der Wiedererzeug ungsprocess beginnt schon vor der Entfer-
nung des Abgestorbenen mit der Bildung der Granulationen , und geht
grösstenteils von dem noch gesunden Knochenstücke, aber auch von der
Beinhaut und von den benachbarten Theilen aus , welche in Folge der
Entzündung ein verknöcherndes Exsudat absezen. In ungünstigen Fäl-
len organisirt sich das faserstoffige Exsudat nicht zu verknöcherndem
Knorpel oder Callus , sondern zu zellig-fibroidem Gewebe. — Nach dem
Size der Necrose an der Peripherie oder im Centrum , so wie nach ihrer
Ausbreitung zeigt die Knochenneubildung einige Verschiedenheiten. Bei
der partiellen oberflächlichen Necrose exfoliirt sich das abgestor-
bene Knochenstück , wenn es keine bedeutende Dicke hatte, in Folge der
suppurativen Entzündung sehr bald , und hinterlässt eine eingedrückte
Narbe , welche mit den benachbarten Weichtheilen verwächst. Bei eini-
ger Dicke und deshalb nur langsam erfolgender Lösung des brandigen
Knochenstückes , so wie bei innerer Necrose bildet sich aber in Folge
der Ossifikation des von der umgebenden Knochen- und Beinhautentzün-
dung gesezten Faserstoffexsudats eine knöcherne , an ihrer innern Fläche
mit Granulationen besezte Scheide oder Kapsel (Todtenlade, Cap-
sula sequestralis) um den Sequester. Erstreckt sich die Necrose
an einer Stelle durch die ganze Dicke eines Knochens, so geht die Rege-
neration nach Abstossung des Sequesters von den Knochenenden aus,
welche Granulationen bilden. Auch schwellen die Enden an, und sowohl
im Markkanale , als zwischen Periost und Knochen , wird verknöcherndes
Exsudat abgesezt. Sind die Knochenenden nicht zu sehr von einander
entfernt, so vereinigen sich die gegen einander wachsenden Granulationen,
und durch folgende Verknöcherung wird der Zusammenhang des Kno-
chens hergestellt. Häufig tritt jedoch Verkürzung ein oder es bildet sich
ein falsches Gelenk. Stirbt ein-* ganzer Knochen mit der Beinhaut ab,
so ist keine Wiedererzeugung möglich. — Nach grösseren Substanzver-
lusten ist der neugebildete Knochen meist etwas unförmlich , was sich
jedoch mit der Zeit verbessert. — Bei der oberflächlichen Necrose stossen
sich die abgestorbenen Partien leicht ab. Nicht so ist es bei der cen-
tralen , weil der Sequester von einer knöchernen Kapsel umschlossen ist ;
er kann Monate und Jahre lang in dieser eingeschlossen bleiben, wenn er
nicht auf künstlichem Wege entfernt wird. Der um den Sequester sich
sammelnde Eiter tritt durch Oeffnungen zu Tage, welche sich in dem um-
schliessenden Knochen befinden und welche den Namen Kloake führen.
Diese erbsen- bis bohnengrossen, ovalen oder runden Oeffnungen führen,
nach innen zu enger werdend , in die Höhle der Sequesterkapsel und
stehen nach aussen mit den Fisteln in den Weichtheilen, deren Membran
sich in ihnen fortsezt , in Verbindung. Ausserdem finden sich bisweilen
506 KNOCHENBRAND.
auch noch andere unregelmässige Lücken von verschiedener Grösse in
der neuen Knochenmasse , welche nicht immer mit den Fistelgängen in
den Weichtheilen communiciren , sondern oft mit festen Membranen ver-
schlossen sind ; sie entstehen wahrscheinlich dadurch , dass es hier zwar
zur Entwicklung von Bindegewebe, aber nicht zur Verknöcherung in dem
Exsudate gekommen ist. — Sind die zuerst genannten OefFnungen gross
genug, so kann der Sequester durch dieselben zu Tage treten. Nach der
Entfernung des todten Knochenstücks aus der Kapsel wachsen die Gra-
nulationen an der innern Fläche derselben fort , bis sie das* Cavum der
Lade ausfüllen , worauf sie allgemein verknöchern und so einen soliden
Knochencylinder darstellen , in welchem sich aber nach und nach durch
Erweiterung der Markkanälchen Marksubstanz bildet. Die anfangs dunk-
lere und unförmlichere neue Knochenmasse wird mit der Zeit der nor-
malen ähnlicher , nur bleibt sie bisweilen an manchen Stellen dichter.
Auch allmälige Contraction der Knochennarbe findet zuweilen statt und
damit Verkürzung des Gliedes oder Verengerung der Knochenhöhie,
welch lezterer Umstand bei den Schädelknochen oft üble Folgen hat. —
Symptome. Diese zeigen einige Verschiedenheit, je nach der Art und
dem Size der Necrose. Entsteht die Necrose in Folge einer Beinhaut-
oder Knochenentzündung, so gehen die Erscheinungen dieser vorher, die
Weichtheile nehmen mehr oder weniger an der Entzündung Theil und
die Knochengeschwulst beschränkt sich auf den Umfang des Sequesters.
Bei centraler Necrose zeigt sich eine geringere Röthe , dagegen eine
bedeutendere Anschwellung des Knochens mit sehr heftigen, tiefsizenden,
zuweilen nächtlich exacerbirenden (bei syphilitischer Necrose) , sich bei
der Bewegung und auf Druck nicht vermehrenden Schmerzen. Kommt
es zur Abscessbildung , so wird durch die Entleerung des Eiters die Ge-
schwulst nicht merklich verkleinert. Die Abscessöffnungen entsprechen
oft dem kranken Knochen , oft bilden sie lange mit einem Fleischwalle
umgebene Gänge. Einzelne derselben können sich schliessen, worauf
sodann ein Aufbruch an andern Stellen erfolgt. Die Sonde trifft eine
rauhe Fläche und sie muss durch eine Kloake dringen , wo sie- dann den
necrotischen Knochen mehr oder weniger beweglich trifft. — Bei der
oberflächlichen Necrose wird der Schmerz an der betreffenden
Stelle durch Druck vermehrt; es bildet sich eine diffuse teigige Ge-
schwulst , über welcher sich die Haut röthet , bläulich wird und endlich
verschwärt. Nun lassen die Schmerzen nach, es bilden sich üppige Gra-
nulationen, welche nur einen engen Fistelgang übrig lassen, in dessen
Tiefe der weissgrau oder schwärzlich gefärbte Knochen liegt, der der-
Sonde eine harte, glatte Fläche darbietet. Sobald die Exfoliation erfolgt
ist , wachsen die Granulationen üppig hervor und vernarben , wenn die
Ausfüllung bis zur Oberfläche gediehen ist. — Dieselben Erscheinungen,
mit Ausnahme des Abscesses , beobachtet man , wenn ein blossliegender
Knochen von Necrose befallen wird. — Diagnose. Necrose unterschei-
KNOCHENBRAND. 507
det sich besonders von Caries dadurch , dass die erstere vorzugsweise die
festen Knochen ergreift und auf diese beschränkt bleibt , während die
Caries häufiger die schwammigen Knochenabschnitte wählt und die um-
gebenden Weichtheile in Mitleidenschaft zieht. Bei der Caries ist der
Knochen brüchig , leicht blutend , roth und sehr schmerzhaft bei der Be-
rührung, bei der Necrose hart, meist glatt, wenig empfindlich, grau oder
schwarz. Auf dem Grunde des cariösen Geschwürs wuchern immer
speckige, schlaffe, leicht blutende Granulationen, bei der Necrose trifft
man nur an den Fistelöffnungen gut aussehende Granulationen an, welche
einen harten Fleischwall bilden. Die Fistelöffnungen selbst sind bei der
Caries weit unterminirt , bei der Necrose eng. Bei der Necrose wird
guter Eiter , bei der Caries Jauche abgesondert. Bei der erstem findet
überhaupt eine weniger tiefe Störung des Allgemeinbefindens statt, als bei
der Caries, der fast immer Dyscrasien zu Grunde liegen. — Prognose.
Die Necrose ist in der Regel eine sehr langwierige , an und für sich aber
keine lebensgefährliche Krankheit. Mit vollständiger Sicherheit ist Hei-
lung zu erwarten , wenn die Necrose oberflächlich und wenig ausgebreitet
ist. Dagegen ist sie als eine bedenkliche Krankheit zu bezeichnen, wenn
sie weit ausgedehnt ist , in ein Gelenk dringt oder ihren Siz in der Tiefe
hat , insbesondere durch die ganze Dicke eines tief gelegenen Knochens
sich erstreckt. Die Heftigkeit und Ausdehnung der Entzündung, welche
besonders durch die längere Einschliessung des Sequesters in derTodten-
lade veranlasst wird und weiterhin der Eiterung und die dadurch bedingte
Gefahr des hektischen Fiebers oder der Pyämie begründen diese üblere
Prognose. Necrose der innern Tafel der Schädelknochen kann Hirndruck
veranlassen und durch einen spizigen Sequester eine Arterie angestochen
werden. — Behandlung. Bei der Necrose hat man sich vor einem
unzeitigen energischen Eingreifen zu hüten und sich gewöhnlich darauf
zu beschränken , alle der Naturheilkraft entgegenstehenden Hindernisse
aus dem Wege zu räumen. Zunächst sucht man der Necrose vorzubeu-
gen , indem man zu Grunde liegende Dyscrasien bekämpft , oder bei rein
örtlichem Verhalten entsprechend einschreitet. Demgemäss entleert man
unter dem Periost liegenden Eiter oder Blut bei Zeiten durch eine Inci-
sion, zufällig entblösste Knochen bedeckt man möglichst bald wieder und
zwar mit lebenden Theilen oder , wo dies nicht möglich ist , mit feucht-
warmen Umschlägen oder milden Salbenverbänden , hält alle schädlich
einwirkenden Einflüsse fern etc. Ist aber die Necrose bereits ausgebil-
det , so hält man die in der Nähe des todten Knochens auftretende Ent-
zündung in den gehörigen Schranken , wobei man jedoch die Vitalität so
erhält, dass sie productiv werden kann. — Bei der peripherischen
Necrose hat man nur die sich bildenden Abscesse zu öffnen und den Se-
quester , wenn er vollständig gelöst ist , auszuziehen. Man unterstüzt die
Lösung desselben durch Breiumschläge, hütet sich aber, seine Abstossung
durch Brennen, Aezen , Abkrazen des Periosts etc. zu beschleunigen, in-
508 KNOCHENBRUCH.
dem hierdurch leicht eine weitere Ausdehnung der Necrose herbeigeführt
wird. Häufig erfolgt die Ausstossung des Sequesters von selbst ; das
Knochenstück erscheint in diesem Falle mit einer Spize in einer der vor-
handenen Fistelöffnungen und kann mit den Fingern oder einer Zange
ausgezogen werden. Sind die Weichtheile zu unnachgiebig oder ist die
Form des Sequesters seiner Ausstossung hinderlich , so spaltet man die
Weichtheile von der geeigneten Fistelöffnung aus und zieht ihn schonend
aus. — Bei der centralen Necrose müssen oft zur Vergewisserung der
Diagnose und ob die Ablösung des Sequesters zu Stande gekommen ist,
verschiedene Gänge mit dem Messer erweitert werden ; hierdurch wird
nicht nur die genauere Untersuchung mittels Fingers oder Sonde, sondern
oft auch die Ausziehung des Sequesters ermöglicht , besonders wenn man
eine solche Stelle zur Spaltung gewählt hat, wo die grösseren Kloaken lie-
gen. Ist das todte Knochenstück aber von der Kapsel zu sehr verhüllt,
so muss man durch Trepankronen , das Osteotom , Meissel und Hammer,
kleine Stichsägen oder schneidende Knochenzangen die Lade in hinrei-
chendem Umfange eröffnen (N e c r o t o m i a) , um ihn entfernen zu kön-
nen. Man wählt dazu eine solche Stelle , wo die Verlezung bedeutender
Gef ässe und Nerven vermieden Avird und wo ferner das eine Ende des
Sequesters , am besten das untere , durch eine Kloake deutlich gefühlt
werden kann. Oft reicht auch das Aussägen der zwischen zwei Kloaken
befindlichen Knochenbrücke hin , zuweilen sogar die Erweiterung einer
Kloake mit einem geeigneten Werkzeuge. Ist der Sequester sehr lang,
so kann man ihn mit einer Zange oder mit dem Osteotom in der Mitte
zersägen , um seine Theile durch eine kleinere Oeffnung auszuziehen.
Blutungen während der Operation stillt man durch Aufgiessen von kaltem
Wasser, nöthigenfalls durch die Tamponade. Nach der Herausnahme des
Sequesters füllt man die Wunde leicht mit Charpie, macht mehrere Tage
lang Eisumschläge, um einer allzuheftigen Entzündung vorzubeugen, und
sorgt schliesslich für gehörigen Abfluss des Eiters. — Während der gan-
zen Dauer der Krankheit und auch bald nach der Ausführung der Necro-
tomie muss man schwache Kranke durch gute nährende Diät und stär-
kende Mittel bei Kräften zu erhalten suchen. — Die Amputation des
erkrankten Gliedes ist nur dann angezeigt , wenn sich die Necrose in
Gelenke erstreckt, deren Verjauchung den Tod herbeiführen könnte ; fer-
ner wenn bei einem necrotischen Processe die Kräfte des Kranken schon
so gesunken sind , dass man die Entfernung des Sequesters nicht unter-
nehmen tkann, ohne dass man den Kranken der wahrscheinlichen Gefahr
der Erschöpfung aussezt. Das Vorhandensein mehrerer Sequester gibt
für sich allein nie die Indication für die Abnahme eines Gliedes. Man
entfernt sie in Zwischenräumen und erhält dadurch nicht selten dem
Kranken das befallene Glied.
KnOChenbrUCh, Beinbruch, Fractura, nennt man die
KNOCHENBRUCH. 509
plözliche Trennung des Zusammenhangs eines Knochens durch eine äus-
sere Gewalt oder selten durch Muskelzusammenziehung. — A. Von den
Knochenbrüchen im Allgemeinen. — Man theilt die Knochen-
brüche im Allgemeinen ein: 1) nach dem Grade der Trennung a) in voll-
kommene , F r a c t. completa, wo die Trennung vollständig , und
b) unvollkommene, Fr. incompleta, In fr actio, wo der Kno-
chen nur geknickt, nicht vollständig gebrochen ist; 2) nach der Rich-
tung des Bruchs a) in Querbrüche, Fr. transversae, b) Schief-
brüche, Fr. obliquae und Längs-, Spalt- oder Schliz-
brüche, Fr. longitudinales; 3) nach der Zahl der Brüche in
einfache, doppelte, dreifache, vielfache (Splitter-)
Brüche, Fr. simplex, duplex, triplex, multiplex s. com-
minutiva. 4) In Betreff der Verschiebung der Knochen-
fragmente sind die Brüche entweder solche mit oder ohne Verschie-
bung , Fr. cum oder sine dislocatione. Die Verschiebung kann
stattfinden : a) nach der Quere oder der Dicke, Dislocatio
ad latus, wo die Bruchflächen sich nicht vollständig berühren , indem
sie seitwärts von einander gewichen sind ; b) nach der Achse des
Glieds, Disloc. ad axin s. ad directionem, wo die Bruchenden
in einem Winkel gegen einander stehen; c) nach der Circumfe-
renz, Disl. ad peripheriam, wo das untere Fragment eine theil-
weise Drehung um seine Achse gemacht hat ; d) nach der Länge,
Disl. ad longitudinem, wo das eine Bruchstück neben dem andern
in die Höhe gestiegen und also das Glied verkürzt ist ; kommt zu dieser
Verschiebung noch eine seitliche und winklige Abweichung , so hat man
das Reiten der Bruchenden; e) durch Auseinanderweichen,
Fract. cum distr actione, wo, wie z. B. beim Querbruche der
Kniescheibe, die Bruchenden auseinander gezogen sind. 5) Nach derAb-
oder Anwesenheit von Nebenverlezungen unterscheidet man einfache,
Fracturae purae und complicirte Brüche , Fr. complicatae
— Als eine sehr seltene Art von Bruch beobachtet man die Ablösung
der Epiphyse von der Diaphyse, und zwar so lange noch keine knö-
cherne Verbindung zwischen beiden besteht , daher gewöhnlich nur vor
der Zeit der Pubertät, hauptsächlich aber im kindlichen Alter. — Diag-
nose. Die Zeichen einer Fractur zerfallen in subjective und objective.
Die ersten sind : das von dem Kranken gehörte Geräusch beim Bruche,
der Schmerz, die Geschwulst an der Bruchstelle, die Unbrauch-
bar k e i t des Gliedes; diese Zeichen geben , selbst wenn sie vereint
sind, keine sichere Diagnose. Die objectiven Zeichen sind: eine wider-
natürliche Beweglichkeit an der Bruchstelle, die veränderte
Gestalt, welche hauptsächlich in der Verschiebung der Bruchstücke
ihren Grund hat, die Crepitation bei der Bewegung der Bruchenden
gegen einander. Zu bemerken ist, dass bei Querbrüchen, die mit Zacken
in einander greifen , die Crepitation fehlt , wie auch bei solchen die Be-
510 KNOCHENBRUCH.
weglichkeit und Verschiebung wenig ausgesprochen ist. — Ursachen.
Die Knochen brechen in den meisten Fällen nach Einwirkung einer äus-
sern Gewalt , durch einen Schlag , Druck , Stoss, Fall etc. Seltener ent-
stehen Fracturen nur durch Muskelgewalt. — Begünstigt wird die Ent-
stehung der Fracturen durch eine oberflächliche und durch wenig Weich-
theile geschüzte Lage der Knochen , durch die Funktion derselben , ver-
möge welcher sie leichter äussern Schädlichkeiten ausgesezt sind , durch
höheres Alter und gewisse krankhafte Zustände (Syphilis , Rhachitis,
Gicht , Scropheln , Scorbut , Krebs) , bei welchen durch die Abnahme an
thierischen und die Zunahme an erdigen Bestandteilen oder durch Atro-
phie oder Rarefaction des Knochengewebes die Knochen eine grössere
Sprödigkeit, Fragilität erlangt haben. — Die äussere Gewalt, weiche
einen Knochen bricht , wirkt entweder auf seine beiden Endpunkte , und
der Bruch erfolgt dann gewöhnlich an der dünnsten Stelle des Knochens
(in directer Bruch, Bruch durch Gegenschlag); am häufig-
sten entstehen diese Brüche durch einen Fall , oder der Bruch findet an
der Stelle statt , wo die Gewalt (Schlag, Ueberfahren durch ein Fuhrwerk
etc.) eingewirkt hat (directer Bruch), wobei sich dann immer eine
mehr oder minder bedeutende Verlezung der umgebenden Weichtheile
findet. — Prognose. Sie ist abhängig von den Ursachen, der Art und
dem Orte des Bruchs, der Constitution , dem Alter des Kranken und dem
Verhalten desselben während der Kur. War Brüchigkeit der Knochen,
also Alter oder Knochenkrankheiten, die prädisponirende Ursache , so ge-
staltet sich die Prognose nicht gut , da in diesen Fällen zur festen Ver-
heilung des Knochens das nöthige Material fehlt oder im Uebermasse
vorhanden ist ; ferner ist die Prognose zweifelhaft zu stellen , wenn der
Bruch complicirt ist , die Bruchenden durch starke Muskelcontractionen
etc. sehr verschoben sind und in der normalen Lage nicht gut erhalten
werden können , wenn der Bruch Knochen trifft, die nur mit bedeutenden
Quetschungen in der Nähe der Gelenke oder mit Funktionsstörung wich-
tiger Organe vorkommen ; endlich ist die Prognose nicht vortheilhaft bei
bestehenden schwächenden Krankheiten , dürftigen äussern Verhältnissen
und unruhigem Betragen des Kranken während der Kur. Auch ist die
Schwangerschaft ein Hemmungsmittel der Verheilung einer Fractur, inso-
fern hier die Reproductionskraft bis zur Niederkunft mehr auf die Aus-
bildung des Foetus gesichtet ist. Die günstigste Prognose dagegen geben
einfache quere Brüche in der Mitte der Röhrenknochen bei gesunden
Individuen im mittlem Alter und bei günstigen äussern Verhältnissen. —
Verlauf der Heilung, Callusbildung. Der Regenerations-
process der Knochen entspricht im Wesen ganz dem normalen Bildungs-
process derselben. Der nähere Vorgang ist dabei folgender. Nach einem
Bruche tritt zuerst in den umgebenden Theilen , Periost, Zellgewebe,
Muskeln eine exsudative Entzündung auf, diese Theile schwellen auf, ver-
dichten sich , verwachsen und bilden so eine feste Kapsel um den Bruch.
KNOCHENBRUCH. » 511
Anf der innern Seite dieser Kapsel wird durch die Entzündung eine halb-
flüssige , nach und nach fester werdende Substanz gebildet , in der Ge-
fässe entstehen. Eine gleiche Substanz geht aus dem Markgewebe des
gebrochenen Knochens hervor. Die von der Kapsel abgesezte Masse und
die leztere verschmelzen. Dadurch entsteht eine in der Kapsel liegende,
die Fractur einhüllende Substantia intermedia. Diese nimmt
eine fibröse Beschaffenheit an und füllt alle Zwischenräume zwischen den
Knochen aus, während Muskeln, Zellgewebe, Periosteum in ihren früheren
Zustand zurückkehren. Später als die Weichtheile wird auch der Kno-
chen von der Entzündung ergriffen, und zwar zuerst in einiger Entfernung
von den Bruchenden , wo der Knochen noch von dem Periosteum bedeckt
ist^ und ebenso im Innern des Knochens. Auch die Knochen exsudiren
eine gallertartige Masse, worin sich Gef ässe bilden ; während die Substanz
wächst, wandelt sie sich von der Seite, wo sie mit dem Knochen zusam-
menhängt, in Knorpel und Knochen um. Diese neue Masse, der eigent-
liche Callus, füllt auch die Höhle der Knochen mehr oder weniger aus.
Ausserdem schreitet die Substanz über die Knochenenden weg und die
Productionen beider Knochenenden vereinigen sich. Auf diese Art bil-
det sich der primitive Gallus. Unterdessen verwachsen die Oberflächen
der Knochen mit der von den weichen Theilen und dem primitiven Callus
selbst gebildeten Kapsel, die Ränder der Fractur verwachsen hinwieder
mit der Sub s tantia int er nie d ia. Auch bildet sich nun ebenfalls
Callus , welcher sich auf Kosten der unterdessen ligamentös gewordenen
Substantia intermedia ausbildet. Auf der äussern unebenen Fläche
des Callus bildet sich wieder Periosteum. Die weiteren Veränderungen
des Callus bestehen in der Herstellung der Markhöhle , in dem Callus
selbst und in der Veränderung seiner Form. Die Umwandlungen des
Gewebes des Callus aber geschehen ganz so, wie bei der ersten Knochen-
bildung. So lange der Callus knorpelig ist , enthält er die microscopi-
schen Knorpelkörperchen, zur Zeit der Ossification entsteht auch das zel-
lige Gefüge in der Knochensubstanz. Mit dieser Erklärungsweise des
Vorgangs bei der Heilung gebrochener Knochen von Miescher stimmen
auch andere Beobachter, wie Meding, Webern. A. überein, und
lässt sich diese auch mit der Lehre D u p uytreu's von dem provisori-
schen und definitiven Callus in Einklang bringen. Der provisorische
Callus nimmt nach diesem Wundarzt seinen Ursprung hauptsächlich aus
den den Bruch umgebenden Weich theilen und kommt in 3 0 — 4 0 Tagen
zu Stande; der definitive Callus wird aus dem von den Bruchenden
selbst gelieferten Exsudat gebildet ; sobald er sich gebildet hat , beginnt
die Bückbildimg des provisorischen. — Die Zeit , innerhalb welcher die
oben angeführten Vorgänge stattfinden , ist sehr verschieden nach Alter,
Constitution, Grösse und Form der Knochen, nach der Beschaffenheit des
Bruchs und der Behandlung desselben. Im Allgemeinen heilen Brüche
schneller in jüngeren Jahren , bei guter Constitution , kleinen Knochen,
512 KNOCHENBRÜCH.
geringer Verschiebung der Bruchenden und unverrückter Lage derselben
während der Heilung, als unter entgegengesezten Verhältnissen. Bei
kleineren Brüchen kann die Consolidation des Bruches nach 3 — 6 Wo-
chen, bei grösseren nach 6 — 8 Wochen erfolgt sein. — Fehler der
Callusbildung. Der Callus kann in zu reichlicher Menge gebildet
werden , so dass er an der Bruchstelle als unförmliche Geschwulst er-
scheint. Diese Calluswucherung findet gewöhnlich statt, wenn die Bruch-
enden sehr verschoben sind , nicht ruhig gehalten werden und der Ver-
band zu locker liegt. In andern Fällen kommt es in Folge zu heftiger
Entzündung zu gar keiner Exsudation, sondern es tritt Eiterung, selbst
Brand ein. Andere Male erfolgt keine Consolidation wegen unzurei-
chender Blutzufuhr , wie man es häufig bei Brüchen am Schenkelhalse
beobachtet ; aus denselben Gründen heilen Knochenbrüche , welche die
Verästelungen der Art. nutritia unterbrechen , schwer oder gar nicht.
Die Callusbildung kann ferner zurückgehalten werden oder zu spärlich
oder gar nicht erfolgen : durch einen zu fest anliegenden Verband , zu
wenig nährende Diät, das Einwirken bedeutender Kälte, häufige Bewegung
der Bruchenden, zu grossen Abstand derselben, durch gewisse dyscrasische
Zustände, namentlich carcinomatöse , scorbutische , syphilitische und mer-
curielle Dyscrasie, gehemmten Nerveneinfluss, Schwangerschaft etc. Wenn
in Folge der eben erörterten ungünstigen Verhältnisse die Consolidation
einer Fractur nicht erfolgt , so bleiben die Bruchenden beweglich , was
man ein widernatürliches oder falsches Gelenk nennt (s.
Pseudarthrosis). — Zuweilen beobachtet man, dass ein bereits fest
gewordener Callus wieder erweicht. Am häufigsten geschieht dies bei
scorbutischer Dyscrasie , beim Typhus , in Folge allgemeiner Abzehrung,
bei entstehendem Rothlaufe etc. — Behandlung. Sie zerfällt 1) in
die Einrichtung des Bruchs, Reposition 2) in die Erhal-
tung der Bruch enden in der normalen Lage bis zur Con-
solidation des Bruchs, Retentio; 3) in die Leitung des
Heilungsprocesses; 4) in die Behandlung der Compli-
c a t i o n e n und 5) in die Nachkur. — 1) Einrichtung des
Bruchs (Repositio). Nachdem der fracturirte Theil vorsichtig ent-
kleidet ist, macht man, wenn eine Verschiebung der Bruchenden zugegen
ist, die Reposition, welche darin besteht, dass man durch Gehülfen unter-
halb der gebrochenen Stellen einen Zug, Extension, und oberhalb
der Fractur einen Gegenzug, Contra extension, ausüben lässt,
während der Wundarzt selbst die Zusammenfügung der Bruch-
enden, Conformatio, Coaptatio, besorgt. Die Extension muss
zuerst in der Richtung des untern Bruchendes und dann in der Richtung
des Gliedes mit allmälig verstärkter Kraft ausgeführt werden ; die Con
traextension sei dagegen mehr ein Festhalten oberhalb des obern Bruch-
endes , und die Coaptation (die indessen oft nicht nöthig ist) geschehe
durch sanftes Drücken mit vollen Händen , bis die Unebenheiten der
KNOCHENBRUCH. 513
Bruchstelle verschwunden sind. Bei allen diesen Verrichtungen muss das
Glied im Allgemeinen so gehalten werden , dass die Muskeln erschlafft
sind. Den zu lebhaften Widerstand der Muskeln beseitigt man im Noth-
falle durch Aderlass oder durch die Anwendung von Chloroform. Im
Allgemeinen ist als Grundsaz festzuhalten , jede Fractur sobald als mög-
lich einzurichten. Bei frischen Brüchen wird Geschwulst und Schmerz-
haftigkeit durch die Einrichtung beseitigt , diese dürfen daher von der
augenblicklichen Reduction nicht abhalten. Nur wenn die Entzündung
bereits sehr heftig geworden, die Bruchstelle von einer harten Geschwulst
umgeben, die Einrichtung durch einen massigen Zug nicht zu bewerkstel-
ligen ist , ist es räthlich , zunächst die Entzündung direct zu bekämpfen
und dann erst die Einrichtung vorzunehmen. — Nach vollendeter Coap-
tation ist 2) für die Retention zu sorgen, was durch eine geeignete
Lagerung , durch Verbände und nöthigenfalls durch Vorrichtungen , die
eine dauernde Ausdehnung bezwecken, geschieht. — Lagerung des
Kranken. Bei Brüchen der untern Extremitäten bringt man den Kran-
ken auf ein nicht zu breites und zu hohes , freistehendes Bett , welches
eine mit Haferspreu , Seegras 'oder Rosshaaren gefüllte , unnachgiebige
Matraze enthält, und sorgt für Erleichterung der Stuhlausleerungen durch
eine Handhabe, welche mittels eines Seiles an der Zimmerdecke befestigt
wird , an welcher sich der Kranke selbst in die Höhe zu heben vermag,
oder durch ein unter den Lenden durchgezogenes breites Tuch , womit
derselbe während der Ausleerungen von Gehülfen in die Höhe gehoben
wird. — Die Lage des Gliedes ist im Allgemeinen die gerade aus-
gestreckte bei Brüchen in der Mitte der Röhrenknochen, die halbgebogene
bei Brüchen in der Nähe der Gelenke, ferner bei solchen am Ober- und
Vorderarme , weil hier die gebogene Lage die bequemere ist ; bei zu er-
wartender Steifigkeit des Gelenks gibt man dem Gliede eine solche Stel-
lung , welche für den -spätem Gebrauch desselben die passendste ist (s.
Gelenksteifigkeit). — Verbände und Maschinen sind bei
der Mehrzahl der Fracturen zu ihrer Retention nothwendig. Im Allge-
meinen gilt die Regel, so früh als möglich zu verbinden und die Anlegung
des Verbandes nur dann zu verschieben, wenn schon eine heftigere Ent-
zündung und bedeutendere Geschwulst um die Bruchstelle zugegen ist.
Der Verband soll durch äussere Stüzen die durch den Bruch verlorenen
innern ersezen , muss also aus Stoffen bestehen , die dem Gliede Steifig-
keit geben, er darf dabei aber so wenig als möglich belästigen und reizen.
Bei Querbrüchen in der Mitte langer Knochen reicht es hin , um Ver-
rückung der Bruchenden zu verhüten, einen seitlichen Druck auf dieselben
auszuüben , wodurch zugleich die Thätigkeit der Muskulatur gehemmt
wird (Contentiv verband). Bei Schief brüchen als Hebel wirkender
Knochen hingegen und häufig auch bei Querbrüchen in der Nähe von
Gelenken muss neben einem leichten Contentivverbande noch eine per-
manente Extension angebracht werden, um Verkürzung des Knochens oder
Burger, Chirurgie. 33
514 KNOCHENBRUCH.
Verrückung der Bruchenden nach der Quere oder der Circumferenz zu
verhindern (Extensionsverband), während bei Querbrüchen einzel-
ner kurzer Knochen oder Knochenfortsäze , wie der Kniescheibe , des Ol-
ekranon etc. gerade durch einen zusammenziehenden Verband (C o n -
t ractionsverband) die Bruchstücke in Berührung gehalten werden
müssen. — Der Contentivverband bietet nach der Beschaffenheit
der Verbandgeräthe folgende Arten dar: a) Verband durch Bin-
den, Schienen und S tr ohl ad en. — Die leinenen Binden dienen
theils zur Einwicklung, theils zur Befestigung der Schienen. Man bedient
sich dazu entweder der Rollbinde oder der vielköpfigen Binde (s. Bin-
den). — Die Schienen macht man aus Pappe, Leder, Guttapercha,
Blech oder Holz , je nachdem sie etwas biegsam oder unbiegsam sein sol-
len (s. Schienen). Die unbiegsamen finden besonders an den untern
Extremitäten ihre Anwendung. Sie müssen so lang sein,- dass sie über
die nächsten Gelenke hinausragen. Bei Kindern und bei Brüchen klei-
nerer Knochen reichen etwas biegsame Schienen aus. Man ordnet diese
Verbände in der Regel folgendermassen an : man wickelt das gebrochene
Glied massig fest mit einer Rollbinde oder der vielköpfigen Binde ein,
legt darauf die nöthigen (2 — 4) in Leinwand eingehüllte Schienen an,
befestigt sie mittels Binden, Verbandtüchern oder Bändern, und lässt nun
bei den obern Extremitäten den Arm in einer Schlinge tragen und bei
den untern Extremitäten das Glied auf einer Matraze oder auf einem
Planum inxilinatum lagern. — Die unbiegsamen Schienen müssen,
um ihren Druck gleichmässiger zu machen , ihrer ganzen Länge nach mit
Spreukissen gefüttert werden. — TJeber die Strohladen s. diesen Artikel.
-— b) Kapselverband, s. diesen; c) Pappverband, s. diesen ;
d) Gypsverband, s. diesen; e) Watt verband, s. diesen. — Der
Extensionsverband findet hauptsächlich nur bei Fracturen der un-
tern Extremitäten Anwendung. Immer muss die Extension in der Rich-
tung des gebrochenen Gliedtheiles geschehen , und sie darf nur so stark
sein, dass gerade die Muskelkraft, welche die Verkürzung oder Verrückung
veranlasst, überwunden wird. Die hierzu nöthigen Verbandgeräthe bringt
man nicht an den gebrochenen Knochen selbst, sondern ober- oder unter-
halb desselben an. Die Extension bewirkt man bald durch Gewichte,
während die Contraextension bald durch das eigene Gewicht des Körpers,
durch Anstemmen der gesunden Extremität gegen einen festen Punkt,
oder durch Fixirung des Körpers mittels Binden , Tüchern , Riemen etc.
an dem obern Theile des Bettes vermittelt wird, oder man bringt zwischen
den Extensions- und Contraextensionspunkten feste Verbandgeräthe, z. B.
eine Extensionsschiene an und befestigt an ihren Enden mit hinreichen-
dem Zuge die Körpertheile , an welchen die Extension und Contraexten-
sion gemacht werden sollen. Meistens ist es zweckmässig , den Exten-
sionsverband durch einen leichten Contentivverband zu unterstüzen. —
Der Contra ctionsverband wird mit Binden, Tüchern , Riemen etc.
KNOCHENBRUCH. 515
ausgeführt und in den meisten Fallen durch eine besondere Stellung des
Gliedes unterstüzt. — 3) Leitung des Heilungsprocesses. Bei
jeder auch nicht complicirten Fractur tritt an dem betroffenen Gliede eine
mehr oder minder bedeutende Entzündung ein. Ein massiger Entzün-
dungsprocess ist im Allgemeinen zur Verheilung der Knochenenden nöthig ;
es ist daher Grundsaz , erst dann mit kalten Umschlagen , Blutegeln etc.
einzuschreiten , wenn die Entzündung einen sehr hohen Grad erreicht.
Eine frühzeitige Einrichtung ist das beste Mittel, einer übermässigen
Entzündung vorzubeugen, auch darf man meistens sogleich einen Verband
anlegen, nur mit der Vorsicht, ihn anfangs nicht zu fest anzuziehen. Das
Erneuern des Verbandes richtet sich allein nach dem Sinken der Ge-
schwulst ; jeder locker gewordene Verband , der die Bruchenden nicht
mehr zusammenzuhalten vermag , muss erneuert werden , wobei man sich
jedesmal von dem Verhalten der Bruchenden zu überzeugen und etwaige
Unordnungen zu verbessern hat. Den Verband nimmt man ab , wenn
man sich überzeugt hat , dass der Callus fest genug ist , um dem Gliede
wieder als Stüze dienen zu können. Man schliesst dies theils aus der
Zeit der Behandlung , theils sucht man sich darüber durch Biegungsver-
suche oder dadurch Gewissheit zu verschaffen , dass man den Bruchkran-
ken das Glied erheben lässt. Bei Erwachsenen ist im Allgemeinen zur
Heilung eines Bruchs an der obern Extremität mindestens 1 Monat , an
der untern Extremität sind 6 0 — 8 0 Tage erforderlich. Bei Kindern ist
kaum die Hälfte der angegebenen Zeit nöthig. Nach der Entfernung des
Verbandes muss der Theil noch einige Zeit ruhig gehalten , mit einer
Rollbinde umgeben und erst allmälig seinen gewöhnlichen Verrichtungen
zurückgegeben werden. — Während der Callusbildung , die gewöhnlich
schon nach 14 Tagen beginnt, hat man darauf zu sehen, dass der Callus
nicht zu sehr wuchere und auch in seiner Bildung nicht zu sehr gehemmt,
oder gar darin verhindert werde. Bei zu üppiger Callusbildung legt man
den Verband etwas fester an und gibt den Kranken sparsame Kost. Ge-
schieht die Callusbildung zu sparsam, so entferne man, wo es möglich ist,
die Ursachen , lege den Verband nicht zu fest an , erlaube dem Kranken
eine stärkende Kost etc, Bildet sich ein künstliches Gelenk, so behan-
delt man es, wie es in dem Artikel Pseudarthrose angegeben ist. —
4) Behandlung der Complicationen. Die Fracturen können
mit Quetschungen und Wunden , mit Blutungen , aus der Wunde vorra-
genden Knochensplittern, mit Brand, Trismus und Tetanus, Delirium
tremens und mit gleichzeitiger Verrenkung desselben Gliedes compli-
cirt sein. — Quetschungen erfordern anfangs den Gebrauch kalter
Fomente und innerlich kühlender Salze , und wenn sich Eiterung ausbil-
det, die Anwendung warmer Umschläge, die Eröffnung der Abscesse, häu-
figeren leichten Verband und stärkende Kost. — Wunden müssen wo-
möglich vereinigt werden , um den Zutritt der Luft zu der Bruchstelle
und Eiterung zu verhüten und die Anlegung des Verbandes nicht zu er-
33*
516 KNOCHENBRUCH.
schweren. — Blutungen stillt man durch kalte Umschläge , Torsion
oder Unterbindung. — Splitter, welche aus der Wunde hervorragen
und durch die Reduction nicht an den Knochen angelegt werden können,
entfernt man durch Abkneipen oder Absägen. — Brand am fracturirten
Glied ist meistens die Folge einer heftigen Quetschung und fordert aro-
matisch-ätherische u. dgl. Umschläge , häufigen losen Verband bei zweck-
mässiger Lage des Glieds und entsprechende innere Behandlung oder die
Amputation des Gliedes , welche überhaupt dann indicirt ist , wenn die
Knochen so zerschmettert sind , dass sie sich wie ein Sack voll Nüsse an-
fühlen lassen , die Hauptgef ässe und Nerven verlezt oder überhaupt die
Weichtheile in dem Grade und Umfange zerquetscht , zerrissen oder ab-
gelöst sind , dass Brand unvermeidlich folgen muss. — Eeizung eines
Nerven durch Knochensplitter kann Tr Ismus und Tetanus zur Folge
haben. Man suche die Knochensplitter besser zu lagern oder zu entfer-
nen, gebe Opium etc. — Auch beim Delirium tremens, welches
sich häufig bei Trunkenbolden einstellt, gebe man Opium , nehme bei be-
deutendem Blutandrange gegen den Kopf Blutentziehungen vor. Zu-
weilen kann dem Säuferwahnsinn vorgebeugt werden , wenn man bald
wieder Branntwein zu trinken erlaubt. — Eine gleichzeitig bestehende
Luxation richtet man womöglich zugleich mit dem Bruche ein ; geht
es nicht , so bleibt nichts anderes übrig , als die Reposition der Luxation
nach der Consolidation des Bruches zu versuchen. — 5) Nachkur.
Eine häufige Erscheinung bei Fracturen ist eine Steifigkeit, welche
besonders nach längeren Kuren in den nächst gelegenen Gelenken, welche
eingebunden waren, zurückbleibt. Die Behandlung besteht in fortgesez-
ten Bewegungen in Verbindung mit erweichenden Einreibungen, Dampf-
bädern etc. — Leidet das Glied an O e d e m oder Schwäche, so die-
nen Reibungen und Waschungen mit stärkenden Spirituosen Mitteln und
Einwicklungen mit durchräuchertem Flanell. — Eine zurückbleibende
Verkürzung der untern Extremität lässt sich nur durch eine Nach-
hülfe in der Fussbekleidung in etwas abhelfen. — Eine Verkrüm-
mung des Knochens lässt sich auf verschiedene Weise beseitigen. Ist
der Callus noch weich, so hat die Geradrichtung des Knochens durch Ex-
tension und Contraextension nebst angemessenem Drucke auf die Bruch-
stelle keine Schwierigkeiten. Ist der Callus aber bereits erhärtet , so ist
meistens eine eingreifende Operation nöthig , welche die Trennung des
schlecht geheilten Knochens zum Zwecke hat. Man sezt diese Trennung
in's Werk durch das gewaltsame Wiederabbrechen der geheilten
Fractur , die Durchsäg ung der Bruchstelle, die Resection
des Callus oder das Durchziehen eines Haarseils durch
dieselbe. - Das Wie der abbrechen der Knochen (Osteopa-
linclasis) wird auf verschiedene Weise ausgeführt : a) durch gewalt-
same Extension und Contraextension mit gleichzeitigem Druck auf die
Bruchstelle ; b) durch gewaltsamen Druck auf die Bruchstelle und zwar
KNOCHENBRUCH DES NASENBEINS. . 517
entweder, indem das Knie gegen die Convexität der Bruchstelle gestemmt
und das Abbrechen mit den Händen bewirkt wird, oder aber , indem man
sich bei sehr grossem Widerstände einer besondern Maschine (Dysmor-
phosteopalinclastes) hierzu bedient (Bosch, Oesterlen, B 1 a -
s i u s) , welche aus einer Schraube besteht, die auf die Bruchstelle wirkt,
während die Enden des an der Bruchstelle hochgelagerten Gliedes die
Stüzpunkte auf der Vorrichtung abgeben. Ein anderes Verfahren ist,
den Knochen in der mit Compressen gepolsterten Gabel eines aufrecht
befestigten Stiefelziehers , und zwar nach der Concavität der Bruchstelle
zu, zu brechen. Ein gemischtes Verfahren ist, den Knochen nach seiner
Blosslegung auf den vorspringenden Winkel bis über den dritten Theil
zu durchsägen und dann vollends zu brechen. Das Durchsägen des
Callus oder die Resection der Bruchenden ist angezeigt, wenn das Zer-
brechen unausführbar oder gefährlich ist. Nach der Blosslegung des
Knochens wird er je nach Bedürfniss blos durch- oder ein Stück aus dem-
selben herausgesägt. Ein Haarseil wurde von Weinhold mit einer
Nadeltrephine in der Absicht durch den Callus hindurchgeführt, um die-
sen wieder biegsam zu machen. Das Verfahren gelang, indem nach
7 wöchiger Anwendung des Haarseils der Callus so weich wurde, dass die
Extremität mit Hülfe eines Extensionsapparats beinahe auf ihre normale
Länge zurückgeführt werden konnte. — Nach vollführter Trennung wird
ein passender Verband angelegt , um eine möglichst gerade Verheilung
des Knochens herbeizuführen. Hat man den Knochen blossgelegt , so
sucht man die Wunde der Weichtheile durch die erste Vereinigung zu
heilen.
B. Von den Knochenbrüchen im Besondern.
l) Bruch der Nasenbeine. Man rechnet hierher gewöhnlich
nicht blos die Brüche der eigentlichen Nasenbeine , sondern auch die der
Nasalfortsäze des Oberkiefers. — Diagnose. Diese hat nur Schwierigkeit,
wenn der Bruch einfach ist, wo dann aber auch ein Verkennen nichts auf
sich hat. Ist der Bruch aber complicirt oder ein Splitterbruch , so ist er
an der Deformität und der Crepitation leicht zu erkennen. Sind die
Bruchstücke nach innen gedrückt, so ist immer eine beträchtliche Blutung
zugegen wegen Zerreissung der Nasenschleimhaut. Zuweilen ist ein Hirn-
schalenbruch (Sprung der Siebplatte) und Hirnerschütterung mit dem
Bruch der Nasenbeine verbunden. — Ursachen. Direct einwirkende
Gewalten. — Reposition. Sie geschieht von der Nasenhöhle aus mit-
tels einer in die Nase eingeführten Kornzange oder eines weiblichen
Catheters , womit man die eingedrückten Knochenstücke erhebt , während
man mit einigen Fingern der linken Hand von aussen die Coaptation be-
fördert. — Retention. Halten die Fragmente sich gegenseitig in ihrer
Lage fest, so bedarf es zu ihrer Sicherung keiner besondern Apparate und
Verbände. Zeigen sie aber eine Neigung zur Dislocation nach aussen,
so hält man sie mit Röllchen von Feuerschwamra , welche man zu beiden
518 KNOCHENBRICH DES OBERKIEFER?.
Seiten des Naseuriickens anlegt und mit Heftpflasterstreifen befestigt oder
nach Malgaigne mit einer nach der Nase geformten Kinne von Blei
nieder. Sinken sie dagegen immer wieder nach innen , so füllt man die
Nase mit Charpie aus , die ein Röhrchen enthält , um das Athmen zu un-
terhalten. — Nachbehandlung. Sie beschränkt sich im Allgemeinen
auf die Behandlung der entzündlichen Zufälle. Bestehende Wunden
sucht man per pr im am i nt e n ti o n e m zu heilen ; starke Blutungen
werden durch kalte Umschläge und Einsprizungen oder durch die Tam-
ponade gestillt ; Symptome von Hirnaffection erheischen die besondere
Behandlung derselben (s. Wunden). — Die Heilung des Bruches erfolgt
gewöhnlich in sehr kurzer Zeit.
2) Bruch des Jochbeins. Dieser Bruch ist sehr selten und
betrifft gewöhnlich nur den Jochbogen. — Diagnose. Diese ist schwer,
wenn der Bruch ohne Dislocation ist , findet dagegen eine solche statt, so
hat sie meist nach innen statt und der Bruch ist dann durch die Örtliche
Deformität , durch die Beweglichkeit der Bruchstücke bei der Bewegung
des Unterkiefers , sowie durch die Untersuchung vom Munde aus leicht
zu erkennen. — Ist der Körper des Jochbeins gebrochen , so nehmen
meistens Oberkiefer und Nasenbeine an dem Bruche Theil und es sind
Hirnleiden etc. damit verbunden. — Ursachen. Zuweilen ist auch das
ganze Jochbein aus seinen Verbindungen mit den benachbarten Knochen
gelöst und alsdann gewöhnlich gegen die Augenhöhle hin verschoben,
wodurch die Bewegungen des Auges behindert werden. — Ursachen.
Aeussere , direct einwirkende Gewalten. — Reposition. Wenn Ver-
schiebung der Bruchenden nach innen zugegen ist , so reponirt man sie
vom Munde aus. Gelingt die Reposition auf diese Weise nicht, so kann
man bei bestehender Wunde die eingedrückten Knochenstücke mittels
eines durch dieselben eingeführten Hebels erheben. Einige empfehlen,
wenn keine Wunde zugegen ist, zu diesem Zwecke äusserlich einen Quer-
schnitt zu machen. — Retention. Bei Verrückung schliesst man den
Mund mit einem Kopftuche. — Nachbehandlung. Je nach dem
Grade der Nebenverlezungen eine mehr oder minder strenge Antiphlogose.
3) Bruch des Oberkiefers. Der Bruch befindet sich ge-
wöhnlich am Zahn- oder am Gaumenfortsaze , selten am Körper. —
Diagnose. Die Untersuchung der verlezten Stelle zeigt eine abnorme
Beweglichkeit ; sind Dislocationen der Bruchstücke zugegen , so sind lez-
tere in der Nase oder im Munde wahrzunehmen , je nachdem der Bruch
am Körper , Gaumen- oder Alveolarfortsaz statt hat. Beim Bruche des
Zahnfortsazes kann ein Ausfallen der Zähne stattfinden. — Ursachen.
Unmittelbar einwirkende äussere Gewalten , häufig in den Mund abge-
feuerte Pistolenschüsse (bei Selbstmordversuchen), auch Zahnextractionen.
— Reposition. Sie geschieht von aussen, vom Munde und der Nasen-
höhle aus. — Retention. Bei den Brüchen des Zahnfortsazes schliesst
man den Mund mit einem Tuche und bringt nöthio-enfalls Korkstücke
KNOCHENBRUCH DES UNTERKIEFERS. 519
zwischen die Zahnreihen oder bedient sich der v. Gräfe 'sehen Vorrich-
tung , welche aus einem um den Kopf laufenden metallenen Bande be-
steht, von welchem ein stählerner Bügel in den Mund geht, der auf eine,
die Zähne umfassende silberne Platte drückt. Ist der Gaumenfortsaz
gebrochen, so kann man nach Röstel einen nach der Form des Gaumen-
gewölbes gebogenen Draht anlegen, dessen Enden vom Munde aus gegen
Stirn und Hinterkopf geführt und hier durch eine Binde befestigt wer-
den. — Der Kranke wird längere Zeit hindurch nur durch flüssige Nah-
rungsmittel ernährt.
4. Bruch des Unterkiefers. Diese Brüche sind selten,
dessenungeachtet aber doch häufiger als die anderer Gesichtsknochen.
Man unterscheidet Brüche des Körpers , der Aeste und der Fortsäze des
Unterkiefers. — Der Körper des Knochens kann entweder in seiner
ganzen Dicke zerbrochen sein oder es ist nur der Alveolarrand abgebro-
chen. Der Bruch des Körpers des Knochen ist entweder einfach oder
doppelt , in welch lezterem Falle der Mentaltheil des Unterkiefers ganz
ausser Zusammenhang mit dem übrigen Knochen gesezt ist. Beim ein-
fachen Bruche des Körpers ist die Verschiebung der Knochenenden um
so bedeutender, je weiter entfernt vom' Kinn derselbe statt hat. Das vor-
dere Bruchende wird alsdann durch die vom Zungenbein aufwärts verlau-
fenden Muskeln (MM. m y 1 o - und geniohyoideu.s und digastri-
c u s) nach unten und hinten gezogen, während das hintere an seiner Stelle
bleibt oder durch den Mass et er, Temp o r alis und Pter y g oi-
deus internus nach oben und etwas nach vorn verschoben wird. Be-
steht ein Doppelbruch , so erheben die Masseteren das hintere Fragment,
während das Kinn durch die Wirkung der Muskeln tief herabsinkt. In
allen diesen Fällen ist die Dislocation bei schiefen Brüchen stärker , als
bei senkrechten. Bei Brüchen des AI ve o lar f ort s az es ist die
Verschiebung meist unbedeutend. Bei den Brüchen der Aeste
pflegt diese auch gering zu sein , indem die Bruchenden durch die um-
gebenden Muskeln, besonders durch den M ass et er und Pt ery goi-
de us internus in ihrer Lage erhalten werden. Ist der Processus
condyloideus vollständig abgebrochen, so wird er durch den P t e r y-
goideus externus nach vorn und innen gezogen, während das untere
Bruchende durch die übrigen Kaumuskeln etwas nach oben und hinten
verschoben wird. Bricht der Processus coronoideus ab, so wird
er etwas Weniges durch den Temporaiis aufwärts verschoben. —
Diagnose. Diese ist gewöhnlich leicht. Bei den Brüchen des Kör-
pers sichert die Beweglichkeit der Bruchenden , die Crepitation , der un-
gleiche Stand der Zähne , der offen stehende und beim einfachen Bruche
seitlich verzogene Mund die Diagnose. Bei Brüchen des Halses des Con-
dylus ist das Kinn nach der Seite der Verlezung hingerückt. Die Brüche
der andern Fortsäze sind schwieriger zu erkennen ; das Einführen des
Fingers in den Mund oder das Auflegen desselben aussen , während man
520 KNOCHENBRUCH DES UNTERKIEFERS.
den Unterkiefer bewegt, so wie der fixe Schmerz kann Aufschluss geben.
— Ursachen. Aeussere Gewalten, die seitlich oder von vorn auf den
Unterkiefer einwirken. — Prognose. Sie ist bei einfachen Brüchen
meist günstig. Die nicht selten zurückbleibende Diffbrmität stört die
Funktion in der Regel nicht. Die Brüche des Gelenkfortsazes heilen nie
durch wirklichen Callus , wodurch die Bewegungen des Unterkiefers aber
nicht leiden. Coinplicirte Brüche , besonders des Zahnrandes , können
Abscesse und Fisteln zur Folge haben. — Der Bruch heilt in 3 0 — 40
Tagen. — Reposition. Bei den Brüchen des Körpers des Unter-
kiefers bringt man den Daumen in die Mundhöhle, wahrend man die an-
dern Finger derselben Hand aussen anlegt, hebt gleichzeitig mit der an-
dern Hand den Kinntheil des Unterkiefers in die Höhe und bewirkt je
nach Umständen die Coaptation. Bei der Fractur der Fortsäze begnügt
man sich, den Unterkiefer nach vorwärts zu rücken. Das Richtigstehen
der Zähne überzeugt uns von der gelungenen Reposition. Lose gewor-
dene Zähne drückt man wieder fest. — Retention. In vielen Fällen
genügt das Schliessen des Mundes mittels eines Kopftuches, welchem Ver-
bände man zur Unterstüzung des Unterkiefers eine Schiene von Pappe
oder Guttapercha beifügen kann. Auch kann man dem eben genannten
Verbände zwei rinnenf örmig ausgehöhlte Korkstücke, welche zwischen die
Zahnreihen gelegt werden , beifügen ; es bleibt hierdurch vorn ein hin-
reichender Raum , um den in grosser Menge abgesonderten Speichel ab-
fliessen zu lassen und die Einführung flüssiger Nahrungsmittel zu gestat-
ten. Bei Neigung zur Verschiebung und zu grösserer Sicherheit sind
verschiedene Vorrichtungen angegeben worden , welche zugleich die Be-
wegungen des Unterkiefers erlauben. Solche sind : der von H a r tri g ,
Kluge u. A. modificirte Apparat von R ü t e n i k , der von Bush, Hou-
z e 1 o t u. A. Der Mechanismus dieser Apparate gleicht sich im Wesent-
lichen und ist folgender. Auf die Zähne kommt eine dem Alveolarrand
des Unterkiefers entsprechend gebogene silberne Rinne zu liegen. Ein
in ähnlicher Form ausgeschnittenes und gehörig gepolstertes Brettchen
legt man unter die Basis der Kinnlade. Diese beiden Theile der Vorrich-
tung werden durch in den Mund eingeführte doppelt gebogene stählerne
Haken , die durch Schrauben an dem Brettchen in verschiedener Stellung
befestigt werden können , in Verbindung gesezt und in beliebigem Grade
gegen einander gedrängt. Bänder, die zum Nacken oder an eine Kopf-
haube gehen , verhindern eine Verschiebung des Apparats. — Bei den
Brüchen des Alveolarrandes kann man auch die Zähne des abgebrochenen
Theils mittels eines Silberdrahts an die benachbarten Zähne befestigen.
Robert legt auf die Zähne des fracturirten Kieferrandes eine entsprechend
gebogene Bleiplatte und führt eine Schlinge von Silberdraht mit Hülfe
einer starken Nadel , das eine Ende an der vordem , das andere an der
hintern Seite des Unterkiefers von der Mundhöhle aus um die Bleiplatte
und den Kiefer herum , so dass beide Enden aus einer und derselben
BRUCH DER KNORPEL DES KEHLKOPFS. 521
Hautwunde in der Gegend der Basis des Unterkiefers zum Vorschein kom-
men, wo sie zusammengedreht werden. — Nachbehandlung. Der
Kranke muss sich bis zum 2 5. Tage des Sprechens und Kauens enthalten.
Vor dem 3 5. Tage darf aber der Verband nicht ganzlich entfernt werden.
5. Bruch des Zungenbeins, Fractura ossis hyoidei.
Dieser seltene Bruch betrifft meistens die Hörner des Zungenbeins. —
Symptome. Sie sind ziemlich charakteristisch. Die Kranken geben
an, das Krachen des brechenden Knochens gehört zu haben ; der Schmerz
ist heftig, unmittelbar, schnell gefolgt von einer bedeutenden Anschwel-
lung ; äusserlich zeigt sich eine geringe Ecchymose. Dabei Heiserkeit,
Vermehrung des Schmerzes beim Schlingen und Sprechen. Hierzu kom-
men noch, je nach Umständen, Crepitation, die Dislocation und die Em-
pfindung von Splittern. — Ursachen. Das Hängen scheint besonders
auf den Körper des Knochens , das Würgen mit den Händen mehr auf
die Hörner desselben zu wirken ; weitere Ursachen sind : Schlag , Stoss,
Druck beim Ueberfahren etc. , endlich Muskelaction (beim Rückwärts-
fallen). — Prognose. Die Bedenklichkeit dieses Bruches liegt nur
in der Entzündung, welche ihn begleitet. — Der Bruch bedarf 2 Monate
zu seiner Consolidation. — Reposition. Bei bestehender Dislocation
drückt man mit einem in die Rachenhöhle gebrachten Finger das hintere
Fragment nach aussen und vorn, während man mit der andern Hand aus-
serhalb auf den Rest des Knochens wirkt. — Retention. Verbände
sind nicht nöthig. Einige Wundärzte Hessen ihre Kranken bei zurück-
gebeugtem Kopfe Ruhe und Stillschweigen beobachten und ernährten sie
mit der Speiseröhrensonde. Malgaigne hält die entgegengesezte Stel-
lung des Kopfs, d. h. die Vorwärtsneigung desselben für rationeller, weil
durch die dadurch bewirkte Erschlaffung aller Muskeln eher einer Dis-
location vorgebeugt würde. — Nachbehandlung. Diese muss be-
sonders gegen die Entzündung gerichtet sein und nach Bedürfniss in ört-
lichen und allgemeinen Blutentziehungen , kalten Umschlägen etc. be-
stehen.
6. Bruch der Knorpel des Kehlkopfs. Dieser Bruch ist
ebenso selten wie der des Zungenbeins und hat dieselben Ursachen
wie dieser. — Symptome. Höchst beschwerliches röchelndes, ras-
selndes Athmen bei rückwärtsgebogenem Halse , Hustenanfälle mit bluti-
gem Schaum vor dem Munde , heisere unarticulirte Töne beim Sprech-
versuch , heftige Schmerzen im Kehlkopfe , Unmöglichkeit zu schlingen,
Erstickungsanfälle, livides, aufgedunsenes Gesicht, Emphysem und Sugil-
lationen am Halse. — Schild- und Ringknorpel können mehrfach getrennt
und in die Höhle des Kehlkopfs getrieben sein. — Prognose. Es sind
Fälle bekannt , wo die Heilung erfolgte , bei mehreren aber erfolgte der
Tod in kurzer Zeit unter Erstickungsanfällen. — Reposition. Kann
man die Bruchstücke nicht durch vorsichtige äussere Manipulationen in
die normale Lage bringen , so muss man die äussern Bedeckungen des
522 KNÜCHENF.l, Teil DEi; WIRBEL.
Kehlkopfs und erforderlichen Falls selbst die Knorpel desselben in der
Mittellinie der Länge nach einschneiden und die Bruchenden zu reponiren
suchen. Verschwinden dann die Athmungsbeschwerden, so vereinigt man
die Wunde durch Heftpflaster. — Retention und Nachbehand-
lung wie beim Bruche des Zungenbeins.
7. Bruch der Wirbelbeine. Die Brüche der Wirbel sind
selten, was sich aus ihrer geringen Länge, ihrer beweglichen Verbindung
untereinander und aus ihrer geschüzten Lage erklärt. Unter den einzel-
nen Theilen eines AVirbels bricht am häufigsten der Dornfortsaz, am sel-
tensten der Wirbelkörper. — Sympto m e. Die Zeichen des Bruches
eines Dorn- oder Querfortsazes sind die der einfachen Quetschung,
wozu noch Beweglichkeit und zuweilen Crepitation kommt. Der Bruch
der Körper der Wirbel veranlasst bedeutende Zufälle, die im Allgemei-
nen auf Funktionsstörung der von dem Rückenmarke versorgten Organe,
auf die Unmöglichkeit , den Kopf zu tragen oder zu sizen , und auf die
leichtere Drehbarkeit des Halses oder des untern Rumpftheils sich zurück-
führen lassen. Der seltene Bruch des Bogens der Wirbel bietet, je
nachdem ein Druck auf das Rückenmark statt hat oder nicht, die Zeichen
des Bruchs der Wirbelkörper , oder diejenigen des Bruchs der Fortsäze
dar ; immer bemerkt man ein stärkeres Hervortreten der Dornfortsäze. —
Trifft der Bruch die 3 ersten Halswirbel und den Z a h n f o r t s a z,
so tritt fast unmittelbar der Tod ein. Brüche der übrigen Hals- und
der Rückenwirbel veranlassen hauptsächlich Respirationsbeschwerden,
Angst, Auftreibung des Unterleibs und partielle oder totale Lähmung der
Extremitäten , wenn nicht früher der Tod durch Lungenlähmung eintrat ;
die Fracturen der Lendenwirbel haben dagegen Lähmung der untern
Extremitäten, der Blase und des. Mastdarms zur Folge, so dass Stuhl und
Harn unwillkürlich abgehen, oder auch hartnäckig zurückgehalten werden.
— *Den speciellen Siz der Fracturen deuten die Zeichen der örtlichen
Entzündung , Ungleichheiten an der Wirbelsäule und die Grenzen der
Lähmung an. — Ursachen. Brüche der Halswirbel werden meist
durch einen Sturz auf den Kopf veranlasst, die der andern Wirbel häufig
durch von oben herabwirkende Lasten bei vorwärts geneigtem und fixirten
Körper , oder durch einen Fall von einer Höhe auf eine erhöhte Stelle,
Ueberfahren, Schüsse ; seltener sind die Fälle von Gegenschlag oder Mus-
kelgewalt. Nach Malgaigne kommt dagegen die Mehrzahl der Wir-
belbrüche durch übermässige Zusammenziehung der Rückenmuskeln vor,
für welche Ansicht der Umstand spricht , dass die Wirbelsäule an den-
jenigen Stellen , an denen sie der stärksten Biegung fähig ist (zwischen
dem 3. und 7. Halswirbel, zwischen dem 11. Rücken- und 2. Lenden-
wirbel und zwischen dem 4. Lendenwirbel und dem Heiligbeine) am häu-
figsten bricht. — Prognose. Sie ist im Allgemeinen ungünstig, wenn
das Rückenmark stark afficirt ist, da hier noch nach Monaten in Folge
secundärer Krankheiten, wie Decubitus, allgemeine Abmagerung, Caries
KNOCHENBRUCH DER BECKENKNOCHEN. 523
der Wirbel etc. der Tod eintreten kann. Brüche der Dorn - und Quer-
fortsäze sind an und für sich nicht gefährlich. — Reposition. Diese
ist gewöhnlich nur bei Brüchen des Processus spinös us möglich ;
man drückt oder zieht einen solchen zurecht ; man kann auch den gebro-
chenen Wirbelbogen mittels eines Elevatoriums erheben. Complete Wir-
belbrüche wurden einige Male mit Erfolg durch Zug an den Schultern
und Hüften eingerichtet ; wenn man dies versucht , so muss es immer mit
der grössten Vorsicht geschehen. — Retention. Bei Brüchen der
Dornfortsaze kann man zu beiden Seiten eine Compresse anlegen und diese
durch eine breite Binde befestigen. Im Allgemeinen ist eine ruhige, mög-
lichst unbewegliche Lage das einzige Mittel , die Verrückung der Bruch-
enden zu verhüten ; die Bauchlage ist die geeignetste , wenn sie ander-
weitiger Umstände wegen nicht unmöglich wird. — Nachbehand-
lung. Diese muss streng antiphlogistisch sein ; man lässt daher zur
Ader, sezt Blutegel an die afficirte Stelle , macht kalte Umschläge , reibt
die graue Salbe daselbst ein und gibt innerlich kühlende Mittel, Calomel.
Kann der Urin und Stuhl nicht willkürlich entleert werden, so kommt
man durch den Catheter und Klystiere zu Hülfe. Zurückbleibende Läh-
mungen müssen durch Hautreize , Strychnin , Electricität etc. bekämpft
werden.
8. Bruch der Beckenknochen. Das Becken bricht theils
seiner geschüzten Lage wegen , theils weil die einzelnen Theile desselben
eine grosse Festigkeit darbieten, sehr selten. — Diagnose. Diese ist
wegen der versteckten Lage mancher Partien der Beckenknochen , beson-
ders wenn schon Geschwulst eingetreten ist , nicht leicht ; doch kann die
äussere Betastung einen Bruch der Ossa innominata, und eine solche
in Verbindung mit der innern Untersuchung durch Scheide und Mastdarm
einen Bruch des Os sacrum oder Os coccygis erkennen lassen. Die
Bruchenden sind meist nach innen gekehrt. In vielen Fällen ist zugleich
eine Affection des Rückenmarks oder eine Verlezung von Unterleibs- und
Beckenorganen zugegen, und können daher die Nebensymptome sehr ver-
schiedener Art sein, wie Zeichen der Lähmung der Blase, des Mastdarms,
der untern Extremitäten , Entzündung der Blase , des Mastdarms etc. —
Bei dem Bruche der Oss'a i s c h i i und namentlich bei Brüchen der
Pfanne ist das Gehen und Stehen unmöglich, und kann hier eine Ver-
wechslung mit Fractuia colli femoris vorkommen , weil auch hier
der Schenkel verkürzt ist , dem Zuge nachgibt , und wieder in die Höhe
steigt etc. ; doch hat der Fuss keine Neigung, nach aussen zu fallen, beide
Trochanteren stehen gleichweit von der Spina anterior superior
oss. ilei, und man fühlt Crepitation beim Druck auf die Darmbein-
gräte. Zuweilen bricht der S i z b e i nh ö c k e r für sich allein , welcher
dann , wenn ihn die Fasern des Ligamentum sacro-tuberosum
nicht zurückhalten , von den starken Muskeln , die sich an ihn inseriren,
nach unten hingezogen wird. Liegt dieser Bruch an einer dem Einger
524 KNOCHENBRUCH DES BRUSTLEINS.
zugänglichen Stelle, so wird abnorme Beweglichkeit und Crepitation sich
entdecken lassen. Bei gänzlicher Ablösung des Tub er i s c h i i ist das
Gehen unmöglich. — Ueber den Bruch des horizontalen Astes des
Schambeins gibt bei Frauen die Untersuchung durch die Scheide
Aufschluss ; das Gehen ist behindert. — Ursachen. Die Becken-
brüche werden im Allgemeinen durch einen Fall von einer bedeutenden
Höhe, oder, durch schwere aüff allende Lasten, durch Ueberfahren , Ver-
lezungen durch Geschosse, Schlag, Stoss hervorgebracht. — Prognose.
Sie ist der häufigen Nebenverlezungen wegen zweifelhaft und vorsichtig
zu stellen ; die Brüche an und für sich heilen bei einer geeigneten Lage
leicht. — Reposition. Die Bruchenden des Os sacrum und Os
c o c c y g i s lassen sich mittels des in die Scheide oder den Mastdarm
eingebrachten Fingers leicht reponiren ; das gleiche Verfahren ist bei dem
Bruche des Scham- und Sizbeins in Anwendung zu bringen. Die Repo-
sition der Bruchstücke gelingt bei den meisten Fracturen der Becken-
knochen nur bei Erschlaffung der Muskeln , meistens in halbgebeugter
Stellung des Schenkels. — Retention. Beim Bruche des Heiligen-
und Steissbeins lässt man den Kranken eine ruhige Seiten - oder Bauch-
lage beobachten ; beim Bruche des Darmbeins lässt man den Kranken
nach der kranken Seite geneigt mit flectirtem Oberschenkel liegen und
unterstüzt diese Lage durch ein unter die Beine gelegtes Keilkissen ; beim
Bruche des Sizbeins reicht die Lage mit leicht gebeugtem Schenkel hin ;
das Tuber ischii kann man durch eine Spina coxae fixiren ; der
Bruch des Schambeins erheischt dieselbe Lage , wie der des Darmbeins.
Brüche der Pfanne erfordern die Lagerung auf einer doppelt geneigten
Ebene. — Nachbehandlung. Man verfährt den Umständen ange-
messen antiphlogistisch. Da die Nebenverlezungen häufig mit den bei
den Wirbelbrüchen angegebenen übereinkommen , so kann hinsichtlich
ihrer Behandlung dahin verwiesen werden.
9. Bruch des Brustbeins. Brüche des Brustbeins kommen
höchst selten vor, da dieses von den elastischen Rippen getragen wird, an
denen sich meist eine darauf einwirkende Kraft bricht. — Symptome
und Diagnose. Eine Verschiebung des in den meisten Fällen queren
Bruches findet selten statt , und dann ist die Diagnose sehr schwierig.
Oertlicher Schmerz , zuweilen Crepitation während der Bewegungen des
Thorax und Geschwulst der Haut über der Bruchstelle können auf die
Spur führen. Nicht selten sind damit innere Blutungen, Entzündung der Or-
gane , Blutspeien , lästiger Husten und als Folge Vereiterungen in der
Brusthöhle, selbst Caries und Necrose des Brustbeins verbunden. — Ein
Eindruck des Schwertknorpels kann Reizung des Magens und Erbrechen
bewirken. Bei einfachen Querbrüchen ist in der Regel das untere Bruch-
ende ein wenig nach vorn verschoben. Bei einer Fr actura com mi-
n u t i v a sind die Bruchstücke sehr häufig gegen die Brusthöhle hin ein-
gedrückt. — Ursachen. Nur heftige Gewalten sind im Stande, das
KNOCHENBRUCH DER RIPPEN. 525
Brustbein zu brechen; sie sind: Einsturz, Ueberfahren, Anstossen einer
Wagendeichsel, Fall rückwärts auf einen vorspringenden Gegenstand ; fer-
ner heftige Muskelcontractionen beim Erbrechen , bei der Geburt. —
Prognose. Einfache Sternalbrüche sind nicht gefährlich ; durch die
Nebenverlezungen können sie aber zu höchst bedenklichen, selbst gefähr-
lichen Krankheiten werden. Bei mangelhafter Einrichtung und deformer
Heilung hinterlassen sie Athembeschwerden, Hustenreiz, Oppression, Herz-
klopfen. — Reposition. Sie geschieht bei bestehender Dislocation
der Bruchstücke durch Rückwärtsbeugen des Stamms und durch einen
Seitendruck auf die Rippen. Kommt man damit nicht zum Ziele, so soll
man nach dem Rat he einiger Wundärzte das eingesunkene Bruchende mit
dem Tirefond oder nach vorausgeschickter Trepanation des Brustbeins
mit dem Elevatorium erheben. Am besten ist es wohl , sich mit dem
gleich anzugebenden Verbände zu begnügen und nicht hartnäckig auf
einer genauen Coaptation zu bestehen. — Retention. Ist keine Dis-
location zugegen oder diese beseitigt oder vermindert , so lässt man den
Kranken eine Rückenlage beobachten und bringt zur Unterstüzung des
Rückens ein Polster oder Kissen unter diesen. Die schmerzhaften Be-
wegungen des Thorax kann man durch eine breite Brustbinde etwas be-
schränken. Bei vorhandener Neigung zur Dislocation kann man dieser
Binde eine Pappschiene auf das Brustbein beifügen. Häufig wird gar
kein Verband , zuweilen selbst die angegebene Lage nicht ertragen. —
Nachbehandlung. Strenge Antiphlogose , demulcirende Getränke,
Narkotica, un^ den Husten zu besänftigen , Ruhe etc. bilden das Wesent-
lichste der Behandlung. Bilden sich Abscesse hinter dem Brustbein , so
muss man dem Eiter durch Trepanation dieses Knochens Ausfluss ver-
schaffen.
10. Bruch der Rippen. Die Rippen brechen troz ihrer Ela-
sticität sehr oft , am häufigsten die mittleren , indem die obern durch das
Schultergerüst und die Brustmuskeln geschüzt sind, die untern aber durch
ihre grosse Beweglichkeit dem Zerbrechen ausweichen. Die Bruchstelle
ist gewöhnlich in der Mitte. Im Alter kommen die Rippenbrüche viel
häufiger vor als in jüngeren Jahren. — Symptome und Diagnose.
Die leztere wird gesichert durch örtlichen Schmerz beim Athmen , durch
Crepitation, welche man mit der flach aufgelegten Hand wahrnimmt, durch
die Dislocation der Bruchenden, welche nach innen stehen, wenn die Ge-
walt von der Seite , und nach aussen , wenn sie auf das Bruchbein einge-
wirkt hat, endlich durch das die Rippenbrüche häufig begleitende Emphy-
sem. Bei der Dislocation der Bruchenden nach innen und der Anwesen-
heit von Splittern können die Lungen , der Herzbeutel, die Intercostalge-
fässe verlezt sein, was Bluthusten, Entzündung der Brustorgane und an-
dere bedenkliche Zufälle im Gefolge hat. Schwierig ist die Erkenntniss
bei fetten Personen und starker Geschwulst. — Ursachen. Diese sind
äussere Gewalten , die entweder direct einwirken oder solche , welche die
526 KNOCHENBRUCH DES SCHLUESSELBEINS.
Spannung des von der Rippe gebildeten Bogens bedeutend steigern. Di-
recte Brüche sind bei Weitem häufiger ; man nennt sie auch Rippen-
brüche nach innen, weil durch die einwirkende Gewalt die Bruch-
enden nach einwärts gedrückt werden. Indirecte Brüche, Rippen-
brüche nach aussen, machen die zweite Art von Brüchen aus , die
durch Gegenschlag entstellen. Selten und wahrscheinlich nur wenn die
Rippen an atrophischer Verdünnung gelitten haben , sind die Brüche die
Folge der Muskelwirkung beim Husten. — Prognose. Ein Rippen-
bruch ist an sich keine gefährliche Yerlezung und heilt gewöhnlich in
2 5 — 3 0 Tagen. Bedeutende Nebenverlezungen können aber die Pro-
gnose mehr oder weniger trüben. — ■*- Reposition. Bei einer Disloca-
tion der Bruchenden nach aussen übt man während einer Inspiration einen
Druck auf die Bruchstelle aus ; bei der Verschiebung nach innen lässt
man den Kranken auf die gesunde Seite legen und unterstüzt sie durch
ein Polster , worauf die Bruchenden unter einer tiefen Inspiration nicht
selten nach aussen treten. Gelingt die Reposition auf diese Weise nicht
und sind die Zufälle der innern Reizung bedeutend , so führt man nach
Malgaigne einen scharfen Haken unter die eingedrückten Bruchenden
und ziehe sie damit nach aussen. Sind beide Bruchenden gleichmässig
eingedrückt , so gelingt die Reposition zuweilen , wenn man unter einer
möglichst tiefen Inspiration des Kranken einen Druck auf das Sternal-
und Vertebralende der gebrochenen Rippe ausübt. — Retention. Man
umgibt den Thorax mit einem breiten Handtuche oder umspannt die be-
treffende Brusthälfte mit Heftpflasterstreifen , um die Bewegung des frac-
turirten Knochens zu hindern. — Nachbehandlung. Sie muss ge-
gen die Reizung oder Entzündung der Brustorgane gerichtet, und der bei
dem Bruche des Brustbeins angegebenen ähnlich sein.
11. Brüche der Rippenknorpel. Diese höchst seltenen
Brüche betreffen fast ausschliesslich die 5 mittleren Rippen. Sie verlaufen
immer quer , zeigen glatte und ebene Bruchflächen und meistens findet
Reiten statt und zwar befindet sich gewöhnlich das Sternalfragment vor
dem andern. Die Veranlassung dieser Brüche ist stets eine direct wir-
kende Gewalt. Die Reposition ist leicht, die Retention schwierig. Die
Consolidation erfolgt durch Erguss plastischer Lymphe , die ossificirt ; es
entsteht provisorischer Callus, der jedoch hier als solcher bestehen bleibt.
Die Behandlung besteht in der Beschränkung der Bewegungen der leiden-
den Thoraxhälfte; bei hartnäckiger Neigung zur Dislocation wendet Mal-
gaigne eine einem Bruchbande nachgebildete Bandage mit zwei ein-
ander gegenüber liegenden Pelotten an.
12. Bruch des Schlüsselbeins. Das Schlüsselbein ist so-
wohl seiner Gestalt , als seiner oberflächlichen Lage wegen , wozu noch
kommt , dass es der ganzen obern Extremität zur Stüze dient , zum Zer-
brechen sehr geneigt, daher gehören diese Brüche zu den sehr häufig vor-
kommenden. Das Schlüsselbein kann an verschiedenen Stellen brechen.
KNOCHENBRUCII DES SCHLUESSELBEINS. 527
Am gewöhnlichsten findet der Bruch an dem mittlem Theil des Knochens,
als an der Stelle, wo er gekrümmter und dünner ist, statt. Die Fracturen
des Schulterendes sind seltener. — Diagnose. Sie ist gewöhnlich
leicht. Die Bewegungen des betreffenden Arms sind wie gelähmt ; er
hängt herab, ist nach innen rotirt und wird von dem Kranken mit der ge-
sunden Hand unterstüzt. Der Kopf und Rumpf sind nach der Seite der
Fractur hin geneigt ; der Arm kann weder nach vorn gebracht , noch er-
hoben werden ; die kranke Schulter steht tiefer und der Mittellinie des
Körpers etwas näher. Bei den Bewegungen des Arms und der Schulter
macht sich Beweglichkeit und Crepitation der Bruchenden bemerklich.
Die Dislocation dieser leztern ist etwas verschieden, je nach dem Siz der
Fractur an der iunern oder äussern Seite des Ligamentum coraco-
claviculare. Bei lezterem nämlich werden die Bruchenden durch
genanntes Band und durch den Processus coracoideus in der nor-
malen Stellung erhalten und es entsteht entweder gar keine oder doch
nur eine unbedeutende Verschiebung nach der Dicke des Knochens ; da-
bei sind die Bewegungen des Arms nicht besonders gestört. Bricht da-
gegen die Chivicula zwischen dem genannten Bande und demBrustbeine^
so wird das äussere Bruchstück durch das Gewicht des Arms, der an ihm
durch den Deltoideus befestigt ist , abwärts , und des Weitern durch die
MM. pectoralis major, teres major und latissim as dorsi
nach innen unter das innere Bruchstück gezogen. — Ist das Periosteum
unversehrt geblieben , so bemerkt man blos eine schmerzhafte Hervor-
ragimg, eine Vermehrung der vordem Convexität des Schlüsselbeins, aber
Beweglichkeit und Crepitation fehlen. — Ursachen. Die Brüche des
Schlüsselbeins entstehen entweder durch Gegenschlag oder durch eine
direet einwirkende Gewalt. Die erstem s indirecte Brüche, sind die häu-
figsten und die Folge eines Falls auf die Hand , den Ellbogen oder die
Schulter , während der Arm vom Rumpfe entfernt oder vorgestreckt ist.
Diese Brüche haben gewöhnlich in der Mitte des Knochens ihren Siz und
verlaufen schräg und zwar meistens in der Richtung von aussen nach in-
nen und von vorn nach hinten. Die directen Brüche werden durch einen
Stoss, Schlag, das Auffallen eines schweren Körpers auf das Schlüsselbein
selbst und dann meist mehr an dem Acromialrande hervorgebracht. —
Prognose. Diese Brüche ziehen gewöhnlich keine Gefahren nach
sich , Avofern sie nicht mit Verlezungen der benachbarten Theile compli-
cirt sind. Sie lassen sich leicht reponiren , aber schwer in der Einrich-
tung erhalten, weshalb sie auch immer mit einiger Deformität heilen, was
indessen die Bewegung des Arms nicht beeinträchtigt. Die Heilung
kommt innerhalb 3 — 4 Wochen zu Stande. — Reposition. Besteht
eine Verschiebung der Bruehenden und ist also eine Einrichtung nöthig.
so wird diese dadurch ins Werk gesezt, dass ein Gehülfe ein Knie zwischen
die Schulterblätter des Kranken sezt und die Schultern mit beiden Hän-
den nach hinten und oben zieht, während der Wundarzt die Coaptation
528 KNOCHENBRUCH DES SCHLUESSELBEINS.
der Fragmente bewirkt. — Retention. Die Unmöglichkeit, die Bruch-
enden immer in genauer Verbindung zu erhalten , hat eine Menge von
Verbänden gegen diese Fractur hervorgerufen, die in Hinsicht auf die Art
ihrer Wirkung von einander abweichen. Die einen bezwecken ein Zurück-
ziehen der Schultern und üben zu diesem Behufe eine ausdehnende Kraft
auf diese selbst aus ; bei andern wird der Arm als Hebel benüzt , um den
Oberarmkopf und damit das äussere Bruchstück der Clavicula nach aussen
zu drängen ; noch andere geben dem untern Ende des Oberarms eine
solche Stellung , dass der Kopf desselben eine geeignete Lage erhält. —
Unter den Verbänden der ersten Klasse sind als die bekanntesten die Ver-
bände von Brünninghausen und Brefeld zu nennen. Ersterer
zieht die Schultern mittels eines mit Rückenstücken versehenen Riemens
zurück, bei Brefeld stüzen sich Riemen, welche die Schultern ringförmig
umfassen, auf eine quer über die Schulterblätter gelegte Schiene. — Un-
ter den Verbänden der zweiten Art hat sich der Verband von Desault
den grössten Ruf erworben. Nach ihm wird ein keilförmiges Kissen, mit
der Spize nach unten , in die Achsel gebracht ; nachdem dieses befestigt
ist , wird der Ellbogen nach vorn gebracht und der Arm mittels horizon-
taler Touren einer Binde an den Rumpf angeschlossen; mit einer zweiten
Binde wird der Arm nach aufwärts gedrängt. Die leztere Binde wird
folgendermassen angelegt. Man beginnt von der Achselhöhle der gesun-
den Seite , führt die Binde schräg über die Brust zur kranken Schulter
und an der hintern "Seite des Oberarms abwärts unter den Ellbogen der
kranken Seite , steigt dann schräg über die Brust aufwärts zur gesunden
Achselhöhle, von wo man ausgegangen war, dann schräg über den Rücken
zur kranken Schulter und von dieser an den vordem Seite des Oberarms
gerade abwärts um den Ellbogen der fracturirten Seite und über den
Rücken zu dem ursprünglichen Ausgangspunkte zurück , von wo aus man
diese Touren wiederholt. Da diese Binden sehr bald nachlassen , so hat
man auf verschiedene Weise versucht , diesem Uebelstande abzuhelfen.
Zunächst sezte Boy er an die Stelle der Binde, durch welche Desault
das Kissen befestigte , zwei Bänder , die über der gesunden Schulter zu-
sammengeknüpft werden. Des Weitern bediente er sich statt der übrigen
Binden eines breiten ledernen Armbandes , das um den Arm geschnallt
und dann an einem breiten Leibgurt befestigt wurde. Dupuytren er-
sezte die dritte Lage der Desault' sehen Bindentouren durch einfachere
schräg laufende, von der gesunden Schulter über den Rücken, unter dem
Ellbogen der kranken Seite und wieder zurück zur gesunden Schulter.
Delpech verwendete statt Binden lederne Riemen : ein breiter gepolster-
ter Riemen läuft um den Oberarm dicht über dem Ellbogengelenk und
um den Thorax, ein zweiter um den Vorderarm in der Nähe des Ellbogens
und von da zur gesunden Schulter ; diese Riemen werden durch Schnallen
mehr oder weniger fest angezogen. — Bei der dritten Art von Verbänden
wird der vor die Brust gebrachte Ellbogen durch Ellbogenkappen, Aermel,
KNOCHENBRUCH DES SCHULTERBLATTS. 529
Verbandtücher etc. befestigt ; bei einigen stüzt sich dabei die Hand auf
die gesunde Schulter ; V e 1 p e a u fixirt den Arm in dieser Stellung durch
festzuklebende Binden. — Einige Wundärzte endlich legen gar keinen
Verband an , sondern lassen den Kranken nur eine ruhige Lage auf der
gesunden Seite beobachten , und unterstüzen den kranken Arm durch ein
kleines Kissen. — Legt man keinen zu grossen Werth auf eine kleine
(meistens ohnedies nicht zu vermeidende) Deformität , so kann man alle
complicirten Verbände entbehren und sich darauf beschränken , den Arm
einfach in eine Schlinge zu legen , um ein Herabschieben der kranken
Schulter zu verhüten. — Nachbehandlung. Bestehende Contusio-
nen der Weichgebilde behandelt man mit kalten Umschlägen etc.
13. Brüche des Schulterblatts. Diese Brüche sind selten,
was sich aus der Beweglichkeit der Scapula und ihrem Schuze durch dicke
Muskela leicht erklärt. Am häufigsten brechen noch die oberflächlichen
Theile derselben , das Acromion und der untere Winkel , demnächst der
Körper des Knochens und die Spina scapulae, endlich der Proces-
sus coracoideus und das Collum scapulae. — a) Die Brüche
des Körpers der Scapula verlaufen bald der Länge nach, bald in
die Quere, in welch lezterem Falle sie sich durch die Pars infra- oder
supraspinata erstrecken, bald sind es Splitterbrüche. Sie entstehen
stets direcf und sind daher immer mit bedeutender Quetschung , oft auch
mit Wunden complicirt. Die Längenbrüche sind selten mit Verschiebung
der Bruchstücke verbunden , und man fühlt nur Crepitation , wenn man
den Arm nach der gesunden Seite zu über die Brust bewegen lässt. Die
Querbrüche haben dagegen öfter Verschiebung der Bruchstücke zur Folge
und können leicht, wenn sie in der Pars supraspinata bestehen, bei
der Bewegung des Kopfs, und kommen sie in der Pars infraspinata
vor , durch die Vorwärtsbewegung des Arms , durch die entstehende Un-
gleichheit der Schulter , durch den Schmerz und die Crepitation erkannt
werden. Besonders ist es aber der untere Winkel des Schulterblatts,
welcher sich, wenn er abgebrochen ist, verschiebt ; er wird nämlich durch
den Latissimus dorsi und den Serratus anticus major nach
vorn gezogen. — b) Brüche der Forts äze des Schulterblatts.
Von diesen wird das Acromion am häufigsten gebrochen. Die Erken-
nung ist leicht durch die Crepitation bei Bewegungen des Arms , so wie
durch eine Vertiefung an der Stelle des Bruchs, welche verschwindet,
wenn man deta. Arm in die Höhe hebt. Dabei steht der Kopf gegen die
kranke Schulter hingeneigt und diese ist abgeflacht. — Brüche der
Spina scapulae sind bei der oberflächlichen Lage dieses Theils leicht
zu erkennen. Das abgebrochene Stück ist beweglich und an der Bruch-
stelle besteht Schmerz , der bei der Berührung und durch Bewegungen,
besonders Erhebung des Arms gesteigert wird. — Der Processus co-
racoideus bricht selten und wenn er bricht , so ist seiner versteckten
Lage wegen die Diagnose schwierig , besonders wenn noch Geschwulst da
Burger, Chirurgie. o4:
530 KNOCHENBRUCH DES SCHULTERBLATTS.
ist, die selten fehlt, weil nur eine beträchtliche direct einwirkende Gewalt
ihn zu brechen vermag. Schmerz und Beweglichkeit beim Vor- und Rück-
wärtsbewegen des Arms geben Erkennungszeichen ab. — Der Bruch
des Collum scapulae wird durch den Verlust der Rundung der
Schulter, eine Vertiefung dicht unter dem Acroniion, durch die Aufhebung
der Funktion des Arms, durch das Ab- und Vorwärtssinken desselben,
seine Richtung nach unten und aussen , das Abstehen des Ellbogens vom
Rumpfe und durch die Crepitation erkannt. Von der Luxation des Ober-
arms , mit dem dieser Bruch viel Aehnlichkeit hat , unterscheidet er sich
durch die Beweglichkeit des Schultergelenks , durch die Crepitation beim
Rotiren des Arms und durch das Wiederabwärtssinken des Arms , wenn
man ihn nach vollzogener Reposition sich selbst überlässt. — Ursachen.
Sämmtliche Schulterblattbrüche, mit Ausnahme desjenigen des Collum
scapulae, der durch Gegenschlag (Fall auf die vorgestreckte Hand,
auf den Ellbogen oder die Schulter) entsteht , sind die Folge einer un-
mittelbar einwirkenden Gewalt. Da diese Gewalt meistens eine sehr hef-
tige ist, so sind diese Brüche häufig mit starken Quetschungen und Er-
schütterungen der Brustorgane oder des Rückenmarks verbunden. —
Prognose. Wegen der angeführten Nebenverlezungen sind diese Frac-
turen im Allgemeinen nicht günstig zu beurtheilen. Auch können die
Fortsäze krüppelhaft verheilen (das Acroniion meistens durch eine Zwi-
schensubstanz), was den Arm späterhin mehr oder weniger in seinen Funk-
tionen behindern kann. — Reposition. Bei Längenbrüchen des
Schulterblattkörpers ist keine Reposition vonnöthen ; beim Bruche der
Pars supraspinata drückt man das obere Fragment nach unten,
während der Kranke den Kopf nach der kranken Seite neigt. Die Ein-
richtung der gebrochenen Pars infraspinata soll dann möglich wer-
den, wenn man den kranken Arm so vorn über erhebt, dass die Hand auf
die gesunde Schulter zu liegen kommt. — Die Reposition der Brüche der
Fortsäze geschieht dadurch , dass man den flectirten und an den Körper
angelegten Arm vom Ellbogen aus in die Höhe schiebt , wozu für den
Bruch des Collum scapulae noch ein Auswärtsziehen des dicht unter
der Achselhöhle gefassten Oberarms kommt. — Retention. Im All-
gemeinen sichere man die ruhige Lage des Schulterblatts durch Fixirung
des Oberarms und Erschlaffung der Muskeln. Am besten entspricht man
dieser Anforderung durch folgende Verbände. Befindet sich der Bruch
am Körper der Scapula , so lege man , nachdem man eine Compresse in
die Achselhöhle gebracht hat, den im rechten Winkel gebogenen Arm in
eine Schlinge und befestige das Ganze mittels einiger die Brust umgeben-
den Cirkeltouren. — Bei dem Bruche der Fortsäze muss die Stellung des
Arms, in welcher die Reposition des Bruchs bewirkt wurde, festgehalten
werden. Zu diesem Behufe bringt man zwischen die Brust und den un-
tern Theil des Oberarms ein gewöhnliches (beim Bruche des Collum
scapulae in die Achselhöhle mit seiner Basis nach oben ein keilförmiges)
KNOCHENBRUCH DES OBERARMS. 531
Kissen und befestigt den in eine Schlinge gelegten , stark nach oben ge-
drückten Arm mit Brustzirkelgängen an den Rumpf. Bei dem Bruche
der Spina scapulae kann man in die Fossa supra- und i n f r a-
s p i n a t a graduirte Compressen legen und diese durch Achtertouren um
die Schultern, die sich auf dem kranken Schulterblatte kreuzen , befesti-
gen. — Nachbehandlung. Die bedeutenden Quetschungen machen
immer die Anwendung von kalten Umschlägen, Blutegeln , innern anti-
phlogistischen Mitteln, zuweilen einen Aderlass etc. nothwendig. Bildet
sich in der Umgegend des Schulterblatts dennoch eine Eiterung aus , so
muss man dem Eiter, welcher oft seinen Weg gegen die Achselhöhle hin
nimmt , frühzeitig einen Weg durch Incisionen oder nöthigenfalls durch
Trepanation des Schulterblatts eröffnen.
14. Brüche des Oberarmbeins. Das Oberarmbein kann
bald an seinem obern Ende, bald an seinem Mittelstücke, bald an seinem
untern Ende brechen. — a) Die Brüche des obern Endes zerfallen
wieder in solche , die über den Höckern des Humerus ihren Siz haben,
Brüche des anatomischen Halses oder des Oberarm-
kopfes (Intracapsularbrüche) ; ferner in solche, welche die Höcker
selbst betreffen, und endlich in Brüche unterhalb der Höcker, Brüche
des chirurgischen Halses (Extracapsularbrüche). Sie entstehen
in der Regel durch unmittelbar einwirkende Gewalten. — Diagnose.
Beim Bruche des anatomischen Halses besteht oft keine De-
formität ; die Schulter hat dann ihre normale Gestalt und der Verdacht
einer Fractur wird nur durch die Schmer zhaftigkeit und die Unmöglich-
keit von Bewegungen herbeigeführt. Diese subjectiven Zeichen können
auch bei blosser Contusion der Schulter bestehen. Es müssen daher
noch andere Zeichen gesucht werden ; diese erhält man , wenn man den
Oberarm zu rotiren versucht , während die andere Hand das Schulter-
gelenk fixirt : man vernimmt dann Crepitation und bemerkt , dass der
Kopf den Bewegungen des Oberarmbeins nicht folgt. Besteht Verschie-
bung, welche aber immer sehr gering ist, so rührt sie davon her, dass der
Deltoideus, Supra- und Infraspinatus das untere Bruchstück
ein wenig aufwärts und nach aussen ziehen; in diesem Falle fühlt man
an der gebrochenen Stelle eine Vertiefung und das untere Fragment bil-
det einen Vorsprung in der Achselhöhle ; die Folge hievon ist eine ge-
ringe Verkürzung des Arms. Bei Einkeilung des Gelenkkopfes in die
spongiose Substanz des untern Bruchendes fehlt Beweglichkeit und Cre-
pitation. Ein ziemlich constantes Zeichen der Oberarmhalsfracturen ist
nach Malgaigne eine mehr oder minder umfangreiche Ecchymose am
Arm und in der Schlüsselbeingegend. — Beim Bruche durch die
Tubercula besteht fast gar keine Deformität, weil die starken Sehnen-
ansäze des Supraspi natu s, Infraspinatus, Teres minor und
Subscapularis so wie die mit ihnen zusammenhängenden Theile der
Gelenkkapsel die Bruchenden genau gegen einander befestigen. Der
34*
532 KNOCHENBRUCH DES OBERARMS.
Bruch kann nur durch die Crepitation entdeckt werden. Ein isolirter
Bruch des T u b e r c u 1 u m minus kommt höchst selten vor. Häufiger
bricht das Tuberculum majus für sich ohne Betheiligung des übri-
gen Knochen und erfolgt der Bruch desselben an seiner Basis, so wird es
durch die daran befestigten Muskeln ( S upr a- und Infraspinatus
und Teres minor) aufwärts und nach aussen gezogen , sofern deren
sehnige Ausbreitungen in die Gelenkkapsel nicht Widerstand leisten.
Der Humerus wird , da er der Einwirkung der gedachten Muskeln ent-
zogen ist , nach innen rotirt und die Bruchfläche des untern Bruchendes
stark aufwärts und nach innen geschoben. Das Tuberculum wird unter
dem Acromion , der Gelenkkopf in der Nähe des Processus cora-
c o i d e u s gefühlt. Ist nur ein Stück des Tuberculu m majus ab-
gebrochen, so fehlt jede Verschiebung. — Bei dem Bruche des chi
rurgischen Halses wird das obere Bruchende durch die M. M. supra-
und infraspinatus in der Art verschoben, dass seine untere Fläche
sich nach aussen und vorn wendet, während das untere Bruchstück durch
den Pectoralis major, Teres major und Latissimus dorsi
nach innen, durch die übrigen vom Schultergerüst zum Arm verlaufenden
Muskeln aber zugleich aufwärts gezogen wird. Auch hier kommt Ein-
keilung des Kopfs vor. Die Deformität ist hier sehr bedeutend : Die
Achse des Oberarms steht schief von oben und innen nach unten und
aussen , das obere Ende des untern Bruchstücks ragt in der Achselhöhle
hervor ; 2 — 3 Finger breit unterhalb des Acromion besteht eine deut-
liche Einbiegung. Dazu bei der Rotation des nach aussen gezogenen
Arms Crepitation, starker Schmerz, die Unmöglichkeit freiwilliger Bewe-
gungen, Anschwellung und Ecchymose. — Prognose. Die Nähe des Ge-
lenks, die grosse Gewalt, welche erforderlich ist, um einen solchen Bruch her-
vorzubringen, dann auch die Unmöglichkeit, solche Brüche genau zu repo-
niren und die daraus resultirende mangelhafte Consolidation machen die
Brüche des obern Endes des Humerus zu bedenklichen Verlezungen. — R e-
position. Eine solche ist nur bei den Brüchen des chirurgischen Halses
nöthig, bei welchen ein leichter Zug das untere Bruchende in gleiche Höhe
mit dem obern bringt, worauf ein in der Richtung von innen nach aussen auf
das untere Bruchende in der Nähe der Bruchstelle ausgeübter Druck die
Coaptation vervollständigt. Der abgebrochene Kopf entzieht sich jeder
Einwirkung. — Beim Bruche eines der Tubercula rotirt man den Ober-
arm, um die sich an den Höcker inserirenden Muskeln zu erschlaffen und
drückt den Höcker an seine Stelle. — Retention. Man umwickelt
den Oberarm so hoch als möglich mit einer Rollbinde , legt dann 3 — 4
Pappschienen, von denen die äussere bis auf die Schulterhöhe reichen und
eingekerbt sein muss, damit sie sich an die Schulter anschmiegt, um den
Arm und befestigt diese mit einer zweiten Binde, welche sich mit Touren
um die Schulter und Brust endigt. Schliesslich legt man zwischen den
Oberarm und die Brust eine dicke Compresse, wickelt den Oberarm gegen
KNOCHENBRUCH DES OBERARMS. 533
die Brust mit Bindentouren fest, und lässt den Vorderarm in einer Mitella
tragen. — Die Consolidation, die nicht selten durch eine fibröse Zwischen-
substanz , manchmal durch stalaktitenförmige Knochenwucherungen zu
Stande kommt, erfolgt in etwa 50 Tagen. — Nachbehandlung.
Sie muss nach Massgabe der durch die Gewalt hervorgerufenen Entzün-
dung mehr oder weniger streng antiphlogistisch sein. Bei complicirten
Brüchen kann die Resection nöthig werden. Wenn der völlig abgelöste
Gelenkkopf frei im Gelenke liegt und als fremder Körper Entzündung
und Eiterung erregt , so muss das Gelenk wie bei der Resection geöffnet
und der Gelenkkopf ausgezogen werden. — b) Bruch des Mittel-
stücks des Oberarmbeins. Dieser kommt am häufigsten im mitt-
leren Theile des Körpers des Knochens vor und ist gewöhnlich die Folge
einer direct einwirkenden äussern Gewalt ; seltener erfolgt er durch
indirecte Ursachen , z.B. einen Fall auf den Ellbogen , und ausnahms-
weise durch Muskelthätigkeit, z. B. beim Werfen etc. — Diagnose.
Sie ist immer sehr leicht : Deformität, abnorme Beweglichkeit, Crepitation,
fixer Schmerz an der Stelle des Bruches und Unfähigkeit zu willkürlichen
Bewegungen des Arms. Verschiebung findet sich besonders bei Schief-
brüchen. Sizt der Bruch unterhalb der Insertion des Deltamuskels , so
ist diese nicht bedeutend , weil der Brachialis internus und der
T r i c e p s die Bruchenden gleichförmig umfassen. Befindet sich die
Bruchstelle oberhalb der Insertion des Deltoideus , so wird das untere
Bruchende durch ihn nach aussen , das obere aber durch den P e c t o-
ralis major, Ter es major und Latissimus dorsi nach innen
gezogen. — Prognose. Sie ist günstig. Die Consolidation kommt
in 5 — 6 Wochen zu Stande ; indessen ist zu bemerken, dass unter allen
Brüchen der in Rede stehende dem Fehlschlagen der Consolidation am
meisten unterworfen ist. — Reposition. Ein Gehülfe umfasst be-
hufs der Contraextension die Schulter mit beiden Händen , ein zweiter
zieht über dem im rechten Winkel gebeugten Ellbogengelenke und der an
der äussern Seite stehende AVundarzt macht die Coaptation. — R e t e n-
t i o n. Man wickelt den Oberarm mit einer Rollbinde ein und legt zwei
oder drei Schienen an, die man gehörig befestigt. Den Vorderarm legt
man in eine Schlinge. Bleibt der Kranke im Bette , so lagert man den
halbgebeugten Arm in einiger Entfernung vom Rumpfe auf ein Kissen.
— c) Brüche am untern Ende desHumerus. Diese erfolgen
entweder durch die ganze Breite des Humerus oder es ist der eine oder
der andere Condylus abgetrennt. Sie entstehen durch Gewalten welche,
das Gelenk selbst treffen ; die häufigste Veranlassung ist ein Fall auf
den Ellbogen. — Diagnose. Der Bruch , welcher das ganze un-
tere Ende des Humerus über den Condylen ablöst, gibt sich durch
Schmerz, Unbrauchbarkeit des Gliedes, Geschwulst zu erkennen ; Crepi-
tation ist oft schwer zu entdecken ; sie kann möglicher Weise durch dre-
hende Bewegungen des Vorderarms hervorgebracht werden. Durch die
534 KNOCHENBRUCH DES OBERARMS.
Wirkung des Triceps ist das untere Bruchstück nebst dem ganzen Vorder-
arm nach hinten und oben gezogen. Ersteres erleidet dabei eine solche
Drehung um seine Querachse , dass der Gelenktheil vollkommen nach
hinten, die Bruchfläche aber nach vorn gerichtet ist, so dass leztere ge-
meinsam mit dem obern Bruchende einen nach vorn vorspringenden
Winkel bildet. — Mit einem mehr oder weniger querverlaufenden Bruch
kann ein durch das untere Bruchende vertical bis ins Gelenk verlaufender
Längenbruch verbunden sein , wodurch , wenn diese Bruchstücke aus
einander weichen , der Querdurchmesser des untern Endes des Oberarms
beträchtlich vermehrt wird. Auch kann das Olecranon in diesen Spalt
treten, wodurch dieses sich dem Gefühl entziehen kann. Gewöhnlich
steht das Olecranon bei allen diesen Brüchen stark nach hinten vor und
hat einen höheren Standpunkt als gewöhnlich. Der Arm ist im Ellbogen
leicht gebeugt. Dieser Bruch kann leicht mit einer Luxation des Vorder-
arms nach hinten verwechselt werden. — Bei dem Bruche des innern
Condylus tritt bei ausgestrecktem Arme das obere Ende der Ulna mit
dem abgebrochenen Condyl in die Höhe und bildet einen Vorsprung ;
das untere Ende des Humeras springt nach vorn vor. Während der Beu-
gung verschwindet jede Deformität. Legt man , während im Ellbogen-
gelenk Bewegungen gemacht werden , die Finger auf das untere Ende
des Humerus , so fühlt man Crepitation. Geht der Bruch nicht in das
Gelenk, so fehlt die Dislocation der Ulna und die Crepitation lässt sich
nur durch directe Bewegungen des abgebrochenen Condyls hervorrufen.
Die Diagnose wird nicht selten durch eine bedeutende Geschwulst er-
schwert. — Beim Bruch des äussern Condylus bildet das abge-
löste Knochenstück einen Vorsprung, dessen Berührung schmerzhaft ist.
Bewegungen im Ellbogengelenk und Drehungen der Hand erregen Schmerz
und Crepitation. Läuft der Bruch in das Gelenk , so weicht der Radius
mit dem abgebrochenen Condylus nach hinten. Auch bei diesem Bruche
findet sich oft eine bedeutende Geschwulst. Die Vereinigung erfolgt
manchmal blos durch ligamentöse Zwischensubstanz. — Prognose.
Diese mehr bei Kindern als bei Erwachsenen vorkommenden und in die-
sem Falle wahrscheinlich oft in einer Ablösung der Epiphyse bestehenden
Brüche gewähren deshalb nicht immer die beste Prognose , weil sehr
lange Zeit nach der Heilung eine beträchtliche Steifigkeit im Ellbogen-
gelenke zurückbleibt. — Reposition. Beim Bruche des ganzen un-
tern Endes des Humerus fasst man mit jeder Hand ein Fragment , wobei
der Daumen vorwärts angelegt und gegen den Bruch gerichtet ist, welchen
man nun durch Druck und Zug einzurichten versucht. Die Brüche der
Condylen richten sich ohne weiteres Zuthun der Kunst durch Beugung
des Vorderarms von selbst ein. — Retention. Beim Bruche über
den Condylen legt man an das in, Halbbeugung gebrachte Glied zwei
Schienen und zwar entweder zwei knieförmig gebogene an beide Seiten
des Gelenkes oder aber je eine auf die Beuge und Streckseite desselben,
KNOCHENBRUCH DES VORDERARMS. 535
welche am Ellbogen entsprechend umgebogen und dann schliesslich mit
einer Binde befestigt werden. Bei grosser Neigung zur Dislocation legt
man auf den Vorsprung in der Ellenbogenbeuge eine dicke Compresse,
auf welche sich die vordere Schiene stüzt. Bei gleichzeitig bestehendem
Längenbruche sind Seitenschienen nicht zu entbehren. Den Vorderarm
legt man schliesslich in eine Mitella. — Bei dem Bruche der Con-
dylen hat man nur den rechtwinklig gegen den Oberarm gebeugten
Vorderarm in dieser Stellung zu befestigen und durch eine Schlinge
zu unterstüzen. Um das Ausweichen des äussern Condyls nach hinten zu
verhindern , kann man dem genannten Verbände eine rechtwinklig gebo-
gene Schiene an die hintere Seite beifügen. — Bei complicirten Brüchen
muss man sich damit begnügen, den verlezten Arm massig gebogen auf
ein Spreukissen zu lagern, und dieses, nachdem es an den Arm sanft an-
gedrückt ist , durch einige Bänder festzubinden. Bei grosser Neigung
der Bruchenden zur Verschiebung kann man zwischen den Arm und die
Bänder einige dünne Holzschienen einschieben , auch die S c u 1 1 e t'sche
Binde anlegen. — Nachbehandlung. Diese hat zunächst die Be-
kämpfung der Entzündung durch kalte Umschläge etc. zur Aufgabe, dann
aber besonders der Gelenksteifigkeit entgegen zu wirken, zu welchem Be-
hufe man bei jugendlichen Individuen schon in der zweiten Woche, bei
altern in der dritten anfängt, dem Ellbogen vorsichtig passive Bewegun-
gen mitzutheilen.
15. Brüche der Vorderarmknochen. Man unterscheidet
einen Bruch beider Knochen und einen Bruch des Radius und der
Ulna allein. Von grösserer Wichtigkeit ist unter diesen Brüchen der
Bruch des Olecranon und der des untern Endes des Radius. —
Diagnose. Der Bruch beider Vorderarmknochen lässt
sich, wenn er in der Mitte statt hat , leicht an der Missstaltung , die
durch die Neigung der Bruchenden nach innen bedingt ist , an der ge-
hinderten Pro- und Supination , an der Crepitation und an der widerna-
türlichen Beweglichkeit an der Bruchstelle erkennen. Der Bruch am
obern Ende ist schwieriger aufzufinden, weil hier in der Regel keine
Verrückung der Bruchenden vorkommt. Der Bruch am untern Ende
wird leicht mit Luxation des Handgelenkes verwechselt. Er wird durch
ein Abwärtssinken der Hand characterisirt. — Beim Bruche des
Radius fühlt man im Allgemeinen Crepitation bei der Pro- und Supi-
nation ; bei diesen Bewegungen , welche activ nicht ausgeführt werden
können, folgt das fixirte Köpfchen des Radius nicht mit ; endlich lassen
der Schmerz , die abnorme Beweglichkeit und die Neigung der Bruch-
enden gegen die Ulna hin den Bruch erkennen. — Beim Bruche am
untern Ende des Knochens ist die Hand nach der Radialseite hin
geneigt ; auf der Volarseite des Vorderarms, dicht über dem Handgelenk,
fühlt man eine Hervorragung, welche von dem untern Fragment gebildet
ist, und auf der Dorsalseite eine Vertiefung, welche durch das nach innen
536 KNOCHENBRUCH DES VORDERARMS.
gewichene untere Fragment entsteht. Das untere Ende der Ulna springt
stark hervor. Je schiefer der Bruch verlauft, um so ausgesprochener ist
die Verschiebung der Bruchenden. Crepitation ist bei diesem Bruche
schwer zu entdecken, dagegen findet sich zuweilen eine abnorme Beweg-
lichkeit des Handgelenks. Dabei ist leicht sehr lebhafter Schmerz an
der Bruchstelle. — An seinem obern Drittt heile bricht der Radius
am seltensten. Geht der Bruch durch den Hals , so bleibt das obere
Bruchende an seinem Plaze, das untere wird durch den Biceps nach vorn
und durch die Pronatoren gegen die Ulna hingezogen. Rotationen an
der Hand zeigen , dass das Capitulum radii den Bewegungen nicht
folgt, zugleich ist Crepitation wahrzunehmen. Ist blos das Köpfchen des
Radius abgebrochen , so tritt der übrige Knochen nach vorn und wenn
man bei gebeugtem Vorderarme die Hand rotirt, so fühlt man Crepitation.
— Der Bruch der Ulna ist, wenn er in der Mitte statt hat, meist
leicht zu erkennen. Wenn man mit den Fingern längs des Knochens
hingeht, so fühlt man einen Eindruck an der Bruchstelle, welche schmerz-
haft und abnorm beweglich ist. Verschiebung findet sich nur gegen das
untere Ende hin , indem das untere Bruchstück durch den Pronator
quadratus gegen den Radius hingezogen wird. Die Hand ist nach
unten geneigt, Pro- und Supination schmerzhaft, weniger Streckung und
Beugung. — Der sehr seltene Bruch des Processus coronoi-
deus ist der Geschwulst wegen zu erkennen. Die Pro- und Supination
ist bei diesem Bruche nicht beeinträchtigt , die Beugung des Arms dage-
gen unmöglich ; in der Ellbogenbeuge fühlt man den Processus co-
ronoideus beweglich und die Ulna gleitet etwas nach hinten. Meistens
ist eine Verrenkung des Vorderarms nach hinten mit diesem Bruche ver-
bunden. — Beim Bruche des Olecranon ist , bei gleichzeitiger Zer-
reissung des fibrösen Ueberzugs , der Vorderarm flectirt , der Arm kann
nicht gestreckt werden und das Olecranon steht troz der Beugung des
Vorderarms höher (zuweilen bis zu 2 Zoll) als die Condylen ; ist der
fibröse Ueberzug aber unversehrt geblieben , so ist die Streckung dem
Kranken möglich, man fühlt nur einen kleinen Spalt zwischen Olecranon
und Ulna , und man kann Crepitation hervorbringen. Meistens ist eine
bedeutende Geschwulst oder ein Erguss von Blut oder Synovia zugegen.
— Ursachen. Eine directe Gewalt , seltener ein Fall auf die Hand
bricht die beiden Knochen , wie den Radius oder die Ulna allein ; das
untere Ende des Radius allein wird nur durch einen Fall auf die ausge-
streckte Hand gebrochen ; das Olecranon bricht gewöhnlich durch Fall
oder Stoss auf den Höcker selbst ; in seltenen Fällen erfolgt dieser Bruch
durch Muskelcontraction. — Prognose. Sie ist im Allgemeinen
günstig ; nur bei unzweckmässiger Behandlung kann es zum Zusammen-
heilen beider Röhren kommen , was eine bleibende Beschränkung der
Pro- und Supination zur Folge hat. Bei Brüchen in der Nähe von Ge-
lenken stellt sich die Prognose etwas ungünstiger, als an dem Körper der
KNOCHENBRUCH DES VORDERARMS. 537
Knochen , indem nicht selten einige Beschränkung in den Bewegungen
des interessirten Gelenks zurückbleibt ; dies gilt namentlich bei dem Hand-
gelenk bei Brüchen des untern Endes des Radius. War die Fractur des
Olecranon mit bedeutender Quetschung verbunden , so kann eine unheil-
bare Unbeweglichkeit des Vorderarms entstehen. Olecranon und Pro-
cessus coronoideus heilen meistens durch eine ligamentöse
Zwischensubstanz mit der Ulna zusammen; ist diese bei dem ersten Fort-
saze sehr breit , so ist ein gestörtes Extensions- und Flexionsvermögen
die Folge ; bei dem Processus coronoideus beeinträchtigt die
zurückbleibende Neigung zur Verschiebung der Vorderarmknochen nach
hinten die Brauchbarkeit des Gliedes in hohem Grade. Zur Consolida-
tion der Vorderarmbrüche werden 5 — 6 Wochen erfordert. — Repo-
sition. Die Extension geschieht beim Bruche beider Knochen des
Vorderarms an der in eine Mittelstellung zwischen Pro- und Supination
gebrachten Hand , die man , wenn der Bruch im untern Dritttheile sizt,
gegen den Ulnarrand neigen lässt ; die Contraextension wird an dem im
rechten Wrinkel gebogenen Ellbogengelenke ausgeführt und der an der
äussern Seite des Gliedes stehende Wundarzt besorgt die Coaptation,
indem er durch Eingreifen der Finger in den Zwischenknochenraum die
Knochen auseinander drängt. — Die Einrichtung des gebrochenen Ra-
dius oder der Ulna erfordert neben einem gelinden Zuge die Beugung
der Hand nach der dem Bruche entgegengesezten Richtung und das Aus-
wärtsdrängen der eingesunkenen Bruchenden mit den Spizen der Finger.
— DieReduction des abgebrochenen Kronen fortsazes wird durch Beugung
des Vorderarms und durch Zurückdrängen des dislocirten Bruchstücks mit
den Fingern leicht bewerkstelligt. — Die Reposition des ganz getrenn-
ten Olecranon geschieht , indem der Wundarzt mit beiden Händen den
Oberarm umfasst und dann mit beiden Daumen das fracturirte Stück nach ab-
wärts drückt. — R e t e n t i o n. Beim Bruche beider Knochen legt
man in den Zwischenknochenraum graduirte Longuetten oder Leinwandrol-
len, befestigt diese durch einige locker angelegte Bindentouren und legt
dann zwei breite Schienen von starker Pappe an, von denen die eine an der
Volarseite vom Ellbogen bis zum Carpus, die andere auf der Dorsalseite vom
Ellbogen bis zu den Fingerspizen reicht und welche durch aufsteigende
Touren umwickelt werden, worauf der Arm in eine Mitella, in welche man
mit Vortheil eine Papprinne bringt, gelegt wird. — Bei dem Bruche
des Radius oder der Ulna wird der Verband auf ähnliche Weise an-
gelegt. Befindet sich der Bruch dieser Knochen nahe dem Handgelenke,
so wird D upuytren' s Schiene empfohlen, welche aus Eisen besteht,
am untern Ende seitlich gebogen ist , über den Vorderarm hinausreicht
und über einem untergelegten Kissen mittels Bindentouren die nöthige
Ab- oder Einwärtskehrung der Hand gestattet. Strom eyer bedient
sich einer ähnlich geformten Schiene von Pappe oder Holz. Bei dem
Bruche des untern Endes des Radius ist der Verband von G o y -
538 KNOCHENBRUCH DES VORDERARMS.
rand als der zweckmässigste anerkannt. Er legt ein dickes viereckiges
Kissen auf die Dorsalseite oder, wenn in seltenen Fällen die Verschiebung
nach vorn statt hat , auf die Volarseite des untern Bruchendes , darüber
eine gewöhnliche Schiene , auf die entgegengesezte Seite aber ein mit
seiner Spize gegen die Hand gerichtetes keilförmiges Kissen, auf welches
gleichfalls eine Schiene zu liegen kommt; das Ganze wird mit einer Binde
zusammengehalten. — Beim Bruche des Processus coronoideus
legt man auf die Streck- und Beugeseite des Arms Schienen , befestigt
diese durch Achtertouren um das Gelenk und erhalt den Arm bis zur
Heilung in leichter Flexion. — Beim Bruche des O leer an on hat
man verschiedene Verbandmethoden , die sich im Wesentlichen nur da-
durch unterscheiden , dass sie den Arm in grösserer oder geringerer
Streckung erhalten. Vollkommene Streckung bezwecken die Verbände
von Dupuytren, A. Cooper, Wardenburg, Henkel U.A., eine
massige Beugung diejenigen von Desault, Feiler, Earle u. A., und
Beugung im rechten Winkel die Verbände von Mazotti, Camper,
Boy er u. A. Am besten ist es jedenfalls , den Vorderarm in massiger
Flexion und zwar so zu verbinden , wie er im Zustande des ruhigen Her-
abhängens sich befindet , da zu grosse Streckung beschwerlich für den
Kranken ist , das obere Ende der Ulna sich zu leicht in die für das Ole-
cranon bestimmte Grube begibt und am ehesten Gelenksteifigkeit zur
Folge hat, und andererseits eine zu grosse Beugung das Anheilen der
Bruchfragmente unmöglich oder nur unter Vermittelung einer sehr breiten
Zwischensubstanz möglich macht. — Unter den Verbänden, welche dieser
Richtung am meisten entsprechen, haben sich diejenigen von Langen-
b e c k und Kluge durch vielfache Erfahrung als sehr zweckmässig er-
probt. Ersterer wickelt Vorder- und Oberarm in entgegengesezter Rich-
tung ein und zieht in der Nähe des freibleibenden Gelenks die Gänge
stärker an, legt dann in die Ellenbogenbeuge eine etwas gebogene Schiene
und befestigt diese durch den Rest der Binde. Kluge 's Verband ist
dem eben angeführten ähnlich , nur legt er zur Befestigung des abgebro-
chenen Olecranon eine Binde in der Form der Testudo inversa um
das Gelenk. Statt dieser Binde ist nach A 1 c o c k mit Vortheil ein Heft-
pflaster anzuwenden , mit welchem man zugleich der sonst leicht eintre-
tenden seitlichen Verschiebung des Olecranon vorbeugen kann. Einem
Nachlassen der eben angeführten Bindenverbände begegnet man durch
Bestreichen der Verbandstücke mit Kleister. — In den ersten Tagen
unterlässt man die Anlegung eines festen Verbandes , sondern beschäftigt
sich nur mit der meist heftigen Entzündung ; erst wenn die Geschwulst
beseitigt ist, schreitet man zur Coaptation ; man lagert indessen das frac-
turirte Glied auf ein Spreukissen. — Nachbehandlung. Hat eine
starke Gewalt die Gelenke betroffen, so sind heftige entzündliche Erschei-
nungen zu erwarten, die eine entsprechende antiphlogistische Behandlung
erfordern. Der gern zurückbleibenden Steifigkeit der Gelenke wegen
KNOCHENBRUCH DER HAND. 539
müssen diesen frühzeitig vorsichtige passive Bewegungen mitgetheilt wer-
den. Später lässt man bei eingetretener Gelenksteifigkeit Gewichte tra-
gen, Schubkarren fahren etc.
16. Brüche an der Hand. Diese können entweder die Hand-
wurzelknochen , oder die Mittelhandknochen oder die Phalangen der
Finger betreffen. — a) Brüche der Handwurzelknochen.
Sie kommen selten allein vor , meistens sind Wunden und umfangreiche
Zerschmetterungen der Nachbartheile damit verbunden. Die Diagnose
ist, wenn keine Wunde besteht, sehr schwierig. Sie sind meist die Folge
von Schüssen oder Maschinengewalten. Sind Bruchstücke dislocirt , so
drückt man sie an ihren Plaz ; lose Splitter entfernt man bei Zeiten.
Man lagert den Arm auf ein Brettchen und bringt die stärkste Antiphlo-
gose in Anwendung. Nicht selten machen die Verwüstungen die Ampu-
tation nothwendig. — b) Brüche der Mittelhandknochen.
Sie sind gleichfalls selten und kommen oft in Verbindung mit den Brüchen
der Handwurzelknochen vor. Die Brüche treffen entweder mehrere Knochen
zugleich oder nur einen von ihnen. Am häufigsten bricht noch der fünfte
Mittelhandknochen, nach diesem der des Mittelfingers. Die Diagnose
ist leicht, wenn Dislocation zugegen ist, fehlt diese, so ist sie häufig un-
sicher. Zuweilen fühlt man Beweglichkeit und Crepitation. Die Veran-
lassung gibt gewöhnlich eine direct einwirkende Gewalt ; selten ent-
steht der Bruch in Folge einer indirecten Einwirkung, gewöhnlich durch
einen Fall auf die Knöchel der Hand bei geschlossener Faust. Die B e-
handlung besteht in der Reposition durch Zug am Finger und Gegenzug
am Handgelenk , womit man nötigenfalls noch einen Druck auf die
Bruchstücke verbindet, und in der Retention mittels Compressen und klei-
ner Schienen , welche auf die Dorsal- und Volarseite gelegt und durch
eine Rollbinde befestigt werden ; Andere legen die Hand auf ein Brett-
chen und auf die Rückseite eine Pappschiene und Malgaigne legt, um
den Seitendruck zu vermeiden , zwei starke hölzerne Schienen quer über
die Dorsal- und Volarseite der Mittelhand und befestigt sie durch Heft-
pflasterstreifen. — Einfache Brüche der Mittelhandknochen heilen in
2 0 — 3 0 Tagen. Bei complicirten kann, wenn beträchtliche Zerstörung
der Weichtheile besteht, die Exarticulation der Hand nothwenig werden.
— c) Brüche der Fingerglieder. Diese Brüche sind nicht sel-
ten und meistens ist nur ein Finger gebrochen ; oft sind sie mit Com-
plicationen verbunden, bestehend in Quetschung, Wunden, Zerschmette-
rung. Die Diagnose ist leicht durch die abnorme Beweglichkeit, Crepi-
tation, Schmerz bei der Bewegung des fracturirten Fingers. Die Ur-
sachen sind immer directe. Die Behandlung besteht in dem ge-
linden Anziehen beider Knochenenden und in der Anlegung kleiner
Holz-, Papp- oder Gutta - Percha - Schienen , die man mit einer schmalen
Binde oder mit Heftpflasterstreifen befestigt ; auch kann man den Finger
an seinen Nachbar befestigen. Die Nachbehandlung sei den Umständen
540 KNOCHENBRUCH DES OBERSCHENKELS.
gemäss. Bei Zerschmetterungen nehme man nur die losen Splitter weg
oder resecire einen Knochentheil ; mit der Amputation eile man nicht zu
sehr , denn oft gelingt es , einen scheinbar unrettbar verlorenen Finger
noch zu retten. Bei der Behandlung aller Fingerfracturen muss man
schon nach 1 4 Tagen passive Bewegungen vornehmen , um der Gelenk -
steifigkeit vorzubeugen. Die Consolidation erfolgt bei einfachen Finger-
brüchen in 2 5 --- 3 0 Tagen.
17. Brüche des Oberschenkelbeins. Diese Brüche ge-
hören zu den am häufigsten vorkommenden. Man unterscheidet den
Bruch des Halses , den des grossen Trochanter , den Bruch unter dem
Ansaze des Muse, psoas, den Bruch des Körpers, denjenigen über
den Condylen und den Bruch der Condylen. — a) Brüche des
Schenkelhalses. Diese Brüche haben entweder ausserhalb oder
innerhalb des Kapselbandes ihren Siz und sie werden diesem nach
in extracapsuläre und intracapsuläre Schenkelhals-
brüche unterschieden. Oft aber verläuft ein Theil der Bruchlinie
innerhalb, ein anderer ausserhalb des Kapselbandes. Diese sämmtlichen
Arten von Brüchen können m i t oder ohne Einkeilung bestehen.
Je nach diesem verschiedenen Verhalten bieten die Schenkelhalsbrüche
verschiedene S y m p t o m e dar. Diese sind beim intracapsulären
Bruche folgende : Schmerz im Hüftgelenke, plÖzlich entstandene Unmög-
lichkeit zu gehen, starke Verkürzung des Gliedes (bis zu 21/2 Zoll), die
sich durch Ziehen verliert, aber beim Nachlassen des Zugs sogleich wieder
eintritt, starke Auswärtsdrehung des ganzen Gliedes, welche sich, jedoch
nicht ohne Schmerzen und Wiederkehr, aufheben lässt, Höherstehen des
grossen Trochanters , welcher zugleich beim Drehen des Oberschenkels
einen kleineren Kreis beschreibt ; endlich zuweilen fühlbare Crepitation.
Manche Symptome können fehlen 1) wenn die Bruchenden mit zackigen
Vorsprüngen ineinandergreifen, 2) wenn Einkeilung besteht und 3) wenn
die Gelenkkapsel da , wo sie den Hals am Kopfe umfasst, unversehrt ist.
Häufig wird dieser Zustand aber durch unvorsichtige Bewegungen von
Seiten des Verlezten oder des untersuchenden Arztes aufgehoben. —
Beim extracapsulären Bruche ist die Verkürzung nicht so bedeutend
(nur 1/2 — 3/4 Zoll) ; wenn keine Einkeilung zugegen ist , so fällt der
Fuss nach aussen, Crepitation ist leicht hervorzubringen, bei der Rotation
des Gliedes fühlt die auf den Trochanter aufgelegte Hand , dass das Fe-
mur sich um einen sehr kleinen Radius dreht ; Schmerz und Geschwulst
sind bedeutender, als bei der andern Form, und endlich finden sich hier
starke Blutunterlaufungen, welche bei dem intracapsulären Bruche fehlen.
— Die pathognomonischen Zeichen eines Schenkelhalsbruchs mit
Einkeilung sind : geringe Verkürzung des Beins , auffallend heftiger
Schmerz, Möglichkeit, das ausgestreckte Bein aufzuheben und mit dem-
selben aufzutreten , sofern nicht der Trochanter major zersprengt
ist , beträchtliche Geschwulst und Suggillation in der Umgegend des
KNOCHENBRUCH DES OBERSCHENKELS. 541
grossen Troehanters, die Extension vermag (wenn nicht grosse Gewalt an-
gewendet wird) die bestehende Verkürzung nicht zu beseitigen. — Schen-
kelhalsbrüche können verwechselt werden : a) mit Verrenkung des
Oberschenkels nach hinten und oben, und hinten und
unten; hier ist aber eine Einwärtsdrehung des Fusses zugegen , die
zwar auch zuweilen beim Schenkelhalsbruche vorkommen kann , bei der
Luxation aber nicht ohne Einrenkung zu heben ist; auch ist der Schenkel-
kopf deutlich durch die Weichtheile hindurch auf der äussern Fläche des
Hüftbeins oder in der Incisura ischiadica zu fühlen ; b) mit der
Verrenkung nach vorn und oben; das Glied ist zwar bei dieser
auch nach aussen gedreht, diese Drehung lässt sich aber wie bei den hin-
tern Luxationen nur durch Einrenkung heben ; ausserdem bildet der
Schenkelkopf eine deutliche Hervorragung in der Inguinalgegend ; c) mit
einem Becken bruche; dieser ist aber, da zu seiner Hervorbringung
eine sehr bedeutende Gewalt nothwendig ist , mit Verlezung oder Funk-
tionsstörung der im Becken gelegenen Organe verbunden, die Entfernung
zwischen Trochanter major und Spina ant. sup. oss. ilei ist bei diesem
nicht verändert, der Trochanter beschreibt bei der Rotation des Schenkels
den normalen Kreis und die Beweglichkeit ist grösser ; auch der Siz der
Crepitation ist eirFanderer ; d) mit einer heftigen Contusion des Hüftge-
lenks, wobei aber weder die Länge des Gliedes verändert, noch Crepita-
tion zu fühlen ist und der grosse Trochanter den gewöhnlichen Kreis be-
schreibt. — Ursachen. Die häufigste. Veranlassung ist ein Fall auf
den grossen Trochanter, seltener entsteht der Bruch durch einen Fall auf
die Kniee oder die Fersen und durch Muskelcontractionen bei schnellen
Drehungen des Körpers. — Der intracapsuläre Bruch tritt vorzugsweise
bei alten Leuten und häufiger bei Frauen als bei Männern auf; es ge-
nügt bei diesen oft ein Fehltritt, ein Anstossen des Fusses an eine Erhö-
hung des Bodens , um einen Bruch des Schenkelhalses herbeizuführen ;
der Grund hievon ist in der bei alten Leuten sich findenden Atrophie
und in der dadurch bedingten Brüchigkeit der Knochen zu suchen. Der
extracapsuläre Bruch kommt dagegen mehr bei Personen unter 5 0 Jahren
vor , und bedarf einer grösseren Gewalt zu seiner Hervorbringung. • —
Prognose. Auch im günstigsten Falle heilen Schenkelhalsbrüche mit
Zurücklassung einiger Deformität, besonders einiger Verkürzung und be-
hinderter Beweglichkeit des Beins ; nicht selten bleibt der Bruch ganz
unverheilt und der Kranke ein Krüppel , und dies oft bei der grössten
Sorgfalt des Arztes und mit dem zweckmässigsten Apparate. Na-
mentlich heilt der intracapsuläre Bruch nur ausnahmsweise durch
Callus. Die geringe Lebensthätigkeit im Schenkelkopfe , der nur
durch das Ligament, teres eine jedenfalls unzulängliche Blutzufuhr
erhält , die fehlende genaue Coaptation des Bruchs , der Mangel an
Weichtheilen , welche das nöthige Material für die Einkapselung der
Fragmente liefern können , das Bespülen endlich der gebrochenen Enden
542 KNOCHENBRUCH DES OBERSCHENKELS.
mit Synovia erklären das seltene Vorkommen von Callusbildung zur Ge-
nüge. Gewöhnlich geschieht hier die Verheilung durch eine bandartige
Masse, nachdem die Bruchenden sich gegenseitig abgeschliffen und an
Substanz verloren haben ; besonders geht ein grosser Theil des Schenkel-
kopfs durch Resorption zu Grunde. — Die extracapsulären Brüche heilen
dagegen durch Callusbildung, welche indess nicht selten durch Uebermass
und Unregelmässigkeit die Bewegungen des Hüftgelenkes sehr einschränkt
und schmerzhaft macht. — Bei alten Leuten gibt der Schenkelhalsbruch
sehr oft Veranlassung zu ihrem baldigen Tod, indem sie durch Schmerzen
und gezwungene Ruhe in Marasmus verfallen. — Die Vereinigung, sei sie
knöchern oder fibrös, kommt in 40 bis 5 0 Tagen zu Stande. - — Repo-
sition. Ein Gehülfe fixirt das Becken, ein zweiter extendirt das Glied
bis zur normalen Länge und rotirt es nach innen, welche Rotation der
neben der Hüfte stehende Wundarzt durch Erheben des Trochanters zu
erleichtern sucht. — Retention. Die Erhaltung der Einrichtung hat
man durch verschiedene Verbände und Maschinen zu bewirken gesucht,
bei denen entweder eine permanente Extension in der ausgestreckten Lage
des Gliedes statt hat, oder dieses in Halbbeugung mit oder ohne Exten-
sion gehalten wird. — Eine Reihe von Apparaten wurde als unzureichend
und unzweckmässig bald verlassen. Die erste, einigermassen zweckmäs-
sige Vorrichtung für die gestreckte Lage des Glieds ist die von B r ü -
ninghausen, der eine lange Schiene von Holz oder Sohlenleder um
Becken und Knie befestigte und zur Bewirkung der Ausdehnung einen
Steigbügel um den Fuss der gebrochenen Extremität schlang, in- welchen
der Patient mit dem gesunden Fusse trat , um die Extension zu unterhal-
ten. Der zweite, allgemein verbreitete Apparat war der D e s a u 1 1 ' sehe :
er befestigte das Glied zwischen lange Holzschienen , von denen die äus-
sere von v der Hüfte bis zum Fuss reichte, brachte die Contraextension über
das Perineum und die Extension durch Befestigung des Fusses an die
Schiene an- zwischen die Schienen legt man Spreukissen und befestigt
die Schienen durch fünf Bänder und die äussere noch besonders durch
einen um das Becken laufenden Gürtel. Dieser Verband hat den Nach-
theil , dass die Extension nicht nach der Achse des Gliedes geht. Um
dieses zu verbessern , haben Wardenburg und van Houte die D e -
s a u 1 1 ' sehe Schiene am untern Ende mit einem Querstücke versehen,
gegen welches der Fuss angezogen wird. Volpi's Abänderung dieser
Schiene besteht darin, dass dem Querstücke noch eine innere Schiene bei-
gefügt ist. A 1 b a n versah sie mit einer hebelartigen Vorrichtung. Ein
dritter , gegenwärtig noch vielfach angewendeter Apparat ist der von
Dzondi verbesserte Hage dorn 'sehe. Er besteht aus einer von der
Achselhöhle bis über den Fuss hinausreichenden und hier mit einem recht-
winklig abgehenden durchlöcherten Querbrette versehenen hölzernen
Schiene , zwei Extensions gurten für die Gegend über den Knöcheln und
der Wade , und aus einigen Riemen zur Befestigung des Körpers an die
KNOCHENBRUCH DES OBERSCHENKELS. 543
Schiene. Nachdem der Kranke sehr niedrig gelagert ist, wird die Schiene
an die gesunde Seite des Körpers gelegt und hier mit einem Leib-,
Becken- and Knieriemen befestigt, alsdann legt man die Extensionsgurte
über Knöcheln und Wade der kranken Extremität an , reponirt nun das
Glied, zieht die Extensionsgurte durch die in dem Fussbrette befindlichen
Löcher oder Spalten und befestigt sie hier durch Stifte, nachdem sie hin-
reichend angezogen sind. Als weitere Modificationen der Hagedorn -
sehen Vorrichtung sind die Maschinen von Nicolai, Klein, Gibson,
Beck, Schürmayer, Wakert u. A. zu betrachten. — Wenn die
ausgestreckte Lage nicht ertragen wird, was gewöhnlich der Fall ist , so
legt man das Glied auf die doppelt geneigte Ebene. Bei dieser Lage-
rung bildet das Knie das Punctum fixum und die Schwere des Bek-
kens die Extension. Hierher gehörende Vorrichtungen haben angegeben:
Aitken, Lanner, Bell, J. White, Cooper U.A.; ferner sind
hier zu nennen : die Bruchbetten von E a r 1 e und Amesbury, auch
haben Koppenstädter, Braun, Busch, Blume, Sauter,
Mayor u. A. an ihren Schweben Vorrichtungen angebracht, das Glied
auch beim Schenkelhalsbruch zweckmässig zu lagern. S. Unterschie-
nenverbände. Ein sehr leicht herstellbarer und bequemer Verband
ist der von Mursinna und der ihm ähnliche von Dupuytren. Mur-
sinn a lagert den Oberkörper hoch, legt in die Kniebeuge ein festes Kissen
und wickelt dann beide Schenkel von unten nach oben ein. Dumrei-
cher bedient sich eines horizontalen Bretts, auf welches ein keilförmiges
Rosshaarkissen gelegt wird , auf welchem beide Extremitäten ruhen ; es
hat- etwas erhöhte Seitenränder und in der Mitte seiner obern Kante einen
kleinen Fortsaz, der das Kissen zwischen den Knieen ersezt und eine ge-
ringe Abduction der Gliedmassen bewirkt. Unten hat das Brett Spalten,
in welche zwei Sohlenstücke gesteckt werden, um dieFüsse zu befestigen;
durch die stumpfwinklige Beugung des Hüft - und Kniegelenks werden
alle Muskeln, die vom Becken entspringend sich an den Oberschenkel in-
seriren, so wie die Beuger des Unterschenkels erschlafft und die Neigung
zur Emporziehung des untern Bruchstücks, somit zur Verkürzung gemin-
dert. Noch ist des Zugverbandes von Lorinser zu erwähnen, bei wel-
chem die auf Kissen gelagerte Extremität mittels Gewichten extendirt
wird , so wie des Aequilibirapparatej? von Mojsisovics, bei welchem
der im rechtem Winkel gebogene Schenkel frei aufgehängt wird ; Loreau
endlich hat einen Verband angegeben , der aus gegliederten Schienen be-
steht und welcher dem Kranken gestattet , mittels Krücken umher zu
gehen. Seutin will auch beim Schenkelhalsbruch den Pappverband
angewendet wissen. — Nachbehandlung. Diese sei den Umständen
angemessen. Die Dauer der Behandlung ist , wenn Einkeilung besteht,.
7 0 Tage. Von da ab kann der Kranke Gehversuche machen. Bei extra-
capsulären Brüchen ohne Einkeilung darf dies nicht vor Ablauf von 3
Monaten geschehen, um die Callusbildung nicht zu stören. Die mit
544 KNOCHENBRUCH DES OBERSCHENKELS.
intracapsulären Brüchen behafteten Kranken kann man , wenn man sicher
ist, dass man wirklich einen solchen Bruch vor sich hat, der nachtheiligen
Einwirkung des Betts auf das Allgemeinbefinden wegen, früher aufstehen
und sie wenigstens für einige Zeit noch^auf einem Lehnstuhl Plaz neh-
men lassen. — b) Bruch durch den grossen Trochanter. Die-
ser Bruch kommt äusserst selten für sich allein vor , häufiger tritt er in
Gemeinschaft mit dem Bruch des Schenkelhalses auf. — Diagnose.
Unbedeutende oder gar keine Verkürzung des Beins , Taubheit desselben,
der Kranke kann nicht sizen ohne heftige Schmerzerregung , sich nicht
ohne Hülfe im Bette umdrehen , die Fussspize ist stark nach aussen ge-
wendet , der Trochanter verhält sich bei der Rotation des Schenkels pas-
siv ; meistens ist dieser Fortsaz nach vorn oder nach oben und hinten
hingezogen und deshalb Crepitation oft nicht zu entdecken ; je nach der
Richtung des Bruchs können die Muskeln sich das Gleichgewicht halten
und jede Dislocation fehlen. — Ursachen. Fall auf den Trochanter.
— Prognose. Sie ist nicht ungünstig, wenn nicht das ganze Hüftge-
lenk an der Gewalt Theil genommen hat. Das dislocirte Fragment lässt
sich nur schwer mit dem Schenkelbein in Berührung bringen ; meistens
bleibt es in einiger Entfernung von demselben und vereinigt sich mit ihm
durch ligamentöse Masse. Die Funktion des Gliedes wird aber dennoch
nicht sehr beeinträchtigt. — Reposition und Retention. Man
drückt den Trochanter mit den Händen an seine Stelle , wobei man den
Schenkel durch Rotation und Abduction dem Fortsaze nähert, und befestigt
ihn dann mittels einer ausgehöhlten Blech - , Gutta-Percha- oder Papp-
platte oder mit gepolsterten Pelotten , deren eine oberhalb , die andere
unterhalb des Trochanters mit Riemen befestigt wird ; auch der Kleister-
verband mit der Spica inguinalis kann von Nuzen sein. Dabei be-
festigt man beide Extremitäten aneinander , um das Auswärtsfallen des
Fusses zu verhindern. Bei fehlender Dislocation genügt eine ruhige Lage
mit abducirtem und etwas nach aussen gerolltem Schenkel. — Nachbe-
handlung. Sie sei nach Erforderniss antiphlogistisch. — Nach Ver-
lauf von 40 Tagen kann man dem Fusse Bewegung verstatten. — c)
Bruch unter den Trochanter en. Dieser ziemlich häufige Bruch
kann in verschiedenen Richtungen verlaufen und dem kleinen Trochanter
mehr oder weniger genähert sein. — Diagnose. Ausser dem Schmerze,
der Unbrauchbarkeit, der Verkürzung des Gliedes, gibt sich dieser Bruch
dadurch zu erkennen , dass das obere Knochenstück meistens (wenn nicht
eine Verzahnung der Bruchenden statt findet) durch die Thätigkeit des
Psoas, Iliacus und Pectinaeus so stark nach vorn gezogen wird,
dass es mit dem Rumpfe fast einen rechten Winkel bildet. — Prognose.
Sie ist nicht ganz günstig; häufig folgt Verkürzung. — Ursachen.
Direct und indirect einwirkende Gewalten. — Retention. Man fixirt,
wenn die leztgenannte Dislocation statt hat , das Becken des horizontal
gelagerten Kranken mit einem Gurte , bringt das Glied in einen rechten
KNOCHENBRUCH DES OBERSCHENKELS. 545
Winkel zum Körper und lässt in dieser Richtung die Extension bei ge-
bogenem Knie ausüben ; findet eine winklige Dislocation nach aussen
statt, so drückt man mit beiden vereinigten Daumen auf den vorspringen-
den Winkel, während man an dem gestreckten Gliede einen leichten Zug
ausüben lässt. — Retention. Bei der Dislocation nach vorn bringt
man den Kranken in eine sizende Stellung und legt die Extremität so auf
eine doppelt geneigte Fläche , dass das Knie stark erhöht ist ; auf die
Bruchstelle kann man noch eine Schiene befestigen. Bei der nach aussen
gehenden Dislocation wird die Extremität gestreckt gelagert, an ihre äus-
sere Seite eine breite , vom Darmbeinkamme bis zur Wade reichende
Schiene gelegt , diese um das Becken und längs des Glieds hin gehörig
befestigt und schliesslich die beiden Extremitäten mit Tuchbinden zusam-
mengebunden. — Nachbehandlung. Sie richtet sich nach den
Umständen. Die Consolidation kommt in 5 0 — 6 0 Tagen , und zwar
durch einen knöchernen , zuweilen sehr üppigen Callus zu Stande. — d)
Bruch im Körper des Schenkelbeins. Dieser Bruch verläuft
gewöhnlich schräg von oben und hinten nach unten und vorn , besonders
bei Erwachsenen und wenn der Bruch durch Gegenschlag entstand. Quer
verläuft der Bruch gewöhnlich bei Kindern oder wenn er durch directe
Gewalt veranlasst wurde. — Diagnose. Sie ist in der Regel sehr
leicht und wird gesichert durch den fixen Schmerz an der Bruchstelle, die
Unmöglichkeit willkürlicher Bewegungen , die, abnorme Beweglichkeit der
Bruchenden, die Crepitation, die starke, oft mehrzöllige Verkürzung, die
Rotation des Fusses nach aussen , endlich das deutliche Hervorragen der
Bruchenden , von welchen das untere gewöhnlich nach hinten , oben und
innen gezogen wird. — Ursachen. Die gewöhnliche Veranlassung ist
ein Fall auf die Füsse oder Kniee. Ausserdem kann das Auffallen einer
schweren Last, Ueberfahren, Schüsse etc. diesen Bruch veranlassen. —
Prognose. Sie ist nicht immer günstig; namentlich ist es sehr schwie-
rig, bei Schief brüchen die Bruchenden so in der Vereinigung zu erhalten,
dass das Glied seine normale Länge erhält, Complicirte Brüche haben
gern ausgebreitete Eiterungen zur Folge, namentlich gilt dies bei Splitter-
brüchen durch Geschosse veranlasst. — Reposition. Zwei Gehülfen
fixiren das Becken, der eine mit den Händen , der andere mit einem zwi-
schen den Schenkeln durchgeführten Handtuche; ejn dritter Gehülfe ex-
tendirt am Fusse das Glied bis auf die normale Länge , rotirt es dann
nach innen, während der Wundarzt die Conformation der Bruchenden be-
sorgt. Gelingt am ersten Tage wegen starker Contractur der Muskeln
oder bereits eingetretener Entzündung die Einrichtung nicht , so wickelt
man das Glied von unten auf ein , wendet die nöthige Antiphlogose an
und versucht sein Heil am 2. oder 3. Tage wieder, bis man seinen Zweck
erreicht. — Retention. Auch hier hat man sehr verschiedene Ver-
bandmethoden in Anwendung gebracht, um die Erhaltung der Einrichtung
zu sichern. Bei Brüchen der Kinder und bei Querbrüchen weniger mus-
Burger Chirurgie. 35
546 KNOCIIENBRUCII DES OBERSCHENKELS.
kulöser Subjecte reicht man mit einem einfachen Schienenverband ans,
bestehend ans einer vielköpfigen Binde, drei Schienen, von denen die äus-
sere vom Becken bis über die Fusssohle reicht, den nöthigen Spreusäck-
chen etc. Auch kann man die äussere und innere Schiene in ein Stroh-
ladejituch wickeln , bis sie auf zwei Querfinger am Gliede ankommen,
worauf man den Zwischenraum mit Spreukissen von der Länge der Schie-
nen ausfüllt und das Ganze mit der nöthigen Anzahl Bänder befestigt.
Ein sehr zweckmässiger Verband ist der Kleisterverband : man wickelt
den Unterschenkel ein, befestigt aber erst am Oberschenkel den Verband
mit Kleister ; zwei bis drei , aber nur vom Becken bis an das Knie rei-
chende Schienen genügen, dem Verbände völlige Festigkeit zu geben. —
Bei Schief brüchen reichen die genannten Verbände nicht ans , und es
müssen hier solche in Gebrauch gezogen werden , die das Glied in einer
permanenten Ausdehnung erhalten. Zu diesem Zwecke bedient man sich
gewöhnlich einer der für den Schenkelhalsbruch angegebenen Verbände
für die gestreckte Lage, wie des D es au lt' sehen , des Hage dorn -
Dzondi' sehen u. a. , welchen man aber- die S c u 1 1 e t ' sehe Binde, wo-
mit man den gebrochenen Schenkel umgibt , so wie eine Schiene auf die
vordere Fläche desselben beifügen muss. Ein sehr brauchbarer und leicht zu
beschaffender (dem Vo lpi 'sehen ähnlicher) Verband ist folgender: nach-
dem der Schenkel mit der vielköpfigen Binde und der Unterschenkel über
den Knöcheln mit einem gut gefütterten Schnürgürtel umgeben ist, bringt
man an die äussere Seite des Gliedes eine von der Mitte der Brust bis
über die Fusssohle, an die innere Seite eine zweite von der Schenkelfalte
(wo sie ausgeschweift ist) bis eben dahin reichende hölzerne Schiene und
verbindet beide unten mit einem Querbrettchen , welches zwei Löcher
oder Spalten hat, um die Extensionsbänder durchzulassen, die dann, zu-
sammengeknüpft, mit einem Knebel angespannt werden. Die Contra-
extension wird durch ein gut gefüttertes Band bewirkt, das vom Sizbein-
höcker aus schief nach aussen und oben geführt und in zwei Oeffnungen
der äussern Schiene befestigt wird. Zwischen die Schienen und das Glied
werden Spreukissen gelegt , die äussere Schiene oben durch einen Leib-
gürtel, beide Schienen aber in ihrem Verlaufe mit vier Bandern befestigt.
Nach Bedürfniss kann man noch auf die vordere Fläche des Schenkels
eine Schiene beifügen. — Für die gebogene Lage des Glieds , die aber
bei Brüchen des Schenkels in der Mitte nur selten in Anwendung kommt,
bedient man sich theils der doppelt geneigten Fläche , wie der Vorrich-
tungen von A. Cooper, Dupuytren, Garen gern. A. , theils der
Schweben, bei welchen der Oberschenkel in einem stumpfen Winkel zum
Körper gebogen ist , und der Unterschenkel horizontal auf der untern
Hälfte der Schwebe ruht ; solche Schweben , an welchen theilweise eine
Extensionsvorrichtung angebracht ist, haben angegeben : Saut er, Kop-
pe n s t ä d t e r , Major, S c h m i d , Tober. Hager u. A. S. Unter-
schienenverbände. So bequem die Schweben für den Kranken
KNOCHENBRUCH DES OBERSCHENKELS. 547
sind, so wenig Sicherheit gewähren sie für den Bruch, indem sie nur eine
sehr mangelhafte Befestigung des Beckens zulassen. — Noch ist des Ver-
bandes von Pott zu erwähnen, der den Kranken mit halbgebeugtem
Ober- und Unterschenkel auf der Seite der Fractur liegen Hess, nachdem
er das Glied vorher mit der vielköpfigen Binde umgeben hatte ; ein Kis-
sen unterstüzte den Oberschenkel. Diese Seitenlage findet jezt nur noch
Anwendung, wenn sich am hintern Theile des Schenkels eine Wunde be-
findet. — Nachbehandlung. Sie richtet sich nach den allgemeinen
Regeln. Der Bruch bedarf 5 0 — 6 0 Tage zu seiner Consolidation. —
e) Bruch des Schenkels über denCondylen. Diese Brüche
sind quer oder schief; häufiger ist das erstere der Fall ; die schrägen
Brüche verlaufen gewöhnlich von oben und hinten nach unten und vorn.
— Diagnose und Symptome. Die Zeichen sind die der Ober-
schenkelbrüche, nur sind sie nicht so ausgesprochen. Gewöhnlich bewegt
sich das obere Fragment nach vorn, während das untere (durch die Wir-
kung des Gastrocnemius und Poplitaeus) nach hinten umgekehrt
wird, wo man es in der Kniekehle fühlen kann. — Ursachen. Direct
einwirkende Gewalten und ein Fall auf die Kniee, seltener auf die Füsse ;
die schiefen Brüche entstehen gewöhnlich auf ihdirecte Einwirkungen. —
Prognose. Sie ist wegen der Nachbarschaft des Gelenkes und der
gewöhnlich schiefen Richtung des Bruchs bedenklich , indem leicht Con-
tractur und Ankylose des Gelenks und beträchtliche Verkürzung die Folge
sein kann. — Reposition. Man beginnt nach A. C o o p e r mit dem
Biegen des Knies, wobei man den Vorderarm unter die Kniekehle bringt,
um zugleich die Extension zu bewirken und die von dem obern Fragment
durchdrungenen Muskeln (MM. cruralis und rectus femoris) frei
zu machen, worauf man die Reposition vollendet. — Retention. Die
geeignetste Lage bei diesem Bruche ist nach A. C o o p e r die gestreckte,
welche sich auch deshalb empfiehlt , weil bei der meistens eintretenden
Steifheit des Kniegelenks ein gestrecktes Glied brauchbarer ist als ein
gebogenes. Hierzu kann einer der oben angeführten Verbände ange-
wendet werden. Bei grosser Beweglichkeit der Fragmente legt M a 1 -
g a i g n e einen Leinwandballen in die Kniekehle und wendet lange Schie-
nen an. — Nachbehandlung. Diese muss kräftig antiphlogistisch
sein. Bedeutende Complicationen , Wunden mit Zerschmetterung des
Knochens bis ins Kniegelenk mit Luxation desselben machen die Ampu-
tation nöthig. — f) Brüche einzelner Condylen des Schen-
kelbeins. Sie sind höchst selten und sezen immer eine sehr beträcht-
liche Gewalt voraus. Sie sind von sehr verschiedener Bedeutung, je nach-
dem sie ins Gelenk dringen oder nicht. — Diagnose. Das Abbrechen
eines Condyls gibt sich durch das Unvermögen des Gehens, die abnorme
Beweglichkeit des abgebrochenen Gelenkknorrens und zuweilen durch
Crepitation zu erkennen. Bei einem Bruche beider Condylen ist die ab-
norme Beweglichkeit sehr gross und die Crepitation sehr deutlich , wenn
35*
548 KNOCHENBRUCH DER KNIESCHEIBE.
nicht die Kniescheibe zwischen die Bruchflächen getreten ist, in welchem
Falle dann das Knie breiter und der Oberschenkel kürzer geworden zu
sein scheint , was sich durch seitlichen Druck aufheben lässt. — Ur-
sache. Unmittelbare Gewalten und ein Fall auf das Knie. — Pro-
gnose. Der Bruch eines Condyls gibt keine ungünstige Prognose,
wenn nicht bedeutende Complicationen ihn erschweren ; die Heilung er-
folgt vollkommen ohne Beeinträchtigung des Kniegelenks. Dagegen ist
der Bruch beider Condylen bis ins Gelenk durch die folgende Entzündung
mit der Gefahr der Verjauchung, Caries oder Trismus , im günstigsten
Falle der Gelenksteifigkeit eine höchst bedenkliche Verlezung. — Re-
position. Man drückt nur den gebrochenen Condylus und bei dem
Bruche beider Condylen zieht man nötigenfalls die in die Bruchspalte
getretene Kniescheibe vorwärts. — Retention. Nach beseitigter Ent-
zündung legt man , je nachdem nur ein Condyl gebrochen ist oder beide
getrennt sind , eine oder zwei seitliche Schienen an und befestigt sie mit
einer Binde , die man mit Kleister bestreichen kann ; das Glied muss da-
bei gestreckt gehalten werden. — Nachbehandlung. Sie sei den
Umständen angemessen. Nach 3 5 — 40 Tagen müssen dem Gelenke
vorsichtige Bewegungen mitgetheilt werden.
18. Brüche der Kniescheibe. Diese Brüche kommen nicht
sehr häufig vor ; meist sind es Querbrüche , doch beobachtet man auch
Schief-, Längen- und Splitterbrüche. — Diagnose. Die Querbrüche,
bei welchen zugleich der schräge Ueberzug der Kniescheibe zerrissen ist,
werden leicht erkannt. Der Kranke kann nicht stehen, den Unterschenkel
nicht strecken und empfindet heftige Schmerzen im Knie; von den Bruch-
fragmenten ist das untere an seiner Stelle , das obere dagegen oft in be-
deutende Entfernung in die Höhe gezogen , so dass man zwischen beiden
eine bedeutende Lücke fühlt. Diese ist kleiner, wenn der schräge Ueber-
zug unverlezt blieb , in welchem Falle der Kranke auch noch mühsam
gehen kann , mit dem Fusse aber dabei einen Bogen beschreibt ; oft ist
die Unterscheidung von einer Contusion des Kniegelenks schwierig , um
so mehr , als bald nach der Verlezung eine beträchtliche Geschwulst sich
einzustellen pflegt. Lezteres gilt insbesondere auch für den Längen-
bruch. Eine Beugung des Knies, welche den Spalt der Kniescheibe nicht
allein bei dem Querbruch, sondern auch bei dem Längenbruch erweitert,
kann die Diagnose sichern. Andererseits könnte eine einfache Zerreis-
sung des fibrösen Ueberzugs ohne Verlezung des Knochens durch die
fühlbare Spalte an einen Bruch glauben lassen. — Ursachen. Der
Querbruch wird meistens durch eine heftige Contraction der Streckmus-
keln des Unterschenkels beim Tanzen , Springen etc., am häufigsten aber
bei dem Bestreben, den rückwärts fallenden Körper im Gleichgewicht zu
erhalten , seltener durch eine unmittelbar einwirkende Gewalt veranlasst ;
die Längen- und Splitterbrüche entstehen dagegen fast ausschliesslich
durch äussere unmittelbar einwirkende Gewalten. ,— Prognose. Quer-
KNOCHENBRUCH DER KNIESCHEIBE. 549
brache, namentlich solche , bei denen der sehnige Ueberzug zerrissen ist,
heilen, weil es selten gelingt , die Bruchfragmente in genauer Berührung
zu halten, in der Regel nicht durch Callus, sondern durch eine bandartige
Zwischensubstanz, welche, wenn diese von einiger Breite ist, den Gang
unsicher macht , daher ist die Prognose mit Vorsicht zu stellen. Beim
Längenbruche ist dagegen eine Heilung durch festen Callus zu erwarten,
und daher die Prognose gut. Bei einer Zerschmetterung der Kniescheibe
mit äusserer Wunde , Eröffnung des Gelenks etc. ist die Prognose sehr
ungünstig. — Die Consolidation kommt in 3 5 bis 40 Tagen zu Stande.
— Reposition. Beim Querbruche lägst man den Kranken aufgerich-
tet sizen, ein Gehülfe fasst den Fuss an der Ferse, streckt ihn und erhebt
die Extremität unter Unterstüzung der Kniekehle, bis sie mit dem Körper
einen rechten Winkel bildet : ein zweiter Gehülfe drückt mit seinen bei-
den Daumen das obere Fragment so gut als möglich in seine normale
Stellung und iixirt es dann, so wie auch das untere Bruchstück durch eine
geeignete Anlage beider Hände. Bei Längenbrüchen bringt ein Druck
von beiden Seiten die Bruchstücke leicht in Berührung. — Reteution.
Eine Hauptindication bei der Behandlung dieser Brüche ist die Ueber-
windung der Muskelcontraction. Dies ist allein durch eine zweckmässige
Lage möglich, welche darin besteht, dass man den Kranken mit erhöhtem
Kopf und Rumpf und mit gleichzeitig schief aufwärts gerichtetem Beine
liegen lässt. Ausser dieser die Coaptation der Bruchenden begünstigen-
den Lage darf während der ersten 6 bis 8 Tage eine anderweitige mecha-
nische Behandlung nicht in Anwendung kommen , weil vorerst die ent-
zündlichen Erscheinungen bekämpft werden müssen. Ist dies geschehen,
so besteht der einfachste und meist immer ausreichende Verband darin,
dass man den Oberschenkel von oben nach unten, den Unterschenkel von
unten nach oben einwickelt , eine halbmondförmig ausgeschnittene Papp-
schiene an das obere Bruchende legt und diese mittelst einer Testudo
befestigt. Ein Bekleistern der Pappschiene und der lezteren Binde gibt
dem Verbände die nöthige Festigkeit. Sehr wirksam sind die metallnen
Klammern von Malga igne. Ein scharfer stählerner Doppelhaken wird
durch die Haut in den obern Rand des obern Bruchendes , ein zweiter in
den untern Rand des untern Bruchendes eingeschlagen. Jeder Doppel-
haken ist an einer Stahlplatte befestigt, und beide Platten können in be-
liebiger Stellung zu einander durch eine Schraube befestigt werden. So-
bald die Haken eingeschlagen sind und die Coaptation ausgeführt ist,
fixirt man die Platten und somit durch Vermittelung der Haken auch die
Bruchenden unbeweglich durch das Anziehen der Schraube. Die Erfah-
rung hat die Unschädlichkeit dieser Vorrichtung dargethan. Dieser , so
wie der vorstehende Verband machen die Menge der andern sonst noch
angegebenen Verbände , bestehend in Riemen , hölzernen und blechernen
Kapseln, Ringen, Rahmen etc., womit die Kniescheibe umfasst wurde und
die theils beschwerlich, theils wenig wirksam sind , überflüssig. — Beim
550 KNOCHENBRUCH DES UNTERSCHENKELS.
Längenbruche bedarf es blos eines Verbandes mit seitlichem Drucke ; eine
in die Kniekehle gelegte Schiene sichert die Unbeweglichkeit des Knies.
— Der Splitterbruch erfordert einen Verband, der sich je nach der Rich-
tung des Bruchs bald dem des Quer-, bald dem des Längenbruchs nähern
muss. — Nachbehandlung. Die entzündlichen Erscheinungen und
den meistens in das Gelenk stattfindenden Erguss behandelt man mit kal-
ten Umschlägen ; bei höheren Graden von Entzündung macht sich ein
Aderlass , so wie die Anwendung innerer antiphlogistischer Mittel noth-
wendig. Nach der Abnahme des Verbandes (nach 3 5 bis 40 Tagen)
nimmt man leichte Beugungen des Unterschenkels vor, macht Einreibun-
gen , wendet Dampfbäder an und unterstüzt das Glied in der ersten Zeit
des Gehens durch eine elastische Kniekappe , um die Dehnung und Zer-
reissung der ligamentösen Zwischenmasse zu verhindern. — Bei compli-
cirten Wunden der Patella ist die Nebenverlezung das wichtigste, welche,
besonders wenn die Gelenkkapsel geöffnet ist, oft augenblicklich die Am-
putation des Oberschenkels fordert.
19. Brüche der Knochen des Unterschenkels. Man
unterscheidet den Bruch beider Unterschenkelknochen und den Bruch der
Tibia und Fibula für sich allein. — a) Bruch beider Untergehen-
kelknochen. Dieser Bruch ist der häufigste aller Knochenbrüche .
Gewöhnlich hat er seinen Siz an der Grenze zwischen dem mittlem und
untern Drittel und können beide Knochen bald in derselben, bald in ver-
schiedener Höhe gebrochen sein. Die Brüche können ferner quer (haupt-
sächlich bei Kindern), oder schief sein, in welchem Fall sie in der Mehr-
zahl der Fälle schräg von oben und aussen nach unten und innen verlau-
fen. Endlich können die Unterschenkelknochen mehrfach zerbrochen
oder zersplittert sein und nicht selten wird die Haut von den Knochen,
namentlich von der Spize des obern Fragments durchbohrt. — Dia-
gnose. Diese bietet selten Schwierigkeiten dar. Abnorme Beweglich-
keit, Crepitation und Schmerz bei der Bewegung , Dislocation der Bruch-
enden , Verkürzung und meistens Auswärtsfallen des Fusses sind die ent-
scheidenden Symptome. — Ursachen. Sie sind entweder directe oder
ein Fall. Lezterer hat meist schiefe Brüche zur Folge. — Prognose.
Nicht complicirte und wenig dislocirte Brüche des Unterschenkels geben
eine gute Prognose ; dagegen können Schief brüche mit Vorsprung des
obern Bruchendes oft grosse Schwierigkeiten bereiten , und Fracturen in
der Nähe des Fussgelenks stellen nicht allein Gelenksteifigkeit in Aussicht,
sondern können selbst durch Ausbreitung der Entzündung auf das Fuss-
gelenk das Glied und selbst das Leben gefährden. — In den gewöhn-
lichen Fällen sind 3 5 bis 4 0 Tage zur Consolidation nöthig. — Repo-
sition. Ein Gehülfe fasst dicht unter dem Kniegelenke den Unter-
schenkel mit beiden Händen , ein zweiter mit der einen Hand die Ferse,
mit der andern den Mittelfuss, während der Wundarzt unter entsprechen-
dem Zuge der Gehülfen die Coaptation bewirkt. Dass sie erfolgt ist, er-
KNOCHENBHUCH DES UNTERSCHENKELS. 551
kennt man, wenn man die C r i s t a t i b i a e ihrer ganzen Länge nach mit
dem Finger verfolgt, und wenn der innere Rand der grossen Zehe in einer
vom innern Rande der Kniescheibe vertieal abwärts geführten Linie sieh
befindet. — R e t e n t i o n. Bei Querbrüchen ohne Complieation reicht
ein einfacher Contentivverband aus. Man richtet den Verband auf einem
für den Unterschenkel bestimmten grossen Spreukissen in folgender Weise
her : Zuerst drei doppelte Bänder , darüber ein grosses leinenes Tuch zur
Aufnahme der Schienen , endlich die vielköpfige Binde , welche hier ge-
wöhnlich aus 1 1 von unten nach oben länger werdenden Streifen besteht.
S. Binde n. Behufs der Anlegung dieses Verbandes bringt man das
so zubereitete Kissen unter den Unterschenkel , legt ihn darauf nieder
und umgibt ihn , während die Ausdehnung und Gegenausdehnung unter-
halten wird , zuerst mit der vielköpfigen Binde , schlägt dann zu beiden
Seiten drei Querfinger breite , hölzerne , über das Knie- und Fussgelenk
hinausreichende Schienen in das Leinwandstück , bis sie zwei Querfinger
vom Unterschenkel abstehen , füllt diesen Zwischenraum mit Spreukissen
aus , legt eine dicke Compresse und eine Schiene auf die vordere Fläche
des Unterschenkels und befestigt das Ganze mit den doppelten Bändern,
indem man das eine Ende dmch die Schleife führt und dann mit dem
andern durch eine Schleife (auf dem Schieneurande) verknüpft. Drei-
seitige Hölzer, welche zu beiden Seiten des Unterschenkels angelegt u. durch
Nadelstiche , die vom Betttuche zu dem Schienentuche gehen , befestigt
werden , verhüten eine Seitenbewegung des Gliedes. Schliesslich bringt
man eine Sandale von Leder oder Pappe an die Fusssohle, die man durch
Bänder an den übrigen Verband befestigt. Noch mehr Sicherheit und
Bequemlichkeit gewähren die Guttapercha - oder Kleisterverbände. Bei
lezteren legt man die vielköpfige Binde an , bestreicht sie mit Kleister,
fügt darauf die erweichten und bekleisterten Pappschienen und wickelt
das Ganze mit einer ebenfalls bekleisterten Rollbinde ein. Bis zur Aus-
trocknung des Verbandes wendet man Strohladen (s. diesen Artikel), oder
wo es nöthig ist, eine geeignete Extensionsmaschine an. Auch den Gyps-
verband kann man anwenden (s. diesen Artikel). — Bei Schief brüchen,
die eine grosse Neigung zur Dislocation zeigen , muss eine dauernde Ex-
tension in Anwendung gebracht werden ; in diesem Falle zeigen sich be-
sonders die Schweben von Nuzen , die nicht allein die angegebene Indi-
cation erfüllen, sondern auch neben grosser Bequemlichkeit für den Kran-
ken die Besorgung von Wunden etc. zulassen , da das Glied grössten-
teils unbedeckt bleibt. S. Unter schienen verbände. — Bei
Brüchen nahe am Kniegelenke gibt man dem Gliede eine halbgebogene
Lage. — Bei grosser Neigung zur Verschiebung reichen alle diese Ver-
bände nicht aus. Führt das Auflegen von mehrfachen Compressen und
kleinen Schienen nicht zum Ziele , so erweist sich (bei dem nach vorn
vorspringenden obern Bruchende) die von M a 1 g a i g n e erfundene und
von Uytterhoeven modificirte Vorrichtung sehr nüzlich. Die Grund-
552 KNOCHENBRUCH DES UNTERSCHENKELS.
läge dieser Vorrichtung bildet ein den Unterschenkel umfassender Gutta-
perchaverband , welcher gerade über dem vorspringenden Bruchende eine
Stahlplatte trägt, durch welche eine Schraube verläuft , mittels deren ein
an ihrem unteren Ende befindlicher .stählerner Stachel durch die Haut
hindurch in das vorspringende Bruchende eingebohrt werden kann. Bei
weiteren Umdrehungen der Schraube drückt der dicht oberhalb des
Stachels befindliche Knopf auf das Bruchende und hält es wirksam nieder.
— In Fällen , wo die Wadenmuskeln einen allzu beträchtlichen Zug an
dem untern Ende ausüben, ist die Achillessehne zu durchschneiden ange-
rathen worden. — Nachbehandlung. Complicationen , die bei
Unterschenkelbrüchen so häufig sind , erfordern eine sorgfältige Behand-
lung durch Antiphlogistica und Ruhe des Gliedes bei Vermeidung zu star-
ken Drucks etc., und tritt Eiterung ein, wie bei einer Phlegmone, so muss
dem Eiter frühzeitig ein Weg nach aussen eröffnet v/erden. Hat die
Spize des obern Bruchendes die Haut durchdrungen und ist es in der
Wunde eingeklemmt , so muss man diese erweitern. Gelingt es dann
nicht, das Knochenende durch die Einrichtung an seinen Plaz zu bringen,
so sägt man die hervorragende Spize ab. Bei bedeutender Quetschung
und anderweitigen schweren Complicationen lagert man das Glied auf ein
Spreukissen und befestigt es auf die bei den Brüchen des Oberarms an-
gegebene Weise. — b) Brüche des Schienbeins. Diese Brüche
sind ziemlich selten und können am obern und untern Ende des Knochens
oder an seinem Mittelstück vorkommen. Die Diagnose ist nicht im-
mer leicht, weil die allein gebrochene Tibia sich selten dislocirt, und man
zuweilen nur mit Mühe Crepitation fühlen kann. Doch lässt eine genaue
Untersuchung der Crista tibia die geringste Verschiebung erkennen.
Am untern Ende der Tibia ist die Erkenntniss etwas leichter, weil je nach
der Richtung des Bruchs der innere Knöchel seine Stellung etwas ver-
ändert. — Die Ursachen sind für die Brüche am obern Ende und im
Mittelstücke meistens directe, bei denen am untern Ende ein Fall auf die
Füsse. — Prognose. Sie ist für die Brüche im Mittelstück gut,
ebenso für die am obern Ende, wenn der Bruch nicht ins Gelenk dringt:
ist dies aber der Fall , so ist die Prognose sehr übel, desgleichen für die
Brüche des untern Endes, wenn sie das Gelenk betheiligen. — Die Re-
position wird durch einen geringen Zug bewirkt und die Retention
durch einen einfachen Contentiv- oder Kleisterverband bewerkstelligt. —
c) Brüche des Wadenbeins. Die Fibula bricht viel häufiger allein
als die Tibia ; namentlich ist es das untere Ende derselben , welches (ge-
wöhnlich 2 bis 21/2 Zoll über der Spize) am öftersten von einem Bruche
betroffen wird. — Diagnose und Symptome. Brüche in den obern
drei Viertheilen des Knochens können, da gar keine Dislocation vorkommt,
nur aus der Anwesenheit des fixen Schmerzes , der Anschwellung ver-
muthet werden. Am untern Ende dagegen ist die Diagnose leichter.
Gewöhnlich weicht hier das untere Fragment nach innen gegen die Tibia,
KNOCHENERLCH DES UNTERSCHENKELS. 553
der Knöchel rückt durch das; Drängen des Astragalus nach aussen und
der Fuss , seiner Stüze an der äussern Seite beraubt, folgt dem Zuge der
MM. peronei, d. h. er weicht nach aussen und drängt den äussern
Knöchel vor sich her, so dass nun das Bild einer Luxation der Tibia nach
innen zu sehen ist. Die Sohlenfläche des Fusses ist dabei nach aussen
und der äussere Fussrand nach oben gewandt ; der innere Knöchel ragt
auffallend hervor und oberhalb des äussern Knöchels besteht eine Ein-
biegung. Wenn der Kranke zu gehen versucht, so kann sich die Defor-
mität so steigern, dass der innere Knöchel den Boden berührt. — Ist das
innere Seitenband zerrissen , oder die Spize des M a 1 1 e o 1 u s internus
abgebrochen, so kann der Fuss ausserdem durch die Wirkung der Waden-
muskeln nach hinten verschoben werden. — Bei bedeutender Geschwulst
und geringer Verschiebung kann man die dann zweifelhafte Diagnose da-
durch sichern , dass man auf die Spize des äussern Knöchels einen kräf-
tigen Druck ausübt , während die Finger der andern Hand oberhalb des-
selben auf der Fibula ruhen; leztere werden, wenn ein Bruch besteht, eine
Bewegung des untern Bruchendes oder doch Crepitation wahrnehmen. —
Ursachen. Sie sind bei Brüchen im obern und mittlem Theile der
Fibula unmittelbare Gewalten , bei solchen am untern Theile derselben
ein Fehltritt oder ein Umfallen des Körpers bei feststehendem Fusse etc.,
doch auch directe Gewalten. — Prognose. Brüche am obern und
mittleren Theile der Fibula geben eine gute Prognose , am untern Theile
derselben bleibt der Gang häufig hinkend und unsicher und leicht knickt
der Fuss wieder um, wenn die Fragmente nicht in genaue Berührung ge-
bracht und darin erhalten worden sind. — Reposition. Ein Druck
auf den äussern Knöchel ist in leichteren Fällen zur Reposition allein hin-
reichend; in den höheren Graden, bei gleichzeitigem Vorhandensein einer
Luxation des Fusses vollendet die Zurückführung des leztern zu seiner
normalen Richtung während der Extension die Coaptation der Bruchenden.
— R e t e n t i o n. Hierzu dient der gewöhnliche Contentivverband mit
der Abänderung , dass die innere Schiene nur bis zum Knöchel , die äus-
sere aber bis zur Fusssohle reicht und unter leztere Schiene ein Polster
gelegt wird , um gegen diese Seite des Fusses einen Druck auszuüben.
Ist der Fuss nach auswärts gekehrt , so erhält man das Glied in halbge-
bogener Stellung und legt den Verband von Dupuytren an. Dieser
besteht aus einem langen Spreukissen , einer starken hölzernen Schiene
und zwei Binden. Das Kissen wird zusammengelegt und so an die innere
Seite des Unterschenkels gelegt, dass der dickere Theil über dem innern
Knöchel und der dünnere Theil dicht unter dem Knie aufruht. Auf die-
sem Kissen wird die hölzerne Schiene , welche 5 Zoll über den Fuss hin-
ausragt, durch Zirkeltouren um den Unterschenkel befestigt. Zulezt wird
der Fuss mit der zweiten Binde , welche diesen , so wie das untere Ende
der Schiene in Achtertouren umfasst, in starke Adduction gebracht. Der
Unterschenkel wird dann , im Kniegelenk halbgebeugt, auf seine äussere
554 KNOCHENBRUCH AM FUSSE.
Seite gelagert. Bei Complication mit Verrenkung nach hinten legt Du-
p u y t r e n das Kissen sammt der Sehiene an die hintere Seite des Glie-
des. Durch Bekleisterung gewinnt dieser Verband an Haltbarkeit. Mai-
sonneuve wickelt den Fuss mit einer langen mit Dextrin getränkten
Binde in der Art ein , dass er die Touren in der Höhe des Bruches ver-
vielfacht; über diese Binde legt er den Verband von Dupuytren an,
welchen er aber wieder entfernt , sobald der Dextrinverband trocken ist.
Dieser soll dann allein im Stande sein, den Fuss in der richtigen Stellung
zu erhalten. Bei sehr rebellischen Dislocationen wendet Malgaign e
den Gypsguss an. — Nachbehandlung. Man beachte die entzünd-
lichen Vorgänge und sei auf der Hut , dass nicht am innern Knöchel-
rande durch zu starke Ausdehnung der Haut, ein Durchbruch oder Brand
derselben entsteht. — Den Verband lässt man 5 bis 6 Wochen liegen.
2 0. Brüche am Fusse. Die Knochen des Fusses zerbrechen
selten und fast immer nur in Folge einer direct einwirkenden Gewalt.
Daher sind sie auch meistens complicirt und zwar meistens in der Weise,
dass die Complicationen von grösserer Bedeutung sind als die Fractur.
Gewöhnlich sind es auch Splitterbrüche und meist mehrere Knochen des
Fusses zugleich gebrochen. Im Allgemeinen gelten dieselben Regeln und
Grimdsäze, wie sie bei den Brüchen der Hand angeführt sind. Nur der
Bruch des Fersenbeins bedarf einer besondern Erwähnung. — Der
Bruch des Fersenbeins kommt unter zwei Formen vor , nämlich
Bruch durch Zerschmetterung und Bruch durch Z e r r e i s s u n g.
— a) Bruch durch Zerschmetterung. Dieser verdankt seine
Entstehung einem Fall auf die Füsse, dem Ueberfahren , einer Schussver-
lezung etc., wobei es in der Natur der Sache liegt, dass auch die Weich-
theile in hohem Grade gelitten haben müssen. — Symptome. Der
Kranke empfindet nach einem Falle einen heftigen Schmerz oder das Ge-
fühl von Taubheit in der Ferse. Er kann nicht aufstehen und nicht auf-
treten, der Fuss ist nach aussen gewandt, unter den Knöcheln und an der
Fusssohle besteht Geschwulst, an der Ferse und an der Achillessehne da-
gegen nicht. Diese Geschwulst macht , da die Crepitation häufig fehlt,
die Diagnose schwierig. Die Knöchel stehen tiefer , als am gesunden
Fasse, die Ferse erscheint breiter und die Wölbung der Fusssohle abge-
flacht. — Die Prognose richtet sich nach der Zerschmetterung und ist
zuweilen nicht unbedenklich. Die Consolidation kommt immerhin nur
langsam zu Stande , auch dauert es lange , bevor die Verlezten ihr Glied
wieder gut brauchen können. Meist bleibt ein Plattfuss und Steifigkeit
in dem einen oder andern Gelenke der betheiligten Fusswurzelknochen
zurück. Die Reposition unterbleibt am besten und an die R e t e n -
tion durch Schienen etc. darferst gedacht werden, wenn die Entzün-
dung bekämpft ist. — Die verminderte Höhe der Ferse ersezt man später
durch einen hohen Absaz. — b) Bruch durch Zerreissung. Die-
ser hat seinen Siz stets in dem Räume zwischen der Articulatio talo-
KNOCHENENTZÜENDUNG. 000
calcanea und dem hintern Ende des Knochens und die Brachlinie ver-
läuft fast immer perpendiculär gegen die Längsachse des Fasses, Er
entsteht durch Muskelzug. — Symptome und D i a gnos e. Der
Kranke fühlt im Augenblicke eines Falls auf die Füsse oder einer hefti-
gen Zusammenziehung der Wadenmuskeln ein Krachen an der Ferse und
einen heftigen Schmerz. Er fällt, vermag nicht aufzustehen, noch we-
niger aufzutreten. Das abgebrochene Stück des Fersenbeins erleidet eine
(nie aber bedeutende) Verschiebung nach aufwärts , welche sich bei der
Streckung des Unterschenkel vermehrt, bei der Beugung vermindert. Bei
der Annäherung des obern Fragments lässt sich zuweilen Crepitation er-
zeugen. Die Ferse springt weniger vor als am gesunden Fusse und der
untere Rand des vordem Bruchstücks ragt in der Fusssohle hervor. —
Prognose. Sie ist günstig. Die Consolidation kommt in 3 0 — 40 Ta-
gen und zwar bei genauer Berührung der Fragmente durch knöchernen
Callus zu Stande. — Reposition. Man beugt das. Knie und zieht
die Fussspize abwärts, worauf es leicht gelingt, das abgezogene Bruch-
stück an seinen Plaz zu führen. — Retention. Man fixirt den Fuss
in der genannten Stellung, beschränkt die Wadenmuskeln in ihrer Wir
kung und übt einen Druck auf das hintere Bruchende aus. Zu diesem
Behufe legt man , nachdem man den Unterschenkel vom Knie bis zur
Ferse eingewickelt hat, eine Compresse oder eine kleine Pappschiene au
das abgewichene Stück und befestigt diese durch Heftpflaster oder eine
zweiköpfige Binde , welche man in Achtertouren um das Gelenk führt ;
eine auf den Fussrücken gelegte massig gebogene Schiene erhält den
Fuss in Streckung. Die Extremität legt man auf die äussere Seite. —
Vor 60 Tagen darf man keine Gehversuche machen, wenn man auch die
Schiene mit vier Wochen entfernt.
KnOChenentzÜndung, I n f 1 a m m a t i o o s s i u m. Die Ent-
zündung hat entweder ihren Siz in dem Knochengewebe , oder in der
Knochenhaut oder endlich in dem Knochenmarke oder der Markhaut.
— 1) Entzündung der Knochensubstanz, Ostitis. Die
Knochenentzündung befällt entweder nur eine kleinere Partie eines
Knochens, oder sie breitet sich über den ganzen Knochen,* oder auch
über mehrere aus. Sie hat ihren Siz entweder in der äussern oder In-
nern Schichte (Rinden- oder Marksubstanz) oder in der ganzen Dicke des
Knochens , und geht mit oder ohne Entzündung des Periosts oder der
Markhaut einher. Häufig tritt sie in der Markthaut primär auf und
pflanzt sich auf die Rindensubstanz fort. Gewöhnlich bet heiligt sich
aber die leztere an der Entzündung des Periosts. — Ihrem Verlaufe nach
kann die Ostitis eine acute oder chronische sein; leztere ist die
häufigere. — Veranlassung zu Knochenentzündung geben mecha-
nische Verlezungen und dyscrasische Zustände, besonders Scropheln, Sy-
philis, Scorbut, Rheumatismus) Gicht ; jeder dieser Processe ergreift be-
556 KNOCIIENENTZUENDUNG.
sonders gern besondere Knoehenabsehnitte. — Pathologische
Veränderungen. Nach der Beschaffenheit und Menge des von der
Entzündung gesezten Exsudats , welches ein faserstoffiges , hämorrhagi-
sches , albuminöses und seröses sein kann , so wie nach der Dauer der
Entzündung und nach dem Size derselben in festerer oder mehr lockerer
Knochensubstanz verhält sich der erkrankte Knochen sehr verschieden.
Durch den Druck des Exsudats findet eine Erweichung und Resorption
der Grundsubstanz des Knochens statt, wodurch sich die Räume derselben
vergrössern und lezterer brüchiger wird (Osteoporose). Plastische
Exsudate machen, indem sie innerhalb der Gefässkanäle verknöchern den
Knochen dichter (Osteosclerose). Befindet sich das verknöchernde
Exsudat an der Oberfläche des Knochens, zwischen ihm und dem Periost,
so kommt es zur Bildung von Knochengeschwülsten, welche entweder eine
ausgebreitete Knochenschichte (Osteophyt) oder einen kleinen um-
schriebenen Knochenvorsprung (Exostose) darstellen. Auf der Orga-
nisation des vom Knochen selbst gelieferten Exsudats beruht die Heilung
der Knochenbrüche durch die sogenannte erste Vereinigung. Die nicht
organisationsfähigen Exsudate haben gewöhnlich nach vorhergegangener
Erweichung mit Rarefaction des Knochengewebes Vereiterung (Knochen-
abscess) , Verjauchung (Caries), Brand (Necrosis) zur Folge.
S. diese Artikel. — Symptome der Knochenentzündung.
Anfangs dumpfer und drückender, später bohrender, reissender oder na-
gender Schmerz, der an einer bestimmten Stelle in -der Tiefe des Gliedes
zu sizen scheint. Er ist nicht immer anhaltend, sondern lässt.zu Zeiten
nach und hört auch wohl ganz auf, kehrt aber nach unbestimmter Zeit,
bisweilen heftiger , besonders in der Bettwärme und bei Witterungsver-
änderung zurück. Abends macht er Exacerbationen. Die kranken
Knochen sind gegen Druck unempfindlich, bald können sie nicht die lei-
seste Berührung ertragen. Bisweilen ist der Schmerz fix und circum-
script, in vielen andern Fällen dagegen weithin ausstrahlend. Damit ist
eine mehr oder weniger deutliche Empfindung von innerer Wärme ver-
bunden und gleichzeitig besteht eine bleierne Schwere im kranken Theile,
so wie das Unvermögen für denselben zur Zeit des Schmerzes Ruhe zu
finden. Hiezu gesellt sich Schlaflosigkeit , Mangel an Appetit , Fieber.
Abnahme der Kräfte und später auch wohl eine Anschwellung um und
über dem entzündeten Knochen, wobei es aber schwer zu entscheiden ist,
ob sie dem Knochen selbst angehört oder ob sie nur in den Weichtheilen
sizt. Das sicherste Symptom ist in der Regel das sogenannte Pseudoery-
sipelas , welches in Eiterung übergeht. Die sich in den Weichtheilen
bildenden Abscesse können entweder mit dem entzündeten kranken
Knochen selbst zusammenhängen, oder nur in den benachbarten Geweben
liegen ; der Abscess kann ferner in unmittelbarer Nähe nach aussen zum
Durchbruch kommen, oder er wandert, je nach der Oertlichkeit, eine mehr
oder weniger grosse Strecke von seiner Ursprungsstelle fort und kommt
KNOCHENENTZÜENDUNG. 557
oft In weiter Entfernung von derselben zum Durchbrach (Abscessus
congestivus). Prognose. Sie ist im Allgemeinen ungünstig,
besonders wenn innere Ursachen zu Grunde liegen. Von den dyskrasi-
schen Knochenentzündungen bildet die syphilitische die meiste Aussicht
auf Heilung, insofern die Krankheit nur langsam fortschreitet , mehr auf
die Peripherie der Knochen beschränkt ist und die Heilmittel ziemlich
zuverlässig sind. Die gichtische und scrophulöse Entzündung ist hart-
näckiger wegen ihres Sizes in der Tiefe des Knochengewebes, und wegen
der Schwierigkeit, welche die Beseitigung des Grundleidens darbietet. —
Behandlung. Liegt der Knochenentzündung eins der oben genannten
eonstitutionellen Leiden zu Grunde , so muss diesem die entsprechende
Behandlung entgegengesezt werden. Die acute Ostitis fordert eine ener-
gische, die chronische eine lange fortgesezte entzündungswidrige Behand-
lung. Sie besteht in der Anwendung von Schröpfköpfen, Blutegeln und
Cataplasmen, ruhiger Lage des entzündeten Theiles; bei heftiger Exacer-
bation Eis, kalte Irrigationen ; die innern Mittel müssen dem entsprechend
sein, Nitrum, Brechweinstein und später Merkur. Bei mehr schleichendem
Verlaufe der Krankheit müssen die localen Blutentziehungen alle 3 — 4 Tage,
später in längeren Zwischenräumen wiederholt werden. Später, besonders
wenn Verhärtungen oder Verdickungen zurückbleiben , wendet man Mer-
curial- und Jodsalben, Vesicatore, Mercurialpflaster, alcalische und Schwe-
felbäder, flüchtige Einreibungen , namentlich aber Ableitungen vermittels
eines Haarseils , einer Fontanelle etc. an. — Bei heftigen Schmerzen
reicht man starke Gaben Opium mit Calomel oder Salpeter. — Ist der
Knochen durch eine Verwundung blossgelegt worden , und reichen die
Weichtheile zur Bedeckung der entblössten Stelle nicht hin, so muss diese
solange durch milde Oele und Salben feucht erhalten werden, bis sie sich
mit Granulationen bedeckt hat. — 2) Entzündung der Bein-
haut, Periostitis. Diese Entzündung tritt nicht selten primär auf,
theilt sich dann aber gewöhnlich dem unterliegenden Knochen bald mit ;
andere Male wird sie durch eine Entzündung des Knochens oder anderer
Nachbartheile veranlasst. Sie kann einen acuten oder chronischen
Verlauf haben. — Das entzündete Periost strozt im Anfange von Blut-
gefässen, bald kommt es zu einem Exsudat, welches seine Lage zwischen
der Beinhaut und dem Knochen hat ; später, besonders bei chronischem
Verlaufe , verdickt sich die Beinhaut und hängt dann mit dem Knochen
innig zusammen. Sehr häufig entstehen in Folge chronischer Periostitis
Auflagerungen von Knochensubstanz zwischen dem Periost und dem Kno-
chen. Geht die Beinhautentzündung in Eiterung über, so beginnt diese
bald in der oberflächlichen, bald in der tieferen Schicht der Beinhaut, bald
zwischen ihr und dem Knochen und bald tritt sie in der Form umschrie-
bener Herde, die sich allmälig ausbreiten und zusammenfliessen, bald als
eine über grosse Strecken verbreitete Schmelzung des Gewebes auf. Das
mit dem Eiter in Berührung kommende Periost verdickt sich , und wenn
558
KNOCIIENENTZUENDUNG.
der unter dem Periost befindliche Eiter längere Zeit zurückgehalten wird,
so stirbt die ihrer Blutzufuhr Seitens des Periosts beraubte oberflächliche
Knochenschichte ab , während dieses brandig wird. Gelangt der Eiter
nach aussen in das umgebende Bindegewebe , so ruft er eine Phlegmone,
hervor. — Ursache n. Sie kommen fast ganz mit denen der Ostitis
überein. Unter den Dyscrasien ist es besonders die syphilitische , dann
aber auch die scrophulöse, welche die Periostitis hervorrufen. Unter den
örtlichen Ursachen sind vorzugsweise Erkältungen zu nennen. — Dia-
gnose und Sympto m e. Bei tiefliegenden Knochen ist die Periostitis
von der Ostitis nicht zu unterscheiden. Bei oberflächlich liegenden
Knochen stellt sich ausser einem heftigen Schmerze und Funktionsstörung
Röthung der Haut und eine teigige Anschwellung ein, in welcher sich all-
snalig eine dunkle Fluctuation bemerklich macht. Dabei fehlt in den
höheren Graden niemals Fieber und durch die heftigen Schmerzen ent-
steht Schlaflosigkeit. — Behandlung. Bei der acuten Periostitis
macht sich je nach der Heftigkeit der Entzündung eine örtliche und all-
gemeine antiphlogistische Behandlung nothwendig. Das beste Mittel ist
ein grosser tiefer durch das Periost dringender Einschnitt ; er erregt
Blutung, hebt die Spannung , wodurch wie auf einen Schlag der furcht-
bare Schmerz gelindert wird , und beugt sicher der Eiterung und der
Necrose des Knochens vor. Ist die Entzündung gebrochen , so wendet
man den Mercur innerlich und äusserlich an. — Bei chronischem
Verlauf der Krankheit zieht man antiphlogistische, zertheilende, die Re-
sorption befördernde Mittel, namentlich das Jodkali, und schliesslich ab-
leitende Mittel in Gebrauch ; daneben muss selbstverständlich den beste-
llenden Dyskrasien gehörig Rechnung getragen werden. — 3) Ent-
zündung des Knochenmarks oder der Medullär m embr a n,
O s t e o m y e 1 i t i s. Die Märkhaut zeigt anfangs eine dunkelrothe Fär-
bung und sie ist consistenter als im normalen Zustande ; später bemerkt
man einige Tröpfchen Eiter , bis endlich ein Abscess oder eine eiterige
Infiltration zu Stande kommt. Gleichzeitig mit der Entzündung der Me-
dullarhaut wird auch das Periost , meist genau im Umfang der innern
Eiterung, an der Aussenfläche des Knochens abgelöst und endlich wird
auch das dazwischenliegende Knochenstück durch Abschneidung der Blut-
zufuhr in Mitleidenschaft gezogen und stirbt nekrotisch ab. — Die
Osteomyelitis verläuft meist sehr rasch und endigt sich immer in Eite-
rung, in deren Gefolge Pyämie eintritt. — Ursachen. Diese sind
meist mechanische Verlezungen: complicirte Knochenbrüche, mit einwärts
dringenden Splittern, Kugeln, heftige Quetschungen und Erschütterungen,
Durchsägung eines Knochens bei Amputationen etc. — Symptome.
Diese sind sehr dunkel und kommen in vielen Stücken mit denen der
Ostitis und Periostitis überein. Die Kranken klagen über einen fixen
Schmerz in der Tiefe des Gliedes und die Weichtheile in der Umgegend
zeigen eine teigige Anschwellung in mehr oder minder grosser Ausdeh-
KNOCHENERWEICHUNG. 559
nung, je nach dem Umfange der Entzündung. — Behandlun g. Sie
ist die der Ostitis und Periostitis. Hat man Gewissheit von der Anwe-
senheit von Eiter, so bleibt nichts übrig, als diesem durch die Anwendung
des Trepans einen freien Abfluss zu verschaffe». Splitter und sonstige
fremde Körper entfernt man möglichst.
Knochenerweichung , Osteomalacia (von o<5itoi> der
Knochen und (jbOtXaxog, weich), besteht in einer grösseren Biegsamkeit
der Knochen in Folge eines Missverhältnisses zwischen den knorpligen und
erdigen Bestandteilen des Knochengewebes, bei dem die erstem über die
leztern überwiegen. Dieses Missverhältniss kann ebensowohl durch wider-
natürliche Verminderung des Knochenerde, wie durch abnorme Bildung
(Hypertrophie) des Knochenknorpels hervorgebracht 'werden. Das erstere
ist wahrscheinlich bei der Osteomalacie, das leztere bei der Rhachitis der
Fall. — Wir betrachten diese zwei Formen von Knochenerweichung
nach einander näher. — Osteomalacia, Rhachitis adultorum.
Sie besteht in einer durch Verminderung der erdigen Bestandteile erzeug-
ten Knochenweichheit, welche bei Erwachsenen vorzugsweise die Knochen
des Rumpfs befällt, während die der Extremitäten und des Schädels fast
ganz davon verschont bleiben. Die Textur der Knochen wird im höch-
sten Grade schwammig, die ungemein vergrösserten Markräume und Ge-
fässkanäle sind mit einem blutig-fettigen Exsudat gefüllt und der ganze
Knochen daher , wenn die corticale Substanz bis auf eine dünne Schale
geschwunden und von der spongiösen nur dürftige Balkenneze geblieben
sind , wie Käse leicht zu durchschneiden , weshalb er auch auf der höch-
sten Stufe des Krankheitsprocesses nicht nur im höchsten Grade brüchig-,
sondern wirklich biegsam ist. — Symptome. Diese sind anfangs
diejenigen eines heftigen und ausgebreiteten Rheumatismus. Es stellen
sich sehr heftige Schmerzen ein-, die bald unter der Form vorübergehen-
der rheumatisch-gichtischer Knochenschmerzen, bald aber als andauernde,
bohrende Schmerzen sich zu erkennen geben, wobei der Kranke sich über
eine auffallende Schwäche beklagt, die demselben um so unerträglicher
ist, als sein Appetit und seine Verdauung gut sind. Nach Verlauf einer
gewissen Zeit treten an den Knochen Anschwellungen auf, die vorzugs-
weise in der Gegend der Gelenkvorsprünge ihren Siz zu haben pflegen.
Der Gang des Kranken wird unsicher, wankend, jede Bewegung schmerz-
haft. Endlich im höchsten Grade des Uebels werden die Extremitäten-
knochen durch den Muskelzug verbogen, die Wirbelsäule und die Becken-
knochen durch das Gewicht des Rumpfs und Kopfs verkrümmt, das
Becken insbesondere durch das Hervortreten des Promontoriums und das
Znsammenrücken der Pfannengegenden bis zu den höchsten Graden ver-
engt. Hiedurch erfährt die Körperlänge eine oft sehr beträchtliche Ver-
ringerung. In den meisten Fällen bleiben die Zähne und auch die Kiefer
von der Krankheit verschont, so dass das Kauen nicht behindert ist.
560 KNOCHENERWEICHUNG.
Früher oder später, oft allerdings erst nach mehrjähriger Dauer der Krank-
heit erfolgt der Tod durch allgemeine Entkräftung oder durch mechani-
sche Behinderung der Funktionen wichtiger Eingeweide. — Ursachen.
Das Leiden tritt im Gefolge lange bestandener chronischer Uebel, welche
störend auf die Ernährung des ganzen Körpers einwirkten , so wie bei
Leuten, die in kümmerlichen Verhältnissen lebten, auf; gewöhnlich folgt
es auf eine acute Krankheit. Es befällt Erwachsene , vorzüglich gern
Frauen (im Gefolge des Kindbetts) in den Blüthenjahren und von da bis
in das Greisenalter. — Prognose. Sie ist immer höchst ungünstig
zu stellen, da man bis jezt noch keine Heilung erzielt hat. — Behand-
lung. Es kann sich nur davon handeln, den Eintritt der Erweichung zu
verhindern, indem man z. B. bei bestehender Periostitis, diese durch anti-
phlogistische und antidyscrasische Mittel behandelt. Hat sich die Krank-
heit entwickelt, so empfiehlt man Tonica, Kochsalz, Sublimat. In jedem
Falle wird es gerathen sein, die veranlassenden Momente zu berücksich-
tigen und nach deren Beseitigung solche Mittel zu versuchen, deren spe-
cifische Einwirkung auf das Knochensystem bekannt sind. — 2) Rha-
c h i t i s (J>u%ig , Rückgrat) englische Krankheit, Rhachitis
juvenilis. Diese ist eine dem Kindsalter eigenthümliche , in Hyper-
trophie des Knochenknorpels bestehende Knochenweichheit, welche sich
in der Regel zunächst (gewöhnlich im zweiten Lebensjahre) in den untern
Extremitäten entwickelt und von hier allmälig aufwärts auf das Becken,
die Wirbelsäule, den Brustkorb und selbst auf den Schädel fortschreitet ;
doch befällt sie auch bisweilen nur einzelne Abschnitte des Skeletts vor-
zugsweise, während die übrigen nicht oder nur wenig erkranken. — Die
Veränderungen, welche in den erkrankten Knochen vor sich gehen , sind
nach den verschiedenen Perioden der Krankheit verschieden. Im Beginn
derselben findet man zwischen dem Periost und dem Knochen im Mark-
kanale, in den Zellen der spongiösen Knochensubstanz, besonders aber an
den gefässreichsten Theilen des Knochens ein wässeriges, blutiges, selten
eiteriges Exsudat. Später erfährt dieses Exsudat eine Umwandlung in
Bindegewebe, Knorpel, selbst poröse Knochensubstanz ; auch der normale
Knochen wird sehr schnell porös , wodurch zu Infractionen und Knochen-
brüchen innerhalb des unversehrten Periosts , seltener zu Verbiegungen
der Knochen Veranlassung gegeben wird. In den Epiphysen dagegen
bleibt eine wahre Biegsamkeit bestehen, indem die Ablagerung von Kalk-
palz in dieselben unterbleibt. Dies wird namentlich auch an den Schädel-
knochen beobachtet und dadurch der von E 1 s ä s s e r beschriebene weiche
Hinterkopf bedingt. In diese Zeit der Krankheit fallen die verschie-
denartigsten Missgestaltungen des Skeletts (besonders der Beine, des
Beckens und des Brustkorbs). Endlich erhalten die Knochen durch Ver-
knöcherung des die Maschen des Knochengewebes ausfüllenden Exsudats
eine Festigkeit, die selbst die normale übertrifft, auch die biegsamen Epi-
physenknorpel verknöchern und die Fracturen heilen durch festen Callus.
KNOCHENERWEICHUNG. 561
— Ueber das Wesen der Rhaehitis sind die Ansichten verschieden. Das
scheint festzustehen , dass es ein Mangel an Kalksalzen ist , welcher die
Krankheit bedingt ; ob dieser aber durch eine vermehrte Ausscheidung
dieser Salze durch den Harn (es haben nämlich Untersuchungen heraus-
gestellt, dass sich in dem Harne rhachitischer Kinder viel mehr phosphor-
saurer Kalk findet, als im normalen Kinderharne), oder durch eine ver-
minderte Zufuhr derselben durch die Nahrungsmittel herbeigeführt wird,
ist noch nicht dargethan. — Symptome und Verlauf. Die Krank-
heit kündigt sich durch Traurigkeit , Mattigkeit , Abneigung gegen alle
Bewegungen, Verachtung der gewohnten Spiele an. Kinder, welche be-
reits gehen gelernt haben, bekommen einen langsamen, unsichern Gang
und ermüden leicht, es stellen sich Schmerzen in den Gelenken ein; das
Gesicht ist blass, die Haut fast immer feucht und oft treten Fieberbewe-
gungen auf; der Appetit ist zuweilen schlecht, der Durst gross und meist
Diarrhöe zugegen. Der gelassene Urin zeigt einen reichen Bodensaz.
Die Hautbedeckungen des Kopfs und Gesichts schwellen an, so dass dus
Ansehen eines Wasserkopfs entsteht ; die Fontanellen sind offen. Zu-
weilen , jedoch seltener , ist der Kopf kleiner als er sein sollte. Die
Kranken magern ab , wodurch vor Allem der grosse Umfang des Unter-
leibs auffällt, welcher zugleich hart anzufühlen ist. Das Knochensystem
nimmt schon insofern Antheil an der sich ausbildenden Krankheit , als
vorzüglich an den Sternalenden der Rippen und den Epiphysen der langen
Knochen Anschwellungen entstehen. Bei dem fortschreitenden Erwei-
chungsprocess der Knochensubstanz erreicht die Auftreibung der Epi-
physen, besonders der Hände und Füsse , eine solche Ausdehnung , dass
sie gleichsam doppelt vorhanden zu sein scheinen , daher der Ausdruck
Zwei wuchs. Mit diesen Anschwellungen stellen sich Verbiegungen
und Verdrehungen der mannigfaltigsten Art, oft zahlreiche Fracturen oder
Infractionen ein. Ist die Rhaehitis auf einzelne Knochen, besonders auf
die der untern Extremitäten beschränkt , so kann die Verkrümmung der-
selben sich entwickeln ohne Vorboten und Störungen des Allgemeinbe-
findens. — Mit der physischen Hinfälligkeit rhachitischer Kinder im
Widerspruch steht eine gewisse Schärfe des Versstandes und der Sinnes-
werkzeuge ; solche Kinder haben meistens einen grossen Kopf; zuweilen
besteht aber auch ein Wasserkopf, in welchem Falle die Kinder stupid
sind. — Neben diesen im Knochensystem sich kund gebenden Erschei-
nungen dauern die Störungen des Allgemeinbefindens fort, die Ernährung
sinkt immer tiefer und die Kranken gehen allmälig abzehrend, zuweilen
wassersüchtig zu Grunde. Andere Male aber hebt sich , nach kürzerer
oder längerer Dauer der Krankheit, die Verdauung wieder, die Ernährung
wird besser , die ganze Ausbildung des Körpers schreitet vorwärts , die
Muskeln erhalten ihre Kraft, die Knochen ihre gehörige Festigkeit ; auch
die Verkrümmungen und Anschwellungen der Gelenkenden können
schwinden. — Ursachen. Die Zeit des Auftretens der Rhaehitis
Bürger, Chirurgie: 36
562 KNOCHENGESCHWÜELSTE. EXOSTOSEN.
fällt fast immer mit der ersten ©der zweiten Dentition zusammen. Man
siebt sie besonders in kalten, feuchten, sonnenlosen und neuen Wohnun-
gen, in feuchten und sumpfigen Gegenden , in eingeschlossenen Thälern,
bei unzureichender oder schwerverdaulicher Kost , Unreinlichkeit entste-
hen. Nicht selten tritt sie zur Zeit des Entwöhnens der Kinder in Folge
des Uebergangs zu grober vegetabilischer Nahrung auf. In vielen Fällen
ist sie durch erbliche Anlage bedingt. — Prognose. Sie richtet sich
darnach , ob das Leiden erst in der Entwicklung begriffen , oder schon
vollkommen ausgebildet ist. Nur die sich erst entwickelnde Krankheit
ist völlig heilbar, höhere Grade derselben , wenn sie auch selbst erlischt,
lassen Verunstaltungen des Körpers zurück, welche grösstentheils unheil-
bar sind, oder schreitet sie immer weiter vorwärts, dann sterben die Kinder
an allgemeiner Abzehrung. Um das siebente Lebensjahr oder um die
Zeit der Pubertät hört das Weiterschreiten der Bhachitis gewöhnlich von
selbst auf. — Behandlung. Diese zerfällt in eine diätetisch-phar-
maceutische und in eine mechanische. In ersterer Hinsicht sorgt man
für eine leicht verdauliche, nahrhafte Kost, gute Milch, Fleischbrühe etc.
in massiger Menge und öfters gereicht ; dann Aufenthalt und Bewegung
in freier Luft an sonnigen , trockenen Orten ; eine trockene , wärmende
Kleidung. Daneben reicht man innerlich roborirende , tonische Mittel,
anfänglich Rad. calami aromatici, Cortex cascarillae,
Eichelkaffee etc., später die China und selbst Eisenmittel. Ausserdem
empfiehlt man phosphorsauren Kalk (weiss gebrannte gepulverte Knochen-
erde) und Leberthran. Mit diesen inneren Mitteln verbindet man Einrei-
bungen des ganzen Körpers mit warmem Wein, Spiritus s e r p y 1 1 i etc.
Frictionen mittels gewärmter oder mit Mastix, Bernstein durchräucherter
Flanelle und stärkende, besonders aber Salzbäder. — Die mechanische
Behandlung betreffend, so wendet man, so lange die Knochen noch nicht
fest sind , nach Bedürfniss Schienen oder permanent wirkende Maschinen
an. Sind aber die eingeknickten oder verkrümmten Knochen bereits
durch Callusbildung oder Sclerose übermässig fest geworden, so kann von
blossen Verbänden etc. nichts mehr erwartet , sondern die Behandlung
muss ähnlich wie bei schlecht geheilten Knochenbrüchen eingerichtet,
d. h. wo es die Verhältnisse der Verkrümmung gestatten , der deforme
Knochen zerbrochen oder derselbe durchschnitten oder ein Stück aus ihm
herausgesägt werden. S.'Knochenbruc h.
KnOChengeSCllWÜlste , Tu mores o'ssium. An und in
den Knochen können sich Geschwülste von sehr verschiedener Natur er-
zeugen und zwar bestehen sie entweder aus unvermisehtem Knochenge-
webe , gutartige Knochengeschwülste , oder sie sind aus andern zum
Theil verknöcherten Geweben construirt, bösartige Knochengeschwülste.
Man unterscheidet folgende Arten von Knochengeschwülsten :
1 . K n o c h e n g- e w ä c h s , Exostosis. Hierunter versteht man
KNOCHENGESCHWUELSTE. EXOSTOSEN. 563
dasjenige Neugebilde, welches in und an Knochen sich bildet und wesent-
lich aus wahrem Knochengewebe mit den mikroscopischen Körperchen
und Kanälen besteht. Diese Gewächse gehen bald von der Beinhaut und
der Oberfläche des Knochens aus , bald bilden sie sich in der Knochen-
substanz selbst oder im Innern der Knochenröhre. Je nach diesem ver-
schiedenen Size wachsen die Geschwülste nun entweder nach aussen, oder
die neugebildete Knochengeschwulst befindet sich im Innern der Knochen-
substanz oder sie ragt in die Markhöhle hinein, wobei bei Röhrenknochen
die Markhöhle meist mehr oder weniger beeinträchtigt wird. Ist der
Knochen in seinem ganzen Umfange verdickt , so bezeichnet man dieses
mit dem Namen Hyperostosis; geht die Verdickung ringförmig um
einen Röhrenknochen, so nennt man dies Periostosis; eine unregelmäs-
sige Hervorragung eines Knochens bezeichnet man näher als Exostosis,
und zwar unterscheidet man Exostosis externa und interna, je
nachdem sich der Auswuchs nach aussen oder innen befindet ; häufig
nennt man das Erstere auch einfach Exostosis, das Leztere E n o s t o-
sis. Mit lezterem Namen bezeichnet man aber auch Knochengeschwulste,
welche in von Knochen umgrenzte Höhlen hineinwachsen, wie z.B. in die
Schädelhöhle, in das Becken etc. Eine über den Knochen hingegossene
Knochenschicht heisst Osteophyt. — Die Knochengeschwülste zeigen
bald ein dichtes, compactes, zuweilen elfenbeinartiges Gewebe und Blut-
gefässe, bald sind sie mehr schwammiger Natur und blutreich. Sie kommen
im Baue mit dem normalen Knochen überein , nur sind die Gef ässkanäl-
chen und Knochenkörperchen in geringerer Anzahl und in viel weniger
regelmässiger Anordnung vorhanden , als im normalen Knochen , auch
finden sich Verschiedenheiten in den Verhältnissen der organischen und
unorganischen Bestandteile ; der kohlensaure Kalk ist vermehrt , der
phosphorsaure vermindert. Ebenso geht die Entwicklung der Knochen-
.geschwülste ganz in derselben Weise vor sich, wie diejenige des normalen
Knochengewebes und des Callus. Ein flüssiges Proteinhaltiges Exsudat
wandelt sich zuerst in Knorpel- und dann in Knochensubstanz um. Dieser
Process geht bald langsam, bald schnell, zuweilen auch nur unvollständig
vor sich , so dass die Geschwulst bald lange weich und knorpelig bleibt,
bald rasch verknöchert ; zuweilen findet nur eine theilweise Verknöche-
rung statt. — Die Knochenauswüchse kommen an allen Knochen vor,
besonders häufig beobachtet man sie an den Schädel- , Gesichts- und
Beckenknochen, so wie an den Röhrenknochen der Extremitäten und zwar
häufiger an denen der untern, als der obern Extremität und häufiger an den
Epiphysen, als an den Diaphysen. — Symptome. Meist sind die be-
deckenden Weichtheile unversehrt und erst bei grosser Spannung der-
selben treten Schmerzen auf. Bisweilen erkranken die Exostosen und
werden cariös oder nekrotisch , wodurch vollständige Heilung erfolgen
kann. Sie sezen sich gern auf benachbarte, selbst nicht unmittelbar mit
einander verbundene Knochen fort. Durch ihre Grösse können sie
36*
564 KNOCHENGESOHWUELSTE. FTBROIDE.
mancherlei Besehwerden verursachen , und in Höhlen hineinragend durch
Compression der in diesen gelegenen Organe nachtheilig werden. —
Ursachen. Der Entstehung der Exostose liegt wohl weniger oft
eine chronische Ostitis oder Periostitis als eine Blutstase zu Grunde ;
Gelegenheitsursachen sind entweder äussere Verlezungen, wie Quetschun-
gen, Erschütterungen etc. oder innere Krankheiten, namentlich Syphilis,
Gicht , Scropheln oder Scorbut. Zuweilen besteht eine so auffallende
Prädisposition zu Knochenneubildung , dass sehr unbedeutende äussere
Gewalttätigkeiten zur Bildung von Exostosen hinreichen. Eine grosse
Neigung zur Bildung von Knochenauswüchsen findet sich bei Schwangern
und Wöchnerinnen (puerperale Exostose) an der innern Fläche der Schä-
delknochen. Die Osteopbyten nehmen dagegen ihren Ursprung
immer aus einer Knochen- oder Knochenhautentzündung und zwar ge-
wöhnlich aus einer reactiven, in der Umgebung von Krankheitsherden im
Knochen (Caries, Nekrose, Tuberkel, Krebs etc.) entstehenden. — B e-
handlung. Bei entstehenden Knochengewächsen kann man die Zer-
theilung versuchen durch Blutegel, kalte Fomente, die innere und äussere
Anwendung von Mercur und Jod. In der Regel wird aber nur dann von
dieser Behandlung ein Erfolg zu erwarten sein , wenn es sich um ein in
der Bildung begriffenes Osteophyt und nicht um eine Exostose handelt,
insofern ersteres aus einer Entzündung sich entwickelt, mit deren Tilgung
auch die Beseitigung ihres Products zu hoffen steht. Bei heftigen
Schmerzen macht man Einreibungen von Quecksilbersalbe mit Opium,
erweichende Umschläge mit Opium etc. Gegen die etwa zu Grunde lie-
genden dyscrasischen Krankheiten müssen die geeigneten Mittel ange-
wendet werden. — Wenn ein ausgebildetes Knochengewächs keine Be-
schwerden verursacht, so überlässt man es sich selbst ; ist dies nicht der
Fall , so muss es, wenn es sein Siz erlaubt, auf blutigem Wege entfernt
werden. Zu diesem Behufe legt man es , je nach seiner Grösse , durch
einen einfachen oder einen Kreuzschnitt oder zwei elliptische Schnitte
bloss und nimmt es mit einer passenden Säge oder dem Meissel und
Hammer weg. Grössere Geschwülste entfernt man stückweise , indem
man auf horizontale Sägeschnitte verticale fallen lässt. Die Wunde verei-
nigt man, wenn es angeht, per prima m intentionem. Unter Um-
ständen kann die Resection, Amputation oder Exartieulation noth wendig
werden.
2 '. Knorpelgeschwulst, Enchondroma. Von dieser
gutartigen Neubildung war schon in dem Art. Enchondroma die
Rede.
3. Fasergesch wülste, Fibroide und Sarkome (O s t e o-
sarcome). Diese wurzeln in der Tiefe und an der Oberfläche des
Knochens, besonders in den schwammigen Knochen, in den Gelenkenden
der Röhrenknochen, in den AVirbeln, den Schädel- und Beckenknochen,
im Unterkiefer und in den Phalangen der Finger. Die an der Ober-
KNOCHENGEÖCIIWUELSTE. KNOCHENCYSTEN. 565
fläche der Knochen auftretenden «teilen sich als umgrenzte Auswüchse,
Wucherungen des Periosts dar, wovon die fibröse Epulis ein Beispiel ab-
giebt. Diese Afterbildungen verdrängen und atrophiren den Knochen
durch Druck und dehnen ihn bisweilen zu einer mehr oder weniger voll-
ständigen Kapsel ans. In der Umgegend findet sich bisweilen in Folge
von Entzündung Osteophytbildung und Sclerose ; in der Geschwulst selbst
aber entwickelt sich nicht selten eine Knochenneubildung in Gestalt dorn-
ähnlicher und blätteriger, das Gewebe des Fibroids durchziehender Massen.
Wird die Knochenschale durchbrochen, so wächst die Geschwulst nach den
Weichtheilen zu fort und kann Entzündung , Brand und Ulceration der-
selben verursachen. — Die Behandlung der Fasergeschwülste der
Knochen kann nur in der Exstirpation derselben bestehen. Die umge-
bende Knochenkapsel wird geöffnet und das Neugebilde mit hebel- oder
zangenartigen Instrumenten herausbefördert. Die nachfolgende Anwen-
dung des Glüheisens beugt etwaigen Recidiven vor.
4. Kn o ch e n cy s t e n. Im Knochengewebe sind Cysten eine sehr
seltene Erscheinung; doch wurden schon einfache Cysten, das zusammen-
gesezte Cystoid und der Acephaloeystenbalg beobachtet. Sie können
in allen Knochen vorkommen , wurden am meisten in den Knochen des
Gesichts, im Femur , in den Beckenknochen angetroffen. Sie sizen bis-
weilen zwischen dem Knochen und seinem Periost , meist jedoch im Ge-
webe des Knochen selbst. Der Inhalt dieser Cysten ist bald flüssig, bald
fest, sogar knöchern ; meist bildet er eine faserig-zellige Masse , oder ist
aus Flüssigkeit und festen Massen gemischt , zuweilen auch schleimig,
fettig, eiterartig, gallertartig ; auch Zähne hat man in ihnen gefunden.
Rokitansky hat ein eingebalgtes Cholesteatom beobachtet. Im In-
nern sind die Cysten manchmal in mehrere Fächer abgetheilt; auch findet
man sie mit Knochennadeln durchsezt. Die Grösse der Knochencysten
wechselt von der einer Flintenkugel bis zu der einer Faust und darüber.
Sie wachsen meist langsam, bisweilen aber auch auffallend schnell ; auch
können sie Jahre lang stationär bleiben. Symptome und Diagnose.
Die Knochencysten sind im Anfange wenig oder gar nicht schmerzhaft.
Die allmälig wachsende unbewegliche Geschwulst lässt, wenn sie eine ge-
wisse Grösse erreicht hat, auf einen Druck mit der Hand eine Nachgiebig-
keit und ein eigenthümliches Geräusch, ein Knittern, ähnlich dem, welches
das Zusammendrücken von trockenem Pergament ergiebt, vernehmen. Die
bedeckenden Weichtheile bleiben über diesen Cysten immer verschiebbar.
Kommt es bei der weitem Entwicklung der Geschwulst zu einem völligen
Schwinden der Knochenschale , so treibt die frei gewordene Flüssigkeit
das Periost und die Weichtheile vor sich her, wodurch eine fluctuirende
Geschwulst entsteht , an deren Umfang ein Knochenring zu fühlen ist.
Anderweitige Symptome ergeben sich aus der Lage der Cysten , die er-
krankten Knochen können brechen etc. — Mittels des Probetroicart er-
forscht man den Inhalt der Cyste. — Der entleerte flüssige Cysteninhalt
566 KNOCHENGESCHWUELSTE. ANEURYSMEN.
ersezt sich immer bald wieder , indessen können die Cystenwandungen
nach der Entleerung auch ällmälig zusammensinken und unter nachfolgen-
der Eiterung eine vollständige Verwachsung der Cysten wände eintreten.
— Prognose. Sie hängt hauptsächlich davon ab, ob die Cyste ein-
fach oder mit Krebs etc. combinirt ist ; im lezteren Falle ist sie selbst-
verständlich nicht günstig , während sie im ersteren Falle nichts Bedenk-
liches hat ; allerdings kommt dabei auch der Siz der Cyste , so wie ihre
Abtheilung in mehrere Fächer in Betracht , insofern es schwer hält , die
einzelnen Hohlräume zu entleeren. — Behandlung. Nach Dupuy-
tren soll man sich zuerst durch eine Probepunktion über den Inhalt der
Cyste Gewissheit verschaffen; hierauf wird über den nachgiebigsten Theil
der Geschwulst ein Einschnitt gemacht und , wenn dieser zur Entleerung
der Cyste nicht ausreicht, die Cystenwand mit dem Messer, der Säge oder
einer Trepankrone ergiebig excidirt. Nach Umständen bringt man nun
entweder Charpiebäuschchen in die Höhle oder macht reizende Einsprizun-
gen, um Eiterung oder Zerstörung der innern Cystenwand zu bewirken.
Beim Wechseln des Verbandes muss die Cyste sorgfältig ausgesprizt
werden, um jeder ärgeren Ansammlung von Eiter vorzubeugen; Dupuy-
tren bringt, um diesem besser genügen zu können, an dem abhängigsten
Theile der Cyste eine Gegenöffnung an und zieht ein Haarseil durch.
Gewöhnlich sinkt unter dieser Behandlung die Cystenwand zusammen,
was man durch Compressivverbände beschleunigen kann. — Hydatiden
in den Cysten zerstört man durch Aezmittel, welche man mit Charpie ein-
bringt, oder durch das Glüheisen. Unter Umständen kann die partielle
Resection des Knochens und selbst die Amputation nöthig werden.
5 . Knochenaneurysma, pulsirenüe Knochen ge-
schwulst, Aneurysma ossium, Osteo-aneurysma. Das
Knochenaneurysma stellt eine Geschwulst dar, welche in der Erweiterung
des in den Knochen eingehenden arteriellen und venösen Capillargefäss-
systems besteht und eine Erweiterung der Markkanälehen und Zellen der
Knochensubstanz , Aufblähung und endlich durch den Druck Aufsaugung
des Knochens bedingt. — Dieses Leiden ist selten , kommt vorzugsweise
in den Epiphysen der Röhrenknochen , besonders in dem obern Gelenk-
ende der Tibia vor. — Symptome. Es besteht ein mehr oder weniger
heftiger Schmerz an der Stelle des Leidens , woselbst sich nach kürzerer
oder längerer Zeit eine Geschwulst bemerklich macht, die ällmälig einen
bedeutenden Umfang erreicht und über welcher sich die Haut nach und
nach röthet, verdünnt und mit erweiterten Venen durchzogen zeigt. Die
Geschwulst ist rundlich, an einzelnen Stellen fluctuirend, an anderen mehr
fest, da und dort auf Druck ein knisterndes Geräusch zeigend. Sie pul-
sirt, und die Pulsationen hören auf, wenn man den zuführenden Arterien-
stamm comprimirt ; die Auscultation ergiebt sehr deutlich Blasebalgge-
räusch. Dabei stellen sich durchfahrende Schmerzen ein, das Glied wird
halbgebeugt und steif und verliert an Kraft. — Die Ursachen schei-
KNOCHENGBSCHWÜELSTE. — KREBSi 567
neu äussere Gewalttätigkeiten, Stoss, Schlag etc. zu sein. — Die Pro-
gnose ist höchst bedenklich , da das Leiden nur durch eine lebensge-
fährliche Operation zu beseitigen ist , auf welche überdies oft Recidive
eintreten. Wo eine Operation nicht ausführbar ist , ist das Knochen-
aneurysma unbedingt tödtlich. — Behandlung. Diese besteht ent-
weder in der Unterbindung des zuführenden Arterienstamms, oder in der
gänzlichen Entfernung des erkrankten Knochenstücks durch Resection
oder Amputation.
6 . K n o c h e u k r e b s , Osteo Carcinoma. Die Knochen kön-
nen primär oder secundär durch Umsichgreifen benachbarter Krebsent-
artungen oder durch bestehende Krebsdyscrasie , vom Krebse , besonders
vom Markschwamme befallen werden. Bisweilen findet sich derselbe ver-
einzelt, nur in einem oder mehreren Knochen, bald aber mit Krebsen an-
derer Organe combinirt vor. Der Knochenkrebs tritt zwar in früheren
Lebensaltern, doch häufiger in den reiferen Jahren auf. Der Ausgangs-
punkt des Krebses ist bald das Periost , bald die gef ässreiche spongiöse
Substanz. Der peripherische Knochenkrebs zeigt in seiner Nähe die ver-
schiedensten Formen der Osteophyten ; mehr in der Tiefe ist der Knochen
sclerosirt , oft elfenbeinartig. Der in der Knochensubstanz selbst auf-
tretende Krebs dagegen macht den Knochen osteoporotisch , während die
Corticalsubstanz bis aufs Aeusserste verdünnt wird. Durch Verjauchung
der Krebsmasse kommt Caries und Necrose zu Stande. — Bei länger be-
stehendem Krebse zeigt das ganze Knochensystem eine grössere Brüchig-
keit durch fortschreitende Osteoporose mit Verdünnung der Corticalschich-
ten. — Der Knochenkrebs kann als Alveolar- oder Colloidkrebs,
als Faserkrebs, M e d u 1 1 a r k r e b s oder Ostoid auftreten. — Der
Colloidkrebs (s. C o 1 1 o i d) ist selten und bildet kugelige, oft einen
bedeutenden Umfang erreichende Geschwülste , deren Oberfläche drusig,
höckerig und prall anzufühlen ist. Die einzelnen Knollen zeigen eine
verschiedene Grösse und Consistenz , welch leztere von der Umwandlung
des Colloids in eine synovialartige oder mehr flüssige Masse bedingt ist.
An den Wänden der einzelnen Alveolen findet man bisweilen Blättchen
und Stränge von neugebildeter Knochenmasse. Die aus dem Knochen
hervorwachsenden Colloidgeschwülste sind bald nur von einer Binde-
gewebshülle , bald von einer Knochenschale umgeben. — Der Faser-
krebs oder Scirrhus kommt an den Knochen selten vor. Er entwik-
kelt sich besonders in den Schädel- , Gesichts- und langen Knochen vor-
zugsweise alter Leute als verschieden grosser rundlicher oder höckeriger,
gelappter Knoten aus der Markhöhle, aus dem Knochengewebe selbst oder
vom Periost , verdrängt oder atrophirt das Knochengewebe oder drängt
dasselbe zu einem faserig-blätterigen Filze auseinander und erhält bis-
weilen durch Bildung einer Knochensubstanz in seinen Faserzügen ein
knöchernes Gerüste. — Der Zellen- oder Medullarkrebs (M a r k -
schwamm, Fungus) ist die am häufigsten vorkommende Form von
568 KNOCHENGBSCHWUELSTE. - - TUBERKEL.
Knochenkrebs. Er tritt auf: als Infiltration einer weissen oder
röthlichgrauen , flüssigem oder festern , encephaloiden , speckigen oder
knorpeligen Masse und zwar besonders in den kleineren schwammigen
Knochen ; als unscheinbarer K n o t e n , welcher den Knochen zu einer
dünnen Schale ausdehnt oder zu einem zartblätterigen Filze auseinander -
drängt oder vollständigen Schwund desselben bedingt. Die Basis eines
solchen Krebses hat nicht selten ein strählig blätteriges Gerüste. Er
tritt besonders in den Gelenkenden, in langen Knochen und in den Schä-
del - und Beckenknochen auf. — Der Markschwamm der Knochen hat
eine ganz besondere Neigung zu Hämorrhagien und ist nicht selten über-
aus gef äss- und blutreich (F u n g u s h a e m a t o d e s). — Die Osteoid-
ge schwulst, der o s s i f i c i r e n de Schwamm Müll er 's ist ein
Aftergebilde, welches sich sowohl an den Knochen (aus der Beinhaut wie
aus dem Knochen selbst) als auch in den Weich theilerr entwickelt. S.
Krebs. — Symptome und Diagnose. Der Knochenkrebs zeigt
im Anfange nichts Besonderes, was ihn von andern Knochengeschwülsten
mit Sicherheit unterscheiden Hesse. Das Gefühl der Härte , der schein-
baren und wahren Fluctuation , die eigenthümliche Crepitation beim
Drucke auf die knöcherne Schale etc. sind Zeichen , die auch bei andern
Knochengeschwülsten sich linden können. Ausser diesen Symptomen
zeigt der Knochenkrebs eigenthümliche durchfahrende Schmerzen und
nicht selten fühlt man beim Markschwamme Pulsationen in der Ge-
schwulst. Bei längerer Dauer des Leidens gesellen sich die allgemeinen
Charaktere des Krebses hinzu. — Das Wachsthum des Krebses ist bald
langsam , bald schnell ; bald bleibt derselbe lange local , bald führt er
sehr schnell zum Tode. — Behandlung. Entschliesst man sich zur
Operation , dem einzig möglichen Hülfsmittel , so sorge man , dass alles
Krankhafte entfernt werde ; indessen hat selbst die Amputation nicht vor
Recidiven zu sichern vermocht. Erscheint die Operation unzulässig , so
bleibt nichts übrig, als die Schmerzen möglichst zu mildern, die Kräfte
zu unterstüzen etc.
7. Knochentuberkel. Diese gar nicht seltene Krankheit
entwickelt sich besonders in den kleinen schwammigen Knochen, wie in
den Wirbeln, in den Hand- und Fussknochen, so wie in den Gelenkenden
langer Röhrenknochen (als Paedarthrocace, Tumor albus s c r o -
phulosus), vorzugsweise am Knie und Ellbogen und an den Knöcheln.
— Der Tuberkel tritt entweder als graue rohe Granulation vereinzelt
oder zu grösseren Knoten conglomerirt, welche allmälig gelb werden und
schmelzen , oder was häufiger ist , als gelbes , bald eiterig zerfliessendes
Product einer Ostitis auf; er sizt bald mehr an der Oberfläche, bald mehr
in der Tiefe des Knochens. Jugendliche Individuen in den Kinder- und
Pubertätsjahren sind diesem Leiden vorzugsweise unterworfen. Der
Knochentuberkel kann erweichen oder verkreiden. Im lezteren Falle
wird die Tuberkelmasse durch Aufnahme von Kalksalzen zu einer von
KNOCHHNGk^l.'HWl'Ei.STE. - YV1NDDUUN. 569
selerosiptem Knochengewebe umscblöSseneri mörtclartigen Masse. Häu-
figer tritt der Uebergang in Erweichung ein , wodurch tuberculöse Ver-
eiterung und Caries zu Stande kommt, welche je nach dem Auftreten des
Tuberculosen Exsudats an der Oberflache des Knochens oder im Innern
desselben sich verschieden verhalten. Das peripherische Geschwür ist
neben mehr oder weniger tief gehender Anäzung des Knochens von
Osteophytbildung und Verdickung des Periosts begleitet. Bei dem cen-
tralen Size bildet sich in Folge des eiterigen Zerfliessens der rings von
Knochensubstanz umschlossenen Tuberkelmasse ein rundlicher oder sinu-
öser Abscess (tuberculöse Knochencaveme, Vomic a) , inner-
halb welchem mit dem Tuberkeleiter zahlreiche kleine oder grössere ne-
krosirte Knochenpartikelchen vermischt sind, Diese Caverne vcrgrössert
sich entweder durch secundäre Tuberkelinfiltration in die entzündete Um-
gebung, oder sie öffnet sich nach aussen, oder sie wird durch ein callöses,
später ossificirendes Entzündungsproduct abgekapselt. Wenn der Eiter
in einiger Entfernung von dem kranken Knochen sich entwickelt , so hat
man es mit einem C o n ge s t i o n s ab s ce s s e zu thun , nach dessen
Aufbruch ein fistulöses Geschwür zurückbleibt , welches mit der Caverne
in Verbindung steht. 8. Senkungs ab s c e s s. Leicht , besonders
bei Zutritt von atmosphärischer Luft, wandelt sich die Tuberkelmasse und
der Tuberkeleiter in Jauche um und diese bedingt dann eine cariöse Zer-
störung, welche sehr rasch um sich greift und bisweilen grössere Stücke
des Knochens nekrosirt (tuberculöse Sequester), sonst aber der entzünd-
lichen Caries gleicht. Bei dem Ausbleiben einer weiteren Tuberkelablagerung
und zureichenden Kräften kann sich die Knochencaveme durch wahre
Granulationen ausfüllen und mit einer festen Narbe heilen. — Sym-
p t o m e und Diagnose. Die S)Tmptome unterscheiden sich nicht von
denen der Knochenentzündung und Caries, und erst nach dem Aufbruche
gibt der mit nekrotischen Knochenstückchen gemischte, trübe und krüm-
liche Massen und weisse Flocken enthaltende Eiter Aufschluss. — Ur-
sachen. Der Tuberkelbildung liegt eine Blutkrankheit zu Grunde,
deren Wesen noch unbekannt ist. S. Tuberkel. Nur das ist zu be-
merken , dass man sie häufig bei Individuen trifft , die auch anderweitige
Symptome der scrophulösen Diathese an sich tragen. Als Gelegenheits-
ursachen bezeichnet man äussere Verlegungen, wieStoss, Quetschung etc.,
so wie Erkältungen. — Prognose. Sie ist die der dyscrasischen Ca-
ries und hängt wesentlich von der Loealität des Leidens ab. Sie wird
durch das gleichzeitige Bestehen von Tuberkeln in andern Organen sehr
getrübt. — Behandlung. Neben der erforderlichen inneren Behand-
lung (Salmiak, Jod, Leberthran) wendet man beim Beginn des Leidens
Blutentziehungen und kräftige Ableitungsmittel an. Nach erfolgtem
Aufbruche entfernt mau entweder nur das betreffende Knocheiistück oder
man nimmt unter Umständen die Amputation des Gliedes vor.
8 . W i n d dorn, S p i n a v e n t o s a. Es ist dies eine Knochen-
570 KNOCHENIIYPERTROPHIE UND ATROPHIE.
ges^hwulst, die sehr verschiedener Natur sein kann, indem man mit die-
sem Namen früher alle Knochenkrankheiten bezeichnete, welche zur Bil-
dung einer mit mehr oder weniger weichem oder flüssigem Inhalt gefüll-
ten Knochenkapsel führten , oder auch (wie die Knochenentzündung und
deren Ausgänge) nur eine einfache Knochenauftreibung zur Folge hatten.
Es gehören mithin hierher die Knochencysten, die Fibroide, Krebse und
Enchondrome.
Knochenhypertrophie und Atrophie. — i) Die Hy-
pertrophie der Knochen, die Hyperostose, welche man von
der blossen Volumsvermehrung derselben (durch Lockerung des Knochen-
gef üges , durch Afterbildungen) zu unterscheiden hat , tritt ebensowohl
mit als ohne Volumszunahme , gewöhnlich aber mit Dichter - und stets
mit Schwererwerden des Knochens auf. Hierbei nimmt der Knochen
entweder mit Beibehaltung seiner normalen Dichtigkeit durch Ansaz neuer
Knochenmasse an die Peripherie an Masse zu , äussere Hypero-
stose, Sclerosis supracorticalis, oder es füllen sich die Räume
im Innern des Knochens (die Markkanälchen und Markzellen) mit Knochen-
masse aus, wodurch der Knochen, ohne an Umfang zuzunehmen, dichter
wird , innere Hyperostose oder Sclerose, Sclerosis corti-
calis und centralis. Gewöhnlich treten beide Arten zugleich auf
und der Knochen wird dadurch dicker, dichter und schwerer. Diese Hy-
pertrophie betrifft entweder das ganze Scelett oder sie verbreitet sich
über einen grösseren Theil desselben (nach Arthritis , Ehachitis und Sy-
philis) oder über kleinere Knochenabschnitte , oder sie erscheint nur an
kleinen Stellen eines Knochens (als Exostose und Osteophyt). Sie kann
ferner einen übrigens normalen oder einen vorher erweichten und aufge-
lockerten Knochen befallen ; im lezteren Falle bedingt sie die s e c u n -
d ä r e Sclerose. — Die Knochenhypertrophie kann entzündlicher
und nicht entzündlicher Natur sein. Die leztere geht aus einer
chronischen Stase oder selbst aus einer Gefässneubildung hervor, die er-
stere bildet sich aus einer Ostitis oder Periostitis heraus und tritt vor-
zugsweise als Osteophytbildung auf. Die Hypertrophie der Knochen ist
ein gutartiger Vorgang, ja zuweilen ist sie eine Art der Heilung anderer
Knochenkrankheiten , indem sie anderweitig erkrankten Knochen die ver-
lorene Festigkeit wieder gibt. 2) Die Atrophie der Knochen,
der Knochenseh wund kommt je nach der Entstehungsweise unter
drei Formen, als Abmagerung, Aufsaugung und Maceration des Knochens
vor. — a) Die K n o c h e n a b m a g e r u n g , Marasmus s. A t r o p h i a
senilis, findet sich im hohen Alter in der vollendetsten Form vor,
kommt aber auch in Folge von Consumptionskrankheiten , besonders bei
carcinomatöser, syphilitischer und scorbutischer Dyscrasie vor. DerBlut-
reichthum des Knochens ist in hohem Grade vermindert, die schwammige
Substanz erscheint bald nur grobzelliger und poröser, bald fehlt sie ganz
KNOCHENVEKSCHWAERUNG. 571
und die Knoehenrinde ist auf eine oft nur papierdünne Lamelle geschwun-
den. Anstatt des Markes findet sieh nicht selten eine dickbreiige röth-
liche Substanz oder eine wässerige Flüssigkeit vor. Hierdurch wird eine
ausserordentliche Brüchigkeit , Fragilität der Knochen und damit häufig
Fractur derselben bedingt , weshalb man diesem Zustande den Namen
Knochenmürbigkeit, Osteopsathyrosis (von öGtsop , der
Knochen und ipufrvQoc , mürbe) gegeben hat. — b) Die Knochen-
aufsaugung, Usura, Detritus ossium, besteht in einem partiel-
len Schwunde des Knochens , der sich selbst bis zur völligen Consumtion
des Knochens steigern kann, hervorgebracht durch Schädlichkeiten, welche
auf mechanische Weise , durch Druck auf den Knochen einwirken. Zu
diesen Schädlichkeiten gehören : vergrösserte Organe , Geschwülste und
überhaupt Krankheitsproducte, die am oder im Knochen sich entwickelten
und dabei einige Festigkeit haben oder doch fest an den Knochen ange-
presst werden. Der entstehende Defect scheint theils durch Compression
der Beinhaut- oder Markhautgef ässe , wodurch die Blutzufuhr beschränkt
und die Resorption gesteigert wird , theils durch mechanische Abnuzung
zu entstehen. Heilung , Wiederersaz des Verlorengegangenen kommt,
selbst wenn der drückende Körper entfernt wird, nie zu Stande, nur wenn
die spongiöse Substanz blossgelegt ist , bildet sich nach dem Aufhören
des Drucks eine compakte Lamelle über dasselbe. — c) Knochen-
atrophie in Folge von Erosion, Osteolysis, Resolutio
ossis. Sie steht mit bedeutender venöser Entwicklung in Verbindung.
Die Knochenmasse ist aufgetrieben und durchlöchert, durch interstitielle
Aufsaugung rareficirt. Diese Veränderung ist bald nur auf eine einzige
Knochenstelle beschränkt, bald hat sie einen ganzen Knochen eingenom-
men und zeigt sich auch am Callus. Sie kann jeden Knochen und jedes
Alter befallen. Die Veranlassung zu der die Knochenentartung bedin-
genden abnormen Gefässentwicklung scheinen vorzüglich chronische dys-
crasische Entzündungen und bösartige Neubildungen (besonders Krebs)
innerhalb des •Knochengewebes zu sein. Eine ähnliche Wirkung äussern
Eiter und Jauche auf die Knochen , mit denen sie längere Zeit in Be-
rührung sind.
KnOCheilVerSChwärung, K n o c h e n f r a s s , C a r i e s. Die-
ses Leiden , welches seinem Size und seiner Ausdehnung nach eine C a -
ries superficialis s. peripherica, eine profunda s. cen-
tralis, so wie eine totalis und eine partialis sein kann, entspricht
der Verschwärung der Weichtheile. Es entwickelt sich entweder und
zwar am häufigsten aus dyscrasischen (scrophulösen , gichtischen, syphili-
tischen etc.) Entzündungsprocessen der Knochen heraus , die bald spon-
tan auftreten , bald durch die Gegenwart krankhafter Ablagerungen
(z. B. von Tuberkelmassen) herbeigeführt werden können, oder die veran-
lassende Entzündung ist die Folge äusserer Einflüsse, oder sie ist endlich
572 KNOCIll^VEKSCIIWAEKUNG.
eine durch ulceröse Proeesse benachbarter AVeichtheile erzeugte (beson-
ders an Gelenken). — Jeder Knochen kann von Caries befallen werden,
jedoch befällt sie am häufigsten die blutreiche , schwammige Knochen-
substanz, daher die Hand- und Fusswurzelknochen, die Gelenkenden der
langen Knochen, die Wirbel , das Brustbein etc. — Pathologisch -
anatomische Erscheinungen. Bei der oberflächlichen
Caries ist die Knochenrinde rauh , wie angefressen oder angeäzt , die
Markkanälehen sind ungleichförmig erweitert, die Zwischenwände oft er-
weicht, die Räume bald mit eiteriger, blutiger, tuberculöser oder fettiger
Flüssigkeit erfüllt (Caries huiui d a), bald ist die rauhe Knochenober-
Mäche und das Innere der erweichten Markkanälchen mit lockern , leicht
blutenden Granulationen bedeckt und ausgefüllt (C. camosa, fun-
gosa). Zuweilen, wenn das Knochengewebe ganz abgestorben, nekro-
tisch und zugleich der Luft ausgesezt ist, erscheinen die Räume leer, wie
ausgetrocknet (C. sicca) und jenes von schwärzlicher Farbe. — Bei
der centralen Caries schwillt der Knochen an, seine Rinde verdünnt
sich und das Innere stellt ein mit Jauche infiltrirtes oder von schwammi-
gen Granulationen erfülltes , morsches zartfaseriges Knochengerüste dar.
— Bisweilen sterben bei der Caries grössere Knochenstücke in Folge des
durch die cariöse Zerstörung abgeschnittenen Blutzuflusses ab (C. n e -
crotica). Immer ist der cariöse Knochen speeifisch leichter als der
gesunde und der phosphorsaure Kalk in ihm , im Verhältniss zu den üb-
rigen Salzen , vermindert. — Das umgebende Knochengewebe befindet
sich häufig im Zustande der Hyperämie und Entzündung, wodurch sieh
eben sowohl Osteoporose, wie Sclerose und Osteophytbildungen erzeugen
können. — Symptom e. Wenn eine Knochenentzündung in Caries
übergeht, was unter tiefsizenden , bohrenden, bei syphilitischem Grund-
leiden besonders bei Nacht heftigen Schmerzen vor sich geht, so nehmen
in der Regel die benachbarten Weichtheile an Umfang zu, es bildet sich
eine fluetuirende Geschwulst, die nach und nach, meist sehr spät, durch
den von der Tiefe her fortschreitenden Verschwärungsprocess durchbrochen
wird und aus mehreren kleinen Oeffnungen eine meistentheils stinkende,
die silbernen Geräthe und die Verbandstücke schwarz färbende Jauche
entleert, welcher Flocken und gewöhnlich auch kleine Knochenpartikel-
chen beigemischt sind. Die Untersuchung mit der Sonde zeigt den
Knochen rauh, uneben , nachgiebig und aufgelockert. Sehr häufig wan-
dern die Jaucheansammlungen weit von dem cariösen Knochen , von wel-
chem sie ausgehen (Co n gestio ns- oder Senkungsabscesse, s.
lezteren Artikel). In einem solchen Falle kann die eingeführte Sonde
nicht zu dem schadhaften Knochen gelangen und die Erkenntniss der
Caries muss aus dem ganzen Krankheitsverlaufe und aus der Beschaffen-
heit der ausfliessenden Jauche sich ergeben. Die zu den cariösen Kno-
chen führenden Gänge haben in der Regel eine äussere Mündung, welche
einen aufgeworfenen, wallartigen, callösenRand hat und öfters mitrpthen
KNOCHENVERSCHWAERUNG. 573
oder weissen speckigen , leicht blutenden Fungositäten besezt ist ; häufig
ist die Haut im Umfange der Oeffnung unterminirt. — Die Knoehenver-
schwärung ist meist ein chronischer Process, der Jahre lang dauern kann,
doch verläuft er auch zuweilen acut. — - Bei bedeutender Zerstörung ent-
steht durch den Säfteverlust wie durch die Aufsaugung der Jauche hecti-
sches Fieber, der Kranke magert ab, Haut und Muskulatur werden schlaff,
die Kräfte sinken und der Tod erfolgt unter colliquativen Erscheinungen.
— Wenn es zur Heilung der Caries kommt, was nicht selten um die Zeit
der Pubertät geschieht , wenn die Caries im kindlichen Alter entstanden
ist, so wird der Eiter allmälig besser, die geschwürige Knochenfläche be-
deckt sich mit guten Granulationen, die Kräfte des Kranken nehmen wie-
der zu , die Fungositäten an den Mündungen der Fistelgänge schwinden
und diese sehliessen sich endlich durch weissliche an den Knochen fest-
geheftete Narben. Durch Ablagerung von Kalksalzen in das porös ge-
wordene Gewebe verdichtet sich zuweilen der Knochen (Eburneatio,
Sclerosis), wodurch eine Volums Verminderung desselben stattfindet :
andere Male bildet sich noch vor Verschluss des Geschwürs in den Weich-
theilen auf der granulirenden Fläche neue Knochenmasse , was eine Vo-
lumensvermehrung zur Folge hat. Manchmal wird das ganze cariöse
Knochenstück brandig und stösst sich unter Bildung einer Demarkations-
linie ab. — Behandlung. Diese zerfällt in die allgemeine gegen
die Grundursachen, und in die örtliche, und beruht auf denselben Grund-
säzen , wie die Behandlung der Geschwüre überhaupt. Die innere Be-
handlung wird in den meisten Fällen eine antisyphilitische , antiscorbuti-
sehe oder antiscrophulöse sein müssen ; daneben muss der Stand der Kräfte
berücksichtigt, bei Schwäche gute Nahrung und Roborantia. gegeben, für
gesunde Luft, Reinlichkeit der Haut etc. gesorgt werden. Die Örtliche
Behandlung muss, so lange die Weichtheile noch unversehrt sind, der
Entzündung entgegenwirken , und man zieht in dieser Absicht örtliche
Blutentziehungen und kalte Umschläge von Bleiwasser in Gebrauch.
Zeigt sich Fluctuation , so öffnet man den Abscess dem Knochen mög-
lichst nahe, um der Jauche Abfluss zu verschaffen. Fistulöse Oeffnungen,
welche den gehörigen Abfluss der Jauche nicht zulassen , erweitert man,
um die Eiterverbreitung zu verhüten und die cariöse Stelle frei zu legen,
wodurch am besten der Ausbreitung der Entzündung begegnet , der Re-
sorption der Jauche vorgebeugt und die Abstossung der kranken Knochen-
fläche befördert wird. Die früher gebräuchlichen Einsprizungen von
scharfen äzenden Substanzen , wie der T i n c t u r a e u p h o r b i i , des
Liquor Bellostii, starker Snblimatsolutionen etc. bei tiefer Lage
des Knochens, welche man in der Absicht vornahm, den cariösen Knochen
vollends zu tödten und seine Abstossung herbeizuführen , werden zweck-
mässig durch milde Bäder von Chamillenthee, schwacher Lauge, Schwefel-
bäder, Umschläge von Chamillenthee oder milde Salbenverbände ersezt.
Nur wenn der cariöse Knochen oberflächlich liegt, also leicht zugänglich
574 KNORPEL, KRANKHEITEN DERSELBEN.
ist, kann man durch kräftigere Mittel die Vitalität des Knochens umzu-
stimmen oder die cariöse Stelle zu zerstören suchen. Es eignen sich
hierzu Umschläge von aromatischen und adstringirenden Kräutern , wie
den Chamillen , der Herbasalviae, rutae,scordii, der Eichen-,
Kastanien- oder Chinarinde , den grünen Nussschalen : Einlegen von ver-
dünnter Phosphorsäure, einer Sublimat- oder Höllensteinlösung, des ver-
dünnten Bals. opodeldoc, Betupfen der cariösen Stelle mit Kali
causticum, dem glühenden Eisen. Manchem Mittel schreibt man
eine specifische Wirkung zu ; so der Phosphorsäure , die man innerlich
und äusserlich anwendet; z. B. Rp. Hb. salviae, Hb. et flor.
m i 1 1 e f o 1. ana ^ß, A q. c o m m u n. 5VÜJ , c o q. ad c o 1. ^vj, c u i r e -
fr ig. ad de Acid. phosphor. dep. 5ij, Tinct. myrrh. 5j. M. S.
Umgesehüttelt einzusprizen ; oder Rp. Hb. rutae, — scordii, Cort.
salic. ana ^ß. F. decoct. col. ^vj adde Acid. phosphor. di-
lut., — pyrolignos. ana 5vj. M. S. Zum Einsprizen. — Rp. Acid.
phosphor. sicc. , Asae foetid. ,Pulv. rad. alth. ana 5ij- M. f.
cum aq. destill, pil. gr. ij , consp. lycopod. Den t. in vitro.
S. Täglich 3 Mal 6 — 10 Pillen zu nehmen. Liegt der Knochen bloss,
ist das Geschwür sehr unrein , so verbindet man mit folgender Salbe :
Rp. Ol. terebinth. 3ij, Vit eil. ovor. No. iv. M. oder Rp. Ungt.
basili.c. ^j, Myrrh. 5iß. M. Bei scrophulöser Caries mit Knochen-
auftreibung wird das Jodkali innerlich und als Einreibung sehr gerühmt.
Zum Einstreuen kann man folgendes Pulver anwenden: Rp. Camp hör.,
M y r r h. ana 5ij, Cort. c h i n. f u s c, F 1 0 r. chamom. v u 1 g. ana ^ß,
C ar b on. p r aep. pul v. ^j. M. f. pulv. S. — Wenn es die Lage des
Knochens zulässt , kann man die cariöse Stelle mittels eines Schabeisens
oder des Hohlmeissels wegnehmen. Losgelöste und abgestorbene Knochen-
stücke zieht man aus, zu welchem Behufe man oft genöthigt ist, die vor-
handenen Oeffnungen in den Weichtheilen zu erweitern. Schlagen alle
Versuche fehl , die Caries zur Heilung zu bringen und droht dem Leben
des Kranken durch Erschöpfung Gefahr, so muss, nach vorher beseitigter
Dyscrasie, wenn es angeht, die Resection der krankhaften Stelle, im andern
Falle die Amputation des Gliedes vorgenommen werden.
Knorpel, Krankheiten derselben. Das Knorpelgewebe
unterliegt wegen seiner Textur , besonders wegen seines Gef ässmangels
oder doch bedeutender Gefässarmuth einer primären Erkrankung selten
oder gar nicht. Dagegen erfährt es nicht selten durch Krankheiten der
Nachbartheile Veränderungen und selbst Zerstörungen , meist aber erst
nach ziemlich langer Einwirkung. — Entzündung, Chondritis,
erleidet nur der gefässhaltige Faserknorpel (Kehldeckel, Augenlid-, Zwi-
schenwirbel - und Synchondrosenknorpel) , und diese kann Vereiterung,
Verjauchung (besonders der Synchondrosenknorpel beim Puerperalpro-
cesse) , Necrosirung und Verschrumpfnng nach sich ziehen. Der ächte
KOPFBINDEN. 575
Knorpel entzündet sich nie , er wird nur durch die Producte der Entzün-
dung benachbarter Theile (des Perichondriums , der Synovialhaut , der
Knochen) , welche sich in sein Gewebe imbibiren und dieses allmälig er-
weichen (Chondroiualacie), zerstört. — Ein gar nicht seltener Zu-
stand der Knorpel ist ihre Atrophie (U s u r) , welche entweder die
Folge von Druck oder von gestörter und aufgehobener Ernährung durch
Erkrankung der Nachbartheile ist. Man unterscheidet verschiedene For-
men. Die eine tritt in Folge des höhern Alters auf. Wenn bei den
Gelenkknorpeln die ernährenden Gef ässe in den spongiösen Knochenenden
allmälig veröden und wenig neue Knorpelmasse mehr gebildet wird , so
können sich die Gelenkflächen so abnuzen, dass der knorpelige Ueberzug
ganz schwindet und die Knochenflächen sich an einander reiben. Diese Ab-
nuzung (Usur) erfolgt um so schneller und in höherem Grade, wenn
gleichzeitig ein Mangel an Synovia in der Gelenkhöhle die nachtheiligen
Wirkungen der Reibung begünstigt , wie dies bei chronischen Entzün-
dungszuständen der serösen Gelenkskapsel der Fall ist. Die Knochen-
enden verhalten sich dabei auf verschiedene Weise, je nachdem sie selbst
im Zustande der Atrophie sich befinden, oder durch vorausgegangene Ent-
zündung aufgetrieben und porös, oder im Gegentheil durch Einlagerung
neuer Knochenmasse wie eburnirt geworden sind. In den ersten Fällen
ist die Knochenfläche rauh, schwammig, mehr oder weniger abgenuzt , im
lezten Fall glatt, wie polirt. — Bei Rückgratsverkrümmungen sieht man
die Zwischenwirbelknorpel in Folge beschränkter Ernährung durch über-
mässigen Druck einseitig oft so schwinden , dass die Wirbelkörper un-
mittelbar in Berührung kommen und verschmelzen. — Ferner gibt es
auch hier wie bei den Knochen eine Atrophie , welche durch verstärkte
Resorption entsteht und wobei eine vermehrte Gef ässentwicklung an der
Knochengrenze wahrgenommen wird. Diese krankhafte Resorption kann
Durchlöcherung des Knorpels und gänzlichen Schwund desselben zur
Folge haben. Gichtische Knochenentzündungen scheinen diesen Process
am häufigsten einzuleiten.
Kopf binden. Eine Reihe von Verbänden, die in früherer Zeit
für Verwundungen der Hirnschale oder der weichen Bedeckungen derselben
in Gebrauch waren, sind, da sie meistentheils sehr umständlich anzulegen sind,
dabei doch schlecht sizen und den Kopf zu sehr einhüllen , verlassen und
nur folgende wenige , als allen Zwecken entsprechende beibehalten wor-
den. Diese sind: 1) das viereckige oder grosse Kopftuch,
C a p i t i Li m quadratum s. magn u m. Ein viereckiges Stück Lein-
wand, Schnupftuch oder Serviette, ungefähr ein Viertheil länger als breit,
wird so in die Quere zusammengelegt , dass das untere Blatt etwa drei
Finger breit vor dem obern hervorragt. Dieses Tuch wird so aufgenom-
men, dass es auf dem Handrücken beider Hände aufliegt, wobei die Dau-
men auf dasselbe zu liegen kommen. So gefasst wird es in der Art über
576
KOPFBINDEN.
den Scheitel gebreitet, dass seine Mitte der Pfeilnäht entspricht, das un-
tere hervorragende Blatt über die Augen herunterhängt, das obere kürzere
Blatt aber nur bis an die Augenbrauen reicht. Hierauf* werden die zu
beiden Seiten des Kopfs herabhängenden Enden des obern Blatts unter
dem Kinn zusammengebunden, der über die Augen herabhängende Theil
wird über das kürzere Blatt zurückgeschlagen, so dass es wie ein Saum
auf der Stirne liegt und dessen Enden dann um den Kopf in den Nacken
geführt , wo man sie zusammenbindet oder mit einer Nadel an einander
befestigt. Die noch übrigen beiden Seitenflügel kann man hängen las-
sen oder an den übrigen Verband heften. — Dieser Verband hüllt den
Kopf zu sehr ein und wird meist nur noch beim Transport Schwerverwun-
deter in rauher Witterung benüzt. — 2) Das dreieckige oder
kleine Kopftuch, Capitium trianguläre. Man nimmt ein
etwa r}/4 Elle im Quadrat haltendes Stück Leinwand, legt es in seiner
Diagonale zu einem Dreieck zusammen, fasst es wie das vorige mit beiden
Händen und bringt die Mitte der Basis auf die Mitte der Stirne über den
Augenbrauen , so dass die Spize des Dreiecks sich im Nacken befindet,
während die beiden Enden über den Nacken herabhängen. Diese beiden
Enden fasst man, führt sie über den Ohren nach dem Nacken , kreuzt sie
dort über der Spize des Dreiecks und führt sie dann, nachdem man mit
den Händen gewechselt hat, auf demselben Wege wieder nach der Stirn,
wo man sie verknüpft oder mit Nadeln zusammensteckt. Die Spize des
Dreiecks wird ausgebreitet, über die gekreuzten Enden hinaufgeschlagen
und befestigt. — Je nach der Lage der Verlezung kann man das drei-
eckige Kopftuch verschieden anlegen , mit der Basis im Nacken, auf der
Schläfe etc. — Dieser Verband ist einer der zweckrnässigsten bei Ver-
lezungen des Kopfs , wo keine kalten Umschläge erforderlich sind. — -
Schreger's dreieckige Kopfbinde ist noch faltenfreier und em-
pfiehlt sich durch, gleichmässigeres Anschliessen. Man schneidet nach
der Grösse des Kopfs aus Leinwand ein Dreieck , so dass seine Basis in
zwei längere Köpfe ausläuft ; die Winkel schneidet man in der Richtung
gegen die Mitte so weit ein, dass der ganz bleibende Zwischenraum die
Breite der Stirne hat. Beim Anlegen werden die Köpfe gegen den Nak-
ken, der eine durch den Spalt des andern, dann wieder vorwärts nach der
Stirn geführt und geheftet. Die noch zu beiden Seiten herabhängenden
Ecken werden entweder heraufgeschlagen oder unter das Kinn geführt
und da befestigt. — 3) Die bewegliche T-Binde. Schreger em-
pfiehlt die T-Binden (s. den Art. Binde) als Allgemeinbinden für alle
Schädelverlezungen , indem der horizontale Theil nach Bedürfniss mit ,
einem oder mehreren senkrechten beweglichen Schenkeln versehen werden
kann, die von dem, den Kopf im Kreise umgebenden Horizontaltheile nach
allen Richtungen hin über den Schädel geführt werden können. Diese
Binde besizt alle Eigenschaften einer guten Kopfbinde , sie übertrifft die
meisten an Haltbarkeit , ohne den Kopf im Mindesten zu belästigen ;
KOPPBINDEN. 577
ebenso gestattet sie auch den Gebrauch kalter Umschläge. — 4) Die
Weibermüze, Mitra muliebrum. Es ist dies die gewöhnliche
Schlafhaube der Weiber und Kinder. Sie besteht aus zwei Seitentheilen
und einem Streifen , der diese vereinigt und von der Stirne bis in den
Nacken reicht. — Eine solche Haube , welche durch unter dem Kinn
weggehende Bänder befestigt wird, vertritt oft die Stelle der besten Kopf-
binde. — 5) Die ne zf ör mige Müze, Mitra reticulata. Es
ist dies ein durch einen Zug schliessbares Nez, wie man es häufig Kinder
tragen sieht. Es lassen sich durch dasselbe sehr gut Verbandstücke an
dem Kopfe befestigen , den es dabei nicht im Mindesten belästigt ; ein
weiterer Vortheil desselben ist , dass es kalte Umschläge zu machen er-
laubt.
Eine weitere Reihe von Kopfbindeo , welche aber nicht für Leiden
des Kopfs selbst bestimmt sind , sondern nur an ihm ihren Stüzpunkt
nehmen, sind die geradhaltenden. Die ger ad halten de Binde des
Kopfs, Fascia continens capitis. Man legt einen Bandstreifen
von l1/2 Ellen Länge längs der Pfeilnaht so über den Kopf, dass das
eine Ende über die Brust, das andere zwischen die Schultern herabhängt.
Ueber diese Binde legt man eine zweiköpfige, 8 — 9 Ellen lange und 2
Zoll breite Binde mit dem Grunde im Nacken an , führt die Köpfe zur
Stirn , kreuzt sie hier , indem man einen Kopf umschlägt und geht über
den Ohren wieder zum Nacken, wo man die Köpfe wieder wechselt, und
nun mit diesen unter den mit Compressen gefütterten Achseln hervor über
die Schultern zurück nach dem Rücken , wo man die Köpfe nochmals
wechselt und hierauf mit Zirkeltouren um den Thorax endigt. Die beiden
herabhängenden Enden der kürzern Binde schlägt man über den Kopf,
den man etwas nach rückwärts gebogen hat , zurück und heftet sie mit
Nadeln zusammen. — Diese Binde zieht den Kopf nach dem Rücken,
daher ist sie bei Querwunden des Nackens , aber auch bei Querwunden
des Vorderhalses, welche lange offen erhalten werden sollen oder bei wel-
chen eine Verkürzung der Haut zu befürchten ist, z. B. bei Verbrennun-
gen, empfohlen worden. — Kräftiger und mehr auf die Seiten des Kopfs
wirkend ist die Binde von Stark. Von einer 3 — 4 Ellen langen, 2 — 3
Querfinger breiten und auf einen Kopf gewickelten Binde von feinem
Gurte rollt man */2 Elle ab und lässt das abgerollte Stück über das Ge-
sicht herabhängen. Die Rolle der Binde führt man längs der Pfeilnaht
in den Nacken, macht dort einen Umschlag und führt sie über die Ohren
und die Stirne in 2 — 3 Zirkelgängen um den Kopf. Hierauf schlägt
man das über das Gesicht herabhängende Stück über den Scheitel bis in
den Nacken zurück und befestigt es dort mit einigen Nadelstichen an
die Zirkelgänge. Was von der Binde noch übrig ist, endigt man in Zir-
keltouren um den Kopf. Hierauf nimmt man ein 3 — 4 Ellen langes
Stück Gurt und legt die Mitte desselben quer über den Kopf, so dass es
zu beiden Seiten herabhängt. Nachdem man es vermittels einiger Nadel-
Burger, Chirurgie. öl
578 KOPPBINDEN.
stiche an die Zirkeltouren befestigt hat, gibt man dem Kopf die geeignete
Stellung und erhalt ihn in dieser , indem man die an den Seiten herab-
hangenden Enden unter den Achseln an einem Leibchen oder Brustgürtel
befestigt. — Diese Binde findet bei Verwundungen, so wie bei Schiefheit
des Halses Anwendung. — M a y o r suchte diese Binden durch Verband-
tücher zu ersezen. Er legt die Basis eines dreieckigen Tuches an die
Horizontalperipherie des Schädels, und zwar auf die entgegengesezte Seite
desselben , gegen welche hin der Kopf geneigt werden soll und sezt die
Enden dieses Tuches mit Bändern oder Schlingen in Verbindung, die bei
der Vor- und Rückwärtsbeugung des Kopfs an ein um die Brust gelegtes
Tuch befestigt , bei erforderlicher Seitwärtsneigung des Kopfs unter der
entsprechenden Achsel durchgeführt und mit einander verknüpft werden.
— Diese Verbände mögen ihrem Zweck entsprechen , wenn der Kranke
durch seinen Willen die gegebene Lage unterstüzt ; ist dies nicht der
Fall, wie dies bei Selbstmördern oft genug vorkommt, so reichen sie nicht
hin, den Kopf in ruhiger Lage zu erhalten. — Die Müze von Köhler.
Die ganze Vorrichtung besteht aus einer Müze , einem Brustgürtel und
einem Zugriemen , durch welchen die beiden andern Theile mit einander
in Verbindung gesezt werden. Sämmtliche Theile sind von Leder. —
Die Müze muss den Kopf genau umschliessen. Zu beiden Seiten läuft
sie in zwei Lappen , welche die Ohren bedecken und an welche Riemen
befestigt sind, die unter dem Kinn zusammengebunden werden. Zur wei-
tern Befestigung gehen von dem Hintertheil der Müze zwei Riemen, nach-
dem sie im Nacken gekreuzt worden sind, an den Seiten des Halses nach
vorn und nach abermaliger Kreuzung auf der Brust unter den Achseln auf
den Rücken , wo sie zusammengeschnallt werden. Rings um den Rand
der Müze läuft ein starker Riemen, welcher mehrere eiserne Ringe trägt.
Der gutgepolsterte Brustgürtel ist an seinem obern Rande ebenfalls von
einem starken Riemen umgeben , der wie der an der Müze mit eisernen
Ringen versehen ist. Der untere Rand des Gürtels trägt vorn zwei mit
beweglichen Polstern versehene Schenkelriemen und hinten zwei Schnallen
zu deren Befestigung. Die Zugriemen sind von starkem Leder und an
einem Ende mit Schnallen , am andern mit Löchern versehen. — Nach
der Befestigung der Müze und der Anlegung des Brustgürtels bringt man
den Kopf in diejenige Lage , in welcher sich die Wunde schliesst, und
vereinigt diese. Nun werden Zugriemen so viel als nöthig sind in die
Ringe derjenigen Seite, auf welche der Kopf geneigt ist, eingezogen und
zusammengeschnallt. — Diese Vorrichtung entspricht vollkommen ihrem
Zwecke, den Kopf in einer bestimmten Stellung zu erhalten. — Rich-
ter bediente sich zu demselben Zwecke statt der Müze eines einfachen
Lederkranzes und Schreger einer complicirten Vorrichtung, bestehend
aus einem stählernen Kopfreife, welcher mittels Stellstäben mit dem Brust-
gürtel in Verbindung steht ; durch von dem leztern ausgehende Krücken
werden die Schultern fixirt.
KOPFBLUTGESCHWULST. 579
Kopfblutgeschwulst der Neugebornen, Cephaiae-
matoma (von xscpaXrj, der Kopf und al/uaioco, Blut machen), E c c h y -
moma capitis. Mit diesem Namen bezeichnet man eine circumscripte
Blutansammlung zwischen Schädelknochen und Pericranium, welche sich
als eine länglich ovale, selten runde, pralle, fluctuirende, zuweilen pul-
sirende Geschwulst darstellt, über welcher die Haut wärmer als am übri-
gen Schädel, sonst aber unverändert ist. Ihr Siz ist meistens das Scheitel-
bein und zwar häufiger das rechte als das linke, doch beobachtet man sie
zuweilen auch auf dem Hinterhauptsbeine , dem Schlaf beine und selbst
auf dem Stirnbeine. Ihre Grösse variirt von der einer Haselnuss bis zu
der eines Hühnereies und darüber , indem zuweilen ein ganzes Scheitel-
bein eingenommen ist. Meistens ist nur eine Geschwulst vorhanden, zu-
weilen findet man aber auch mehrere. Die Kopfblutgeschwulst bedarf
nur kurzer Zeit zu ihrer Entwicklung, mitunter genügen wenige Stunden,
während sie auch bisweilen l bis 2 Tage wächst. In ihrer vollen Ent-
wicklung lässt sie in ihrem Umfange einen harten hervorspringenden Ring
erkennen. Dieser Ring findet seine Erklärung in der Ausscheidung eines
plastischen Exsudats auf der Innenfläche der Beinhaut, welches nach und
nach alle Metamorphosen eines verknöchernden Exsudats durchläuft und
mit Hinterlassung von Osteophyten endigt ; die Ursache dieses Exsudats
ist eine Entzündung der vom Knochen abgelösten Beinhaut. — Der In-
halt dieser Geschwulst, welche sich nie über eine Naht hinüber erstreckt,
ist gewöhnlich schwarz und flüssig ; selten findet man Gerinnungen , wohl
aber hat er hin und wieder ein saniöses Ansehen. Je älter das Cepha-
laematom ist, um so mehr findet man das ergossene Blut verändert; bei
zu langem Verweilen kann es zur Abscessbildung und selbst zur Zerstö-
rung des Knochens kommen. — Diagnose. Das Cephalaematom un-
terscheidet sich von dem angeborenen Hirnbruch dadurch , dass
sich dieser auf Druck verkleinert und sich dabei Gehirnsymptome bemerk-
lich machen , auch bei Schreien, Husten der Kinder mehr hervortritt, der-
selbe endlich meist an den Fontanellen und Nähten auftritt ; vom Caput
succedaneum dadurch , dass dieses weniger bestimmt umschrieben
ist, keinen peripherischen Wulst zeigt, die Geschwulst sich teigig anfühlt
und beim Fingerdruck eine Grube hinterlässt ; vom Fungus durae
m a t r i s dadurch , dass sich dieser unter Gehirnsymptomen verkleinern
lässt, er überdies der ersten Kindheit nicht angehört. — Aetiologie.
Das Cephalaematom entsteht meistens während der Geburt und verdankt
seine Entstehung einer gewaltsamen Verschiebung der Beinhaut, bewirkt
durch Uebereinanderschieben der Scheitelbeine bei der Geburt , wodurch
eine Gef ässzerreissung und Blutergiessung veranlasst wird. Die Krank-
heit zeigt sich am häufigsten bei Kindern Erstgebärender, und bei Knaben
häufiger als bei Mädchen, ohne Zweifel wegen des grössern Umfangs des
Kopfs bei jenen , wodurch dieser einen grössern Druck erfährt. — Die
37*
580 KOPFGRIND.
Prognose dieser Geschwülste ist nicht schlimm ; mit oder ohne Behand-
lung heilen sie fast immer, bei zweckmässiger Behandlung schneller. Die
Naturheilung geschieht durch Resorption des Ergusses ; es bleiben dann
aber an der betreffenden Stelle harte hervorragende Punkte zurück , Ver-
knöcherungen, welche in der Form von mehr oder weniger fest am Knochen
klebenden Schildern sich bilden (Osteophyten). — Behandlung. Der
einfachste Weg ist die Eröffnung der Geschwulst mit dem Messer , wobei
man Gefässe vermeidet. Nach Abfluss des Bluts bringt man etwas Char-
pie zwischen die Wundlefzen und legt einen Druckverband an. Will man
den Weg der Zertheilung einschlagen, so wendet man warme, aromatische
Umschläge mit Wasser oder mit Wein bereitet , oder adstringirende toni-
sche von Eichen- , Weiden- , Chinarinde an , auch Fomente von Salmiak-
lösung, verdünntem T h e d e n ' sehen Schusswasser, Bleiwasser etc. zeigen
sich nüzlich. Becker bediente sich mit Vortheil folgender Mischung :
R p. Spirit. vini camphor. , — juniperi ana 3 j , Aceti squil-
lae ^ß. M. S. Lauwarm mit Compressen aufzulegen. Otterburg
empfiehlt die Einreibung des Ungt. kalihydrojod. einer Erbse gross
zwei Mal täglich. Alle diese Mittel wirken sehr langsam und nach lan-
gem Gebrauche muss man oft doch noch zum Messer greifen. Fände
man den Knochen bereits erkrankt, so würde man nach bekannten Regeln
verfahren müssen.
Kopfgrind, Tinea capitis, ist eine chronische Entzündung
der Haarbälge , verbunden mit Erzeugung einer eigenthümlichen gelben
Masse, welche die Haarcylinder umgibt und die man durch die Oberhaut
als kleinen , kreisförmigen gelben Fleck sieht. Nach kurzer Zeit quillt
die gelbe, klebrige , honigartige Masse aus den Bälgen hervor und trock-
net zu gelben, zerreiblichen Krusten ein, welche um die Grundfläche eines
jeden Haars ein deutliches Näpfchen mit umgeschlagenem Rande bilden.
Mehrere derartig zusammengehäufte Näpfchen nehmen Zellenform an, und
mehrere Zellen wieder zusammengenommen haben Aehnlichkeit mit einer
Honigwabe, daher auch der Name Wab enkopf grind , Tinea f a-
v o s a. Dem Ausbruch geht ein Jucken und Brennen , so wie ein span-
nender Schmerz der afficirten Partien voraus. Es kommen immer neue
Nachschübe , die Krusten fliessen zusammen , so dass am Ende die ganze
Kopfhaut von einer dichten Kruste bedeckt ist. Sie geben bald Veran-
lassung zu bedeutender Entzündung der Haut und heftigem Jucken, es
kann zur Zerstörung der Kopfhaut kommen und selbst die Schädelknochen
können in den Kreis der krankhaften Thätigkeit gezogen werden. Der
Geruch dieser Krusten ist sehr ekelhaft und hat viele Aehnlichkeit mit
dem Kazenurin ; erweicht man dieselben durch Umschläge , so wird der
Geruch sehr fade, ekelerregend, macerirten Knochen ähnlich. Entfernt
man die Krusten , so findet man die Kopfhaut mit Verschwärungen von
verschiedener Tiefe bedeckt, die eine Menge rother, stinkender Flüssig-
KOPFGRIND. 581
keit ergiessen. Diese Flüssigkeit trocknet zu bräunlichen unregehnässi-
gen Schorfen ein , welche den Grindkrusten nicht ähnlich sind. Manch-
mal ist aber auch die Haut zwischen den Grindkrusten gesund. Meistens
erzeugen sich bei dem Grinde viele Läuse. Nach zweckmässiger Behand-
lung pflegen in der Mehrzahl der Fälle nach dem Abfalle der Krusten
die Eindrücke der Haut zu verschwinden; da, wo die Krusten sassen, be-
merkt man kleine violette Flecken, die mit der Zeit verschwinden. Ent-
wickelt sich die Krankheit an behaarten Stellen , so ist eine krankhafte
Veränderung und Ausfallen der Haare die gewöhnliche Folge. Die auf
den erkrankten Stellen wachsenden Haare stehen einzeln , sind weisslich,
dünn und wollig. An den Stellen, wo die Haare völlig ausgefallen sind,
bleibt die Haut lange Zeit hindurch glatt und glänzend. Bei sehr langer
Dauer kann die Haarlosigkeit dauernd und allgemein sein. — Der ge-
wöhnliche Siz der Krankheit ist die behaarte Kopfhaut , indessen kann
sie sich auch über das Gesicht , den Hals , ausnahmsweise auch über den
Körper ausbreiten. Sie ist vorzugsweise dem Kindesalter eigen und
pflanzt sich durch Ansteckung fort. — Die leichteren Grade der Krank-
heit bezeichnet man als Wachsgrind, Favus, A c h o r e s , die höhe-
ren, zerstörenden Grade als Erbgrind, bösen Grind, Tinea ca-
pitis maligna. Weiter unterscheidet man zwei Hauptgruppen von
Favus nach der Ausdehnung desselben, nämlich 1) Favus dispers us
(Porrigo lupinosa), wenn die Bälge in gewissen Entfernungen von
einander ergriffen sind, 2) Favus confertus (Fav. figuratus,
scutiformis), wenn mehrere neben einander liegende Bälge ergriffen
werden und einen runden Fleck von massiger Grösse bilden. — Ur-
sachen. Viele sehen in der gelben Masse, welche die Krusten des Fa-
vus bildet, ein organisches Gewächs von einfacher Structur, welches viele
Aehnlichkeit mit dem Schimmel hat , Andere finden darin nichts als
krankhaft entwickelte Zellen der Oberhaut, der Haarbälge oder des Talg-
stoffs. — Die veranlassenden Ursachen können sein : bei Kindern zu
reichlicher Zufluss des Bluts nach dem Kopfe, zu nährende Kost, Unrein-
lichkeit, Aufenthalt in schlechter, feuchter Luft, Reizung des Kopfs durch
Läuse und zu warme Bedeckung desselben ; ferner scrophulöse oder syphi-
litische Dyscrasie und Ansteckung. -- ■ Prognose. Lange Dauer oder
Vernachlässigung des Kopfgrindes hat nicht selten bedeutende Zerstörun-
gen der Kopfhaut, Verlust der Haare, Störungen der Nutrition, Hemmung
der Entwicklung des Körpers , krankhafte Veränderungen der Nägel etc.
zur Folge. — Behandlung. Stellt sich der Kopfgrind als eine heil-
same Ableitung der überflüssigen Säfte im kindlichen Organismus dar,
oder entsteht er gegen das Ende einer acuten oder chronischen Krankheit
spontan oder bessert sich bei schwächlichen Kindern nach seinem Aus-
bruche der allgemeine Krankheitszustand , so darf die Krankheit nie mit
schnell austrocknenden Blei- oder andern Salben vertrieben werden ; man
kommt mit örtlichen einfachen Mitteln der Reinlichkeit , Abwaschungen
582 KOPFGRIND.
des Kopfs mit Seifenwasser, öfterem Kämmen, Bestreichen und Erweichen
der Krusten mit milden Fettsubstanzen meist zurecht. Ist das Uebel
hartnäckiger, so muss neben der äussern Behandlung eine entsprechende
innere eingeleitet werden ; man reicht zu diesem Behufe den A e t h i o p s
m i n e r a 1 i s mit Rhabarber und Magnesia carbonica, einen Thee
von Herba jaceae, Lignum Sassafras und alle acht Tage ein
Abführmittel von Pulv. jalappae mit Calomel oder Pulvis P 1 u m-
meri mit Guajac. Bei Complicationen mit Scropheln oder Syphilis wen-
det man die Specifica an. Späterhin erweisen sich Amara, China etc.
nüzlich. Aeusserlich zieht man nach vollständiger Reinigung des Kopfs
(durch Abscheeren der Haare , Erweichung der Krusten durch Schweine-
schmalz und Leinsamenumschläge mit nachfolgenden Seifenwasserwaschun-
gen) Salben in Gebrauch , welche die Haare zum Ausfallen bringen ;
als solche hat sich besonders ein Gemisch von Kali oder Natron
sulphuricum 3j — ij mit Fett Jj bewährt, welches man je nach der
Dauer der Krankheit kürzere oder längere Zeit hindurch fortgebraucht.
An den Stellen , wo keine Einreibungen gemacht werden , streicht man
mehrmals einen engen Kamm durch die Haare , die nun ohne Schmerzen
ausfallen. An den Tagen , wo die Salbe nicht angewendet wird , kämmt
man den Kranken 1 bis 2 Mal, doch darf der Kamm nicht zu stark ein-
gedrückt werden und man pflegt ihn in Schweineschmalz oder Oel zu
tauchen. Es werden täglich 8 bis 10 Minuten lang Einreibungen
mit obiger Salbe in die kranken Stellen gemacht ; ist die Haut entzündet,
so wäscht man sie mit einer Auflösung von Kali subcarbonicum3ij
in Aqua ^ij , worauf die Haare ausfallen. Ausserdem hat man eine
Menge örtlicher Mittel gegen den Favus der behaarten Kopftheile mit ver-
schiedenem Erfolg in Anwendung gebracht, wie z. B. Chlorkalk (Rp.
Calcar. chlor in. 3j, Axung. porci Jj. M, f. Ungt. S. Täglich
2 Mal in der Grösse einer Haselnuss in die grindigen Stellen einzureiben ;
Rp. Aq. oxymuriat. 5iß— ij , Ol. oliv. gj. M. S. Täglich 2 Mal
den Kopf damit einzureiben); Kohle allein oder mit Schwefel (Rp. Car-
bon, ligni pulv. 5üj , Axung. porci Jj. M. f. Ungt. S. Die
grindigen Stellen damit einzureiben; ■ — Rp. Carbon, ligni tiliae
pulv. Jiv, Fuligin. splendent. Jij , Adip. suill. ^xv. M. f.
Ungt. S. Jeden dritten Tag die behafteten Stellen einzureiben); Man-
ganoxyd, Ungt. oxygenat., Ungt. hydrarg. muriat. corrosiv.,
Auflösungen von Sublimat, Zinc. sulphuric. , Cupriun sulp hur.
Lapis infernalis (gr. iij — vj auf §j A q. d e s t i 1 1 a t.) , K a 1 i s u 1 -
p h u r a t. (3j auf Jj A q. d e s t i 1 1.) ; ferner : Rp. Kali sulphurat.
3üj , Sapon. hispan. 5 j , Aq. calcar. u s t. ^viij , Spirit. vini
rectif. 3ij. M. S. Die trockenen Stellen Morgens und Abends damit
zu waschen. Ferner sind empfohlen : Jodblei 5j auf Rosensalbe gj ; das
Ol. t e r e b i n t h, mit Ol. o 1 i v a r. , der Leberthran als Einreibung, Ta-
baksabkochung, Brom innerlich und äusserlich etc. Mit dieser Behand-
KORN AEHRE. 583
lung muss eine geregelte Lebensweise angeordnet werden. In sehr hart-
näckigen Fallen ist das Tragen einer Pflasterkappe aus Gummi a m -
moniacum und Essig wahrend 6 — 8 Wochen empfohlen. Wenn die
Haare durch ihren Reiz die Geschwüre unterhalten, so entfernt man sie
mit der Pincette oder schmalen Pechpflastern. Dagegen findet die schnelle
Entfernung sämmtlicher Haare mittels Abreissen eines den ganzen Kopf
umfassenden Pechpflasters wenig Anwendung mehr. — Hat der Kopfgrind
lange gedauert , so müssen vor seiner Heilung Fontanellen angebracht
werden.
Kornähre , Spica, nennt man diejenige Art von Verband mit
einer Rollbinde, wo deren Hobelgänge die Form eines V bilden (s. auch
den Art. Binde); steigen die gekreuzten Hobelgänge aufwärts, so wird
die Binde Spica ascendens genannt , werden sie abwärts geführt,
Spica descendens. Man hat folgende Arten: 1) Die aufs tei-
gende Kornähre für die Schulter, derStorchenschnabel,
Spica humeri ascendens s. Geranium. Man lässt das Ende
einer 2 0 Fuss langen und 2 ' /2 Zoll breiten, einköpfigen Rollbinde unter
der gesunden Achselhöhle festhalten , führt die Binde schräg über die
Brust zum obern Theil des Oberarms , umgeht denselben , kreuzt die vo-
rige Tour und führt sie schräg über, den Rücken zum Anfange zurück.
Diese Tour wiederholt man einige Mal, geht dann unter der Achsel her-
vor und macht eine Tour um den Arm herum , geht nun wieder von der
Achselhöhle nach oben über dfe kranke Schulter, schräg über den Rücken
nach der gesunden Achselhöhle und endigt mit einigen Zirkeltouren um
die Brust. — Diese Binde kommt bei Quetschungen , Verwundungen,
Brüchen und Verrenkungen der Schulter und der umliegenden Theile zur
Anwendung ; es muss aber die Achselhöhle gehörig mit Compressen oder
Charpie ausgefüllt werden. ■ — 2) Die absteigende Kornähre für
die Schulter, Spica humeri descendens, s. Fascia pro
fractura claviculae. Sie unterscheidet sich von der vorigen da-
dadurch , dass die erste Tour nahe am Halse über das Schlüsselbein ge-
führt wird und die folgenden Gänge sich absteigend halb decken, ohne
das Geranium zu bilden. — 3) Die Kornähre für die Hüfte,
Spica coxae s. inguinalis. Man hat eine Sp. inguinalis sim-
plex und duplex; leztere ist für beide Oberschenkel bestimmt und
fast noch einmal so lang als die einfache. Die Art der Anlegung ist wie
bei der einfachen. Die Spica inguinalis simplex, welche nach
dem Orte, wo die Kreuzung stattfindet, bald anterior s. pro hernia,
bald posterior, bald lateralis s. pro luxatione femoris ge-
nannt wird, wird mit einer einköpfigen, 24 Fuss langen, 2 ^ Zoll breiten
Binde durch 2 von der gesunden Seite beginnende Zirkeltouren, welche
zwischen dem Trochanter major und der Cris ta os s. ilei ver-
laufen, befestigt, steigt dann schräg über den Unterleib nach der kranken
584 KOTHRECIPIENT.
Leiste abwärts, umgeht den ol,ern Theil des Oberschenkels, geht zwischen
denselben durch , kreuzt die erste Tour über der Leiste und führt die
Binde über den hintern Theil des Beckens bis zu ihrem Anfang. Auf
dieselbe macht man noch zwei Mal absteigende und halb sich deckende
Touren, führt dann den Kopf der Binde nach dem Nabel, schlägt sie liier
um und führt die Binde auf demselben Wege zurück, bildet eine D o 1 a b r a
ascendens und endigt mit Zirkeltouren um das Becken. — Die Spica
lateralis ist dieser ganz ähnlich, bildet eine Spica ascendens auf
dem grossen Trochanter, lässt den Umschlag weg und macht einen Zirkel-
gang um den Oberschenkel unter der Kornähre. — Die Spica poste-
rior, welche bei Wunden des Gesässes angewendet wird, um die Ver-
bandstücke festzuhalten, wird wie die beiden vorhergehenden angelegt, nur
dass die Kornähre auf der kranken Stelle des Gesässes gebildet wird. —
4) Die Kornähre für die Verrenkung des Fusses, Spica s.
Dolabra pro luxatione pedis, s. astragali s. Sandalium
wird mit einer 8 Fuss langen, l1^ Zoll breiten und auf einen Kopf ge-
rollten Binde ausgeführt. Man beginnt mit einigen Zirkeltouren ober-
halb der Knöchel, führt alsdann die Binde schief über die Beugeseite des
Fussgelenks um den Fuss herum bis dahin zurück und wiederholt diesen
Gang , so oft es nöthig ist mit absteigenden Hobelgängen , so dass sich
auf dem Fussrücken eine absteigende Kornähre bildet. Den Rest der
Binde verwendet man zu aufsteigenden Hobelgängen um den Unter-
schenkel. — Diese Binde bildet auch einen Theil der Theden'schen
Einwicklung der untern Extremität. — 5) Die Kornähre des
Daumens, Spica pollicis s. Fascia pro morbis pollicis.
Man bedarf hiezu eine 8 Fuss lange, 3/4 Zoll breite, einköpfige Rollbinde,
welche man mit einigen Zirkeltouren um die Handwurzel führt, dann an
dem Mittelhandknochen des Daumens schräg herabsteigt , lezteren um-
schlingt und hierauf, den ersten Gang auf der Rückseite des Daumens
kreuzend , zur Handwurzel zurückkehrt. Diese abwärts steigenden und
sich kreuzenden Achtertouren wiederholt man 2 — 3 Mal und endigt die
Binde mit Zirkelgängen um das Handgelenk. — Wo es nöthig ist, den
ganzen Daumen einzuwickeln, fängt man an, denselben von seiner Spize
aus in Hobelwindungen zu umgehen , worauf man , am Mittelhandgelenk
angekommen, die eben beschriebene Kornähre bildet.
Kothnstel, s. After, widernatürlicher.
Kothrecipient, Receptaculumfaeciums. ani, ist eine
aus verschiedenen Stoffen gefertigte Vorrichtung, welche dem auf wider-
natürliche Weise abgehenden Koth zum einstweiligen Behälter dient. In
früherer Zeit befestigte man Beutel oder Flaschen von Leder, Hörn, El-
fenbein, ja von Metall durch Riemen an der Stelle des Austritts des
Koths , welche jedoch sehr mangelhaft waren. So benüzte Ho in ein
dreieckiges Gef äss von Eisenblech, dessen OefFnung auf der Fistelöffnung
KRAEZE.
585
mittels eines breiten Beckengürtels befestigt wurde , der das Gef äss in
einem Sehlize , wie ein Knopfloch einen Knopf, aufnahm. Aehnlich ist
der Recipient von C h c,p a r t und D e s a u 1 1 beschaffen , nur dass ein
elastischer Gürtel oder elastischer Halbzirkel zur Befestigung der Kapsel
diente. Löffler brachte an der vordem Fläche einer durchbohrten
Pelotte eines passenden Bruchbandes einen Beutel oder Schlauch an.
Vollkommener sind die Vorrichtungen von Juville und Böttcher.
Beide bedienten sich eines elastischen Bruchbandes , welches statt der
Pelotte eine, mit einer runden Oeffnung durchbrochene Scheibe hat. An
der innern Fläche dieser Scheibe umgiebt die Oeffnung ein Ring von
Hörn oder Elfenbein, damit sie genau die Fistelöffnung umfasst und die
Bandage selbst vor Unreinlichkeit geschüzt ist. An der äussern Fläche
der Scheibe ragt der Rand gleichfalls hervor , ist jedoch mit Schrauben-
gängen versehen, an welche bei der Vorrichtung von Juville eine mit
einer Kautschukröhre versehene silberne Kapsel, bei der von Böttcher
ein flaschenartiger lederner und gefirnisster Beutel angeschraubt wird.
An dem Juville' sehen Apparate befindet sich noch in der Kautschuk-
röhre ein Ventil , welches das Zurückfliessen des Koths verbindert. —
Die Kothrecipienten haben den Nachtheil , dass sie nicht auf die Länge
ertragen werden, weil sie durch ihren Druck feindselig auf die Umgebung
des falschen Afters wirken. Grosse Reinlichkeit und öfteres Bestreichen
der Umgegend mit Collodium zeigen sich nüzlich.
Kr äze, Scabies, Psora ist eine Affection der Haut , welche
sich durch Bläschen characterisirt, die bald klein, hirsenförmig mit einer
durchsichtigen Flüssigkeit angefüllt , mit einem harten , rothen Rande
umgeben, bald grösser, mit einer dicken, eiterartigen Materie gefüllt in
ihrem Umfange mehr entzündet sind. Sie erscheint meistens zwischen
den Fingern und an den Seiten theilen derselben, am Handgelenke und an
den Biegungen der Gelenke, breitet sich von da über den ganzen Körper
mit Ausnahme des Gesichts aus und ist besonders in der Bettwärme und
beim Reiben mit heftigem Brennen und Jucken verbunden. Die Bläschen
vertrocknen nun entweder zu Krusten (trockene Kräze, Scabies
sicca), oder sie plazen und ergiessen eine scharfe Flüssigkeit, welche
die Theile corrodirt (feuchte Kräze, Scabies humid a). — Bei
langem Bestände bilden sich zuweilen an einer Stelle mehrere zusammen-
fliessende Pusteln , die aufbrechen , eine scharfe Flüssigkeit absondern,
welche die benachbarten Theile angreift und hierdurch zu weit um sich
greifenden Geschwüren Veranlassung giebt , welche man als Kräzge-
schwüre, Ulcera scabiosa, bezeichnet. Zuweilen entstehen diese
auch durch Aufkrazen der Bläschen. Diese Geschwüre bedecken sich
mit dickrandigen Krusten, zwischen denen stets eine scharfe «Tauche aus-
sickert. Die Umgebung des Geschwürs ist von Kräzbläschen umgeben,
welche heftig jucken , während der Schmerz in dem Geschwür ein mehr
586
KRAEZE.
brennender, stechender ist. — Ursache. Diese ist die Ansteckung,
welche unter günstigen Bedingungen kein Alter , keinen Stand und kein
Geschlecht verschont. Diese Bedingungen sind : längere Berührung,
namentlich das Tragen alter , mit Kräzstoff verunreinigter Kleidungs-
stücke, das Schlafen in verunreinigten Betten, das Zusammenschlafen mit
kräzigen Personen etc. — Das Contagium der Kräze ist fixer Natur.
Es ist noch nicht ausgemacht , ob dasselbe an den wässerigen Inhalt der
Kräzbläschen gebunden oder in der der Kräze eigentümlichen Milbe
(Acarus scabiei) selbst zu suchen sei. — Nach E b 1 e findet man
die Kräzmilbe nur bei der Scabies vesicularis und auch da nur
in jenem Zeitpunkte, wo sich kurz vorher das Bläschen gebildet und mit
Serum gefüllt hat. Die Milbe zeigt sich am Ende eines von diesem
Bläschen ausgehenden Ganges als ein schwarzer Punkt. Bis jezt ist die
Milbe nur zwischen den Fingern und am Handgelenke aufgefunden worden.
Die Zahl der Kräzgänge und der vorhandenen Milben steht mit dem Grade
des Ausschlags selten im Verhältniss ; die Milben fehlen oft ganz, selbst
bei frischer Kräze. — Prognose. Die Kräze ist bald leichter , bald
schwieriger zu heilen, nie aber bei gehöriger Behandlung gefährlich ; un-
günstige Folgen hat sie nur bei sehr langer Dauer , wenn sie die Kräfte
erschöpft. Nur die längere Störung der Hautthätigkeit, nicht eigentliche
Metastase der Kräze können anderweitige Krankheiten, wie Asthma,
Wassersucht etc. zur Folge haben. — Complicationen mit Scropheln,
Syphilis, Scorbut, Gicht, Rheumatismus machen die Krankheit hartnäcki-
ger. — Die Kräze heilt nie von selbst. — Behandlung.' Diese
ist wesentlich eine örtliche, es ist aber räthlich , namentlich bei längerer
Dauer der Krankheit die Hautthätigkeit zu regeln und alle begünstigen-
den Nebenursachen , wie Unreinlichkeit , schlechte Diät , feuchte , nasse
Wohnungen etc. zu entfernen. Eine grosse Menge Mittel sind zur Be-
kämpfung der Kräze empfohlen, von denen die einen die Haut reizen und
das Insekt todten, während die andern lezteres allein thun. Zu den lez-
teren gehört vor Allem der Schwefel, der als ein Specificum angesehen
werden kann. Eine sehr wirksame Behandlungsmethode ist die englische.
Bei dieser wird der ganz entkleidete Kranke zwischen zwei wollene
Decken gelegt und dann mit folgender Salbe : Rp. Flor, sulphur.,
Sapon. nigr. ana 5ÜJ , Hellebor. alb. 5J, Kali nitric. 5ß,
Axung. porci ^ix. M. f. ungt. Dreimal täglich Jj über den ganzen
Körper eingerieben und zu Anfang und Ende der Kur (welche 4 — 6 Tage
dauert) ein Seifenbad genommen. Auch die folgende Salbe leistet gute
Dienste: Rp. Sulphur. d ep. Jj, S apon. vir id. Jij, Aq. fervid.
q. s. u t f. ungt. m o 1 le . S. dreimal täglich einzureiben ; bevor man
wieder aufs Neue einreibt, muss die aufgetragene Salbe mit Seifenwasser
abgewaschen werden. Ausser dem Schwefel , der auch in Verbindung
mit Präcipitat, mit weissem Vitriol, mit Salmiak, Salz etc. in Anwendung
kommt, sind ferner empfohlen: Salben von weisser und schwarzer Niess-
KRAEZE. 587
würz (Rp. Pulv., rad. helle bor. albi, Flor, s ulphur., Ni tr.
puri ana 3ij- M. S. Mit warmem Milchrahm zu einer Salbe anzurühren
und die kräzigen Stellen zwei Abende hindurch zu bestreichen ; dann ein
Seifenbad; oder Rp. Decoct. rad. hellebor. alb. ex Jj par. ^j,
col. refrig. adde Alcohol. 31J. M. S. Waschwasser), Braunstein,
Chlorkalk für sich oder in Verbindung mit andern Mitteln (Rp. Calcar.
c h 1 o r i n i c. 5J — iij , A q. d e s t i 1 1. "{Jj. M. S. Waschwasser ; mehr-
mal taglich damit zu waschen ; R p. Chloret, c a 1 c. ^j, S a p o n. do-
rnest, nigr. ^ij , Aq. fönt an. q. s. ut f. linimt. D. S. Früh und
Abends die kräzigen Stellen damit einzureiben ; Rp. Aq. chloratae
gutt. LX, Ol. olivar. Jj ; M. f. linimt. S. Wohl umgeschüttelt
in die kräzigen Stellen einzureiben), Russ, Theer (nach F r i c k e gleiche
Theile Theer und grüne Seife , mit welcher Mischung der ganze Körper
täglich 2 Mal (3 Tage lang) bestrichen wird; darauf ein Seifenbad),
Semina staphyd. agriae (Rp. Sem. delphin. staphyd. agr.
cont. ^j, coq. cum aq. fönt, ^jß ad colat. ^j, adde Tinct. opii
gutt. xxiv. M. S. Täglich zwei Mal die behafteten Stellen mittels eines
Leinwandläppchens zu waschen; bei gereizter Haut muss die Flüssigkeit
mit Wasser verdünnt werden) , Kreosot (Rp. Creosoti 5ß, A q. d e -
still, ^v. M. S. Täglich 2 — 3 Mal die afficirten Stellen zu waschen),
Waschwasser von Auflösungen des Sublimats , des weissen Vitriols etc.
Ein einfaches und bei leichteren Fällen brauchbares Mittel ist die
Schmierseife, mit welcher sich der Kranke sechs Tage lang zwei Mal
täglich und zwar in den ersten Tagen mit je 2*/g — 3 Unzen, in den fol-
genden Tagen mit je 2 Unzen den ganzen Körper überschmiert ; ein
Seifenbad beschliesst die Kur. Da wo Schwefelgeruch durchaus nicht
ertragen wird, ist Kampher mit Erfolg angewendet worden, namentlich
empfiehlt sich ein Liniment aus Camph. 3ij, Ol. olivar. ^ij, bei Kin-
dern sehr. — Hat die Kräze schon länger gedauert, dann ist, ehe man
zu der Anwendung der äussern Mittel schreitet , der mehrtägige innere
Gebrauch des Schwefels für sich oder in Verbindung mit Antimonium,
abführenden Mitteln, Holztränken etc. vonnöthen. Hat die Kräze bereits
tiefe Wurzeln gefasst, so zieht man stärkere Salben in Gebrauch, verbin-
det den Schwefel mit Quecksilbermitteln , oder wiederholt eine mildere
Kur mehrere Mal , wäscht die Haut mit Tabakblätterabsud und lässt De-
cocte von Bardana , Sarsaparille , Guajac trinken ; dabei lässt man die
grösste Reinlichkeit beobachten. Geschwächten Subjecten empfiehlt man
eine nahrhafte Diät und giebt ihnen Roborantia. Ist die Kräze mit
Dyscrasien verbunden, so müssen zugleich gegen diese die angemessenen
Mittel in Gebrauch gezogen werden. — ■ Gegen Kräzgeschwüre wendet
man neben einer zweckmässigen innern Behandlung äusserlich Waschun-
gen mit Sublimatlösungen , Aqua phagedaenica an, oder verbin-
det sie mit üngt. sulphuratum, oxygenatum, Acetum satur-
588
KREBS.
ninura, Decoctum fuliginis etc. und sezt dabei Fontanellen, die
überhaupt bei sehr veralteter Kräze zuträglich sind.
IkreOS j Cancer. Mit diesem Namen bezeichnet man eine bös-
artige organisirte Neubildung von unbestimmter Form und Consistenz, die
das normale Gewebe ihrer Entwicklungsstätte vernichtet , nach einiger
Zeit des Wachsthums sich erweicht , aufbricht und ein missbeschaffenes,
meist weit um sich greifendes , durch die Kunst höchst selten heilbares
Geschwür (Carcinoma) bildet , welches in Folge der Entkräftung
durch fortdauernde Absonderung, anhaltende Schmerzen, häufige Blutung
oder in Folge der Zerstörung zum Leben nothwendiger Organe den Tod
herbeiführt. Wird die Geschwulst durch die Operation entfernt , so er-
scheint sie gewöhnlich an derselben oder an einer andern Stelle wieder.
— Die krebsartige Entartung kann entweder früher gesunde Theile er-
greifen, oder bereits anderweitig erkrankte Stellen werden der Siz dieser
Entartung. — Die anatomische Untersuchung weist nach, dass
in den verschiedenen Krebsgeschwülsten zwar verschiedene Elemente vor-
kommen, jedoch keines , das sich wesentlich von den Gewebetheilen gut-
artiger Geschwülste und den primitiven Geweben unterschiede. Nur ge-
wisse Modificationen zeigen manche dieser Elemente , wodurch sich eine
Krebsgeschwulst von andern gutartigen Geschwülsten und normalen Ge-
weben mehr oder weniger deutlich unterscheiden lässt. Nach Virchow
finden sich am entwickelten Krebse folgende allgemeine Bestand-
theile : das Krebsgerüste und sein Inhalt , der Krebssaft , bestehend aus
Krebskörperchen und Krebsserum. Das Krebsgerüste (Stro'ma,
das maschige Gewebe) besteht aus Bindegewebe auf verschiedenen Ent-
wicklungsstufen ; bald ist es junges unreifes Bindegewebe, bestehend aus
länglichen, in zwei Spizen auslaufenden, kernhaltigen Faserzellen (Zell-
fasern) , den so genannten spindelförmigen oder geschwänzten Körpern,
bald dagegen vollkommen entwickelte Bindesubstanz (Zellgewebe). Wie
im normalen Zellgewebe , so gehen elastische Fasern und Blutgefässe in
die Zusammensezung dieses Gerüstes ein. Das Krebsgerüste bildet mehr
oder weniger abgegrenzte Räume , Maschen oder Kamnfern (A 1 v e o 1 i),
welche bald mit einander communiciren, bald von einander abgeschlossen
sind und in denen sich der Krebssaft befindet. Dieser ist eine ziem-
lich dickliche , milchig aussehende , trübe Flüssigkeit von der Consistenz
guten Eiters und ebenso homogen. Er besteht aus dem formlosen Krebs-
serum und den Krebskörperchen. Das Krebsserum, welches ausser
Wasser vornehmlich aus Eiweiss und Fett besteht, ist noch nicht gehörig
erforscht. Die Krebskörperch en treten in der Form von Kernen
und Zellen auf, die aber durchaus nicht characteristisch für den Krebs
sind ; in demselben Krebse können die allerverschiedensten Formen der-
selben vorkommen. Die junge Krebszelle ist vollkommen rund, glashell,
hat eine dünne Membran und einen gleichartigen Inhalt. Sie besizt
KREBS. 589
stets einen ovalen einfachen, doppelten oder mehrfachen Kern. Bei den
älteren Zellen ist die Membran dicker , der Inhalt etwas getrübt und der
Kern zeigt ein oder zwei Kernkörperchen. Die Krebszellen besizen die
Fähigkeit , Tochterzellen zu bilden , was auch ausser dem Krebse vor-
kommt. — Die chemischen Bestandteile krebsiger Geschwülste sind eben-
falls dieselben, wie sie in andern plastischen Exsudaten und neugebilde-
ten Geweben vorkommen, nämlich Wasser, Salze, Fette, ExtractivstofFe,
Leim- und Prote'inkörper , welche Stoffe bei der Verschiedenen Structur
des Krebses in verschiedenen Verhältnissen vorhanden sind. — Je nach
dem Vorwiegen des einen oder des andern Gewebetheils zeigt der Krebs
in seiner äussern Erscheinung Verschiedenheiten , worauf die verschiede-
nen Formen desselben beruhen. Herrscht das Bindegewebe vor , so hat
man den Fas er kr ebs , Scirrhus (von GxiÖQog, Verhärtung), Car-
cinoma fibrosum; walten die Zellengebilde vor, so nennt man die
Geschwulst Zellenkrebs, Markschwamm, Medullarkrebs,
Cancer cellulosus, Carcinoma medulläre; führen die Zel-
len Pigment, so heisst der Krebs der melanotische, Cancer mela-
n o d e s ; ist das Medullarsarkom sehr reich an Blutgefässen, so hat man
den Blutschwamm, Fungus haematodes; hat der Krebs ein knö-
chernes Stroma, so bezeichnet man ihn als bösartiges Osteoid; ist
derselbe mit nezartig verwebten Faserzügen durchzogen, so erhält er den
Namen Carcinoma reticulare, sind dagegen die Fasern büschel-
artig zusammengestellt, so nennt man ihn Carcinoma fascicula-
tum. Diese histologischen Verschiedenheiten begründen auch entspre-
chende Unterschiede in der Consistenz und äussern Form. Faserkrebse
sind fest, selbst hart, Zellenkrebse weich, einige von ihnen, wie der Blut-
schwamm , geben ein täuschendes Gefühl von Fluctuation. — Ob nun
diese oder jene Form des Krebses sich bildet, das hängt theils von allge-
meinen Verhältnissen des Körpers ab , theils von der Beschaffenheit des
Organs, in welchem die Entwicklung geschieht. Organe, in welchen die
Zellen vorwiegen und das Bindegewebe zurücktritt, sind zum Zellenkrebs,
faserige Organe zum Faserkrebs geneigter. — Unter allen Krebsformen
kommt der Zellenkrebs am häufigsten und ausgebreitetsten vor. Er ver-
schont kein Organ und kein Gewebe ; ebenso wird er in jedem Alter und
bei beiden Geschlechtern beobachtet. Er ist die bösartigste Krebsbil-
dung, da er am stärksten wuchert, sich nach allen Richtungen verbreitet,
nach der Exstirpation am häufigsten wiederkehrt und am frühesten durch
unvollständige Entwicklung oder Rückbildung der Zellen erweicht, wo-
mit aber auch Veranlassung zu spontaner Heilung gegeben ist , die bei
keiner andern Krebsform so häufig vorkommt. — Entwicklung,
Verlauf und Ausgang des Krebses. Die erste Bildung des Kreb-
ses besteht , wie überhaupt jede organische Bildung , in der Ablagerung
eines ursprünglich formlosen , flüssigen , vorzüglich eiweiss- und fetthal-
tigen, oder festen fibrinösen Blastems (Exsudat), wovon sich ersteres be-
590 KREBS.
sonders in Zellen mit ihren weiteren Veränderungen , lezteres in Fasern
ausbildet. Nie findet eine unmittelbare Umwandlung irgend eines Ge-
webes in Krebsmasse statt. Das Blastem wird geliefert entweder durch
Ausschwizung aus den Blutgefässen, und zwar unter mehr oder weniger deut-
lichen Symptomen der Entzündung oder ganz unmerklich zugleich mit
der Absonderung der Ernährungsfliissigkeit. Das Cytoblastem des Kreb-
ses , namentlich das gallertartige , bleibt zuweilen auf dieser Stufe der
Entwicklung stehen und stellt dann den Gallertkrebs (s. Colloid)
dar. — Krebsmasse kann sich überall bilden, wo sich Gefässe finden,
in den Gewebsinterstitien sowohl normaler als pathologischer Gewebe,
was man häufig als Entartung (Degeneration) derselben bezeichnet, be-
sonders wenn die Krebsmasse infiltrirt und nicht geschlossen auftritt. —
Kommt es zur Erweichung des Krebses, so zerfliesst das Blastem, die
Zellen und Kerne trennen sich von einander, die erstem zerfallen und
das Erweichte bildet eine eiterige Flüssigkeit, welche bisweilen viele Kör-
nerhaufen (Entzündungskugeln und Körnchenzellen) zeigt. Mit dem
Zutritt der Luft und fremder Stoffe geht die zerflossene Krebsmasse in
Fäulniss über, und es tritt Verjauchung ein. — Mit diesen im In-
nern vor sich gehenden Veränderungen gehen äussere Erscheinun-
gen Hand in Hand. Das Wachsthum der Geschwulst erfolgt bald sehr
rasch , bald sehr langsam mit zeitweisen Stillständen. Die Geschwulst
ist anfangs beweglich , bei der Berührung in der Regel nicht schmerz-
haft, die Haut unverändert. Sie ist häufig unregelmässig höckerig ;
bald fühlt sie sich hart, wie Elfenbein, bald etwas elastisch, stellenweise
sogar weich an. üeber kurz oder lang wird die Geschwulst , spontan
oder nach einer äussern Verlezung empfindlich gegen Berührung, es stel-
len sich heftige stechende oder brennende Schmerzen ein , der Umfang
der Geschwulst nimmt zu, die bedeckende Haut verwächst mit ihr, wird
dunkelroth und die Venen der Umgegend treten stark hervor. Die be-
nachbarten Lymphdrüsen und zuweilen die Lymphgefässe schwellen an
und werden schmerzhaft, das Aussehen des Kranken verfällt, Appetit und
Schlaf verlieren sich, und es stellen sich Fieberbewegungen ein. Endlich
kommt es zur Erweichung der Geschwulst , was sich durch die Fluctua-
tion bald an dieser, bald an jener Stelle, bald an mehreren zugleich kund
giebt. Dabei wird die Haut bläulich, verdünnt, bricht zulezt auf und es
ergiesst sich eine mehr oder weniger schlechtem Eiter ähnliche Flüssig-
keit. Die Haut wird bald in grösserem Umfang zerstört, und die Krebs-
geschwulst ist in schwärenden Krebs , in Carcinom übergegangen. —
Die Zeit, zwischen dem ersten Erscheinen der Geschwulst und ihrem Auf-
bruche ist höchst verschieden und von der Lage , der histologischen Be-
schaffenheit , von äussern Einwirkungen etc. abhängig. — In seltenen
Fällen kommt es zu einer Rückbildung der Krebsgeschwulst. In der
Krebsmasse entstehen durch Bildung von Fettkörnchenzellen hie und da
opake graue Stellen (R e t i c u 1 u m), bisweilen zwischen nezartig -verweb-
KEEBS. 591
ten Faserzügen. Kommt es nun zur Erweichung dieser reticulären Masse,
so wird diese in seltenen Fällen resorbirt und die Höhle verwächst zu
einer sehnigen Narbe. Oder es findet ohne Erweichung eine fortschrei-
tende Zersezung der Reticulärmasse unter Ausscheidung von Fett statt,
das durch Resorption verschwindet, während die Kalksalze als Concretion
zurückbleiben. Das Krebsreticulum ist dem Gesagten zufolge als der
Ausdruck einer rückgängigen Metamorphose , die in dem Krebse spontan
vor sich geht, zu betrachten, daher wird auch das Carcinoma reti-
c u 1 a r e als eine Rückbildungsstufe des Krebses angesehen. — Dia-
gnose. Die Erkennung eines Krebses ist oft sehr schwierig, besonders
so lange derselbe noch in seiner Entwicklung begriffen ist. Die lanci-
nirenden Schmerzen , die höckerige Oberfläche , die fast steinerne Härte
etc., welche man als diagnostische Merkmale des Krebses ansieht, können
fehlen oder sich auch bei andern Geschwülsten finden. Es müssen daher
alle einen vorliegenden Fall betreffenden Verhältnisse wohl berücksichtigt
werden ; besonders aber giebt der Entwicklunsgang der Geschwulst , ob
sie wächst oder stationär bleibt , noch die meisten Anhaltspunkte für die
Diagnose , welche durch die der Erweichung folgende Verwachsung der
Haut mit der Geschwulst , die Ulceration dieser , die Anschwellung der
benachbarten Lymphdrüsen und die deutlich ausgeprägte Cachexie
zur vollen Gewissheit erhoben wird. Besonders geben Cysten , tu-
berculöse , sarkomatöse , fibröse, speckähnliche , knorpelige und knö-
cherne Geschwülste und die chronischen Abscesse Veranlassung zur Ver-
wechslung mit Krebs. Die Anwendung des Probetroicarts wird in den
meisten Fällen vor Irrthum bewahren. — Das Krebsgeschwür giebt
sich durch einen unebenen Boden, unregelmässigen, zackigen, harten, zu-
weilen aufgeworfenen Rand und durch die Absonderung eines schlechten,
verschieden gefärbten, bisweilen sehr übelriechenden Eiters zu erkennen.
An einzelnen Punkten sieht man üppige Granulationen , an andern einen
glatten, rothen, oder unebenen speckigen Grund. Das Geschwür ist meist
empfindlich und verursacht periodisch heftige, stechende oder brennende
Schmerzen. Zuweilen bleiben solche Geschwüre stationär, ohne sich
merklich zu vergrössern, meist nehmen sie aber bald nach dieser, bald
nach jener Richtung rasch an Umfang zu. Im ersten Falle kann das
Geschwür ohne erhebliche allgemeine Folgen bestehen, im lezteren wirken
aber die anhaltende Absonderung auf der Geschwürsfläche , die heftigen
Schmerzen, die Resorption von Krebsjauche , die zuweilen eintretenden
Blutungen höchst nachtheilig auf das Allgemeinbefinden , und es entwik-
kelt sich die sogenannte Krebsdyscrasie, welche sich durch wässe-
rige Blutbeschaffenheit, schmuzig fahle Hautfarbe, leidende Gesichtszüge,
trübe Gemüthsstimmung, Schlaflosigkeit, Abmagerung des Körpers, Brü-
chigkeit der Knochen etc. auszeichnet; zulezt entsteht hectischer Zustand
mit Wassersucht, profusen Schweissen, colliquativen Diarrhöen, dem der
Kranke endlich unterliegt. — Ursachen. Die unmittelbare Ursache
592 KREBS.
des Krebses ist unbekannt ; als Gelegenheitsursachen bezeichnet man :
deprimirende Gern üths äffe cte , wie Kummer, Sorge etc., den Missbrauch
geistiger Getränke , Ausschweifungen in der Liebe , das Aufhören der
Menses etc. Das Auftreten des krankhaften Bildungstriebs wird oft be-
günstigt durch einen Stoss, Schlag, eine Quetschung und einen anhalten-
den Druck. Auch wird eine Erblichkeit angenommen. Die meisten
Krebsfälle zeigen sich in den mittleren Lebensjahren von 3 0 bis 6 0 Jah-
ren. — Man unterscheidet eine primäre und eine secundäre Krebsbil-
dung. Die primäre Krebsbildung verdankt ihre Entstehung einer be-
sondern Blutkrase , deren Eigenthümlichkeit , wie bemerkt , noch nicht
gehörig ermittelt ist. Die secundäre Krebsbildung entsteht durch
Weiterverbreitung der Krebsmasse von einem primären Krebse aus, sobald
derselbe in Erweichung übergegangen ist. — Prognose. Sie ist
immer ungünstig, und dies um so mehr, in je bedeutenderem Umfange
ein Organ davon ergriffen , wenn erbliche Anlage zugegen ist, und wenn
sich schon Zeichen einer allgemeinen Dyscrasie eingestellt haben. Im
Anfange des scirrhösen Stadiums , wo noch keine oder nur selten ste-
chende Schmerzen vorhanden sind , kann unter manchen Umständen das
Uebel durch Cauterisation oder Exstirpation radical geheilt werden. —
Behandlung. Wenn die krebsige Entartung noch nicht bedeutend
vorgeschritten ist , so kann man die Zertheilung versuchen , andernfalls
muss das Aftergebilde , wenn es zugänglich ist, auf mechanischem oder
chemischem Wege entfernt werden. Zuweilen hat man sich auf eine
palliative Behandlung zu beschränken. — Zertheilungsversuche,
die immer höchst unsicher , zuweilen selbst nachtheilig sind , indem sie
das Wachsthum und die Erweichung der Geschwulst befördern können,
sollen nur dann in Anwendung kommen , wenn leztere für einen operati-
ven Angriff nicht zugänglich , oder zu sehr verbreitet ist , oder wenn
der Kranke sich einer Operation widersezt. Als äussere Mittel sind em-
pfohlen: das wiederholte Ansezen von Blutegeln , die methodische Com-
pression , die Unterbindung der zu der Geschwulst laufenden Arterie,
Electricität und Galvanismus. — Pharmaceutische Mittel wurden in
grosser Menge vorgeschlagen und viele von ihnen haben eine Zeit lang
als Specifica gegolten. Es gehören hieher von Narcoticis das Conium
maculatum (Rp. Herb, conii 5ij, Extr. conii q. s. ut f. pil.
gr. ij. D. S. Früh und Abends 2 — 5 Pillen), die Belladonna (Rp.
P u 1 v. r a d. b e 1 1 a d. gr. vj — xij , S a c c h. a 1 b. 5ij . M. f. p u 1 v. d i-
vid. in part. aeq. xij. S. Früh und Abends 1 Pulver), die sowohl zur
Zertheilung scirrhöser Geschwülste dienen soll , als auch besonders die
Schmerzen des aufgebrochenen Krebses lindert ; Hyoscyamus , Digitalis,
Aconit, Aq. laurocerasi (4 Mal täglich 15 — 3 0 Tropfen), die Ca-
lendula officinalis (das Extract oder das Pulver zu 6 — 10 Gran
täglich drei Mal , auch als Decoct zu 513 — j auf ^viij Colatur). Von
Alterantien ist am meisten in Gebrauch: der Arsenik als Solutio Fow-
KREBS. 593
leri (5 — 12 Tropfen steigend 2 — 4 Mal täglich in schleimigem Ge-
tränk) , Aurum muriaticum (Rp. Aur. muriat. gr. j, Sacch.
alb. 5ij. M. f. pulv. divid. in part. aeq. 12. S. 2 Mal täglich
1 Pulver) , Jod , Helmintochorton (als Infus, von ^ß auf §xij Colatur,
drei Mal täglich ein Weinglas voll), thierische Kohle (gr. ß — iij. Früh
und Abends), das Eisen (Ferrum carbonic. oder phosphor. zu
3 0 — 6 0 Gran pro dosi in Verbindung mit Extr. cicutae oder ca-
lendulae), das Zittmann'sche Decoct und die Hungerkur. -- Aeusser-
lich werden viele der ebengenannten so wie eine Menge anderer Mittel
auf das Krebsgeschwür angewendet , von denen die narkotischen beson-
ders zur Linderung der Schmerzen dienen. Sie sind: die Cicuta (Rp-
Pulv. hb. cicut. ^j, Succ. dauci inspiss. crud. ^ß, Tinct.
op. croc. 5iß- M. f. cat aplasm a) , die Calendula officinal.
(Rp. Extr. calend., -cicut., -chamom. ana 5ij, Aq. lauroceras.
^j, Tinct. op. simpl. 5j- M. S. .zum Verband ; oder Rp. Fol. ca-
lend. 5üj, c o q. c. aq. fönt, ^v a d c oj. 5ÜJ, adde Extr. calend.
5j, Pic. liquid, ^ij, Acid. pyrolignos. ^ß, Gummi arab. q. s.
M. S. Zum Verband), der Arsenik (Rp. Arsenic. alb., Flor, sul-
phur. ana 5j,*Acet. vini destill., Ungt. alb. simpl. ana^j.M. f.
ungt. S. Auf Charpie gestrichen anzuwenden, oder: Rp. Arsen, alb.
gr. viij s. i n A q. f 1 o r. chamom. ^x , adde A q. 1 a u r o c e r a s. ^ij .
M. S. Zum Verband), die thierische Kohle (als Streupulver), das Kalk-
wasser, Jod (R p. Kali hydrojod. gr. xv, Extr. o p i i p u 1 v. gr. v,
Adip. stiill. 3JJ3 M. f. ungt. S. Zum Verband), Opium, eine So-
lutio tartari boraxati, Creosot , Carotten in der Form von Cata-
plasmen etc. Dabei sei die Diät leicht, nicht reizend, die Kost bestehe
meist aus Milch und Vegetabilien. — Die Exstirpation der Krebs-
geschwulst nimmt man vor , wenn dieselbe noch nicht erweicht und so
gelegen ist , dass sie vollständig weggenommen werden kann. Sie wird
nach den in dem Art. Exstirpation angegebenen Regeln ausgeführt.
Wichtig ist es, die dadurch entstandene Wunde durch die erste Vereini-
gung zu heilen, weshalb man ihr die entsprechende Gestalt giebt , wobei
es nöthig werden kann, bei mangelnder Haut, diese im Umfang etwas ab-
zutrennen, Seitenincisionen zu machen, oder eine Transplantation aus der
Nachbarschaft zu unternehmen. — Kommt die Afterbildung wieder, so
wiederholt man die Operation oder wendet Aezmittel oder das Glüh-
eisen an ; lezteres hat auch zu geschehen , wenn die erste Vereinigung
nicht gelingt und sich verdächtige Granulationen zeigen. — Der Aez-
mittel bedient man sich bei oberflächlichen Krebsen, besonders beim Haut-
krebse. S. diesen Artikel. — Ist das Krebsgeschwür unheilbar gewor-
den, so tritt die palliative Behandlung ein. Man sucht die heftigen
Schmerzen durch Narcotica, Opium oder Morphium zu lindern. Das Ge-
schwür hält man möglichst rein, bedeckt es nur mit milden Salben, Fo-
menten oder Cataplasmen, denen man bei grosser Schmerzhaftigkeit Nar-
Burger, Chirurgie. 38
594 KROPF.
cotica beisezt, und hält jede reizende Einwirkung ab. Dem Gestanke
der Krebsjauche begegnet man am besten durch Bestreuen der Geschwürs-
fläche mit Kohlenpulver ; die Umgebung desselben schüzt man durch Be-
streichen mit Collodium. Daneben unterstüzt man die Kräfte, bekämpft
eintretende Blutungen etc.
Kropf, Struma. Mit diesem Namen bezeichnet man im weite-
sten Sinne eine Anschwellung der Schilddrüse, welche bald vorübergehend
ist , wie zur Zeit der Pubertätsentwicklung , namentlich beim weiblichen
Geschlecht , bei Menstruationsstörungen, während der Schwangerschaft,
bald aber dauernd auftritt und dann in einer wirklichen Hypertrophie der
Drüsensubstanz besteht. Diese Hypertrophie kann als eine einfache be-
stehen bleiben, in der Kegel erfährt sie aber sehr bald verschiedene Um-
wandlungen (in einfache oder mehrfache Cystenbildung, Colloidbildung,
speckige Infiltration oder in krebsige Entartung), von denen die Weiter-
bildung der auch in den normalen Schilddrüsen vorkommenden Colloid-
masse die häufigste ist. Nach diesen verschiedenen Umwandlungen un-
terscheidet man verschiedene Arten von Kröpfen. Die häufigste Form
des Kropfs ist die einfache Hypertrophie der Schilddrüse mit Colloidbil-
dung in den Drüsenbläschen , welche Form unter dem Namen des I y m-
phatischen Kropfs (Struma lymphatica), auch Driisenge-
webskropfs bekannt ist. Die Hypertrophie kann sich bald nur auf
einzelne Lappen der Drüse beschränken, bald sich über die ganze Drüse
gleichmässig erstrecken. Dieser Kropf entwickelt sich dadurch, dass der
Zelleninhalt der Drüsenblasen in eine colloide Masse sich umwandelt ;
die vergrösserten colloiden Zellen plazen , fliessen zusammen, wodurch
grössere Räume in der Drüse entstehen, welche mit einer durchsichtigen,
gelbröthlichen, gelblichen, bräunlichen, grünlichen, bald mehr honigarti-
gen, gummi- oder leimähnlichen, bald mit einer, gekochten Sagokörnern
ähnlichen Masse angefüllt sind, die auf dem Durchschnitte das Aussehen
einer durchscheinenden Wachsmasse oder eine speckähnliche Beschaffen-
heit hat. Mit dieser Vergrösserung der Drüsenbläschen nehmen aber
auch das Stroma und die Blutgefässe an dem Wachsthum Antheil. Der
vergrösserte Lappen wächst zu einer rundlichen , von einer dichteren
Bindegewebshülle umgebenen, von der übrigen Drüse sich gleichsam ab-
schnürenden Geschwulst heran. Gleichzeitig mit dieser Hypertrophie
dehnen sich die Gefässe aus und es bilden sich aus den alten Gefässen
heraus neue Capillaren. Wird der Gefässreichthum so bedeutend , dass
nicht allein die Hautvenen erweitert und vermehrt erscheinen , sondern
auch die tieferen Arterien und Venen der Drüse erweitert sind , so hat
man diejenige Art des Kropfs vor sich, die als Gefäss- oder Blut-
kropf, Struma vasculosas. aneurysmatica beschrieben wor-
den ist. Ueberwiegt das Stroma (das Bindegewebe, welches die Drüsen- '
blasen umgiebt) im Wachsthum die Colloidmasse , so hat man den
KROPF. 595
Faser kröpf, Struma fibrös a. Schreitet die oben angegebene
Metamorphose (die Colloidumwandlung) weiter fort"', so vergrössern sich
die Maschen immer mehr , das interstitielle Gewebe wird verdrängt , die
verschiedenen Herde vereinigen sich zu einer gemeinschaftlichen Cyste,
wodurch der sogenannte Balgkropf, Struma cystica gebildet wird.
Während dieses Vorgangs wird der colloide Inhalt stets mehr flüssig,
und in ihm sind Fettkügelchen und Cholestearinkrystalle suspendirt.
Nicht selten plazen die erkrankten Gef ässe der Kapsel und ergiessen ihr
Blut in die Höhle derselben , wodurch der Inhalt eine bräunliche oder
schwärzliche Färbung erhält. Zuweilen kommt es auch zu Ablagerungen
von Exsudaten auf die Innenseite des Balgs , welche die Metamorphosen
der Verkreidung und Verknöcherung durchmachen, wodurch der Kropf,
indem der Balg obliterirt , eine mehr oder weniger umfängliche, höcke-
rige, knorpelig-knöcherne, kreidige Concremente enthaltende Geschwulst
darstellt. Andere Male degenerirt die Cystenkapsel selbst fettig, incru-
stirt sich an der Innenseite mit Cholestearinmassen, verkreidet, entzündet
sich , und es kommt zur Eiterung mit Aufbruch nach aussen oder in die
Höhle. — Alte Kröpfe bieten alle diese geschilderten pathologischen
Zustände oft combinirt dar. — Sehr selten sind die Beispiele von Hy-
d a t i d e n in der Schilddrüse. — Krebsige Degeneration der
Thyreoidea ist eine äusserst seltene Erscheinung. Sie tritt entweder
unter der Form des Scirrhus oder des Markschwamms auf und vernichtet
im weiteren Fortschreiten allmälig das ganze Drüsengewebe. Gewöhn-
erkrankt nur die eine Hälfte der Drüse carcinomatös , seltener die ganze
Drüse, immer aber widersteht die Bindegewebskapsel lange dem von innen
herandrängenden Krebse ; wird sie durchbrochen , so gewinnen die her-
vorwuchernden Massen schnell ein auffallend grosses Volumen. ■ — Symp-
tome. Die einfache Hypertrophie stellt sich entweder als eine
mehr gleichmässige oder bucklig - höckerige Anschwellung dar, je nach
der Ausdehnung der colloiden Umwandlung. Die Consistenz des hyper-
trophischen Kropfs ist weich elastisch , er zeigt keine Fluctuation. Die
bedeckende 'Haut ist unverändert, beweglich, die Venen varikös aufgetrie-
ben. Auch die andern umgebenden Gewebe gehen keine Adhärenzen mit der
Oberfläche des Kropfs ein. Die Geschwulst ist unschmerzhaft , erregt
auch bei massiger Grösse keine erheblichen Beschwerden. Mit ihrem
zunehmenden Volumen übt sie einen Druck auf Larynx und Trachea aus,
wodurch die Stimme nach und nach rauher , das Schlucken beschwerlich
und das Athinen röchelnd , pfeifend und geräuschvoll wird. Diese Zu-
fälle vermehren sich bei weiterer Vergrösserung der Geschwulst bis zur
Gefahr der Erstickung ; durch die gehinderte Circulation in den Halsge-
f ässen häuft sich das Blut in den Gef ässen des Kopfs an • das 'Gesicht
ist aufgedunsen , bläulich , der Kranke leidet häufig an Kopfschmerzen,
und es können apoplectische Zufälle entstehen. — Der Gefässkropf
zeigt eine grössere Wärme und Spannung und deutliche Pulsationen,
38*
596 KROPF.
welche auch der Kranke empfindet. — Der Cystenkropf giebt sich
durch eine glatte rundliche Hervorragung in dem Umfange der Schild-
drüse zu erkennen , die immer deutlicher hervortritt und eine mehr oder
weniger deutliche Fluctuation zeigt. — Der verkreidete Kropf ist
in der Regel leicht an seiner steinernen Harte zu erkennen , und zwar
kann man, wenn derselbe eine mehr runde Form hat, annehmen, dass eine
Cystenwand mit Concretionen incrustirt ist , während , wenn man mehr
Unebenheiten fühlt, annehmen kann, dass die Concretionen entweder im
Cysteninhalt, oder diffus in der Drüsensubstauz ihren Siz haben. — Die
krebsige Degeneration zeigt eine Elfenbeinharte und eine kno-
tige, höckerige Oberflache ; der Schmerz ist gleich anfangs bohrend und
stechend; die scirrhöse Masse verwächst bald mit der Luftröhre und den
Muskeln des Halses und in den lezten Stadien runzeln und falten sich
die Bedeckungen ; die Halsvenen sind varicös und die benachbarten Hals-
drüsen angeschwollen ; die Athmungs- und Schlingbeschwerden erschei-
nen früh und sind sehr heftig. Mit dem örtlichen Leiden geht Hand in
Hand das allgemeine, den Krebs kennzeichnende Befinden. — Ur-
sachen. Diese sind noch nicht gehörig erforscht. Eine Hauptveran-
lassung zu Kropf scheint Jodmangel in der Luft und im Wasser zu sein ;
dazu kommen niedrige, schlecht gereinigte, enge Wohnungen, schlechte
Ernährung, die Gewohnheit schwere Lasten auf dem Kopfe zu tragen etc.
Kalk- und Magnesiasalze sind nicht die Ursachen des Kropfs ; das Trink-
wasser kann allerdings zur Entwicklung des Kropfs beitragen , aber nur
wenn ihm das Jod fehlt. — Das weibliche Geschlecht ist dem- Kröpfe
häufiger unterworfen, als das männliche, und sein Entstehen fällt häufig
mit der Menstruationsentwicklung zusammen. Für die Erblichkeit spre-
chen unläugbare Thatsachen. — Prognose. Diese hängt von der
Art, Dauer und Grösse des Kropfs ab. Lymphatische Kröpfe lassen, be-
sonders wenn sie noch nicht lange bestanden haben, eine günstige Pro-
gnose zu ; ältere Kröpfe von bedeutender Grösse und fester Beschaffen-
heit erfordern oft eine lange Zeit zu ihrer Kur. Vasculöse Kröpfe geben
eine weniger günstige Prognose , die krebsigen sind unheilbar. — Be-
handlung. Diese muss je nach der Art des Uebels eine verschiedene
sein. — Gegen die einfache Hypertrophie, den sogenannten lymphati-
schen Kropf, ist das Jod das Hauptmittel. Vor Entdeckung desselben
wurde allgemein der gebrannte Meerschwamm angewendet. Seitdem man
erkannt hat, dass die Wirksamkeit des lezteren Mittels in seinem Gehalt
an Jod liegt, zieht man dieses jezt fast allgemein vor. Seine Einwirkung
auf die Kropfgeschwulst giebt sich durch Abnahme der Spannung in der
Haut und die deutlicher sich fühlbar machenden Abtheilungen der Schild-
drüse zu erkennen. Gewöhnlich ist eine mehrmonatliche Anwendung des
Mittels nöthig , und nur erst dann , wenn nach Verlauf einiger Monate
keine Minderung der Geschwulst wahrzunehmen ist , hat man von seiner
Anwendung keine Heilung oder Besserung zu erwarten, wohl aber für den
KROPF. 597
übrigen Organismus manchen Nachtheil zu befürchten , indem ein zu
lange fortgesezter Gebrauch des Jods Abmagerung (besonders auch
Schwinden der Brustdrüse) und Entkräftung , Störung der Verdauung,
wassersüchtige Zustände, häufigen trockenen Husten, übermässige Steige-
rung der Sensibilität und andere Zufälle zur Folge hat. Man wiclerräth
seinen Gebrauch bei Brustkranken , Schwangern und solchen Personen,
welche Anlage zur Auszehrung haben , bei gastrischen Zuständen und
grosser Reizbarkeit des Körpers. Man giebt am besten das Jodkali, von
welchem man 40 Gran in ^j Aq. destill, auflösen und 3 Mal täglich
6 — 8 Tropfen in Zuckerwasser nehmen lässt. Befürchtet man nach-
theilige Folgen vom Jod , so giebt man den gebrannten Meerschwamm,
z. B. Rp. Sp o ng. marin, u s t. ^J3, M a gn es. carb o n., Nitr. dep.,
Sacch. alb. ana 5ij- M. f. pulv. subtiliss. D. ad scatul. S.
Täglich 3 Mal 1 Kaffeelöffel voll zu nehmen. Auch das Ol. j e c o r i s
A s e 1 1 i wird gerühmt ; man giebt täglich 2 Eßlöffel voll, steigt bis auf
6 Löffel und geht dann wieder auf 2 herab. Weitere empfohlene Mittel
und Formeln sind : Rp. Na tri carbon. acidul. 3ij, Aq. meliss.
^iv, Syrup. cinnamomi 3Jß. M. S. 3 — 4 Mal 1 Esslöffel voll; Rp.
Barytae muriat. 5ß , Aq. destill, ^j. S. 3 — 4 Mal täglich
10 — tiO Tropfen. — Mit der innerlichen Anwendung verbindet man
zweckmässig örtliche Mittel, welche geeignet sind, die Lymphthätigkeit
anzuregen. Bei kleinen erst im Entstehen begriffenen Kröpfen reicht
man mit solchen Mitteln oft allein aus. Solche Mittel sind : häufiges
Reiben der Geschwulst mit wollenen Tüchern, Einreibungen des Campher-
öls, des Linimen.t. volatile camphorat., der Cantharidentinktur,
des Salmiakgeists , des S p i r i t. M i n d e r e r i , des Ung. digitalis
purpureae, der Ochsengalle, das Auflegen verschiedener Pflaster, wie
des Empl. saponatum, de meliloto c. Gi. ammoniaco et
Extr. cicutae etc., das Umlegen eines Halsbandes von Watte, welches
mit folgendem Pulver bestreut ist: Rp. Spong. mar. ust., Sal. am 7
mon., Sal. culin. ana; die Watte wird mit Mousselin umwickelt und
durchnäht. Dieses Halsband wird alle Monate erneuert und wenn es die
Haut reizt, auf einige Tage abgelegt. Unter allen diesen Mitteln steht
das Jod wieder oben an, welches am besten in Salbenform in Anwendung
kommt ; z. B. R p. Kali hydrojod. 5jJ3 , Axung. p o r c. (oder
Ungt. alth.) ^j — ij. M. S. 3 Mal täglich 1 Erbse gross einzureiben,
oder Rp. Kali hydrojod. 5j, Sapon. med. 5J9, Aq. rosar. 5ij,
Axung. porc. ^j. M. f. linimt. S. 2 Mal täglich einzureiben, oder
D e u t o j o d u r e t. h y d r a r g. gr. ij — iij, Axung. porc. 3j — ij- M.
exact. S. Täglich 1 Bohne gross einzureiben; oder Rp. Tinct. jodi,
Aether sulphuric. ana. S. Mittels eines Pinsels aufzutragen. Sehr
wirksam erweist sich auch das Brom in folgender Form: Rp. Kali bro-
mati 5j , Axung. porc. 5JJ3. M. exactiss. f. ungt. S. In die
Kropfgeschwulst einzureiben. Wird der Kropf durch die eine oder die
598 KROPF.
andere dieser Einreibungen schmerzhaft und gespannt, so sezt man einige
Zeit damit aus und wendet Blutegel und Cataplasmen an. — Beim Ge-
fässkropfe haben sich allgemeine und örtliche Blutentziehungen, kalte
Umschläge und innerlich die Digitalis oder die Radix squillae hülf-
reich erwiesen. Reicht diese Behandlung nicht aus , so kann man die
Unterbindung der obern Schilddrüsenpulsader oder selbst der Carotis
versuchen, welche aber selten einen dauernden Erfolg hat. S. Unter-
bindung der Ge fasse. — Hat man es mit einem Balgkropfe
zu thun, so ist nur auf operativem Wege Hülfe möglich. Da aber eine
solche Behandlung immer mit Gefahr für das Leben des Kranken verbun-
den ist, indem nicht selten die Entzündung und Eiterung auf die tieferen
Gebilde des Halses und der Brust sich fortpflanzt , oder der Tod durch
Erstickung , Apoplexie oder Verblutung erfolgt , so ist diese Behandlung
nur auf diejenigen Fälle zu beschränken , welche gefahrdrohende Störun-
gen veranlassen. — Man beabsichtigt durch die Operation entweder einen
entzündlichen Process in der Kropfgeschwulst einzuleiten und den Balg
durch nachfolgende Eiterung zu zerstören, oder sie von Grund aus zu zer-
stören. Den ersten Zweck erreicht man entweder durch Incision oder
Punktion der Kropfgeschwulst , oder durch Einziehen eines Haarseils in
dieselbe , oder endlich durch die Anwendung von Aezmitteln. — Die
Incision gewährt das beste Resultat ; sie findet namentlich bei grossen
Cysten Anwendung. Man macht einen Längenschnitt durch die die
Kropfgeschwulst bedeckende Haut , präparirt die Geschwulst frei , unter-
bindet blutende Gefässe und macht dann entweder eine grosse die ganze
Länge der vordem Cystenwand treffende Incision oder mehrere kleine an
verschiedenen Stellen. Durch diese vielfachen Incisionen kann man ohne
grosse Gefahr und je nach dem Kräftezustand des Kranken in kürzerer
oder längerer Zeit selbst sehr voluminöse Balgkröpfe mit flüssigem, breiigen
oder gallertartigen Inhalt entleeren. Das Ausschneiden eines Theils des
Balgs ist unnöthig. Die Blutung nach Spaltung des Sacks stillt man
durch die Tamponade mit Charpie und styptischen Pulvern , die Umste-
chung oder die umschlungene Naht. Bisweilen ist der Reiz der Operation
und der Zutritt der Luft zu der Höhle hinreichend, eine Verwachsung der
Wände hervorzubringen ; bisweilen ist er auch so heftig, dass allgemeine
Blutentleerungen und Cataplasmen zu seiner Milderung nothwendig sind;
in den meisten Fällen muss man aber , um die Entzündung zu steigern
und die Wunden offen zu erhalten, zum Einlegen von Charpiebäuschchen
oder Haarseilen oder zu Einsprizungen seine Zuflucht nehmen. Mit dem
Eintritt der Eiterung (nach 3 — 4 Tagen) ist die Gefahr vorüber ; die
Suppuration erhält man durch warme Cataplasmen. — Die Punktion
eignet sich besonders bei dünnwandigen fluctuirenden Cysten , und man
benüzt sie entweder als palliatives Mittel bei Beeinträchtigung der Respi-
ration und Deglutition, oder zur radicalen Heilung, indem man der Ent-
leerung der Cyste. Einsprizungen von Jod (1 Theil Jodtinktur und
KROPF. 599
2 — 5 Theile Wasser folgen lässt. Dieses Verfahren weist viele günstige
Resultate auf. Behufs der Abzapfung des Cysteninhalts stösst man einen
feinen Troicart an einem abhängigen Punkte ein , nachdem man sich so
viel als möglich versichert hat , dass man keine Gef ässe verlezen wird ;
ist der Inhalt mehr gallertartig , so muss man den Einstichspunkt durch
einen Schnitt erweitern. Nach Abfluss der Flüssigkeit schliesst man die
Wunde mit einem Stückchen Heftpflaster. Wenn die Cyste sich langsam
wieder füllt, so wiederholt man die Function; geschieht jedoch die
Wiederbildung des Cysteninhalts rasch, so kann man zur Einziehung
eines FI a a r s e i 1 s schreiten. Diese Operation ist indessen ein sehr ge-
fährliches Mittel , welches den Kranken allen Gefahren einer heftigen
Entzündung über das Gebiet der Thyreoidea hinaus, Eitersenkungen nach
dem Thorax hin , auch Blutungen und selbst der Pyämie aussezt. Soll
das Mittel Erfolg haben , so müssen mehrere Haarseile in verschiedenen
Richtungen angelegt werden. Die Reactionserscheinungen bekämpft man
durch Aderlässe, Blutegel und warme Umschläge. — Die Cauterisa-
t i o n hat sich , wenn sie nicht dieselben gefährlichen Zufälle , wie das
Haarseil hervorrufen soll, auf die Zerstörung der vordem Wand des Balgs
zu beschränken; am besten eignet sich dazu die Chlorzinkpaste. S. Aez-
mittel. — Für die gleichmässige Vergrösserung der Schilddrüse, wenn
dieselbe Erstickungsgefahr droht , ist die Durchtrennung der F a s c i a
colli und der über der Schilddrüse gelegenen Muskulatur durch kreuz-
förmige Schnitte vorgeschlagen und in einem Falle von Schuh mit
grosser Erleichterung für den Kranken ausgeführt worden. — Die E x-
stirpation der Kropfgeschwulst ist höchstens zulässig , wenn diese in
einer partiellen, umschriebenen, mehr kugeligen, als in die Breite gehen-
den Geschwulst der Schilddrüse besteht, nicht mit tieferen, wichtigen Or-
ganen des Halses verwachsen oder mit Gefässektasien verbunden ist. Die
Operation selbst ist im Wesentlichen ganz wie bei andern Geschwülsten
auszuführen. S. Exstirpation. Um diese immerhin gefährliche
Operation zu umgehen , wurde von M a y o r und Bach das Abbinden
der Kropfgeschwulst empfohlen. Die Ligatur soll nur ganz allmälig, im
Verlaufe von 2 4 — 3 0 Stunden bis zur vollständigen Strangulation der
Geschwulst zusammengeschnürt werden. — Der kr eb shafte Kropf
hat eine auffallend geringe Neigung zur Verallgemeinerung , man kann
daher ziemlich lange mit Aussicht auf Erfolg die Exstirpation versuchen,
wenn die Geschwulst auf eine kleinere Partie der Schilddrüse sich be-
schränkt. Andernfalls kann man dem Kranken nur durch Palliativa Er-
leichterung verschaffen. Jodeinreibungen vermögen das Drüsengewebe
um den Krebs zu verringern nnd damit die Athembeschwerden zu mil-
dern. Daneben kann man Opium reichen und die Kräfte hält man durch
eine geeignete Kost aufrecht.
600 LAEHMUNG.
Li.
Lähmung", Paralysis (von TcaqaXvw, ich löse auf, erschlaffe),
ist im strengen Sinne des Worts derjenige Krankheitszustand, welcher in
dem gänzlichen Verluste der Empfindungs- oder Bewegungsfähigkeit (der
sensiblen oder motorischen Kraft) der Nerven besteht ; beide Zustände
können einzeln oder gleichzeitig mit einander bestehen. Man hat dem-
nach eine Lähmung des Empfindungs vermöge ns (Anaesthe-
s i a) und eine solche des Bewegungsvermögens (Paralysis s.
Acinesia) zu unterscheiden; das Wesen der erstem besteht darin, dass
die sensiblen Nerven nicht im Stande sind , Eindrücke von aussen aufzu-
nehmen und zum Gehirn fortzuleiten ; das Wesen der leztern besteht in
der Unfähigkeit des Gehirns und Rückenmarks , auf die motorischen Ner-
ven zu wirken und durch sie die Muskeln zur Bewegung zu bestimmen.
Die Lähmung der Empfindungsnerven hat das Eigenthümliche , class in
den gelähmten Theilen , die für äussere Eindrücke durchaus unempfind-
lich sind, gleichwohl die heftigsten Schmerzen empfunden werden können
(Anaesthesia dolorosa), weil der über der gelähmten Stelle be-
findliche Theil des Nervens noch empfindlich ist und ein auf ihn ausge-
übter Reiz Empfindungen erregt, die in den äussern Theilen zu sein schei-
nen , in welchen der gelähmte Nerv sich verbreitet (hierauf beruhen auch
die Empfindungen, welche Amputirte noch in dem schon entfernten Gliede
zu haben glauben). — Ein der Lähmung sich nähernder, sehr oft all-
mälig in sie übergehender Zustand ist die beträchtliche Verminderung
des Empfindungs- und Bewegungsvermögens, unvollkommene Läh-
mung, Paralysis incompleta s. Paresis. — - Man unterscheidet
eine centrale Lähmung, wenn die Nervencentra (Gehirn, Rückenmark,
Ganglien) krank sind ; eine peripherische Lähmung , wenn die Lei-
tungsfähigkeit eines Nerven an irgend einer Stelle seines Verlaufs vom
Centrum bis zur -Peripherie gemindert oder aufgehoben ist und endlich
eine reflectirte Lähmung, wenn zuleitende Nerven durch AfFectionen
gestört sind. Der paralysirte Theil wird manchmal durch die Wirkung
der ungelähmten Antagonisten in starrkrampfähnliche Stellungen ge-
bracht (paralytische Contractur , Strictur) , oder er wird , obgleich alle
willkürlichen Bewegungen darin aufgehoben sind , von reflectirten Be-
wegungen (Zittern, Paralysis agitans s. t r e m u 1 a) befallen. —
Die von den Nervencentris ausgehende Lähmung kann eine allgemeine
oder partielle sein, leztere zerfällt wieder in die halbseitige Läh-
mung (H e m i p 1 e g i a) , in die Q u e r 1 ä h m u n g (L. der beiden untern
Extremitäten , Paraplegia) und in die gekreuzte oder kreuz-
weise Lähmung (L. eines Arms der einen und eines Beins der andern
Seite, Hemiplegias. Paralysis cruciata s. transversa). —
LAEHMUNG. 601
Zeichen. Der gelähmte Theil zeigt neben der Verminderung oder
gänzlichen Aufhebung der Empfindung eine Abnahme der Ernährung,
eine Kälte, bleiche Farbe , schwächere Pulsation , ja bisweilen selbst eine
gänzliche Pulslosigkeit. Vor dem Eintritte der Lähmimg pflegen Zuckun-
gen, Schmerzen, das Gefühl des Einschlafens, der Taubheit, Schwäche,
des Ameisenlaufens in dem betreffenden Theile sich einzustellen. — Ur-
sachen. Diese sind sehr mannigfaltig. Alle bedeutenden Veränderun-
gen der Gehirn - , Rückenmarks - und Nervensubstanz führen Lähmung
herbei; dies gilt besonders von der Erweichung des Nervenmarks ; ebenso
alles , was einen starken Druck auf das Nervenmark ausübt , wie Ge-
schwülste, knöcherne Excrescenzen, Verdickungen der Hüllen der Nerven-
centren und der Nerven ; ferner alles , was das Erregungsvermögen der
Nervencentren und das Leitungsvermögen der Nerven durch mechanische
Verlezung, wie Durchschneidung, Quetschung, Zerreissung, aufhebt ; hef-
tige Erschütterung des Gehirns und Rückenmarks durch Schläge , Stösse,
Fall auf den Kopf oder das Rückgrat. Zu den häufigsten Ursachen der
Gehirn - und Rückenmarkslähmungen gehören Blutextravasate im Innern
oder auf der Oberfläche des Gehirns und Rückenmarks , Aussen wizun gen
etc., daher sie häufig nach Gehirn- und Rückenmarksentzündung , Apo-
plexie, Hydrocephalus etc. beobachtet werden. Auch die örtlichen Ner-
venlähmungen sind oft die Folge entzündlicher in Ausschwizung überge-
gangener Leiden der Nerven. Ferner können Verkrümmungen und Ca-
ries der Wirbelsäule , Fracturen und Luxationen zu Lähmungen Anlass
geben. Narcotische Substanzen und Vergiftungen durch Blei , Arsenik,
Quecksilber , der Missbrauch geistiger Getränke , heftige electrische und
galvanische Schläge , plözliche und heftige Gemüthsbewegungen , beson-
ders Schreck , Furcht , Metastasen anderer Krankheiten , namentlich der
Gicht, des Rheumatismus und exanthematis eher Krankheiten können Läh-
mung herbeiführen. — Prognose. Sie ist meistens sehr ungünstig,
da die meisten Lähmungen ungeheilt bleiben ; übrigens richtet sie sich
nach den Ursachen und der Dauer des Uebels, nach der Constitution und
dem Alter des Kranken ; Lähmungen , die erst kurze Zeit bestehen und
nach apoplectischen , rheumatischen , metastatischen Zufällen in jugend-
lichen Körpern entstanden sind , geben mehr Hoffnung zur Heilung , als
bereits veraltete , mit Atrophie verbundene Lähmungen bejahrter und
schwacher Individuen. — Behandlung. Da die meisten Lähmungen
nur Symptome anderer Leiden sind , so leuchtet ein , dass ein rationelles
Heilverfahren derselben zunächst nicht gegen sie , sondern gegen die zu
Grunde liegenden Ursachen gerichtet werden muss. Ist dieser Heilanzeige
Genüge geleistet , so tritt erst die weitere Indication ein , das Erlöschen
der Reizbarkeit und Thätigkeit der Nerven in dem gelähmten Theile und
hierdurch sein partielles Absterben zu verhüten. Diesem Zwecke ent-
sprechen kräftige, sowohl innere als äussere Excitantia und Nervina. Als
innere Mittel empfehlen sich: die Naphthen , der Liquor c. c. succi-
602 LAEHMUNG.
natus, A m m oniu m , die ätherischen Oele und Tinkturen, das Oleum
animale a e t h e r. , die N a p h t h a phosphorica, der Moschus,
Kampher, die Ambra, Arnica, Valeriana, Serpentaria, das Rhus toxicoden-
dron, der Cortex cinnamomi, starke Weine etc. , die sämmtlich in kurzen
Zwischenräumen gereicht werden müssen. Die Wirkung äusserer Heil-
mittel , die in aromatischen und geistigen Einreibungen , Frottiren und
Bürsten der gelähmten Theile, trockenen Schröpfköpfen , thierischen Bä-
dern, Ameisenbädern , Sublimatbädern, Sinapismen, Urtication, Vesicato-
rien bestehen und wo möglich unmittelbar an die leidenden Organe an-
gebracht werden müssen , unterstüzt man noch durch Gebrauch der Elec-
tricität, des Galvanismus, Magnetismus, Perkinismus, der Acupunctur, der
Moxa. — Bei rheumatischen Leiden wendet man oft mit Erfolg den
Electromagnetismus an. Wo die Lähmung der Gicht nachfolgt, dienen
die Thermen von Tepliz , Aachen , Wildbad ; gegen Rheumatismus
paralyticus Vesicantia an den Processus mastoideus, innerlich
Camphor mit Opium, Pulv. Doweri; besteht die Krankheit schon lange,
Moxen ; bei derartigen Lähmungen , wo die Zusammenziehung der Mus-
keln nicht durch Mangel an Nervenkraft , sondern durch Schmerz gehin-
dert wird , erweist sich das Aconit nüzlich. Bei Lähmung nach zurück-
getretener Transpiration werden die Folia rhois toxicodendri als besonders
die peripherische Nerventhätigkeit belebend mit Nuzen gebraucht , z. B.
Rp. Fol. rhois toxico dend. gr. ij, Sacch. alb. ^ß, M. t er endo
exactiss., f. pulv. in part. aeq. viij dividend. D. S. Täglich
1 Pulver, oder R p. E x t r. rhois t o x i c o d e n d. 5j, s. in A q. d e s t i 1 1.
^j. S. 2 Mal täglich 10 Tropfen zu nehmen und allmälig bis zu 1 Kaffee-
löifel voll zu steigen ; von der Tinct. rhois toxicodendri geht man
von 1 Tropfen früh und Abends nach und nach auf 1 0 Tropfen. — Tra-
gen Metastasen die Schuld an der Lähmung, so dienen Vesicantia, künst-
liche Geschwüre. — Gegen vom Rückenmark ausgehende Lähmungen
der obern und untern Extremitäten Moxen an beide Seiten des Rückgrats,
innerlich besonders die Nux vomica und ihr Alcaloid, das Strychnin in
folgenden Formeln : R p. Extr. nuc. vomicaespirit. gr. x, s o 1 v.
in Infus, flor. arnicae ex 5ij par. ijv; adde Vini stibiat. 5üj,
Spirit. sulphurico-aether. 5 j , Syr. Zingib. Jjj. M. S. Alle
2 Stunden 1 Esslöffel voll ; Rp. Extr. nuc. vomic. , Pulv. rad. li-
quirit. ana 5j- M. f. pil. gr. ij, c o n sp. ly c o p o d. D. S. Früh und
Abends 2 Pillen zu nehmen und allmälig zu steigen. — Rp. Strych-
nini acet. gr. j, solv. exactiss. in Aq. de still, q. s. , adde
Succ. liquir. 5ß, P u 1 v. r a d. 1 i q u i r. q. s. u t f. p i 1. No. 3 2 , Consp.
pulv. ein n am. S. 1—4 St. täglich; Rp. Strychnin. ascet. gr. iij,
Alcohol. 5j , Aq. cinnam. simpl. 5vii solve. S. 2 Mal täglich
5 Tropfen zu nehmen und vorsichtig zu steigen. Man wendet das Strych-
nin auch endermatisch an. — Ausser den vorstehenden Mitteln haben
sich noch folgende Mischungen bei Lähmungen wirksam erwiesen: Rp.
LEBEBABSCESS. 603
Ol. cajeputi 5ß , Tinct. välcrian. aether. , — macid. ana
5ij_üj. M. D. S. Alle 2 Stunden 2 0 — 3 0 Tropfen in Chamillenthee
zu nehmen ; R p. Tinct. canthar id. , — nuc. vomicae ana 5ij,
Naphth. phosphorat. ^ij. M. S. 3— 4 Mal täglich 30 Tropfen
mit Arnicaaufguss zu geben; Rp. Phosphor i gr. j, solve in Ol. va-
ler. ^j , — aniraal. aether. 5j M. D. in vitro c h a r t. n i g r. i n -
voluto. S. Zu 5 — 15 Tropfen in Hafergrüzenschleim zu nehmen ;
Rp. Ol.flor. arnicae aether. gutt.iv, Spirit. muriat. aether.
iß solv. S. 3—4 Mal des Tags zu 4, 8 — 12 Tropfen zu nehmen;
Rp. Camphorae 3j > Extr. nuc. vomicae spirit. gutt. xxiv,
solv. in Tinct. pyr et hri gj. D. S. 4 Mal des Tags 2 0 Tropfen in
Arnicathee zu nehmen, — Von bewährten Einreibungen sind zu nennen :
Rp. Camphorae, Ol. nuc. moschat. press. ana 5j , Aether.
sulp hur. 5ß. M. f. liniment. S. Zum Einreiben; Rp. Phos-
phor, gr. v, Ol. animal. Dipp. 5ij, Ol. papav. §ß. S. Zum Ein-
reiben; Rp. Tinct. canthar id. 5ij , Spirit. vinicamphorat.,
— formicar. ana 5ÜJ. M. D. S. Erwärmt 2 Mal täglich in die ge-
lähmten Theile einzureiben ; R p. Spirit. r o r i s m a r. ^ij, B a 1 s. v i t a e
Hoffm. 5j , Amnion, pur. liquid. §ß. M. S. Zum Einreiben;
Rp. Veratrini 5ß , Ol. oliv ar. 5j , Adip.praeparat.5j. M.
exact. ut f. Ungt. S. Früh und Abends eine Haselnuss gross mit mög-
lichster Sorgfalt in die leidenden Stelln einzureiben, bis sich ein Gefühl
von Wärme und ein Prickeln zeigt , worauf man die Einreibungen auf
eine kurze Zeit aussezt. — Einen kräftigen Reiz kann man durch die
Einreibung mit Ungt. t a r t a r. emet, hervorbringen, wenn man die da-
durch gebildeten Pusteln durch Ungt. sabinae in ein Geschwür ver-
wandelt und dasselbe durch 6 — 8 Erbsen offen erhält. — Sublimatbäder
(aus §ß bereitet) bei Lähmungen der Extremitäten, besonders in Folge
von Rheumatismen und Coxalgien.
LeberabSCeSS. Er ist die Folge einer acuten oder chronischen
Leberentzündung, welche besonders in heissen Climaten häufig vorkommt.
Wiederholte Frostanfälle mit fortdauerndem Schmerz in der rechten Seite
des Unterleibs, Taubheit und Schwere des rechten Schenkels , Schmerz in
der rechten Schulter , gelbliches Aussehen , Mangel an Appetit, belegte
Zunge, bitterer Geschmack, harte, weisse Stuhlausleerung, trüber Urin,
dies sind die Symptome des sich bildenden Leberabscesses. Häufiger
bilden sich die Abscesse im rechten als im linken Leberlappen, bisweilen
in beiden Lappen zugleich und meistens liegt der Abscess, wenn er eine
gewisse Grösse erreicht hat , der einen oder andern Fläche , diesem oder
jenem Rande näher, was sowohl für die Erscheinungen im Leben als für
den Ausgang der Krankheit von grosser Bedeutung ist. Die Grösse der
Abscesse variirt von kleinen Eiterdepots bis zu Faust- und darüber gros-
sen Abscessen. Die grösseren Abscesse sind gewöhnlich durch Zusam-
604 LENDENWEH.
menfliessen mehrerer kleiner entstanden. Bei längerem Bestände ist der
Abscess gewöhnlich durch einen Balg von dem Leberparenchym abge-
schlossen. Der Lebereiter hat in Folge der Beimischung von Galle im-
mer eine schmuzig gelbe oder grünliche, bisweilen auch durch verflossenes
Leberparenchym eine schmuzig bräunliche, der Weinhefe ähnliche Farbe.
— Der eingekapselte Abscess kann lange bestehen. Resorption des
Eiters geschieht selten. Am häufigsten bricht er auf und zwar je nach
seiner Lage in die Brusthöhle, Bauchhöhle, nach aussen, in die natürlichen
Gallenwege oder in benachbarte Blutgefässe. Den Wundarzt interessirt
zunächst nur der der Bauchwand nahe liegende Abscess , wo er bei nicht
zu tiefer Lage eine fühlbare Geschwulst in der Lebergegend , zuweilen
auch in einiger Entfernung von dieser, an der Brustwand oder tiefer am
Unterleib bildet. Solche Abscesse muss man, wenn es nicht gelingt, sie
im Entstehen durch eine angemessene antiphlogistische Behandlung, na-
mentlich durch Quecksilbereinreibungen, Pflaster, Calomel etc. zur Rück-
bildung zu bringen, so früh als möglich nach aussen zu entleeren suchen,
um ihrer Vergrösserung Einhalt zu thun, und einem Auf bruch nach innen
vorzubeugen. Die Eröffnung darf aber erst vorgenommen werden , wenn
man sicher ist , dass der Abscess Verwachsungen mit der Bauchwand ein-
gegangen hat. Ist dieser Zustand noch nicht eingetreten , suche man
denselben bei acuten Abscessen durch die Anwendung erweichender Cata-
plasmen , bei chronischen durch Reizmittel , welche die Haut in Entzün-
dung versezen , herbeizuführen. Dabei lässt man den Kranken auf der
kranken Seite liegen, damit sich der Eiter nach der Bauchwand hinsenkt.
Behufs der Eröffnung schneidet man da , wo die Geschwulst am meisten
hervortritt und am deutlichsten fluctuirt , ein und dringt unter schicht-
weiser Trennung in die Tiefe , wobei man sich hütet , die Grenzen der
Verwachsung zu überschreiten. Zuweilen muss man sehr tief eindringen,
bis man auf den Abscess trifft. Ist man wegen der Verwachsung nicht
ganz sicher, so kann man vor der Durchschneidung der innersten Abscess-
wand eine Probepunktion anstellen. Die Nachbehandlung wird nach all-
gemeinen Regeln geleitet. — Schliesslich sei noch bemerkt, dass beson-
dere Beziehungen zwischen Gehirnkrankheiten und Leberentzündung, be-
sonders zwischen Gehirnentzündung und Leberabscess , wie man ehedem
annahm, nicht bestehen. Nur bei Eiterung im Gehirn oder in den Schä-
delknochen , bei Entzündung eines Blutleiters kommen nicht selten als
Symptom der Pyämie metastatische Abscesse in der Leber (wie in andern
Organen) zu Stande.
Leichdorn, s. Hühneraugen.
Lendenweh, Kreuz weh, Lumbago. Es stellen sich in
der Regio sacralis und den Lenden periodisch wiederkehrende oder
stets andauernde Schmerzen ein , welche den Kranken hindern , aufrecht
zu gehen. Meistens liegen dem Leiden Erkältungen zu Grunde , doch
LIPPENBILDUNG. 605
kann es auch durch psorische, scrophulöse Ursachen etc. entstehen. Dauert
clasüebel lange, so kann die latente chronische Entzündung eine Caries der
Lendenwirbel verursachen und sich daraus ein Abscessus lurnbalis
bilden. — Eine Abart des Kreuzwehs ist der sogenannte Hexenschuss,
Drachenschuss, wo bei einer heftigen Anstrengung der Rücken- oder
Kreuzmuskeln plözlich ein so heftiger Schmerz in den Rücken schiesst,
dass es unmöglich wird , den Rücken wieder gerade zu richten , weshalb
der Kranke mehrere Tage lang in derselben Stellung verharren muss,
ohne sich rühren zu können , indem die geringste Bewegung peinliche
Schmerzen verursacht. — Behandlung. Bei bestehender Plethora
macht sich ein Aderlass nöthig, sonst die Anwendung von Schröpf köpfen,
Blutegel an die leidende Stelle, kühlende Abführmittel, ganze laue Bäder,
Dampfbäder, Tropf bäder, Vesicantien , Guajac, Schwefel, Aconit (Rp.
Pulv. hb. aconiti gr. viij , L act. s u lphur. 5ij , Kalitartar.
acidul. gß, Sacch. alb. 5ij. M. f. pulv. D. ad scat. S. Alle 2
Stunden 2 Theelöffel voll zu geben, oder: Rp. Extr. äconiti gr. ij —
iv, Borac. *)j. M. f. pulv., Dent. tal. Dos. q. 1. S. 2 Pulver täg-
lich) , Einreibungen von Liniment, volatile allein oder mit U n g t.
mercuriale oder von folgender Salbe: Rp. Sapon. venet. ras.,
Spirit. camphor., — lumbric. ana q. s. u t f. linimen t. S.
Erwärmt 2 Mal einzureiben ; in hartnäckigen Fällen Moxa oder A c e t a s
m o r p h i i auf die mit A c i d. s u 1 p h d r. entblösste Haut.
Lipoma, s. Fettge schwul st.
Lippenbildung, Cheiloplastik. Die grosse Dehnbarkeit
der Wangen und Lippen machen den organischen Wiederersaz selbst
grosser Defecte der leztern zu einem nicht so gar schwierigen Unterneh-
men, bei gänzlichem Mangel einer Lippe aber, wie er am häufigstem beim
Lippenkrebse, und namentlich nach den durch dieses Uebel indicirten Ex-
stirpationen vorkommt , ist es schwerer einen Ersaz zu schaffen ; hier ist
nur durch Transplantation von Weichgebilden zu helfen , für welche be-
sonders in der neuesten Zeit verschiedene Methoden erfunden worden
sind, bei deren Anwendung es meistens dein Talente des Operateurs über-
lassen bleiben wird , sie für den concreten Fall passend zu machen. —
Am meisten macht sich der Ersaz eines Defects an der Unterlippe (wegen
des am häufigsten hier vorkommenden Krebses) nothwendig. In vielen
Fällen genügt ein horizontaler Einschnitt mit Schonung der Schleimhaut,
wie ihn Dieffenbach für die Mundbildung angibt. Wirft die Haut
durch das starke Anspannen der Bedeckungen oberhalb des horizontalen
Schnitts eine zu starke Falte , so wird deren Grösse entsprechend ein
gleichschenkliges Dreieck mit nach unten gerichteter Basis excidirt und
die zurückbleibende Wunde sogleich durch die Naht geschlossen. Sollte
die zur Umsäumung verwandte Schleimhaut sich hierbei spannen, so
schneidet man sie am Ende des horizontalen Schnittes in verticaler Rieh-
606
LIPPENBILDUNG.
tung ein. Bei grösserem Defecte bildet Dieffenbach auf einer oder
auf beiden Seiten viereckige Lappen, die mit ihren innern Rändern in der
Mittellinie oder in deren Nahe vereinigt , an ihren obern Rändern aber
zum grösseren Theile mit Schleimhaut umsäumt werden. Die äussersten
Ecken des obern Randes der auf diese Weise hergestellten Lippe werden
zur Bildung der Mundwinkel neben der Oberlippe angeheftet. Auf jeder
Seite der neugebildeten Lippe bleibt eine dreieckige Oeffnung, aus welcher
die Mundflüssigkeiten herausfliessen. Ihre Heilung erfolgt durch Granu-
lationen. Aehnlich verfährt M a 1 g a i g n e. Wenn man nach der An-
gabe von Jaesche die Seitenschnitte bogenförmig mit nach aussen ge-
richteter Convexität führt, so lässt sich die durch Verschiebung des Lap-
pens entstandene Wunde leichter schliessen. — Reicht die seitliche Ver-
schiebung zum Ersaze der fehlenden Unterlippe nicht hin , so kann man
nach B 1 a s i u s und v.Bruns zu beiden Seiten des Defects Lappen bilden,
welche durch eine leichte Drehung in die auszufüllende Lücke eingescho-
ben und im Mittelpunkte durch Knopfnähte mit einander verbunden wer-
den. B 1 a s i u s bildet die Lappen aus den Seitentheilen des Kinns bis
zu dem Masseter hin , trennt sie ab und schiebt sie behufs ihrer Vereini-
gung gegeneinander ; hierauf führt er von dem Wundwinkel unter dem
Kinn einen 1 Zoll langen Schnitt herab , trennt die Haut zu den Seiten
desselben und längs des Kieferrandes ab , zieht sie zur Füllung des noch
bestehenden Defects herauf und heftet sie an die Theile, welche die neue
Lippe bilden ; der Kopf wird bis zur Heilung in vorwärts geneigter Stel-
lung erhalten. v.Bruns verlängert den Schnitt, durch welchen die- Unter-
lippe exstirpirt oder der Defect angefrischt ist, schräg aufwärts gegen den
Nasenflügel, führt einen zweiten Schnitt diesem parallel und so weit von
ihm entfernt , als die Höhe des zu ersezenden Defects beträgt , durch die
Wange und verbindet beide durch einen rechtwinklig gegen sie geführten
Schnitt. Die Lappen werden so nach unten gewendet , dass die durch
den leztgenannten Schnitt gebildeten Wundränder in der Mitte der Unter-
lippe zusammentreffen. Die zurückbleibenden Wunden heilt man durch
Granulation. — Diese Verfahren passen nur , wenn nur etwa die obere
Hälfte der Unterlippe fehlt. Findet sich -ein grösserer Defect, so kann
man nach Chopart, J. N. Roux, Morgan u. A. den Ersas aus der
Haut des Kinns und des Halses nehmen. Es werden in der Breite des
Defects zwei verticale Schnitte über die Basis des Unterkiefers und dann
am Halse abwärts geführt , der Lappen abgelöst , aufwärts gezogen und
durch Nähte befestigt ; erstreckt sich der Defect auch auf die Wangen,
so werden auch deren gesunde untere Partien in den Lappen mit aufge-
nommen ; der Kopf muss bis zur Anheilung des Lappens stark vorwärts
geneigt erhalten werden. Dieses Verfahren trifft unter Anderem der Vor-
wurf, dass die nur aus einer dünnen Haut bestehende neue Lippe stark
zusammenschrumpft und sich nach innen wälzt. Serre will diesem durch
Erhaltung der Lippenschleimhaut bei der Exstirpation begegnen, ein
LIPPEN- UND WANGENKREBS. 607
Vorschlag , dessen Ausführung in der Regel nur in beschränkter Weise
möglich und nüzlich ist. Zweckmässiger ist das Verfahren von Langen-
b e c k , die neue Lippe durch Ablösung und Verschiebung der Schleim-
haut der gegenüber liegenden gesunden Lippe zu besäumen. Eine Nach-
ahmung des Verfahrens von Roux, die Herbeiziehung des Ersazlappens
durch Absägen eines Stücks vom Kinn zu ermöglichen, dürfte nur zu recht-
fertigen sein, wenn der Krebs in grösserer Ausdehnung fest auf dem Kno-
chen aufsizt. — Die Lippenbildung durch Umschlagen eines Hautlappens
aus der vordem Seite des Halses nach D e 1 p e c h war ohne Erfolg, indem
der Lappen abstarb. Ebenso wenig nachzuahmen ist der Ersaz der Lippe
aus der Armhaut nach der Tagliacozzi sehen Methode.
Lippen- Und Wangenkrebs. Dieser Krebs, welcher zu den
Epithelialkrebsen zählt (s. Hautkrebs), hat seinen Siz vorzugsweise an
der Unterlippe und kommt am häufigsten zwischen dem 4 0. und 5 0. Jahre,
öfter bei Männern als Frauen vor. Sein erstes Erscheinen an der Lippe
gibt sich bald durch eine ganz oberflächlich im Schleimhautsaume oder
in der benachbarten Haut sizende Warze oder Schrunde , bald durch ein
daselbst mehr in der Tiefe wurzelndes härtliches Knötchen kund. Nach
langem örtlichen Bestehen , meist nach unzeitigem Reizen durch Krazen
und Reiben oder durch versuchtes Wegäzen der Excrescenz wandelt sich
die Geschwulst in ein Geschwür um, das sich mit einer gelblichen Kruste
bedeckt und sich anfangs nur langsam vergrossert. Wo die Krankheit
mit einem Knötchen auftritt , gewinnt dieses zuweilen vor seinem Auf-
bruche eine solche Ausdehnung, dass der Lippenrand an der entsprechen-
den Stelle aufgetrieben oder höckerig erscheint. Die über diese Stelle
hingespannte Schleimhaut erhält in solchen Fällen eine schinuzig blau-
rothe Farbe. — Sobald das Lippencarcinom den Lippenrand und die tieferen
Theile erreicht hat , so greift es rascher um sich und zwar oft nach allen
Seiten zugleich, andere Male aber nur in einer bestimmten Richtung ; am
häufigsten sezt sich die Zerstörung auf das Kinn , das Zahnfleisch des
Unterkiefers und diesen Knochen selbst fort ; seltener gegen die Wangen
hin. Ziemlich spät schwellen die Lymphdrüsen der obern Halsgegend
an. Das Geschwür zeigt gezackte Ränder , einen oft mit höckerigen
Auswüchsen besezten ungleichen Boden, und seine Schmerzhaftigkeit steht
in geradem Verhältnisse zur Entzündlichkeit der Ulceration ; die Um-
gebung des Geschwürs ist verhärtet. — Viele halten diese Neubildung
für nicht krebsiger Natur, weil sie oft Jahre lang als rein örtliches Uebel
ohne Einfluss auf das Allgemeinbefinden bestehen kann ; es ist indessen
Thatsache , dass Lippenkrebse selbst nach frühzeitiger und gründlicher
Exstirpation fast ebenso häufig als andere Krebse , bald an der Lippe
gelbst, bald in den Halsdrüsen , zuweilen auch in andern Organen reeidi-
viren. — Der Krebs der Wange greift gewöhnlich schneller um sich,
als der der Lippe. Hier pflegen die Geschwürsränder scharf abgeschnitten
608
LIPPEN- UND WANGENKREBS.
und die Wucherungen auf dem Geschwürsgrunde mehr gewöhnlichen
Granulationen ähnlich zu sein. Meist sieht man das Geschwür wie an
der Lippe mit einer gelbgrauen Kruste bedeckt , in der Umgebung ent-
zündliche Härte und es ist mehr Jucken als Schmerz zugegen. — Be-
handlung. Die sicherste Behandlungsweise besteht auch hier in der
alles Krankhafte umfassenden Exstirpation des Krebses. An den Lippen
macht man an den Grenzen des Krankhaften zwei Schnitte, die gewöhn-
lich in Gestalt eines Keils an dem Kinn spizwinklig zusammenlaufen ; sie
müssen oft bogenförmig und meistens mit dem Messer gemacht werden.
Die linke Hand des Operateurs fixirt mit einer Hakenzange das zu ent-
fernende Stück, ein Gehülfe zieht auf der andern Seite der Schnittlinie die
Lippe vom Zahnfleische ab und comprimirt zugleich die Art. corona-
ria. Nicht selten gehen die Schnitte von einem, auch wohl von beiden
Mundwinkeln aus, diese nach den Wangen hin erweiternd, oder es müssen
die den Mundwinkel begrenzenden Theile beider Lippen nebst einem
Theile der Wange fortgenommen werden. Das umschnittene Stück muss,
wenn es der Unterlippe angehört , meistens noch vom Kiefer abgetrennt
werden und bisweilen sind nicht bloss die Weichgebilde des Kinns , son-
dern selbst unter diesem, abzutragen. Nach geschehener Exstirpation
fühlt man nach, ob alles Kranke entfernt ist, und schneidet etwaige Reste
noch nachträglich aus. Findet man die Beinhaut des Kiefers erkrankt,
so schabt man sie ab oder cauterisirt sie; ist der Knochen selbst ergriffen,
so kann man, wenn dies nur oberflächlich ist , ebenfalls die Cauterisation
anwenden , sonst aber muss man die Resection des kranken Kiefertheils
vornehmen. Nachdem man zulezt die Blutung gestillt hat , wozu nur
selten die Unterbindung nöthig ist , vereinigt man die Wunde durch die
umwundene Naht. Dies ist selbst da noch möglich, wo die ganze Lippe
oder ein grosser Theil von ihr nebst einem Stück der Wange weggenom-
men ist , nur muss , wenn die Spannung gross ist , die natürliche Ad-
häsion der Lippe und Wange mit dem Kiefer auf eine Strecke getrennt
werden. Wo die Wunde wegen ihrer Grösse oder Form nicht vereinigt
werden kann, durchdringt man jede Wange mit einem 2 Zoll langen ver-
ticalen Schnitte und lässt die dadurch gebildeten Oeffhungen auf dem
Wege der Eiterung heilen. — Beschränkt sich der Krebs auf den rothen
Lippenrand , so entfernt Richerand den kranken Theil durch einen
bogenförmigen an den Mundwinkeln endigenden Schnitt mit der Hohl-
scheere und heilt die Wunde durch Eiterung, wobei sich die Schleim- und
äussere Haut zu einer schmalen Narbe vereinigen. — An den Wangen
macht man ebenfalls Schnitte durch ihre ganze Dicke , deren Form aber
nur die Umstände näher bestimmen können. Man macht wo möglich
zwei gleich lange , an den Enden in spizigen Winkeln sich vereinigende
Bogenschnitte, deren untere Enden sich bisweilen bis in den Mundwinkel
und Lippenrand erstrecken müssen. Sind von der Lippe und Wange zu-
gleich kranke Theile zu exstirpiren , so bildet man gern zwei Dreiecke,
LUFTROEHREN- UND KEHLKOPFSCHNITT. 609
von denen die beiden sich zugewandten Schenkel in einem Punkte enden.
Nach geschehener Blutstillung, wozu oft die Unterbindung nöthig ist, ver-
einigt man die Wunde durch die umwundene Naht, und zwar dann be-
sonders genau , wenn der Speichelgang mit durchschnitten ist. — — Die
Entfernung dieser Krebse durch das Aezmittel ist der durch das Messer
nur dann vorzuziehen , wenn die Kranken alt und abgelebt sind und das
Uebel eine grosse Ausdehnung hat ; immerhin ist aber die Anwendung
der Aezmittel nicht bloss viel schmerzhafter und unbequemer , sondern
auch weniger sicher. Das Verfahren dabei, so wie wenn gar keine Ope-
ration mehr möglich ist, s. in dem Art. Hautkrebs.
Luftröhren- Und Kehlkopfschnitt. Unter diesen Ope-
rationen , welche auch mit dem Collectivnamen Kehlschnitt, Bron-
cho tomia bezeichnet werden, versteht man die kunstgemässe Eröffnung
der Luftwege am Halse , welche in der Absicht unternommen wird , ent-
weder der Luft Zugang zu der Lunge zu verschaffen oder fremde Körper
aus den Luftwegen zu entfernen. — Folgende Zustände können diese
Operation indiciren : l) die Gegenwart fremder Körper im Kehl-
kopfe oder in der Trachea, auch im Oesophagus; 2) Wunden,
namentlich Schusswunden des Halses, Brüche des Kehlkopfs mit
Depression der Bruchstücke nach innen; 3) Caries, Necrose der
Larynxknorpel , Ulcerationsprocesse der Larynxschleimhaut ; 4)
verschiedene Geschwülste in und ausserhalb der Luftwege, sobald sie
den Luftzutritt hindern , wie Polypen des Larynx, Krankheiten der Thyre-
oidea , der Lymphdrüsen des Halses, Aneurysmen ; 5) Oedemaglot-
tidis; 6) heftige entzündliche Affectionen des Halses bei Wunden, An-
gina tonsillaris, Anschwellung der Zunge etc. , wenn Scarificationen nicht
angewendet werden konnten oder keinen Nuzen schafften; 7) Croup,
sobald Erstickungsgefahr eintritt ; 8) Scheintod , namentlich durch Er-
trinken oder Erhängen. — Die Stelle, welche man zur Operation wählt,
hängt theils von dem die Operation bedingenden Krankheitsobjecte und
dem zu erreichenden Zwecke , theils von der individuellen Beschaffenheit
der Theile ab, diesemnach wird bald oberhalb des Kehlkopfs eingeschnit-
ten , bald der Kehlkopf selbst (Laryngotomia), bald die Luftröhre
(T r a c h e o t o m i aj, bald werden beide zugleich (Laryngotracheo-
tomia) geöffnet. — Im Allgemeinen ist zu bemerken, dass die Laryngo-
tomie bei männlichen Erwachsenen vortheilhafter und leichter zu machen,
die Tracheotomie dagegen bei Kindern und bei weiblichen Erwachsenen
passender ist , weil bei jenen der Raum zwischen dem untern blande der
Schilddrüse und dem Brustbeine kleiner ist , als bei Kindern , der Kehl-
kopf aber verhältnissmässig grösser und hervorstehender ; in der Gegend
des Kehlkopfs kommen auch anomal verlaufende Arterien seltener vor als
an der Luftröhre, man wird bei der Laryngotomie die Schilddrüse nicht
so leicht verlezen und unangenehme Blutungen veranlassen. Dagegen ist
Bürger, Chirurgie. 39
610 " LUFTROEHREN- UND KEHLKOPFSCHNITT.
der Kehlkopf bisweilen , namentlich bei alten Personen , verknöchert und
dann sehr schwierig zu trennen , man kann leicht die Stimmrizenbänder
verlezen und die Stimme bleibt lange heiser. Die Eröffnung der Luft-
röhre unterhalb des Ringknorpels , die Tracheotomie ist nicht ohne Ge-
fahr der Verlezung der Schilddrüse und ihrer Gefässe, deren Blutung oft
sehr schwierig zu stillen ist; nicht selten kommen Anomalien grösserer
Blutgefässe hier vor : so findet man zuweilen eine Art. thyreoidea
ima, ferner den Truncus anonym us und die Carotis sinistra
die Luftröhre schräg durchkreuzend , welche Gefässe jedoch bei einiger
Vorsicht zu vermeiden sind. Bei dick- und kurzhalsigen Personen ist die
Tracheotomie äusserst schwierig auszuführen. — Behufs der Eröffnung
der Luftwege hat man zwei Methoden, nämlich den Querschnitt und
den Längenschnitt; der erstere ist der älteste, wird aber, da er nicht
den nöthigen Raum gewährt, mit Ausnahme oberhalb des Kehlkopfs, sel-
ten mehr geübt. Der Längenschnitt entspricht allen Anforderungen.
Eine dritte Methode, die Eröffnung mit dem Troicart, ist ganz ausser Ge-
brauch. — I. Eröffnung des Kehlkopfs, Laryngotomie, ist
namentlich da angezeigt, wo ein fremder Körper im obern Theile oder in
den Taschen des Kehlkopfs liegt, und wo man die Schilddrüse zu verlezen
nothwenclig vermeiden muss. Der Kranke liegt auf dem Rücken mit et-
was hintenüber gebeugtem Kopfe, so dass die vordere Fläche des Halses
möglichst stark gewölbt ist. Man bildet gerade über dem Ligamen-
tum crico-thyreoideum eine Hautfalte und durchschneidet sie der
Länge nach , so dass der Schnitt sich vom Zungenbein bis zum Ring-
knorpel erstreckt. Dann trennt man, während die Wundränder mit stum-
pfen Haken auf die Seite gezogen werden, das zwischen den MM. sterno-
h y o i d e i s und sternothyreoideis befindliche Zellgewebe. Ist nun
das Ligament frei und die Blutung durch kaltes Wasser oder nöthigen-
falls durch Torsion ödes Unterbindung gestillt , so fixirt man mit dem
Daumen und Mittelfinger der linken Hand den Kehlkopf, sezt den Nagel
des linken Zeigefingers auf den obern Theil des genannten Bandes und
durchsticht es mit einem spizen Bistouri der Quere nach, wenn bloss der
Luft Zutritt verschafft werden soll , oder der Länge nach , wenn zugleich
der Austritt eines fremden Körpers möglich gemacht werden soll. Tm
lezteren Fall kann es , wenn die Längenwunde für den fremden Körper
nicht gross genug ist , nöthig werden , entweder noch den Schildknorpel
mit der Scheere oder dem geknöpften Bistouri genau in der Mittellinie
(um die Verlezung der Stimmrizenbänder zu vermeiden) zu spalten (De-
s a u 1 1), oder den Schnitt abwärts durch den vordem Halbring des Ring-
knorpels und die ersten Ringe der Luftröhre zu verlängern (Laryngo-
Tracheotomie). Der linke Zeigefinger dient nicht allein dem Mes-
ser zum Führer, sondern auch zum Schuze der Art. cricothyreoi-
d e a , indem er sie wegschiebt. — IL Eröffnung der Lu f tw e g e
unterhalbdesKehlkopfs,Luftröhrenschnitt,Tracheo-
LUFTROEHREN- UND KEHLKOPFSCHNITT. 611
tomie, ist vorzüglich angezeigt bei fremden Körpern , welche sich im
untern Theile der Luftröhre befinden , und bei Gefahr der Erstickung.
Es ist die älteste und am häufigsten angewendete Methode. Ein Schnitt
von 1 !/2 Zoll Länge (unter Bildung einer Hautfalte oder unter Spannung
der Haut) trennt die Haut und die Fascie genau in der Mittellinie vom
Ringknorpel gegen das Brustbein hin. Die MM. s tern ohy oid ei
werden unter Vermeidung der mittleren Schilddrüsenvene mit dem Messer
von. einander getrennt und durch stumpfe Haken von einander gezogen.
Jedes stark blutende Gefäss wird sofort unterbunden. Bei Erwachsenen
kann die Durchschneidung des Mittelstücks der Schilddrüse erforderlich
werden ; dann stillt man die Blutung durch Umstechung. Nun wird die
Luftröhre frei präparirt, etwa am 4. oder 5. Luftröhrenringe ein spizes
Messer schräg eingestochen und durch Aufwärtsschieben desselben bis an
den Ringknorpel eine gehörig grosse Oeffnung gewonnen. Chassaig-
n a c nimmt die Spaltung auf einer durch die Haut eingestossenen spizen
krummen Hohlsonde vor. — III. Eröffnung der Luftwege ober-
halb des Kehlkopfs. Diese Operation, welche eigentlich den Namen
Laryngotomie nicht verdient, da blos das Cavum bucco-laryngeum
geöffnet wird, besteht in der Durchtrennung der Membrana thyreo -
h y o i d e a und wird in der Absicht unternommen , einem Abscess oder
einer eiterigen Infiltration der Ligta arytaenoidea-epiglottica
oder glosso-epiglottica, die sich hier in Folge einer Necrose des
Zungenbeins bilden können , Abfluss zu verschaffen. Auch soll von hier
aus bei dem O e d e m a g 1 o 1 1 i d i s eine Scarification der Ligta epi-
glottico-arytäenoidea vorgenommen werden (V i d a 1). — Man
macht am unteren Rande des Zungenbeins und parallel mit demselben,
also in querer Richtung (nach Malgaigne in der Mittellinie, nach V i-
dal an der Seite) einen Schnitt durch die Haut, das Platysma und die
innere Hälfte der MM. sterno-hyoidei, endlich durch die Mem-
brana hyo-thyreoidea. Die bei jeder Exspiration in die Wunde
tretende Schleimhaut wird gefasst und gleichfalls in querer Richtung ein-
geschnitten. Hierauf wird der Kehldeckel sichtbar , den man mit einem
scharfen Haken vornüber beugt , wodurch sogleich der Kehlkopfeingang
dem Auge und den etwa erforderlichen Instrumenten zugängig wird. —
Verband und Nachbehandlung. Nach Eröffnung des Kehlkopfs
oder der Luftröhre wird der Kranke in eine mehr gebeugte Lage gebracht,
um die Wunde , so lange es nöthig ist, klaffend zu erhalten (nach einem
Querschnitt muss das entgegengesezte Verfahren beobachtet werden) , in
die Wundwinkel legt man kleine Charpiepfröpfe und bedeckt die Wunde
mit einem Stückchen Flor. Geschah die Operation eines fremden Kör-
pers wegen, so wartet man mit dem Verbände, bis ein Hustenanfall kommt
und entweder den Körper aus der Wunde ausstösst oder ihn in die Nähe
derselben bringt , wo man ihn vorsichtig mit einer passenden Zange aus-
zieht. Sizt der fremde Körper fest, so kann man ihn vielleicht vorsichtig
39*
612 lupus.
mit einer Sonde lösen, steckt er in der Stimmrize, so kann man ihn auch
mit der Sonde nach oben in den Mund drängen. — Gelingt es nicht, den
fremden Körper sogleich zu entfernen , so muss die Wunde , so lange es
nöthig ist, offen erhalten werden. Dies ist aber nicht allein bei fremden
Körpern , sondern auch bei Erkrankungen des Kehlkopfs und seiner Um-
gebungen die zunächst zu erfüllende Aufgabe. So namentlich beim
Croup, beim Oedema glottidis, bei Necrose, Brüchen der Kehlkopf-
knorpel, Polypen etc. Das gebräuchlichste Mittel zu diesem Zwecke sind
silberne Canülen von hinreichender Weite und einer passenden Biegung
und zwar eignen sich die doppelten Canülen, d. h. zwei in einander ge-
steckte Röhren am besten , wegen der leichteren Reinigung derselben, zu
deren Behuf blos die innere Röhre ausgezogen zu werden braucht , wäh-
rend die andere ruhig bleibt. Die Canülen tragen an ihrem äussern
Ende Vorrichtungen, welche sie mittels eines um den Nacken des Kranken
geführten Bandes sicher zu befestigen erlaubt. Im Nothfall kann man
die Canülen durch ein Stück Catheterrohr, eine Federpose u. dgl. ersezen.
— Alle Canülen erregen Hustenreiz und zwar so , dass man häufig ge-
zwungen ist, sie zu entfernen. Man hat diesem dadurch vorbeugen wol-
len, dass man elastische Canülen anwandte ; allein auch diese haben sich
nicht bewährt. Dies führte zu den erweiternden Halsbändern ; es sind
dies kleine silberne Klammern , deren dreizähnige Griffe in die Trachea
zu liegen kommen, und welche an dem andern Ende mit einem elastischen
Halsbande in Verbindung stehen , das verkürzt und verlängert werden
kann. Das Einsezen von Haken bedingt aber mindestens eine ebenso
grosse Reizung als das Einlegen einer Canüle und gewährt nicht dieselbe
Sicherheit ; mehrere Wundärzte lassen daher beide fort und schneiden,
um eine hinreichend grosse Oeffhung zu erhalten, einen Theil der vordem
Wand der Luftröhre aus. — Die Nachbehandlung hat besonders der Ent-
zündung des Kehlkopfs oder der Luftröhre entgegen zu wirken. Ist das
Offenhalten der Wunde nicht mehr nöthig , so wird dem Kopfe eine pas-
sende Stellung gegeben, die Wunde geschlossen und nach den besondern
Regeln behandelt.
Lupus, Hautwolf, fressende Flechte, Herpes
e x e d e n s , ist eine unter den Erscheinungen chronischer Entzündung
der Haut sich entwickelnde Neubildung , die sich als rothe , linsen- bis
bohnengrosse , an einander gedrängte und meist in eine infiltrirte Stelle
verschmelzende Knoten darstellt, die fast nur im Gesichte vorkommen
und sich entweder immerfort abschuppen oder eÄtrig schmelzen. — Man
hat den Lupus verschiedentlich eingetheilt, wobei man bald mehr von den
im Anfange der Krankheit am meisten in die Augen fallenden Erschei-
nungen ausging , bald die späteren Umwandlungen der Neubildung der
Eintheilung zu Grund legte. Biett nahm einen Lupus superfi-
cialis, vorax und hypertrophicus an, Blasius unterscheidet
lupüs. 613
3 Fortgangsformen ; den ulcerativen, den exfoliativen und den hypertro-
phischen Lupus, und 3 Grund- und Anfangsformen: die tuberculöse, pu-
stulöse und makulöse ; Ray er nimmt nur einen Lupus non exedens,
serpiginosus und exedens, Fuchs 4 Formen an : den Lupus
exedens, L. excorticans, hypertrophicus und den L. exulce-
rans, Hebra endlich 1) den mit dem Niveau der Haut gleichbleibenden,
trockenen und sich abschuppenden Lupus exfoliativus, 2) den mit
seinen Knoten über die Haut sicherhebenden, später zerfliessenden Lupus
hypertrophicus und exulcerans und 3) den durch seine Fort-
schreitungs- und Heilungsweise kreis- oder halbkreisförmige Zeichnungen
darbietenden L u p u s serpiginosus s. orbicularis. — Die an-
fangs in der Haut haftende Affection erstreckt sich weiterhin auch auf
die unterliegenden Gewebe , den Paniculus adiposus, die Muskeln
etc. — Diagnose und Verlauf. Die in der Haut auftretenden
Knötchen lassen diese höckerig und warzig erscheinen. Auf diesen livid-
rothen, meist schmerzlosen Erhebungen, stösst sich die Epidermis gewöhn-
lich in weissen trockenen Schuppen ab, bis, durch die immer weiter nach
aussen vordringende Neubildung die Epithelialschicht verdünnt und ausge-
dehnt und endlich nach kürzerer oder längerer Zeit durchbrochen und diese
Stelle der Siz einer in die Tiefe greifenden Ulceration wird. Andere Male be-
ginnt der Lupus mit der Bildung von Impetigo- oder Ekthyruapustem, die
bald einzeln, bisweilen jedoch auch gruppirt stehen, auf dunklen rothen Stel-
len sich entwickeln, bald bersten und sich mit dunkelbraunen, sehr festsizen-
den Borken bedecken , nach deren Ablösung man eine tiefliegende Ulce-
ration findet, die sich wieder mit einem Grinde bedeckt und darunter
weiter frisst. Im Umfange der Pusteln ist die dem Lupus überhaupt
eigne Röthe , die mit einer geringen Anschwellung der Haut , manchmal
auch mit Bildung von Tuberkeln verbunden ist , welche leztere zwar in
Ulceration , aber zuvor nicht in Pustelbildung übergehen. In andern
Fällen sind anfangs nur lividrothe Flecken, die zerstreut auf einem wenig
geschwollenen Grunde stehen , vorhanden. Mit der Zeit wird die* Röthe
saturirter, es stellt sich eine nässende Absonderung ein, die zulezt durch
eine oberflächliche Ulceration mit nachfolgender Borkenbildung verdrängt
wird. Unter diesen Krusten sammelt sich ein dicker , gelblicher oder
bräunlicher Eiter an. Zuweilen bleiben aber diese lividrothen Flecken
bestehen und schuppen sich nur ab. — Breiten sich die oben angeführ-
ten Knötchen in die Tiefe und Breite aus, verwachsen sie gleichsam zu
einem Ganzen, so hat man den selteneren Lupus hypertrophicus.
Er stellt härtliche Knollen dar, welche das Gesicht oft im höchsten Grade
verunstalten. Diese Form von Lupus kann rückgängig werden, wo dann
die erkrankte Hautstelle das Ansehen des Lupus exfoliativus an-
nimmt ; häufig ist sie zugleich ulcerativ, zuweilen mit tief gehender bran-
diger Zerstörung. — Die ulcerative Form des Lupus ist die häu-
figste. Sie ist nach B i e 1 1 entweder oberflächlich oder tiefer zerstörend,
614 lupus.
— Nachdem die primären Formen (die Pusteln, Knötchen oder Flecke)
eine Zeit lang bestanden haben , vervielfältigen sie sich, ihre Umgebung
entzündet sich, schwillt an und endlich wird die dünne Epithelialschicht
durchbrochen. Dadurch kommt es zur Bildung kleiner runder , wenig
schmerzhafter Geschwüre , die sich bald in die Tiefe und Breite ausdeh-
nen , zusammenfliessen , dann ungleiche zackige Ränder zeigen und sich
mit starken braunen Krusten bedecken , unter welchen sie immer tiefer
um sich greifen und damit nicht allein alle in ihr Bereich fallenden
Weichtheile , sondern selbst Knorpel und Knochen zerstören. Mit der
zunehmenden Tiefe der Ulceration werden die fest anhängenden Krusten
immer dicker und unter ihnen sickert eine purulente stinkende Flüssigkeit
hervor. — Zuweilen kann der ulcerative Lupus spontan vernarben.
Die Narben gleichen den Brandnarben ; sie stellen weisse , mehr oder
weniger erhabene, gefaltete Stränge mit grosser Neigung zur Verkürzung
dar. Oft brechen sie auch , wenn die im Umkreise vorhandenen Pusteln
oder Tuberkel exulceriren, wieder von Neuem durch. — Der Lupus
exfoliativus beginnt bald nur mit einer dunklen Röthe der Haut,
bald mit Tuberkelbildung. Es findet keine Verschwärung, sondern eine
kleienartige Abschuppung der Haut statt , die hochrothe Cutis wird ver-
dünnt, glatt und glänzend und bekommt das Aussehen einer Narbe nach
einer oberflächlichen Verbrennung. — Der Lupus serpiginosus
tritt in Gestalt einer oder mehrerer kleiner, flacher, linsenförmiger, hoch-
rother Tuberkel auf, die später in unregelmässig kreisförmige Stellen
sich umbilden, deren Flächen gerothet, kleienartig, oft von vorragenden
Streifen durchzogen sind. Ihre Ränder sind erhaben, tuberculös und von
festern und dickern Schuppen bedeckt. Ueberlässt man diesen Ausschlag
sich selbst , so kommen im Umkreise der zuerst entstandenen Gruppen
allmälig neue hervor , die immer weiter über die gesunde Haut sich er-
strecken. — Eine sehr bösartige Abart des Lupus , die aber selten
vorkommt, ist die , bei welcher kleine rothe, weiche, gleichsam fungöse,
stark hervorragende Geschwülste die Ulcerationen bedecken. — Das
Allgemeinbefinden leidet, wenn der Lupus nicht einen höhern Grad er-
reicht hat , gewöhnlich nicht ; auch sind weder die Tuberkel noch die
Geschwüre empfindlich ; hat er aber einen hohen Grad erreicht und grosse
Zerstörungen angerichtet, so treten sowohl in Folge der beim Kauen und
Schlucken verursachten Hindernisse als auch durch die der eingeathmeten
Luft beigemischten stinkenden Gasarten allmälig sichtbare Ernährungs-
störungen , wie Abmagerung , Blässe , frequenter kleiner Puls , profuse
Schweisse , colliquative Diarrhöen ein. — Von intercurrirenden Krank-
heiten kommt Erysipelas am häufigsten vor , und soll dieses Zertheilung
der Tuberkel herbeiführen können , zuweilen aber auch bedenkliche ner-
vöse Zufälle hervorrufen. Begleitende Symptome des Lupus sind Oe-
deme der nahe liegenden Theile und Anschwellungen der benachbarten
Lymphdrüsen. — Siz der Krankheit. Am häufigsten wird der
» lupus. 615
Lupus am Gesicht , und zwar besonders an der Nase beobachtet , wo na-
mentlich die ulcerative Form die Nasenflügel und Nasenspize befallt, die
oft in kurzer Zeit zerstört werden ; demnächst tritt er an den Lippen, den
Wangen, dem Kinn und der Stirn, am innern Augenwinkel, in der Nähe
der Augenbrauen , an den Ohren auf ; von dem Gesicht aus verbreitet er
sich auch nach der vordem und hintern Seite des Halses. Am Rumpf
sah man ihn nur auf der Brust und Schulter , an den Extremitäten um
die Gelenke herum, auf dem Hand- und Fussrücken , an der äussern Seite
des Vorderarms, an den Zehen. — Aetiologie. Der Lupus ist eine
seltene Krankheit, welche besonders jugendliche Individuen von 10 — 2 5
Jahren, sehr selten Leute über 40 Jahren befällt. Am häufigsten sieht
man ihn bei scrophulösen Individuen gegen die Zeit der Pubertätsent-
wicklung, zuweilen bei Leuten, die an Syphilis litten, zum Ausbruch kom-
men ; er findet sich indessen auch bei sonst gesunden Personen , so dass
man eine Ursache gar nicht angeben kann. Er kommt häufiger auf dem
Lande als in Städten vor, und ist bei Weibern gewöhnlicher als bei Män-
nern ; unter den niedern Ständen ist er häufiger , als unter den höhern.
Ansteckend ist das Uebel nicht. — Unterscheidende Diagnose.
Der Lupus ist sehr leicht von der Gutta rosacea, der Elephantiasis,
den Syphiliden und einigen andern Krankheiten, die mit Tuberkeln oder
Geschwüren auftreten, zu unterscheiden. Die Röthe, der erythematöse
Ring, der die kleinen umschriebenen Verhärtungen, die nach den Pusteln
der Gutta rosacea zurückbleiben, umgiebt, unterscheiden die leztere
von den lividen schmerzlosen Tuberkeln des Lupus ; dieser zeigt nicht
die schwarzen Punkte auf der Spize der Knoten, wie die Gutta rosacea
und bei dieser tritt die Eiterung nur an der Spize der Knoten auf, und
findet sich bei ihr nicht die Neigung zur Verschwärung wie bei dem Lu-
pus. — Die Elephantiasis Graecorum zeigt eine allgemeine
hochgelbe Färbung der Haut , die beinahe eben so gefärbten Tuberkel
haben eine eigenthümliche Form und Stellung, stellen bucklige ungleiche
Geschwülste dar, die mehr über verschiedene Körpertheile zerstreu! sind,
und die Geschwüre sind mehr oberflächlich. — Die Scropheln ent-
wickeln sich nur bei scrophulöser Constitution, die Geschwüre haben ab-
gelöste Ränder etc. — Die syphilitischen Tuberkel sind volumi-
nöser , runder , haben eine kupferrothe Färbung, schuppen sich nicht ab
und kommen gewöhnlich nur bei älteren Personen vor; die syphilitischen
Geschwüre haben zackige, unterminirte Ränder ; der Lupus legt die Kno-
chen nur bloss, ohne sie selbst anzugreifen, während die syphilitische Ver-
schwärung auf sie übergreift. ■ — Die Tuberkel beim Hautkrebs sind
hart , oft schmerzhaft , entstehen bei Personen von vorgerücktem Alter,
gehen oft lange nicht in Verschwärung über ; meist ist nur ein Tuberkel
zugegen und die umliegenden Gefässe sind oft erweitert und varicös. —
Bei der Impetigo sind die Krusten gelb, vorspringend, runzelig und
nicht sehr festsizend. — Prognose. Die Vorhersagung ist immer
616 lupus.
ungewiss , die Krankheit ist sehr hartnäckig und langwierig, und selbst
im Falle der Heilung hinterlässt sie mehr oder minder grosse Zerstörun-
gen und entstellende Narben. So lange die Narben weich und bläulich
bleiben , man unter den Fingern ein der Fluctuation ähnliches Gefühl
empfindet und noch Tuberkel in der Umgebung vorhanden sind, hat man
immer einen neuen Aufbruch zu fürchten. — Behandlung. Man
trachte vor Allem die Säftemasse durch geeignete Mittel umzustimmen,
und ist dies erreicht worden , die fernere Entwicklung der Tuberkel zu
hindern oder die lupösen Theile zu zerstören. Bei scrophulösem Grund-
leiden hat H e b r a mit Ol. jecoris Aselli täglich 2 — 4 Löffel voll,
2 . — 8 Monate fortgebraucht, schöne Erfolge erzielt ; auch Käst rühmt
dieses Mittel in der Gabe von 1 — 8 Löffel voll täglich und von Woche
zu Woche um 1 Löffel voll steigend und in derselben Ordnung zurück-
gehend : Emery will nur bei sehr grossen Gaben (von 3 1/% bis 3 0 Un-
zen) von diesem Mittel Nuzen gesehen haben. Fuchs empfiehlt neben
dem Leberthran Jodkali, Jodeisen. Lezteres giebt auch Fricke: Rp.
Syrup. ferri j odati 3ij — iv, Aq. fönt, ^vj , Syr. sacch. ^jß.
M. D. S. 4 Mal täglich 1 Esslöffel voll: oder Rp. Kali hydrojod.
3j — ij solv. in Decoct. sarsap. (ex^j par.), ^viij, addeSyr.
sacch. gß. M. D. S. 4 Mal täglich 2 Esslöffel. Blasius giebt das
Jodquecksilber : Rp. Hydrarg. jodat. rubri subtil, triti gr. v,
Micae panis alb., Sacch. alb. pulv. ana q. s. ut f. pil. gr. ij.
Nr. 60. consp. lycopod. S. 2 Mal täglich 2 Pillen, eine Tasse Ha-
ferschleim nachzutrinken und später mit der Gabe allmälig zu steigen.
Auch Biett und Ray er empfehlen das Doppeljodür des Quecksilbers
zu 4/ig Gr. pro d o s i. Auch der lange fortgesezte Gebrauch der
Calcaria muriatica (5j in ^j Wasser gelöst und davon täglich
1 Esslöffel voll und alle 3 Tage um 1 Löffel gestiegen bis zu 6 — 10 Ess-
löffel voll täglich) wird gerühmt. Cazenave und Schedler empfeh-
len ausser der Calcaria muriatica das Schwefeleisen, das Ol. a n i-
male Dippelii anfangs zu 5 — 6 Tropfen und dann steigend , die
F o w 1 e r'sche Solution 3 — 4 Tropfen anfänglich und alle 8 Tage mit
3 — 4 Tropfen gestiegen bis zu 2 0 — 2 5 Tropfen täglich. Daneben
bittere Getränke, Bäder und strenge Diät. Ray er bedient sich eines
Pulvers aus kohlensaurem Eisen , China und Zimmt ; v. V e r i n g des
Sublimats. — Bei syphilitischem Lupus zeigen sich auch die Jodpräpa-
rate (da schon ein Quecksilbergebrauch vorausgegangen ist), hauptsäch-
lich aber das Z i 1 1 m a n n'sche Decoct nüzlich. — Dass eine kräftige
gute Kost, Aufenthalt in gesunder frischer Luft die Cur unterstüzen, ver-
steht sich von selbst. ■ — Neben der innern Behandlung hat man auch
äusserliche umstimmende Mittel, jedoch mit zweifelhaftem Erfolg, in An-
wendung gebracht. Als solche Mittel werden besonders gerühmt : Jod-
schwefel (Rp. Sulp hur. j odati gr. xviij, Adip. suill. ^j. M. f.
u n g t. S. zum Einreiben), Jodquecksilber (Rp. Jodati hydrargyrosi
LYMPHDRUESENKRANKHEITEN. ENTZUENDUNG. 617
5ß, Ungt. rosati ^j. M. f. ungt. Zum Einreiben, oderRp. Jod.
^ß — j, Ungt. niercur. ^j. M. f. ungt. Zum Einreiben; es bildet
sich hierbei einfaches und doppeltes Jodquecksilber), Bepinselung mit
reiner Jodtinktur, Jodeisen als Bad oder Waschwasser ; eine Lösung des
Jod in Glycerin (1 Theil Jod und 1 Theil Jodkali wird in 2 Theilen Gly-
cerin gelöst) , womit die geschwürige Stelle täglich bestrichen wird. —
Mehr darf man sich von der Zerstörung der lupösen Theile durch Aez-
mittel oder von dem Ausschneiden derselben versprechen ; lezteres ver-
dient, wo es die Localität zulässt, den Vorzug. Einzelne Tuberkel kann
man durch Aezmittel zerstören und ihrer weitern Verbreitung Schranken
sezen ; sollen dagegen geschwürige Stellen geazt werden , so müssen vor-
her die Schorfe abgeweicht und die Stellen nur partienweise nach und
nach geäzt werden. Die Anwendung des Höllensteins nach Hebra ist
zeitraubend und schmerzhaft. Eines der besten Aezmittel ist die Chlor-
zinkpaste und die L andolfi'sche Paste (s. Aezmittel), doch können
auch das C o s m e'sche oder H e 1 1 m u n d'sche Mittel (mit den nöthigen
Cautelen), die äzenden Quecksilberpräparate , der rothe Präcipitat , das
Hydrarg. bichlor. corros. (in der G r ä f e'schen Zusammensezung :
5ij mit Aq. destill, und Gummi mimosae ana ^j gemischt), eine
Lösung von Quecksilber (^j) in Salpetersäure (^ij), welche mit einem
Glaspinsel aufgetragen wird , und wenn die Eiterung ein gutes Ansehen
gewonnen hat, eine Paste von Hydrargyr. chlorid. 5jß, — bis-
sulph., Acid. arsenic. ana gr. v. in Anwendung gebracht werden.
V e i l's Behandlung des Lupus ist folgende : Nachdem die Krusten durch
die Cataplasmen abgeweicht sind, wird die Geschwürsfläche mit einer Lö-
sung von Chlorzink und Alcohol bestrichen und innerlich ausser einem
Decoctum Sassaparillae, Bardanae und Folio r. sennae
eine Mischung von Ol. jecor. Aselli und Tinct. jodii ^j in der Art
gereicht , dass die Kranken in der ersten Woche täglich 3 Esslöffel , in
der zweiten täglich 6 und so fort bis zu 12 Esslöffel des Tags nehmen.
Das Bestreichen der Geschwürsfläche mit der Chlorzinkauflösung muss
von Zeit zu Zeit wiederholt werden, und nach erfolgter Heilung ist noch
ein mehrmonatlicher Fortgebrauch des O 1. j e c o r. A s e 1 1 i, jedoch ohne
Zusaz von Jod, und ebenso der Fortgebrauch des Decocts zu empfehlen.
— Ist das Messer anwendbar, so kann die kranke Partie , wenn sie sehr
ausgedehnt ist, nach und nach weggenommen werden.
Lymphdrüsen , Krankheiten derselben. Unter diesen
Krankheiten ist Entzündung eine der häufigsten; doch werden die Lymph-
drüsen auch sehr oft der Siz von tuberculösen und krebsigen Ablagerun-
gen, so wie einer sarkomatösen Entartung.
Lymphdrüsenentzündung, Lymphadenitis. Diese Ent-
zündung wird viel häufiger beobachtet , als die Lymphgef ässentzündung
(S. Entzündung), trozdem dass die reizenden Stoffe , welche diese
618 LYMPHDRUESENKRANKIIEITEN. ENTZUENDUNG.
Entzündung bedingen können, die Lymphgefässe vorher passiren müssen.
Der Grund davon ist wohl darin zu suchen , dass diese krankmachenden
Stoffe mit den aus einem Convolut von Lymphgefässen bestehenden
Lymphdrüsen länger in Berührung bleiben, als mit den weiteren, frei ver-
laufenden Lymphgefässen. — Die Lymphdrüsenentzündung kann acut
oder chronisch verlaufen. — Symptome und Verlauf. Die acute
Entzündung beginnt mit Anschwellung, gelind spannendem, drückenden
Schmerz, der durch Druck auf die runden, beweglichen Geschwülste nur
wenig vermehrt wird ; die sie bedeckende Haut wird wärmer, zulezt heiss
und roth und in der Umgegend der Drüse entsteht Phlegmone ; damit
stellt sich auch eine grössere Schmerzhaftigkeit in der Tiefe und Empfind-
lichkeit beim Drucke ein ; zuweilen ist Fieber zugegen. Zwischen dem
6. und 15. Tage erweicht die Geschwulst und zwar stets an mehreren
Stellen zugleich. Die Haut erhebt sich endlich , verdünnt sich gewöhn-
lich an einer grösseren Stelle und wird an mehreren dicht neben einander
liegenden Punkten durchbohrt. Die Eiterung kann sich entweder auf die
Drüse beschränken oder es nimmt auch das umgebende Bindegewebe an
der purulenten Entzündung Theil, wodurch sich sehr grosse Eiteransamm-
lungen bilden können. Die Eiterung in der Drüse hat immer einen sehr
langsamen Verlauf. Es entstehen in ihr mehrere Eiterherde, welche zu-
lezt oft zu einem grossen , die ganze Ausdehnung der Drüse einnehmen-
den Abscesse zusammenfliessen, dessen unmittelbare Umhüllung die Kapsel
der Drüse ist. Sehr oft kommt es zur Eiterung in der Umgebung der
Drüse während in dieser selbst noch kein Eiter gebildet ist. Zertheilung
der Entzündung lässt sich erwarten , wenn die Entzündungsursachen nur
vorübergehend und nicht mit grosser Intensität einwirkten. Die ander-
weitigen Ausgänge der Entzündung sind Exsudatbildung und brandiges
Absterben ; lezterer Ausgang ist höchst selten. Ein fibrinöses Exsudat
hat Verhärtung zur Folge mit mehr oder weniger Vergrösserung der
Drüse. — Beim Uebergang in chronische Entzündung treten
wie bei der Zertheilung zunächst alle Krankheitserscheinungen zurück,
aber die Lymphdrüsen bleiben hart und angeschwollen. Auch die An-
schwellung der benachbarten Theile besteht in geringerem Grade fort.
— Ursachen. Zuweilen bestehen diese in einer äussern Gewalt,
Quetschung etc. ; in der bei Weitem grössten Mehrzahl der Fälle aber
liegt die Ursache in der Aufnahme von giftigen Stoffen , mag das Gift
von aussen in den Körper hineingeführt, oder in ihm erzeugt worden sein.
Zur erstem Art gehören das Leichengift , thierische Gifte (durch Stiche
oder Bisse giftiger oder erzürnter Thiere : Schlangen, Wespen, Bienen
etc.), die venerische Ansteckung etc. Zur zweiten Art Dyscrasien und
Cachexien (Krebs , Tuberkel , Scropheln , besonders scrophulöse Aus-
schläge). — Prognose. Sie richtet sich nach dem Grade und der
Verbreitung der Entzündung ; bei niedern Graden ist sie gut ; bei hefti-
geren stets bedenklich, da die entzündeten Lymphdrüsen durch ihre
LYMPHDRUESENKRANKHEITEN. HYPERTROPHIE. 619
Anschwellung benachbarte Organe in gefährlicher Weise eomprimiren
können, wie am Halse. Gehen sie in Eiterung über, so können sie, be-
sonders wenn die Drüse tief sizt, grosse Zerstörungen veranlassen ; endlich
kann sich die Entzündung auf innere Theile fortpflanzen , was stets mit
grosser Gefahr verbunden ist. — Behandlung. Vor allem sind die
Ursachen zu berücksichtigen. Des Weiteren muss die Zertheilung der
Imtzündung angestrebt werden , selbst da, wo die Resorption eines rei-
zenden contagiösen Stoffes dieselbe veranlasst hat, da durch einen andern
Ausgang die Aufnahme . der resorbirten Stoffe in die Blutmasse keines-
wegs verhindert wird. Es muss daher dem Grade und dem Character
der Entzündung gemäss antiphlogistisch verfahren werden. Gewöhnlich
reichen örtliche Blutentziehungen und lauwarme Umschläge, so wie später
Einreibungen der grauen Salbe zu diesem Behufe hin. Velpeau em-
pfiehlt das Auflegen eines Blasenpflasters statt der Blutentziehungen, be-
sonders bei schwächlichen Subjecten. Tritt die Entzündung später in
den Hintergrund und hat man es dann nur mehr mit dem gebildeten Ex-
sudat zu thun , so fügt man den Einreibungen der grauen Salbe den
innerlichen Gebrauch des Quecksilbers , besonders des Calomels hinzu.
Ist der Zustand mehr torpid, so haben Jodmittel, namentlich Jodkalium
innerlich und äusserlich den Vorzug. S. den Art. Verhärtung.
Geht die Entzündung in Eiterung über, so verfährt man wie es bei den
Abscessen angegeben ist; frühzeitige Einschnitte sind zu empfehlen. Bei
diesen Abscessen ist gewöhnlich die bedeckende Haut in grösserem Um-
fang abgelöst und unterminirt. Man muss suchen sie durch die Anwen-
dung von Reizmitteln zu beleben und zur Verwachsung mit den unterlie-
genden Theilen zu bringen; gelingt dies nicht, so trägt man sie mit der
Scheere ab und behandelt das zurückbleibende Geschwür seinem Character
gemäss.
Lymphdrüsenhypertrophie. Es ist hier nicht die Rede
von der acuten Intumescenz der Lymphdrüsen , wie sie bei der Mehrzahl
der acuten Blutkrankheiten auftritt, sondern von einer Anschwellung die-
ser Drüsen, bedingt durch eine Entartung derselben , welche in mancher
Hinsicht mit dem Krebse Aehnlichkeit hat, die sich aber bei der anatomi-
schen Untersuchung als eine sarkomatöse ausweist. Dieses Sarkom der
Lymphdrüsen stellt eine schmerzlose, ziemlich schnell wachsende
Geschwulst dar , die eine elastische Consistenz und nicht selten ein täu-
schendes Gefühl von Fluctuation zeigt. In ihrem Wachsthum verdrängt
sie die benachbarten Organe nicht blos, sonden dringt in sie ein, sie ist
daher nicht blos mechanisch nachtheilig , sondern wirkt auch zerstörend
auf ihre Umgebungen. Sie hat keine Neigung zur Eiterung und Abscess-
bildung , obgleich diese durch äussere Einflüsse , welche die erkrankte
Drüse in Entzündung versezen , herbeigeführt werden kann. — Die
Krankheit befällt gewöhnlich mehrere Lymphdrüsen , zuweilen fast alle
zugleich , dessen ungeachtet ist sie keineswegs ein Zeichen scrophulöser
620 LYMPHDRUESENKRANKHEITEN. — TUBERKULOSE.
Diathese, wie man häufig glaubt (daher auch der Name serophulöses Sar-
kom), da man sie eben so oft mit , als ohne dieselbe antrifft. — Be-
handlung. Man beseitigt die entarteten Drüsen am zweckmässigsten
durch Exstirpation.
Lymphdrüsenkrebs. In den Lymphdrüsen kommt der Krebs
sehr häufig, seltener als primitiver, meist als secundärer und als mark-
schwammige Infiltration in das Drüsengewebe vor. Primär und bisweilen
sehr rasch und massig entwickelt er sich vorzüglich in den Drüsen des
Plexus lumbalis (die sog. Retroperitionäalmassen Lobstein' s)
und in den Drüsen der Mediastinen ; secundär am häufigsten in den
Achsel-, Hals- und Leistendrüsen, überhaupt in Drüsen, welche ihre
Lymphgefässe von krebsig entarteten Theilen aufnehmen. — Die B e-
handlung besteht , wo es die Localität zulässt , hauptsächlich in der
Hinwegnahme der entarteten Drüse.
Lymphdrüsentuberkulose. Diese findet sich am häufigsten
an den Bronchial-, Gekrös- , Lumbar- und Halsdrüsen bei scrophulösen
Subjecten , besonders ist es aber die der leztern , die am meisten zur
Beobachtung kommt. — Die Entwicklung der Tuberkulose erfolgt unter
den Erscheinungen schleichender Entzündung ; die Lymphdrüsen vergrös-
sern sich nach allen Seiten hin gleichmässig und zugleich werden sie hart.
Die Zunahme des Volumens beruht auf der Ablagerung von Tuberkel-
masse in das Parenchym der Drüsen. Es kommen alle Modifikationen
der Tuberkelmasse vor ; meist nimmt sie bald ein gelbes käsiges. Ansehen
an und tritt an mehreren Stellen der Drüse zugleich auf. Mit der Zu-
nahme der Exsudation wird am Ende die ganze Drüse in Tuberkelmasse
umgewandelt , welche die Bindegewebshülle der Drüse wie eine Kapsel
umschliesst. Die gewöhnliche Folge ist dann Entzündung und Vereite-
rung ; in andern Fällen verkreidet die Tuberkelmasse und es bleibt eine
mehr oder weniger vergrösserte und verhärtete Drüse zurück, die ohne
weitere Beschwerde das ganze übrige Leben hindurch in diesem Zustande
bestehen kann. — Behandlung. Innerlich wurden mit zweifelhaf-
tem Erfolge viele Mittel versucht , unter welchen hauptsächlich Leber-
thran, Jod, Jodkalium, Jodquecksilber, Plummer'sche Pulver, Chlorba-
ryum, Salmiak zu nennen sind ; äusserlich hat man die verhärteten Drüsen
durch Quecksilber- und Jodsalben , Cicutapflaster, Cataplasmen , Blasen-
pflaster etc. zur Zertheilung zu bringen versucht. Behufs der Entleerung
der erweichten Masse kann man das Aezmittel (Chlorzink- oder Wiener
Aezpaste) anwenden, nachdem man die Erweichung durch Cataplasmen
und gelind reizende Pflaster , Empl. saponatum, Diachyl. com-
positum etc. befördert hat ; wo man , wie am Halse, hässliche Narben
zu vermeiden hat, greift man lieber zur Lancette und öffnet die Ge-
schwulst oder nimmt die Exstirpation vor. In lezterer "Absicht spaltet
man die Haut über der Drüse , öffnet die sie umgebende Bindegewebs-
MAGENSCHNITT.
621
kapsel, zieht die Drüse mit einer Hakenzange hervor und schält sie mit
dem Scalpellstiel heraus. Die Wunde lässt man durch Eiterung heilen.
Ebenso verfährt man bei verhärteten Drüsen. Leztere hat man auch
subcutan nach verschiedenen Richtungen hin mit einem kleinen schmalen
Messer zerrissen.
M.
Magenschnitt , Gastrotomia, Laparogastrotomia.
Man versteht hierunter die Durchschneidung der Bauchwand und der vor-
dem Wand des Magens, um entweder einen fremden Körper, der lebens-
gefährliche Zufälle erregt , aus der Höhle des leztern zu entfernen, oder
um bei Unwegsamkeit der Speiseröhre Nahrungsmittel direct in dieselbe
zu bringen. — Die Entfernung eines fremden Körpers aus dem Magen
auf dem genannten Wege lässt sich nur rechtfertigen, wenn derselbe deut-
lich durch die Bauchwandungen hindurchgefühlt wird; dadurch wird dann
auch die Stelle für die Incision bestimmt ; operirt man ohne Kenntniss
von der Lage des Körpers , so durchschneidet man die Bauchwand
l4/4 Zoll links neben der weissen Linie. Vor der Operation räth man,
den Magen mit einer indifferenten Flüssigkeit etwas anzufüllen, damit er
der Bauchwand näher gebracht werde. Der Bauchschnitt betrage 3 Zoll.
Man lässt die Wundränder mit stumpfen Haken aus einander halten,
führt den beölten linken Zeigefinger zur vordem Magenwand und unter-
sucht die Lage des fremden Körpers. An der am passendsten erschei-
nenden Stelle durchsticht man mit einem geraden spizen Bistouri die vor-
dere Magenwand und erweitert diese Oeffnung mit einem geknöpften
Bistouri auf einer Hohlsonde oder mit einer Kniescheere in der Richtung
der Bauchwunde oder nach der Längenachse des Magens, wobei man sich
hütet , den Schnitt in den Magen bis zur grossen oder kleinen Curvatur
zuführen, da hier die Art. coronariae verlaufen. Ist der Magen
sehr zusammengefallen , so fasst man ihn an der Incisionsstelle mit einer
Pincette in eine kleine Falte , schneidet diese ein und erweitert die
Wunde. Hatte der fremde Körper die vordere Magenwand schon durch-
bohrt und kann man ihn ohne Beleidigung des Magens nicht ausziehen,
so fixirt man ihn mit einer Zange und führt das geknöpfte Bistouri an
ihm in die Oeffnung, um diese hinreichend zu erweitern. — Auf dem in
der Magen wunde bleibenden Finger führt man eine gerade oder gekrümmte
Zange ein , sucht den fremden Körper in einem passenden Durchmesser
zu fassen und zieht ihn schonend aus. Man näht nun die Magenwunde
zu ( Serosa gegen Serosa ) , am besten wohl mit der Kürschnernaht
(S. Naht), in der Art, dass man beide Fadenenden nach aussen führt,
um die Verklebung der Magenwunde mit der Bauchwunde zu sichern.
622 MANDELN, KRANKHT. DERS. HYPERTROPHIE.
Die Bauchwunde vereinigt man durch Knopfnähte, welche nur die Muskeln
(nicht das Bauchfell) fassen. Ueber das Weitere s. d. Art. Bauchschnitt.
— Die Eröffnung des Magens behufs der Ernährung des Kranken wurde
verschiedene Mal, jedoch stets mit unglücklichem Erfolge vorgenommen.
S e d i 1 1 o t machte zuerst einen Kreuzschnitt unter dem Schwertknorpel ;
später schnitt er dicht unter den falschen Rippen, 2 Querfinger breit von
der Mittellinie nach links ein und F e n g e r führte den Schnitt von der
Spize des Brustbeins schräg nach unten und links , längs des Randes der
Rippenknorpel bis an den äussern Rand des geraden Bauchmuskels durch
die Bauchdecken. Nach Durchschneidung des Bauchfells wurde von dem
leztern Operateur der Magen aufgesucht, in die Wunde gezogen, die her-
vorgezogene Falte an beide Ränder der Bauchwunde genäht und die
Falte dann geöffnet. Der Tod erfolgte 5 8 Stunden nach der Operation,
wie man sagt, wesentlich in Folge des schon bestehenden Inanitions-
zustandes.
Malum COXae Senile, s. Hüftleiden der Greise.
Mandeln, Krankheiten derselben. Die häufigste an den
Mandeln auftretende Krankheit, die Entzündung (Amygdalitis, An-
gina tonsillaris), hat in dem Art. Bräune ihre Erledigung gefun-
den. Als Folgekrankheiten der Entzündung beobachtet man, ausser dem
Uebergang in Eiterung, eine Vergrösserung und Verhärtung der Mandeln.
Krebsige Entartung derselben kommt äusserst selten vor ; häufiger beob-
achtet man käsige oder kreidige Concretionen , Secretansammlungen in
den erweiterten Drüsenbälgen, und catarrhalische Geschwüre an den Ton-
sillen.
Hypertrophie der Mandeln. Diese Affection wird häufig
beobachtet und zwar meistens in Folge wiederholter acuter Entzündun-
gen, doch kommt sie auch ohne Entzündung (bei scrophulösen Subjecten)
vor und gibt dann häufig zu Anginen Veranlassung (Vi dal). In höheren
Graden erregt sie mancherlei Beschwerden, namentlich leidet das Schlin-
gen und die Sprache und die Kranken sind genöthigt, mit offenem Munde
zu schlafen, wobei sie laut schnarchen. — So lange das Uebel noch neu,
die Mandel noch nicht zu sehr verhärtet ist, kann man die Zertheilung
versuchen. Man bedient sich hierzu der Bepinselungen mit dem frisch
ausgepressten Safte des Chelidoniums , erst mit Rosenhonig , dann ohne
Zusaz, ferner der äusserlichen Einreibung von Ungt. mercuriale mit
Liniment, volatile, Jodsalbe , erweichender Cataplasmen bei Tag,
eines Halsbandes von Wachstaffet bei Nacht, daneben kann man Gurgel-
wasser von Schierling, Belladonna, Salmiak etc. gebrauchen lassen. Inner-
lich zieht man Schierling , Jod , Jodkalium , Calomel in Verbindung mit
Seife und Ableitungsmitteln in Gebrauch. Sehr hilfreich erweisen sich
Scarificationen (s. Bräune) und öfteres Ansezen von Blutegeln, so wie
methodische Cauterisationen mit Höllenstein , und zwar in concentrirter
MANDELN, KRANKHT. DERS. ABTRAGUNG. 623
Auflösung (513 auf ^j A q. d e s t i 1 1.) und in Substanz. — Gelingt die
Zertheilung der hypertrophischen Mandeln nicht , so nimmt man die Ab-
tragung derselben vor.
Die Abtragung der Mandeln, Tonsillotomia, Kio-
tomia, ist, wenn man sich, was auch gewöhnlich ausreicht, damit be-
gnügt, nur so viel von der Mandel wegzunehmen, als über das Niveau der
Gaumenbögen hervorragt , keine gefährliche Operation. Anders ist es,
wenn man die ganze Mandel wirklich exstirpiren wollte, da man dabei in
die nächste Nähe der Carotis interna geräth , deren Verlezung die
grösste Lebensgefahr herbeiführen würde. — Die Abtragung geschieht
am besten mit einem schmalen , stumpfspizigen oder geknöpften Messer
mit feststehender Klinge. Der Kranke sizt dem einfallenden Licht
gegenüber ; sein Kopf wird von einem Gehülfen unterstüzt ; zwischen die
Backzähne wird ein Stück Korkholz geschoben. Ein zweiter Gehülfe
drückt die Zunge mit einem Spatel nieder. Der Operateur sezt einen
Doppelhaken oder eine Muzeu x'sche Hakenzange in die hypertrophische
Mandel ein, hält sie mit der einen Hand, zieht sie vor, trennt mit der
andern mit sägeförmigen Zügen in der Richtung von unten nach oben
etwas über die halbe Basis der zu entfernenden Partie und vollendet dann
den Schnitt, indem er von dem obern Rande der Mandel aus in der Rich-
tung nach unten schneidet. Diese Art der Schnittführung sichert vor
der Verlezung des Zungengrundes oder des Gaumensegels. Nach Been-
digung des Schnitts wird das abgetragene Stück mit dem Fassungsinstru-
mente und zugleich auch das Messer aus der Mundhöhle entfernt , auch
das Korkstück zwischen den Zähnen hinweggenommen , worauf man den
Kranken ausspucken und den Mund mit kaltem Wasser ausspülen lässt.
— Zur Erleichterung der Operation, namentlich bei unruhigen Kranken,
sind besondere Apparate erfunden worden , welche die zum Fassen,
Fixiren und Absezen der Tonsillen bestimmten Vorrichtungen in einem
Instrumente vereinigen. Ein derartiges Instrument ist die von Velpeau,
L u e r und neuerlich von L i n h a r d verbesserte Fahnestock' sehe
Tonsillen-Guillotine , auch Kiotom genannt. Dieses Instrument besteht
aus einer , auf einem hölzernen Handgriff befestigten Röhre , an deren
Ende sich ein elliptischer Ring befindet , welcher hinreichend gross ist,
um die hypertrophische Mandel zu umfassen. In dieser Röhre bewegt
sich ein Stab , dessen vorderes Ende einen schneidenden Halbring trägt,
welcher in dem elliptischen Ring versteckt liegt und durch einen Zug
nach hinten zwischen den ihn umfassenden Platten der leztern hervor-
tritt, damit also die in diesem liegende Mandel durchschneidet. Ein an
dieser Vorrichtung angebrachter Spiess zieht die Mandel stark hervor. —
Die Blutung nach der Abtragung der Mandeln ist selten beträchtlich ;
meistens reicht es aus , wenn der Kranke eine Zeit lang kaltes Wasser
oder Eisstückchen in den Mund nimmt ; genügt dies nicht, so drückt man
Charpie mit Alaunlösung mittels einer Kornzange an den Schnitt ; sehr
624 MASTDARMKRANKHEITEN. — ERWEITERUNG.
selten wird die Cauterisation mit Höllenstein oder dem Glüheisen nöthig.
Nach einigen Tagen lässt man mit schleimigen Decocten gurgeln , und
tritt Eiterung in der Schnittwunde ein , so bepinselt man sie mit einer
Mischung aus Borax und Rosenhonig. Entstehen Wucherungen, so be-
tupft man sie mit Höllenstein oder selbst mit dem glühenden Eisen. —
Die Unterbindung der Mandeln steht der Abtragung durch den Schnitt
weit nach.
Steinige Concremente in den Mandeln bilden sich durch
Eindickung des Secrets, namentlich aus dem darin enthaltenen phosphor-
sauren und kohlensauren Kalk. Nicht selten sind sie von käsiger Be-
schaffenheit und erleiden eine solche Zersezung, flass sie einen üblen Ge-
ruch aus dem Munde bedingen. Sie erscheinen in den Mandeln als weisse
Flecke , deren Consistenz mit der Sonde leicht entdeckt wird und lassen
sich mit einer Kornzange ausziehen. Zuweilen finden sie sich in grosser
Anzahl vor, wo es dann gerathen ist, die ganze Mandel abzutragen. Ein-
zelne Steine werden zuweilen herai^sgeräuspert.
Verschwärungen an den Mandeln. Diese sind meist syphili-
tischer Natur und die Geschwüre haben dann , wie überall, scharf abge-
schnittene Ränder und einen grauen speckigen Grund. Neben der er-
forderlichen inneren Behandlung ist eine örtliche nöthig , bestehend in
Cauterisation mit Höllenstein in Substanz oder in dem Auftragen concen-
trirter Säuren.
Markschwamm, s. Krebs.
Mastdarm, Krankheiten desselben. Der Mastdarm, von
lockerem Zellgewebe (das nicht selten der Siz einer eiterigen Entzündung,
Periproctitis, ist), umgeben, wird von folgenden Uebeln heimge-
sucht : von polypösen Wucherungen , Verschwärungen der Schleimhaut ;
von Varicositäten der Hämorrhoidalgef ässe und vom Hämorrhoidalgeschwür ;
von Blutung ; vom Krebs ; von Verengerung und Erweiterung ; vom Vor-
falle ; von der Atresie ; von Hypertrophie des Sphincters ; von Fisteln und
von Fissura ani.
Mastdarmblut u ng, s. Blutung.
Mastdarm- und Aftererweiterung. Fast alle Krankheiten
des Afters und Mastdarms haben auf die Weite derselben einigen Ein-
fluss. Namentlich haben Verengerungen des Afters durch andauernde
Zurückhaltung der Faeces eine Erweiterung des Mastdarms zur Folge, so
bei Hämorrhoidalknoten und Prostatageschwülsten. Zur Erweiterung
führen auch vorausgegangene Invaginationen des Dickdarms in den Mast-
darm und häufig wiederkehrender Prolapsus der Mastdarmhäute. Gleich-
zeitige Erweiterung des Afters und des Mastdarms findet man nach län-
gere Zeit fortgeseztem widernatürlichen Coitus. — Die Beseitigung der
veranlassenden Ursachen trägt auch das Ihrige zur Beseitigung des frag-
lichen Leidens bei.
MASTDARMKRANKHEITEN. FISTEL. 625
Mastdarmfissuren, s. A f t e r f i s s u r e n.
Mastdarinfistel, Fistularecti s. ani. Mit diesem Namen
bezeichnet man jeden fistulösen eiternden Gang in der Nähe des Mast-
darms, mag er sich in diesen Darm öffnen oder nicht. — Man unterschei-
det vollständige Fisteln (Fistulae ani eompletae), die sich
in dem Darme und in der Haut öffnen, und unvollständige Fisteln
(F. ani incompletae), die ein blindes Ende haben ; diese zerfallen
wieder in unvollständige innere (aussen blinde) und in unvoll-
ständige äussere (innen blinde) Fisteln (F. ani incompletae
internae und externae). Die erstere Art nimmt ihren Ausgang
gewöhnlich von einer Mastdarm verschwärung, die zweite von einem tiefen
Perinaealabscesse. Die vollständige Mastdarm fistel hat mei-
stens eine einfache innere Oeffnung auf der Mastdarmschleimhaut, während
ihr äusseres Ende nicht selten mehrere Oeffnungen besizt , deren Gänge
unter verschiedenen Winkeln gegen die innere Oeffnung hin convergiren.
Am häufigsten befindet sich die äussere Oeffnung zur Seite des Afters,
selten hinter , noch seltener vor ihm. Der Fistelgang ist oft gewunden
oder sinuös, zuweilen auch winklig, sogar im Zickzack gebogen. Zuweilen
münden die Gänge in eine weite Höhle, welche durch die Entblössung des
Mastdarms durch die Eiterung entstanden ist. Die innere Oeffnung der
Fistel befindet sich fast immer im untersten Theile des Mastdarms , nahe
über dem Sphincter , und dies kann selbst der Fall sein , wenn man die
Sonde von der äussern Oeffnung auch zu einer beträchtlichen Höhe hin-
auf schieben kann. — Symptome und Diagnose. Meistens ergibt
sich, dass kürzere oder längere Zeit vor der Bildung des äussern Geschwürs
ein Abscess oder eine Entzündung und Ulceration eines Hämorrhoidal-
knotens oder eine Verlezung des Mastdarms von aussen her oder durch
einen fremden Körper stattgefunden hat. Bei der vollkommenen Fistel
kommt zuweilen, aber nicht immer, Koth oder Darmgas aus der äussern
Oeffnung hervor, meist sickert eine rothbraune, bisweilen blutige Flüssig-
keit, zuweilen auch graugelber Eiter aus. — Bei der innern blinden
Mastdarm fistel hat der Kranke Schmerzen in der Umgebung des
Mastdarms gehabt , die nach und nach einen klopfenden Charakter an-
nahmen. Es bestand eine Härte in der Umgebung des Afters und end-
lich kam eine grössere Menge Eiter aus dem Mastdarm hervor. Die Ex-
cremente waren von da ab mit Eiter gemischt ; ein Druck auf die Um-
gebung des Afters lässt noch eine gewisse Härte wahrnehmen. — Zur
Feststellung der Diagnose ist eine Untersuchung nothwendig. Man bringt
zu diesem Behufe den beölten linken Zeigefinger in den Mastdarm des
auf der Seite und vorwärtsgeneigt liegenden Kranken ein und sucht eine
innere Oeffnung zu entdecken , die sich manchmal durch eine kleine
schmerzhafte Erhöhung zu erkennen gibt. In diesem Fall hält es nicht
schwer, eine durch die äussere Fistelöffnung eingeführte Sonde in die in-
nere Mündung einzuleiten. Sehr oft stellt die innere Oeffnung aber eine
Burger Chirurgie. 40
t)26 MASTDARMKRANKHEITEN. — FISTEL.
breite, flache, eingerissene Spalte dar , die zuweilen nach oben hin unter-
minirt ist und so einen blinden Sack bildet, in welchen die untersuchende
Sonde sehr leicht gelangt. Hier kann der Finger die Oeffhung nicht
fühlen ; man muss alsdann die Sonde sanft in verschiedenen Eichtungen
einführen oder die Untersuchung mittels des Mastdarmspiegels zu Hülfe
nehmen. Auch Einsprizungen von Dinte oder andern farbigen Substan-
zen sind dann nüzlich ; nach der Einsprizung untersucht man , ob sie in
die Mastdarmhöhle eingedrungen sind. — Ursachen. Sie sind Ver-
lezungen durch fremde Körper , eiternde Hämorrhoidalknoten , Abscess-
bildungen, Versezungen, Eitersenkungen; oft sind diese Abscesse kritisch.
— Prognose. Die Mastdarmfistel ist im Allgemeinen keine gefähr-
liche Krankheit ; jedoch gibt es Fälle , wo die Eiterung so beträchtlich
wird, dass sie die Kräfte des Kranken herunterbringt. Immer ist diese
Fistel aber ein lästiges und meist schmerzhaftes Uebel. Die leichtere
oder schwierigere Heilbarkeit derselben hängt von ihrer Zahl , Richtung,
Dauer, Siz, Complicationen und Ursachen ab. Sind sie zu habituell ab-
sondernden Organen geworden, so muss dies bei der Heilung berücksich-
tigt und , wenn man sich zur Operation entschliesst , einige Tage vorher
ein Fontanell gesezt werden. Spontane Heilungen kommen äusserst sel-
ten vor. — Behandlung. Diese besteht in der Trennung der Theile,
welche zwischen dem Gange und der Höhle des Mastdarms liegen , mit
Inbegriff der Darmwand und des Randes der Afteröffnung. Zur Errei-
chung dieses Zwecks gibt es drei Methoden : die Spaltung mit dem
Messer, die Ligatur und die C auteri s ation. — 1) Die Spal-
tung oder die Operation durch den Schnitt passt besonders bei
nicht zu alten Fisteln, bei niederem Stande der innern Oeflfnung, bei vom
After entfernt liegender äusserer Oeffnung und bei mehrästigen Fisteln.
— Behufs der Operation wird der Kranke, nachdem sein Mastdarm durch
ein Klystier gereinigt und die Stelle der Fistel von Haaren befreit ist, in
die Lage, wie zur Application eines Klystiers gebracht. Man untersucht
nun zunächst den Fistelgang in der oben angegebenen Weise noch ein-
mal genau und führt, wenn man die innere OefFnung deutlich erkannt hat,
statt der Sonde ein schmales geknöpftes Bistouri durch den Fistelgang,
bis sein Knopf die Volarfläche des in den Mastdarm eingeführten Zeige-
fingers berührt. Finger und Messer werden nun fest gegen einander ge-
drückt, so dass sie ein Ganzes darstellen und in dieser Stellung schnell
ausgezogen, so dass also Alles, was zwischen dem Finger und Messer liegt
mit einem Zuge getrennt wird. Hat man aber mit der Sonde keinen
Durchgang in den Mastdarm entdeckt , so bringt man statt des Fingers
ein schmales hölzernes Gorgeret in den Mastdarm, schiebt ein schmales
spiziges Bistouri in den Fistelgang und durchbohrt die Mastdarmwand im
obersten Punkt, so dass die Spize des Messers in die Rinne des Gorgerets
trifft und durchschneidet alle Theile wie oben , indem man beide Instru-
mente gegen einander gedrückt auszieht. Man kann auch in beiden
MASTDARMKRANKHEITEN. FISTEL. 627
Fallen, wenn das Einführen des Messers schwierig erscheint , statt seiner
eine biegsame Hohlsonde durch den Fistelgang einführen und gegen die
Rinne des in den Mastdarm gebrachten Gorgerets anstüzen. Während
nun der Operateur den Griff der Hohlsonde einem Gehülfen übergibt und
er das Gorgeret selbst hält , schiebt er auf der Hohlsonde ein spizes Bi-
stouri, die Schneide dem Gorgeret zugewendet , schnell vorwärts , bis die
Spize das Gorgeret berührt , wobei zugleich Alles , was zwischen Sonde
und Gorgeret liegt, durchschnitten sein muss. — Eine incomplete innere
Fistel verwandelt man erst in eine complete , indem man den äusserlich
durch Fluctuation , Härte oder Missfarbigkeit sich kundgebenden Grund
mit einer breiten Lancette ansticht. Liegt die innere Fistelöffnung nur
so hoch , dass sie beim Drängen äusserlich sichtbar wird , so kann man
eine stark gebogene Hohlsonde in sie bringen und sie auf dieser spalten.
Weitere Fistelgänge spaltet man blos bis an die äussere Wand des Mast-
darms. — Nach vollführtem Schnitte fühlt man mit dem Finger nach,
ob die Fistel nicht einen weiter aufwärts sich erstreckenden Blindsack be-
sizt, der sofort mit einer auf dem linken Zeigefinger einzuführenden
stumpfspizigen Scheere zu trennen ist. — Die Blutung ist selten bedeu-
tend , sie kann durch kaltes Wasser oder im Nothfalle durch die Tampo-
nade gestillt werden , wobei aber nicht zu versäumen ist , die Charpie-
kugeln hoch genug zu legen, damit das Blut nicht aufwärts in die Darm-
höhle sich ergiessen kann. — In die Wunde bringt man bis zu ihrem
höchsten Punkte entweder einen ausgefaserten und beölten Leinwand-
streifen oder ein Bourdonnet ein, auf diese legt man lose Charpie, welche
man mit Heftpflasterstreifen befestigt, bedeckt sie mit einer Compresse
und hält sie schliesslich mit einer T Binde fest. Man lässt den Kran-
ken eine bequeme und ruhige Seitenlage beobachten, gibt ihm ein Opiat,
um wo möglich für 4 8 Stunden Stuhlgang zu verhüten und erneuert den
Vei-band, so oft Stuhlgang erfolgt ist, nachdem man jedesmal die Wunde
durch Einsprizen von lauem Wasser gereinigt, auch wohl ein Klystier ge-
geben hat. Die Heilung erfolgt in 14 Tagen bis 3 Wochen. — 2) Die
Unterbindung (Apolynosis) findet ihre Anwendung besonders bei
hochgehenden Fisteln , so wie bei alten Fisteln , bei denen eine schnelle
Heilung nicht wünschenswerth ist, endlich bei der Anwesenheit sehr er-
weiterter Hämorrhoidalgefässe. Der Kranke wird in dieselbe Stellung
wie beim Schnitt gebracht. Zur Unterbindung wählt man am besten
mehrfach zusammengelegte hänfene oder seidene Faden , welche man an
das Ende einer Darmsaite oder an das" Oehr einer kleineren Sonde be-
festigt. Sehr zweckmässig ist auch ein silberner Draht. Bei der com-
pleten Fistel führt man den beölten Zeigefinger oder, wenn die in-
nere Mündung sehr hoch liegt , das Gorgeret bis über leztere in den
Darm , schiebt die Bleisonde oder die vorn abgerundete Darmsaite durch
die Fistel , bis sie , an dem Finger oder dem Gorgeret abgleitend , zum
After heraustritt ; geht die Sonde oder Saite nach oben , so leitet man sie
40*
628 MASTDARMKRANKHEITEN. — KREBS.
mit dem Finger oder einer Kornzange aus dem After hervor. Man zieht
sie nun ganz heraus und damit den an ihnen befestigten Faden nach, wor-
auf man die beiden Enden des leztern mit einem einfachen Knoten und
einer Schleife in dem Grade zusammenbindet , dass der Kranke einen
massigen Druck, aber keinen Schmerz empfindet. Bei der innen blinden
Fistel durchbohrt man die Darmwand mit dem Stilet eines etwas gekrümm-
ten Troicarts , welches man gegen die Rinne eines in den Darm einge-
führten Gorgerets drückt. Nachdem dies geschehen , schiebt man die
Canüle des Troicarts bis an das Gorgeret vor, das Stilet aber aus, worauf
man schliesslich durch die Canüle mit der Darmsaite oder Bleisonde wie
oben angegeben verfährt und dann Gorgeret und Canüle auszieht. — Die
aussen blinde Fistel macht man , wie es beim Schnitte angegeben ist , zu-
vor zu einer completen. Chassaignac benüzt zur Unterbindung der
Mastdarmfistel seinen Ecraseur (s. Abbinden), indem er zuerst einen
Faden und mit Hülfe dessen die Kette des Instruments einzieht. — Ver-
band ist bei der Unterbindung nicht nöthig. Das stärkere Zusammen-
schnüren geschieht erst nach 4 — 5 Tagen ; wenn die Ligatur anfängt ein-
zuschneiden, so zieht man sie allmälig fester an, und fährt damit so lange
fort , bis der Faden durchgeschnitten hat , womit auch die Fistel geheilt
ist, indem der Granulations- und Vernarbungsprocess hinter der trennen-
den Ligatur stetig fortschreitet. Wird der Faden mürbe , ehe er durch-
geschnitten hat, so zieht man einen neuen ein. Da die Haut dem Durch-
schneiden des Fadens am längsten widersteht, so kann man durch Trennen
derselben mit dem Messer die Operation sehr beschleunigen. — 3-) Cau-
terisation. Das früher gebräuchliche Aezen und Ausbrennen der
Fisteln wurde auch bei den Mastdarmfisteln häufig geübt, ist aber gegen-
wärtig ganz ausser Gebrauch. Dagegen gewährt die in neuester Zeit auf-
getauchte galvanocaustische Methode (s. Electrotherapie) viele
Vortheile , indem der glühende Platindraht in der Form der Schneide-
schlinge die gefassten Theile mit einem Zuge trennt. — Mastdarm-
scheidenfistel s. Scheidenfisteln.
Mastdarm krebs, Carcinoma recti, kommt primär und
secundär vor ; der primäre kann überall am Mastdarm auftreten , vorzugs-
weise hat er aber seinen Siz am obersten und untersten Ende desselben.
Die krebsige Entartung geht allmälig auf benachbarte Organe, namentlich
die Blase und die Vagina über. Er tritt entweder als ringförmiger Faser-
krebs oder als verbreitete höckerige Scirrhescenz des submucösen Zell-
stoffs , bisweilen mit weichen , leicht blutenden, medullären Fungositäten
besezt, oder als Zottenkrebs, in Gestalt eines breit oder gestielt aufsizen-
den Schwamms, oder endlich als markschwammige Infiltration in die Häute
auf. Am häufigsten scheinen die epitheliale und colloide Form des Kreb-
ses vorzukommen. — Der secundäre Krebs ist die Folge des Krebses der
Blase und Vagina. — Symptome. Diese sind: ein unbehagliches Ge-
fühl und ein beständiger Drang zum Stuhle, vermehrte Wärme, Brennen,
MASTDARMKRANKHEITEN. — KREBS. 629
flüchtige Stiche, Druck und Schwere im After und Kreuzbeine, besonders
beim Stuhlgange, der immer schmerzhafter und beschwerlicher wird ; der
Koth ist dünn , platt oder kugelig , mit grossen Mengen dünnflüssigen
Schleims vermischt , manchmal nicht verändert. Dabei sind Blähungen,
Aufgetriebenheit des Unterleibs , Verdauungsbeschwerden , Druck in der
Magengegend, Aufstossen, Neigung zum Erbrechen, Blasenkrampf zugegen.
Im weiteren Verlaufe des Uebels geht gar kein Koth mehr ab, bloss schar-
fer Darmschleim, oder nach Abführmitteln gelbliches Wasser. Mit dem
Eintritt der Ulceration verschlimmern sich alle Zufälle , der brennende
Schmerz im Mastdarm und der Drang zum Stuhlgang lassen selten mehr
nach , es findet ein beständiger Abgang einer scharfen blutigen , höchst
stinkenden Flüssigkeit statt ; es stellen sich oft bedeutende Blutungen ein,
es entstehen durch Perforation des Mastdarms Kothabscesse in der Um-
gebung des Afters ; Fieberanfälle und Convulsionen bei jeder Stuhlent-
leerung, Erbrechen, selbst kothiges , Schlaf losigkeit , grosse Schwäche,
hectisches Fieber etc. führen den Tod allmälig herbei. — Die Dia-
gnose des Mastdarmkrebses kann nur durch eine genaue Untersuchung
mit dem Finger oder bei hohem Size des Uebels mittels Sonden einiger-
massen sichergestellt werden. Auch der Mastdarmspiegel und Injectionen
können zu diesem Zwecke benüzt werden. Behufs der gewöhnlich schmerz-
haften Untersuchung lässt man den Kranken vornübergebeugt mit dem
Rumpf auf einen Tisch oder einen Stuhl gestüzt stehen oder in ähnlicher
Stellung liegen. Der beölte Zeigefinger wird langsam ein- und allmälig
möglichst hoch hinaufgeführt, wobei er ringsum die Mastdarmwände be-
tastet. Man lässt den Kranken drängen , damit die obern Theile des
Mastdarms möglichst tief hinabgepresst werden, und führt den Finger so
stark aufwärts , dass man einen Theil des Perinaeums mit emjforschiebt.
In den. früheren Perioden der Krankheit findet man den Sphincter krampf-
haft zusammengezogen , den Mastdarm heiss , enge , hart, knorpelig, die
Schleimhaut meist glatt ; die Verengerung ist bald ring - , bald polypen-
artig ,1 — 2 Zoll über dem Sphincter. Nach eingetretener Ulceration
zeigt sich die Schleimhaut aufgelockert , schwammig , mit Excrescenzen,
Rissen und Geschwüren besezt , die sehr leicht bluten. Zur Vervollstän-
digung der Diagnose ist es unerlässlich, bei Frauen die Vagina, bei Män-
nern die Harnblase zu untersuchen , um sich vor Verwechslungen mit
Krankheiten des Uterus und der Harnwege sicher zu stellen. Weitere
Krankheiten , die zu Irrthümern Veranlassung geben können , sind : Hä-
morrhoidalknoten, namentlich wenn sie entzündet, verhärtet, ulcerirt sind,
Polypen, chronische Entzündungen der Mastdarmwände, syphilitische
Verhärtungen, krampfhafte Contractur des Sphincters mit oder ohne Fis-
sur. — Ursachen. Diese sind so gut wie unbekannt. Eine Anlage
zu diesem Leiden findet sich im mittleren Alter, besonders beim weiblichen
Geschlecht in den klimacterischen Jahren und bei Unterleibsplethora.
Als Gelegenheitsursachen führt man an : Reizungen des Mastdarms durch
630 MASTDARMKRANKHEITEN. — KREBS.
Stuhlzäpfchen , Päderastie , fremde Körper, Aloetica ; Unterdrückung der
Menstruation, der Hämorrhoiden, Metastasen von Gicht, Herpes, Tripper.
— Be1 andlung. Sie ist entweder eine palliative oder radicale. Die
erste stellt sich die Aufgabe, die Schmerzen zu lindern und die Entlee-
rung der Fäces zu erleichtern. In ersterer Absicht gibt man kalte Nar-
cotica, das Extr. cicutae, hyoscyami, lactuc. sat. , bella-
donnae, Aq. laurocerasi, Morphium, gebraucht Bäder ; auch Sup-
positoria und Klystiere von narcotischen Stoffen erweisen sich hülfreich.
Die Stuhlausleerungen befördert, man durch milde Mittel , z. B. Molken,
Buttermilch , Tamarinden , Manna, Ol. ricini, Oelinjectionen ; congestive
Zustände beseitigt man durch die zeitweise Application von Blutegeln um
den After , Sinapismen und Vesicatorien an die Oberschenkel. Zur Be-
seitigung der schmerzhaften Contractionen des Afters oder der Verenge-
rung des Mastdarms wendet man die Einschneidung des Sphincter ani,
die Compression mit dicken gelben Wachskerzen , mit Bourdonnets , die
mit narcotischen Substanzen bestrichen werden, die Cauterisation etc. an.
Prominirende Geschwülste entfernt man durch Zerquetschen, Ausreissen,
Abbinden , Abschneiden und die Cauterisation. Die lezteren Verfahren
wurden nicht selten in der Hoffnung auf radicale Erfolge unternommen,
diese können aber nur von der vollständigen Entfernung des Mutterbodens
des Carcinoma, also von der partiellen oder totalen Exstirpation des
Mastdarms, je nach der Ausdehnung des Leidens, erwartet werden,
wobei aber, wie beim Krebse anderer Organe, die Wiederkehr des Uebels
am Mastdarm oder andern Orten nicht ausgeschlossen ist. Lisfranc
stellt folgende Bedingungen für die Zulässigkeit der Exstirpation des
carcinomatösen Mastdarms auf: 1) man muss mit dem Zeigefinger über
die obere Grenze des Carcinoms hinausgehen können, 2) die Dicke des
Carcinoms muss nicht über die Wandungen des Mastdarms hinausgehen,
so dass derselbe noch beweglich ist und sich herabziehen lässt. ■ — Die
bei dieser Operation zu verlezenden Arterien sind : die A. haemor-
rhoidalis, der oberflächlichste Ast der Pudenda int., die A. trans-
versa perinaei, haemorrh. media und die Endäste der hae-
morrh. superior; ihre Blutung lässt sich jedoch beherrschen. Bei
der Operation befindet sich der Kranke in der Seitenlage mit halbgebeug-
ten Schenkeln; Harnblase und Darm werden vorher entleert. Lisfranc
umschneidet den After mit zwei halbmondförmigen Schnitten, deren Ent-
fernung von ihm nach der Ausdehnung des Carcinoms wechselt , dringt
von diesen Einschnitten aus in schräger Richtung gegen den Mastdarm
vor, bis er denselben rings herum blossgelegt hat , führt dann den linken
Zeigefinger in den Mastdarm ein, krümmt ihn hakenförmig, zieht den er-
krankten Theil vor und stülpt ihn nach aussen um. Die Exstirpation
wird hierauf mit dem Messer oder der Scheere vollendet. Man schont
dabei von dem Sphincter ani externus, was möglich ist, wovon
später die Zurückhaltung der Fäces abhängt. Nimmt der Krebs die
MASTDARMKRANKHEITEN. KREBS. 631
ganze Dicke der Mastdarmwand ein und erstreckt er sich auch hoher
hinauf, so spaltet man , nachdem der Mastdarm auf die oben angegebene
Weise ringsherum abgelöst ist , die hintere Wand desselben mit einer
starken Scheere bis über die Grenze der Entartung hinaus , zieht ihn mit
Haken möglichst stark herab und sezt die Operation von der hintern
Mastdarmwand gegen die vordere fort , indem man die carcinomatösen
Theile von den gesunden bald mit dem Messer , bald mit der Scheere
trennt. Während der ganzen Operation müssen die sprizenden Arterien
stets unmittelbar nach ihrer Verlezung unterbunden werden , um sich im-
mer eine freie Ansicht des Operationsfeldes zu erhalten. Bei Weibern
wird , wenn man zur Exstirpation der vordem Mastdarmwand schreitet,
1 oder 2 Finger in die Vagina eingeführt , um dieselbe vor einer Ver-
lezung zu bewahren. — Velpeau spaltet bei einem kreisförmigen und
etwa einem Zoll hohen Krebse die hintere Wand, zieht darauf den Mast-
darm mit Haken so weit abwärts, dass der carcinomatöse Theil ausserhalb
des Afters liegt und führt hierauf 2 — 2i/2 Linien oberhalb der Grenze
des Carcinoms rings herum eine Reihe von Faden mit einer starken Nadel
durch den Mastdarm ein und oberhalb (hinter der Krebsgeschwulst hin-
weg) durch die äussere Haut am Damm wieder heraus. Der carcinoma-
töse Ring wird nun durch einen im gesunden Gewebe geführten Schnitt
entfernt und die Fäden zu Nähten geknotet , so dass das nunmehrige un-
tere Ende des Mastdarms an den ringförmigen Wundrand der äussern
Haut geheftet ist. Bei einem höher sich erstreckenden Krebse soll nach
der Lisfranc'schen Methode verfahren, nach dem Hervorziehendes
entarteten Theiis sollen die Fäden eingezogen und nach Abtragung des-
selben zusammengeknotet werden. — Nach Dieffenbach wird bei ge-
sundem Sphincter und Unversehrtheit der ihn bedeckenden Haut der
After in der Richtung gegen die Steissbeinspize und nöthigenfalls auch
nach vorn eingeschnitten , der Mastdarm herabgezogen und ausgeschält,
was bis zu einer Höhe von 2 Zoll möglich ist. Die äussere Wunde wird
durch Nähte vereinigt. Die krebsige Partie kann auch, nachdem man sie
gestielt hat, mit dem Ecraseur abgequetscht werden (s. Abbinden. —
Verband und Nachbehandlung. Man stillt die Blutung durch
Einsprizen von kaltem WTasser , durch Andrücken eines in kaltes Wasser
getauchten Schwamms, oder wenn eine blutende Arterie nicht unterbunden
werden kann , mit dem Glüheisen , worauf man noch einmal genau nach-
sieht, ob alles Erkrankte entfernt ist. Anfangs wird die Wunde nur ein-
fach durch Charpie , Compresse und T-Binde gedeckt ; sobald sie aber
nach Ablauf einiger Tage anfängt, sich zu contrahiren, so bringt man eine
dicke, mit Bleisalbe bestrichene Wieke, zur Zeit der Vernarbung Röhren
von Blei, Zinn, Hörn , Guttapercha ein. Bei Frauen muss man , um den
Harn von der Wunde abzuhalten, die Blase durch den Catheter entleeren.
Bei der WTunde ist die grösste Reinlichkeit zu beobachten ; ihre Eiterung
ist anfangs copiös, übel aussehend, sehr bald bessert sich aber die Secre-
632 MASTDARMKRANKHEITEN. — POLYPEN.
tion von selbst und man hat nur hauptsächlich auf Verhütung von Eiter-
senkungen zu achten, weswegen der Verband täglich 2 — 3 Mal erneuert
werden muss. Ueble Ereignisse, welche eintreten können, sind :
Verlezung des Bauchfells und Peritonitis , Entzündung und Eiterung des
Zellgewebes im Becken, Pyämie, nervöse Erscheinungen, wie Kolikschmer-
zen, Aufstossen , Uebelkeit, Erbrechen, Drängen zum Stuhlgang, Drang
zum Harnlassen mit heftigen Blasenschmerzen. — Würdigung der
Exstirpation des Mastdarms. Die Hinwegnahme des untern
Theils des Mastdarms mit Erhaltung des Sphincter ani ist eine ziem-
lich dankbare Operation , indem sie nicht allein augenblicklich alle Be-
schwerden hebt, sondern auch nicht selten zur dauernden Heilung führt.
Nicht so verhält es sich bei der Entfernung grösserer Partien des Mast-
darms ; diese Operation ist nicht allein gefährlich , sondern auch häufig
in ihrem Erfolge nicht befriedigend. Abgesehen davon , dass es selten
gelingt, alles Krankhafte zu entfernen, so dass Recidive in sicherer Aus-
sieht stehen, so bleibt fast immer eine bedeutende Verengerung des Darms
zurück und wenn der ganze Sphincter mit entfernt werden musste, so ist
eine In content ia alvi die gewöhnliche Folge. Troz allem Diesen
bleibt die Operation immer noch ein willkommenes Mittel bei einer Krank-
heit , gegen welche wir kein anderes Mittel besizen , die vielmehr unter
grossen Qualen zum Tode führt. — Unter Umständen kann die Anlegung
eines künstlichen Afters nöthig werden.
Mastdarmpolypen sind selten und treten als fibröse und
Schleimpolypen auf. Sie sind meistens lang gestielt und wurzeln 1 bis
2 Zoll über der Mastdarmöffnung. Sie erregen troz ihrer Kleinheit viele
Beschwerden beim Stuhlgange, werden mit demselben hervorgedrängt und
bekommen dadurch bei längerem Bestehen einen langgezogenen Stiel.
Alle Polypen des Mastdarms sind sehr gef ässreich und können deshalb
auch im Beginne ihrer Entwicklung leicht mit Hämorrhoidalknoten ver-
wechselt werden, deren subjective Symptome sie gleichfalls hervorrufen
können. Bei weiterem Wachsthum lassen sie sich bei der Untersuchung
mit dem Finger an ihrer Gestalt und grösseren Festigkeit leicht erkennen.
Die Fäces erhalten durch den Eindruck des Polypen eine Furche. Die
Polypen kommen bald einzeln, bald in Mehrzahl vor. Sie sind meistens
nur den Kindern eigen. — Behandlung. Man entfernt die Mast-
darmpolypen durch Abschneiden oder Abbinden. Man lässt sie hervor-
drängen , fasst sie mit einer Pincette oder Zange , zieht sie noch mehr
hervor, umschlingt sie mit einer Ligatur und wartet nun entweder ihr Ab-
fallen ab , oder schneidet sie mit einem Bistouri oder einer Scheere weg.
Dies kann auch direct ohne Besorgniss vor einer beunruhigenden Blutung
geschehen. Chassaignac quetscht sie mit dem Ecraseur ab (s.
Abbinden). Selbst sehr hoch wurzelnde Polypen lassen sich durch
wiederholtes Ziehen der Afteröffnung nähern ; zur Unterbindung solcher
MASTDARMKRANKHEITEN. VERENGERUNG. 633
wählt man eines der für die Gebärrnutterpolypen angegebenen Instru-
mente.
Mastdarmverengerung, Strictura recti, kommt ange-
boren und erworben vor ; meistens ist lezteres der Fall. Im ersten Falle
zeigt sie sich ohne Texturveränderung, während sie im lezteren durch
eine krampfhafte Zusammenschnürung des Schliessmuskels des Afters (s.
Afterfissur) oder durch Verdickung, Anschwellung, Entartung der
Schleimhaut oder durch Narbencontractionen der Mastdarmwände oder
endlich durch Entwicklung von Geschwülsten im Mastdarm selbst oder
in seiner Nachbarschaft gebildet werden. — Die Veränderungen , welche
die Häute des Dickdarms erleiden können, sind höchst verschieden ; theils
sind sie Folgen einer chronischen Entzündung und durchlaufen alle Grade
der interstitiellen Ausschwizung bis zur knorpeligen oder knöchernen Ver-
härtung , theils sind es Wucherungen im Körper verborgener Dyscrasien,
woraus alle Arten von Geschwülsten von der Balggeschwulst bis zum
Krebse hervorgehen können. — Die Verengerung kann in sehr verschie-
dener Höhe ihren Siz haben. Am häufigsten findet sie sich den Stellen
der Sphincteren entsprechend , also entweder in der Afteröffnung selbst'
oder dicht darüber an der Grenze zwischen Mastdarm und F 1 e x u r a
sigmoidea. Sehr häufig besteht die Verengerung in grosser Ausdeh-
nung oder an mehreren Stellen zugleich in Folge einer Entwicklung von
Geschwülsten. Alsdann ist auch gewöhnlich die Richtung des Darm-
rohrs verändert. — Symptome undDiagnose. Es macht sich ein
Jucken , Stechen oder Brennen im Mastdarme bemerklich , welchem bald
Schwere und Druck im Becken , Völle und Spannung im Unterleibe mit
Verstopfung oder Durchfall , wohl auch ziehende Schmerzen im Kreuze
und in den Lenden folgen. Die Stuhlausleerungen werden seltener, sind
mit Beschwerden verbunden und der ausgeleerte Koth besteht in dünneren
Cy lindern als gewöhnlich. Mit der Zunahme der Strictur werden die
Ausleerungen immer dünner , platter und nehmen zulezt die Form eines
schmalen Bandes oder einer dünnen Schnur an ; damit vermehren sich die
Schmerzen, und zuweilen treten Ohnmächten und Convulsionen ein. Je
mehr durch die Enge der Strictur die Fäces zurückgehalten und über ihr
angesammelt werden , desto mehr wird der über ihr liegende Darmtheil
ausgedehnt, desto mehr nimmt der ganze Darmkanal und selbst der ganze
Organismus Antheil an dem örtlichen Leiden. Es entsteht schmerzhafte
Auftreibung des Unterleibs, Mangel an Appetit, saures Aufstossen, Ekel,
Uebelkeiten , Erbrechen selbst von Koth. Der Kranke magert dabei ab,
wird cachektisch und ein lentescirendes Fieber todtet ihn langsam , wenn
nicht eine Perforation des Darms und Ergiessung seines Inhalts in die
Bauchhöhle , oder Brand desselben ein schnelles Ende herbeiführt ; zu-
weilen kommt es zur Bildung von Kothfisteln. Hat die Strictur ihren
Siz hoch oben, so häufen sich , so lange dieselbe noch permeabel ist , die
sie passirenden Excremente unter ihr von Neuem an, und werden dann spä-
634 MASTDARMKRANKHEITEX. VERENGERUNG.
ter natürlich geformt ausgeleert. — Zur Sicherung der Diagnose ist eine
örtliche Untersuchung nöthig, wozu man sich am besten des Zeigefingers,
oder wo die verengte Stelle mit diesem nicht zu erreichen ist , der Bou-
gies, des Wachsstocks, oder einer mit Modellirwachs umgebenen Sonde
bedient, mit welcher lezteren man sich zugleich einen Abdruck der Struc-
tur verschaffen kann. — Ursachen. Diese sind Reizungen des Mast-
darms durch harte Fäces , Obstkerne , Gallensteine, Würmer, Päderastie,
Versezungen von Hautkrankheiten , Unterdrückung gewohnter Ausleerun-
gen, Syphilis. — Prognose. Diese wird am meisten von der Natur
der Entartung bestimmt ; einfache, gutartige Verhärtung , Ausschwizung
nach Entzündung gewährt die Hoffnung einer dauernden Herstellung ;
weniger ist dies der Fall bei Narbencontractionen , welche immer wieder-
kehren , so wie bei schwammigen , sarkomatösen Wucherungen und noch
weniger bei scirrhöser Entartung der Darmschleimhaut. — Behand-
lung. Diese besteht zunächst in der Entfernung der dem Leiden zu
Grunde liegenden allgemeinen Krankheiten und dann in der Beseitigung
der entarteten Theile im Mastdarme. Die erste erfordert den Gebrauch
der dem Allgemeinleiden entsprechenden innern Mittel, daher Antisyphi-
litica , Mittel , welche auf die Haut, gegen Hämorrhoiden wirken , Ablei-
tungsmittel etc. — Zur Beseitigung der Verengerungen als solcher wendet
man die Excision, Incision , die allmälige Ausdehnung und die Cauterisa-
tion an. Die Excision kommt beiExcrescenzen der Mastdarmschleim-
haut in Anwendung, indem man die nicht hochsizenden Auswüchse durch
Drängen aus dem After hervorpressen lässt, sie mit einer Zange oder einer
durchgezogenen Fadenschlinge fixirt und dann an der Basis mit horizon-
tal geführtem Messer abträgt ; die höher liegenden behandelt man durch
Druck, und weiter gehende Entartungen können die Abtragung der Schleim-
haut in grösserer Ausdehnung nöthig machen (s. Mastdarmkrebs).
— Die mechanische Erweiterung dieser Verengerungen ist dasjenige
Verfahren, welches die häufigste Anwendung findet. Ehe man diese ins
Werk sezt , sucht man die grosse Reizbarkeit und Empfindlichkeit des
Mastdarms abzustumpfen, was durch erweichende narkotische Einsprizun-
gen , namentlich Einsprizungen von kaltem Wasser geschieht ; entzünd-
liche Zustände beseitigt man durch die Anwendung von Blutegeln , von
Quecksilbersalbe , von erweichenden Cataplasmen etc. Die Hülfsmittel,
deren man sich zur Ausdehnung der Mastdarmstricturen bedient, sind :
die allmälig verstärkte Wieke , die Bougies , der Pressschwamm und die
eigends für diese Verengerung empfohlenen oder sonst üblichen Dikta-
toren. Die Wieke führt man, mit einer reizmildernden Salbe bestrichen,
mittels einer nach der Beckenachse gebogenen Gabelsonde in den Mast-
darm ein und durch die Strictur hindurch. Ein starker, aussen befestig-
ter Faden verhindert das Emporgleiten der Wieke. Hat sich der Darm
an ihren Druck gewöhnt , so vertauscht man sie mit Pressschwamm (s.
Erweiterungsmittel) oder mit Wachsbougies. Leztere haben einen
MASTDARMKRANKHEITEN. — VERENGERUNG. 635
Umfang von 1 bis 3^2 Zoll und eine Länge von 11 Zoll. Vor der Ap-
plication gibt man ihnen eine der Beckenachse entsprechende Krümmung.
Die wohlbeölte Bougie wird , mit der Convexität ihrer Krümmung nach
der Aushöhlung des Kreuzbeins sehend , 3 Zoll hoch eingeführt ; muss
man tiefer eindringen, so wird das jezt nach links stehende äussere Ende
der Bougie in einem Bogen nach rechts erhoben und fortgeschoben und
endlich , um die S förmige Krümmung zu passiren , die Bougie ganz ein-
geführt, indem man dabei das noch hervorstehende Ende etwas nach ab-
wärts drückt. Es dürfte nur schwer oder gar nicht gelingen, die Bougie
durch eine sehr hochgelegene Strictur hindurch zu leiten. Statt der so-
liden Bougies hat man sich auch röhrenförmiger Schläuche oder der Luft-
und Wasserdilatatoren bedient; erstere gestatten bei hinlänglicher Weite
gleichzeitig den Durchgang der Darmcontenta und deren Verdünnung
durch Einsprizungen. Auch metallene Röhren und Dilatatoren hat man
angewendet, sie sind aber zu beleidigend; das Gleiche gilt von dem Vor-
schlage, einen an der Aussenfläche ausgehöhlten Messingring in die Stric-
tur einzulegen und denselben gleich einem Pessarium unausgesezt tragen
zu lassen. Dieulafoi hält bei überhaupt zugänglichen Stricturen die
gewaltsame und schnelle Erweiterung derselben für die zweckmässigste
Behandlung. Er bedient sich dazu hölzerner keilförmiger Zapfen von
verschiedenem Umfange, welche er schnell und kräftig durch die Strictur
hindurchstösst , was er , wenn der erste heftige Schmerz sich gelegt hat,
mit immer stärkeren Zapfen mehrere Male wiederholt. — Vor der An-
wendung der Dilatationsinstrumente muss der über der Strictur sich auf-
haltende Koth entleert werden ; um ihn aufzulösen, muss das Sprizenrohr
bis über die Strictur hinaufgeschoben werden. Hierzu kann nach Hede-
n u s die Sonde ä double courant J. Cloquet's, nach Berard
die aufsteigende Douche ohne Röhre benüzt werden. — AVie lange der
fremde Körper liegen bleiben darf, hängt von der Reizbarkeit des Darms
und dem jedesmaligen Bedürfniss des Kranken zu Stuhlentleerungen ab.
— Mit der Zunahme der Erweiterung geht man natürlich zu immer dik-
keren Ausdehnungsmitteln über. — Bei sehr engen, ringförmigen, callö-
sen, cartilaginösen Stricturen , bei welchen man mit der einfachen Dilata-
tion nicht auszureichen erwarten darf, sucht man seinen Zweck mit Hülfe
des Aezmittels oder des Messers zu erreichen. Die Cauterisation
wird am besten mit Lapis infernalis, welcher nach Sanson in
seitlichen Ausschnitten eines Cylinders angebracht wird , ausgeführt. —
Die Incision zeigt sich bei sehr harten Stricturen nüzlich ; man schnei-
det diese entweder mittels des Knopfmessers einfach ein oder excidirt sie
nach Hedenus völlig. Nach der Incision sezt man die Dilatation bis
nach erfolgter Vernarbung der Schnittwunden fort. Den grössten Wider-
stand sezen Narben der Heilung entgegen ; die Einen schneiden die Nar-
ben ein und legen eine Wieke ein ; Andere schneiden die Narbe aus und
vereinigen die Wunde durch Knopfnähte. — Bei klappenartigen Ver-
636 MASTDARMKRANKHEITEN. — VERSCHLIESSUNG.
engerungen schlägt B e n o i t die Mortification des Hindernisses durch
eine allmälig fester zu schliessende Zange , ähnlich der Enterotomie bei
widernatürlichem After, vor. — Bei krebsigen Entartungen verfährt man
palliativ, wie es beim Carcinoma r e c t i angegeben ist. — Sollte die
Verengerung des Mastdarms bis zur Verschliessung fortschreiten und
keine der oben genannten Operationen ausführbar sein , so ist die An-
legung eines künstlichen Afters (s. den Art.) der einzige Ausweg.
Mastdarm verschliessung, After verschluss, Atre-
s i a a n i , ist immer Fehler der ersten Bildung und ist bald bedingt durch
eine einfache Haut, welche entweder ganz an der OefFnung des Mastdarms,
oder mehr oder weniger hoch in der Höhle desselben seinen Siz hat, bald
ist äusserlich gar keine Spur der Aftermündung zugegen , und der Mast-
darm öffnet sich mehr oder weniger hoch oben in einen blinden Sack.
Zuweilen öffnet sich der Mastdarm in die Urinblase , die Urethra oder in
die Scheide. — Symptome. Der Aftervers chluss gibt sich durch ein
heftiges Drängen , verbunden mit schmerzhafter Auftreibung des Unter-
leibs und Erbrechen einer grünlichen oder gelblichen Materie kund, wozu
sich später Convulsionen gesellen. Ist der Mastdarm durch eine blosse
Haut verschlossen , so wird diese , besonders während des Schreiens der
Kinder, sackförmig hervorgetrieben, und man sieht das Meconium durch-
scheinen. Liegt die verschliessende Membran höher , so überzeugt man
sich davon durch den eingebrachten Finger oder eine elastische Sonde.
— Behandlung. Bei einer häutigen Verschliessung der Aftermün-
dung sticht man ein gerades Messer durch die Haut, bis Meconium neben
der Klinge hervorquillt und dilatirt diese Wunde dann bis zur natürlichen
Weite des Mastdarms , worauf man ein kleines Bourdonnet in die Wunde
einlegt. — Liegt die verschliessende Membran höher im Mastdarm , so
führt man auf dem eingeleiteten Zeigefinger oder auf einer Hohlsonde
ein schmales Messer mit gegen das Steissbein gekehrter Schneide oder
einen Troicart zur verwachsenen Stelle und stösst sie an dem fluctuirend-
sten Punkte ein, worauf man die Wunde mit dem Knopfmesser erweitert.
Auch hier legt man Wieken, die an einem Faden befestigt sind , ein, um
die Wiederverschliessung zu verhindern. — Ist After und Mastdarm in
einer längern Strecke verschlossen , so schneidet man , während das Kind
mit stark gebeugten und auseinander gezogenen Schenkeln mit dem Ge-
sässe nahe am Rande eines Tisches von einem Gehülfen gehalten wird,
zwischen der Rhaphe und dem Steissbein, doch so ein, dass zwischen lez-
terem und dem Schnitt ungefähr ein zollbreiter Zwischenraum bleibt.
Man bringt einen Catheter in die Harnblase, entleert den Urin und macht
die Lage der Harnröhre bemerklich ; bei Mädchen führt man eine starke
Sonde in die Scheide , um diese zu bezeichnen. Man dringt mit dem
Schnitte vorsichtig, um Blase und Scheide zu vermeiden, in der Richtung
der vordem Fläche des Kreuzbeins etwa l/2 Zoll tief ein , fühlt dann mit
dem Finger nach dem Darme und sticht diesen , wenn man ihn gefunden,
MASTDARMKRANKHEITEN. — VORFALL. 637
in der angegebenen Richtung mit dem Messer oder Troicart an , worauf
man die Oeffnung im Mastdarm, wenn es ausführbar ist, mit dem Knopf-
messer erweitert. Der Verband wird wie oben bestellt. Wenn man iy2
bis 2 Zoll tief eingedrungen ist, ohne den Darm anzutreffen, so muss man
die Operation an dieser Stelle aufgeben und an einem andern Orte einen
After anlegen. — Mündet der Darm in die Scheide , so bringt man wo
möglich durch diese Mündung eine gekrümmte Sonde in den Darm, drückt
sie gegen die Afterstelle und schneidet auf sie ein. Ist dieses Verfahren
nicht ausführbar, so operirt man auf die angegebene Weise. — Mündet
der Darm in die Harnröhre oder Blase , so suche man ihn auf die oben
angegebene Weise zu öffnen ; gelingt es nicht, so bilde man einen künst-
lichen After (s. diesen Artikel).
Mastdarmvorfall, Prolapsus ani, bezeichnet den Zustand,
wo entweder der Mastdarm mit allen seinen Häuten oder blos die innere
Haut desselben durch den After hervortritt. Als eine besondere Varietät
ist der Fall anzuführen , wo sich in den Prolapsus ein höherer Darmtheil
einsenkt (Prolapsus ani cuminvaginatione). Von dieser In-
vagination ist wieder diejenige zu unterscheiden , wo sich ein höher ge-
legenes Darmstück ohne Betheiligung des Mastdarms durch den After
herabgesenkt hat. — Symptome und Diagnose. Der Mastdarm-
vorfall erscheint am After als eine weiche, rothe , ringförmige oder seit-
liche , oft einige Zoll lange Geschwulst , an deren freiem Ende sich eine
Oeffnung befindet, durch welche der Koth abgeht. Häufig ist der Vorfall
schmerzlos , er kann aber schmerzhaft , ja selbst entzündet und brandig
werden , wenn der anfangs erschlaffte Sphincter sich kräftiger zusammen-
zieht und das vorgefallene Stück einschnürt. Beim Schleimhautvorfall
kann man nirgends zwischen dem Prolapsus und dem Afterrande eindrin-
gen , während dies bei jedem Vorfall der ganzen Dicke des Mastdarms,
der nicht gerade an der ganzen Circumferenz sich entwickelt hat, der Fall
ist. Stülpt sich eine höher liegende Darmpartie , z. B. das untere Ende
des Colon oder das Coecum (selten das Ileum) in den Mastdarm, so kann
der Vorfall eine Länge von l/2 bis 1 Fuss erreichen, neben welchem und
dein Mastdarm man mit einer Sonde oder dem Finger eine Strecke hin-
aufdringen kann. — Veraltet der Vorfall, so verändert sich die Structur
des Darms , der Ueberzug wandelt sich in ein der Epidermis ähnliches
trockenes Epithelium um, es treten andauernde Schleimflüsse auf etc. —
Brand kann zur Abstossung des invaginirten Darmstücks führen , ohne
dass der Tod die nothwendige Folge davon wäre. — Ursachen. Am
häufigsten entsteht der Mastdarmvorfall bei Kindern und alten Leuten,
wenn diese an langwierigen Diarrhöen , Würmern etc. leiden und beim
Stuhlgang stark drängen. Bei Personen in den mittleren Jahren entsteht
er seltener , doch können Hartleibigkeit , Hämorrhoidalbeschwerden , or-
ganische Veränderungen des Mastdarms und Erschlaffung desselben durch
öftere Klystiere etc. ihn auch hier veranlassen. — Prognose. Sie ist
638 MASTDARMKRANKHEITEN. VORFALL.
bei Kindern nicht ungünstig, da die Natur häufig das Uebel beseitigt und
die Kunsthülfe weit wirksamer ist, als bei alten Leuten oder sehr
geschwächten Subjecten , wo der Radicalhülfe mancherlei Hindernisse in
den Weg treten , namentlich bei der Beseitigung der Ursachen. — Be-
handlung. Sie beruht auf der Reposition und Retention des Vorfalls
und der Beseitigung der Ursachen. — Die Reposition geschieht da-
durch, dass man den Kranken mit erhöhtem Steisse und von einander ent-
fernten Schenkeln auf den Bauch legt , oder ihn sich vornüber auf einen
Tisch neigen , oder auf Knie und Ellbogen sich stüzen lässt , und , wenn
der Vorfall klein ist, ihn mit der beölten flachen Hand sanft zurückdrückt,
oder, wenn er grösser ist, mit dem beölten Zeigefinger der rechten Hand
in die OefFnung des Darms eingeht und den vorgefallenen Theil nach in-
nen umstülpt, dann mit den Fingern der linken Hand den Rand des Vor-
falls zurückhält , den eingeführten Finger etwas zurückzieht und von
Neuem etwas tiefer einführt und dieses Manöver bis zur völligen Repo-
sition wiederholt. Gelingt die Reposition wegen krampfhafter Zusammen-
schnürung des Schliessmuskels nicht , so wende man erst ein warmes Siz-
bad oder warme Umschläge aus Herb, hyoscyami etc., oder auch eine
Dosis Opium an , bevor man die Reposition wieder versucht ; ist die Ein-
schnürung sehr stark , so schneidet man den Sphincter an der am stärk-
sten eingeschnürten Stelle mittels eines auf einer Hohlsonde eingeführten
Knopfbistouri's ein ; gelingt die Reposition aber wegen Entzündung und
Anschwellung des Vorfalls nicht , so macht man kalte Umschläge , unter
Umständen einen Aderlass vor den Repositionsversuchen. Zuweilen führt
ein massiger , längere Zeit unterhaltener Druck durch Compressen , die
mittels einer T-Binde befestigt werden, zum Ziele. — Bei der Reposition
des Mastdarmvorfalls mit Invagination muss man ähnlich verfahren, wie
bei der Taxis eines Bruchs. Das zulezt vorgefallene Stück muss zuerst
reponirt werden. Man fängt also in der Nähe der untern Oeffnung der
Geschwulst an und schiebt zunächst das invaginirte Darmstück in das in-
vaginirende zurück. Man kann sich hierzu einer elastischen Röhre be-
dienen oder nach B o y e r die aufsteigende Douche anwenden. — Behufs
der Verhütung des Wiedervorfallens des Darms dienen sowohl phar-
maceutische als chemische Mittel. Erstere haben die Aufgabe, die Irri-
tation des Mastdarms und der umliegenden Theile zu mindern, und durch
kalte Sizbäder, kalte und zusammenziehende Klystiere von rothem Wein,
von Eichenrinde-, Weidenrindedecocten , von Solutio aluminis etc.,
Bestreichen mit Opiumtinktur, Bestreuen mit Myrrhenpulver, mit gleichen
Theilen arabischen Gummi- und Colophoniumpulver, so wie durch kräftige
Nahrung und tonische , namentlich eisenhaltige Mittel , dem erschlafften
Mastdarm seinen Tonus wieder zu geben. Bei Kindern, die zugleich an
chronischen Diarrhöen leiden, hat sich nach Schwarz u. A. des Extr.
nucis vomicae (1 — 2 gr. in 2 Drachmen Wasser aufgelöst und alle
4 Stunden zu 6 , 10 — 15 Tropfen gegeben) , bei längerer Dauer des
MASTDARMKRANKHEITEN. VORFALL. 639
Uebels mit einigen Granen Extr. ratanhiae, sehr wirksam erwiesen. —
Die mechanischen Mittel bestehen in dem Auflegen eines Schwamms und Be-
festigen desselben mit einer T-Binde oder mit langen Heftpflasterstreifen,
welche die Hinterbacken aneinander schliessen, oder in der Anlegung langer,
über den Prolapsus geführter Heftpflaster, welche nur die Oeffnung des Darms
frei lassen oder endlich in der Anwendung besonderer Vorrichtungen, der
sogenannten Afterhalter , welche aus einem Beckengürtel bestehen , von
dem hinterwärts ein Stahlbügel herabsteigt, der an seinem freien Ende
(der Afteröffnung entsprechend) eine Pelotte (Gooch, Camper u. A.),
einen Zapfen (D e 1 a c r o i x) oder eine oben mit einem elfenbeinernen
Knopfe versehene Spiralfeder (Hacke) trägt. Bei Weibern empfiehlt
man die Einlegung eines Mutterkranzes in die Scheide. — Genügen alle
diese Verfahrungs weisen zur Retention des Vorfalls nicht, ist derselbe alt
und kommt er bei Erwachsenen vor , so muss ein operatives Ver-
fahren zu Hülfe genommen werden. Das wirksamste Verfahren ist
das von Dupuytren. Dasselbe besteht darin , dass man mit einer"
Pincette je nach Erforderniss 2 — 6 der um den After lautenden strahlen-
förmigen Falten nach einander fasst, sie in radiärer Richtung gegen den
After mit der Hohlscheere einige Linien und länger ausschneidet und die
meist geringe Blutung mit kaltem Wasser stillt. Die Vernarb ung der
Schnittflächen giebt der Afteröffnung die Festigkeit, dem Austreten des
Darms zu widerstehen, jedoch muss der Operirte lange Zeit jede Anstren-
gung bei der Stuhlentleerung vermeiden. Chassaignac quetscht die
Falten mit seinem Ecraseur ab (s. Abbinden).- Andere rathen einen
oder mehrere dreieckige Lappen , dessen Basis an die Afteröffnung zu
liegen kommt , auszuschneiden. Dieselbe Wirkung , wie von der Aus-
schneidung von Falten wird nach Philips durch das glühende Eisen
erzielt , welches man , je nach der Grösse des Vorfalls 1 bis 4 Mal am
Rande des Afters oder auf die Schleimhaut selbst in einer Länge von
1/2 Zoll appliciren soll. — Ist das vorgefallene Stück des Darms ver-
härtet oder entartet, so dass die angegebenen Verfahren nichts ausrichten
können , so soll man den vorgefallenen Theil des Mastdarms an seiner
Basis abtragen ; da aber hierbei immer eine gefährliche Blutung zu
fürchten ist, so trägt man besser die degenerirte Schleimhaut mit Erhal-
tung der Muskelhaut ab, indem man dieselbe mit einem Haken stückweise
aufhebt und mit dem Messer oder der Scheere abträgt. Zur Fixirung
der Geschwulst und um nach der Operation die Blutung sicher stillen zu
können , sticht S a 1 a m o n mehrere starke Nadeln durch die Basis der
Geschwulst und entfernt sie erst ein Stunde nach der Operation. Ein
anderes von C h e 1 i u s immer mit dem besten Erfolge angewandtes Ver-
fahren besteht darin, dass man durch die Basis der Geschwulst mit einer
mit doppeltem Faden versehenen Nadel von aussen nach innen und dann
von innen nach aussen wiederholt durchsticht, bis die ganze Basis der
640 MASTDARMKRANKHEITEN. — ZELLGEWEBSENTZUENDUNG.
Geschwulst umgangen ist, hierauf die Fadenenden nach entgegengesezten
Richtungen an der äussern und innern Seite fest zusammenbindet und
kurz abschneidet. Der unterbundene Theil wird nun entweder nahe an
den Ligaturen getrennt, oder die Abstossung der Natur überlassen. Diese
Operationen darf man aber erst vornehmen , nachdem man volle Gewiss-
heit erlangt hat , dass in dem ausgestülpten Mastdarmstück keine Einge-
weide eingeschlossen liegen. — Sehr häufig bleibt nach längerem Be-
stände eines Mastdarmvorfalls eine Atrophie oder Paralyse des Sphincter
a n i und des Muse, levator ani zurück , welche selbst die eine oder
die andere der genannten Operationen in ihrem Erfolge beeinträchtigen
kann. Zur Beseitigung dieses Uebelstandes hat sich die Galvanopunctur
nüzlich erwiesen. Zur Ausführung dieser führt man wiederholt eine
Acupuncturnadel tief durch den Sphincter und Levator ani und lässt
einen electrischen Strom einwirken.
Mas t d armz ellge webs entzün d un g, Periproctitis. Das
Zellgewebe, welches die untere Partie des Mastdarms in reichlicher Menge
rings umgibt und an die Nachbartheile befestigt, unterliegt bisweilen einer
Entzündung, welche, wie alle Zellgewebsentzündungen, eine grosse Nei-
gung zum raschen Uebergang in Eiterung zeigt. Veranlassung zu solchen
Entzündungen geben : Verlezungen , Fisteln , Hämorrhoidalstockungen,
unterdrückte Hautausdünstung etc. Nicht selten pflanzt sich die Entzün-
dung von benachbarten Organen auf das fragliche Zellgewebe fort. —
Die Behandlung muss eine antiphlogistische sein , wodurch indessen
selten der Uebergang in Eiterung verhindert werden kann. Der Eintritt
der Eiterung gibt sich durch die bekannten Erscheinungen zu erkennen.
Die sich bildenden Abscesse (Perinaealabscesse) haben nach dem
Size der Entzündung eine oberflächliche oder tiefere Lage. Die ersteren
treten als eine rundliche Geschwulst, die bald Fluctuation zeigt, im Peri-
naeum hervor. Die Erkenntniss der tiefer liegenden Perinaealabscesse
kann, da sie gegen die äussere Haut nur wenig hervorragen, schwierig sein,
wenn man sich mit einer äusserlichen Untersuchung begnügt. Der in den
Mastdarm eingeführte Finger wird aber alsbald denAbscess als eine ent-
weder noch harte oder schon fluetuirende Geschwulst entdecken. — Eine
frühzeitige Eröffnung dieser Abscesse mit dem Messer ist das einzige
Mittel, üblen Folgen, namentlich der Fistelbildung vorzubeugen. Ober-
flächliche Abscesse werden in ihrem grössten Durchmesser durch einen
Schnitt gespalten ; tiefer liegende Abscesse drückt man vom Mastdarme
aus dem Messer entgegen , sticht , parallel dem Mastdarm , ein spizes
Messer ein und erweitert die Wunde beim Zurückziehen des Messers.
Nur selten wird es nöthig sein, den Abscess vom Mastdarm aus zu öffnen.
Die Wunde wird mit Charpie gefüllt und folgende entzündliche Spannung
durch Cataplasmen gemildert. Vom dritten Tage ab wird die Charpie täglich
gewechselt, die Abscesshöhle mit leicht reizenden Einsprizungen gereinigt
und später, wie es bei den Abscessen im Allgemeinen angegeben ist, verfahren.
MERCURIALKRANKHEIT. 641
MerCUrialkrankheit , H y d r a r g y r o s i s, entsteht durch die
Wirkung des Quecksilbers auf den thierischen Körper. Dieses äussert
in seinem metallischen Zustande keine andere Wirkung auf den mensch-
lichen Körper als den der Schwere , es ist dem Organismus zu heterogen
und kann nur mittels des Sauerstoffs oder einer Säure, als Oxydul, Oxyd
oder Salz mit demselben in Wechselwirkung treten. Bei der Verdunstung
des Mercurs wird ein Oxydulaerat gebildet , welches auf die Nerven und
Respirationsorgane wirkt, ihre electrische Thätigkeit umstimmt, durch die
Lungen in das Blut gelangt und dann seine specifischen Kräfte von dort
aus entwickelt. Auch in den Gedärmen wird metallisches Quecksilber
zum Theil oxydirt. In der grauen Mercurialsalbe ist das Quecksilber
unvollkommen oxydulirt, oxydirt wird es erst durch die säurehaltige Aus-
dünstung des Menschen bei den Einreibungen, und erst hierdurch wird es
in die Saugadern und Venen aufgenommen und entfaltet seine Wirkung.
Wird der Mercur innerlich gegeben , so erfolgt seine Aufnahme in die
Säftemasse wie die anderer Mittel. — Der Hauptcharacter der Wirkung
des Quecksilbers ist nach Dietrich im Allgemeinen die Ertödtung
des organischen Lebens. Diese Wirkung erleidet aber Modifica-
tionen, je nach der Art und WTeise der Einführung, den Gaben, dem Prä-
parate , der Constitution des Menschen , dem Alter , dann der Jahreszeit
und endlich nach den vorhandenen Krankheitsprocessen. Je näher das
Quecksilber dem Zustande des Metalls ist , um so reiner und energischer
sind seine Wirkungen, entsprechend der eigenthümlichen Natur desselben.
Wird ein Mensch dem gesäuerten Quecksilber ausgesezt und ist dieses ins
Blut übergegangen, so erfolgt den ersten Tag (Keimungszeit) keine Wir-
kung , den zweiten Tag zeigt sich Congestionsthätigkeit im System der
Schleimhäute und des Drüsenapparats, Absonderung und Aufsaugung wird
vermehrt , auch die Qualität der Secretionen ist verändert , der abgeson-
derte Schleim ist roher, glasartiger, seröser, die Galle dunkler, flüssiger,
mehr riechend, die Darmausleerungen dünner und grünlicher gefärbt, die
Lungen- und Hautausdünstung fade riechend , das Blut wird ebenfalls
umgestimmt und das Nervensystem reagirt gegen die Einwirkung. Hört
die Einwirkung des Quecksilbers nun auf, so verschwinden alle Erschei-
nungen und es tritt ein erhöhtes plastisches Leben im gesammten Lymph-
und Nervensystem ein , woraus sich die Wucherungen der dermatischen
und drüsigen Gebilde auf Quecksilbergebrauch erklären lassen. Werden
die Quecksilbergaben in Zwischenräumen öfters wiederholt, so unterliegt
endlich der Organismus dem feindlichen Angriffe des vergiftenden Me-
talls und der Mensch wird mercurialkrank. Die Zersezung des Blutes
ist damit vollendet , die Fibrine grösstentheils zerstört , die Eiweissstoff-
und Schleimbildung sinkt zu der des Serums herab, die ganze organische
Gestaltung des Menschen ist erweicht, aufgelockert , das aufgelöste Blut
sickert aus den schlaffen Gef ässen, macht Congestionen, namentlich gegen
Burger, Chirurgie. 41
642 MERCURIALKRANKHEIT.
die Speicheldrüsen, Blutungen, das häutige, drüsige Gewebe ist matsch,
leicht zerreissbar , die Drüsenlappen werden wassersüchtig aufgetrieben,
sondern sich von einander, das Schleimhautgewebe zerfällt in sich selbst,
daher das Ablösen des Zahnfleisches, das Entstehen von Geschwüren.
Endlich unterliegen auch die fibrösen Gebilde und selbst die Knochen der
auflösenden Zerstörung. Selbstverständlich leidet hierdurch auch die Er-
nährung und der Körper geht endlich bei fortwährender Einwirkung der
Schädlichkeit zu Grunde , obwohl er auf jede Art bis zum lezten Augen-
blick dagegen ankämpft (durch Schweisse, die zum Theil Quecksilber ent-
halten, Speichelfluss, Diarrhöe, Sedimente im Urin). — Die Wirkung
erfolgt um so rascher, in je grösseren Dosen und je rascher hintereinander
das Oxydul des Quecksilbers gegeben wird ; die ankämpfende Thätigkeit
des Organismus ist aber auch hier dagegen stärker und es entsteht Fie-
ber: der Sieg des einen oder des andern entscheidet sich dann in kürzerer
Zeit. Ist der menschliche Organismus lange oder oft wiederholt den
Einwirkungen des Metalls ausgesezt, so vermag die reactive, conservative
Thätigkeit desselben die hervorgerufenen Störungen im normalen Lebens-
processe nicht mehr auszugleichen , die veränderten Thätigkeiten in der
einen oder andern Beziehung bleiben stetig und die Mercurialkrankheit
ist in einer bestimmten Form fertig. Dasselbe geschieht auch , wenn
wenig oder nur kurze Zeit Quecksilber gereicht wurde, die Natur jedoch
in ihren conservativen Bemühungen gestört oder ganz gehindert wird,
was die ursächlichen Momente bedingen. Sobald die Krankheit auf diese
Weise ihre Existenz begründet hat , gibt sie sich durch eine Alienation
der Grundfactoren des gesammten thierischen Lebens kund. Das Ner-
vensystem äussert grosse Empfindlichkeit und Beweglichkeit , namentlich
in den Ganglien und ihren Verzweigungen, wodurch mancherlei Trübun-
gen des Gemeingefühls entstehen und der Körper durch die geringsten
äussern oder innern Vorgänge aufgeregt wird. Das Blut ist immer ver-
ändert; anfangs zeigt es, als Andeutung der beginnenden Auflösung, eine
Speckkruste , wird dann dunkler und fällt am Ende bei fortdauernder
Einwirkung der Zersezung ganz anheim. — Die Mercurialkrankheit ist
daher nach Dietrich ein Krankheitsprocess eigener Art , der so gut
seine bestimmten Erscheinungen und biologischen Formen hat , wie der
gichtische, rheumatische etc. und gehört unter die Klasse der Dyscrasien.
Wie andere Krankheitsprocesse , so zeigt auch dieser künstlich erzeugte
Krankheitszustand mannigfache Schattirungen , welche sowohl in der Er-
kenntniss ihrer Wesenheit , wie in der einzuschlagenden Behandlung
grosse Schwierigkeiten bieten. Dazu kommt noch, dass die Hydrargyrose
mit andern Krankheitsprocessen Combinationen eingehen kann und hier-
durch wieder eine eigenthümliche Färbung erhält. Solche Krankheits-
processe sind : Syphilis, Scrophulosis, Gicht, Rheumatismus, Scorbut, Ent-
zündung, Erysipelas und Katarrh. — Die Verbreitung der Mercurial-
krankheit macht einen ziemlich regelmässigen Gang. Sie ergreift zuerst
MERCURIALKRANKIIEIT. 643
die niedern Stufen. des thierischen Organismus, entsprechend der eigen-
th linilichen Wirkungsweise des Quecksilbers. Dann nehmen nach und
nach die höhern organischen Gebilde , nach ihrer Dignität bald früher
bald später , an dem krankhaften Processe Theil , bis endlich bei ausge-
bildeter Cachexie der ganze Organismus leidet. Bei dieser Verbreitungs-
weise haben , wie bei andern Krankheiten , das Alter , die Constitution,
Krankheitsanlagen , vorhandene Krankheitszustände anderer Art , Ge-
schlecht etc. grossen Einfluss. Die Hydrargyrose kann übrigens aueh
örtlich entstehen, verlaufen und absterben. Auf die innerliche Gabe des
Quecksilbers spricht sich die Mercurialkrankheit, abgesehen von der spe-
cifiken Beziehung eines Präparats auf ein bestimmtes System (M e r c u r.
acetatus, Calomel etc. haben eine solche Beziehung zum vegetativen,
der rothe und weisse Präcipkat zum irritablen, das salpetersaure Queck-
silber , der Sublimat zum sensitiven System), in der Regel da aus , wo
schon ein anderes Leiden besteht, namentlich an den verschwärenden
Stellen oder Geschwüren, welche dann ihren früheren Character mehr oder
weniger verlieren. Im Allgemeinen erscheint der Krankheitsprocess zuerst
im lymphatischen System, dann in dem der Schleim- und serösen Häute,
in den fibrösen Häuten, endlich im Nervensysteme. Nicht selten wechselt
er in seiner Erscheinung auf der äussern und innern Haut , indem er von
dieser auf jene und umgekehrt , häufig mit dem Erlöschen der frühern
Form, übergeht. Die vegetativen Nerven werden primär, die Sinnes- und
Bewegungsnerven erst später oder nur unter gewissen Bedingungen er-
griffen , ebenso das Knochengerüst des Körpers. Vorzüglich kann aber
die Hydrargyrose im Gehirn, Rückenmark mit seinen Nerven, als isolirte
Form haften. Aetiologie. Die Krankheit entsteht bei einem Menschen
leichter, bei einem andern schwerer, bei andern gar nicht. Mitwirkende Um-
stände sind: 1) Idiosyncrasie, wo kleine Gaben von Quecksilber schon eine
acute Form hervorrufen. 2) Schwächliche (von Natur aus vorhandene oder
durch Krankheit heruntergekommene) Körperconstitution. 3) Schlummernde
oder ausgebrochene Dyscrasien, namentlich Syphilis, Scropheln, Gicht und
Rheumatismus. 4) Gabe und Präparat des Metalls ; je kleiner die Gaben
sind und je länger sie fortgesezt werden, desto leichter erfolgt die Krank-
heit. Mangel an Reinlichkeit, Verkältungen , Diätfehler , hauptsächlich
der Genuss von vielen Fleischspeisen, gesalzenen, sauren Speisen, geisti-
gen, gegohrenen Getränken begünstigt ihr Entstehen. — Vorkommen.
Die Hydrargyrose kommt bei beiden Geschlechtern und in jedem Lebens-
alter vor. Bei Kindern beschränkt sie sich mehr auf die Drüsen und
Schleimhäute und wird gewöhnlich in Verbindung mit Scropheln ange-
troffen. Je milder die Luft , das Klima ist , um so seltener entsteht sie
oder um so milder tritt sie auf. In den Tropenländern und südlichen
Gegenden kommen mehr Abdominalformen vor, in nördlichen Klimaten
mehr solche der obern Körperhälfte , der Schleim- und fibrösen Häute
der Knochen , auch sind Combinationen häufiger. In Küstenländern ist
41*
644 MERCURIALKRANKHEJT.
sie häufiger als in Binnenländern , ebenso da , wo starker Temperatur-
wechsel bei hoher Lage herrscht. — Verlauf. Dieser ist meistens
chronisch ; auch die acuten Fälle gehen oft in chronische über. Chro-
nische Fälle können Jahre lang bestehen. Remissionen sind nicht selten
und hängen von klimatischen und diätetischen Verhältnissen ab. Diese
Remissionen erreichen fast die Intermissionen und kommen namentlich im
Sommer vor. Bei Combinationen namentlich mit Entzündung, Gicht etc.
kommt es zuweilen zu einem acuten Verlaufe, nach deren Verschwinden
die chronische Mercurialkrankheit für sich bestehen bleibt. — A u s-
gänge. 1) In Genesung. Dieser Ausgang tritt meistens bei acuten
Formen unter deutlichen Krisen, Speichelfluss oder Schweiss, vermehrtem
Stuhl- und Urinabgang mit gelblichem Bodensaze ein. Die Krise auf
diesem oder jenem Wege wird in der Regel von der verschiedenartigen
Beziehung des Präparats zu den einzelnen Organen oder Systemen be-
stimmt. Die chronischen Formen endigen gewöhnlich durch Lysis.
2) In theil weise Genesung. Es bleiben eine gesteigerte Empfind-
lichkeit des Nervensystems, Lähmungen oder auch Missstaltungen und
Substanzverlust, Wucherungen einzelner Theile und Gebilde , Hypertro-
phien, Verhärtungen der Drüsen etc. zurück. 3) In eine andere
Krankheit. Durch die Veränderung, welche im vegetativen und orga-
nischen Leben durch die Metallwirkungen bewirkt werden , können Ver-
eiterungen wichtiger Organe , der Leber, Lunge, des Gehirns, Aneurys-
men , Hydropsien , Atrophien , Nervenkrankheiten , Seelenstörungen etc.
erfolgen. 4) I n d e n T o d. Er tritt entweder auf der Höhe der Krank-
heit bei der acuten Form durch Erschöpfung oder durch Apoplexie, Läh-
mung der Centralorgane des Nervensystems, Gehirnerweichung, selten
durch Entzündung ein. Bei der chronischen Form , der ausgebildeten
Cachexie , wird durch die eintretende Schwäche , Erlöschen der Lebens-
thätigkeiten , Tabes nervosa oder durch Colliquation hectisches
Fieber herbeigeführt. — Die Prognose hängt von der Individualitat,
dem Geschlechte , dem Lebensalter der Kranken , vom Size des Leidens,
seiner Dauer und Verbreitung , endlich von der Combination desselben
mit andern Krankheiten , den klimatischen Verhältnissen , so wie denen
der Patienten ab. — Behandlung. Sie zerfällt in die Indicatio
prophylactica, causalis, morbi, combinationum und loca-
lis. — Für die erste Anzeige lässt sich nicht viel thun. Die Arbeiter
in Quecksilber können sich in etwas durch das Tragen von Masken, Wa-
schungen, den Gebrauch des A r c e t'schen Ziehofens schüzen. Daneben
der Genuss leicht verdaulicher Speisen und die Anwendung schweisstrei-
bender und zeitweise abführender Mittel. Bei dem medicinischen Ge-
brauche halte man die Kranken in einer gleichmässigen Temperatur , so
wie alle Se- und Excretionen offen , und seze sogleich das Quecksilber
aus, sobald man gewahr wird, dass es keine heilsamen Wirkungen hervor-
bringt. — Der zweiten Anzeige liegt ob, das Quecksilber aus dem Körper
MERCURIALKRANKHEIT. 645
zu schaffen. Man lüfte die Zimmer, verordne warme Bäder und bei Con-
gestionen gegen die Speicheldrüsen leichte Abführmittel von Mittelsalzen.
Hierauf steigert man die Se- und Excretionen, wobei man sich nach dem
Wege zu richten hat , den die Natur einschlagen will. Vorzüglich ge-
schieht dies durch die Haut und man bediene sich daher mehr der
schweisstreibenden Mittel. In den acuten Formen wähle man die mil-
deren Mittel , als warmes Wasser, Flieder-, Lindenblüthenthee , beiden
chronischen dagegen die Sarsaparilla, Sassafras, Stipit. dulcamarae,
Lign. guajac, Cort. mezerei, Turion. pini, Opium und Cam-
pher , die Antimonialien und Schwefelpräparate. Die Wahl in diesen
Mitteln hängt von der Verschiedenheit der Form, längeren oder kürzeren
Dauer der Krankheit , der Constitution des Kranken , Combination mit
ander« Krankheitsprocessen etc. ab. In den meisten Fällen passt die
Sarsaparille. Bei reizbarer Constitution leistet das Dower'sche Pulver
gute Dienste. Der Schwefel passt nur in chronischen Fällen, da er sehr
erhizt und ebenfalls säfteauflösend wirkt. — Die Erfüllung der dritten
Aufgabe besteht in der Umstimmung und Regulirung der veränderten
Lebensthätigkeit , die sich in den verschiedenen Systemen kund giebt,
Vorbeugung oder Hebung der Auflösung des Bluts und der beginnenden
Dyscrasie, Regenerirung der Säfte, Stärkung des Organismus und seiner
einzelnen Theile , Unterstüzung der Naturbestrebung oder Beschränkung
der excessiven Thätigkeit derselben. — Bei acuten Formen muss der
Character des Fiebers berücksichtigt werden ; die Antiphlogose darf in-
dessen nur mit grösster Vorsicht zur Anwendung kommen (s. unten).
Bei fieberlosen Formen der Mercurialkrankheit ist die Umstimmung die
erste Aufgabe. Hierzu dienen Lactucarium, Opium, Gold, Eisen, Electri-
cität. Bei abnorm verändertem sensiblen und irritablen Leben zieht dem
erhizenden Opium Dietrich das Lactucarium vor, das aber, wenn
es etwas nüzen soll, in grossen Gaben (1 — 3 Gran zweimal täglich) ge-
reicht werden muss. Opium passt besonders, wenn ein mehr reines
Sensibilitätsleiden vorliegt, ferner, wenn die Krankheit schon eine bedenk-
liche Höhe erreicht hat, so dass Auflösung des Bluts und Auflockerung
der Gewebe , überhaupt colliquative Erscheinungen beobachtet werden.
Doch gebe man es in langen Zwischenräumen , etwa alle 1 2 Stunden.
Das Gold eignet sich bei cachektischem Zustande , bei wenig reizbaren
Personen und bei vorhandenen Combinationen mit andern Krankheitspro-
cessen, vorzüglich dem scrophulösen. Man giebt das chlorin- oder blau-
saure Gold. Das leztere kann man innerlich geben, das erstere reibt man
in die Zungenwurzel oder innere Wangengegend mit Milchzucker ein.
Man fängt mit ljl2 gr. 2 — 3 Mal des Tags an und kann nach Gestalt
der Umstände bis zu 1 L gr. pro d o s i steigen. Dabei bleibt man ste-
hen , bis die Erscheinungen schwinden , Krisen eintreten und geht dann
bis zu */ö gr. zurück; die Kur dauert 4, 6, 8 Wochen. Die Krisen er-
folgen in der Regel durch den Urin, seltener durch die Haut, am selten-
646 MERCURIALKRANKHEIT.
sten durch die Speicheldrüsen. — Noch intensiver als das Gold wirkt
das Eisen, namentlich das frischgefällte Eisenoxydul oder die kohlen-
sauren Stahlwässer , Pyrmont , Wiesau , Brückenau , Schwalbach. Das
Eisen empfiehlt sich besonders bei veralteten Formen , eingewurzelten
Cachexien und Neuralgien. Die Electricität ist bei nicht zu nerven-
schwachen Personen empfohlen. — Um der drohenden oder beginnenden
Auflösung des Bluts, dem Erweichen der Gewebe, dem Sinken der Ernäh-
rung entgegen zu wirken, bedienen wir uns der schleimig bittern, aroma-
tisch bittern , adstringirenden Mittel , vor allen der China mit kleinen
Dosen von Opium , des Phosphors , der Mineralsäuren und des Alauns.
Sehr grosse Berücksichtigung erheischt die Diät. Die Speisen müssen
reizlos , gut verdaulich und doch nahrhaft sein ; daher Schildkröten-,
Schneckenbrühen, Gelees, Geflügel, später Chocolade, Hühnerbrühen mit
Eigelb, Eierbier, Eichelkaffee, gebratenes Rindfleisch etc. ; zum Getränk
Malzabkochung , dann Bier , Wein mit Wasser oder mit eisenhaltigem
Wasser. Der Aufenthalt auf dem Lande , in einem südlichen Klima,
Iteisen sind sehr zu empfehlen. — Bei der Realisirung der Indicatio
combinationum ist die der Hydrargyrose und Syphilis am schwierig-
sten, aber auch am wichtigsten. Man bediene sich solcher Mittel, welche
erfahrungsgemäss beiden Krankheiten entgegenwirken , wozu sich zuerst
die Sarsaparille darbietet ; die Kur vollendet man mit tonischen Mitteln ;
vorzüglich passt aber hier das Z itt mann'sche Decoct , jedoch ohne
Mercur ; bei Krankheitserscheinungen in den fibrösen Gebilden , den
Knochen greift man zu eingreifenderen Mitteln, wie zum Roob von L a f-
fecteur, Decoct. von St. Marie, zu den Mineralsäuren, dem Jod.
Bei veralteten Fällen ist , wenn anders der Kräftezustand des Kranken
noch gut ist , die Inunktionskur , oder die Hungerkur mit Salpetersäure
oder endlich die Milchkur mit Jod angezeigt. Die Behandlung der
übrigen Combinationen muss eine entsprechend modificirte sein. — Die
Erfüllung der Indicatio localis muss sich nach den verschiedenen
Formen richten. Diese sind folgende.
1) Mercurialfieber, Febris mercurialis. Dieses ist
entweder ein erethisches oder ein adynamisches. Beim ersten ist nebst
den bekannten allgemeinen febrilen Erscheinungen brennendes Gefühl
im Munde , Dunkelröthe des Zahnfleisches , Steifigkeit des Halses , An-
schwellen der Submaxillardrüsen , beim zweiten sind die Symptome des
adynamischen Characters vorhanden, aber kein Anschwellen der Speichel-
drüsen, dagegen starker Druck in den Präcordien mit Brechneigung oder
wirklichem Erbrechen, später leichte Delirien, trockene Zunge, mit einem
Male der Tod durch Ergiessungen zwischen Pia mater und Gehirn. Die
Dauer des ersten ist 5 — 7, die des zweiten, vorzugsweise in den Troppen
vorkommenden 9 — 14 Tage. Beide Fieber entscheiden sich entweder
mit Speichelfluss , durch den Urin oder Schweiss , am seltensten durch
Exanthembildung. Das Fieber wird am häufigsten durch die Oxydule
MERCURIALKRANKHEIT. 647
des Quecksilbers, selten durch die Oxyde hervorgerufen. Grosse Gaben
Sublimat führen es noch seltener herbei , weil dieser durch seine äzende
Eigenschaft mehr örtlich wirkt. — Bei der erethischen Form sezt man
zunächst das Metall aus, wendet anfangs schleimige, dann adstringirende
Mundwässer an , sezt Blutegel an die geschwollenen Drüsen , hält den
Leib offen und reicht leicht schweisstreibende Mittel. Beim adynami-
schen Fieber reize man die Haut durch Reiben und Bürsten , Waschen
mit warmem Essig , gebe innerlich das Gangliensystem erregende Mittel
(Angelika, Serpentaria, Benzoe, Champagner) und sobald man Exsudation
befürchtet (was der aussezende Puls ankündigt) , so müssen Hautreize,
kalte Begiessungen des Kopfs, innerlich Senega, Arnica in Gebrauch ge-
zogen werden. Erfolgt Hautkrisis , so unterhalte man sie durch warme
Getränke und gebe zum Schlüsse Mineralsäuren.
2) Speichelf lus s, Sali vatio, Ptyalis mus. Dieser beruht
auf einer Congestion gegen die Speicheldrüsen. Die Erscheinungen des-
selben sind : bläuliche Röthe und Auflockerung der Schleimhaut des
Mundes , Zurückziehen derselben von den Zähnen , wodurch diese locker
werden, Bluten des Zahnfleisches. Die Speichel- und Lymphdrüsen, die
Wange und die Zunge sind geschwollen , ebenso der Rachen , die Ton-
sillen , die Eustachische Röhre , wodurch das Gehör leidet. In Folge
dieses Congestionszustandes entsteht Schmerz und heftiges Brennen in
den ergriffenen Theilen der Schleimhaut und erschwertes Schlingen. Der
Athem wird sehr übelriechend. Der anfangs massig in dem Munde ange-
sammelte Speichel wird später in solcher Menge abgesondert , dass er
fortwährend aus dem Munde läuft. An dem Zahnfleische bemerkt man
flache Geschwüre , die Zähne überziehen sich mit stinkendem Schleim.
Dabei sind die andern Secretionen vermindert , die Haut wird trocken,
welk , der Stuhl angehalten , der Urin sparsam , geröthet. Der Puls ist
beschleunigt , weich , klein, der Kopf eingenommen, die Nase verstopft,
der Speichel zähe, salzig, sauer, faulig, metallisch und corrodirend, er er-
zeugt Geschwüre, veranlasst, wenn er verschluckt wird, Cardialgien, Er-
brechen , Durchfälle. — Der Speichelfluss ist immer ein Zeichen der
vollen Wirkung des Mercurs und wird durch den Gebrauch des Queck-
silberoxyduls und der Oxydulsalze, weniger durch die Oxyde hervorgerufen.
Die Menge des Quecksilbers , die zu seiner Erzeugung erforderlich ist,
richtet sich nach der Idiosyncrasie und der Constitution des Kranken ;
aufgedunsene, leucophlegmatische , rheumatische Constitutionen saliviren
leicht, ebenso tritt Speichelfluss bei Beschränkung der übrigen Secretio-
nen , namentlich des Schweisses , leichter ein. Er muss übrigens immer
als eine Krise angesehen werden, er darf daher nie plözlich unterdrückt
werden. — Behandlung. Zunächst sezt man einige Blutegel an die
Gegend der Submixallardrüsen , um den Blutandrang zu massigen, dann
eröffne man die Se- und Excretionen , namentlich der Haut und Nieren,
verordne demgemäss ein warmes Bad, lasse Fliederthee trinken, die Haut
648 MEKCTR1ALKRANKHE1T.
frottiren ; Abführmittel dürfen nur in so weit gereicht werden , dass der
Stuhl eröffnet wird. Einige Gaben Opium thun gute Dienste. Behufs
der Beseitigung des passiven Verhaltens der Drüsen reicht man das Kreo-
sot oder das Jod zu einigen Granen des Tags, und wendet adstringirende
Mundwasser an. Diese können bestehen aus essigsaurem Blei (gr. ij — viij
auf giv — viij A q. destill.), der Ratanhiatinktur (1 Löffel voll einem
Glas Wasser zugesezt), bei geschwürigem Zustande der Schleimhaut der
Mundhöhle aus Cuprum s u 1 p h u r i c u m (gr. iij — iv. auf gj Wasser)
mit etwas Tinct. Myrrh. oder Honig; auch Höllenstein, Borax, Alaun
können angewendet werden. Nach R i c o r d zeigt sich namentlich Chlor-
kali von Nuzen, mit welchem man den Speichelfluss sogar ganz verhüten
kann. — Dabei gemessen die Kranken gesäuerte schleimige Getränke^
Milchdiät und halten sich massig warm in reiner Zimmerluft.
3) Hautausschläge, Exanthemata. Es lassen sich acute
und chronische unterscheiden. Acute sind das Eczema symptoma-
t i c u m, c r i t i c u m und die Miliaria. Das erstere entsteht bei man-
chen Menschen auf die äusserliche Anwendung des Mercurs und besteht
aus kleinen juckenden Bläschen, die sich am fünften Tag kleienartig ab-
schilfern. Das zweite entwickelt sich in den Beugungen der Gelenke, an
der innern Oberfläche der Oberschenkel etc. unter Jucken und Kriebeln
auf einer dunkel gerötheten Stelle als dichtstehende, anfange durchsich-
tige , dann sich trübende Bläschen , welche am vierten Tage plazen und
eine übelriechende, copiöse, zähe Flüssigkeit ergiessen. Dieser Ausbruch
breitet sich nach und nach über den ganzen Körper aus ; unter den sich
bildenden Krusten dauert die Eiterung fort, bis nach 3, 4 bis 5 Wochen
das Uebel versiegt und sich eine neue Haut bildet. Die Miliaria,
(Mercurialfriesel) erscheint nach den gewöhnlichen Vorläufern des Frie-
seis, hat einen Verlauf von 1 4 Tagen und zeichnet sich durch ein bedeu-
tendes Ergriffensein des Nervensystems aus. Der Frieselausschlag kommt
nicht vollständig zum Vorschein, sinkt bald wieder zurück und es erfolgt
auf diese Weise der Tod. — Die Behandlung der ersten Form er-
fordert Aussezen mit dem Mercur , Klystiere , Kleien - , später
adstringirende Bäder ; die der zweiten besondere Berücksichtigung des
Fiebers , dann Kleienbäder , vorsichtige Waschungen mit Goulard'schem
Wasser, später Bäder von Eichenrinde oder Alaun. Bei der Miliaria
sucht man durch Kaliwaschungen das Exanthem auf der Haut festzuhal-
ten und tritt der fortschreitenden Auflösung des Bluts durch Mineralsäu-
ren, China, Serpentaria etc. entgegen. — Chronische Formen der
Exantheme kennt man drei und zwar Herpes praeputialis, P s y-
d r a c i a und Impetigo. Die erste Form besteht aus kleinen Bläschen
an der Vorhaut, die unter lästigem Jucken sich erheben, grösser werden,
am dritten Tage plazen und eine rundliche Excoriation hinterlassen,
welche viel gelben Eiter absondert und mit einer hellrothen Narbe heilt.
Der Verlauf ist 7, 9, höchstens 14 Tage. — Die Psydracia zeigt an
MERCURIALKRANKHEIT. 649
einzelnen Hautstellen der Extremitäten an einem Haare am zweiten Tage
nach einem Jucken eine dunkelrothe Erhöhung, welche sich zu einer Pu-
stel ausbildet , die am fünften Tage in Blüthe steht und einen kleinen
Hof hat. Am sechsten Tage sinkt die gelbe eiterige Spize ein und in
drei weiteren Tagen erblickt man an der Stelle der Pustel einen bräun-
lichen Schorf, der sich kleienartig abschilfert. Das Exanthem kann, sich
selbst überlassen, Jahre lang fortmachen. — Die Impetigo characte-
risirt sich durch dunkelrothe Flecken von verschiedener Grösse , welche
zuerst an der Scham, dann auf der Brust erscheinen, in einander fliessen
und nach einigen Monaten bräunlich werden. Auf ihnen entwickeln sich
frieselähnliche Bläschen, die am fünften Tage einsinken und am neunten
sich kleienartig abschuppen. Später verbreiten sich die Flecke über die
obern und untern Extremitäten und den behaarten Theil des Kopfs mit
stets sich wiederholender Bläscheneruption. Zuweilen plazen einige Bläs-
chen und hinterlassen zackige Geschwüre mit Schorf bildung, unter der die
Eiterung fortdauert. Fortwährend bilden sich eine Menge weisser Schup-
pen auf der Haut. — Die Behandlung ist die der Hydrargyrose im All-
gemeinen (Roob von Laffecteur, Z ittm ann'sehes Decoct etc.)
Aeusserlich wendet man bei Herpes praeputialis warme Wasser —
später stärkende zusammenziehende Localbäder an. Bei Psydracia
und Impetigo sind vorzüglich die alkalischen Schwefelmineralwasser,
Schwefelschlammbäder , später die schwefelhaltigen Stahlwasser , auch
fortgesezte Gaben von Kai. hydrojod. mit Opium angezeigt.
4) Symphoresen (Congestionszustände). Diese chronischen
Formen der Mercurialkrankheit kommen vor als : Symphoresis con-
junctivae oculi, S. i r i d i s, retinae, faucium (Angina niercu-
rialis) und periostei. Die Behandlung dieser Zustände besteht in der
der Mercurialkrankheit im Allgemeinen, so wie in kräftigen Ableitungen,
um den Ausschwizungen vorzubeugen. Mineralsäuren.
5) Hypertrophien. Sie sind eine Unterabtheilung der Sym-
phoresen. Ihr Hauptsiz ist in den Drüsen , Sehnen und serösen Häuten.
Sie haben einen langwierigen Verlauf. — Behandlung. Bei beste-
hender entzündlicher Reizung gibt man innerlich Terra ponderos.
salit. nach einem vorausgeschickten Abführmittel , nachher das Kali
hydrojod. Oertlich Blutegel, kalte Umschläge auf die Drüsenge-
schwulst und Einreibungen der Jodsalbe mit Opium in ihrer Umgebung.
Dabei sind die Se- und Excretionen offen zu erhalten. Kann man die
Entzündung nicht bemeistern , so befördert man die Eiterung. Verhär-
tungen gelingt es selten zu zertheilen. Man versucht es mit den be-
kannten Mitteln (Senega, Jod, Brom, Druckverband etc.).
6) Helkosen. Die mercuriellen Geschwüre können rein für sich
entstehen, oder sich aus schon vorhandenen syphilitischen, scrophulösen
etc. herausbilden. Die ersteren, welche sich gewöhnlich auf der Schleim-
haut des Mundes und Rachens , seltener auf der des Penis entwickeln,
650
MERCÜRIALKRANKHEIT.
sind flach, mit weisslichem, schlauen Grunde und ungleichen, zackigen,
scharf ausgeschnittenen Rändern. Sie sondern eine übelriechende Jauche
ab und sind schmerzhaft. Sich selbst überlassen fressen sie rasch um
sich und zwar nur in die Breite; nur wenn der Mercur fortgegeben wird
und andere Dyscrasien bestehen, greifen sie auch in die Tiefe. Das sy-
philitische Geschwür verliert seinen speckigen Grund, wird schmuzig ge-
färbt , sondert Jauche ab und schmerzt. Aehnliche Veränderungen er-
fahren andersartige Geschwüre ; immer ist das mercurielle Geschwür
schmerzhafter als ein anderes. — Behandlung. Zuerst ist die
schmerzhafte Beizung zu berücksichtigen ; demgemäss wendet man schlei-
mige Mundwässer mit narkotischen Stoffen (Extr. cicut., opii, hyosc.
etc.) oder Cataplasmen mit diesen an ; bei erysipelatöser Complication Blut-
egel. Nach Beseitigung des gereizten Zustandes geht man zu der ört-
lichen Anwendung von stärkenden zusammenziehenden Mitteln über , wie
essigsaurem Blei , Mineralsäuren mit Schleim und Honig , D e c o c t.
quere, chinae, Cupr. sulphur., Borax, Alaun etc. in schleimigen
Vehikeln , Aqua oxymuriatica mit Opium. Die allgemeine Behandlung
besteht in der Anwendung der Mineralsäuren , Gold , Eisen , des Roob
L äffe cteur etc.
7) Neurosen. Bis jezt kennt man unter den somatischen Neu-
rosen Neuralgien, Zittern, Lähmung und Apoplexie. — Die
Neuralgien werden gewöhnlich an den Bewegungsnerven , selten an
den Cerebral- und Gangliennerven beobachtet. Die Schmerzen haben
etwas wanderndes , vermindern sich bei warmer, trockener Witterung, ja
intermittiren sogar , aber die geringsten Temperaturveränderungen rufen
sie wieder hervor. Nässe wird nicht ertragen. — Das Zittern, Tre-
mor mercurialis, entsteht nach einem Ziehen in den Bewegungs-
nerven der obern und untern Extremitäten , welches einige Zeit gedauert
hat. Von den Extremitäten geht diese krankhafte Thätigkeit auf die
Muskeln des Rumpfs , d. h. ihre Nerven , so wie auf die Centraltheile
dieser selbst über. Das gesammte vegetative System leidet nach länge-
rer Dauer des Uebels auch mit. Nicht geheilt , geht es in hectisches
Fieber oder Lähmung über. — Die Lähmungen können einzelne Ner-
ven oder das ganze System befallen. Zur ersten gehört die Amaurosis,
die zweite zur Apoplexia mercurialis. Sie kommen gewöhnlich
nach schlecht geleiteten Schmier- oder grossen Sublimatkuren vor. Die
Behandlung ist die der Mercurialkrankheit überhaupt.
8) Cachexia mercurialis. Sie ist der Inbegriff aller For-
men. Deswegen beobachtet man mehrere der bisher geschilderten
Formen, als Hautausschläge, Zittern der Glieder, Geschwüre etc. Der
Kranke stellt das Bild des tiefsten chronischen Leidens dar. Seine
Haare sind glanzlos, trocken, gebleicht, theilweise ausgefallen, die Augen
wässerig aussehend, eingesunken, die Iris entfärbt, das Gesicht ist blass,
schmuzig, erdfahl, die Wangen sind eingefallen, die Nase ist spiz, das
MILCHBORKE. 651
Zahnfleisch von den Zähnen zurückgezogen, diese sind mit dickem Schleim
überzogen , cariös , wackelig. Die Haut des Körpers ist welk und kalt ;
der Athem und die Ausdünstung riechen übel, der ausgeworfene Speichel
ist zäh, der Schweiss klebrig, der Urin blass , oft trüb, die Stühle wässe-
rig. Damit sind selbstverständlich eine grosse Abgeschlagenheit des
Körpers, Verdauungsstörungen, allgemeine Abmagerung und Apathie, ge-
schwächte Sinne etc. verbunden. Später erfolgen Schleimflüsse und Blu-
tungen , wassersüchtige Anschwellung der Füsse , endlich hectisches Fie-
ber, allgemeine Wassersucht und der Tod durch Apoplexie. — Die Be-
handlung, stets stärkend, erfordert grosse Umsicht. Als Nachkur die-
nen kohlensaure Stahlwasser, Seebäder etc. Meist bleiben Entstellungen
einzelner Gebilde, verstimmtes, höchst sensibles Nervensystem etc. zurück.
Milchborke, Milchschorf, Milchgrind, Freisam,
Crusta lactea, Tinea lactea faciei, besteht aus kleinen, runden,
wenig juckenden Bläschen am Kinn, an den Wangen, den Schläfen und
der Stirn, welche bald plazen und eine gelbe, klebrige Flüssigkeit abson-
dern , die zu gelbgrünen oder grünlich braunen Krusten vertrocknet und
grössere oder kleinere Flächen des Gesichts bedecken, ja sich zuweilen auf
Brust, Rücken und Schenkel erstrecken können. Nicht selten schleicht
sich der Ausschlag in die Augen oder wird auch das Secret von den Kin-
dern durch Reiben in diese gebracht , wodurch oft recht bösartige Oph-
thalmien erregt werden. Die Borken hinterlassen keine Narbe. — Eine
andere Art des Milchschorfs ist die Crusta serpiginosa; diese nimmt
grössere Körperflächen ein , erstreckt sich auf die Augenlider , Rücken,
Lenden , selbst auf den behaarten Kopf, macht eine dunklere Borke, ver-
ursacht Jucken und eine grössere Unruhe und macht die Achsel- und
Leistendrüsen schwellen. Nicht selten ist Fieber zugegen, und in Folge
der beständigen Unruhe kann eine allgemeine Entkräftung herbeigeführt
werden. — Ursachen. Die der Crusta lactea sind zu copiöse
Ernährung, Voll saftigkeit, Digestionsstörungen, die Dentition und scrophu-
löse Anlage ; bei der Crusta serpiginosa kommt zu den genannten
Ursachen noch ein ererbter oder von der Amme übertragener syphiliti-
scher oder herpetischer Zustand. — Die Milchborke entsteht gewöhnlich
in den ersten Lebensjahren , doch beobachtet man sie auch später. —
Prognose. Die Crusta lactea ist im Allgemeinen eine gefahrlose
Krankheit und leicht zu heilen; die Crusta serpiginosa ist bedeu-
tender, kann Jahre lang dauern und gefährliche Zufälle veranlassen. —
Behandlung. Sie besteht zunächst in der Regelung der Lebensweise,
Entwöhnen des Kindes etc. Man reicht gelinde Abführmittel , säure-
tilgende Mittel , namentlich Magnesia , dann Herbajaceae als Infus
oder in Pulverform , z. B. Rp. Herb, jaceae 5üj, Sem. foenic. 5j,
Sacchar. lactis 5üj. M. S. Täglich 3 Mal eine Messerspize voll,
oder : Rp. Pul v. jaceae, Sacch. lactis ana 5üj , Sulph. prae-
652 MISSBILDUNGEN.
cip., Magnes. carbon. ana *)ij. M. S. 4 Mal eine Messerspize voll;
den Aufguss lässt man zur Hälfte mit Milch trinken. Die Krusten er-
weicht man durch milde Oele. Bei der Crusta serpiginosa sind die
Antimonial- und Merkurialpräparate, so wie der Schwefel, bei Störungen
der Abdominalfunktionen Amara und Frühlingskuren angezeigt. Sehr
wirksam erweist sich folgende Verbindung : Rp. Aethiop. mineral.
gr. jß — viij, Herb, jaceae gr. iv — x, Sacch. lact. gr. iij — vj. M.
f. pulv. D. tal. dos. No. xij. S. Täglich 2 — 3 Pulver zu geben, oder
Rp. Stibii sulph. nigr. laevig., Natri carbon. ana 5ß, Herb.
viol. tricol. , Sacch. alb. ana 5üj- M. S. Täglich 3 Mal 1 Thee-
löffel voll. Die örtliche Behandlung erfordert der gern erfolgenden Meta-
stasen wegen grosse Vorsicht. Sie besteht in der Losweichung der Bor-
ken mit milden Salben , Oelen und erweichenden Decocten , und dann
Waschungen mit Sublimatwasser ; bei grosser Empfindlichkeit der Haut
und geschwürigem Zustande eine Salbe aus Zinkblumen, weissem Präcipi-
tat (R p. U n g t. r o s a t. ^j , Z i n c. o x y d a t. a 1 b i 3j , M e r c. p r a e -
cip. albi *)j. M. f. Ungt. S. Auf die exulcerirten Stellen zu legen),
aus Olivenöl und Kalkwasser, einer Solution der Schwefelieber (Rp. Hep.
sulp hur. c a 1 c. 5ij , solve in Decoct. rad. althaeae xiv. S.
Aeusserlich) ; auch Schwefelbäder zeigen sich nüzlich. — Complication
mit Scropheln erfordert eine entsprechende Behandlung.
MÜChfistel, s. B r u s t d r ü s e n f i s t e 1.
Missfoildungeil, Dysmorphoses, Pseudomorphoses,
Deformitates, Vitia primae et secundae formationis.
Man versteht hierunter diejenigen widernatürlichen Zustände des ganzen
Organismus oder einzelner Theile desselben , deren Wesen in einer von
der Norm abweichenden Form oder Gestaltung besteht. Die Formfehler
sind entweder angeboren (Missbildungen im eigentlichen Sinne , Mon-
stra) oder erworben (Deformitates). Leztere entstehen bald in
Folge einer durch Entzündung bedingten Verwässerung oder einer Ver-
schwärung , bald in Folge einer Verlezung , bald endlich in Folge einer
anfangs krampfhaften , aber auch nach Aufhören des Krampfes selbst-
ständig fortdauernden Verkürzung oder aber einer Lähmung von Muskeln,
welche beide ihrer Seits auf Krankheiten des Nervensystems beruhen. —
Die Entstehung der angeborenen Missbildungen ist bis jezt zum
grössten Theil noch unerforscht ; doch sind ohne Zweifel die Ursachen der
meisten Missbildungen abnorme , den Keim während seiner Entwicklung
treffende Einflüsse , obschon es auch nicht unwahrscheinlich ist , dass die
Ursache manchmal in einer ursprünglichen Abnormität des Keims (Eies
und Samens) liegen kann , wofür die Erblichkeit mancher Missbildungen
spricht. Was das sogenannte Versehen und den Einfluss von Gemüths-
bewegungen und phantastischen Aufregungen der Mutter betrifft, so lässt
sich allerdings die Genesis der meisten der auf diese Weise entstanden
MISSBILDUNGEN. 653
sein sollenden Missbildungen anders erklären , doch kann man das Ver-
sehen durchaas noch nicht ganz in Abrede stellen. Die abnormen Ein-
flüsse können von der verschiedensten Art und gewiss auch mechanische
äussere Einwirkungen sein , sie erregen entweder Krankheiten im Fötus,
welche den nach der Geburt auftretenden ganz analog sind , oder rufen
Bildungshemmungen hervor , bei welchen die embryonalen Organe auf
einer gewissen Stufe der Entwicklung stehen bleiben und Missbildungen
erzeugen, die man Hemmungsbildungen nennt. — Eintheilung
der Missbildungen. Man hat die Missbildungen auf verschiedene
Weise eingetheilt, indem die Einen die äussern Formen , Andere die ver-
anlassenden Momente , noch Andere beide Momente der Eintheilung zu
Grunde legten. Die bekanntesten Systeme sind die von Buffon,
Blumenbach, Meckel, Geo f f r o y S t. H i 1 a i r e , G u r 1 1 , Otto,
Bischoff, Vogel. Die der Leztern geben die beste Uebersicht über
die Missbildungen , weshalb wir ihnen hier folgen , indem wir die kein
chirurgisches Interesse darbietenden nur kurz berühren. — I. Miss-
bildungen, bei denen mehr oder weniger Theile ganz
fehlen oder zu klein sind. Diese können sein : Abnormitäten des
Keims, Hemmungen der Entwicklung durch äussere Einflüsse, z. B. Affecte der
Mutter ; Zerstörung des bereits gebildeten Organs durch Krankheiten,
z. B. Wasseransammlung, oder durch mechanische Einflüsse, z. B. Ab-
schnürung eines Gliedes durch den Nabelstrang oder abnorme Stränge
innerhalb des Ovulum. — A. Defecte im engern Sinne, Mon-
stra deficientia, mit gänzlichem Fehlen von Körpertheilen , wie des
Kopfs (Acephala), des Rumpfs etc. — B. Missbildungen mit
regelwidriger Kleinheit der Theile (Zwergbildung). — C.
Missbildungen durchVerschmelzung, Coalitio partium,
Symphysis. Hier sind namentlich zu erwähnen : a) die Verschmel-
zung der untern Extremitäten, Sirenenbildung, Mono-
podia; das Becken und seine Organe sind mangelhaft, die Beine mit
einander verschmolzen und dabei mehr oder weniger verkümmert ; ent-
steht durch das Ineinanderfliessen der Keime, b) Verschmelzung
der Finger und Zehen, Syndactylus; betrifft entweder blos die
Weichtheile oder auch die Knochen ; ist eine Bildungshemmung , da der
Keim für Hand und Fuss anfangs keine Spaltung in Finger oder Zehen
zeigt. — D. Verschluss normaler Oeffnungen, Atresien,
entstehen meist aus Bildungshemmungen. Es sind die Atresien der
Augenlider , der Pupille , des Mundes , der Nase , des äussern Ohrs, des
Afters, der Scheide, der Vulva, des Uterus und der Urethra. — E. Spalt-
bildungen, Fissurae; es sind dies Missbildungen aus Bildungs-
hemmung, bei denen im Normalzustande verwachsene Theile von einander
getrennt sind. Es gibt mehrere Arten derselben. Wenn sich die Rän-
der der Platten des animalen Keimblattes (die Dorsal- und Visceralplatten)
nicht oder nur unvollkommen vereinigen , oder wenn nach erfolgter Ver-
654 MISSBILDUNGEN.
einigung durch irgend eine Ursache (meist Wasseransammlung) eine aber-
malige Trennung geschieht , so bilden sich in der vordem oder hintern
Medianlinie des Körpers Spalten , meistens mit Zerstörung oder Vorfall
der eingeschlossenen Theile. Hierher gehören : die Spaltungen am Schä-
del, Gesichte , Gaumen , an der Oberlippe (Hasenscharte), Zunge, Brustr
dem Bauche, Rückgrate (Spina bifida), Becken und Harnblase (Pro-
lapsus vesicae urinariae), der obern Seite des Penis (E p i s p a -
dia). Auch durch Nichtaneinanderlegen des vegetativen und Gefäss-
blattes des Darmrohrs entstehen Spalten am Magen und am Darm (ange-
borene Darmfisteln). — Andere Spaltbildungen haben ihren Grund in der
Nichtschliessung gewisser Lücken, die bei der normalen Bildung gewisser
Theile vorkommen , sich aber nicht zu rechter Zeit schliessen. Hierher
gehören : die Spaltung der Chorioidea , Iris , des Halses (Fistulae
colli congenita e), der untern Seite des Hodensacks und der Harn-
röhre (H y p o s p a d i a). Zu diesen Spaltbildungen ist auch das Fort-
bestehen gewisser Communicationsöffnungen zwischen später getrennt sein
sollenden Theilen und das Offenbleiben gewisser Kanäle zu rechnen , wie
das Offenbleiben des Foramen ovale, des Ductus arteriosus
und v e n o s u s , des U r a c h u s , des Processus vaginalis peri-
t o n e i (was gewöhnlich zur Bildung der Herniainguinalis con-
genita oder der Hydrocele congenita Veranlassung gibt). —
Eine lezte Gattung von Spaltungen , welche aber nicht die Folge einer
Bildungshemmung sind, kommt an den Gliedmassen vor (Schistome-
1 e s) und besteht gewöhnlich in der Fortsezung der Trennung zwischen
dem 3. und 4. Finger oder Zehe bis an den Carpus oder Tarsus. — IL
Missbildungen, welche zu viel haben, Monstra abun-
dantia. Hier findet man eine ganz allmälige Steigerung, von derUeber-
zahl eines Nagelgliedes bis zur Ausbildung zweier vollständiger , nur an
einem Punkte vereinigter Embryonen. Bisch off findet den Grund die-
ser Missbildungen in einer ursprünglichen Bildung des Keims ; in einer
ungewöhnlich energischen Entwicklung eines ursprünglich einfachen Kei-
mes, veranlasst vielleicht durch äussere Ursachen ; durch Ovum in ovo;
durch Bildungshemmung (wie z. B. die Divertikel am Darm als Ueber-
bleibsel des Ductus omphalo-mesentericus). — • A. Ueb er-
zähl bei einfachem Kopf und Rumpf. Unter andern sind hier
zu nennen: Doppelter Unterkiefer (Dignathus), doppelte Zunge (über-
einander liegend), überzählige Zähne, doppelte Harnblase, doppelte Harn-
leiter, Ueberzahl der Brüste, überzählige Gliedmassen am Rücken (N o t o -
m e 1 e s), oder am Bauche (Gastromeies) oder am Steiss (P y g o m e -
1 e s), überzählige Finger und Zehen (Polydactylus) oder ganze Glie-
der an den normalen Extremitäten (Melomeles). — B. Zwillings-
missbildungen mit doppeltem Kopf und Rumpf. Hierher
gehören die Missbildungen mit doppeltem Gesicht, doppeltem Schädel,
zwei Köpfen bis herunter zu zwei vollkommen ausgebildeten Individuen
MUNDVERENGERUNG UND VERSCHLIESSUNG. 655
die an einer einzigen Stelle mit einander verbunden sind , z. B. in der
Gegend des Schwertknorpels (Xiphopages), wie die siamesischen
Zwillingsbrüder und die sardinischen Zwillingsschwestern , am Kreuze
(P y go didy mus), wie die ungarischen Schwestern, an der Brust (Tho-
racodidymus) etc. oder zu einem vollkommen ausgebildeten Körper,
welcher einen mehr oder weniger unvollständigen an der Brust oder am
Oberbauche trägt (Heterodid y m u s). — C. Doppelmissbildun-
gen durch Einpflanzung, a) Foetus infoetu, ein grösserer
vollständiger Fötus trägt an irgend einer Stelle unter der Haut oder in
einer seiner Körperhöhlen (meist im Bauche) einen zweiten kleineren,
stets unvollständigen und mehr oder weniger vom ersten isolirten ; b) Om-
phalo-craniodidymus, die Nabelschnur oder das Rudiment des
einen wurzelt am Schädel des andern etc. — c) Dreifache Miss -
bildungen, Monstra triplicia s. trigemina. Es sind hier
Körpertheile dreifach vorhanden. -^ III. Missbildungen, beidenen
weder etwas fehlt, noch auch zuviel ist, Monstra defor-
m i a. Sie haben ihren Grund bald in einer Anomalie der Bildungsthä-
tigkeit oder in einer krankhaften Beschaffenheit des Eies oder einer
späteren Krankheit des Embryo, bald in einer Bildungshemmung. — A.
Abnorme Lage der Organe, Situs mutatus. Die Theile,
welche rechts liegen sollen, liegen links, die obern unten und die vordem
hinten. Zuweilen ist die normale seitliche Asymetrie aufgehoben , z. B.
Herz und Leber liegen in der Mitte etc. — B. Abweichungen in
derForm der Organe: z. B. Varietäten in der Theilung der Organe
(Lunge) ; Formveränderungen in der Lage der Knochen (Verkrümmungen
der Wirbelsäule, Klumpfuss, Klumphand) etc. — C.Abweichungen
im Ursprünge und Verlaufe der Arterien und. Venen. Sie
sind sehr häufig und mannigfaltig und betreffen vorzüglich die grösseren
Stämme. — D. Missbildungen der Genitalien; Zwitterbili
düngen, Hermaphroditismus. Hierher gehören alle Missbildun-
gen, wodurch das Geschlecht mehr oder weniger zweifelhaft gemacht wird.
Mundverengerung und Verschliessung. Eine völlige
Verschliessung des Mundes , Atresia oris, als angeborene Krankheit
kommt höchst selten vor und zwar ist sie dann meistens mit andern Bil-
dungsfehlern verbunden, wogegen eine Verwachsung nach lupösen, syphi-
litischen und mercuriellen Ulcerationen, so wie nach Verbrennungen nicht
so selten eintritt. Dieselben Ursachen können eine Verengerung des
Mundes herbeiführen. An der Stelle des leztern findet sich nur ein
Loch, welches nur so gross ist, dass man einen Finger durchstecken kann;
diese Oeffnung verkleinert sich nach und nach immer mehr, bis sie kaum
einen Federkiel durchlässt, vermittelst dessen man dem Kranken flüssige
Nahrung einflössen kann. Die das Mundloch umgebenden Partien sind
gewöhnlich verhärtet, das Kauen der Speisen ist erschwert ; es kommt zur
656 MUNDVERENGERUNG UND VERSCHLIESSUNG.
Ablagerung einer grossen Menge von Weinstein an die Zähne und aus
dem Mundloche -dringt ein verpestender Geruch. — Die Verwachsung be-
schränkt sich entweder auf die inneren Theile des Mundes (Verwach-
sung der Lippen und Wangen mit dem Zahnfleische), wo-
bei die äussern Lippen Unversehrt bleiben, oder die Mundspalte ist in ein
kleines rundes Loch verwandelt, oder sie fehlt gänzlich. — Behand-
lung. Einzelne strangartige Verwachsungen der Lippen und Wangen
trennt man mit Messer oder Scheere , indem man sie durch Abziehen der
Theile spannt. Die Mundhöhle sprizt man bis zur Heilung von Zeit zu
Zeit mit kaltem Wasser aus. Besteht die Verwachsung zwischen ganzen
Flächen , so wird durch das eben angegebene Verfahren eine Wiederver-
wachsung der getrennten Theile nicht verhindert , ebenso wenig durch
das empfohlene Einlegen einer Compresse oder Bleiplatte, man muss viel-
mehr nach Dieffenbach einen noch unversehrten Theil der Mund-
schleimhaut in Form eines Lappens ablösen und an die Wange anheften.
— Betrifft die Verwachsung die Lippen unter sich , so hebt man , wenn
sie eine totale ist , die Lippe an dem einen oder andern Mundwinkel in
eine Längenfalte auf, schneidet diese quer zwischen beiden Lippen durch,
oder macht diese , die nur klein sein soll , aus freier Hand. Durch sie
führt man eine Hohlsonde ein und durchschneidet auf dieser in der Rich-
tung der Mundspalte die Verwachsung mit dem Messer. Die Blutung
stillt man durch kaltes Wasser ; zwischen die Wundlippen legt man ein
paar Tage lang Ceratiäppchen. Handelte es sich nur von einer Verkle-
bung oder dünnhäutigen Verwachsung der Lippen, so ist eine Wiederver-
wachsung derselben nicht zu befürchten. Ganz anders verhält es sich
damit, wenn ein Verschluss durch Narbensubstanz stattfindet, ein rother
Lippenrand somit fehlt. In solchen Fällen suchten Rudtorffer u. A.
das Offenhalten der Mundspalte dadurch zu sichern , dass sie zuerst die
Mundwinkel bildeten, indem sie die Stellen derselben mit einem dünnen
Troicart durchbohrten , in die Oeffnung einen Bleidraht einlegten und
nach der Vernarbung derselben die Brücke zwischen ihnen durchschnitten ;
das Einlegen von Ceratiäppchen sollte das Wiederverwachsen dieser Spalte
verhindern. Abgesehen davon , dass die Vernarbung der mit dem Troi-
cart angelegten Oeffnungen sehr lange braucht , so bleibt auch der auf
diese Weise hergestellte Mund immer hässlich und schwielig. Um diesen
Uebelständen zu begegnen , hat man nach geschehener Spaltung die Be-
säumung der Wundflächen mit Schleimhaut oder weniger gut mit äusserer
Haut unternommen und damit nicht allein Recidive verhütet , sondern
auch meistens die Bildung rother Lippen ermöglicht. Bei dieser Mund-
bildung, Stomatoplastik, verfährt Dieffenbach auf folgende
Weise : ein durch die bestehende oder vorläufig angelegte Oeffnung in
die Mundhöhle eingeführter Finger spannt und erhebt die Wange. Ein
spiziges Scheerenblatt wird hierauf zwischen der Schleimhaut und dem
diesseits derselben liegenden Theile etwas oberhalb der Linie, in welcher
MUTTERKRANZ. 657
die künftige Mundspalte verlaufen soll, in der Richtung gegen das Ohr
vorsichtig bis zu der Stelle, wo der Mundwinkel liegen soll , eingestossen
und die Theile darauf mit Ausnahme der Schleimhaut durchschnitten.
Ganz ebenso wird ein zweiter Schnitt , mit dem ersten parallel , einige
Linien tiefer geführt, so dass ein schmales Läppchen entsteht, welches am
künftigen Mundwinkel durch einen kleinen rundlichen Schnitt begrenzt
und von der Schleimhaut abpräparirt wird. Dasselbe geschieht auf der
andern Seite. Die zurückgelassene Schleimhaut wird durch Herabziehen
des Unterkiefers gespannt und in der Mitte nach der Richtung der Mund-
spalte bis in die Nähe des Mundwinkels gespalten. Jedes der so gebil-
deten vier Schleimhautläppchen wird nach aussen umgeschlagen und mit
dem entsprechenden Wundrande der äussern Haut durch feine Knopf nähte
vereinigt. Die Nachbehandlung besteht in anhaltenden kalten Um-
schlägen. — Bei Verengerung des Mundes wird auf ähnliche Weise ver-
fahren.
Mutterkranz, Mutterzapfen, Mutterhalter, Mutter-
ring, Pessarium, Suppositorium uterinum, nennt man eine
mechanische Vorrichtung , welche in die Scheide eingebracht wird , um
entweder den dislocirten Uterus zu unterstüzen oder die vorgefallene
Scheide oder einen in dieser befindlichen Bruch zurückzuhalten. — Die
Mutterkränze sind in Hinsicht auf Form und Material sehr verschieden ;
zu diesem hat man verwendet : Meerschwamm , elastisches Harz , Hörn,
Holz, Kork, Gyps, Elfenbein, Porcellan, Fischbein, verschiedene Metalle
etc. Auf den Gebrauch der metallenen Mutterkränze hat man wegen
ihres hohen Preises , ihrer Schwere und hauptsächlich deshalb verzichtet,
weil sie durch den Schleim der Scheide und Gebärmutter leicht angegrif-
fen werden. In Bezug auf die Form unterscheidet man hauptsächlich die
gestielten und ungestielten Mutterkränze. — Ein guter Mutterkranz muss
folgende Eigenschaften haben : um die betreffenden Ausleerungen nicht
zu hindern, darf der Mutterkranz weder auf die Harnröhre, noch auf den
Mastdarm drücken ; es ist deshalb nöthig , dass man sich bei der Wahl
eines solchen genau nach dem Bau des Beckens richte und für jeden ein-
zelnen Fall einen besondern geeigneten Kranz auswähle. Ferner darf die
Oeffnung desselben nie der Grösse des Muttermundes gleichkommen, son-
dern sie muss stets einige Linien kleiner sein , damit sich dieser nicht in
die Oeffnung hineinsenken und einklemmen kann; eine oder mehrere
Oeffnungen dürfen aber nicht fehlen , um den Secreten der Scheide und
der Gebärmutter nicht den Austritt zu verschliessen. Endlich darf der
Mutterkranz nicht eckig, scharfkantig , rauh, sondern muss überall abge-
rundet, glatt und polirt sein. — Die elatischen Mutterkränze sind die am
wenigsten beleidigenden. — l)Die gestielten Mutter kränze,
Pessaria petiolata, bestehen aus einem mehr oder weniger ausge-
höhlten, mit einigen Löchern zum Abflüsse der Uterinfeuchtigkeiten ver-
Burger, Chirurgie. _ 4J
658 MÜTTERKRANZ.
sehenen , 2 Zoll im Durchmesser grossen Teller , welcher in einen Stiel
ausläuft, der bis an den Eingang der Scheide reicht und an seinem Ende
mittels Bändern an einer Leibbinde befestigt wird. Der Stiel darf nicht
gerade, wie Roonhuysen, Camper und S m e 1 1 i e angaben, sondern
soll nach der Führungslinie des Beckens massig gekrümmt sein, wie Zel-
ler und H u n o 1 d verbesserten. Die Veränderungen, welche S t e i d e 1 e,
Suret, Stark, Wigand, Ra demacher, Recamier, Schmidt
u. A. an dem untern Ende dieser Mutterkränze anbrachten, theils um die
Krümmung zu ersezen, theils um die Lage derselben bei Bewegungen des
Körpers zu sichern, macht diese nicht allein complicirter und theurer, son-
dern auch zerbrechlicher und für die Reizbarkeit der Theile weniger pas-
send. Es gibt biegsame und unbiegsame Mutterkränze; die Biegsamkeit
findet sich indessen meist nur am Stiele. — Das Einbringen des gestiel-
ten Mutterkranzes geschieht nach Entleerung des Mastdarms und der
Blase in der Rückenlage der Kranken mit erhöhtem Becken und leicht
gebeugten und aus einander gespreizten Oberschenkeln. Der an der rech-
ten Seite des Bettes stehende Wundarzt bringt zuerst mit dem Zeige- und
Mittelfinger die Gebärmutter in ihre normale Lage zurück. Nun hält
man die Schamlippen mit den Fingern der linken Hand gehörig von ein-
ander, fasst mit dem Daumen und Zeigefinger der rechten Hand den Stiel
des beölten Mutterkranzes in seiner Mitte , neigt sein unteres Ende zu
dem linken Schenkel der Kranken und schiebt den dickeren Theil des
Tellers seitwärts in die Scheide. Ist dieser Theil durch den Eingang der
Scheide getreten , so wendet man den Stiel gegen den rechten Schenkel
und schiebt den Mutterkranz so hoch in die Scheide , als es nöthig ist.
Schliesslich gibt man dem Stiel die erforderliche Richtung nach der Füh-
rungslinie des Beckens und befestigt ihn dann mittels (am besten elasti-
schen) Bändern an eine Leibbinde. — Diese Mutterkränze halten zwar
den Gebärmuttervorfall sicher zurück, sie beschweren aber die Kranke
sehr, sowohl durch die Bänder, welche sie halten, als auch beim Sizen. —
2) Die ungestielten Mutterkränze sind nicht allein die gebräuch-
lichsten , sondern auch die zweckmässigsten ; sie verursachen weder im
Gehen , noch im Sizen oder Liegen die geringste Unbequemlichkeit ; sie
erhalten sich dadurch in ihrer Lage , dass sie sich auf die Scheidenwände
stüzen, wobei sie eine Vertiefung in der Scheide bilden ; man hat nur dar-
auf zu sehen, dass sie nicht die Harnblase und den Mastdarm zusammen-
drücken. Sie sind von der verschiedensten Form : rund , ring-, ei- oder
schildförmig , walzen- , kegel- , brezelf örmig etc. Die ursprünglichen
runden, kugelförmigen Mutterkränze verbesserte Juville da-
durch, dass er sie durchbohren, in die obere OefFnung einen Trichter von
Gold oder Glas , und in die untere ein Band zur Herausnahme des Kran-
zes anbringen Hess. S m e 1 1 i e und Stark bedienten sich ringförmiger,
aus festem Holz gedrehter und mit Wachs überzogener Mutterkränze ;
Hunold benüzte Fischbein zu dem Ringe, füllte diesen mit Menschen-
MUTTERKRANZ. 659
haaren aus und umwickelte ihn mit Baumwollengarn ; St au dt Hess sie
aus frischen , abgezogenen Weidenruthen flechten , mit Baumwolle um-
wickeln und mit Wachs überziehen. Zweckmässiger ist der von Ber-
nard verfertigte elastische Mutterkranz, welcher aus einem zirkeiförmi-
gen Kanal von Leinwand mit elastischem Harze überzogen besteht. Um
den den runden Mutterkränzen gemachten Vorwurf, die Blase und den
Mastdarm zu comprimiren (welcher sie indessen bei richtiger Auswahl
nicht trifft) zu beseitigen, empfahl man ei- oder schildförmige,
welche L e v r e t aus Kork anfertigte und an welchen Zenker den obern
scharfen Rand abrunden Hess. Man lässt diese Mutterkränze in Wachs
sieden und taucht sie dann in eine Mischung von 9 Theilen Wachs und
1 Theil gepulvertem Gyps. Pickel stellte solche in der Gestalt eines
Salzfasses , d. h. mit zwei Tellern , welche mit ihren gewölbten Flächen
zusammenstossen, von Holz her und lackirte sie. Brünninghausen
gab den eiförmigen Mutterkränzen die Form einer liegenden <x> und Hess
sie hinten und vorn ausschweifen , um weder Harnröhre noch Mastdarm
zu drücken. Oslanders eiförmiger Mutterkranz ist aus Holz hohl ge-
dreht, hat oben und unten eine Oeffnung und ist lackirt. Diese Mutter-
kränze kehren sich in der Scheide nicht selten um und gleiten dann aus
ihr heraus. Die walzen- und keg elf örmi gen Mutterkränze sind
hohle Cylinder nach der Weite und Tiefe der Scheide gebildet, von Holz,
Elfenbein, elastischem Harze, Drahtspiralen, oder auch von weichen Stof-
fen , wie Leinwand , Enden von Schweins- oder Kalbsdärmen mit adstrin-
girendem Pulver von Cortex quercus, ulmi, Salicis, granato-
rum etc. gefüllt und mit Aqua calcis, aluminis oder Spirit.
camphoratus befeuchtet ; auch bedient man sich eines konisch zuge-
schnittenen Stücks Badeschwamm mit adstringirender und aromatischer
Flüssigkeit getränkt. Man wendet diese Art von Mutterkränzen (Mutter-
zapfen) häufig bei Scheiden vorfallen und Brüchen an, erneuert sie täglich
und erhält sie mittels einer T-Binde in ihrer Lage. Eine besondere Er-
wähnung verdient der walzenförmige Mutterkranz von Schofield. Er
besteht aus einem 3 Zoll langen Säulchen von Porcellan , dessen runder
Obertheil zur Aufnahme des Muttermundes napfförmig ausgehöhlt ist
und dessen Untertheil einen abgerundeten Querbalken bildet , der mit 2
Löchern versehen ist , durch welche elastische Riemen gezogen werden,
die an einen Gürtel gehen. Von dieser Vorrichtung wird gerühmt, dass
sie neben der Reinlichkeit und der sichern Zurückhaltung des Uterus der
Vagina erlaubte , sich in Folge der geringen Dicke des Instruments (J/2
Zoll) nach und nach zusammenzuziehen. Ueber Nacht wird es entfernt.
Noch ist eines ziemlich complicirten kegelförmigen Mutterkranzes von
T h. S i m s o n zu gedenken , welcher aus zwei auf einem Stiele sizenden
Halbkugeln von Kork besteht, welche leztere durch eine in der Mitte des
Stieles befindliche Stahlfeder aus einander getrieben werden. Zwischen
den Halbkugeln verlaufen kreuzweise Schnüre , auf welchen die Gebär-
42*
660 MUTTERKRANZ.
mutter aufruht. Mittels Bändern kann der Mutterkranz geschlossen wer-
den. — Bei der Application der ungestielten Mutterkränze verfährt man
folgendermassen : nach den oben angegebenen Vorbereitungen bringt man
den mit Oel, frischer Butter u. dgl. bestrichenen Kranz bei von einander
entfernten Schamlippen mit seinem schmäleren Theile ein, richtet ihn dann
in die Quere , so dass seine beiden Enden (wenn er oval oder eiförmig
ist) sich auf die innere Seite der Sizbeine stüzen , seine concave Fläche
nach oben sieht, wenn er aber keine Aushöhlung hat, eine von seinen zwei
Flächen gegen die Gebärmutter , die andere gegen die Schamspalte sich
hinwendet. Dann lässt man die Kranke aufstehen und einige Schritte
gehen, husten, drückt mit der Hand auf den Bauch und untersucht dann
wieder, ob sich das Instrument nicht verrückt hat. Hat es seine Lage be-
deutend verändert und geschieht dies immer wieder nach neuen Zurecht-
stellungen, so ist der gewählte Mutterkranz zu klein und muss mit einem
etwas grösseren vertauscht werden. Verursacht er fortwährend Druck
und Schmerz , so ist er zu gross und man muss einen kleineren einlegen.
— In den ersten Tagen nach der Application muss. die Kranke alle hef-
tigen Bewegungen und Anstrengungen vermeiden , besonders solche , bei
denen die Baucheingeweide gegen den Beckeneingang gepresst werden.
Was für ein Mutterkranz aber auch benüzt wird, immer ist die grösste Rein-
lichkeit beim Tragen eines solchen zu beobachten , um die Nachtheile,
welche durch die Gegenwart dieses fremden Körpers entstehen könnten,
zu verhüten. Die Kranken müssen oft Einsprizungen machen und den
Mutterkranz wenigstens alle Monate einmal herausnehmen und ihn rei-
nigen. Die Vernachlässigung dieser Vorsichtsmassregeln hat zuweilen
zu den schlimmsten Folgen geführt, indem der Mutterkranz inkrustirt, in
andern Fällen von Auswüchsen eingeschlossen gefunden wurde , wodurch
die Entfernung desselben nur durch Zangen möglich wurde ; es sind so-
gar Fälle bekannt , dass der Ausziehung eine Zerstückelung des Kranzes
vorhergehen musste. — Bei eingetretener Schwangerschaft entferne man
den Kranz und bringe ihn erst nach Verlauf des Wochenbetts wieder ein.
— Schliesslich müssen noch einige Vorrichtungen betrachtet werden,
welche von den bisher besprochenen gänzlich abweichen. Kilian, von
der Ansicht ausgehend, dass nicht die Mutterbänder , sondern der Grund
der Mutterscheide den schwebenden Uterus am kräftigsten stüze und dass
also nur in dem Masse ein Herabsinken und Vorfallen desselben entstehe,
in welchem das Laquear vaginae an Fähigkeit sich einzustülpen ge-
winne , hält die Emporhebung der Scheide für das beste Mittel zur Zu-
rückhaltung des Uterus. Zur Erreichung dieser Absicht gibt er eine Vor-
richtung an, die er Scheidenstüze, Scheidenträger, Elytro-
mochlion (von iXvxqov , Decke, Mutterscheide, und /uu/Xoc, Hebel)
nennt. Dieselbe besteht aus einer , beiläufig 4 bis 5 Zoll langen Stahl-
feder, die an den beiden abgerundeten Enden nach einer Seite hin breiter
und mit elastischem Gummi überzogen ist. Diese Feder muss eine ziem-
MUTTERKRANZ. 661
liehe Nachgiebigkeit besizen , doch darf sie auch nicht zu schwach sein.
Man bedarf je nach der Individualität des Falles Federn von verschiede-
ner Stärke and Grösse. Behufs der Application fasst man das Elytro-
mochlion in der Art, dass der Daumen der fassenden Hand gegen das eine
Ende des Instruments, der Zeige- und Mittelfinger gegen das andere hin-
sieht, drückt die beiden Köpfe fest an einander, wodurch die Feder einen
Bogen bildet, der gegen die Hohlhand hinsehen muss , entfernt dann mit
Zeige - und Mittelfinger der freien Hand die grossen Schamlefzen und
schiebt die Vorrichtung dergestalt in der Richtung des Querdurchmessers
des Scheidenkanals ein , dass die stark convexen Ränder der Köpfe gegen
die Vorderwand des Beckens gerichtet sind. Man drängt nun den Bogen
der Feder sanft empor und dirigirt diese so , dass die beiden Köpfe im
Querdurchmesser des Beckens, rechts und links im Scheidengewölbe neben
der Vaginalportion zu liegen kommen. Wenn die Stärke und Grösse der
Feder die richtige ist , so liegt sie ohne die Kranke im Mindesten zu in-
commodiren, die ohne Weiteres ihrem Geschäfte nachgehen kann. Man
nimmt sie von Zeit zu Zeit heraus, um sie mit Seifenwasser zu reinigen.
J. R e i d hat das Elytromochlion dahin modificirt , dass er die Feder in
zwei Hälften theilte und sie unter Vermittlung von Elfenbein oder Holz
wieder zu einem Ganzen vereinigte. Die Enden der Feder belegte er mit
Kork und darüber kam ein Ueberzug von Kautschuk. Zwei Faden , die
über kleine Rollen an der innern Fläche der breiten Enden weg- und
durch eine OefFnung im verbindenden Stücke Elfenbein herausgehen , er-
laubt die Enden des Instruments einander zu nähern, wodurch seine Ein-
führung und besonders seine 4usziehung sehr erleichtert wird. — Als
eine Modifikation des Elytromochlions ist auch die von Z w a n c k ange-
gebene Vorrichtung anzusehen , welche aus zwei halbmondförmigen (mit
Guttapercha überzogenen) Stücken besteht, die an dem einen Ende durch
ein Charnier mit einander verbunden sind und von denen jedes an der
convexen Seite einen Stiel besizt. Das zusammengelegte und eingeölte
Instrument wird in der Rückenlage der Kranken mit der Rundung nach
unten und hinten und der coneaven der Stiele nach vorn und oben zwi-
schen die Schamlippen ein- und bis zum Charnier fortgeschoben. Dann
fasst man mit Daumen und Zeigefinger die Enden der beiden Stiele und
schiebt das Instrument ruckweise nach oben, bis die Enden beider Stiele
vereinigt sind , womit das Instrument geöffnet ist ; die Stiele werden
schliesslich durch eine Schraube geschlossen erhalten. Will man das
Instrument entfernen, so öffnet man die Schraube. — Nach C. Mayer
sind die Mutterkränze wegen ihrer Nachtheile (bestehend in der wider-
natürlichen Ausdehnung der Scheide , der Reizung derselben etc.) ganz
aus der Praxis zu verbannen und durch eine Stüzbandage zu ersezen,
welche diese Nachtheile nicht hat. Der zu diesem Zwecke angegebene
Apparat, welchen Mayer Gebärmutterträger, Hysterophor
{vexega , Gebärmutter, und epsoeo , ich trage) nennt, besteht aus einem
6Q2 NAGELKRANKHEITEN.
12 — 13 Zoll langen, an dem einen Ende 1 Zoll breiten, allmälig schmä-
ler werdenden und mit einem Knöpfchen endigenden Fischbeinstäbchen
von l/2 Linie Dicke, und aus einem Schwämme von 2 — 3 Zoll Länge
und l!/2 — 2 Zoll Durchmesser, in welchen das schmale Ende des Fisch-
beinstäbchens gesteckt und beide gehörig an einander befestigt werden.
Dieser Schwamm wird, angefeuchtet, mit dem Stäbchen möglichst tief in
die Scheide gebracht, dann das Instrument nach vorn gegen den Unter-
leib in die Höhe gebogen und durch ein um den Bauch und durch Löcher
in dem Stäbchen laufendes Band fest angebunden. Darüber wird eine
gewöhnliche T-Binde angelegt. Die schwache Federkraft des so ge-
krümmten Instruments reicht gerade hin, um den Schwamm so stark gegen
das Os sacrum zu drücken, dass ein Herausgleiten desselben unmöglich
wird und die Kranken weder durch Pressen noch durch irgend eine Be-
wegung, durch Gehen, Steigen, Hinsezen etc. denselben herauszudrücken
vermögen, auf der andern Seite ist der Druck so gering, dass er durchaus
nicht belästigt. — Giehrl glaubt die vorfallende Gebärmutter am besten
durch einen Druck auf den Damm zurückzuhalten und wendet zu diesem
Behufe eine bruchbandähnliche Bandage an , welche aus einem Becken-
riemen und aus einem mit einer Pelotte versehenen Dammstück besteht,
von welchem lezteren 4 Riemen ausgehen, welche mit dem Beckenriemen
in Verbindung gesezt werden. — K i w i s c h gebraucht ein birnf örmiges
hölzernes Pessarium , das auf einem nach der Führungslinie des Beckens
in die Höhe steigenden Bügel sizt, der seiner Seits wieder mit einem Gür-
tel in Verbindung steht. Aehnlich beschaffen ist das von Roser erfun-
dene und von Scanzoni modificirte Bruchband für vordere Scheiden-
und Gebärmuttervorfälle.
m
NaeVUS, t Gefässgeschwulst.
NagelkranMieiten. Es wird hier nur von denjenigen Krank-
heiten die Rede sein, welche durch ein Kranksein des Nagels, durch eine
veränderte Form und Richtung desselben bedingt wird , oder an welcher
auch nur der Nagel von vorn herein Antheil nimmt. Es wird deshalb
hier von der Fingerentzündung, dem Fingerwurm , bei welcher der Nagel
nur secundär in Mitleidenschaft gezogen wird , nicht die Rede sein , son-
dern dieser Krankheitsform ein besonderer Artikel (s. Panaritium)
gewidmet werden. — Ein nicht selten vorkommendes Uebel ist eine Ent-
zündung und Verschwärung in der nächsten Umgebung des Nagels, welche
man mit dem Namen Onychia (von opv'S, der Nagel) belegt hat. Man
unterscheidet 3 Arten derselben : 1) Onychia benig na, einfache
NAGELKRANKHEITEN. 663
Entzündung der Nagelmatrix, Umlauf. Sie ist gewöhnlich
die Folge eines schnellen Temperaturwechsels, welche das Nagelglied be-
trifft, einer Quetschung oder einer sonstigen Verlezung desselben. Die
Entzündung an der Seite oder Wurzel des Nagels ist ganz oberflächlich,
geht fast immer in Eiterung über , wobei der Eiter die Oberhaut blasen-
artig erhebt oder sich auch unter dem Nagel ansammelt , der meist ver-
loren geht, sich aber auch sehr bald wieder erzeugt. — Die Behand-
lung ist einfach. Kommt man zeitig genug hinzu , so zertheilt man die
Entzündung durch kalte oder Bleiwasserumschläge ; ist aber bereits Eiter
entstanden, so verschafft man diesem durch einen Einstich Abfluss und
verbindet mit einem milden Pflaster. — 2) Onychia maligna. Die-
ses Uebel hat seinen Siz gleichfalls in der Matrix des Nagels und beginnt
mit einer dunkelrothen Geschwulst an der Wurzel des leztern ; bald
kommt es zum Aussickern einer serösen Flüssigkeit zwischen dem Nagel
und den Weichtheilen ; die leztern fangen an zu schwären und einen jau-
chigen und übelriechenden Eiter abzusondern. Das Wachsthum des
Nagels hört auf, dieser verliert seine natürliche Farbe; er ist zuweilen
theilweise von schwammigem Fleische bedeckt, andere Male löst er sich
los. In diesem Zustande kann die Krankheit mehrere Jahre fortdauern
und die Zehe oder der Finger in eine unförmliche rundliche Masse ver-
wandelt werden. Der Schmerz ist zuweilen sehr heftig, gewöhnlich aber
ist die Krankheit ohne besondere Schmerzen. Sie kann mehrere Zehen
oder Finger zugleich befallen ; am häufigsten beobachtet man sie am
Daumen und der grossen Zehe. — Die Ursachen sind entweder ört-
liche, mechanische oder chemische Einwirkungen, oder allgemeine herpe-
tische , besonders aber syphilitische und scrophulöse Dyscrasie. Die
Krankheit kommt häufiger bei jungen Leuten als bei Erwachsenen vor.
— Bei der Behandlung müssen die zu Grunde liegenden Ursachen
berücksichtigt und äusserlich nach dem Grade der Reizung Blutegel , er-
weichende, schmerzstillende Cataplasmen, Einreibungen, Bäder etc. ange-
wendet werden. In der Regel führt keine Behandlung zum Ziele , so
lange der Nagel da ist. Nach Dupuytren und A. C o o p e r soll der
Nagel mit der Matrix abgetragen und die dadurch gesezte Wunde einfach
behandelt werden. Die Fleischwärzchen werden von Zeit zu Zeit mit
Höllenstein betupft. Einfacher ist das Ausreissen des Nagels , was mit
einer möglichst tief unter denselben geschobenen Polypenzange und unter
Drehen dieser nach oben geschieht. Nach dem Ausreissen wendet man
Cataplasmen und Chamillenbäder an. Ist die Eiterung schlecht, so macht
man Umschläge von Aqua phagedaenica und betupft öfters mit
Höllenstein. Auch die Cauterisation der Matrix des Nagels ist vorge-
schlagen worden; South bediente sich hierzu des Acidumnitri-
c u m ; der Nagel soll sich in Folge hiervon in wenigen Tagen aus seinen
Verbindungen lösen. — 3) Onychocryphosis (von oi>v'£ und xqvtftw,
ich verberge), Incarnatio unguis, das Einwachsen desNag eis
664 NAHT.
in das Fleisch. Dieses höchst schmerzhafte Leiden kommt am häu-
figsten an der grossen Zehe , und zwar an der der zweiten Zehe zuge-
wandten Seite vor. Es entsteht meistens durch zu enge Fussbekleidung,
besonders wenn die Nägel zu kurz abgeschnitten werden. — In Folge
des Eindrückens des Nagelrandes in die Weichtheile entsteht Entzündung,
es kommt zur Absonderung einer serösen Flüssigkeit , später von Eiter,
und es schiessen schwammige Excrescenzen auf, welche sich über den
Nagel weglegen. Wird die Entzündung durch das Fortbestehen der Ur-
sachen unterhalten, so kann sie sich bis auf den Knochen ausdehnen. —
In den leichteren Graden kann man nach genommenem Fussbade den
Nagelrand mit der Sonde etwas erheben und mit Aqua Goulardi be-
feuchtete zarte Charpie unterlegen , was man täglich wiederholt. Kann
man mit der Sonde den Nagelrand nicht umgehen, so durchschneidet man
die darüber liegenden Theile und füllt den Spalt mit der wie oben be-
feuchteten Charpie aus , wobei man zugleich den Nagelrand zu isoliren
sucht. Ebenso empfiehlt man das Einlegen eines Bleiblättchens , nach-
dem man vorher bestehende Excrescenzen mit dem Höllenstein oder dem
Messer beseitigt hat. N e u m a n n lobt das Einstreuen von Kohlenpulver
mit etwas essigsaurem Blei oder Zinkblumen versezt. B i e s s y und
Küster schaben nach genommenem Fussbade den Nagel in der Mitte
von der Wurzel bis zu seinem freien Ende so weit durch , bis die Unter-
lage roth erscheint , womit schon nach dem Leztern der Schmerz bald
aufhört; Biessy betupft die geschabte Partie öfter stark mit Höllen-
stein, bis sich der Nagel zusammen- und aus dem Fleische zurückgezogen
hat , worauf er Charpie unter dessen Ränder bringt. Kommt man mit
diesen Verfahrungsarten nicht zum Ziele , so ist die völlige Entfernung
des Nagels angezeigt , was nach Dupuytren auf folgende Weise ge-
schieht : der Wundarzt stösst eine gerade scharfe Scheere rasch vom vor-
dem Rande nach der Mitte der Basis des Nagels ein und trennt diesen
von vorn nach hinten bis auf ungefähr drei Linien hinter sein hinteres
Ende in zwei Hälften. Die leidende Hälfte wird dann mit einer Pincette
oder Zange gefasst, umgelegt und ausgezogen. Dasselbe geschieht, wenn
es nöthig ist , mit der andern Hälfte. Bedeutende schwammige Wuche-
rungen werden mit dem Aezmittel zerstört , worauf die Geschwürsfläche
sich sezt und bald vernarbt. Long trennt mittels eines Spatels langsam
die Haut , welche die Wurzel des Nagels bedeckt ; ist er bis an den hin-
tern Rand desselben gekommen , so dreht er rasch den Spatel um seine
Achse und dringt so unter den Nagel , der noch an seinen Seitenrändern
und in der Mitte adhärirt, drückt den Spatel zwischen dem Nagel und den
Geweben fort und bewirkt so ohne Schwierigkeit die völlige Lösung des
erstem.
rt ant, S u t u r a. Man versteht hierunter die mechanische Ver-
einigung getrennter Weichtheile, behufs der Herstellung ihrer organischen
NAHT. 665
Continuität auf dem Wege der schnellen Vereinigung. Je nachdem diese
Vereinigung durch Anlegung einer wirklichen Naht mittels Nadel und
Faden oder nur dadurch bewirkt wird , dass man die getrennten Theile
durch Klebemittel und passende Verbandstücke mit einander in Berührung
bringt und darin erhält, unterscheidet man eine blutige oder ächte,
und eine unblutige, trockene oder un ächte Naht (S ut. er u-
enta s. vera und S u t. sicca s. s p u r i a). Hier wird nur von der
erstem als einer Naht im eigentlichen Sinne des Worts die Rede sein,
während die leztere in den Artikeln zusammenklebende Mittel
und Wunde ihre Erledigung findet. — Die blutige Naht, Sutura
cruenta, ist angezeigt: 1) wenn die Noth wendigkeit vorliegt, sofort
eine schnelle und genaue Vereinigung zu erzielen , also bei allen plasti-
schen Operationen, bei penetrirenden Brustwunden etc. ; 2) wo unter der
Haut ein Hautmuskel liegt, dessen Bewegungen nur durch eine Naht hin-
reichend entgegengewirkt werden kann , besonders also bei Gesichts- und
Halswunden ; 3) wenn fortdauernde Bewegungen des Theils unvermeid-
lich sind , z. B. am Bauch ; 4) wenn Ausfluss von Secreten , oder Haar-
wuchs oder Unebenheiten das Anlegen der Heftpflaster oder die Anwen-
dung anderer Klebemittel hindern, z. B. an den Genitalien, am Ohr, an
den Augenlidern etc.; 5) bei Querwunden der Muskeln, welche stets ein
bedeutendes Klaffen der Wunde zur Folge haben ; 6) bei bedeutenden
Lappenwunden und solchen, bei welchen Körpertheile ganz oder zum Theil
vom Körper getrennt sind, wie Finger etc. — Die gebräuchlichsten Nähte
sind die Knopfnaht und die^u mschlungene Naht. Die Zapfen-
naht kommt selten mehr in Anwendung, und die Kürschnernaht, die Naht
mit durchzogenen Stichen und die Schlingennaht kommen nur bei be-
stimmten Fällen, namentlich bei Wunden des Darms in Gebrauch (siehe
unten). — 1 ) Die Knopf- oder unterbrochene Naht, Sutura
nodosa s. interscissa, ist die am allgemeinsten anwendbare. Man
nimmt dazu die gewöhnliche gekrümmte Wundnadel , fasst sie so in die
rechte Hand , dass der Daumen an der coneaven , Zeige- und Ringfinger
an der convexen Seite liegen , ergreift mit den zwei ersten Fingern der
linken Hand die eine Wundlefze, sticht die Nadel 3 bis 6 Linien vom
Rande entfernt ein, schiebt sie durch die Wunde hindurch und in gleicher
Entfernung vom Rande durch die andere Wundlefze aus, wobei man diese
wie die erste mit Daumen und Zeigefinger fassen oder aber nur durch
einen Druck auf sie fixiren kann. Gewöhnlich fädelt man so viele Nadeln
ein, als man Nähte anlegen will ; man kann aber auch mit einer einzigen
Nadel, die einen langen Faden enthält, alle Nähte nach einander anlegen,
indem man zwischen den einzelnen Ein- und Ausstichpunkten immer ein
Stück Faden schiin genförmig liegen lässt und die Schlingen dann durch-
schneidet. Ist die nöthige Anzahl (seidener oder leinener gewichster)
Fäden auf die eine oder die andere Weise eingelegt , so zieht man sie,
während die sorgfältig gereinigten Wundränder dicht aneinander gedrängt
ßftß NAHT.
werden, massig fest an und knüpft sie gleich darauf in der Art zusammen,
dass der Knoten zur Seite der Wunde zu liegen kommt. — Bei sehr tie-
fen Wunden, wo man beide Wundlefzen nicht gleichzeitig durchstechen
kann , hat man empfohlen , einen Faden mit zwei Nadeln anzuwenden.
Jede Nadel wird vom Grunde der Wunde nach aussen gestochen. —
Man legt die einzelnen Nähte in Entfernungen von \.L bis 1 Zoll an, je
nach der Starke des Wundklaffens. Gewöhnlich ist es am zweckmässig-
sten, die erste Naht in der Mitte der Wunde , oder aber da , wo die Ver-
einigung am schwierigsten zu erreichen ist , oder am genauesten erreicht
werden soll , anzulegen. — In die Zwischenräume der Nähte legt man
nach Bedürfniss Heftpflaster an. — In engen Räumen, wie im Munde, in
der Mutterscheide etc. führt man die Nadel mit einem Nadelhalter oder
einer Kornzange ein. — Man bedeckt die Wunde , wo es angeht, leicht
mit Charpie, einer Compresse und Binde. Der Kranke verhalte sich ru-
hig , in passender Lage und beobachte ein antiphlogistisches Regimen.
Tritt Verwachsung ein, so entfernt man am 3., 4. Tage einzelne oder
alle Hefte, indem man die Fäden an der dem Knoten gegenüber liegen-
den Seite mit einer spizigen Scheere durchschneidet und das Stück, woran
der Knoten sich befindet , mit der Pincette vorsichtig auszieht. — Tritt
eine heftige Entzündung ein, so macht man Umschläge von Tßleiwasser, und
wenn die Fäden auszureissen drohen , so müssen sie entfernt und durch
Heftpflaster ersezt werden. — 2) Die umschlungene oder u m w u n -
deneNaht, Sut. circumvolutas. intorta, besteht darin, dass man
die Wundlefzen mit einer oder mehreren geraden Nadeln durchsticht, diese
liegen lässt und so mit Faden umwickelt , dass die Wundränder in ge-
naueste Berührung gebracht und darin erhalten werden. Man bedient
sich dazu gewöhnlich der sogenannten Karlsbader Insectennadeln. Man
nimmt die Nadel zwischen Daumen und Mittelfinger, sezt den Zeigefinger
auf den Kopf und sticht sie , während die Wundlefze mit den Fingern
oder einer feinen Hakenpincette erhoben wird , gegen den Grund der
Wunde ein , möglichst weit durch die erste Wundlefze hindurch und in
entgegengesezter Richtung durch die zweite Wundlefze nach aussen, wo-
bei man ihr diese mittels des Zeigefingers und Daumens der linken Hand
oder einer halbgeöffneten Pincette entgegendrückt. Man zieht hierauf
die Nadel mit der Hand oder mittels einer Pincette so weit nach , dass
ihre Mitte in die Wundspalte kommt, und umschlingt sie dann mit einem
Faden, am besten in der Art, dass man diesen mit seiner Mitte quer über
die Wunde legt , die Fadenenden seitlich zwischen den Nadelenden und
der Haut nach unten führt, auf der Wundspalte kreuzt und in dem Masse
anzieht, dass die Wunde auf das Genaueste geschlossen ist, dann dieselbe
Tour wieder zurück macht , die Fadenenden noch einmal kreuzt und die
Nadel mit einigen Achtergängen umgeht, worauf man mit zwei einfachen
Knoten schliesst. Zulezt wird die Nadel auf beiden Seiten eine Linie
von den Umschlingungen entfernt abgekneipt, die freien Enden werden
NAHT. 667
etwas aufgebogen und die Fadenenden kurz über dem Knoten abgeschnit-
ten. Sind mehrere Nadeln nothwendig, so führt man sie in Zwischen-
räumen von 3 — 6 Linien ein, in welche man nach Bedürfniss Heftpflaster
einlegt oder Collodium aufstreicht. Am besten wird jede Nadel mit einem
besondern Faden umschlungen. Ueber das Ganze legt man einen leicht
deckenden Verband. — Die Nadeln entfernt man am 3., 4. oder 5. Tage,
indem man sie bei zusammengehaltenen Wundrändern mit einer Pincette
rotirend auszieht. Die weggenommenen Nadeln ersezt man durch Heft-
pflaster oder Collodium ; dasselbe thut man , wenn eine Nadel ausreisst.
Die aufgetrockneten Fadenschlingen lässt man noch einige Tage liegen.
— 3) Die Zapfennaht, Sutura clavatas. pinnata, wird auf
folgende Weise angelegt : ein Doppelfaden , welcher am Ende eine
Schlinge bildet , wird mittels einer Nadel , wie bei der Knopfnaht, durch
die Wundlefzen geführt ; auf dieselbe Weise werden sodann die übrigen
Hefte angelegt und zwar immer so , dass sämmtliche Schlingen auf die
eine Seite der Wundspalte zu liegen kommen. Durch diese Schlingen
steckt man einen kleinen Cylinder, der aus gerolltem Heftpflaster, einer
Federpose u. dgl. bestehen kann , zieht nun die freien Fäden an und
drückt dadurch den Cylinder fest gegen den einen Wundrand ; hierauf
legt man einen zweiten Cylinder zwischen die freien Fadenenden und
knüpft diese über ihm so zusammen , dass die Wundränder mit einander
in Berührung kommen. Diese Naht hat nichts vor den eben beschriebe-
nen voraus. — In der neuesten Zeit wendet Bertherand eine ge-
mischte Naht an, welche weniger schmerzhaft sein, die Wundränder mehr
in Berührung halten und bei längerem Liegenbleiben weniger reizend sein
soll , als die bisher üblichen Nähte. Er benüzt dazu prismatische , sehr
schmale Stahlnadeln mit geringer Krümmung, die ziemlich nahe an ihrer
feinen Spize ein Oehr haben , welches in eine Rinne zur Lagerung des
Fadens ausläuft ; am stumpfen Ende befindet sich ein Metallscheibchen,
auf das sich der Daumen bei dem Einstechen stüzt. Statt der Seiden-
oder Hanffäden bedient sich der Erfinder hinreichend langer Pferdehaare,
einfach oder mehrfach, die den Vortheil haben, dass sie nicht sehr stark
sind und von den Wundsecreten nicht angegriffen werden. Bei dem
Gebrauche wird die Nadel durch das Fleisch gestochen und sobald die
Spize mit dem Oehr sichtbar wird, macht man den Faden los und zieht
die Nadel zurück, so dass nur der Faden in dem Stichkanale zurückbleibt,
hierauf wird die Nadel in die Dicke des andern Wundrandes eingestochen,
aber ohne Faden; sobald das Oehr zwischen den beiden Wundrändern er-
scheint , wird das in der Wunde gelassene Fadenende durchgesteckt und
mit der Nadel an die Oberfläche der Bedeckungen zurückgezogen. Bei
diesem Verfahren macht die leicht und gleichmässig eindringende Nadel
nur einen einfachen Stich in die Weichtheile und kann auch in tiefere
Partien rasch und ohne Mühe eingeführt werden. Auch eine Art Zapfen-
naht verbindet Bertherand mit der eben beschriebenen Sutur, Die
668 NAHT. DARMNAHT.
Die gemischte Naht passt nur für besondere Fälle (grosse Wunde mit
voluminösen Lappen) , am besten für lineare und ziemlich regelmässige
Verlezungen. — Vi dal schlägt statt der Naht besondere Klämmerchen
(Serres fines) vor, die aus gehärtetem Draht, Silber oder Neusilber, nach
Art der gekreuzten Pincetten construirt sind und in grösseren Zwischen-
räumen als Knopfnähte so applicirt werden, dass sie nahe am Wundrande
auf jeder Seite gleichmässig viel von den Weichtheilen erfassen und zu-
sammendrücken. Die Haken dringen nicht in die Haut ein , und weil
dadurch die Haut weniger gereizt wird, so soll diese viel schneller heilen.
Die Serres fines eignen sich blos zur Vereinigung seichter, linearer, nicht
vielschichtiger Wunden.
Darmnaht, Enterorhaphia. Man versteht darunter die An-
wendung der blutigen Naht zur Vereinigung einer Darmwunde. Um
eine solche Vereinigung zu erzielen, genügt es aber nicht, die Wundrän-
der , wie bei äussern Wunden durch die angelegten Nähte einfach mit
einander in Berührung zu bringen ; sie sind zu dünn , um hinreichende
Berührungsflächen darzubieten. Ebenso wenig darf man die seröse Haut
des Darms mit der Schleimhaut oder gar zwei Schleimhautflächen mit
einander zu vereinigen suchen , da im erstem Falle nur ausnahmsweise
und im zweiten niemals Verwachsung zu erwarten ist. Vielmehr müssen
stets die serösen Flächen, welche sich durch eine grosse Neigung zur Ver-
wachsung und zur Bildung eines haltbaren plastischen Exsudats aus-
zeichnen, mit einander in Berührung gebracht werden. I. Verfahren
bei theilweiser Trennung (Längen- und Qu er wunden)
des Darms. 1) Die Naht der Wundränder mit einander
zugewandten Schleimhautflächen. a) Die ununterbro-
chene Kürschnernaht, Sutura pellionum. Man übernäht
die zusammengehaltenen Wundränder von einem Wund winkel zum andern
mit dicht auf einander folgenden Spiraltouren mittels eines seidenen Fa-
dens und einer feinen Nähnadel, die ungefähr eine Linie von den Wund-
rändern entfernt immer von der gleichen Seite aus durchgestochen wird
(nach Art der Ueberwendlingsnaht). An beiden Wund winkeln lässt man
ein Fadenende, welches nach Reposition des Darms ausserhalb der Bauch-
wunde zu liegen kommt. — b) Die Naht mit durchgezogenen
Stichen, Sutura transgressiva. Der Faden wird nach dem
ersten Durchstiche nicht über die Wundränder, sondern indem man die
Nadel abwechselnd in entgegengesezter Richtung durch die Wundränder
sticht, in einer Linie unter denselben hingeführt. — c) Die Schlingen-
naht, Sutura ansät a. Man nimmt so viele mit einem Faden ver-
sehene Nadeln, als man Stiche machen will, führt jede Nadel 2 — 3 Linien
von einander entfernt quer durch die Wundränder, zieht die Nadeln aus,
knüpft jederseits die Fäden an einen Knoten und dreht die Fäden beider
Seiten in einen Strang zusammen , den man ausserhalb der Bauchwunde
befestigt. — d) Die Naht der vier Meister (Roger, Jamerius,
NAHT. — DARMNAHT. 669
Saliceto und Theodorich) besteht darin, dass man die Wunde über
einem in den Darm geschobenen Stücke Luftröhre eines Thiers heftet.
Die vorstehend aufgeführten Nähte bringen , wie schon oben bemerkt,
keine unmittelbare Verwachsung hervor , sie mussten aber genannt wer-
den , einmal weil die eine oder die andere derselben als temporäre Naht
dienen kann, bis eine anderweitig nicht zu vereinigende verwundete Darm-
schlinge mit der Bauchwand verwachsen ist, zum andern, weil einige die-
ser Nähte auch bei den nachfolgenden Verfahren benüzt wurden. - —
2) Die Naht der Wundränder mit einander zugewandten
serösen Flächen. a) Verfahren von Lembert. Die Nadel
wird 2i/2 Linien von einem Wundrand entfernt eingestochen, unter der
serösen und Muskelhaut gegen Wundrand hin fortgeführt und l1/2 Li-
nien von diesem entfernt wieder ausgestochen , alsdann an der andern
Wundlefze gerade gegenüber ll/2 Linien vom Wundrande entfernt die
gleiche Nadel wieder eingestochen , unter der serösen und Muskelhaut
fortgeführt und 2l/2 Linien vom Wundrand entfernt ausgestochen. In
Entfernungen von 3 — 4 Linien werden nach Erforderniss mehrere solcher
Fäden eingelegt. Vor dem Schliessen der Ligaturen werden die Wund-
ränder nach innen gerichtet, die Fäden über der Sonde in einen einfachen
Knoten geknüpft, die Sonde weggezogen, der Knoten verdoppelt und die
Fäden dicht an diesem abgeschnitten. — Jobert schlägt zuerst die
Wundränder um und führt dann den Faden quer und in kurzen Zwischen-
räumen durch dieselben , wobei sämmtliche Darmhäute gefasst werden.
Des Weitern kann man wie bei der Schlingennaht (s. oben) die Fäden
zusammennehmen und nach aussen leiten oder man macht die Knopfnaht
und schneidet die Fäden an den Knoten ab oder leitet sie gleichfalls nach
aussen ; man kann sie im leztern Fall am fünften Tage ohne Gefahr aus-
ziehen ; am Knoten abgeschnitten fallen sie später in das Darmrohr. —
Dupuytren, Dieffenbach u. A. wenden bei dem Jobert'schen
Verfahren die Kürschnernaht an, knoten aber am Anfang und Ende des
Fadens. — b) Verfahren von Nuncianti. Eine spiralförmig
fortlaufende Naht mit einem Faden (Kürschnernaht) wird in der Weise
angelegt, wie dies Jobert für die einzelnen Stiche vorschreibt. Wird
nun an den beiden Enden des Fadens , welche am obern und untern
WTundwinkel frei bleiben, gezogen , so klappen sich die Wundränder von
selbst nach innen um. Die Fadenenden werden nach aussen geführt.
— = c) Verfahren von Gely, Steppnaht. Man nimmt einen an
beiden Enden mit einer gewöhnlichen Nadel versehenen Faden , sticht
eine Nadel neben einem der Wundwinkel 4 — 5 Millim. von ihm entfernt
in den Darm, führt sie parallel mit dem Wundrande 4 — 5 Millim. weiter
und sticht dann wieder aus. Ebenso verfährt man mit der zweiten Nadel
am gegenüberliegenden Wundrande. Dann werden die Fäden gekreuzt,
so dass also auch die Nadeln je nach der entgegengesezten Seite kommen,
und mit beiden derselbe Stich wiederholt , wobei die rechte Nadel genau
670 NAHT. — DARMNAHT.
in dieselbe Oeffnung eingesezt wird, aus welcher die linke soeben heraus-
gezogen wurde. Diese Stiche werden so oft wiederholt, als es die Lange
der Wunde erfordert. Hierauf werden vor der Knotung der Fadenenden
die einzelnen Hefte mittels einer Pincette hinreichend angezogen und zu-
gleich die Wundränder nach innen gedrängt. An der innern Darmfläche
bilden die eingeschlagenen Wundränder eine vorspringende Falte. Die
Fadenenden schneidet man kurz ab. — d) Verfahren von Bouisson.
Auf jeder Seite der Wunde parallel mit dem Wundrande und etwa zwei
Millim. von demselben entfernt wird eine am Kopfe mit einem seidenen Fa-
den versehene Stecknadel so durchgestochen, dass sie bald auf der Schleim-
haut- , bald auf der serösen Fläche des 'Darms sichtbar ist. Alsdann
werden unter den auf der serösen Fläche frei liegenden Theilen der Na-
deln Fäden durchgeführt, die man zusammenknotet, wodurch die Wunde
geschlossen wird , so dass die serösen Flächen der Wundränder gegen
einander sehen. Ein Fadenende wird am Knoten abgeschnitten, das an-
dere aus der Wunde geführt , und auch die an den Nadeln befindlichen
Fäden leitet man zur Wunde heraus, um an ihnen nach 3 — 4 Tagen die
Nadeln auszuziehen, wodurch die Knopf hefte frei werden, die man auch
entfernt. — e) Verfahren nach Emmert. Ein Faden wird an
beiden Enden mit einer gewöhnlichen Nähnadel versehen. Eine Nadel
wird nahe am Wundrande von aussen nach innen durch- und ungefähr in
1^2 Linien Entfernung vom Wundrande wieder ausgestochen, alsdann
sticht man die zweite Nadel , von dem ersten Einstichspunkte ungefähr
1 * L Linien entfernt, auf gleiche Weise ein und aus, so dass ein Stück des
Fadens parallel mit dem Wundrande läuft. Auf ähnliche Weise wird an
dem gegenüberliegenden Wundrande verfahren und nun werden die
einander gegenüberliegenden oberen Fadenenden mit einander und gleich-
zeitig auch die unteren zusammen angezogen und geknotet, wobei das mit
dem Wundrande parallel laufende Fadenstück jeden Wundrand von selbst
nach einwärts zieht. Die Fadenenden schneidet man dicht an den Kno-
ten ab. Bei grösseren Wunden werden in Entfernungen von 1 Linie so
viele Nähte eingelegt als zur Schliessung der Wunde nothwendig sind.
— f) Klammernaht nach Bobrik. Man schiebt durch die Wunde
in das Darmrohr ein der Länge der Wunde entsprechend langes Stück
Fensterblei oder eine anderweitige kleine Rinne aus biegsamem Metall,
drängt die Wundränder, sie umklappend, in dieselbe ein und übt durch
die Darmwandungen hindurch auf die Rinne einen so starken Druck aus,
dass die Wundränder in ihr eingeklemmt werden. Leztere werden ne-
krotisch und die dadurch frei gewordene Rinne geht per an um ab. In-
zwischen aber ist die Wunde geheilt. — IL Verfahren bei voll-
ständiger querer Trennung des Darm röhr s. — 1) Verei-
nigung der serösen Flächen ohne Invagination. —
a) Verfahren von Lembert. Die Nadel wird drei Linien von dem
Wundrande des einen Darmstücks ein und ohne die Schleimhaut durch-
NAHT. DARMNAP1T. 671
bohrt zu haben , eine Linie vom Wundrande entfernt wieder ausge-
stochen. An dem andern Darmstücke sticht man sie an entsprechender
Stelle , eine Linie vom Wundrande entfernt ein und nachdem sie
abermals ohne die Schleimhaut zu verlezen zwei Linien in der Darmwand
fortgeschoben ist, wieder aus. In derselben Weise werden ringsherum
zahlreiche Nähte angelegt. Durch das Anspannen und Zusammenknoten
der Fäden soll der äussere WTundrand sich nach innen umklappen, so dass
die Serosa des obern Darmendes sich derjenigen des untern zuwenden
muss. — Gely und Malgaigne empfehlen auch in diesen Fällen die
von Ersterem angegebene Steppnaht (s. oben). — Verfahren von
Den ans. Man bringt in das obere und untere Darmende einen silber-
nen oder zinnernen Ring, schlägt von jedem Ende den Rand zwei Linien
breit nach innen und schiebt die beiden Enden über einen dritten Ring
zusammen, welcher mit zwei Federn versehen ist , um die beiden äussern
Ringe zusammenzuhalten. Zur Sicherung der Ringe können sie noch
durch einen um sie geführten Faden fixirt werden. Die eingeschlagenen
Wundränder werden brandig und dadurch die Ringe frei, welche mit dem
Stuhle abgehen , während die sich berührenden serösen Flächen verwach-
sen. — 2) Vereinigung der serösen Flächen mitlnvag i-
nation. — a) Verfahren von Beclard. Dieser schlägt nach
Versuchen an Thieren vor, nach Ineinanderschiebung der Darmenden auf
dem äussern Stücke nahe dem Wundrande eine Ligatur anzulegen und
diese leicht zu schnüren, so dass die ober- und unterhalb der Ligatur her-
vorquellenden Darmenden mit ihren serösen Flächen sich an einander
legen und verwachsen. — b) Verfahren von Jober t. Man zieht
am obern Darmende 3 Linien von der Mündung entfernt an zwei gegen-
über liegenden Seiten des Darmes von innen nach aussen eine Faden-
schlinge ein, stülpt am untern Darmende die Ränder nach innen um, führt
die Fadenenden mit Nadeln von innen nach aussen durch dieses und zieht
mittels der Fäden das obere Darmende in das untere , worauf die Fäden
zusammengedreht und äusserlich befestigt werden. — 3) Vereini-
gung der Serosa mit der Schleimhaut. — a) Verfahren
von Ramdohr. Man schiebt das obere Darmstück in das untere
und heftet sie mit einigen Nähten an einander. Um die Invagination
und das Zusammennähen der Darmenden zu erleichtern, schieben Ritsch,
Chopart u. A. einen Kartenblattcylinder, Watson einen Cylinder aus
Ichtyocolla, Bell ein Stück Talglicht in den Darm ; bei sich ergebender
Spannung soll man nach Louis das Gekröse etwas vom Darme abtren-
nen. — b) Verfahren von Choisy. Gestüzt auf die Versuche von
Travers, welcher beobachtete, dass, wenn man einen Darm kreisförmig
zusammenschnürt, der Peritonealüberzug des obern Theils sich so schnell
mit dem untern vereinigt , dass die durch die Einschnürung gebildete
Scheidewand bald in Gangrän übergeht, sich abstösst und mit der Liga-
tur durch den Mastdarm abgeht, worauf die Darmhöhle vollkommen wieder
672 NARBE.
hergestellt erscheint, legte C h o i s y um die über einem Stück Luftröhre
oder einem Korkpfropfe invaginirten Darmstücke eine Ligatur , schnürte
sie fest zusammen und schnitt die Enden kurz ab. — 4) Dir ecte Ver-
einigung der Wundränder. — a) In das Darmrohr wird die Luft-
röhre eines Thiers etc. eingeschoben und die einander gegenüber liegenden
Wundränder durch die Naht der vier Meister (Kürschner- oder
Knopfnaht) geheftet. — b) Verfahren von Moreau-Boutard.
Nach diesem soll vor der unmittelbaren Vereinigung der Wundränder die
vorspringende Schleimhaut abgetragen werden. — De la Peyronie
ermöglichte die Vereinigung der beiden durch Substanzverlust weit von
einander abstehenden Darmenden dadurch, dass er das Gekröse in eine
möglichst grosse Falte zusammenheftete. Die in Berührung gebrachten
Darmenden wurden mittelst des Fadens in der Nähe der Bauchwunde er-
halten. — III. Vereinigung der serösen Fläche des Darms
mit der Serosa der Bauchwand. — Verfahren von Rey-
bard. Nach diesem soll man bei Längen- und schiefen Wunden eine
dünne Holzplatte , an welcher zwei Fäden befestigt sind , in den Darm
bringen, die Fadenenden mit. einer Nadel durch die entsprechenden Rän-
der der Dannwunde führen , dann beide Fadenenden mit einer krummen
Nadel in einiger Entfernung vom Bande der Bauchwandwunde durch diese
leiten und äusserlich auf einer Leinwand- oder Charpierolle fest zusam-
menbinden , so dass die auf der Holzplatte vereinigte Darmwunde dem
Bauchfell genau anliegt. Die Bauchwunde wird geschlossen. Am dritten
Tage zieht man die Fäden aus. Die Holzplatte geht mit dem Kothe ab.
— Privat befestigte bei mehrfachen Darmwunden auf jede derselben
eine gesunde Darmschlinge mittels eines durch das Mesenterium gezoge-
nen Fadens. — Bei ganz kleinen Darmwunden fasstA. Cooper denver-
lezten Theil mit einer Pincette , erhebt ihn etwas und legt eine Ligatur
um den gefassten Hügel.
Narbe, Cicatrix, nennt man im Allgemeinen dasjenige neue Ge-
bilde, welches sich zur Ausgleichung eines Substanzverlustes erzeugt und
welches mit Ausnahme der Narben an Knochen , Nerven und glatten
Muskelfasern ausschliesslich aus Bindegewebe besteht. Bei Substanzver-
lusten der Haut entwickelt sich auch eine Epidermis auf diesem sogenann-
ten Narbengewebe. — Die Narben stellen bald ganz weisse, bald aber
auch gelblich, oder röthlich livid gefärbte Flecken von verschiedener
Grösse und Form und einer bald faltigen , strangartigen wie punktirten
und matten , bald glatten und glänzenden Oberfläche dar , die meistens
über die Haut erhaben, zuweilen aber auch vertieft, eingezogen, mit un-
terliegenden Theilen wie Knochen, Knorpeln, Aponeurosen etc. zusammen-
hängend sind (adhärente Narben). Das Narbengewebe ist mehr
oder weniger fest, unnachgiebig, selbst hart, und zeigt, wenigstens in den
früheren Perioden seines Bestehens , zahlreiche Gef ässe , wogegen weder
NARBE.
673
Lymphgefässe noch Nerven in demselben nachgewiesen sind. Bei tief-
greifenden Narben sind die Haarbalge zerstört , weswegen die Haare auf
5olchen fehlen. — Nicht selten sind die Narben deform; besonders beob-
achtet man solche nach höheren Graden der Verbrennung, nach dyscra-
sischen Geschwüren mit grösserem Substanzverlust , nach scrophulösen
Drüsenabscessen, nach Caries oder Necrose. — Eine Haupteigenthüm-
lichkeit der Narbe ist ihre dauernde Neigung zur Contraction , eine Nei-
gung, welche sich bereits bei der Bildung der Granulationen, dem ersten
Stadium der Narbe, zeigt, besonders in den eben angeführten Fällen, die
Bildung der deformen Narben herbeiführt und namentlich je nach der
Grösse des Suhstanzverlusts und der mehr oder minder grossen Nachgie-
bigkeit des unterliegenden Bindegewebe auch später mehr oder weniger
lange Zeit noch fortdauert. — Nicht selten entspricht diese Verkürzung
der Narben dem Heilzwecke , sie kann aber auch eine Menge von Defor-
mitäten im Gefolge haben. An unbedeckten Körpertheilen , namentlich
im Gesichte entstellen die Narben einfach, sonst können sie die mannig-
fachsten Stellungs- und Richtungsveränderungen zur Folge haben , z. B.
Umstülpungen der Augenlieder und der Lippen, Schiefstellung des Kopfs,
permanente Beugung oder Streckung der Finger etc. Narben an röhren-
förmigen Theilen bewirken häufig eine Verengerung oder Verschliessung
derselben und ebenso wenn sie im Umfange von Körperöffnungen sich be-
finden. An durchsichtigen Theilen , wie am Auge führen sie eine Trü-
bung herbei. Ausserdem kann die Narbe selbst noch erkranken : sie
kann sich entzünden , versch wären , hypertrophiren , sie ist selbst Entar-
tungen ausgesezt ; endlich ist sie nicht selten der Siz eines heftigen Juk-
kens, Brennens und, besonders bei den Witterungs Veränderungen von pe-
riodischen (Kalender), seltener fixen Schmerzen. — Man kann versuchen,
der Bildung deformer Narben entgegen zu wirken , indem man während
der Heilung eiternder Wunden oder Geschwüre die Narbencontraction
schwächt und eine wenigstens in gewisser Richtung gedehnte Narbe an-
strebt. Ersteres erreicht man durch die Anwendung erweichender , er-
schlaffender Mittel während der Granulations-Cicatrisationsperiode, lezte-
res durch eine passende Lage , die man dem Theile gibt oder auch, wo
dies nicht angeht , durch geeignete Verbände. Sollen diese Mittel von
einigem Erfolge sein, so müssen sie ziemlich lange fortgesezt werden und
auch in diesem Falle richtet man häufig nichts aus. — Ist es einmal zur
Bildung nachtheiliger Narben gekommen, so lassen sie sich meistens nur
durch eine Operation (Narbenoperation) beseitigen, da die Anwen-
dung erweichender, dehnender Mittel durch Cataplasmen, Einreibungen,
Bäder, Verbände etc. gewöhnlich erfolglos bleibt. — Nach dem Size und
nach der Beschaffenheit der Narbe muss die Narbenoperation in verschie-
dener Weise ausgeführt werden, als: 1) durch Excision, 2) durch In-
•c i s i o n, 3) durch S u b c i s i o n, 4) durch Verlegung der Narbe auf
einen kleineren Raum mit oder ohne plastischen Ersaz , 5) durch Anle-
Burger, Chirurgie. 43
674 NARBE.
g u n g einer neuen, der alten entgegenwirkenden Narbe. — DieExci-
s i o n der Narbe ist im Allgemeinen das vorzüglichere und bei entstellen-
den Narben allein anwendbare Verfahren. Bedingung ist, dass die neue
Wunde nachher per primam intentionem vereinigt werden kann ;
es muss daher das zu excidirende Stück vor der Operation in eine Falte
emporgehoben werden, um zu ermessen, ob dies möglich ist ; woraus auch
folgt, dass dieses Verfahren bei sehr ausgedehnten Narben nicht anwend-
bar ist. Die beste Form für das zu excidirende Stück ist ein längliches
Oval mit spizen Enden und keilförmiger Grundfläche. Kleine Narben
schneidet man auf einmal aus, grössere in mehreren Stücken in Zwischen-
räumen von einigen Monaten. Zur Excision umgibt man zuerst die
Stelle mit oberflächlichen Schnitten und schneidet nun das Stück , wäh-
rend man es an einem Ende mit einer Hakenpincette ergreift, aus. Sind
mehrmalige Excisionen nothwendig , so nimmt man am besten zuerst ein
Stück aus der Mitte heraus. Lässt sich die Wunde nicht gut vereinigen^
so kann man die Hautränder mit. flachen Messerzügen etwas vom Grunde
lösen , um sie nachgiebiger zu machen ; reicht auch dies nicht hin , so
kann man unter Umständen in einiger Entfernung von der Wunde parallel
mit dieser verlaufende Schnitte durch die Haut führen. Die Vereinigung
der Wunde muss mit Sorgfalt durch die umschlungene Naht geschehen.
— Die Incision der Narbe ist vorzunehmen, wenn nicht Hebung einer
Entstellung, sondern einer störenden Hautverkürzung bewirkt werden soll,
die Narbe nur flach ist und entweder ihres Umfangs oder ihrer Verbin-
dung mit unterliegenden wichtigen Theilen wegen gar nicht exstirpirt
werden kann oder wenn die nach der Exstirpation zurückbleibende Wunde
doch nicht durch schnelle Vereinigung geheilt werden könnte. — Zur
Operation spannt man die Haut gehörig an , sticht das Messer zur Seite
der Narbe da , wo diese am meisten contrahirt erscheint, bis aufs Zellge-
webe durch und führt es in einer Linie , welche sich mit der Richtung,
in der die Haut verkürzt ist , rechtwinklig kreuzt , durch die Narbe so
hindurch , dass der Schnitt bis in das unterliegende gesunde Zellgewebe
eindringt. Dies hat nötigenfalls an mehreren Stellen zu geschehen,
wenn der der Geradrichtung desTheils sich entgegenstellende Widerstand
der Narbe durch einen einfachen Schnitt nicht zu überwinden wäre. Ist die
Narbe gehörig tief getrennt, so weichen die Wundränder aus einander und
die Querwunde verwandelt sich häufig in eine Längenwunde. WTährend
der Heilung erhält man den Theil in gestreckter Lage und behandelt die
Wunde wie oben angegeben wurde. Jobert spaltet die Narbe und
transplantirt in die Lücke einen Hautlappen , den er mit Knopfnähten an
die Narbenränder befestigt. Sedillot löst diese vorher etwas von ihrer
Unterlage ab. — Die Subcision oder subcutane Durchschneidung
eignet sich bei vertieften, eingezogenen, mit Knochen, Fascien oder Seh-
nen zusammenhängenden Narben. — Man führt seitlich ein spizes, ganz
schmales gerades oder sichelförmig gekrümmtes Messer durch die Haut7
NASE, KRANKHT. DERS. 675
schiebt es gegen die Stelle , wo die Narbe in der Tiefe adhärirt und
durchschneidet mit flach gehaltener Klinge den Narbenstrang , ohne die
Narbe nach aussen zu öffnen. — Die Verlegung der Narbe auf einen
kleineren Raum mit oder ohne plastischen Ersaz macht man bei spannen-
den , Contractur bewirkenden Narben , welche ihres Umfangs oder ihrer
Form wegen weder ganz ausgeschnitten , noch mit Erfolg eingeschnitten
werden können. Man trennt die Narbe in der Richtung , in welcher sie
die Contraction bewirkt, von dem einen oder andern Ende aus, am besten
da, wo sie am schmälsten ist, in Form eines dreieckigen Lappens so weit
los , bis ihre spannende Wirkung aufgehoben , bringt den Theil in .ge-
streckte Lage, bedeckt mit dem nunmehr sehr Zurückgewichenen von der
Wunde so viel, als ohne zu spannen möglich ist ,und vereinigt den übrigen
Theil der Wunde durch Zusammenziehung der seitlichen Wundränder,
was man nöthigenfalls durch seitliche Einschnitte oder durch Ablösung
der Wundränder von der Grundfläche unterstüzen kann ; auch eine Haut-
überpflanzung kann man vornehmen ; doch bringt es auch keinen Schaden,
wenn man einen Theil der Wunde durch Eiterung heilen lässt. — Die
Anlegung einer neuen, der alten entgegenwirkenden Narbe findet nur
an den Augenlidern statt, wenn Stellungsveränderungen durch Narben be-
wirkt werden, die durch die bisherigen Operationsverfahren nicht unschäd-
lich zu machen sind. — Die Krankheiten der Narben selbst betref-
fend, so lässt sich bei den meisten derselben nicht viel thun. Das Jucken,
welches sich gewöhnlich nur bei jungen Narben einstellt, verliert sich mit
der Zeit von selbst ; das Brennen und die Trockenheit wird durch milde
Salben oder Oeleinreibungen gemildert ; die gerötheten und excoriirten
Narben schüzt man vor Reibungen der Kleidungsstücke etc.; entartete
Narben exstirpirt man, ebenso die mit fixem Schmerz, welcher einen neu-
ralgischen Character hat : Larrey empfiehlt hier die Anwendung des
glühenden Eisens. Dagegen lässt sich gegen die periodischen Schmer-
zen , welche wahrscheinlich in einer Zerrung der mit der Narbe verwach-
senen Nerven in Folge der durch die Luftveränderung veranlassten Span-
nung der Narbe ihren Grund haben, nichts thun.
Nase, Krankheiten derselben. Sie entstehen am häufig-
sten von örtlichen Ursachen , hängen aber auch von allgemeinen Krank-
heiten ab. Die äussere Nase wird wegen der vielen Talgdrüsen in
ihrem Integumentalüberzuge öfters der Siz von Ausschlägen (Acne s.
Gutta rosacea) und herpetischer Ulceration (Lupus), welche leztere
selbst die Knorpel und Knochen nicht verschont und von syphilitischer
Zerstörung wohl zu unterscheiden ist. Durch Hypertrophie des subcu-
tanen Zellgewebs, chronische Entzündung, auch Ulceration in den Haut-
talgdrüsen, so wie Verdickung der Haut selbst, verbunden mit Gefässer-
weiterungen nimmt die Nase bisweilen eine ganz monströse Form an
(Kupfer-, Burgundernase). Auch Warzen beobachtet man
43*
676 NASE, KRANKHT. DERS. NASENBILDUNG.
nicht selten. — Die Nasenschleimhaut unterliegt sehr leicht der
Entzündung (S chnupfen) und diese kann ebensowohl polypöse Wu-
cherungen wie Geschwüre (mit Stinknase, Ozaena) nach sich ziehen.
Ausserdem kommen hier auch noch Verschwärungen in Folge von Anstek-
kung mit Rotzgift, nach Pocken, Verlezungen, Syphilis etc. vor. Das
Nasenbluten nimmt nicht selten einen beunruhigenden Character an.
— Die Nebenhöhlen, vorzüglich die Stirn- und Oberkiefersinus neh-
men nicht selten an den Krankheiten der Knochen und Schleimhaut der
Nasenhöhle Theil, auch pflanzen sich die Nasenkrankheiten leicht auf die
Thränenwege und Conjunctiva , auf die Ohrtrompete , den Pharynx und
Kehlkopf fort und rufen dann entsprechende Störungen hervor.
Nasenbildung, Rhinoplastik. Man versteht hierunter die
organische Wiederherstellung der Nase durch Ueberpflanzung eines Haut-
theils an dieselbe oder durch Veränderung der Lage ihrer einzelnen
Theile. Sie ist angezeigt bei theilweisem oder gänzlichem Mangel der
Nase , so wie bei durch Zerstörung oder Verbildung ihrer Knochen und
Knorpel bewirkter Entstellung ihrer Form. Gegenanzeigen der Opera-
tion sind : bestehende Dyscrasien oder überhaupt fortwirkende Ursache
des Nasendefects, Ausschläge (z. B. Acn e r o s ace a) in der Umgegend
der Nase , durch die Entzündung verdichtete oder sonst veränderte Rän-
der des Nasenstumpfs , so dass sie nicht fortgenommen werden können.
— Der organische Wiederersaz der Nase kann auf verschiedene Weise
bewerkstelligt werden. Man benuzt dazu entweder die nahegelegene
Haut, vorzüglich der Stirne, mit Erhaltung der Verbindung derselben mit
dem Mutterboden (erste indische Methode); oder man überpflanzt
ein einem entfernten Körpertheil entnommenes Hautstück auf den zu er-
sezenden Theil (zweite indische Methode); oder man benüzt die
Armhaut und zwar entweder unmittelbar (nach v. Gräfe, deutsche
Methode), oder nach vorgängiger Ueberhäutung ihrer Innern Fläche
(italienische Methode). — Die erste indische Methode,
d. h. der Ersaz aus der Stirnhaut gewährt die meiste Aussicht auf gün-
stigen Erfolg. Das Verfahren dabei ist folgendes : Der Rand der beste-
henden Nasenöffnung wird rings herum möglichst geradlinig angefrischt,
und die Haut , wenn sie nicht verschieblich ist , etwas abgelöst. Die
Wundränder müssen eine Breite erhalten , welche der der Ränder des
Ersazlappens gleichkommt. Nun wird die Länge der vertical stehenden
Seitenränder der Nasenöffnung gemessen und danach aus einem Stück
Heftpflaster ein Modell gemacht, an welchem die Entfernung der Nasen-
spize von dem hintern Rande der Nasenflügel auf 1 Zoll angenommen
wird. Ferner muss dem Modell so viel an Länge zugegeben werden, als
zur Bildung des Septum und zur Umsäumung des Ersazlappens an den
Nasenlöchern nöthig ist. Die Länge des Septum wird hierbei auf min-
destens 3/4 Zoll, seine Breite auf 1/2 Zoll angesezt. Dieses Modell wird
sofort auf die Stirne geklebt, nachdem nöthigenfalls vorher die Stirnhaare
NASE, KRANKHT. DERS. NASENBILDUNG. 677
abrasirt worden sind, und dasselbe darauf mit die ganze Dicke der Haut
durchdringenden Zügen umschnitten. Auf der einen Seite geht der
Stirnhautschnitt in den Auffrischungsschnitt über, auf der andern dagegen
muss eine Brücke von etwa l/2 Zoll Breite als Stiel (N u t r i x) des Er-
sazlappens stehen bleiben , durch welchen er nach erfolgter Transplanta-
tion bis zur Anheilung seine Blutzufuhr allein erhalten soll. Der Lappen
wird so abpräparirt, dass er neben der Haut eine möglichst dicke Schichte
Bindegewebe enthält. Der so abgelöste Lappen wird nun in der Weise
geschwenkt , dass sein linker oberer Winkel in die Gegend des rechten
Nasenflügels kommt etc. Bei gehöriger Ablösung des Stiels ist die Dre-
hung , die dieser nothwendiger Weise erleiden muss , nur eine geringe,
auch kann die Beweglichkeit desselben noch vermehrt werden, wenn man
dicht über ihm von dem untern Ende des seitlichen Stirnhautschnitts eine
tiefe, etwa l/^ Zoll lange Incision, horizontal nach aussen, dicht oberhalb
der Augenbraue , hinführt. Man widmet nun zunächst der Stirnwunde
seine Sorge, welche man nach gestillter Blutung, soweit es angeht, nötigen-
falls unter Ablösung ihrer Ränder , durch die umwundene Naht mit star-
ken Insectennadeln vereinigt ; den unvereinigt bleibenden Theil der
Wunde bedeckt man mit lockerer Charpie , welche man mit Heftpflaster-
streifen festhält. Vor der Anlegung des Stirnhautlappens wird der für
das Septum bestimmte Theil desselben durch zwei Schnitte von den für
Umsäumung der Nasenlöcher bestimmten Seitenstücken getrennt, leztere
dann mit ihrer wunden Fläche gegen die Wundfläche des übrigen Lappens
umgeklappt und mit ein paar grossen Stichen in dieser Stellung festge-
heftet. Die Anheftung des Lappens an seinen neuen Standort beginnt
mit dem Annähen des Septum, was mit zwei Nähten an den angefrischten
obern Theil der Lippe geschieht. Die Seitenränder des Lappens werden
genau an die entsprechenden verticalen Bänder der Nasenöffnung ange-
passt und durch dicht gedrängte Knopfnähte befestigt. Endlich wird in
jedes Nasenloch ein Stück eines elastischen Catheters oder eine Heft-
pflasterrolle , ohne Spannung zu verursachen , eingesezt. Der Operirte
wird dann zu Bett und in eine mehr sizende Lage gebracht und muss
sich und besonders den Kopf ganz ruhig halten. Ist der transplän-
tirte Lappen bleich und kalt , so fomentirt man ihn mit lauem Wein und
Wasser und wenn er später anschwillt und sich röthet, so macht man Um-
schläge von kaltem Wasser. — Bei günstigem Verlaufe werden die Nähte
spätestens nach 3 0 Stunden und zwar zuerst (schon nach 12 — 14 Stun-
den) da , wo sich Adhäsion zeigt und die Spannung am geringsten ist,
entfernt. Die ausgezogenen Nähte ersezt man durch Collodium ; an an-
dern Stellen lässt man die Hefte und zwar wo möglich wechselsweise
noch liegen ; die an den Endpunkten liegenden nimmt man zulezt weg.
Die Stirnnadeln zieht man am fünften, sechsten Tage aus. Späterhin ist
eine sorgfältige Reinigung der Nasenhöhle durch Einsprizungen nöthig.
— Ist eine neue Nase völlig angeheilt, so hat man meistens noch etwas
678 NASE, KRANKHT. DERS. NASENBILDUNG.
für ihre Form zu thun , die sich verändert ; man wartet jedoch damit so
lange, bis die Temperatur der neuen Nase gleich der des übrigen Gesichts
ist, wozu etwa 6 — 8 Wochen Zeit erforderlich sind. Dieffenbach
excidirt aus ihr da, wo sie wulstig und unförmlich ist, aus ihrem Rücken,
so wie aus beiden Seiten, oberhalb der Nasenflügel myrthenblattförmige
Hautstücke und heftet die Wundränder ; Defecte bedeckt man mit einem
Hautlappen etc. Vor Allem aber muss der Stiel des Stirnlappens exstir-
pirt werden. Man schneidet ein Oval oder ein schräg liegendes Dreieck
aus ihm heraus und heftet diese neue Wunde. Diese Operation wird
etwa fünf Wochen nach der Transplantation vorgenommen. — Auch
durch Hautverschiebung von den beiden Wangen her kann der Ersaz
der Nase bewerkstelligt werden ; jedoch passt diese Methode besser zum
Ersaz einzelner Theile der Nase als zu dem des ganzen Organs, weil die
Haut dieser Gegend zu dünn ist , zu stark schrumpft und ausserdem bei
dieser Operation entstellende Narben im Gesichte nicht zu vermeiden
sind. — Die Transplantation aus der Armhaut ist nur indi-
cirt, wo die vorige Methode nicht ausführbar ist und passt weniger zum
Ersaz der ganzen Nase als eines Theils derselben. — Die unmittel-
bare Transplantation, die Gräfe'sche oder deutsche
Methode verdient im Allgemeinen vor der folgenden den Vorzug. Der
Kranke muss zuerst an die nach der Operation nöthige Lage des Arms
gewöhnt werden, indem man ihn acht Nächte vorher in der Vereinigungs-
binde schlafen lässt. Es ist dies ein Wams, eine mit diesem verbundene
Kappe und eine Armbinde , durch welche der Arm auf der Kappe befe-
stigt wird. Die einzelnen Acte der Operation bieten keine wesentlichen
Abweichungen von der indischen Methode dar. Breite Auffrischung und
genaue Naht sind hier wie dort Bedingungen für das Gelingen. Auf dem
Arm zeichnet man das Modell der Nase auf; der dem Septum entspre-
chende Theil, welcher nach unten gerichtet wird, darf nur um 2/5 schmä-
ler, als die Nasenflügel , und so lang gezeichnet werden, dass der ganze
Lappen */4 länger ist als das Papiermodell. Nun schneidet man nach
der aufgezeichneten Linie Haut und Zellstoff durch, wobei man jedoch
die untere Querlinie ungetrennt lässt , und präparirt bis zu dieser Linie
hin den Lappen mit der grösst möglichen Menge Zellstoff los. Nach ge-
stillter Blutung zieht man dem Kranken die Kappe der Einigungsbinde
über den Kopf und befestigt sie unter dem Kinn, bringt dann den Arm
so weit an das Gesicht , dass man den Lappen genau an den (vorher mit
Ausnahme der untern Partie aufgefrischten) Nasenstumpf anpassen kann,
entfernt ihn, wenn diese beide passen, wieder etwas und zieht die Hefte,
wie sie vorher bezeichnet waren, ein, indem man mit den Heften der Na-
senwurzel anfängt. Nun legt man den Arm auf den Kopf und passt den
Lappen auf das Genaueste an den Nasenstumpf, worauf man die Hefte
knüpft und den Arm mittels der Binde am Kopfe befestigt. Die Hefte
entfernt man nach etwa 7 2 Stunden , wechselt den Verband und sprizt
NASE, KRANKHT. DERS. NASENBILDUNG. 679
die Nasenlöcher aus. Ist der Lappen angewachsen, wozu 6 — 10 Tage
erforderlich sind, so trennt man ihn nach gelöstem Verbände durch einen
Querschnitt und nimmt schliesslich, wenn die lezte Schnittlinie gut über-
häutet ist, die Umsäumung der Nasenlöcher und die Bildung des Septum
auf die bei der indischen Methode angegebene Weise vor. Die Arm-
wunde behandelt man nach allgemeinen Regeln. — Die mittelbare
Transplantation, die Tagliacozz i'sche oder italienische
Methode weicht von der vorigen nur darin ab, dass man die Nase auf
dem Arme zum Theil vorbildet , und dann erst die beiden Theile behufs
der Verwachsung mit einander in Verbindung bringt. Dies geschieht,
kürzer als es von Tagliacozzi geschah, in der Art, dass man auf dem
Arm ein hinreichend grosses Stück Haut in Gestalt eines abgestumpften
Dreiecks mit nach oben gewandter Basis ausschneidet und, nachdem man
die Umsäumung der künftigen Nasenlöcher dadurch vorgenommen hat,
dass man zu den beiden Seiten des Stiels kleine dreieckige Lappen auf-
wärts umklappte und annähte, der Narbencontraction überlässt. Vor der
Anheftung der Nase an ihren neuen Standort muss sie dann ebenso wie
die Ränder des Defects angefrischt werden. — Die Transplantation
eines vorher ganz getrennten Hautstücks (zweite indische
Methode) ist nur indicirt, wo alle andern Methoden nicht ausgeübt wer-
den können. Es wird ein Hautstück, nachdem es so lange geklopft
worden ist , bis es anschwillt (in Indien aus dem Hinterbacken), heraus-
geschnitten und an die wundgemachten Nasenränder angeheftet. — Die
partielle Rhinoplastik bietet weniger Schwierigkeiten dar, als die
totale. Ein Nasenflügel kann aus der andern Nasenhälfte, der Stirn- und
Wangenhaut ersezt werden. Für den Ersaz des Nasenrückens oder der
Nasenspize benüzt man die Stirn- , im leztern Fall auch ganz gut die
Armhaut. Zum Ersaze des Septum dient die Oberlippe, oder man nimmt
die Haut aus dem Rücken der Nase. • — Form ver änd er un gen der
Nase , besonders' in Folge von Zerstörungen der dieselbe constituirenden
Knochen und Knorpel machen der daraus sich ergebenden Entstellung
oft eine dringende Abhülfe nöthig. Sinkt die ganze Nase ein , so
kann man ein seitliches Zusammendrücken der Nase versuchen, was durch
Pappschienen geschieht, durch welche, so wie durch die Nase, man lange In-
sectennadeln führt, die man allmälig stärker aufbiegt, wodurch die Nase
immer stärker zusammengezogen und damit ihr Rücken vorspringender wird.
Führt dies nicht zum Ziele, so spaltet man die Nase und heilt einen Stirn-
lappen ein. Nötigenfalls pflanzt man einen grossen Stirnlappen über
die ganze Nase her, welcher nach Umschneidung der Nase an die benach-
barte Wangenhaut angeheftet wird. — Ist der mittlere Nasen-
rücken eingesunken, so schneidet Dieffenbach ein keilförmiges
Stück aus der Nase und vereinigt die Wunde durch Knopfnähte. —
Wenn die Nasenspize durch eine Längenfalte des knorpeligen Septum
680 NASE, KRANKHT. DERS. NASENGESCHWUER.
herabgezogen ist, so spaltet derselbe Operateur die Scheidewand bis
auf den Knochen und lässt die Wunde durch Granulation heilen.
Nasenblutung, s. Blutungen.
Nasengeschwür, Stinknase, Ozaena (von o£«, ich stinke).
Die Nasenschleimhaut ist häufig der Siz von Verschwärungen, welche sehr
selten ein rein örtliches , d. h. durch äussere Schädlichkeiten , wie Quet-
schungen, Verwundungen, durch Eindringen fremder Körper etc. entstan-
denes Leiden sind ; in den bei weitem häufigeren Fällen ist es der Reflex
einer im Körper vorhandenen Dyscrasie und zwar am häufigsten einer
scrophulösen und syphilitischen ; ausserdem kommen lupöse, impetiginöse
und krebsige Verschwärungen vor, welche dem Nasengeschwür jede ihm
eigenthümliche Charaktere aufdrücken. — Diese Affection tritt ohne auf-
fallende Symptome und allmälig auf, weshalb sie auch im Anfang leicht
übersehen und gewöhnlich für ein katarrhalisches Ergriffensein der
Schleimhaut genommen wird. Ist es zur Ulceration gekommen, so kommt
es nicht allein zu einer vermehrten, sondern auch zu einer äzenden, höchst
übelriechenden Secretion , welche eben diesem Leiden schon von Alters
den Namen Ozaena verschafft hat. Durch das Geschwür der Schleimhaut
werden die Knochen entblösst, cariös oder werden durch Necrose zerstört.
In den selteneren Fällen geht aber auch der Zerstörungsprocess von den
Knochen auf die Weichtheile über. — Das Leiden beginnt mit einem
juckenden brennenden Gefühl in der erkrankten Nasenhälfte , dem sich
das Gefühl des Trockenseins und bald auch das der Verengerung und
Verstopfung zugesellt. Beim Ausschnauben oder Niesen, wozu der Reiz
nicht fehlt , kommen kleine Borken und ein übelriechender Nasenschleim
zum Vorschein , wobei das Geruchsvermögen beeinträchtigt , die Stimme
unrein , die Sprache durch den eigenthümlichen Nasenton unverständlich
und das Athmen durch die Nase beschwerlich wird. Nach der Verschie-
denheit der dem Uebel zu Grunde liegenden Ursache schreitet es lang-
samer oder schneller vorwärts, wobei sich ebenso die Weichtheile als die
Knochen in grösseren oder kleineren Partien abstossen , so dass in nicht
seltenen Fällen der sich schneuzende Kranke den abgestorbenen Vomery
eine Muschel etc. in das Tuch bekommt. Trifft dieser Zerstörungsprocess-
die knöcherne Unterlage der äussern Nase, so schwillt diese an, wird miss-
farbig, geröthet und fällt später, ihrer Stüzen beraubt, zusammen, bis
auch endlich sie zerstört wird. Im weiteren Verlaufe kann sich die Zer-
störung auf die Thränen - und Oberkieferbeine , das Keil- und Stirnbein
ausdehnen, so dass am Ende Nasen-, Mund- und Rachenhöhle eine grosse
Kloake darstellt. Mit diesen Verwüstungen sind natürlich auch bedeu-
tende Funktionsstörungen verbunden. — Nicht selten beobachtet man
eine Ozaena bei Personen mit kleiner plattgedrückter Nase , bei der sich
keine Verschwärungen , dagegen ein Secret von penetrantem Gerüche fin-
det. Der Grund davon scheint in einem Faulen des Nasenschleims
in der obern , vielleicht abnorm gebildeten Nasenhöhle zu liegen.
NASE, KRANKHT. DERS. VERENGERUNG. 681
Die Patienten (besonders junge Mädchen) sehen gesund aus, das Riech-
vermögen ist vermindert oder aufgehoben. Zuweilen mag Scrophulosis
mitwirken. — Die Prognose richtet sich nach der Natur des Uebels,
hauptsächlich aber nach der ihm zu Grunde liegenden Dyscrasie. Immer-
hin ist es, wenn auch nicht unheilbar, so doch in der Mehrzahl der Fälle
schwer zu beseitigen, oft genug wird es aber auch gar nicht geheilt. Ge-
lingt die Heilung aber auch , so bleiben doch oft nicht zu verbessernde
Entstellungen zurück. — Behandlung, Diese richtet sich nach dem
Grundübel ; ist dieses syphilitischer Natur, so passen hierzu die stärksten
Antisyphilitica : das Decoctum Zittmanni, die Schmierkur , die
Dzondi' sehen Pillen etc. Gegen Ozaena scrophulosa gibt man
die entsprechenden innern Mittel und wendet örtlich das Jod an, z. B.
Rp. Jodii puri gr. ij — iij, Kali hy droj od. gr. iv — viij, Aq. dest.
5xvj, solv. S. In die Nase einzusprizen ; oder: Rp. Jodii puriss.
iß, Jodidi kalii x j , Aq. dest. ^vj. S. Damit befeuchtete Lein-
wandläppchen in die Nase zu bringen. Neben sorgfältigem Reinhalten
der Nase warne man den Kranken vor allem gewaltsamen Schnauben, vor
Bohren mit Fingern oder Instrumenten in der Nase etc. Ein sehr wirk-
sames Mittel ist die Cauterisation mit dem Höllensteingriffel ; wo diese
nicht hinreicht, kann man Alaunsolution aufschnauben , oder gepulverten
Alaun, Calomel (Rp. Calomel. ^ j , Merc. praeeip. rub. gr. x,
Sacch. crystall. sjß. M. f. pulv. subtiliss. S. Einige Mal täg-
lich eine Prise zu nehmen) schnupfen lassen.
Nasenlöcherverengerung und Verschluss kann Fehler
der ersten Bildung oder Folge späterer Krankheiten , namentlich dyscra-
sischer , wie Syphilis und Lupus , aber auch rein örtlicher , wie Verbren-
nungen, sein. — Die Verwachsung kann membranös oder fleischig sein,
und die fleischige sich mehr oder minder hoch erstrecken, was man daran
erkennt, dass man den Kranken , während er den Mund und das gesunde
Nasenloch verschliesst, stark exspiriren lässt und darauf achtet, wie weit
die leidende Nasenseite dadurch aufgetrieben wird. — Der Verschluss
der Nasenlöcher behindert das Athemholen, besonders Nachts, die Sprache
und beraubt auch die Kranken des Geruchsinns. — Behandlung.
Nach vorher völlig beseitigter , etwa zu Grunde liegender Dyscrasie führt
man bei Verengerung des Nasenlochs auf der Hohlsonde oder für
sich ein schmales gerades Bistouri in dieses ein und schneidet die ver-
engende Partie in der Richtung der Nasenöffnung ein. — Bei Verwach-
sung des Nasenlochs durch eine Membran durchsticht man diese mit dem
Messer und trägt die Wundränder, indem man sie mit der Pincette fasst
und anzieht, mit der Scheere ab. Bei fleischiger Verwachsung macht
man in der Richtung der Nasenöffnung wiederholte Schnitte von unten
nach oben , bis dieselbe durchdrungen ist ; eine nicht zu hoch gehende
kann man wie die membranöse durchstechen. Durch Einlegen von Blei-
röhren, Stückchen von elastischen Cathetern etc. sucht man den Wieder-
682 NASE, KRANKHT. DERS. POLYPEN.
verschluss der Oeffhung zu verhindern. — Das runde Ausschneiden der
Haut oder der Narben bewirkt nur ein stärkeres Zusammenziehen , wenn
man nicht das Nasenloch mit Haut umsäumt. Zu diesem Behufe muss
die Haut aus der Wange oder der Nase selbst entnommen und nach den
allgemeinen Regeln der Plastik überpflanzt werden. — Ist mit der Ver-
schliessung der Nasenlöcher auch Verwachsung der Oberlippe verbunden,
so löst man leztere zuerst ab , und schreitet erst dann zur Eröffnung der
verschlossenen Nase, wenn jene Wunde völlig geheilt ist.
Nasenpolypen, Polypus narium, gehören zu den am häu-
figsten vorkommenden Polypen und können hinsichtlich ihrer Structur
Schleim- oder Blasen- oder fibröse Polypen sein. — In der Mehrzahl der
Fälle nehmen sie ihren Ursprung von den Wänden der Nasenhöhle ; zu-
weilen wurzeln sie auch in den Nebenhöhlen und gelangen erst später bei
ihrer Vergrösserung in die Haupthöhlen. Bald ist nur ein Polyp vorhan-
den, bald sind es deren mehrere, nur in einer Nasenhöhle oder in beiden
zugleich. — Nach ihrer verschiedenen Structur zeigen die Polypen man-
nigfache Verschiedenheiten. Die weichen schleimhäutigen Polypen
sind die am häufigsten vorkommenden , sizen gewöhnlich an der äussern
Nasenwand , namentlich an den Muscheln, hauptsächlich den untern, und
wurzeln nur oberflächlich in der Schleimhaut und dem submucösen Zell-
gewebe. Ihrer Weichheit wegen nehmen sie die Form der Nasenhöhle
an ; sie vergrössern sich daher zuerst in verticaler , und wenn sie den Bo-
den der Nasenhöhle erreicht haben , mehr in horizontaler Richtung. Je
nachdem sie im vordem oder hintern Nasenraume wurzeln , gelangen sie
oei ihrer weiteren Entwicklung gegen die vordem Nasenöffnungen oder
gegen die Choanen oder gegen beide Oeffnungen zugleich, und treten
endlich aus diesen heraus. Bei feuchter Witterung schwellen diese Po-
lypen an, bei trockener sinken sie zusammen. Bisweilen plazen sie durch
starkes Schnauben , ergiessen eine wässerige schleimige Flüssigkeit , wor-
auf sie zusammenfallen. — Die festen, fleischigen oder fibrösen Nasen-
polypen kommen mehr im hintern Theile des Nasenraumes vor , erreichen
oft eine beträchtliche Grösse , dehnen , wenn sie in der Nasenhöhle ver-
bleiben, wegen ihrer Unnachgiebigkeit diese aus, so dass die Nasenknochen
verdrängt , selbst nach und nach zerstört werden , oder füllen , wenn sie
durch die Choanen treten, die Rachenhöhle nach und nach aus und
drohen Erstickungsgefahr (Nasenrachenpolypen). Die mehr fleischi-
gen Polypen wurzeln in der Regel nur in der Schleimhaut und dem sub-
mucösen Zellgewebe, die fibrösen hängen dagegen meistens mit derBein-
naut und den Knochen zusammen. Zuweilen gehen diese Polypen ober-
flächliche Adhäsionen mit den Höhlenwandungen ein. — Eine dritte Art
von Nasenpolypen sind die bösartigen, die krebshaften Geschwülste,
welche sich bald als sehr feste, faserige, breit aufsizende Auswüchse, bald
als weiche schwammige Massen darstellen , sehr schmerzhaft sind , leicht
bluten, nach verschiedenen Richtungen gegen den Rachen und die Mund-
NASE, KRANKHT. DERS. — POLYPEN.
höhle oder gegen die Schädelbasis hin sich ausbreiten, die Nasenknochen
zerstören und , sich selbst überlassen , durch erschöpfende Blutungen, Er-
stickung, Hirndruck etc. tödtlich werden. — Symptome. Eine all-
mälig eintretende Verstopfung der Nase , Beeinträchtigung des Geruchs,
veränderte Stimme , ein Gefühl von Druck und Spannung in den Nasen-
höhlen, vermehrter Schleimfluss aus der Nase, periodisch sich einstellende
Blutungen lassen die Gegenwart eines Polypen vermuthen. In dem Masse,
wie sich der Polyp vergrössert, nehmen diese Zufälle zu ; die Nasenhöhle
erfährt eine Auftreibung , die Scheidewand der Nase wird nach der ent-
gegengesezten Seite gedrückt und damit oft das bis jezt noch freie andere
Nasenloch verstopft ; der Durchgang der Thränen durch den Nasenkanal
wird gehemmt, endlich werden alle Knochen aus ihrer Lage gedrängt und
der bisher schleimige Ausfluss wird jauchig und stinkend. Die Unter-
suchung mit dem kleinen Finger zeigt eine bewegliche circumscripte Ge-
schwulst , und wenn der Polyp mit einem dünnen Stiel aufsizt , so kann
ihn der Kranke durch kräftige In- und Exspirationen mit Geräusch hin-
und herschleudern, er kann selbst beim Vorwärtsbeugen des Kopfs aus der
Nase hervortreten. — Diagnose. Der Nasenpolyp könnte mit Aus-
buchtungen an der Nasenscheidewand oder einem Vorfall der Nasen-
schleimhaut verwechselt werden. Diese Zustände bilden aber nie beweg-
liche Geschwülste und werden sich durch das Gesicht oder die Unter-
suchung mit dem kleinen Finger oder einer Sonde leicht erkennen lassen.
— Ursachen. Das häufige Vorkommen der Nasenpolypen beruht auf
den vielfachen äussern Reizungen , welchen die Nasenschleimhaut ausge-
sezt ist , auf der sehr gef ässreichen und lockern Beschaffenheit dieser
Membran und auf den auch aus innern Ursachen sehr häufig vorkommen-
den hyperämischen und entzündlichen Zuständen der Nasenschleimhaut.
Man trifft sie vorzugsweise bei lymphatischen Individuen und in feuchten
dunkeln Wohnungen. — Prognose. Diese hängt theils von ihrer
Natur , theils von ihrem Size ab. Weiche Polypen geben eine bessere
Prognose als feste, welche schwerer zu entfernen sind und leicht bösartig
werden. Je zugänglicher die Stelle ist, wo der Polyp sizt, je beweglicher
und freier derselbe ist, um so leichter kann er entfernt werden, und je
vollständiger dieses geschieht, desto weniger ist seine Wiederkehr zu be-
fürchten. — Behandlung. Im Entstehen begriffene Polypen kann
man versuchen in ihrer weiteren Entwicklung zu hemmen und zwar durch
Blutegel in die Nasenöffnungen , Einsprizungen kalter adstringirender
Flüssigkeiten, wie von Essig und Wasser, Aq. calcis, Auflösungen von
Alaun , Salmiak , schwefelsaurem Zink und Kupfer , Abkochungen von
Eichenrinde etc. ; durch Betupfen der kranken Stelle mit Opiumtinktur,
Höllensteinlösung; durch Schnupfpulver aus Marum verum und Hb.
majoranae ana, aus C a 1 o m e 1 *)ß auf S a c c h. 5ij, aus Ratanhia und
Eichenrinde ana mit einem Zusaz von Alaun etc. ; endlich durch Druck
mit Bourdonnets oder Röhren. Diese Mittel können bei einer schwam-
684 NASE, KRANKHT. DERS. POLYPEN.
migen Auflockerung der Schleimhaut von Nuzen sein , bei der wirklichen
Bildung von Polypen nüzen sie aber nichts mehr ; hier kann nur auf ope-
rativem Wege Hülfe geschafft werden. — Man kann die Nasenpolypen durch
Ausreissen, Abbinden und Abschneiden entfernen oder sie durch Caute-
risation zerstören. — Das Ausreissen ist die allgemeinste und auch
die geeignetste Heilmethode , wenn der Polyp nicht zu tief sizt , seine
Basis nicht zu breit und nicht zu fest ist. Man benüzt dazu die Polypen-
zangen, deren es gerade und gekrümmte, zerlegbare und feststehende gibt.
Sie müssen , namentlich wenn es sich um fibröse Polypen handelt , sehr
stark sein, und scharfe Zahne besizen , . damit sie sich weder biegen noch
abgleiten. — Bei der Operation sizt der Kranke mit etwas zurückgebeug-
tem Kopfe dem Fenster gegenüber ; der Operateur stellt sich vor und ein
wenig rechts von ihm auf und drückt mit dem Daumen der auf der Stirn
desselben ruhenden linken Hand die Nasenspize aufwärts. Nachdem der
Kranke den Polypen durch Schnauben stark vorwärts getrieben hat, führt
man die geschlossene Zange bis zur Wurzel des Polypen ein, umfasst die-
sen , indem man sie öffnet , oder schiebt die halbgeöffneten Branchen an
dem Körper des Polypen bis zur Wurzel aufwärts. Nach Umständen
führt man auch einen Arm der Zange nach dem andern ein. Nun wird
die Zange geschlossen und ein leichter Zug mit ihr ausgeübt. Gibt der
Polyp nach , so schiebt man die Zange an ihm weiter hinauf und fasst
ihn von Neuem möglichst nahe an seiner Insertionsstelle. Manche Po-
lypen können mit einem Zuge ausgerissen werden : meist bedarf es aber
einer drehenden Bewegung der Zange, um die beabsichtigte Lösung mög-
lichst nahe an der Insertionsstelle zu bewerkstelligen. Mit einer ge-
krümmten Zange lässt sich das Abdrehen nicht ausführen ; alsdann unter-
stüzt man das Ausreissen durch Abquetschen , indem man die Zange wie-
derholt kräftig schliesst. — Oft wird mit einem Male der Polyp mit sei-
ner ganzen Wurzel hinweggenommen , und beim Schnauben ist dann die
Nase völlig frei. Nicht selten wird aber der Polyp unvollständig ausge-
zogen , und es muss dann die Zange so oft eingeführt werden , bis alle
Polypenreste entfernt sind. Sind mehrere Polypen vorhanden, so reisst
man diese auf gleiche Weise nach einander aus. — Ist der Polyp zu
gross, um ihn auf die angegebene Weise zu fassen, so zieht man ihn mit-
tels einer Kornzange, Pincette, eines Doppelhakens oder einer durchge-
zogenen Fadenschlinge hervor und sucht dann die Zange einzuführen,,
oder man zerquetscht den Polypen oder zerkleinert ihn durch Excision
oder Cauterisation. Sizt ein Polyp tief in der Nase , so kann man ihn
bisweilen dadurch zugänglicher machen, dass man mittels der Bellocq'-
schen Röhre in die Choane ein Bourdonnet bringt , dieses dann durch
einen Faden vorzieht und den Polypen dadurch nach vorn treibt ; zuweilen
gelingt es , den in der Nähe der Choanen wurzelnden Polypen mit dem
in den Mund eingeführten Zeigefinger der linken Hand durch den Pha-
rynx der Zange entgegen zu drängen oder wenigstens sein Ausweichen
NASE, KRANKHT. DERS. POLYPEN. 685
nach hinten zu verhüten. Bei sehr hohem Size und bedeutender Grösse
eines Polypen kann es nöthig werden, die Nase neben dem Septum bis zu
den Nasenknochen zu spalten, um sich Raum zum Anlegen der Zange zu
schaffen ; die Wunde vereinigt man nachher mit blutigen Heften. — Das
Ausziehen des Polypen mit einer Ligatur steht dem mit der Zange nach.
— Die dem Ausreissen der Polypen folgende Blutung ist meist nicht von
Bedeutung. Das Entfernen der Polypenreste ist das sicherste Blutstil-
lungsmittel ; nächstdem lässt man kaltes Wasser, Wasser mit Essig, The-
dens Schusswasser etc. einschnauben oder einsprizen , oder man drückt
einen in styptische Flüssigkeit getauchten Charpietampon mit der Pincette
an die blutende Stelle etc. Steht die Blutung hierauf nicht, so verstopft
man die vordere und hintere Nasenöffnung mit Hülfe der B e 1 1 o c q'schen
Röhre (s. Blutung). — Tritt Eiterung in der Nasenhöhle ein, so sprizt
man ein schleimiges Decoct ein ; bei sehr langer Dauer derselben ge-
braucht man Myrrhentinktur mit Rosenhonig zum Bepinseln. — Häufig
entsteht der Polyp von Neuem und es kann seine wiederholte Entfernung
nöthig werden , womit man aber nur gar zu oft keine Radicalheilung er-
zielt; hier muss auf Umbildung der kranken Schleimhaut hingewirkt,
namentlich müssen die Polypenreste gründlich zerstört werden. In dieser
Absicht macht man adstringirende Einsprizungen , cauterisirt die kranke
Stelle oder zieht mittels der B eil oc q'schen Röhre ein Haarseil durch
den Nasengang , welches man mehrere Wochen liegen lässt und nach
Massgabe der Reizung mit milden oder reizenden Salben bestreicht. —
Das Abbinden der Nasenpolypen ist schwierig auszuführen , für den
Kranken lästig und schmerzhaft, schlägt oft fehl, und es können durch
die Ausbreitung der Entzündung von der zusammengeschnürten Stelle
aus bedeutende Zufälle entstehen. Ebenso kann die Anschwellung des
Polypen , so wie später der eintretende Verjauchungsprocess nicht blos
sehr belästigend , sondern auch gefährlich werden. Dasselbe ist daher
nur ausnahmsweise vorzunehmen und zwar : wenn der Polyp eine breite
feste Basis hat, wenn heftige Blutungen zu befürchten stehen, wenn die
Grösse desselben die Anwendung der Zange nicht zulässt , endlich wenn
der Kranke furchtsam ist. — Zur Ausführung der Operation hat man
verschiedene Verfahren angegeben. Als Ligatur bedient man sich eines
Metalldrahtes , einer seidenen oder hänfenen Schnur. Zur Einführung
der Ligatur benüzt Levret einen einfachen Cylinder, dessen vordere
Oeffnung zur Isolirung der Schlingenenden durch einen Steg getrennt ist.
Ragt der Körper des Polypen nach vorn , so legt er die Ligatur zu einer
Schlinge zusammen und schiebt diese mittels einer gespaltenen Sonde
durch die vordere Nasenöffnung so viel wie möglich um die Wurzel des
Polypen herum , lässt dann die Sonde von einem Gehülfen halten und
schiebt die Enden der Schlinge durch den Cylinder , so dass zwischen
ihnen der Steg zu liegen kommt. Nun bringt er den Cylinder bis zur
Wurzel des Polypen , drängt ihn gegen diese an , während er die Enden
686 NASE, KRANKHT. DERS. POLYPEN.
der Schlinge gegen sich zieht, lässt die Sonde fortnehmen und windet die
Schlingenenden um Ringe, die sich am untern Ende des Cylinders befin-
den. Hat man eine Drahtschlinge benüzt , so dreht man jezt noch den
Cylinder mehrmals um seine Achse , löst die Drahtenden von den Ringen
und entfernt den Cylinder ; bei Benuzung einer Schnur bleibt dieser lie-
gen. — Ragt der Körper des Polypen in den Rachen, so schiebt man die
Drahtschlinge durch die Nase bis in den Rachen , zieht sie mittels einer
Kornzange oder eines stumpfen Hakens in den Mund, breitet sie daselbst
zu einem Oval aus und leitet sie , während deren Enden allmälig aus der
Nase gezogen werden , so , dass sie sich über den Polypen streift und zu
dessen Wurzel hinaufgleitet. Ehe man die Schlinge anzieht, ist es räth-
lich , einen Faden an sie zu befestigen , um sie zurückziehen zu können,
wenn man den Polypen verfehlt hat. Ist der Polyp gefasst, so steckt man
die Schlingenenden durch den Cylinder und verfahrt wie oben angegeben
ist. Wenn bei Polypen im hintern Theile der Nasenhöhle das eben be-
schriebene Verfahren nicht gelingt , so kann man nach B o y e r verfahren.
Man führt die B e 1 1 o c q'sche Röhre an der einen Seite des Polypen
durch die Nase, befestigt an die vorgeschobene Feder im Munde das eine
Ende der Ligatur, zieht dann die Feder zurück und die Röhre und somit
die Ligatur zur Nase heraus. Nachdem dieses Ende von der Feder ge-
löst ist, führt man die Röhre auf der andern Seite des Polypen durch die
Nase , befestigt an ihrer Feder das andere Ligaturende , und zieht auch
dieses zur NasenöfFnung heraus. Somit hat man den Polypen umschlun-
gen; nun steckt man die Enden der Ligatur durch den Levr et 'sehen
Cylinder und verfährt wie oben. — Noch mehr Sicherheit gewährt das
Verfahren von B. Langenbeck mit zwei Schlingen. Eine Schlinge
wird durch den Schlund in die Nase und zum Nasenloch heraus in der
Art eingeführt, dass die beiden Fadenenden zum Munde heraus, das ge-
schlossene Schlingende aber zur Nase heraushängt. Die zweite Schlinge
liegt gerade umgekehrt. Die eine kommt auf die eine Seite oder ober-
halb , die andere auf die andere Seite oder unterhalb des Polypenstiels
zu liegen. Nun werden die Fadenenden, welche aus dem Munde heraus-
hängen , durch die eben da befindliche Schlinge gesteckt ; dasselbe ge-
schieht am Nasenloch. Dann werden die Fadenenden aus dem Munde
und die andern aus der Nase hervor und straff* angezogen. Der Knoten,
den die gegen einander gezogenen Schlingen bilden , muss den Stiel des
Polypen umschnüren. — Sehr bequem lässt sich auch eine Schlinge an
einen im vordem Theile der Nase wurzelnden Polypen mit einer Korn-
zange bringen , die an den Enden ihrer Branchen mit einem Einschnitte
zur Aufnahme der Fadenschlinge versehen ist. Die Zange wird mit dem
übergelegten Faden geschlossen in die Nasenhöhle eingeführt und , wenn
man an der Wurzel des Polypen angekommen ist, allmälig geöffnet. Hier-
durch wird die Schlinge gebildet, die, wenn man die Fäden nunmehr
spannt , die Wurzel des Polypen umfassen muss. Die Fäden befestigt
NASE, KRANKHT. DERS.
STEINE. 687
man nach entfernter Zange mit einem Schlingenschnürer (s. A bb in d en).
Chassaignac wendet seinen Ecraseur an (s. diesen Art.). — Die un-
mittelbar nach ihrer Anlegung sehr straff angezogene Ligatur wird in
kurzer Zeit lockerer, sie inuss daher jezt, und so oft sie wieder erschlafft,
an jedem folgenden oder alle zwei Tage stärker angezogen werden. Tritt
im Verlaufe dieser Procedur eine starke Blutung ein , oder wird der
Schmerz heftig oder die Anschwellung beunruhigend, so muss die Ligatur
starker geschnürt werden; das Nachlassen der Unterbindungsseh nur würde
alle jene Erscheinungen noch vermehren. Der zusammengeschnürte Po-
lyp verfault unter beträchtlichem Gestank und dem Ergüsse einer scharfen
Jauche , deren Verschlucken sehr üble Folgen haben kann. Man wird
deshalb gut thun, wenn es möglich ist, gleich nach der Unterbindung oder
bei der nachfolgenden Anschwellung den grössten Theil des Polypen ab-
zuschneiden und durch Einsprizen oder Ausspülen von Alaunlösungen,
verdünntem Chlorwasser u. dgl. die fauligen Massen unschädlich zu machen.
In der Zeit , wo der Polyp dem Abfallen nahe ist , muss der Kranke be-
sonders bewacht werden , damit nicht , wenn der Polyp in den Rachen
fällt, Erstickungszufälle veranlasst werden. — Das Abschneiden der
Nasenpolypen ist nur räthlich , wenn der Polyp im vordem Theile der
Nasenhöhle wurzelt und er mit einem dünnen flechsigen Stiel aufsizt.
Das Abschneiden kann mit der Scheere , einer schneidenden Zange oder
einem geknöpften schmalen Messer geschehen. Man fasst den Polypen
mit einer Pincette oder einem Haken, zieht ihn an, führt das schneidende
Instrument an der zugänglichsten Stelle zur Wurzel des Polypen und
schneidet diese möglichst nahe an ihrem Boden ab. Gewöhnlich folgt
eine starke Blutung, die man auf die früher angegebene Weise, nötigen-
falls aber durch das Glüheisen stillt. Dieses, so wie auch Aezmittel, die-
nen auch zur Verhütung der Wiederkehr des Gewächses. — Die Caute-
risation ganzer Polypen ist nur angezeigt bei Polypen , welche eine
starke Blutung befürchten lassen, ferner bei sarkomatösen Polypen. Nur
das Glüheisen findet hierbei Anwendung, und zwar bedient man sich dazu
eines Troicarts mit weiter und kurzer Canüle. Leztere wird, mit feuchter
Leinwand umgeben, an den Polypen gebracht und dann das weissglühend
gemachte Stilet durch die ganze Länge des Polypenkörpers gestossen.
Der Polyp wird grösstenteils durch die folgende suppurative Entzündung
zerstört. Die gewöhnlich eintretende heftige Reaction erheischt eine
strenge antiphlogistische Behandlung. Zurückbleibende Polypenreste
kann man, wenn sie grösser sind, ausreissen, kleine sucht man wegzuäzen.
— Mit grossem Nuzen wird auch bei den Nasenpolypen die galvano-
caustische Schneideschlinge nach Middeldorpf(s. Electrothera-
p i e) angewendet ; sie vereinigt die Vortheile des Schnitts und der Liga-
tur, ohne deren Nachtheile zu haben.
Nasensteine, Rhinolithen, nennt man Concremente aus
den in dem Nasenschleime enthaltenen Salzen. Sie bestehen namentlich
688 NECROSIRUNG.
aus phosphorsaurem und kohlensaurem Kalk und Magnesia. Nicht selten
bilden fremde Körper, wie Kirschkerne u. dgl. die Grundlage (den Kern)
dieser Concremente. — Sie erregen zuweilen Entzündung in ihrer Um-
gebung und in Folge davon einen oft sehr übelriechenden Ausfluss , An-
schwellung und Schmerzhaftigkeit der entsprechenden Nasenhälfte , Ver-
engerung und Verstopfung des Thränensacks etc. Bei der Untersuchung
mit der Sonde geben sie sich durch einen dumpfen Ton zu erkennen. —
Die Behandlung besteht in der Entfernung der Steine. Man sucht
sie mit einer geeigneten Zange zu fassen und auszuziehen. Selten ge-
lingt es, sie durch Niesen zu entfernen.
Nase, künstliche, Nasus artificialis. Wenn die Um-
stände den organischen Wiederersaz der verloren gegangenen Nase nicht
erlauben, so kann die Entstellung nur durch eine künstliche Nase gehoben
werden. Die Materialien , welche zu künstlichen Nasen benuzt werden,
sind verschieden ; man nimmt dazu Holz , Silber- oder Goldblech , Elfen-
bein, Papier mache. Das beste Material zu künstlichen Nasen ist Silber-
oder Goldblech, weil diese Metalle bis zur Dünne des Papiers geschlagen
und in jede beliebige Form getrieben werden können. — Die künstliche
Nase muss in allen Verhältnissen mit dem Gesichte übereinstimmend ge-
formt sein, deshalb ist es nöthig, vorher ein Modell von Wachs oder Thon
anzufertigen ; sie muss ferner genau nach der Gesichtsfarbe des Kranken
gemalt sein ; da, aber die Gesichtsfarbe häufig wechselt , so ist es nöthig,
dass das betreffende Subject Nasen von verschiedener Färbung besize. —
Die Befestigung der künstlichen Nasen geschieht durch an ihrer innern
Seite angebrachte Federn, die in die Nasenöffnung hineingreifen ; solcher
Art ist die künstliche Nase von Franz. Man sieht auch solche, die an
eine gewöhnliche Brille befestigt sind und mit dieser angesezt und abge-
nommen werden können.
NecrOSirUIlg (von vmqocö, ich tödte). Mit diesem Namen be-
zeichnet man die Zerstörung (Mortification) von Geweben , welche ent-
weder dadurch zu Stande kommen kann, dass ihre Structur durch hinzu-
tretende äussere oder innere Schädlichkeiten vernichtet wird oder dass
ihre Elemente selbst sich zersezen. Der erstere Fall tritt bei Einwirkung
äzender Substanzen , ferner durch Eiter , Jauche, schmelzendes Exsudat,
der leztere bei Erweichung und dem örtlichen Tode (Brand) ein. Sonach
kann die Necrosirung eines Gewebes aus innern Ursachen eine durch Ver-
eiterung, Verjauchung, Schmelzung, Zerweichung und Brand sein. Die
ersteren Zerstörungsprocesse gehen in der Mehrzahl der Fälle aus der
Entzündung hervor, insofern die Producte einer solchen (wie Eiter, Jauche)
das Mittel zur Auflösung des Gewebes abgeben. Erweichung und Brand
kann dagegen eben so gut entzündlichen Ursprungs sein , als ohne alle
Entzündung auftreten. Für alle diese verschiedenen Arten von Zerstö-
rungsprocessen lässt sich entweder eine rein örtliche oder eine allgemeine
NERVENENTZÜENDUNG. 689
(in der Blutbeschaffenheit liegende , dyscrasische) Ursache auffinden.
Unter den Dyscrasien sind es vorzüglich die typhöse , tuberculöse, kreb-
sige , pyämische , puerperale , septische und syphilitische Krase , welche
theils durch Ablagerungen (Localisation) , theils durch bedeutende Ver-
schlechterung des Bluts zu Gewebszerstörungen Veranlassung geben. Bei
einigen derselben wird manchmal das die Zerstörung bedingende Product
ganz unmerklich , das andere dagegen unter heftigen Entzündungssym-
ptomen abgesezt. S. die Artikel Erweichung, Brand, Eite-
rung etc.
Nervenentzündung, Neuritis. Entzündungsfähig sind
blos die dem fibrösen System angehörenden Nervenscheiden, das Nerven-
mark leidet nur secundär mit, was jedoch die wichtigsten functionellen
Störungen herbeiführt. Das in Mitleidenschaft gezogene Nervenmark
zeigt eine röthliche Färbung und im weiteren Verlaufe eine punkt- oder
striemenförmige Extravasaten. Je nach der Beschaffenheit des Exsu-
dats bildet sich weisse oder rothe Erweichung des Markes; auch zur Ab-
scessbildung, Verjauchung und schwieligen Verhärtung des Markes kann
es kommen. Das Neurilem bietet mehr oder weniger intensive , vorwal-
tend streifige Röthung, Anschwellung mit seröser Infiltration und Locke-
rung des Gewebes dar , so dass sich die Nervenbündel leichter trennen
lassen. — Veranlassung zu Nervenentzündungen geben mechanische Ver-
lezungen, sehr häufig Erkältung , seltener treten sie spontan als dyscrasi-
sche Entzündungen auf. Durch Verlezungen entsteht mehr die acute
Form, durch Rheumatismus mehr die chronische. Eine sehr häufige Ver-
anlassung ist auch der Uebergang der Entzündung von benachbarten
Theilen auf die Nerven , so namentlich bei Caries , bei chronischen Ge-
schwüren der Weichtheile. — Symptome. Die Nervenentzündung
charakterisirt sich durch äusserst heftige , andauernde Schmerzen nach
dem Verlaufe der ergriffenen Nerven ; oft äussern sich diese aber nur an
den peripherischen Ausbreitungen derselben, und können so in Bezug auf
den Siz der Entzündung leicht täuschen. Die den entzündenden Nerven
bedeckende Haut ist, besonders wenn er oberflächlich liegt, geröthet, von
höherer Temperatur und etwas angeschwollen ; gewöhnlich sind auch
Fieberbewegungen zugegen. Von der Neuralgie unterscheidet sich die
Nervenentzündung durch den Schmerz , der bei der erstem plözlich auf-
tritt und bald stechend , bald brennend , bald zerrend und drückend ist,
während er bei der Entzündung andauernd ist und seine Natur nicht ver-
ändert ; auch werden die Schmerzen bei der Neuritis durch Druck ge-
steigert, bei der Neuralgie nicht. — Wenn die Zertheilung nicht gelingt,
so tritt in Folge des comprimirenden oder zerstörenden Exsudats bei der
Neuritis früher oder später Lähmung ein. — Behandlung. Sie be-
steht in örtlichen Blutentziehungen durch Schröpf köpfe und Blutegel, Ab-
führungen, Brechweinstein in getheilten Gaben, Mercur, bei acuten Fällen
Burger, Chirurgie. 44
690 NEUBILDUNGEN.
Calomel und Mercurialfrietionen , bei chronischen Sublimat , bei heftigen
Schmerzen Opium , später kräftigen Ableitungen durch wiederholte Zug-
pflaster oder Moxen ; beim Nachlasse der Symptome belebende , die Er-
regbarkeit hebende Mittel, wie die Ammoniumpräparate, Moschus, Casto-
Neubildllllgeil. Die Neugebilde, denen wir im Körper zwischen
den normalen Geweben oder an der Stelle derselben begegnen, sind ent-
weder ganz neu erzeugte (eigentliche Neub il d u n gen , Afterbil-
dungen, Pseudoplasmata), oder durch Umwandlung eines andern
(physiologischen oder pathologischen) Gewebes entstandene (Entartun-
gen, Metamorphosen). Die ersteren können mit dem normalen
Gewebe, in welches sie eingelagert sind , entweder verschmelzen und mit
ihm weiter wachsen oder sie können dasselbe auf verschiedene Weise be-
einträchtigen und selbst ganz verdrängen. — Hinsichtlich ihrer Zusammen-
sezung sind die Neugebilde entweder organischer oder unorgani-
scher Natur ; die ersteren folgen in ihrer weiteren Ausbildung den Bil-
dungsgesezen des organischen Lebens , sind höher oder niedriger organi-
sirt und stellen auf der höchsten Organisationsstufe ein physiologisches
Gewebe bei der Regeneration verloren gegangener Theile dar , während
für die lezteren , welche nach den Gesezen des reinen Chemismus ent-
stehen, die vollkommenste Gestalt, welche sie erreichen können, die des
Krystalls ist. — Jedes Neugebilde entsteht aus einem formlosen (amor-
phen) stets anfangs flüssigen und vom Blute ausgeschiedenen Bildungs-
stoffe (Plasma). Den Bildungsstoff für unorganische Neugebilde bezeich-
net man als Mutterlauge, den für organische als Cytoblastem,
Blastem. — Von den organisirten Neubildungen war schon in den Ar-
tikeln Cysten, Geschwülste etc. die Rede ; es wird daher hier nur
von den nicht organisirten gehandelt werden.
Die nicht organisirten Neubildungen sind vorwaltend
reich an unorganischen Bestandtheilen , bestehen vorzugsweise aus Kry-
stallen, krystallinischen Massen oder unorganischen fein- oder grobkörni-
gen Niederschlägen, die sich zu grösseren Gebilden (Concretionen,
Concrementen) vereinigen , und entwickeln sich , meist nach rein
chemischen Gesezen in der Regel aus flüssigem Plasma (Mutterlauge),
welches die Stoffe , aus denen die nachherige Neubildung besteht , aufge-
löst enthält. — Sie kommen bald in offenen oder geschlossenen Höhlen,
bald im Parenchym der Organe vor. Die erstem erscheinen in der Regel
vollkommen isolirt , ohne Zusammenhang mit den umgebenden Theilen,
sind gewöhnlich hart und von mineralischem Gefüge und heissen auch
Steine, Calculi. — Die nähern chemischen Bestandteile dieser Neu-
bildungen sind : Proteinstoffe, Fette untl zwar Elain und Elainsäure, Mar-
garin und Margarinsäure , Cholestearin , vielleicht auch Stearin und noch
unbekannte Mollecularfettkörnchen ; Kalk salze und zwar^ kohlensaurer,
NEUBILDUNGEN. 691
basisch-phosphorsaurer und oxalsaurer Kalk ; phosphorsaure Ammoniak-
Magnesia, Harnsäure , harnsaure Salze und zwar harnsaures Natron, Kali,
Ammoniak und harnsaurer Kalk ; Farbstoffe , nämlich Gallenfarbstoff,
körniges Pigment und Schwefeleisen; Cystin, Kieselsäure, endlich Nieder-
schläge von organischen Stoffen und Salzen mit alcalischer Basis , wie
Chlornatrium, schwefelsaures und phosphorsaures Kali und Natron etc. —
Die Entstehung dieser Neubildungen beruht zunächst darauf, dass die
Bedingungen, durch welche Stoffe gelöst erhalten werden, aufhören. Dies
kann geschehen: l) durch chemische Veränderungen der gelösten Sub-
stanzen oder der Lösungsmittel, 2) durch Verminderung des Lösungs-
mittels , des Wassers , sei es auf dem Wege der Verdunstung oder der
Exosmose, der Resorption etc. ; hierdurch dicken sich die übrig bleiben-
den festern Theile ein und vertrocknen, wie dies bisweilen mit dem Inhalte
der Schleim- und Talgdrüsen , mit den Secreten im äussern Gehörgange,
an der Glans penis etc. geschieht; 3) durch Abnahme der Tempera-
tur, durch Abkühlung, indem einzelne Stoffe, z. B. gewisse Fettarten, nur
bei höherer Temperatur flüssig sind , bei Erkältung aber fest werden und
sich ausscheiden. — Die Concretionen in Absonderungsflüssigkeiten
(Steinkrankheit, Lythiasis) bilden sich aus Niederschlägen in
diesen und zwar indem entweder eine grössere Menge des Niedergeschla-
genen für sich oder unter Vermittlung eines Bindemittels (Schleim u. dgl.)
eine zusammenhängende krystallinische Masse bildet, oder indem sich eine
unorganische Substanz auf einen fremden Körper niederschlägt. Um die
erste Anlage einer Concretion (Kern, der aus einem fremden , von aus-
sen eingedrungenen Körper , oder aus einem Blut- , Schleim-, Faserstoff-
coagulum etc. bestehen kann) können sich dann allmälig neue Bestand-
theile von derselben oder anderer Art als die des Kerns, schichtweise oder
in Blättern, Höckern, Spizen etc. niederschlagen. Auf diese Art entsteht
die verschiedene Grösse, Form, Consistenz und Textur der Concretionen.
Man nennt dieselben bei etwas grösserem Unifange Steine, Calculi,
wenn sie klein und zahlreich sind Sand, Gries. — Die Steine liegen
entweder locker in den Höhlen, oder sind, indem sie dieselben ganz aus-
füllen , eingekeilt und fest , oder sie sind durch ein Bindemittel an die
Wand befestigt , oder sie werden von der Wand gleichsam eingekapselt
(eingesackt). Es gibt Gallen- , Harn- , Speichel- , Thränen-, Prostata-,
Darmsteine. — Die Concretionen, welche man im Parenchym der Organe
findet , bilden sich aus Stoffen hervor, die vom Blut ausgeschieden wurden,
und zwar sowohl aus der allgemeinen Ernährungsflüssigkeit, als aus patho-
logischen Exsudaten; da nun diese nicht von so verschiedener Art als die
Bestandtheile der Se- und Excretionsstoffe sind , so zeigen diese Concre-
tionen in ihrer Zusammensezung keine so grosse Mannigfaltigkeit. Sie
bestehen hauptsächlich aus Erdsalzen (phosphor- und kohlensaurem Kalk,
phosphorsaurer Ammoniak-Magnesia, kohlensaurer Magnesia, Kieselerde),
seltener aus alcalinischen Salzen (Chlornatrium , phosphor- und schwefel-
44*
692
NEUBILDUNGEN. GALLENSTEINE.
saurem Natrium etc.), wozu sich nicht selten Fette (besonders Cholestearin)
gesellen ; auch harnsaures Natron findet sich bisweilen darin. Es kom-
men solche Fremdbildungen gewöhnlich in Folge rein örtlicher Processe,
durch Freiwerden, Niederschlagen und Zurückbleiben der Salze zu Stande ;
doch sind sie auch bisweilen Folgen von Blutalterationen , von abnormer
Menge eines Salzes im Blute (harnsaure , phosphorsaure , gichtische Dia-
these) und Ausscheidung desselben. — Die Formen , unter denen diese
Concretionen auftreten , sind : Niederschläge auf organische oder fremde
Stoffe (Incru Stationen) oder in Flüssigkeiten (Verkreidung),
oder zwischen die Elemente organisirter Theile (Verknöcherung).
Hierher gehören (theilweise) die Gelenkmäuse , die Verknöcherungen in
den Arterien und Venen, im Eiter, Tuberkel, Krebs. — Die Ursachen
zur Bildung von Concretionen sind mannigfaltig. Bisweilen entstehen
sie nur in Folge der zufälligen Anwesenheit eines fremden Körpers ; an-
dere Male ist es eine fehlerhafte Blutcrase , welche zur Steinbildung dis-
ponirt. Ausserdem können sich Concretionen bilden bei der Erweichung
organisirter Neubildungen, indem sich Fette und unauflösliche Salze aus-
scheiden ; bei eintretender Fäulniss, wobei zur Bildung von Krystallen aus
phosphorsaurer Ammoniak-Magnesia , bei Erkältungen , wo zur Ausschei-
dung von Margarinkrystallen Anlass gegeben wird etc. — Die Zufälle,
welche diese Fremdbildungen veranlassen, hängen von dem Siz, der Form
und der Grösse derselben ab. Zuweilen verursachen sie keine oder we-
nig Beschwerden, in den meisten Fällen jedoch verstopfen sie , besonders
bei einigem Umfange , Höhlen und Kanäle , reizen die Umgebung und
rufen dadurch nicht selten Nervenzufälle , Entzündung , Eiterung , Ver-
schwärung und Brand hervor. Durch diese Vorgänge wird das Concre-
ment bisweilen ausgestossen oder eingekapselt und dadurch mehr oder
weniger unschädlich gemacht ; auch kann es durch Hinzutreten von Flüs-
sigkeiten in Folge von Exsudation wieder aufgelöst werden ; heftige Rei-
zung kann aber auch den Tod herbeiführen. Zuweilen werden bösartige
organisirte Neubildungen durch Verkalkung unschädlich gemacht. — Die
sogenannten Verknöcherungen haben besonders die nachtheiligen Folgen,
dass sie die Theile ihrer Weichheit, Elasticität etc. berauben und dadurch
zu ihren Verrichtungen mehr oder weniger untauglich machen, z. B. Ver-
knöcherungen an den Arterienhäuten , Sehnen etc. — Behandlung.
Wenn das Concrement sich an einer zugänglichen Stelle befindet und Zu-
fälle erregt, so muss es entfernt werden. Diese Entfernung kann je nach
dem Size und der Beschaffenheit des Concrements auf verschiedene Weise
geschehen, durch Ausschneiden, durch Zertrümmerung, durch Ausziehen,
durch Auflösung mittels chemischer Mittel oder der Electrolyse.
1) Gallensteine, Gallenconcretionen, Calculi bili-
ar e s , entstehen bald durch lange Zurückhaltung und Verdickung nor-
maler Galle , bald bei zu grossem Reichthum der Galle an gewissen Be-
standteilen, die sich dann leicht fällen. Sie können sich in allen Theilen
NEUBILDUNGEN. GALLENSTEINE. 693
des Gallenapparats, ausserhalb oder innerhalb der Leber entwickeln , be-
sonders aber in der Gallenblase, zumal wenn diese Divertikel hat oder in
ihrem Ausführungsgange verstopft ist. Sie sind bald einfach , bald zu
zwei und mehr, ja manchmal in unglaublich grosser Anzahl zugegen. Von
ihrem Entstehungsorte können sich die Gallensteine verschiedene Wege
bahnen , der gewöhnlichste ist durch den Ductus cholodochus in
den Darm. Nicht selten sind sie aber an die Wand des Gallenbehälters
befestigt oder von dieser eingesackt. Hinsichtlich ihrer Grösse , Gestalt
und Farbe variiren sie ebenso, wie hinsichtlich ihres Gewichts, ihrer Con-
sistenz und chemischen Beschaffenheit. Die Substanzen , woraus die
Gallensteine bestehen, sind eingedickte Galle, Gallenfett, Gallenfarbstoff
und Kalksalze. Diese Bestandteile treten in sehr verschiedenen Ver-
hältnissen, oft noch mit Schleim und Epithelium, Gallensäure und Marga-
rin etc. verbunden , zur Bildung der Gallensteine zusammen. Manche
dieser Steine bestehen nur oder wenigstens vorzugsweise aus einer dieser
Substanzen, andere sind aus concentrischen Schichten derselben zusammen-
gesezt ; in einigen liegt der Kern (welcher aus einem fremden Körper
oder aus Schleim, Epithelium und Gallenfarbstoff bestehen kann) im Cen-
trum, in andern excentrisch , bisweilen finden sich zwei Kerne. Je mehr
dem Gallenstoff Gallenfett beigemischt ist, desto regelmässiger ist der
krystallinische Bau und um so heller auch die Färbung der Steine, so dass
die ganz dunkeln oft nichts als eine verdickte erhärtete Galle zu sein
scheinen, während die ganz weissen krystallhellen, perlmutterähnlich glän-
zenden aus reinem Gallenfett bestehen. Die Farbe der Gallensteine wech-
selt indessen nach den verschiedenen Mischungsverhältnissen sehr : man
findet sie von weiss , hellgelb bis ins Schwärzliche gehend ; andere sind
grau, grün, noch andere gefleckt oder gestreift. Sie sind sehr leicht und
von einer seifenartigen Beschaffenheit. ■ — Ursachen. Alles, was eine
Entmischung der Galle und eine Neigung derselben zu festen Gerinnun-
gen hervorzubringen vermag, kann zur Entstehung von Gallensteinen Ver-
anlassung geben, daher Stockungen im Pfortadersystem, anhaltendes Sizen,
der Genuss schwerer festmachender Speisen und Getränke , anhaltender
Kummer , Sorgen etc. Deshalb geht die Krankheit auch so häufig mit
Hämorrhoiden und Gicht einher und ist das vorgerückte Alter mehr als
das jugendliche, fette Subjecte mehr als magere, das männliche Geschlecht
mehr als das weibliche zu ihr disponirt. Oertlich wirkende Ursachen
sind Druck auf die Lebergegend und Gallengänge durch Geschwülste,
Anhäufung von Koth etc. , wodurch der Abfluss der Galle ein Hinderniss
erfährt. — Symptome. Sie sind mannigfacher Art: dumpfer drücken-
der Schmerz im rechten Hypochondrium , Gefühl von Vollsein in der
Magengegend, Mangel an Appetit, Uebelkeit, Erbrechen, Verstopfung oder
Diarrhöe mit Abgang weisser gallenloser Stoffe , gelbliche Gesichtsfarbe
oder selbst Gelbsucht. Früher oder später geht , nachdem sich plözlich
ein heftiger Schmerz unter der Leber eingestellt hat, der von Krämpfen,
694 NEUBILDUNGEN. GALLENSTEINE.
Erbrechen , Ohnmächten , kaltem Schweisse, Schluchzen und Zittern der
Glieder begleitet ist, ein Gallenstein mit dem Stuhle ab. Diese Erschei-
nungen können sich , wenn mehrere Steine vorhanden sind , von Zeit zu
Zeit wiederholen , wobei der Kranke aber in Folge der gestörten Leber-
function und Verdauung abmagert und am Ende auch wohl in eine allge-
meine Wassersucht verfällt. Bei grosser Abmagerung fühlt man bis-
weilen am Leberrande die mit Steinen angefüllte Gallenblase als eine
harte und schmerzlose Geschwulst. Ist der Stein zu gross, um durch den
Gallengang in den Darmkanal gelangen zu können, so veranlasst er durch
seinen Reiz nicht selten Entzündung an der untern Fläche der Leber mit
tödtlichen Zerstörungen , wenn der sich bildende Abscess sich nicht in
einen Darm öffnet oder nach Verwachsung der Gallenblase mit den Bauch-
decken sich einen Weg nach aussen bahnt (s. Gallenblasenfistel).
Indessen veranlassen Gallensteine in der Gallenblase auch sehr oft gar
keine Krankheitssymptome. — Prognose. Sie ergibt sich aus dem
Gesagten von selbst. — Behandlung. Sie zerfällt in eine radicale
und in eine palliative. Erstere beabsichtigt die Entfernung der Gallen-
steine, sei es dadurch, dass man sie im Körper aufzulösen sucht, oder auf
blutigem Wege. Als directes Lösungsmittel hat das D u r a n d e ' sehe
einen gewissen Namen erlangt ; es besteht aus 3 Theilen Schwefeläther
und 2 Theilen rectificirtem Terpentinöl und erhält der Kranke davon täg-
lich einige Mal 12 — 2 0 Tropfen in einer Tasse Molken oder Fleisch-
brühe. Rationeller ist es , den Stockungen in der Pfortader etc. neben
einer passenden Lebensordnung durch auflösende Mittel entgegen zu wir-
ken ; solche Mittel sind : Extract. graminis, taraxaei, mille-
folii,chelidonii majoris, Feltauri, Ammoniacum, Asa
f o e t i d a , Seife , Neutral - und Mittelsalze > Antimonial- und Mercurial-
präparate. Von grossem Nuzen sind auch die auflösenden Mineralwasser
von Karlsbad , Marienbad , Ems, Selters, Salzbrunnen etc. Zur directen
Entfernung der Gallensteine hat man Brechmittel, erschütternde Bewegun-
gen durch Fahren und Reiten und die Excision derselben empfohlen.
Alle diese Verfahren sind mit der grössten Vorsicht in Anwendung zu
bringen, namentlich aber die Excision nur dann erlaubt, wenn man über-
zeugt ist, dass die Gallenblase bereits fest mit den Bauch Wandungen ver-
wachsen ist. Die Palliativkur hat es blos mit der Bekämpfung der Sym-
ptome zu thun. Krampfhafte Zufälle , welche namentlich durch Erkäl-
tungen und Gemüthsbewegungen hervorgerufen werden, bekämpft man
durch kleine Gaben Opium, das Do wer 'sehe Pulver, ölige Emulsionen,
Abkochungen aus Leinsamen , Hanfsamen oder Mohnköpfen , Kalisatura-
tionen , Brausepulver , Valeriana , krampfstillende Klystiere , Umschläge,
Einreibungen , Bäder etc. Gegen Erbrechen gibt man die P o t i o R i -
v e r i , bei mehr saurer Beschaffenheit sind Absorbentia angezeigt. Tritt
an die Stelle des Krampfes Entzündung , so sind allgemeine und örtliche
Blutentziehungen, der innere Gebrauch des Nitrum, des Calomel, der er-
NEUBILDUNGEN. — HARNSTEINE. 695
öffnenden Mittelsalze, der Fruchtsäuren, vorzüglich Tamarinden, in Ver-
bindung mit Bädern, Umschlägen, Einreibungen der grauen Quecksilber-
salbe am Plaze. Kommt es zur Abscessbildung, so beschleunigt man die
Eiterung und öffnet den Abscess , sobald man die Fluctuation des Eiters
deutlich fühlt , um einem Erguss desselben nach innen zuvorzukommen ;
über die weitere Behandlung s. d. Art. Gallenblasen fi steh
2 . Harnsteine, Calculi urinarii. Die Niederschläge aus
dem Harn sind entweder pulverig oder krystallinisch (Gries) oder feste
grössere Concretionen (Steine) , welche entweder durch Niederschlagen
von Harnbestandtheilen um einen fremden Körper, oder durch Vereinigung
des Harngrieses gebildet werden. Als Bedingung zu dem Zustandekom-
men dieser Concretionen nehmen die Einen einen Ueberschuss an Harn-
säure, die Andern einen ungebundenen Zustand derselben an. — Die all-
gemeinen Bestandtheile der Harnsteine sind: Harnsäure, harnsaures
Ammoniak, harnsaure Magnesia, harnsaurer Kalk, harnige Säure (Xanthin,
Harnoxyd), Blasenoxyd (Cystin), phosphorsaurer Kalk, phosphorsaure Am-
moniak-Magnesia, kohlensaurer Kalk, sauerkleesaurer Kalk. Ausser den
genannten Stoffen nehmen oft auch noch Schleim , Proteinstoffe , Fett,
Blutcoagula Theil an der Bildung der Harnsteine. In der Mehrzahl der
Fälle gehen gleichzeitig mehrere Bestandtheile in die Bildung derselben
ein , und zwar so , dass sie entweder innig mit einander gemischt sind,
oder sich schichtweise um einander lagern. Der Kern besteht gewöhnlich
aus einem andern Stoff, als der übrige Theil des Steins, meist aus Harn-
säure oder aus organischer Materie , die durch ihr Vertrocknen den Kern
locker machen , oder eine Höhlung im Innern des Steins erzeugen kann.
Zuweilen bildet ein fremder, von aussen in die Harnwege gelangter Kör-
per (Catheterstückchen , Erbsen etc.) den Kern des Steins. Bisweilen
wird mit Hülfe eines Bindemittels ein Stein aus Gries oder mehreren klei-
nen Steinchen zusammengesezt. — Eintheilung der Harnsteine.
Man theilt die Harnsteine ein nach ihrem Size , nach der Art , wie sie in
den Harnwegen bestehen, nach ihren äussern Verschiedenheiten und nach
ihrer chemischen Zusammensezung. — Nach dem Orte, wo sich die
Harnsteine befinden, unterscheidet man : Nierensteine, Steinein
den Harnleitern, Blasensteine und Steine in der Harn-
roh r e. — Nach der Art ihres Verhaltens in den Harnwegen unter-
scheidet man : freie, eingesackte und angewachsene Steine.
— Die äussern Merkmale der Harnsteine sind sehr verschieden,
doch geben sie über ihre chemische Beschaffenheit immer einigen Auf-
schluss. Steine, die aus Harnsäure bestehen, sind gewöhnlich sehr
hart, von nicht beträchtlicher Grösse, rundlich und glatt, zuweilen höcke-
rig , von blätterigem Gefüge , gelblich, röthlich oder rothbraun von bei-
gemengtem Harnfarbstoff (seltener weiss aus reiner Harnsäure). — Die
aus harns aurem Ammoniak haben ungefähr dieselbe Form , sind
nur klein, von lehmgelber oder röthlichgelber, selten von weisslicher Farbe,
696 NEUBILDUNGEN. GRIES.
mit glatter oder feinwarziger Oberfläche , erdigem oder geschichtetem
Bruche. — ■ Die aus phosphorsaurem Kalk bestehenden Steine zei-
gen gewöhnlich eine polirte, grauweisse oder blassbraune Oberfläche; ihr
Gefüge besteht aus regelmässigen gestreiften Lamellen. Der Stein aus
einer Mischung von phosphorsaurem Kalk und phosphorsau-
rer Ammoniak-Magnesia ist klein , weisslich , leicht zerreiblich,
erdig oder kreidig , porös oder geschichtet, oft mit glänzendem krystalli-
nischen Ueberzuge. — Die kleesauren Steine sind entweder von
rauher, höckeriger, warziger Oberfläche, meist dunkelbraun oder schwarz,
und bisweilen sehr gross und hart (M aulbeersteine), oder sie sind
kleiner, blässer und glatt (Hanfsamensteine). — Steine aus B 1 a -
s e n o x y d haben eine gelbliche Farbe, glatte Oberfläche und ein krystal-
linisches Ansehen auf dem Bruche. — Die harnsauren Steine kommen
am häufigsten vor; diesen zunächst stehen die kleesauren, aufweiche die
phosphorsauren Steine folgen.
Gries, Harnsand, Arena urinaria, nennt man den pulve-
rigen Sand oder kleine krystallinische Steinchen von verschiedener Farber
Form und Anzahl , welche mit dem Urin ausgeleert werden. Er besteht
gewöhnlich aus Harnsäure oder harnsaurem Ammoniak, in welchem Falle
er eine rothe, oder aus kleesaurem Kalk, wo er eine dunkle , schwärzlich-
grüne, oder aus phosphorsaurem Kalk , wo er eine weisse , oder aus phös-
phorsaurer Ammoniak-Magnesia, wo er eine graue, oder endlich aus Blasen-
oxyd , wo er eine glänzend gelbliche Farbe hat. — Der harn saure
Gries kommt vor beim Ueberwiegen der Harnsäure und bei verminderter
Temperatur des Urins. Eine Vermehrung der Harnsäure findet statt
durch Mangel an Bewegung bei dem Genuss stickstoffreicher thierischer
Nahrungsmittel, starker, saurer Weine , Liqueure etc. ; die in den Nieren
abgeschiedene Harnsäure schlägt sich bei vermindertem wässerigem Ve-
hikel als rother Harngries nieder. — Im hohen Alter nimmt die Tempe-
ratur des Urins von selbst ab, und ist daher auch hier der Gries eine häu-
fige Krankheit. — Die seltenen kleesauren Concretionen kommen
vorzugsweise beim häufigen Genüsse von Pflanzenstoffen vor. — Die
Concretionen aus phosphorsaurem Kalk oder aus phosphor-
saurer Ammoniak-Magnesia bedürfen zu ihrer Entstehung nur
einer vorherrschenden Alcalescenz im Urin , welche die überschüssige
Phosphorsäure an sich zieht. Einen solchen Urin findet man nicht selten
bei Kindern in den ersten Lebensjahren , indem in dieser Periode phos-
phorsaurer Kalk in Menge gebildet wird ; dann aber auch bei Personen,
welche an anomaler Gicht und an Blasenkatarrh leiden. — Die sehr sel-
ten vorkommenden Concretionen aus Blasenoxyd sind noch wenig ge-
kannt. — Ursächliche Momente. Nicht selten lässt sich eine
erbliche Anlage nachweisen , die bei einzelnen Arten des Grieses in
genauer Beziehung zur Gicht steht. Aus lezterem Grunde ist auch das
häufige Vorkommen in einzelnen Gegenden und in höherem Alter erklär-
NEUBILDUNGEN. GRIES. 697
lieh. Bei Kindern steht die Gries- und Steinbildung mit scrophulöser
und rhaehitischer Anlage in Verbindung, daher auch bei ihnen die Harn-
concretionen mehr aus phosphorsaurem Kalk und phosphorsaurer Ammo-
niak-Magnesia bestehen , während bei alten Gichtkranken das entgegen-
gesezte Verhältniss stattfindet. Was Scropheln, Rhachitis und Gicht er-
zeugt, wie z. B. der Genuss schwerverdaulicher Nahrungsmittel , grobe
Mehlspeisen , saures Bier , saurer Wein , Mangel an Bewegung, opulente
ausschweifende Lebensweise, der Genuss starker Weine etc. vermag auch
Gries- und Steinbildung herbeizuführen. — Die Zufälle des Grieses
sind sehr verschieden. Oft erzeugt er gar keine Beschwerden , sehr oft
sind aber auch vor und bei seinem Abgange Nieren - und Harnleiter-
schmerzen zugegen, denen sich grosse Unruhe, Schlaflosigkeit und Fieber
hinzugesellen. Nicht selten ist auch eine wirkliche Nierenentzündung,
eine gänzlich unterdrückte Harnsecretion oder blutiges Harnen mit bren-
nenden stechenden Schmerzen zugegen. Leztere vermehren sich bei auf-
rechter Stellung des Kranken und bei Bewegungen, und können sich dann
längs der Uretheren bis zum After , zur Schamgegend und in die Ge-
schlechtstheile verbreiten. In den meisten Fällen ist damit Störung in
den Digestionsorganen, Säure des Magens, Flatulenz etc. oder ein Gefühl
von Hize , Trockenheit im Schlünde und Rachen verbunden. — Be-
handlung. Liegt der Krankheit eine vermehrte Säurung des Urins zu
Grunde, so müssen zunächst alle stickstoffreichen Nahrungsmittel , beson-
ders gesalzenes oder getrocknetes Fleisch, alle säuerlichen Früchte, Weine
etc. vermieden und dagegen für gehörige Thätigkeit der Haut, des Darm-
kanals und für Körperbewegung gesorgt werden. Die vorherrschende
Säure selbst suche man durch Alealien zu neutralisiren, wozu das kohlen-
saure Kali, Natrum, Magnesia, Kalkwasser, besonders aber eine Auflösung
des Borax dient. Dabei lässt man eine wässerige pflanzliche Diät gemes-
sen und viel Wasser trinken ; besonders eignen sich die alcalinischen
Säuerlinge, wie die Wasser von Selters, Fachingen, Wildungen, Geilnau,
so wie die warmen salinisch-alcalinischen Wasser von Töpliz , Karlsbad,
Ems etc. , welche durch Beförderung der Urinsecretion heilsam wirken.
— Sind die Harnconcretionen alc alischer Natur, so müssen entgegen-
gesezt wirkende Mittel in Gebrauch gezogen werden. Man wendet neben
Fleischdiät Säuren an , wobei jedoch zu berücksichtigen ist , dass, wenn
der Kranke mehr Säure gebraucht , als zur Tilgung der alcalischen Be-
schaffenheit des Urins und zur Auflösung der erdigen abgesezten Salze
erforderlich ist , zwar der weisse Gries schwindet , dagegen aber rothery
harnsaurer zum Vorschein kommt. — Entstehen in Folge des Grieses
Zufälle der Reizung und des Krampfes , so wendet man neben Beobach-
tung der grössten Ruhe, bei entzündlichem Zustande allgemeine und ört-
liche Blutentziehungen und innerlich antiphlogistische Salze in Verbindung
mit Oelemulsionen etc., bei krampfhaften Beschwerden Opium, Hyoscyamusr
erweichende Cataplasmen auf die Nierengegend, Klystiere und Bäder an.
698 NEUBILDUNGEN. NIERENSTEINE.
Die Nierensteine, Calculi renales, sind gewöhnlieh der
Anfang der Steinbildimg in den Harnwerkzeugen. Sie bilden sich in
dem Nierenbecken und in den Nierenkelchen , zeigen eine verschiedene
Gestalt und Beschaffenheit , kommen einzeln und in Mehrzahl vor und
bieten dann in lezterem Falle abgeschliffene Flächen dar. — So lange
die Nierensteine klein sind , bestehen sie in der Mehrzahl der Fälle aus
Harnsäure ■ später legt sich um sie eine Kruste von phosphorsaurem Am-
moniak, Magnesia und Kalk an. — Diagnose. Diese ist zweifelhaft.
So lange die Steine klein sind , verursachen sie wenig Schmerzen , mit
ihrem Wachsthum stellt sich ein dumpfer , drückender Schmerz in der
Nierengegend ein ; sind sie eckig, so ist dieser Schmerz heftiger, reissend
und erstreckt sich gegen die Weichen und bis in den Schenkel ; nicht
selten erfolgen Blutungen und alle Erscheinungen einer Nierenkolik. Be-
wegungen des Körpers und Druck auf die Nierengegend vermehren den
Schmerz. Sehr oft gesellen sich die Zeichen eines entzündlichen Zu-
standes , Durst , Unruhe , Leibesverstopfung hinzu. Zuweilen kommt es
zur Vereiterung der Nieren, was sich durch den Abgang eines eiterartigen,
blutigen Urins kund gibt. Abscesse , welche sich bilden, können sich in
den Mastdarm oder nach aussen öffnen und ihren Inhalt : Nierensteine,
Harn, Eiter durch diese Oeffnungen entleeren. — Ursachen. Sie sind
die des Harngrieses. Besondere Veranlassungen sind Stockungen im
Pfortadersystem, Hämorrhoiden, gestörte Gicht , chronische Nierenkrank-
heiten etc. — ■ Prognose. Sie ist immer zweifelhaft. Gehen auch
viele kleine Steine ab , so ist man doch nie sicher , dass nicht einnial die
zurückbleibenden nachtheilige Einwirkungen äussern werden. — Be-
handlung. Bezweckt man eine Auflösung der Nierensteine oder die
Beseitigung der Neigung zur Steinbildung, so geschieht dies auf die beim
Harngries angegebene Weise. Dies gelingt jedoch höchst selten, und
meistens kann man sich nur auf die Verminderung der Zufälle beschrän-
ken, zu welchem Behufe man Aderlässe, Blutegel, Bäder, erweichende
Klystiere, besänftigende Einreibungen und Umschläge etc., innerlich Emul-
sionen mit Nitrum , Opium , Hyoscyamus bei sparsamer Diät und vielen
kühlendschleimigen Getränken in Gebrauch zieht. Bei Eiterungen in den
Nieren empfehlen sich Selters- und Spaawasser mit Milch, Kalkwasser mit
Milch, Molken , isländisches Moos , China etc. nebst nährender Diät. —
Bildet sich ein Abscess mit der Tendenz, nach aussen sich zu öffnen, was
sich durch einen tauben, klopfenden Schmerz in der Nierengegend, so wie
durch die Bildung einer ödematösen und später fluctuirenden Geschwulst
daselbst zu erkennen gibt, so öffnet man* denselben durch einen ergiebigen
Schnitt, so dass man mit dem Finger oder einer Zange eingehen und die
vorhandenen Steine entfernen kann. Festsizende Steine lässt man an
Ort und Stelle und wartet ab , bis sie von der Eiterung locker werden,
-worauf man sie auszieht. — Eine etwa schon bestehende Fistel, die zu
einem Stein führt , erweitert man durch Pressschwamm oder durch das
NEUBILDUNGEN. BLASENSTEINE. 699
Messer. Die Nachbehandlung geschieht nach allgemeinen Regeln. —
Wenn sich ein Stein aus der Niere in den Harnleiter senkt und dort stek-
ken bleibt (Calculus uretericus), so entstehen mehr oder minder
heftige Zufälle , je nachdem durch den Stein der Fortgang des Urins
völlig oder nur zum Theil gehindert ist. Es stellen sich Schmerzen
längs des Verlaufs des Harnleiters ein , welche bei der Berührung sehr
vermehrt werden. Durch den angesammelten Urin wird oft der Harn-
leiter ausserordentlich ausgedehnt. Gelangt der Stein in die Blase , so
lassen die Schmerzen auf einmal nach. Die Behandlung ist der bei den
Nierensteinen gleich.
Die Blasensteine, Calculi vesicales, entstehen entweder
ursprünglich in den Nieren und sezen ihr Wachsthum in der Harnblase
fort , nachdem sie in diese gelangt sind , oder sie bilden sich in dieser
selbst , und zwar indem sich entweder die Harnbestandtheile um einen
fremden Körper niederschlagen , oder durch Anhäufung und Vereinigung
von Harn gries. — Die Form der Harnblasensteine ist meistens eine
länglich-platte oder eiförmige, ihre Oberfläche ist glatt, höckerig oder
eckig, oft auf verschiedene Weise facettirt. Ihre Grösse variirt zwischen
der einer Mandel und der eines Hühnereies , doch kann sie auch viel be-
trächtlicher sein. Gewöhnlich ist nur ein Stein in der Blase, häufig sind
aber deren mehrere , selbst viele vorhanden , in welchem Falle sie abge-
schliffene Flächen zeigen. Sie liegen entweder frei in der Blase oder
sind an den Blasenwänden festgehalten ; lezteres geschieht entweder durch
Befestigung mittels eines Faserstoffexsudats an dieselben (angewach-
sene Steine), oder indem sie von der Wand derselben mehr oder we-
niger umkapselt werden (eingesackte Steine). In lezterem Falle
kann sich der Stein in einem von ihm gebildeten Diverticulum der Blase
oder in einer Hernie derselben befinden. Zuweilen gelangt der Stein
auch bei seinem Austreten aus den Ureteren zwischen die Häute der
Blase, wo er sich dann vergrössert. — Symptome. Beschwerliches,
schmerzhaftes, oft nur in besondern Körperstellungen mögliches Harnen ;
zuweilen plözliches Unterbrechen des Harnflusses. Mit dem Drange zum
Uriniren verbindet sich häufig ein drückendes Gefühl im Mittelfleische
und Mastdarme. Kleine Steine , welche in die Blasenmündung eindrin-
gen können , erregen, ebenso wie eckige , weit heftigere Schmerzen, als
grosse und glatte ; grosse Steine, welche eine vollkommene Zusammenzie-
hung der Blase nicht gestatten , haben nicht selten ein beständiges Ab-
träufeln des Urins zur Folge. Mit der Zeit bewirkt die in der Blase un-
terhaltene constante Reizung einen schleichenden Entzündungszustand
und damit krankhafte Veränderungen in derselben ; ihre AVände werden
unter fortdauerndem vermehrten Schleimabgange nach und nach verdickt,
ziehen sich zusammen, die Steine werden von Pseudomembranen umfasst
und festgehalten , oder es entsteht eine Verschwärung der Schleimhaut,
wo dann der unter heftigem Brennen abgehende Urin nicht selten mit
700 NEUBILDUNGEN. BLASENSTEINE.
Blut, Eiter und Schleim vermischt ist. Zuweilen verbreitet sich die Ent-
zündung auf die Nachbartheile, was zur Entstehung von Blasen-, Mast-
darm- und Blasenscheidenfisteln führen kann , durch welche der Stein
manchmal ausgeführt wird. Gewöhnlich nehmen auch die Geschlechts-
organe an der Reizung der Blase Antheil ; es stellt sich ein spannendes
Gefühl in den Hoden und ein sehr schmerzhafter Kizel und ein Brennen
in der Harnröhrenmündung ein , weshalb auch derartige Kranke das
Glied häufig fassen und vom Körper abziehen , was nicht selten zu häufi-
gen Erectionen, Pollutionen etc. Veranlassung gibt. Die schmerzhaften
und drückenden Gefühle in der Harnblase , dem Mastdarme und dem
Mittelfleische nehmen bei erschütternden Bewegungen des Körpers, beim
Fahren , Reiten , selbst schon bei längerem Gehen zu , und nebenbei er-
folgt ein Gefühl von Betäubung im Oberschenkel. — Die bisher aufge-
führten Erscheinungen lassen , da auch andere Krankheiten der Blase
diese mit dem Steine gemein haben können, die Gegenwart eines solchen
in der Blase blos vermuthen ; es müssen deshalb zur Sicherung der Dia-
gnose noch andere Zeichen zu Hülfe genommen werden , und diese erge-
ben sich aus der Untersuchung des Harns oder der Blase. Ersterer macht
verschiedene Sedimente , welche die oben beim Griese angegebene ver-
schiedene Beschaffenheit zeigen können. Grössere Blasensteine können
durch den Mastdarm und durch die Scheide oft deutlich gefühlt werden,
dabei darf man sich aber durch Geschwülste, verhärtete Faeces, Umbeu-
gungen der Gebärmutter , Knochenauswüchse etc. nicht täuschen lassen.
Das wichtigste Erforschungsmittel bleibt jedoch die metallene Sonde,
indem sie , in die Blase eingeführt und mit dem Steine in unmittelbare
Berührung gebracht, ein hörbares Geräusch vernehmen lässt. Aber auch
selbst diese Untersuchung kann in manchen Fällen nur ein zweifelhaftes
oder gar kein Resultat geben , z. B. bei sehr kleinen oder bei eingesack-
ten und angewachsenen Steinen. Da es von der Grösse , Beschaffenheit
und Lage des Steins abhängt, ob man leichter oder schwieriger mit dem
Schnabel der Sonde denselben berühren kann , so muss man bei der Un-
tersuchung nach verschiedenen Richtungen sanft in der Blase herumfüh-
len, den Kranken bei voller und leerer Blase und in verschiedenen Lagen
und Stellungen sondiren. Kleine Steine entschlüpfen manchmal, so dass
man sie das eine Mal fühlen kann, das andere Mal wieder nicht ; grössere
Steine fühlt man dagegen, wenn sie frei sind, immer wieder. Auch über
die grössere oder geringere Härte des Steins gibt die Untersuchung mit
der Sonde einigen Aufschluss ; harte Steine geben einen hellen , weiche
einen dumpfen Klang. — Prognose. Sie ist im Allgemeinen nicht
ungünstig, so lange nicht krankhafte Veränderungen der Nieren oder der
Blase eingetreten sind. — Behandlung. Diese kann nur in der Ent-
fernung des Steins bestehen , was man auf verschiedene Weise ins Werk
sezen kann, nämlich 1 ) durch den innerlichen Gebrauch steinauflösender
Mittel; 2) durch auflösende Einsprizungen in die Blase; 3) durch die An-
NEUBILDUNGEN. BLASENSTEINE. 701
wendung der galvanischen Säule ; 4) durch Ausziehen des Steins durch
die Harnröhre : 5) durch die Zertrümmerung des Steins in der Harnblase
und 6) durch die Operation des Steinschnitts. — Die steinauflösen-
den Mittel (Remedia lithontriptica) haben zwar nicht die ihnen
zuweilen beigelegte Wirksamkeit, Steine in der Blase auflösen, wohl aber sind
sie geeignet, durch Verbesserung der Diathesis calculosa das wei-
tere Wachsthum des Steins zu verhüten und die durch denselben verur-
sachten Zufälle zu mindern. Die Mittel sind dieselben , wie sie oben
bei der Behandlung des Grieses angegeben wurden , nämlich je nach der
chemischen Beschaffenheit des Urins Säuren oder Alealien , deren Ge-
brauch man hier so lange fortsezt , bis der Urin weder alcalisch, noch
sehr vorwaltend sauer reagirt. Den Umständen angemessen verbindet
man damit Eisenmittel, China, Uva ursi, Plantago latifolia,
Ononis spinosa etc. nebst der entsprechenden Diät, womit man eine
Verbesserung der Gesammtconstitution und Herstellung der Integrität der
Blase bezweckt. — Die auflösenden Einsprizungen in die Blase
werden entweder in der Absicht unternommen, um auf die gereizten oder
in Verschwärung begriffenen Blasenhäute unmittelbar einzuwirken , oder
um als steinauflösende Mittel zu dienen. In ersterer Absicht macht man
sie aus Oel , aus Abkochungen von schleimigen Stoffen , aus einem D e-
coct. uvae ursi etc.; in lezterer Beziehung wendet man bei Steinen aus
Harnsäure und harnsaurem Ammonium eine verdünnte Lauge, bei solchen
aus Phosphaten verdünnte Salzsäure und bei solchen aus oxalsaurem Kalk
verdünnte Salpetersäure an. Nach B. B r o d i e haben Einsprizungen
aus Salpetersäure (2 — 21 2 Gh\ auf ^j destillirtes Wasser) die doppelte
Wirkung , die Entzündungserscheinungen der Blase zu mildern und
schmelzbare Steine aufzulösen. Die Einsprizungen selbst geschehen
mittels der Sprize und eines eingelegten elastischen Catheters. G r u i t h u i-
sen und C 1 o q u e t haben eigene Vorrichtungen erfunden, um einen steten
Wasserstrom in die Blase gehen zu lassen, und um kräftiger auf den Stein
zu wirken, ohne die Blase selbst durch die auflösenden Mittel zu reizen,
hat E o b i n e t einen Apparat angegeben, wodurch der Stein in einen von
Därmen gefertigten Sack eingeschlossen und die Einsprizungen mit einer
Sonde mit doppeltem Gange gemacht werden. Diesem ähnlich ist das
von ihm Lithymenie genannte Verfahren von Dusmenil. — Die
Auflösung des Steins mittels einer galvanischen Säule
zu bewirken (nach Demortiers und G r u i t h u i s e n), ist bis jezt blos
beim Vorschlage und bei Versuchen geblieben. — Die Ausziehung
des Steins durch die Harnröhre ist nur bei Weibern, der Kürze
und Ausdehnbarkeit der Harnröhre wegen , gut thunlich. Bei Männern
ist nur bei kleinen Steinen daran zu denken. Immer muss eine Erwei-
terung der Harnröhre vorher gehen , welche man durch immer dickere
elastische Sonden , bei Weibern auch mittels besonderer Dilatatoren ins
Werk sezt. Ist die Urethra gehörig erweitert , so muss der Kranke den
702 NEUBILDUNGEN. THRAENENSTEINE.
Urin anhalten , sich nach vorn iiberbengen und indem man die Sonde
schnell auszieht , wird der kleine Stein zuweilen mit dem Strahle des
Urins ausgetrieben. Geht es so nicht, so zieht man ihn mit einer Zange
aus, wozu man sich der von H u n t e r oder C o o p e r , der Weis s'schen
Werkzeuge, der zwei- oder dreiarmigen Zange von Civiale, des geglie-
derten Steinlöffels von Leroy d'Etiolles etc. bedienen kann. Auch
die zweiarmigen lithotriptischen Instrumente kann man hierzu gebrauchen.
■ — Man hat sich , besonders beim Weibe , vor einer zu raschen und be-
deutenden Erweiterung der Harnröhre zu hüten, um einem Unvermögen,
den Urin zurückzuhalten, vorzubeugen. - — • Ueber die Steinzertrüm-
merung und den~S tei ns chnitt s. diese Artikel.
S.teine in der Harnröhre verhalten sich wie fremde Körper
daselbst. S. diesen Artikel. — Bei Phimosen kommt es nicht selten
zur Bildung von Steinen unter der Vorhaut , Calculi praepu-
tiales.
3. Speichelsteine, Calculi salivales, sind runde oder
längliche Concretionen, die sich aus dem Speichel in den Se- und Excre-
tionskanälen der Speicheldrüsen bilden. Sie sind in der Regel von er-
diger, kreidiger Beschaffenheit, nicht krystallinisch, von weisslicher Farbe
und von der Grösse einer kleinen Linse bis zu der einer welschen Nuss.
Sie bestehen hauptsächlich aus Kalksalzen , phosphor- und kohlensaurem
Kalke, welche durch thierische Materien (Schleim, Prote'instoffe) verbun-
den sind. — Die Bildung der Speichelsteine beruht auf einer krankhaften
Veränderung des Speichels. Ist er sehr schleimhaltig oder mit zu viel
Erden vermischt, so ist er am geeignetsten, noch innerhalb des Körpers
steinigte Concretionen zu bilden , welche Disposition man bei Trinkern,
beim Genüsse vieler fader , schleimiger Nahrung , so wie nach grösseren
Mercurialkuren bemerkt haben will. Gelegenheitsursache kann Alles
werden, was den freien Abfluss des Speichels aus seinen Gängen hindert :
Entzündung der Schleimhaut , Verwachsung der Ansf ührungsgänge , ein
Druck auf dieselben von aussen etc. — Das Erkennen der Speichelsteine
macht, wenn sie nur einigermassen gross sind, keine Schwierigkeiten, da
sie eben so leicht gefühlt, als gesehen werden können. In der Regel be-
kommt man jedoch erst von ihrem Dasein Kunde, wenn den Kranken eine
Speichelnstel oder Froschgeschwulst (die häufigen Folgen von Speichel-
steinen) belästigt. Sie müssen entfernt , Ranula und Speichelnstel aber
nach den Regeln der Kunst behandelt werden. — Der Zahn- oder
Weinstein, Tartarus dentium, ist dem Speichelstein nahe ver-
wandt; er ist theils ein Niederschlag aus dem Speichel innerhalb der
Mundhöhle auf die Zähne und das Epithelium, theils aus dem Secrete der
sogenannten Weinstein drüsen. Zu seiner Auflösung empfiehlt sich das
Kali carbonicum.
4. Thränen stein e, C al c u li lacrym ales, Dacryolithi,
bilden sich aus den Thränen innerhalb der Thränendrüse, im Auge, Thrä-
NEUBILDUNGEN. DARMSTEINE. 703
nensacke oder Thränenkanale ; sie bestehen hauptsachlich aus phosphor-
saurem Kalke und Augenbutter. Nach ihrem Size oder ihrer Grosse ver-
anlassen die Thränensteine Entzündung und Blenorrhoe des Bulbus , des
Augenlids und ebenso des Thränensacks oder auch eine Verstopfung des
leztern, die Entstehung einer Thränenfistel. Ihre Ursachen sind entweder
eine qualitative Abänderung der Thranen selbst, oder fremde in das Auge
oder in die Nase gelangte Körper, wodurch die Veranlassung zur Abschei-
dung der erdigen Bestandteile aus den Thranen gegeben wird. — Man
entfernt den Stein und verhindert die Neigung zur Wiederkehr durch den
innerlichen Gebrauch des Kali carbonicum oder tartaricum.
5. Prostatasteine (Prostatasand) kommen in den Gängen der
Vorsteherdrüse oft in beträchtlicher Anzahl im vorgerückten Alter vor ;
sie sind stets klein, höchstens Stecknadelkopf- bis eibsengross, sehr hart
und glänzend, von schwärzlicher, brauner, roth- oder gelbbrauner Farbe,
krystallinisch oder geschichtet ; sie bestehen aus phosphorsaurem Kalk
und thierischer Materie. — Wenn die fremden Körper ein gewisses Vo-
lum erreicht haben , so leidet der Kranke an Harnbeschwerden und hat
eine unbehagliche Empfindung an dem Blasenhalse ; sie können aber auch,
ohne die geringste Beschwerde zu verursachen, zugegen sein. Man er-
kennt sie zuweilen durch die Einführung des Catheters. Dupuytren
entfernte solche Steine , welche Fisteln am Damm erzeugt hatten, durch
den Schnitt ; besser ist es , sie mittels Zangen , wie der Weiss' sehen
oder schaufeiförmiger Lithotrite durch die Harnröhre zu entfernen. —
Aehnliche Concretionen kommen bisweilen in den Samenbläschen
und -Kanälen vor.
6. Darmsteine, nämlich solche, die sich im Darmkanale selbst
erzeugt haben, kommen beim Menschen selten vor. Am häufigsten findet
man sie im Dick- und Blinddarm, namentlich im Wurmfortsaze. Einige
der Darmconcretionen entstehen durch Verkreidung eines Faserstoffexsu-
dats oder Blutcoagulums ; andere durch Niederschlagen von Kalksalzen
aus den Darmflüssigkeiten auf Speisereste oder fremde Körper (Kirsch-T
Gurken- , Kürbiskerne etc.) ; noch andere durch Zusammenlöthung von
Speiseresten. Ihre Farbe ist meist braun, doch findet man sie auch
braun-, roth- oder blassgelb, aschgrau und selbst weiss , je nach der Ver-
schiedenheit ihrer Bestandtheile. Ihre Oberfläche ist bald glatt und po-
lirt, bald rauh, gefurcht. — Am häufigsten liegen sie frei im Darmkanale,
und nur selten sind sie mit einer dünnen Schicht Haut umgeben und an
die innere Darmwand befestigt. — Diese Steine bedingen oft hartnäckige
Obstruetionen , andere Male anhaltende Diarrhöen , blutige Stuhlgänge,
heftige Koliken, Ekel und Erbrechen. Sizen sie fest, so verursachen sie
einen mehr oder minder fixen Schmerz und Druck ; zuweilen fühlt man
sie als eine harte umschriebene Geschwulst. Oft erregen sie gar keine
Beschwerden ; häufig werden sie durch Erbrechen oder mit dem Stuhl
ausgeleert. Im Mastdarm angelangt erregen die grösseren Steine ge-
704 NEURALGIE.
wohnlich mancherlei Beschwerden, ein beständiges Drangen , wehenartige
Schmerzen, wo man sie dann ausziehen muss. Schlimmer als diese Zu-
fälle sind Entzündung , Vereiterung und Brand des Darmkanals , welche
diese Steine zuweilen erregen ; meist ist der Tod die Folge dieser Zu-
stände. — Man sucht die Steine durch Abführmittel zu entfernen , mit
welchen man auflösende Mittel, wie Kali causticum, Aqua calci s,
Seife, Acidum n i t r i c u m , die Thermen von Karlsbad, Töpliz, Ems etc.
verbindet. Steine im Mastdarm entfernt man mit geeigneten Zangen,
wobei es bei sehr grossen Steinen, wenn man sie nicht zu zerbrechen vermag,
nöthig werden kann, den Afterschliessmuskel einzuscheiden, was am besten
nach beiden Seiten hin oder an seinem hintern "Winkel geschieht. — Etwa
durch den Reiz des Steins hervorgerufene Entzündungszustände oder
Krampfzufälle des Darms bekämpft man mit Oelemulsionen , anodynen
Einreibungen und Umschlägen auf den Bauch, derartigen Klystieren etc.
— Zur Vermeidung der Wiederkehr empfiehlt man eine leicht verdauliche
Fleischnahrung , Sorge für den regelmässigen Stuhl , eisenhaltige Säuer-
linge, alcalische Mineralwasser, besonders Marienbad etc.
Neuralgie (vsvqov , Nerv , und uAyog , Schmerz) , Nerven-
schmerz. Mit diesem Namen bezeichnet man Schmerzen von bedeu-
tender Intensivität, welche im Verlaufe eines bestimmten Nerven auftreten.
— Das wesentlichste Symptom einer Neuralgie ist ein heftiger , plöz-
lich auftretender Schmerz , welcher den Nerven vom Stamme gegen die
Peripherie hin wie Feuer durchläuft. Derselbe ist bald blos stechend,
bald brennend und stechend zugleich und wird durch Druck niemals ver-
mehrt. Nach dem Aufhören des Schmerzes bleibt in dem ergriffenen
Theile ein Gefühl von Ameisenkriechen oder Eingeschlafensein zurück.
Zuweilen geht dem Auftreten des Schmerzes ein allgemeiner Frost und
eine örtliche Kälteempfindung an der leidenden Stelle voraus und nicht
selten sind mit der neuralgischen Affection krankhafte Zuckungen in den
Muskeln der schmerzhaften Gegend verbunden ; die schmerzhaften Theile
sind manchmal auch etwas geröthet, angeschwollen und heisserals im ge-
sunden Zustande. Die Dauer der Neuralgien ist verschieden, von einigen
Minuten bis über eine Stunde ; zuweilen ist dann der Kranke auf einige
Stunden völlig schmerzfrei. Bisweilen ist die Neuralgie remittirend, bis-
weilen intermittirend. — Die Stellen des Nervenstrangs , welche am ge-
wöhnlichsten neuralgisch afficirt werden, sind die, wo der Nerv aus einem
Loch, aus einem Knochenkanal, einem Muskel, einer Fascie hervortritt,
um sich von hier aus zu verzweigen. — Ursachen. Besonders dispo-
nirt eine nervöse Constitution , das weibliche Geschlecht und das mittlere
Lebensalter zu Neuralgien. Gelegenheitsursachen sind plözliche Erkäl-
tungen durch Zugluft bei erhiztem Körper, die Einwirkung feuchter Kälte,
z. B. durchnässte Kleidungsstücke, Liegen auf feuchtem Boden, mecha-
nische Reizung der Nerven, Druck durch Geschwülste, Metallvergiftungen
NE UROMA. 705
und psychische Einwirkungen. — Die anatomischen Untersuchungen
haben bis jezt noch kein hinreichendes Licht über das Wesen der Krank-
heit verbreitet. Am häufigsten hat sie ihren Siz in den Aesten des 5.
Paars. — ■ Die Prognose ist im Allgemeinen nicht ungünstig; die Neu-
ralgien sind zwar immer sehr lästige und langwierige doch fast immer
heilbare Leiden ; indessen können sie auch in Folge der anhaltend hefti-
gen Schmerzen durch Hectik den Tod herbeiführen. — Behandlung.
Etwa noch fortwirkende Ursachen müssen, wenn es möglich ist, entfernt
werden. Gegen den Schmerz selbst zieht man die verschiedenen Narco-
tica, vorzüglich Opium, Belladonna, Hyoscyamus , Strammonium (Rp.
Extr. strammon. gr. i — ij, Sacch. alb. gr. x. M. f. pulv. D. tal.
dos. No. iv. S. Täglich 1 Pulver), Veratrin (Rp. Veratrini gr. j,
Extr. hyosc. pulv. , Rad. liquir. ana gr. xij. M. f. p iL No. xij.
S. Alle 3 Stunden 1 Pille zu nehmen), Blausäure, welche Mittel man auch
endermatisch anwendet, in Gebrauch. Ausser diesen Mitteln sind empfoh-
len : kohlensaures, salpetersaures Silber, Sublimat, Chinin, Aether, Casto-
reum , Vinum colchici, Terpentinöl , besonders aber Ammonias
Valeriana e. Mit diesen Mitteln verbindet man Einreibungen von
Tinct. stramnionii, von Aconit (R p. A c o n i t i n i gr. viij , A 1 c o -
holis 5ij. D. S. In die schmerzhaften Stellen einzureiben), Chloroform
mit Ol. olivarum etc. Die meiste Hülfe gewähren Hautreize , beson-
ders fliegende Blasenpflaster, in der Nähe des Schmerzes auf die Haut ge-
sezt. Noch kräftiger wirkt die Moxa und das glühende Eisen. Ausser-
dem hat man Aderlässe und topische Blutentziehungen (nur passend bei
vollblütigen Subjecten), so wie die Acupunctur, Electropunctur, Galvano-
caustik , heisse Dämpfe , Douchen, Bäder empfohlen. Sind diese Mittel
erfolglos angewendet worden , so bleibt noch die Durchschneidung
des schmerzenden Nerven übrig , von der aber nur Hülfe zu erwarten ist,
wenn das Leiden nicht von dem unzugänglichen Centralende des Nervens
ausgeht. S. Neurotomia und vergl. auch die Art. Gesichts-
schmerz und Hüftweh.
Neuroma, Nervengeschwulst. Man versteht hierunter jede
an einem Nerven auftretende , von ihm ausgehende Geschwulst von ver-
schiedener Form und Grösse, welche bald von der Nervensubstanz selbst,
bald , und zwar in der Mehrzahl der Fälle, vom Neurilem ausgeht. Am
häufigsten findet man sie an den oberflächlichen Nerven. Sie sind zu-
weilen an vielen, manchmal an allen Nerven des Körpers verbreitet. Die
Geschwulst hat eine spindelförmige oder kugelige Gestalt und kann bis
zu einem Durchmesser von 6 Zoll steigen. — Diese Geschwülste sind ge-
wöhnlich die Ursache heftiger plözlich auftretender Schmerzen oder Zuk-
kungen, besonders wenn sie aussen berührt oder der Nerv durch Muskel-
bewegung in Spannung versezt wird. Selbst epileptische Zufälle hat man
auf solche Einwirkungen erfolgen sehen. Zuweilen ist auch ein Gefühl
Burger, Chirurgie. 40
706 NEUROTOMIA.
von Ameisenkriechen oder Taubheit vorhanden. Sie wachsen bald lang-
sam, bald schnell; in lezterem Falle sind die Schmerzen ungemein heftig.
Gewöhnlich treten die Schmerzen beim Neurom in einzelnen Anfällen auf,
zwischen denen mehr oder weniger schmerzensfreie Pausen von verschie-
dener Dauer eintreten. Bringt man an dem betreffenden Nerv oberhalb
der Geschwulst einen Druck an, so ruft ein auf die Geschwulst ausgeübter
Druck keinen Schmerz hervor. — Die Neurome stellen sich bald als feste,
knorpelartige Geschwülste dar und zeigen ein faserig-sehniges Gewebe,
bald erscheint dieses mehr speckartig, oder die Geschwulst ist ein Hohl-
gebilde, enthält im Innern eine wässerige oder sulzige, gallertartige Masse.
Die meisten Neurome scheinen den Fasergeschwülsten anzugehören. Zu-
weilen beruht die Geschwulst nur auf einer Verdickung der Nervenschei-
den. Die Nervenschläuche findet man, je nach der ursprünglichen Ent-
wicklungsstelle der Neubildung, bald im Innern derselben, bald mehr seit-
lich , bald aus einander gedrängt peripherisch über die Geschwulst ver-
laufend. — Die häufigste Veranlassung der Neurome ist eine äussere
Verlezung , ein Stoss , Schlag, Druck etc. Hierdurch wird eine Entzün-
dung mit Exsudatbildung hervorgerufen , oder ein kleines Extravasat be-
wirkt und dadurch entweder zur Bildung von Fasergewebe, oder zu einer
Cyste Veranlassung gegeben. Zuweilen entwickeln sich die Neuroma
spontan aus noch unbekannten Ursachen. — Prognose. Nur sehr
selten verschwindet das Neurom von selbst ; gewöhnlich ist es eine hart-
näckige, sehr lästige Krankheit. Am günstigsten ist die Prognose, wenn
die Geschwulst noch nicht lange besteht und traumatischen Ursprungs
ist. — Behandlung. Diese sei beim Beginn des Leidens antiphlo-
gistisch ; später kann nur von der Exstirpation Hülfe erwartet werden.
S. Neurotomia. — Hat das Neurom seinen Siz in dem Hauptnerven-
stamm eines Gliedes, so bleibt nichts übrig, als zu amputiren, was aber
auch nicht immer von Erfolg ist.
Neurotomia (rsvQog, Nerv, ixn&T€fj,V(ü, ich schneide), der Ner-
vens chnitt und Ne ur e c to mia (vevgog^ ix [aus] und ts/u reo) , die
Nervenausschneidung oder Resection sind zwei Operations-
weisen , welche in den meisten Fällen einen und denselben Zweck , näm-
lich die Unterbrechung der Leitungsfähigkeit eines Nerven an einer Stelle
seines peripherischen Verlaufs, und auch einerlei Indicationen haben; nur
ist die Nervenresection bei Neuromen allein anwendbar , während sie in
allen übrigen Fällen nur den Zweck hat, das schnelle Wiederverwachsen
der zusammengehörigen Enden des durchschnittenen Nerven zu verhin-
dern. — Die Indicationen dieses also nur zweierlei Modificationen
einer Operationsmethode darbietenden chirurgischen Eingriffs sind: 1)
Entzündungen eines peripheren Nerven , welche von einem localen Ent-
zündungsherde ausgeht und durch ihr ungehindertes Weiterschreiten
gegen die Nervencentra Gefahr droht (Tetanus) ; 2) bei umschriebenen
NIESEMITTEL. 707
Krämpfen (so beim Stottern der Nervus hypoglossus); 3) Neural-
gien , deren Grund im peripheren Verlaufe eines Nerven gesucht werden
kann, und wo der Reiz nicht auf örtlichem Druck, entzündlicher Schwel-
lung, Neubildung , einem Aneurysma, einem Knochenleiden , einem Zahn
etc. beruht. Eine Hauptbedingung für die Ausführung der Operation
ist die anatomische Zugänglichkeit, und bei gemischten Nerven auch, dass
die Verlezung eines solchen Nerven nicht dem Leben Gefahr drohe, z. B.
des Nerv, vagus, phrenicus. 4) Neurome. — Die Neurotomie.
wird subcutan (vorzüglich im Gesicht) oder nach Blosslegung des zu
durchschneidenden Nerven vollführt. Es sind dabei im Allgemeinen fol-
gende Regeln zu beachten : 1) die Lage des Theiles muss eine solche
sein, dass beim Aufheben des entblössten Nerven keine Zerrung eintritt.
2) die Blosslegung des Nerven muss (bei Neuralgie) oberhalb des Ur-
sprungs aller der von den neuralgischen Schmerzen ergriffenen Aeste vor-
genommen werden. 3) Nachdem man, durch anatomische Kenntnisse ge-
leitet, den Nerven gefunden und entblösst hat, muss man sich durch Rei-
zung desselben noch vollständige Gewissheit darüber verschaffen , dass
man wirklich ihn und nicht einen andern Strang vor sich hat. 4) Man
durchschneidet den Nerven zunächst so hoch als möglich gegen seinen
Ursprung hin mit einem Zuge. Zur Verhinderung der Wiederverwach*
sung der getrennten Enden schneidet man nur ein Stück von dem Nerven
aus ; statt dieser Operation cauterisirte man auch die Nervenenden oder
legte einen fremden Körper dazwischen. — Operirt man wegen eines
Neuroms , so legt man die Geschwulst bloss , durchschneidet alsdann den
Nerven zuerst ober - und hierauf unterhalb der Geschwulst und präparirt
leztere aus. Die Wunde heilt man durch erste Vereinigung.
Niesemittel, Sternutatoria, auch E r r h i n a , Ptarmica.
Man versteht darunter Mittel , welche auf die Nasenschleimhaut applicirt
werden, theils um auf diese abzuleiten, theils sie örtlich zu erregen, theils
endlich fremde, in die Nasenhöhle gelangte (Insecten, Erbsen etc.), theils
in ihr erzeugte Körper (Krusten, Häute) auszutreiben. In ersterer Absicht
kommen sie (als revulsorische Reizmittel) bei Kopfschmerzen (Migräne),
bei chronischer Hirnwassersucht, bei rheumatischen Zahn- und Ohren-
schmerzen, bei der catarrhalischen und rheumatischen Taubheit, bei chro-
nischen, rheumatischen und gichtischen Augenentzündungen, bei der Epi-
lepsie , um den nahen Anfall zu verhüten , bei der Manie und Hypochon-
drie zur Anwendung. Als örtlich erregende Mittel bedient man sich
ihrer bei chronischem Schnupfen,' bei chronischer Auflockerung der Nasen-
schleimhaut und Neigung zur Bildung von Polypen, so wie zur Verschrum-
pfung solcher. Contraindicirt sind die Niesemittel bei zarten Kindern
und Frauen , bei Gehirncongestionen , bei Vollblütigkeit , Neigung zum
Blutspeien und Schlagfluss, bei entzündlichem Zustande der Nasenschleim-
haut, bei inneren Entzündungen, bei Bruchkranken und Schwangeren. —
45*
708 NOMA.
Man wendet sie bald in tropfbarflüssiger oder elastischflüssiger (Dampf
und Gas), bald in trockener pulveriger, bald in Salbenform an. Die tropf-
barflüssigen werden entweder eingesprizt , oder eingepinselt oder einge-
schnupft, oder mittels damit getränkter Charpie oder Badeschwammstücke
eingebracht. Die elastischflüssigen werden entweder mittels eines Trich-
ters oder Rohrs in die Nase geleitet , wie die Dämpfe, oder eingeathmet,
wie die Gasarten. Die Pulver werden entweder durch einen Federkiel
u. dgl. eingeblasen, oder geschnupft, die salbenf örmigen mittels Charpie-
wieken applicirt. — Die hauptsächlichsten Niesemittel sind die Pulver
vonRad. convallariae majalis, Hb. betonicae officinalis,
majoranae, mari veri, Rad. iridis florentini, Asarum eu-
ropaeum, Hb. nicotianae, Rad. hellebori albi, valeria-
nae, calami aromatici, Cortex chinae, Flor, lavendulae
etc. Ausser diesen pflanzlichen Stoffen werden noch verschiedene andere,
wie Kohle, Chlorkalk, Calomel, Zucker, weisser Vitriol etc. als Niesemittel
benuzt. — Compositionen: Rp. Hb. majoranae, — mari
veri, Flor, lilior. convall. , Rad. irid. florent. ana. M. —
Rp. P ulv. r ad. asari europ., — f lor. convall. maj. , E laeo-
sacch. orig. maj. ana 3j- M. S. Schnupfpulver. — Rp. Pulv. rad.
asar. europ., Hb. orig. maj. ana ^j , Calomel ^ß, Sacch. albi
3j. M. S. 6 Mal täglich 1 Prise zu nehmen (längere Zeit gebraucht, er-
regt dieses Pulver ein wohlthätiges Nasenbluten). — Rp. Pulv. herb,
betonicae, — rad. asar., — — hellebor. alb. ana. M. —
Rp. Pulv. carbon. ligni^j, — r a d. irid. f 1 or ent. ^]3. M. f.
pulv. S. Schnupfpulver (gegen übelriechende Absonderung der Nasen-
schleimhaut bei Kindern). — Mechanisch reizt man die Nasenschleimhaut
mit einem Federbart, Haarpinsel, Grashalm etc.
Noma (jj vofirj , ein um sich fressendes Geschwür) , Wasser-
krebs, Cancer aquaticus, Mundbrand, Stomacace gan-
graenosa, ist eine brandige Entzündung , welche unter gewissen Ver-
hältnissen, am häufigsten bei Kindern vom 1. bis 10. Lebensjahre, am
Zahnfleische , an Mund- und Wangentheilen , seltener an den weiblichen
Gesehlechtstheilen und am After auftritt. — Symptome und Ver-
lauf. Die Krankheit beginnt entweder aussen an der Wange oder
Lippe, oder innen auf der Schleimhaut dieser Theile und am Zahnfleische.
— Wenn die Noma von der Mundfläche ausgeht, so erscheint die Schleim-
haut in bald kleinerem , bald grösserem Umfange entzündet und aufge-
lockert, manchmal mit Exsudaten bedeckt, oder es sind Geschwüre vor-
handen. Im ersten Fall bilden sich an der entzündeten Stelle in Folge
des eingetretenen Brandes bleifarbene aschgraue Flecken , die einsinken
und ein Geschwür darstellen. Im leztern Falle bekommen die bereits
vorhandenen Geschwüre ein missfarbiges Aussehen und nehmen an Um-
fang zu. In beiden Fällen greift die brandige Zerstörung rasch um sich,
NOMA. 709
das Zahnfleisch löst sich von den Zähnen und Kieferknochen los, die nieist
ödematös aufgetriebenen Lippen und Wangen werden durchbohrt , die
Speicheldrüsen sind angeschwollen , aus dem Munde und den brandigen
Oeffnungen fliesst in grosser Menge ein höchst übelriechender Speichel,
und überhaupt verbreiten die brandigen Theile einen furchtbaren Ge-
stank, die Zähne fallen aus und die entblössten Knochen werden nekro-
tisch; das Uebel macht gewöhnlich so reisseude Fortschritte, dass in we-
nigen Tagen ein grosser Theil der weichen Gesichtstheile zerstört sein
und die Mundhöhle sammt den naheliegenden Knochen blossliegen kann.
Zuweilen wird der Brand frühzeitig durch eine eiternde Demarkationslinie
begrenzt und es kann Heilung mit einer geringen Entstellung des Gesichts
erfolgen ; häufig greift der Brand aber wieder aufs Neue um sich und sezt
seinen zerstörenden Weg fort. In andern Fällen schreitet die brandige
Zerstörung langsamer vorwärts, und es vergehen Monate, bis ein bedeu-
tender Substanzverlust erfolgt. Schmerzen sind in der Regel keine vor-
handen, nur ein leichtes Jucken und Brennen in der Umgegend des Bran-
digen. — Entwickelt sich die Noma von aussen , so zeigt sich auf der
Wange oder Lippe zuerst ein röthlicher Fleck mit harter , glänzend ge-
rötheter Umgebung, bald wird diese Stelle dunkler, missfarbig, sinkt ein
und stellt damit ein brandiges Geschwür dar. Oder in der Dicke der
Wange , der Lippe macht sich eine entzündliche Verhärtung mit ödema-
töser Anschwellung dieser Theile bemerklich ; der Entzündungsherd er-
weicht sich , die Haut über demselben wird livid und missfarbig , und es
erfolgt nun nach aussen oder nach innen ein Durchbruch und gänzliche
Durchbohrung , worauf der Absterbungsprocess sich auf das Zahnfleisch
ausdehnt und die Zerstörung in beschriebener Weise fortschreitet. —
Aehnliche brandige Zerstörungen kommen zuweilen auch an den Ge-
schlechtstheilen und am After unter den gleichen Umständen vor. — Das
Allgemeinbefinden ist bei dieser Krankheit oft gar nicht getrübt, es ist
kein Fieber vorhanden und die Verdauung ist nicht gestört. Der Grund
dieser geringen Reaction liegt ohne Zweifel darin , dass bei gelähmten
Gefässen und Nerven keine Resorption von Brandjauche stattfindet , und
die brandige Zerstörung ziemlich schmerzlos erfolgt. In andern Fällen
jedoch entstehen nach der deutlichen Entwicklung des Brandes typhöse
Erscheinungen, welche am Ende der ersten oder zweiten Woche den Tod
herbeiführen. — Die Diagnose ist in der Regel mit keinen Schwierig-
keiten verbunden. Der Ort des Vorkommens, die rasche Zerstörung und
der aashaft riechende Speichelfluss werden immer auf die richtige Spur
leiten. — Ursachen. Eine Disposition zur Noma haben schlecht ge-
nährte, schwächliche, aufgedunsene, überhaupt cachektische Kinder, die
unreinlich gehalten werden , schlechte Nahrung gemessen und an scor-
butischer Dyserasie leiden. Daher findet man das Uebel nur bei der
niedern Volksklasse, in ungesunden Wohnungen und in Sumpf- und
Küstengegenden. Gelegenheitsursachen sind : unvorsichtiger Quecksilber-
710 % NOMA.
gebrauch, Zahnverderbniss und der Vorgang des Zahnwechsels ; ferner die
Gegenwart von Mundgeschwüren in Verbindung mit Verdauungsstörungen
und Erkältungen ; am häufigsten erscheint sie im Gefolge von Masern,
Scharlach und Typhus. Zu bemerken ist , dass bei Scorbutischen die
Gesichtsnoma meistens auf der Schleimhaut , nach Hautausschlägen da-
gegen von aussen beginnt. — F r o r i e p fand zahlreiche Gährungspilze,
die er als die Ursache der Entstehung und Verbreitung des Wasserkrebses
ansieht. — Ausgänge. Die Noma führt bei Kindern meistens durch
Erschöpfung und Colliquation oft schon nach 8 bis 14 Tagen, selbst
früher , zuweilen aber auch erst nach Monaten zum Tode. Tritt unter
sehr günstigen Verhältnissen Heilung ein, so wird der Brand begrenzt und
abgestossen , und es erfolgt mit mehr oder weniger Entstellung Vernar-
bung. Das Verlorengegangene ersezt sich durch Granulationsbildung,
Narbencontraction und Ausdehnung der umliegenden Theile. — Die Pro-
gnose ist im Allgemeinen ungünstig, da die Heilung sehr zweifelhaft ist
und jedenfalls mit Entstellung des Gesichts erfolgt. — Behandlung.
Das Erste ist Sorge für bessere Nahrung , gesundere Luft und Reinlich-
keit. Dann gibt man bei bestehenden gastrischen Unreinlichkeiten Brech-
und leichte Abführmittel, bei scorbutischem Zustande antiscorbutische
Mittel ; zur Unterstüzung der Kräfte China, Cascarille und Mineralsäuren.
Die örtliche Behandlung besteht darin , an die Stelle der gangränösen
Entzündung eine eiterbildende zu sezen, was man durch scharfe und äzende
Mittel oder das Glüheisen ins Werk sezt. Zu dem Ende bepinselt man
die kranke Stelle, so wie die nächste Umgebung mit Mineralsäuren, Holz-
säure, Kreosot, Chlor (z.B. Rp. Acid. nitrici ^ij, Syr. moror. §ij.
M. S. Pinselsaft. — Rp. Acid. muriat. 3j, Deco ct. malv. ex 5ij-
pt. §vj, Meli, rosar. g. M. S. Gurgelwasser. — Rp. Acid. pyro-
lignos. 5iß, Meli, rosar. §j. M. S. Zum Bepinseln. — Rp. Chlor i
liquid., Syr. berberid. ana gj. M. S. Pinselsaft), oder macht Um-
schläge mit concentirter Auflösung von Zink- oder Kupfervitriol (Rp.
Cupr. sulphur. 5ij , P u 1 v. chinae 5$ , A q. simpl. §iv. M. S.
Zwei Mal täglich davon aufzulegen), Chlorkalk (Rp. Calcar. oxy-
muriat. §ß , Aq. fönt. <j£ij. M. solv. e t co 1. p er 1 in t e am. S.
Alle 2 Stunden überzuschlagen), Alaun, Campher u. dgl. Das kräftigste
Mittel, um das Fortschreiten des Brandes zu hemmen, ist die nachdrück-
liche Application des Glüheisens. Stösst sich der Brandschorf ab , so
fährt man mit den scharfen und äzenden Mitteln in gemässigtem Grade
fort, bis sich eine reine wunde Fläche zeigt. Je nachdem sich eine starke
entzündliche Reizung oder mehr ein reizloser Zustand zeigt, macht man
Bleifomente, oder legt trockene aromatische Substanzen auf die leidende
Gesichtshälfte. Dabei muss der Mund fleissig mit geistigen, säuerlichen,
gerbstofFhaltigen Flüssigkeiten , oder einer Auflösung von Chlorkalk aus-
gespült oder gesprizt, und das Verschlucken des Speichels und der Brand-
jauche möglichst verhütet werden.
OBERKIEFERHOEHLE. ENTZUENDUNG DERS. 711
o.
Oberkieferhöhle, Krankheiten derselben. Der Sinus
m axillaris ist der Siz sehr verschiedener krankhafter Zustände, welche
meistens von einer Entzündung ihren Ausgang nehmen, welche hinwiederum
in der auskleidenden Schleimhaut oder in der Beinhaut sich entwickeln
kann.
Entzündung der Oberkieferhöhle, Infi a.nimatio si-
nus maxillaris s. antri Highmori. Diese gibt sich durch einen
brennenden, klopfenden oder bohrenden Schmerz in der Tiefe der Wange
zu erkennen , welcher sich von dem Zahnrande bis an die Augenhöhlen
verbreitet und durch äusserlichen Druck nicht vermehrt wird. Nach der
Beschaffenheit der Entzündung ist dieser Schmerz entweder sehr heftig,
anhaltend mit Wärmeentwicklung, Kopfschmerzen und Fieberbewegungen
verbunden, oder er ist gering , mehr dumpf mit dem Gefühl von Schwere
in der Wange und wird dann gewöhnlich für eine catarrhalische Affection
gehalten. — Die acute Entzündung der Kieferhöhle kann zu einer
schnellen Anfüllung dieser Höhle mit Eiter mit nachfolgender Necrose
führen ; die chronische hat meist die sogenannte Wassersucht
oder den A b s c e s s der Highmorshöhle (Hydrops s. Absces-
sus antri maxillaris) zur Folge , welche je nach dem Siz der Ent-
zündung in der Schleim- oder Beinhaut in der Höhle selbst oder zwischen
den verschiedenen Schichten der Höhlenwandungen auftreten kann und
sich ausser den oft dunklen Erscheinungen der Entzündung nur durch die
Anschwellung und den Ausfluss der Flüssigkeit aus der Nasenhöhle, wenn
die Oeffnung des Antrum nicht versperrt ist, zu erkennen gibt. Die An-
schwellung, welche nach allen Seiten vor sich geht , erreicht oft eine im-
mense Ausdehnung, besonders wenn die Flüssigkeit nirgends hin Abfluss
hat. Manchmal bahnt sie sich einen Weg durch einen Alveolus oder
durchbricht an einer beliebigen Stelle unter cariöser Zerstörung die Wand
der Kieferhöhle. — Ursachen. Diese können sein: äussere Gewalt-
thätigkeiten, Erkältung, Masern und Blattern, rheumatisches, gichtisches,
scrophulöses, syphilitisches Leiden , Caries der Zähne , Verlezung des Al-
veblarrandes beim Zahnausziehen etc. — Prognose. Wird die Ent-
zündung frühzeitig bemerkt , so ist ihre Zertheilung durch eine zweck-
mässige Behandlung zu erzielen. Ist es aber schon zur Bildung vonEnt-
zündungsproducten gekommen, so ist die Kur immer langwierig und nicht
selten nur unter Entstellungen möglich. — Behandlung. Bei einer
blos catarrhalischen Entzündung reicht man mit milden Mitteln, besonders
lauen Dämpfen aus. Bei tiefergreifenden Entzündungen müssen örtlich
antiphlogistische Mittel, wie Blutegel, kalte Umschläge, Einreibungen der
grauen Quecksilbersalbe nebst Ableitungen in Gebrauch gezogen und
712 OBERKIEFERHOEHLE* EROEFFNUNG DERS.
nebenbei die etwa zu Grunde liegenden Dyscrasien , cariöse Zähne etc.
beseitigt werden. Ist es zur Bildung von Eiter etc. gekommen, so muss
diesem Abfluss verschafft und zu diesem Behufe die Kieferhöhle eröffnet
werden.
Die Eröffnung der Kieferhöhle, Per fo ratio s. Trepa-
natio antri Highmori, kann von drei verschiedenen Stellen aus ge-
schehen , nämlich von einer Zahnhöhle aus , an der vordem Fläche des
Kieferknochens und vom harten Gaumen her. 1) Durchbohrung
einer Zahnhöhle. Die Alveolen, durch welche man in die Kiefer-
höhle gelangen kann, sind die vom 2. bis 4. Backenzahn. Fehlt einer
dieser Zähne , so hat man nur die schon bestehende Oeffnung im Grunde
des Zahnfleisches zu vergrössern, indem man einen Troicart, ein Perforativ-
trepan oder eine eiserne Sonde hindurch stösst. Fehlt kein Zahn, so muss
einer der genannten Zähne ausgezogen werden , wozu man wo möglich
einen schadhaften wählt. Zuweilen ist dieses Ausziehen eines Zahns hin-
reichend , um der Flüssigkeit einen Ausweg zu eröffnen , oft aber muss
man nach dem Ausziehen erst noch die Perforation ausführen. Nach
Entleerung der Höhle wird die Oeffnung durch einen Pfropf verstopft, um
das Eindringen von. Speisen in dieselbe zu verhüten. — Der Erfolg dieser
Operation ist meistens günstig, indem die Kieferhöhle an ihrer tiefsten
Stelle geöffnet wird ; auch ist die Ausführung der Operation sehr leicht
und es bleibt keine Narbe. — 2) Anbohrung der vordem Wand
der Kieferhöhle. Man wählt dazu die Fossa canina als die
dünnste Stelle des Knochens. Man legt sie vom Munde aus bloss,, indem
man nöthigenfalls die Wange vom Zahnfleisch etwas ablöst; durchschnei-
det dann die Weichtheile bis auf den Knochen , entfernt das Periosteuin
und durchdringt den Knochen etwa %.fo Zoll oberhalb des freien Bandes
des Zahnrandes mit dem Perforativ oder Troicart. — Man nimmt die
Perforation auch an der Eminent ia malaris vor , indessen ist hier
der Knochen viel dicker. Man macht diese Operation, wenn die Zähne
gesund sind, sehr eng an einander stehen , die Alveolen fest verschlossen
sind und der Mund wegen der Grösse der Backengeschwulst nicht geöffnet
werden kann. — 3) Durchbohrung des Gaumentheils des
Oberkiefers. Man nimmt diese Operation vor , wenn der Gaumen
stark hervorgetrieben ist, oder wenn sich daselbst eine in die Kieferhöhle
führende Fistel befindet. Man wählt den fluctuirendsten Punkt zur Per-
foration , immerhin muss diese aber im Bereiche der Backenzähne ausge-
führt werden , weil man mehr gegen die Mittellinie hin nicht in die Kie-
fer- , sondern in die Nasenhöhle gelangen würde. — Nach Vollführung
der einen oder der andern Operation befördert man den Abfluss des In-
halts durch Einsprizungen von lauem Wasser oder Chamilleninfus, welche
man später mit Auflösungen von Sublimat , Zinkvitriol oder Höllenstein
vertauscht. Gelingt es auf diese Weise nicht , die Secretion der Höhle
aufzuheben, so kann man nach dem Vorgange von Weinhold ein Haar-
OBERKIEFERHOEHLE. — GESCHWUELSTE IN DERS. 713
seil durchziehen. Die mit dem Haarseile (einer wollenen Schnur u. dgl.)
versehene Nadel wird zu diesem Behufe an der Fossa canina ein- und
an der Gaumenwand in der Nähe des Alveolarfortsazes ausgestochen und
die Schnur nachgezogen. Je nach dem durch das Haarseil bewirkten
Grade der Reizung , wird es verdickt oder verdünnt, mit reizenden oder
milden Salben bestrichen oder auch ganz entfernt , wo möglich aber bis
die Höhle mit gesunden Granulationen sich zu füllen anfangt, liegen ge-
lassen.
Geschwülste der Oberkiefer höhle. Diese, höchst ver-
schieden in ihrer Structur, lassen sich doch bei ihrem Entstehen nicht von
einander unterscheiden und zeigen auch in ihrem weiteren Verlaufe sehr
viel Analoges. Sie können gut - und bösartig sein , sich in der Kiefer-
höhle ursprünglich entwickeln , oder von einer benachbarten Höhle aus,
wie von den Nasenhöhlen , Zahnhöhlen etc. in diese eingedrungen sein.
Es kommen fibröse und sarkomatöse Geschwülste, Enchondrome, Knochen-
geschwülste, endlich Krebsgeschwülste verschiedener Art hier vor. — Das
Auftreten dieser Afterbildungen gibt sich , wenn sie nicht frühzeitig aus
bestehenden OefFnungen , z. B. aus offenen Alveolen herauswuchern kön-
nen, durch eine Ausdehnung der Wandungen der Kieferhöhle zu erkennen,
welche bald rasch , bald langsam , bald im ganzen Umfange der Höhle,
bald nur nach einzelnen Richtungen hin, wo die Wandungen am schwäch-
sten sind, wie nach vorn gegen die Nasen- und Augenhöhle, aber auch
gegen den Gaumen etc. hin, erfolgt, wodurch bedeutende Verunstaltungen
des Gesichts und weiterhin beträchtliche und gefährliche Funktionsstörun-
gen, wie durch Verengerung der Nasenhöhle Behinderung der Respiration,
des Thränenflusses, Verdrängen des Augapfels etc. bewirkt werden. Unter
fortdauerndem Wachsthum des Aftergebildes kommt es zur Erweichung,
Verdünnung und endlich zum Durchbruche der Knochenwände ; jenes
dringt nun rasch durch die Oeffnung hervor , tritt in die Nasenhöhle, den
Mund und die Schlundhöhle und kann endlich auch von der Nasen- und
Augenhöhle aus aufwärts zum Gehirn gelangen und Compression des lez-
tern bedingen. — Die bösartigen Neubildungen charakterisiren sich durch
ein sehr rasches Wachsthum. — Ursachen. Sie kommen mit denen
der Entzündung der Oberkieferhöhle , aus der sie sich in den meisten
Fällen entwickeln, überein. — Prognose. Sie ist nicht die günstig-
ste ; die Kur ist immer langwierig und nur auf operativem Wege Hülfe
möglich. Günstiger ist die Prognose bei gutartigen als bei bösartigen
Neugebilden , leztere liegen bei grosser Ausdehnung nicht selten ausser
den Grenzen der Kunsthülfe. — Behandlung. Man eröffnet die
Kieferhöhle ergiebig und entfernt die Aftergebilde oder zerstört sie, was
man durch Ausreissen , Ausschneiden , Abbinden oder Cauterisation ins
Werk sezt. Auch die Anwendung des Haarseils wurde in Gebrauch ge-
zogen. Da aber meist der Knochen an der Erkrankung Antheil nimmt,
so ist es gerathen, statt der vorgenannten Verfahrungsweisen, je nach der
714 OEDEM.
Ausdehnung des Leidens , die partielle oder totale Resection des Ober-
kiefers vorzunehmen , welche Operationen sich vielfach als gefährlich er-
wiesen haben. S. Resection.
Oedema (von oidsoo, ich schwelle an), das Oedem, die Was-
sergeschwulst. Hierunter versteht man eine durch Erguss von
Blutwasser in die Maschen des Bindegewebes gebildete Geschwulst. Hat
dieser Erguss seinen Siz im Unterhautbindegewebe und ist er über einen
grossen Theil der Körperoberfläche verbreitet , so nennt man eine solche
Wasseransammlung Anasarca. — Am häufigsten trifft man das Oedem
in dem Unterhautbindegewebe an ; es wird aber auch in dem submucösen
und subserösen Bindegewebe beobachtet ; selbst das im Innern der Organe
gelegene kann davon ergriffen werden. Diejenigen Gegenden des Kör-
pers, wo unter der Haut kein Fettpolster liegt, werden am häufigsten vom
Oedem ergriffen, und fällt dieses am stärksten in die Augen, so am Hoden-
sack, an den Augenlidern etc. Häufig ist das Oedem der Vorläufer all-
gemeiner Wassersucht. - — Die ödematöse Anschwellung entsteht entweder
in Folge von Hyperämie und Entzündung (hyperämisches, ent-
zündliches Oedem, Oedema hyperaemicum, inflamma-
torium, calidum) oder von Schwäche der Haargef ässe , Dünnflüssig-
keit des Blutes , mechanischen Hindernissen in der Rückführung des
Bluts (kaltes Oedem, O e dema frigi dum). Das entzündliche
Oedem erscheint bald mit schwacher schleichender Entzündung, bald aber
auch im Gefolge heftiger, in Eiterung oder Brand übergehender Entzün-
dungen , und dann im Umfange des eigentlichen Entzündungsherdes , wo
es dann oft die verborgenen Entzündungen und Abscesse anzeigt. Das
kalte ist entweder aus einem entzündlichen hervorgegangen , oder ur-
sprünglich als kaltes aufgetreten. Sehr häufig tritt lezteres als Oedema
p e d u m auf. — Das Oedem charakterisirt sich durch eine grössere oder
geringere weiche, teigige Anschwellung, worin der Fingerdruck eine Zeit
lang zurückbleibt ; die Haut erscheint glänzend. Bei kaltem Oedem ist
die Haut blass oder weiss und fühlt sich kühl an, beim entzündlichen ist
sie leicht geröthet , heiss und es sind prickelnde und heftige Schmerzen
zugegen, wozu sich bei empfindlichen Personen oder grosser Ausdehnung
auch Fieber gesellen kann. — Das Oedem ist bald nur ein vorübergehen-
der Krankheitszustand, der mit dem Aufhören der Ursache, z. B. Druck
auf die Venenstämme , verschwindet , bald dauert es mit abwechselnder
Besserung und Verschlimmerung an , wird habituell , bald nimmt die In-
filtration immer mehr zu , wenn die Ursache nicht gehoben werden kann,
es kommt zu einer übermässigen Ausdehnung , endlich zur Entzündung
und brandigen Zerstörung der Theile. Das entzündliche Oedem führt
öfters zu einer Art von Zellgewebshypertrophie ; man beobachtet dies
nicht selten in der Nähe entzündeter Gelenke und in der Umgebung chro-
nischer Fussgeschwüre. - — Die Behandlung des Oedems muss nach
OHRENKRANKHEITEN.
715
den zu Grunde liegenden Ursachen eine verschiedene sein. Bei entzünd-
licher Reizung wendet man massige Antiphlogose an, und gibt in dieser
Absicht innerlich Calomel und reibt die graue Salbe ein. Bei dem kalten
Oedem entfernt man alle mechanischen Circulationshindernisse , beseitigt
daher drückende Geschwülste, zu fest angelegte Verbände etc. und ordnet
eine horizontale Lage an. Der GefässerschlafFung und der mangelhaften
Resorption wirkt man durch eine methodische Compression (bei den un-
tern Extremitäten durch Einwickelungen mit Binden, durch Schnürstrümpfe),
durch die Anwendung gelind reizender Mittel, wie der trockenen Wärme,
durch Auflegen von Tüchern, Baumwolle, Mehl etc., ferner trockener aro-
matischer Fomentationen mit ätherisch- öligen Kräutern , Räucheruugen,
spirituöser flüchtiger Einreibungen (z. B. Rp. Ol. terebinth., Liq.
ammon. caust., Spirit. camphor. ana ^ß. M. S. zum Einreiben;
oder Rp. Bals. vitae extern. Jß , Spirit. camphor. 5J ,
— me*ith. Jij , Tinct. opii simpl. Jöj. M. S. zum Einreiben),
nasser warmer, aromatischer oder geistiger Fomentationen etc. entgegen.
Hat die Wasseransammlung Hautentzündung bewirkt, so dienen dagegen
lauwarme Bleifomente oder erweichende Cataplasmen. — Wenn die An-
sammlung einen sehr hohen Grad erreicht hat und heftige spannende
Schmerzen verursacht, so verschafft man der Flüssigkeit durch seichte
Einschnitte mit der Lancette Ausfluss. Nur bei grosser Körperschwäche,
bei Dissolution der Säfte , bei Disposition zu erysipelatöser Entzündung
unterlässt man die Einschnitte , d% sie unter diesen Umständen leicht
Hautentzündung und selbst Brand zur Folge haben. — Neben der örtli-
chen Behandlung sind , abgesehen von der dem Oedem etwa zu Grunde
liegenden Krankheit, gelind eröffnende und harntreibende Mittel von Nuzen.
Ohrenkrankheiten. Das Ohr erleidet eine Reihe von Krank-
heiten, die ausser dem, dass viele derselben höchst schmerzhaft sind, noch
dadurch eine grössere Bedeutung erlangen, dass sie nicht selten den Ver-
lust des Gehörs zur Folge haben. Es ist deshalb eine genaue Kenntniss
derselben sehr wünschenswerth , diese zu erlangen aber oft nicht leicht,
da manche von ihnen keine materiellen Veränderungen veranlassen, an-
dere bei der versteckten Lage des Organs nur schwer zugänglich sind.
Es müssen deshalb alle zu Gebote stehenden Mittel in Anwendung gebracht
werden , um sich über eine bestehende Krankheit Licht zu verschaffen.
Das unerlässlichste dieser Mittel ist eine genaue Untersuchung des Gehör-
gangs. Bei nicht verengtem oder zu sehr gebogenem Gehörgang reicht
die blosse Besichtigung hin, den ganzen Gehörgang bis an das Trommel-
fell zu überblicken. Zu diesem Zwecke sezt man den Kranken so, dass
die Strahlen der Sonne in den Gehörgang fallen, fasst die Ohrmuschel
des Kranken und zieht das Ohr nach hinten und oben und gleicht auf
diese Weise die erste Biegung des Gehörorgans aus. Verschliesst der
Tragus die äussere Oeffnung , so zieht man diesen durch Spannen der
716 OHRENKRANKHEITEN. ENTZUENDUNG.
Haut auf dem Jochbogen ab. Durch Oeffnen des Mundes , wodurch der
Condvlus des Unterkiefer weiter nach vorn rückt, kann der Kranke etwas
zur Erweiterung des Gehörganges beitragen. — Ist der Gehörgang aber
verengt, stark gekrümmt, das Trommelfell sehr tief gelegen, so reicht
diese einfache Procedur nicht aus , sondern man muss den Ohrspiegel zu
Hülfe nehmen. Man bringt diesen geschlossen so tief in den Gehörgang
ein, als es dessen Weite und Empfindlichkeit zulässt oder der Zweck der
Untersuchung es verlangt , worauf dessen Branchen durch einen gelinden
Druck auf die Zangenarme ein wenig entfernt werden. Man gibt nun
dem Kopfe des Patienten eine solche Stellung, dass die Strahlen des (na-
türlichen oder künstlichen) Lichts gehörig in das Speculum einfallen. —
Zur Untersuchung der Paukenhöhle gibt es nur einen Weg, nämlich durch
die Eustachische Röhre , und zwar geschieht dies durch die Einführung
eines Catheters durch diese. Ueber die Ausführung dieser Operation s.
den Art. Catheterismus.
Ohrentzündung, Otitis (von ovg, wtoc, das Ohr). Wie jede
andere Entzündung eines zusammengesezten Organs , so tritt auch die
Entzündung des Ohrs nicht in einer einzigen Gestalt auf, sondern wird
theils durch das Gebilde , das sie eben begreift , theils durch den mehr
oder minder tiefen Siz modificirt. Hierauf gründet sieh die Eintheilung
derselben in mehrere Gattungen und Arten. — Die Ohrentzündungen
sind im Allgemeinen von einem äusserst heftigen Schmerz begleitet , der
seinen Grund in der geringen Dehnbarkeit der entzündeten Gewebe fin-
det, welche Einschnürung der geschwollenen Stellen hervorruft. Dies
steigert sich, je weiter nach innen' die Entzündung ihren Siz hat; denn
der Widerstand jener Gewebe nimmt zu und die Empfindlichkeit wird um
so lebhafter. In demselben Verhältnisse, wie die Entzündung gegen das
Labyrinth vorrückt, wird sie auch gefährlicher, theils weil die betroffenen
Theile immer zarter und für die Funktion des Organs immer wichtiger
werden, theils weil die Folgen der Entzündung immer schwerer zu besei-
tigen sind. — Man unterscheidet zunächst 3 Formen von Entzündungen :
1) Entzündung des äussern Gehörgangs, Otitis ext ern a.
Diese Entzündung, welche entweder die Folge von äussern Einwirkungen
(Wunden, Contusionen, Erkältungen) oder von innern Ursachen (nament-
lich der scrophulösen Diathese) ist, beschränkt sich entweder auf die aus-
kleidende Membran des Gehörgangs, oder sie hat ihren Siz in den tieferen
Schichten desselben. Bei der oberflächlichen, sich nur auf die
Oberhaut des Gehörgangs erstreckenden Entzündung empfindet der Kranke
Jucken, auch wohl wirkliche Schmerzen im Ohre und in der Umgebung
desselben, Sausen im Ohre, welches, so wie eine oft plözlich eintretende
Schwerhörigkeit die Folge der vermehrten Absonderung und Anhäufung
von Ohrenschmalz ist. Nach der Entfernung dieses Ohrenschmalz-
pfropfes, welches der einzig nöthige therapeutische Eingriff bei dieser
Entzündung ist und welche durch Einsprizungen lauwarmem Wasser, zu-
OHRENKRANKHEITEN.
ENTZUENDUNG. 717
weilen nach vorgängigem Eintröpfeln von lauem Oel ins Ohr , ins Werk
gesezt wird , erscheint der durch den Ohrspiegel betrachtete Gehörgang
zuweilen schwach geröthet, oft auch ganz normal. — Erstreckt sich die
Entzündung auf die Lederhaut, so tritt nach einem lebhaften Jucken
ein heftiger Schmerz und eine Anschwellung ein , welche den Gehörgang
mehr oder weniger verschliesst, wodurch eine Harthörigkeit bedingt wird,
welche nicht selten von Sausen und Klingen in den Ohren begleitet ist.
Nach Verfluss von wenigen Tagen stellt sich ein weisslicher , gelblicher
oder grünlicher , zuweilen etwas blutiger Ausfluss ein, der bisweilen ohne
Geruch und Schärfe , andere Male sehr stinkend und so scharf ist , dass
er die benachbarten Theile roth und wund macht. Der Verlauf dieser
Entzündung , welche nie in die Tiefe greift , ist meist langsam. Diese
Entzündung ist es besonders, welche zur Entwicklung von Polypen Veran-
lassung gibt. — Bei sehr lebhaften Schmerzen ist ein antiphlogistisches
Verfahren angezeigt ; nebenbei muss eine etwa bestehende Diathese be-
kämpft werden. Die örtliche Behandlung besteht zuerst in der Einspri-
zung von lauem Wasser, später im Eintröpfeln von Bleiwasser oder einer
Lösung von schwefelsaurem Zink. Bei langer Dauer der Krankheit er-
weisen sich Ableitungen, namentlich Einreibungen der Brech weinsteinsalbe
auf den Zizenfortsaz nüzlich. Eine dauernde Anschwellung des Gehör-
gangs wird durch Betupfen mit Höllenstein und das Einlegen kleiner
Pre&sschwammcylinder oder Kautschukröhren bekämpft. — Die E n t -
zündung des Bindegewebes, Phlegmone des Gehörgangs
characterisirt sich durch einen anfangs dumpfen, aber bald sehr heftig
spannend , reissend werdenden Schmerz , der sich von der Tiefe des Ge-
hörgangs aus auf den Kopf fortpflanzt und durch die geringste Bewegung
des Unterkiefers vermehrt wird. Damit ist heftiges Fieber , namentlich
Abends verbunden. Bald folgt eine partielle oder totale VerSchliessung
des Gehörgangs, in welchem man meist nach vorn eine harte, gespannte,
schmerzhafte Geschwulst bemerkt. Das Sausen ist bei dieser Form von Ent-
zündung heftig und das Gehör fast ganz aufgehoben. Es folgt -stets
Eiterung und die Entleerung des Eiters bewirkt sofortigen Nachlass der
Erscheinungen. Die Eiterung hört nach wenigen Tagen auf und das
Gehör wird fast immer wieder hergestellt. — Kommt man bald dazu, so
kann man durch Ansezen von Blutegeln in die Nähe des Ohrs , Abführ-
mittel , reizende Fussbäder etc. die Zertheilung versuchen , die indessen
selten gelingt. Zur Beförderung der Eiterung dienen erweichende Um-
schläge, das Eintröpfeln von mildem Oel, Einsprizungen von Malven- oder
Leinsamendecoct. — Eine Entzündung des Knochens und der
Knochenhaut kommt meist bei scrophulösen Kindern , so wie nach
Scharlach und Masern vor. Das entzündliche Stadium geht in der Re-
gel unbemerkt vorüber; ein jauchiger Ausfluss ohne beträchtliche Schmer-
zen macht auf das Leiden erst aufmerksam und wenn man nun das Ohr
untersucht , so findet man in der Tiefe des Gehörgangs eine kleine Ge-
718
OHRENKRANKHEITEN. ENTZUENDUNG.
schwulst, in welche man mit einer Sonde eindringen kann , mit der man
eine entblösste rauhe Knochenfläche fühlt. Bei längerer Dauer und Ver-
nachlässigung breitet sich die Eiterung auf den Processus mastoi-
deus aus, wobei das Trommelfell, die Gehörknöchelchen und somit das
Gehör vollständig vernichtet wird. Im Gehörgange wuchern üppige Gra-
nulationen auf, welche denselben verschliessen. — Die Behandlung be-
steht neben der Berücksichtigung der zu Grunde liegenden Dyscrasie in
reinigenden Injectionen, Breiumschlägen, Betupfen der Granulationen mit
Höllenstein, Einlegen von Pressschwamm. — 2) Entzündung des
Trommelfells, Myringitis. Diese kommt seltener für sich allein,
öfter hingegen in Verbindung mit Entzündung des Gehörgangs und der
Trommelhöhle vor. Diese Entzündung kann acut oder chronisch ver-
laufen. Je nach der Intensität der Entzündung ist bei der acuten
Form der Schmerz bald blos juckend , spannend oder gelind stechend,
bald reissend , bohrend; dabei ist Schwerhörigkeit zugegen, der Kranke
klagt über Klopfen und Tönen im Ohr , nnd das Gehör zeigt eine grosse
Empfindlichkeit gegen jedes Geräusch. Das Trommelfell zeigt sich,
durch den Ohrspiegel gesehen , weniger glänzend , als im normalen Zu-
stande und bald heller, bald dunkler geröthet. Späterhin ist es von Gra-
nulationen (polypösen Wucherungen) überzogen und wird an einzelnen
Stellen von kleinen Geschwürchen durchbohrt ; damit ist eine eiterige
Absonderung von milder Beschaffenheit verbunden. In den höhern Gra-
den der Myringitis stellt sich Fieber ein. Die Krankheit , welche
meistens in Folge von Erkältung , zuweilen nach reizenden Injectionen
entsteht, kann in Zertheilung, aber auch bei Vernachlässigung unter fort-
schreitender Zerstörung in die chronische Form übergehen. — Die Be-
handlung besteht in dem Anlegen zahlreicher Blutegel in der Gegend
des Ohrs, Eintröpfeln von Oel, Breiumschlägen auf das Ohr ; man lässt ge-
schärfte Fussbäder nehmen und gibt innerlich antiphlogistische Abführ-
mittel. Nach gebrochener Heftigkeit der Entzündung lässt man Brech-
weinsteinsalbe auf den Zizenfortsaz einreiben und träufelt nach vorsichti-
ger Reinigung des Gehörgangs mittels lauer milder Injectionen schwache
Lösungen von essigsaurem Blei, schwefelsaurem Zink u. dgl. ein. Frische
und nicht sehr ausgedehnte Durchlöcherungen des Trommelfells können
bei einer solchen Behandlung wieder verheilen ; starkes Schnäuzen u. dgl.
muss aber untersagt werden. — Die chronische Trommelfe 11-
entzündung kann aus der acuten hervorgehen , aber auch von vorn-
herein als solche auftreten, wo sie dann die Folge von Dyscrasien, beson-
ders der scrophulösen ist. Meist macht erst ein Ausfluss aus dem Gehör-
gang auf die Krankheit aufmerksam. Die Beschaffenheit und Menge
des ausfliessenden Eiters ist höchst verschieden. Bald ist er geruchlos
und dick, bald stinkend und dünn. Bei der Untersuchung mit dem Spe-
culum findet man das Trommelfell matt, graugelb oder durch alle Abstu-
fungen des Roth hindurch geröthet, seine Oberfläche rauh, von einem
OHREXKRAXKHEITEX. ENTZUENDUXG. 719
pannusavtigen Aussehen, aufgelockert, weiterhin mit polypösen Wucherun-
gen bedeckt , welche sehr gef ässreich und empfindlich sind und nicht
selten den ganzen Gehörgang ausfüllen, in welchem Falle sie Schwindel,
Schwere des Kopfs und Neigung zum Erbrechen erregen. Dass in allen
diesen Fallen das Hörvermögen in grösserem oder geringerem Grade ge-
stört sein muss, versteht sich von selbst. Das Ohrenbrausen und Ohren-
klingen ist unbeträchtlich. — Zuweilen kommt es zu Durchlöcherungen,
manchmal zur Zerstörung des ganzen Trommelfells, wo dann die der äus-
sern Luft zugängliche Trommelhöhle alsbald von Entzündung ergriffen
wird , welche sich nicht selten bis auf den Knochen selbst erstreckt , so
dass Caries des Felsenbeins und weiterhin Entzündung der Dura mater
und des Gehirns die Folge sein kann. Furchtbare Kopfschmerzen, Läh-
mungen des Facialis , Erbrechen , Frostanfälle , Delirien kündigen den
Uebergang der Entzündung auf die knöchernen Wände der Paukenhöhle
an. — Behandlung. Bei Steigerung der Zufälle legt man wieder-
holt Blutegel an, und zieht des Weiteren Ableitungsmittel auf den Zizen-
fortsaz in Gebrauch. In das Ohr träufelt man nach vorsichtiger Reini-
gung des Gehörgangs lauwarme schwache Auflösungen von essigsaurem
Blei oder schwefelsaurem Blei, welche man später mit Höllensteinsolutio-
nen vertauscht. Bleibt eine Verdickung des Trommelfells zurück , so
kann man dagegen Bepinselungen mit Opiumtinktur , 0.1. j e c o r i s
Aselli, Jod etc. versuchen und wenn dies Nichts nüzt, so bleibt noch,
die künstliche Perforation dieser Membran übrig, welche in-
dessen meist unwirksam ist. Man perforirt am vordem untern Theil des
Tympanum. — Polypöse Wucherungen beseitigt man durch Betupfen
mit schwefelsaurem Kupfer, Höllenstein, Eisenchlorid. Bei Durchlöche-
rungen des Trommelfells muss, um das innere Ohr gegen kalte Luft und
fremde Körper zu schüzen , der Gehörgang mit Charpie oder AVoile ver-
stopft werden. — 3) Entzündung des inner n Ohrs, Otitis in-
terna. Bei dieser Entzündung ist gewöhnlich nur die Schleimhaut
entzündet, welche die Paukenhöhle , die innere Fläche des Trommelfells,,
die Zellen des Zizenfortsazes und die Tuba Eustachii bekleidet. In
bösen Fällen leiden aber auch das Labyrinth, die benachbarten Schädel-
knochen, die Häute des Gehirns, ja dieses selbst bald mehr bald weniger
mit an der Entzündung und ihren Folgen (s. oben). Diese Krankheit
beginnt gewöhnlich plözlich mit mehr oder weniger heftigen Schmerzen
in der Tiefe des leidenden Ohrs. Diese sind zuweilen dumpf und span-
nend, in andern Fällen lebhaft brennend, stechend, reissend, klopfend;
sie verstärken sich anfallsweise, sind auch zuweilen anhaltend, in der Re-
gel aber Nachts heftiger, als am Tage. Die Gegend des Processus,
mastoideus ist nicht selten besonders schmerzhaft und gegen Druck
empfindlich. Häufig verbreiten sich die Schmerzen über den Kopf der
leidenden Seite, werden beim Kauen, Husten etc. stärker, oft fast uner-
träglich. Dabei grosse Empfindlichkeit des Ohrs gegen Geräusch, Sausen.
720 OHRENKRANKHEITEN. ENTZUENDUNG.
in demselben, Schwerhörigkeit, Schwindel. Im äussern Gehörgang ist
dabei nichts Abnormes zu entdecken. Einige klagen über Kizel und
Brennen im Halse (von der ergriffenen Tuba Eustachii herrührend)
in der Gegend der Mandel ; die Schleimhaut der Rachenhöhle ist hier oft
geröthet. Dabei fehlen Fiebersymptome, Mangel an Appetit, Angst, Un-
ruhe etc. bei den höheren Graden nicht. Verschwinden auch diese Sym-
ptome, so bleibt doch immer ein gewisser Grad von Schwerhörigkeit und
etwas Ohrensausen zurück, welche sich periodisch bei nasskaltem Wetter
vermehren und sich erst allmählig verlieren. Andere leiden periodisch
an den Symptomen einer gelinden Otitis interna mit Schwerhörig-
keit, die nach 8 — 14 Tagen ohne allen Ausnuss oft mit einem Knall
wieder verschwinden. Dieser Zustand ist nichts Anderes als ein Katarrh
des mittlem Ohrs und der Tuba , welcher nicht selten mit einem ausge-
breiteten Katarrh der Nasen- und Schlundhöhle zusammenhängt. - — Bei
den höheren Graden dieser Entzündung dagegen erfolgt , nachdem die
heftigsten Schmerzen in der Tiefe des Ohrs 4 — 8 Tage angehalten , die
Ruhe des Kranken Tag und Nacht gestört und sich nicht selten bis zu
einem fürchterlichen Grade gesteigert hatte , plözlich ein gelber eiterar-
tiger, oft mit Blut gefärbter Ausnuss aus dem kranken Ohre. Hiernach
lassen die Schmerzen sogleich nach, verlieren sich aber keineswegs ganz.
Im guten Falle ist der Ausfluss weisslich , gelblich , dünn , nicht stin-
kend , massig , mit einiger Schwerhörigkeit verbunden , Symptome , die
sich im Verlaufe von 4 — 6 Wochen ganz verlieren. Bei andern Kranken
der Art erneuern sich die Zeichen der Otitis interna von Zeit zu
Zeit bald in gelinderem, bald in heftigerem Grade ; der Ausnuss wird ha-
bituell, grüngelb, dicklich, oder wässerig, blutig, meistens übelriechend,
zuweilen unausstehlich stinkend, mit kleinen abgestorbenen Knochenstück-
ehen vermengt, und so scharf, dass er die benachbarten Theile wund
macht. Die meisten Kranken dieser Art sind schwerhörig, besonders bei
nasskalter Witterung , zuweilen ganz taub auf dem leidenden Ohre und
haben beständiges Sausen in demselben. Das Trommelfell ist mehr oder
weniger zerstört , die Sonde dringt gewöhnlich bis in die Paukenhöhle
ein, wo man die Wandungen derselben häufig entblösst, rauh, cariös fin-
det. Nicht selten kommt es zur Entwicklung polypöser Auswüchse , es
stellt sich Fieber ein, die Kranken klagen über heftige reissende Schmer-
zen und sterben apoplectisch. — Ein zweiter Weg, auf welchem der
Eiter seinen Ausweg nimmt , ist die Eustachische Röhre ; dies geschieht
jedoch sehr selten, und nur wenn diese Röhre nicht an der Entzündung
Theil genommen hat. Der dritte Weg , auf welchem der Eiter seinen
Ausweg sucht, ist der durch den Processus mastoideus. An die-
sem Fortsaze zeigt sich ein dumpfer, bohrender, stechender Schmerz, der
beim Druck vermehrt wird ; die Zellen desselben werden allmählig zer-
stört , endlich bildet sich eine fistulöse Oeffnung , aus der sich der Eiter
unter das Pericranium und die über demselben liegenden Gebilde ergiesst
OHRENKRANKHEITEN. ENTZUENDUNG. 721
und nun eine sehr gespannte, heisse, glänzend rotbe Geschwulst. End-
lich kommt es unter heftigen, spannenden, zerrenden und klopfenden, sich
über Kopf, Hals und Nacken verbreitenden Schmerzen, nicht selten unter
Betäubung und Convulsionen zum Durchbruch, und die eingeführte Sonde
fühlt die cariöse Stelle und dringt zuweilen selbst bis in die Trommel-
höhle. Zuweilen werden die Zellen des Zizenfortsazes zerstört , ohne
dass es zum Aufbruch nach aussen kommt , und jene werden dann mit
dem Eiter in die Trommelhöhle und von hier durch das Ohr nach aussen
geführt. Nach eingetretener Eiterung verschwinden zunächst die Kopf-
und Ohrenschmerzen, erst später das Ohrenklingen, das Ohrenbrausen und
die Empfindlichkeit für Schalle. In Folge der Durchbohrung des Trom-
melfells, des Verlusts der Gehörknöchelchen, des Verschlusses der Eusta-
chischen Röhre und anderer meist gar nicht erkennbarer Texturverände-
rungen bleibt nun das Gehör mehr oder weniger stumpf oder wird ganz
aufgehoben. — Ursachen sind: äussere Schädlichkeiten, Contusion,
fremde Körper im Ohre, Erkältung, Dyscrasien, Scropheln, Syphilis etc.,
unregelmässig verlaufende Exantheme, Scharlach, Masern, Varicellen, Ge-
sichtsrose, Porrigo. — Behandlung. Sie besteht anfangs in einer
strengen Antiphlogose, Venaesection, dann zahlreiche Blutegel in die Um-
gebung des Ohrs, kalte Umschläge auf den Kopf, Laxantia aus Jalappa
mit Calomel, Neutralsalze, kalte Essigklystiere, um abzuleiten. Späterhin
Salmiak, kleine Gaben Calomel und Digitalis, um den Rest der Entzün-
dung oder die etwaigen Exsudationen, Auflockerung der Membranen etc.
zu tilgen ; zugleich warme Dämpfe von Flieder- oder Kamillenthee in das
Ohr , und in der Zwischenzeit Bedeckung des Ohrs mit einem trockenen
warmen aromatischen Kräuterkissen, oder bei grosser Empfindlichkeit mit
erweichenden Cataplasmen. Dabei macht man nach Massgabe der zu
Grunde liegenden Schädlichkeit Ableitungen , bei Rheumatismus Vesi-
cantia in den Nacken , bei gestörten Kopfausschlägen Einreibungen von
Brechweinsteinsalbe auf den Kopf. Bei Verdacht eines plastischen Er-
gusses in der Pauke lässt man Ungt. neapolitanum in die Umge-
gend des Ohrs einreiben. Entleert sich der Eiter nicht durch freiwilligen
Riss des Trommelfells , so schneidet man dasselbe mit einer Staarnadel
ein , oder sticht es mit einem feinen Troicart an. Hat sich hinter dem
Ohr über dem Warzenfortsaze eine Geschwulst entwickelt, so öffnet man
sie mit grosser Vorsicht , um die bestehende Caries in ihrer Entwicklung
nicht zu steigern. Bei Caries in der Pauke macht man Einpinselungen mit
Höllenstein durch den äussern Gehörgang und Einsprizungen durch die
Tuba. Die Behandlung des habituell gewordenen Ohrenflusses , so wie
der Ohrpolypen s. in den entsprechenden Artikeln. — Endlich ist noch
der Entzündung der Eustachischen Röhre, Syringitis,
zu gedenken , die für sich allein , häufiger aber in Verbindung mit der
Otitis vorkommen und sehr störende Veränderungen in dieser Rohre
zur Folge haben kann, — Symptome. Der Kranke empfindet anhal-
Burger, Chirurgie. 46
722 OHRENKRANKHEITEN. ENTZUENDUNG.
tende heftig stechende Schmerzen, welche aus dem hintern und seitlichen
Theile des Rachens in das Innere des Ohrs hineinschiessen , sich selbst
bis in den Gehörgang verbreiten und durch jede Bewegung der Kinnlade
und der Schlingwerkzeuge gesteigert werden. Hiermit ist ein Gefühl
von Verstopfung und Völle, höchst lästiges Sausen, Brausen und Klingen
im Ohre und Harthörigkeit verbunden. Ist diese Entzündung mit Otitis
interna verbunden , so zeigt sie die weiteren Symptome dieser. War
sie aus einer Halsentzündung entstanden , so kommen zu den genannten
Symptomen noch die der Angina. — Die Entzündung der Eustachischen
Röhre hat entweder nur eine vermehrte Schleimabsonderung (Katarrh der
Tuba) oder eine Verengerung oder endlich eine Verwachsung derselben
zur Folge. Der Katarrh der Tuba gibt sich durch Schwerhörigkeit
zu erkennen, die sich bei warmer trockener Witterung bessert, bei feuch-
tem Wetter verschlimmert. Zuweilen verschwindet sie für längere Zeit
bei einer Erschütterung des Körpers , wie Niesen u. dgl. plözlich ganz,
zuweilen mit einem Knalle. Die Auscultation des Ohrs ergibt, wenn
man durch den Katheter Luft in die Tuba einbläst , ein starkes Schleim-
rasseln. Kann der Schleim , sei es durch Einblasen durch den Katheter
oder durch den Kranken selbst , indem er die Mund- und Nasenöffnung
schliesst, entfernt werden, so bessert sich sofort das Gehör sehr bedeutend
und das Ohrentönen hört auf. In dem wiederholten Einblasen von Luft
besteht auch die Behandlung dieses Leidens. Man wendet zu diesem
Behufe die sogenannte Luftpresse (eine Art von Sprize) oder eine ge-
wöhnliche Sprize an, deren Rohr man in den eingelegten Katheter einsezt.
Ausser dem einfachen Einblasen von Luft, empfiehlt Kramer schwache
Lösungen von Jodkalium (gr. x — xx in Aq. des tili at. 5$) in ge-
ringer Quantität durch den Katheter in die Tuba einzublasen. Nebstdem
ist es von Nuzen , die häufig zu Grund liegende scrophulöse Diathese zu
bekämpfen und der Neigung zu Katarrhen durch tonische Mittel , so wie
durch Abhärtung mittels kalter Waschungen etc. entgegenwirken. • —
Die Verengerung der Tuba ist Folge einer chronisch entzündlichen
Anschwellung der Schleimhaut des genannten Kanals. Schwerhörigkeit
ist die Folge , Ohrenbrausen kann vorhanden sein oder fehlen. Oft ist
die Verengerung in einer Vergrösserung der Follikeln begründet, welche
die Schleimhäute der Rachentheile , der Tubamündung und des Tubaka-
nals bedecken. Die Einführung des Katheters ist mit Schwierigkeit ver-
bunden ; entweder gelingt es gar nicht, mit demselben in die Rachenmün-
dung der Tuba einzudringen , oder er fällt , wenn man seinen Schnabel
eingeführt zu haben glaubt, wieder heraus. Ist die Einführung aber ge-
lungen, so findet man beim Lufteinblasen einen sehr grossen Widerstand
und hört die Luft nur in dünnem Strahle ohne Schleimrasseln eindringen.
Das Eintreiben von Luft bessert das Gehör nicht. Genauere Auskunft
über den Grad und die Ausdehnung der Verengerung gibt die Untersu-
chung mit Darmsaiten , welche man durch einen Katheter einführt. —
OHRENKRANKHEITEN. OHRENFLUSS. 723
Die Behandlung besteht in dem Einblasen des oben genannten Jodwas-
sers. Eine mechanische Erweiterung der Tuba lässt ihre Reizbarkeit
nicht zu. Um der Luft den Zutritt zur Pauke zu verschaffen , hat man
die Perforation des Trommelfells empfohlen, welche indessen den von ihr
gehegten Erwartungen nicht entsprochen hat. — Verwachsung der
Tuba. Die subjectiven Symptome unterscheiden sich wenig oder gar
nicht von denen der Verengerung ; der Kranke hört schwer , klagt über
Ohrensausen , das aber auch manchmal fehlt. Nur durch die Untersu-
chung mittels Darmsaiten ist man im Stande , die Diagnose festzustellen.
Findet man die Mündung des Kanals nicht, so ist dies ein Beweis, dass
das Hinderniss vor dem Orificium liegt , der Katheter findet dann durch
Anschwellung der Schleimhaut keinen Anhalt an dem Wulst der Mün-
dung. Die Krankheit kann angeboren, aber auch die Folge der brandi-
gen Braune oder syphilitischer Halsgeschwüre sein. Sie ist meistens un-
heilbar. Die zur Heilung vorgeschlagenen Mittel sind : Perforation des
Trommelfells , oder , wenn die Verwachsung tief liegt , soll man die ver-
wachsene Stelle mit einem Stilet, welches durch den Katheter bis zu der-
selben hingeführt wird , dnrchbohren , oder das Aezmittel auf ähnliche
Weise auf die verwachsene Stelle wirken lassen.
Ohren fluss, Otorrhoea (von ovg, (orog, das Ohr und qsoo,
ich fliesse). Hierunter versteht man einen chronischen Ausfluss aus dem
Gehörgange, der mit Störungen des Gehörorgans in verschiedenen Graden
verbunden ist. Die Quelle des abnormen Secrets befindet sich entweder
im Gehörorgane selbst (idiopathische Otorrhoe), oder dieselbe
liegt ausserhalb des Gehörorgans , in den angrenzenden Theilen (sym-
ptomatische Otorrhoe). Im ersten Falle entsteht das Uebel ent-
weder durch eine Aifection der den äussern Gehörgang constituirenden
Gebilde (Otorrhoea externa), oder es entwickelt sich in Folge eines
Leidens der das innere Ohr zusammensezenden Organtheile (Otorrhoea
interna). Im andern Falle, wo sich die Quelle des Secrets in den be-
nachbarten Theilen , gewöhnlich in den nahegelegenen Drüsen , oder im
Gehirn oder dessen Häuten befindet, dringt die krankhafte Materie in das
Gehörorgan ein und entleert sich durch den Gehörgang nach aussen.
Die sogenannten Cerebralotorrhoen, welche ihren ursprünglichen Herd im
Gehirn haben , geben den Eiter durch die natürlichen oder durch krank-
hafte Oeffnungen im Felsenbein an das innere Ohr ab , von wo er sich
einen Weg durch den Gehörgang oder selten durch die Eustachische
Röhre bahnt ; gewöhnlich sind Zerstörungen in den genannten Theilen,
wie Caries des Felsenbeins, des Zizenfortsazes etc. die Folge davon. Bei
jedem Ohrenfluss ist die Untersuchung des Gehörgangs mit demSpeculum
nicht zu versäumen. — Mit der Otorrhoe, die ihren Siz im Gehörorgan
hat , sind mannichfache Veränderungen , besonders der auskleidenden
Schleimhaut verbunden ; man findet sie heller oder dunkler geröthet , in
der Textur mehr oder weniger verändert , aufgelockert , mit polypösen
46*
724 OHRLABPPCHENDURCHBOHRÜNG.
Wucherungen besezt. Der Ausfluss ist bald serös , milchig, schleimig,
bald eiterig, gelb oder grün, blutig gestreift, süsslich oder widerlich am-
moniakalisch riechend. Bei Kindern von schwächlicher , lymphatischer,
scrophulöser Constitution trifft man sehr häufig einen schleimigen Ohren-
fluss an, der oft Jahre lang jeder Behandlung widersteht , dann aber von
selbst aufhört oder mit der Pubertät verschwindet. — Die Behandlung
muss vor Allem auf die Entfernung des zu Grund liegenden Leidens ge-
richtet werden , indem man erst dann hoffen kann , die fehlerhafte Secre-
tion im Ohre zu beseitigen. Man reicht zu diesem Behufe die entspre-
chenden antidyscrasischen Mittel, dazwischen Purganzen und erhält Vesi-
catorstellen hinter dem Ohr lange in Eiterung. Daneben lässt man den
äussern Gehörgang mit' lauer Milch, schwachem Seifenwasser aussprizen
und gehörig reinigen. Polypöse Excrescenzen werden durch Höllenstein
entfernt und der durch Auflockerung verengte Gehörgang wird durch
Pressschwamm erweitert. Dauert der Ausfluss dessenungeachtet fort, so
werden Einsprizungen von Auflösungen des Höllensteins (Rp. Nitrat,
argenti crystall. gr. j, Aq. destill, ^j, solve S. Lauwarm ein-
zusprizen), Zinks (Rp. Acetat. zinci 5ß — j, solv. inAq. chamom.
5viij adde: Tinct. opii croc. 3j — ij, Acid. pyrolignosi *)j —
5j. S. Lauwarm einzusprizen), Bleis, der Myrrhe (Rp. Infus, hb. mil-
lefol. ex 5üj par. 5ÜJ , colat. adde: Li quam, myrrh. 5j- S.
3 Mal täglich einzusprizen) etc. gemacht oder folgende Mischungen in
den Gehörgang gebracht : R p. Ammoniicaustic. liquid, gtt. vj,
Tinct. opii simpl. gtt. x, Ol. amygd. dulc. ^j. M. S. . 1/2 — 1
Theelöffel voll in das Ohr zu giessen ; Rp. Merc. sublim, corros.
gr. j, Tinct. galb. 5j, Aq. rosar. 3jj. D. S. Einige Tröpfen in das
Ohr zu träufeln und mit Baumwolle zu verstopfen; Rp. Kali caust.
sicci gr. J/2 solv. in Aq. calcar. ^ß adde: Tinct. opii simpl.
gtt. xx. D. S. Ebenso; Rp. Bals. p er u vi an. 3 j , Cupriacet.
cryst. gr. v, Ungt. cerei 5ij- M. f. Liniment. S. Auf Baumwolle
in das innere Ohr zu bringen.
Ohrläppchendurchbohrung, Per fo ratio auriculae.
Diese Operation gehört vorzugsweise der Chirurgia cosmetica an.
Von vielen Aerzten der frühern Zeit ist sie als ein Ableitungsmittel, bei
verschiedenen Krankheiten, die am Kopfe vorkommen, namentlich bei
chronischen Entzündungen und Ausflüssen des Ohrs , bei chronischen
Augenentzündungen und bei rheumatischen Zahn- und Kopfschmerzen
empfohlen worden. Der Reiz dieser Operation , so wie die durch sie be-
dingte Eiterung ist indessen zu gering und vorübergehend, um sie als ab-
leitendes Mittel zu empfehlen. Als Contraindication ist ein ohnehin schon
geschwüriger Zustand des Ohrs , so wie grosse und mit Schwächlichkeit
verbundene Reizbarkeit bei Kindern anzusehen. H u f e 1 a n d sah nach
der Operation bei einem neugeborenen Kinde Trismus und den Tod er-
folgen. — Die Instrumente , deren man sich zur Durchbohrung bedient,
OHRENKRANKHEITEN. OHRPOLYPEN. 725
sind sehr vielfältig, und von einer gewöhnlichen Nähnadel bis zu einem
Troicart und Locheisen verschieden. Am besten macht man sie mit einer
etwa l1^ Zoll langen, dreischneidigen, stählernen Nadel, deren hinteres
stumpfes Ende einige Linien tief ausgehöhlt ist , um einen Gold- oder
Bleidraht aufnehmen zu können. Zur Fixirung des Ohrläppchens bedient
man sich eines pincettenf örmigen Instruments , dessen Arme gegen die
Spize hin zum Durchlassen der Nadel durchbrochen sind. Zuvörderst
muss man die Stelle, wo man durchbohren will, mit Dinte und nie zu tief
bezeichnen, um das Ausreissen des Ohrläppchens zu vermeiden ; auch hat
man darauf zu sehen , dass die Löcher beider Ohrläppchen genau an der-
selben Stelle angemerkt werden. Bedient man sich dieser beiden Instru-
mente , so fasst man mit der Pincette , das Ohrläppchen so , dass der
schwarze Punkt in das Loch derselben kommt. Hierauf sezt man die
Spize der mit dem Gold- oder Bleidraht bewaffneten Nadel in das Loch
des Klämmerchens perpendiculär auf, durchsticht das Ohrläppchen und
zieht die beölte Nadel mit dem Drahte durch. Hierauf entfernt man
beide Instrumente und biegt den Draht zu einem Ringe zusammen. In
Ermangelung der Klammer sezt man auf die hintere Seite des Ohrläpp-
chens ein Korkstück oder ein Stück Seife, um einen Stüzpunkt zu erhalten
und durchsticht die bezeichnete Stelle. Ist die Nadelspize durch das
Ohrläppchen in die Unterlage eingedrungen, so nimmt man diese hinweg
und zieht dann die Nadel und den Draht durch. Benuzt man eine ge-
wöhnliche, gehörig dicke Nähnadel oder ein sonstiges spizes Instrument,
was ganz wohl angeht , so führt man den Draht oder auch sogleich den
Ohrring nach zurückgezogener Nadel in die gemachte Oeffnung ein.
Durch vorheriges Reiben des Ohrläppchens zwischen den Fingern kann
es unempfindlicher gemacht werden. — Einige Tage nach der Operation
löst man vorsichtig die Krusten, die sich an der Wunde bilden, bestreicht
den Draht mit Oel und bewegt ihn etwas. So fährt man täglich fort,
bis nach etwa 8 Tagen der Stichkanal überhäutet und zur Aufnahme
eines Ohrringes geeignet ist. — Beabsichtigt man behufs der Derivation
Entzündung und Eiterung in höherin Grade zu erregen , so bedient man
sich einer mit einer lanzenförmigen Spize und einem Oehr versehenen
Nadel, und zieht in das Oehr einen Seiden- oder Wollenfaden, welcher in
der Wunde einige Tage liegen bleibt , mit etwas Oel getränkt oder mit
einem reizenden Mittel überzogen und dann häufig hin und her bewegt
wird. Damit fährt man so lange fort, als die Eiterung unterhalten wer-
den soll. Stellen sich nach dieser Operation grosse Schmerzen , heftige
Entzündung des Ohrläppchens, bedeutende Geschwulst und Eiterung ein,
so macht man Bleiwasserumschläge und entfernt , wenn man damit nicht
zum Ziele kommt, den Draht.
Ohrpolypen sizen auf den Wandungen des Meatus audi-
torius extern us oder auf dem Trommelfell auf. Gewöhnlich ist ihre
Gegenwart von einem purulenten Ohrenfluss begleitet. Der Kranke em-
726 OHRENKRANKHEITEN. OHRENSCHMALZ.
pfmdet ein fortwährendes Ohrensausen und ein Gefühl von Völle und
Schwere im Ohr. Mit der weitern Entwicklung des Polypen stellt sich
mehr oder weniger Uebelkeit und endlich gänzliche Taubheit ein. Die
weichen Polypen zeigen die bekannten Veränderungen beim Wechsel der
Witterung. — Behandlung. So lange die Polypen noch in ihrer
Entwicklung begriffen sind , mehr in polypösen Excrescenzen bestehen,
kann man ihre Rückbildung durch die Anwendung von reizenden, adstrin-
girenden und austrocknenden Mitteln , wie schwefelsaurem Zink und Ku-
pfer, Alaun, Höllenstein, essigsaurem Blei, Eisenchlorid, Opiumtinktur etc.
versuchen. Weiter vorgeschrittene Polypen entfernt man durch Ab-
drücken, Abschneiden, Abbinden, Abdrehen, Zerquetschen und Cauteri-
sation. — Das Abdrücken kann man bei weichen dünngestielten Po-
lypen vornehmen und zwar vermittels eines Ohrlöifels, den man an die
Basis desselben bringt und mit welchem man diese von der Gehörwand
abdrückt. — Das Abschneiden ist nur ausführbar , wenn der Polyp
am Anfang des Gehörgangs sizt , wo man ihn mit Pincette oder Haken
fasst , vorzieht und mit einer C o o p e r ' sehen oder der Daniel' sehen
Augenscheere wegschneidet. Die Blutung wird durch Injectionen mit
kaltem Wasser gestillt und dann die Wurzelstelle mit Höllenstein oder
Bleiessig geäzt. — Das Abbinden passt besonders bei tief- und nament-
lich auf dem Trommelfell aufsizenden Polypen. Bei nach hinten und
oben gezogener Ohrmuschel bringt man mittels einer einfachen und dün-
nen Röhre, aus deren einem Ende eine Schlinge und aus dem andern die
Enden derselben hängen , die Schlinge über den Polypen und mit einer
gespaltenen Sonde an den Stiel , worauf man die Fadenenden anzieht. —
Das Abdrehen und Ausreissen eignet sich nur für Polypen , die
nicht zu tief in dem Gehörgang, und namentlich nicht auf dem Trommel-
fell wurzeln, die einen dünnen Fuss haben, und noch Raum zur Anlegung
einer Polypenzange lassen. Am besten gebraucht man die Zange von
Dupuytren, welche zerlegbar und über den Griffen zwei Mal recht-
winklig gebogen ist , damit die Hand nicht die Einsicht benehme. Man
bringt eine Branche nach der andern an den Fuss des Polypen , schliesst
dann die Zange und dreht den Fuss unter leichtem Anziehen ab. — Das
Zerquetschen der Polypen passt für kleinere tief im Gehörgange oder
am Trommelfell sizende Polypen , denen auf keine andere Weise beizu-
kommen ist. Man fasst denselben mit der ebengenannten Zange und
zerdrückt ihn damit dergestalt, dass hernach Absterbung eintritt. — Die
Cauterisation durch Aezmittel oder das glühende Eisen passt nur
bei Polypenresten. — Nach der Entfernung des Polypen macht man noch
einige gelind adstringirende Einsprizungen und schüzt den Gehörgang
gegen äussere Einflüsse.
Ohrenschmalz, verhärtetes, entsteht sowohl durch Nach-
lässigkeit und Unreinlichkeit, als auch durch eine fehlerhafte. Absonderung,
welcher ältere Personen, namentlich gichtische, häufig unterworfen sind.
OHRENKRANKHEITEN. OHRENSCHMERZ. 727
Wenn es sieh übermässig in dem Gehörgange anhäuft , so verwandelt es
sich in eine harte, schwärzlich-braune Masse, welche entweder in einzel-
nen Stückchen vorhanden ist oder den ganzen Gehörgang wie eine Röhre
ausfüllt. Wenn eine Durchlöcherung des Trommelfells zugegen ist, so
findet man es bisweilen nicht nur in dem äussern Gehörgang, sondern
auch im mittleren Ohr angehäuft. Diese Anhäufung von verhärtetem
Ohrenschmalz verursacht, weil es das Eindringen des Schalls verhindert,
mehr oder weniger Schwerhörigkeit , selbst völlige Taubheit , auch ist es
immer mit Klingen , Brausen etc. im Ohre , zuweilen mit einem schmerz-
haften Gefühl von Spannung und Schwere daselbst verbunden , welche
Empfindungen besonders während des Kauens wahrgenommen werden. —
Die Anwesenheit solcher Ansammlungen lässt sich durch das Gesicht , so
wie mittels einer Sonde, am besten mit einem Ohrspiegel nachweisen. —
Ist nicht etwa gleichzeitig eine AiTection der Trommelhöhle oder eine
Krankheit des sensiblen Apparats vorhanden , so wird durch die Entfer-
nung des angehäuften Ohrenschmalzes das Hörvermögen sogleich wieder-
hergestellt ; bei einer gleichzeitigen Anhäufung im mittlem Ohr wird die-
ser Zweck erst durch Einsprizungen in die Tuba Eustachii erreicht.
Durch Einsprizungen von lauem Wasser , welchen man bei grosser Härte
der Masse einige Zeit das tägliche Eintröpfeln von Mandelöl in das Ohr
vorhergehen lassen kann , befördert man dieselben , wenn es nöthig er-
scheint, unter Beihülfe eines Ohrlöffels oder einer Pincette heraus. Die
nach der Entfernung des verhärteten Ohrenschmalzes zurückgebliebene
Itöthe des Trommelfells oder der Wandungen des Gehörgangs weicht einer
Auflösung von Pluinb. a c e t. gr. j in Wasser ^j zum Einträufeln. —
Andererseits ist eine zu geringe Absonderung des Ohrenschmalzes
nicht minder nachtheilig für das Gehör. Anfangs hören die Kranken bei
trockenem schönem Wetter noch leidlich und nur bei feuchter, trüber und
nebliger Atmosphäre ist das Gehör auffallender beeinträchtigt. Mit der
Zeit aber wird das Uebel so intensiv, dass die Schwerhörigkeit an Taub-
heit grenzt. In diesem Falle muss die Thätigkeit der Drüsen im Gehör-
gange belebt und damit ihre Absonderung vermehrt werden , was man
durch Aether- und Joddämpfe, so wie durch Tragen eines mit Glycerin
angefeuchteten Stückchens Waschschwamm im Gehörgang ins Werk sezt.
Ohrenschmerz, Ohrenzwang, Otalgia (von uvgy Ohr und
alyoc, Schmerz). Hierunter wird nicht der durch Krankheiten (Otitis
etc.) bedingte Schmerz, sondern eine Neuralgie des Ohrs verstanden, wo-
bei jede nachweisbare materielle Störung fehlt. Die nervöse Otalgie hat
das Charakteristische, dass der Schmerz sich nicht wie bei Otitis stufen-
weise entwickelt , sondern schnell einen hohen Grad erreicht und ebenso
plözlich wieder verschwindet ; nicht selten ändert er seinen Siz und wüthet,
nachdem er das Ohr verlassen hat , in einem andern Theile des Kopfs.
Die Untersuchung des Ohrs zeigt den Gehörgang nicht geröthet , nicht
geschwollen , das Trommelfell normal durchsichtig. Der Schmerz tritt
728 OHRENKRANKHEITEN. OHRVERSCHLIESSUNG.
entweder in den Nervenfäden der innern Ohrtheile oder in dem den D u-
ctus Fallopii versehenden Theile des Nerv, facialis oder in den
Verästelungen des Gehörnerven selber , oder in der Chorda tynipani
auf. Die D a u er der Otalgia nervosa ist sehr ungleich , manchmal
verschwindet sie nach kurzer Zeit plözlich , andere Male hat sie neural-
gische oder rheumatische Schmerzen im Gesicht oder im Kopf oder selbst
in entfernteren Körpertheilen zur Folge. — Die Ursachen der Otalgie
sind dieselben , wie die anderer nervöser Affectionen ; bei Frauen kommt
sie viel häufiger als bei Männern vor ; sie begleitet zuweilen die ersten
Perioden der Schwangerschaft. Oft steht sie mit Störung in den ersten
Wegen, mit Rheumatismus, namentlich des Gesichts, Kopfs oder Nackens,,
Zahnschmerzen etc. in Verbindung. Sie wechselt zuweilen mit Ischias,,
ist bisweilen durch einen cariösen Zahn bedingt. — Behandlung. Zu-
nächst muss diese gegen die dem Leiden zu Grunde liegenden Ursachen
gerichtet werden , bei Rheumatismus reicht man Colchicum mit Opium,
einen schadhaften Zahn zieht man aus etc. ; örtlich wendet man narkoti-
sche Dämpfe in den Gehörgang und die Tuba an , macht Cataplasmen.
bringt schmerzstillende Mittel in das Ohr, z. B. Rp. Ol. amygdal.
dulc. ^ß, Ol. hyosc. coct. 5ß, Extr. opii aq. gr. iij, M. exact.
S. Tropfenweise in den Gehörgang zu bringen; oder: Rp. Opii puri
gr. iij, Croci opt. gr. x, Myrrhae 3ß , Ol. amygdal. dulc. rec.
Jij, Succ. malvae ^ß. M. S. Ebenso; — oder: Rp. Chloroform
3 j , Ol. amygdal. dulc. 5j- M. S. In die Nähe des schmerzhaften
Ohrs einzureiben und auf Baumwolle getröpfelt in das Ohr zu bringen.
Ohrverschliessung, Imperforatio auris, Atresia
meatus auditorii extern i. Der Gehörgang kann entweder durch
eine Membran , oder durch eine Fleischmasse , oder durch eine knorpel-
artige oder knöcherne Substanz verschlossen sein. In allen diesen Fällen
ist Schwerhörigkeit oder Taubheit die Folge. Bisweilen ist die häutige
Verwachsung tiefer im Gehörgange, in der Nähe des Trommelfells gelegen
und man erkennt dies erst bei näherer Untersuchung. Die Operation
darf bei Kindern nicht früher unternommen werden, als sie sprechen kön-
nen, ausgenommen in dem Falle einer häutigen oberflächlichen Verwach-
sung , wo man sie bei Kindern von sechs Monaten verrichten kann. Bei
einer solchen Verwachsung sticht man ein gerades bis auf zwei Linien
von der Spize eingewickeltes Bistouri in die Haut ein und vergrössert,
wenn Raum genug dazu vorhanden ist , die OefFnung durch einen Kreuz-
schnitt ; mit einer Hohlscheere schneidet man von den Schnittlappen so
viel als thunlich ist aus. — Ist die Verwachsung tiefer gelegen , so lässt
man von einem Gehülfen die Ohrmuschel etwas in die Höhe ziehen und
bedient sich des Bistouri's auf die oben angegebene Weise , oder auch
eines Troicarts. Man legt alsdann eine in Oel getränkte Charpiewieke
in die Wundöffnung, füllt die Ohrmuschel mit Charpie aus, legt eine
Compresse darüber und befestigt das Ganze mit einem Kopftuche. Wenn
OHRENKRANKHEITEN. SCHWERHOERIGKEIT. 729
die Verwachsung in einer fleischigen, tief eindringenden Masse besteht, so
trennt man mit einem geraden, umwickelten Bistouri durch kleine wieder-
holte Schnitte nach der Richtung des Gehörgangs diese Masse, doch dringe
man nicht tiefer als einen halben Zoll ein , der Zweck mag erreicht sein
oder nicht, im leztern Fall operirt man erst weiter, wenn das erst Getrennte
überhäutet ist. Darf man sich des Messers nicht bedienen , so wendet
man den Höllenstein an, den man, von einer Röhre umgeben auf die Mitte
der fleischigen Masse einwirken lässt. Bei knorpeliger oder knöcherner
Verwachsung kann man, aber nur wenn beide Gehörgänge verschlossen
sind , einen Troicart vorsichtig und langsam in der Richtung des Gangs
höchstens 15 bis 18 Linien weit führen. Verminderter Widerstand zeigt
an, dass man das Hinderniss durchdrungen hat. Für die erste Zeit lässt
man die (kurze) Röhre des Troicarts liegen, später zieht man Wieken in
Gebrauch.
Nervöse Schwerhörigkeit, Dysecoia, Baryecoia (von
SvCy übel, schwer, ßaovg, schwer, und axovio, ich höre) , nennt man eine
Verminderung des Hörvermögens , welche die Folge einer AfFection der
für das Gehörorgan bestimmten sensiblen Apparate ist. Längere Zeit
fortbestehendes dynamisches Leiden des Gehörnervens bedingt auch ein
organisches Leiden desselben. In der Regel findet man bei diesem Lei-
den den Gehörgang frei und ohne Ohrenschmalz , oder das angehäufte
Ohrenschmalz bringt ebenso wenig Verschlimmerung, als die Entfernung
desselben Besserung. Trommelhöhle und Eustachische Trompete sind
gesund, frei , injicirte Luft dringt brausend in die Trommelhöhle und an
das Trommelfell. — Die Schwerhörigkeit tritt entweder plözlich oder all-
mälig auf ; zuweilen treten Remissionen , oft in kurzen Zwischenräumen,
meist aber auch von kurzer Dauer ein. Oft ist das Hörvermögen bedeu-
tend stärker , wenn der Schwerhörige einem starken gleichmässigen Ge-
räusche ausgesezt ist, z. B. beim Fahren in einem geschlossenem Wagen.
Nicht selten leiden solche Schwerhörige an einer eigenthümlichen Em-
pfindlichkeit gegen scharfe gellende Töne (H y p e r a c u s i s) und häufig
tritt im Verlaufe des Leidens Ohren tönen hinzu, welches in der Regel
oft in sehr quälender Weise fortdauert, wenn auch vollständige Taubheit
eingetreten ist. — Ursachen. Prädisponirend dazu sind: Erblichkeit,
allgemeine Schwäche des Nervensystems , hohes Alter. Veranlassende
Ursachen sind : Alles, was die Thätigkeit im Allgemeinen herabzustimmen
vermag, deprimirende AfFecte, Säfteverluste, übermässige Blutentziehungen,
Diarrhöen, zu lange fortgeseztes Stillen, Eiterungen etc. ; Missbrauch nar-
kotischer Mittel , Unterleibsstockungen , Hämorrhoiden , Gicht, plözliche
Erkältungen des erhizten Kopfs, Sonnenstich, Erkrankungen des Gehirns,
namentlich der dem Acusticus zugehörigen Centraltheile , endlich gewalt-
same Erschütterungen des Schädels, starke Explosionen etc. Beider
Behandlung nehme man zunächst auf das Allgemeinbefinden Rück-
sicht , beseitige Stockungen , hebe allgemeine Schwäche , regle die Diät,
730 OHREN, KUENSTLICHE.
schüze die Ohren vor Erkältung etc. Die örtliche Behandlung bleibt je-
doch Hauptsache. Man wirkt auf den Gehörnerven selbst ein. Dies ge-
schieht durch die Tuba Eustachi i. Man treibt mittels des Ohrkathe-
ters zunächst Wasserdunst oder eine erwärmte Lösung von Gummi ara-
bicum, welcher man später */8 bis */2 Gran Extractum hyoscyami
zusezt, in Zwischenräumen von 1 bis 2 Tagen durch diese Röhre in die
Trommelhöhle ein. Die Milderung des Ohrentönens ist der Massstab
für die Fortschritte der Besserung. Bei einem Schwächezustand können
später kleine Quantitäten von Aether, Chloroform, Moschustinktur, Jod,
Salmiak mit Wasserdünsten gemischt eingeblasen werden. — Schlagen
alle Heilversuche fehl , so kann man zur Erleichterung für die Schwer-
hörigen Hörrohre und Hörmaschinen, acustische Werkzeuge , welche den
Schall durch die festen Theile zu den Gehirnnerven leiten , gebrauchen
lassen.
Onreil, künstliche und Hörmaschinen. Bei der An-
wendung der künstlichen Ohren hat man den Zweck, die durch den Ver-
lust der Ohrmuschel entstandene Entstellung zu heben und den von ihnen
aufgefangenen Schall in den Gehörgang zu leiten. Man verfertigt sie
aus Papiermache, Leder, Holz, Kupfer, Silber, Gold etc. Die metallenen
sind die geeignetsten, weil sie bessere Schallleiter sind. Sie müssen dem
andern Ohr in allen Stücken ähnlich sein. Die Befestigung geschieht
theils durch ein von der Muschel ausgehendes in die Mündung des Ge-
hörgangs passendes Röhrchen , theils durch eine über den Scheitel weg-
gehende elastische Stahlfeder. — Die Hörmaschinen, Instru-
menta acustica, haben den Zweck, das Gehör, es mag auf mecha-
nische oder dynamische Weise gestört sein, zu unterstüzen. Man unter-
scheidet: 1) die Ohrklemmen und Ohrkissen. Sie habenden
Zweck , die unter einem ungünstigen Winkel zum Kopfe gestellte Ohr-
muschel vorwärts zu drücken , damit sie die Schallstrahlen besser aufzu-
fangen im Stande ist. 2) die Schallleitungs röhren, Tubuli
soniferi. Sie finden ihre Anwendung, wenn der Gehörgang zu eng
ist. Sie bestehen aus einem Röhrchen aus Kautschuk, Guttapercha oder
besser aus Silberblech, das am äussern Ende einen kleinen Rand hat. 3)
die S ch all fang er oder Hörschalen. Sie sollen bezwecken, die
Oberfläche des äussern Ohrs zu vergrössern , um eine grössere Menge
Schallwellen aufzufangen und gewissermassen verstärkt in den Gehörgang
zu leiten. Ihre Form ist verschieden. Bald stellen sie nur muschel-
f örmige Schalen , bald über das Ohr zu stülpende Kapseln , bald auch
kleine , mit einem kurzen oder langen gewundenen Zuleitungsrohr ver-
sehene Trichter dar. Man hat sie aus den verschiedenartigsten Stoffen
gefertigt : aus elastischem Gummi , Muscheln , Eisen-, Messing-, Kupfer-
und Silberblech. Ihre Befestigung geschieht mittels Federn und Bändern.
4) die Hörrohre, Tubae acusticae. Bei ihrer Anwendung beab-
OHREN, KUENSTLICHE. 731
sichtigt man , eine grössere Menge von Schallwellen , als die Ohrmuschel
aufzunehmen vermag , in das Ohr zu leiten und die auf die Wände des
Instruments veranlassten Schwingungen zu verstärken und zu modificiren.
Sie müssen, um diesen Zwecken zu entsprechen, eine weite Oeffnung haben
und aus einem geeigneten Metall bestehen. — Man hat die Hörrohre aus
verschiedenen Materialien verfertigt, aus elastischem Harz, Leder, Papier-
mache, Holz, Hörn, Elfenbein, Glas, Eisenblech, Messing, Kupfer, chine-
sichem Klangmetall, Silber, Gold. Die nicht metallischen sind nur einer
geringen Vibration fähig und geben mithin schlechte Hörrohre , doch
können sie benuzt werden, wo es sich nur um eine stärkere Zuleitung von
Schallwellen in das Ohr handelt. Ihr Inwendiges hat am besten eine
parabolische Gestalt , damit die parallel aufsteigenden Schallstrahlen
gleichsam wie in einem Brennpunkt concentrirt, und so durch die in den
äussern Gehörgang gesteckte Röhre dem innern Ohr zugeführt werden.
— Man hat den Hörrohren verschiedene Formen gegeben ; die meisten
haben eine trichterförmige Gestalt, andere die eines Posthorns, wie das
von Nuck. Deckers Instrumentum acusticum besteht aus
einem kleinen gewundenen Trichter. An den Bändern sind Löcher, um
dasselbe mittels Bändern an die Haare zu befestigen. Andere werden
durch eine über den Scheitel gehende Stahlfeder festgehalten, noch andere
werden im Augenblicke des Gebrauchs mit der Hand an das Ohr gebracht.
Wir besizen Hörrohre von Arneman, Heister, Bell, Brambilla,
Bernstein, Curtis, Krünitz u. A. — 5) Akustische Werk-
zeuge, die den Schall durch die festen Theile zu den Ge-
hörnervenleiten. Es ist bekannt , dass, wenn man einen festen in
Schwingung versezten Körper an die Zähne oder an den Schädel, ja selbst
an entfernte Theile des Körpers anlegt, die Schwingungen sich von diesen
Theilen bis zum Gehörnerven fortpflanzen und von diesem empfunden
werden. Wenn man einen silbernen Löffel an einen Faden befestigt,
diesen zwischen den Zähnen hält und dann den Löffel schlägt, indem man
zugleich die Ohren verschliesst , so hört man einen ziemlich starken,
glockenähnlichen Ton. . Ebenso vernimmt man sehr leicht den Klang
eines musikalischen Instruments, z. B. eines Klaviers, wenn man das eine
Ende eines Stabs auf den Resonanzboden sezt, das andere aber zwischen
die Zähne nimmt oder nur einen Theil des Kopfs damit berührt. Hieraus
ist die Idee hervorgegangen, sich tauben Personen hörbar zu machen, in-
dem man zwischen ihre Zähne und auch die der mit ihnen sprechenden
Personen Leiter bringt, die aus festen Körpern bestehen, z. B. hölzerne
Stäbe ; Stahl ist noch besser. Da man aber mit dem fremden Körper
zwischen den Zähnen an der Articulation der Töne gehindert ist, so schlug
1 1 a r d ein besonderes Werkzeug vor. Es ist eine Art Sprachrohr aus
Holz in Pyramidenform , das an dem Ende , welches von dem Tauben in
den Mund genommen wird , sich in ein Mundstück, wie bei einer Clari-
nette endigt. Die andere Seite endigt in einen Ansaz , in den der Spre-
732
PANARITIUM.
cliende blos seinen Mund hält , ohne ihn zu berühren ; auch darf das In-
strument nicht mit den Händen gehalten , sondern muss an einem Faden
aufgehängt oder auf eine hölzerne , auf dem Boden stehende Gabel auf-
gelegt werden. Ein anderes complicirteres Instrument gibt ein Unge-
nannter an.
Ozaena, s. Nasengeschwür.
P.
PaedarthrOCaCe, s. Knochengeschwülste No. 7.
Panaritium, Entzündung des Nagelgliedes, Wur m.
Hierunter versteht man die Entzündung der fibrösen Gewebe der Finger
und Zehen , die in der Regel mit lebhaften Schmerzen verbunden ist und
eine entschiedene Neigung zur Eiterbildung hat. Häufiger kommt diese
Krankheit an den Fingern als an den Zehen und häufiger an dem Nagel-
als an einem andern Gliede vor ; selten leidet mehr als ein Finger zu
gleicher Zeit , der kleine Finger bleibt meist verschont und der Daumen
wird seltener befallen, als die übrige Hand. — Nach dem Siz der Ent-
zündung in den verschiedenen Gebilden des Fingers und der davon ab-
hängenden Heftigkeit der Erscheinungen unterscheidet man drei Arten
oder Grade von Panaritien. — Der erste Grad, Panaritium c u -
taneum sizt in dem Zellgewebe unter der Haut, und zwar meistens an
dem kolbigen Ende des Fingers. Dasselbe erscheint mehr oder weniger
roth und ist massig geschwollen. Der Kranke klagt über Spannen , klo-
pfenden Schmerz und Hize im Fingergliede ; bald bildet sich Eiter , der
aber bei dicker Haut schwer durch Schwappung zu entdecken ist , oder
der angesammelte Eiter durchbricht die Cutis und bildet dann eine durch-
scheinende Eiterblase. — Der zweite Grad, Panaritium tendi-
n e u m befällt vorzugsweise die Sehnenscheiden und beginnt mit dumpfen
spannenden Schmerzen an der Volarfläche des Fingers, die in kurzer Zeit
sehr heftig und reissend werden und sich rasch über den ganzen Arm und bis
zur Achselhöhle verbreiten. An dem Finger selbst bemerkt man nur geringe
Geschwulst; diese dehnt sich mehr auf den übrigen Theil der Hand, selbst
auf den Vorderarm aus ; gewöhnlich ist auch heftiges Fieber damit ver-
bunden. Die Härte und Geschwulst der Bedeckung verhindert auch hier
oft die deutliche Wahrnehmung des Eiters. Nicht selten bilden sich Ab-
scesse am Handgelenk und am Vorderarm. Es kann zur Zerstörung der
Flechse und, durch Uebertritt der .Entzündung auf das Periosteum, selbst
zu der des Knochens kommen. — Beim dritten Grade, Panari-
tium periostei, sizt die Entzündung in der Beinhaut ; bei völliger
Abwesenheit von Geschwulst sind die peinigendsten Schmerzen in der
PANZERHAND SCHUH. 733
Tiefe des Fingers zugegen , die sich nie über die Handwurzel hinaus er-
strecken. Ist aber Eiterbildung erfolgt , dann schwillt die ganze Hand
beträchtlich auf; am leidenden Finger oder auch über die ganze Hand
fort bildet sich oft eine ödernatöse Anschwellung , der Eiter bahnt sich
in der Vola manus viele Fistelgange und eröffnet sich endlich einen
Weg nach aussen. Die Untersuchung mit der Sonde zeigt den Knochen
cariös oder nekrotisch. — Zuweilen geht ein geringerer Grad in einen
höhern über. — Manche Schriftsteller führen die an der Nagelwurzel
vorkommende oberflächliche Entzündung und Eiterung (Nagelge-
schwür, Umlauf, Onychia) als ersten Grad des Panaritium auf.
Wir haben sie bei den Nagelkrankheiten abgehandelt. — Ursachen.
Sie sind meist örtliche, wie Contusionen, Verlezungen mit feinen stechen-
den Instrumenten, äzende oder scharfe Stoffe, schneller Temperaturwech-
sel etc. Sehr oft sind die Ursachen nicht bekannt, und nicht selten kom-
men bei einem Individuum nach einander mehrere Panaritien an verschie-
denen Fingern vor. — Behandlung. Beim ersten Grade sucht
man die Entwicklung des Panaritium durch Blutegel , kalte oder Blei-
wasserumschläge, Einreibung von Quecksilbersalbe aufzuhalten, nachdem
man etwaige fremde Körper entfernt hat. Vermindern sich die Symptome
bis zum vierten Tage nicht , so schneidet man den Finger ein , wodurch,
wenn auch kein Eiter entleert wird , der Kranke durch die Entspannung
der Theile und die Blutung sehr erleichtert wird. Auf die Eröffnung
lässt man erweichende Umschläge und Pflaster folgen. Bildet sich eine
Eiterblase , so öffnet man diese und trägt die Haut nach Massgabe ihres
Absterbens mit der Scheere ab. Bildet sich schwammiges Fleisch, so be-
tupft man es mit Höllenstein ; häufig verschwindet es auch, wenn man die
Oeffhung im Finger erweitert. — Das Panaritium tendineum for-
dert dieselbe Behandlung wie das cutaneum, nur darf die Incision
nicht über den dritten Tag verschoben werden, weil sonst die Flechse zer-
stört wird. Der Einschnitt muss bis in die Sehnenscheide dringen. Die
an der Hand etc. sich bildenden Abscesse müssen frühzeitig geöffnet und
nach allgemeinen Regeln behandelt werden. Der Verlust der Flechse
hat immer den der Bewegung des betroffenen Glieds zur Folge. — Beim
Panaritium periostei können nur frühzeitige Einschnitte bis auf
den Knochen diesen vor Zerstörung bewahren. Auf diese lässt man er-
weichende Umschläge folgen und den Finger in Chamilleninfus , bei
schlechter Eiterung in Lauge baden. Nicht selten stösst sich die erste
Phalanx ganz ab , wodurch der Finger etwas breiter und kürzer wird.
War das zweite oder dritte Fingerglied ergriffen , so kann die Exarticu-
lation des Fingers nothwendig werden.
Panzerhandschuh, C h i r o t h e c a , ist ein zur Einwicklung
eines oder mehrerer Finger bestimmter Verband. Man hat nach Ver-
schiedenheit des Zweckes einen halben oder unvollkommenen und einen
734
PAPPVERBAND.
ganzen oder vollkommenen Panzerhandschuh. — Zn dem halben Pan-
zerhandschuh, der Finger binde, Chirothecaincompleta
s. Fascia digitalis, nimmt man eine 6 Fuss lange , 3/4 Zoll breite,
einköpfige Binde, macht am Ulnarrande anfangend einige Zirkelgänge um
das Handgelenk , geht dann schief über den Rücken der Hand nach dem
Radialrand derselben und zwischen dem Zeige- und Mittelfinger durch,
um das erste Gelenk des Mittelfingers herum und wieder schief über den
Handrücken zurück , so dass die Binde sich auf dem Gelenke des Mittel-
fingers kreuzt. Dieser Gang wird nun entweder wiederholt oder die Binde
nach der ersten Tour mit Zirkelgängen um das Handgelenk beendigt. —
Diese Binde kann auch auf gleiche Weise an jedem andern Finger ange-
legt werden. — Dieser Verband , welcher früher nach Verrenkungen der
ersten Phalangen angewendet wurde , ist allenfalls noch zur Befestigung
kleiner Verbandstücke an dieser Stelle der Finger und auf dem Handrücken
zu benuzen. — Der ganze Panzerhandschuh, Chirotheca
completa s. Fascia pro fractura et luxatione digitorum
erfordert eine Binde von der gleichen Länge und Breite , wie der halbe,
welche dann aber nur zur Einwicklung eines Fingers hinreicht ; für jeden
weiteren Finger muss sie 4 Fuss länger sein. Man fängt wie bei der
vorigen an , geht zum kranken Finger und umgibt diesen bis zu seiner
Spize mit Hobeltouren , geht mit gleichen Gängen an diesem wieder zu-
rück , über den Handrücken zur Handwurzel und schliesst da die Binde
mit Zirkelgängen. Diese Gänge wiederholt man an so vielen Fingern,
als nöthig ist, wobei nur zu beobachten ist , dass man nach der Umwick-
lung eines jeden Fingers jedesmal vorher einen Zirkelgang um die Hand-
wurzel macht, ehe man zum nächsten übergeht. — Diese Binde kann
nach Luxationen und Fracturen , so wie Verbrennungen der Finger in
Anwendung gebracht werden ; auch beginnt man mit ihr die Einwicklung
der obern Extremität.
PappVerband. Hierunter versteht man einen Verband , bei
dem mittels Klebemitteln die einzelnen Theile unbeweglich mit einander
verbunden werden, um einem Lockerwerden desselben und damit seinem
baldigem Wechsel vorzubeugen. Je nach den Mitteln, die zur Unbeweg-
lichmachung des Verbandes benuzt werden , hat er verschiedene Namen
erhalten, wie Kleister-, Dextrin-, Gypsklebeverband etc.
Am häufigsten wird der von S e u t i n eingeführte Stärkmehlkleister zum
Steifen des Verbandes benuzt : er klebt die Verbandstücke leicht zusam-
men und macht sie beim Trocknen so fest wie Holz, während, wenn eine
Erneuerung des Verbandes nöthig wird, ihre Entfernung vermittels lauem
Wasser leicht zu bewerkstelligen ist. — Die Regeln für die Anlegung
des Kleisterverbandes sind folgende : die Binden, die benuzt werden, müs-
sen von Leinenzeug gemacht und dieses darf weder zu fein noch zu grob
sein ; am besten eignet sich gewöhnliche Hausleinwand. Die Breite und
PAPPVERBAND. 735
Länge der Binden richtet sieh nach der Grösse des zu verbindenden Glie-
des. — Der Kleister wird aus Stärkmehl bereitet, indem dieses entweder
mit Wasser gekocht oder einfacher, nachdem die Stärke in einem eisernen
Hafen geröstet worden ist , in kaltem Wasser aufgelöst wird. Andere
Klebestoffe , die theils für sich , theils in Verbindung mit Stärkmehl zum
Steifen der Verbandstücke vorgeschlagen worden sind, sollen weiter unten
kurz erwähnt werden. Welchen Stoff man aber auch wählen mag, immer
muss das Augenmerk des Wundarztes darauf gerichtet sein , dass diese
Stoffe nicht in unmittelbare Berührung mit der Haut kommen, indem sie
leicht rosenartige Entzündungen auf dieser erregen. Der gekochte Klei-
ster darf nicht zu dick , aber auch nicht zu dünn sein ; im ersten Falle
lässt er sich nicht gut aufstreichen, im zweiten klebt er zu wenig. Eine
Consistenz, bei welcher er sich aus einem Löffel langsam ausgiessen lässtr
ohne in grösseren Massen daran hängen zu bleiben, ist die passendste.
Der gewöhnliche Buchbinderkleister ist viel zu dick. Im Nothfall kann
man sich statt des Stärkmehls des gewöhnlichen Getreidemehls bedienen;
man verdünnt es zuerst mit kaltem , hernach mit siedendem Wasser. —
Als Schienen gebraucht man starke Pappe , deren Ränder man schief ab-
reisst, damit sie nicht drücken; für die knöchernen Hervorragungen bringt
man Ausschnitte an. Je nach der Form und Grösse des Gliedes hat man
2 bis 3 Schienen nöthig ; eine grössere Anzahl ist nicht dienlich, weil sie
sich bei der Anlegung des Verbandes schwer halten lassen, ohne überein-
ander geschoben zu werden. Man nehme sie so breit , dass zwischen
ihnen nur fingerbreite Zwischenräume bleiben , wenn sie angelegt sind.
Ihre Länge richtet sich nach der Länge des gebrochenen Knochens und
nach der Stelle des Bruchs ; befindet sich dieser nahe an einem Gelenke,
so ist es gut , die Schienen einige Zoll über dieses hinausreichen zu las-
sen ; sonst ist es hinreichend , wenn die Schienen so lang sind , als der
gebrochene Knochen. — Bei der Application legt man , nach besorgter
Einrichtung und Coaptation der Knochenfragmente, von unten beginnend,
nach der ganzen Länge des Glieds eine Rollbinde an , wobei man die zu
häufige Wiederholung der Umschläge vermeidet und die Vorsprünge durch
Watte u. dgl. schüzt. Wenn man am obern Theile des Gliedes ange-
kommen ist , so steigt man mit neuen Bindengängen in der Weise herab,,
dass man die erste Lage mit einer zweiten Schichte bedeckt, die diesmal
leicht gestärkt wird. Bei dem Endigen der Binde schlägt man das Ende
derselben ein, um es später leicht zu finden. Vor der Application der ersten
Lagen der Binde legt man unmittelbar auf die Haut und in der Längenrichtung
des gebrochenen Gliedes ein einen Querfinger breites leinenes Band, nach-
dem man es vorher mit einem fetten Stoffe bestrichen hat , in der Weise
auf, dass beide Enden desselben den Verband oben und unten einige
Querfinger überragen; es hat dieses Band den Zweck, den Grad des von
dem Verbände ausgeübten Drucks anzuzeigen. — Nachdem dies ge-
schehen , legt man die flüchtig in laues Wasser getauchten Pappschienen
736 PAPPVERBAND.
in hinreichender Anzahl an. Diese Schienen sind zuvor auf ihren beiden
Seiten mit Starkekleister bestrichen worden. Zwischen diese Schienen
und die Vertiefungen auf der Oberfläche des Gliedes legt man Ausfüllun-
gen, damit der Druck überall ein gleichförmiger ist. Die Schienen wer-
den alsdann durch Gehülfen am Plaze gehalten und der Wundarzt geht,
indem er eine Rollbinde ergreift , deren Ränder leicht mit Stärke bestri-
chen worden sind, an die Anlegung einer dritten Lage von Bindengängen,
die zur Befestigung der Pappendeckel bestimmt sind. Der mit der Er-
haltung der Coaptation beauftragte Gehülfe formt diese Gänge mit Hülfe
seiner Finger in dem Masse nach der Gestalt des Gliedes , wie der Ope-
rateur seine Binde abrollt. Diese dritte Bindenschicht kann spiralförmig
angelegt werden, um dem Pappendeckel eine feste Form zu geben. Als-
dann bestreicht der Gehülfe mittels des Pinsels oder der Wundarzt mit
der Hand die Oberfläche des Verbandes mit einer leichten und gleichför-
migen Lage Stärke und schliesst mit einer lezten methodisch angelegten
Bindentour. — Die Finger und ein Theil der Hand , wenn es sich von
der obern Extremität handelt, die Zehen, wenn man es mit der untern zu
thun hat, bleiben frei und werden hierauf mit schmalen Binden unter der
Gestalt des Panzerhandschuhs eingewickelt. Man lässt nur die äussersten
Spizen dieser Organe frei , um darnach den Zustand der von dem Ver-
bände bedeckten Theile beurtheilen zu können. — Wenn der Verband
beendigt ist, so streicht der Wundarzt mit der flachen, mit Stärke bedeck-
ten Hohlhand längs des ganzen Verbandes nach einander von unten nach
oben und von oben nach unten, hernach im Kreise herum, so dass zuerst
die dachziegelförmigen Ränder der Hobelgänge erhoben und gestärkt,
hernach niedergedrückt und endlich die Falten verstrichen werden. —
Wenn es sich von einem Gliede handelt, das zu erheben gefährlich wäre,
und besonders bei manchen Brüchen der untern Extremität kann man
sich statt der Rollbinde der in vier Lagen geordneten Streifenbinde von
S c u 1 1 e t bedienen. Die erste Lage wird wie in dem vorhergehenden
Falle angelegt, d. h. ohne gestärkt zu werden, mit Ausnahme der äussern
Schicht, aber erst, wenn die Streifen völlig aufgelegt sind, damit sie unter
sich anhängen. Zwischen die zweite und dritte Lage kommen die Papp-
schienen zu liegen ; man stärkt sie und verfährt im Uebrigen wie bei der
Rollbinde. — Als allgemeine Regel gilt, dass das oberhalb des Sizes des
Bruchs gelegene Gelenk immer mit in den Verband gefasst werden soll,
um die Bewegungen dieses Gelenkes zu verhindern, welche sich den Frag-
menten mittheilen und sie dislociren könnten. — Ist der Verband^ ange-
legt, so können die Gehülfen die Extension und Contraextension aufgeben,
wenn man es mit einem Querbruche zu thun hat. Bis zur Austrocknung
legt man starke Papp- oder andere Schienen auf den Verband an , damit
die gebrochenen Theile in der vollkommensten Unbeweglichkeit erhalten
werden. Das Glied bringt man auf einem Spreu- oder anderen Kissen
in eine zuträgliche Lage und wartet die Austrocknung ab , welche in 3 0
PAPPVERBAND. 737
bis 4 0 Stunden zu Stande kommt. Man kann sie durch Anlagerung
heisser Körper, erwärmter Backsteine, mit heissem Wasser gefüllter Krüge
etc. beschleunigen. Nach der Vertrocknung des Verbandes nimmt man
die Schuzschienen weg. — Bei den mit Wunden oder Abscess complicir-
ten Fracturen schneidet man entweder mittels gekrümmter Scheeren kleine
Einschnitte in die Bindentouren und schneidet auch die Pappe aus, wenn
sie solche Theile bedeckt , oder wenn der Theil oft untersucht werden
muss, so legt man gegenüber der Wunde etc. ein Fenster an, indem man
auf einen Längenschnitt zwei quere fallen lässt und die hierdurch gebil-
dete Klappe beliebig öffnet und schliesst , oder endlich indem man den
ganzen Verband auf die weiter unten angegebene Weise der Länge nach
aufschneidet. Welche von diesen drei Arten man auch wählen mag, der
Verband ist der Durchtränkung mit Eiter und der Erweichung ausgesezt
und bietet nicht mehr die genügende Festigkeit , oder die innere Lage
verhärtet durch Vertrocknung des Eiters , und zeigt eine Rauhheit , eine
Härte, welche fähig ist, das Glied zu excoriiren. Um den erstem dieser
Nachtheile zu vermeiden , verstärkt man den Verband äusserlich mittels
Schienen von Zink , Weissblech oder noch besser von Guttapercha , da
diese Substanz sich um das Glied formt. Zur Vermeidung des zweiten
belegt man ihn mit Wachstaffet oder Guttapercha- Blättern , oder man
zieht auch , wenn man die Klappen geöffnet hat , die beschmuzten Band-
streifen aus und ersezt sie durch eine besondere Leinwand , oder man
zieht sie nicht aus , sondern legt Compressen oder Watte dazwischen.
Alles dieses wird überflüssig, wenn man aus dem unabsezbaren Verbände
einen abnehmbaren unverrücklichen macht, d. h. denselben
der Länge nach aufschneidet. Dies kann aber auch von Nuzen sein, ohne
dass gerade eine Wunde zugegen ist ; der Verband kann da oder dort
drücken und dadurch Schmerzen verursachen ; er kann zu weit werden,
indem das Glied abschwillt. Die Durchschneidung geschieht am
zweiten bis dritten Tage , sobald der Verband seine ganze Festigkeit er-
langt hat und zwar führt man sie in dem Zwischenräume der beiden
Schienen auf dem eingelegten Bande (Compressimeter) , das als Führer
dient (und welchem man deshalb eine entsprechende Lage gegeben hat),
mit einer starken Scheere aus. Nach vollführter Durchschneidung ist der
Verband zweiklappig geworden und man kann das Glied leicht unter-
suchen. Zu diesem Behufe legen zwei Gehülfen, der eine oberhalb, der
andere unterhalb der Bruchstelle den Daumen der einen Hand an eine
der Klappen und verhindern dann , indem die Finger zwischen die andere
Klappe und das Glied gleiten , dass die erstere sich von diesem entfernt.
Der Wundarzt entfernt dann die erhobene Klappe , was durch den untern
Zwischenraum möglich gemacht wird , an welchem sie sich wie um ein
Charnier dreht. Er untersucht die entsprechende Seite des Gliedes, wäh-
rend dieser Zeit ist diese Klappe durch die Hände der Gehülfen ersezt.
Nach beendigter Untersuchung bringt man sie wieder an ihren Plaz und
Burger, Chirurgie. 47
738 PAPPVERBAND.
untersucht die andere Seite auf dieselbe Weise. Wenn ein zu starker
örtlicher Druck statt hat , was sich durch Böthe kundgibt , so legt man
Watte dazwischen und wenn die Form zu hart ist, so erweicht man sie im
Niveau der verdächtigen Stelle leicht mit Wasser , schweift die Pappe et-
was aus , streicht Falten aus , oder legt Watte unter ; fremde Körper im
Werg oder in der Watte entfernt man. Nach beendigter Untersuchung
werden die Klappen wieder zusammengerückt ; wenn sie sich an gewissen
Punkten den Umrissen des Gliedes nicht mehr anschmiegen , so erweicht
man sie an diesen Stellen durch Befeuchten mit lauem Wasser oder man
füllt die leeren Räume mit Watte aus. Wenn ihre Ränder sich nicht
mehr berühren-, so legt man Watte oder eine der Länge nach zusammen-
gelegte Compresse dazwischen ; wenn sie reiten, so lässt man sie entweder
wie sie sind und füttert sie aus , oder man schneidet einen hinreichenden
Längenstreifen davon ab. Man befestigt sie hierauf mittels einer ge-
stärkten Rollbinde, welche den Verband von Neuem ebenso unverrückbar
macht , wie vorher. Will man nach dem Gliede sehen , oder hat ein
Schwinden stattgefunden, was man durch die Percussion erkennt , welche
einen hellen Klang gibt, so macht man in der gehörigen Ordnung die
Rollbinde los, untersucht die Theile auf die oben angegebene Weise und
legt sie wieder an, worauf man sie nach Bedürfniss mit neuen gestärkten
Kreistouren wieder zusammenzieht. — In den Fällen, wo Wunden, Fisteln,
Geschwüre etc. bestehen, bringt man, wenn man während der Anfertigung
des Verbandes keine Oeffnungen oder Fenster angelegt hat , um der se-
cernirten Flüssigkeit Austritt zu gestatten , Klappen an , indem man, von
dem Längendurchschnitte ausgehend, zwei seitliche Trennungen, die eine
über die andere unter dem Niveau der Wunde , macht. — Der Pappver-
band hinterlässt gern, namentlich wenn er über Gelenke weggeht, Steifig-
keit in diesen ; es ist deshalb gerathen, frühzeitig Bewegungen damit vor-
zunehmen , was man dadurch ins Werk sezt , dass man den Verband im
Niveau der Gelenke in seiner vordem Circumferenz einschneidet , hinten
aber unversehrt lässt, welcher leztere Theil dann nach Art eines Charniers
gebogen werden kann. Während der Bewegungen werden die Klappen,
welche die Bruchstücke umgeben, einander stark genähert. — Es ist hier
der Ort, von einigen Modifikationen zu sprechen, welchen der vorstehende
Verband unterworfen wurde , theils in der Absicht , eine schnellere Ver-
trocknung desselben herbeiführen , theils ihn wohlfeiler herzustellen. —
Velpeau schlug statt der Stärke die Anwendung des Dextrins vor.
Dieses wird mit etwas Weingeist angefeuchtet und mit der nöthigen
Menge Wasser verdünnt. Die Verbandstücke werden damit getränkt.
Diese trocknen rascher als mit Stärke, werden aber auch härter und da-
mit beleidigender als mit dieser. Lafargue bereitet einen Kitt aus
gleichen Theilen Gyps und noch warmer Stärke, welcher rasch (in 2 — 4
Stunden) erhärtet. Statt der Pappeschienen, welche einer schnellen Ver-
trocknung im Wege stehen, wendet Lafargue Eisendrähte von i/3 bis
PAPPVERBAND. 739
*/12 Zoll Stärke an. Diese Modification , welche ihr Erfinder Gyps-
Stärkeverband nennt , hat das Unangenehme , dass beim Verbinden sich
ein Staub verbreitet , welcher das Bett beschmuzt und die Bettleinwand
verdirbt. Eine ähnliche Modification ist die von Pirogoff (s. Gyps-
verband). Liraauge wandte arabisches Gummi, A. Smee eine
Mischung von Kreide und arabischem Gummi an. In der neuesten Zeit
hat man auch das Collodium und Auflösungen der Guttapercha in Schwe-
felalcohol und Chloroform vorgeschlagen. Leztere Stoffe vertrocknen
zwar sehr rasch, sie haben aber einen übermässigen Preis und dann dürfte
auch der penetrante Geruch von ihrer Anwendung abhalten. — Lau-
gier verfertigte seinen Verband aus Papier, um eine weniger kostspielige
und leichter sich zu verschaffende Substanz als die Leinwand zu haben.
Er benuzt Theerpapier, dass er in Streifen schneidet , welche er in mehr-
fachen Lagen und verschiedenen Richtungen ohne Anwendung von Schie-
nen auf das Glied klebt. Aguilson bedeckt das Glied vorher mit
einem in Wasser getauchten Leinwandstreifen, de Lavacherie mit
einem Stück Klebepflaster. Dieser Verband ist der Zerreisung ausge-
sezt ; auch ist das Theerpapier schwerer zu erhalten als Leinwand , und
wird der Verband gewechselt, so muss jedesmal neues Papier dazugenom-
men werden, was bei der Leinwand nicht der Fall ist. Ueber eine weitere
Modification des Pappverbandes, den Wattverband, s. diesen Artikel.
— Ausser den genannten Klebstoffen wurden noch Eiweiss und Mehl,
Tischlerleim , Eiweiss , Gyps .und Fischleim , Käse , Kalk und Wasser,
Töpfererde etc. angewendet , Substanzen , welche der Stärke nachstehen,
welche dem Wundarzte aber bisweilen als kostbare Aushülfsmittel dienen
können. — Um den Verband entfernen zu können, ohne ihn aufzuschnei-
den, weicht man ihn mit lauwarmem Wasser auf und nimmt die einzelnen
Theile desselben behutsam weg. Wenn keine besondern Umstände zur
Wegnahme des Verbandes nöthigen , so kann man den ersten Verband
unbedingt bis an das Ende der Kur liegen lassen. Selbst ein Locker-
werden desselben ist keine Anzeige zu seiner Erneuerung , wenn er nur
gleich das erste Mal gehörig fest angelegt wurde , weil die Consolidirung
des gebrochenen Knochens durch den Kleisterverband viel rascher als bei
dem gewöhnlichen Verbände vor sich geht. Sollte man indessen bei einem
zu bedeutenden Schwinden des Gliedes nicht ganz beruhigt sein, so bleibt
immer die leicht ausführbare Durchschneidung des Verbandes und die
damit gegebene Möglichkeit, ihn nach Bedürfniss zu verengen, übrig. —
Die Vorzüge des Papp Verbandes sind folgende: 1) die zu seiner Herstel-
lung nöthigen Materialien sind leicht zu beschaffen ; 2) er ist leicht und
bequem und gewährt eine Sicherheit, wie kein anderer Verband; 3) er
umschliesst das Glied so fest und genau, dass dasselbe ohne Schmerzen
bewegt werden und der Kranke selbst Orsveränderungen vornehmen kann;
4) durch seinen gleichmässigen Druck verhütet er die übergrosse Ge-
schwulst und Entzündung und begünstigt die Resorption der ergossenen
47*
740 PARASITEN.
Flüssigkeiten. Dazu kommt noch , dass man ihn , wie schon bemerkt,
selten oder gar nicht zu wechseln braucht und dass mit ihm eine schnel-
lere Consolidation des gebrochenen Knochens erzielt wird. Von unbe-
rechnenbarem Nuzen ist er bei Deliranten , Epileptischen , Blödsinnigen,
Kindern und überhaupt solchen, denen eine lange, ruhige Lage im Bette
unmöglich ist. — Complicationen der Fracturen wurden bis vor Kurzem
als Contraindicationen für die festen Verbände angesehen ; gegenwärtig
stimmen die meisten Wundärzte darin mit einander überein , dass sie es
gerade sind, welche sich am wirksamsten gegen die verschiedenen Com-
plicationen erweisen (s. Wattverband und Schienen).
Paracentesis , s. Punction.
Paraphimosis, s. Euthe.
Parasiten, Schmarozerthiere. Die parasitischen Thiere
zerfallen , je nachdem sie aussen am Körper , oder im Innern leben, in
Epizoen (Läuse und Milben) und E ntoz o en (Eingeweidewürmer).
Von den erstem interessiren den Wundarzt zunächst die Milben (Aca-
rina), von denen besonders zu nennen sind : 1) die Kräzmilbe (Aca-
rus scabiei, Sarcoptes hominis), und 2) die Haarsackmilbe
(Acarus folliculorum, comedonum). Die Kräzmilbe ist die
einzige Ursache der Kräze ; die Haarsackmilbe ist weniger schädlich, ver-
anlasst bisweilen Entzündung und Vereiterung der Haarsäcke und Talg-
drüsen. — Von den Entozoen hat es die Chirurgie nur mit einigen Gat-
tungen zu thun , welche entweder in geschlossenen Höhlen gewisser Or-
gane, oder auch im eigentlichen innern Gewebe der Organe des mensch-
lichen Körpers leben. Diese sind : aus der Ordnung der Blasenwür-
mer (Cystica), der Ecchinococcus hominis und der Cysti-
cercus cellulosae (s. Cysten), und aus der Ordnung der Rund-
würmer (Nematoidea) die Filaria medinensis. Von den
zwei erstem war schon in dem Artikel Cysten die Rede , es wird also
hier nur von dem lezten gehandelt werden. — Die Filaria s. Vena
medinensis, der Medina-, Faden- oder Guineawurm kommt
nur in heissen Landstrichen, besonders von Guinea vor, wird aber von da
bisweilen nach Europa verschleppt. Der Fadenwurm hat seinen Aufent-
halt beim Menschen im subcutanen Bindegewebe, besonders an den Füs-
sen, aber auch an andern Orten, am Rücken, an den Oberschenkeln, in
der Nase, im Auge etc. Er sizt bald mehr oberflächlich, meistens kreis-
oder schlangenf örmig gewunden , bisweilen auch ziemlich gerade ausge-
streckt ; bald tiefer , zwischen den Muskeln , um die Sehnen herumge-
schlungen etcv Er ist matt weiss , auch graulich oder bräunlich , cylin-
drisch, Kopf- und Schwanzende verschmälern sich ; der Mund ist kreisrund
und mit vier kleinen Papillen versehen. Er kommt bis zu 12 Fuss Länge
vor und zeigt je nach der verschiedenen Länge die Dicke eines Rosshaars
bis zu der einer dicken Guitarrensaite. Der Fadenwurm kann sich, indem
PARULIS. 741
er heranwächst, mehrere Monate, selbst einige Jahre im menschlichen Kör-
per ohne Beschwerde für denselben aufhalten. Erwachsen verursacht er
aber grosse Schmerzen und kann Abmagerung und selbst den Tod verur-
sachen. Gewöhnlich sucht er sich indessen einen Ausweg aus dem Kör-
per durch die Haut , in welcher er durch die andrängende Spize seines
Kopfendes eine Entzündung und Eiterung erregt, die Stelle in eine Pustel
erhebt, mit dem Kopfe hervorbricht und sich zolllang und länger hinaus-
schiebt. — - Man sucht den Wurm zu entfernen, indem man das zu Tage
getretene Ende so weit herauszuziehen sucht , dass man es um ein Stäb-
chen oder einen Pflastercylinder winden kann , das man dann täglich ein
bis zwei Mal behutsam dreht, bis der Wurm ausgezogen ist, wobei man
aber möglichst eine Abreissung vermeidet und daher bei dem geringsten
Widerstände anhält. Das hervorgezogene Stück befestigt man jedesmal
mit Heftpflaster oder einer Compresse über der Wunde. Eine Zerreis-
sung des Wurms veranlasst die übelsten Zufälle ; das zurückgebliebene
Ende kann nur in Folge einer langen und beschwerlichen Eiterung, gegen
die man erweichende Cataplasmen und vorzüglich die von Kuhmist rühmt,
herausbefördert werden; zuweilen tritt selbst Brand ein. Liegt der Wurm
oberflächlich, so dass man ihn fühlt, so kann man auf ihn einschneiden,
ihn dann ergreifen und herausziehen.
Parotis, s. Speicheldrüse.
Jr&rullS, (naoa, bei, neben, und ovXov, Zahnfleisch), die Zahn-
fleischgeschwulst. Man versteht hierunter eine entzündliche An-
schwellung des Zahnfleisches, welche meistens von einer Entzündung des
Periosts ausgeht und von furchtbar reissenden Schmerzen begleitet ist.
Die Anschwellung ist gewöhnlich nicht beträchtlich und auf das Zahn-
fleisch beschränkt ; manchmal verbreitet sie sich jedoch auch über die be-
nachbarten Theile, namentlich die Wange. Sich selbst überlassen kommt
es unter Nachlassen der heftigen Schmerzen zur Eiterbildung mit schnel-
lem Durchbruche an einer oder mehreren kleinen Stellen, aus denen dann
noch lange Zeit hindurch dünner Eiter entleert wird. Bei sehr heftiger
Entzündung und Verzögerung der Entleerung des Eiters kann oberfläch-
liche Nekrose des Kieferrandes die Folge sein. — Die Ursache ist
meist ein cariöser Zahn , zuweilen Quetschungen beim Zahnausziehen,
rheumatische Leiden etc. — Behandlung. Ist das Uebel noch im
Entstehen , so wird es durch das Ansezen eines oder mehrerer Blutegel
oder besser einer kräftigen Scarification des Zahnfleisches oft schnell be-
seitigt. Gelingt die Zertheilung nicht , so befördert man die Eiterung
durch Auflegen von in Milch gekochten und aus einander gerissenen Fei-
gen, Datteln, grossen Rosinen, und sobald man die geringste Fluctuation
wahrnimmt, so macht man ohne Zögern einen tiefen Einschnitt, um dem
Eiter Abfluss zu verschaffen und Nekrose des Kieferrandes zu verhüten.
Die Nachbehandlung besteht in dem Ausspülen des Mundes mit lauem
742 PHLEGMASIA ALBA DOLENS.
Wasser. — Wenn sich diese Geschwulst mehrmals an derselben Stelle
reproducirt , so ist anzunehmen , dass dem Leiden ein cariöser Zahn zu
Grunde liegt ; man muss ihn daher ausziehen, was aber erst nach Heilung
der Parulis geschehen darf.
Pferdefuss, s. Klumpfuss.
PhimOSis, s. Ruthe.
Phlegmasia alba dolens, weisse schmerzhafte Schen-
kelgeschwulst. Mit diesem Kamen bezeichnet man eine Krankheit,
welche sich durch eine weissliche , ödematöse, meist schnell auftretende
und höchst schmerzhafte Anschwellung des Schenkels kund gibt. Man
trifft sie vorzugsweise bei Wöchnerinnen, bei denen sie meist einige Tage
nach der Geburt oder wenigstens vor der 4. bis 5. Woche auftritt; doch
kommt die Krankheit auch bei Frauen ausser dem Wochenbette und bei
Männern vor. Sie befällt nur ein Bein und zwar meistens das linke ;
zuweilen hat man ein Befallenwerden des andern Gliedes nach dem Ab-
schwellen des erst ergriffenen beobachtet. — Man unterscheidet eine ent-
zündliche und nicht entzündliche Form. Die entzündliche Schen-
kelgeschwulst beruht wesentlich auf einer Entzündung der Schenkelvenen,
zuweilen auch der Lymphgefässe des Schenkels und in seltenen Fällen
auf einer entzündlichen Infiltration des Schenkelbindegewebes , welche
ohne vorausgegangene Entzündung der Gef ässe vorkommen kann , nicht
selten aber von einer Entzündung der Zellhaut der Vene ihren Ausgang
nimmt. Die Infiltration des Zellgewebes ist je nach den Umständen
serös, plastisch serös, blutig serös, zuweilen mit einzelnen mehr oder we-
niger grossen und verbreiteten Eiterherden. Diese Form der Schenkel-
geschwulst wird am häufigsten bei Wöchnerinnen angetroffen. ■ — Die
nicht entzündliche Form beruht auf einer spontanen Gerinnung
oder Stockung des Blutes in den Schenkelvenen oder einer Stauung der
Lymphe , wodurch das Oedem und durch dieses die farblose Geschwulst
bedingt wird ; die Geschwulst kann übrigens auch eine livide bläuliche
Färbung annehmen , wenn die venöse Stase auf die oberflächlichen Capil-
largefässe übergreift. Diese Form der Schenkelgeschwulst findet sich
gewöhnlich nicht bei Wöchnerinnen, sondern bei mechanischen Hinder-
nissen in der oberhalb gelegenen Bahn der Venen und Lymphgefässe oder
am Schlüsse erschöpfender Krankheiten (bei Typhus, Exanthemen, Tuber-
kulose etc.). — Ursachen. Die Entzündung der Schenkelvenen
kann durch dieselben Ursachen zu Stande kommen , wie die der Venen
überhaupt. Im Wochenbette nimmt man gewöhnlich eine Erkältung an.
Es muss hier diese Venenentzündung vorzugsweise häufig entstehen, weil
sich die Phlebitis vom Venenplexus des Uterus leicht auf die Schenkel-
gef ässe verbreiten kann. — Symptome. Die Femoralphlebitis bei
Wöchnerinnen kündigt sich durch Frost , Abgeschlagenheit , Fieber,
Schlaflosigkeit an ; bald entsteht Schmerz und Gespanntheit des einen
PHLEGMASIA ALBA DOLENS. 743
Schenkels vom Bauche bis zum Knie , oft über das ganze Bein. Gemei-
niglich schwillt darauf das leztere sehr rasch , oft über Nacht, und zwar
von oben nach unten ; auch die Schamlippe der Seite schwillt mit an.
Die Haut wird gespannt, weiss, glänzend. Zugleich nimmt der Schmerz
zu, das Fieber steigert sich und zeigt mehr und mehr den Character des
nervösen oder torpiden. — Es hängt von den Producten der Phlebitis
und etwaigen Complicationen ab, welchen Ausgang die Krankheit nimmt.
Bei Eintritt von Pyärnie ist derselbe fast sicher tödtlich ; wo der gebildete
Eiter in den Venen eingebalgt ist , kann die Kranke durch Aufbrechen
der Abscesse gerettet werden. In den günstigen und wie es scheint häu-
figeren Fällen, wo nur Verstopfung und Obliteration der Vene und keine
Eiterbildung erfolgt , nimmt das Oedem und damit die Geschwulst nach
kürzerem oder längerem Bestehen ab , oft unter starker Ausdehnung der
Venen des Beins und Bauchs, durch welche eine ersezende Collateralcir-
culation hergestellt wird. Nicht selten bleibt die Geschwulst auch chro-
nisch zurück und es kann die Haut zu versch wären anfangen. — Be-
handlung. Bei der entzündlichen Schenkelgeschwulst hat die
Behandlung der acuten Venen- und Lymphgefässentzündung einzutreten,
mit Berücksichtigung der Ausbreitung der Entzündung auf das Bindege-
webe. Daher zieht man neben vollkommener Ruhe und erhöhter Lage
des Schenkels nach dem Grade und der Ausdehnung der Entzündung
wiederholte örtliche Blutentziehungen mit Blutegeln oder Schröpf köpfen,
bei heftiger Spannung Scarificationen und nach der Beschaffenheit des
Fiebers und dem Kräftezustande eine Aderlässe, sodann erweichende und
narkotische Bähungen und Breiumschläge in Gebrauch. Nach Mässigung
der entzündlichen Erscheinungen zeigen sich Einreibungen der Quecksil-
bersalbe, bei heftigen Schmerzen mit narkotischen Zusäzen z. B.Digitalis-
extract und Bilsenkrautöl, später fliegende Vesicantia von Nuzen. Inner-
lich reicht man für den Anfang salinische Abführmittel, Brechweinstein,
Calomel, bei massigem Fieber und geringerer Entzündung Nitrum, Digi-
talis, Potio Riveri mit Nitrum, Opium mit Nitrum. Kommt Suppurations-
fieber, so gibt man China, Mineralsäuren, Chlor. Ist die Entzündung
gebrochen , so muss die Behandlung gegen das zurückbleibende Oedem
gerichtet werden. Zu diesem Behufe wickelt man das ganze Glied mit
einer Flanellbinde massig fest ein und bedeckt dieses mit Wachstaffet.
Daneben lässt man die Resorption befördernde Mittel, Jodsalbe, reizende
Linimente einreiben und gibt innerlich Diuretica, namentlich Salpeter und
Fingerhut, schweisstreibende Mittel, Campher, Ipecacuanha, Antimon etc.,
zeitweise ein massiges Abführmittel , endlich Jodpräparate. — Bei der
nicht entzündlichen Schenkelgeschwulst kann man gleich mit den
die Resorption befördernden Mitteln beginnen. Neben einer geeigneten
Lage und der methodischen Compression wendet man Bähungen mit
Essig , erwärmtem Wein , Dampfdouchen , aromatische oder harzige Bä-
hungen und Räucherungen , alcalinische, salinische oder Jodbäder , rei-
744 PHOSPHORNEKROSE DER KIEFER.
zende Einreibungen, wie mit flüchtiger Salbe, mit Terpentinöl, mit Jod-
tinktur etc. , in hartnäckigen Fällen Hautreize , namentlich fliegende
Blasenpflaster an. Daneben darf die innerliche Anwendung der ver-
schiedenen die Secretion antreibenden Mittel nicht versäumt werden.
PhoSphomekrOSe der Kiefer. Diese neue , erst seit der
Einführung der Streichhölzerfabrication bekannte Krankheit beruht auf
der Einathmung der in solchen Fabriken herrschenden theils mit phos-
phoriger, theils auch mit Phosphorsäure geschwängerten Luft. Sie zeigt
sich bei Personen, welche längere Zeit in derartigen Fabriken gearbeitet
haben , und wird unter Vermittlung der mit Phosphorsäure gesättigten
Mundflüssigkeit erzeugt. Sie beginnt mit Zahnschmerzen in cariösen
Zähnen, deren Gegenwart ein wesentliches Bedingniss für ihre Entste-
hung zu sein scheint ; diese Annahme wird wenigstens durch die Beob-
achtung wahrscheinlich gemacht, dass die Fälle von Phosphornekrose viel
seltener geworden sind, seit man Arbeiter mit cariösen Zähnen nicht mehr zu-
gelassen hat. Doch ist damit nicht die Möglichkeit geläugnet, dass die
Phosphorsäure nicht auch zwischen dem Zahnfleische und dem Zahnhalse
in die Tiefe dringen könne. — Die nächste Wirkung der Phosphorsäure
ist die Erregung einer bald acuten , bald mehr chronischen Entzündung
der Zahn- und Alveolarbeinhaut , welche sich eben durch den genannten
Zahnschmerz zu erkennen gibt. Dieser Schmerz verbreitet sich bald
über mehrere Zähne , oft über die ganze Kieferhälfte , ist von einer An-
schwellung des Zahnfleisches und Neigung desselben zu Blutungen , so
wie von Schwellung der Lymphdrüsen des Halses gefolgt; weiterhin
werden die Zähne wacklig und fallen aus, und unter fortschreitender An-
schwellung des Zahnfleisches und der Wange bricht ersteres endlich an
mehreren Stellen auf und wird geschwürig. Mit der Sonde kann man
den entblössten Knochen fühlen , der endlich mit der Ausbreitung des
Uebels mehr oder weniger aus dem Zahnfleisch hervorragt und unter star-
ker Eiterung ausgestossen wird. Die Periostitis kann eine solche Aus-
dehnung erreichen, dass am Ende der ganze Ober- und Unterkiefer,
selbst das Keilbein und ein Theil des Stirnbeins ergriffen wird. In der
Regel findet in der Umgebung des kranken Knochenstücks eine reichliche
Osteophytenbildung statt , wodurch die Natur die Verluste zu ersezen
strebt ; nicht selten werden aber diese Neubildungen bald auch in den
Kreis der Zerstörungen mit hineingezogen und damit das Bestreben der
Natur, wenigstens theilweise, wieder vereitelt. — Mit diesen örtlichen
Störungen gehen allgemeine Hand in Hand : die Kranken fiebern, kommen
schnell von Kräften und die langwierige oft Jahre lange Eiterung und die
dabei nicht selten sich entwickelnde Lungentuberculose reiben sie häufig
auf. — Behandlung. Man sucht sich vor der Krankheit durch Vor-
binden von Masken und nassen Schwämmen vor den Mund, durch fleissige
Reinigung desselben , so wie durch die Entfernung schadhafter Zähne
PLASTISCHE OPERATIONEN. 745
oder wenigstens durch Ausfüllung derselben mit Wachs oder einem Zahn-
kitt zu schiizen. Stellen sich Zahnschmerzen ein, so verlässt der Arbeiter
am besten die Phosphorräume. Hat sich bereits Periostitis ausgebildet,
so verfährt man antiphlogistisch durch kalte Umschläge, Blutegel an das
Zahnfleisch, reichliche Scarificationen desselben, selbst durch einen Ader-
lass. Mit dem Zahnausziehen hat man sich in Betreff von Kieferver-
lezungen in Acht zu nehmen, bediene sich daher nur der Zange und
unterlasse es bei heftiger Entzündung ganz. Im weiteren Verlaufe sind
die entstehenden Phlegmonen frühzeitig zu incidiren ; das Gleiche hat zu
geschehen , wenn bereits Abscesse bestehen. Des Weiteren sorge man
für Reinigung des Mundes und überlasse die Abstossung des Sequesters
der Natur. Nur wenn dieser vollkommen gelöst ist , entferne man ihn
mit den Fingern oder der Kornzange. Ragt ein todtes Knochenstück in
störender Weise hervor , so kann man es vorsichtig mit einer scharfen
Zange abtragen. — Die innere Behandlung richte sich nach den Um-
ständen.
Plastische Operationen, operative Plastik, plasti-
sche Chirurgie, Chirurgia cur forum. Die organische Plastik
beabsichtigt die fehlenden Theile des Körpers durch andere lebende
Theile, und zwar fast ausschliesslich durch Hautstücke, welche anderswo-
her entnommen und an der Stelle desDefects an- oder eingeheilt werden,
zu ersezen. Das zum Ersaz des Defects bestimmte Hautstück (E r s a z -
läppen) kann entweder von demselben Körper hergenommen werden
(Autoplastik), oder auch von einem andern entlehnt sein (Hetero-
plastik). — Das characteristische Merkmal der in Rede stehenden
Operationen ist also im Allgemeinen die Transplantation eines Hautstücks,
welches aus seinem bisherigen Zusammenhange durch das Messer getrennt
und mit frisch wund gemachten Hauträndern an einer andern Stelle durch die
Naht vereinigt wird, um es daselbst anzuheilen. Die verschiedenen Grundme-
thoden, deren man sich bei plastischen Operationen überhaupt bedienen kann,
lassen sich im Allgemeinen als folgende bezeichnen : J ) Das Herbeizie-
hen der Haut aus der nächstenNähe nach Abtrennung derselben
von dem unter ihr liegenden Gewebe, wodurch die Haut viel verschiebbarer
und ausdehnbarer und hinreichend wird zur Deckung des Defects. Von
ähnlicher Wirkung sind: 2) seitliche Einschnitte (nach Dief-
fenbach) mit oder ohne Abtrennung der Haut von ihrer Unterlage.
Man macht auf einer oder auf beiden Seiten des Defects einen Schnitt,
der mehr oder minder parallel mit der Wunde sich hinzieht ; hierdurch
wird die allzugrosse Spannung in den zusammengenähten Partien vermin-
dert und das Herbeiziehen der Haut überhaupt möglich gemacht ; die
Schnitte selbst werden der Eiterung überlassen. 3) Seitliche Ver-
schiebung eines Hautlappens. Von dem einen Ende der
Wunde aus , welche bedeckt werden soll , niuss in diesen Fällen ein /
746 PLASTISCHE OPERATIONEN.
Schnitt in Winkelform 3 Halbkreisform etc. geführt werden , welcher die
eine Seite der Wunde zu einem verschiebbaren Lappen macht. 4) Trans-
plantation durch allmählige Weiterpflanzung des Lap-
pens. Roux verpflanzte einen von der Unterlippe genommenen, und
für die Wangenbildung bestimmten Hautlappen einstweilen auf die Ober-
lippe, Hess ihm Zeit sich einigermassen heimisch zu machen und pflanzte
ihn dann weiter. Auf diese Weise wird es möglich , Hautlappen nach
Theilen hinzuschaffen, in deren Nachbarschaft keine Haut zum Ersaze zu
finden ist. 5) Transplantation eines gestielten Lappens,
d. h. eines Hautstücks, das nur durch eine kleine Brücke, einen Stiel
(Nutrix) mit dem Mutterboden im Zusammenhange bleibt (erste in-
dische Methode). Dieser Lappen erfährt , um an seinen neuen
Standort zu gelangen, eine Drehung an dem Stiele, welcher schliesslich,
wenn die Anheilung erfolgt ist, durchschnitten wird. S. Rhinoplas-
tik. 6) Entlehnung der Haut von einem entfernt liegen-
den Körpertheile. Dabei wird entweder die Stelle des Defects die-
sem Körpertheile genähert, z. B. der Oberarm der Nase, und zwar erst
nachdem der zu ersezende Theil vollständig gebildet ist (italienische
oder Tagliacozzi'sche Methode) oder ohne diese Vorbereitung
(deutsche oder Gräfe 'sehe Methode), oder aber es wird ein
gänzlich aus seinem Zusammenhange gelöstes Hautstück zur Ausgleichung
eines Defects verwendet (zweite indische Methode). Vergl.
Rhinoplastik. ■ — Bei der Bildung der Ersazlappen müssen verschie-
dene Umstände berücksichtigt werden. Zuerst muss die Beschaffen-
heit der Haut, aus welcher man den Lappen nehmen will , wohl er-
wogen werden. Je grösser ihr Gef ässreichthum , ihre Derbheit und
Dehnbarkeit, je geringer ihre Contractilität , desto brauchbarer ist sie im
Allgemeinen zu plastischen Operationen. Die Haut der Extremitäten
eignet sich, weil ihr diese Eigenschaften abgehen, nicht zu solchen Ope-
rationen, nur die Vola manus und die Planta pedis machen hierin
eine Ausnahme. Die Haut des Rückens und der Baucbwand ist schon
besser , am geeignetsten ist aber die des Gesichts , namentlich gilt dies
von der Haut der Stirne und Nase ; sie eignet sich ihrer Derbheit und ge-
ringen Contractionsvermögens wegen besonders zu gestielten Lappen,
während die leicht verschiebbare und dehnbare Haut der Wangen und
Lippen sich mehr zum Ersaz vonDefecten durch Hautverschiebung eignet.
— Bei dem Ausschneiden des Ersazlappens muss auf das Einschrumpfen
desselben Bedacht genommen werden. Je nach der grösseren oder ge-
ringeren Dicke der Haut wird man das Modell oder die Bezeichnung der
Endpunkte für den Hautlappen um ein Viertheil bis ein Dritttheil grösser
machen müssen, als die angestellte Messung ergab. — Von Wichtigkeit
sind die Veränderungen , welche der transplantirte Hautlappen durch-
läuft. Unmittelbar nach seiner Ablösung erblasst er, wird kühl und con-
trahirt sich , worauf er nicht selten durch den gehinderten Rückfuss des
POLYPEN. 747
Blutes durch die Venen des Stiels eine bläuliche Färbung bekömmt.
Angeheftet bekömmt er wieder etwas natürliche Röthe und Wärme,
welche sich nach einiger Zeit bis zur Entzündung steigern können, womit
auch eine Anschwellung des Lappens verbunden ist. Alles dies ist in
massigem Grade erwünscht. Denn wenn sich die blaue Färbung erhält,
so kann dies ebenso zum brandigen Absterben des Lappens führen , als
wenn er blass und schlaff bleibt. Bei zu hoher Steigerung der entzünd-
lichen Zufälle macht man kalte Umschläge und sezt einige Blutegel an.
Nach einigen Tagen lässt dieser Zustand wieder nach und der Lappen
erhält nach und nach die natürliche Hautfarbe. Bemerkenswert!! ist,
dass der Kranke nicht selten bei Berührung des Lappens in der ersten
Zeit die Empfindung davon an der früheren Stelle des Lappens hat, was
seine Erklärung darin findet , dass in dem Hautlappen unverlezte
Nervenäste verlaufen. — Der günstigste Zeitpunkt für die Anheftung
ist, wenn das Aussickern des Blutes aus den Wundrändern des Ersazlap-
pens aufgehört hat. Zur Vereinigung bedient man sich der blutigen
Naht und zwar je nach der Localität der umschlungenen oder Knopfnaht.
— Ein besonderes Verfahren wird nothwendig , wenn die eine Seite des
Ersazlappens frei, d. h. unangeheftet bleibt, wie es bei dem organischen
Ersaze der Nase, der Lippen etc. der Fall ist, indem ein solcher frei blei-
bender Rand in Folge der Narbencontraction sich so bedeutend zurück-
zieht, dass der Zweck der Operation vereitelt werden kann. Um dies zu
verhüten gibt es verschiedene Wege: entweder macht man den Lappen in
der Richtung des frei bleibenden Randes absichtlich zu lang, oder man
schlägt diesen Rand um und heftet ihn an (s. Rh in oplas tik) , oder
umsäumt ihn mit benachbarter Schleimhaut. Lezteres Verfahren kommt
nicht blos da in Anwendung , wo es sich von dem Zurückweichen eines
freien Hautrandes handelt, sondern auch überall da , wo das Verwachsen
neu gebildeter Oeffnungen verhütet werden soll , wie bei der Operation
des verschlossenen Mundes, der Lippenbildung etc. S. diese Artikel.
PlattfilSS, s. K 1 u m p f u s s.
PolypGIl, Polypi (ttoIvc , viel, novg, Fuss) werden gestielte
Auswüchse der verschiedensten Form und Grösse genannt , welche sich
auf den Schleimhäuten der verschiedenen Höhlen entwickeln. Sie haben
ursprünglich nur einen Fuss , mit welchem sie auf der Schleimhaut auf-
sizen , doch können sie Verwachsungen mit ihrer Schleimhauthöhle oder
mit der Oberfläche anderer Polypen eingehen und so wirklich vielfüssige
Gewächse darstellen. Die Gestalt der Polypen ist im Beginne ihrer Ent-
stehung meist birnförmig ; in ihrer weiteren Entwicklung können sie in
Folge des Drucks der umschliessenden Höhlen die mannigfaltigsten Verän-
derungen erfahren ; nicht selten kriechen sie oft weithin. — Man theilt
die Polypen nach ihrem Size in Polypen der Nase, des Uterus, des Mast-
darms etc. ; nach ihrer Structur in weiche und harte Polypen. — Die
748
POLYPEN.
weichen, Schleim- oder Blasenpolypen sind im Allgemeinen
weisslich graue oder gelbliche, halbdurchscheinende Gewächse, die von
einem Schleimhautepithelium umhüllt sind und im Innern aus lockerem
Bindegewebe bestehen, das grössere Zellenräume bildet, in welchen eine
eiweissartige Flüssigkeit enthalten ist. Drückt man solche Polypen zu-
sammen, so zerreisst das zarte Gewebe , die Flüssigkeit ergiesst sich und
das Gewächs fällt zusammen! Diese Polypen wachsen gewöhnlich schnell,
vergrössern sich bei feuchter , vermindern sich bei trockener Witterung
und sind häufig zu gleicher Zeit mehrfach vorhanden. Ihre Entstehung
scheint besonders durch Erschlaffung der Schleimhaut begünstigt zu wer-
den, und gewöhnlich gehen dieser als veranlassende Ursachen anhaltende
oder öfters wiederkehrende hyperämische oder entzündliche Zufälle der
Schleimhaut voraus, welche sich durch Anschwellung derselben, durch
periodische Blutungen, veränderte Secretion u. s. w. aussprechen.
Der chronischen Schleimhautentzündung liegen oft dyscrasische Zu-
stände zu Grunde. Unter solchen Umständen bildet sich im sub-
mucösen Zellgewebe reichlicheres Exsudat, die Schleimhaut wird
stellenweise emporgehoben, diese Aufwulstung vergrössert sich zur Ge-
schwulst, welche nach und nach durch freie Entwicklung nach einer
Richtung hin und durch Hängen eine gestielte Form erhält. — Die. har-
ten, Fleisch- oder Faserpolypen enthalten viel weniger Flüssig-
keit^ bestehen grösstentheils aus Fasern und zeigen alle die Modificatio-
nen , welche man bei den Fasergeschwülsten antrifft , nämlich bald zeigt
der Polyp ein mehr oder minder gef ässreiches Bindegewebe, bald gleichen
die Fasern mehr den einfachen Muskelfasern , bald mehr denjenigen der
fibrösen Gebilde, was eine mehr oder minder grosse Derbheit der Polypen
bedingt und die Unterscheidung in Fleisch- und Faserpolypen begründet.
Sie dringen tiefer in das submucöse Gewebe als die vorhergehenden ein
und gelangen selbst auf das Periost. Deshalb haften sie auch fester auf
ihrer Unterlage. Sie bleiben häufig klein , zuweilen erreichen sie aber
auch eine beträchtliche Grösse , gestalten sich dann weniger nach der
Höhle , in der sie sich entwickeln , sondern treiben oft durch Druck die
knöchernen Wandungen der Höhle auseinander. Ihre Oberfläche ist
meist glänzend, bisweilen mit Furchen und Einschnitten versehen, oft ver-
breiten sich auch erweiterte grosse Gef ässe über sie hin, in welchem Falle
sie, besonders wenn sie eingeklemmt sind, ein rothes oder bläuliches Aus-
sehen haben und nicht selten zu bedeutenden Blutungen Anlass geben. —
Die Fleischpolypen verdanken ihre Entstehung fast immer einer par-
tiellen Schleimhautwucherung, veranlasst durch chronische Entzündung, sie
erscheinen daher anfangs als warzenartige Excrescenzen, die erst nach und
nach eine gestielte Form annehmen ; zuweilen entwickeln sie sich auch aus
weichen Polypen. Man findet sie auf allen Schleimhäuten, besonders an der
Uebergangsstelle zur äussern Haut. Die fibrösen Polypen entwickeln
sich bald aus den Fleischpolypen , wenn das Gebilde zusammengepresst
POLYPEN.
749
wird, bald und zwar gewöhnlich entstehen sie ursprünglich als solche aus
tieferen Schichten und erhalten einen schleimhäutigen Ueberzug nur durch
Hervordrängung der Schleimhaut. Diese Form der harten Polypen zeigt
sich einerseits an Schleimhäuten, welche über Knochen hingehen , wie an
der hintern und obern Pharynxwand und in den Nasenhöhlen, wo sie mit
der Beinhaut und den Knochen zusammenhängen, andererseits , und dies
am häufigsten, in der Gebärmutter, wo sie von deren Fleischsubstanz aus-
gehen. — Eine dritte Art von Polypen sind die bösartigen, welche
man als s c i r r h ö s e und f u n g ö s e unterscheidet ; es ist dies ein Krebs
oder Markschwamm , der sich in der Form von Polypen entwickelt. —
Prognose. Die weichen Polypen , die einen weniger heftigen Druck
auf ihre Umgebungen ausüben und sich leichter entfernen lassen, sind bei
weitem gefahrloser als die harten. Je breiter die Basis des Polypen ist,
um so schwieriger ist seine Entfernung ; dasselbe ist der Fall, je entfern-
ter sie von den Eingängen der Höhle wurzeln und je mehr ihre Grösse
die Anwendung der geeigneten Instrumente erschwert. Recidive sind
auch bei vollständiger Entfernung nicht selten , immer aber um so mehr
zu besorgen, wenn ein Stück bei der Operation zurückgeblieben ist. —
Weit verbreitete Eiterung und Versch wärung , veranlasst durch zahlreiche
Polypen, häufig wiederkehrende Blutungen können nebst den heftigen,
diese Zufälle begleitenden Schmerzen zur Todesursache des Kranken
werden. — Behandlung. So lange der Polyp noch klein und weich
ist , kann man versuchen , eine Zurückbildimg desselben herbeizuführen.
In dieser Absicht richtet man seine Thätigkeit gegen die veranlassenden
Ursachen, sezt Blutegel in der Nähe an, macht Einsprizungen von kaltem
Wasser, von Alaun, schwefelsaurem Zink und Eisen, Bleizucker, Höllen-
stein, bringt einen Druck an etc. Man verliere aber mit diesen Mitteln
nicht viel Zeit und hüte sich, das Uebel damit noch schlimmer zu machen.
Zuverlässiger ist die Entfernung der Polypen auf operativem Wege ; diese
wird bewirkt durch Ausreissen, Abbinden, Abschneiden, Zerstörung durch
Aezmittel oder das Glüheisen, durch Zerquetschen, Einziehen eines Haar-
seils ; häufig ist die Combination einzelner dieser Verfahren nothwendig.
Die Wahl der einzelnen Operationsmethoden hängt von der Besonderheit
des Falls ab. — Das Ausreissen eignet sich besonders für diejenigen
Polypen , welche einen dünnen und zugängigen Stiel haben und an einer
unnachgiebigen Wand sizen, welche dem Zuge nicht folgt. Man bedient
sich hierzu der Zange oder Schlinge und dreht oder reisst sie geradezu
ab. Das Ausreissen ist eine einfache Operation und gewährt den Vor-
theil , dass der Polyp mit der Wurzel entfernt wird, daher seltener Reci-
dive folgen uud weniger leicht Blutung eintritt. — Das Abbinden der
Polypen mit einer einfachen , um die Basis gelegten, oder mit mehreren
um und durch die Basis geführten Schlingen ist umständlich, länger
dauernd und schmerzhaft, auch verursacht es heftige Anschwellung und
Zersezung des Polypen , sichert aber vor Blutungen. Es ist daher nur
750 PRURIGO.
bei blutreichen Polypen, die an beweglichen Wandungen sizen, eine breite
Wurzel haben und für Werkzeuge zum Ausreissen oder Ausschneiden
nicht zugänglich sind, angezeigt. Wo das E er as em e nt lin e air e
(s. Abbinden) und die galvanocaustische Schneideschlinge (s. Elec-
trotherapie) anwendbar sind, kann die Entfernung der Polypen schnel-
ler und mit weniger Beschwerde für den Kranken als auf die gewöhnliche
Weise bewerkstelligt werden. — Das Abschneiden ist nur da mög-
lich , wo man der Wurzel des Polypen gut beikommen und auch nach-
her blutstillende Mittel anwenden kann, da hier am ehesten Blutung
zu fürchten ist. Recidive stellen sich nach dieser Operationsmethode
gern ein , wenn die zurückbleibende Wurzel nicht nach der Exstirpation
noch durch Aezmittel oder das Feuer zerstört wird. — Zuweilen ist eine
partielle Abschneidung eines Polypen als Hülfsoperation nothwendig , um
den nöthigen Eaum für eine der andern Methoden zu gewinnen. Auch
kann man einen Polypen vorerst umbinden und dann abschneiden , um
Blutung zu verhindern. — Die übrigen Operationsmethoden finden nur
eine sehr beschränkte Anwendung. Das A e z e n und besonders das
Brennen mit dem Glüheisen ist nur auf die sogenannten bösartigen
Polypen beschränkt und wird des Weitern zur Zerstörung von Polypen-
resten und zur Stillung von Blutungen nach andern Operationen benuzt.
— Das Zerquetschen passt nur bei Blasenpolypen zur Verkleinerung
derselben, um Raum zu schaffen für einen leichteren Angriff ihrer Basis.
— Das Einziehen eines Haarseils empfahl Weinhold bei Polypen
der Highmorshöhle, und Hoffmann beseitigte dadurch einen Polypen
in der Stirnhöhle.
Prurigo, Pruritus, Jucken der Haut. Dieses eigenthüm-
liche Leiden des Hautorgans begleitet symptomatisch mehrere Exantheme
besonders chronischer Form, kommt jedoch als eine selbstständige und
für sich bestehende x^ffection besonders an den Genitalien (Pruritus
partium genitalium) alter Wittwen und Jungfrauen (Prurigo
vulvae), am After junger Knaben und Erwachsener (Prurigo podi-
c i s), am Mittelfieische und After der Gicht- und Goldaderkranken (P r u-
ritus arthriticus, haemorrhoidalis) vor und kann bei atra-
bilärer oder psorischer Schärfe so heftig und hartnäckig werden, dass der
Kranke bei Tag und Nacht keine Ruhe hat und endlich an der Abzehrung
sterben kann. — Behandlung. Diese muss zuerst auf Entfernung
der Ursachen, z. B. Menstrualstockungen, Ascariden, psorische, gichtische
Dyscrasien gerichtet werden ; sind diese beseitigt, dann erst schreite man
zu örtlichen Mitteln, Waschungen mit dem Seifen wasser der Kokosnussöl-
seife, schwachen Sublimatlösungen in Rosenwasser, Sublimat gr. ij auf
A q. c a 1 c i s 5 j ; eine starke Auflösung von Borax in Wasser zum Waschen
und Einsprizen 4 — 5 Mal des Tags (Rp. Borac. 5ij , Aq. de still,
^vj, Aq. laur o ceras i 5j. M.) , von chlorsaurem Natron (Rp. Natr.
PSEUDARTHROSIS. 751
chlorat. 5ij, A q. des tili, ^iv, solve. S. Zum Waschen) bei Pru-
ritus vulvae junger Mädchen in der Pubertätsentwicklung und bei
Frauen nach Ausbleiben der Reinigung ; von Kali bicarbonicum,
Kali sulphuratum (Rp. Kali bicarbon. 5j , — sulphurat.
5ij , A q. destill, ^jsolv. S. Waschwasser), Waschungen mit ver-
dünntem aromatischen Essig , Schwefellebersolution , bei Pruritus a r -
thriticus Einreibungen von Kalkwasser mit Weingeist, bei Prurigo
senilis Infrictionen der Pix liquida (^j) mit Opium (5j) und Fett
(^iv), innerlich Vinum colchici 5ß täglich. Bei Pruritus glan-
d i s nach geheilten Trippern legt man ein kleines Blasenpflaster auf das
Mittelfleisch , bringt Bougies in die Harnröhre und macht Waschungen
mit Bleizucker , Eisenvitriol oder Sublimat. Bei Pruritus vulvae
applicirt man einige Blutegel in die Nähe der Schamtheile , wäscht diese
Öfters mit einer Solution von Kali bicarbonicum in Gerstenwasser
und lässt Copaivabalsam zu 2 0 Tropfen einige Mal täglich nehmen. —
Einige weitere gerühmte Zusammensezungen sind : Rp. Jodureti sul-
phur. »)j — 5ß, Ungt. rosat. ^j. M. f. liniment. S. In die jucken-
den Stellen einzureiben. — Rp. Sulphat. zinci arte f a ct. 5ij,
solv. in Infus, flor. althaeae ex 5ß par. 5vj. S. Waschwasser
(bei Prurigo pudendi et prurigo haemorrhoidalis). — Rp.
Kreosoti 5ß , Aq. destill. Jvj. M. S. ZuFomenten (bei Prurigo
scroti). — Rp. Jodii puriss. gr. xv, Kali hydrojod. *)ij solv.
in Aq. de still. 3jv, adde Alcohol. 5J. M. S. Alle 2 Stunden die
juckenden Stellen mittels eines Waschschwämmchens damit zu befeuchten
(bei Prurigo perinaei et vulvae; im lezteren Falle sehr verdünnt).
PseudarthrOSis (ipavfyg, falsch, aQ&QOOGig, Gelenk), fal-
sches, widernatürliches Gelenk, heisst jeder veraltete , nicht
durch Knochenmasse, sondern nur durch ein bandartiges Gebilde zur Ver-
einigung gekommene Knochenbruch , wodurch an der Stelle des Bruchs
eine widernatürliche Beweglichkeit , wie von einem daselbst befindlichen
Gelenke, entsteht. — Die falschen Gelenke machen das davon befallene
Glied mehr oder weniger unbrauchbar. — Die Stellung der Bruchenden
in dem widernatürlichen Gelenke zu einander kann eine sehr verschiedene
sein und darnach auch seine Festigkeit und Beweglichkeit. Bald stehen
die Bruchenden gegen einander , berühren sich mit mehr oder weniger
Oberfläche, und sind entweder nur durch eine fibröse Masse mit einander
verbunden, so dass die Verbindung einer Synehondrose gleicht ; oder die
Bruchenden sind glatt, überknorpelt, von einer serösen und fibrösen Kap-
sel umschlossen , die eine der Synovia ähnliche Flüssigkeit enthält , und
das Gelenk hat die grösste Aehnlichkeit mit einer Diarthrose. Bei
dieser Art von Gelenk findet man bisweilen einen Zwischenknorpel und
die Bruchenden so verändert, dass das eine, gewöhnlich das beweglichere,
eine Gelenkhöhle, das andere einen Gelenkkopf darstellt. Zuweilen sind
752 PSEUDARTHROSIS.
die Brückenden in gar keiner directen Verbindung mit einander, sondern
durch zwischenliegende Weichtheile von einander getrennt und mit diesen
durch ligaruentöse Massen verwachsen , was immer eine sehr grosse Be-
weglichkeit zur Folge hat. Nicht immer fehlt bei den Pseudarthrosen
die Callusbildung ganz , sondern es finden sich mitunter sehr merkliche
Callusgeschwülste. — Die Ursachen des falschen Gelenks sind ent-
weder örtliche oder allgemeine constitutionelle. Zu den ersten gehören :
schlechte Einrichtung des Bruchs, zu lockerer Verband, häufige Bewegung
des Bruchs , zu fester Verband und zu lange fortgesezte Anwendung der
Kälte, wodurch die Exsudatbildung und Organisation derselben behindert
werden ; ferner zwischen den Bruchenden liegende Weichtheile , lose
Knochensplitter etc. Zu den allgemeinen Ursachen sind zu rechnen :
zu wenig nährende Diät , hohes Alter , Schwangerschaft, gewisse dyscra-
sische Zustände , namentlich scorbutische , syphilitische, mercurielle, car-
cinomatöse Dyscrasie. — Die Bildung der Pseudarthrosen geht unter
der Einwirkung der genannten Ursachen entweder in der Weise vor sich,
dass gleich ursprünglich das Exsudat keine Tendenz zur Verknöcherung
hat, sondern sich zu fibrösem Gewebe umgestaltet, oder dass das Exsudat
bis zur knorpligen Beschaffenheit gelangt , dann aber in solcher verharrt,
oder endlich, dass verknöcherter Callus durch Resorption wieder zu einer
frühern Bildungsstufe zurückkehrt und knorplig wird. — Der Zeitpunkt,
wenn eine feste Vereinigung bei Knochenbrüchen zu Stande kommt, ist
zwar sehr verschieden , doch kann man das widernatürliche Gelenk als
ausgebildet betrachten , wenn schon sechs und mehr Monate verflossen
sind , ohne dass eine feste Vereinigung eingetreten ist. — Behand-
lung. Diese hat die Aufgabe, die Verknöcherung der nicht vereinigten
Bruchstelle herbeizuführen , oder wenn dies nicht gelingt , dem Knochen
durch geeignete Verbände eine solche Festigkeit zu geben, dass er wenig-
stens einigermassen seinen Verrichtungen nachkommen kann. In ersterer
Absicht zieht man , je nach den zu Grunde liegenden Ursachen innere,
auf die Callusbildung wirkende Mittel in Gebrauch, fixirt die Bruchenden
gehörig, sezt, wenn die milderen Mittel nicht zum Ziele führen, die
Bruchenden in Entzündungszustand, oder entfernt oder zerstört die sie
verbindende Zwischensubstanz. — Innere Mittel finden neben einem pas-
senden Verbände ihre Anwendung, wenn bei zögernder oder mangelhafter
Verknöcherung oder eintretender Rückbildung allgemeine Krankheitsver-
hältnisse zu Grunde liegen, und müssen nach der Natur dieser verschieden
sein. Bei mangelhafter Ernährung reicht man neben einer nahrhaften
Diät tonisirende Mittel, China, Eisen u. dgl. ; die bestehenden Dyscrasien
müssen ihrer Natur nach behandelt werden. — Ist häufige Bewegung der
Bruchenden die wahrscheinliche Ursache der Nichtvereinigung , so kann
besonders bei frischen Synchondrosen ein anhaltender fester Contentiv-
verband, bestehend in einem Schienen- oder Pappverbande, oder bei
Schiefbrüchen eine permanente Extension in Verbindung mit einem die
PSEUDARTHROSIS. 753
Verriickung der Bruchenden hindernden Verbände versucht werden. —
Erreicht man auf diesem Wege seinen Zweck nicht , so sucht man eine
Entzündung und Ausschwizung an der Bruchstelle zu erregen. Die hierzu
dienenden Mittel sind zahlreich und bestehen: 1) in der Anwendung von
Reizmitteln auf die Decken der Bruchstellen ; solche Mittel sind : Ein-
reibungen von geistigen Mitteln, Bestreichen mit Jodtinktur, Blasenpflaster,
die Anwendung von Aezmitteln ; 2 ) in dem Aneinanderreihen der
Bruchenden, welches man so lange fortsezt, bis die Bruchstelle empfind-
lich wird, worauf man die Bruchenden in anhaltender Ruhe erhält. Einige
Hessen auch bei gebrochenem Ober- oder Unterschenkel die Kranken mit
einem festen Verbände versehen umhergehen. Dieses Verfahren passt
wie das vorige nur bei frischen Fällen; 3) in der Einführung von
Nadeln zwischen die Bruchenden , die man entweder längere oder kür-
zere Zeit , je nach dem Eintritte der Reaction , liegen lässt , oder aber
mittels deren Spize man durch Hin- und Herbewegen die ligamentösen
Verbindungen zu trennen sucht. B i o n d i gebraucht in lezterer Absicht
ein nadeiförmiges zweischneidiges Messerchen; 4) in der Anbohrung
der Bruchenden und Einführung von elfenbeinernen Zapfen in die Bohr-
kanäle nach Dieffenbach. Die Zapfen bleiben an Ort und Stelle, bis
Reaction eintritt, worauf man sie mit einer Zange auszieht; 5) in der
Einführung eines Haarseils, das man, je nachdem man nur Entzün-
dung und plastische Ausschwizung, oder aber zugleich Vereiterung, somit
Zerstörung der zwischen den Bruchenden befindlichen faserigen oder
knorpeligen Massen bewirken will , kürzere oder längere Zeit beibehält.
Das temporäre Haarseil passt bei veralteten Synchondrosen , das liegen-
bleibende bei Diarthrosen, bei denen die Resection nicht auszuführen ist.
Zur Operation, bei welcher man die Bruchenden aus einander ziehen lässt,
bedient man sich einer starken Nadel , die man unter Vermeidung von
Nerven, Gefässen und Sehnen zwischen den Bruchenden durchsticht und
die Schnur einzieht. Die Nachbehandlung ist wie bei dem Haarseil über-
haupt (s. d.). Das temporäre Haarseil entfernt man nach einigen Tagen,
das liegenbleibende lässt man am Plaze, bis die Bruchstelle sich zu con-
solidiren anfängt; 6) in der Anwendung einer Ligatur. Dieses von
Somme vorgeschlagene Verfahren besteht in der allmäligen Durchschnei-
dung der fibrösen Zwischensubstanz mittels eines Silberdrahts. Die
kranke Extremität wird an der Stelle der Pseudarthrose an deren einer
Seite mit einem langen Troicart durchbohrt , das Stilet zurückgezogen
und an dessen Stelle das eine Ende eines langen Silberdrahts durch die
Canüle hindurchgeführt. Alsdann wird auch diese entfernt und der Troi-
cart auf der andern Seite des falschen Gelenks in derselben Richtung
durch das Glied gestossen, und zwar so , dass seine Spize durch dieselbe
Ausstichstelle, wie beim ersten Male hervortritt. Nach weggenommenem
Stilet wird der Silberdraht in der Art durch die Canüle gezogen, dass die
beiden Enden des Drahts sich inBerühung befinden, auf der andern Seite
Burger, Chirurgie. 48
754 PSEUDARTHROSIS.
aber eine Schlinge bilden , welche die Zwischensubstanz umfasst. Die
Weichtheile, welche sich zwischen den beiden Einstichspunkten befinden,
werden nun in der Richtung von dem einen zum andern bis auf den
Knochen durchschnitten, die Drahtschlinge aber allmälig immer fester zu-
sammengedreht, so dass durch sie die von ihr umfassten Weichtheile, ins-
besondere also die fibröse Zwischensubstanz zusammengeschnürt und
durchschnitten werden. Somme erzielte mit diesem Verfahren die Con-
solidation bei einem Schenkelbruche innerhalb 6 Wochen ; während der
Kur lag das Glied in einer Bruchlade; 7) in dem Zerreissen oder
Zerbrechen der Zwischensubstanz, welches nach Günther geschieht,
indem man die Bruchstelle stark über das Knie biegt. Führen auch diese
Mittel nicht zum Ziele , so bleibt nur die directe Entfernung oder Zer-
störung der die Bruchenden verbindenden fibrösen und cartilaginösen
Zwischenmasse übrig. Dies wird durch die Resection und Cauterisation
ins Werk gesezt. — Behufs der Resection wird die Bruchstelle durch
einen hinreichenden Längenschnitt an der Seite des Glieds, wo der Kno-
chen am oberflächlichsten liegt und Gef ässe und Nerven geschont werden
können, blossgelegt , von den umgebenden und verbindenden Theilen ge-
trennt , zur Wunde herausgedrückt , die Weichtheile durch eine unterge-
legte Platte gesichert und dann der fibröse oder knorpelige Ueberzug mit
der Säge, Knochenscheere, Kneipzange oder dem Messer abgetragen , bis
eine reine Knochenfläche sich darbietet. Kann man nicht beide Bruch-
enden aus der Wunde herausführen , so resecirt man blos das eine und
scarificirt oder cauterisirt das andere. Nach der Operation bringt man
die Knochenenden in gehörige Lage , vereinigt die Wunde nach gestillter
Blutung durch Heftpflaster oder die Naht und legt einen provisorischen
Bruchverband an ; im Uebrigen verfährt man wie bei einem mit einer
Wunde complicirten Bruche. Die Resection ist eine Operation, die den
beabsichtigten Zweck am gründlichsten erfüllt, aber auch das eingreifend-
ste Verfahren unter allen blutigen Eingriffen bei der Pseudarthrose. Man
unternimmt sie daher nur, wenn mildere Verfahren fruchtlos versucht wor-
den sind, hauptsächlich bei Diarthrosen. Die üblen Folgen , welche ein-
treten können , sind heftig ausgebreitete Entzündung , profuse Eiterung,
Pyämie, Caries etc. Die Resection bedingt immer Verkürzung des Glieds.
— Die Cauterisation wird entweder, wie bereits oben angegeben
wurde, blos aushülfsweise, oder aber für sich allein angewendet. In lez-
terer Absicht legt man die Bruchfläche bloss und lässt Aezmittel , z. B.
Spiessglanzbutter, Chlorspiessglanz, Spiritus nitri fumans, Aezkali
etc. längere oder kürzere Zeit nach vorheriger Wegnahme der membra-
nösen Masse auf die Knochenenden einwirken. B a r t o n legt das falsche
Gelenk vor dem Aezen nicht bloss, sondern äzt zuerst die Decken durch,
und dann die zwischen den Knochenenden liegende ligamentöse Masse.
Mayor stach einen dicken Troicart zwischen den Bruchenden durch und
Hess die Canüle 8 Stunden lang liegen , während welcher Zeit mehrmals
PSOASENTZUENDUNG. 755
ein bis zur Temperatur des siedenden Wassers erhizter Eisenstab in sie
eingeführt, wurde. — Schlagen alle diese Mittel fehl , so kann nur von
einer palliativen Hülfe die Rede sein, indem man dem Gliede einige Festig-
keit giebt. Dieses erreicht man durch geeignete Verbände. Am besten
eignen sich hierzu gepolsterte Metallschienen , die so eingerichtet sein
müssen, dass das Hauptgefäss des Gliedes nicht comprimirt wird. Bail-
1 i f hat einen solchen Verband angegeben. An den obern Extremitäten
ist ein solcher Verband von Nuzen, an den untern dagegen kann man der
Krücke nicht entbehren.
Psoasentztindung, Psoitis. Diese Entzündung hat ihren
Siz in dem Musculus psoas und quadratus lumborum und in
dem sie umgebenden Zellgewebe. — Symptome. Diese sind ver-
schieden, je nachdem das Leiden acut oder chronisch auftritt. Im ersten
Fall fühlt der Kranke zuweilen plözlich Schmerzen in den Lenden und
kann nur mit Beschwerde gehen, oder es geht den Schmerzen, die sich
nur allmälig verstärken, eine prickelnde Empfindung voraus. Der Schmerz
erstreckt sich auf den Schenkel hinunter , oft bis zum Knie. Er wird
heftiger , wenn der Kranke den Schenkel aufheben oder strecken , über-
haupt den Körper gerade richten will , was ihn nöthigt, den Schenkel in
halber Beugung zu erhalten. Die äussere Berührung der Lendengegend
vermehrt den Schmerz nicht. Meistens ist heftiges Fieber zugegen. Die
chronische Psoitis dagegen entzieht sich , zumal in ihrem Beginne , nicht
selten der Wahrnehmung. Die Schmerzen sind wenig constant, bestehen
oft nur in einem leichten Prickeln , die Bewegungen des Schenkels er-
regen nur ein unbestimmtes Unbehagen und das Gehen ist , wenn der
Körper etwas vorgebeugt ist, nicht gehindert. Dagegen ist das Umdrehen
im Liegen und das Heben schwerer Lasten oft sehr empfindlich. Das
Fieber ist gering oder fehlt ganz. — Ursachen. Sie sind äussere
Gewalttätigkeiten , heftige Anstrengungen , Erkältung , Rheumatismus,
Gicht, dyscrasische Leiden aller Art. — Ausgänge. Diese sind : Zer-
theilung , welche meist gelingt , wenn das oft gelind auftretende Leiden
nicht vernachlässigt wird ; Eiterung , wobei die anfangs sehr heftigen
Schmerzen unter Frostanfällen gelinder werden, das entzündliche Fieber
einen schleichenden Charakter annimmt und der gewöhnlich über eine
weite Strecke des Zellgewebes sich verbreitende Eiter sich einen Ausweg
nach aussen sucht (Pso as -Ab s ce s s). In chronischen Fällen lässt sich
der Eintritt der Eiterung schwer erkennen und dieselbe wird erst offen-
bar, wenn der Eiter bis unter die Haut vorgedrungen ist. Dieser Con-
gestionsabscess kommt an sehr verschiedenen Stellen zu Tage, unter dem
Poupart'schen Bande , in der Nähe des Mastdarms , auf dem Rücken etc.
Sehr häufig ist mit der Eiterung Caries der Lendenwirbel verbunden,
welche indessen Ursache oder Folge der Eiteransammlung sein kann. —
Prognose. Sie ist bei der acuten Form nicht ungünstig, insofern hier
48*
756 PULSADERGESCHWULST.
die gewöhnlich zeitig nachgesuchte Hülfe in den meisten Fällen die Zer-
theilung möglich macht ; bedenklich ist sie dagegen bei der chronischen
Psoitis, die manchmal so schleichend auftritt , dass man sie erst bemerkt,
wenn schon Eiterung und anderweitige Zerstörungen eingetreten sind. —
Behandlung. Sie richtet sich nach dem Grade der Entzündung und
ihrer Ursache. Bei heftiger Entzündung und bestehender Plethora lässt
man zur Ader , sonst sezt man Blutegel oder Schröpfköpfe. Daneben
Ruhe, Aufenthalt im Bette, innerlich Salpeter, kühlende Abführmittel oder
Calomel. Mindert sich die Entzündung, so wendet man flüchtige Salben
und Blasenpflaster an. Bei mehr schleichendem Verlaufe zieht man je
nach der Ursache warme Bäder , Dampfbäder , Tropf bäder , Vesicantien,
flüchtige Salben, Guajac, Schwefel, Dower'sches Pulver, Campher etc.
und in hartn äckigen Fällen Moxen oder Acetas morphii auf die mit
Acidum sulphuricum entblösste Haut in Gebrauch. — Geht die
Entzündung in Eiterung über, so kann man versuchen, den sich bildenden
Abscess durch lange offen gehaltene Blasenpflaster oder Fontanellen in
der Lendengegend und eine innere stärkende Behandlung zu zertheilen.
Gelingt dies nicht und wird der Abscess immer grösser , so öffnet man
ihn unter den in dem Artikel Senkungsabscess angegebenen Cau-
telen. Die Nachbehandlung muss eine stärkende sein.
PlÜSadergeSChwulst, Schlagadergeschwulst, Aneu-
rysma (ai'svqvvoo , ich erweitere) nennt man jede mit der Höhle einer
Arterie communicirende , Blut enthaltende Geschwulst. Man theilt die
Pulsadergeschwülste ein: 1) nach den Ur s achen in sp o nt an e und
traumatische, je nachdem eine organische Veränderung oder eine
äussere Verlezung die Ursache ist; 2) nach ihrem Size in äussere und
innere, die sich an den Arterien des Kopfes , Halses und den Glied-
massen , oder innerhalb der grossen Körperhöhlen bilden ; 3) nach dem
Wesen oder den pathologischen Veränderungen der Arterien in wahre
und falsche, je nachdem die Geschwulst durch Ausdehnung der Arte-
rienhäute oder durch Verwundung derselben entstanden ist.
I. Das wahre oder spontane Aneurysma, Aneur. verum,
welches in der Erweiterung sämmtlicher Arterienhäute besteht , kommt
unter vier Hauptformen vor, welche oft mit einander verbunden sind oder
in einander übergehen. Sie sind : 1) das s a ckf ör m i ge Ane ury s ma,
A. sacciforme, wo die Arterie an einem Punkte ihres Umfangs eine
sackförmige Hervorragung zeigt ; 2 ) das spindelförmige Aneu-
rysma , A. fus i forme , wo der ganze Umfang des Arterienrohrs eine
Erweiterung erlitten hat, die aber nach unten und oben abnimmt (A. dif-
fusum); 3) das cylinder förmige Aneurysma, A. cylindroi-
d e u m , wo eine grössere Strecke des arteriellen Kanals gleichmässig aus-
gedehnt ist (A. circumscriptum); 4) das ästige oder varix-
ähnliche Aneurysma, A. racemosum, cirsoideum, ana-
PULSADERGESCHWULST. 757
stomos ium, anastomoticum, per anastomosin, Varix ar-
te r i a 1 i s , wo ein grösserer Theil eines Gef ässes oder ein ganzer Ast
ausgedehnt ist , schlangenf orange Windungen macht und stellenweise oft
sackförmig erweitert ist ; in den schwammigen Theilen der Knochen bil-
den sie zuweilen eine Auftreibung , welche unter dem Namen der a n e u -
rysmatischen Knochengeschwulst bekannt ist. — Die Wan-
dungen der erweiterten Arterien erleiden mit der Zeit mannigfaltige Ver-
änderungen. Haben die Arterienhäute eine sehr bedeutende Ausdehnung
erfahren , so zeigen sich die Fasern der Mittelhaut bisweilen so aus ein-
ander gewichen, dass die innere und die Zellenhaut sackförmig hervor-
treten, was man das A. herniosum, auch A. mixtum internum
nennt. Am häufigsten findet man die innere und mittlere Arterienhaut
zerstört und die äussere allein den Sack der Pulsadergeschwulst bildend,
was das A. mixtum ext ernu m darstellt. Ist die äussere Haut zer-
stört und die mittlere und innere sackförmig hervorgetreten, so bezeichnet
man dies mit dem Namen des A. proptoticum. Eine seltene Art von
Aneurysma ist endlich das A. dissecans, bei welchem nach Trennung
der innern und mittlem Gefässhaut das Blut zwischen die Schichten der
leztern , so wie auch zwischen sie und die äussere Gefässhaut eindringt
und durch eine zweite, von der ersten oft ziemlich weit entfernte OefFnung
wieder in das Gef ässrohr zurückkehrt. — Vorkommen. Aetiolo-
g i e. Das spontane Aneurysma kann an mehreren Stellen zugleich vor-
kommen. Bei Frauen findet man es weniger als bei Männern, was seinen
Grund darin hat , dass die Frauen sich nicht so starken Anstrengungen
aussezen , als die Männer. Die Aneurysmen erscheinen selten vor der
Pubertät; die meisten findet man zwischen dem 3 0. und 5 0. Jahre. Am
häufigsten kommen sie an der Art. poplitaea, der A. femoralis,
carotis, subclavia und axillaris vor. — Als Ursachen der
Aneurysmen werden angegeben : die herpetische, scrophulöse, scorbutische,
rheumatische , gichtische Diathese , der Missbrauch spirituöser Getränke,
starke Krümmungen der Arterien, oberflächliche Lage derselben , heftige
Anstrengungen des Körpers oder eines Körpertheils. Die nächsten Ur-
sachen sind Entartungen der Arterienhäute in Folge des atheromatösen
Processes (s. den Art. Arterien); wenn das Atherom sich in das Ge-
f ässrohr entleert hat, so dringt das Blut in die dadurch entstandene Lücke
ein , dehnt die allein noch bestehende nachgiebige , aufgelockerte äussere
Arterienhaut aus und die Bildung des Aneurysma ist damit im Wesent-
lichen erfolgt. — Diagnose. Das wahre Aneurysma stellt eine Ge-
schwulst dar, welche im Laufe einer Arterie oder ganz in der Nähe einer
solchen gelegen ist, so lange sie noch klein ist, eine abgerundete oder ei-
förmige Gestalt hat , sich elastisch anfühlt , isochronisch mit dem Herz-
schlag pulsirt und auf Druck verschwindet, um nach Aufhebung desselben
sofort wieder zu erscheinen. Auf einen zwischen der Geschwulst und
dem Herzen angebrachten Druck hört die Pulsation auf und die Geschwulst
758 PULSADERGESCHWULST.
wird weicher ; das Gegentheil findet statt , wenn man unterhalb der Ge-
schwulst einen Druck ausübt. Bei der Auscultation hört man ein eigen-
thümliches Reibungsgeräusch, ahnlich dem durch eine Raspel veranlassten.
Gewöhnlich ist die aneurysmatische Geschwulst schmerzlos und die sie
bedeckende Haut anfangs unverändert. — Je mehr das Aneurysma an
Umfang zunimmt, desto fester pflegt dasselbe zu werden, die Pulsationen
werden immer schwächer und hören endlich ganz auf; es ist dies die
Folge der Ablagerung concentrischer Gerinnungen im Sacke. — Wenn
die Geschwulst einen bedeutenden Umfang erreicht hat, so wirkt sie durch
Druck und Ausdehnung nachtheilig auf die sie umgebenden Theile, nach
deren Beschaffenheit Krämpfe , Schmerzen , Lähmungen , Varicosität und
Wassersucht , Obliterationen von Arterien , Zerstörung von Knochen etc.
herbeigeführt werden. — Die Entwicklung der wahren Aneurysmen geht
meist langsam vor sich ; Gemüthsaufregungen, körperliche Anstrengungen
etc. führen eine rasche Zunahme herbei. — Differentielle Dia-
gnose. Das sackförmige Aneurysma lässt sich von dem cylinder- oder
spindelförmigen leicht durch die Art der Begrenzung unterscheiden, so-
dann sind die leztern leichter und schneller durch Druck zum Verschwin-
den zu bringen , als die sackförmigen , dagegen ist bei den leztern das
Reibungsgeräusch deutlicher als bei den cylinder- und spindelförmigen.
Sackförmige Pulsadergeschwülste , die eine enge Communikationsöffnung
haben, lassen sich schwieriger und nicht so vollständig entleeren, als solche
mit weiter Oeffnung. ■ — Wenn sich in dem aneurysmatischen Sacke viel
geronnenes Blut angehäuft hat und die Geschwulst hierdurch fester ge-
worden ist, auch die Pulsationen und das Reibungsgeräusch in demselben
mehr und mehr verschwunden sind , so ist die Unterscheidung derselben
von irgend einer andern in der Nähe einer grossen Arterie liegenden Ge-
schwulst oft höchst schwierig und ohne Berücksichtigung der Anamnese
geradezu unmöglich. Andererseits hat man sich zu hüten , Geschwülste,
welche in der Nähe von Arterien oder auf solchen liegen und denen von
diesen Pulsationen mitgetheilt werden, für Aneurysmen zu nehmen. Be-
sonders ist es der Markschwamm , welcher nicht selten zu Täuschungen
Veranlassung gegeben hat. — Prognose. Das Aneurysma ist immer
eine bedeutende und gefährliche Krankheit. Die meisten innern Puls-
adergeschwülste sind unheilbar, und nur jene bieten Hoffnung zur Lebens-
rettung dar , welche die mechanische Kunsthülfe zulassen , obgleich die
Behandlung , welche man ihnen entgegensezt , selbst nicht ohne Gefahr
ist. Je mehr das Aneurysma die Folge dyscrasischer Krankheiten , je
älter, kränker, schwächer das Individuum ist, desto schlimmer ist die
Prognose, besonders wenn mehrere Aneurysmen vorhanden sind. — Von
den Ausgängen und der Behandlung wird nach der Besprechung
der übrigen Aneurysmen im Zusammenhange die Rede sein.
II. Das falsche oder traumatische Aneurysma, A. spu-
rium s. traumaticum ist die Folge einer äussern Gewalt und tritt
PULSADEEGESCHWULST. 759
unter verschiedenen Formen auf. Ergiesst sich das Blut in das Um-
hüllungszellgewebe und ^_zeigt sich dabei anfangs keine bestimmte Ab-
grenzung , so nennt man dies ein Aneurysma spurium primiti-
vum s. diffusum. Wird das Blut in einer Höhle zurückgehalten,
welche sich früher oder spater nach der Verwundung einer Arterie aus-
bildete, so ist dies ein A. spurium consecutivum s. circum-
scriptum. Ist mit der Arterie eine nebenliegende Vene verwundet
worden, so dass arterielles Blut in die Vene fliesst, so hat man ein arte-
riell-venöses Aneurysma; geht dabei das Blut unmittelbar in die
Vene über und dehnt diese aus , so bezeichnet man dies als aneurys-
matischen Varix; bildet das Blut aber in dem Bindegewebe einen
Sack, bevor es in die Vene übertritt , so nennt man dies ein varicöses
Aneurysma.
1) Das Aneurysma spurium primitivum s. diffusum
bildet sich anfänglich nur innerhalb der Arterienscheide , spater breitet
sich aber das Blut aus, indem es sich in das Bindegewebe, in die Zwischen-
räume der Muskeln und zwischen die Muskelbündel ergiesst. Die Ur-
sachen sind schräge, schmale und tiefe Stichwunden, wo das Blut wegen
mangelndem Parallelismus zwischen der Haut- und Arterienwunde nicht
oder nur in sehr geringer Menge nach aussen treten kann , oder Stich-
wunden der Arterie ohne Verlezung der Haut durch Knochensplitter bei
Fracturen, Zerreissung der Arterien bei der Einrichtung alter Luxationen,
endlich das Bersten eines spontanen Aneurysma. — Die Diagnose
bietet zuweilen Schwierigkeiten dar. Ist auch eine Wunde da, so strömt
das Blut doch nicht in der Weise arterieller Blutungen hervor ; es kann
einige Zeit verfliessen, bis sich eine Geschwulst bildet. Diese zeigt sich
zuerst nach dem Laufe des verwundeten Gef ässes und verbreitet sich dann
nach allen Richtungen ; besonders nach den abhängigen und reichlich
mit Bindegewebe versehenen Theilen. Diese Geschwulst ist nicht um-
schrieben, anfangs ziemlich weich, unschmerzhaft, ohne Veränderung der
Hautfarbe ; nach Verfluss von einiger Zeit nimmt die Haut aber eine bläu-
liche Färbung an. In der Tiefe fühlt man regelmässige Pulsationen und
beim Auflegen der Hand ein schwirrendes Geräusch. Wenn das A. dif-
fusum durch das Zerreissen einer Arterie ohne äussere Wunde verur-
sacht wird , so tritt die Geschwulst sehr schnell ein , der Schmerz ist im
Augenblick des Zufalls sehr heftig, die Geschwulst nicht umschrieben und
die zitternde Bewegung in derselben deutlicher. — Erschöpfende Blutun-
gen und Brand sind häufig die Folgen dieses Aneurysma. Es kann je-
doch das in das Glied infiltrirte Blut resorbirt und die Arterienwunde an-
fangs durch den Blutpfropf und dann durch coagulable Lymphe verstopft
werden und so heilen , oder eine A. spur, c o n s e c u t. veranlassen. —
Das A. diffusum ist um so gefährlicher, je grösser die verwundete Ar-
terie oder je näher sie dem Hauptstamme ist und je mehr Blut schon aus-
getreten ist.
760 PULSADERGESCHWULST.
2) Aneurysma spurium consecutivums. circum scri-
ptum ist eine durch arterielles Blut gebildete, umschriebene, mit zelligen
Wandungen versehene Geschwulst , welche mittels einer alten Wundöff-
nung mit einer Arterie communicirt. Die Ursache ist eine kleine Wunde
einer Arterie, welche nur wenig Blut aussickert, oder auch von selbst sich
geschlossen hat, oder in Folge eines Drucks verschlossen gehalten wurde.
In lezterem Falle können Monate , selbst Jahre vergehen , ohne dass sich
etwas Verdächtiges zeigt. Nun löst sich aber der Blutpfropf oder die
verschliessende Lymphe allmälig, das Blut sickert in die Arterienscheide
hinein, dehnt diese aus, verdrängt und verdichtet das angrenzende Binde-
gewebe und bildet so um sich eine Cyste , einen Sack, der ein beträcht-
liches Volumen erreichen kann. Die sich äusserlich darstellende Ge-
schwulst wächst oft sehr langsam , ist aber immer genau umschrieben,
halbkugelig, hart und dunkel pulsirend. — Die Zeichen der falschen
consecutiven Pulsadergeschwülste unterscheiden sich wenig von den der
spontanen. Es würde oft unmöglich sein, diese Geschwülste von einander
zu unterscheiden, ohne die anamnestischen Zeichen zu Hülfe zu nehmen.
Es finden sich dieselben Pulsationen, dieselbe Erweiterung, dasselbe Ge-
räusch. Jedoch ist dem in Rede stehenden Aneurysma ein eigentüm-
liches Schwirren oder Zischen , Susurrus, eigen , das man fühlen und
selbst hören kann und welches durch den Durchgang des Blutes durch
die enge Oeffnung der Arterie entsteht. Der Sack ist hier immer dünner
als bei dem wahren Aneurysma und enthält Blutgerinnsel, welches schicht-
weise gelagert ist ; je näher der Arterienöffnung , desto flüssiger wird das
Blut. Meist findet sich über der Geschwulst eine Narbe , die Folge der
früheren Verlezung ; sie kann aber auch fehlen , wenn eine Quetschung
die Ursache war. Die Oeffnung der Arterie ist stets grösser als im Ent-
stehen und rund oder oval. — Die falschen consecutiven Aneurysmen
sind unter gleichen Umständen weniger gefährlich als die spontanen, denn
erstere sind eine rein örtliche Krankheit ; wenn man sie operirt, so ist man
sicher, die Arterienhäute gesund zu finden. Mit der Zeit bringen sie in
den umgebenden Theilen ähnliche Störungen wie die spontanen Aneurys-
men hervor, nur bedürfen sie dazu längerer Zeit.
3) Aneurysma arterio s o- venös um , An. per transfu-
sionem. Dieses besteht in der Ausdehnung einer Vene durch arteriel-
les Blut , welches aus einer neben ihr liegenden Arterie in Folge einer
Wunde der beiderseitigen Gefässwände in die Vene tritt. Die Wunde
der Vene , welche mit der Hautwunde in Verbindung steht , wird durch
Druck oder auf andere Weise geschlossen , diejenige aber , welche der
Arterienwunde entspricht , bleibt offen. Das arterielle Blut tritt deshalb
entweder zunächst in das Bindegewebe, welches die Arterie mit der Vene
verbindet und von da in die Vene , oder es fliesst direct in leztere und
dehnt sie aus ; im ersten Fall entsteht ein Aneurysma varicosum,
im zweiten ein Varix aneurysmaticus. — Die häufigste Veran-
PULSADERGESCHWULST. 761
lassung zum arteriell - venösen Aneurysma gibt ein Aderlass in der Arm-
beuge , wobei Vene und Arterie zugleich verlezt werden ; an andern Kör-
perstellen wird es zuweilen durch Degenstiche, Schrotschüsse etc., endlich
durch Contusionen hervorgebracht, in welchem Falle die Gefässwände in
Folge von Schwärung durchbrechen und so die Communication hergestellt
wird. Auch führt man Fälle an , wo diese Aneurysmen nicht in Folge
von Verwundungen entstanden sind, sondern wo ein gewöhnliches Aneu-
rysma sich durch Ulceration in eine angrenzende Vene öffnete. — a) Der
Varix aneurysmaticus zeigt sich zuerst unter der Form einer um-
schriebenen, nicht sehr umfänglichen, eiförmigen, über dem Verlaufe einer
Arterie und Vene gelegenen Geschwulst. Man fühlt darin mit den P Um-
schlägen isochronische Pulsationen. Diese sind den in den Pulsaderge-
schwülsten stattfindenden nicht gleich : sie werden von einem Schwirren
oder eigenthümlichen Zischen begleitet, das man fühlen und hören kann.
Die verlezte Vene , so wie die nahe gelegenen erweitern sich ober- und
unterhalb der Geschwulst. Man bemerkt darin ebenfalls das erwähnte
Schwirren und eine undulirende Bewegung, die, je weiter man sich von
dem Varix aneurysmaticus entfernt, schwächer werden. Die Ge-
schwulst verschwindet ganz oder fast ganz, wenn man sie comprimirt und
erscheint wieder, wenn man den Druck aufhebt. Ein Druck oberhalb der
Geschwulst vermindert , ein solcher unterhalb vergrössert sie. Ist die
Krankheit alt und der Varix umfänglich geworden , so erweitert sich der
obere Theil der Arterie und diese verläuft gewunden , auch pulsirt sie
starker, während unterhalb des Aneurysma das Gegentheil eintritt. Die
Wandungen der Arterie sind verdünnt, die der Vene' verdickt ; leztere er-
weitert sich ebenfalls in verschiedener Form , bald flaschenf örmig , bald
eiförmig, bald cyliuder- oder spindelförmig. — b) Das Aneurysma
varicosum, bei welchem das arterielle Blut nicht unmittelbar in die
Vene übertritt , ist eine Abart des Varix aneurysmaticus, nach
dessen Auftreten sich zwischen ihm und der verlezteu Arterie ein A n.
spur, consecut. bildet, entweder weil die Arterie und Vene nicht fest
vereinigt waren oder weil die Schrägheit der Venenwunde oder die ange-
wendete Compression das Blut verhindert , in die Vene leicht einzudrin-
gen ; dadurch wird das die beiden Gef ässe verbindende Bindegewebe zu
einem aneurysmatischen Sacke ausgedehnt, durch welchen die beiden von
einander entfernten Gefässe mit einander communiciren. — Ziemlich
schnell nach der Entstehung des Varix aneurysmaticus bildet sich
unter oder neben seiner zitternden Geschwulst eine zweite harte , tiefer
gelegene, einfach pulsirende Geschwulst von begrenztem Umfange. Wenn
man die Arterie oberhalb der Geschwulst comprimiren lässt und den Va-
rix aneurysmaticus zusammendrückt, so fühlt man auf oder neben
der Arterie noch eine harte , nicht wegdrückbare Geschwulst , die nach
aufgehobener Compression der Arterie pulsirt und den nachgebenden Fin-
ger das Einströmen des Blutes in die Vene als Schwirren fühlen lässt. —
762 PULSADERGESCHWULST.
Zur Untersuchung der beiden Varietäten des arteriell-venösen Aneurysma
gilt, dass der Varix aneurysmaticus weich und ganz oder fast
ganz durch die Compression verschwindet, ein doppeltes Blasegeräusch
und ein Gefühl von Schwirren zeigt und gewöhnlich stationär bleibt, wo-
gegen das An. varicosum eine harte, umschriebene, pulsirende, mehr
oder weniger umfängliche Geschwulst , die sich ziemlich schnell gebildet
hat, darbietet, und welche auf Druck niemals ganz verschwindet.
Ausgänge der Aneurysmen. Wird ein Aneurysma sich
selbst überlassen , so kommt es früher oder später zur Berstung der Ge-
schwulst mit Blutung. Diese Berstung ist entweder die Folge der über-
mässigen Ausdehnung und Verdünnung des aneurysmatischen Sacks oder
eines entzündlich-brandigen Processes. Ersteres ist bei innern, lezteres
bei äussern unter die Haut gekommenen Aneurysmen der Fall. Die in
Folge der Berstung eines aneurysmatischen Sacks entstehende Blutung
ist meistens tödtlich, und zwar entweder durch die Menge des ergossenen
Blutes, oder durch den Erguss in eine Körperhöhle. Nur dadurch kann
die nächste Gefahr beseitigt werden, wenn die Blutung durch eine ein-
tretende Ohnmacht oder Coagulation des Bluts in dem gerissenen Sacke
von selbst steht, oder wenn sie ein An. spur, diffus, bildet. ■ — In
seltenen Fällen tritt auch eine spontane Heilung ein, und zwar indem ent-
weder der aneurysmatische Sack mit seinem compacten Gerinnsel die Ar-
terie zusammendrückt und unwegsam macht , oder indem sich der Sack
durch schichtweise Ablagerungen von Blutcoagulum allmählig füllt, wobei
in seltenen Fällen das Gefässrohr wegsam bleiben kann, oder endlich in-
dem es in Folge einer heftigen Entzündung des Sacks und seiner Umge-
bung zu einem plastischen Verschluss der Arterie kommt.
Behandlung. Diese zerfällt in eine dynamische und in eine
mechanische. Die erstere hat zum Zweck, mittels der geeigneten Mittel
die Coagulation des Bluts in dem aneurysmatischen Sacke allein oder zu-
gleich in der betreffenden Arterie und Contraction in dem Sacke herbei-
zuführen, so dass dieser obliterirt und sich verkleinert. Die meisten der
hierher gehörigen Mittel wurden von V a 1 s a 1 v a empfohlen, weshalb man
sie unter dem Namen der Methode von Valsalva zusammenfasst. Sie
soll die Kraft und die Masse des Bluts verringern , um den Blutandrang
nach dem Sack zu massigen und durch die langsamere Circulation den
Absaz von Faserstoff in dem Sack zu begünstigen und so den Process der
Naturheilung nachzuahmen. Die Mittel hierzu sind : wiederholte kleine
Aderlässe, die grösste Ruhe des Körpers und Gemüths, kühles Verhalten,
strenge Diät, kühlende das Gef ässsystem beruhigende Mittel, als Nitrum,
Alaun, vegetabilische und mineralische Säuren, Tamarinden Limonade,
Digitalis, Belladonna, Blausäure, Mercur, Zink, Eisen, Blei, kalte Fomen-
tationen von Eis, Alaunlösung, Essig, Abkochungen adstringirender Pflan-
zenstoffe mit Alaun, adstringirende Pflaster, die wiederholte Application
von Moxen, die Einführung einer erhizten Nadel, die Acupunctur, Elec-
PULSADERGESCHWULST. 763
tropunctur (s. Acupunctu r) etc. Die zuerst angeführten Mittel wur-
den meist nur bei innern, den mechanischen Bülfsmitteln unzugänglichen
Aneurysmen in Anwendung gebracht; dieselben sind indessen nur bei In-
dividuen mit guter Blutbereitung passend. ■ — Die mechanische Be-
handlung bezweckt die bleibende Unterbrechung des Kreislaufs und sind
die Mittel hierzu folgende: 1) Die Compression. Sie eignet sich
besonders bei Aneurysmen der Extremitäten. Sie wird entweder auf die
Geschwulst, oder oberhalb oder unterhalb derselben, oder endlich auf
alle diese Stellen zugleich ausgeübt. — Um die Geschwulst selbst zu compri-
miren, bedient man sich am besten des Verfahrens von G u a 1 1 a n i : man
bedeckt die Geschwulst mit Charpie und legt darüber dicke, in der Form
eines X gelagerte Longuetten. Eine andere lange und dicke Longuette
wird oberhalb der Geschwulst nach dem Verlauf der Arterie angelegt und
das Ganze mittels einer von unten nach oben geführten Rollbinde massig
befestigt. Dieser Verband wird mit einer Mischung von Essig und Was-
ser oft befeuchtet. Es ist gut, wenn das ganze Glied eingewickelt wird.
Vortheilhafter ist es, die Arterie nur oberhalb der Geschwulst zu compri-
miren, wenn leztere schmerzhaft und entzündet ist ; ganz besonders eignet
sich dieses Verfahren, wenn die Arterie oberflächlich liegt und einen Stüz-
punkt an einem Knochen hat. Man gebraucht hierzu bruchbandähnliche
Compressorien, durch welche das Glied nur von zwei Seiten zusammenge-
drückt wird (s. den Art. Turn ik et). — Die Compression unterhalb der
Arterie hat sich als nuzlos erwiesen , neben dem, dass eine Berstung des
Sacks veranlasst werden kann. — Die bei weitem wirksamste Compres-
sion ist die, welche sich auf alle die genannten Punkte zugleich erstreckt.
Man legt längs des Laufs der Arterie Longuetten an und wickelt das
ganze Glied von unten nach oben mit Binden oder noch besser nach
v. Winter mit Longuetten von vierfacher Leinwand von der Länge ei-
nes ganzen Betttuchs ein. — Bei dem arteriell-venösen Aneurysma muss
die Compression vorzüglich die Arterie betreffen. — Die Compression ist
als ein oft schwieriges , lange dauerndes , häufig auch unsicheres und
schmerzhaftes Mittel auf anfangende kleine Aneurysmen zu beschränken.
— 2) Die Unterbindung der aneurysmatischen Arterie ist die zuver-
lässigste Behandlungsart und kann auf dreifache Weise geschehen :
a) durch Unterbindung des Hauptstamms zwischen der aneurysmatischen
Geschwulst und dem Herzen , H u n t e r'sche Methode ; b) durch Eröff-
nung des Sacks und Unterbindung der Arterie ober- und unterhalb des-
selben, Methode von Antyllus; c) durch Unterbindung der betreffen-
den Arterie unterhalb der aneurysmatischen Geschwulst , Methode von
Brasdor. — Die Unterbindung ist angezeigt, wenn die Compression
nicht anwendbar ist, oder erfolglos versucht wurde, wenn das Aneurysma
aufzubrechen droht, bei dem An. spurium diffusum, wenn die Blut-
ergiessung bedeutend ist. — Die meiste Aussicht auf Erfolg bieten kleine
Aneurysmen kleinerer Arterien. Zweifelhaft ist der Erfolg , wenn die
764 • PULSADERGESCHWULST.
Geschwulst sehr umfangreich und der zu unterbindende Gefässstamm
gross ist, wenn mehrere Pulsadergeschwülste zugegen sind, insofern dann
ein krankhafter Zustand der Arterienhäute vorauszusezen ist, wenn der
Kranke sehr bejahrt ist , oder das Glied der Einwicklung unterworfen
worden ist , in welchen Fällen eine rasche und ergiebige Ausbildung des
Collateralkreislaufs nicht gehofft werden kann. — Ueber die Ausführung
der verschiedenen Unterbindungen s. den Art. Unterbindung der
Gefässe. — Ist die Unterbindung einer Arterie nicht ausführbar und
liegt das Aneurysma so, dass man die Amputation machen kann, so ist der
Theil zur Erhaltung des Lebens zu entfernen , namentlich wenn durch
Plazen des Sacks und die verbreitete Blutinfiltration Brand zu befürchten
ist, oder dieser aus dieser Ursache oder in Folge der Obliteration der Ar-
terie etc. schon begonnen hat , oder wenn ein Knochen oder ein Gelenk
tief zerstört ist.
Von den Pulsadergeschwülsten im Besondern.
1) Aneurysma anonymae. Traumatische Aneurysmen wur-
den an diesem Gefässstamm nicht beobachtet , da Verlezungen desselben
den Tod fast augenblicklich zur Folge haben. Spontane Aneurysmen
können an dem ganzen Verlaufe dieses Stamms vorkommen. Treten sie
am obern Tbeil desselben auf, so kommt unter Schmerzen oberhalb
des Sterno-claricular-gelenkes eine Geschwulst zum Vorschein, welche un-
ter allmähligem Wachsthum stärker pulsirt, durch den Druck Athmungs-
und Schlingbeschwerden verursacht und die Pulsation in der rechten C a-
r o t i s und Subclavia schwächer erscheinen lässt ; zuweilen wird der
Radialpuls am rechten Arm ganz unfühlbar und dieser ist in Folge des
gehinderten Rückflusses des venösen Bluts schmerzhaft und ödematös an-
geschwollen. In einem höhern Grade des Uebels treten Schwindel, Ohn-
mächten, unruhiger Schlaf hinzu. Von einem Aneurysma an der Wurzel
der Carotis dextra unterscheidet es sich dadurch, dass lezteres zuerst
zwischen den beiden Portionen des Sternomastoideus erscheint und
seinen Ein Üuss nur auf die Carotis uad ihre Aeste beschränkt, ohne die
Pulsationen in der Subclavia zu beeinträchtigen. — Bei einem tiefe-
ren Size kann dieses Aneurysma lange Zeit der Beachtung entgehen.
Wenn es eine bedeutende Grösse erreicht hat , so tritt es als eine Ge-
schwulst am Halse hinter der Portio sternalis des Kopfnickers her-
vor. — Die Behandlung dieser Aneurysmen besteht in der Anwen-
dung der Methode von V a 1 s a 1 v a oder in der Unterbindung nach
Brasdor (s. Unterbindung).
2) Aneurysma art. carotis. Die spontanen Aneurysmen
haben gewöhnlich ihren Siz an der Spaltungsstelle der Carotis com-
munis, seltener an ihrem Ursprung. Sie wachsen schnell und können
eine solche Grösse erreichen , dass sie fast die ganze Länge des Halses
einnehmen. Durch Druck auf die benachbarten Gebilde, namentlich den
Nerv, vagus entstehen bald Husten, Athemnoth, Heiserkeit, Schling-
PULSADERGESCHWULST. 765
besch werden und durch die Beeinträchtigung des Blutlaufs Schmerzen
und Klopfen im Kopf, Ohnmächten etc. — Traumatische Aneurysmen
fordern die Hunte r'sche Unterbindungsmethode. Nicht ganz selten
wurde am Halse der Var ix aneurysmaticus beobachtet.
3) Aneurysma art. subclavia e. Die gewöhnlichen Aneu-
rysmen der Subclavia sind spontane, Die pulsirende Geschwulst liegt
in dem von dem Schlüsselbeine , dem M. sternomastoideus und m.
trapezius begrenzten dreieckigen Räume, selten unter dem Schlüssel-
bein. Die Art. axillaris und ihre Aeste pulsiren schwächer, während
das Klopfen der Carotis normal ist ; der Kranke hat Schmerzen , ein
Gefühl von Taubheit und Kälte, so wie eine lähmungsartige Schwäche in
dem entsprechenden Gliede, dazu Athemnoth, Erstickungszufälle, Schling-
beschwerden. In hohem Grade kommt es zur Zerstörung der Wirbel.
Die zahlreichen Aeste lassen nicht wohl eine Ligatur anlegen; es bleibt
mithin nur die Valsalva'sche Methode, die Anwendung der Kälte und die
Electropunctur übrig.
4) Aneurysma art. axillaris ist selten ein spontanes , son-
dern häufiger traumatischen Ursprungs (Degenstich, Zerreissung bei der
Einrichtung alter Schulterluxationen). Es vergrössert sich wegen der
geringen Resistenz der umgebenden Theile gewöhnlich schnell ; die Ge-
schwulst hebt den grossen Brustmuskel in die Höhe, verbreitet sich gegen
das Schlüsselbein und drückt dieses nach oben. Die Geschwulst ist hart,
glänzend , blau , dunkel oder gar nicht pulsirend. Der Arm ist schwer,
ödematös angeschwollen, empfindungslos, der Puls kaum fühlbar; dabei
findet sich Ziehen im Halse , im Rücken und in der Brust , Athmungsbe-
schwerden, grosse Angst, Husten, Ohrensausen, Kopfschmerz, Schlaflosig-
keit. — Die Art. subclavia muss ober- und unterhalb des Schlüssel-
beins unterbunden wurden.
5) Aneurysma art. brachialis ist in der bei weitem gross-
ten Mehrzahl der Fälle ein traumatisches und meistens die Folge eines
unglücklichen Aderlasses. Da die Wunde gewöhnlich sehr klein ist, so
kann durch einen festen und lange Zeit fortgesezten Druckverband voll-
ständige Heilung erlangt werden. Reicht man damit nicht aus , oder ist
das Aneurysma schon weiter gediehen, so muss die Art. brachialis
unterbunden werden, und zwar wenn der Siz des Aneurysma an den bei-
den untern Dritttheilen der Arterie ist, oberhalb und unterhalb desselben,
um die Blutzufuhr durch die Collateraläste sicher abzuschneiden.
6) Aneurysmata art. radialis et ulnar is. Sie kommen
sehr selten vor und fordern , wenn sie im obern Theile des Vorderarms
ihren Siz haben , die Unterbindung der Art. brachialis, wenn am
untern Theile die Unterbindung der betreffenden Arterie nahe am aneu-
rysmatischen Sacke, weil die bedeutenden Anastomosen in der Handfläche
hinreichen würden , durch das Zurückströmen des Bluts das Aneurysma
zu unterhalten.
766 PULSADERGESCHWULST.
7) Aneurysmata manus sind meistens traumatischen Ur-
sprungs und nicht immer leicht zu erkennen, da sie nicht immer pulsiren.
Bei kleinen und im Anfang reicht die Compression mittels graduirter
Compressen aus , bei grösseren unterbinde man das zuführende Gef äss
dicht an der Geschwulst, oder schneide auch den Sack (nach Antyl-
lus) ein. Führt diese Behandlungsweise nicht zum Ziele, so sollte die
Art. brachialis unterbunden werden, da bei einer Unterbindung der
Radialis oder Ulnar is die Blutzufuhr durch die Interossea
unterhalten werden kann.
8) Aneurysma art. iliacae. Spontane Aneurysmen kommen
an den grossen Aesten der 1 1 i a c a häufig, am Stamme der 1 1 i a c a com-
munis dagegen niemals vor. Am häufigsten sind Aneurysmen der
Iliaca externa. Sie entwickeln sich rasch, treten unter dem Fallo-
pischen Bande hervor und stellen dann eine pulsirende, hier und da fluc-
tuirende Geschwulst dar, und könnten deshalb mit anderweitigen Geschwül-
sten , Abscessen, besonders aber mit Markschwamm verwechselt, werden.
Man unterbindet die Iliaca externa oberhalb der Geschwulst ; fehlt
es hierzu an Raum , so ist vorgeschlagen worden , entweder die Iliaca
communis oder aber nach dem Brasdo r'schen Verfahren unterhalb
der Geschwulst zu unterbinden.
9) Aneurysma art. is chia dicae et glutae.ae. Die Aneu-
rysmen werden, sind sie spontan entstanden, der tiefen Lage der betref-
fenden Gefässe wegen erst erkannt, wenn sie eine bedeutende Grösse er-
reicht haben. Ausser den allgemeinen Zeichen der Aneurysmen stellen
sich bald Schmerzen, Ameisenkriechen, Schwerbeweglichkeit in dem be-
treffenden Beine in Folge des Drucks auf den Nerv, ischiadicus
ein. Sie fordern die Unterbindung nach der Methode des Antyllus.
10) Aneurysma art. cruralis. Spontane Aneurysmen kom-
men an dieser Arterie häufig vor und können beim Siz in der Schenkel-
beuge leicht mit Abscessen , namentlich mit den sogenannten kalten,
welche langsam und ohne erkennbare Entzündungserscheinungen entstan-
den sind , verwechselt werden. Besonders häufig trifft man diese Aneu-
rysmen im obern Dritttheile des Schenkels an. Der Umstand, dass nach
der Unterbindung der-A. cruralis nicht selten Nachblutungen beobach-
tet werden und dass namentlich am obern Theil des Schenkels ein an-
dauernder Druck auf die Arterie ausgeübt werden kann , hat Versuche
der Art ausführen lassen, die von dem glänzendsten Erfolg begleitet wa-
ren. Wird die Unterbindung nöthig, so macht man sie bei Aneurysmen
im mittlem und untern Drittel über dem Abgange der Profunda, bei
nahe am Po up art'schen Bande sizenden ist die Iliaca externa zu
unterbinden.
11) Aneurysma art. poplitaeae ist selten traumatischen Ur-
sprungs , wohingegen die spontanen Aneurysmen nirgends häufiger sind
als hier. Man schreibt die Häufigkeit des Vorkommens dieser Aneurys-
PÜNCTION. 767
men der Dehnung zu , welcher die Art. poplitaea bei der Streckung des
Schenkels ausgesezt ist: nachHyrtl liegt der Grund in der Einwirkung des
Muse, poplitaeus, so wie des Tibialis posticus und des F 1 e-
xor digitorum longus, welche durch Andrücken der Arterie gegen
ihre Unterlage diese bei der Beugung einknicken und verengen, wodurch
der darüber liegende Theil der Arterie einem stärkeren Druck von Seiten
des Blutstroms ausgesezt sei, was, oft wiederholt, endlich die Erweiterung
der Poplitaea herbeiführe. Die Geschwulst entgeht der tiefen Lage
der Arterie wegen lange Zeit der Beachtung des Kranken , obgleich sie
sich leicht nach allen Seiten ausdehnen kann. Sie kann einen grossen
Umfang erreichen und zerstört am Ende die Gelenkenden des Femur und
der Tibia. In Folge des Drucks entsteht Ameisenkriechen , Einschlafen
des Fusses, dumpfer Schmerz, Ausdehnung der Venen des Unterschenkels
und Oedem , zuweilen tritt Brand ein. Die Behandlung besteht in der
Unterbindung der Art. cruralis; bevor man jedoch an diese geht, thut
man wohl , die permanente Compression zu versuchen , die man an ver-
schiedenen Stellen der Cruralis gleichzeitig mit Bruchband, Compres-
sorium und Turniket ausübt, ohne eine Stelle lange zu belästigen. Auch
die Electropunctur der Geschwulst kann allein oder in Verbindung mit
der Compression in Gebrauch gezogen werden.
12) Aneurysmata cruris sind höchst selten und bieten, wenn
sie vorkommen, nur dunkle Zeichen dar. Die Compression ist bei ihnen
nicht wohl ausführbar ; bei solchen im obern Theil des Unterschenkels
muss die Cruralis unterbunden werden ; im untern Theile kann die
Compression versucht werden : die Ligatur legt man nahe am Sack an
oder operirt nach der Methode des Antyllus.
Punction, das Anstechen, Durchstechen, der Stich,
Punctio, Parencentesis (von Traqa , durch, und xsvtuco , ich
steche), heisst diejenige chirurgische Operation, vermittels welcher man
eine tropfbare Flüssigkeit oder Gas aus einer Höhle entfernt oder die
Natur einer Geschwulst erforscht. Ersteres geschieht mit dem Bistouri,
mit der Lancette , oder dem Troicart , lezteres blos mit dem Troicart,
wozu man gewöhnlich sehr dünne , sogenannte Explorativtroicarts ge-
braucht. Die Operation ist indicirt, wenn die Ansammlung irgend einer
Flüssigkeit (Wasser, Blut, Eiter, Harn etc.) in solcher Menge stattfindet,
dass die Nachbargebilde durch den erregten Druck in ihren Verrichtun-
gen gestört und die etwa anzuwendenden therapeutischen Heilmittel in
ihren Wirkungen behindert werden , wenn durch übermässige Anfüllung
der Behälter leztere selbst zu zerbersten drohen , oder endlich wenn
durch die Zersezung der Flüssigkeiten eine Entzündung der Behälter,
welche dann sehr leicht in Brand übergeht , oder sonst eine nachtheilige
Einwirkung auf den Organismus zu befürchten wäre. Die Punction ist
in vielen Fällen nur ein Palliativmittel , wodurch man dem Kranken Er-
768 PÜNCTION.
leichterung und Verlängerung des Lebens verschaffen kann. Deshalb
muss sie auch bisweilen unter den ungünstigsten Aussichten unternom-
men werden, wie z. B. bei einer Harnverhaltung, wo in Folge ihrer Un-
terlassung der Tod des Kranken unausbleiblich hätte eintreten müssen.
Um eine radicale Heilung des Kranken möglichst zu bewirken, verschiebe
man die Operation überhaupt nie zu lange und wiederhole sie so oft als
neue Ansammlungen erfolgen, welche durch ihren Druck auf die Organe
deren Function ebenso , wie die Wirkung der Mittel beeinträchtigen.
Andererseits operire man aber auch nie früher , als bis man sich durch
das Gefühl der Fluctuation und alle anderen Hülfsmittel von dem wirk-
lichen Dasein eines Flüssigkeit überzeugt hat. Kommt es endlich zur
Operation , so suche man die Stichstelle möglichst nahe dem Grunde der
Höhle anzubringen , oder wenn dies wegen zu befürchtender Verlezung
wichtiger Organe und Gef ässe nicht thunlich ist , dem Kranken eine
solche Stellung zu geben , dass dadurch der Abfluss des Secrets begün-
stigt wird. Dabei übt man, wo es die Localität gestattet, einen solchen
Druck auf die Umgebung der zu eröffnenden Höhle mit den flachen
Händen aus , dass das Fluidum der Spize des Instruments entgegenge-
drängt wird. Als Folge der plözlichen Entleerung der Flüssigkeit und
des dadurch aufgehobenen Drucks auf die geschwächten Organe findet
eine vermehrte Blutströmung nach denselben und nicht selten ein Blut-
austritt statt, weshalb es räthlich erscheint, jede zu schnelle Entleerung
zu vermeiden und wo es angeht , den Druck durch einen äusserlich ange-
brachten Gegendruck zu ersezen. — Zur Punction mit dem Bistouri
benüzt man ein gerades Messer mit schmaler spizer Klinge. Der Zeige-
finger wird auf einer der Flächen der Klinge, je nach der Tiefe, die man
dem Stiche geben will, verschieden weit vorgeschoben. Will man den
Eintritt der Luft möglichst verhüten , so verschiebt man vorher die Haut
(s. subcutane Operationen). Handelt es sich von einem nicht
sehr tiefen Einstich , so kann er auch mit der Lancette ausgeführt
werden , welche man , rechtwinklig zum Hefte gestellt , so zwischen dem
rechten Zeigefinger und Daumen an der Klinge hält, dass ihr Spizentheil
so weit hervorragt, als er eingesenkt werden soll. — Die Punction mit
dem Troicart hat das Wesentliche, dass nach Durchstechung der Wan-
dung einer Höhle eine Röhre zurückbleibt , die zum Theil in der Höhle
steckt und durch welche dann die Flüssigkeit ausfliesst, welche aber
auch nicht selten zur Einbringung von ArzneistofFen in die Höhle benüzt
wird. Der Troicart verhindert dadurch , dass seine Röhre liegen bleibt,
die Verschiebung der einzelnen Schichten der Höhlenwandung, so wie
auch das Zusammenfallen sehr ausgedehnter Höhlen, wodurch in beiden
Fällen der Abfluss der Flüssigkeit aufgehoben werden würde. Bei seiner
Anwendung fasst man ihn so , dass sein Griff zwischen den Ballen des
Daumens und kleinen Fingers ruht und daselbst von den drei lezten Fin-
gern angedrückt wird, während der Daumen auf der Stelle, wo Stiel und
PUNCTION DES HYDROCEPHALUS. 769
Canüle zusammenstossen , aufgesezt wird , der Zeigefinger aber auf der
Canüle mehr oder weniger weit gegen die Spize vorgeschoben ist , je
nach der Tiefe , bis zu welcher das Instrument eingeführt werden soll.
In dieser Stellung sticht man den Troicart senkrecht ein und schiebt ihn
so weit vor, bis man durch Bewegungen merkt, dass der in der Höhle be-
findliche Theil des Troicart frei bewegt werden kann; bei dünnen Wan-
dungen erkennt man das Eingedrungensein des Troicarts an dem Auf-
hören des Widerstandes. Nachdem dies geschehen ist, hält man die Ca-
nüle mit der linken Hand fest und zieht das Stilet mit der rechten Hand
aus. Die Canüle bleibt solchergestalt in der Wunde stecken und ihr
Kanal ist frei, um einer zu entleerenden Flüssigkeit Abfluss zu gestatten.
Stockt der Abfluss, so untersucht man mittels einer Bougie, einer Sonde
etc., ob sie verstopft sei, und beseitigt eiu etwa vorhandenes Hinderniss,
oder man bewegt die Canüle vorsichtig hin und her, wobei sie aber stets
von den Fingern der linken Hand in der Art fixirt wird, dass weder ein
Herausgleiten, noch ein zu tiefes Eindringen möglich ist. Will man die
Canüle ausziehen , so fasst man sie mit der rechten Hand , während man
mit den Fingern der linken Hand die Haut in der Umgegend der Stich-
wunde fixirt und sanft gegen die Canüle andrückt , theils um eine Zer-
rung der Haut zu vermeiden, theils um gleich nach der Ausziehung der
Canüle die Wunde zu schliessen und den Eintritt von Luft zu verhüten.
Um das Eindringen von Luft ganz unmöglich zu machen , haben K e y -
bard, Guerin und Schuh an ihren Troicarts besondere Vorrichtungen
angebracht , von denen bei den besondern Operationen , für welche sie
bestimmt sind, die Rede sein soll. — Wie schon oben erwähnt, werden
besondere dünne Troicarts zur Exploration, ob und was für eine Flüssig-
keit in einer Geschwulst vorhanden ist, benüzt.
Punction des Hydrocephalus. Diese Operation besteht
darin , dass man die Schädeldecken durchsticht und aus dem sehr ausge-
dehnten Arachnoidalsacke etwas Serum entleert. Man benüzt dazu einen
sehr dünnen Troicart , eine Lancette oder eine Staarnadel. Der Opera-
teur erhebt die Haut des Schädels in der Gegend einer Fontanelle , und
zwar am zweckmässigsten an der grossen Fontanelle , die beim Hydroce-
phalus eine ausserordentliche Ausdehnung gewinnt , in eine Falte und
verschiebt die Haut nach irgend einer Richtung ; sticht dann ent-
weder rechts oder links von der Mittellinie, um dem Processus fal-
ciformis auszuweichen, eines der genannten Instrumente in die
Höhle der Arachnoidea. Man lässt nun das Instrument (bei der Anwen-
dung eines Troicarts dessen Röhre) in der Wunde stecken und lässt die
Flüssigkeit in kleinen Portionen allmählig unter sanfter Compression des
Schädels ausfliessen. Hierauf wird das Instrument zurückgezogen, die Haut-
falte losgelassen, wodurch sich die StichöfFnung in der Haut von der Stich-
Öffnung in der Fontanelle verschiebt. Die Hautwunde bedeckt man mit
einem einfachen Klebpflaster , wobei sie gewöhnlich sehr bald heilt. —
Bürger Chirurgie. 49
770 PUNCTION DER BRUSTHOEIILE.
Während des Abfliessens des Wassers muss der betreffende Kranke fort-
während überwacht werden, die geringsten Erscheinungen von Sopor oder
Convulsionen gebieten das sofortige Aussezen der Operation und Schlies-
sen der Wunde. — Nach der Operation legt man einen gleichmässigen
Corapressivverband um den ganzen Schädel an. — Diese Operation hat
von jeher eine sehr verschiedene Beurtheilung erfahren. Die Einen er-
klären sie für ein wirksames aber Gefahr und selbst den Tod bringendes
Unternehmen, Andere halten sie für nicht gefährlich, wohl aber für er-
folglos, da damit wohl ein Krankheitszustand, nicht aber dessen Ursache
beseitigt werde , derselbe also wiederkehren müsse. Immerhin bleiben
in den meisten Fällen Störungen des Gehirns und eine Vergrösserung
des Schädels zurück. Jedenfalls müssen, soll die Operation einige Aus-
sicht auf Erfolg darbieten, die Nähte noch offen und die Schädelknochen
noch beweglich sein.
Punction der Brusthöhle, Bruststich, Operation
des Empyems, Punctio s. Paracentesis thoracis, Thora-
centesis, Operatio einpyematis heisst die kunstgemässe Eröff-
nung der Pleurahöhle und wird dieselbe unternommen , wenn durch An-
sammlung von Flüssigkeiten oder Gasen in der Brusthöhle die Function
der Lungen und des Herzens in dem Grade gestört wird , dass dem Le-
ben Gefahr droht und wenn das Angesammelte weder durch die Naturthä-
tigkeit noch durch eine zweckmässige innere Behandlung entfernt werden
kann. — Contraindicationen der Operation sind : unheilbare Brustkrank-
heiten, allgemeine Wassersucht, grosse Entkräftung des Kranken in Folge
einer langen Dauer des Uebels oder colliquativer Zufälle , hohes Alter.
Die Operationsstelle ist eine verschiedene: bei wässerigen Ansammlungen
wählt man in der Regel den möglichst tiefsten Punkt der Brusthöhle, bei
eiterigen bestimmt der Siz der Krankheit die Stelle der Operation. Hat
man die Wahl, so führt man die Operation im 5. oder 6. Intercostal-
raume, entsprechend der grössten Convexität der Rippen aus. Wenn die
Intercostalräume nicht deutlich sichtbar sind, so macht man den Einstich
senkrecht unter der Achselhöhle , etwas tiefer als die Brustwarze. Die
Operation wird entweder mit dem Troicart oder durch den Schnitt vorge-
nommen. Der Kranke muss unterrichtet werden , dass er während der
Operation nicht spricht und wenn er Hustenreiz empfindet , dieses durch
Zeichen angibt. Bei der Operation sizt er nach vorn geneigt , die Ell-
bogen auf die Schenkel gestüzt. Bei der Operation mit dem Troicart
bezeichnet der an der zu operirenden Seite des Kranken stehende Opera-
teur die Stelle des Einstichs , indem er die Spize des Zeigefingers der
linken Hand auf den obern Rand derjenigen Rippe aufsezt, über welcher
eingestochen werden soll. Nun fasst er einen massig starken Troicart
auf die oben angegebene Weise und sticht ihn dicht über dem Nagel des
aufgesezten Fingers rasch ein , bis die Verminderung des Widerstandes
zeigt, dass die Spize des Instruments die Brustwand durchbohrt hat.
FUNCTION DER BRUSTHOEHLE. 771
Hierauf wird der Stachel entfernt , die Canüle während jeder Inspiration
durch Auflegen des Fingers geschlossen , um den verderblichen Luftein-
tritt , der nur während der Inspiration statt finden kann , zu verhüten.
Ebenso muss die Canüle während eines etwa eintretenden Hustenanfalls
geschlossen werden. Um den Lufteintritt ganz unmöglich zu machen,
hat man verschiedene Vorrichtungen am Troicart angebracht. Die ein-
fachste ist die von R e y b a r d angegebene. Man befestigt an der Ca-
nüle des Troicarts ein nasses , vollkommen zusammengedrücktes Stück
Kazendarm ; dieser gestattet das Austreten der Flüssigkeit, sinkt aber,
sobald der Druck der Luft das Uebergewicht über den Andrang der Flüs-
sigkeit , welche von innen her ausströmt , gewinnt , zusammen und ver-
schliesst die Oeffnung der Canüle ventilartig. Complicirter, obwohl dem
Hauptzweck vollkommen entsprechend , ist der sogenannte Trogapparat
von S c o d a und Schuh. Die Canüle dieses Troicarts ist mit einem
starken Handgriff' versehen und kann in der Nähe des äussern Endes
durch einen Hahn geschlossen werden. Diese Absperrung wird gleich
nach dem Ausziehen des Stilets vorgenommen und dann ein kleiner Kasten
angesezt, der nahe am Boden eine Oeffnung besizt, welche genau auf die
Oeffnung der Canüle passt ; eine zweite mit einem kleinen Abzugsrohre
versehene Oeffnung befindet sich einige Linien über dem Niveau der Ca-
nülenöffhung , so dass also nur eine sehr geringe Menge Flüssigkeit aus
dem Thorax in den Trog entleert zu sein braucht, um den Lufteintritt in
die Canüle zu verhüten, was überdies noch durch ein vor der auf die Ca-
nüle passenden Oeffnung als Ventil angebrachtes Stückchen Leder ge-
schieht. — Guerin pumpt die Flüssigkeit mit einer in die Canüle des
Troicarts passenden Sprize , S t a n s k y mittels eines mit einem Gummi-
rohr in Verbindung stehenden Schröpf kopfs aus der Pleurahöhle aus. —
Bei der Eröffnung der Brusthöhle durch den Schnitt macht man dem
obern Rande der Rippe entsprechend in querer Richtung einen 2 bis
2>/2 Zoll langen Schnitt durch die nach oben verschobene Haut. Diesen
Schnitt sezt man vorsichtig durch die Muskeln in der Weise fort , dass
die Länge desselben, je tiefer man eindringt, immer abnimmt, wobei man
sich hütet , der obern Rippe zu nahe zu kommen , weil an ihrem untern
Rande die Arteriaintercostalis verläuft. Ist auf diese Weise die
Pleura blossgelegt und fühlt man mit dem Finger deutlich Fluctuation,
so sticht man sie mit dem Bistouri an oder erhebt sie , wenn es möglich
ist, mit der Pincette hügelf örmig und schneidet das Erhobene an, worauf
man die Oeffnung mit dem Knopfbistouri erweitert. Die Flüssigkeit lässt
man über eine Kartenblattrinne, durch eine eingeführte Canüle oder einen
elastischen Catheter abniessen. Der Verband besteht in dem Einlegen
eines halbausgefranzten , beölten Leinwandläppchens zwischen die Wund-
ränder der Pleura , ohne dass es in die Brusthöhle hineinhängt ; darüber
kommt ein gefenstertes Pflaster , Charpie und Compresse zu liegen. —
Die Eröffnung der Pleura durch den Schnitt passt nur in solchen Fällen,
49*
772 PÜNCTION DES HERZBEUTELS.
wo man vollkommen überzeugt ist, dass man es mit einem abgekapselten
Erguss zu thun hat , indem die bei jeder Inspiration in die Pleurahöhle
eindringende Luft die Wiederausdehnung der Lunge verhindert. Zur
Reinigung der Eiterhöhle und zur Verbesserung des Eiters hat man rei-
nigende und reizende Einsprizungen empfohlen. — Bezüglich der Menge
der zu entleerenden Flüssigkeit gilt Folgendes. Ist das Exsudat das Pro-
duct einer erst kürzlich abgelaufenen Pleuritis , so entleert man so viel,
als von selbst ausfliesst; ist das Exsudat aber das Product einer chroni-
schen Pleuritis, localer oder centraler Hindernisse des Kreislaufs, so darf
man nur wenig entleeren , nicht mehr als hinreicht , der comprimirten
Lunge Raum zu schaffen ; die Entleerung einer zu grossen Menge würde
die Entstehung einer Pleuritis oder eine rasche Erneuerung des Exsudats
zur Folge haben. — Bei Pneumothorax nimmt man die Punction
mit einem sehr feinen Troicart vor, die Canüle wird ebenfalls während der
Inspiration geschlossen. — Ueble Ereignisse wahrend der Opera-
tion sind: Ohnmächten, Verlezung der Lungen und der Art. interco-
s t a 1 i s , Lufteintritt , Aufhören des Abflusses , bevor die entsprechende
Menge Flüssigkeit entleert ist. Die Ohnmacht beseitigt man durch die
geeigneten Mittel. Die Verlezung der Lunge verhütet man durch
das genaue Befühlen der blossgelegten Pleura ; sollte sie jedoch stattge-
funden haben, so erfordert sie eine strenge antiphlogistische Behandlung.
Die Verlezung der Art. intercostalis vermeidet man leicht,
wenn man die Mittellinie des Intercostalraums einhält und die Muskeln
schichtenweise trennt. Sollte sie statt finden, so hält man mit der Ope-
ration inne , öffnet namentlich die Pleura nicht , um einem Bluterguss in
die Pleurahöhle vorzubeugen und sucht die Blutung durch eine temporäre
Compression mit dem Finger oder durch Schliessung der Wunde zum
Stillstande zu bringen , worauf man erst zur Vollendung der Operation
schreiten darf. — Luft eintritt, welcher auf die angegebene Weise
verhütet werden kann , erfordert die Anwendung der Antiphlogose. —
Die Unterbrechung des Ausflusses kann herrühren : von einer Ver-
stopfung der Canüle durch Coagula , von einer Vorlagerung des Pericar-
diums oder der Lunge vor die Mündung der Canüle, von der Dickflüssig-
keit des Inhalts ; im ersten Fall reinigt man die Canüle mit einer Bougie
oder einer Knopfsonde, im zweiten ändert man die Richtung der Canüle,
im lezten bei Hämathorax oder Pyothorax nicht selten eintretenden Falle
muss man die Eröffnung durch den Schnitt vornehmen.
Punction des Herzbeutels, Herzbeutelstich, Pun-
ctio s. Paracentesis pericardii. Diese höchst selten in Aus-
führung gekommene Operation ist nur dann angezeigt, wenn ein Erguss
im Herzbeutel , welcher auf andere Weise nicht entfernt werden kann,
dem Leben unmittelbar Gefahr droht. Es ist immer eine sehr gefähr-
liche Operation, deren Erfolg nicht im Einklang mit der gesezten Gefahr
steht , denn sie kann nur die ergossene Flüssigkeit entleeren , aber nicht
PUNCTION DER BAUCHHOEHLE. 773
die Ursachen aufheben, welche die Exsudation bedingen, diese wird sich
daher in den meisten Fällen reproduciren. ■ — Die Operation wird auf
ähnliche Weise , wie dieParacentesis pectoris ausgeführt. Die
Stelle hierzu ist nach der Ausdehnung des Herzbeutels und nach der
Deutlichkeit der Fluctuation eine verschiedene. Senac wählte den
Zwischenraum zwischen der 2. nnd 3. Rippe, in welchem er zwei Zoll
vom Sternum entfernt den Troicart einstach. Desault legte das Peri-
cardium zwischen der 6. und 7. Rippe bloss und stach es dann mit der
Spize des Bistouri an. Larrey punktirte links in dem Räume zwischen
dem Knorpel der 7 . Rippe und dem Schwertknorpel. Riolan, Skielde-
r u p und L a e n n e c trepanirten das Brustbein und eröffneten den Herz-
beutel durch die Trepanöffnung hindurch. Richerand machte sogar
den Vorschlag , behufs einer Radicalheilung nach der Punction reizende
Einsprizungen in den Herzbeutel zu machen. — Die Nachbehandlung
richtet sich nach der Verschiedenheit der Grundkrankheit und nach der
durch die Operation hervorgerufenen Reaction des Gesammtorganismus.
Punction der Bauchhöhle, Bauchstich, Punctios.
Paracentesis abdominis. Diese Operation , welche meist nur als
eine palliative Hülfe betrachtet werden darf, kommt zur Anwendung,
wenn durch die Menge der in der Peritonäalhöhle oder in einem Cysten-
raume angesammelten Flüssigkeit die Organe der Bauch- und Brusthöhle
bedeutend in ihrer Function beeinträchtigt werden. In der Regel bedient
man sich dazu des Troicarts und nur in seltenen Fällen wird man sich
veranlasst finden, mittels einer Incision allmälig und schichtweise trennend
bis an das Bauchfell vorzudringen. — Die Stelle, wo man den Bauch-
stich vornimmt, ist entweder der Mittelpunkt einer Linie, welche man sich
vom Nabel zur obern vordem Darmbeingräte (vorzugsweise auf der linken
Seite) gezogen denkt, oder der Punkt, wo sich eine vom Nabel horizontal
zum Rücken geführte Linie mit einer zweiten kreuzt , welche man vom
vordem Ende der lezten falschen Rippe zum Kamme des Darmbeins zieht.
Da jedoch bei der besonders nach vorn stattfindenden Ausdehnung der
Bauchwand oft der Muse, reetus an Breite gewinnt und die A r t. e p i -
g a s t r i c a seitwärts verschoben wird , so kann bei der Punction an der
leztangegebenen Stelle nicht blos ein dickerer Theil der Bauchwand
durchstochen werden müssen, sondern es kann auch eine Arterienverlezung
erfolgen. Aus diesen Gründen scheint die Punction in der weissen Linie,
2 bis 3 Zoll unter dem Nabel , wo die Bauchwand gewöhnlich am dünn-
sten und keine Gefässverlezung zu befürchten ist, den Vorzug zu ver-
dienen. Wenn an den bezeichneten Stellen Verhärtungen der Einge-
weide gefühlt werden , so wählt man eine andere und zwar eine solche,
wo sich die deutlichste Schwappung zeigt ; bei Saekwassersuchten die
fluetuirendste Stelle , immer mit Rücksicht auf die Art. epigastrica;
den Nabel , wenn er blasig vorgetrieben ist ; den Hodensack, bei gleich-
zeitiger Hydrocele congenita oder einer freien Hernie ; die Mutter-
774 FUNCTION DER RAUCHHOEHLE.
scheide , wenn sie an einer Stelle sackförmig vorgetrieben ist , und man
völlig gewiss ist, dass sich in diesen Sack nicht die Blase oder ein Darm-
theil hineingesenkt hat. ■ — Bei der Operation befinde sich der Kranke
in einer halbsizenden , bei grosser Schwäche in einer mehr horizontalen
Lage im Bette, mit der zu operirenden Seite gegen den Rand des Bettes
hingewendet. Um den Unterleib legt man zwei Handtücher so an , dass
sie die Punctionsstelle zwischen sich frei lassen und ihre Enden sich auf
dem Rücken kreuzen. Diese werden von zwei zu den Seiten des Kran-
ken stehenden Gehülfen gefasst und in entgegengesezter Richtung massig
fest, angezogen. Ist der Bauch massig gefüllt, so lässt man ihn von einem
Gehülfen von beiden Seiten her nach der Punctionsstelle hin zusammen-
drücken , damit hier seine Wand von den Eingeweiden mehr entfernt
werde. Der Operateur fasst, an der Seite des Einstichs stehend, einen
gehörig dicken Troicart mit der rechten Hand nach den oben gegebenen
Regeln und sticht ihn mit einem raschen Druck senkrecht durch die
Bauchwand ein , bis er an der Verminderung des Widerstands erkennt,
dass seine Spize in die Peritonäalhöhle eingedrungen ist, worauf das Stilet
entfernt und die Flüssigkeit entleert wird. Während des Abfliessens der
Flüssigkeit ziehen die Gehülfen die Handtücher in dem Masse zusammen,
als das Wasser sich entleert ; dieser Zug darf indessen nicht zu stark sein,
er hat nicht die Bestimmung , das Wasser auszupressen , sondern es soll
durch ihn nur der Druck ersezt werden, den die Flüssigkeit auf die Bauch-
eingeweide ausgeübt hat , um Congestionen zu denselben zu vermeiden.
Im Allgemeinen muss man sich zur Regel machen, wenn die Bauchdecken
durch eine sehr bedeutende Menge Flüssigkeit in hohem Grade gespannt
sind, nur so viel von derselben (ein Drittel bis die Hälfte) abzulassen, als
eben hinreicht , um die Beschwerden zu mindern, denn in solchen Fällen
hat die Bauchwand eine solche Erschlaffung erlitten, dass die Entleerung
einer grösseren Menge unvermeidlich Veranlassung zu einer erneuerten
raschen Exsudation oder zu einer ausgebreiteten Peritonitis geben würde.
— Der Ausfluss muss durch Schliessen der Canüle von Zeit zu Zeit unter-
brochen werden. Stockt derselbe plözlich, so führt man eine Sonde ein,
oder gibt auch dem Kranken eine andere Lage oder der Canüle eine an-
dere Richtung. Sobald sich Respirationsbeschwerden oder Husten ein-
stellen , muss die Operation beendet werden , denn sie sind ein Zeichen,
dass sich die comprimirten Lungen nicht mehr der durch Herabsteigen
des Zwerchfells erreichten Erweiterung des Thorax entsprechend ausdeh-
nen können, und dass in Folge dessen Congestionen zu denselben stattfinden
können. — Ist die nöthige Menge entleert, so entfernt man die Canüle,
indem man die Bauch wand mit den Fingern der linken Hand über dieselbe
zurückschiebt. Die Wunde wird mit einem Stück Heftpflaster bedeckt.
Die beiden Handtücher werden wie Rollbinden um den Unterleib ange-
legt, und dadurch ein massiger Druck ausgeübt. Der Kranke muss einige
Tage das Bett hüten ; sollten sich Erscheinungen einer Peritonitis ein-
PUNCTION DER BAUCHHOEHLE. 775
stellen, so muss die entsprechende örtliche und bei grösserer Ausbreitung
die allgemeine Antiphlogose eingeleitet werden. Tritt Ohnmacht ein, so
muss die Canüle so lange geschlossen werden , bis der Kranke durch An-
wendung geeigneter Mittel wieder zu sich gekommen ist. In dem höchst
seltenen Fall einer Blutung verfährt man je nach der Quelle derselben
verschieden; ist ein Eingeweide verlezt, in welchem Falle Blut mit Was-
ser gemischt ausfliesst , oder ist in Folge der schnellen Ueberf üllung der
Gef ässe eine Berstung erfolgt, wo das Blut erst gegen das Ende der Ent-
leerung des Wassers ausfliesst , so lässt man die Handtücher recht fest
zusammenziehen und kalte Umschläge machen; ist aber die Art. epi-
gastrica oder einer ihrer Zweige verlezt worden , was man daran er-
kennt, dass das Blut erst nach entfernter Canüle nach aussen, oder häu-
figer unter den Zufällen der innern Blutung nach innen sich ergiesst , so
sucht man das angesammelte Blut zu entleeren , worauf man eine feste
Wieke, ein Stückchen trockenen Schwamm oder eine Wachsbougie in die
WTunde einführt, oder die Bauchwand an dieser in eine Falte erhebt und
bis zur Stillung der Blutung comprimirt hält , oder auch die Stichwunde
umsticht. — In Bezug auf die Punction an den andern oben angegebenen
Stellen gilt Folgendes. Bei der Punction durch den Nabel sticht man
den Troicart durch die Mitte der blasigen Ausdehnung und den erweiter-
ten Nabelring; man kann auch ein Bistouri einstechen (2 — 2*/2 Linien
tief) und durch Umdrehen des Bistouri's eine kleine Lappenwunde bilden.
Die Punction durch den Hodensack verrichtet man ähnlich der Ope-
ration der Hydrocele. Bei der Punction durch die Mutter scheide
legt man die Kranke quer über das Bett, mit dem Steisse an dessen Rand,
lässt die Schenkel weit aus einander halten, die Füsse auf Schemel sezen,
und legt die Handtücher wie oben an , um das Wasser noch mehr in die
Scheide zu treiben. Der Wundarzt geht nun mit dem linken Zeigefinger
in die Scheide ein, legt diesen an die fluctuirendste Stelle an, leitet dahin
den Troicart und stösst ihn ein. — Bei der Sackwassersucht sticht
man nach gehöriger Spannung der Geschwulst an der niedersten Stelle
des Umfangs, in dem die Fluctuation zu fühlen ist, ein. Ist das Wasser
in mehreren Säcken enthalten, so suche man, nachdem der Troicart in
einen derselben eingestochen und, nach zurückgezogenem Stilet, das Was-
ser entleert ist , die andern Säcke gegen die innenliegende Bohre hinzu-
drücken und mit dem aufs Neue eingeführten Stilet zu öffnen , oder man
punktire die einzelnen Behälter. — Um eine Radicalheilung des Hy-
drops ascites zu erzielen, hat man die Punctionen mit reizenden Ein-
sprizungen verbunden, in der Absicht, eine Peritonitis zu erregen, welche
durch Sezung eines plastischen Exsudats Verwachsung der Bauchfellblätter
zu Stande bringen soll. Dieses gefährliche Verfahren ist gegenwärtig
verlassen.
Die Punction des wassersüchtigen Ovariums wird nach den bei
der Sackwassersucht angegebenen Regeln vollführt. Sie wird häufig durch
776 PÜNCTION DER GF.BAERMUTTEK.
den dicken gallertartigen Inhalt vereitelt, indem dieser durch die Canüle
nicht ausfliessen kann.
Punction der Gallenblase, Gallenblasenstich oder
Schnitt, Punctio vesicae feile ae, Laparocholecysteo-
tomia QMJiuqa, Bauch, /oA^5 Galle, xvGug, Blase) ist angezeigt, wenn
bei einem vorhandenen Hydrops vesicae felleae die etwa ent-
stehenden Schmerzen oder ein drohendes Bersten der überfüllten Blase
und somit ein bevorstehender Erguss der Galle in die Bauchhöhle eine
schnelle Hülfe erfordern , vorausgesezt , dass man die Ueberzeugung von
der Verwachsung der Blase mit dem Bauchfelle hat. Diese ist zu ver-
muthen , wenn schon mehrmalige Entzündungszufälle stattfanden , und
wenn die unter den kurzen Rippen hervortretende Geschwulst nicht be-
weglich und verschiebbar ist. Da die genannte Verwachsung indessen
nie mit vollster Sicherheit dargethan werden kann , so ist räthlich , die
Operation nur bei dringender Gefahr vorzunehmen. — Man spannt die
Haut über der von der Gallenblase gebildeten Geschwulst, durchschneidet
erstere der Länge nach 1 1/2 Zoll und dringt mit immer kürzer werden-
den Schnitten bis auf das Bauchfell ; nachdem man sich von der gewünsch-
ten Verwachsung mittels des eingeführten Fingers überzeugt hat , sticht
man an der fluctuirendsten Stelle einen Troicart oder eine Lanzette ein ; er-
sterer gewährt mehr Sicherheit. Die kleine Wunde wird durch ein
Bourdonnet offen erhalten , bis der Ausführungsgang in den Darmkanal
wieder wegsam ist. Sind Steine in der Blase, so erweitert man die Wunde,
aber erst nach vorübergegangener Entzündungsperiode, und nicht blutig,
sondern mit Pressschwamm bis zur hinlänglichen Grösse , um die Steine
ausziehen zu können. Während der Operation entstehende Blutungen
stillt man durch kaltes Wasser oder durch die Unterbindung. Entsteht
ein Erguss von Galle in die Bauchhöhle, so erweitert man die Wrunde oder
macht den Bauchschnitt , im Nothfall schleimige Einsprizungen bei einer
den Abfluss begünstigenden Lage des Kranken. Die nachfolgende Ent-
zündung der Unterleibsorgane erfordert eine ihnen entsprechende Be-
handlung. Die Wunde heilt gewöhnlich unter einem blos deckenden
Verbände. Bleiben nach der glücklich abgelaufenen Operation Fisteln
oder eine Eiterung zurück , so sind gewöhnlich verborgene Steine schuld,
die oft spät von selbst ausgestossen werden. — Sollte man der Verwach-
sung nicht ganz sicher sein, so lässt man die Troicartröhre, die man nach
Abfluss der Flüssigkeit verstopft, so lange liegen, bis die gewünschte
Verwachsung erfolgt ist ; Charpie und eine Leibbinde erhalten sie in ihrer
Lage.
Punction der Gebärmutter, Punctio s. Paracentesis
uteri, ist angezeigt bei Wassersucht des schwangern oder nicht schwan-
gern Uterus, wenn das Wasser in der Höhle desselben und in dem Grade
angehäuft ist , dass grosse Beschwerden und selbst gefährliche Zufälle
entstehen, so wie bei Ansammlung des Menstrualblutes in Folge von Atre-
PUNCTION DER HARNBLASE. 777
sie des Muttermundes, Mangel der Scheide etc., vorausgesezt , dass das
Angesammelte, wie bei der Gebärmutterwassersucht, nicht auf eine andere,
weniger eingreifende Weise entleert werden kann. Man verrichtet die
Operation durch den Muttermund , den Grund der Scheide , die vordere
Bauchwand und den Mastdarm. Die geeignetste Stelle zur 'Operation
ist der Muttermund. Ist dieser nicht verwachsen und steht er etwas
tief, so leitet man auf dem in die Scheide eingeführten linken Zeigefin-
ger eine geknöpfte Sonde, einen weiblichen Catheter etc. ein und durch-
dringt damit den Muttermund. Bei einer Verwachsung verfährt man,
wie es bei der Gebärmutterverschliessung angegeben ist. — Bietet der
wassersüchtige Uterus im Grunde der Scheide die deutlichste Fluc-
ti! ation, so kann man mittels eines langen dünnen Troicarts von dort aus,
aber möglichst nahe dem Gebärmutterhalse , einstechen. Durch den
Mastdarm könnte man so, wie es beim Harnblasenstich gelehrt werden
wird, operiren, wenn die Geschwulst hier deutlich durchzufühlen ist und
Umstände die Wahl einer der bisher genannten Stellen verbieten. — An
der vordem Bauchwand wird die Operation gemacht, wenn die fluc-
tuirende Geschwulst hier sehr deutlich fühlbar und sowohl der Mutter-
mund wie der Uterus vom Grunde der Scheide aus nicht hinlänglich zu-
gänglich ist. Man operirt am besten in der weissen Linie, in der Mitte
zwischen Nabel und Schambeinfuge , nachdem vorher die Harnblase ent-
leert worden ist. Man verfährt wie beim Bauchstiche, nur benuzt man
einen gebogenen (F 1 e u r a n t ' sehen) Troicart, der bis zu der gehörigen,
aus dem Gefühl des verminderten Widerstandes abzumessenden Tiefe ein-
gestochen wird. Der Uterus contrahirt sich während der Entleerung,
weswegen es nöthig ist , die Troicartröhre noch tiefer einzuschieben. —
lieber Verband und Nachbehandlung gilt das beim Bauchstich und der
Eröffnung des Gebärmuttermundes Gesagte.
Punction der Harnblase, Blasenstich, Punctio s.
Paracentesis vesicae urinariae, ist angezeigt , wenn .durch die
Zurückhaltung des Urins eine so bedeutende Ausdehnung der Blase er-
folgt, dass Brand, Zerreissung derselben , Extravasaten des Urins zu be-
fürchten sind, und auf keine Weise der Abfluss desselben auf dem natür-
lichen Wege bewerkstelligt werden kann. Diese Operation ist bei Ge-
schicklichkeit im Catheterisiren selten nöthig , vorkommenden Falls aber
zur Lebensrettung unentbehrlich. Sie bietet keine erheblichen Gefahren
dar, verwundet nicht bedeutend, wenn man sie macht, ehe die Entzündung
einen hohen Grad erreicht hat, oder die Blase dem Bersten nahe ist. Es
gibt drei Methoden, den Blasenstich zu machen, nämlich : über der Scham-
beinverbindung , durch den Mastdarm , bei Weibern durch die Scheide,
endlich durch das Mittelfleisch. — Bei dem Blasenstich über dem
Schambogen nimmt der Kranke eine halbsizende Lage an. Ein Ge-
hülfe fixirt, nachdem die Haare vom Schambeine weggenommen sind, die
Blase durch seine zu den Seiten derselben angelegten Hände in der Mit-
778 PÜNCTION DER HARNBLASE.
tellinie , der zur rechten Seite des Kranken stehende Wundarzt sezt den
linken Zeigefinger über der Schambeinvereinigung auf und sticht dicht
am Nagel desselben einen halbkreisförmig gebogenen Troicart , mit der
Concavität nach unten gerichtet, senkrecht durch die Bauchwand in die
Blase ein ; während des Vorschiebens desselben wird das Heft etwas ge-
hoben, damit er seiner Krümmung entsprechend eindringe. Das Aufhören
des Widerstands zeigt ihm an , dass er in die Blase eingedrungen ist,
wozu je nach der Dicke der Bauchwand ein Eindringen von 2 bis 4 Zoll
nöthig ist. Bei sehr fetten Personen , wo die Blase nicht deutlich fühl-
bar ist , hat man angerathen , dieselbe zuerst durch einen Einstich bloss-
zulegen, was jedoch überflüssig ist. Nach vollführtem Einstich zieht man
das Stilet mit der Rechten aus , während man mit der andern Hand die
Röhre etwas weiter einschiebt. Nun lässt man den Urin ausfliessen und
befördert dies durch eine seitliche Lage des Kranken und durch Druck
auf die Bauchwand , wobei man nach Verhältniss des Abflusses die Röhre
noch etwas tiefer einschiebt. Der Abfluss des Urins muss öfters unter-
brochen werden , damit die durch die grosse Ausdehnung in ihrer Con-
tractilität gelähmte Blase Zeit gewinnt, sich activ zusammenzuziehen. Ist
zu fürchten , dass sich die Blase zu sehr contrahiren und von der Röhre
abstreifen werde, so entleere man sie nicht ganz. Nach beendigtem Ab-
flüsse führt man eine andere unten geschlossene und seitlich durchlöcherte,
oben mit einer Platte versehene Röhre durch die erste ein , damit deren
scharfer Rand die Blase nicht reizen könne, befestigt beide durch. Bänder
an einander , die man durch ihre Ringe führt, legt eine gespaltene Com-
presse unter die Platte der erstem, befestigt diese durch Heftpflasterstrei-
fen und durch den senkrechten Theil einer T-Binde , dessen Köpfe man
erst unter , dann über ihr kreuzt und an den horizontalen ansticht , und
verstopft endlich die äussere OeiTnung der Röhre durch einen Korkstöpsel.
— Nach der Operation lässt man den Kranken eine ruhige Lage beob-
achten und lässt den Urin alle 3 bis 4 Stunden, aber nie ganz ab. Nach
7 bis 8 Tagen zieht man die Röhren behufs der Reinigung ans ; man
nimmt dabei erst die innere Röhre weg, schiebt durch die andere eine
lange elastische Bougie, zieht sie sehr behutsam über diese aus und bringt
sie , nachdem sie gereinigt , auf derselben wieder in die Wunde , worauf
man die Bougie entfernt und die zweite Röhre wieder einlegt. Entzünd-
liche Zufälle behandelt man nach den Regeln der Kunst. — Während
dieser Nachbehandlung muss man auf alle Weise suchen, den natürlichen
Gang für den Urin wiederzustellen. Hat man dies erreicht, so zieht man
die Röhre aus und führt einen Catheter durch die Harnröhre, der bis zur
Heilung der StichöfFnung, die man mit einem Heftpflaster bedeckt, liegen
bleibt. Bisweilen muss die Röhre Jahre lang und selbst wohl das Leben
hindurch getragen werden, in welchem Falle es zweckmässig ist, sie durch
ein Röhrchen von Guttapercha zu ersezen, das aber oft gewechselt werden
muss , da es durch den Urin sehr brüchig gemacht wird. — Bei dem
FUNCTION DER HARNBLASE. 779
Blasenstich durch den Mastdarm wird der Kranke , nachdem dessen
Mastdarm durch ein Klystier gereinigt ist , auf den Rand des Bettes so
gelegt, dass die herabhängenden Schenkel von zwei Gehülfen gebeugt
und aus einander gehalten unterstüzt werden können. Während ein Ge-
hülfe oberhalb der Schambeine mit der einen Hand die Blase nach unten
drängt , mit der andern Hand das Scrotum erhebt , bringt der Wundarzt
den beölten Zeigefinger der linken Hand in den Mastdarm bis über die
Prostata weg und sezt 1/2 Zoll über dieser die Fingerspize gegen die
Mittellinie der fluetuirenden Blase. Dann fasst er den gebogenen Troi-
cart, dessen Stiletspize in die Röhre 'zurückgezogen ist, mit der rechten
Hand , führt ihn mit gegen die Schambeine gerichteter Concavität längs
des linken Zeigefingers in den Mastdarm , zu der von jenem markirten
Stelle und drückt ihn hier , den Griff nach dem Steissbeine neigend , an.
Nun stösst er das Stilet ganz in die Röhre, schiebt beide l1/2Zoll weiter
in die Blase hinein , wobei sie die Richtung gegen den Nabel verfolgen
müssen , entfernt den Finger aus dem Mastdarm , hält die Röhre unver-
rückt und zieht das Stilet aus. Nachdem der Urin abgelassen ist , be-
festigt man die Röhre durch Bändchen an eine T-Binde. - — DiePunction
durch die Scheide, wäre , wenn sie sich als nothwendig erwiese , ganz
so auszuführen , wie durch das Rectum. Die liegenbleibende Röhre er-
hält ihre Unterstüzung durch Ausfüllen der Scheide mit Charpie. — Der
Blasenstich durch den Damm ist das älteste Verfahren, wird aber gegen-
wärtig wenig mehr geübt. Es wird dabei, während der Kranke wie zum
Steinschnitt gelagert ist , entweder die Harnröhre und der Blasenhals ge-
radezu geöffnet, oder der Einschnitt in den Blasenhals auf einer gefurch-
ten Leitungssonde gemacht (1 a Boutonniere), oder die Blase an ihrem
Körper mit einem geraden langen Troicart eingestochen, welcher entweder
geradezu in der Mitte einer Linie , die man sich vom Sizknorren bis zur
Rhaphe zwei Linien von dem Rande des Afters gezogen denkt , zuerst
parallel mit der Achse des Körpers und dann die Spize etwas einwärts ge-
richtet , eingestossen wird ; oder man macht auf der linken Seite der
Rhaphe, 1/2 Zoll von ihr entfernt, einen l^zölligen Einschnitt, welcher
unter dem Bulbus urethrae anfängt und neben der Mündung des
Afters endigt , durch das Zellgewebe und die Muskeln ; während nun ein
Gehülfe die Blase nach unten drängt, vergewissert man sich mit dem in
die Wunde eingebrachten Zeigefinger der linken Hand von der Lage der
Blase, und stösst von diesem geleitet , einen dicken Troicart , etwas nach
oben gerichtet , in die Blase. Nach entleertem Urin wird die äussere
Wunde sanft mit Charpie ausgefüllt, die Röhre verstopft und wie bei dem
Blasenstich durch den Mastdarm befestigt. — Wenn die Ursache der
Harnretention ausserhalb der Harnröhre oder in dem von aussen nicht zu-
gänglichen prostatischen Theile derselben liegt, so gibt man in der Mehr-
zahl der Fälle dem Blasenstiche über der Schamfuge den Vorzug, wenn
anders nicht die Fluctuation sich hier sehr undeutlich zu erkennen gibt,
780 PYAEMIE.
ferner die Gegend daselbst nicht krank oder sehr schmerzhaft ist, in wel-
chem Falle man den Blasenstich durch den Mastdarm vorzieht, voraus-
gesezt, dass der Mastdarm, die Prostata und der Blasenhals nicht der Siz
irgend eines Leidens sind. Liegt die Ursache der Retention dagegen in
dem zugänglichen Theile der Harnröhre, z. B. in einer Strictur, in der
Anwesenheit eines Harnsteins oder anderweitiger fremder Körper, so schnei-
det man auf die betreffende Stelle von aussen ein und beseitigt das Hin-
derniss direct. Bei einer Strictur ist dieses Verfahren zugleich das sicher-
ste Mittel zur Heilung derselben. S. Harnröhrenstricturen.
PyälXlie, eiterige Infection, Eitergährung, Pyae-
mia, Infectio purulenta. Mit diesem Namen bezeichnet man
eine Blutkrankheit, welche durch die Aufnahme von Eiter in die Blutmasse
bedingt wird. Die Krankheit charakterisirt sich durch functionelle Stö-
rungen und anatomisch nachweisbare Veränderungen im ganzen Organis-
mus, welche als Krankheitsbild unter dem Namen Eitertyphus, auch
eiterige Diathese, metastatische Abscesse, Eitermeta-
stase u. dgl. zusammengefasst werden. — Ueber die Art und Weise,
wie der Eiter in das Blut gelangt, weichen die Ansichten auseinander.
Die Einen glauben , dass der Eiter an der Stelle der Verlezung von den
Gef ässen aufgenommen und weiter geführt werde, und zwar sowohl durch
Aufsaugung (zunächst des Eiterserums und dann auch der zerfallenen
Eiterkörperchen) als auch durch Eintritt von Eiter in offenstehende , in
Eiterherde hineinragende Venen. Andere sind der Meinung , dass der
Eiter erst im Gef ässsystem (namentlich durch Phlebitis suppura-
tiva) gebildet und dann mit dem Blute vermischt werde. Dass auch
gewisse flüchtige Bestandtheile des Eiters eine Eiterinfection bewirken
können, dafür scheint zu sprechen, dass in Spitälern, wo viele Kranke mit
eiternden Wunden liegen , fast alle frischen Wunden mit Eiterung heilen
(Diathesis purulenta). - — Der durch den Zutritt der Luft oder
durch innere Ursachen scharf gewordene Eiter ist geeigneter zur Erzeu-
gung der eiterigen Blutinfection, als ein milder Eiter. — Man nimmt an,
dass der in das Blut aufgenommene Eiter auf verschiedenen Wegen wie-
der aus demselben ausgeschieden werden könne , nämlich : durch das ur-
sprünglich schon eiterbildende Organ (Wunden , Geschwüre , Hautaus-
schläge) , durch die secernirenden Organe und zwar am häufigsten durch
die Nieren , und endlich durch Ablagerungen in verschiedene Theile des
Körpers. Die leztere Art der Ausscheidung ist die bedenklichste ; der
Eiter tritt sowohl in den verschiedenen innern Organen, und hier meistens
in der Form zahlreicher kleiner Abscesse, wie im Bindegewebe und in den
grossen serösen und in den Gelenkhöhlen auf; in dem ersteren bildet er
nicht selten grössere Eiterherde , in den Höhlen serös-eiterige Ergüsse.
Die Bildung dieser Eiteransammlungen , welche unter dem Namen der
metastatischen Abscesse bekannt sind , geht auf folgende Weise
PYAEMIE. 781
vor sich : Zuerst entsteht in dem Gewebe eines Organs ein Bluterguss,
eine fast schwarz gefärbte Ecchymose. Dieses ergossene Blut wandelt
sich in kurzer Zeit in einen kleinen Eiterherd um , welcher sich in einer
scharf abgegrenzten Höhle befindet, die sich bald mit einer Abscessmem-
bran auskleidet. Am häufigsten finden sich diese Abscesse in der Lunge,
nächst dem im Bindegewebe , in der Milz , der Leber, den Muskeln, den
Nieren, dem Gehirn und dem Herzen. Eiterige Ergüsse von grösserem Um-
fang finden sich nur im Bindegewebe der Extremitäten ; in demjenigen
des Rumpfs fast nur bei Wöchnerinnen , welche an Entzündung der Ute-
rinvenen litten. Der Eiter ist in diesen Ergüssen gewöhnlich schlecht,
während er in den eingekapselten Abscessen in der Regel gut ist. Die
Ergüsse der serösen Höhlen sind meistens von seröser Beschaffenheit. Sie
entstehen mit derselben Schnelligkeit , wie die metastatischen Abscesse
und können zuweilen schnell verschwinden, um bald darauf wieder zu er-
scheinen. Die diese Ergüsse einschliessenden Gewebe sind zuweilen nor-
mal, andere Male geröthet, erweicht oder verhärtet. — Die Ursache dieser
Eiterbildungen finden die Einen darin, dass die Eiterkörperchen die engen
Capillargef ässe nicht passiren können, daher stecken bleiben und dadurch
eine örtliche Entzündung bedingen, die in Eiterung übergeht. Nach An-
dern bedingt das durch die Mischung mit dem Eiterserum eigenthümlich
veränderte Blut Reizung , Entzündung und zulezt Eiterung. — Bei der
Eitervergiftung zeigt das Blut eine bedeutende Verminderung an Faser-
stoff", so dass es nicht mehr gerinnt, sondern eine schmierige Gallerte dar-
stellt ; die Blutkörperchen werden zum Theil aufgelöst, erscheinen rissig
und höckerig und die Farbe des Bluts ist rothbraun. — Virchow
spricht sich in neuester Zeit über die Eiterinfection des Blutes folgender-
massen aus : Die Anwesenheit des Eiters im sogenannten pyämischen
Blute lässt sich nicht positiv darthun. Viele Fälle, wo man mikroskopisch
die eingedrungenen Eiterkügelchen zu sehen glaubte , waren Leukämien
oder Polyleucocythaeniien (Vermehrung der weissen Blutkörperchen). Farb-
lose Blutkörperchen , wie Eiterzellen , sind der verschiedensten Modifica-
tionen fähig ; beide lassen sich nicht speeifisch von einander unterschei-
den. — Durch Injection fauliger Substanzen in das Blut lässt sich aller-
dings eine tödtliche Krankheit erzeugen (S e d i 1 1 o t 's Septihämie) , aber
nicht das Symptomenbild der Pyämie, lezteres auch nur in seltenen Fällen
durch Injection von achtem Eiter. Der sogenannte Veneneiter , welchen
man als Ursache der nach einer purulenten Phlebitis eintretenden Pyämie
ansah , ist gar kein Eiter , sondern ein Detritus von Faserstoff und Blut-
körperchen aus dem zerfallenen Thrombus. — Der Uebergang von Eiter
in das Blut lässt sich fast niemals nachweisen , mit Ausnahme jener selte-
nen Fälle , wo eine Aspiration desselben möglich war , oder wo Abscesse
in das Innere einer Gef ässhöhle hinein durchbrachen , und gerade in sol-
chen Fällen wurden gar keine pyämischen Erscheinungen beobachtet. —
Man muss überhaupt die unter dem Namen Pyämie zusammengefassten
782 PYAEMIE.
Phänomene in zwei Reihen sondern, von denen die eine mehr mechanisch
(durch Embolie), die andere mehr chemisch (durch Infection) zu erklären
ist. Es kommen Fälle von ausgedehnten Eiterungen vor , wo troz des
heftigsten pyärnisch-typhösen Fiebers gar nichts zu dessen Erklärung auf-
gefunden wird. Es gibt ferner Fälle ausgebreiteter eiteriger Diathese,
wo die Section eine Menge von sogenannten Metastasen nachweist, wäh-
rend bei Lebzeiten gar keine pyämischen Symptome beobachtet worden
waren. Es gibt Fälle von sehr ausgebreiteten Eiterungen , wo der Tod
nach wiederholten Schüttelfrösten eintrat, ohne dass die Section Spuren
einer allgemeineren Infiltration zeigte. Es gibt endlich Fälle , wo man
bei Lebzeiten eine Pyämie diagnosticirt , und nach dem Tode nur eine
Embolie findet. — Der nach seiner Aufsaugung jene Infection bedingende
Stoff ist wahrscheinlich eigenthümlicher Art , von Eiterkügelchen , Eiter-
saft und gewöhnlichen Fäulnissstoffen noch verschieden. Man muss von
der einfachen Septihämie noch unterscheiden die Ichorrhämie, die
Aufnahme verdorbener Säfte aus eiternden und brandigen Stellen, wie sich
oft unter epidemischem Einflüsse zu erzeugen pflegen. Diese Ichorrhämie
ist es vorzugsweise, welche eine Neigung zur Hervorbringung entzünd-
licher , diphtherischer , erysipelatöser und eiteriger Processe und Meta-
stasen bedingt , eine phlogogene Diathese , eine Eitersucht. — Sym-
ptome. Die Pyämie beginnt gewöhnlich mit einem Schüttelfrost von
verschiedener Stärke und Dauer , dem häufig , jedoch nicht immer, Hize
und dann Schweiss, gleichfalls von verschiedener Dauer, oft von erneuer-
ten Frostanfällen unterbrochen, folgen. Diese sogenannten perniciö-
sen Frostanfälle, Febris intermittens perniciosa, erschei-
nen ohne regelmässigen Typus , kommen oft mehrmals des Tags wieder
und nicht selten mehrerere Tage hinter einander. Besteht eine Wunde,
so wird diese sogleich mit dem ersten Frostanfall missfarbig, ihre Ränder
werden schlaff, die Eiterung stockt, die ganze Wundfläche erscheint trok-
ken und verbreitet einen üblen Geruch ; hatte die Vernarbung bereits be-
gonnen , so springt die Narbe wieder auf und ihre Ränder hängen schlaff
herab. Mit den Frostanfällen ist ein Darniederliegen der Kräfte , Be-
täubung , Mangel an Appetit , trockene , schwärzlich belegte Zunge und
icterische Färbung der Haut und der Augen verbunden. Oft stellt sich
Durchfall mit höchst stinkenden Ausleerungen ein. — In der Mehrzahl
der Fälle wird die Krankheit unter Steigerung der angeführten Symptome
schnell tödtlich. Zuweilen bessert sich auch der Zustand wieder, aber
meist nur , um der baldigen Wiederkehr der Krankheitserscheinungen
Plaz zu machen , was sich mehrmals wiederholen kann und dann schliess-
lich doch zum Tode führt. Nur in höchst seltenen Fällen hat die Besse-
rung Bestand und der Kranke geneset. — Behandlung. Sie ist zu-
nächt eine causale ; man sucht die Ursache der Krankheit zu heben durch
Sorge für Entleerung des stagnirenden Eiters , durch Einschnitte und
Gegenöffnungen; durch Einsprizungen , Bäder und Fomentationen sucht
QUETSCHUNG. 783
man die Resorption scharfer Jauche zu vermindern , unterdrückte Eite-
rungen und Schleimflüsse wieder herzustellen, man amputirt Glieder, deren
Heilung nicht erwartet werden kann, zur rechten Zeit ; Patienten, welche
durch Spitalluft cachectisch geworden sind, bringt man auf das Land. Ist
es nicht möglich, auf directem Wege zu helfen, so reicht man Brech- und
Abführmittel , Chinarinde und Säuren , Chinin und Chininsalze. Dabei
muss die Diät geregelt werden mit Vermeidung alles Erhizenden ; die
Nahrung j<ei leicht verdaulich und möglichst nahrhaft.
Q-
HUetSChUllg, Contusio, Quassatio, nennt man die durch
eine stumpfwirkende Gewalt herbeigeführte Verlezung des innern Ge-
f üges eines Gewebes^ ohne gleichzeitige Trennung der Oberhaut. — Dem
Grade nach können die Quetschungen höchst verschieden sein , wonach
sich auch die Erscheinungen richten. War die einwirkende Gewalt
nicht bedeutend , so empfindet der Kranke einen drückenden Schmerz in
dem Theile ; dieser schwillt an und wird durch Infiltration von Blut blau
gefärbt (Blutunterlaufung , Ecchymosis); wirkte die Gewalt stärker
ein , so ist der drückende Schmerz lebhafter ; in Folge der Zerreissung
grösserer Gefässe bilden sich Blutextravase (Ecchymoma, s. diesen
Art.) , die blauschwarz durch die Haut scheinen , wenn sie oberflächlich
liegen , die ausserdem fluctuiren und die Geschwulst vermehren. Der
tiefliegende Bluterguss zeigt sich oft erst ziemlich spät , namentlich bei
der Lage unter einer Aponeurose. Dabei leidet die Function des Theils
mehr oder weniger stark mit. Bei sehr intensiver Einwirkung der äussern
Gewalt tritt der höchste Grad der Quetschung ein ; der Theil fühlt sich
matschig an, er wird unempfindlich und seiner Functionen beraubt. Sind
alle organischen Theile in eine fast gleichartige, breiige Masse verwandelt,
so bezeichnet man dies als Zermalmung, Conquassatio. — Die-
sen primären Erscheinungen , die vorzüglich in einer Verminderung der
Vitalität bestehen , folgen dann bald die secundären Symptome : die der
Reaction oder völligen Ertödtung der Vitalität. — Ist die Texturverände-
rung unbedeutend, so tritt eine massige Entzündung auf, die sich meistens
zertheilt, und auch das ergossene Blut wird nach und nach unter allmäli-
ger Farbenveränderung des verlezten Gewebes resorbirt. — Bei einem
höheren Grade von Quetschung ist die Reaction gewöhnlich bedeutender,
Schmerz und Geschwulst steigern sich anfangs, und in der Umgebung
des Extravasats fühlt man entzündliche Härte. Die sich bildende Ent-
zündung zeigt eine grosse Neigung zum Uebergang in Eiterung und
Brand. Extravasate, selbst bedeutendere können resorbirt werden ; oft
bleibt jedoch ein festes fibrinöses Coagulum zurück , das organisations-
784 QUETSCHUNG.
fähig ist, oder in Eiterung umgewandelt wird, oder endlich auch noch
durch Resorption schwindet. — Im höchsten Grad von Quetschung ist
Brand unvermeidlich. — Ursachen. Alle mechanischen Gewalten,
welche durch Stoss oder Druck wirken, können Quetschung veranlassen.
Die quetschende Einwirkung bringt in verschiedenen Geweben, je nach
ihren mechanischen Eigenschaften, ungleiche Zerstörungen hervor, gerin-
gere in elastischen, stärkere in weichen, wenig cohärenten Geweben. Da-
her ist häufig bei Quetschungen die Haut ziemlich unversehrt, während
tiefere Theile in hohem Grade gelitten haben, auch leiden die Weichtheile
immer mehr, wenn sie gegen einen Knochen gedrückt werden und im Mo-
mente der Einwirkung erschlafft sind. Viel kommt dabei auch darauf
an , ob die Gewalt mehr gerade oder in einem grösseren oder kleinern
Winkel den Theil berührte. ■ — Prognose. In den leichteren Fällen
und wo das Ecchymoma nicht zu beträchtlich wurde, ist die Contusion
nicht gefährlich ; in den höheren Graden kann aber die Quetschung an
und für sich oder durch die später eintretende Eiterung oder Gangräne-
scenz den Verlust des gequetschten Theils oder selbst den Tod herbei-
führen. In Eingeweiden haben sie bisweilen organische Krankheiten zur
Folge. — Behandlung. Bei leichteren Graden von Quetschung reicht
man mit der Anwendung von Kälte und einem leichten Druckverbande
aus. Bei stärkeren und ausgebreiteteren Contusionen ist eine energische
und anhaltende antiphlogistische Behandlung nothwendig , um dem Ein-
tritte heftiger Entzündung vorzubeugen. Man zieht demgemäss das kalte
Wasser in der Form von Umschlägen und Aufgiessungen , so wie Um-
schläge von Essig und Wasser, Bleiwasser, Salzsolutionen, die Schmuk-
ker' sehen Fomentationen in Gebrauch. Diese Mittel wirken belebend,
befördern die Zusammenziehung des atonisch gewordenen Gewebes, hem-
men das weitere Austreten von Blut und begünstigen die Aufsaugung des
ergossenen. Ausser diesen Mitteln können örtliche und allgemeine Blut-
entziehungen , innerlich kühlende Mittelsalze etc. nöthig werden. — Ist
die Gefahr der Entzündung beseitigt, das ergossene Blut aber noch nicht
vollständig resorbirt, so wendet man gelind reizende , zertheilende Mittel
an, wie Umschläge von aromatischen Aufgüssen mit oder ohne WTein, von
Essig und Salmiak, von Theden's Schusswasser, von Arnica etc., und
geht dann zu Waschungen aus Spiritus camphoratus, sapona-
tus, serpylli, Balsam, vitae Hoffm. extern, etc. über, wickelt
die Theile gleichmässig mit einer drückenden Binde ein und gibt innerlich
Arnica mit Mittelsalzen , bei grosser Sensibilität des Kranken auch mit
einem Zusaze von Opium. Tritt Eiterung ein, so behandelt man die Ge-
schwulst wie einen Abscess und öffnet frühzeitig. Bleibt in den gequetsch-
ten Theilen grosse Schwäche zurück , so fährt man mit den reizenden
Einreibungen und dem Druckverbande fort , oder lässt die kalte Douche
darauf einwirken. — Gelingt die Aufsaugung und Zertheilung einer Blut-
geschwulst nicht, so macht man einen Einschnitt und behandelt die Wunde
REIFMACHENDE MITTEL. 785
ihrer Beschaffenheit gemäss. — Ist ein Gliedtheil in dem Masse zer-
quetscht, dass Brand unvermeidlich folgen muss, so ist die Amputation
angezeigt.
R.
Rachenpolyp, Polypus faucium s. pharyngis. Er
kann in dem hintern Theile der Nasenhöhle wurzeln und sich gegen die
Rachenhöhle entwickeln oder er entsteht auf der hintern Wand des hän-
genden Gaumens oder von den Wänden des Pharynx selbst. Er ist mei-
stens von fester, fleischiger Beschaffenheit und sizt gewöhnlich mit einem
kurzen und dicken Stiele auf. — Diese Polypen geben sich zu erkennen
durch Druck und Reizung der Rachengebilde , durch Husten , Würgen,
Hinderniss beim Athmen und Schlingen. Bei nicht zu tiefem Size sind
sie , wenn sie sich etwas vergrössern , leicht durch das Gesicht zu erken-
nen. — Behandlung. Das Ausreissen dieser Polypen ist wegen
der Nachgiebigkeit des Bodens, auf dem sie wurzeln, nicht räthlich und
höchstens bei solchen mit langem dünnen Stiele zu wagen ; das Abschnei-
den kann meist nur unvollständig geschehen und ist der meist heftigen
Blutung wegen nicht ohne Gefahr ; wenn sie nicht zu hoch oder zu tief
sizen, fasst man sie mit einem scharfen Haken, zieht sie hervor und trägt
sie mittels eines grösstentheils umwickelten Bistouris durch sägeförmige
Züge ab: Die Blutung wird durch Gurgeln mit kaltem Wasser, Wasser
und Essig u. dgl. gestillt. Das Abbinden ist die zweckmässigste Be-
handlungsweise , es ist aber oft sehr schwierig und geschieht , wie es bei
den Nasenpolypen angegeben wurde. Passend ist die Combination des
Abbindens mit dem Abschneiden. Sizt der Polyp in der Speiseröhre
selbst, so kann er nur durch Würgen in die Mundhöhle getrieben werden
und erregt daselbst sehr bald Erstickungsgefahr, daher man in diesem
Falle vor der Operation durch die Pharyngotomie einen künstlichen Luft-
weg bilden muss. Man sucht diese Polypen mittels einer Schlinge , die
durch die Nase eingeführt wird , zu fassen , und bringt dann einen ge-
krümmten , langen L e v r e t'schen Cylinder in Anwendung. Man kann
sich auch mit Vortheil der galvanocaustischen Schneideschlinge bedienen.
S. Electrotherapie.
Reifmachende Mittel, Maturantia, oder eiterungs-
befördernde, eiterbildende Mittel, Suppurativa, Suppurantia.
Hierunter versteht man verschiedene örtliche Mittel, welche die Eiterung in
entzündlichen Geschwülsten , die sich in der Haut oder nahe unter ihr
befinden, befördern. Es gibt selbstverständlich keine Substanz, welche
die Eigenschaft besizt , Eiter zu bilden. Dieser kann sich nur in Folge
Burger, Chirurgie. 50
786 REINIGENDE MITTEL.
eines gewissen Grades von Entzündung bilden. Es kann sich also nur
davon handeln , Mittel anzuwenden , welche diesen erforderlichen Grad
von Entzündung herbeiführen, und da der bestehende Grad der Entzün-
dung ein verschiedener sein kann , so müssen auch die anzuwendenden
Mittel verschiedene sein. Ist die Entzündung zu stark, d. h. überschrei-
tet sie den Grad , bei welchem sich Eiter bilden kann , so sind reizmil-
dernde, schleimige, erweichende Mittel (s. dies. Art.) die eigentlichen
Maturantia; ist die Entzündung dagegen zu gering, d. h. erreicht sie
den zur Eiterbildung nöthigen Grad' nicht, oder fehlt sie ganz, dann sind
erregende Mittel nöthig , um den zu schwachen Entzündungsprocess zu
vermehren oder den fehlenden hervorzurufen. Solche Mittel sind : Zwie-
bel (gebraten für sich allein oder in Verbindung mit andern Mitteln,
s. unten), Pfeffer, Meerrettig , Senf, Löffelkraut, Ranunkelarten etc.,
welche gewöhnlich mit erweichenden Kräuterpulvern in Brei- oder Teig-
form , Seife , welche in Breiform für sich oder mit andern , namentlich
scharfen Mitteln (s. unten) in Anwendung kommen. Endlich sind noch
die natürlichen Balsame , die Harze und Schleimharze , und unter diesen
besonders das Gummi elemi, galbanum, ammoniacum, der Ter-
pentin , das Fichtenharz , Pech etc. zu nennen , welche in vielfachen Zu-
sammensezungen , z.B. als Einplas tr. diachylon compositum,
malacticum, citrin um, deammoniaco, foetidum, Ungt.
fuscum, basilicum etc., so wie häufig als sogenannte Haus- oder Fa-
milienpflaster, welche meistens mit dem Empl. citrinum übereinkom-
men, in Gebrauch sind.
Rp. Spec. emollient. proca- Rp. Sapon. dornest, s. nigr.
taPL dÄ) 5"J
Pulv. sem. s inap. A q. fervid. 51J
Cepar. assatar. ana ^j Cepar. assatar.
M. f. C a t a p 1. F a r i n. sem. s i n a p. ana
5ÜJ.
M. f. Catapl.
Reinigende Mittel, Abstergentia, Detergentia s.
Detersiva, Mundificantia, Rhyptica. Diese Mittel zerfallen
in zwei Gattungen , und zwar in solche , welche zur Reinigung frischer
Wunden von fremden Körpern oder eiternder Wunden und Geschwüre
von Unreinigkeiten in ihrer Umgebung dienen und welche gemeinhin als
Abwasch mittel, Abluentia, bezeichnet werden, und in solche,
welche die Bestimmung haben, eine Eiterfläche von schlechter Beschaf-
fenheit in eine gutbeschaffene umzuwandeln. Es sind dies die eigentli-
chen Digestiva, oder sofern sich bei ihrer Anwendung eine gute Gra-
nulation, junges Fleisch erzeugt , die fleisch machenden Mittel,
Incarnantia s. Sarcotica. - Nur von diesen wird hier die Rede
sein. — Der Grund der Unreinigkeit einer Wunde oder eines Geschwürs
RESECTION. 787
kann ein verschiedener sein und nach dieser Verschiedenheit müssen auch
die Mittel, welche den ordnungsniässigen Zustand wiederherstellen sollen,
verschieden sein. Die Unreinigkeit einer eiternden Flache kann beru-
hen : auf zu geringer oder zu starker Entzündung oder auf einer brandi-
gen Zerstörung. Der erstere Zustand nimmt erregende, der zweite reiz-
mildernde , erweichende , der lezte fäulnisswidrige Mittel in Anspruch.
Die zwei lezten Gattungen von Mitteln haben in den entsprechenden Ar-
tikeln schon ihre Erledigung gefunden; es wird deshalb hier nur von den
erstem gehandelt werden. Zu den hierher gehörigen Mitteln sind zu
rechnen : verschiedene balsamische und harzige Mittel , wie der B a 1 s a -
mum Arcaei, Bals, sulphuris terebinth., Ungt. digesti-
vum, basilicum, de styrace, Empl. de spermate ceti etc., der
Peru-, Tolubalsam, der Theer, Russ, die Myrrhe, Aloe ; einige ätherisches
Oel haltige Pflanzen, wie Chamillenblumen und Calmuswurzeln; Chlor, und
zwar das Chlorwasser, Chlorkalk (5j — ij ad 5VÜJ Wasser), Chlornatrium ;
einige Natronsalze, wie Borax, Salmiak, Salpeter, Kochsalz; endlich ver-
schiedene Caustica in verdünntem Zustande, so das Aezkali ('/2 — 6 gr.
auf ^j Flüssigkeit, zu Verbandwassern, Einsprizungen und Pinselsäften),
der Höllenstein (gr. */4 — »2 gr. auf ^j Aq.) , Sublimat (gr. j — ij auf ^j
Flüssigkeit) , der rothe und weisse Präcipitat Qj — 3j auf 5jj Fett) , der
Grünspan, das Chlorzink (gr. j — ij auf 5j Aq.) etc. ; der weisse Zucker
(als Streupulver).
ReSGCtlOll, Resectio. Mit diesem Namen bezeichnet man
die theilweise oder gänzliche Entfernung eines oder mehrerer Knochen
mit Zurücklassung der sie bedeckenden Weichtheile. Die Entfernung
krankhafter Knochen kann an den Gelenkenden oder in der Continuität
der Knochen vorgenommen werden ; man bringt die Resectionen daher
unter zwei Hauptklassen, nämlich : I. Aussägung kranker Knochenstücke
aus einem Knochen, Resectio ossium partialis. Diese zerfällt
wieder : 1) in die Abtragung der Gelenkenden, Resectio ossium in
articulis, Decapitatio ossium; 2) in die Entfernung kranker
Stücke aus der Continuität der Knochen, Resectio ossium partia-
lis, Resectio in continuitate ossium, R. extra articulos.
— IL Exstirpation eines ganzen kranken Knochens durch Aufhebung
seiner Gelenkverbindungen, Resectio ossium totalis, Exstirpa-
tio ossium. — Der nächste Zweck der Operation ist zwar immer die
Entfernung des kranken Knochens , allein bei Gliedmassen hat die Re-
section noch einen entfernteren , aber höchst wichtigen Zweck , nämlich
die Erhaltung der Gliedmassen und eines grossen Theils ihrer Function.
— Die Krankheitszustände , welche im Allgemeinen die Operation erhei-
schen, sind: 1) organische Krankheiten der Knochen:
a) Necrose, wenn dieselbe wenigstens den grössten Theil eines oder
beider Gelenktheile einnimmt ; b) C a r i e s , wenn dieselbe mehr oder
50*
788 RESECTION DER GELENKKOEPFE.
weniger örtlich ist, d. h. wenn kein auffallendes Allgemeinleiden dieselbe
an mehreren Stellen erzeugt und unterhält ; c) Krebse, wenn die allge-
meine Erkrankung nicht zu sehr entwickelt ist; d) gutartige Neu-
bildungen, wie centrale Knochenenchondrome u. dgl., wenn sie nicht an
sich exstirpirbar sind. 2) Mechanische Verlezungen: a) Ge-
lenkzerschmetterungen; b) complicirte Beinbrüche mit
losen Knochensplittern , oder wenn ein die Haut perforirendes Knochen-
stück , selbst nach der Erweiterung der Wunde nicht reponirt werden
kann ; c) irreponible Luxationen, bei denen der Gelenkkopf
gegen Nerven und Gefässe drückt; d) Pseudarthrosen.
I. Abtragung des Gelenkendes der Knochen oder
der Gelenkköpfe, Resectio ossium inarticulis, Decapi-
tatio ossium, Amputatio epiphysium. — Die Indi c atio-
n e n zur Ausführung der Gelenkresectionen lassen sich nicht auf eine
scharf begrenzte Weise geben. Im Allgemeinen beschränken sie sieb
auf Krankheiten der Gelenkenden der Knochen, deren Heilung auf andere
Weise nicht erzielt werden kann; zu diesen Krankheiten gehören: 1) Lu-
xationen mit Zerreissung der weichen Theile, durch welche der luxirte
Gelenkkopf so hervorgetreten ist , dass er nicht wieder reponirt werden
kann. 2) Zerschmetterung der Gelenkenden der Knochen,
ohne Betheiligung der Continuität derselben und ohne Verlezung der
Hauptnerven. Zerreissung des Arterienstamms contraindicirt die Opera-
tion nicht, da nach der Unterbindung desselben die Heilung erfolgen
kann. 3) Schusswunden der Gelenke, wenn die Kugel in einem
Gelenkkopfe eingekeilt oder dieser zermalmt , der Körper des Knochens
aber weder zersplittert , noch ein oder mehrere Mal der Länge nach
herabgespalten ist, wenn die Kugel nicht sonst zu, entfernen ist. 4) Ca-
ries an den Gelenkenden der Knochen , welche die Grenzen der
Gelenktheile nicht überschreitet, und wenn alle anderen Mittel erschöpft
sind. 5) Necrose der Gelenktheile, die meistens mit Caries
verbunden ist. 6) Ankylosis vera, wenn dadurch das Gelenk un-
brauchbar oder hindernd ist, z. B. bei Ankylosen des Ellbogen- oder
Kniegelenks. 7) Pseudarthrosis, wenn der ausgetretene Gelenk-
kopf auf wichtige Gefässe und Nerven drückt und das Glied unbrauchbar
macht , z. B. bei der Lage des Oberschenkelkopfs auf dem horizontalen
Ast des Schambeins. 8) Entartung des ganzen Gelenks durch
Osteosarkom , Markschwamm u. dgl., wenn sie die Grenzen des Gelenks
nicht überschreitet. — Contraindicationen sind : l)Fracturen
unterhalb der Gelenkköpfe. 2) Nicht reponible Ver-
renkungen ohne Hautwunden und falsche Gelenke , welche den Ge-
brauch des Gliedes nicht ganz aufheben. 3) Zerschmetterungen
der Gelenke, wenn sich die Splitter leicht entfernen lassen , oder
wenn sie mit Fissuren der Diaphyse verbunden sind. 4) Caries und
sarkomatöse Entartungen der Knochen , welche sich weit über den Kno-
RESECTION DER GELENKKOEPFE. 789
chenkörper oder auf angrenzende Theile erstrecken , die durch Exstirpa-
tion nicht entfernt werden können, z. B. auf die Pfanne bei Leiden des
Hüftgelenks etc. — Die Prognose hängt hauptsächlich von folgenden
Momenten ab : 1 ) von der Schwierigkeit der Operation oder der Lage
des zu resecirenden Gelenks; in dieser Beziehung gestaltet sich die Pro-
gnose am günstigsten bei der Resection des Oberarmkopfs , weil sie am
leichtesten ausführbar ist. Schwieriger und von ungewisserem Erfolge
ist die Operation an andern Gelenken , besonders am Hüftgelenke.
2) Von der Schwierigkeit, das einzuschlagende Operationsverfahren mit
Zuverlässigkeit vorauszubestimmen ; es muss indessen ein Operateur auch
bei einer bestimmten Operationsmethode auf unvorhergesehene Umstände
gefasst sein. 3) Von der Gefahr, welche die Resection nicht blos für
den betreffenden Theil , sondern auch für das Leben des Kranken mit
sich führt, z. B. wegen der Nähe grosser Gefäss- und Nervenstämme.
4) Von den der Operation folgenden Zufällen , die nicht selten gefahr-
drohend sind. Endlich muss auch die Ungewissheit des Erfolgs der
Operation bei Feststellung der Prognose berücksichtigt werden. — Der
Erfolg der Operation ist verschieden , indem in einigen Fällen Heilung
durch Ankylose, Callusbildung erfolgt, was Steifheit und Unbrauchbarkeit
des Gliedes zur Folge hat, während in andern Heilung durch Bildung ei-
nes künstlichen Gelenks erfolgt. Der leztere Fall ist der günstigste, in-
dem dadurch das Glied seine Beweglichkeit einigermassen behält ; in den
ersten Fällen bleibt das Glied untauglich. Die nothwendig zurückblei-
bende Verkürzung des Glieds äussert seinen Nachtheil besonders an den
untern Extremitäten , da hier ein hinkender oder schleppender Gang die
Folge dieser Operationen ist. — Zur Ausführung der verschiedenen
Arten von Resectionen bedarf man folgende Instrumente und Verbandge-
räthe : ein Turniket , mehrere starke convexe und gerade Scalpelle mit
convexer Spize, ein kleines etwas convexes Amputationsmesser, Pincetten,
Bogen- und Messersägen , Knochenscheeren , eine Knochenzange , Feile,
Brenneisen, stumpfe Haken, mehrere Meissel, Spatel von Hörn oder Holz,
die zur Amputation oder Exarticulation der Gliedmassen, woran die De-
capitation verrichtet wird , nöthigen Instrumente, Schienen verschiedener
Art, eine Wundsprize, kaltes Wasser, endlich Unterbindungsgeräthe, Heft-
pflasterstreifen, Compressen , Binden, Spreukissen, Wachstuch etc. —
Vor der Operation wird, der Kranke in eine passende Lage gebracht, wo-
bei man besonders , wenn die Operation sehr schmerzhaft und langwierig
ist, darauf sehen muss, dass das Gelenk mit möglichst wenig Unbequem-
lichkeit für den Kranken festgehalten werden kann. — Die Opera-
tion selbst besteht aus folgenden drei Acten : 1 ) Haut- und Muskel-
schnitt, oder Trennung der weichen Theile von den Gelenkköpfen.
Das Gelenk muss im Allgemeinen an derjenigen Stelle geöffnet werden,
welche am wenigsten von Muskeln, Gefässen und Nerven bedeckt ist und
wo man am schnellsten und leichtesten zum kranken Knochen gelangen
790 RESECTION DER GELENKKOEPFE.
kann. Den Schnitt mache man so gross , als zur Entblössung des Ge-
lenks und Entfernung der Knochenenden erforderlich ist. Die Richtung
des Schnitts ist verschieden ; je nach Umständen macht man einfache
Langen- oder Querschnitte, lappenf örmige , elliptische, winkelförmige
oder Kreuzschnitte etc. Man suche bei diesen Schnitten die Sehnen
und Muskeln , die zur Fortdauer der normalen Bewegung unentbehrlich
sind, so viel als möglich zu schonen, und habe bei ihnen stets die etwa
nothwendig werdende Amputation oder Exarticulation vor Augen. Die
gebildeten Lappen werden nun von den Knochen genau abgetrennt und
zurückgeschlagen und die Wundlefzen entweder durch stumpfe Haken
oder durch die Finger der Gehülfen auseinander gezogen , das Gelenk
eingeschnitten, die Bänder getrennt, der Gelenkkopf luxirt und bis zur
Grenze des Krankhaften von den noch festsizenden weichen Theilen ge-
trennt und die Beinhaut durchgeschnitten. Wo es möglich ist, schneide
man das Gelenk sogleich mit den Hautschnitten ein und nehme die Ge-
lenkbänder mit den Haut- und Muskellappen weg. Nachdem die Gefässe
unterbunden , bringt man zwischen den Knochen und die Weichtheile ei-
nen Holz- oder Hornspatel, oder eine Bleiplatte, einen Leder- oder Lein-
wandstreifen, und drückt dadurch die Weichtheile vom Knochen weg, um
sie vor Verlezung zu schüzen ; aus demselben Grunde müssen auch die
Wundlefzen durch stumpfe Hacken abgezogen oder durch die Finger zur
Seite gehalten werden. — 2) Trennung des Knochens. Man be-
dient sich dazu der Sägen, welche man je nach der Grösse und Beschaf-
fenheit des Gelenkes wählt. Man benuzt die grössere und kleinere Bo-
gensäge, so wie die geraden und concaven Messersägen. Man hat darauf
zu achten, dass alles Krankhafte des Knochens hinweggenommen , dieser
namentlich auch bis zur Entblössung der Beinhaut entfernt werde. —
3) Vereinigung der Wunde und Verband. Man suche die
Vereinigung per primam intentionem zu bewirken, was meistens
gelingt , insoweit dies bei dem bestehenden Substanzverlust überhaupt
möglich ist ; meistens erfolgt sie nur äusserlich. An den Extremitäten
bewirkt man die Vereinigung auf folgende Weise : die Knochenenden
des Gelenks werden mit einander in Berührung gebracht , oder doch ein-
ander so viel als möglich genähert, worauf die Wundränder an einander
gezogen und mit Knopfnähten vereinigt werden. Die Naht muss durch
Haut und Muskeln gehen , ein Theil der Wundspalte muss jedoch offen
bleiben , um dem Wundsecret freien Abflugs zu lassen. Das Ausfüllen
der durch den Knochenverlust entstandenen Höhle mit geölter Charpie
ist überflüssig. Die Wunde belegt man mit Charpie, die mit einer mil-
den Salbe bestrichen ist, darüber Compressen, und umgibt den Theil mit
einer passenden Binde. An den Extremitäten legt man zur bessern Be-
festigung und Sicherung des Gliedes Schienen an und lagert es auf Spreu-
kissen. — Die üblen Ereignisse sind bei den Resectionen dieselben
wie bei Amputationen (s. d. Art.). Nur in Bezug auf die Eiterung ist
RESECTION DES UNTERKIEFERGELENKS. 791
zu bemerken, dass dieselbe viel bedeutender ist und somit die Gefahren,
welche diese mit sich bringt, hier grösser ist, als bei der Amputation.
Hierher gehören : Eitersenkungen , profuse Eiterung und Anämie , oder
Pyämie. — Nach der Heilung der äusseren Wunde kann das Glied durch
Schrumpfen der Exsudate im Innern so verdreht werden , dass es un-
brauchbar ist und amputirt werden muss.
1. Abtragung des Unter kiefergelenks, Resectio a r -
ticuli s. Decapitatio maxillae inferioris. — Die I n d i c a -
tion für diese Operation liefern in der Regel Geschwülste am Unterkie-
fer , namentlich alle unter dem Namen der Exostosen und des Osteosar-
koms zusammengestellten ; viel seltener wird die Operation durch Caries
und Nekrose indicirt. Zuweilen wird sie durch bedeutende Zerschmette-
rung des aufsteigenden Asts und seiner Fortsäze nothwenclig. — Die Un-
terbindung der Carotis communis zur Verhütung einer gefährlichen
Blutung aus ihren Aesten wird in neuerer Zeit als eine an sich schon le-
bensgefährliche Operation allgemein unterlassen ; die Compression der-
selben genügt. — Behufs der Ausführung der Operation beginnt man
den Schnitt am Mundwinkel der leidenden Seite und führt ihn dann längs
der Basis des Knochens bis vor das Ohr und den Processus condy-
loideus. Durch diesen Schnitt wird die Art. maxi 11. externa
durchschnitten , welche man sofort unterbindet. -. Auf das hintere Ende
des vorgenannten Schnittes lässt man nun einen senkrechten fallen,
welcher an der Wurzel des Jochbogens beginnt. Dieser bis auf den
Knochen dringende Schnitt trennt die vordere Partie der Parotis , die
Backenzweige der A. facialis und häufig auch den Stamm der A. t em-
por alis superficialis, welche man ebenfalls gleich unterbinden
kann. Hierauf wird der Lappen von der Spize nach seiner Basis losprä-
parirt , wobei man sich mit dem Scalpell dicht am Knochen hält, jener
dann nach der Stirne zu umgeschlagen und der Knochen vorn durchsägt.
Dadurch wird der abzulösende Knochentheil beweglicher und dem Messer
zugänglicher. Zunächst durchschneidet man nun mit einem geknöpften
Bistouri, welches man hart am Process. cor onoideus hinaufgleiten
lässt, die Sehne des Muse, t empor alis. Demnächst wird das Li-
gamentum laterale externum durchschnitten und die Kapsel von
aussen geöffnet. Durch rotirende Bewegungen drängt man dann den
Gelenkkopf des Unterkiefers hervor und durchschneidet die Kapsel in ih-
rem ganzen Umfang mit kurzen Messerzügen oder mit einer Cooper'-
schen Scheere. Der Pterygoideus externus wird von seiner In-
sertionsstelle am Halse des Proc. condyloideus abgelöst ; indem
man weiter mit dem Messer am Knochen hinabgleitet, löst man die übri-
gen Weichtheile, namentlich den Pterygoideus internus und das
Lig. laterale intern um. Hält man sich mit dem Messer hart am
Knochen , so kann man die Verlezung der M axillaris interna und
der Carotis externa vermeiden. Dagegen werden mehrere Aeste der
792 RESECTION DES OBERARMKOPFS.
erstem , namentlich die Alveolaris inferior, Temporaiis pro-
funda und Masseterica wohl immer durchschnitten werden müssen,
welche man dann auch ihrer heftigen Blutung wegen sogleich nach ihrer
Durchschneidung unterbindet. — Ist der Knochen entfernt und die Blu-
tung gestillt , so wird die Wunde mittels der umschlungenen Naht verei-
nigt. Man kann in der Gegend des Winkels des Unterkiefers eine kleine
Stelle offen lassen, um dem Eiter bessern Abfluss zu verschaffen. — Ist
die Decapitation auf beiden Seiten angezeigt, so muss die Maxi IIa in-
ferior in der Mitte durchsagt und dann die Querschnitte und die, Aus-
schälung des Knochens nach den angegebenen Regeln gemacht werden.
2. Abtragung des Brustbeinendes des Schlüssel-
beins, Decapitatio claviculae in extrem i täte sternali.
Diese Operation wurde besonders wegen Luxationen und Splitterbrüchen
ausgeführt. Die Verbindungen der Clavicula, ihre Lage an den grössten
venösen und arteriellen Gefässen machen diese Operation zu einer der
schwierigsten und gefährlichsten in der Chirurgie. Man legt das Schlüs-
selbein entweder durch einen einfachen seiner Eichtung folgenden Schnitt
oder durch einen solchen Schnitt bloss, dass ein länglich viereckiger Lap-
pen entsteht. Zwei halbmondförmige Schnitte sind weniger zweck-
mässig. Nach der Trennung der Gelenkverbindungen des* Knochens sägt
man diesen durch. Der Verlezung des längs der Clavicula laufenden
Theils der Vena jugularis anterior wird schwer auszuweichen
sein. Bei der Auflösung des abgesägten Knochenstücks hat man sich
immer dicht am Knochen zu halten, um die Verlezung der unterliegenden
Gefässe zu vermeiden. Nach der Unterbindung der Gefässe vereinigt
man die Wunde , legt Charpie auf und bringt einen Verband wie beim
Schlüsselbeinbruch an.
3. Abtragung des Acromialendes des Schlüssel-
beins, Decapitatio extremitatis claviculae acromialis.
W u z e r legte den Knochen durch zwei sich rechtwinklig über dem Acro-
mio-Claviculargelenke kreuzende Schnitte bloss , trennte die vier Haut-
lappen ab, öffnete dann jenes Gelenk, ging mit dem Messer flach an der
untern Seite des Knochens entlang bis zur Eesectionsstelle und durch-
sägte hier das Schlüsselbein auf einem untergeschobenen Eiemen. Aehn-
lich verfuhr Velpeau in einem Fall von Nekrose, wogegen er in einem
andern einen Bogenschnitt mit ab- und einwärts gewandter Convexität
machte und nach Ablösung des Lappens sowohl das kranke Ende des
Schlüsselbeins wie den angrenzenden Theil des Acromion mittels der
Kettensäge wegnahm.
4. Abtragung des Oberarmkopfs, Decapitatio ossis
brachii in articulo humeri. Die Operation besteht in der Tren-
nung des Oberarmkopfs aus seiner Gelenkverbindung mit dem Schulter-
blatte und Absa'gung vom übrigen Knochen. Die Indication zur Opera-
tion kann sich durch einen der oben angegebenen Krankheitszustände
RERECTION DES OBER ARMKOPFS. 793
ergeben. — Die Verfahren zur Biossieg ung des Knochens sind
äusserst mannigfaltig; sie lassen sich in zwei Gruppen theilen und zwar
in solche mit einem Längenschnitte und in solche mit Lappen-
bildung. Der Längenschnitt verläuft entweder in der Mitte des
Deltamuskels bis nahe an seine Insertion (W h i t e), odern vorn und innen
über die grösste Convexität des Gelenks (M algaigne, Robert,
B. Langenbeck). Der einfache Schnitt hat den Vortheil, dass er
eine einfache Wunde sezt , die ohne Nähte sich vereinigen lässt. . Na-
mentlich entblössen die Schnitte an der Vorder- und Innenseite des Ge-
lenks und besonders der Schnitt von Robert (s. unten) dasselbe der
Art, dass der Gelenkkopf von allen Seiten leicht zugänglich ist. — Der
Lappenschnitt wird auf die mannigfaltigste Weise gemacht ; es wird
gebildet : ein viereckiger Lappen aus dem Deltamuskel, und zwar mit un-
terer Basis i — ' (M orea u), und mit oberer Basis i i (M a n n e , R o u x,
Boy er); ein halbmondförmiger Lappen mit oberer Basis ^ (Morrel,
Schuh, Wattmann); ein dreieckiger Lappen und zwar mit oberer
Basis mittels eines V Schnitts (Sanson, Begin), mit hinterer oberer
Basis mittels eines Y Schnitts (S y m e ; von der Mitte des W h i t e'schen
Schnitts geht ein Schnitt schief nach rück- und aufwärts) , mit hinterer
Basis durch einen *~] oder p Schnitt ; auch kann durch Verlängerung
des Querschnitts der Wunde eine — |~~- Form gegeben werden (Buzai-
r i e s ) ; ein doppelter dreieckiger Lappen mittels eines Schnitts
(Bromfiel d). — Man gibt dem Lappenschnitte den Vorzug beiA^er-
grösserten Gelenkköpfen, weil er das Gelenk ergiebig blosslegt, und unter
diesen zieht man besonders den dreieckigen Lappen von Sanson und
Begin den andern vor, weil die Schnitte parallel den Fasern des Delta-
muskels laufen , womit eine die spätem Bewegungen weniger beschrän-
kende Narbe erzielt wird. — Bei der Operation sizt der Kranke auf ei-
nem Stuhl , mit der gesunden Seite gegen die Lehne , ein Gehülfe steht
hinter der kranken Schulter und ein zweiter zur Seite des Operateurs.
Dieser nimmt seinen Stand an der kranken Seite. — Längenschnitt
von Robert. Der Operateur ergreift mit der linken Hand den zu ope-
rirenden Oberarm , drückt ihn etwas rückwärts und den Ellbogen etwas
näher zum Stamme , sticht hierauf ein starkes Scalpell an der vordem
obern Seite des Oberarmkopfs dicht am vordem Rande der Clavicula bis
auf den Hals des Schulterblatts ein , legt nun das Messer etwas nieder
und zieht es mit einem kräftigen Zuge über die vordere innere Seite des
Gelenkkopfs bis nahe zur Insertion des Deltamuskels herab. Die Schnitt-
ränder werden mit stumpfen Haken , welche in der Gegend des Gelenk-
kopfes angesezt werden, abgezogen. Nun rotirt der Operateur den Ober-
arm nach rückwärts und schneidet vor dem Tuberculum anterius
die Kapsel und die Sehne des M. s ubscapu lar is durch, hierauf rotirt
er den Kopf nach einwärts und durchtrennt hinter dem Tuberculum
posterius die drei Sehnen der M. M. supraspinatus, i n f r a s p i-
794 RESECTION DES ELLBOGENGELENKS.
n a t u s und teres minor sammt der Kapsel und der langen Biceps-
sehne. Dann wird der Gelenkkopf hervorgehoben , seine untern und in-
nern Adhäsionen getrennt, hierauf die Beinhaut an der Durchsägungsstelle
kreisförmig eingeschnitten und der Knochen abgesägt, während die Weich-
theile durch eine Holzplatte oder einen Bindenstreifen vor der Einwirkung
der Säge geschiizt werden. — Wenn es sich als^nothwendig herausstellen
sollte, die Exarticulation des Arms vorzunehmen, so Hesse sich von diesem
Schnitt aus leicht der Ovalärschnitt (s. Amputation) bilden. —
Lappenschnitt nach Sanson, Begin. Nachdem der Kranke
wie oben gesezt ist , führt der Operateur zwei kräftige Schnitte , die bis
an den Knochen dringen , deren einer unter der Spina scapulae,
deren anderer dicht an der Aussenseite des Proc. coracoideus be-
ginnt. Beide gehen convergirend nach unten, und treffen sich dicht über
der Insertion des Deltamuskels. Der hierdurch gebildete dreieckige Lap-
pen wird lospräparirt und nach oben zurückgeschlagen , worauf man die
Exarticulation und Absägung wie bei dem vorhergehenden Verfahren be-
sorgt. Die Wunde wird mittelst der Knopfnaht vereinigt ; darüber legt
man Charpie , welche man mit 'Heftpflasterstreifen befestigt. Ein Ver-
band , der dem D e s a u 1 t'schen für den Schlüsselbeinbruch ähnlich ist,
befestigt den Arm in der nöthigen Lage.
5. Resection im Ellbogengelenke, Resectio ossium
in articulo cubiti. Diese Operation bringt fast unter allen Re-
sectionen dem Operirten den grössten Vortheil , indem der Gebrauch des
Vorderarms, besonders wenn nicht mehr als l^Zoll von jedem Knochen
entfernt werden, fast so möglich ist, wie vor der Operation. Die Indica-
tionen sind im Allgemeinen dieselben wie für die übrigen Resectionen ;
besonders häufig sind es schwere Verlezungen dieses Gelenks, welche die
Operation nöthig machen. Contraindicirt ist die Resection , wenn das
Gelenkleiden die Wegnahme von 4 — 5 Zoll langen Knochenstücken
nothwendig macht, indem dann der hängende Theil des Vorderarms eher
lästig und nachtheilig, als vortheilhaft wirkt. — Zur Erzielung eines gün-
stigen Resultats ist es wesentlich, den Nerv, ulnaris zu schonen. —
Man unterscheidet diese Resection in die totale und partielle, je
nachdem die Enden von allen drei , im Gelenk verbundenen Knochen,
oder nur von einzelnen derselben abgetragen werden , beide hängen aber
in der Ausführung zu sehr zusammen, um sie hier zu scheiden. — Auch
bei dieser Operation wurden, wie bei der vorhergehenden, die mannigfal-
tigsten Schnitte empfohlen ; wir begnügen uns , nur einige , welche die
einfachste Verwundung sezen, näher auszuführen. — Vorbereitung.
Der Kranke liegt auf dem Bauche , auf einem unter die Brust geschobe-
nen Kissen, oder wenn es thunlich ist, sizt er mit der gesunden Seite ge-
gen die Lehne des Stuhls gerichtet. In beiden Fällen wird der Ober-
arm etwas abgezogen und rückwärts gestellt und in dieser Stellung von
einem Gehülfen fixirt. Der Operateur fasst mit der linken Hand den
RESECTION DES ELLBOGENGELENKS. 795
Vorderarm am obern Drittel. — Verfahren von Wattman. Wäh-
rend ein Gehülfe die Haut am Ellbogen emporzieht, macht der Operateur mit
einem convexen Scalpell einen Schnitt, welcher am linken Arm etwa drei
Linien vor dem äussern Knorren beginnt , schräg über das Köpfchen des
Radius bis über einen Zoll unter die Spize des Olecranon geht ; ein zwei-
ter , ähnlicher Schnitt beginnt vor dem innern Knorren und geht in der-
selben Richtung in den ersten Schnitt über. Am rechten Arm werden
dieselben Schnitte in umgekehrter Ordnung geführt. Der so umgränzte
halbmondförmige Lappen wird bis über die Spize des Olecranon losprä-
parirt und nach oben geschlagen. Nun sucht der Operateur durch pas-
sive Pro- und Supinationsbewegungen das Köpfchen des Radius auf,
schneidet über demselben quer in das Gelenk, bis das Messer an der Ulna
festgehalten wird , worauf der Vorderarm so rotirt wird , dass die Sehne
des Triceps nach aussen vom Olecranon gespannt wird, welche man sammt
dem Kapselbande durchschneidet. Nun umgeht man die Spize des Ole-
cranon , bis das Messer am innern Rande der Incisura sigmoidea
angelangt ist, wo dann die hier noch befindlichen Adhäsionen durch kurze
Messerzüge, während die Schneide gegen den Knochen gerichtet wird, los-
getrennt werden. Während dem muss die Rotation des Vorderarms nach
aussen fortgesezt werden. Nun verfolgt der Operateur, mit dem Messer
hart am Knochen gehend , die Ulna bis unter den Kronenfortsaz. Da-
durch ist der Nerv, ulnaris geschont , ohne dass er gesehen oder ge-
zerrt wird. Er kann dann bequem über den innern Knorren noch vor-
wärts geschoben werden. Hierauf trennt man die Adhäsionen der Kapsel
an der Vorderfläche der Knochen und kann durch Ablösen der Muskula-
tur die Knochen so weit biossiegen , als sie abgesägt werden sollen. ■ — ■
Verfahren nach* Liston. Man macht an der Aussenseite des Ul-
narnerven einen drei Zoll langen Schnitt , welcher die Haut bis auf die
Fascie trennt. Dieser Schnitt muss dicht oberhalb der Spize des Ole-
cranon , an der Innenseite der Sehne des Muse, triceps beginnen , und,
hart am innern Rand des Olecranon hin verlaufend , unterhalb desselben,
entsprechend der Crista ulnae, ein wenig mehr nach aussen geführt
werden. Ein zweiter Schnitt verläuft von der Gegend des Humeroradial-
gelenks quer über das Olecranon bis zur Mitte des erstem, so dass der
Schnitt die Form eines liegenden T hat. Nach Bedüffniss kann man dem
freien Ende des ersten Schnitts noch einen kleinen rechtwinklig auf- oder
abwärts gehenden Schnitt beifügen. Nach Ablösung der Lappen ver-
fährt man des AVeitern wie bei dem vorhergehenden Verfahren. — Beide
vorgenannte Verfahren lassen die Resection einzelner , wie sämmtlicher
das Gelenk zusammensezender Knochen zu. Zu bemerken ist indessen,
dass man die Ulna nicht gern allein resecirt , weil der Radius allein eine
sehr schlechte Stüze abgibt und leicht eine Ankylose eintritt. Dagegen
erweist sich die Resection des Radius , besonders bei veralteten Luxatio-
nen, von grossem Nuzen. — Nach der Resection und Unterbindung blu-
796 RESECTION IM HANDGELENKE.
tender Gefässe werden die Wundränder durch Heftpflaster und die blu-
tige Naht vereinigt und die Sehne1 des Triceps mit in die Naht gefasst,
um sie zur Verwachsung zu bringen und. damit die Zurückziehung des
Muskels zu verhindern, welche die freie Bewegung des Arms beeinträch-
tigen würde. Die Wunde wird leicht mit Charpie bedeckt und mit Bin-
dentouren lose befestigt , der Arm aber so gelagert, dass die Resections-
wunde die tiefste Stelle einnimmt. Anfangs bleibt der Arm im stumpfen
Winkel liegen, später beugt man ihn bis zum rechten Winkel, dann legt
man ihn in eine Schärpe. Leztere Stellung des Arms ist die geeignetste
für den Fall, dass Ankylose eintreten sollte ; dabei muss sich die Hand
in der Mittelstellung zwischen Pro- und Supination befinden.
6. Abtragung der Vorderarmknochen im Handge-
lenke, Resectio ossium antibrachii in articulo manus.
Auch diese Resectionen zerfallen in partielle und totale ; bei den erstem
werden die Gelenkenden der Vorderarmknochen zusammen oder einzeln
entfernt , bei der totalen die Gelenkenden beider Vorderarmknochen und
die entsprechenden Handwurzelknochen. — Am besten dringt man von
der Radial- und Ulnarseite auf die Knochen ein, da an der Volarseite so-
wohl die beiden ernährenden Arterien , als auch die grösste Masse der
Weichtheile liegen, auf dem Handrücken. aber die möglichst zu schonen-
den Strecksehnen verlaufen. Es haben daher die Operationsverfahren
mittels zweier am Ulnar- und Radialrande geführter Längenschnitte den
Vorzug und unter diesen ist dasjenige von Bourgery das zweckmässig-
ste und am wenigsten verlezende. Die Ausführung desselben ist fol-
gende : nachdem ein Gehülfe die Hand und den Vorderarm fixirt, macht
der Operateur einen Längenschnitt an dem Radialrande und einen zweiten
am Ulnarrande des Vorderarms , je nach der Grösse der zu entfernenden
Knochen von 1V2 — 3, auch mehr Zoll. Nun wird die Hand gegen dieRük-
kenfläche gebeugt und die Streckmuskeln dicht vom Knochen lospräparirt. Ist
dies von beiden Seiten geschehen, so führt man zwischen die Sehnen und
den Knochen eine Compresse oder einen Leinwandstreifen, isolirt dann die
Palmarweichtheile ebenso vom Knochen , während die Hand gegen die
Palmarfläche gebeugt wird, zieht ebenso hier zwischen Sehnen und Kno-
chen einen Leinwandstreifen hindurch und lässt die Weichtheile durch
diese beiden Streifen abziehen. Bei der Lospräparirung der Palmar-
weichtheile ist in der Gegend des Proc. styloideusradii besondere
Vorsicht zu empfehlen, um nicht die Art. radialis zu verlezen. Nach-
dem nun die Weichtheile weggezogen wurden , kann man entweder das
Gelenk eröffnen , durch Seitwärtsbiegung der Hand die Knochen hervor-
treten lassen und dann diese mit der Bogensäge absägen, oder man durch-
trennt zuerst die Knochen über dem Gelenk mittels der Kettensäge und
exarticulirt später , oder, wenn man auch die Handwurzelknochen entfer-
nen will, so kann man das Gelenk e n m a s s e , ohne zu enucleiren, rese-
ciren. — Düblet verfuhr ähnlich , nur exarticulirte er zuerst die
RESECTION DER MITTELHANDKNOCHEN UND PHALANGEN. 797
Ulna und sägte sie über einer untergeschobenen Platte durch , dann ex-
articulirte er ebenso den Radius und sägte ihn auch ab. Bei diesem Ver-
fahren ist die Durchschneidung sämmtlicher Strecksehnen schwer zu ver-
meiden. — R o u x fügte zu den zwei Längenschnitten nach unten zwei
kleine Querschnitte hinzu, die sich nicht berühren, sondern nur bis an die
Seiten des Bündels der nicht zu verlezenden Extensorensehnen gehen ;
diese Schnittführung gewährt mehr Raum. — Nach der Stillung der Blu-
tung legt man an den Winkeln beider Wunden , je nach der Grösse der
Wunde, 2 — 3 Hefte an, die Mitte beider Wunden lässt man etwa 1 Zoll
lang offen, weil die Wunde ohne Eiterung nicht heilt ; um das Verkleben
dieser Stelle zu verhüten, legt man einen Leinwandstreifen ein. Hierauf
bringt man den Vorderarm in Pronation und legt ihn in dieser Stellung
auf ein mit Wachstuch überzogenes Spreukissen. — Die Resection des
Radius und der Ulna für sich geschieht durch einen entsprechenden Län-
genschnitt, Durchsägung des Knochens und Wegnahme des Gelenkendes.
Der Gebrauch der Hand leidet nicht bedeutend.
7. Resection d er Gelenkenden d er Mitteln an dkn o -
chen und Phalangen, Resectio ossium metacarpi et pha-
langum digitorum in articulis. Bei der Resection des
Metacarpo-Phalangeal-Gelenks der Mittelhandknochen
ist der zweckmässigste Schnitt ein ^ förmiger. Man führt an der Dorsal-
seite zwei Schnitte , welche über dem Gelenk beginnen und divergirend
nach abwärts nach den Fingerfalten gehen und bis nahe an den freien
Rand derselben reichen. Der so umschriebene dreieckige Lappen wird
mit Schonung der Strecksehne nach abwärts lospräparirt und nach unten
geschlagen. Hierauf löst man die Zwischenknochenmuskeln von der
Seite des Gelenks los, enucleirt von beiden Seiten das Gelenk, luxirt den
Kopf unter der Strecksehne hervor und sägt den Phalangenkopf und wenn
es nöthig ist auch den Kopf des Mittelknochens ab. — Bei Zeige- und
kleinem Finger kann man den Lappen aii den freien Rand desselben stel-
len, und das Gelenkende blos von einer Seite eröffnen. — Bei der Re-
section der Basis des Mittelhandknochens, welche beson-
ders dadurch erleichtert wird, dass bei Caries , welche die häufigste Indi-
cation dazu abgibt , die Bänder grösstentheils oder ganz zerstört sind,
bildet man am zweckmässigsten einen T-Schnitt in die Weichtheile, indem
man zuerst einen 3 — 4 Linien über dem Gelenkende beginnenden, iy2
Zoll langen Schnitt an der Dorsalseite führt , auf dessen oberem Ende
man einen queren, etwa lj2 Zoll langen Schnitt gehen lässt. Nach Los-
präparirung der so umgrenzten zwei dreieckigen Lappen enucleirt man
das Gelenk und trennt mittels der Kettensäge oder L i s t o n ' sehen Zange
die Basis des Knochens ab. — Die Resection der Phalangen ge-
währt dem Kranken wenig Nuzen , vielmehr werden die unter der Resec-
tionsstelle gelegenen Fingertheile hinderlich und unbrauchbar. Bei die-
sen Resectionen handelt es sich hauptsächlich darum , sowohl die Streck-
798 RESECTION DES HUEFTGELENKS.
als die Beugesehne zu erhalten, deshalb eignen sich zwei seitliehe Schnitte
längs des Radial- und Ulnarrandes am besten, die man so führt, dass ihre
Mitte dem Gelenke entspricht. Nach Lostrennung der Streck- und Beuge-
sehne enucleirt man das G-elenk von der Seite, fixirt den Kopf, schüzt die
Weichtheile durch eine -Compresse oder einen Spatel und sägt mit einer
feinen Säge den Knochen ab. — Malgaigiie bildet einen V förmigen
Schnitt mit der Basis nach unten.
8. Resectionen im Hüftgelenke , Re s e cti on es i n ar-
ticulo coxae. Man versteht hierunter die Ausschneidung des obern
Theils des Oberschenkelknochens und zwar mit oder ohne gleichzeitige
Hinwegnahme der Gelenkpfanne des Hüftknochens. Diese Resectionen
sind entweder partielle, worunter man die Entfernung eines kleineren oder
grösseren Stücks des Oberschenkelknochens , die Decapitatio ossis
femoris, versteht und die totale Resection , oder die Entfernung des
Gelenktheils des Oberschenkelknochens und der entsprechenden Gelenk-
pfanne. — Caries wie Verlezungen können diese Operation nöthig
machen. — Der Kranke liegt bei der Operation entweder auf der gesun-
den Seite oder auf dem Rücken ; und im lezteren Falle mit der kranken
Seite an dem Rande des Tisches. — Nach Roux soll man auf der äus-
sern Seite des Gelenks einen viereckigen Lappen bilden und nach oben
hin ablösen und zurückschlagen, dann das Kapselband trennen, den
Schenkelkopf durch Einwärtsbiegen des Knies aus der Pfanne heben und
das Ligamentum teres durchschneiden r endlich den Schenkelkopf
auf einem unter ihn gebrachten Spatel durchschneiden. H e w s o n machte
den Lappen halbmondförmig mit abwärts gerichteter Convexität undVel-
p e a u , welcher dasselbe Verfahren vorschlägt , will den Schnitt von der
vordem obern Darmbeingräte bis zum Sizknorren führen. Rossi rieth
zu einem dreieckigen Lappen mit hinterer oberer Basis (~ ]) un(l Jäger
bestimmt diesen dahin, dass ein etwa 5 Zoll langer Schnitt über den gros-
sen Trochanter abwärts und von seinem obern Ende ein zweiter 4 Zoll
langer nach hinten und unten geführt werde, so dass ein dreieckiger Lap-
pen mit hinterer unterer Basis entsteht (~~~|)- Aehnlich ist Textors
Vorschlag, wie bei der Ovalärmethode einen ^ Schnitt zu machen, der den
grossen Trochanter einfasst. L i n h a r d führt längs des hintern Randes
des Trochanter major einen 4 — 5 Zoll langen Schnitt herab, von
dessen unterem das Ende des M. glutaeus nicht erreichenden Ende aus
ein zweiter parallel den Fasern des Glutaeus nach aussen und oben in
der Richtung gegen das Steissbein verläuft. Der auf diese Weise gebil-
dete Lappen enthält blos den Glutaeus maximus. — White, Seu-
tin und Oppenheim wollten nur einen 5 — 6 Zoll langen Längsschnitt
über den grossen Trochanter herab machen, von ihm aus die Muskeln, die
Gelenkkapsel und das Lig. teres durchschneiden und aus ihm den Kopf
herausdrängen. — Unter den genannten Verfahrungsarten ist der ein-
fache Längsschnitt wohl der am wenigsten verwundende , er bietet aber
RESECTION DES KNIEGELENKS.
799
zu wenig Raum für die Durchschneidung der Gelenkbänder und den freie»
Gebrauch der Säge , er passt daher nur in jenen Fällen , wo die Gelenk-
bänder schon zerstört sind (Luxatio spontane a) oder bei aufge-
hobener Continuität der Knochen, also bei Schusswunden und Fracturen.
Der viereckige und der halbmondförmige Lappen geben eine viel zu grosse
Wunde , der vordere Schnitt des ^ Schnitts von T e x t o r ist , sobald er
nur die Haut trifft , unnüz ; es bleiben nun noch die dreieckigen Lappen
von Jäger, R o s s i und L i n h a r d übrig , die dem Zwecke vollkommen
entsprechen, und von denen besonders der des Leztern sehr schonend ist.
— Bei oberflächlicher Caries der Pfanne nimmt man ihren Rand mit dem
Osteotom , der Hey' sehen Säge oder dem Meissel weg und brennt den
tieferen Theil der Gelenknache mit dem Glüheisen aus. — Nach gestill-
ter Blutung vereinigt man die Wunde mit Ausnahme des untern Winkels
mit blutigen Heften und Heftpflasterstreifen , legt darüber Charpie und
eine Compresse, welche man mit einer Binde befestigt. Der ganze Schen-
kel wird dann in eine bequeme Lage gebracht und unter Vermeidung
jeden Drucks in einer leichten Ausdehnung erhalten, damit das obere Ende
des Femur in der Nähe des alten Gelenks adhärire. Dabei muss anfangs
ein antiphlogistisches Regimen beobachtet werden.
9. Resection des Kniegelenks, Resectio articuli
genu, Decapitatio ossium in articulogenu. Man resecirt
je nach Umständen blos einen Knochen oder beide; die Patella wird ganz
oder theilweise weggenommen oder zurückgelassen , je nachdem sie er-
krankt ist. ■ — Die knöcherne Vereinigung, welche wohl selten erfolgt, ist
das günstigste Resultat. Soll diese Operation ein halbwegs brauchbares
Glied zurücklassen, so ist es nothwendig , dass man noch einen Theil der
Epiphyse zurücklässt , denn sonst erfolgt keine oder eine gänzlich un-
brauchbare Vereinigung der kleinen , einander gegenüberstehenden Kno-
chenflächen. Sie ist daher contraindicirt , wenn sich das Knochenleiden
(Caries , Markschwamm , complicirte Brüche etc.) über einen grösseren
Theil der Knochen erstreckt. — Operationsmethoden. Park
führte bei gestrecktem Knie einen senkrechten , 4 Zoll langen , über die
Mitte der Kniescheibe herablaufenden Schnitt und halbirte ihn auf der
Mitte der Patella durch einen Querschnitt. Diese wurde entfernt und
sofort exarticulirt und abgesägt. — Moreau machte zwei seitliche zwei
Zoll lange Schnitte und verband sie durch einen unter der Kniescheibe
weglaufenden Querschnitt. Wenn auch die Tibia resecirt werden soll,
so können die beiden senkrechten Schnitte abwärts verlängert werden, wo
dann der Schnitt eine H-Form erhält. Crampton operirte auf dieselbe
Weise und schnitt von dem obern Lappen den Theil, welcher die erkrankte
Kniescheibe enthielt , quer weg , da er zu lang war. Jäger, Begin
und Sanson machen ganz denselben Schnitt , nur bilden sie , bei halb-
flectirtem Knie , zuerst den Querschnitt , der bis in das Gelenk dringt,
untersuchen dasselbe und bilden dann nach Umständen die senkrechten
800 RESECTION DES FUSSGELENKS.
Schnitte nach auf- oder abwärts. T e x t o r begnügt sich mit dem Quer-
schnitt, der auch, wenn ein Theil derEpiphysen zurückbleiben kann, voll-
kommen ausreichend ist. Der Schnitt dringt bei dem rechtwinklig ge-
bogenen Knie gleich in das Gelenk und bis an die Seitenbänder. Diese
werden nun durchschnitten, dann die Kreuzbänder und endlich bei forcir-
ter Beugung der hintere Theil der Kapsel und die Insertionen der MM.
gastrocnemius und poplitaeus mit hart am Knochen geführter
Messerklinge abgeschnitten. Während die obern Weichtheile retrahirt
werden , durchsägt der Operateur beide Knorren zugleich und dann die
Epiphyse der Tibia. — S y m e bildet zwei halbmondförmige Schnitte,
welche die Kniescheibe 'einschliessen und an den Seitenligamenten zu-
sammenstossen. Ist die Kniescheibe gesund, so ist der eine Schnitt über-
flüssig. — Die Wunde wird bis auf eine kleine Lücke an einem Wund-
winkel, die durch einen eingeführten Leinwandstreifen offen erhalten wird,
mittels der Knopfnaht vereinigt. Die operirte Extremität wird am zweck -
mässigsten in eine gut gefütterte Lade gebracht. Der Apparat sammt
dem Unterschenkel müssen in einer Ebene liegen. — Kömmt die Ver-
einigung der Knochenenden durch eine ligamentöse Zwischenmasse zu
Stande, so ist das Glied unbrauchbar, und man kann demüebel nur durch
Maschinen abhelfen.
Soll das obere Ende der Fibula für sich allein resecirt werden,
so macht man nach Bourgery einen viereckigen Lappen mit hinterer
Basis, präparirt diesen los , durchsägt die Fibula und trennt dann ihre
Gelenkverbindung und die Sehne des Biceps , wobei man sich zu hüten
hat,' den naheliegenden Nervus peronaeus zu verlezen.
10. Resection d es F u s s gelen ks , Eesectio ossium in
articulo pedis. Diese Operation besteht in der Entfernung eines
oder beider Knöchel mit oder ohne Sprungbein und ist diesemnach die
Resection eine totale, wenn beide Unterschenkelknochen nebst dem Sprung-
bein resecirt werden, oder eine partielle, wenn die Gelenkenden des Unter-
schenkels zusammen oder einzeln entfernt werden. Zu bemerken ist in-
dessen , dass die Tibia allein nicht wohl resecirt werden kann , weil das
Gelenk dann keine hinreichende Stüze hat. — Die.Operation kann nöthig .
"werden wegen traumatischer Affectionen , namentlich wegen complicirter
Luxationen und Fracturen und wegen organischer Knochenkrankheiten.
— Man operirt nach Moreau und Jäger folgendermassen : der auf
'dem Rücken liegende Kranke legt seinen Fuss auf ein erhabenes hartes
Kissen. Der Operateur führt längs der Fibula einen senkrechten 3 Zoll
langen Schnitt bis unter den Knöchel und lässt von hier aus einen Quer-
schnitt bis zurnM. peronaeus tertius gehen; hierauf präparirt er die
Haut etwas zurück, trennt dann die Fascie am hintern und vordem Rande
der Fibula, lässt die blossgelegten Sehnen des Peronaeus longus und
b r e v i s mit einem , die der Extensoren und des Peronaeus tertius
mit einem andern stumpfen Haken abziehen und isolirt hart am Knochen
RESECT10N DES FUSSGELENKS. 801
sich haltend die Fibula. Ist der Operateur noch im Bereiche des Zwi-
schenknochenraumes , so führt er die Kettensäge hinter die Fibula ; wäre
aber die Resection unter dem Zwischenknochenraume zu verrichten, so muss
er einen starken scharfen Meissel anwenden. Ist die Fibula durchsägt, so wird
sie exarticulirt. Nun lässt man den Fuss auswärts wenden, macht längs dem
hintern Rande derTibia einen gleichen senkrechten und einen hier bis zumM.
tibialis anticus sich erstreckenden Querschnitt wie an der Fibula, trennt
auch hier die Weichtheile dicht am Knochen los, exarticulirt das Schienbein,
dreht den Fuss stark nach aussen , luxirt dadurch das untere Ende der
Tibia nach innen , schiebt zwischen diese und die Weichtheile ein Holz-
stäbchen oder einen Leinwandstreifen und durchsägt den Knochen mit der
Bogensäge. — Vom Astragalus trägt man alles Schadhafte mittels Ketten-
säge und Meissel ab. Man resecirt die Fibula auch dann , wenn sie ge-
sund ist , weil sie für sich keine hinreichende Stüze gewährt und eine
Verdrehung des Fusses nach innen verursachen kann. — Die Wunde wird
bis auf eine , etwa zollgrosse Lücke , durch welche Eiter abfliessen kann,
durch die Knopf- oder umschlungene Naht vereinigt, hierauf der Fuss mit
der S c u 1 1 e t ' sehen Binde umgeben und da«3 Glied zwischen zwei knie-
förmig gebogenen Schienen ruhig liegen gelassen. — Ankylose ist das
günstigste Resultat. Eine wenn auch noch so geringe Beweglichkeit ist
nachtheilig. — Wenn das untere Ende der Fibula allein zu reseciren ist,
so macht man nach der obigen Angabe den ersten Act der Operation.
11. Res e ction d er Gel enken d en d e r Mitt e 1 f usskn o-
chen und Zehenglieder, Resectio ossium metatarsi et
phalangum digitorum pedis. Diese Operation wird gewöhnlich
nicht vorgenommen, nur am ersten Mittelfussknochen wurde sie einigemal
ausgeführt. Es ist aber hierbei zu bemerken , dass nicht mehr als ein
Drittel des Mittelfussknochens entfernt werden darf, sonst wird die noth-
wendig erfolgende Contractur der Zehe nach oben oder nach innen dem
Kranken mehr Schaden als Nuzen bringen. Der zweckmässigste Schnitt
hat die H Form ; der horizontale Schnitt fällt an die innere blosse Seite
des Knochens, die beiden senkrechten kurzen Schnitte über die Trennungs-
stellen des Knochens heraus.
II. Theilweise Ausrottung der Knochen in ihrer Con-
tinuität, Abtragung s ch adh af t er Kno ch e n s t ü ck e , Re-
sectio o s s ium extra arti cu los , Res ectio in continuitate
ossium. Diese Operationen haben den Zweck, ein krankes Knochen-
stück aus der Continuität des Knochens zu entfernen. Die Indicationen
zu denselben sind : Caries und andere Entartungen der Knochen , welche
nur auf einen Theil dieses beschränkt , nicht von allgemeinen , noch in
voller Wirksamkeit stehenden Ursachen abhängig sind und andern Ver-
fahren nicht weichen ; complicirte Fracturen, wobei die Bruchenden durch
die Haut gedrungen und nicht zurückzubringen oder nicht reponirt zu er-
halten, oder aber von der Beinhaut entblösst sind ; falsche Gelenke, wenn
Burger, Chirurgie. ^1
802 RESECTION DES OBERKIEFERS.
alle andern Mittel fehlgeschlagen sind. — Contraindicirt ist die Opera-
tion bei Fracturen mit langen Fissuren und bedeutender Zersplitterung,
oderZerreissung des Hauptnervens, bei oberflächlicher Caries, oder wo der
Theil durch seine tiefe Lage schwer zugänglich ist ; bei Knochenaffectio-
nen, die nur in der Knochenhaut wurzeln und daher vom Knochen getrennt
werden können, bei gestielten und gutartigen Exstosen , die man nur ab-
zusägen oder abzumeisseln braucht , ohne etwas von dem Mutterboden zu
entfernen , endlich bei Necrose. — Bei der Operation selbst muss zur
Entblössung des Knochens die Stelle gewählt werden, von wo aus man am
leichtesten und ohne bedeutende Verlezung von Gefässen, Nerven, Mus-
keln und Sehnen zu der leidenden Stelle gelangen kann.
1. Theil weis es Au s s chnei den d es Ob erkief er s , Ex-
cisio et Resectio maxillae superioris partialis. Die Ope-
ration ist indicirt : bei Caries, tiefwurzelnden Exostosen, Aftergebilden in
der Highmorshöhle und bei fest auf der vordem Wand aufsizenden Speck-
und Knochengeschwülsten. Sie darf jedoch nicht gemacht werden, wenn
sich das Leiden über die Grenzen der Oberkieferhöhle erstreckt. — Die
häufigste partielle Resection ist die Entfernung des Alveolar- und Gaumen-
fortsazes mit einem Theile des Körpers , seltener die Resection des Joch-
oder Nasenfortsazes und der untern Augenhöhlenwand. Der Kranke sizt
während der Operation, damit das Blut nicht in den Schlund gelangt und
Erstickungszufälle veranlasst. Er lehnt seinen Kopf an einen hinter ihm
stehenden Gehülfen , welcher denselben fixirt und nöthigenfalls zugleich
die Art. maxillaris externa am Rande des Unterkiefers comprimirt.
— Wenn der Alveolar- und Gaumenfortsaz und nur ein kleiner
Theil des Körpers vom Oberkiefer zu entfernen sind , so kann man die
Resection von der vordem Mundhöhle aus verrichten, ohne die Wange zu
spalten. Man lässt zu diesem Behufe die Lippe von einem Gehülfen
nach oben umschlagen , trennt auch wohl Lippe und Wange noch eine
Strecke weit vom Kiefer ab , zieht nun an der Grenze des Kranken einen
Zahn aus und sezt an die Zahnzelle einen festen geraden Meissel an, mit
dessen Hülfe man drückend oder mit Hammerschlägen den Gaumenfortsaz
durchtrennt. Hierauf schneidet man mit einem schiefschneidigen Hohl-
meissel die Knochenplatten des Körpers an der Grenze des Kranken ab,
bis das so umgrenzte Knochenstück beweglich wird , worauf man seine
Adhäsionen am weichen Gaumen mit dem Messer trennt und es entfernt.
— Wäre die Geschwulst zu gross , als dass man von der vordem Mund-
höhle aus bequem operiren könnte , so müsste die Wange einge-
schnitten werden, und zwar gibt ein schräg von einem Augenwinkel
gegen den kranken Wundwinkel hin geführter Schnitt nicht allein einen
gehörigen Raum, sondern auch eine schöne Vereinigung, der dadurch ent-
stehende Lappen wird nach der Nase hin lospräparirt und hierauf die Ex-
stirpation vorgenommen. Nach der Exstirpation werden die Wundränder
mittels der Knopf- oder umschlungenen Naht vereinigt. — Die Resection
RESECTION DES OBERKIEFERS. 803
anderer Theile des Oberkiefers werden selten für sich allein nöthig , son-
dern die sie bedingenden Leiden lassen sich in der Regel nur durch
Ausschneiden des ganzen Oberkiefers beseitigen. Um diese
Operation ins Werk zu sezen , spaltet man nach Dieffenbach die
Oberlippe und die ganze knorpelige Nase auf der dem kranken Oberkiefer
zugewandten Seite mit einem Zuge und verlängert diesen Schnitt nothigen-
falls bis zur Höhe des innern Augenwinkels. Gegen das Ende dieses ver-
ticalen Schnitts führt man rechtwinklig eine bis auf den Knochen drin-
gende Incision vom innern Augenwinkel aus , durch welchen die innere
Commissur der Augenlider gespalten wird. Der so umschnittene grosse
Lappen, welcher aus der Hälfte der Nase, dem untern Augenlide, der hal-
ben Oberlippe und der ganzen Wange besteht , wird mit starken Messer-
zügen von seiner Unterlage abgelöst. Vorsichtig wird dann die Conjunc-
tiva an der Grenze des Augenlids getrennt. Wenn die Geschwulst weit
nach aussen ragt, oder der Operateur für die Durchschneidung des Pro-
cessus zygomaticus nicht hinreichend Raum zu haben fürchtet , so
wird von der äussern Commissur der Augenlider anfangend ein horizon-
taler Schnitt in die Schläfenhaut geführt, wodurch die vollständige Ent-
blössung der vordem Fläche des Oberkiefers erlangt wird. — Bei dieser
Spaltung des Gesichts in der Mittellinie wird der Nervus facialis,
der Ductus stenonianus und die Art. maxillaris externa
geschont , deren Verlezung bei andern Schnittführungen nicht immer zu
vermeiden ist. — Wenn die Geschwulst sehr stark nach aussen oder nach
unten und aussen hervorragt , oder die Haut der Wange gegen das Joch-
bein hin entweder fest mit ihr verwachsen oder schon von ihr durchbrochen
ist , so spaltet man nach Velpeau die Wange durch einen halbmond-
förmigen oder schräg aufsteigenden Schnitt, der in der Nähe des Mund-
winkels beginnt und zum Jochbein aufsteigt. Hierdurch erhält man, na-
mentlich gegen die Fissura orbitalis inferior hin den nöthigen
Raum, wie auch bei gehörigem Vordringen des Schnitts gegen den innern
Augenwinkel und Ablösung der knorpeligen Nase der Nasenfortsaz des
Oberkiefers zugängig gemacht wird. Nur werden bei dieser Schnittfüh-
rung die vordem Aeste des N. facialis durchschnitten, was eine Läh-
mung der Gesichtsmuskeln zur Folge hat. Der Speichelgang kann bei
gehöriger Vorsicht geschont werden. — Nach der Blosslegung des Kno-
chens muss dieser von den drei Verbindungen mit den übrigen Gesichts-
knochen getrennt werden. Der Operateur beginnt mit der Durchschnei-
dung des Jochfortsazes , welche am bequemsten mit der Kettensäge ge-
schieht, die man ohne Schwierigkeit mit einer passenden Nadel hinter dem
Jochbogen durch die Fissura orbitalis inferior in die Augenhöhle
und durch den vordersten Theil der lezten wieder herausführt. Nach der
Durchtrennung der äussern Verbindung des Oberkiefers trennt der Ope-
rateur die Verbindung des Nasenfortsazes mit dem Oberkiefer und Stirn-
bein , wozu gleichfalls die Kettensäge benuzt werden kann , welche man
51*
804 RESECTION DES UNTERKIEFERS.
von der Augenhöhle aus durch das perforirte Thränenbein in die Nase
und durch die Apertur a pyriformis wieder herausleitet. Beide
Durchtrennungen lassen sich auch mit der Stichsäge ausführen , welche
für die Durchschneidung des Gaumenfortsazes unbedingt den Vorzug ver-
dient. Es bleibt nur noch eine ganz kleine knöcherne Verbindung des
Kiefers übrig , nämlich die des Pyramidenfortsazes vom Gaumenbein mit
dem Processus pterygoideus des Keilbeins. Sollte diese Ver-
bindung bei geringen Bewegungen nicht abbrechen, so kann man sie mit
einem Hohlmeissel , den man dicht an der Tuberositas maxillae
superioris einführt, lostrennen. Sind einzelne Theile des Oberkiefers
zu erhalten, so lassen sich oft andere Instrumente, wie die Knochenscheere,
der Meissel und das Meisseimesser vortheilhafter benuzen. — ■ Nach der
Durchschneidung der Verbindungen, die mittels der Säge sehr leicht und
rasch geschieht , zeigt der Oberkiefer bereits Beweglichkeit , bevor man
aber die gänzliche Trennung vornimmt, trennt man den Nerv, infra-
orbitalis sammt der Arterie bei ihrem Eintritt in den Halbkanal. Man
fasst ihn nun mit einer starken Hakenzange , zieht ihn vor und durch-
schneidet noch die Schleimhautadhäsionen in der Gegend der Choane und
des weichen Gaumens. Hierauf wird die Wunde durch Einsprizungen
von kaltem Wasser gereinigt. Sollte sich eine grössere arterielle Blu-
tung, z. B. aus der Art. m axillaris interna einstellen, so müssten
solche Gef ässe gefasst und unterbunden , oder die Blutung durch das
Glüheisen , welches jedenfalls bereit sein muss, gestillt werden. Hierauf
wird die Wunde mittels der umschlungenen oder Knopfnaht vereinigt ;
nachdem man in die Höhle einen Charpieballen eingelegt hat. — Ausser
den genannten Schnitten in den Weichtheilen sind noch solche von ver-
schiedener Form gebräuchlich ; Kreuz - und Ovalairschnitte kommen am
häufigsten in Anwendung. G e n s o u 1 macht einen H förmigen , Gu-
thrie einen i i förmigen, noch Andere bilden einen dreieckigen [_^ oder
T oder V oder \ Schnitt ; keiner von diesen gibt aber eine so schöne
Vereinigung, wie der oben näher beschriebene Schnitt von D ieffen -
b a c h , der ausserdem noch, wie schon bemerkt , vor der so entstellenden
Gesichtslähmung , vor der Speichelfistel und vor grösseren Blutungen
schüzt. — Die Heilung der Wunden erfolgt gewöhnlich per prima m
intentionem. — Sogar die Ausschneidung beider Oberkiefer in einer
Sizung ist mehrmals mit glücklichem Erfolg unternommen worden, zuerst
von Heyfelder, dann von Maisonneuve. — Heyfelder und
Michon entfernten den Körper und Augenhöhlentheil des Oberkiefers,
mit Erhaltung des Gaumen - und Alveolarfortsazes , Langenbeck den
Nasenfortsaz.
2. Theilweise Abtragung des Unterkiefers, Resec-
tio s. Excisio maxillae inferioris partialis. Diese Opera-
tion wird durch folgende Zustände bedingt : Neubildungen im Knochen,
und zwar gutartige , wenn sie durch ihre Masse nachtheilig wirken und
RESECTION DES UNTERKIEFERS. 805
nicht für sich exstirpirt werden können ; Krebse , welche im Knochen
selbst entstanden sind ; Caries, wenn sie blos örtlich ist und jeder andern
Behandlang widerstehend weiterschreitet ; Zerschmetterungen des Unter-
kiefers , bei welchem eine vollkommene Vereinigung oder Brauchbarkeit
des Kiefers nicht zu erwarten steht. Eine Gegenanzeige der Operation
ist die Anschwellung der Submaxillar- oder Sublingualdrüsen oder ande-
rer benachbarter Drüsen. — Je nach dem Size der Erkrankung, ihrer Be-
schaffenheit und Ausdehnung ist das operative Verfahren verschieden.
Eegel ist es , alles Kranke zu entfernen , und dies bestimmt sowohl die
Schnitte durch die Haut, wie die Durchsägungsstellen. Man kann blos
den Alveolarrand wegnehmen, oder die Excision des mittlem Theils oder
die Excision der Hälfte des Körpers des Unterkiefers machen. Von der
Wegnahme eines Theils des Körpers mit dem Aste war bei den Decapi-
tationen die Rede und von der Wegnahme des ganzen Unterkiefers wird
bei der Exstirpation der Knochen gesprochen werden. — a) Resection
des Alveolarrandes. Ist nur ein kleiner Theil des vordem Alveo-
larrandes erkrankt, so zieht man an der Grenze des Erkrankten an jeder
Seite einen Zahn aus und sägt mit einer feinen Blattsäge , im Gesunden
bleibend, ein dreieckiges Stück aus dem Zahnhöhlenrande aus, welches die
Gestalt eines V hat. Die zuweilen sehr bedeutende Blutung aus der Di-
ploe wird mit einem kleinen Glüheisen gestillt , wobei Lippen und Zunge
durch Leinwandläppchen geschüzt werden. — Enthält der kranke Theil
mehr als vier Zähne, so sägt man nach Dieffenbach den Kieferrand
an jeder Seite in horizontaler Richtung ein und stammt das kranke Stück
mit einem flachen Meissel aus. — Ist der seitliche Alveolarrand erkrankt,
so zieht man den Mundwinkel dieser Seite mit einem stumpfen Haken
weit nach aussen, sägt dann den Alveolarrand an der vordem Grenze ein,
trennt die Wange vom Knochen , sezt einen an der Seite schneidenden
Meissel von der Form eines Messers in horizontaler Richtung an die äus-
sere Seite an und sprengt den Zahnhöhlenfortsaz durch einen kräftigen
Hammerschlag ab. Gewöhnlich ist ein nochmaliges Aufsezen des Instru-
ments an die innere Seite des Knochens nöthig , um diesen glatt abzu-
trennen. Die Adhäsionen der Weichtheile trennt man mit dem Messer
und die Blutung stillt man mit dem Glüheisen. — b) Resection des
mittlem oder Kinntheils des Unterki e fers. Die Stellung
des Kranken ist wie bei der Resection des Oberkiefers. Man spaltet die
Lippe in der Mittellinie bis unter das Kinn herab, wobei der Schnitt bis
auf den Knochen dringt. Fehlt es an Raum zum Durchsägen, so verlän-
gert man den Schnitt gegen das Zungenbein hin , welcher Schnitt aber
nur durch Haut und Zellgewebe gehen darf. Die Weichtheile werden
nun nach beiden Seiten hin bis zur Grenze des Gesunden hart am Kno-
chen abgelöst, so dass alle Arterien in dem sogleich zurückzuschlagenden
Lappen nnverlezt bleiben. Bevor man an die Durchsägung des Knochens
geht, sticht man mittels einer Heftnadel ein starkes Fadenbändchen durch
806 RESECTION DES UNTERKIEFERS.
das Frenulum linguae, um damit, wenn es nöthig wäre, das Zurück-
sinken der Zunge verhindern zu können ; ebenso zieht man vorher an bei-
den Grenzen der Erkrankung einen Zahn aus. Nun schabt man die
Knochenhaut mit einem Schabeisen ab und sägt den Knochen auf der einen
Seite und dann , bevor er hier ganz von der Säge durchdrungen ist , auf
der andern durch , worauf man erst den andern Sägenschnitt beendigt.
Hierdurch bleibt das Knochenstück bis auf den lezten Augenblick fest er-
halten. Der Sägenschnitt muss etwas schräg von aussen nach innen
gehen , damit die Enden , wenn sie sich berühren können , einander mit
Flächen und nicht mit Kanten berühren. Zu dieser Durchsägung bedie-
nen sich die Einen der Bogensäge, wobei sich der Operateur erhöht hin-
ter den Kranken stellt , Andere der Kettensäge , in welchem Falle der
Knochen von innen heraus durchsägt wird. Um das so vom übrigen
Knochen getrennte Stück auszuschälen, fasst man es mit der linken -Hand
und zieht es ab , ein Gehülfe spannt die Zunge mit dem Fadenbändchen
an. Dann geht man mit einem kurzschneidigen, starken Knochenmesser
von der linken Seite her hinter dem losen Knochen ein, trennt ihn, indem
man schabend an seiner innern Fläche fortgeht, von den Weichgebilden
und unterbindet jezt schnell die blutenden Gefässe. Sollte eine störende
Blutung aus der Art. alveolaris inferior an der Schnittfläche des
Knochens erfolgen , so verschliesst man ihren Kanal durch einen Wachs-
pfropf. Die Wunde wird durch die umschlungene Naht vereinigt und
der durch die Zunge gezogene Faden durch den Mund herausgeführt und
an der Wange festgeklebt. — Ist die Haut an der Operationsstelle er-
krankt , oder ist sie wegen grosser Ausdehnung der unterliegenden Haut
im Ueberfluss vorhanden , so macht man einen V Schnitt , oder man lässt
die verticalen Schnitte nur bis zum Kinnrande gehen und macht an der
Basis des Unterkiefers eine quere Incision , so dass ein | Schnitt ent-
steht , was den Knochen in grösserer Ausdehnung zu entblossen erlaubt.
— c) Resection des ganzen horizontalen Theils (Bogen s)
des Unterkiefers. Diese Operation ist nur durch die Grösse des
herauszunehmenden Stücks von der vorigen verschieden. Zur Blosslegung
des Knochens wird längs der Basis des Unterkiefers ein Schnitt geführt
(dem man nötigenfalls einen senkrechten durch die Lippe beifügt) , der
Lappen abgelöst und in die Höhe geschlagen. — d) Resection einer
Seitenhälfte oder eines Theils derselben. Hier bleibt das
Kinn und der Gelenktheil des Knochens zurück. Man spaltet die Unter-
lippe , führt von dem Ende dieses Schnitts längs des untern Kieferrandes
einen zweiten bis etwa i/2 — 1 Zoll über die Grenze der Krankheit hin-
aus , trennt diesen dreieckigen Lappen los , schlägt ihn nach hinten und
oben und sägt das kranke Knochenstück, nachdem man den entsprechen-
den Zahn ausgezogen hat, mit der Kettensäge aus; hierauftrennt man
den Knochen von seinen Adhäsionen, stillt die Blutung, wobei gewöhnlich
die Art. maxillaris externa unterbunden werden muss , und ver-
RESECTION DES SCHULTERBLATTS. 807
einigt die Wunde schliesslich mittels der umschlungenen Naht. — Bei
den vorgenannten Resectionen treten zuweilen durch Zurückziehen der
Zunge Erstickungszuf alle ein, welchen man durch eine gehörige Fixirung
der Zunge durch das Fadenbändchen vorbeugen kann. Dieser kann so-
gar noch später, während des Vernarbungsprocesses eintreten. Man thut
daher wohl , den Kranken gut zu überwachen und ihm bis zur völligen
Vernarbung eine Seitenlage mit erhöhtem Kopfe zu empfehlen. Ein wei-
terer Uebelstand der Unterkieferresectionen ist der , dass die Kranken
ausser Stande sind , feste Nahrungsmittel zu geniessen , oder sie können
sie wenigstens nicht gehörig kauen und einspeicheln , was Ernährungs-
störungen zur Folge haben kann. Nur wenn das resecirte Stück durch neue
Knochenmasse ersezt wird, ist die Möglichkeit zu späterer normaler Func-
tion der Mandibula gegeben; es geschieht dies indessen gewöhnlich nicht.
3. Theilweise Wegnahme des Schlüsselbeins, R e -
sectio claviculae partialis. Die Operation hat den Zweck, einen
Theil des Schlüsselbeins mit Zurücklassung der beiden Gelenkenden zu
entfernen. Indicirt ist die Operation bei Zersplitterung der Clavicula,
Entartungen derselben, Aneurysmen der Art. subclavia unterhalb des
Schlüsselbeins und grosser Schwierigkeit der Aufsuchung der Arterie. —
Während der Operation hat man sich vor einer Verlezung der V e n a j u-
g u 1 a r i s und subclavia, linkerseits auch des Ductus thoraci-
c u s zu hüten. Sie ist übrigens ziemlich einfach. — Bei Caries macht
man einen Querschnitt längs des Schlüsselbeins und von beiden Enden
dieses Schnitts zwei kleine Längenschnitte nach oben und unten und prä-
parirt darauf die Weichtheile zurück, wobei man die Schneide immer dicht
am Knochen führt. Bei entarteter Haut macht man zwei elliptische
Schnitte nach der Länge des Knochens , welche das Entartete einschlies-
sen ; eine beträchtliche unter der Haut liegende Geschwulst muss durch
einen Hautschnitt gespalten werden. Nach der Blosslegung des Knochens
durchsägt man ihn entweder von aussen nach innen mittels der H e y '-
sehen Säge , oder von innen nach aussen mit der Knochensäge , nachdem
man einen Spatel oder ein Lederstück unter den Knochen geschoben hat.
Die Wundränder werden nach der Durchsägung und Reinigung der Wunde
mit Heftpflaster vereinigt , darüber legt man Charpie und Compressen
und dann den D es a ult 'sehen Verband für den Schlüsselbeinbruch an.
4. Theilweise Wegnahme des Schulterblatts, Re-
sectio scapulae partialis. Man versteht unter dieser Operation
die theilweise Entfernung des Schulterblatts mit Zurücklassung der Spina
scapulae und der Gelenkfläche oder lezterer allein. — Die Indicationen
zu dieser Operation sind : Zersplitterungen in Folge von Schusswunden
und Fracturen, Caries ; Osteosarcom und Osteosteatom, sofern diese nicht
blos auf der Scapula aufsizen und von ihr abpräparirt werden können ;
Markschwamm. Die Operation ist weder sehr schwierig, noch gefahrvoll,
wenn eine Geschwulst sich nicht etwa tief in die Achselhöhle hinein er-
808 RESECTION DES SCHULTERBLATTS.
streckt ; auch bleibt von ihr kein bedeutender Nachtheil für die Brauch-
barkeit des Arms zurück. Sie zerfällt : in die Wegnahme einzelner Fort-
säze, Ränder, Winkel , in die Ausschneidung eines kleineren oder grösse-
ren Stückes aus der Fläche des Schulterblatts (Trepanatio scapu-
1 a e) und in die Entfernung des ganzen Schulterblatts mit Ausnahme eines
kleineren oder grösseren Stücks des Gelenktheils (Amputatio scapu-
lae). — a) Resection des Acromions. Man macht nach dem
Verlaufe des untern Randes des Knochens einen halbmondförmigen Schnitt,
trennt den Hautlappen und die an diesen Fortsaz sich anheftenden Mus-
keln ab und schneidet ihn mit der Knochenzange , der Kettensäge oder
dem Osteotom durch , worauf man ihn nach aussen zieht und aus seiner
Verbindung mit dem Schlüsselbein löst. Ist die Gelenkfläche des leztern
Knochens oberflächlich erkrankt , so kann man sie mit der Knochenzange
entfernen. — b) Resection der Schulter gräte. Meistens ge-
nügt ein Querschnitt nach dem Verlaufe der Gräte, der je nach Erforder-
niss durch Hinzufügung zweier kleiner Verticalschnitte in einen oder zwei
viereckige Lappen verwandelt wird. Bei Geschwülsten richtet man sich
nach der Eigenthümlichkeit des Falls. Nach Abtrennung der Muskeln
wird die kranke Stelle der Gräte mittels der Velpeau' sehen Knochen-
zange , der Martin' sehen Glockensäge oder des Osteotoms entfernt.
Muss die ganze Spina weggenommen werden , so durchschneidet man zu-
erst den Hals des Acromions und dann die Basis des Vorsprungs mit dem
Osteotom. — c) Resection des Winkels oder Randes des
Schulterblatts. Man legt die kranke Stelle durch einen geeigneten
Schnitt bloss , der nach Bedürfniss eine L oder T Form haben , oder ein
Kreuzschnitt sein kann. Nach Ablösung der Hautlappen schneidet man
die Insertionen der Muskeln hart am äussern und hintern Rande des Kno-
chens ab und durchsägt diesen, wozu am besten das Osteotom passt. Nach
der Durchsägung des Knochens löst man ihn von dem Muse, subcapu-
larisab. — d) Resection eines Stücks aus der Fläche des
Schulterblatts. Geschieht wegen mechanischer Zerstörung eines
Theils des Knochens in der Fossa supra- oder infraspinata und
zwar nach allgemeinen Regeln. — e) Resection des Körpers des
Schulterblatts. Diese Operation besteht in der Entfernung des
grössern Theils des Körpers mit Erhaltung des Gelenktheils der Scapula.
— Die zweckmässigste Schnittführung ist die von Ried: Ein Längen-
schnitt wird in der Richtung des innern Randes des Schulterblatts von
dem obern bis gegen den untern Winkel herabgeführt, ein zweiter paral-
leler aber um zwei Dritttheile kürzerer Schnitt läuft vom Halse des Acro-
mions gegen die Mitte des äussern Randes des Schulterblatts herab, ohne
die hier gelegenen Muskeln zu trennen , beide Schnitte werden durch
einen dritten , auf der Höhe der Spina geführten Querschnitt vereinigt.
Nach Abtrennung der an der Spina sich befestigenden Muskeln werden
die MM. supra- und infraspinatus zugleich mit den vorgezeichneten
RESECTION DER RIPPEN. 809
Hautlappen von dem hintern Rande und den entsprechenden Flachen des
Schulterblatts abgelöst und mit stumpfen Haken nach oben und unten
auseinander gehalten. Man gewinnt durch dieses Verfahren, ohne dass
man die genannten Muskeln zu trennen braucht , genügenden Raum zur
Durchsägung des Knochens. Diese wird ausserhalb der Grenze der Zer-
störung mit einer schneidenden Zange , einer Säge oder dem Osteotom
ins Werk gesezt. Je nach der Ausdehnung der Krankheit sägt man den
Knochen schräg durch die Spina und die beiden F o s s a e durch oder die
Trennung muss durch den Hals des Gelenkfortsazes gehen , in welchem
Falle aber die Durchschneidung des Acromion vorhergehen muss. Nach
vollendeter Trennung des Knochens wird er in die Höhe gehoben und
von innen nach aussen von dem unterliegenden und den an den Rändern
sich inserirenden Muskeln gelöst und entfernt. — Nach beendigter Re-
section wird die Blutung gestillt, wobei die Unterbindung von Aesten der
Art. transversa scapulae und der A. dorsalis scapulae nö-
thig werden kann , die Wunde bis auf den untern Winkel vereinigt und
der Arm durch einen Verband in ruhiger Lage erhalten. Nach Umstän-
den macht man einige Tage lang kalte Umschläge.
5. Theil weise W e gnahme einer Rippe, Resectie Co-
starum partialis. Indicationen zu der Operation sind: Caries und
Nekrose, seltener Fracturen mit Wunde und Splitterung, womit Verlezung
der Pleura und der Lunge gegeben ist ; Exostosen und Afterbildungen
der Knochen. — Die Operation ist in ihrer Ausführung ziemlich ein-
fach ; der Kranke wird, wenn ein Stück einer Rippe aus dem vordem Theil des
Thorax entfernt werden soll, auf den Rücken, wenn aber aus dem hintern
Theil desselben , auf den Bauch gelegt , befindet sich die Stelle aber auf
einer Seite, so liegt er auf der'entgegengesezten auf einem untergescho-
benen Polster, um die Intercostalräume zu vergrössern. Ein in der Rich-
tung der Rippe verlaufender Schnitt, dem man nötigenfalls einen Quer-
schnitt am Ende oder in der Mitte befügt, legt die Rippe bloss, worauf
man die Intercostalmuskeln sowohl an ihrem obern, als untern Rande be-
hutsam abtrennt und die Pleura in der ganzen Ausdehnung der wegzu-
nehmenden Partie mit einem etwas gekrümmten Spatel, von der Rippe
ablöst. Nun wird der Knochen durchtrennt , wozu man bei jungen Sub-
jecten die Knochenscheere benüzen kann , sonst aber eignet sich hierzu
die Kettensäge oder auch eine Messersäge ; wenn die Rippe auf einer
Seite durchsägt ist , so muss man bei der Durchsägung der andern Seite
das wegzunehmende Stück an dem abgesägten Ende mit einer Zange
fassen , um es gehörig zu fixiren. Findet bereits eine Continuitätstren-
nung der Rippe statt, so löst man zuerst die Pleura und trägt dann ein
Ende um das andere unter Fixirung mit einer Zange auf die eben ange-
gebene Weise ab. Die Blutung aus der Art. in t er cos t a lis ist meist
unbedeutend oder fehlt auch ganz ; sollte die Blutung stärker sein , so
zieht man das Gefäss hervor und torquirt oder unterbindet es ; man kann
810 RERECTION DES BRUSTBEINS.
auch ein Fadenbändchen um das hintere Ende der durchsägten Kipp«
binden und die Arterie so comprimiren. Bei der Operation hat man
die Verlezung der Pleura möglichst zu vermeiden, was bei frischen Frae-
turen am ehesten geschieht , da sie hier nicht verdickt ist, wie bei Caries
u. dgl. Nach der Operation schliesst man die Wunde sorgfältig, etwa ein-
tretende Entzündung der Pleura erheischt eine streng antiphlogistische
Behandlung. Der Substanzverlust des Knochens ersezt sich durch einen
fibrösen Strang ; wo die Beinhaut erhalten wurde, darf man den vollstän-
digen Wiederersaz des ausgeschnittenen Knochenstücks erwarten. In
Fällen, wo die Pleura verlezt wurde, verwächst die Oberfläche der Lunge
mit den Rändern der Oeffnung. — Wenn ein Rippenknorpel entfernt
werden soll, so kann das mit dem Scalpell geschehen.
8. Theilweise Wegnahme der Wirbel, Resectiover-
tebrarum partialis. Der Zweck dieser Operation ist , einen frac-
turirten und eingedrückten Bogen eines oder mehrerer Wirbel zu entfer-
nen. Symptome des Drucks (Lähmung) und Crepitation können die
Operation indiciren. Die Prognose hängt von dem Zustande des Rük-
kenmarks und seiner Häute, besonders von dem Grade der Erschütterung
und der darauf folgenden Entzündung ab. Man legt den betreffenden
Wirbel durch einen Kreuzschnitt bloss, trennt die Muskeln von den Fort-
säzen ab , hält Haut und Muskeln durch stumpfe Haken zur Seite und
sägt den Bogen mit der Ketten- und Hey'schen Säge aus. Die Nachbe-
handlung muss sich besonders gegen die Erschütterung und die Entzün-
dung des Rückenmarks und seiner Häute so wie gegen die symptomati-
schen Lähmungen richten.
7. Theilweise Wegnahme des Brustbeins, Trepana-
tio, Per fo ratio et Resectio sterni. Die Durchbohrung des
Brustbeins wurde bei Ansammlungen von Flüssigkeiten im Mediastinum,
bei fremden Körpern , bei Caries des Brustbeins, bei Beinbrüchen dieses
Knochens empfohlen. — Die Operation ist der Hauptsache nachfolgende:
nachdem sich der Kranke am Rande eines Bettes oder Tisches auf den
Rücken gelegt hat, macht man einen einfachen Längenschnitt, kreuz-
öder T förmigen Schnitt in die Haut, präparirt diese zurück und entblösst
den Knochen an der Stelle, welche entfernt werden soll, mittels des
Schabeisens, worauf der Knochen mittels des Trepans so weit durchbohrt
wird, dass die Scheibe beweglich ist, welche man sofort mit demTirefond
fasst und mit einem Knopfbistouri von den unterliegenden Theilen ab-
löst. Bestehende Ansammlungen sucht man durch eine passende Lage
des Kranken und mittels des Schwamms, fremde Körper oder eingedrückte
Knochenstücke mit der Hand , einem Hebel oder einer Zange zu entfer-
nen. Nach der Operation legt man einen Verband an , welcher dem bei
der Trepanation des Hirnschädels ähnlich ist. — Die Resection des
Brustbeins wurde bei Brüchen desselben mit Dislocation , namentlich bei
RESECTIÖN (EXSTIHPATION) DER KNOCHEN. 811
veralteten zuweilen geübt. Die Art der Ausführung hängt von dem ge-
gebenen Falle ab.
8. Theilweise Wegnahme der Beckenknochen, Ex-
cisio ossium pelvis partialis. Als Indicationen für diese Ope-
rationen kann man Caries und Exostosen des Hüftbeinkamms und des ab-
steigenden Asts des Schambeins betrachten. Man entblösst die leidende
Stelle durch einen Schnitt bis auf den Knochen, löst die Beinhaut mit
den Muskeln hinreichend los und sägt die Stelle mit einer Hey sehen
Säge V förmig aus.
9. Theilweise Wegnahme der Knochen der Extre-
mitäten, Resectio ossium extremitatum partialis. Die
Operation ist hauptsächlich in folgenden Fällen angezeigt: 1) bei be-
schränkter Caries , zumal wenn die Haut über der cariösen Stelle zerstört
ist ; 2) bei Exostosen , welche gestielt sind oder doch keine zu grosse
Basis haben ; 3) bei complicirten Fracturen, wenn die Bruchenden durch
die Weichtheile hervorgetreten sind und nicht reponirt werden können,
oder wenn sie durch ihre spizen Enden die Weichtheile in Entzündung
und Eiterung versezen. Am Öftersten macht sich die Reseetion in der-
gleichen Fällen an der Tibia und Fibula, sodann am Oberarm- und Ober-
schenkelbein , endlich am Mittelhandknochen des Daumens nothwendig ;
4) bei schlecht geheilten oder gar nicht zur Vereinigung gekommenen
Brüchen. Auchlässt sich hierher die Abtragung hervorstehender Kno-
chenenden am Amputationsstumpfe rechnen. Der Erfolg nach der Re-
section in der Continuität des Oberarm- und Oberschenkelknochens ist
insofern zweifelhaft, als es immer ungewiss ist, in wie weit der Knochen
wieder Festigkeit erhält ; dagegen gestaltet sich die Prognose bei der Re-
section eines Vorderarm- oder Unterschenkelknochens besser, da der an-
dere unverlezte Knochen noch eine Stüze für das Glied abgibt. — • Bei
diesen Operationen handelt es sich entweder um die Wegnahme einer
oberflächlichen Schichte des Knochens (bei Caries, Exostosen) oder einer
ganzen Wand (Trepanation bei Necrose, Knochenabscessen), wobei die
Continuität der Knochen erhalten wird , oder um die Wegnahme eines
Stücks aus der ganzen Dicke eines Knochens. Die zwei ersteren Opera-
tionsverfahren sind nur an den dickeren Knochen ausführbar, die lezteren
an diesen wie an den dünnen. Bei allen wird der Knochen unter mög-
lichster Schonung der Nerven , Gef ässe und Muskeln durch einen Län-
gen- oder V förmigen Schnitt blossgelegt und der schadhafte Theil des-
selben je nach der Art der Erkrankung mit dem Osteotom , der Ketten-,
Messer- oder einer andern geeigneten Säge oder mit dem Trepan ent-
fernt. Ist bei Fracturen das eine Ende des Knochens nach aussen ge-
treten, so erweitert man nötigenfalls die Wunde und sägt das hervorge-
tretene Knochenende ab.
III. Gänzliche Wegnahme oder Exstirpation der
Knochen, Resectio ossium totalis s. Exstirpatio ossium.
812 RESECTION (eXSTIRPATIOn) DER MITTELHANDKNOCHEN.
Man begreift hierunter die Auslösung ganzer Knochen aus den umgeben-
den Weichgebilden und den beiderseitigen Gelenkverbindungen. Man
macht diese Operation bei Caries, welche einen ganzen Knochen oder den
grössten Theil desselben einnimmt, bei complicirter Verrenkung und Zer-
schmetternng eines Knochens durch Schusswunden. Es versteht sich
aber von selbst, dass diese Operation nicht an allen Knochen ausgeführt
werden kann, sondern nur an solchen, die zur Stiize des Körpers oder ei-
nes einzelnen Gliedes nicht unumgänglich nothwendig sind, deren Mangel
somit durch andere Knochen ersezt werden kann. Die Operation ist da-
rum weder am Oberarm- noch Oberschenkelknochen ausführbar; dagegen
hat man sie am Schlüsselbein, am Unterkiefer, am Radius, an der Knie-
schneibe und an den Hand- und Fusswurzelknochen mit Erfolg verrichtet.
1 . Auslösung des Schlüsselbeins, Resectio clavicu-
lae totalis s. Exstirpatio claviculae. Man macht einen
Schnitt längs des Knochens , der sich über die beiden Enden desselben
hinauserstreckt : an seine beiden Enden fügt man noch zwei kleine Verti-
calschnitte hinzu und präparirt den so gebildeten länglich viereckigen
Lappen zurück, wodurch der Knochen vollkommen entblösst wird; hierauf
exarticulirt man das Sternal- oder Acromialende , indem man es mit der
linken Hand fasst, um es aufzuheben, während man mit der rechten Hand
den Knochen aus seinen Verbindungen an der untern Fläche löst. In
einem Falle ersezte sich das weggenommene Schlüsselbein vollkommen
wieder. Der Verband wird wie bei der partiellen Resection des, Schlüs-
selbeins bestellt.
2. Auslösung des Unterkiefers, Resectio totalis s.
Exstirpatio maxillae inferior is. Man macht einen horizonta-
len Schnitt längs der Basis des Unterkiefers und zwei verticale vor jedem
Ohr abwärts, die sich mit jenem vereinigen. Die Weichtheile werden in
der Richtung nach oben von dem Knochen abgelöst, die Kinnlade in der Mitte
durchsägt und dann eine Hälfte nach der andern auf die bei der Abtragung
des Unterkiefergelenks angegebene Weise exarticulirt und ausgeschält.
3. Auslösung des Radius, Resectio totalis s. Exstir-
patio radii. Man bringt den Vorderarm in halbe Beugung , macht
längs der äussern vordem Seite des Radius einen Längenschnitt, durch
welchen lezterer blossgelegt wird ; hierauf durchschneidet man etwas un-
ter seiner Mitte die ihn bedeckenden Weichtheile, zieht die Muskeln aus
einander und durchsägt ihn mit einer Kettensäge. Schliesslich schält
man die beiden Fragmente mit Schonung der Gefässe und Nerven aus.
Reicht der Längenschnitt nicht hin , so kann man an seinen Enden noch
kleine Querschnitte machen. — Die Exstirpation der Ulna würde
den Vorderarm gänzlich unbrauchbar machen, da die breite Gelenkfläche
der Ulna die Verbindung zwischen Ober- und Vorderarm fast allein ver-
mittelt.
4. Auslösung der Mittelhandknochen, Resectio to-
RESECTION (EXSTIRPATION) DER KNIESCHEIBE. 813
talis s. Exstirpatio ossium metacarpi. Unter allen Mittel-
handknochen ist der des Daumens der einzige , welcher mit Erfolg fin-
den Kranken exstirpirt werden kann. Bei der Ausführung dieser Ope-
ration wird die Hand des Patienten in die Mittellage zwischen Pro- und
Supination gebracht und in dieser Lage von einem Gehülfen fixirt. Der
Operateur zieht den Daumen an, sticht ein schmales Bistouri in der drei-
eckigen Grube zwischen die Sehnen des Extensor longus und bre-
vis pollicis und zwar lezterer näher, um die Verlezung des Volarasts
der Art. radialis zu vermeiden, bis auf das Os multangulum majus
ein, legt dann die Schneide horizontal auf und führt einen Schnitt genau
auf der Mittellinie der Rückenfläche des Mittelhandknochens bis über
das Metacarpo - Phalangealgelenk ; dieser Schnitt verläuft zwischen den
Sehnen der beiden Extensoren des Daumens und trennt am leztgenann-
ten Gelenke die Verbindung dieser Sehnen , wodurch deren Abziehung
erleichtert wird. Ein Gehülfe zieht nun die Hautränder mit den Sehnen
mittels stumpfer Haken ab , worauf der Operateur die Insertion des
Muse, opponens an dem Radialrande des Mittelhandknochens mit kur-
zen Messerzügen ablöst. Am Metacarpocarpalgelenke angekommen wird
das Gelenk quer eingeschnitten und einerseits die Sehne des Abductor
longus, andererseits der Abductor indicis losgetrennt. Ist das
Hand wurzelgelenk eröffnet, so drückt der Operateur von der Palmarseite
den Knochen durch die Wunde empor , löst ihn von seinen untern Adhä-
sionen und eröffnet schliesslich vorsichtig , ohne die beiden Strecksehnen
zu verlezen, das Metacarpo-Phalangealgelenk. Die Wunde wird bis auf
eine kleine Stelle , in welche man ein Leinwandläppchen einlegt , mit
Knopfnähten vereinigt, der Daumen etwas vorgezogen und an den Ballen
der Hand eine Longuette gelegt und darüber Heftpflaster gewickelt. In
die Hohlhand gibt man einen Charpieballen.
5. Auslösung der Handwurzelknochen, Resectio to-
talis s. Exstirpatio ossium carpi. Diese Operation, welche an
verschiedenen Knochen mit günstigem Erfolg ausgeführt wurde , lässt
keine bestimmten Vorschriften zu , nur gilt als Regel, dass man, wenn es
möglich ist, den Schnitt parallel mit den Strecksehnen führt.
6. Auslösung des Wadenbeins, Resectio totalis s.
Exstirpatio fibulae. Man macht längs des Wadenbeins einen
Schnitt vom Capitulum dieses Knochens bis zum äussern Knöchel, trennt
sodann die Muskeln von der vordem und hintern Seite los, durchsägt den
Knochen in seiner Mitte, worauf man die beiden Stücke exarticulirt. Bei
der Eröffnung des obern Kapselgelenks hat man sich vor der Eröffnung
des Kniegelenks zu hüten. Bei der Operation werden die Art. tibia-
lis postica und der Nerv, peronaeus verlezt.
7. Auslösung der Kniescheibe, Resectio totalis s.
Exarticulatio patellae. Man legt die Kniescheibe durch einen
814 ROSE.
Kreuzschnitt bloss, löst sie aus und vereinigt dann die Wunde genau mit
Heftpflaster.
8. Auslösung der Fusswurzelknochen, Resectio to-
talis s. Exstirpatio ossium tarsi. Diese Operationen finden
ihre Anwendung bei Zerschmetterungen der Fusswurzelknochen durch
Schüsse, Luxationen mit Zerreissung der Bänder, ferner bei Caries. Die
Schnittführung wird bei diesen Operationen von dem gegebenen Fall be-
stimmt. — Am häufigsten wurde die Excision des Talus unternommen
und zwar bei Luxation dieses Knochens mit Zerreissung der ligamentösen
Theile und der Integumente ; sie ist indicirt, wenn sich eine solche Luxa-
tion nicht reponiren lässt und wenn nicht Complicationen die Amputation
des Unterschenkels fordern. Gewöhnlich ist bei schon vorhandenen Zer-
reissungen nur eine nachhelfende Trennung der Verbindungen zur gänz-
lichen Lösung des Knochens erforderlich, doch kann auch bei unverlezter
Haut diese eingeschnitten werden, was nach Rognetta mit einem halb-
mondförmigen Schnitt zu thun ist, der sich mit seiner Convexität weit
gegen die Zehen erstreckt und einen grossen Lappen abtrennen lässt.
Man kann auch bei mit der Luxation verbundener Fractur einen etwa mit
der Tibia noch fest verbundenen Theil des Knochens zurücklassen. Der
Fuss, der nach der Excision des Talus in einem rechten Winkel zum Un-
terschenkel erhalten werden muss , erlangt eine ziemliche Brauchbarkeit
wieder. Jäger und D i e z exstirpirten den Talus wegen Caries zugleich
mit einem Theile des Fersenbeins und dem Schiffbein; von Lezterem
wurde der Knochen durch einen Kreuzschnitt zwischen dem innern Knö-
chel und dem Os naviculare blossgelegt und von dem Talus vor sei-
ner Auslösung erst der Fortsaz mit dem Osteotom abgesägt. - — Auch die
übrigen Tarsalknochen können einzeln oder zu mehreren exstir-
pirt werden, doch ist die totale Excision des Fersenbeins nicht rathsam,
weil der Fuss so an Brauchbarkeit verliert, dass man besser die Ampu-
tatio cruris macht. Dünn exstirpirte mehrere Fusswurzel- und Mit-
telfussknochen und erhielt dadurch die Zehen und den übrigen Fuss.
Auch Moreau sen. nahm mit günstigem Erfolg das Würfelbein , das
dritte Keilbein, das hintere Ende des vierten Mittelfussknochens , die in-
nere Seite des Endes vom fünften, und endlich die Gelenkfläche des vor-
dem Fortsazes des Fersenbeins, Wattmann die drei Keilbeine, Vel-
p e a u die Hälfte des Würfelbeins und die Basis des fünften Mittelfuss-
knochens weg.
B>OSe, Rothlauf, Erysipelas (von igvöog, roth und TtsXag,
Geschwulst). Mit diesem Namen bezeichnet man eine mit Fieber ver-
laufende, diffuse, gewöhnlich unter Abschuppung der Epidermis in Zer-
theilung ausgehende Entzündung der Haut und ihrer Lymphgefässe.
Nach B 1 a n d i n unterscheidet sich das Erysipelas von dem Erythem da-
durch, dass bei lezterem nur die Haut, nicht aber die Lymphgefässe ent-
ROSE, 815
zündet sind. — Oertliche Symptome. Das Rothlauf beginnt
an einer Stelle mit einer leichten rosigen Röthe , die sich schnell weiter
verbreitet ; die Röthe ist gleichförmig, beim Fingerdrucke verschwindend,
an den Rändern sich allmählig verlierend und hier ins Gelbliche spielend.
Mit der Röthe ist eine vermehrte Wärme , ein brennender , prickelnder
Schmerz und Geschwulst verbunden. Kommt es zur Exsudation , so ist
das Exsudat immer ein flüssiges , welches die Oberhaut in grösseren oder
kleineren Blasen erhebt (Blasenrose, Blatterrose, Erysipelas
b u 1 1 o s u in). Im weiteren Verlaufe der Krankheit wird der dünne, farb-
lose durchsichtige Bläscheninhalt trüb, dicklich und gelb, die Blasen bre-
chen auf, der Inhalt entleert sich und vertrocknet auf der Haut zu dünnen
harren, anfangs gelblichen, später braunen Krusten, die wenn sie abfallen,
die unterliegende Haut wieder völlig gesund erscheinen lassen. Zuweilen
sammelt sich die exsudirte Flüssigkeit in grosser Menge in den Zwischen-
räumen des Gewebes der Lederhaut und des Unterhautbindegewebes an,
wodurch die Geschwulst sehr bedeutend wird (Erysipelas oedema-
tosum); die Röthe ist in diesem Fall gewöhnlich blass. ■ — Die Entzün-
dung kann sich, während sie an ihrer ursprünglichen Stelle verläuft, auf einen
benachbarten Theil ausdehnen, dort denselben Process durchmachen und
so nach, und nach über weite Körperstrecken fortschreiten (wandernde
Rose, Erysipelas erraticum, ambulans). Das Rothlauf kann
auch plözlich zurücktreten, wenn es heftig ist, und dann sind innere
Organe oder eine innere Haut in grosser Ausdehnung gefährdet. —
Greift das Rothlauf tiefer , geht es auf das Zellgewebe über, so bezeich-
net man es als phlegmonöses, Erysipelas phlegmonosum;
es characterisirt sich durch eine grössere Intensität der Symptome. —
Allgemeine Symptome. In den meisten Fällen kündigt sich die
Rose durch allgemeines Uebelbefinden , Schmerzen und Schwere in den
Gliedern, Frösteln und zuweilen auch einen starken Frost an ; dazu kom-
men Kopfschmerzen, unruhiger Schlaf, Mangel an Appetit, belegte Zunge,
Durst, Uebelkeit, Druck in der Herzgrube, Erbrechen und Durchfall oder
Verstopfung, endlich Fieber. Zuweilen erscheinen diese Zufälle nicht
vor der örtlichen Krankheit, sondern mit dieser zugleich oder später.
Alle diese Erscheinungen verändern ihren Character zuweilen, sobald sich
das örtliche Leiden entwickelt hat. Der bis dahin starke und volle Puls
wird schwach und klein , die Zunge braun und trocken , der Kopf einge-
nommen , — das entzündliche oder gastrische Fieber geht in ein typhö-
ses über und der Kranke stirbt unter murmelnden Delirien. — Ursa-
chen, Die nächsten Ursachen sind: Reizungen der Haut durch Insecten-
stiche, Feuer, Kälte, Sonnenhize, reizende Medicamente etc. die entfern-
teren Ursachen sind : heftige Gemütsbewegungen , tiefer Verdruss , ein
starker Zornanfall, ferner Störungen der Verdauung durch schlechte Nah-
rung, starke Gewürze , Missbrauch geistiger Getränke etc. Das häufige
Vorkommen der Rose im Frühjahr deutet darauf hin , dass gewisse ath-
816 ROSE.
mosphärische Verhältnisse die Entwicklung derselben begünstigen ; auch
tritt sie bei einem eigentümlichen zeitweise herrschenden Krankheits-
character epidemisch auf, indem zu solchen Zeiten die unbedeutendste
Operation , der Stich eines Blutegels , Veranlassung zum Erscheinen des
Erysipelas gibt. — Ausgänge. Der Uebergang in Eiterung ist selten,
ebenso der Brand. Der gewöhnliche Ausgang ist in Zertheilung ; man
kann diesen vorhersagen, wenn die Symptome in ihrer höchsten Entwick-
lung nicht über den vierten Tag hinaus bestehen bleiben. Allmählig ver-
schwinden Schmerz, Röthe und Hize ; die Geschwulst bleibt länger, ja ist
nicht selten sehr hartnäckig. Man darf alsdann eine Entzündung des
darunter liegenden Zellgewebs voraussezen und die Bildung einer gewis-
sen Menge von Eiter erwarten. Solche leichte Ergüsse beruhen aber
nicht auf dem eigentlichen phlegmonösen Erysipelas (Phlegmone dif-
fusa), welches unter stürmischeren Zufällen einhergeht. S. Zellge-
websentzündung. — Prognose. Das ohne alle Complicationen
erscheinende Erysipelas gibt eine gute Prognose; bedenklicher ist sie da-
gegen, wenn vorher schon eine andere Krankheit bestand; dann bedingt
aber diese die Gefahr. Nicht gut ist es, wenn diese Rose sich mit einer
Wunde verbindet , besonders wenn diese in der Nähe des Gehirns statt
hat. Das Erysipelas kann andere Krankheiten entscheiden, z. B. Rheu-
matismus und alte Hautausschläge. - — Behandlung. Da das Erysi-
pelas mit seltenen Ausnahmen unter gastrischen Störungen beginnt und
in allen bedeutenderen Fällen die Kranken eine entschiedene Neigung zu
Erbrechen haben , so thut man am besten , die Behandlung mit einem
Brechmittel zu beginnen und dann bei angemessener antiphlogistischer
Diät säuerliche, kühlende Abführmittel folgen zu lassen. Ist das Fieber
verschwunden, der Darmkanal rein, so gibt man schweisstreibende Mittel.
Nur in jenen Fällen , wenn die Rose , vorzüglich im Gesicht , von einem
heftigen inflammatorischen Fieber begleitet ist , wo der Kopf sehr einge-
nommen , die erysipelatöse Stelle geschwollen und schmerzhaft ist , muss
man den Brechmitteln allgemeine und örtliche Blutentziehungen voraus-
schicken und sie durch warme Fussbäder , Senfumschläge um die Waden
unterstüzen. Hierbei darf man aber nie ausser Acht lassen, dass die
Rose, selbst bei einem heftigen inflammatorischen Fieber, nie ein so streng
antiphlogistisches Verfahren erträgt, wie andere Entzündungskrankheiten,
indem sie bei Erschöpfung der Kranken leicht zurücktritt. Besizt das
Rothlauf einen nervösen, fauligen Character, so behandelt man das Fieber
mit China, Salmiak, Wein, Campher, Säuren und andern stärkenden anti-
septischen Mitteln. ■ — Eine örtliche Behandlung ist bei den leichteren
Formen in der Regel nicht erforderlich, nur muss man den afficirten Theil
vor nachtheiligen äusseren Einwirkungen schüzen. Dies geschieht am
zweckmässigsten durch die Anwendung trockener Wärme mittels erwärm-
ter Säckchen mit Kleien , Mehl oder Kräutern , Watte etc. Neuerdings
sind Bestreichungen mit Collodium , mit Höllensteinsalbe erfolgreich an-
ROTZ- UND WURMKRANKHEIT. 817
gewendet worden. Die wandernde Rose wird durch einen an ihrer Grenze
gezogenen Strich mit Höllenstein aufgehalten. Feuchte Wärme , fettige
und ölige Mittel werden leicht nachtheilig ; am verderblichsten wirkt aber
die Kälte , da sie leicht eine Versezung auf edle Organe herbeiführen
kann. Nur die Blatterrose und ihre Varietäten machen eine Ausnahme
und erfordern, besonders bei mehr chronischem Verlaufe die Anwendung
der feuchten Wärme in einem schicklichen Vehikel , wozu ßust das
G o u 1 a r d'sche Wasser mit einem geringen Zusaz von Tinct. opii em-
pfiehlt. — Bei dem Erysipelas oedematosum wendet man neben
der gewöhnlichen Behandlung den Compressivverband an. — Das Ery-
sipelas phlegmonosum nimmt eine eingreifendere Antiphlogose in
Anspruch, daher allgemeine und örtliche Blutentziehungen, Einreibungen
der Mercurialsalbe und Ueberschläge von Bleiwasser. Am sichersten
wirken , wenn die Haut glänzend und dunkelroth ist , durch die Haut in
das unterliegende Zellgewebe dringende Einschnitte , auf welche man er-
weichende Umschläge folgen lässt. Ebenso verfährt man, wenn Brand
entstanden ist. Kommt es zur Eiterung, so entleert man den Eiter durch
nicht zu grosse Einschnitte , macht dann Umschläge von Chamilleninfus
und verbindet später mit trockener Charpie oder milden Salben. Die
allgemeine Behandlung muss sich nach den Erscheinungen richten.
Rotz- Und Wurmkrankheit. Unter Rotz derPferde,
Rotzkrankheit, Malleus humidus, Ozaena maligna con-
tagiosa, versteht^ man einen bösartigen Catarrh der Nasenschleimhaut
bei Einhufern, welcher mit einem eiterigen Ausfluss aus der Nase verbun-
den ist , zu welchem sich später an der Nasenschleimhaut sizende Ge-
schwüre gesellen, welche die Knochen und Knorpel zerstören. Die um-
liegenden Lymphgefässe und Lymphdrüsen schwellen an, und die Thiere
gehen früher oder später unter typhösen Erscheinungen zu Grunde.
Diese Krankheit entsteht entweder durch Ansteckung oder spontan bei
schlechter Fütterung oder Strapazen, wo sie sich allmählig aus einem gut-
artigen Nasenkatarrh entwickelt. — Dasselbe Contagium , auf wunde
Stellen gebracht, erzeugt den sogenannten W u r m. Dieser äussert sich
besonders durch Erkranken der Lymphgefässe, der Lymphdrüsen und der
äussern Haut. Man bemerkt Stränge, Flecken oder Höcker auf der Haut
und die angeschwollenen Lymphgefässe gehen in Eiterung oder Erwei-
chung über. Darauf folgt endlich auch Vers ch war ung ; zuweilen findet
Verschliessung der oberflächlichen Venen statt. — Beide Krankheits-
zustände sind entweder acut oder chronisch. — Leute, welche mit rotz-
kranken Pferden umgehen und von dem eiterigen Nasenschleime oder dem
Abscesseiter berührt werden , oder diese Substanzen gar in eine Wunde
bringen, sind in Gefahr, von einer ähnlichen Krankheit befallen zu werden
wie die genannten Thiere. — Wird das Rotzgift auf die Nasenschleim-
haut gebracht , so entstehen nach einigen Tagen fieberhafte Zufälle mit
Burger, Chirurgie. 52
818 KOTZ- UND WURMKRANKHEIT.
Gastricismus, heftigen Kopfschmerzen und Schwindel verbunden ; es ent-
steht ein dünner Ausfluss aus der Nase, der bald dicker und endlich
scharf wird ; das Gesicht schwillt auf, der Patient wird soporös und stirbt
8 — 14 Tage nach dem Erscheinen der ersten Zufälle. — Wird das
Rotzgift auf wunde oder mit dünner Oberhaut bekleidete Stellen gebracht,
so entstehen nach einigen Tagen fieberhafte Erscheinungen mit Mattig-
keit, Abgeschlagenheit. Appetitlosigkeit, Schwindel und abwechselnd Frost
und Hize. Dann stellen sich reissende und ziehende Schmerzen an ver-
schiedenen Körpertheilen und Anschwellung und Steifigkeit einzelner Ge-
lenke ein. Dabei steigern sich die gastrischen Erscheinungen bis zum
eintretenden Erbrechen von schleimigen und galligen Massen. Die
Kranken leiden an grosser Angst, Unruhe und Schlaflosigkeit und schwi-
zen viel. An der afficirten Stelle bildet sich gleichzeitig eine harte,
dunkelrothe Entzündungsgeschwulst oder Furunkeln ähnliche , blaurothe
Knollen ; dabei entzünden sich die benachbarten Lymphgef ässe und
Lymphdrüsen. In glücklichen Fällen bilden sich Abscesse und es erfolgt
Heilung. In der Regel bilden sich immer neue Geschwülste , pustulöse
Hautausschläge , Eiteransammlungen in Gelenken , Eiterablagerungen in
den Lungen, brandiges Absterben der entzündeten Hautstellen oder Ge-
schwüre , zuweilen Ausflüsse aus der Nase , typhöse Fiebererscheinungen,
Sopor , und der Tod erfolgt sanft oder unter Convulsionen. Diese Er-
scheinungen können sehr acut oder sehr chronisch auftreten. - — Bei der
Section findet man den Körper sehr abgemagert, kaum eine Spur von
Todtenstarre ; die Fäulniss tritt sehr rasch ein. Unter den brandigen
Hautstellen zeigt sich das Zellgewebe verjaucht , die Bänder einzelner
Gelenke verdickt und Eiter in diesen. In den Lungen findet man He-
patisation mit beginnender zerstreuter Abscessbildung. War die Nasen-
schleimhaut der Siz der AfFection , so findet man Entzündung und Ulce-
ration auf dieser, und zuweilen auch in den angrenzenden Sinus. — Mit
dem Secrete des menschlichen Rotzes kann man durch Impfung bei
Pferden Rotz erzeugen; auch soll eine Uebertragung von einem Men-
schen auf den andern möglich sein. — Die Krankheit hat eine grosse
Aehnlichkeit mit der Pyämie. — Prognose. Der einmal ausgebildete
Rotz ist durchaus tödtlich. — Behandlung. Diese muss vor Allem
suchen , das Gift an der angesteckten Stelle frühzeitig durch nachdrück-
liche Anwendung des Glüheisens oder leicht zerfliessender oder flüssiger
Aezmittel (Aezkali , Salpetersäure) zu zerstören. Ist die Nasenschleim-
haut ergriffen, so cauterisire man mit trockenem Höllenstein alle erreich-
baren Punkte der Nasenhöhle und lasse Auflösungen von Sublimat , Höl-
lenstein, Jodkali oder Chlorkalk aufschnaufen oder einsprizen. Auf die
sich bildenden Geschwülste macht man erweichende Umschläge und Ein-
reibungen von Quecksilber- und Jodsalbe, legt Mercurialpflaster auf. Die
Abscesse muss man frühzeitig öffnen ; zum Verband benüzt man Creosot-
wasser. Innerlich gibt man die mineralischen Säuren , das Chlornatron,
RUECKGRATSVERKRUEMMUNG. 819
Chlorwasser, Creosot. In leichteren Fällen, in denen die Krankheit nicht
mit dem Tode endete, schien in den ersten Tagen das Calomel und später
die innere und äussere Anwendung des Terpentinöls und der Ammonium-
präparate von Nuzen zu sein.
Rückgratsspalte, Spina bifida. Diese oft mit Wasser-
sucht der Rückenmarksarachnoidea (Hydrorrhachis) combinirte Miss-
bildung besteht in Nichtvereinigung oder unvollkommener Bildung , ja
Mangel der beiden Hälften der Wirbelbögen, wobei die Rückenhaut auch
gespalten oder ungespalten sein kann ; sie betrifft bald nur einen oder
mehrere (besonders Lenden-) Wirbel , bald die ganze Wirbelsäule ; ihr
Entstehen liegt in einer Bildungshemmung oder in Wassersucht des Rük-
kenmarkkanals. Durch die Spalte tritt eine Geschwulst hervor, welche
je nach der Ausdehnung des Sübstanzverlusts der Wirbel grösser oder
kleiner, rundlich oder länglich ist, breit oder gestielt aufsizt, beuteiförmig,
manchmal getheilt, stets aber weich ist und deutlich fluctuirt, unter Druck
verschwindet, aber sogleich wieder hervortritt, wenn der Druck nachlässt.
Die sie bedeckende Haut ist anfangs ungefärbt, aber stets sehr dünn ; sie
entzündet sich bald und verschwärt ; manchmal fehlt sie auf der Mitte der
Geschwulst und es liegen die Rückenmarkdecken frei da. Die Kinder
leiden gewöhnlich an allgemeiner Abmagerung und Schwäche und an par-
tiellen Lähmungen der untern Gliedmassen , der Schliessmuskeln des Af-
ters und der Blase. — Die Krankheit ist meist unheilbar ; die Oeffnung
der Geschwulst (durch Punction, Einziehen eines Haarseils, Ausschneidung
der ganzen Geschwulst) läuft meist tödtlich ab, ebenso die Unterbindung
derselben. Am besten ist es, einen gelind drückenden Verband, bestehend
aus Charpie , Compressen und einer passenden Binde anzuwenden. Die
Compression muss aber, wenn sie nüzen soll, ausdauernd und ohne Unter-
brechung stattfinden.
Rückgratsverkrümmung, Curvatura columnaever-
tebralis. Die Rückensäule ist häufig Verkrümmungen unterworfen,
und können diese in verschiedenen Richtungen hin erfolgen. In lezter
Hinsicht unterscheidet man : 1) die Achsen drehung der Wirbel-
säule, Spondylostrophosis; 2) die Verkrümmung nach
hinten, Cyphosis, Gippus, Buckel; 3) nach vorn, Lordo-
sis; 4) nach der Seite, Scoliosis. — Sobald durch irgend einen
Umstand die Richtungslinie der Körperschwere verändert wird, muss die
Wirbelsäule eine entsprechende Abweichung der Richtung eingehen, um
das Balancement zu erhalten, und oft zieht wieder, immer unter denselben
nothwendigen Bedingungen, jede erstere andere entgegengesezt gerichtete,
secundäre Compensationskrümmungen nach sich. — Mit diesen verschie-
denen Formabweichungen sind mehr oder minder bedeutende Lagever-
änderungen der Brust- und Unterleibsorgane, so wie auch zuweilen nach-
theilige Einwirkungen auf das Rückenmark und dessen Nerven verbunden,
52*
820 RÜECKGRATSVERKRUEMMUNG.
in deren Folge man nicht selten Beeinträchtigung der Respiration und
der Herzbewegung , so wie der verschiedenen Unterleibsorgane , daraus
hervorgehende Neigung zu Congestions- und Entzündungszuständen der
Athmungsorgane und hydropische Beschwerden, auch Lähmungen der un-
tern Extremitäten oder Atrophie derselben beobachtet. — Die Achsen-
drehung der Wirbelsäule, Spondilostrophosis, zeigt sich
gewöhnlich als eine obere und eine untere, deren Mittelpunkt sich in der
Regel an der Stelle zwischen dem lezten Brust- und ersten Lendenwirbel
befindet, welche bekanntlich die meiste Beweglichkeit gestattet. An die-
ser Formveränderung , welche gleichsam eine spiralförmige Windung der
Wirbelsäule darstellt , nehmen der Kopf, der Brustkorb und die Becken-
knochen Theil. Der Kopf folgt der Richtung der obern Halswirbel, die
Rippen erscheinen auf der einen Seite mehr oder weniger vorwärts gerich-
tet, auf der entgegengesezten dagegen mit ihren Winkeln hinterwärts her-
ausstehend. Ebenso ist der normale Stand der ungenannten Beine des
Beckens geändert. Bei dieser Verkrümmung befinden sich die Wirbel-
körper und Zwischenknorpel noch in vollkommen senkrechter Stellung,
und sie kann daher durch zweckmässige Vorkehrungen oft noch beseitigt
werden. — Die Verkrümmung der Wirbelsäule nach hinten,
Cyphosis, welche den eigentlichen Buckel, Gibbus, darstellt, be-
steht darin , dass sich die obern Wirbelknochen den untern nähern , wo-
durch die Convexität des Bogens der Wirbelsäule nach hinten , die Con-
cavität dagegen nach vorn gerichtet wird. Die Cyphosis kommt haupt-
sächlich in den Rückenwirbeln vor, wo sie eine weitere Entwicklung der
hier auch im normalen Zustande stattfindenden Wölbung ist ; doch findet
man sie auch an den Lenden- und Halswirbeln. Die Wirbelknochen, an
welchen sich diese Verkrümmung bildet, werden nach und nach an ihrer
vordem Fläche abgeschliffen und verlieren daselbst an ihrer Höhe ; bei
höheren Graden des Uebels tritt selbst Ankylose ein. Die Rippen wer-
den , wenn die Rückenwirbel betroffen sind , gerader gezogen, als sie im
Normalzustande sind , dabei verlieren sie ihre natürliche Breite und er-
scheinen mehr abgerundet. Die Schulterblätter bekommen, je nach dem
Siz der Krankheit, eine veränderte Lage. Hat das Uebel an dem untern
Theile der Wirbelsäule statt , so entstehen dadurch Verunstaltungen des
Beckens. Die Rückenmuskeln sind widernatürlich ausgedehnt und meist
geschwunden, die Bauchmuskeln dagegen contrahirt und verdickt. — Die
Verkrümmung der Wirbelsäule nach vorn, Lordosis, die
seltenste Rückgratsabweichung, zeigt die Convexität des Bogens der Wir-
belsäule nach vorn gerichtet. Sie kommt fast nur an den untern Rücken-
und den Lendenwirbeln vor, und die von ihr erregten Beschwerden sind
die des Hängebauchs. — Die Verkrümmung der Wirbelsäule
nach der Seite, Scoliosis, ist die am häufigsten vorkommende
Form. Bei ihr weichen die Wirbelknochen nach der rechten oder linken
Seite hin aus, wodurch die eine Seite convex, die andere concav wird ; die
RUECKGRATSVERKRUEMMUNG. 821
Schulter der convexen Seite steht etwas höher als die andere , ebenso ist
die convexe Hüfte etwas breiter und voller, als die entgegengesezte. Am
gewöhnlichsten kommt die Scoliose an den Rückenwirbeln vor. Das Be-
streben, den obern Theil des Körpers im Gleichgewicht zu erhalten , gibt
meistens Veranlassung zu einer Gegenkrümmung , so dass also eine dop-
pelte Seitenkrümmung besteht. Mit der Zunahme der Ausweichung nach
der Seite stellt sich auch eine Verdrehung der Wirbel um ihre Axe ein,
in der Weise, dass die vordere Fläche nach der einen , die hintere etwas
nach der entgegengesezten Seite sich wendet. An der Scoliose nehmen
auch die Rippen , das Brustbein und die Beckenknochen Antheil. Die
Rippen sind an der ausgehöhlten Seite der Krümmung gerader, dünner,
und liegen näher an einander, an der Convexität der Krümmung aber er-
scheinen sie hinten stärker gewölbt, weiter von einander entfernt und dik-
ker , als im normalen Zustande. Das Brustbein ist meistens schief und
nach der Seite der Concavität der Krümmung hingezogen. Bei der ein-
fachen Seitenkrümmung steht der derselben entgegengesezte Darmknochen
höher ; ist die Krümmung mehrfach , so richtet sich die Schiefheit der
Beckenknochen immer nach der untersten Krümmung. — Von den be-
schriebenen vier Hauptformen der Rückgratsverkrümmungen kommen öf-
ters zwei in Verbindung vor ; namentlich gilt dies von der Cyphosis
und Scoliosis. — Ursachen. Es besteht entweder gestörter Anta-
gonismus der Muskeln, oder verminderte Festigkeit der Knochen und Bän-
der ; nicht selten sind beide Factoren thätig. Die häufigste Ursache der
Rückgratsverkrümmungen ist unregelmässige Muskelaction , weil sie nicht
nur für sich allein dieselben hervorbringen kann , sondern auch , weil sie
dann, wenn das Knochensystem durch krankhafte Erweichung und andere
Krankheitsprocesse Geneigtheit dazu besizt , als dieselben beförderndes
Mittel wirkt. Fehlerhafte Muskelaction tritt ein: bei allgemeiner Muskel-
schwäche, bei Krampf, Lähmung, Verkürzung, einseitigem Gebrauch der
Muskeln. Ferner gehört hierher : verhinderte Ausbildung der Streck-
muskeln, z. B. durch Schnürleibchen, so dass sie nicht das Uebergewicht
des Körpers nach vorn auszugleichen vermögen ; anhaltend eingebogenes
Liegen, Stehen auf einem Fusse, Sizen auf einem Hinterbacken mit Ueber-
schlagen des einen Beins, Arbeiten und Essen an einem hohen Tisch mit
einem Arme , einseitige Uebungen etc. Das Balancement der Theile der
Wirbelsäule ist sogar so empfindlich, dass Narbencontractionen an benach-
barten Körperstellen oder irgend welche Veränderungen anliegender Or-
gane , wodurch Abweichungen in der Richtungslinie der Schwere hervor-
gerufen werden, Verkrümmungen der Wirbelsäule veranlassen. So bilden
sich diese bei Heilung grosser Cavernen , oder pleuritischer Ergüsse , bei
allen ursprünglich nur die Form des Brustkastens verändernden Krank-
heiten , bei angeborner oder erworbener Verkürzung eines Beins , Krank-
heiten der Hüfte, durch welche die Stellung des Beckens verändert wird.
— Die Rückgratsverkrümmungen sind selten angeboren ; am häufigsten
822 RUECKGRATSVERKRUEMMUNG.
*
entstehen sie im kindlichen Alter ; oft entwickeln sie sich auch , nament-
lich beim weiblichen Geschlecht, in der Zeit der eintretenden Geschlechts-
reife. In den spätem Lebensaltern ist das des Greisenalters denselben
am meisten unterworfen. — Prognose. Sie ist nur günstig, wenn das
Leiden in seinen Anfängen erkannt und zweckmässig behandelt wird. Bei
höheren Graden desselben gelingt es selten , eine vollkommene Heilung
herbeizuführen ; man darf meistens zufrieden sein, wenn dem Fortschrei-
ten des Uebels Einhalt gethan wird. Das Gleiche gilt von den Verkrüm-
mungen, die bei vorgerücktem Lebensalter bestehen. Liegt die Ursache
der Verkrümmung in einem krankhaften Leiden der Knochen , so ist die
Prognose ungünstiger, als wenn fehlerhafte Muskelaction zu Grunde liegt.
Besteht Ankylose der Wirbel, so ist die Heilung unmöglich. Mehrfache
Verkrümmungen sind schwieriger zu heilen, als einfache. Die Cypho-
s i s gewährt die ungünstigste , die L o r d o s i s die günstigste Prognose.
— Behandlung. Diese muss zunächst gegen die dem L>ebel zu
Grund liegenden Ursachen gerichtet sein , worauf man zur Wiederher-
stellung der natürlichen Form der Wirbelsäule mechanische Vorrichtungen
in Verbindung mit einer geregelten Gymnastik, und unter Umständen die
subcutane Durchschneidung der contrahirten Muskeln in Anwendung
bringt. — Ist die Verkrümmung durch Muskelschwäche bedingt , so sind
innere und äussere roborirende Mittel angezeigt ; liegt sie in ungleicher
Action der Muskeln , so müssen in die zusammengezogenen Muskeln er-
weichende , in die erschlafften reizende Einreibungen gemacht werden,
womit man zugleich Manipulationen verbindet. Beruht die Verkrümmung
auf einer gestörten Innervation , so zeigen sich der Electromagnetismus
und die Electropunktur von Nuzen. Deuten die vorhandenen Schmerzen
auf ein congestives oder entzündliches Leiden in den Wirbelbeinen und
den Zwischenknorpeln , so ist die Anwendung von Blutegeln , Schröpf-
köpfen , Vesicatorien , Fontanellen , Moxen angezeigt. Dabei darf der
Kranke nur in der Rückenlage verweilen. — Der Gebrauch von
Maschinen ist nur in den Fällen nüzlich , in welchen sie als Unter-
stüzungsmittel einer therapeutischen Behandlung im engern Sinne
dazu dienen, den gestörten Antagonismus der Muskeln zu reguliren,
verkürzte Muskeln allmälig auszudehnen und verlängerten und er-
schlafften Contraction zu gewähren , oder , wo sie den geschwächten
Muskeln eine künstliche Stüze geben , durch künstlichen Druck eine
Ausgleichung der stattfindenden Abweichungen zu bewirken, — Die Ma-
schinen, welche man bei Rückgratsverkrümrnungen in Anwendung
bringt, wirken theils durch Druck, theils durch Ausdehnung, theils
durch Druck und Ausdehnung zugleich. Die durch D r u c k wirkenden
(H e ister 'sches Kreuz, Schnürleiber) trifft der Vorwurf, dass sie überall
gleich fest anliegen , den Druck hauptsächlich nur auf die Scapula und
Rippen ausüben , und die Thätigkeit der Muskeln stören , indem sie das
mechanisch ausüben , was durch lebendige Muskelthätigkeit geschehen
RUTHE. KRANKHT. DERS. 823
sollte ; bedingt nothwendig können die Schniirleibchen aber werden bei
Personen , bei denen durch Gewöhnung an sie die Rückenmuskeln den
nöthigen Tonus schon verloren haben. Die durch Ausdehnung wir-
kenden Maschinen (Escarpolette , Streckapparate von Venel, Schre-
ger, Lafond, Maisonabe, Shawu. A. sind in vielen Fällen un-
genügend, da sie nur indirect auf die Wirbelsäule wirken, und auch häufig
nachtheilig, da sie, wenn sie wirken sollen, eine Zugkraft entwickeln müs-
sen. Die durch Druck und Zug zugleich wirkenden Maschinen, wie
die von Schmid, Jörg, Gräfe, Chelius und B 1 ö m e r entsprechen
dagegen den Anforderungen besser. Die tragbaren reichen nur für die
geringeren Grade der Rückgratsverkrümmungen aus. , Die besten sind
diejenigen, welche ihren Stüzpunkt auf dem Becken nehmen. Bei bedeu-
tenderen Graden der Krankheit müssen wirkliche Extensionsmaschinen
angewendet werden. — Die mit der Anwendung der Maschinen in Ver-
bindung zu sezenden gymnastischen Uebungen tragen theils zur
Beseitigung der Muskelschwäche bei , theils gewähren sie ein Gegenge-
wicht für die gezwungene Unthätigkeit während der Anwendung der Ex-
tensionsapparate , theils kräftigen sie endlich die wieder gerade gerichte-
ten Theile, und geben dadurch der Heilung Dauer. Es müssen aber diese
Uebungen in allmäliger Steigerung angestellt und auf alle Muskeln aus-
gedehnt werden. Hierher gehören Bewegungen auf der Schaukel, Uebun-
gen am Knüppelseile, Spiele am freien Seile und am Klettermaste, Spiele
an der gerade und schräg gespannten Strickleiter , Schwimmen etc. —
Als ein wesentliches Unterstüzungsmittel in der Behandlung der Rück-
gratsverkrümmungen wird die subcutane Durchschneid ung der
contrahirten Muskeln angesehen , welche besonders von Guerin
in sehr grosser Ausdehnung in Ausführung gebracht worden ist. M.
Langenbeck hält indessen die Myotomie bei Rückgratsverkrümmungen
für eine rein unnöthige Operation, da eine Kraft, die hinreichend ist, auf
das Knochengerüste zu wirken, auch jedenfalls verkürzte Muskeln zu deh-
nen vermöge. Hierzu sind aber nach demselben die seither gebräuch-
lichen Apparate wenig brauchbar , und er construirte deshalb eine neue
Vorrichtung, dem die Idee eines horizontalen Drucks auf die vorspringen-
den Theile der Wirbelsäule , während der Kranke in aufrechter Stellung
sich befindet, zu Grunde liegt. Gleichwohl dürfte nicht ausser Acht ge-
lassen werden , dass durch die Myotomie die Kur wesentlich abgekürzt
werden kann.
xiirthe, Krankheiten derselben. Die Krankheiten , von
denen hier gehandelt wird , betreffen die Abnormitäten der Vorhaut , so
wie die krebsigen Entartungen des männlichen Glieds; von den Abnormi-
täten der Gestaltung des leztern war in dem Artikel Hypospadie und
E p i s p a d i e die Rede und die syphilitischen Affectionen werden in dem
Artikel Syphilis ihre Erledigung finden.
824 RUTHE. — KREBS DERS.
Krebs des männlichen Glieds, Cancer penis, beginnt
meist an der Vorhaut und Eichel mit harten Knoten oder Warzen, welche
anfangs mit gar keinen Schmerzen verbunden sind, später aber, besonders
unter dem Einfluss der hier häufigen Irritationen schmerzhaft werden und
in Ulceration übergehen. Das innere Blatt der Vorhaut ist besonders bei
alten Leuten der Reizung ausgesezt, weil hier in Folge des Zurückziehens
und Schwindens des Penis der Urin fast immer über den Rand der Vor-
haut abfliesst. Bevor sich das Uebel auf die Eichel fortsezt , kann das
Präputium zu einer bedeutenden Masse entarten und sich vorn ganz ver-
schliessen, während der Urin aus den geschwürigen Löchern seiner Seiten
abfliesst. Greift die Ulceration weiter um sich, so kann das ganze Glied
bis hinauf zum Schoossbogen zerstört werden. Die sich bildenden Ge-
schwüre sind tief und von scirrhösen Hauträndern umgeben , der Grund
derselben ist mit blumenkohlartigen schwammigen Excrescenzen besezt,
es wird eine stinkende Jauche abgesondert, es stossen sich ganze faserige
Lappen ab und nicht selten treten durch Corrosion der Gefässe starke
Blutungen ein. Heftige Schmerzen erstrecken sich durch den Penis bis
in die Blase, den Mastdarm und bis in die Schenkel ; beim Uriniren ver-
mehren sie sich ; die Haut des Penis ist mit varicösen Venen durchzogen,
die nahe gelegenen Drüsen sind angeschwollen , der Kranke hat keinen
Schlaf, fiebert, magert ab und ist des Lebens überdrüssig. In andern
Fällen , obwohl seltener , beginnt der Krebs als scirrhöse Induration im
Parenchym des Penis und kann unter Umständen nach der Urethra zu auf-
brechen und verschwären , wobei Blut und Jauche aus derselben ausflies-
sen. — Was die Diagnose betrifft, so kommt es besonders darauf an,
krebsige Ulceration von gewissen phagedänischen Schankern zu unter-
scheiden, die zuweilen ein carcinomatöses Aussehen bekommen, mit fun-
gösen Auswüchsen, harten umgeworfenen Rändern, lancinirenden Schmer-
zen und Anschwellung der nahegelegenen Drüsen , die aber einer anti
syphilitischen Behandlung weichen. — Der Krebs des Penis ist vorzugs-
weise eine Krankheit des höheren Alters und seine Entstehung wird durch
Unreinlichkeit , besonders bei langer und enger Vorhaut begünstigt. —
Prognose. Diese hängt wesentlich davon ab , ob das Uebel als Haut-
krebs oder aus einem Scirrhus sich entwickelt hat ; ist ersteres der Fall,
sind Hoden, Drüsen etc. noch nicht ergriffen, so kann man radicale Hei-
lung hoffen; andernfalls ist der Erfolg immer zweifelhaft. — Behand-
lung. Wie bei allen krebsigen Leiden lässt sich auch hier von einer
pharmaceutischen Behandlung Nichts erwarten, sondern man muss zum
Messer greifen. Ist die Ulceration auf die Vorhaut beschränkt , so ge-
nügt die Excision des erkrankten Theils derselben. Hat sie aber bereits
die Eichel oder den Körper des Penis ergriffen, so ist die Amputation das
einzige Mittel.
Ablösung des männlichen Glieds, Amputatio penis,
ist indicirt durch bösartige Neubildungen , wenn selbe nicht das Product
RUTHE. AMPUTATION DERS.
825
eines dyscrasischen Leidens sind und sie vereinzelt dastehen, ferner wenn
sich nicht schon eine secundäre Dyscrasie entwickelt hat ; durch gutartige
Neubildungen , wenn selbe die Funktion des Penis wesentlich beeinträch-
tigen und dem Kranken durch Grösse und Gewicht lästig werden, voraus-
gesezt, dass dieselben nicht für sich entfernbar sind ; durch Gangrän des
Penis in seiner ganzen Dicke. Von dem Penis muss man immer möglichst
viel zu erhalten suchen, indem dadurch der Ausfluss des Urins erleichtert
und selbst noch Zeugungsfähigkeit erhalten wird. — Das Verfahren bei der
Amputation des Penis ist verschieden, je nachdem die Operation am vor-
dem oder hintern Theile der Ruthe vorgenommen werden soll. — Bei
der Operation am hängenden Theil des Penis wird der Kranke so
auf einen Tisch gelagert , dass der Steiss an den Rand des Tisches zu
liegen kommt. Der Operateur fasst den wegzunehmenden Theil des
Penis , welcher , im Fall er ulcerirt ist , in ein Leinwandläppchen einge-
wickelt werden kann , zwischen Zeige - und Mittelfinger und drückt den
Penis von oben nach abwärts flach ; dasselbe thut ein zur Seite stehender
Gehülfe , wobei nach keiner Seite hin die Haut abgezogen werden darf.
Nun führt der Operateur ein kleines Amputationsmesser unter dem platt-
gedrückten Penis nach dessen linkem Rande und trennt von diesem aus
den Penis in einem oder zwei Zügen durch. Der Gehülfe comprimirt
noch fort den Stumpf des Penis, und nun werden die sprizenden Arterien
unterbunden. Es sind deren meistens vier, die beiden Art. dorsales
penis und die beiden Art. c orp oris cavernos. , häufig aber auch
mehr. Die Blutung aus den Corpor. cavernos. wird meistens durch
kaltes Wasser gestillt. Ist die Blutung gestillt, so legt man nach Watt-
mann drei Knopfnahthefte, welche die Urethra hervorziehen und mit der
Haut vereinigen ; die so ausgestülpte Urethra kann sich dann nicht mehr
retrahiren. Das erste Heft legt man nach oben an ; man sticht an der
obern Wand der Urethra von der Schleimhautfläche die Heftnadel durch,
zieht den Faden nach und sticht dieselbe Nadel an der Haut nach oben
durch. Hierauf wird der Faden geknüpft. Ebenso verfährt man mit
zwei Heften nach unten zu , rechts und links. R i c o r d schneidet die
Urethra sammt der Haut an der untern Wand ein, schlägt die Lappen um
und näht sie an. — Bei der Operation an der Wurzel des Penis wird
durch eine ähnliche Anheftung der Urethra an die äussere Haut, die eben
angegeben wurde , die Zurückziehung der erstem verhindert und dadurch
die Operationen mit mehrfachem Schnitte nach Schreger und L a n -
genbeck überflüssig gemacht. Demarque verfuhr in einem Falle,
wo sich die Entartung ziemlich weit rückwärts erstreckte, folgendermas-
sen : An der Wurzel des Penis wurden zwei halbelliptische Schnitte ge-
führt; die Spizen der Ellipse sahen nach oben und unten; hierauf wurden
die Corpora cavernosa von den Schenkeln des Schambogens los-
präparirt. Die Urethra wurde von der untern Fläche des Penis eine Strecke
weit nach vorn losgelöst, der frei hängende Theil der Urethra an der un-
826 RUTHE. PHIMOSIS.
tern Wand gespalten , die Lappen umgeschlagen und an die Hautwund-
ränder geheftet. Die Heilung erfolgte vollständig. — In einem Falle,
wo die Entartung sich über das ganze Mittelfleisch erstreckte, ging Watt-
mann folgendermassen zu Werke : zuerst wurde das Scrotum mit dem
Bistouri gespalten, der Penis an seiner Wurzel durch einen Bogenschnitt
mit einem Scalpell umgangen, hierauf die Corpora cavernosa von
den Schenkeln des Schambogens abgetrennt, die Urethra dicht hinter dem
Bulbus, weil auch dieser entartet war, abgeschnitten. Nachdem die Blu-
tung gestillt war , wurde die Urethra in den hintern Wundwinkel einge-
näht und hierauf das Scrotum durch die Knopfnaht vereinigt. — Ausser
dem Schnitt hat man zuweilen den Penis auch durch Abbinden ent-
fernt. Dieses Operations verfahren steht dem Schnitt aber entschieden
nach ; es ist nicht allein schmerzhafter als der Schnitt, sondern es ist auch
die Begrenzung des Substanzverlusts eine unsichere und die Abstossung
des gangränösen Theils dauert lange. In wiefern diese gerügten Nach-
theile durch die Anwendung des Ecraseur lineaire (s. den Art.
Abbinden), der galvanocaustischen Schneideschlinge (s. den Artikel
Electrotherapie) vermieden werden, muss die Erfahrung lehren. —
Der so sehr gefürchteten Blutungen wegen empfahl B o n n e t die Ampu-
tation mit glühenden Messern. — Da es zuweilen vorkommt, dass die
carcinomatöse Gesclnvulst , wie sehr sie auch den Umfang des Penis ver-
mehrt, doch nicht seine ganze Dicke einnimmt, sondern von der lange der
Entartung widerstehenden fibrösen Hülle der Corpora cavernosa
begrenzt wird, so schlug Lisfranc vor, nur das Entartete wegzuneh-
men. — Eintretende Nachblutungen stillt man durch kaltes Wasser,
nachträgliche Unterbindungen, styptische Mittel und nötigenfalls mittels
des Glüheisens. Heftige Entzündung erfordert Blutegel, Harnver-
haltung die Anwendung des Catheters. — Nicht selten sieht man nach
der Amputation des Penis , selbst bei solchen , bei denen die Zeugungs-
kraft schon erloschen ist, Melancholie entstehen.
Verwachsung und Verengerung der Vorhaut. Eine
abnorme Verengerung der Vorhaut , so dass sie nicht mit Leichtigkeit
über die Eichel zurückgezogen werden kann, heisst Phimosis, und
wenn die zu enge Vorhaut über die Eichel zurückgezogen wird und
nicht wieder hervorgebracht werden kann, so nennt man den Zustand
P ar ap himosis.
A. Phimo sis (von (pifjoco , ich schnüre zusammen). Die Phi-
nosis kommt angeboren , als Fehler der ersten Bildung, und zufällig durch
Entzündung der Eichel und der Vorhaut vor. — In Betreff der ange-
borenen Phimosis ist zu bemerken , dass sich bei den meisten
Kindern im naturgemässen Zustande eine so enge Vorhaut findet, dass
sie nicht über die Eichel zurückgezogen werden kann; bei der fortschrei-
tenden Ausbildung der Geschlechtstheile und namentlich zur Zeit der
Mannbarkeit, verschwindet aber diese Verengerung, welche deshalb nur
RUTHE. PHIMOSIS. 827
dann in der Kindheit als krankhaft zu betrachten ist , wenn sie dem Aus-
flusse des Urins hinderlich wird und die Oeffnung der Vorhaut enger ist,
als die Harnröhre selbst ; es sammelt sich alsdann immer etwas Urin
hinter der Vorhaut an , reizt diese , und gibt dadurch Veranlassung zu Ex-
coriationen , Verwachsungen mit der Eichel , Verdickungen der Vorhaut
und Steinbildung unter derselben. Ein zu kurzes , oder zu weit nach
vorn sich erstreckendes Bändchen kann der Entwickelung der Vorhaut
hinderlich, und mithin die Ursache einer Phimosis sein. — Zuweilen ist
die Vorhaut ganz geschlossen (Atresiapraeputii), in welchem Falle
dieselbe durch den sich ansammelnden Urin zu einer ovalen , durchsich-
tigen Geschwulst ausgedehnt wird , ein Zustand , der tödtlich werden
kann, wenn nicht zeitig Hülfe geschafft wird. — Die erworbene
Phimosis, welche besonders bei solchen Personen vorkommt , die eine
lange und enge Vorhaut haben, ist entweder entzündlich oder nicht ent-
zündlich.— Die entzündliche Phimosis gibt sich zu erkennen
durch die bekannten Erscheinungen einer mehr oder minder heftigen
Entzündung; diese ist aber entweder erysipelatös oder phlegmonös. Bei
jener ist die'Röthe blass , die Geschwulst umfangreich , teigig und öde-
matös , die- Vorhaut sieht durchsichtig und glänzend aus. Die phleg-
monöse Phimosis ist dunkler geröthet , die Geschwulst geringer , aber
härter und gespannter , der Schmerz stärker , besonders beim Uriniren
und bei Erectionen. Die Absonderung des Schleims der Vorhaut und
der Eichel ist bei beiden Formen vermehrt, aber dessen Entleerung be-
hindert. Die Entzündung kann sich nicht allein auf die Eichel fort-
pflanzen , sondern auch auf das ganze männliche Glied , die Mündung
der Vorhaut kann ganz verschlossen und die Aussonderung des Harns
völlig gehindert werden. Endlich kann es zur Bildung von Abscessen
und Fisteln mit ulceröser und brandiger Zerstörung der Vorhaut kommen,
wobei die Eichel nicht selten durch die in der Vorhaut entstandene
Oeffnung tritt. Mit diesen örtlichen Erscheinungen ist ein der Heftig-
keit derselben entsprechendes fieberhaftes Allgemeinbefinden verbunden.
— Nicht immer nimmt indessen die entzündliche Phimose diesen Ver-
lauf; sie kann bei einer zweckmässigen Behandlung zertheilt werden,
oder sie geht unter Nachlass der Schmerzen, Röthe und Geschwulst in
die chronische Form der Verhärtung über. Durch Ausschwizung in das
Zellgewebe zwischen die beiden Blätter der Vorhaut , vorzüglich in der
Nähe der Mündung derselben, werden diese Theile verdichtet und ver-
härtet, verlieren ihre zellige Structur und Dehnbarkeit, erscheinen wulstig
und selbst knorpelartig ; oder es bleiben in der Umgebung früherer Ge-
schwüre , Abscesse und Fisteln , harte Narben , nach brandiger Zerstörung
unförmliche Lappen zurück. Zuweilen verwächst die Vorhaut mit der
Eichel an Stellen , wo früher Geschwüre waren , oder die Eichel bleibt
höckerig, warzig, geschwürig, verschrumpft, oder erreicht einen bedeu-
tenden Umfang. — Die Ursachen sind mechanische Verlegungen,
828 RUTHE. PHIMOSIS.
Reizungen der Vorhaut und Eichel durch äussere Gewalt , schmerzhafter
Coitus , Excoriationen, Verbrennung, Erfrierung, Geschwüre an der Vor-
haut und Eichel , verschiedene Exantheme an der Vorhaut , Zerreissung
des Bändchens , fremde Körper unter der Vorhaut , vernachlässigte Rein-
lichkeit, Anhäufung und Verderbniss des Smegma unter der Vorhaut und
zurückgehaltene scharfe Flüssigkeiten , daher bei Tripper und Eicheltripper
und syphilitischen Geschwüren. — Behandlung. Wenn die Verhaut ganz
verschlossen ist , so macht man an dem vordem untern Theile der von
dem angesammelten Urin gebildeten Geschwulst, der Harnröhrenmündung
gegenüber mit einem spizen Messer einen Einstich , ohne jedoch die Ei-
chel zu verlezen. Bei einem geringeren Grade von (nicht entzündlicher)
Verengerung kann man diese durch ölige Einreibungen und örtliche An-
wendung erschlaffender Mittel , Baden in warmen milden Flüssigkeiten,
so wie durch öfters wiederholte Retractionen heben und eine Erweiterung
der Vorhaut herbeiführen; langsamer und schmerzhafter geschieht dies
durch Pressschwamm oder durch besondere Dilatatorien ; bei einem
höhern Grade von Verengerung ist die Operation angezeigt. — Bei der
entzündlichen Phimose wendet man , wenn die Entzündung erysipe-
latöser Art ist, örtlich Aqua Goulardi, oder, wo keine Nässe ertragen
wird , trockene zertheilende Kräuter , bei ruhiger Lage im Bette , und
mit Unterstützung der Genitalien an. Bei der phlegmonösen Phimose
macht sich eine strenge Antiphlogose nothig ; bei jungen robusten Per-
sonen nach Umständen Aderlass , Blutegel an den Damm , kalte Um-
schläge , antiphlogistische Abführmittel ; dann örtliche und allgemeine
laue Bäder, wiederholte laue Einsprizungen von Blei- und Kalkwasser
zwischen Vorhaut und Eichel, besonders in den Fällen, wo sich fremde
Körper , Smegma , Geschwüre etc. daselbst befinden. Bei grosser Reiz-
barkeit eignen sich laue narkotische Fomentationen von Hyoscyamus und
Cicuta , von Aqua Goulardi mit T i n c t. o p i i etc. Wo es nur
immer angeht, hat man bei der entzündlichen und mit syphilitischen Ge-
schwüren verbundenen Phimose jeden operativen Eingriff möglichst zu
meiden ; abgesehen von dem dabei stattfindenden heftigen Schmerz wird
die Entzündung gesteigert , selbst bis zum Brande , es entstehen oft be-
deutende Blutungen , die Schnittflächen ulceriren und besezen sich auch
wohl mit schwer zu tilgenden Auswüchsen. Nur da, wo die Vorhaut so
eng ist , dass weder der Urin , noch die krankhaften Secrete ausfliessen
können , ist eine Erweiterung der Oeffnung der Vorhaut angezeigt , wozu
jedoch ein kleiner Schnitt hinreicht. Hat sich ein Abscess zwischen der
Vorhaut gebildet , der auf keine andere Weise entleert werden kann , so
muss derselbe zeitig mit der Lancette geöffnet und von dieser Oeffnung
aus durch Einsprizungen gereinigt werden! Ist der entzündliche Zustand
schon vorüber und die natürliche Oeffnung der Vorhaut verengt, so ist
es rathsam , die Oeffnung des Abscesses bis zur Vorhautmündung zu ver-
längern, oder die Vorhaut gänzlich abzutragen; dies muss auch geschehen,
RUTHE. PHIMOSIS. 829
wenn die Vorhaut durch Brand durchlöchert und die Eichel durch diese
hindurchgedrungen ist. — Sehr ausgedehnte und feste Verwachsun-
gen zwischen Vorhaut und Eichel lässt man am besten unberührt, und
erweitert durch den Schnitt und eingelegte Bougies nur die Harnröhren-
mündung , um dem Urin freien Abfluss zu verschaffen. — Zuweilen ver-
hindert nicht sowohl eine enge Vorhaut, als vielmehr ein zu weit nach
vorn ragendes Vorhautbändchen die Entblössung der Eichel. Werden
hiedurch die Erectionen und der Beischlaf schmerzhaft gemacht , so
durchschneidet man es mit dem Messer oder der Scheere , während man
es nach zurückgezogener Vorhaut nach unten zieht. — Bei einem höhern
Grade von Verengerung ist die Operation der Phimose angezeigt,
eine Operation , welche zwar schmerzhaft , aber mit keiner Gefahr ver-
bunden ist , besonders wenn man sie in einem chronischen Zustande der
Phimose und nicht vor den Pubertätsjahren unternimmt. Es gibt drei Me-
thoden, diese Operation zu verrichten; diese sind: 1) die Spaltung der
Vorhaut; 2) die Incision des innern Blattes des Praeputiums
und 3) die ringförmige Abtragung, Circumcision der
Vorhaut. — Die Spaltung der Vorhaut passt nur in den Fällen
von Phimose , wo keine beträchtliche Verlängerung der Vorhaut vor
der Eichel stattfindet und ist da indicirt , wo die Verengerung durch
das äussere und innere Blatt des Präputiums zugleich bedingt ist. Die
Spaltung wird entweder an der einen oder der andern Seite des Frenu-
lums , gewöhnlich aber nach oben vorgenommen , wodurch die Symetrie
der Form am wenigsten gestört wird. Der Operateur führt zwischen
Vorhaut und Eichel eine Hohlsonde ein und schiebt sie bis zur Umbeu-
gungsstelle des Präputiums vor ; auf derselben wird nun ein spizes Bi-
stouri bis an ihr Ende vorgeschoben , durch die Vorhaut gestochen , und
dieses nun mit einem kräftigen Zuge durch Zurückziehen des Bistouri's
von hinten nach vorn gespalten. Die Blutung wird durch kaltes Wasser
gestillt und dann entweder ein mit kaltem Wasser befeuchtetes Plu-
masseau zwischen die Spaltränder gelegt oder besser die Ränder der
beiden Vorhautblätter mit Knopfnähten vereinigt. Das Glied wird mit
einer T-Binde nach dem Bauche aufgerichtet erhalten. — Es ist nicht
immer nöthig, die Vorhaut bis zur Umschlagsstelle zu spalten; die Länge
des Schnitts richtet sich nach dem Orte der Einschnürung. — Ist das
Präputium sehr verdickt , so ist es gut , die beiden durch die Incision
gebildeten Winkel desselben abzutragen. Oefters ergibt sich nach der
Incision die Notwendigkeit , das Präputium ganz zu entfernen , wenn
sich nämlich auf demselben ausgebreitete Geschwüre vorfinden. ■ — Die
Spaltung des innern Blatts der Vorhaut reicht in einzelnen
Fällen von angeborener Phimosis aus , wenn die Untersuchung ergibt,
dass die angeborene Enge dieses Blatts die Ursache derselben ist. Die
Vorhaut wird so viel als möglich zurückgeschoben und beide Blätter an
der Umbeugungsstelle des äussern Blatts zum innern etwa in der Länge
830 RUTHE. — PARAPHIMOSIS.
von zwei Linien mit der nach oben gerichteten Schneide eines schmalen
spizen Bistouris getrennt. Dadurch wird es möglich, die Vorhaut weiter
umzustülpen , und so eine weitere Partie des innern Blatts zur Ansicht
gebracht, welche durch Fortsezung des Schnitts mit dem Messer oder
der Scheere getrennt wird. So wird die Spaltung des innern Blatts so
weit nach rückwärts fortgesezt , bis das Präputium sich leicht und voll-
kommen umstülpen lässt. Verband ist keiner nöthig ; während der Hei-
lung lässt man die Vorhaut öfters zurückschieben , damit die Narbe die
entsprechende Ausdehnung erlangt. — Die Circumcision ist ange-
zeigt: bei gesunder verengter Vorhaut, wenn sie ungewöhnlich lang und
dick ist ; wenn sich auf der verengten Vorhaut ausgebreitete Geschwüre
vorfinden ; wenn die Verengerung durch Verhärtung und callöse Be-
schaffenheit der Vorhaut bedingt ist , endlich bei nicht verengerter , sehr
langer und dicker Vorhaut , welche den Beischlaf stört und zu Excoria-
tionen der Eichel und der innern Lamelle führt. Der Operateur fasst
den vorragenden Theil der Vorhaut zwischen die Nägel des Zeigefingers
und Daumens , zieht sie hervor und schneidet den vorgezogenen Theil in
einem Zuge mit dem Bistouri quer vor der Eichel durch , ohne aber diese
zu verlezen. Mehrere Wundärzte bedienen sich zum Fassen des abzu-
tragenden Theils der Zangen, Klemmen oder spiziger Häkchen, Ricord
einer gefensterten Kornzange, durch deren Fenster er Fäden zu nachheri-
ger Bildung von Heften einzieht. Vor den Armen dieser Instrumente,
welche die Eichel vor Verlezung schüzen , wird die Vorhaut abgeschnit-
ten. Das äussere Blatt der leztern zieht sich stark, das innere wenig
zurück ; zeigt sich dieses leztere verengt und dicht an der Eichel an-
liegend , so kann man es jenem gleich abtragen oder der Länge nach
spalten und dann nach dem Hautrande hin umschlagen. Chassaignac
führt 5 — 8 feine Nadeln mit Fäden durch die Vorhaut , stielt sie ge-
wissermassen und quetscht sie dann mit seinem Ecraseur (s. Abbinden)
ab. Bei der Beschneidung der Juden wird dieses Blatt immer mit
den Nägeln zerrissen. Verband wie bei der Spaltung der Vorhaut, nur
muss während der Heilung die Vorhaut öfter zurückgezogen werden, da-
mit sie sich nicht wieder verenge. — Die Nachbehandlung bei der Ope-
ration der Phimosis ist antiphlogistisch , erst kalte Umschläge , dann lauer
Fliederthee mit Bleiwasser , zulezt dieses allein.
B. Paraphimosis {Traga, jenseits, und cpifjow), der spani-
sche Kragen, entsteht durch gewaltsames Zurückziehen der zu engen
Vorhaut hinter die Eichel, so dass jene nun nicht wieder nach vorn über
die Eichel geschoben werden kann. Zuweilen ist die Vorhaut nicht so
eng , dass sie nicht wieder vorgeschoben werden könnte , allein in Folge
der Reizung, welche auf die Vorhaut selbst und auf die Eichel durch die
Zurückziehung entsteht, und der Stagnation der Säfte, entwickelt sich
eine Anschwellung dieser Theile, so dass es nun nicht mehr möglich ist,
die Vorhaut über die Eichel vorzubringen. — Die Vorhaut ist bei der
RUTHE. PARAPHIMOSIS. 831
Paraphimose meistenteils so umgestülpt, dass ihre innere Lamelle die
äussere wird und sich in wulstigen Querfalten um den Hals der Eichel
herumschnürt ; die Vorhautmündung liegt in der Regel hinter diesen
Wülsten als ein enger fester Ring in der Tiefe , und hinter diesem das
äussere, sehr faltige Vorhautblatt, das sich in die äussere Haut des Penis
fortsezt. Bisweilen ist auch die Vorhaut nicht umgestülpt , sondern ein-
fach retrahirt ; dies geschieht besonders bei Personen , welche beständig
die Vorhaut zurückgezogen und die Eichel entblösst tragen, wenn sich
durch zufällige Veranlassung ein Missverhältniss zwischen Vorhaut und
Eichel entwickelt. Die Vorhautmündung liegt hier dicht hinter der
Eichel als ein fest anliegender Ring, unter welchen man von der Eichel-
krone aus mit einer Sonde gelangen kann; die Vorhaut ist dabei nicht so
anfgewulstet , und diese Wülste sind von der äussern Haut bedeckt. In
andern Fällen ist die Vorhaut nur theilweise umgestülpt. — Die Zufälle
bei der Paraphimose sind verschieden, je nachdem die Verengerung der Vor-
haut in einem höhern oder geringern Grade besteht, die Vorhaut und Eichel
bereits vorher entzündet oder ulcerirt waren oder nicht. Je enger die
Oeffnung der Vorhaut war, desto heftiger und schneller entstehen die Er-
scheinungen von Strictur , Geschwulst und Entzündung , welche wie bei
der Phimosis erysipelatös oder phlegmonös sein und sich über das ganze
Glied verbreiten kann. In sehr acuten Fällen schwillt die Eichel mit
dem ganzen Gliede unter den Symptomen der heftigsten Schmerzen , von
starkem Fieber mit Nervenzufällen, Harnverhaltung und schnellem Ueber-
gang in Brand an. Die Krankheit erreicht zuweilen in wenigen Stunden
einen hohen Grad von Ausbildung; in andern Fällen, wo die Einschnü-
rung nicht so stark ist, bedarf sie selbst mehrerer Tage, um zu einem mas-
sigen Grade zu gelangen , auf dem sie auch stehen bleibt. Wenn die
Paraphimose sich selbst überlassen bleibt , so kann bei einer nicht be-
trächtlichen Einklemmung die Entzündung sich allmählig zertheilen, auch
wenn keine Reposition vorgenommen wird ; die Vorhaut verwächst hinter
der Eichel und es bleibt eine unheilbare Missstaltung zurück. In der
Regel tritt jedoch in Folge des fortdauernden Drucks und Reizes, den die
Vorhautmündung macht, Verschwärung dieses Theils ein, wodurch die
Einschnürung gehoben wird. Brand tritt in der Regel nur ein, wenn die
betreffenden Theile schon vorher entzündet waren , z. B. in Folge von
Tripper, syphilitischen Geschwüren. — Die Behandlung hat zunächst
die Aufgabe, die Einschnürung zu beseitigen. — Dies geschieht, wenn
die Entstehung des Uebels noch neu , keine Verwachsung oder andere
Veränderung entstanden ist , durch die Reposition auf unblutigem WTege.
Bei bestehender Entzündung muss man den Manipulationen nach Mass-
gabe ihrer Heftigkeit Aderlässe, Blutegel, Scarificationen, kalte Umschläge
u. dgl. vorausgehen lassen, halte sich aber nicht zu lange damit auf. Die
Reposition der umgestülpten Vorhaut kann man auf verschiedene W'eise
zu bewirken suchen. Nach Richter drückt man mit drei Fingern der
832 RUTHE. PARAPHIMOSIS.
rechten Hand die Eichel einige Minuten , um sie zu verkleinern , worauf
man sie, während man mit drei hinter der Einschnürung angelegten Fin-
gern der linken Hand die Vorhaut vorzuschieben sucht, zurückdrückt.
Nach v. W a 1 1 h e r soll man die aufgeworfenen Wülste des innern Haut-
blattes gleichmässig zurückdrängen, so das innere Blatt einstülpen und
die ganze Vorhaut umkehren. Sanson und Begin fassen die Ruthe
mit der linken Hand , drücken die angeschwollene Eichel zuerst mit den
Fingern der andern Hand zusammen und treiben sie dann zurück, während
im nämlichen Augenblick die Vorhaut hervorgezogen wird. Cullerier
drückt die Eichel mit den Fingern der einen Hand zusammen und mit
der andern übt er einen gleichen Druck auf den Vorhautwulst aus , wo-
durch die Feuchtigkeiten genöthigt werden , unter dem einschnürenden
Bande rückwärts zu treten. Wenn die Theile sich abgespannt und er-
schlafft zeigen , bringt er etwas Mandelöl auf die Eichel und zieht dann
durch eine gleichzeitige Bewegung mit einer Hand die Vorhaut vor und
schiebt mit der andern die Eichel zurück. F r i c k e und Chassaignac
fassen die Ruthe mit der vollen Hand , kneten die Eichel mit der andern
und drängen sie dann in den Wulst hinein. Bei allen diesen Technicis-
men erleichtert das Bestreichen der Eichel mit Oel und das Eintauchen
des ganzen Glieds des Kranken und der Hände des Operateurs in kaltes
Wasser die Manipulationen. — Verchiedene Aerzte legen , um die An-
schwellung zu vermindern, eine Binde um das Glied, nach deren Abnahme
sie schnell die Reposition machen, Andere benüzen hierzu Pflasterstreifen,
womit der Penis vom Orificium aus bis über die Geschwulst hinaus einge-
wickelt wird. In hartnäckigen Fällen haben sich auch narkotische Ein-
reibungen und Umschläge, besonders von Hyoscyamus, Belladonna, Cicuta,
die Kaltwasserdouche , auf welche man die Repositionsversuche folgen
lässt, hülfreich erwiesen. Schlägt dieses alles fehl, so ist die Operation
angezeigt. — Diese Operation verrichtet man auf folgende Weise : hat
die Einschnürung hinter den Wülsten der Vorhaut ihren Siz, so lässt man
diese nach vorn, die äussere Haut des Penis aber nach hinten ziehen, um
die einschnürende Stelle in der Tiefe sichtbar zu machen. Gleich hinter
dieser Stelle erhebt man die äussere Haut mit einer Pincette zu einer
Querfalte, durchschneidet diese und bringt durch die Oeffnung eine feine,
vorn etwas gekrümmte Hohlsonde , welche man im Zellstoffe unter der
Einschnürung fortschiebt, bis man sie hinter der Eichelkrone fühlt,
worauf man die einschnürende Stelle mittels eines schmalen Bistouris
auf der Hohlsonde spaltet. Ist die Einschränkung zu stark, um die
Hohlsonde unter sie zu bringen, so muss man bei möglichster Entblössung
des einschnürenden Rings diesen behutsam von aussen nach innen durch-
schneiden, wobei man sich aber vor Verlezung des schwammigen Körpers
und seiner Membran, so wie der Eichelkrone hüten muss, und wo möglich
nicht auf dem Rücken des Penis schneidet ; es können solche Incisionen
an mehreren Stellen nöthig werden. Lange zieht es vor , die Wülste
SCHAMFUGENSCHNITT. 833
der innern Lamelle mit der Scheere abzutragen, worauf es leicht sei, un-
ter die äussere Lamelle der Vorhaut zu gelangen. — Sizt der einschnü-
rende Vorhauttheil hinter der Eichel , so führt man von dieser aus auf
einer Hohlsonde ein schmales Bistouri ein und spaltet sie von vorn nach
hinten. — Nach der Einschneidung der Vorhaut versucht man die Repo-
sition derselben ; hindert dies Geschwulst und Entzündung, so macht man
Scarificationen in die ödematösen Wülste und kalte Umschläge und repo-
nirt erst später. Nach Stillung der Blutung verbindet man die Wunde
einfach mit Charpie , lasst kalte Umschläge fortsezen , das Glied gegen
den Bauch aufgerichtet halten und die Vorhaut oft hin- und herschieben.
Ulceration und Brand der eingeklemmten Theile werden nach allgemei-
nen Regeln behandelt. — Ist eine Verwachsung der Wülste eingetreten,
so bleibt zur Entfernung der Missstältung nur die gänzliche Abtragung
der verwachsenen Masse übrig, wenn man sie nicht sich selbst überlassen
will, was man ohne grossen Nachtheil thun kann.
Die Bildung einer neuen Vorhaut, Postioplastik,
nahm Dieffenbach vor, indem er das äussere Blatt bis *-/g Zoll
hinter die Eichelkrone ablöste , das innere Blatt wegschnitt und das
äussere Blatt nach innen umschlug , das sich nach seiner Anheilung all-
mählig verlängerte.
s.
SarCOma, s. Fasergeschwulst.
ScarinCiren , Scarificatio, wird diejenige Operation ge-
nannt , bei welcher Stiche oder Einschnitte von gewöhnlich nur geringer
Tiefe und Länge in irgend einen Theil des Körpers gemacht werden, um
Blut oder pathologische Flüssigkeiten zu entleeren , Spannung zu heben
oder Reizung hervorzubringen. Man bedient sich zu dieser Operation
derLancette, des Bistouris oder besonderer Werkzeuge, der Scarificatoren.
— Das Verfahren ist verschieden je nach den Theilen , die man scarifi-
cirt. — Am häufigsten wird die Operation an der Haut verrichtet , um
Blut zu entleeren , was jedoch gewöhnlich in Verbindung mit Schröpfen
geschieht. Um in der Haut angesammelte Flüssigkeiten zu entleeren,
reichen meistens seichte Schnitte mit der Lancette hin. Nächst der Haut
scarificirt man, um örtlich Blut zu entleeren, hauptsächlich solche Theile,
welche für die Application von Blutegeln nicht leicht zugänglich sind, wie
z. B. die Conjunctiva, das Zahnfleisch, die Zunge, die Mandeln etc. —
Die Einschnitte müssen wo möglich parallel neben einander gemacht
werden, da gekreuzte überaus schmerzhaft sind.
SchamfugenSChllitt, Synchondrotomia, Symphyse o-
Burger, Chirurgie. 53
834 SCHAMFUGENSCHNITT.
tomia. Bei dieser Operation wird die Symphyse der Schambeine ge-
trennt, um Erweiterung des kleinen Beckens und damit Geburt auf natür-
lichem Wege möglich zu machen. Sie soll den Kaiserschnitt ersezen,
erweitert aber die verengte Conjugata nur wenig und sezt überdies die
hintern Kreuzdarmbeinverbindungen einer nachtheiligen Zerrung aus ;
wenn diese einmal verknöchert sind, was nach zurückgelegtem 40. Le-
bensjahr der Fall ist, so ist sie absolut contraindicirt. Dazu kommt noch,
dass nicht selten die nahe liegenden Theile, als Harnblase, Harnröhre etc.
leicht auf zeitlebens nachtheilige Weise verlezt werden , Caries herbeige-
führt wird, oder, bei nicht wieder erfolgender Vereinigung der Scham-
beinfuge, ein lebenslängliches Hinken zurückbleibt. Alle diese Umstände
sprechen nicht zu Gunsten der Operation, die auch nicht viele Anhänger
gefunden hat. — Die Operation an sich bietet keine Schwierigkeiten dar ;
die beste Zeit für ihre Ausführung ist das Ende der zweiten Geburtspe-
riode, wo der Muttermund vollkommen erweitert und somit nach getrenn-
ter Symphyse ein tieferes Herabsteigen der Gebärmutter zu erwarten ist.
Die Operation wird auf dem Querlager unter gehöriger Befestigung der
Kranken ausgeführt. Vorher werden die Schamhaare abrasirt, Mastdarm
und Blase entleert, und der Catheter in der Blase gelassen, um mit ihm
die Harnröhre von einem Gehülfen nach links drücken zu lassen, um sie
vor Verlezung zu sichern. Genau über der von aussen und innen er-
forschten Stelle der Schamfuge durchschneidet man die weichen Theile,
Y2 Zoll über dem obern Schambeinrande anfangend bis zur Clitoris, die
man nicht verlezen darf, und darauf die vordere bandartige Verbindung
bis auf den Knorpel. Nachdem man die gewöhnlich sehr geringe Blu-
tung gestillt hat, fühlt man noch einmal nach dem Knorpel, den man an
seiner Weichheit erkennt, und schneidet ihn dann mit einem stumpfspi-
zigen Messer in vorsichtigen Zügen von aussen nach innen und von oben
nach unten durch , wobei man mit dem Finger den untern Wundwinkel
der Haut und die Clitoris herabdrückt; endlich trennt man mit einem con-
vexen Messer und der Blase und Harnröhre wegen unter grösster Vorsicht
die hintere ligamentöse Verbindung. Fände man die Symphyse verknö-
chert , so müsste man sie vorsichtig mit einer geraden geknöpften Säge
durchtrennen. Während der Trennung der Symphyse sucht ein Gehülfe
durch einen seitlichen Druck auf die Darmbeine ein plözliches und zu
starkes Auseinanderweichen der Schambeine zu verhindern. Die nöthige
Erweiterung des Beckens bewirkt man dadurch , dass man die Schwan-
gere die Knie in die Höhe stellen und allmählig nach aussen rollen lässt,
bis zwischen den Schambeinen ein Raum von höchstens 21/2 Zoll ent-
steht ; Gewalt darf dabei nicht angewendet werden ; wenn die Schambeine
nicht von selbst auseinander weichen , so sind wahrscheinlich die hintern
Darmbeinverbindungen verknöchert. Nach Beendigung der Geburt, wäh-
rend welcher man einen Gürtel um das Becken legt , hält man die hinter
der Schamfuge liegenden Theile mit einem Spatel nieder, bringt die
SCHAMLIPPE, KRANKHT. DEES. ENTZUENDUNG. 835
Schambeine möglichst genau an einander und erhält sie so durch um das
Becken geführte Heftpflaster und eine Vereinigungsbinde aneinander ge-
schlossen. Die Wunde wird vereinigt und einfach verbunden ; auch die
Knie werden durch eine Binde zusammengehalten. Die Nachbehandlung
wird den Umständen angepasst. Die Schambeine, welche bisweilen einen
Zoll von einander entfernt bleiben, verbinden sich durch eine hinreichend
feste Zwischenmasse ; bleiben sie ganz unvereinigt , so müssen sie fort-
dauernd durch eine passende Bandage zusammengehalten werden.
Schamlippe, Krankheiten derselben. Die Schamlippen
können von Entzündung befallen werden und der Siz einer Reihe von Ge-
schwülsten sein , die entweder ohne Veränderung der Hautfarbe , ohne
Entzündungserscheinungen auftreten , wie die Schamlippenbrüche (siehe
Bruch), oder mehr oder weniger entzündlicher Natur sind. Solche sind :
ödematöse Anschwellungen, Blutgeschwülste, Abscesse (idiopathische und
Congestionsabscesse) Milchmetastasen, Blutaderknoten, Neubildungen ver-
schiedener Art, wie abgegrenzte Geschwülste , warzenartige Auswüchse,
polypöse Gewächse, endlich krebsige Entartungen. Ausserdem beobach-
tet man chronische Exantheme , Verwachsungen , so wie eine excessive
Bildung der Lefzen.
Die Entzündung der Lefzen, Inflammatio vulvae,
Nymphitis zeigt die gewöhnlichen Erscheinungen der Entzündung :
Schmerz beim Berühren und Gehen, Röthe , Hize , Geschwulst. Oft ist
nur die Schleimhaut der Lefzen, andere Male sind aber auch die tieferen
Theile derselben ergriffen. Im erstem Falle ist die Entzündung, meistens
weniger heftig , geht gern in einen chronischen Zustand über und gibt
Veranlassung zu langwierigen Schleimflüssen ; im zweiten erfolgt baldige
Zertheilung oder bei heftiger oder fortwirkender Ursache Abscessbildung,
selbst Brand, wodurch leicht grössere oder kleinere Zerstörungen entste-
hen. Stärkere Grade pflanzen sich gern auf die Harnröhre, den Kizler
und andere benachbarte Theile fort. — Die Ursachen sind gewöhnlich
mechanische : Einschiebung fremder Körper bei Onanie, roher Beischlaf,
schwere Entbindung, weisser Fluss , syphilitische Ansteckung , Flechten-
schärfe, scrophulöse Constitution. — Die Behandlung hat vor Allem
wo möglich die- Ursachen zu entfernen , was bei ruhigem Verhalten und
mildernden Mitteln oft zur Beseitigung des Uebels genügt. Hohe Grade
von besonders in die Tiefe greifenden Entzündungen erfordern bisweilen
allgemeine und örtliche Blutentziehungen, so wie innerlich kühlende und
gelind eröffnende Mittel. Daneben erweichende Bähungen und Um-
schläge, laue Halbbäder etc., so wie Ruhe und schmale Kost. — Den
häufig zurückbleibenden Schleimfluss behandelt man mit schwach
adstringirenden Flüssigkeiten ; bei längerer Dauer wendet man stärker ad-
stringirende Waschungen, sodann Waschungen mit Lösungen des salpeter-
sauren Silbers (gr. ij — iij auf ^j) oder Höllenstein in Substanz an.
53*
836 SCHAMLIPPE, KRANKHT. DERS. EXANTHEME.
Abscesse öffnet man bald und behandelt sie nach allgemeinen
Regeln ; dasselbe gilt von den Congestionsabscessen und Milch-
metastasen.
Die ödematösen Anschwellungen sind meist ein Symptom
der Wassersucht der untern Extremitäten , doch kommen sie auch allein
vor, wie beim Hodensack. Man kann die Schamlippen mit einer Nadel
anstechen und macht trockene aromatische Fomentationen.
Brand der Schamlippen tritt, ausser nach hochgradigen Ent-
zündungen , zuweilen als Complication oder als Nachkrankheit bei Kin-
dern mit exanthematischen Fiebern, mit Typhus etc. auf. Oertlich wen-
det man anfangs Chlorkalkpulver oder Höllenstein, später Mineralsäuren,
Aezkali etc., besonders aber das Glüheisen an , um dem Umsichgreifen
des Brandes Einhalt zu thun.
Blutgeschwülste der Schamlippen entstehen meist bei
Geburten in Folge der Berstung von varicösen Venen und erreichen bis-
weilen eine ausserordentliche Grösse. Kleinere kann man durch aroma-
tische Weinumschläge zu zertheilen suchen , grössere öffnet man durch
einen ergiebigen Einschnitt, entleert das Blutgerinnsel und macht reini-
gende Einsprizungen ; nötigenfalls füllt man die Höhle mit Charpie aus.
Chronische Exantheme breiten sich entweder von der Um-
gegend auf die äussern Genitalien aus oder sie entstehen an diesen und
beschränken sich auf dieselben. Sie sind sehr selten , treten meist nach
dem 4 0 . Lebensjahre und besonders gern bei Fettleibigen, bei Unreinlichen,
mit Blenorrhoe Behafteten auf. Bisweilen knüpft sich ihr Ausbruch an
die Menstruation, die Schwangerschaft oder auch das Wochenbett. Die
gewöhnlichen Formen , welche zur Beobachtung kommen , gehören dem
Herpes, dem E c z e m , dem Liehen und der Prurigo an. Sie
kommen sowohl an der Aussenseite der Genitalien , wie auch an der
Schleimhautfläche zum Ausbruch. An lezterem Orte führen sie nicht
selten zur Excoriation und Geschwürsbildung. Der Ausbruch ist manch-
mal von Fieberbewegungen und gastrischen Zufällen begleitet. Sie ver-
ursachen ein lästiges Jucken und Brennen, bisweilen bedeutende Schwel-
lung , Harnschmerz und Blennorhoe. Schlimm ist der Herpes exe-
d e n s, welcher hier bisweilen grosse Zerstörungen anrichtet. — Behand-
lung. Bei manchen Kranken ist ein diätetisches Verfahren und die
Beseitigung begleitender Symptome zur Bekämpfung des Uebels genü-
gend. Bei beträchtlicher Schwellung und entzündlicher Reizung können
topische Blutentleerungen in der Umgebung , Fomentationen mit schlei-
migen und öligen Mitteln mit narkotischem Zusaze in Anwendung gezo-
gen werden. Bei intensivem Pruritus zeigt sich bisweilen der örtliche
Gebrauch des Kirschlorbeerwassers , der Blausäure und des Bleiwassers,
einer Lösung des Morphium sehr nüzlich. Bei atonischem Zustande und
grösserer Hartnäckigkeit müssen Aezmittel angewendet werden ; solche
sind : Sublimat, Höllenstein in Auflösung, lezterer auch in Substanz, Jod-
SCHAMLIPPE, KRANKHT. DEES. — POLYPEN. 837
tinktur , Kreosot ; bei intensiverer Blenorrhoe zeigen sich zusammenzie-
hende Mittel, Waschungen mit Rosenwasser , mit Tanninlösung, Lohex-
tract, mit Go u 1 ar cl'schem Wasser, schwefelsaurer Eisenlösung wirksam.
Bei constitutionellen Störungen wird eine allgemeine Behandlung noth-
wendig , welche dem constitutionellen Leiden entspricht. Bei Herpes
exedens ist namentlich Jodkali und Jodeisen empfohlen. — Die Kran-
ken sind sehr vor dem Aufkrazen der juckenden Stelle zu warnen, da
dieses nicht selten zur Masturbation führt.
Verwachsungen können die grossen Schamlippen, so wie auch
die Nymphen betreifen und angeboren oder erworben sein. Leichte Ver-
klebungen lassen sich zuweilen auf unblutige Weise durch Auseinander-
ziehen der beiden Schamlippen trennen, worauf man deren Wiederverkleb ung
durch Einlegen frischer Charpie und sorgfaltiges Reinigen der Theile
vom Harne verhütet. Bei innigeren Verwachsungen der Schamlippen ist
dagegen ein blutiges Verfahren nothwendig, welches darin besteht , dass
man über der Mitte der Verwachsung genau in der Richtung der Median-
linie mit einem spizen Messer einsticht und auf der nun hinter die Ver-
wachsung geführten Hohlsonde den Schnitt nach hinten und vorn verlän-
gert. Wird die Vereinigung durch eine beträchtliche zelligfibröse Zwi-
schensubstanz vermittelt, so trägt man diese ab. Die Nachbehandlung ist
die oben angegebene. Bei narbiger Verengerung und Schrumpfung der
äussern Scham in Folge von Brandwunden kann nur durch Hautüberpflan-
zung ähnlich wie bei der Operation des verwachsenen Mundes Hülfe ge-
schafft werden.
Die Vergösserung der Nymphen kann die Folge eines patholo-
gischen Zustandes oder einer einfachen Hypertrophie sein. Dieser ab-
norme Zustand fordert bisweilen deshalb Abhülfe , weil durch die anhal-
tende Friction dieser Theile durch die Kleider und durch die Schenkel,
durch häufiges Benezen mit Harn Beschwerden hervorgerufen werden oder
weil durch dieselben für die Geschlechtsverbindung Hindernisse erwach-
sen. Die besagte Abhülfe besteht in der Amputation der Nym-
phen, welche bei dünnhäutiger Beschaffenheit derselben in der einfachen
Abtragung der über die Labia majora hervorragenden Partie mittels
der Scheere bestehen kann , während bei Verdickung und bedeutender
Breite der Nymphen das Verfahren von Velpeau empfehlenswerth ist,
wornach vor der Amputation an der Basis der Nymphen Hefte mittels
feiner Nadeln durchgeführt werden, welche nach der Abtragung der über-
liegenden Partie über der Amputationswunde geknüpft werden , wodurch
die Blutung gemässigt und die Wundfläche verringert wird. Bei dieser
Abtragung bedient man sich des Messers.
Polypen kommen an der Schleimhautfläche der äussern Genitalien,
jedoch nicht sehr häufig, vor. Fibröse, sogenannte sarkomatöse
Geschwülste finden sich etwas häufiger und können diese einen sehr
bedeutenden Umfang erreichen. Noch häufiger trifft man Cysten mit
838 SCHEIDENKRANKHEITEN. ENTZUENDUNG.
dem verschiedenartigsten Inhalte, so wie Fettgeschwülste an. Alle
diese Neubildungen zeigen nichts Abweichendes von den gleichartigen
Geschwülsten * an andern Körperstellen und lassen sich ihrer grossen
Zuo-änglichkeit wegen leicht entfernen, was auf die bei den verschiedenen
Geschwülsten im Allgemeinen angegebene Weise geschieht.
Krebsbildung kommt an den äussern Genitalien ziemlich selten
vor. Der primitive Krebs hat seinen Siz gewöhnlich in dem Gewebe einer
grossen Schamlippe, wo er einen scharf umschriebenen, sich allmälig ver-
grössernden Knoten bildet , der mit der Zeit unbeweglich und ungleich-
förmig wird und endlich unter Erweichung aufbricht und ein Geschwür
mit harten aufgeworfenen Rändern hinterlässt, das sich immer weiter aus-
breitet. — Die Exstirpation ist das einzige, höchst zweifelhafte Mittel,
Scheid©, Krankheiten derselben. Ausser den Verlezun-
gen, welche an einem andern Orte (s. Wunden) ihre Erledigung finden,
kommen in der Scheide Entzündungskrankheiten mit ihren Ausgängen,
Bildungs- und Entwicklungsfehler, wie Atresien, Kloakenbildungen, ferner
Fisteln, Dislocationen, Brüche und Fremdbildungen vor.
Scheidenentzündung, Inflammatio vaginae. Die
häufigste Form von Entzündung ist die catarrhalische, Colpitis,
Elytritis, Coleitis. Der Scheidenkatarrh kann entweder ein pri-
märer oder einfacher gutartiger, durch locale Reizung (Onanie, rohen
Beischlaf, Würmer, Pessarien etc.) erzeugter sein , oder was häufiger der
Fall ist, er wird durch Trippercontagium und syphilitisches Gift hervor-
gerufen, oder er begleitet die mannigfaltigsten örtlichen Krankheiten, wie
Geschwüre, Afterbildungen etc. der Scheide , des Uterus, des Mastdarms,
der Blase. ■ — Der Catarrh bietet auf der Schleimhaut der Scheide die-
selben Kennzeichen dar, wie auf andern Schleimhäuten und stellt sich da-
selbst bald in der acuten , bald in der chronischen Form dar. — Den
acuten Scheidencatarrh begleitet bei hochgradiger Entzündung
eine intensive kirschrothe Färbung , beträchtliche Schwellung und Auf-
lockerung der Schleimhaut, welche bei unsanfter Berührung leicht blutet,
mehr oder weniger schmerzhaft ist und sich wärmer anfühlt. In einzel-
nen Fällen stösst sich hierbei das Epithelium stellenweise ab und es bil-
den sich Excoriationen ; hierzu gesellt sich eine Vermehrung und patho-
logische Veränderung des vorhandenen Secrets. Dieses anfangs von se-
röser Beschaffenheit trübt sich später, wird undurchsichtig, blenorrhoisch,
eiterförmig oder auch jauchig mit Epitheliumtrümmern , Bluttheilchen, so
wie mit dem Secret der Talgdrüsen vermengt , wozu sich noch häufig das
fadenziehende Secret der Gebärmutter beimischt. Dasselbe ist von mil-
derer oder schärfer Beschaffenheit und dadurch mehr oder minder schmerz-
hafte Constrictionen der Vulva , Harn- und Stuhldrang , peinlicher Pruri-
tus und Geschlechtsaufregung bedingt. — Der chronische Catarrh
geht entweder aus der acuten Form hervor oder er tritt als solcher pri7
SCHEIDENKRANKHEITEN» ENTZUENDUNG. 839
mär auf. Die Schleimhaut wird selbst bei längerer Dauer nur massig
hypertrophirt, missfarbig, ist reichlich mit varicösen Gef ässen durchzogen
und bisweilen stellenweise excoriirt , erscheint übrigens blass und ist mit
einem Gemenge von Eiter, Blut, glasartigem Schleim und Epithelium be-
deckt ; manchmal ist die Schleimhaut dunkelbraun pigmentirt , andere
Male granulirt. — Nicht selten verknüpfen sich intensivere catarrhalische
Entzündungen der Scheide mit einem gleichartigen Uterusleiden. Auch
bei der chronischen Form bestehen die oben namhaft gemachten Be-
schwerden, wie Neigung zum Wundwerden, Pruritus, Beschwerden beim
Gehen , Schmerz beim Coitus. — Scrophulöse Dyscrasie gibt häufig zu
diesem Uebel Anlass. — Bei längerer Dauer des Scheidenkatarrhs bildet
sieh das catarrhalische Geschwür ; auch kann derselbe zur Atresie der
Scheide und des äussern Muttermundes, so wie in Folge der Erschlaffung
der Vagina zur Intussusception derselben und zum Prolapsus des Uterus
Veranlassung geben. — Behandlung. Bei den intensiveren frischen
Entzündungsfällen ist zunächst die Antiphlogose, ein strenges diätetisches
Regime , insbesondere ruhiges Verhalten im Bette , das geeignetste Ver-
fahren. Bei bestehender Uterusaffection können allgemeine Blutentzie-
hungen nöthig werden , sonst reicht man mit Örtlichen aus , welche am
besten in der Perinäalgegend durch Blutegel bewirkt werden. Daneben
wendet man Cataplasmen auf die Schooss- und untere Bauchgegend an
und gibt innerlich kühlende und gelind eröffnende Mittel. Bei fort-
dauernder acuter Reizung , grosser Empfindlichkeit , intensiver Röthung
und Schwellung der Theile macht man häufige Injectionen mit lauwarmen
schleimigen und narkotischen Flüssigkeiten und wenn diese nicht genügen,
zieht man das salpetersaure Silber in Substanz oder in Lösung (mit Char-
pie applicirt) in Gebrauch. Lezteres Mittel erweist sich auch bei Con-
strictionen des Vaginalmundes nüzlich. — Die chronische Form erfordert
neben grosser Reinlichkeit und Beseitigung etwa zu Grund liegender Ur-
sachen (Chlorose , Scrophulöse , Gicht, Hämorrhoiden, Würmer etc.) und
durch die Lebensweise bedingter Störungen des Gesammtorganismus, den
Gebrauch kühler Sizbäder , massig adstringirender Waschungen und In-
jectionen , wie Lösungen des essigsauren Bleies , des salzsauren oder
schwefelsauren Eisens, des Tannins. Bei grosser Ausdehnung des Uebels
und reichlicher Secretion die trockene Tamponade der Scheide, wozu ge-
krämpelte Baumwolle oder Charpie benuzt wird , in hartnäckigen Fällen
aber mit Hypertrophie der Vaginalwand und deren Prolapsus die Einfüh-
rung eines mit Alaun bestreuten Tampons, welche Tampons man mit Hülfe
des Speculum einführt. Bei vorhandener grosser Schmerzhaftigkeit der
ergriffenen Theile, bei lästigem Pruritus , bei Constriction der Vulva oder
sich häufig einstellender Geschlechtsaufregung sind mit diesen Mitteln
äusserlich und manchmal auch innerlich die Narcotica zu verbinden und
wo diese nicht genügen , entspricht bisweilen eine etwas intensivere Cau-
terisation mit Höllenstein. Gegen Excoriationen und insbesondere gegen
840 SCHEIDENKRANKHEITEN. — FISTELN.
drohende Atresien der Genitalien ist nebstbei das Einlegen von Charpie-
bäuschchen , welche in Bleiwasser getaucht , oder bei grosser Reizbarkeit
mit einer milden Salbe bestrichen sind , zu empfehlen. — Neben allem
Diesen sind warme Bäder nicht zu versäumen. — Eine croupöse Ent-
zündung der Vagina findet sich noch am häufigsten beim Puerperal-
processe im Gefolge des Uterinalcroups ; bisweilen, doch höchst selten, er-
scheint sie secundär bei Typhus, Exanthemen, Pyämie. Die sich in Folge
dieser Entzündung nicht selten bildenden Abscesse müssen frühzeitig ge-
öffnet und nach allgemeinen Regeln, behandelt werden.
Scheiden fisteln, Fistulae vaginales. Die anatomischen
Verhältnisse , in welchen die Scheide zu den angrenzenden Hohlgebilden
steht , machen es erklärlich , dass hier pathologische Verbindungen vor-
kommen. Die Hohlgebilde , welche mit der Scheide in Communication
treten, sind der Darmkanal und die Harnblase, welche dann ihre Contenta
in die Scheide ergiessen. Man unterscheidet diesem nach Darmfisteln
und Harnfisteln der Scheide. Von den leztern war schon bei den Harn-
fisteln die Rede ; hier werden also nur die in die Scheide mündenden
Darmfisteln besprochen werden. — Eine Communication des Darmkanals
mit der Scheide kann sich sowohl von Seiten des dünnen wie des dicken
Darms ergeben, am gewöhnlichsten jedoch ist die mit dem Endstücke des
Mastdarms, wogegen die mit dem Dünndarme zu den grössten Seltenheiten
gehören. Da die leztere überdies kein einen Erfolg versprechendes Ver-
fahren gestattet , so kann eine nähere Besprechung dieser Form füglich
unterlassen und diese der häufiger vorkommenden Mastdarmscheidenfistel
zugewendet werden. — Die Mastdarmscheiden fistel, Fistula
recto-vaginalis kann die Folge sein von Verlezungen des Mastdarms
und der Scheide bei schweren Geburten , von fremden Körpern im Mast-
darme, von Ulcerationen , welche die Wandungen des Mastdarms und der
Scheide zerstören oder von Abscessen, die zwischen beiden gelegen, nach
beiden Richtungen perforiren. Am häufigsten sind sie Ueberreste des
durch die Naht nicht gänzlich vereinigten zerrissenen Damms und des
Mastdarms. — Die Erscheinungen der Mastdarmscheidenfisteln sind
unwillkürlicher Abgang von Fäcalstoffen und von Darmgas durch die Va-
gina , Reizung der Umgebung der Fistel durch die abfliessenden Fäcal-
stoffe, Bildung von Kothabscessen am Perinäum u. s. w. — Die Fistel
kann von verschiedener Grösse und Form sein , zeigt sich bald cal-
lös, bald weich und sizt bald dicht über dem Damm, bald höher oben. —
Die Heilung der Fistel ist immer schwierig, da sie durch die Dünnheit
der durchbrochenen Wandungen , durch ihr Bedecktsein mit Schleimhaut
auf beiden Seiten, durch die sich stets aus dem Mastdarm in die Scheide
drängenden Excremente und Winde erschwert wird. Trozdem sind meh-
rere Naturheilungen dieser Fistel bekannt. Von operativen Methoden
wurden empfohlen : die Caute risation, die Naht, die Durch-
schneidung des Sphincters, die Unterbindung, das Haar-
SCHEIDENKKANKIIEITEN. — GESCHWUELSTE. 841
seil, die Autoplastik und die Compression. — Die Caute-
risation, welche nur bei kleinen Fisteln passt, geschieht am besten mit
dem Glüheisen. Man äzt zuerst im Mastdarm mit Höllenstein und einen
Tag später in der Scheide mit einem flachkugeligen Eisen , mit welchem
man die Umgegend brennt , während man den Fistelring mit einem klei-
nen hakenförmigen Glüheisen inwendig umgeht. Mastdarm und Scheide
werden dann mit Charpie ausgestopft. Die eiternde Wunde verbindet
man bald mit einer milden, bald mit einer reizenden Salbe bis zur Schlies-
sung der Oeffnung. Heilt ein callöser Rand nicht , so greift man aber-
mals zum Glüheisen oder wendet die Schnür- oder Knopfnaht an. ■ — Die
Naht wurde schon auf verschiedene Weise mit wechselndem Erfolg in
Anwendung gezogen. Bei etwas grösseren spaltenförmigen Fisteln ist
die Knopfnaht am zweckmässigsten. Man trägt die mit einem feinen
Häkchen erhobenen Fistelränder ab, führt kleine stark gekrümmte Nadeln
mittels eines Nadelhalters durch dieselben und verknüpft dann die einge-
zogenen Fäden. Schliesslich füllt man den untern Theil des Mastdarms
und der Scheide mit Charpie aus. In der ersten Zeit constipirt man die
Kranke mit Opium und gibt wenig Nahrung. Ist die Operation theilweise
oder ganz misslungen, so entfernt man die Suturen und cauterisirt , wenn
die Oeffnung klein ist , oder wiederholt die Naht bei einer grösseren. —
Bei kleinen Oeffnungen empfiehlt sich die Schnürnaht in Verbindung mit
der Cauterisation. Auch die umwundene und die Kürschnernaht wurden
versucht. — Die Durchschneid ung des Sphincters wurde in
Verbindung mit der Naht und der Cauterisation in Anwendung gebracht.
Bei diesem Verfahren überhäuten aber die getrennten Theile gern. —
Die Unterbindung wird wie bei der completen Mastdarmfistel ausge-
führt. — Das H a a r s e i 1 wurde von B a r t o n einmal mit Glück ange-
wendet. — Die Autoplastik besteht nach vorausgegangener Auf-
frischung der Fistelränder in der Anlegung von Knopfnähten und darauf
folgenden Längen- und Transversalincisionen in die hintere Vaginalwand,
um die Weichtheile zu erschlaffen. Auch hat man vorgeschlagen , eine
Scheidenhaut in die Oeffnung zu transplantiren. — Die Compression
wurde theils mit zangenartigen Instrumenten , welche die Fistel von dem
Mastdarm und der Scheide aus zusammendrückten (C ul ler i er), theils
mit durchlöcherten Platten von Elfenbein , die über beiden Mündungen
der Fistel durch eine Naht vereinigt wurden (N e 1 a t o n) , ins Werk
gesezt.
Scheidengeschwülste. — a) Polypen. Die hier vorkom-
menden Polypen sind gewöhnlich sogenannte Schleimpolypen , kommen
selten und dann meistens vereinzelt vor und erreichen selten eine ansehn-
liche Grösse. Sie können in jeder Gegend der Vagina wurzeln , werden
aber am häufigsten an ihrer hintern Wand beobachtet. Sie sind meist
dünngestielt und von birnf örmiger Gestalt. — So lange sie innerhalb der
Scheide verweilen , erregen sie so wenig Beschwerden , dass die Kranke
842 SCHEIDENKKANKHEITEN. GESCHWUELSTE.
von dieser Abnormität häufig gar nichts ahnt. Erst dann, wenn die zu-
nehmende Geschwulst in den Vaginalmund tritt, werden die Kranken die-
selbe gewahr und durch das unangenehme Gefühl des Hervorgleitens
eines Körpers aus den Genitalien belästigt und bei der Vollführung des
Coitus gehindert. Hierzu gesellen sich bisweilen schmerzhafte Zerrung
in der Beckengegend , Blenorrhoe , und wenn der Polyp an der vordem
Wand haftet, Harndrang. — Eine Verwechslung mit Uteruspolypen,
Prolapsus vaginae, ungewöhnlich grossen Condylomen oder ander-
artigen breitaufsizenden Vegetationen, Cysten , krebshaften Wucherungen
etc. ist bei genauer Untersuchung nicht wohl möglich. . — Behand-
lung. Diese ist höchst einfach , indem die sehr zugänglichen Afterpro-
ducte durch die Ligatur oder durch Abschneiden leicht zu entfernen sind.
b) Fibröse Geschwülste. Auch diese sind eine seltene Erschei-
nung , wenn sie aber auftreten , so können sie bisweilen eine bedeutende
Grösse erreichen. Sie haben ihren Siz in der Faserhaut der Scheide und
bilden meist rundliche oder abgeplattete harte Geschwülste , welche ent-
weder in gleicher Weise in die Beckenhöhle und in den Scheidenkanal
protuberiren oder sich vorzugsweise in lezterer Richtung entwickeln. In
seltenen Fällen erheben sie sich immer mehr, nehmen eine gestielte Form
an und ragen polypenähnlich aus der Vagina hervor. — Die Symptome
dieser Fibroide sind, so lange sie noch nicht sehr umfangreich geworden
sind, von sehr untergeordneter Bedeutung ; werden sie dagegen beträcht-
lich gross , so treten Zufälle der Zerrung und der Compression. der be-
theiligten Gebilde auf. Die Behandlung kann nur in der Exstirpa-
tion dieser Geschwülste bestehen , welche aber nur möglich ist , wenn sie
mehr oder weniger beweglich und leicht zugängig sind. ■ — c) Cysten
und Fettgeschwülste. Ebenso selten, wie die vorher erwähnten
Fremdbildungen sind die Cysten der Vagina, namentlich die, welche sich
in den Wandungen der Scheide selbst entwickeln. Etwas häufiger trifft
man sie in dem umgebenden Zellgewebe der Scheide. Sie wachsen sehr
langsam und erregen deswegen nur wenig Beschwerden. Sie sind von
verschiedenem Inhalte. — Behandlung. Kleine Cysten und Fett-
geschwülste lässt man am besten unberührt , grössere entfernt man durch
das Messer. — d) K r e b s. Der Krebs der Scheide ist gewöhnlich ein
fortgeleiteter, vom Cervicaltheile des Uterus ausgehender , sehr selten ein
primitiver ; lezterer kann sowohl ein fibröser als ein medullärer sein, welche
beide Formen manche Eigentümlichkeiten darbieten. Der fibröse Krebs
bietet Knollen und Auswüchse, welche hahnenkammförmige, auchkolbige,
derbe Excrescenzen bilden. Bei medullärer Infiltration erheben sich
bisweilen zahlreiche, leicht blutende, warzige oder polypenähnliche Wu-
cherungen , welche manchmal den ganzen Scheidenkanal ausfüllen. Mit
diesem Uebel sind verschiedene Beschwerden , Dysurie , erschwerte De-
fäcation, Hämorrhoidalzufälle, Schmerzen in einer oder der andern Becken-
seite oder in den untern Extremitäten, so wie Oedeme, Excoriationen der
SCHEIDENKRANKHEITEN. — GESCHWUERE. 843
Genitalien etc. verbunden. — Behandlung. Diese kann in den mei-
sten Fallen nur in einer Mässigung der genannten Zufälle bestehen. Zu
diesem Zwecke macht man reichliche Einsprizungen von schleimigen oder
narkotischen Flüssigkeiten, von Blei- und Kalkwasser; ferner leitet man
Jaucheherde in der Umgebung der Vagina nach aussen ab , sezt hei Hä-
morrhoidalbeschwerden Blutegel, sorgt für gehörigen Stuhlgang und ord-
net daneben eine geeignete Diät an.
Scheidengeschwüre. Auf der Schleimhaut der Scheide trifft
man von Geschwüren : das catarrhalische Folliculargeschwür , das soge-
nannte phagedänische und das syphilitische Geschwür. — Das catar-
rhalische oder folliculäre Geschwür findet sich am häufigsten
unmittelbar hinter dem Scheideneingange , doch auch am Grunde der
Scheide , selten am übrigen Theile derselben. Es ist rund , hat dünne,
schlaffe, unterminirte , blassgraue Ränder und eine mit dünnem Eiter be-
deckte Basis. Durch den Zusammenftuss mehrerer solcher Geschwüre
entsteht eine weite buchtige Geschwürsfläche , mit atonischem oder ere-
thischem Charakter. Befällt ein solches ausgebreitetes Geschwür das
Scheidengewölbe und greift es von hier auf die Vaginalportion des Uterus,
so hat man das sogenannte phagedänische Geschwür des Mutter-
mundes , welches sich also vom catarrhösen Geschwür nur darin unter-
scheidet , dass es an der Vaginalportion sizt. Bei der Heilung des folli-
culären Scheidengeschwürs bildet sich eine strahlige , unregelmässige,
glänzende Narbe , welche nicht selten eine Verengerung der Scheide und
selbst eine Verwachsung derselben herbeiführt. — Das syphilitische
Geschwür, der Schanker, tritt an den weiblichen Genitalien in
seinen beiden Arten, d. h. als primärer und secundärer auf, und zeigt
ebenso die verschiedenen Formen dieser Geschwüre, nämlich: die einfache,
die indurirte oder Hunter 'sehe und die phagedänische Form. Er findet
sich mehr an den äussern Theilen der Vulva als im Innern der Scheide ;
oberhalb des Scheideneingangs gehört er zu den grössten Seltenheiten.
Das Charakteristische der Schankergeschwüre , der aufgeworfene scharfe
Rand, der speckige Grund, die umgebende Kupferröthe, ihre meist runde
Form etc. unterscheiden sie von den übrigen hier vorkommenden Ge-
schwüren. — Behandlung des catarr haiischen Geschwürs.
Diese kommt mit derjenigen des chronischen Catarrhs der Scheide über-
ein, wobei es nur nöthig ist, neben den dort angegebenen Inj ectionen die
angeführten Substanzen mittels Charpie in beständigem Contact mit dein
Geschwür zu erhalten. — Die drohende Atresie bekämpft man durch das
Einlegen von Charpiewieken. — Bei dem syphilitischen Ge-
schwüre genügt, wenn es primär ist, eine örtliche Behandlung, welche
von einer allgemeinen nur so weit zu unterstüzen ist , als hierdurch die
örtliche Wirkung der Heilmittel gefördert wird. Eine wichtige Bedin-
gung für den Fortschritt der Heilung ist ruhiges Verhalten im Bette, die
grösste Reinlichkeit und eine entsprechende Diät. Die verschiedenen Formen
844 SCHEIDENKRANKHEITEN. ATRESIEN.
der Schanker fordern die in dem Artikel Syphilis angegebenen
Mittel.
Scheide nver Schliessung und Verengerung. Die Ver-
se h 1 i e s s u n g der Scheide, Atresia vaginae, ist entweder Feh-
ler der ersten Bildung oder später durch Verwachsung entstanden. Im
ersten Falle kann die Verschliessung bedingt sein (abgesehen von der
Verwachsung der Schamlippen ; s. diesen Artikel) durch das Hymen
(Atresia hymenaea), welches ohne Oeffnung und zugleich in seiner
Structur derber und fester ist , oder durch eine ähnliche häutige Ver-
schliessung mehr oder weniger hoch in der Scheide (Atresia vaginae
membranacea), oder der Eingang dieser ist von einer fleischigen
Masse verschlossen. — In dem zweiten Falle ist die Verwachsung die
Folge von Ulcerationen und Verlezungen der Wandungen der Scheide.
— Die angeborne Verschliessung der Scheide wird , wenn nicht zugleich
die Harnröhrenmündung verschlossen ist, selten vor der Pubertät entdeckt.
Es entstehen alsdann , wenn die monatliche Reinigung eintritt , Rücken-
schmerzen, ein Drücken , Spannen , eine Schwere in den Geburtstheilen,
Ausdehnung des Unterleibs, öfterer Drang zum Urinlassen, beschwerlicher
Stuhlgang etc. , und die Reinigung kommt nicht zum Vorschein. Diese
Beschwerden erscheinen anfangs nur alle vier Wochen und verlieren sich
wieder. Endlich aber , wenn die Anhäufung des Blutes bedeutend wird,
verschwinden diese Beschwerden nicht mehr, sondern vermehren sich alle
vier Wochen und verbinden sich mit allgemeinen Zufällen, wie Beängsti-
gungen, Schmerzen im Unterleibe, Schwindel, Schlaflosigkeit, wehenartiges
Drängen gegen die Geburtstheile. Wird dem angehäuften Blute kein
Ausfluss verschafft , so kann es sich endlich einen Weg durch die F a 1 -
lopi'schen Röhren in die Unterleibshöhle bahnen, oder es kann sich die
Menstruation auf einem ungewöhnlichen Wege einstellen. Die örtliche
Untersuchung der Scheide lässt das Uebel leicht entdecken. Wo die
Verschliessung durch das Hymen oder eine blosse Haut bedingt ist , zei-
gen sich diese durch das angesammelte Blut sackförmig ausgedehnt, her-
abgedrückt und fluetuirend. — Die Verengerung der Scheide,
Strictura vagina, erstreckt sich entweder durch die ganze Scheide,
oder sie ist nur auf eine Stelle beschränkt. Im ersten Falle ist sie Folge
einer gehemmten Entwicklung dieser Theile , in dem zweiten gewöhnlich
die Folge von Verlezungen der Scheide mit Substanzverlust, bei schweren
Geburten, wenn ein Theil durch Brand zerstört ist, bei Ulcerationen , wo
sich bei der Narbenbildung der Kanal der Scheide zusammenzieht , oder
es bilden sich bandartige Streifen oder partielle Verwachsungen. Ander-
weitige Verengerungen sind solche , wenn in einer verschliessenden Haut
oder in dem Hymen kleine Oeffnungen sind , lezteres dazu noch von un-
gewöhnlich fester Beschaffenheit. Die Verengerung der Scheide kann
dem Abflüsse des Menstrualblutes , dem Beischlafe hinderlich sein. —
Die Behandlung der Verschliessung der Scheide besteht in
SCHEIDENKRANKHEITEN. VORFALL. 845
der Eröffnung derselben bis zu dem Grade , dass sie ihren Functionen
vorstehen kann, und in der Verhinderung der Wiederverwachsung. Bei
vollständig geschlossenem Hymen sticht man , während ein Gehülfe die
Schamlefzen auseinander hält, dasselbe mit der Lancette oder einem Troi-
cart in seinem Mittelpunkte oder hervorragendsten Theile durch und er-
weitert die Oeffhung ; ist die Membran sehr dick , so spaltet man sie ins
Kreuz und trägt die vier Lappen ab. Ist kein Menstrualblut hinter dem
Hymen , so muss man , um die Harnröhre zu vermeiden , in diese einen
Catheter legen und mit dem convexen Bistouri mittels seichter Schnitte
die Membran durchdringen. Bei Verwachsung der Scheide in der Tiefe
führt man den beölten Zeigefinger bis zur verwachsenen Stelle, sezt ihn
auf den Mittelpunkt derselben, leitet ein gerades, schmales, bis gegen die
Spize umwickeltes Messer oder das Pharyngotom oder Oslanders Hy-
sterotom ein und stösst es in der Richtung des Scheidenkanals durch die
verschlossene Stelle. Die Stichöffnung erweitert man auf der Sonde oder
dem Finger , wobei man sich vom Mastdarm und von der Blase fern hal-
ten muss. Nach der Eröffnung sprizt man laues Wasser und erweichende
Decocte , bei üblem Gerüche mit einem Zusaze von Myrrhentinktur ein,
was man später mit einem Chinadecocte mit Essig, Camphergeist etc. ver-
tauscht. Zur Verhütung des Wiederverwachsens bringt man eine gehörig
dicke beölte Charpiewieke in die Scheide. Tritt Verengerung ein , so
wirkt man ihr mit Quellschwamm entgegen. Etwa eintretende entzünd-
liche oder krampfhafte Reizung behandelt man nach allgemeinen Regeln.
— Bei der Verengerung der Scheide durch theilweise verschliessende
Membranen bringt man in die Oeffnungen dieser, z. B. des Hymens, eine
Hohlsonde und spaltet sie mit dem geknöpften Messer in angemessener
Ausdehnung. Bei tiefer sizenden Häuten verfährt man auf die oben ange-
gebene Weise. Querlaufende Streifen trennt man mit einer stumpfspizi-
gen Scheere unter Leitung des Fingers. Ist die Mutterscheide nur ver-
engt, so muss sie unblutig erweitert werden, wozu man sich der gesalbten
Charpiewieken, der Bougies, des Pressschwamms, weniger gut metallener
Röhren und stellbarer Dilatatoren, z. B. des Weiss 'sehen bedient. —
Bei erfolgenden Geburten dehnt sich eine solche verengte Scheide ge-
wöhnlich in dem nöthigen Grade aus ; sollte dies indessen nicht geschehen,
so kann man die verengte Stelle seitlich einschneiden oder auch einen
Schnitt in das Mittelfleisch führen.
Scheidenvorfall, Prolapsus vaginae, nennt man den
Zustand , wo der häutige Scheidenkanal ganz oder zum Theil zwischen
oder vor die Schamlefzen tritt. — Der Vorfall ist entweder vollstän-
dig oder unvollständig, je nachdem die Mutterscheide in ihrem
ganzen Umfange oder nur eine Stelle an der einen oder der andern, ge-
wöhnlich der vordem Seite herabsinkt. — - Symptome und Diagnose.
Bei dem allmälig entstehenden Vorfall empfinden die Kranken zuerst eine
ungewohnte Vollheit im Becken, mit dem Gefühl, als wolle etwas aus der
846 SCHIENEN.
Mutterscheide herausfallen. Die weiteren Zeichen bestehen in Störung
der Functionen des Mastdarms und der Blase, welche eine lästige Zerrung
erleiden. Hierdurch ist ein fortwährender Harndrang oder schmerzhaftes
Harnen, ebenso ein lästiger Drang zum Stuhlgang bedingt. — Der un-
vollkommene Scheidenvorfall bildet einen blinden Sack ohne eine
Oeffnung , neben welchem man den Finger in die OefFnung der Scheide
einführen kann. Der vollkommene Vorfall zeigt sich als ein der in-
nern Fläche der Scheide an Farbe und Weichheit ähnlicher Ring, welcher
bei allmäliger Verlängerung eine cylinderförmige Gestalt bekommt und
am untern Ende eine OefFnung hat , in welche man den Finger einführen
und den Muttermund fühlen kann. — Bei längerer Dauer der Scheiden-
vorfälle werden sie trocken und blässer, auch können sie sich entzünden,
in Ulceration übergehen etc. — Ursachen. Sie sind wiederholte
Wochenbetten, anhaltender weisser Fluss, häufiger Coitus, Geschwülste in
der Nachbarschaft der Scheide, heftiges Drängen etc. — Behandlung.
Die Reposition geschieht leicht mit dem beölten Zeigefinger. Bestehen-
der entzündlicher Zustand muss vorher durch Bäder , emollirende Um-
schläge , Rückenlage etc. beseitigt werden. Nach der Reposition bringt
man Schwämme, mit adstringirenden Substanzen befeuchtet, in die Scheide
ein, macht Einsprizungen mit diesen Mitteln (z. B. Decoct. quercus,
Salicis, hippocastani, absinthii, calami aromatici etc.)
und lässt später einen Mutterkranz tragen. Bei veralteten , auf keine
Weise zurückzuhaltenden Scheidenvorfällen muss man seine Zuflucht zu
den bei dem Vorfall der Gebärmutter angegebenen, die Verschliessung der
Scheide bezweckenden Operationen nehmen.
Schienen , Ferulae, Assulae, sind längliche, mehr oder we-
niger feste Verbandstücke, welche bestimmt sind, den Theilen eine feste
und unverrückbare Lage und Richtung zu geben und diese darin zu er-
halten. Sie werden aus sehr verschiedenem Material angefertigt und fin-
den hauptsächlich bei Knochenbrüchen und Verkrümmungen der Knochen,
so wie bei Verkrümmungen der Glieder durch Contraction der Muskeln
ihre Anwendung. Diejenigen Schienen, welche gegen gebrochene Kno-
chen angewendet werden , müssen einige Biegsamkeit haben , &o dass sie
sich dem kranken Theil in etwas anschmiegen , dürfen aber dabei einer
gewissen Steifigkeit nicht entbehren , damit sie ihrem Zwecke gemäss im
Stande sind, die gebrochenen Knochen in unverrückter Lage zu erhalten.
Die Schienen dagegen , welcher man sich bei verkrümmten Knochen be-
dient, müssen durchaus steif und unbiegsam sein. — Die Länge und Breite
der Schienen richtet sich nach der Länge und Dicke des Glieds. Die
Länge betreffend, so sind namentlich bei Knochenbrüchen zu kurze Schie-
nen nicht im Stande, das gebrochene Glied in ganz unverrückter Lage zu
erhalten, sie müssen daher immer von einem Ende des gebrochenen Theils
bis an das andere oder über dieses hinausreichen ; bei Brüchen des Ober-
8CHIENEN. 847
Schenkels reicht sogar eine solche Länge nicht hin , sondern sie müssen
vom Hüftgelenk bis über den Fuss gehen. — Die Breite der Schienen
richtet sich nach der Dicke des Gliedes ; es sind übrigens schmälere
Schienen, von 2 bis 3 Querfinger Breite , zweckmässiger als ganz breite,
sie legen sich weit besser an und belästigen viel weniger , nur ist es nö-
thig, wenn es die Dicke des Gliedes erfordert, mehrere derselben anzu-
legen. — Man theilt die Schienen in biegsame und unbiegsame.
Zu den b ie gs amen gehören : 1) die Pf 1 as t er s chi ene n ; sie be-
stehen aus einem Stücke Heftpflaster von der erforderlichen Länge und
Breite, auf welches schmale Holzspäne (Schusterspäne) in kleinen Zwischen-
räumen geklebt sind , die hinwiederum mit einem gleich grossen Stück
Heftpflaster bedeckt werden ; der Rand beider ist mit einem Pflasterstrei-
fen besäumt. Aehnlich diesen sind: 2) die Lederschienen mit auf-
geleimten dünnen und schmalen Holzstäbchen von Gooch und Mar-
tini, 3) die F is chb ein s chien en von B runs und L ö ff ler , be-
stehend aus zwischen zwei Tücher genähten Fischbeinstäbchen ; 4) Rohr-
schienen von Bromfield, wie die vorigen; 5) Holzstäbchen-
schienen von L a u r e r , schmale Lindenholzstäbchen sind durch Bind-
faden mit einander verbunden ; 6) Gitterschienen von Braun, aus
Weidenstäbchen und 7) Schilfschienen von Assalini, wie die von
L a u r e r bereitet ; alle diese Schienen schmiegen sich den Theilen gut
an, sind aber umständlich zu bereiten. 8) Schienen von Baum-
rinde, wurden früher häufig angewendet; 9) Filzschienen von
Smith; der Filz wird in Schellackfirniss getaucht und vor der Applica-
tion durch Wasserdampf geschmeidig gemacht; 10) Schienen von
elastis chem Harz von Picke 1 ; sind zu nachgiebig ; 11) Gutta-
perchaschienen; die besten Schienen , da sie sich nicht allein dem
Gliede anpassen, sondern auch, erkaltet, die nöthige Resistenz haben. Vor
der Application wird die gehörig zugeschnittene Schiene in heissem Was-
ser erweicht, an das vorher mit Leinwand umhüllte fracturirte Glied mit-
tels einer Binde gebunden und dann kalte Umschläge um das Glied ge-
macht, um die weiche Masse schnell hart zu machen ; bis dies geschehen,
kann man bei grosser Neigung des Bruches zur Dislocation das Glied
durch hölzerne Schienen in der gegebenen Lage erhalten. Sollen diese
Schienen entfernt werden, so werden sie mit in heisses Wasser getauchten
Flanelllappen umwickelt , wodurch sie sich wieder erweichen und dann
leicht abnehmen lassen. S. Gutta percha; 12) Pappschienen,
sind die am häufigsten in Anwendung kommenden; sie haben den Vortheil,
dass sie sehr wohlfeil, für jeden betreffenden Fall leicht zu bereiten sind,
auch dass sie sich dem Theil genau anschmiegen ; nur werden sie durch
Feuchtigkeit erweicht und verlieren dann ihre Widerstandsfähigkeit. Man
schneidet sie in der nöthigen Form und Grösse zu, taucht sie flüchtig in
Wasser und legt sie , nachdem man sie in Leinwand eingehüllt hat , an.
Der umgebende Verband passt sie dem Gliede gut an und trocken ge-
848 SCHILDDRUESEN. ENTZUENDUNG.
worden behalten sie die angenommene Form bei. Sharp leimte
Pappe zusammen und versah die für jedes Glied zubereitete Schiene an
ihrer Aussenseite mit Knöpfen und Riemen. In der neuesten Zeit hüllt
Carret das gebrochene Glied in ein einziges grosses Stück nasse
Pappe ein, welche er mit einer angefeuchteten Rollbinde befestigt. 13)
Leder schienen von H o f e r und Brünninghausen; ersterer
hämmert sie nach der Form des Gliedes, letzterer Hess sie aus gebrann-
tem Leder concav bereiten, auspolstern und mit Schnallen und Riemen
versehen ; sie sind sehr kostspielig und wiederstehen der Nässe nicht.
14) Zinnschienen, sie legen sich nicht genau an; 15) Stahl-
schienen (englische Schienen) , bestehen aus zollbreiten dünnen Stä-
ben , die mit Flanell oder Barchent umwickelt sind ; sie rosten leicht ;
16) Blechschienen, sie werden wie die vorigen bereitet; 17) Draht-
schienen von Mayor; sie bestehen aus einem Rahmen von stärkerem
Draht , welcher mit schwächerem Draht überflochten wird , sie sollen 2/3
des Glieds der Quere nach umfassen; sie schmiegen sich gut an und wer-
den mit Verbandtüchern befestigt. — Zu den unbiegsamen Schienen
gehören: 1) die Holz schienen nach Theden, Desaultu. A. ;
man bereitet sie aus Fichten-, Tannen-, Linden- und Nussbaumholz und
wendet sie entweder platt oder ausgehöhlt an; bei ihrer Anwendung füllt
man die Ungleichheiten des Gliedes mit Compressen , Werg , Spreukissen
aus. Diese Schienen sind sehr brauchbar , nur müssen sie neben der
gehörigen Stärke die hinreichende Breite und Länge haben; gewöhnlich
braucht man zwei , oft von ungleicher Länge , manchmal nur eine oder
auch drei oder vier; 2) die Schienen von Weissblech und Kupfer
werden gewöhnlich nur bei verkrümmten Gliedern angewendet, in welchem
Falle sie aber gut gefüttert sein müssen , um ihren Druk zu mindern.
Sie sind leicht concav und an der äussern Seite mit Klammern zur Auf-
nahme der Befestigungsriemen versehen.
Schilddrüse, Krankheiten derselben. Da von den Ge-
schwülsten der Schilddrüse schon in dem Artikel Kropf die Rede war,
so wird hier nur von der Entzündung dieser Drüse gesprochen werden.
Die Entzündung der Schilddrüse, Inflammatio glan-
dulae thyreoideae s. Thyreoideitis , ist eine höchst seltene Krank-
heit, welche nicht selten als entzündlicher Kropf (Struma inflani-
matoria) bezeichnet wird. — Symptome. An der vordem Seite des
Halses entwickelt sich , der Lage und Gestalt der Schilddrüse entspre-
chend und schnell steigend , eine rothe , heisse , besonders bei der Be-
rührung sehr schmerzhafte Anschwellung , welche sich rasch auf die um-
gebenden Theile ausdehnt und mit Athem- und Schlingbeschwerden
verbunden ist; im Verlaufe der Entzündung gesellen sich Fieber, Einge-
nommenheit des Kopfs , ein lästiges Klopfen der Halsarterien und Ohren-
sausen hinzu. — Die Krankheit kann sich in Zertheilung , dauernde
SCHLEIMBEUTELWASSERSUCHT. SCHLINGEN. 849
Anschwellung, Eiterung und Brand endigen. Die Zertheilung 'erfolgt
nur bei einer zweckmässigen Behandlung, Eiterung ist selten; der in der
Tiefe gebildete Abscess kann in die Luftröhre oder in den Oesophagus
durchbrechen oder sich in das Mediastinum senken; noch seltener ist
Brand. Die Ursachen dieser Entzündung sind vorzugsweise plözliche
Erkältungen, auch Quetschungen. — Die Behandlung muss eine streng
antiphlogistische sein ; daher nach Umständen Aderlass , Blutegel , Cata-
plasmen, Einreibung von Queksilbersalbe , innerlich salinische Mittel, be-
sonders Nitrum und salinische Abführmittel, Calomel etc. Abscesse müssen
frühzeitig geöffnet werden. — Nicht selten kommen auch Abscesse
der Schilddrüse ohne vorausgegangene Entzündungserscheinungen in Folge
von Typhus und Pyämie , namentlich bei Purperal-Pyämie vor.
SchleimbeutelwaSSerSUCht, Hydrops bursarum mu-
cosarum, s. Cysten und Wasser balg geschwulst der Knie-
scheibe.
Schlingen, Laquei, werden gewöhnlich bei Verrenkungen und
Beinbrüchen gebraucht, um vermittels derselben die Ausdehnung und Ge-
genausdehnung zu machen , namentlich in solchen Fällen , wo der Wider-
stand der Muskeln sehr gross ist und die Hände der Gehülfen nicht
ausreichen , oder der Raum nicht gross genug ist , um mehrere Hände
anbringen zu können. — Man verwendet zu Schlingen Handtücher, Bän-
der von Zwirn , Barchent , Gurt oder Leder , gedrehte oder geflochtene
Stricke von baumwollenem Garn. — Vor der Anlegung der Schlinge
muss die Haut des Gliedes da , wo die Schlinge angelegt werden soll,
so viel als möglich zurückgezogen und die Stelle gut mit Compressen
bedeckt werden , damit der Druck möglichst gemindert werde. Zur An-
legung der Schlinge sucht man eine solche Stelle aus , welche derselben
einen festen Halt sichert und das Abgleiten verhindert. Die passendsten
Orte sind über den Gelenken. — Es gibt mehrere Arten , die Schlingen
anzulegen. Folgende sind die empfehlungswerthesten: man nimmt ein
4 bis 6 Ellen langes , drei Finger breites , starkes Band oder Handtuch,
legt es so auf das Glied, so dass zwei Schlingen entstehen; auf jeder Seite
des Glieds hängt eine Schlinge und ein Ende des Bandes einander gegen-
über; hierauf führt man unter dem Theil weg jedes seiner Schlinge
gegenüberliegende Ende dieser zu , steckt es durch diese durch , zieht
es an und übergibt die Enden an Gehülfen oder bindet sie zusammen
und bildet dadurch eine Schleife , an der man die Gehülfen ziehen lässt.
Will man die gleiche Schlinge nur einfach machen, so bildet man nur
eine Schleife und steckt beide Enden durch diese. — Oder man bildet
mit dem mittleren Theil eines Bandes um das Glied einen losen Ring,
neben welchen die Bandenden herabhängen , führt dann ein Ende durch
den hängenden Theil des Rings und das andere Ende in entgegenge-
sezter Richtung zwischen jenem, dasselbe von hinten umgehend, und
Bürger,, Chirurgie. 54.
850 SCHROEPFEN.
dem Ringe durch. — Oder man fasst das Glied in eine halbe Schlinge,
so dass auf einer Seite desselben ein kürzeres und auf der andern ein
längeres Ende sich befindet , führt dann das längere Ende nach dem
kürzeren , um dieses herum , und wieder nach der andern Seite , bildet
hier eine freie Halbschlinge , geht dann mit dem längern Ende gegen das
kürzere um das Glied herum und durch die freie Halbschlinge. Die
Zugenden müssen" an die Seiten des Gliedes zu liegen kommen.
Schornsteinfegerkrebs, s. Ho den sack.
Schreibekrampf, s. Fingerkrampf.
Schröpfen, Applicatio cucurbitarum. Man unterschei-
det das unblutige oder trockene Schröpfen, Applicatio
cucurb. sine incisione, und das blutige Schröpfen, Appl. cu-
curb. cum incisione, Cucurbitae cruentae. — Das trockene
Schröpfen (Schröpfen im engern Sinne des Worts) besteht in einer
Anziehung von Blut nach irgend einer Hautstelle , welche dadurch ge-
schieht , dass man vermittels besonderer Apparate , worin eine Luftver-
dünnung bewirkt wird , gewissermassen einen Saugapparat in Anwendung
bringt. — Man benutzt das Schröpfen theils um eine örtliche Reizung
hervorzubringen , theils um örtliche Blutanhäufung zu bewirken und da-
durch entfernten Theilen Blut zu entziehen, oder um, wie bei vergifteten
Wunden, die Resorption des Gifts zu verhindern. — Die Apparate zum
Schröpfen sind sehr verschieden. Im Allgemeinen sind es hohle gläserne
oder metallene Gefässe mit einer OefFnung , womit dieselben aufgesezt
oder durch welche ganze Glieder gesteckt werden. Die Luft wird ent-
weder durch Wärme , oder durch Aussaugen , oder mittels eines beson-
dern Pumpwerks verdünnt. Ein kleineres Gefäss nennt man Schröpf-
kopf, Cucurbita, Ventosa, ein grösseres für die untern Extremi-
täten Schröpfstiefel. Die gewöhnlichen Schröpfköpfe sind ver-
schieden grosse , runde cylinderförmige Gefässe von der Gestalt einer
Glocke ; sie sind gewöhnlich von Glas , doch gibt es auch welche von
getriebenem Messing. Im Nothfall kann ein Tassenkopf oder ein Trink-
glas als Schröpfkopf benüzt werden. Der Schröpf- oder Blechstiefel
von J u n o d ist ein Apparat , welcher die Form eines Stiefels hat und
an seinem obern Ende mit einem schnürbaren Stück Leder versehen ist,
um ihn luftdicht um das Glied schliessen zu können ; unter dem Knie
ist eine Luftpumpe angebracht zur Entfernung der Luft. Die Wirkung
des Juno d'schen Verfahrens (H a e m o s p a s i e) ist eine kräftige. Aehn-
liche Apparate wie J u n o d haben Erpenbeck und B o n n a r d ange-
geben. — Die Application der Schröpfköpfe geschieht folgendermassen :
man steckt mehrere , vorher in warmes Wasser getauchte Schröpfköpfe
einzeln an die drei lezten Finger der linken Hand , fasst mit deren Dau-
men und Zeigefinger eine brennende Lampe , nimmt dann jeden Schröpf-
SCHROEPFEN. 85 1
köpf einzeln in die rechte Hand, benezt die Applicationstelle durch
kreisförmiges Reiben mittels des Schröpfkopfs, und macht nun denselben,
ihn einige Augenblicke über der Flamme der Lampe haltend , genügend
luftleer. Sobald man glaubt , dass das hinlänglich geschehen sei , stülpt
man ihn rasch und gleichsam mit einem Wurfe auf die bestimmte Stelle,
die vorher, wenn es nöthig ist, rasirt und in eine geeignete Lage ge-
bracht worden ist. Man hüte sich , ihn zu sehr zu erwärmen , da man
sonst dem Kranken unnöthige Schmerzen verursachen würde. Weitere
Verfahren der Luftverdünnung sind : Einlegen eines Kügelchens von
Werg , Flachs , Baumwolle etc. in den Grund des Schröpfkopfes und
Entzündung desselben , worauf lezterer im Augenblicke der stärksten
Verbrennung auf die Hautstelle gestürzt wird ; zur bessern Verbrennung
kann das Brennmaterial mit Spiritus befeuchtet werden ; Eintröpfeln ei-
niger Tropfen Aether in den Schröpfkopf und Entzündung desselben.
Man darf nicht besorgen , den Kranken zu verbrennen , indem der bren-
nende Körper im Augenblicke erlischt , wenn die Ventose auf die Haut
gesezt wird. Da die Luftverdünnung durch das Feuer oft sehr unvoll-
ständig ist, namentlich wenn die nöthige Uebung fehlt, so hat man an
dem Schröpfkopfe eine mittels eines Hahns verschliessbare Röhre ange-
bracht , an welche eine Saugpumpe angesezt werden kann. Einfacher
und weniger kostspielig ist der Schröpf köpf von W i e 1 a n d ; es läuft
dieser oben in eine kurze gläserne Röhre aus , die mit einer Blase zuge-
bunden ist ; beim Gebrauche wird diese leztere leicht eingestochen und
dann durch Saugen mit dem blossen Munde oder mittels eines elastischen
Saugrohrs die Luft aus dem Schröpfkopfe entfernt. Die Zahl der auf-
zusezenden Schröpf köpfe hängt von dem Operationszwecke ab. Man
applicirt 6 , 12 , 24 und noch mehr und nimmt sie, wenn eine gehörige
Congestion in den von ihnen bedeckten Hautpartien erzeugt ist , wieder
ab. Um eine stärkere Reizung zu bewirken , sezt man die Schröpf köpfe
wiederholt auf. Man entfernt den Schröpfkopf, indem man mit den
Fingerspizen die Haut am Rande desselben abdrückt , um die Luft wieder
eindringen zu lassen. — Bei Anwendung des Schröpfstiefels wird das
Glied in diesen hineingesteckt , derselbe mit dem Ring von Leder luft-
dicht verschlossen und vermittels der Luftpumpe mehr oder weniger luft-
leer gemacht. — Das blutige Schröpfen besteht in der Scarifica-
tion der durch die Schröpfköpfe bewirkten gerötheten Hügel. Dies ge-
schieht gewöhnlich vermittels des Schröpf s chn epp er s , kann aber
auch , namentlich wenn man eine bedeutende Blutentziehung bewirken
will , mittels des Bistouris geschehen. Der Schröpfschnepper wird , nach-
dem die Flinten nach Erforderniss mehr oder weniger stark vortretend
gestellt und die Feder des Schnäppers aufgezogen hat , auf die geröthete
Hautstelle fest aufgesezt und der Drücker dann losgedrückt. Beabsich-
tigt man eine starke Blutentziehung , so sezt man den Schnäpper noch
einmal in der Weise auf, dass die neuen Einschnitte die alten schräg
54*
852 SCHRUNDEDL.
oder rechtwinklig durchkreuzen. Nach geschehener Scarification sezt
man den Schröpf köpf, wie das erste Mal von Neuem auf und lässt ihn
so lange bis sein Raum zu zwei Dritttheilen mit Blut gefüllt. Nun nimmt
man ihn vorsichtig ab , giesst das Blut in ein bereit gehaltenes Gefäss,
reinigt das Glas und sezt es so oft wieder auf, bis der Blutfluss aufhört
oder bis man genug entzogen zu haben glaubt. Ist die Operation
vollendet, so wird die geschröpfte Stelle reingewaschen, abgetrocknet
und mit einer Compresse bedeckt oder freigelassen. — In ähnlicher
Weise wendet man die Blutsauger oder künstlichen Blutegel
an. Das bekannteste Instrument dieser Art ist das von Salandiere;
ein neueres ist von Alexandre.
Schrunden, Risse, Spalten, Rhagades (qayac, Spalte),
Fissurae nennt man lange schmale Verschwärungen , welche am häu-
figsten an den Händen und Füssen , dann aber auch an solchen Stellen
vorkommen , wo die äussere Haut mit der Schleimhaut , wie dies an den
Winkeln der Augenlieder , der Nasenflügel , des Mundes , an den Ge-
schlechtstheilen und am After geschieht , sich verbindet. — Als Ur-
sache nimmt man Temperaturwechsel und grobe Handarbeiten an. Dies
gilt besonders von den Hautspalten an den Lippen und Händen. Weit
öfter sind diese Risse Symptome einer tiefgewurzelten Syphilis , Scrophu-
losis oder leprösen Cachexie. Bei alten Leuten trägt die zunehmende
Sprödigkeit der Haut , bei hydropischen die übermässige Anspannung
derselben und bei stillenden Frauen die Zartheit der Brustwarzen ge-
wöhnlich die alleinige Schuld. Nach der ihnen zu Grunde liegenden all-
gemeinen Dyscrasie ändern sie ihren Character und erscheinen somit bald
als trockene Risse, bald als schmale längliche und nässende
Geschwüre, bald als weiche, bald als harte mit callösen
Rändern umgebene, bald als flache oder tiefe, als schmer-
zende oder schmerzlose Hautschrunden. — Sie sind unter
jeder Gestalt ein sehr unangenehmes , oft sehr beschwerliches , nie je-
doch ein gefahrdrohendes Uebel, wofern nicht die Gefahr mit der Grund-
krankheit gegeben ist. — Bei der Behandlung müssen wir zunächst
ihre Ursache zu beseitigen suchen , und daher auch in Uebereinstimmung
mit der innern Behandlung die äussere leiten ; haben sie gutartiges Aus-
sehen , so sind einfache , die Haut gelind und geschmeidig haltende Sal-
ben ausreichend; sind sie mit callösen und schmerzenden Rändern um-
geben , so empfehlen sich Bähungen aus erweichenden und narkotischen
Kräuterdecocten , so wie dergleichen Salben , wobei man auch wohl die
callösen Ränder mit dem Messer abträgt und die Theile reinlich hält.
Theden fand bei hartnäckigen Hautschrunden an der Hand Waschungen
mit einer scharfen Lauge aus buchener Holzasche von Nuzen , N ä d e -
1 i n lässt mit auffallend raschem Erfolg eine Mischung von Glycerin
mit Hirschunschlitt gebrauchen und nicht minder wirksam zeigt sich bei
SCHWAEMMCHEN. 853
Schrunden aus Kälte folgende Mischung : Jfy AI cohol s ulphur. 3j
Ol. papav. ^j. M. S. Die Hände früh und Abends zu bestreichen, neben
Tragen von Handschuhen. Ueber die Behandlung der Risse an den
Brustwarzen und dem After s. die Art. Brustwarzen, wunde, und
A ft er f i s s ur.
Schultergelenkentzündung ,Omarthrocace, durchläuft
die Stadien, wie die Coxalgie. — Im Anfange zeigt sich ein ziehender
Schmerz , der in der Nähe der Achselhöhle von der vordem untern
Fläche des Schultergelenks beginnt und sich an der innern Seite des
Oberarms bis zur Ellbogenbeuge erstreckt und sich bei Bewegungen und
Druck wie auch bei Nacht vermehrt; dabei ermüdet der Arm leicht
Dieser Zustand kann Wochen , oft Monate lang dauern , bis sich endlich
das Gefühl der Ermüdung so steigert , dass es an Lähmung grenzt und
selbst die Berührung der Kleider Schmerzen verursacht. Dabei beugt
sich der Arm im Ellbogengelenk , steht vom Körper ab und ist schlaff
und abgemagert. Untersucht man nun die kranke Schulter, so findet
man sie tiefer stehend, weniger abgerundet und man fühlt den Gelenkkopf
in der Achselhöhle ; der kranke Arm erscheint länger. Jm weitern Ver
laufe, der Krankheit geht der Zustand von Subluxation in wirkliche Aus-
renkung über , womit die gewölbte Form der Schulter ganz verschwindet,
das Acromion stärker hervortritt und der Gelenkkopf tiefer in der Achsel-
höhle gefühlt wird. Indem dieser dann allmälig nach oben gegen das Schlüs-
selbein weicht, wird der Arm etwas verkürzt und nach hinten gerichtet.
Die örtliche Entzündung geht endlich in Eiterung über ; die Weichge-
bilde der Schulter schwellen bedeutend an , der Eiter bildet sich einen
Weg nach aussen und es entstehen fistulöse Gänge. Es kommt zur ca-
riösen Zerstörung des Oberarmkopfs, der Gelenkhöhle der Rippen etc.
und die eintretende profuse Eiterung zehrt die Kräfte des Kranken auf.
In glücklichen Fällen bildet sich ein neues Gelenk für den Oberarmkopf
oder Ankylose desselben mit dem Schulterblatte. — Ursachen, Pro-
gnose und Behandlung kommen mit denen bei der Coxalgie über-
ein. — Die Resection des kranken Kopfes bietet hier noch mehr Aussicht
auf einen glücklichen Erfolg , als bei der Coxalgie.
Schwänimchen, A p h t h a e (a<p#cu, von utttttcö, ich entzünde)
sind kleine weissliche Bläschen, welche auf der innern Schleimhaut, be-
sonders der Mundhöhle , entstehen , auf einem dunkelrothen entzündeten
Grunde sizen , schnell in schwammige weisse Borken übergehen und sich
sodann gewöhnlich nach einigen Tagen abschuppen. Dieses Uebel,
welches am häufigsten bei ganz kleinen Kindern , aber auch bei Erwach-
senen vorkommt , nimmt gewöhnlich seinen Ursprung aus gastrischen Un-
reinigkeiten ; Säure im Magen , schlechte Milch , Unreinlichkeit der Haut
und dadurch gestörte Funktion derselben , verdorbene feuchte Luft,
schneller Wechsel der Temperatur , vernachlässigte Reinigung des Mun-
854 SCHWAEMMCHEN.
des , das beständige Liegenlassen der Schlozer , das Liegenlassen des
Kindes an der Brust der Mutter, wenn dasselbe auch nicht trinkt, z. B.
im Schlafe etc. erzeugen dieses Uebel bei neugeborenen Kindern am
öftersten. — Oft brechen die Schwärnmchen ohne vorhergegangenes Un-
wohlsein aus, zuweilen gehen ihnen gastrische Affectionen und auch Fie-
ber voran. Im Anfange sind es nur wenige Bläschen und weissliche
Borken , bei weiterem Fortschreiten des Uebels aber werden die Zunge,
die innere Seite der Lippen etc. dicht mit ihnen bedekt. Die Kinder
saugen nun nicht mehr, indem sie wohl die Brustwarzen ergreifen, sie
aber schnell wieder loslassen , auch ist das Schlingen erschwert und die
Kranken empfinden einen brennenden Schmerz in der Mundhöhle , welche
auch heiss und trocken wird. Waren bisher keine gastrischen Er-
scheinungen vorhanden, so gesellen sie sich nunmehr hinzu, bestehend
in Erbrechen von saurem Magensaft, Empfindlichkeit der Magengegend,
Koliken , Durchfällen. Zuweilen wird die Stimme heiser und es stellen
sich selbst Schluchzen und Zuckungen ein. — Zuweilen beschränken sich
die Schwämmchen nicht auf die Mundhöhle , sondern verbreiten sich
auch bis in die Rachenhöhle, die Speiseröhre, auch hat man sie auf der
innern Fläche des Magens, des Darmkanals bis in den After angetroffen.
— Gewöhnlich schuppen sich die Schwämmchen in wenigen Tagen ab,
ohne dass so bedeutende Zufälle erregt worden sind ; nach der Ab-
stossung der Borken bleibt nur noch einige Zeit eine rothe, empfindliche
Stelle zurück. Den Tod können Schwämmchen herbeiführen durch Er-
schöpfung der Kräfte in Folge der Durchfälle, des Erbrechens und der
almiäligen Abmagerung , wie auch durch den Uebergang in den nervösen
putriden Zustand , wobei sie eine dunkle und selbst schwärzliche Farbe
annehmen. Zuweilen tödten sie auch durch Erregung von Zuckungen.
— Die Schwämmchen sind entweder eine blos örtliche Krankheit des
Mundes oder sie sind Symptome gastrischer Unreinigkeiten , galliger
Fieber oder eines scorbutischen putriden Zustandes , oder abzehrender
erschöpfender Krankheiten , oder einer krankhaften Reizung der Speichel-
drüsen , zuweilen auch eine kritische Erscheinung in catarrhali sehen Af-
fectionen. Daher ist die Prognose bei dieser Kranheit verschieden;
im Allgemeinen sind die Schwämmchen bei Erwachsenen stets eine be-
denklichere Erscheinung als bei Kindern ; die zu Grunde liegende Aff'ec-
tion kommt bei der Prognose hauptsächlich in Betracht. — Die Be-
handlung ist theils örtlich, theils allgemein gegen die Ursachen ge-
richtet. Liegt Mangel an Reinlichkeit des Mundes zu Grunde , so sorge
man dafür durch fleissiges Auswaschen mit kaltem Wasser oder einem
Aufgusse von Herba serpylli, salviae, malvae, ausserdem be-
streicht man die krankhaften Stellen mit Rosenhonig, Honig oder Maul-
beersyrup rein oder mit einem Zusaz von Borax, z. B. B o r a c. 5j-,
Meli, rosat. ^j. M. D. S. Mundsaft, und wenn dies nicht genügen
sollte , von verdünnter Schwefel - oder Salzsäure Czu 10 — 2 0 Tropfen
SCROPHELKRANKHEIT. 855
auf ^j Saft) oder von Alaun oder Zinkvitriol (von ersterem ^j — 5ß, von
lezterera gr. x auf ^j Saft). In hartnackigen Fällen erweist sich nach
Trousseau eine Auflösung von 5 Gramm, carbonisirtem salpetersauren
Silber in 3 0 Gramm. A q. destill., womit man die kranken Stellen be-
pinselt, sehr nüzlich. Sind die Seh wammchen missfarbig, so wählt man
vorzüglich die genannten Mineralsäuren, so wie auch Chlor, z. B. Rp.
Aq. oxymuriat. ^ß, Syr. alth. ^j. S. Pinselsaft, und sezt auch den
genannten Säftchen etwas Chamillen- oder Chinaextract zu. Innerlich
gibt man den Kindern säuretilgende und gelind abführende Mittel , Ma-
gnesia , und Rhabarber, Manna ; daneben eine nicht zu reichliche , aber
gute Nahrung. Bei Erwachsenen richtet sich die Behandlung nach der
den Schwämmchen zu Grunde liegenden Affection.
Schwerhörigkeit, s. Ohrenkrankheiten.
Scrophelkrailkheit, S c r o p h e 1 n, S c r o p h e 1 s u c h t, S er o-
phulosis. Hierunter versteht man eine auf einer bestimmten, aber
noch durchaus unbekannten Beschaffenheit des Blutes (Scropheldyscrasie)
beruhende Krankheit. Die meisten Aerzte halten Scropheln und Tuber-
kel für identisch ; sicher wenigstens ist es, dass Scropheln und Tuberkeln
in vielen wesentlichen Punkten völlig übereinkommen. — Die Anlage zu
Scropheln ist theils angeboren, theils erworben. Die Nachkommen kränk-
licher Eltern, welche erst in spätem Jahren Kinder zeugten , selbst scro-
phulös, syphilitisch oder gichtisch waren, oder an der Lungenschwindsucht
litten. Erworben wird die Scrophelkrankheit durch unzweckmässige phy-
sische Erziehung, Mangel der Muttermilch, Auffüttern mit Mehlbrei, durch
Unreinlichkeit, Feuchtigkeit, Kälte, unreine Luft, durch Mangel an Fleisch-
hahrung, Uebermass von Kartoffeln und Brod. — Die Anlage zu Scro-
pheln gibt sich zu erkennen durch schwächlichen Körperbau, schwache
Muskeln, blasse Gesichtsfarbe, Neigung zum Schnupfen, Husten und ga-
strische Unordnungen. Die schon in der Entwicklung begriffene Scro-
phulosis schliesst man aus einem aufgetriebenen Bauche , wenig entwik-
keltem Thorax, einer aufgetriebenen Nase, geschwollener Oberlippe, blei-
cher unelastischer Haut , Verlangen nach Brod und Kartoffeln , Neigung
zu intercurrenten Fiebern , zu Verstopfung , Trägheit oder leichter Ermü-
dung. Diese Erscheinungen werden modificirt durch das Temperament,
die Lebensweise und Erziehung der Kinder ; phlegmatische Naturen wer-
den noch träger, sanguinische dagegen zeigen nicht selten verfrühte gei-
stige Entwicklung ; hierauf gründet sich die Eintheilung der Scropheln
in eine torpide und erethische Form. — Im weiteren Verlaufe
entstehen Anschwellungen der lymphatischen Drüsen, theils der Mesente-
rialdrüsen ,' theils auch vorzüglich der am Halse gelegenen Lymphdrüsen,
die erstem kommen besonders vor, wenn die Scropheln Folge unzweck-
mässiger Nahrung, derUeberfüllung des Darmkanals mit rohen und schwer
verdaulichen Stoffen sind. Die Drüsenanschwellungen am Halse, welche
856 SCROPHELKRANKHEIT.
meist mit einer Blennorhoe der Nasenschleimhaut verbunden sind, entste-
hen theils unter deutlichen Entzündungszufällen , theils ganz allmälig
ohne dieselben. Anfangs bestehen dieselben in einer hypertrophischen
Anschwellung, im weitern Verlaufe kommt es zur Ablagerung einer gelb-
lich grauen Substanz von der Consistenz eines weichen Käses in der Sub-
stanz der Drüse (scrophulöse Tuberkelmaterie), welche oft lange Zeit da-
rin lagert, ohne die Tendenz zur Ausstossung zu erregen, dann aber ent-
weder Eiterung veranlasst und langsam ausgeleert wird oder in Verkreidung
übergeht. — Aus diesen Drüsentuberkeln bilden sich die meisten scro-
phulösen Abscesse und Geschwüre, welche sich auszeichnen durch
unregelmässige , unterminirte blaue Ränder , einen schwammigen Grund,
Secretion von dünnem der geronnenen Milch ähnlichem Eiter und durch
hässliche Narbenbildung, wie man -sie vorzüglich am Halse finden kann.
Bei der erethischen Form der Scropheln sind diese Geschwüre meist von
lebhaften Entzündungserscheinungen begleitet und haben, wenigstens an-
fänglich, einen fressenden Character. — Weitere Localaffectionen sind
Hautausschläge , die sich an verschiedenen Körperstellen , besonders im
behaarten Theil des Kopfs zeigen , in Gestalt von Knoten und Pusteln,
namentlich bei unreinlich gehaltenen Kindern auftreten , und eine eigen-
tümliche , durch grosse Lichtscheu ausgezeichnete Augenentzündung.
Bei weiterem Fortschreiten der Krankheit werden sehr oft die Knochen
ergriffen ; eine auftretende Periostitis endet gewöhnlich mit Eiterung,
consecutiver Caries und Nekrose , Ablagerung neuer Knochenmasse zwi-
schen dem Periost und dem Knochen. Nicht selten werden die Gelenke
befallen , wobei gewöhnlich ein chronisch entzündlicher Character vor-
herrscht ; hat die Phlegmasie ihren Siz in den oberflächlichen Partien um
die Gelenke herum, so entstehen Abscesse und Geschwüre; wird die Sy-
novial rnembr an ergriffen , so verdickt sie sich , es entsteht Vascularität,
Eiterbildung, fungöse und fibrös-plastische Ablagerung mit den weiteren
Folgen der Gelenkeiterung. — Die chronisch entzündeten Schleimhäute
können ebenfalls in Verschwärung übergehen; durch Ausbreitung der
Versch wärung der Schneide r'schen Haut auf die Nasenknorpel können
diese zerstört werden. — Die Schleimhaut des Darmkanals wird nicht
selten geschwürig ; es entstehen eiterig-blutige Abgänge, welche den Tod
zur Folge haben können. — Haben sich bei sehr schwachen scrophulösen
Individuen erst Geschwüre in grösserer Zahl gebildet, so kann sich zu derscro-
phulÖsenDyscrasie noch die eiterige hinzugesellen, wodurch die bei den Scro-
phulösen so häufigen kalten Abscesse entstehen. — Die gefährlichste Art der
Ablagerung des Tuberkelstoffs ist die auf die Lungen , welche zur Lun-
genschwindsucht die Veranlassung gibt. — Prognose. Bei der Vor-
hersage hat man alle Verhältnisse genau ins Auge zu fassen, um sie mit
einiger Sicherheit stellen zu können. Alter und Constitution des Kran-
ken, Grad der Ausbildung der Krankheit, Wichtigkeit des ergriffenen Or-
gans, Kräftezustand des Kranken, äussere Verhältnisse und Complicationen
SCROPHELKRANKHErT. 857
spielen die wichtigste Rolle. — Die Prognose ist nicht ungünstig, wenn
die Grundverhältnisse beseitigt werden können, wozu mannigfache Mittel
zu Gebote stehen. Im Speciellen hängt die Prognose von dem Grade
der Ausbildung und den verschiedenen Affeetionen selbst ab. Schleim-
hautscropheln , Hautausschläge (mit Ausnahme des Lupus) sind leichter
zu beseitigen, als Drüsen- und Knochenscropheln. Günstiger ist die Pro-
gnose , wenn die Scropheln erst in spätem Jahren ausbrechen , und man
sie als erworbene erkennt, als solche im ersten oder auch im zweiten Le-
bensjahre , wo erbliche Anlage mit im Spiele ist. Die torpide Form ist
schwieriger zu beseitigen, als die erethische, auch macht sie gern Reci-
dive. — Behandlung. Diese muss vorzugsweise diätetisch sein ;
ohne diese helfen Arzneien nichts. Bei erethisch Scrophulösen passt eine
milde, mehr vegetabilische , bei torpid Scrophulösen eine etwas reizende,
mehr animalische Nahrung in hinreichender , aber nicht übermässiger
Quantität. In beiden Fällen sind der Genuss reiner Luft, tägliche Bewe-
gung , warme Bekleidung , Regelmässigkeit der ganzen Lebensweise und
häufiges Baden in lauem Wasser , Salzwasser , Kräuteraufguss, Malz-
absud, Schwefel- oder Eisenwasser von der günstigsten Wirkung. Durch
pharmaceutische Mittel sucht man besonders die einzeln hervortretenden
Erscheinungen der Scrophelkrankheit zu beseitigen. Zu dem Ende reicht
man bei vorwaltender Schwäche der Digestionsorgane, mangelhafter Assi-
milation und Ernährung Amara, wie Columbo, Gentiana, Hopfen etc., so
so wie die leichteren Eisenpräparate, Leberthran etc. ; bei grosser Schlaff-
heit der Theile und profusen Secretionen, namentlich Schleimflüssen, passen
adstringirende Mittel, Wallnussblätter, Tannin, Eichelkaffee u. dgl. ; bei
vorwaltender Schärfe einzelner Secretionen sind Säure tilgende Mittel,
wie Alealien, kohlensaure Magnesia, präparirte Austernschalen u. dgl. an-
gezeigt ; bei grosser Reizbarkeit des Nervensystems und aufgeregtem Ge-
fässzustande gibt man beruhigende und besänftigende Mittel, Digitalis,
Cicuta, Bilsenkraut , Blausäure etc. ; bei Anschoppungen in den Lymph-
drüsen, pathologischen Ausscheidungen auf die äussere Haut, müssen re-
solvirende Mittel gereicht werden. Unter diesen sind die Alealien, Salze
in Verbindung mit auflösenden bittern Mitteln , besonders aber die Anti-
monial-, Quecksilber- und Jodpräparate und der Schwefel die vorzüglich-
sten. Jod passt nur bei torpiden Individuen und zwar ist das Jodkali
geeigneter, als das Jod selbst ; die gefahrloseste Anwendung des Jods ist
die durch den Gebrauch des Leberthrans. Die jod- und bromhaltigen
Mineralwasser erweisen sich gleichfalls von Nuzen , wie auch künstliche
Jodbäder. — Bei scrophulösen Entzündungen, z. B. bei Augen- oder Ge-
lenkentzündungen wendet man, um der ulcerösen Zerstörung der ergriffe-
nen Organe vorzubeugen , Ableitungsmittel auf den Darmkanal und die
Haut an. In dieser Absicht zieht man Blasenpflaster, Einreibungen von
Brechweinsteinsalbe , Abführungen von Calomel und Jalappe oder Senna-
infus mit Magnesia sulph urica neben den gegen das Grundübel
858 <" SEHNENZEKREISSUNG.
gerlcbteteji Mitteln in Gebrauch. — Drüsenanschwellungen
sucht man theils durch die allgemeinen Mittel und durch Warra-
halten , theils durch Einreibungen von Unguent. d i g i t a 1 i s , m e r -
curiale, Chlorkalkfomente, das Empl. cicutae, mercuriale,
Empl. saponis mit Camphor , Jodsalbe zu zertheilenj daneben Salz-,
Schwefel- und Sublimatbäder. — Die scrophulösen Geschwüre
müssen nach ihrem Vitalitätszustande behandelt werden. Der entzünd-
liche Zustand derselben erheischt ein örtliches antiphlogistisches Verfah-
ren durch kalte Umschläge, Blutegel und die oben angeführten Abführ-
mittel. Gewöhnlich sind diese Geschwüre der Mehrzahl nach torpid und
nehmen dann eine reizende Behandlung in Anspruch; man verbindet sie
in diesem Fall mit trockener Charpie oder mit Aqua nigra, phage-
daenica, Chlorkalk- , Sublimat- , Chlorzink- oder Höllensteinsolution,
Jod in Auflösung oder Salbenform, Decocten von Eichen-, Kastanien-,
Rhabarberrinde, einem Aufguss von Wallnussblättern. Erschlaffende und
fette Salben sind nachtheilig. Sind die Geschwüre sinuös und in der
Umgebung verhärtet, wie gewöhnlich bei den Drüsengeschwüren, so müs-
sen die halbabgestorbenen Ränder sternförmig bis an die gesunde Haut
eingeschnitten oder völlig abgetragen werden. — Fressen die Geschwüre
sehr um sich, so betupft man dieselben mit Höllenstein oder Opium-
tinktur. — Die mancherlei Hautausschläge, die sich zu der Scro-
phelsucht gesellen, weichen dem innern Gebrauche von Aethiops m i-
n e r a 1 i s, blutreinigenden Getränken aus J a c e a, S t i p i t. d u 1 c a m a r.
u. dgl. und einer guten Diät. — Die Behandlung der scrophulösen
Knochenkrankheiten besteht in der Darreichung der Antiscrophu-
losa mit Asand, von Leberthran etc. und in Bädern, die mit Sabina und
Acorus wirksamer gemacht werden.
SehnenzerreisSimg , Rupturatendinum. Diese verhält
sich im Allgemeinen, wie eine Sehnenwunde (s. den Art. Wunde). Am
häufigsten kommt die Z e r r e i s s u n g der Achillessehne vor. Sie
kann vollständig oder unvollständig sein. Im lezteren Falle klagt der
Kranke über heftigen Schmerz, welcher lange anhält , bei der Streckung
des Fusses sich mindert und bei der Beugung desselben zunimmt. An
der Stelle des Risses fühlt man eine kleine Querfurche. Ist die Sehne
ganz durchrissen , so hört der Kranke im Augenblicke der Zerreissung
einen Knall , er hat ein Gefühl , als wenn er in ein Loch in dem Boden
getreten wäre , das Fussgelenk nimmt den höchsten Grad von Beugung
an und kann nicht gestreckt werden. Bei der Untersuchung findet man
die beiden Sehnenenden von einander abstehend, und zwischen denselben
eine Vertiefung, welche bei der Beugung des Fusses breiter wird und sich
durch die Beugung des Knies und Streckung des Fusses verkleinert ; die
WTade ist in die Höhe gezogen. ■ — Die Ursache ist meistens ein Fehl-
tritt oder Fehlsprung , wobei der Schwerpunkt hinter den Ruhepunkt des
Körpers fällt und nun durch die kräftigste Muskelanstrengung das Zu-
SEHNENZERREISSUNO. 859
rückfallen des Körpers verhütet werden soll. — Die Prognose ist nicht
schlecht. — Die Behandlung besteht in der gegenseitigen Annähe-
rang der beiden Sehnenenden und in der Erhaltung dieser Lage bis zur
Verheilung derselben. Dieser Indication entspricht die Beugung des
Unterschenkels , die Ausstreckung des Fusses und die Verminderung der
Contraction der Wadenmuskeln. Dieser Absicht entsprechen zwei Gat-
tungen von Verbänden , die Einwieklungen und die S c h u h - oder
Pantoffelverbände. — Unter den Einwieklungen nimmt der Ver-
band von Wardenburg die erste Stelle ein. Er besteht in Folgendem:
der Fuss wird hinreichend, jedoch nicht stark gestreckt, das Kniegelenk
sehr massig gebogen und die Vertiefungen um die Sehne mit Charpie
ausgefüllt. Dann legt man an die Beugeseite des Gliedes eine Longuette,
welche von der Kniekehle bis über die Zehen hinausreicht und befestigt
sie durch eine drei Finger breite Binde , mit welcher man den Unter-
schenkel, nachdem man vorher einige Zirkelgänge über der Wade ge-
macht hat, von oben herunter einwickelt bis zu der Stelle der Verlezung,
wo man die Binde beendigt. Wenn die Wadenmuskeln stark zurückge-
zogen sind, so legt man unter die ersten Bindengänge einige dicke Com-
pressen, um die Muskeln mit grösserer Kraft zu comprimiren. Nachdem
die Longuette straff angezogen ist , umwickelt man sie„ und die Wurzeln
der Zehen einige Male mit einer zweiten Binde , schlägt das Ende der
Longuette um, befestigt es mit einigen Zirkelgängen, steigt dann mit
Hobelgängen bis zu den Knöcheln und endlich mit einer oder zwei Tou-
ren über die obere Binde hinweg. Zwei starke Schienen, von denen die
eine in die Kniebeuge , die andere auf den Bücken des Fusses zu liegen
kommt , sichern die Stellung des Gliedes. Dieses wird auf ein Polster
auf die Seite gelegt. Das Bestreichen dieses Verbandes mit Kleister gibt
ihm mehr Festigkeit. - — Aehnliche, aber in ihrer Wirkung unzuverlässi-
gere Verbände haben angegeben : Petit, B o y e r, Mursinna, U y 1-
hörn, welcher leztere statt der Binden Heftpflasterstreifen benüzt. —
Die P ant o f f el v er b an de bestehen im Allgemeinen aus einem vorn
offenen Schuh, dessen Hintertheil mit einem am Knie umgelegten Gurte
durch Riemen in Verbindung steht; auf diese Weise sind die Verbände
von Petit, Ravaton und Monro beschaffen. Bei einem von v. Gräfe
angegebenen Verbände steht der Pantoffel durch eine stellbare Eisen-
stange mit einer gepolsterten Blechschiene in Verbindung , welche aus
zwei durch ein Charnier mit einander verbundenen Stücken besteht und
welche die hintere Fläche des Oberschenkels und die Wade einnimmt.
Diese Vorrichtung erlaubt eine beliebige Streckung des Fusses und Beu-
gung des Knies, während das Wadenstück der Schiene den Zusammenzie-
hungen der Wadenmuskeln entgegenwirkt. Diesen Verband , welcher
allen Indicationen entspricht, trägt der Kranke bis zur festen Vereinigung,
wozu 3 bis 4 Wochen erforderlich sind , worauf noch einige Zeit ein
Schuh mit hohem Absaz getragen wird. — Eine zweckentsprechende,
860 SENKUNGSABSCES8.
aber complicirte Vorrichtung hat Delpech angegeben, während ein von
Major herrührender Verband den höchsten Grad von Einfachheit, aller-
dings auf Kosten seiner Brauchbarkeit, darbietet. Eine Tuchbinde wird,
nachdem dem Gliede die nöthige Stellung gegeben ist , mit ihrer Mitte
auf die Rückenfläche des Fusses gelegt, die Enden auf die Fusssohle ge-
führt, da gekreuzt , dann an der hintern Fläche des Unterschenkels zum
untern Theile des Oberschenkels geleitet und daselbst an eine über dem
Knie herumgebundene Tuchbinde befestigt. — Auf die Wirkung der
Wadenmuskeln ist bei diesem Verbände keine Rücksicht« genommen.
Senkungs- oder Congestionsabseess , Abscessus
congestivus s. per congestionem. Man versteht darunter Eiter-
ansammlungen , welche nicht da entstanden sind , wo sie zum Vorschein
kommen , sondern an einem von dieser Stelle mehr oder weniger entfern-
ten Orte. Die Gegenwart des Eiters ist daher ein Symptom eines ander-
weitigen Leidens, weshalb diese Eiteransammlung auch den Namen sym-
ptomatischer Abscess führt. Dieser Abscess kommt zu Stande,
indem sich der Eiter da, wo er gebildet wird , nicht nach aussen oder in
eine Höhle entleeren kann und sich dann vermöge seiner eigenen Schwere
in die tiefer gelegenen Theile, meistens nach dem Verlaufe der Muskeln,
Gefässe und Nerven senkt. Der Eiter legt oft einen sehr langen Weg
zurück und läuft bei sich darbietenden Hindernissen zuweilen in entge-
gengesezten Richtungen aus , in welcher Beziehung man diese Eiteran-
sammlung auch Verbreitungsabscess genannt hat. — Diese Abs-
cesse kommen am häufigsten an der untern Körperhälfte , namentlich in
der Regio inguinalis, femoralis, lumbalis,perinaealis,
s a c r a 1 i s etc. vor, doch zuweilen auch am Halse, zwischen den Schulter-
blättern, selten am Schädel. — Der Siz des Abscesses ist immer das Zell-
gewebe, der des Eiterherdes meist in den Knochen, namentlich der Wir-
belsäule. — Symptome. Allgemeine Erscheinungen, welche auf einen
stattgehabten Eiterungsprocess hindeuten , gehen der Bildung der Sen-
kungsabscesse immer voraus, sie sind aber meist so unmerklich , dass sie
unbeachtet bleiben ; so ein drückender, stechender Schmerz, Taubheit des
Theils. Kommt die Eiteransammlung zu Tage, so zeigt sie sich als eine
langsam wachsende, weiche, fluctuirende, schmerzlose, halbkugelförmige
Geschwulst mit unveränderter Hautfarbe. Durch Druck oder nach der
Lage des Kranken kann die Geschwulst verkleinert oder vergrössert wer-
den. Beim ferneren Verlaufe des üebels nimmt die Geschwulst an Grösse
zu, die Hautdecken werden entzündet, verdünnen sich und werden endlich
durchbrochen. Der Inhalt, der sich in grösserer Menge zeigt, als es die
Grösse der Geschwulst erwarten Hess , besteht aus einem weniger guten,
grauröthlichen Eiter, vermischt mit Zellgewebe, erdigen Bestandteilen,
zuweilen abgestossenen Knochentheilen. — Der Aufbruch solcher Abs-
cesse ist häufig mit bedeutenden Folgen verknüpft ; meistens tritt in Folge
SPEICHELDRUESEN, KRANKHT. DERS. 861
des Lufteintritts ein copiöser Eiterfluss ein , der Eiter wird dünner, stin-
kend, jauchig; die Verdauung leidet, der Appetit schwindet und es stellt
sich hektisches Fieber ein, das, ist der Grund des Uebels nicht zu besei-
tigen , unter den allgemeinen Symptomen der Colliquation und Wasser-
sucht dem Leben des Kranken ein Ziel sezt. — Ursachen. Diese sind
immer Eiterung , Verschwärung oder Verjauchung eines tieferliegenden
Theils, Tuberculosis, meistens Caries eines Knochens, am häufigsten der
Wirbel, doch auch der Schädelknochen, der Rippen, des Brustbeins etc.
— Prognose. Sie ist ungünstig, weil der Grund des primären Uebels
gewöhnlich ein constitutionelles Leiden ist , meistens hektisches Fieber
eintritt , und durch den Eiter noch andere Theile zerstört werden. —
Behandlung. Die hauptsächlichste Aufgabe der Behandlung muss
sein, die Quelle des Eiters zu vernichten. Zu diesem Behufe sucht man
die Kräfte des Kranken möglichst zu erhalten und zu stärken. Betreffs
der localen Behandlung sucht man durch kräftige Ableitung eineUmstim-
mung in dem erkrankten Theile herbeizuführen. In dieser Absicht sezt
man in der Nähe des Eiterherdes eine Fontanelle, oder wendet das Aez-
mittel oder das Glüheisen an , und unterhält längere Zeit eine Eiterung ;
den Aufbruch des Abscesses sucht man möglichst lange zu verhindern,
was durch Ansezen von Blutegeln , Auflegen von Bleiwasser , durch ein
von Zeit zu Zeit gegebenes Abführmittel und Ruhe ins Werk gesezt wird.
Hierdurch gelingt es zuweilen, den drohenden Aufbruch zu verhüten und
den Kranken entweder ganz herzustellen, oder doch Jahre lang am Leben
zu erhalten. Der Eiter im Abscess vertrocknet dabei entweder zu einer
käseartigen Masse, oder es bricht dieser erst auf, nachdem die Caries be-
reits geheilt ist oder so abgenommen hat, dass die dadurch erzeugte Ab-
sonderung in einer die Kräfte nicht aufreibenden Menge statt hat. — Ist
der Aufbruch nicht mehr zu verhüten , so ist die künstliche Eröffnung
des Abscesses angezeigt , der aber nicht auf einmal entleert werden darf,
und wobei jeder Lufteintritt in seine Höhle verhindert werden muss. Dies
erreicht man dadurch, dass man den Stich entweder subcutan macht , in-
dem man das Messer unter der Haut fortschiebt , den Einstich macht,
dann die Haut wieder los lässt , oder endlich den Einstich unter Wasser
macht. Auch mit einem kleinen Troicart kann die Eröffnung vorgenom-
men werden ; nur muss man die Vorsicht beobachten, das Stilet nur lang-
sam zu entfernen, und erst dann, wenn der Eiter demselben gefolgt ist;
noch sicherer geht man , wenn man sich hierzu eines Ventiltroicarts (s.
Punction) bedient. Nach geschehener Entleerung schliesst man so-
gleich die Oeffnung und macht Umschläge von Bleiwasser. Der Eiter
sammelt sich nach kürzerer oder längerer Zeit wieder an und kann auf
ähnliche Weise noch öfter entleert werden. Ist spontaner Aufbruch er-
folgt, so verfährt man nach allgemeinen Regeln.
Speicheldrüsen, Krankheiten derselben. Von den
862 SPEICHELDRUESEN, ENTZUENDUNG DERS.
Speicheldrüsen erkrankt die Parotis am häufigsten und hier tritt gern Ent-
zündung mit ihren Folgen auf; auch kann diese Drüse der Siz sehr ver-
schiedener Geschwülste sein , und zwar gutartiger , wie Balggeschwülste,
Faser- und Fettgeschwülste, besonders aber Enchondrome, und bösartiger,
wie Krebsgeschwülste.
Entzündung der Ohrspeicheldrüse, Inflamm a t i o
glandulae parotidis, Parotitis (ttuqwtiq , von ttuqu, , neben
und 01/^, wrog, das Ohr), auch Angina s. Cynan che parotid ea,
Mumps, Bauernwezel, Ziegenpeter genannt, ist, mit Ausnahme
der Fälle von directer Verwundung , stets von einer allgemeinen Erkran-
kung abhängig oder doch mit ihr im innigsten Zusammenhange. —
Symptome. Die Krankheit kündigt sich gewöhnlich durch catarrha-
lische Zufälle, wiederholte Schauer, Mattigkeit, Gliederschmerzen etc. an.
Bald darauf stellt sich Anschwellung einer oder beider Ohrspeicheldrüsen
ein , die sich meistens nicht auf diese beschränkt , sondern auch auf die
Sübmaxillar- und Sublingualdrüsen und zuweilen selbst auf die Mandeln
sich erstreckt. Die Geschwulst erscheint mehr ödematös als prall und
erstreckt sich vom äussern Ohr zu den Seitentheilen des Halses. Die
Haut über der Geschwulst behält gewöhnlich ihre natürliche Farbe, oder
sie ist schwach rosenartig entzündet und glänzend und brennend heiss.
Die Schmerzen steigen mit der Zunahme der Geschwulst und werden
durch Bewegung des Unterkiefers vermehrt ; meistens ist damit einiges
Fieber verbunden. — Die Krankheit hat bald mehr einen acuten , bald
mehr chronischen Verlauf. — Ursachen. Das Leiden tritt häufig
epidemisch auf, namentlich bei feuchtem, nasskaltem, veränderlichem
Wetter und befällt vorzugsweise Kinder, seltener junge Leute. Die
hauptsächlichste Veranlassung zu ihm gibt daher Erkältung, doch tritt
dasselbe auch bei der Mercurialkrankheit , in Folge zurückgetriebener
Hautausschläge , äusserer Gewalttätigkeiten etc. auf. Nicht selten er-
scheint es im Gefolge von typhösen Fiebern, oft mit, oft ohne Besserung
derselben. — Ausgänge. In der Regel endigt die Krankheit in Zer-
theilung, selten in Eiterung und Verhärtung. — In sehr
schweren Fällen mit heftigem Fieber erfolgt gern eine Versezung;
es verschwindet nämlich die Ohrendrüsengeschwulst , und nach einem
neuen Fieberanfalle mit heftigem Frost bildet sich bei Männern eine ent-
zündliche Anschwellung der Hoden, bei Weibern der Schamlefzen und
Brüste mit Jucken und Brennen in diesen Theilen und Schmerzen in den
Lenden und dem Schoosse ; oder die Entzündung wirft sich auf andere
Theile, es entsteht Schlafsucht, heftiges Kopfweh, Irrereden, Affectionen
der Brust, Erbrechen, allgemeine Hautwassersucht. Manchmal bleibt die
Entzündung der Parotis neben jener der Genitalien fortbestehen, zuweilen
wechselt das Leiden dieser mit den Kopfzufällen ab. — Prognose.
Sie ist in den leichteren Graden der Krankheit im Allgemeinen günstig,
in höheren Graden und bei erfolgten Versezungen auf die Geschlechts-
SPEICHELDRUESENEXSTIRPATION. 863
theile zweifelhaft oder bedenklich, bei Versezangen auf das Gehirn , die
Lungen, den Magen, die Gedärme gefahrlich zu stellen. Die im Anfange
der typhösen Fieber auftretende Entzündung der Ohrspeicheldrüse (sym-
ptomatische Parotitis) gibt eine schlechte, die sich gegen das Ende
derselben entwickelnde , die kritischer Natur ist , dagegen eine gute
Prognose. — Behandlung. In gelinderen Graden erfolgt die Zer-
theilung gewöhnlich leicht unter Anwendung trockener Wärme mittels
gewärmter Tücher, Flanell, Watte oder Kräutersäckchen und leichter dia-
phoretischer Mittel. Bei höheren Graden von Entzündung , heftigen
Schmerzen und grösserer Ausdehnung der Geschwulst zieht man allge-
mein und örtlich antiphlogistische Mittel in Gebrauch , wie Aderlässe,
Blutegel, Einreibungen der Quecksilbersalbe, erweichende Umschläge etc.
Ist der Kranke aber sehr schwach , neigt das Fieber mehr zum typhösen,
so gibt man leichte Aufgüsse, von Valeriana, Melisse mit Minderer's Geist,
Camphor etc. — Wenn die Entzündungszufäile verschwunden sind und
die Zertheilung zu träge vor sich geht, so wendet man reizende Mittel an,
wie die flüchtige Salbe, die Quecksilbersalbe mit Camphor, reizende Pfla-
ster. — Kommt es zur Eiterung , so unterstüzt man die Zeitigung des
Abscesses und öffnet ihn , sobald man deutlich Fluctuation fühlt. Die
symptomatischen wie die kritischen Parotidengeschwülste scheinen mehr
Aussichten für den Kranken zu gewähren , wenn Eiterung eintritt. —
Droht Versezung, so sucht man die Affection durch Sinapismen, Blasen-
pflaster festzuhalten ; hat sie sich auf die Geschlechtstheile geworfen , so
müssen diese warm gehalten , in Flanell gehüllt und auf die Parotis ein
Blasenpflaster gelegt werden ; hat Versezung auf das Gehirn stattgefun-
den , so legt man auf den Hodensack und die Parotis Blasenpflaster und
wirkt dem Kräftezustand angemessen auf die Haut.
Speicheldrüsenexstirpation. Diese Operation kann bei
der Ohrspeicheldrüse , wie bei der Submaxillar- und Sublingualdrüse nö-
thig, und durch Entartungen oder durch Vergrösserungen dieser Drüsen,
welche durch Druck nachtheilig auf die Umgebung einwirken, bedingt
werden. Contraindicationen dieser Operation sind, wenn die Umgebung
der Drüsen so entartet ist, dass eine reine Exstirpation unmöglich ist und
wenn, z. B. beim Krebs , Spuren eines ursächlichen oder secundären All-
gemeinleidens vorhanden sind.
Exstirpation der Ohrspeicheldrüse. Diese betrifft entweder nur
einenTheil dieser Drüse oder die ganze Drüse. Wenn es sich nur von der Weg-
nahme oberflächlich auf der Parotis liegender und abgegrenzter Afterbil-
dungen handelt , so bietet die Operation keine Schwierigkeit und Gefahr
dar ; anders ist es schon , wenn diese mehr oder weniger innige Verbin-
dungen mit der Drüse eingegangen haben, denn in diesem Falle rnuss
ein Theil der Drüse selbst entfernt werden , womit die Verlezung nicht
unbedeutender Gefässe und Nerven gegeben ist. Bei der Exstirpation
der ganzen Drüse aber kommt zu der Gefahr einer gewaltigen Blutung
864 SPEICHELDRUESENEXSTIRPATION.
(aus der Carotis externa und ihren Aesten) noch die einer tief ge-
gen den Hals vordringenden, lang dauernden Eiterung, abgesehen davon,
dass durch die unvermeidliche Verlezung des Nerv, facialis eine ent-
stellende Lähmung der Gesichtshälfte mit ihren Folgen , Speichelfluss,
Erschwerung des Kauens und Unmöglichkeit die Augenlider zu schliessen,
herbeigeführt wird. Nichtsdestoweniger ist die Operation vorkommenden
Falls als Lebensrettungsmittel indicirt ; die Blutung ist zu bemeistern
und die Lähmung der Gesichtshälfte kommt dem Zwecke der Operation
gegenüber nicht in Betracht; zuweilen verschwindet sie später. Der
Erfolg der Operation war in den bekannt gewordenen Fällen im Ganzen
günstig. — Behufs der Ausführung der Operation legt man den
Kranken horizontal auf die gesunde Seite mit etwas gesenktem Kopfe,
damit die Geschwulst hervortrete. Nach der Grösse der Geschwulst und
nach der Beschaffenheit der Haut macht man durch diese einen Längen-,
Kreuz- oder Ovalschnitt und löst die Hautdecken von der vordem Ge-
schwulstmasse ab. Nun fasst man den Tumor mit einem Haken , zieht
ihn vor und löst ihn mit vorsichtigen Messerzügen von seiner Grundfläche
ab, wobei man 'entweder die fibröse Drüsenkapsel, wenn sie gesund ist,
zurücklässt , im andern Falle sie aber mit wegnimmt. Muss die Drüse
ganz oder doch grösstentheils entfernt werden , so beginnt man die Aus-
schälung derselben am zweckmässigsten von ihrem untern hinteren Rande
aus , an welchem man sie dann emporhebt und bis zur Eintrittsstelle der
Carotis ablöst. Dieses Gefäss wird hierauf hervorgezogen und unter-
bunden, über der Ligatur abgeschnitten und die Geschwulst vollends ent-
fernt. Bei der Loslösung der Drüse gebraucht man die Schneide des
Messers so wenig als möglich , immer aber mit der grössten Vorsicht ;
blutende Gefässe unterbindet man sogleich. — Die Tiefe der Wunde lässt
bei der totalen Exstirpation keine Vereinigung per primam inten-
tionem zu ; man füllt sie mit Charpie aus und sucht sie vom Grunde
auf durch Granulationsbildung zur Heilung zu führen ; bei partiellen Ex-
stirpationen steht dagegen der schnellen Vereinigung der Wunde nichts
im Wege ; man vereinigt sie daher mittels der Knopf- oder umschlungenen
Naht, wobei man nur den untern Wundwinkel offen lässt , um dem Eiter
Abfluss zu verschaffen. — Nachblutungen, Entzündungen, Eiterung, Tris-
mus etc. werden nach allgemeinen Regeln behandelt. — Unzweckmässig
ist es , die Parotidengeschwnlst durch mehrfach eingezogene Ligaturen
einzuschnüren und auf diese Weise zu entfernen.
Exstirpation der Unterkieferdrüse. Es hängt von ihrer
vorzugsweisen Entwicklung gegen den Hals oder gegen die Mundhöhle
ab , ob man sie von der einen oder von der andern Seite angreifen soll.
Bei der Exstirpation vom Halse her muss der Patient den Mund geschlos-
sen und den Kopf hintenüber gebeugt halten. Der Operateur durchtrennt
Haut und Platysma myoides in der Richtung der grössten Ausdeh-
nung der Geschwulst. Die zu Tage tretende Fascia colli wird an
SPEICHELFISTEL 865
einer Stelle eingerizt und auf der Hohlsonde gespalten. Dies muss be-
sonders nach hinten vorsichtig geschehen, damit nicht die Vena facia-
lis communis verlezt werde. Nun geht man an die Ausschälung der
Drüse, was mit dem Scalpellhefte geschehen kann; schliesslich zieht man
den Ductus Whartonianus vor, isolirt ihn, was mit besonderer Vor-
sicht geschehen muss , da er dicht am Nerv, lingualis liegt , und
durchschneidet ihn. Die Art. maxillaris externa, an der hintern
untern Seite der Drüse gelegen, kann bis zu Ende der Operation geschont
oder auch gleich nach dem Hautschnitt unterbunden werden. — Um die
Drüse vom Mund aus zu entfernen, spaltet man die Schleimhaut, zieht die
Drüse mit einer Hakenzange hervor und löst sie, dicht an ihr schneidend,
mit der Coop er 'sehen Scheere aus ihren Verbindungen.
Exstirpation der Unterzungendrüse. Der Kranke sizt
mit weit geöffnetem Munde, der Operateur steht ihm gegenüber und spal-
tet die Schleimhaut längs der ganzen Ausdehnung der dicht an der Seite
der Zunge liegenden Drüse. Hierauf wird mittels des Scalpellhefts das
Bindegewebe zwischen der äussern Seite der Drüse und dem Unterkiefer
getrennt , dann die Drüse am hintern Ende mittels eines spizigen Hakens
oder der M u s e u x ' sehen Zange gefasst, und so allmälig die Adhäsionen
derselben theils stumpf, theils schneidend getrennt. — Die Schleimhauträn-
der können mittels einer Knopfnaht vereinigt werden.
Speichelfistel, F i s t u 1 a s a 1 i v a 1 i s. Hierunter versteht man
eine widernatürliche Oeffnung in der äussern Wangengegend , welche mit
dem Speichelgange der Parotis oder mit dieser Drüse selbst in Verbin-
dung steht und Speichel austreten lässt. — Fistelbildungen an den übri-
gen Speicheldrüsen gehören zu den grössten Seltenheiten. — Dia-
gnose. Die Speichelfisteln werden an ihrer Lage , an der mit callösen
Rändern umgebenen Oeffnung und vorzüglich an dem Ausfluss einer zähen,
durchsichtigen Flüssigkeit erkannt, deren Menge durch Sprechen und
Kaubewegungen vermehrt wird. Dieser oft wiederholte Speichelverlust
schadet der Verdauung und kann selbst Erschöpfung herbeiführen. —
Die Fisteln der Ohrspeicheldrüse geben sich durch ihre Lage in der Nähe
des Ohrs , einen geringeren Ausfluss von Speichel , ferner dadurch zu er-
kennen, dass die Untersuchung mit der Sonde den Stenon 'sehen Gang
unverlezt zeigt. — Die Speichelgangfisteln sind die bei weitem häufig-
sten. — Ursachen. Diese sind: zufällige Verlezungen der Parotis
oder ihres Gangs , Ulcerationen in diesen Gebilden , endlich Verstopfung
des Speichelgangs durch steinige Concremente. In lezterem Falle bildet
sich nach dem Laufe des Stenon' sehen Ganges eine fluetuirende Ge-
schwulst , welche sich nach und nach vergrössert , aufbricht und den
Speichel entleert. — Behandlung. Sie ist verschieden , je nachdem
die Fistel an der Speicheldrüse oder an dem Speichelgange besteht. ■ —
Die Speicheldrüsenfistel wird gewöhnlich durch einen anhaltenden
Bürger, Chirurgie. 55
866 SPEICHELFISTEL.
Druck geheilt , indem dadurch die Secretionsthätigkeit der Drüse unter-
drückt wird. Man legt auf dieselbe eine kegelförmige Compresse und
befestigt sie mit der Halfterbinde, welche zugleich die Kiefer geschlossen
erhält. Bei der jedesmaligen Erneuerung des Verbandes reibt man in
der Umgegend der Fistel Campheröl ein, betupft selbst leztere mit Höllen-
stein. Zuweilen reicht man mit dem wiederholten Betupfen mit Lapis
infernalis allein aus. — Die Behandlung der Speichelgang-
fistel besteht entweder in der Wiederherstellung des natürlichen Weges
für den Speichel , oder in der Bildung eines neuen Speichelganges oder
doch einer neuen OefTnung, um den Speichel direct in die Mundhöhle zu
leiten oder in der Obliteration des Ductus Stenonianus, oder in
der künstlichen Atrophie der Parotis. — 1) Wiederherstellung
des Stenon'schen Ganges. Dieses Verfahren ist nur anwendbar,
wenn der untere Theil des Speichelganges noch offen ist, was man mittels
einer vom Munde aus in denselben eingeführten feinen Sonde, oder durch
Einsprizungen in die Fistelöflnung erkennt. Man hat verschiedene Me-
thoden : a) Vereinigung der Ränder der frischen Trennung durch die um-
wundene Naht, in welcher Absicht man 1 — 3 feine Insectennadeln ein-
legt ; ist die Wunde nicht frisch, so macht man erst die Ränder der Fistel-
Öffnung wund, b) Einführung eines Fadens mittels einer feinen geöhrten
Sonde durch das untere Stück des Speichelganges und Nachziehen einer
feinen Mesche mittels des aus dieser herauslaufenden Fadens ; ist der
Gang gehörig erweitert, so zieht man die Mesche aus der Fistelöffnung
zurück, worauf sich diese von selbst oder unter Anwendung eines Causti-
cums schliesst; bald darauf entfernt man die Mesche ganz. Andere füh-
ren Faden und Mesche von der Fistel aus in den Speichelgang, c) Cau-
terisation der fistulösen OefTnung entweder mittels des Glüheisens , wo-
durch man einen Schorf sezt, der die OefTnung so lange verstopft und den
Speichel auf gewöhnlichem Wege abzufliegen zwingt , bis unter dem
Schorfe die Granulationen die OefTnung verschlossen haben , oder man
äzt mit Höllenstein, um denselben Zweck zu erreichen , was indessen nur
bei ganz kleinen Fisteln ausreicht. d) Compression der Fistel oder des
Stücks des Duct. stenonianus, welches auf dem Masseter liegt.
Dient nur dazu, das Durchmessen des Speichels während der Heilung zu
verhindern. e) Obturation der Fistel , nach M a 1 g a i g n e mit einem
Goldplättchen , welches mit Pech über der OefTnung befestigt wird, nach
Rodolpho-Rodolphi mit Collodium. Endlich wurde die Fistel
durch eine plastische Operation geschlossen. ■ — 2) Bildung eines
neuen Speichelganges. Diese Operation wird vorgenommen, wenn
der Mundtheil des Stenon' sehen Ganges unwegsam ist. Man verfährt
dabei auf verschiedene Weise: a) man durchsticht entweder mittels eines
feinen Troicarts oder irgend einer spizigen Sonde von der Fistel aus die
Backe in schiefer Richtung nach vorne und innen. In diesen so gebilde-
ten Kanal zieht man einen Bleidraht oder eine Darmsaite ein , führt die-
SPEISEROEHRENSCHNITT. 867
selbe beim Munde hervor und klebt das vordere Ende an der Wange fest;
das hintere Ende soll jedoch nicht durch die Fistel gehen, weil sonst die
Heilung verhindert wird. Damit die fremden Körper nicht in die Mund-
höhle schlüpfen, soll das hintere Ende derselben von der Fistel aus in das
hintere Ende des Speichelgangs eingeführt werden, was aber sehr schwer
auszuführen ist ; es ist daher besser, das aus dem Munde hängende Stück
der Darmsaite mit dem aus der Fistel hervortretenden zu verknüpfen, und
diese Verbindung so lange zu lassen, bis man den neuen Gang genug er-
weitert und überhautet glaubt, worauf man die Darmsaite durch den Mnnd
herauszieht ; schliesslich wird die Fistelöffnung angefrischt und geheftet,
b) Man durchbohrt von der Fistel aus die Wange an zwei Punkten und
führt einen Faden , Bleidraht oder eine Darmsaite in der Weise durch
diese Oeffungen, dass die beiden Enden derselben in die Mundhöhle hin-
einragen. Nun werden die Wundränder der Fistel frisch gemacht und
mittels der umschlungenen Naht vereinigt. Die in die Mundhöhle hinein-
ragenden Enden des fremden Körpers lässt man entweder einfach liegen,
bis die äussere Wunde fest geschlossen ist und die zwei inneren Oeffnun-
gen hinlänglich weit sind, oder man knüpft oder dreht sie zusammen und
lässt, die Schlinge durchschneiden, wodurch eine grosse Oeffnung entsteht,
welche sicher offen bleibt. Dieses von S e g u i s e herrührende Verfahren
ist das gebräuchlichste. Einfacher ist es noch, den Faden mit zwei Na-
deln , die an seine beiden Enden gefädelt sind und von der Fistel aus
durch die Backenschleimhaut durchgestochen werden , einzuführen. c)
Lange nbeck hat empfohlen , die hinter der Fistel gelegene Partie des
Ductus Stenonianus blosszulegen, den Gang an der Fistel oder un-
mittelbar hinter ihr quer durchzuschneiden und in eine künstliche Oeff-
nung der Mundhöhle einzunähen. - — 3) Obliteration des Ductus
Stenonianus. Maisonneuve will eine solche durch Druck zwi-
schen Parotis und Fistel erzielt haben, was sehr zweifelhaft ist. V i b o r g
suchte das Gleiche durch Unterbindung des Speichelgangs zwischen Drüse
und Fistel zu erreichen. — 4) Atrophirung der Parotis. Die
Compression wird hier auf die Drüse selbst ausgeübt. Dieselbe ist aber
nicht allein schwer auszuführen , sondern auch so schmerzhaft , dass sie
nicht auf die Länge ertragen wird. — Bis zur völligen Verheilung der
äussern Fistelöffnung muss die Bewegung des Unterkiefers möglichst unter-
bleiben, daher auch die Kranken mit flüssigen, durch eine Röhre beige-
brachten Speisen ernährt werden. — Die Anschwellung des S t e n o n ' -
sehen Ganges zu einer fluetuirenden Geschwulst sucht man durch Ein-
führen einer feinen Sonde zu beseitigen ; gelingt dies nicht, so öffnet man
die Geschwulst vom Munde aus mit der Lancette. Einen im Speichel-
gang befindlichen Stein schneidet man nach innen aus.
SpeiserÖhrenSChnitt, Oesophagotomia (von oißocpayog,
Speiseröhre, To/ut], Schnitt). Man versteht hierunter die Einschneidung
55*
868 SPEISEROEHRENSCHNITT.
des Halstheils der Speiseröhre nach Durchschneidung der sie hier decken-
den weichen Theile , um entweder einen fremden Körper aus ihr zu ent-
nehmen oder einen künstlichen Weg für die Einführung von Nahrungs-
mitteln zu bilden. — Indicirt ist die Operation: 1) bei einem in dem
Halstheile der Speiseröhre festsizenden fremden Körper, wenn er bedenk-
liche Zufälle veranlasst und weder nach oben ausgezogen , noch abwärts
gestossen werden kann, oder wegen seiner giftigen oder anderweitig schäd-
lichen Beschaffenheit nicht in den Magen gelangen darf; 2) bei Veren-
gerungen , Aftergebilden und andern , auf eine bestimmte Zeit unüber-
windlichen Hindernissen für den Durchgang der Speisen, wenn sie an der
Speiseröhre nicht tiefer als hinter dem Ringknorpel sizen und dieselbe so
verschliessen, dass auch eine elastische Röhre vom Rachen aus nicht mehr
durch sie geführt werden kann. — Gegenanzeigen sind : zu tiefer Siz des
fremden Körpers als auch der Verengerung und hochgesteigerte Entzün-
dung oder gar Brand der zu operirenden Theile. — Es gibt zwei Ope-
rationsmethoden, die sich durch die Verschiedenheit der Ein-
schnittsstelle unterscheiden : man schneidet nämlich entweder am vordem
Rande des Sternocleidomastoideus(Guattani), oder zwischen
beiden Köpfen dieses Muskels (E c k o 1 d) ein. Als dritte Methode wird
die Operationsweise von Vacca Berlin ghieri angegeben, bei welcher
nach Blosslegung des Oesophagus am vordem Rande des Sternoclei-
domastoideus jener durch ein besonderes Instrument, den Ectropoe-
sophag , in die Wunde gedrängt und oberhalb des Knopfs desselben ein-
geschnitten wird. Dieses Instrument , so wie andere an seiner Stelle be-
nuzte Vorrichtungen (Katheter , Bougies etc.) sind überflüssig , wenn die
Speiseröhre durch fremde Körper ausgedehnt ist. — Die Operation ist
schwierig und ohne Vorsicht und Geschicklichkeit sehr gefährlich , denn
es können sehr wichtige Theile , namentlich die Art. carotis, Vena
jugularis interna, die obere, mehr noch die untere Schilddrüsen-
arterie , unterwärts die Venajugularis thoracica, welche manch-
mal hoch liegt , verlezt werden, ebenso der Nerv, recurrens, dessen
Verlezung erschwertes Sprechen und selbst Stimmlosigkeit , wenn auch
nicht bleibend, erzeugen1 kann. Bei guten anatomischen Kenntnissen und
sicherer Hand sind diese Theile zu vermeiden und es werden nur die
Haut, der breite Halsmuskel , Zellstoff und die Speiseröhre nebst einigen
auf ihr laufenden Fäden vom N. v a g u s durchschnitten , Verlezungen,
welche an sich zwar nicht gefährlich sind, aber es werden können, indem
manchmal Eitersenkungen nach der Brust hin und Schlundverengerung
entstehen. Diese Schwierigkeiten und Gefahren der Operation dürfen
jedoch von ihrer Ausführung nicht abhalten ; bei den oben geschilderten
von fremden Körpern erregten Zufällen ist sie als einziges Lebensrettungs-
mittel unerlässlich. — Ist ein fremder Körper im Oesophagus und von
aussen fühlbar, so macht man auf der Seite , wo dieses am meisten statt
hat, den Einschnitt ; andernfalls operirt man auf der linken Seite, weil der
SPEISEROEHPENSCHNITT. 869
Oesophagus mehr auf ihr , als auf der rechten liegt. Ueberdies macht
man bei fremden Körpern den Schnitt wo möglich in gleicher Höhe mit
ihrem Size , bei Verengerungen stets unterhalb derselben und hiernach
richtet sich hauptsächlich die Wahl des Verfahrens. — Behufs der Aus-
führung der Operation sizt der Kranke auf einem Lehnstuhl oder liegt
im Bette in der Nähe des rechten Bettrandes ; der Kopf wird nach hinten
und der Seite, an welcher nicht operirt wird , geneigt und von einem da-
hinter stehenden Gehülfen fixirt. Der an der rechten Seite des Kranken
stehende Operateur macht mit dem convexen Scalpell einen Schnitt vom
Ringknorpel bis zum Manubrium sterni; sollte dieser Raum sehr
klein sein , wie bei kurzhalsigen Menschen , so müsste entweder der
Schnitt nach oben verlängert oder , die Wunde dadurch geräumiger ge-
macht werden , dass man vom untern Ende des Schnittes nach aussen
einen Querschnitt führt , welcher nebst der Haut den Sternocleido-
mastoideus an seinem Ursprünge abschneidet. Der genannte Muskel
wird nun mit einem stumpfen Haken nach aussen gezogen und die Fas-
cia media colli am äussern Rande der Schilddrüse auf der Hohlsonde
in der ganzen Ausdehnung der Wunde gespalten. Hierauf wird das Zell-
gewebe zwischen der Carotis und der Schilddrüse mittels des Scalpellstiels
durchtrennt, der am Kopfnicker angesezte Haken tiefer eingesezt, so dass
die Gef ässe mittels desselben abgezogen werden , und mit einem zweiten
stumpfen Haken die Schilddrüse nach innen gezogen. Man sieht nun
deutlich den Muse, longissimus colli auf der Wirbelsäule und den
Oesophagus als rundlich platt gedrückten Wulst an der Innenseite der
Trachea vorragen. Der auch an seinen blassen Muskelfasern und an den
Schlingbewegungen erkennbare Oesophagus wird mit einem spizen Bi-
stouri angestochen und der Schnitt parallel mit seinen Längenfasern nach
abwärts verlängert ; hierauf sezt man zwei kleine stumpfe Haken in die
Muskelwunde des Oesophagus ein und fasst die sich nun vorwölbende
Schleimhaut mit der Pincette und schneidet mit dem Bistouri oder der
Scheere eine Oeffnung in dieselbe. Von dieser Oeffnung aus erweitert
man die Wunde nach auf- und abwärts zur hinlänglichen Grösse. Be-
findet sich ein grosser fremder Körper in der Speiseröhre , so schneidet
man gerade auf diesen ein. Hat man blos deshalb operirt, um den Kran-
ken nähren zu können , so braucht die Oeffnung in der Schleimhaut nur
so gross zu sein, als der Durchmesser der Schlundbougie. Hat man einen
fremden Körper zu entfernen, so muss die Wunde dem entsprechend gross
sein. — Will man sich eines Ectropoesophags bedienen , so kann dieser
vor dem Hautschnitt oder nach Blosslegung des Oesophagus eingeführt
werden ; nachdem man den federnden Theil hat vortreten lassen , schnei-
det man auf ihm ein. — Nach der Eröffnung der Speiseröhre richtet sich
das weitere Verfahren nach dem Zwecke , den man damit erreichen will.
Hat man es mit einem fremden Körper zu thun, so zieht man ihn mit einer
gewöhnlichen starken Polypen- oder Kornzange aus. AVurde operirt, um
870 SPEISEROEHRENVERENGERUNG.
Nahrangsmittel in den Magen zu bringen, so führt man eine Schlund-
bougie ein , durch welche man dem Kranken so lange flüssige Nahrungs-
mittel einfiösst, bis der normale Weg hergestellt ist. — Die Wunde lässt
man durch Eiterung heilen. Diejenige der Speiseröhre schliesst sich
meist am 8 — -10. Tage; in den ersten 8 Tagen bekommt der Kranke gar
keine Nahrung und muss seinen Durst blos durch saure Mittel zu stillen
suchen. Nach dem 10. Tage kann man mit Fleischbrühe beginnen und
so nach und nach festere Nahrungsmittel geben. — Etwa eintretende
Nachblutung, heftige Entzündung werden nach allgemeinen
Regeln behandelt. Eitersenkungen erfordern Gegenöffhungen.
Zurückbleibende Verengerung der Speiseröhre machen den Gebrauch
der Bougies nöthig. Eine Schlundfistel sucht man durch öftere
Cauterisationen zum Verschluss zu bringen.
Speiseröhrenverengerung, strictura s. Stenosis oc-
s o p h a g i , ist eine nicht häufig vorkommende Krankheit , deren Wesen
in den meisten Fällen in einer partiellen Verdichtung, callösen Umbildung
und Verhärtung der Schleimhaut und des unter ihr gelegenen Zellstoffs
besteht. Das die Krankheit veranlassende Moment ist gewöhnlich eine
chronische Entzündung. Ausser diesem können Verengerungen des Oeso-
phagus hervorgebracht werden durch Narben nach Verwundungen der
Speiseröhre , durch polypöse und andere Auswüchse , durch varicöse Be-
schaffenheit der Gef ässe , durch Geschwülste , welche die Speiseröhre zu-
sammendrücken und durch Krampf. Hierauf beruht die Eintheilung in
entzündliche, organische und spastische Verengerungen. — Die Verenge-
rung kann sich nur auf kleine Stellen , oder auf eine Wand beschränken,
oder sie erstreckt sich über eine Strecke von mehreren Zollen, oder rings
um die ganze Peripherie, und kann als eine callöse, knorpelige, scirrhöse
etc. Verengerung auftreten. — Der Siz der Verengerung ist am häufig-
sten im obersten Theile der Speiseröhre , nächstdem im untersten , nahe
der Cardia , am seltensten im mittlem Theile. — Wichtig sind die Ver-
änderungen, welche der Oesophagus oberhalb und unterhalb der Strictur
erleidet. Sobald leztere einen etwas bedeutenderen Grad erreicht hat,
wird der dicht darüber gelegene Theil der Speiseröhre durch die an die-
ser Stelle angehäuften und stockenden Nahrungsmittel immer mehr erwei-
tert, so dass sich schliesslich eine Tasche entwickelt, die eine Art Kropf
darstellt, in welchem durch den beigemengten Speichel sogar ein Theil
der Verdauung eingeleitet werden kann. Unterhalb der Strictur befindet
sich der Oesophagus in einem stark zusammengezogenen Zustande , so
dass seine Wandungen sich gleichmässig berühren, ohne jedoch den ein-
geführten Körpern ein grösseres Hinderniss entgegenzusezen. Bei diesen
einfachen räumlichen Veränderungen bleibt es aber nicht. In Folge der
beständigen Reizung der verengten Stelle kommt es meistens zu einer
chronischen Entzündung der Schleimhaut ; dieselbe erscheint geröthet,
SPEISEROEHRENVERENGERUNG. 871
blutet leicht und geht oft in Verschwörung über. Dadurch kann eine
weit greifende Zerstörung und endlich selbst eine Perforation des Oeso-
phagus herbeigeführt werden. Gewöhnlich verwachst die Speiseröhre fest
mit der Luftröhre und der Wirbelsaule. — Symptome. Die Zeichen
beziehen sich zunächst auf die gestörte Räumlichkeit bei der Aufnahme
von Nahrungsmitteln und die dadurch bedingten Schlingbeschwerden
(Dysphagia), gestalten sich aber nach dem verschiedenen Size der
Krankheit und nach ihrer bereits erlangten Höhe sehr verschieden. Im
Anfange macht sich beim Schlingen nur eine spannende Empfindung an
der kranken Stelle bemerklich, die sich aber bald zu brennenden Schmer-
zen, einem Gefühl von Druck, Trockenheit steigert. Jeder etwas grös-
sere Bissen verweilt jezt_ an der beengten Stelle, über welche er nur durch
nochmaliges Schlucken unter Strecken des Halses oder unter Beihülfe
eines äusserlich angebrachten Drucks weggeht. Endlich aber wird die
Enge so gross, dass sie nur noch Flüssigkeiten oder dünne Breie hindurch"
lässt , feste Bissen aber gewöhnlich bald darauf durch eine antiperistalti-
sche Bewegung des Schlundes wieder auswirft. Dieses Auswerfen der
verschluckten Substanzen erfolgt , wenn der Siz des Uebels im obersten
Theil der Speiseröhre ist , schneller als bei tieferem Size , wo die Nah-
rungsmittel gewöhnlich in dem unempfindlichen mittleren Theile der
Speiseröhre lange Zeit verweilen und ihn in der oben beschriebenen Weise
sackförmig ausdehnen. Wahrend in dem ersten Falle die ausgeworfenen
Speisen ziemlich unverändert, nur mit vielem Schleim gemischt zu Tage
kommen , zeigen sie sich im lezteren Fall mehr oder weniger verändert,
breiartig, mit Schleim , Blut oder Eiter vermischt. Zuweilen werden die
durch unvollständige Brechbewegungen in die Mundhöhle zurückgeführ-
ten Speisen wiederholt gekaut und gehen nun in dem mehr flüssigen und
besser verkleinerten Zustande endlich durch die Strictur hindurch. Ge-
wöhnlich steigern sich die Schlingbeschwerden fort und fort , manchmal
lassen aber auch die Symptome nach und der Kranke kann besser schlin-
gen ; eine solche Besserung ist aber nie von Dauer und kann nur durch
Verschwärung und dadurch bedingte Ablösung der verengten Substanz zu
Stande kommen. Bei längerem Bestehen der Strictur entwickeln sich
immer Störungen des Allgemeinbefindens, die bei den gewöhnlichen fibrö-
sen Stricturen von der Behinderung der Nahrungszufuhr, bei den durch
Carcinome bedingten von der Einwirkung der Krebsjauche abhängig sind.
— Die krampfhafte Verengerung der Speiseröhre ist Vorbote,
Symptom oder Folgezustand von Krankheiten im Bereiche des Nerven-
systems, so namentlich der Hysterie, Hypochondrie, Hydrophobie, Trismus,
Tetanus etc. Kaltes Getränk, zornige Erregung, auch anderweitige Ge-
müthsbewegungen, die Anwesenheit von Würmern im Darmkanal und be-
sonders im Magen können sie bei reizbaren nervösen Personen herbeifüh-
ren. Sie ist durchaus unabhängig von Veränderungen in dem Gewebe
der Speiseröhre, sie kann daher zeitweise gänzlich fehlen und die Schlund-
872 SPEISEROEHRENVBRENGERUNG.
sonde kann mit Leichtigkeit durch den ganzen Verlauf der Speiseröhre
hindurch geschoben werden. Tritt sie ein, was plözlich beim Genüsse
bald dieses bald jenes Nahrungsmittels, bald nach kaltem, bald nach war-
mem Getränke geschieht, so werden die genossenen Speisen, wenn die
Zusammenschnürung im obern Theile der Speiseröhre statt hat , sogleich,
bei tieferem Size erst spater wieder ausgebrochen. — Zur richtigen E r -
kennt niss des Uebels ist ausser den oben angegebenen Kennzeichen
eine genaue Untersuchung mittels des eingeführten Fingers oder einer
Bougie , eines Fischbeinstäbchens mit einem Knopfe , einer metallenen
biegsamen Knopfsonde, einer D upuy tr en'schen Explorationssonde
nothwendig, um sich von der Gegenwart, dem Size, der Ausdehnung etc.
einer Verengerung zu überzeugen. Bei der Einführung dieser Instru-
mente drückt man die Zunge des Kranken nieder und geht mit dem In-
strumente schnell über die Zungenwurzel und den Kehldeckel weg in den
Schlund. Stösst man mit diesem auf einen Widerstand , so drückt man
es etwas gegen denselben an , um entweder einen Abdruck der Verenge-
rung zu erhalten oder um diese zu durchdringen, wodurch man die Weite
derselben kennen lernt. — Prognose. Diese ist selten günstig. Wenn
auch manche Heilungen von Speiseröhrenstricturen bekannt sind., so weiss
man doch von bei weitem mehr, die jedem Heilverfahren trozten. — Be-
handlung. In den Fallen , wo die Veränderung der Schleimhaut des
Oesophagus durch chronische Entzündung bedingt ist, ist im Anfang eine
antiphlogistische Behandlung, eine wiederholte Anwendung von Blutegeln,
der fortgesezte innerliche Gebrauch von Salmiak , Cicuta , Quecksilber,
Jodkali und eine angemessene Ableitung (Fontanelle, Eiterband, Brech-
weinsteinsalbe) angezeigt. In vielen Fällen kann die Behandlung blos
palliativ sein, indem dadurch das Einflössen von Nahrungsmitteln bezweckt
wird. Die eigentliche Behandlung dieser Stricturen ist eine chirurgische
und besteht in der allmäligen Erweiterung, in der Cauterisation der Stric-
tur, in der Oesophagotomie und selbst in der Anlegung einer Magenfistel.
— Die allmälige Erweiterung geschieht mit den schon genann-
ten Bougies, mit geknöpften Metallsonden, mit Darmsaiten , mit metalle-
nen und elastischen Röhren und mit besonderen Diktatoren , wie solche
von Bloock, Jameson, Fletscher, Chelius u. A. angegeben
wurden. Die elastischen Sonden (Schlundröhren) verdienen vor allen den
Vorzug, da sie neben der mechanischen Erweiterung auch noch den Vor-
theil der Hinleitung von Nahrungsmitteln nach dem Magen gewähren. Sie
haben je nach der Weite des noch vorhandenen Lumens der Strictur die
Dicke eines Catheters bis die des kleinen Fingers. Die Einführung die-
ser Sonden (Catheterismu-s oesophagi), welche , wie schon be-
merkt, nicht nur zu dem Zwecke der Erweiterung, sondern auch zur Son-
derung der Speiseröhre und behufs der Einflössung von Nahrungsmitteln
vorgenommen wird , geschieht am besten durch den Muud. Der Kranke
sizt dabei auf einem niedrigen Stuhle, den Kopf hintenüber fixirt. Nach-
SPEIPEROEHRENVERENGEJirNG. 873
dem er den Mund stark geöffnet hat , zieht der Operateur die Zungen-
wurzel mit Zeige- und Mittelfinger der linken Hand vorwärts, fasst das
einzuführende Instrument wie eine Schreibfeder, legt es zur linken Seite
der Zungenwurzel auf und schiebt es, indem er die Hand etwas aufhebt,
nach rück- und abwärts rasch durch den Isthmus faucium gegen die
hintere Wand des Pharynx. Gewöhnlich treten in diesem Momente
Brechneigungen ein , man hält so lange inne , bis diese etwas be-
schwichtigt sind , worauf man mit dem Vorschieben des Instruments fort-
fährt , bis man aus der Länge des eingedrungenen Theils oder aus dem
Widerstände schliessen kann, dass man an dem gewünschten Orte ist.
An der Strictur angekommen , muss man äusserst vorsichtig zu Werke
gehen , um die Schleimhaut nicht zu verlezen. — Die Einführung
der Sonde wird erleichtert , wenn man sie mit einem Stilet versieht
und dieses dann, wenn man an dem Isthmus faucium angekommen
ist , auszieht , während man mit der andern Hand die Sonde tiefer ein-
schiebt. Krümmt sich die Sonde nicht gehörig nach der hintern Wand
des Oesophagus , so kann man sie mit Hülfe der durch den Mund ein-
gebrachten Finger , eines stumpfen Hakens oder einer Zange in den
Schlund leiten. Wird ihr längeres Verweilen im Schlünde von dem
Kranken ertragen, so führt man sie zur Bequemlichkeit des leztern besser
durch die Nase als durch den Mund ein , oder man kann, da diese Ein-
führung sehr schwierig ist, nach Boy er das obere Ende der durch den
Mund eingeführten Sonde mit Hülfe des B eil o cq 'sehen Instruments
rückwärts durch die Nase führen. — Die Dauer des Liegenbleibens der
Sonde richtet sich nach der Reizbarkeit des Kranken ; man geht allmälig
zu dickeren Sonden über.. — Das Eindringen der Sonde wird mehrmals
schnell hintereinander in einer Sizung wiederholt. Solcher Sizungen aber
müssen täglich wenigstens zwei stattfinden , bis man die normale Weite
erreicht hat; von da an lässt man grössere Zwischenräume eintreten, sezt
aber die Einführung der Sonde auch später nie ganz aus , weil die Ver-
engerung sonst schnell zurückkehrt. — Hat man die Absicht, durch die
Sonde dem Magen Nahrungsmittel zuzuführen , so überzeuge man sich,
ob man nicht etwa in die Luftröhre gelangt ist, wovon man sich durch
ein besonderes Gurgeln , durch Schmerz , Husten , besonders aber durch
die Bewegung einer Lichtflamme vor der Sondenöffhung Gewissheit ver-
schafft. — Die Cauterisation ist theils bei sehr enger Strictur, theils
in der Hoffnung einer schnelleren und dauernderen Beseitigung des
Hindernisses in Ausführung gebracht worden. Es muss dazu ein nicht
zerfliessendes Aezmittel angewendet werden, welches auf die bei den
Harnröhrenstricturen angegebene Weise einer Sonde einverleibt und an-
gewendet wird. Es ist jedoch grosse Vorsicht dabei nöthig. Zweck-
mässig verbindet man Cauterisation und Erweiterung miteinander. — In
verzweifelten Fällen hat man sogar die Oesophago tomie vorgeschla-
gen und in Ausführung gebracht ; meistens hat man damit nur eine
874 STEINSCHNITT.
palliative Hülfe im Auge , die Bildung einer Fistel , durch welche das
Schlundrohr eingeführt und der Kranke ernährt wird. Man hat aber
auch eine Radicalheilung versucht und zu diesem Behufe die Speiseröhre
entweder an der Stelle der Strictur selbst (Watson) oder oberhalb der-
selben geöffnet (Lavacherie) und in ersterem Falle auf- und abwärts
täglich Schlundsonden eingeführt , im zweiten eine bequemere und siche-
rere Einwirkung der durch die Oesophagusfistel eingeführten Dilatations-
Instrumente zu erreichen gehofft. Es sind darüber zur Zeit zu wenige
Fälle bekannt , um ein bestimmtes Urtheil fällen zu können. Selbstver-
ständlich wäre eine solche Operation nur auszuführen , wo die Veren-
gerung noch am Halse sässe ; über die Ausführung der Operation s. den
Art. Speis eröhren schnitt. — Bezüglich der Anlegung einer Magen-
fistel s. den Art. Magenschnitt.
Speiseröhrenpolyp, Polypös oesophago Wie in der Ra-
chenhöhle, so können auch weiter abwärts in der Speiseröhre gestielte Ge-
wächse vorkommen , welche als Speiseröhrenpolypen bezeichnet und be-
schrieben worden sind. Die Beschwerden , die sie veranlassen , können
anfangs den Verdacht einer Strictur erregen. Bei tiefsizenden Polypen
muss man sich durch Einführung einer Schlundsonde Gewissheit zu ver-
schaffen suchen, was oft nicht leicht ist. Glücklicher Weise sizen sie
aber meistens in der Gegend des Ringknorpels oder dicht darunter und
von da werden sie durch den von ihnen erregten Brechreiz unter Husten
und Würgen in die Mundhöhle hinaufgeschleudert, wo sie dann leicht
erkannt werden. — Die Behandlung dieser Polypen ist die bei den
Rachenpolypen angegebene.
Spina bifida s. Rückgratspalte.
Starrkrampf s. Wunden.
Steatoma s. Fettgeschwulst, 2.
Steinbildung s. Neubildung.
SteinSChnitt, Lithotomia {li&og , Stein, zopr] , Schnitt),
Blasenschnitt, Cystotomia (xvGxig , Blase) , nennt man die
kunstgemässe Eröffnung der Harnblase an irgend einer Stelle, um Steine
oder fremde von aussen eingedrungene Körper zu entfernen. — Gegen-
anzeigen für die Operation sind : ein unheilbares Erkranktsein der Blase
und benachbarter Organe, Vereiterung der Nieren, Einsackung des Steins,
ein sehr hoher Grad von Schwäche und Zehrfieber, Wassersucht. Auf-
zuschieben ist die Operation : bei Kindern unter drei Jahren , bei einem
höhern Grade von Entzündung der Blase oder ihrer Umgebung, bei einem
heftigen Paroxysmus von Steinschmerzen , besonders in Verbindung mit
bedeutender Affection der Digestionsorgane , Erbrechen etc. , bei Stric-
STEINSCHNITT.
875
turen der Harnröhre, bis deren Lumen wieder hergestellt ist, endlich bei
jeder zufalligen oder vorübergehenden Krankheit. — Man hat die zahl-
reichen Operationsverfahren beim Steinschnitte auf verschiedene Weise
einzutheilen versucht; die bekannteste Eintheilung ist die in den Stein-
schnitt: 1) mit der kleinen, 2) mit der grossen, 3) mit der hohen
Geräthschaft, 4) in den Seitensteinschnitt, 5) in den Steinschnitt
in der Rhaphe und 6) durch den Mastdarm. Die übersichtlichste
Eintheilung ist die von B l a s i u s ; nach dieser zerfallt der Steinschnitt
in 3 Klassen mit 8 Methoden beim Manne und 9 beim Weibe.
Steinschnitt beim Manne.
Cystosomatotomia, Einschnei-
dung des Blase nkörpers:
1) Epicystotomia , Einschnei-
dung über den Schambeinen.
2) Hypocystotomia, Einschnitt
vom Damme aus.
II. Cystauchenotomia , Einschnei-
dung des membranösen Theils
der Harnröhre , der Prostata, des
Blasenhalses u. selbst des Blasen-
körpers :
3) Urethrocystotomia, (Sei-
tensteinschnitt) schräger, seit-
licher Einschnitt vom Damme
aus.
4) Verticalschnitt, gerader
Schnitt in der Mittellinie vom
Damme aus.
5) Transversalschnitt, querer
Schnitt durch Damm , Prostata
•und Blasenhals.
6) Proctocystotomia, Schnitt
vom Mastdarm aus.
III. Urethrocystaneurysmatoto-
mia, Einschneidung der Harn-
röhre vom Damme aus und un-
blutige Erweiterung der Wunde
bis in die Blase :
Steinschnitt beim Weibe.
I. Cystosomatotomia,
1) Epicystotomia,
2) Colpocystotomia, Ein-
schneidung des Blasenkörpers
von der Scheide aus.
3) Vestibularschnitt, Ein-
schnitt zwischen Urethra und
Schambogen.
II. Cystauchenotomia, Spaltung der
Harnröhre und des Blasenhalses :
4) Seitensteinschnitt, schräge
Spaltung nach unten u. aussen.
5) Horizontalschnitt, ho-
rizontale Spaltung nach einer
oder zwei Seiten.
6) Verticalschnitt, Spaltung
nach auf- oder abwärts.
III. Urethrocystaneurysmatoto-
mia,
8 76 STEINSCHNITT.
7) Maria nischer Stein- 7)Marianischer Stein-
schnitt, Schnitt durch den s chn itt, Spaltung der Harn-
Bulbus und einen kleinen röhre schräg nach unten und
Theil der Pars raembra- aussen und unblutige Erwei-
nacea Urethra e. terung der Wunde.
8) Lecat' scher Stein sehn itt , 8) Horizontalschnitt, ho-
Schnitt durch diePars mem- rizontale Spaltung nach einer
branacea und einen Theil oder zwei Seiten mit unblu-
der Prostata. tiger Erweiterung.
9)Verticalschnitt , Spal-
tung nach oben , ebenfalls mit
unblutiger Erweiterung.
Ausser diesen Methoden gibt es noch eine Menge Varianten, welche
so weit es nöthig erscheint , später berührt werden sollen. Einige von
diesen Methoden sind gegenwärtig ausser Gebrauch , weil man sich über-
zeugt hat , dass dieselben theils in der Ausführung schwierig , unsicher
und beinahe unausführbar ohne Verlezung wichtiger Organe , theils in
ihren Folgen gefährlich, sehr oft tödtlich gewesen sind, z. B. die Hypo-
cystotomie und die M a r i a n i s c h e Methode. Andere sind noch nicht
durch die Erfahrung hinreichend geprüft, um über ihren Werth entschei-
den zu können , wie der Transversalschnitt. Bei dem Verticalschnitt kann
der Incision der Urethra und des Blasenhalses nur eine geringe Aus-
dehnung gegeben werden , er hat aber den Vortheil der geringeren Blu-
tung. Die Proctocystotomie bietet manche Vortheile, aber auch manche
Nachtheile , welche später angeführt werden sollen. Als allgemein für
zweckmässig anerkannte Methoden sind der Seitensteinschnitt und der
Steinschnitt über den Schambeinen , doch darf bei lezterem nicht ausser
Acht gelassen werden , dass eine Verlezung des Bauchfells möglich ist
und zuweilen zu Harninfiltrationen mit ihren Folgen Veranlassung ge-
geben wird, auch der Stein, wenn er zerbricht, schwerer zu entfernen ist.
Die Lecat 'sehe Methode ist, namentlich nach der Vereinfachung, die
sievonRust undChelius erfahren hat, häufig in Gebrauch, passt
nur bei kleinen Steinen. — In Nachstehendem werden die hauptsächlich-
sten Operationsmethoden von anatomischem Standpunkte aus, nebst einer
kurzen Würdigung jeder Methode, so wie ihrer Vorzüge und Nachtheile
angegeben werden. '
A. Steinschnitt beim Manne. 1) Hoher Blasen-
schnitt, Sectio alta, Epicystotomia. Diese Methode ist an-
gezeigt bei sehr grossen Steinen oder bei kleinen Steinen mit bestehenden
Krankheiten der Perinaealorgane , wohin insbesondere Neubildungen der
Prostata und varicöse Zustände des Plexus venosus prost aticus
gehören, welche lezteren die Untersuchung durch den Mastdarm erkennen
lässt : überdies bei Kindern unter acht Jahren , wo am Perinaeum
STEINSCHNITT. 877
keine entsprechend grosse Wunde gebildet werden kann. — Contraindi-
cirt ist die Methode, wenn die Blase sehr eontrahirt , oder wegen Verhär-
tung und Verdickung ihrer Wände wenig ausdehnbar ist, wie dies bei
Steinen , die lange in der Blase verweilten und bei den meisten Personen
über 6 0 Jahren der Fall ist. — Die nöthigen Instrumente sind : ein
Scalpell , ein spizes und ein geköftes Bistouri , zwei stumpfe Haken , eine
Pfeilsonde, oder statt dieser ein spizes Doppelhäkchen , Steinzange und
Steinlöffel. Ausserdem Wasser , Schwämme , Oel etc. — Der Kranke
liegt horizontal auf einem Bette oder Tische ziemlich nahe am Rande,
an welchem der Operateur steht. Gegenüber von ihm steht ein Gehülfe ;
wenn der Kranke narkotisirt ist , braucht man keine weiteren Gehülfen.
— Vor der Operation werden die Haare des Schambergs abrasirt und
der Kranke lässt den Urin. Injectionen in die Blase sind unnüz, denn
sie bewirken die von ihnen erwartete Erhebung der Blase über die Sym-
physe nicht. — Operation. Will man sich der Pfeilsonde bedienen,
so bringt man sie mit zurückgezogenem Stilet wie einen Catheter durch
die Urethra (nach vorausgegangenem Seitensteinschnitte durcft die Damm-
wunde) in die Blase und lässt sie so halten , dass sie beim folgenden
Act nicht im Wege ist. Der Operateur macht nun mit dem convex
schneidenden Scalpelle einen Schnitt in die Bauchdeken , welcher 2 \j%
Zoll über der Symphyse der Schambeine beginnt und etwa ^/2 Zoll über
den Rand der Schambeinvereinigung nach abwärts reicht. Dieser Schnitt
dringt bis auf die Linea alba, welche durch ihre Dichtigkeit und
weisse Farbe leicht von der anstossenden Aponeurose des Rectus ab-
d o in i n i s und Pyramidalis unterschieden werden kann. Dicht neben
der Linea alba und unmittelbar am Rande der Schanibeinvereinigung
rizt der Operateur mit dem Scalpelle die Scheide des Rectus und Pyra-
midalis ein und spaltet sie auf der Hohlsonde mit dem Bistouri. In-
dem man den frei gewordenen Rand der genannten Muskeln mit einem
stumpfen Haken nach aussen zieht , erblickt man im Boden der Wunde
eine dünne fibröse Haut (Fascia transversa), welche sich nach innen
in die Linea alba verliert. Diese Haut sticht man dicht am Rande
der Symphyse an, führt eine Hohlsonde unter sie und spaltet sie.
Nun erblickt man das subperitonäale Fett und kann leicht mit den Fin-
gern hinter der Symphyse bis zu den Ligamentis pubo-prosta-
t i c i s gelangen. Man kehrt nun die Finger so um , dass ihre Rückseite
gegen die Symphyse hinsieht , spannt auf diese Weise die vordere Blasen-
wand und schüzt das Peritonaeum. Sollte der oben beschriebene Schnitt
nicht Raum genug gewähren , so trennt man mit dem Knopfbistouri die
beiden M. M. recti theilweise oder vollständig, wo möglich ohne Ver-
lezung der Haut ab. — Die auf die oben angegebene Weise gespannte
vordere Blasenwand wird nun nach Stillung der Blutung durch kaltes
Wasser behufs ihrer Einschneidung entweder unter Vermittlung der Pfeil-
sonde oder mit Hülfe des spizen Häckchens geöffnet. Hat man die
878 STEINSCHNITT.
Pfeilsonde eingeführt, so neigt man jetzt den Griff derselben so zwischen
die Schenkel des Kranken , dass ihr Schnabel knapp oberhalb der Scham-
beinfuge fühlbar und die Blasenwand durch ihn selbst etwas in die
Wunde gedrängt wird. Man fasst ihn nun von den Seiten her zwischen
Daumen und Zeigefinger der linken Hand mit der ihn bedeckenden
Blasenwand, lässt den Gehülfen das Stilet vorschieben, ergreift dieses
mit den den Sondenschnabel haltenden Fingern und spaltet auf seiner
Rinne die Blasenwand bis zur Schambeinfuge herab. Einfacher ist das
Verfahren mit dem Häkchen : man sticht dieses in die vordere Blasen-
wand ein , spannt dieselbe nach oben , sticht unterhalb des Häkchens das
spize Bistouri in die Blase , sezt den linken Zeigefinger in die gemachte
Oeffnung ein und erweitert diese abwärts mit dem Knopf bistouri. —
Nach der gehörigen Eröffnung der Blase auf die eine oder die andere
Weise sezt man stumpfe Haken an die Ränder der Blasenwunde und
lässt diese gegen die Bauchwand und von einander ziehen. — - Nun führt
man auf dem linken Zeigefinger die Steinzange ein und sucht den Stein
zu fassen. Ist der Stein gross, so ist dies mit keinen Schwierigkeiten
verbunden ; ist jedoch der Stein klein und die Blase sehr geräumig , so
ist das Fassen schwer. Man muss dann sondirend mit den Armen der
Zange den Stein aufsuchen, an dieser Stelle durch Niederdrücken der
Zange ein Grübchen in die Blase bilden und den nachfallenden Stein
in diesem Augenblicke mit der Zange fassen ; bei nicht sehr geräumiger
Blase ist auch bei kleinen Steinen deren Auffindung leicht. Das Aus-
ziehen des Steins kann auch dadurch erleichtert werden , dass man von
einem Gehülfen einen Finger in den Mastdarm bringen lässt. Beim
Herausführen der Zange müssen die glatten Flächen der Zangenlöffel den
Wundrändern zugewendet werden. — - Zur Verkleinerung der Wunde
können am obern Wundwinkel zwei Knopfnahthefte angelegt werden,
welche übrigens auch das Vorfallen des Peritonäums in die Wunde ver-
hüten. Der Kranke wird ins Bett gebracht, die Wunde mit einer feuch-
ten Compresse bedeckt , Patient liegt entweder auf dem Rücken oder auf
der Seite mit angezogenen Schenkeln. Nach Günther's und Pitha's
Erfahrungen ist die so sehr gefürchtete Harninfiltration sehr selten und
daher alle die zur Verhütung derselben angewendeten Mittel , wie das
Einlegen eines ausgefranzten Bändchens , einer Canüle u. dgl. in die
Blasenwunde , eines Catheters in die Harnröhre , das Heften der Wunde
etc. überflüssig , sie sind sogar manchmal schädlich. — Der hohe Stein-
schnitt gewährt den Vortheil, dass Steine von allen Grössen leicht und
bequem für den Operateur entfernt werden können, die Operation an sich
keine bedeutende Verwundung sezt und keine Verlezung eines bedeutenden
Gefässes zu befürchten ist. Durch eine bessere Kenntniss des Verhältnisses
des Peritonäums zur Blase sind die aus der Verlezung des erstem sich
ergebenden Gefahren bedeutend gemindert , weshalb auch die Methode
in neuester Zeit viel mehr Anhänger gefunden hat , als sie früher hatte.
STEINSCHNITT, 879
Nicht ausser Acht darf indessen gelassen werden, dass das Bauchfell bis-
weilen sehr weit herabreicht.
2) Seitensteinschnitt, Sectio lateralis, Lithoto-
mia urethro-prostatica. Indicirt ist diese Methode bei Steinen
von geringer oder mittlerer Grösse (bis zu einem Durchmesser von etwa
18 Linien), unter der Voraussezung, dass die verschiedenen am Damme
liegenden Theile gesund sind. — Nöthige Instrumente sind: eine
an der convexen Seite gefurchte Leitungssonde (Itinerarium) , welche
möglichst dick sein niuss, damit der häutige Theil der Harnröhre mög-
lichst gespannt sei. Ein convexes Scalpell mit vollkommen geradem
Rücken; ein Knopfbistouri oder ein gerades schmales geknöpftes Messer,
welches bloss 1 Zoll vom Knöpfchen rückwärts schneidet ; gerade und
krumme Steinzangen , Steinlöffel und bei Kindern ein Gorgeret. Nicht
selten wird noch das Lithotome cache von Frere Cöme benüzt. Dieses
Instrument dient vorzüglich dazu, den hintern Halbring der Blasenmün-
dung der Urethra einzuschneiden. Es wird nach der Durchtrennung des
häutigen Theils der Harnröhre in der Furche des Itinerariums durch die
Blasenmündung der Urethra hindurchgeführt , dann durch Druck auf die
Klinge hervorgedrückt , und im Herausziehen der Vorsprung an der Bla-
senmündung der Urethra durchschnitten. Dieses Instrument ist über-
flüssig und die ganze Operation wird am besten mit dem convexen
Scalpell gemacht. — Der Kranke wird horizontal mit etwas erhöhtem
Kopf und Schultern auf einen Tisch oder ein Querbrett so gelagert, dass
die untere Hälfte des Kreuzbeins über den Rand des Tisches oder
Bettes , welcher gut gepolstert sein muss , hervorsteht. Die Ober- und
Unterschenkel werden gebeugt und von der Mittellinie abducirt. Die
Hände und Füsse werden mittels weicher Seiden- oder Wollschnüre zu-
sammengebunden, damit der Kranke nicht mit den Händen Bewegungen
machen kann. In dieser Lage werden die untern Extremitäten von
zwei Gehülfen erhalten , indem dieselben an der Aussenseite der
Extremität stehen , das Knie in die Achselhöhle legen , den Arm
an die Innenseite des Unterschenkels anlegen und mit der andern
Hand den Fuss so fassen , dass die Hohlhand über dem Fussrücken
liegt. Ein dritter Gehülfe, der an der rechten Seite des Kran-
ken hinter dem einen der oben genannten Gehülfen stehen muss ,
hält die Leitungssonde und zieht das Scrotuin in die Höhe. —
Operation. Der Operateur beginnt damit, dass er, zwischen
den Beinen des Kranken stehend, die Leitungssonde einführt und
sich von der Gegenwart des Steins noch ein Mal überzeugt ; hierauf
stellt er die Leitungssonde so, dass der gerade Theil derselben und der
Griff einen rechten Winkel mit der Längenachse des Körpers bilden,
dabei aber der Griff nach der rechten Seite des Kranken geneigt ist ; der
Schnabel der Sonde darf nur einige Linien in die Blase hineinragen. In
dieser Lage muss der Gehülfe mit der rechten Hand das Instrument fest-
880 STEINSCHNITT.
halten , während er mit der linken das emporgehobene Scrotum straff* an-
zieht, um den Bulbus Urethra hinaufzuziehen und die Pars m e m-
branacea anzuspannen. Nun lässt sich der Operateur auf ein Knie nieder,
fühlt nach der Richtung des aufsteigenden Astes des Sizbeins , nach der
Leitungssonde, die man allenfalls momentan an den Damm drücken lässt,
die aber nicht immer gef ühlfc wird, und merkt sich das Verhältniss beider
zu einander und zum After. Dann legt er den Zeigefinger der linken
Hand auf die Rhaphe unterhalb ihrer Mitte, den Daumen auf* den Sizknor-
ren , spannt die Haut in dieser Richtung an und führt , links von der
Rhaphe, 3 — 4 Linien von ihr entfernt und bei Erwachsenen 12 — 14, bei
jüngeren Personen 9 — 12, bei Kindern 5—7 Linien oberhalb des Afters
beginnend , einen Schnitt parallel mit dem aufsteigenden Sizbeinast und
mindestens 6 Linien überall von ihm entfernt schräg nach dem auf dem
Sizknorren ruhenden Daumen (bis zur Höhe des Afters) durch die Haut
und das subcutane Zellgewebe. Mit der Spize des linken Zeigefingers
geht der Operateur in die Wunde ein und überzeugt sich von der Dicke
der Weichtheile, welche die Leitungssonde bedecken ; fühlt er noch eine
dicke Schicht von Weichtheilen darüber liegen , so wiederholt er die
Schnitte, bis eine ganze dünne Lage über der Leitungssonde liegt. Hier-
bei werden der M. transversus perinaei, nebst den vordem Fasern
des Levator ani getrennt und indem man zwischen den M. ischio-
und bulbocavernosus eindringt, der leztere eingeschnitten. Nach-
dem der häutige Theil der Harnröhre auf diese Weise blossgelegt ist,
sucht der Operateur den mit dem Rücken nach dem linken Schambeine
des Kranken gekehrten Nagel des Zeigefingers in die Furche der Leit-
sonde einzudrücken und lässt leztere mit dem Griffe etwas nach rechts
neigen und das ganze Instrument gegen den untern Rand der Symphyse
emporziehen. Hierauf schneidet er durch eine kurze hebeiförmige Be-
wegung des Messers auf die Furche der Leitsonde ein , wobei die Spize
des Messers dicht an den Nagel des Zeigefingers angelegt und durch die-
sen gewissermassen geleitet wird. Fühlt der Operateur , dass die Spize
des Messers in der Furche der Leitsonde sich befindet , so legt er den
Rücken des Messers in die Furche, wobei die Schneide desselben etwas
nach der linken Seite des Kranken hingewendet ist, und schiebt dasselbe
bis an das Ende der Furche vor. Während dieser ganzen Procedur darf
die Spize des Messers , so wie der derselben zunächst gelegene Theil des
Rückens nicht ausser Berührung mit der Leitsonde kommen, daher muss
das Instrument bei der Ausführung dieses Schnitts mit seinem Griffe ei-
nen Bogen beschreiben, so dass es, am Ende der Furche angelangt, voll-
kommen horizontal oder selbst mit dem Griffe etwas abwärts steht. In
derselben Richtung, mit welcher das Messer vorgeschoben wurde, wird es
zurückgezogen. Mit diesem Schnitte wird die Prostata und der Blasen-
hals (oder vielmehr der hintere Halbring der Blasenmündnng, da es nach
den neuesten anatomischen Untersuchungen keinen Blasenhals gibt) zer-
STEINSCHNITT. 881
schnitten. Nach Beendigung dieses Schnitts führt man den linken Zeige-
finger in die Wunde , um sich zu überzeugen , ob die Blase eröffnet und
ob die Wunde geräumig genug sei. Kann der Operateur, wenn auch nur
mühsam , den Zeigefinger in die Blase einführen, so wird die Leitsonde
entfernt. Wäre die Wunde zu klein, so dass der Zeigefinger einen Wi-
derstand beim Vordringen in die Blase findet , so nimmt man das Knopf-
bistouri oder das oben bezeichnete knopfförmige Messer und erweitert
die Wunde ; das Messer wird hierbei flach mit der Seite nach links ge-
kehrt, auf der gegen den linken Sizknorren des Kranken gerichteten Vo-
larfläche des Zeigefingers eingeführt. Sobald das Knöpfchen über die
Widerstand leistende Stelle hinausgebracht ist, dreht man das Messer mit
der Schneide nach links und unten und drückt mit dem Zeigefinger auf
den Rücken des Instruments und erweitert auf diese Weise in der Rich-
tung des ursprünglichen Schnitts. Das Instrument wird wieder flach auf
den Zeigefinger aufgelegt und herausgezogen. — Wenn man sich mit dem
linken Zeigefinger überzeugt hat, dass die Wunde geräumig genug ist, so
sucht man mit dem Zeigefinger an den Stein zu gelangen und führt
hierauf die erwärmte und beölte Steinzange geschlossen ein. Bei Kin-
dern , wo der Kleinheit der Wunde wegen neben dem Zeigefinger die
Steinzange nicht eingeführt werden kann, bringt man zuerst ein Gorgeret
ein und dann auf diesem die Steinzange. — Wenn man mit dem Finger
den Stein erreichen kann, und derselbe nicht gross ist, so ist gewöhnlich
die Herausnahme des Steins leicht. Man fixirt dann den Stein mit dem
Finger, öffnet die Zange, welche gewöhnlich die obere Seite des Steins
berührt , hebt die Griffe der Zange etwas , worauf der Stein gewöhnlich
von selbst hineinfällt. Man schliesst dann die Zange ; aus dem Abstände
der Schenkel derselben erkennt man , ob man den Stein zu nahe am
Schlosse , oder wenn derselbe oval ist , im ungünstigen Durchmesser ge-
fasst hat. In diesem Falle führt man den Finger, ohne die Zange zu
öffnen, unterhalb der Zange in die Wunde und sucht, während man ganz
wenig die Zange öffnet, dem Steine die rechte Richtung zu geben. Kann
man jedoch den Stein nicht mit den Fingern erreichen, oder musste man
wie bei Kindern, das Gorgeret einführen, so fasst man die Zange, nach-
dem sie eingeführt ist, mit beiden Händen , so dass jeder Schenkel von
einer Hand gehalten wird , und sucht mit der geschlossenen Zange den
Stein sondirend auf, wobei die Blätter der Zange nach auf- und abwärts
gerichtet sind. Hat man den Stein gefunden , so dreht man die Zange
so, dass die Blätter nach rechts und links gerichtet sind, öffnet die Zange,
während man zu gleicher Zeit die Griffe der Zange erhebt ; dadurch drückt
man mit den Blättern eine Vertiefung in die Blase, welche von den geöff-
neten Zangenblättern umfasst ist ; der Stein fällt hinein und wird leicht
gefasst. Nicht selten gelingt es , Steine mit dem Steinlöffel und dem
Finger zu entfernen. — Bei hohem Stande der Blasenmündung der Ure-
thra muss man sich der gekrümmten Steinzange bedienen, welche man so
Burger, Chirurgie. 56
882 STEINSCHNITT.
einführt , dass die Concavität nach unten gerichtet ist ; man kann das
Fassen des Steins dadurch erleichtern , dass man einen oder zwei Finger
in den Mastdarm einführt und die untere Blasenwand nach oben drückt.
Häufig werden Steine im Scheitel der Blase festgehalten ; in diesem Falle
müssen die Griffe der umgekehrt eingebrachten krummen Zange stark ge-
senkt werden. — Sehr grosse Steine kann man mit einer starken mit
Zähnen versehenen Steinzange oder einem Steinzertrümmerungsinstru-
mente zerbrechen ; etwas kleinere Steine, welche aber doch in der Blasen-
wunde Widerstand finden , lassen sich oft leichter mit zwei vorn gegen
einander gehaltenen Steinlöffeln entfernen. Auch zerlegbare Zangen
werden angewendet. — Ist der Stein eingesackt, so sucht man ihn durch
Hebel oder einen Steinsucher mit Hülfe des Fingers aus seiner häutigen
Hülle herauszuheben ; gelingt dies auf keine Weise , so schneidet man
diese Hülle so viel als nöthig ein , wozu man sich am besten des C o o -
per'schen Herniotoms bedienen kann. Man hüte sich aber, über den
Stein hinaus zu schneiden, wodurch die Blase durchlöchert werden könnte.
— Hat die Blase sich um den Stein zusammengezogen , so dass man ihn
nicht fassen kann , so verschaffe man sich durch den Finger Raum, oder
führe die Zange geschlossen bis zum Steine ein und öffne sie nach ver-
schiedenen Richtungen. Ist Blasenkrampf vorhanden, was dadurch ge-
schehen kann, dass der Urin lange vor der Operation zurückgehalten und
bei der Operation plözlich entleert wurde , so muss man diesen durch in-
nere und äussere Anwendung krampfstillender Mittel, Einsprizungen von
erwärmtem Oel in die Blase erst heben, und gelingt dieses nicht, so muss
man mit der Steinausziehung warten. — Sobald der Stein entfernt ist, so
untersucht der Operateur die Blase mit dem Finger, ob nicht ein anderer
Stein oder Fragmente von solchem in der Blase vorhanden sind ; abge-
schliffene Stellen an dem ausgezogenen Steine deuten auf die Anwesen-
heit eines weiteren oder wohl auch noch mehrerer Steine hin. Man zieht
die Steine aus , Fragmente entfernt man mit dem Steinlöffel oder durch
Einsprizungen in die Blase. Zunächst stillt man die Blutung. Eine
etwas bedeutendere Blutung kann nur aus der Art. haemorrhoida-
lis media oder anterior und dem Plexus venosus prostati-
cus stattfinden. Man wendet kaltes Wasser oder die Tamponade an.
Den während der Operation vorfallenden Mastdarm reponirt man und lässt
ihn bis zur Beendigung dieser zurückhalten. Gegen die Verlezung des
Mastdarms , wenn sie einmal erfolgt ist, lässt sich erst zu Ende der JBei-
lung oder gar erst nach Ausbildung der Mastdarmharnröhrenfistel etwas
versuchen, doch meist vergeblich. — Nachdem der Damm gereinigt und
der Kranke losgebunden ist, wird dieser zu Bette gebracht und mit an-
gezogenen Schenkeln auf die linke Seite gelegt. Gegen die Wunde legt
man einen mit kaltem Wasser getränkten Schwamm, den man öfters und
namentlich recht häufig in den ersten 3 bis 4 Tagen reinigt und von
Neuem anfeuchtet , indem dadurch am besten der Nachblutung und Ent-
STEINSCHNITT. 883
zündung vorgebeugt wird. — Tritt Nachblutung ein, so macht man
zunächst von der Kälte eine intensivere Anwendung, reicht dies nicht hin,
so tamponirt man. Nicht selten erfolgt die Blutung in die Blasenhöhle,
in welchem Falle sie häufig lange nicht entdeckt wird, wenn Blutharnen
nicht aufmerksam macht, sodass oft erst Erscheinungen von Anämie auf
die Untersuchung der Regio hypogastrica über den Schambeinen
führen. Die Entfernung des Blutcoagulums durch Einsprizungen lau-
warmen Wassers muss erst, nachdem die Blutung stille steht, vorgenom-
men werden. Eine schlimme Erscheinung und die häufigste Ursache des
tödtlichen Ausgangs des Lateralschnitts ist Phlebitis des Plexus
v e n o s u s prostaticus; sie ist die Folge der Aufnahme von Urin oder
Eiter in die klaffenden Venenmündungen. — Die Wunde heilt häufig in
8 bis 10 Tagen , bedarf aber oft auch 3 bis 4 Wochen. Anfangs geht
der Urin durch die Wunde ab , dieser Abfluss vermindert sich aber bald
und nach etwa 8 bis 1 0 Tagen geht der Urin gänzlich oder doch fast
gänzlich durch die Harnröhre ab; man bedeckt dann die Wunde mit trok-
kener Charpie und einer Compresse und befestigt sie mit einer T-Binde ;
die Vernarbung befördert man schliesslich durch Betupfen mit Höllen-
stein ; droht die Entstehung von Fisteln , so legt man einen elastischen
Catheter durch die Harnröhre ein.
3. Transversalschnitt, Sectio bilateralis. Diese von
Dupuytren herrührende Operationsmethode soll als Ersazmittel des
früher so sehr gefürchteten hohen Blasenschnitts bei sehr grossen Stei-
nen , welche durch den Seitensteinschnitt nicht entfernt werden können,
dienen. Sie sezt eine bedeutende Verwundung, so wie eine der Heilung
ungünstige Wunde und ist von heftiger Blutung begleitet. Sie ist nur
dann zulässig, wenn der hohe Steinschnitt wegen Krankheiten der Blase,
des Peritonäums und der Bauchdecken nicht ausführbar ist. — Die Lage
des Kranken und die Stellung des Operateurs ist wie beim Seitenstein-
schnitt; auch die Instrumente sind dieselben, nur wird hier ein doppeltes
Lithotome cache mit zwei der Fläche nach parabolisch gekrümmten Klin-
gen angewendet, ein Instrument, das zwar nicht absolut nothwendig ist,
aber mit Vortheil benüzt werden kann. — Die Leitungssonde , deren
Furche in der Mitte am breitesten und tiefsten ist und in ein olivenför-
miges Ende ausläuft , wird genau senkrecht , der Furche der Raphe ent-
sprechend gerichtet , der Operateur macht mit dem Scalpell 6 bis 7 Li-
nien vor dem Mastdarm eine Bogenschnitt , von einem Sizknorren zum
andern. Dieser Schnitt , dessen Concavität gegen den After gerichtet
ist , dringt durch die Haut und das subcutane Zellgewebe ; hierauf wird
die sehnichte Verbindung des Sphincter ani externus mit den
M. M. bulbocavernosis und M. M. transversis perinaei in
der Richtung des Hautschnitts durchschnitten und der Operateur dringt
mit dem Scalpellhefte und dem Finger zwischen Mastdarm und der Cap-
sula pelvo-prostatica ein und trennt das Zellgewebe. Schliess-
56*
884 STEINSCHNITT.
lieh wird zu beiden Seiten der M. levator ani eingeschnitten, um den
nöthigen Raum zu gewinnen. Der Schnitt erhält je nach der vermuthli-
chen Grösse des Steins eine Länge von 12 — 2 0 Linien. Man sieht nun
die Prostata mit ihrem fibrösen Ueberzuge und fühlt die Leitsonde im
häutigen Theile der Harnröhre. Der Operateur zieht mit dem Zeigefinger
der linken Hand den Bulbus urethrae sammt dem obern Wundrande
empor und schneidet vor der Spize der Prostata den membranösen Theil
der Harnröhre mit der in die Rinne der Leitsonde eingesezten Spize des
Messers in einer Länge von 3—4 Linien ein. Unter Beihülfe des Na-
gels des linken Zeigefingers wird das Zünglein des geschlossenen Litho-
toms in die Furche der Leitsonde eingeführt, jenes nach Ausziehung der
Leitsonde durch einen Druck der Hand geöffnet und horizontal ausgezo-
gen , indem man seinen Griff allmählig senkt , wodurch Prostata und der
hintere Halbring der Blasenmündung der Urethra nach beiden Seiten hin
in der Richtung der äussern Wunde eingeschnitten werden. Die sehr ge-
räumige Wunde erlaubt die grössten Steine auszuziehen. — Statt des
Cystotome cache kann man sich auch eines gewöhnlichen Knopfbistouris
oder auch eines Pott 'sehen Fistelmessers bedienen , nur muss in
diesem Falle der Griff der Leitsonde beim rechten Schnitt nach
links und beim linken Schnitte nach rechts gewendet werden , so-
bald der erste Einschnitt auf die Leitsonde gemacht worden ist.
— Wattmann lässt, wenn er nach gemachtem Seitensteinschnitt findet,
dass die Wunde nicht geräumig genug für den Stein ist , den Griff der
Leitsonde stark nach der linken Seite neigen und schneidet in der Rich-
tung gegen den rechten Sizknorren mit dem Knopfbistouri ähnlich dem
beim Seitensteinschnitt gemachten Schnitte durch die Prostata. Er nennt
dieses Verfahren den innern Bilateralschnitt. — Vidal de Cassis
hat einen Quadrilateralschnitt angegeben; er besteht darin, dass
die Prostata durch einen Kreuzschnitt in vier Lappen getheilt wird. Die-
ser Schnitt gewährt nicht mehr Raum als der Dupuytre n'sche. — Zur
Stillung der Blutung hat Dupuytren ein Compressorium angegeben,
das aus zwei stark von einander federnden Armen besteht, welche ge-
schlossen in die Wunde gebracht und in dieser aus einander gelassen
werden.
Mast darm-Blasenschnitt , Sectio r ect o - ve s icalis.
Die Indication dieser von S a n s o n angegebenen Methode fällt mit der
des Bilateralschnitts zusammen. Sie hat den Vorzug vor diesem , dass
sie eine sehr geringe Blutung verursacht, und leicht und bequem auszu-
führen ist ; dagegen hat sie den Nachtheil, dass durch Einlegen der vor-
dem Harnröhren- und Blasenwand in die Wunde die Heilung dieser sehr
erschwert , selbst unmöglich gemacht wird. — Lage des Kranken und
Stellung des Operateurs sind dieselben, wie bei allen Steinschnitten am
Damme. Die Leitungssonde wird eingebracht und senkrecht nach auf-
wärts gehalten. Der Operateur führt den Weis s'schen Spiegel in den
STEINSCHNITT. 885
Mastdarm und erweitert durch denselben den After. Nachdem der nach
dem Steissbein gerichtete Griff des Spiegels einem Gehülfen übergeben
worden ist , fühlt der Operateur mit dem Zeigefinger der linken Hand
an der vordem Mastdarmseite die Leitsonde , sticht ein spizes Bistouri
oder Scalpell durch die genannte Wand und die Prostata gerade auf die
Leitsonde ein , worauf er das Messer , mit der Schneide gegen die Leit-
sonde gerichtet, nach vorn herauszieht und damit die vordere Mastdarm-
wand, die Harnröhre und die Sphincteren des Afters durchschneidet. Das
übrige Verfahren ist wie bei andern Steinschnitten.
B. Steinschnitt beim Weibe. Die Kürze und Weite der
weiblichen Harnröhre erlaubt die unblutige Entfernung von Steinen weit
mehr, als es bei der männlichen Harnröhre der Fall ist. Kleinere Steine
bis zur Grösse einer Wallnuss können durch die Harnröhre ausgezogen
werden. Die Operation betreffend, so sind hier dieselben Punkte zu be-
rücksichtigen, wie beim Manne, nur ist es räthlich, die Scheide zu scho-
nen, wo es nicht im Plane liegt, sie mit in den Operationsact hineinzuzie-
hen. — Der Körper der Blase kann sowohl über der Symphyse
(Epicystotomie) als auch unter der Symphyse (Vestibularschnitt) einge-
schnitten werden. Lezteres geschieht durch einen bogenförmigen Schnitt
im Vorhofe zwischen der Clitoris und dem obern Rande der äussern
Harnröhrenmündung. Dieser Schnitt öffnet die vordere Blasenwand.
An der hintern Wand lässt sich der Körper der Blase so wenig einschnei-
den als beim Manne , ohne dass das Peritonäum verlezt wird. — Von
der Urethra aus ist der Blasenschnitt auf verschiedene Weise in
Ausführung gebracht worden und zwar : a) Spaltung der Urethra schief
in der Richtung gegen den aufsteigenden Sizbeinast an derselben Stelle
wie beim Seitensteinschnitte des Mannes (Seiten steinschnitt,
Sectio lateralis); b) Spaltung der Urethra in der Mittellinie sammt
der vordem Wand der Scheide (Colpocystotomie, Scheiden-
blasenschnitt); c) Spaltung der Urethra in die Quere nach beiden
Seiten (Transversalschnitt); d) Spaltung der Urethra nach oben
und unten (Verticalschnitt). — Was nun den Werth dieser einzel-
nen Methoden betrifft, so gilt von der Epicystotomie im Allgemeinen das-
selbe, was von ihr beim Manne gesagt wurde. Der Vestibularschnitt ver-
dankt seine Entstehung der Furcht vor der Verlezung des Peritonäums bei
der Epicystotomie ; da diese Furcht aber , wie oben aus einander gesezt
wurde, eine eingebildete ist , so ist derselbe entbehrlich , und dies um so
mehr, als er bei weitem weniger Baum für die Ausziehung des Steins ge-
währt als die Epicystotomie und auch eine viel grössere Verlezung sezt,
namentlich werden die meisten Gef ässe verlezt , darunter auch oft die
Art. pudenda communis, die allerdings beim Weibe nicht die
Stärke, wie beim Manne hat. — Der seitliche HarnrÖhrenblasenschnitt
verursacht eine bedeutendere Blutung, als der Harnröhrenscheidenschnitt,
namentlich durch die venösen Geflechte , welche hinter und unter der
886 STEINZERTRUEMMERUNG.
Clitoris liegen. Dagegen ist aber bei dem Scheidenharnröhrenschnitt die
Ausbildung einer Blasenscheidenfistel viel leichter möglich, diese aber oft
zu vermeiden, wenn auch die äussere Harnröhrenmündung durchschnitten
wird. Der Transversalschnitt und der Verticalschnitt nach oben gewähren
7A\ wenig Raum für die Ausziehung grösserer Steine. — Eine Incon-
tinentia u r i n a e ist nicht selten die Folge der Harnröhrenblasen-
schnitte. — Wir betrachten nachstehend einige der gebräuchlichsten
Operationsniethoden.
1. Hoher Blasenschnitt, Sectio alta, Epicystotomia.
Er ist angezeigt bei grossen Steinen über 1 5 Linien Durchmesser.
Schwangerschaft und Wochenbett sind Gegenanzeigen. Die Operation
wird auf dieselbe Weise verrichtet wie beim Manne.
2. Seiten steinschnitt, Sectio lateralis. Die Kranke
wird ebenso wie beim Steinschnitt des Mannes gelagert. Der Operateur
führt in die Harnröhre eine starke Hohlsonde ein, richtet die Furche der-
selben gegen den linken oder rechten Sizknorren und führt in der Furche
derselben ein starkes Knopf bistouri ein. Hierauf senkt er den Griff des
Bistouri's , ohne das Knöpfchen aus der Furche zu entfernen und schiebt
das Messer in dieser Richtung eine kurze Strecke vor. Dann hebt er den
Griff des Bistouri's wieder und zieht dasselbe zurück. Der Gehülfe senkt
den Griff der Hohlsonde und der Operateur geht mit dem linken Zeige-
finger in die Wunde ein. Sollte der hintere Halbring der Blasenmün-
dung der Urethra nicht genügend eingeschnitten sein, so wird dies mit
dem entweder auf der Hohlsonde oder am Finger eingeführten Knopf-
messer nachgeholt. Hierauf folgt die Ausziehung des Steins. — Sollte
sich eine bedeutende Nachblutung aus den venösen Gef ässen zeigen , so
muss eine zeitweilige Tamponade der Wunde vorgenommen werden.
3. Scheidenblasenschnitt, Sectio vagino-vesicalis.
Die Lagerung der Kranken und die Stellung des Operateurs ist dieselbe.
Man führt eine starke Hohl - oder eine offene Leitungssonde durch die
Harnröhre in die Blase und ein hölzernes Gorgeret in die Scheide, so dass
die Instrumente da , wo der Einschnitt gemacht wird mit den Spizen zu-
sammenstossen , und lässt sie von einem Gehülfen festhalten. Der Ope-
rateur sticht das wie eine Schreibfeder gehaltene gerade Bistouri durch
die untere Harnröhrenwand und die vordere Wand der Scheide und
schneidet diese so weit auf der Furche nach hinten ein, als es die Grösse
des Steins erfordert. Ein Verband wird nicht angelegt. — Diese sehr
einfache und leicht auszuführende Operation hat den Nachtheil, dass meist
eine unvollkommene Heilung erfolgt und dann eine Incontinentia urinae
oder eine Harnröhrenscheidenfistel zurückbleibt.
Steinzertrümmerung, Lithotritie, Lithotripsis ()a-
■9-og, Stein, TQiipig, Zerreibung), heisst ein Verfahren, durch welches Harn-
steine in der Blase mittels durch die Harnröhre eingeführter Instrumente
STEINZERTRUEMMERUNG. 887
auf mechanischem Wege so verkleinert werden , dass sie durch die Harn-
röhre entleert werden können. — Die zu dieser Operation verwendeten
Instrumente (Lithotritoren) beruhen auf den Grundsäzen , dass sie von
einem Umfange seien, um bequem in die Harnröhre eingeführt werden zu
können, dass sie, in der Blase angelangt, gehörig geöffnet werden können,
den Stein gehörig erfassen und festhalten, und endlich dass sie im Stande
seien, den Stein zu Pulver zu zertrümmern oder doch in sehr kleine Theile
zu zerkleinern. — Die zahlreichen zu diesem Zweck erfundenen Instru-
mente lassen sich in Beziehung auf ihre Wirkungsweise am füglichsten
unter drei Klassen zusammenstellen: 1) der gefasste Stein wird ange-
bohrt, um ihn zerbrechlicher zu machen und dann zu zerdrücken; 2) er
wird von der Peripherie gegen das Centrum allmälig zerstört ; 3) er wird
geradezu durch Druck oder Stoss von der Peripherie gegen das Centrum
zertrümmert. Zur ersten Klasse gehören die Instrumente von Gruit-
huisen, Civiale, Leroy d'Etoille, Heurteloup, Rigal,
Pravaz, Benvenuti; zu der zweiten Eldgerton, Meyrieu,
Recamier, Rigal; zur dritten Amussat, Heurteloup, Jacob-
son, Leroy. — Die erste Art , den Stein zu zerstören , wurde zuerst
durch wiederholte Bohrungen nach verschiedenen Richtungen ins Werk
gesezt , worauf das zurückbleibende Gerüste des Steins gedrückt wurde.
Später wurden , um das Verfahren zu vereinfachen , Bohrer angewendet,
die in die Blase eingeführt , in ihrem Durchmesser sich erweitern Hessen,
so dass weniger , selbst nur eine einzige Bohrung zur Aushöhlung des
Steins nöthig waren. Zum Zerbrechen der zurückbleibenden Schale gab
Heurteloup seinen Prise-coque, eine zweiarmige Zange, an. Endlich
sollte der allmälig sich vergrössernde Bohrer den Stein selbst zersprengen.
— Die zweite Art , den Stein zu zerstören , bestand in der Bearbeitung
desselben durch feilenartig wirkende Instrumente. — Die dritte Art ist
die eigentliche Steinzertrümmerung , welche durch Druck oder stoss weise
wirkende Kraft ins Werk gesezt wird. Das zweckmässigste Instrument
zu diesem Zweck ist der Percuteur courbe von Heurteloup. Die
wirkende Kraft dieses Instruments ward ursprünglich durch den Hammer
erzeugt ; die spätere Vervollkommnung , vermöge welcher das Instrument
durch den Hammer und die Schraubenwirkung in Thätigkeit gesezt wer-
den kann, stammt von Amussat und S e g a 1 a s her ; die gebräuchlichen
Varietäten der gebrochenen Schraubenmutter sind Angaben von Civiale,
Leroy und Charrierre, von lezterem rührt der Schlüssel a pignon
her. — Gegenwärtig wird die Steinzertrümmerimg mittels der Percus-
sion nur allein noch geübt, weshalb wir uns auf die Beschreibung dieser
Methode beschränken. Die dazu erforderlichen Instrumente sind : ein
gezahnter Percuteur mit gebrochener Schraube oder auch mit dem Schlüs-
sel a pignon ; dieser dient zum Zertrümmern der grössern Stücke ; man
braucht auch häufig zu diesen einen Hammer ; ein löffeiförmiger Percu-
teur mit einem Schlüssel ä pignon zum Zerdrücken kleinerer Fragmente ;
888 STEINZERTRUEMMERUNG.
auch können mit demselben kleinere Stücke ausgezogen werden ; eine
Sprize, welche circa 4 Unzen Flüssigkeit fasst und ein Injectionscatheter,
in welchen die Sprize hineinpasst und der mit einem Hahne zum Ab-
sperren und weiten Fenstern am Schnabel versehen ist. — In der Regel
gelingt es selten , den Stein mit einem Male ganz zu zertrümmern ; es
muss dieses mehrmals hintereinander geschehen. Der jedesmalige Ope-
rationsact heisst Sizung ; die Dauer einer solchen Sizung richtet sich nach
der Empfindlichkeit des Kranken und den eintretenden Zufällen ; 5 — 6
Minuten und mehr. • — Beim Manne bietet die Operation mehr Schwierig-
keit dar als beim Weibe.
Lithotritie beim Manne. Der Operation müssen Vorberei-
tungen vorausgehen, welche sich besonders auf die Harn- und Geschlechts-
organe beziehen. Diese müssen mit möglichster Sorgfalt untersucht wer-
den ; und zwar sowohl nrit dem Catheter, wie mit dem Percuteur. Findet
man dabei die Harnröhrenmündung so enge, dass sie selbst das Einführen
des Instruments verhindert , so muss sie erweitert werden. Zu diesem
Behufe führt man eine Hohlsonde mit nach unten gekehrter Furche in die
Harnröhre ein und nimmt die Erweiterung mit dem Knopf bistouri vor.
Man legt dann einen ziemlich dicken Catheter in die Mündung der Harn-
röhre und wartet die Vernarbung der Schnittwunde ab. Stricturen in der
Urethra selbst müssen immer zuvor auf die bekannte Weise beseitigt wer-
den. Ist die Harnröhre in ihrer ganzen Ausdehnung eng (d. h. bei Er-
wachsenen nicht auf 4 Linien Durchmesser auszudehnen), ist sie empfind-
lich, so dass die Einführung und noch mehr das Liegenlassen von Instru-
menten in ihr Schmerzen und Contraction verursacht , so muss man eine
oder mehrere Wochen vor der Operation elastische Bougies von zuneh-
mender Stärke einlegen ; den Schluss der Vorkur macht man mit metalle-
nen Sonden. Eine hohe Lage der Blasenmündung der Urethra verhindert
in manchen Fällen das Fassen des Steins vollkommen ; hiergegen lässt
sich nichts thun. Auch eine bedeutende Prostatahypertrophie , nament-
lich des mittlem Lappens, kann die Operation verhindern. Ein zu gros-
ser und zu harter Stein verbieten die Operation gleichfalls. In gleicher
Weise kann eine ausserordentliche Reizbarkeit der Blase, häufig mit Hy-
pertrophie derselben verbunden , die Operation manchmal unmöglich
machen ; insbesondere weil mit diesen Zuständen eine so geringe Capaci-
tät der Blase verbunden ist, dass sie kaum 4 Unzen Flüssigkeit fasst.
Man kann versuchen durch vorsichtige Einsprizungen , laue Bäder, anti-
phlogistische Diät, Einreibungen von Narcoticis in die Dammgegend etc.
diese Zustände zu heben, in der Regel gelingt dies aber nicht. — Zur
Entleerung des Mastdarms erhält der Kranke l — 2 Stunden vor der Ope-
ration ein Klystier. — Bei der Operation liegt der Kranke horizontal im
Bette, den Steiss erhöht durch ein keilförmiges mit dem dicken Theil
nach unten gerichtetes Kissen. Das rechtwinklige Bett von Heurte-
1 o u p ist unzweckmässig. — Der Operateur steht an der rechten Seite
STEINZERTRUEMMERUNG. 889
des Kranken , ihm gegenüber ein Gehülfe , welcher die Bestimmung hat,
das Instrument, wenn der Operateur den Stein gefasst hat, zu fixiren. Be-
sondere Vorrichtungen hierzu sind überflüssig. — Operation. Nach
der Lagerung und Anästhesirung des Kranken (welche leztere indessen
einige Wundärzte verwerfen, weil dadurch die Empfindlichkeit des Kran-
ken, der einzige Massstab für die Beendigung einer Sizung , aufgehoben
sei) beginnt der Operateur damit , dass er den Catheter in die Blase ein-
führt und durch denselben sehr langsam 4 Unzen lauwarmes Wasser oder
schleimiges Decoct einsprizt. Die Sprize wird entfernt , der Hahn des
Catheters geschlossen und dieser langsam ausgezogen ; um den Abfluss
der Flüssigkeit , welche die Aufgabe hat , durch Ausdehnung der Blase
diese vor der Berührung der Instrumente und Steinfragmente zu schüzen,
zu verhindern , wird die Urethra hinter dem Schnabel der Sonde , sobald
dieser die Blase verlassen hat, comprimirt. — Unmittelbar nach der Her-
ausnahme des Catheters bringt man ganz wie diesen den erwärmten und
beölten gezahnten Percuteur ein , sucht mit ihm den Stein auf und eröff-
net ihn dann neben diesem, indem man sowohl die weibliche Branche vor-,
als die männliche zurückzieht. Hat man den Stein nicht gefasst, was man
daran sieht , dass sich das Instrument leicht und vollkommen schliesst,
so öffnet man das Instrument wieder und drückt es an der hintern Blasen-
wand sanft aber schnell nieder , worauf der Stein nicht selten vermöge
seiner Schwere zwischen die Branchen fällt. Sollte man auf diese Weise
den Stein nicht gefasst haben , so sucht man ihn, indem man das Instru-
ment nach rechts und links, nach oben und unten senkt und neigt, auf.
— Wenn man beim Schliessen des Instruments Widerstand fühlt und an
der Scala ein Abstehen der beiden Branchen erkennt , so hat man den
Stein gefasst. Hat man den (in der Voruntersuchung als nicht sehr gross
erkannten) Stein in einem sehr ungünstigen Durchmesser ergriffen , was
man an dem sehr grossen Abstände der Branchen bemerkt, so Öffnet man
das Instrument ein klein wenig und sucht dem Steine durch leichte er-
schütternde Bewegungen eine andere Lage zu geben, wozu man auch den
in den Mastdarm eingeführten Zeigefinger zu Hülfe nehmen kann. Nicht
selten geschieht es , dass der Stein , wenn man die Branchen des Instru-
ments stark gegen einander drückt , wieder entschlüpft ; in diesem Falle
war er zu nahe an seinen Rändern gefasst ; alsdann wird die nochmalige
Ergreifung nothwendig. Sobald man den Stein gefasst hat, so überzeugt
man sich durch Bewegungen des Instruments, ob man nicht mit dem Stein
die Blasenschleimhaut mit ergriffen hat ; eine seitliche Neigung des In-
struments unter gleichzeitiger Ermässigung des den Stein fixirenden
Druckes befreit jene. — Ist der Stein gut gefasst , so wird die Schraube
geschlossen und der Operateur beginnt zu drehen ; widersteht der Stein
diesem Drucke, so öffnet er die Schraube, hält das Instrument , nachdem
seine Branchenschnäbel in die Mitte der Blase gebracht worden sind, mit
seiner linken Hand geschlossen und schlägt auf die oberste Scheibe mit
890 STE1NZERTUUEMMERUNG*
dem Hammer. Der Hammer makss von weichem Eisen und die Hammer-
schläge kurz, nicht sehr stark sein. Je härter der Stein ist, um so schwä-
cher, kürzer und häufiger müssen die Hammerschläge sein , weil dadurch
der Stein eher in kleine Fragmente bricht, wodurch die gesammte Opera-
tion abgekürzt wird. — Diese Manipulationen (zuerst Compression, dann
Percussion) wiederholt man so oft, bis man mit dem gezahnten Instrumente
kein grösseres Fragment mehr findet, ein heftiges Verlangen des Operir-
ten zum Uriniren sich einstellt, oder wenn man glaubt, dass die Fortsez-
zung dieser Manipulationen eine zu grosse Beleidigung der Blase sezen
würde. Man sucht hierauf durch öfteres Oeffnen und Schliessen des In-
struments die zwischen den Branchen befindlichen Trümmer möglichst zu
entfernen und zieht dann das geschlossene Instrument wieder heraus.
Hierauf führt man , während die Urethra wieder wie bei der Injection
comprimirt wird, das löffeiförmige Instrument ein und sucht mit demsel-
ben die kleineren Fragmente durch dieselben Handgriffe , wie dies oben
beim Fassen des Steins gesagt wurde, auf und zerdrückt dieselben mittels
des Schlüssels a pignon. Wenn man dieses einige Male wiederholt hat,
so zieht man auch dieses Instrument heraus und die Sizung ist beendigt.
— Bei zweckmässigem Verfahren fühlt der Kranke in der Regel wenig
Schmerzen, der gewöhnlichste Zufall ist ein heftiger Drang zum Uriniren,
der sich wohl so steigern kann, dass man die Sizung aufheben muss ; zu-
weilen verschwindet dieser Drang aber auch , wenn man das Instrument
einige Augenblicke ruhig hält und einige Tropfen Urin aus der Harnröhre
neben dem Instrument hervorfliessen. Wird durch die Contraction der
Blase der grösste Theil der Flüssigkeit ausgetrieben, so kann dessenunge-
achtet beim Eintreten einiger Passivität der Blasenmuskeln der schon ge-
fasste Stein unter der erforderlichen Vorsicht bearbeitet werden. — Die
fernere Zersplitterung oder Zermalmung der Steinfragmente, oder des nur
verkleinerten Steins muss in den folgenden Sizungen geschehen. Man
bestimmt die Dauer des Zwischenraums zwischen jeder Sizung je nach
dem Allgemeinbefinden des Kranken und den der ersten Operation folgen-
den Symptomen, er stellt sich auf 3 bis 8 Tage und bei hohem Alter auf
1 4 Tage. Im Allgemeinen lässt sich als Grundsaz aufstellen , dass kür-
zere und häufigere Sizungen besser ertragen werden, als längere Sizungen,
wenn sie in grösseren Zwischenräumen vorgenommen werden. — ■ Nach
der Operation stellen sich am häufigsten ein : Fieberbewegungen, entzünd-
liche Reizung und Anschwellung der Schleimhaut der Blase und Harn-
röhre, der Prostata, der Genitalien und Leistendrüsen, indessen weichen
diese Zustände bald einem den Umständen angepassten antiphlogistischen
Verfahren neben warmen Bädern, Ruhe und Unterstüzung der Geschlechts-
theile durch ein Suspensorium. — Unmittelbar nach der Operation tritt
ein heftiger Drang zum Uriniren ein ; dieses ist ungemein schmerzhaft und
sparsam, der Urin blutig, meist ohne Spur von steiniger Beimischung, erst
später wird der Urin reichlicher, es geht mehr Sand und nach und nach
STEINZERTRUEMMERUNG. 891
grössere Fragmente ab. Runde , weiche und kleine Steinfragmente bis
höchstens 4 Linien Durchmesser gehen gut durch die Harnröhre ab und
verursachen nur zuweilen ein augenblickliches Stocken des Harnabflusses.
Sind dagegen die abgehenden Steinfragmente eckig, hart, so reizen, zer-
ren, ja verwunden sie zuweilen die Harnröhre, bleiben gern an verschiede-
nen Punkten, am häufigsten in der Fossa navicularis stecken , hin-
dern das freie Ausströmen des Urins , machen dem Kranken heftige
Schmerzen, erzeugen Blutung, entzündliche Reizung und Entzündung der
verlezten Partie. — Zur Entfernung der steckenbleibenden Steinfrag-
mente bedient man sich , wenn sie im cavernösen Theile der Harnröhre
stecken und sich nicht festgestochen haben, der Hunter' sehen Zange
oder des Steinlöffels von Leroy; steckt ein Fragment an der Eichelmün-
dung der Harnröhre, so muss diese , wenn sie zu klein ist, eingeschnitten
werden. Hat der Stein seinen Siz im gekrümmten Theil der Harnröhre,
so soll man ihn mittels eines dicken Catheters in die Blase zurückstossen,
oder mittels einer kräftigen Einsprizung zurücktreiben ; schlägt dies fehl,
so muss man die Urethrotomie vornehmen. — Noch ist eines Unfalls zu
gedenken , der sich zuweilen ereignet , nämlich das Brechen oder Biegen
des Instruments , was durch schlechten Bau oder bei zu harten Steinen
geschehen kann. Ein nur wenig gebogenes Instrument lässt sich häufig
durch die Harnröhre herausziehen , wenn man den Griff des Instruments
im Herausziehen stark gegen den Bauch neigt. Starke gebogene Instru-
mente machen den Blasenschnitt nöthig.
Die Lithotritie beim Weibe unterscheidet sich von der Ope-
ration beim Manne in folgenden Stücken: 1) ist häufig keine Injection
nöthig; 2) kann das Fassen des Steins dadurch sehr erleichtert werden,
dass der Gehülfe durch zwei in die Scheide eingeführte Finger den Stein
entgegendrücken kann; dieser muss in den Seitentheilen der Blase, welche
gleichsam Taschen bilden, aufgesucht werden; 3) ist das Zermalmen klei-
nerer Stüke nicht in dem Masse nöthig , wie beim Manne und man kann
selbst grössere Fragmente gleich nach der Zertrümmerung entfernen.
Indicationen zur Lithotritie. Die Anwendung dieser
Operation beruht hauptsächlich auf der Möglichkeit, mit entsprechenden
Instrumenten durch die Harnröhre in die Blase zu gelangen, den Stein zu
fassen, zu zerkleinern und die Steinreste zu entfernen. Sie ist daher vor
dem 12. Jahre nicht anwendbar, weil die Enge der Urethra ein zu schwa-
ches Instrument fordern würde. Eine weitere Bedingung für die Opera-
tion ist , dass der Stein nur massig hart ist , so dass es gelingt , ihn bei
jedesmaliger Sizung in viele Fragmente zu theilen. Härtere Steine zer-
springen in grosse Stücke, welche durch die Urethra nicht abgehen kön-
nen ; das Aufsuchen und Zertrümmern dieser Fragmente ist einestheils
viel schwieriger, anderntheils gefährlicher, weil zu viele Sizungen nöthig
werden. — Die Contraindicatioen ergeben sich zum Theil aus dem
eben Angeführten ; des Weitern verbieten die Operation Krankheiten
892 STEINZERTRUEMMERUNG.
der Blase, der Harnröhre und der Prostata (s. oben), so wie ein zu gros-
ser Umfang des Steins. — Beim weiblichen Geschlecht gelingt die Ope-
ration weit besser, weil der Abgang der Fragmente erleichtert ist. — Die
Lithotritie kann unter sonst günstigen Umstanden besonders da mit Vor-
theil in Anwendung gebracht werden, wo die Kranken eine grosse Furcht
vor dem Steinschnitt haben , indessen ist sie durchaus nicht so schmerz-
und gefahrlos, als sie von einigen übertriebenen Vertheidigern hingestellt
wurde.
Bei weichen sehr brüchigen Steinen hat Denamiel ein Verfahren
angegeben, welches er Lithothlibie nennt. Man führt einen starken
Catheter oder eine Steinsonde in die Blase , den Zeigefinger einer Hand
in den Mastdarm , sucht mit dem Catheter über den Stein zu kommen
und denselben durch den Druck des Fingers gegen das Instrument zu
zerdrücken.
StirnhÖhlenkrankheiten. In der Stirnhöhle kommen Ver-
schwörungen der Schleimhaut und Afterbildungen vor, welche so ziemlich
unter den gleichen Symptomen, nämlich heftigem Schmerz im Vorderkopf
und in der Gegend der Nasenwurzel mit der Empfindung von Druck und
Schwere auftreten. - — Die Verschwärung entsteht entweder durch
Fortpflanzung von der Nasenhöhle aus oder sie ist die Folge einer primä-
ren Entzündung der die Wandungen der Sinus frontales auskleiden-
den Membran, deren Product dann eiterig wird. Nicht selten sind Ver-
schwärung und Eiterungen in der Stirnhöhle von einem primären Knochen-
leiden abhängig, namentlich von syphilitischer Caries. Ist die Communi-
cation zwischen Stirn- und Nasenhöhle offen, so fliesst der Eiter in leztere
und durch diese nach aussen ab. Wenn aber die Communication nach
der Nase hin nicht durchgängig ist , so greift unter dem Drucke der an-
gesammelten Flüssigkeit die Entzündung auf die knöchernen Wände über,
die porotisch gewordenen Knochen geben nach, die Höhle wird nach vorn
und hinten vergrössert und durch die Verdrängung der hintern Tafel
Hirndruck bedingt. Endlich wird die vordere Knochentafel durchbrochen
und es kommt zur Entwicklung von Fisteln. Seltener erfolgt der Durch-
bruch nach hinten , wodurch Entzündung des Gehirns und seiner Häute
herbeigeführt wird. — An Neubildungen kommen in der Stirnhöhle
hauptsächlich Polypen, dann auch Hydatiden vor. Diese After-
bildungen haben in ihrem weiteren Wachsthum dieselben Folgen, wie die
Ansammlung einer Flüssigkeit , sind deshalb von solchen nicht wohl zu
unterscheiden , es wäre denn , dass ein in die Nasenhöhle hineinragendes
Stück der Neubildung der Untersuchung zugänglich würde. — Die Be-
handlung kommt bei sämmtlichen Arten von Erkrankungen darin mit
einander überein, dass diese die Eröffnung der Stirnhöhle fordern,
und weicht, nur darin ab , dass bei flüssigen Ansammlungen häufig das
einfache Durchbohren der Knochenwand mittels eines Perforativtrepans
SUBCUTANE OPERATIONEN. ' 893
oder eines troicart- oder pfriemenartigen Instruments genügt, wahrend
bei Polypen u. dgl. ein Stück des Knochens mit einem kleinen Kronen-
trepan ausgesägt werden muss. Bestehen Knochenfisteln , so erweitert
man diese nach Bedürfniss mit einem Linsenmesser. Nach der Entfer-
nung des Aftergebildes macht man reinigende , später adstringirende Ein-
sprizungen. Daneben müssen etwa bestehende Dyscrasien berücksichtigt
werden.
Strolllade , Thorulus stramineus, Lectulus, Fanon,
nennt man ein Verbandstück , welches man zur Unterstüzung von Bein-
brüchen, hauptsächlich der untern Extremitäten benuzt; sie soll dem Ver-
bände mehr Festigkeit geben und namentlich das Ein- oder Auswärts-
fallen des gebrochenen Gliedes verhüten. Man hat zwei Arten derselben,
wahre und falsche. — Die wahren Strohladen, Lectuli s. Tho-
ruli straminei veri, sind Cylinder, welche entweder aus einem dick
mit Stroh umwickelten Stabe oder auch bloss aus glattgelegtem Stroh,
welches in Form eines Cylinders durch einen umgewickelten Faden zu-
sammengehalten wird , bestehen. Zwei solcher Cylinder bringt man auf
die Ränder eines nach der Dicke des Gliedes verschieden breiten Stücks
Leinwand (Strohladentuch) und rollt sie gegen einander, bis eine dem
aufzunehmenden Gliede an Breite entsprechende Leinwandrinne gebildet
ist, die man unterlegt und mit Bändern befestigt. — Die falschen
Strohladen, Lectuli, Thoruli spurii, faux Fanons, dienen
zur Unterstüzung der wahren und werden unter diese gelegt ; das verlezte
Glied ruht dabei schwebend auf dem Strohladentuche. Ursprünglich be-
diente man sich dazu runder Stäbe , da diese aber keine sichere Lage
gaben, so gebrauchte man zuerst ausgehöhlte viereckige, später dreieckige.
Die Befestigung geschieht mit Bändern. — Der Strohladenverband ist
gegenwärtig wenig mehr im Gebrauch ; statt desselben bedient man sich
jezt häufig flacher Schienen, die man nach Art der wahren Strohladen in
die zwei Seiten eines Leinwandstücks einwickelt und den Zwischenraum
zwischen ihnen und dem Gliede mit Spreukissen ausfüllt. Eine der Länge
der Schienen angemessene Anzahl Bänder befestigt das Ganze.
Subcutane Operationen. Man versteht hierunter Trennun-
gen unter der Haut liegender Gebilde mit möglichst geringer Verlezung
der erstem, in der Absicht, jeden Zutritt von Luft zu der Wunde zu ver-
hüten. — Neben dem, dass die subcutanen Verwundungen keine Neigung
zur Entzündung, noch seltener zur Eiterung besizen, welches leztere nur
geschieht , wenn man zu grosse Oeffnungen in die Haut gemacht hat , so
dass Luft eintreten konnte , haben sie noch die weiteren Vortheile , dass
sie sehr schnell vollzogen werden können, wenig schmerzhaft sind , wenig
oder gar keine constitutionelleren Symptome verursachen, wegen der ge-
ringen Verlezung der so erregbaren Haut und der Ausschliessung der at-
mosphärischen Luft die verlezten Theile rasch heilen und schliesslich zu
894 SUBCUTANE OPERATIONEN.
ihrer Ausführung nur einen sehr einfachen Apparat brauchen. Wesent-
liche Bedingung ist es daher, dass man nicht allein die Hautöffnung mög-
lichst klein macht , sondern diese Oeffnung auch möglichst entfernt von
der innern Wunde anlegt. — Die häufigste Anwendung findet der Unter-
hautschnitt behufs der Durchschneidung verkürzter Muskeln und Sehnen ;
doch ist er allmälig auf Cysten , Hydatiden, Ganglien, Hygrome, Ranula,
Gelenkmäuse, Abscesse, Blutgeschwülste etc. ausgedehnt worden, bei wel-
chen die Haut verzogen, die schmale Messerklinge eingestochen, die be-
treffenden Höhlen eingeschniten, der Inhalt ausgedrückt und der Wund-
kanal wie die kranke Höhle durch einen Compressivverband zur Verwach-
sung gebracht wird. Das Nähere hierüber s. die betreffenden Artikel.
Hier bleibt uns nur übrig, von der Durchschneidung der Sehnen,
Tenotomia, zu sprechen. — Zur Durchschneidung dieser Theile (wie
überhaupt zu allen subcutanen Operationen) bedient man sich eines schma-
len Messers, welches, weil es am häufigsten zur Trennung von Sehnen be-
nuzt wird, den Namen T e n o t o m führt. Das gebräuchlichste Instrument
ist ein schmales, spiziges (einem Federmesser ähnliches), sichelförmig ge-
krümmtes Messer. Weniger häufig gebraucht wird ein geradschneidiges
an der Spize stumpf abgerundetes Tenotom. Das erstgenannte Instru-
ment gewährt den Vortheil, dass man mit ihm die Hautwunde anlegen
und zugleich den subcutanen Schnitt ausführen kann , während man bei
dem zweiten die Haut vorher mit einem andern spizen Messer anstechen
muss , was die Operation verlängert. — Man kann die Sehnen in der
Richtung von innen nach aussen (subtendinös) oder von aussen nach in-
nen (subcutan) durchschneiden. Im erstem Falle führt man das Messer
flach unter der Sehne weg , wendet die Schneide nach oben und trennt
die Sehne nach der Haut zu ; im andern Falle bringt man das Messer
zwischen die Hautbedeckung und Sehne ein, dreht die Schneide nach ab-
wärts und schneidet in die Tiefe , wobei man sich zu hüten hat , andere
Theile, als welche man zu trennen beabsichtigt, zu verlezen. Beim Vor-
dringen des Messers vermeide man das Ausstechen auf der entgegenge-
sezten Seite. Die kleine Hautwunde darf, um den Lufteintritt möglichst
zu vermeiden, der innern Verwundung nicht entsprechen. Man erreicht
dies am sichersten, indem man an dem einem Rande der zu durchschnei-
denden Sehne eine Hautfalte bildet, an deren Basis das Tenotom einge-
führt wird. Lässt man die Hautfalte los , so befindet sich alsdann die
Hautwunde in ziemlicher Entfernung von der Sehnenwunde. Wo sich
aber keine Falte bilden lässt, da muss man ohne Weiteres die Stichwunde
in hinreichender Entfernung von dem subcutan zu durchschneidenden
Theile anlegen, so dass das Tenotom sich einen kleinen Kanal bis zu sei-
nem eigentlichen Bestimmungsorte zu bahnen hat. Um die Sehne (oder
den Muskel) möglichst vollkommen und allein zu durchschneiden , muss
sie durch passive Ausdehnung angespannt werden. Dies geschieht ent-
weder vor dem Einführen des Tenotoms , wenn man von der Tiefe gegen
SYPHILIS.
895
die Oberfläche schneidet, oder ini entgegengesezten Falle nach demselben.
Zur Durchschneidung selbst wird das Heft des Tenotoms , wenn man von
der Oberfläche gegen die Tiefe schneidet , schreibfederförmig in die rechte
Hand genommen und die Sehne in hebeiförmigen Bewegungen durch-
schnitten , wobei man mit dem Daumen oder Zeigefinger der linken
Hand an der Durchschneidungstelle auf die Haut aufdrückt. — Wenn
man von der Tiefe nach der Oberfläche schneidet, so hält man das Te-
notom etwa wie ein Federmesser beim Zuschneiden einer Feder oder
eines Bleistifts, und drückt mit dem Daumen der das Messer führenden
Hand die Sehne der Schneide entgegen, wodurch der Druck des Messers
gegen die Haut gemässigt und die Verlezung der leztern verhütet wird.
— Nach der vollständigen Durchschneidung der Sehne, welche unter
einem hörbaren Krachen erfolgt , wird das Tenotom wieder flach heraus-
geführt und dann sogleich der Daumen der linken Hand in den Zwischen-
raum der zurückgezogenen Sehnenenden , wobei gewöhnlich einige Luft-
blasen entweichen , dann auf die Wunde gedrückt und diese mit einem
kleinen Charpieballen und einem Heftpflaster bedeckt. — Mit Ausnahme
der Fälle , wo man eine gewaltsame Streckung vornehmen will , heginnt
man die mechanische Ausdehnung an der durchschnittenen Sehne erst
5 — 6 Tage nach der Operation. Als Verband für die Nachbehandlung
eignet sich der Kleisterverband, wo er anwendbar ist, am besten.
Syphilis, Die Syphilis ist eine Krankheit, welche nie von selbst
entsteht , sondern jedesmal aus der Uebertragung eines specifisch viru-
lenten Stoffs, des venerischen Giftes, entspringt. Sie entwickelt
sich ferner nur von dem Punkte aus , auf welchen dieser virulente Stoff
eingewirkt hat, und manifestirt sich: 1) durch einen Chanker und durch
gewisse damit verbundene Localzufälle , 2) durch allgemeine Zufälle,
welche eintreten , sobald nach einer gewissen Incubationszeit vom Chan-
ker aus der virulente Stoff in die Säftemasse gedrungen ist (allgemeine
Lustseuche). Diese allgemeinen Zufälle sind : a) frühzeitige oder se-
cundäre , b) später eintretende oder tertiäre Zufälle. — Das syphilitische
Gift gehört zu den fixen Contagien und haftet an dem übrigen Secrete
syphilitischer Affectionen. Dasselbe ist seiner Natur nach völlig unbe-
kannt. Die stärkste Ansteckungsfähigkeit besizt der Eiter von primären
syphilitischen Affectionen, namentlich Geschwüren, besonders während
diese sich noch vergrössern. Sorgfältig aufbewahrt, behält das syphili-
tische Secret längere Zeit seine ansteckende Kraft. Durch Verbreitung
verliert es nicht an Wirksamkeit, es reproducirt sich in jedem Geschwür.
Die Krankheit lässt sich auch durch Einimpfen fortpflanzen, sobald sie
aber eine allgemeine geworden ist, ist sie nicht mehr inoculabel. Iedes
Alter und jede Constitution besizt Empfänglichkeit für das Gift, und
diese wird durch ein- oder mehrmalige Ansteckung nicht getilgt, nur
ist diese Empänglichkeit nicht bei allen Subjecten gleich stark. Die An-
896 SYPHILIS.
steckung erfolgt durch wunde oder mit feiner Oberhaut bedeckte Stellen.
— Man theilt die Syphilis in primäre und s e c u n d ä r e , und zwar
nennt man sie primär, wenn die Zeichen der Ansteckung unmittelbar
nach derselben an der Ansteckungsstelle erscheinen , secundär aber,
wenn sie später an Stellen , die nicht unmittelbar mit den Contagien in
Berührung kamen, zum Vorschein kommen. Ricord macht aus den Er-
scheinungen der secundären Syphilis zwei Stadien und nimmt demnach
eine primäre, secundäre und tertiäre Syphilis an. Primärer
Zufall, der Chanker, Folge der direkten Wirkung des Giftes. Er re-
producirt dasselbe und pflanzt sich mittels desselben auf dem Wege der
Contagion von einem kranken Individuum auf ein gesundes fort, ebenso
durch die Inoculation, oder auch an dem Individuum selbst von einer
Stelle auf die andere. — Successive Zufälle, d. h. solche, die nach
und nach oder durch blosse Ausdehnung des ersten örtlichen Symptoms
auftreten, wie z. B. neue Chanker, rein entzündliche oder virulente
Drüsengeschwülste. — Secundäre Zufälle oder Zufälle allgemeiner
Infection , wo das Gift eine Modifikation erlitten und die syphilitische
Constitution erzeugt hat. Diese Zufälle entwickeln sich auf der Haut,
den Schleimhäuten , in den Augen , den Hoden etc. und treten selten
früher als nach zweiwöchiger Dauer des primären Zufalls , des Chankers
auf, in der Regel aber erst 4, 6, 8 Wochen darauf oder noch weit später.
Diese secundären Erscheinungen können unbestreitbar von der Mutter
auf das Kind erblich übertragen werden. Die Kinder tragen dann nach
der Geburt allgemeine, denen der Mutter analoge Symptome an sich, ohne
primäre Afiectionen erlitten zu haben und ohne dass man dieselben etwa
auf Rechnung von Sympathien bringen darf, welche durch die Ge-
schlechtsorgane des Vaters oder der Mutter zwei oder drei Monate nach
der Geburt auf sie eingewirkt hätten. — Tertiäre Zufälle, welche in
unbestimmten Zeitabschnitten , in der Regel aber lange Zeit nach dem
Aufhören des primären Leidens auftreten. Sie zeigen sich bei der Mehr-
zahl der Kranken nur , wenn schon secundäre Symptome der Krankheit
vorhanden gewesen oder noch vorhanden sind, was zu richtiger Feststel-
lung der Diagnose nicht übersehen werden darf. In die Reihe der ter-
tiären Zufälle hat man zu stellen : den Nodus , die tiefen Tuberkel, die
Tuberkel des Zellgewebs , die Periostosen, die Exostosen, die Caries,
die Necrosen , die syphilitischen Tuberkel des Gehirns , manche innere
Affectionen , die bisher noch unvollkommen dargestellt sind.
1. Chanker. Die primär syphilitischen Geschwüre (Ulcera
syphilitica s. venerea primaria) kommen am häufigsten an den
Geschlechtstheilen , bald einzeln, bald in Mehrzahl vor und sind durch
Ansteckung beim Coitus entstanden. Gewöhnlich zeigen sie sich beim
Manne an der Eichel und an der innern Fläche der Vorhaut , besonders
in der Nähe des Frenulums ; seltener an der äussern Fläche ; beim Weibe
am Scheideneingange in der Fossa navicularis, an der innern Fläche
SYPHILIS. 897
der grossen und kleinen Schamlippen , an der Commissur , seltener tiefer,
in der Scheide , an der Clitoris etc. Selten erfolgt die Ansteckung an
den Brustwarzen durch Säuglinge, an den Lippen und dem Munde durch
Küssen , durch Trinkgeschirre , Tabakspfeifen u. dgl. — Nach erfolgter
Ansteckung tritt die Geschwürentwicklung bald sogleich in den ersten
2 4 Stunden oder erst nach mehreren Tagen , und zwar auf wunden Stel-
len schneller , als auf mit der Oberhaut bedeckten ein. Excoriirte Stel-
len entzünden sich und wandeln sich unmittelbar in Geschwüre um. Auf
von der Oberhaut bedeckten Stellen macht sich zuerst ein rother Fleck
bemerklich ," und der Angesteckte empfindet hier ein leichtes Jucken,
Stechen oder Brennen. Bald bemerkt man die Entwicklung eines zuge-
spizten gelben Bläschens (Chankerbläschen) oder Knötchens, weiches die
Grosse eines Stecknadelknopfs oder Hirsenkorns erreicht , dann aufbricht
und ein Geschwürr darstellt. Die Schwärung greift hierauf in dem auf
die eine oder die andere Art zu Stande gekommenen Geschwüre noch
einige Zeit um sich, dieses ist schmerzhaft, hat eine runde Form, scharfe,
wie abgeschnittene Ränder , einen rothen Saum , einen speckigen Grund
und sondert in reichlicher Menge einen bald dünnen, häufiger aber einen
dicken weissgelblichen oder gelblichgrünen Eiter von eigenthümlichem Ge-
rüche ab. Unter günstigen Verhältnissen hört der fressende Character
des Geschwürs nach einiger Zeit auf, dasselbe wird stationär, dann tritt
eine Besserung des Aussehens ein , die Absonderung wird sparsamer , die
wunde Stelle granulirt und überhäutet sich endlich unter Bildung einer
vertieften Narbe. Bisweilen findet auch eine abwechselnde Besserung
und Verschlimmerung statt , ehe es zur Vernarbung kommt. Die Dauer
dieses Vorgangs ist gewöhnlich 3 — 8 Wochen. — Die hier gegebene
einfache Form von Chanker erleidet nach dem Size des Uebels und in
Folge besonderer Beschaffenheit des xlnsteckungsstoffes mannigfache Ab-
weichungen, von denen die wichtigsten folgende sind : a) das erhabene
oder wuchernde Geschwür (Ulcus elevatum s. Condyloma-
tos um). Auf einer hypertrophisch erhabenen Hautstelle von dunkel-
rother Farbe bildet sich ein Geschwür, dessen weisslicher , oft schwam-
miger Grund der Hautfläche gleich oder noch höher ist und dessen
Ränder sieh über die Haut erheben. Dieses Geschwür hat seinen Siz
auf der äussern Haut, vorzüglich wo sie in die Schleimhaut übergeht,
daher am Rande der Schleimhaut, an den Schamlefzen, am Hodensack etc.
Bald zeigt das Geschwür gleich von Anfang einen wuchernden Character,
bald erst im spätem Verlaufe. Es heilt langsam mit Hinterlassung einer
vertieften Narbe. — Es hat immer Zufälle allgemeiner Syphilis zur
Folge. — b) Der verhärtete, callöse oder Hunter'sche Chan-
ker (Ulcus callosum s. Hunteri). Der Grund des Geschwürs ist
tief, sehr hart, knorpelartig, weniger speckig; die Ränder sind erha-
ben , wie abgebissen , zackig oder auch abgerundet , auswärts gestülpt,
kupfer- oder dunkelroth; die Absonderung ist gering und ebenso die Em-
Burger, Chirurgie. 57
898 SYPHILIS.
pfindlichkeit. Der Verlauf solcher Geschwüre ist immer langsam und
nach der Heilung bleibt die Härte oft noch lange zurück. Besonders
Geschwüre auf der Eichel nehmen zuweilen diese Beschaffenheit an, theils
spontan , theils nach angewandter Aezung. Sekundäre Zufälle erfolgen
häufig auf diese Geschwüre ; das Verschwinden der zurückbleibenden
Härte deutet die Beseitigung der allgemeinen Lues an. — c) Der fres-
sende Chanker (Ulcus phagadaenicum) stellt ein unregel-
mässiges Geschwür dar , welches sich rasch in die Breite und Tiefe ver-
grössert. Der Grund dieses Geschwürs ist sehr vertieft , ungleich und
mit einem zähen, graugrünlichen, speckigen, festsizenden Ueberzug be-
deckt ; die Ränder sind blauroth , wie abgebissen , aufgewulstet , oft um-
gestülpt ; es ist sehr schmerzhaft und hat nicht selten starke Blutungen
aus angefressenen Gefässen im Gefolge. Es kommt besonders bei Män-
nern am Frenulum und am Collum glandis, bei Weibern an der
innern Seite der Lefzen vor. Bei cachectischen Individuen, besonders
Säufern , tritt das syphilitische Geschwür häufig gleich anfangs unter
dieser Form auf, doch können auch die milderen Formen durch Diätfeh-
fehler, Unreinlichkeit, unzweckmässigen Merkurialgebrauch phagadänisch
werden. Sekundäre Zufälle erfolgen häufig. — d) Der brandige
Chanker. Dieser ist entweder eine Abart des vorigen, wobei der
Grund des Geschwürs theilweise brandig wird, oder er ist das Resultat
einer zu milderen Geschwüren hinzugetretenen erysipelatösen Entzün-
dung , welche sich über die äussern Geschlechtstheile ausbreitet und die-
selben manchmal in 2 4 Stunden in eine schwarze leblose Masse verwan-
delt, nach deren Abstossung die wunde Fläche bald zu granuliren und
zu heilen beginnt. Häufig bleiben bei dieser Form von Geschwüren die
secundären Zufälle aus , weil der Boden zerstört wurde , auf dem das sy-
philitische Gift Wurzel gefasst hatte , doch ist dies nur der Fall , wenn
eine solche Zerstörung eintritt, ehe das Gift in den Körper aufgenommen
werden konnte. Veranlassung zu der brandigen Entzündung geben grobe
Diätfehler , besonders im Trinken bei schon vorhandenen Geschwüren ;
Nichtbeachtung der entzündlichen Erscheinungen und besonders ihres
erysipelatösen Characters , ferner der Einfluss einer schlechten Hospital -
und Kerkerluft.
2) Secundär syphilitische Affectionen. Die syphi-
litische Infection hat entweder keine weiteren Folgen, oder aber es findet
zugleich vom Geschwüre aus ein Uebergang des Chankergifts in die
Lymph - und Blutgefässe statt , wodurch Entzündung der benachbarten
Lymphgefässe und Drüsen entsteht. Die nächste Folge ist eine An-
schwellung der leztern (meist der Leistendrüsen) , Bubo venereus,
welche sich wieder zertheilen , oder aber in Eiterung übergehen können.
— Im weiteren Verlaufe geht das syphilitische Gift in die ganze Con-
stitution über , in Folge dessen eine eigenthümliche Blutkrase veranlasst
wird, welche unter dem Namen syphilitische Dyscrasie, all-
SYPHILIS. 899
gemeine Syphilis oder Lustseuche (Syphilis secundaria,
universalis, Lues venerea) bekannt ist und welche sich durch
verschiedene Erscheinungen offenbart Als solche sind eine Reihe von
Hautausschlägen (Syphiliden), Schleimhautentzündungen und Ge-
schwüre , so wie pseudoplastische Bildungen , wohin die Condylome,
Schleimplatten und syphilitischen Tuberkel gehören , zu bezeichnen. —
Wir betrachten einige dieser secundären Affectionen näher. a) Der
syphilitische Bubo, Bubo venereu s, die Anschwellung und
Entzündung der Lymphdrüsen , gehört in die erste Reihe der secundären
syphilitischen Zufälle. In der Mehrzahl der Fälle ist der Bubo eine
Folgeerscheinung des Chankers ; durch vielfache Erfahrungen ist aber
dargethan , dass das syphilitische Gift auch auf andere Weise aufge-
nommen und der Bubo dadurch erzeugt werden kann. — Der virulente
primäre syphilitische Bubo entsteht meistens bei noch offenem Chanker-
geschwür und zwar selten in den ersten Tagen des syphilitischen Ge-
schwürs, dessen Eiter ihn erzeugt. Am häufigsten tritt er- nach der
ersten oder noch öfter nach der zweiten Woche , zuweilen noch später
auf. — Der Kranke empfindet zuerst eine unangenehme Spannung und
einen von dem Geschwüre aus sich aufwärts erstreckenden Schmerz.
Dieser steigert sich, eine Leistendrüse schwillt an und zeigt sich als ein
kleiner umschriebener Knoten , der innerhalb 8 — 1 0 Tagen , oft auch
rascher , die Grösse eines Taubeneies erreicht und auch dessen Form
zeigt. Mit der Zunahme der Geschwulst vermehren sich auch die Schmer-
zen , erstrecken sich jedoch nicht über dieselbe hinaus , erschweren das
Gehen und Druck vermehrt sie. Die Geschwulst hat eine umschriebene
kupferrothe Farbe , welche nie über ihre Ausdehnung hinausgeht. Unter
Frösteln und pulsirendem Schmerze, selten unter Fieberbewegungen geht
die anfangs sich hart anfühlende Geschwulst in Eiterung über , indem
sie am erhabensten Punkte weich , teigig wird und sich zuspizt. Oft
röthet sich die Geschwulst erst mit der Bildung des Eiters. Zuweilen
bilden auch , besonders bei stark entzündeten Bubonen , die Lymphge-
fässe zwischen der Drüse und dem Chanker rothe, knotige Stränge, in
welchen sich wieder kleine Abscesse entwickeln , die sich in venerische
Geschwüre umwandeln. Unter den gewöhnlichen Ercheinungen kommt
der Bubo zur Reife , wobei die Röthe immer saturirter und kupferartig
wird , öffnet sich an einer oder mehreren Stellen , gibt anfangs einen oft
gutarig scheinenden Eiter , bald aber breitet sich die zum Geschwür wer-
dende Eiterfläche rasch im Umfange aus , die unterminirten Ränder wer-
fen sich um und weVden wie der Grund weiss und speckig. — Einen
etwas veränderten Verlauf zeigt der mehr atonische Bubo , der bei schlaf-
fen , cachectischen , geschwächten Individuen vorkommt. Er sieht mehr
blauroth aus , zerstört , bevor er aufbricht , die Theile in der Tiefe in
einem bedeutenden Umfange , oder die Eiterung bleibt aus , er bricht an
mehreren Stellen auf und geht in Verhärtung und fistulöse Entartung
57*
900 SYPHILIS.
über ; zuweilen erfolgt Uebergang in Brand. — b) Die syphiliti-
schen Hau tau schlage, Syphiliden, zeigen im Allgemeinen die
characteristischen Elementarformen der Krankheiten des Hauptgewebes,
treten demnach bald als Entzündungen mit Congestion wie Roseola,
Erythem a, Urticaria syphilitica, bald als Entzündungen mit
Ergiessung , als Bläschenausschlag, (vesiculäre Syphilis) etc. auf. — Die
syphilitischen Hautausschläge kommen in der Regel mit jenen Sympto-
men zusammen, welche die secundäre Syphilis bezeichnen und nach län-
geren Zwischenräumen der primär vorangegangenen Ansteckung folgen;
nur selten entwickeln sie sich , wenn noch primäre Zufälle zugegen sind,
auch zeigen sie sich zuweilen durch erbliche Uebertragung nach der Ge-
burt. Ihr Verlauf ist meistens chronisch und nur in den wenigen Fällen,
wenn sie zu der congestiven Gruppe gehören oder gleichzeitig mit pri-
mären Affectionen erscheinen , sind sie von Zeichen acuter Entzündung
begleitet. — Am häufigsten entwickeln sie sich an den Theilen des Kör-
pers , welche dem Einflüsse der Luft ausgesezt sind , und in welchen also
die Capillarcirculation am lebendigsten ist. Wir finden sie deshalb oft
am Gesicht , an der Stirn , am Halse , an den Handgelenken und an den
Händen. Die für characteristisch gehaltene dunkle Kupferfarbe der
Syphiliden erscheint meistentheils erst sehr spät und oft nur in den
Flecken derselben, welche auf die Heilung der Formen folgen, c) Secun-
däre Schleim ha u tentzünduu gen und Geschwüre. Es ge-
hören hieher Entzündungen und Verschwärungen in der Rachen- und
Nasenschleimhaut (Angina syphilitica) und ähnliche Erscheinungen
am After. Die Röthe dieser Entzündungen zeichnet sich durch runde,
umschriebene , dunkle , kupferfarbige Flecken aus , die von einzelnen
dicken Gefässen durchzogen sind. Zuweilen sizen auf den entzündeten
Stellen weisse Flecke , die sich bei genauerer Untersuchung als kleine
Bläschen ausweisen, die, wenn sie absterben, einen oberflächlichen Schorf
erzeugen. Zuweilen zeigen sich auch grössere Papeln und Pusteln. Im
Allgemeinen ist die Entzündung schmerzlos und nur ein lästiges Gefühl
von Trockenheit und Rauhigkeit im Halse zugegen , weshalb auch die
Sprache rauh ist. Bei auf die Nase, den Gaumen, die Stimmrize , die
Mündung der Tuba Eustachii fortschreitender Entzündung wird die
Nase trocken, die Ohrtrompete verstopft ; die Luft geht nur schwer durch
die Nase , die Schleimhaut der Nase wird empfindlicher und sondert viel
eitrigen Schleim ab. Die Stimme wird zum Nasenton , und wenn die
Stimmrize ergriffen ist , klanglos ; die Augen beginnen zu thränen , das
Gehör leidet etc., dagegen sind fieberhafte Symptome nur selten zugegen.
— Ueberlässt man die Schleimhautentzündungen sich selbst, so schreiten
sie in der Regel immer weiter aus , oder erscheinen auch an entfernten
Punkten des Körpers , z. B. am Afterrande , dem Warzenhofe etc. —
Die Entzündung geht entweder unter Abstossung der weissen Flecken in
Genesung über oder es tritt Verschwärung ein. — Die sich bildenden
SYPHILIS. 901
Secundärgeschwüre gleichen im Wesentlichen den primären Ge-
schwüren , sie können unter den Zeichen des verhärteten Chankers
auftreten , oder sie verlaufen auch wohl wie die phagadänischen Ge-
schwüre und oft wie solche die durch Entzündung brandig geworden
sind. — Im Halse richten sie nicht selten bedeutende Zerstörungen an;
der hängende Gaumen wird zerstört und damit die Stimme auf eine ganz
eigenthümliche AVeise verändert ; ergreift die Zerstörung den Schlund
und Kehlkopf, so wird die Stimme rauh und klanglos (Raucedo syphi-
litica); im weiteren Fortschreiten des Uebels kann es zur Zerstörung der
Muscheln , Nasenbeine , Gaumenbeine , Wirbelkörper etc. kommen. Zu
diesen örtlichen Leiden gesellen sich in Folge der Resorption der Jauche
bald bedeutende Störungen des Allgemeinbefindens, hectisches Fieber,
caehectisches Aussehen , Abmagerung etc., endlich Phthisis. — Ge-
schwüre am After sind meist spaltförmig, haben scharfe Ränder und
sind mit Schmerzen bei der Stuhlausleerung und Tenesmus verbunden.
— Geschwüre der äussern Haut entstehen aus Abscessen des
Unterhautzellgewebes, entzündeten Hauttalgsäcken oder aus verschwären-
den Hautausschlägen. Sie sizen je nach ihrer Entstehungs weise bald nur
oberflächlich , bald greifen sie mehr in die Tiefe ; an den Händen und
Füssen treten sie nicht selten als Risse und Schrunden auf. — Diese
Geschwüre haben das Eigenthümliche , dass sie oft an der einen Stelle
heilen , dagegen andere Partien ergreifen und sich häufig in regelmässig
geschlängelten oder kreisförmigen Linien , durch welche gesunde Haut-
stellen eingeschlossen werden , nach und nach über grosse Hautstrecken
ausbreiten. — Von den Condylomen wurde in einem besondern Ar-
tikel gesprochen.
3). Tertiäre syphilitische Affectionen. Sie treten meist
nur erst eine lange Zeit nach der primären Affection auf, und da an-
dere Ursachen ganz ähnliche Krankheiten erzeugen können, so ist es bis-
weilen unmöglich, sie zu unterscheiden. Nicht contagiös , vererben sie
sich nur dadurch , dass sie in der Organisation und Constitution der
Kinder krankhafte Umstimmungen ohne specifischen Character erzeugen,
die man zu den gewöhnlichen Scropheln rechnen kann. Die Rieord'-
sche Lehre aber , dass unter den syphilitischen Formen und Krankheiten
nur der Chanker contagiös und inoculirbar sei , wird von vielen Autoren
bestritten , und es wird auch die Ansteckungsfähigkeit und Inoculirbar-
keit der secundären und tertiären Syphilisformen behauptet , so wie ihre
Uebertragbarkeit von den Eltern, auf die Kinder. — Die tertiären Zu-
fälle haben nach R i c o r d zum Siz das subcutane Zellgewebe , die fibrö-
sen , knochigen und knorpeligen Texturen , die Muskeln , die Nerven-
substanz und die parenchymatösen Organe , kurz den Organismus in
seiner Totalität. Zwischen dem Hervortreten der Uebergangssymptome
und den ersten Tertiärzufällen finden unendlich viele Uebergänge statt,
aber einer der Hauptcharactere aller Erscheinungen dieser Periode be-
902 SYPHILIS.
steht in der Tendenz , sich auf die tiefliegenden Theile zu concentriren
und nicht nach aussen zu treten , wie es gerade umgekehrt bei den se-
eundären Erscheinungen der Fall ist. — Die Zufälle , welche die ter-
tiäre Syphilis hervorruft , sind: a) tiefe Tuberkel in der Haut
und den p a r e n c h y m a t ö s e n O r g a n e n , G u m ra i g e w ä c h s e , T u -
mores gummös i. Sie haben ihren Siz in dem subcutanen, submucö-
sen oder interstitiellen Zellgewebe, Sie sind meistens mit Scropheln
oder herpetischen Affectionen complicirt , verlaufen langsam und oft
schmerzlos , entstellen die Theile , auf welchen sie sizen , verhärten sich
erst , um dann in einen Zustand von Erweichung überzugehen ? worauf
die Schwärung bald folgt. Sie kommen nicht selten in Mehrzahl vor.
Sie haben öfters das Aussehen scirrhöser oder carcinomatöser Verhärtun-
gen. — b) K n o c h e n s c h m e r z e n , Dolores o s t e o c o p i , kommen
überall im Knochengewebe , in den tiefern , wie obern Schichten , in den
flachen und Röhrenknochen, in den Gelenkenden wie im Schafte vor.
Sie treten meistens des Nachts auf und sind immer an derselben Stelle
des Knochens fixirt. Witterungswechsel bringt sie häufig zur Entwick-
lung. Häufig folgt Periostose auf sie. — c) Die Periostosen ent-
stehen meistens an der Stelle des Knochens , wo der Siz des Schmerzes
ist. Sie stellen mehr oder weniger umschriebene Geschwülste dar, welche
gewöhnlich ihren Siz auf den an der Oberfläche des Körpers liegenden
Knochen, an der Tibia , Clavicula , Ulna, dem Radius, den Schädelkno-
chen etc. und vorzüglich auf den Punkten haben , wo diese Knochen der
Haut am meisten genähert sind. Gebildet wird die Geschwulst von dem
Periosteum , welches sich erhebt und in Folge einer Ablagerung von
plastischen Stoffen zwischen Periosteum und Knochen , oder in Folge
einer exsudirten, der Synovia ähnlichen Flüssigkeit von dem Knochen ab-
löst. Im ersten Falle , wo die Geschwülste eine gewisse Festigkeit zei-
gen , nennt man sie Tophi, Nodi; im zweiten, wo sie mehr oder we-
niger fluctuiren, Gummata oder gummöse Periostosen, d) Exo-
stose n. Sie kommen vorzüglich an den compacten Theilen der Kno-
chen vor und es gehen ihnen syphilitische Knochenschmerzen voraus.
Sie sizen entweder an der Oberfläche des Knochens oder im Parenchym
desselben oder bei den Röhrenknochen in der Markhöhle. Diesemnach
gibt es äussere oder Periostealexostosen und innere oder
Medullär exostosen. Die Exostosen können sich zertheilen, ver-
härten oder in Eiterung übergehen. Lezterer Ausgang tritt namentlich
ein, wenn die der Krankheit zu Grunde liegende Entzündung in dem
schwammigen Gewebe der Knochen ihren Siz hatte, und Caries oder
Necrose ist dann die Folge. — e) Sehnen- und Muskelverkür-
zungen. Sie beruhen auf einer Texturveränderung des Muskels,
bestehend zuerst in Hypertrophie, dann Atrophie eines Gewebes. —
f) Affectionen der Nerven. Die Syphilis kann auf das Gehirn
und Rückenmark wirken und dadurch Motilitäts- und Sensibilitätsstörungen
SYPHILIS. 903
hervorrufen (Paraplegie , Epilepsie , Catalepsie , chronische Nervenübel).
— g) Hodenanschwellung und Affectionen des Auges.
Behandlung der Syphilis im Allgemeinen. — Prophy-
lactische Kur. Zur Verhütung der Ansteckung hat man aus dem
Bereiche der medicinischen Mittel theils äussere, theils innere Mittel em-
pfohlen. Von diesen haben die leztern (Mercurialien) gar keinen , die
erstem nur einen beschränkten Werth. — Dasjenige Individuum, das
sich vor der Ansteckung schüzen will , muss die Prophylactica vor und
nach dem Beischlaf brauchen. Zu diesem Zwecke sind die Pudenda (beim
Manne die Gl ans penis) mit adstringirenden Mitteln, z. B. Alaunauf-
lösungen , Essig , Bleizuker , Weingeist , Viinim aromatic u m , gerb-
stoffhaltigen aromatischen Substanzen, Citronensaft, Terpenthin, nament-
lich bei einer so empfindlichen Oberhaut des Penis, dass sie bei einer
jeden Friction wund wird, zu waschen. Nach vollzogenem verdächtigen
Coitus muss die Sorgfalt für Reinlichkeit verdoppelt und die Genitalien
mit alcalischen Auflösungen, Seife, Chlorauflösungen gewaschen werden;
diese Mittel müssen aber schwach genommen werden , dass sie nicht
reizen , doch aber auch stark genug , dass sie die Eigenschaft behalten,
die krankhaften Stoffe , die sich angesezt haben können , zu zersezen
(Chlor 5j auf ] Pfd. Wasser, Kali caust. gr. j — jj auf ^j Wasser).
Das Urinlassen nach dem Beischlaf mag auch einigen Nuzen gewähren.
Jede erfolgte Trennung des Zusammenhangs muss sorgfältig cauterisirt
werden. Die Condoms schüzen , so lange sie nicht reissen , gut. — Die
Verhütung der Ausbildung einer syphilitischen Dyscrasie geschieht durch
eine allgemeine Behandlung , und diese hat einzutreten , sobald eine ört-
liche Affection eintritt. — Es gibt verschiedene Mittel und Wege , durch
welche der syphilitischen Dyscrasie entgegengewirkt werden kann: 1.)
durch eine strenge Diät. Man beabsichtigt damit , den Organismus
auf eine geringere Lebensthätigkeit zurückzuführen , wodurch ein Ab-
sterben des dem Körper Fremdartigen und Aufgedrungenen bedingt
wird. 2) Durch die Anwendung von Arzneimitteln, welche die verschie-
denen Se- und Excretionen befördern und den Faserstoffgehalt des Bluts
vermindern. Hieher gehören vorzüglich Holztränke und antiphlogistische
Abführmittel. 3) Durch die Anwendung von Arzneimitteln , welche
theils die Ausscheidungen nach aussen vermehren , theils eine specifische
Wirkung auf die syphilitische Dyscrasie äussern. Hieher gehören das
Quecksilber , das Jod , das Chlorzink , das Gold , Silber , Kupfer , und
die Salpetersäure. — Ein warmes Verhalten und Vermeidung der Erkäl-
tungen ist bei allen Kuren der Syphilis am Plaze. Die verschiedenen
antisyphilitischen Kurmethoden werden häufig mit einander in Anwen-
dung gebracht. — Die Behandlung der Syphilis ohne Anwendung spe-
cifischer Mittel , bloss durch Entziehung der Nahrung und Gebrauch von
ausleerenden Mitteln, nennt man die einfache. Diese Methode beschränkt
sich entweder bloss auf die Entziehung der Nahrung , indem man den
904 SYPHILIS»
Kranken bei warmem Verhalten taglieh nur zwei bis drei Mal leichte Suppe
mit etwas Weissbrod gemessen lässt ; oder man verbindet mit dieser magern
Dia', behufs der Bethätigung der Urin- und Hautsecretion den Gebrauch
vegetabilischer Mittel, der Holztränke , wie der Sarsaparill- , Sandried-,
Klettenwurzel, des Guajacholzes etc., oder endlich reicht man neben ma-
gerer Diät Auflösungen von Glauber- oder Bittersalz , täglich oder alle
zwei Tage, zur Bewirkung von 3 — 4 flüssigen Stühlen. Die genannten
Holztränke wendet man theils allein, theils in mehrfachen Zusammensez-
zungen an, unter welchen das Z i t tm a n n ' sehe Decoct das bekannteste
ist (s. den Schluss dieses Art.). Besondere Hungerkuren haben angegeben :
F. H o f f m a n n , Wieslow, O s b e c k , S t r u v e u. A. — Die einfache
Behandlung hat sich bei primären syphilitischen Geschwüren , wenn sie
einfach sind, ausreichend erwiesen, die Ausbildung der syphilitischen Dys-
crasie zu verhindern. Selbst wenn diese entstanden ist, zeigt sich die
einfache Behandlung , wenn sie mit gehöriger Consequenz durchgeführt
wird, wirksam. Sie hat den Vortheil, dass sie weniger nachtheilige Fol-
gen hat, als die eingreifenderen. Kurmethoden. — Unter den speeifi-
sehen Heilmitteln der Syphilis nimmt das Q u e c ks i lb er den ersten
Rang ein ; es wird entweder innerlich oder äusserlich angewendet. Bei
den primären Affectionen gibt man innerlich die leichten Quecksilberprä-
parate, wie das Calomel, den Mercurius solubilis Hahne manni.
Bei Personen, die sich nicht halten können, oder bei rasch um sich grei-
fenden Geschwüen , passt der Sublimat , der häufig nach der Dzondi'-
schen Methode (s. unten) zur Anwendung kommt. Bei hartnäckigen, um
sich fressenden Geschwüren, Caries etc. greift man zum rothen Präcipitat ;
er hilft oft da, wo der Sublimat nicht ausreicht, auch bewirkt er weniger
leicht Speichelfluss als dieser. Das Cyanquecksilber, von Parent empfoh-
len, soll, sich nicht so leicht zersezen wie der Sublimat. — Die äusser-
lich e Anwendung des Quecksilbers findet theils in den Fällen statt , wo
der Kranke dieses nicht erträgt , theils bei hartnäckiger allgemeiner Sy-
philis, besonders Knochenkrankheiten, wo andere Heilverfahren vergebens
versucht worden sind. Man benuzt entweder methodische Einreibungen
der grauen Salbe (bekannt unter dem Namen Inunctionskur, Fric-
t i o n s - oder Schmierkur, s. unten) , oder Sublimatbäder oder Räu-
cherungen mit Zinnober. — Eine gewöhnliche Folge der Anwendung des
Quecksilbers ist der Eintritt eines Speichelflusses, und man schliesst
gewöhnlich auf eine heilsame Wirkung des Mittels, wenn er sich einstellt ;
tritt er ein , so muss die Kur unterbrochen werden. — Die Anwendung
des Quecksilbers führt manche Unbequemlichkeiten und Nachtheile mit
sich, ja sein schädlicher Einfluss kann, namentlich bei Nichtbeachtung der
allgemeinen Kurregeln und bei einem unzweckmässigen Gebrauche so be-
deutend sein, dass für das ganze Leben ein krankhafter Zustand des Or-
ganismus zurückbleibt ; die Anwendung dieses Mittels erfordert daher
viele Vorsicht. — Nächst dem Quecksilber ist das Jod eines der wirk-
SYPHILIS.
905
samsten Mittel, besonders bei den secundären und tertiären Formen der
Syphilis, hartnäckigen Mund-, Nasen- und Rachengeschwüren, Haut- und
Knochenkrankheiten. Es erweist sich besonders wirksam , wenn die sy-
philitische Dyscrasie mit mercurieller, scrophulöser oder herpetischer Dys-
crasie complicirt ist. Man bedient sich gewöhnlich des Jodkali's ; wäh-
rend seines Gebrauchs vermeidet man amylumhaltige Nahrungsmittel
(Mehlspeisen, Kartoffeln). — Chlor zink, Gold, Silber, Kupfer
und die Salpetersäure haben sich gleichfalls heilkräftig gegen die
Syphilis gezeigt , doch werden diese Mittel nur selten in Gebrauch ge-
zogen.
1) Behandlung der primären Syphilis. Der ei nf ache
Chanker kann in einzelnen Fällen durch die Naturheilkraft beseitigt
werden; da jedoch dieses nicht immer geschieht und so lange die Heilung
nicht geschehen , der Kranke der allgemeinen Infection ausgesezt bleibt,
so ist es jederzeit erforderlich, dem Uebel so zeitig als möglich entgegen-
zutreten. Der Chanker verlangt bei seinem ersten Auftreten unter allen
Umständen die abortive Methode. Kommt man, was indessen selten der
Fall ist , dazu , so lange noch die Pustel besteht, so theilt man diese und
cauterisirt ihre Basis nachdrücklich mit Höllenstein ; man kann die Pustel
auch ausschneiden , wobei aber lieber etwas zu viel als zu wenig wegge-
nommen wird. Am häufigsten kommt das schon bestehende Chankerge-
schwür zur Behandlung ; dieses muss gleichfalls cauterisirt werden. Zeigen
sich in Folge einer Ansteckung mehrere Schleimbälge angeschwollen , so
muss man sie aufschneiden und mit Höllenstein äzen. Sind die Gewebe,
wo der Chanker sizt , nur etwas angeschwollen, hat er selbst schon eine
gewisse Ausdehnung gewonnen , so wirkt der Höllenstein nicht mehr tief
genug und die Ausschneidung kann nicht mehr über die inficirten Gewebe
hinausdringen. In solchen Fällen empfiehlt R i c o r d das Aezkali oder
noch besser die Wiener Aezpaste ; man darf diese jedoch nicht weiter als
etwa 1 — 2 Linien auf die gesunden Gewebe ausdehnen. In Folge der
Anwendung dieser Aezmittel werden die cauterisirten Theile gern ödema-
tös und schwellen sehr an , weshalb man sie auch in den Fällen nicht in
Gebrauch ziehen darf, wo man einen Chanker an der innern Fläche der
Vorhaut oder auf der Eichel bei schon vorhandener , mehr oder weniger
starker Phimosis äzen müsste. C ollmann äzt mit Essigsäure, welche
er mit einem Glasstäbchen auftupft. — So lange der Chanker in der
Verschwärungsperiode bleibt , muss man die Aezung mit Höllenstein so
oft wiederholen , als man nach dem Abfallen der künstlich erzeugten
Schorfe am Grunde oder an den Rändern die dieser Periode angehörigen
Kennzeichen findet. Wo Vernarbung eintritt, darf diese durch das Aez-
mittel nicht zerstört , sondern dieses nur auf die eiternden Stellen ange-
wendet werden. Zum Verbände bedient man sich der Charpie mit aro-
matischem Weine. Das Geschwür wird sorgfältig mit dem Weine ge-
waschen und dann mit der nur leicht mit dem Weine getränkten Charpie
906 SYPHILIS.
bedeckt. Bleibt die Absonderung aber dennoch sehr reichlich , so ver-
bindet man mit der weinigen Abkochung der Gerberlohe. Verursacht der
aromatische Wein Schmerzen, so sezt man ihm 8 — 10 Gran Extr. opii
g u m m osura bei. Versiegt die Eiterung ganz und gar , und das Ge-
schwür wird daher stationär , so sezt man den Wein für den Augenblick
aus, verbindet mit einer erweichenden Abkochung und kehrt nach einigen
Tagen wieder zum Wein zurück , mit welchem man bis zur Vernarbung
fortfahrt. Ist die Heilung so weit vorgeschritten , dass eben nur noch
das Oberhäutchen fehlt , ocler eine ganz kleine Fläche unvernarbt bleibt,
dann bestreicht man solche Stellen leicht mit Höllenstein. Während die-
ser Behandlung beobachte der Kranke die grösstmögliche Ruhe und eine
angemessene Diät. Bei kräftigen, zur Entzündung geneigten Individuen
sind ein schwächendes Regimen, karge Diät, verdünnende, kühlende Ge-
tränke, selbst antiphlogistische Mittel passend ; bei schwachen, lymphati-
schen, herabgekommenen Subjecten muss dagegen eine massig erregende
Lebensweise und im Allgemeinen Alles , was die Fehler der Constitution
verbessern oder einem begleitenden krankhaften Zustande abhelfen kann,
angewendet werden. — Zurückbleibende Verhärtungen nach der Heilung
verbieten die Ausübung des Coitus bis zu deren Verschwinden , indem
sonst leicht Recidive eintreten. In solchen Fällen muss man wie bei
secundären oder tertiären Syphilisformen verfahren. — Ist die Harnröhre
der Siz des Chankers und begleiten ihn Symptome eines acuten Trippers,
so verfährt man zuerst antiphlogistisch : Blutegel an das Perinäum und
an den Schamberg , örtliche erweichende Bäder mit Opium , allgemeine
Bäder , reichliches Getränk ; zur Vermeidung der Erectionen gibt man
jeden Abend zwei aus Campher und Opium bereitete Pillen. Sind die
Entzündungssymptome beseitigt , so wird aromatischer Wein , zuerst mit
gleichen Theilen einer Mohnkopf abkochung und dann rein, in die Harn-
röhre gesprizt. Oft kann man gleich von Anfang an die Geschwüre der
Harnröhre mittels des Aezmittelträgers mit Höllenstein äzen. Ein an der
Mündung des Kanals sizendes Geschwür behandelt man , wie es oben an-
gegeben wurde. Chanker in der Tiefe der Scheide , am Muttermunde
oder im Innern des Uterus cauterisirt man durch den Mutterspiegel und
macht Injectionen von aromatischem Weine, oder legt damit befeuchtete
Charpie oder Leinwand ein. Chanker im Mastdarm und am After hält
man sehr reinlich und bringt die Verbandmittel mittels Wieken an Ort
und Stelle. — Der hypertrophische Chanker erfordert im Wesent-
lichen dieselbe Behandlung : sondert er, was gewöhnlich der Fall ist, sehr
reichlich ab, so kann man ihn auchmit Kalkwasser verbinden. Für die spä-
teren Stadien muss bei dieser wie bei der vorhergehenden Form eine in-
nerliche Mercurialbehandlung eingeleitet werden. Man reicht am besten
den milden und den Organismus am wenigsten angreifenden Mercurius
solubilis Hahne manni und zwar 2 Gran täglich , mit jedem Tage
um 1 Gran steigend; man fährt damit so lange fort, bis sich Vorboten
SYPHILIS. 907
der Salivation (7 — 8 Tage) äussern, worauf man nach erfolgter Heilung
zur Sicherheit noch 8 Tage lang täglich 1 Gran nehmen lässt. — Beim
H u n t e r ' sehen Chanker muss die Behandlung vorzüglich gegen die
Verhärtung gerichtet sein , da sie die Bildung der Narbe hindert und so
lange sie besteht , immer Recidive zu besorgen sind. Einfache und un-
schmerzhafte verhärtete Chanker müssen täglich 2 — 3 Mal mit einer
Salbe aus Calomel 4 part. , Opiumsalbe 4 — 6 p. und Fett 3 0 p. verbun-
den werden. Ist die Eiterung stark , so wäscht man das Geschwür vor
dem Verbände mit aromatischem Wein ; ble'ibt sie zu reichlich , so ver-
bindet man nur mit Wein. Bei gereiztem und entzündlichem Zustande
wendet man eine concentrirte Opiumlösung, so wie erweichende und anti-
phlogistische Mittel an , bis das Geschwür zu einem einfachen Zustande
zurückgeführt ist. In der Periode des Wiederersazes , wo die Fleisch-
wärzchen gerne schwammig werden oder wuchern , zeigen sich leichte
Aezungen mit Höllenstein oder eine Zinksolution von Nuzen. Gegen die
nach der Vernarbung zurückbleibende Verhärtung wendet man ein Blasen-
pflaster und Mercurialsalbe an. Das Ausschneiden der Verhärtung ist
nicht räthlich. Da die Heilung des verhärteten Chankers meist eine lange
Zeit in Anspruch nimmt, so ist es, um seeundären Zufällen vorzubeugen,
räthlich, mit der örtlichen Behandlung eine innerliche zu verbinden. Am
besten eignet sich hier der Sublimat, den man zu 1/6 — 1/4 gr. gibt und
allmälig bis auf % gr. steigt, daneben Holztränke; bei schwächlichen
Personen eignet sich besser Jodkalium mit Holztränken. — Der phage-
dänische Chanker fordert tiefgehende Cauterisationen mit nachfol-
gendem Verband von aromatischem Wein. Bei entzündlichem Zustande
wendet man erweichende und narkotische Abkochungen, warme schleimige
Bäder nebst einer passenden Diät und Ruhe an ; Blutegel dürfen nur in
einiger" Entfernung von dem Geschwür angesezt werden. Bei grosser
Reizbarkeit und Schmerz zieht man innerlich und äusserlich Opium in
Gebrauch. Aber auch hier ist der Höllenstein das wirksamste Beruhi-
gungsmittel und beste Antiphlogisticum. Bleibt der phagedänische Chan-
ker stehen oder schreitet er immer fort, so wendet man gegossenes Wachs,
Digestivsalbe, Cantharidenpulver oder Salbe oder die Pasta Viennen-
s i s an , bis sich das Geschwür reinigt und gesunde Fleischwärzchen ent-
stehen , worauf man wie beim gewöhnlichen Chanker verfährt. Merkur
wird für gewöhnlich nicht gereicht ; wenn indessen die Krankheit troz der
angezeigten Mittel fortschreitet , so gibt man erst Jod mit Holztränken
und wenn auch hierbei keine Heilung erfolgt, so greift man zum Merkur.
— Weitere bei dieser Chankei form empfohlene äussere Mittel sind : S o-
1 u t. z i n c i a c e t. , A r g e n t. n i t r i c, K a 1 i o x y m u r i a t., Ferrum
sulp hur., Aq. phagedaenica nigra, Acidum pyroligno-
sum, Vinum camphoratum, Einstreuen von rothem Präcipitat, Sal-
ben davon etc. — Beim brandigen Chanker fordert zunächst nur
die ihm zu Grunde liegende Entzündung Berücksichtigung. Durch starke
908 SYPHILIS.
Venäseötionen oder Brech- und Abführmittel und darauf Opium sucht
man dem Brande Grenzen zu sezen. Ist dies gelungen und stellt sich
ein Sinken der Kräfte ein , so ist China und gute Nahrung zu reichen.
Das zurückbleibende Geschwür wird nach seinem Charakter behandelt.
2)Behandlung der secundär syphilitischen Erschei-
nungen. Diese hat zum Zwecke , die Ausbildung der syphilitischen
Diathese zu verhindern und wenn sich diese entwickelt hat, die secundären
Zufälle zu beseitigen. — Die Bubonen behandelt man nach ihrem
Entzündungszustande. Sind sie sehr schmerzhaft , so macht man Um-
schläge von Bleiwasser, sezt Blutegel, lässt selbst zur Ader und gibt Ab-
führmittel. Zertheilt sich auf diese Art die Entzündung , so lässt man
Quecksilber in die Oberschenkel einreiben. Behufs der Zertheilung der
Bubonen. die immer angestrebt werden muss, hat man verschiedene Mit-
tel in Anwendung gebracht. Fricke u. A. wenden Druck auf dieselben
an ; man benuzt dazu entweder mit Leinwand umwickelte Bleiplatten,
Holzplatten , Steine oder ein Bruchband. Wird die Compression nicht
ertragen , so legt man ein Vesicator auf die Geschwulst , und wenn dies
die gehörige Wirkung nicht thut , so legt man nach der Entfernung der
Epidermis auf die entblösste Haut einen mit einer Auflösung von Subli-
mat 0j auf ^j A q. d e s t i 1 1.) durchfeuchteten Charpiebausch. L u t i n
und R o b i n fanden die Einreibung einer Höllensteinsalbe (nach R o b i n
1 Theil in Wasser gelösten Höllenstein auf 1 5 Theile Fett) ; K o 1 1 -
m a y e r von Zinkchlorid in Salbenform , Parker eine starke Auflösung
von Jod und Jodkalium (R p. J o d i n. *)j, H y d r o j o d. p o t a s s a e ^jj,
Aq. de still, ^j. S. Morgens und Abends aufzustreichen) von ausge-
zeichnetem Nuzen. — Kommt es zur Eiterung, so befördert man diese
durch erweichende Cataplasmen, durch Mercurial- und Cicutapflaster und
öffnet den Bubo frühzeitig durch einen Lancettstich. Diese Mittel die-
nen auch zur Schmelzung im Umkreise des Bubo nach Eröffnung dessel-
ben. Bei schon entarteter Haut kann die Eröffnung des Bubo auch mit-
tels des Aezmittels gemacht werden. — Bei atonischem Zustande des er-
öffneten Bubo legt man trockene Charpie auf oder befeuchtet dieselbe
mit Sublimat- oder Chlorzinksolution , oder streut Cantharidenpulver oder
rothen Präzipitat ein. Die innerliche Behandlung richtet sich nach der
Constitution und dem Kräftezustand des Kranken ; bei grosser Schwäche
und starker Eiterung gibt man bittere und tonische Mittel neben einer
stärkenden Lebensweise. R i c o r d gibt in solchen Fällen und bei scro-
phulöser Complication Jodeisen , 10, 15 — '2 0 Gr. täglich in Verbindung
mit Hopfen - oder Seifenwurzeltisane. Complicationen mit Scorbut er-
fordern Tonica und Mineralsäuren , solche mit Rheumatismus schweiss-
treibende Tisanen, Vinum colchici, Tartarus stibiatus. — Die
syphilitischen Hautausschläge erfordern eine allgemeine und
örtliche Behandlung, die sich nach dem Charakter der Hautaffection und
der allgemeinen Reaction zu richten hat ; im Allgemeinen ist sie entweder
SYPHILIS.
909
eine umstimmende oder ausleerende oder eine Combination beider. Vor
der eigentlichen Behandlung ist es nöthig, die Absonderungen zu regeln ;
ferner ist eine zweckmässige Diät und Regimen anzuordnen und der Ein-
fluss einer ungünstigen Temperatur zu vermeiden. Wenn den Ausschlä-
gen Fieber, grosse Aufregung vorhergeht oder sie davon begleitet werden,
so muss vorher die antiphlogistische Behandlung angewendet werden. —
Die eigentliche Behandlung besteht vorzugsweise in der Darreichung des
Jods und seiner Präparate, insbesondere des Jodkali's , welches Wilson
bei allen Formen des Exanthems zu gr. iij täglich , und im erforderlichen
Falle steigend gibt. Nächst dein Jod empfiehlt B i e 1 1 das doppelte
Chlorquecksilber : R p. B i c h 1 o r e t. h y d r a r g. gr. xij , O p i i gr. xx f.
pil. No. 3 6. S. Alle Morgen eine steigend zu nehmen, aber von Zeit zu
Zeit auszusezen, wenn die Eingeweide zu sehr angegriffen werden. Auch
Zusainmensezungen von Jod und Quecksilber sind in hartnäckigen Fällen
zuträglich , nach G i b e r t in folgender Form : Rp. Deutero-jodureti
hy dr ar g. p. j, Kali hy droj o d. p. 5 0, Aq. destill, p. 50, s ol ve,
filtra et adde Syr. simpl. p. 2400. M. Diese Mittel müssen in
hartnäckigen Fällen , namentlich bei den schuppigen Ausschlägen , durch
andere, wie Mercurialbäder und Zinnoberräucherungen oder eine Sehwefel-
und Calomelsalbe unterstüzt werden. Bei den ulcerativen oder tiefgehen-
den syphilitischen Hautübeln sind bei gereiztem Zustand erweichende oder
gallertartige Bäder, erweichende Cataplasmen oder Fomente, bei reizlosem
Zustande Tonica und äusserlich der aromatische Wein angezeigt. Bäder
sind immer ein unerlässliches Mittel ; man kann einfache W'asserbäder
oder Kleienbäder in Gebrauch ziehen oder auch arzneiliche Bäder anwen-
den. Man sezt diesen Bädern zu : Kali causticum (^ß — j auf das
Bad), grüne Seife (1 Pfund), Salzsäure (^ij — iv) , Kochsalz (2 Pfund),
Chlor uretum calcis (^ij — iv), Schwefelsäure (^ij — iv), Alaun (^ij),
Zincum sul'pliuricum (5^)? Salpetersäure (ijij — iv). Die gebräuch-
lichsten Bäder sind die mit Kleien und Seife. Sind Bäder nicht anzu-
wenden , so muss man sie durch Waschungen ersezen , wozu Hancke
Chlorzinklösung empfiehlt. Auch Salben werden mit Nuzen angewendet,
sie dürfen aber nicht austrocknend sein. Am geeignetsten ist eine Jod-
oder Jodquecksilbersalbe, Emery gebraucht eine Theersalbe (^ij Theer
auf ^j Fett); bei empfindlicher Haut passen aber diese Salben nicht. —
Die seeundären Geschwüre werden wie die Chanker behandelt.
Die Geschwüre , welche ihren Siz im Halse haben , erheischen , wenn
sie die indurirte Form zeigen , eine Mercurialbehandlung nebst schweiss-
treibenden Mitteln und Gargarismen aus Cicuta und Solanum nigrum
mit Chlor oder Chlorzinklösung. Bei phagedänischem Charakter der
Geschwüre müssen narkotische , opiumhaltige Gurgelwässer und nach ge-
hobener Entzündung Cauterisatiou mit Salzsäure, Sublimat, Jod und Gur-
gelwässer mit China in Gebrauch gezogen werden. Bei Zerstörung des
Zäpfchens wartet man dessen Abfallen nicht ab, sondern schneidet es weg.
910 SYPHILIS.
3) Behandlung der tertiären syphilitischen Affe c-
tionen. Nach Ricord kann man die tertiären Zufälle vermeiden,
wenn man nach der Behandlung der secundären Syphilis mit Quecksilber
Jod als Nachkur gebraucht. Die Erfahrung muss erst die Richtigkeit
dieses Ausspruchs bestätigen. Thatsache aber ist es , dass sich bei der
tertiären Syphilis die Jodpräparate äusserst nüzlich zeigen. Unter diesen
zahlreichen Präparaten sind es besonders zwei, das Jodkali und das Eisen-
protojodür, welche in Betracht kommen. Ricord gibt das Jodkali zu
16 — 5 0 Gran täglich, wenn es Magenschmerzen macht, mit einem Zusaze
von Opiumtinktur. Zweckmässig wird auch Jod mit Quecksilber verbun-
den. Bei heruntergekommenen Kranken werden mit Vortheil schweiss-
treibende Mittel angewendet , unter diesen besonders die Sarsaparillde-
cocte, das F e 1 1 z ' sehe , P o 1 1 i n i ' sehe , Z i 1 1 m a n n ' sehe Decoct , der
S y r o p de Laffecteur (s. unten). — Die syphilitischen Knochen-
schmerzen, Periostosen, Exostosen. Die Knochenschmerzen
weichen, wenn man frühzeitig einschreiten kann, dem Gebrauche des Jod-
kali oft sehr schnell. Widersteht er diesem, so schaffen fliegende Blasen-
pflaster schnell Erleichterung. Bei entzündlicher Reizung sezt man Blut-
egel an und macht erweichende und narkotische Umschläge. Im weiteren
Verlaufe dienen wieder Blasenpflaster, bei Geschwulstbildung Ueberschläge
von Jodlösung (T i n c t. j o d i 5j , A q. d e s t i 1 1. ^j) , Einreibungen der
Phosphorsäure (gr. ij auf ^ij Mandelöl) oder einer dergleichen Salbe
(Phosphor gr. i — ij auf ^j Fett). Ist die Osteitis in Eiterung oder Caries
übergegangen, so hilft Jodkali nicht mehr ; man wendet dann das Z i 1 1 -
mann' sehe oder Feltz'sche Decoct an und verbindet örtlich damit
Jodauflösung und verfährt des Weitern, wie es bei der Caries angegeben
ist. — Die tiefen Tuberkel des Zellgewebes erheischen die An-
wendung des Jodkali und bitterer Mittel; örtlich wendet man das Empl.
de Vigo c. Mercurio an oder bedeckt sie mit einem Blasenpflaster
und legt nach der Entfernung der Epidermis einen Charpiebausch , der
in eine Solution von 1 Theil Sublimat und 3 0 Theilen Wasser getaucht
ist, auf. Ulcerirte Tuberkel verbindet man mit einer Mischung von 2
Theilen Jodtinktur in 10 0 Theilen destillirtem Wasser mit einem Zusaz
von Jodkalium. — Die Muskel Verkürzungen erfordern die innere
Behandlung der tertiären Syphilis. Die Hodenanschwellung weicht
in den früheren Perioden der innern Anwendung des Jodkali neben gleich-
zeitiger Einwicklung des Hodens mit Pflasterstreifen; kommt es zur Ent-
artung des Hodens, so entfernt man ihn mit dem Messer.
Einige zusammengesezte antisyphilitische Kur-
methoden. — I n u n c t i o n s k u r. Die sogenannte Schmierkur ist bei
veralteter Syphilis angezeigt, wenn diese eine solche Ausdehnung erreicht
hat , dass nur von einer völligen Umstimmung des Organismus etwas er-
wartet werden kann. Da sie aber troz ihrer sehr eingreifenden Wirkung
ein nicht immer sicheres und wegen dieser ein nicht ganz gefahrloses
SYPHILIS.
911
Mittel ist , so wird sie gegenwärtig bei weitem nicht mehr so häufig wie
früher namentlich nicht mehr in dem ausgedehnten Umfange, wie die ur-
sprüngliche Vorschrift lautet , angewendet. Die bekannteste Form der
Inunctionskur ist die von R u s t modificirte L o u v r i e r'sche. — Diese
Kur besteht aus der Vorbereitungs- und eigentlichen Schmierkur. Die
erstere wird durch Bäder, Abführmittel und eine strenge Diät ins Werk
gesezt , um die Empfänglichkeit für die Aufnahme des Quecksilbers zu
steigern und die Resorptionsthätigkeit im ganzen Körper anzuregen. Der
Kranke nimmt zuerst ein Abführmittel (Calomel gr. ij — iij, Jalappa gr.
v — x, auf einmal zu nehmen) , dann jeden folgenden Tag ein Bad , wel-
ches nicht wärmer als 2 9° R. sein darf. Ohne dringende Umstände lasse
man immer zwölf Bäder , nur wo die Zerstörung eines wichtigen Theils
zu besorgen ist , weniger nehmen ; schlaffe, aufgedunsene Personen lässt
man nur über den andern Tag ein Bad nehmen. Während des Gebrauchs
der Bäder, so wie später während der Einreibungen gebe man dem Kran-
ken täglich drei Mal eine leicht eingekochte Suppe mit einem halben
Quart Fleischbrühe mit Grüze , Gerste , Reis , in den ersten Tagen auch
etwas eingekochtes süsses Obst oder Gemüse; Personen, die es wünschen,
können Morgens statt der Suppe eine Tasse Kaffee erhalten : das Getränk
besteht aus einer Abkochung der Sarsaparille oder Species pro De-
co c t. lignoriim, in 2 4 Stunden nicht über drei Pfund. Nur selten
wird man nöthig haben, bei alten schwächlichen Personen eine kräftigere
Diät, weiche Eier, Fleischbrühe, ein Glas guten alten Wein zu geben. Bei
Frauen muss die Vorbereitungskur so eingerichtet werden, dass sie mit
dem Eintritte der Menstruation beendigt wird ; die eigentliche Kur be-
ginnt man dann nach deren Aufhören. Tritt die Menstruation während
der Kur ein , so sezt man diese bis nach dem Aufhören derselben aus.
Nach dem beendigten Gebrauche der Bäder wird ein zweites Abführmit-
tel gereicht und dann zu den Einreibungen der Mercurialsalbe geschrit-
ten. — Zwölf Einreibungen kommen gewöhnlich zur Anwendung ; doch
lässt sich hierüber nichts Bestimmtes festsezen ; die Zahl der Einreibun-
gen muss sich nach den Umständen richten. Sie werden jeden dritten
Tag, nach Umständen auch erst den vierten Tag in den frühen Morgen-
stunden bis zum 13. oder 14. Tage, an welchen sich die kritischen Per-
tubationen und Ausscheidungen durch die Haut , den Darmkanal , die
Urinwege einzustellen pflegen, in der Weise gemacht, dass an der betref-
fenden Stelle bis zur vollkommenen Durchdringung je 1 — 2 Drachmen
Unguentum hydrargyri cinereum eingerieben werden. Die
Ordnung , in welcher die Einreibungen gemacht werden , ist folgende :
am 1. Tage in die Unterschenkel, am 3. in die Oberschenkel, am 6. in
die Arme bis zur Schulter , am 8 . in den Rücken , am 1 0 . wieder in die
Unterschenkel, am 12. in die Oberschenkel, am 14. in die Arme. Sind
endlich die kritischen Bestrebungen und Ausscheidungen zwischen dem
13. und 15. Tage erschienen und vorübergegangen, so werden vom 16.
912 SYPHILIS.
bis zum 2 5. Tage einen Tag um den andern die Einreibungen nach der
obigen Reibenfolge fortgesezt , nur mit dem Unterschiede , dass sie am
späten Abend gemacht werden und dass in den Zwischentagen Morgens
eine Purgauz gereicht wird. Am 2 6 . Tage erhalt der Kranke des Mor-
gens ein Bad, wird sorgfältig gereinigt, abgetrocknet, mit reiner Wäsche
versehen, da er diese während der Kur nicht wechseln darf, in ein ande-
res Zimmer und in ein reines Bett gebracht. — Während der Kur darf
das Zimmer nicht gelüftet werden , dessen Temperatur immer auf
18° R. erhalten werden muss. Kritische Reactionen treten gewöhnlich
am 15. Tage ein; der Kranke wird ängstlich, unruhig, beklommen, der
Puls matt, die Zunge sehr belegt, der Unterleib aufgetrieben. Es stellen
sich Herzklopfen, Kolikschmerzen, unruhiger Schlaf, selbst stille Delirien
ein , dann tritt kritischer Schweiss , der oft 2 4 Stunden dauert, ein, die
Zufälle verschwinden, und der Kranke fühlt sich wieder wohl und heiter.
Während der Schweisskrise bleibt der Kranke zu Bette , nimmt ein dia-
phoretisches Getränk und vermeidet jede Störung der Krise. Es können
während der Kur mancherlei Zufälle eintreten, welche ihre Unterbrechung
oder Verminderung der Einreibungen erfordern. Wird die Reaction be-
reits vor der 3 . Einreibung zu stark , und treten schon Fieberbewegun-
gen, ermattende Schweisse, grosse Schwäche, Ohnmächten ein, was sich
bei nervenschwachen und an nahrhafte Kost gewöhnten Personen häufig
ereignet, so gibt man etwas Wein, kräftige Suppen, Anodyna, Valeriana-
infus ; verschwinden aber hierauf die Zufälle nicht, so muss man die Kur
unterbrechen. Das Gleiche hat zu geschehen, wenn sich der Speichel-
fluss schon vor der 3. Einreibung einstellt, da er sonst zu hoch steigen
würde; er stellt sich gewöhnlich zwischen der 3. und 4. Einreibung ein,
tritt er aber nach der 5. Einreibung nicht ein, so steigt man mit der
Salbe «bis zu 2 l/2 Drachmen ; bleibt er gänzlich aus , so stellen sich für
ihn gewöhnlich andere Krisen ein, die Kur ist aber nicht sicher, stärkere
Einreibungen, um den Speichelfluss zu erzwingen , sind unzweckmässig ;
es darf nicht mehr als 2 bis 3 Pfund Speichel täglich entleert werden.
Die örtlichen Beschwerden bei derselben mindert man am besten durch
häufiges Ausspülen des Mundes mit lauem Wasser, einem Infus um
sambuci oder salviae und durch Bepinseln der Mundgeschwüre mit
Campheröl (Ol. amygdalar. ^j, Camphor. 5j) ; ausserdem gebraucht man
eröffnende Klystiere. Eintretende Blutungen aus dem Munde, die übri-
gens wohlthätig wirken, so wie eine stärkere Mundaffection , werden nach
allgemeinen Regeln behandelt. Der Kranke muss übrigens häufig den
Mund öffnen, um ein Zusammenwachsen der entzündeten Theile zu ver-
hüten. Ist der Ausbruch der Salivation nach der 3. Einreibung tumul-
tu arisch und gefahrdrohend, so sezt man die nächste Einreibung aus und
macht am 9 . Tage eine in den Rücken und am 1 2 . eine in die Ober- und
Unterschenkel zugleich , worauf man in der gewöhnlichen Ordnung fort-
fährt ; hilft dies nichts , so sezt man die nächste Einreibung noch einen
SYPHILIS. 913
Tag langer aus, und macht erst am 1 5 . oder 1 (i . Tag, wenn die Hautkrise
eingetreten ist, die erste Abendeinreibung. Magenbeschwerden, die durch
das Hinunterschlucken des Speichels entstehen, weiden bald durch eine
Dosis Ipecacuanha (gr. xij) gehoben. Erfolgt eine Unterbrechung der
Schweisskrisis , so ist stets für den Kranken die Gefahr gross ; er wird
sehr aufgeregt , von Brustkrämpfen oder Convulsionen befallen, der Puls
erscheint klein, zusammengezogen, aussezend, und der Athem ist beklom-
men ; kann man durch Anwendung warmer Bäder , Frictionen mit cam-
phorirten Tüchern , durch Senfpflaster , Diaphoretica und nöthigenfalls
durch ein Brechmittel die Hautthätigkeit nicht wieder herstellen, so stirbt
der Kranke gewöhnlich in kurzer Zeit an Schlagfluss oder Convulsionen.
Dasselbe findet mejist in den Fällen statt, wo die Salivation unterdrückt
wurde. Während der Abendfrictionen sei man mit den Laxanzen vor-
sichtig, weil sie leicht den Speichelfluss unterdrücken, oder Metastasen
nach dem Unterleibe , schmelzende Diarrhoen erzeugen. Aussezen der
Kur , aromatische Fomente und Einreibungen des Unterleibs , Opium,
Kampher, Moschus etc. sind in solchen Fällen nothwendig,. Man wählt
daher zu den Laxanzen gelinde Mittel, wie Manna, Tamarinden, Rheum
etc. Treten bei der Kur gar keine Krisen ein, so ist sie ohne Erfolg und
kann später wiederholt werden. Nach Beendigung der Kur gehe man
vorsichtig zum Genüsse einer bessern Kost und freier Luft über. — In
ähnlicher Art , wie die graue Quecksilbersalbe , hat man eine Salbe aus
weissem Präcipitat mit ziemlich gleichem Erfolge angewandt. — Zitt-
mann'sches Deco ct. Die Vorschrift zu diesem häufig gebrauchten
Mittel ist folgende : R p. Rad. s a r s a p a r i 1 1. conc. 5jxij , infund.
Aq. commun. ^xxxij , e t digere per hör. xij, tum additis
Sacchari albi, AI um. ana 5vj, Hydrarg. chlor at. initis (C a-
1 o m e 1 ) Jß , C i n n a b a r. praepar. 5j , sacculo 1 i n t e o i n c 1 u -
sis, coque, usque dum ^xxiv remanserint, sub finem
coctionis addendoSem. anisivulg., Sem. foeniculi, sin-
gulorum contusorum gß , Fol. s e n n. 5ÜJ , Rad. glycyrrh.
glabr. conc. ^jß, exprime et cola. Liquoren! obtentum
etper aliquod tempus sepositum decanta. S. Decoctum
Zittmanni fortius. Ferner R p. Rad. s a r s a p. §vj , cumSpe-
ciebus ex Decocto fortiori tfrxxiv mixtas coque cumAq.
commun. ^xxxij, d u m ftxxiv remanserint; sub finem coctio-
nis addendo Cort. fruct. citri, - — cassiae cinnamom.,
— cardamomi minor., Rad. glycyrrhiz. glabr. singulo-
rum contus. et concis. 5üj , exprime et cola. Liquorem
obtentum et per aliquod tempus sepositum decanta. S.
Decoct. Zittmanni mitius. — Der Gebrauch dieses Decocts ist
folgender: Am ersten Tage ein Laxans aus Calomel und Jalappe, und
dieses alle 5 Tage wiederholt ; werden die Stühle aber in Folge des De-
cocts zu häufig, so gibt man es den Umständen nach. Am 2. Tage Mor-
Burger, Chirurgie. ob
914 SYPHILIS.
o-ens lU Quart starkes Decoct wann im Bette getrunken und wartet der
Kranke im Bette den Schweiss ab ; Nachmittags l/2 Quart schwaches De-
coct kalt, Abends vor dem Schlafengehen wieder i/2 Quart starkes Decoct
kalt; so wird 8 Tage lang fortgefahren. Nun ruht der Kranke 6 — 8 Tage
aus und wendet dann, wenn er noch nicht geheilt ist, die Kur zum zwei-
ten Male an. Die Diät ist dabei sehr eingeschränkt und nur dünne
Suppen, wenig mageres gebratenes Fleisch und weisses Brod mit ein we-
nig Butter gestattet. — Jedesmal nach Beendigung des Schweisses nimmt
der Kranke vorsichtig ein reines Hemd , trinkt , wenn er daran gewöhnt
ist, eine Tasse Kaffee ohne Milch, und kann im erwärmten Zimmer herum-
gehen ; er kann auch nach Tische eine Tasse schwarzen Kaffee trinken.
Gegen Kolikschmerzen sind einige Tropfen Hoffmann's Geist zuträg-
lich. Man kann nach Beendigung der Kur noch einige Zeit eine Abko-
chung der Species lignorum oder von Sarsaparilla trinken lassen.
Nach Umständen kann man auch die Kur 14 — 21 Tage ununterbrochen
fortführen. — Die Wirkungen dieses Decocts sind 5 — 6 dünne Stuhl-
ausleerungen und mehr oder weniger starke Schweisse ; seltener wirkt es
auf die Harnabsonderung. Gewöhnlich sind alle Erscheinungen der se-
cundären Syphilis, ja der tertiären, in 10 — 12 Tagen verschwunden. —
Strunz wendet an der Stelle des Z i 1 1 m a n n'schen Decocts ein De-
coct. sarsaparill. composit. (Rp. Rad. sarsap. , Caric.
a r e n a r. , S p e c i e r. 1 i gn o r. ana 3ij ; c o q. c. A q. s. q. ad rema-
nent. ^ j ; sub finem coctionis adde Fo 1. s enn ae 5j- Cola)
an, welches täglich des Morgens zur Hälfte warm im Bette, zur Hälfte des
Nachmittags kalt getrunken wird. Nach Massgabe der Häufigkeit der
Stuhlausleerungen wird die Dosis der Senna modificirt. Die Wirkung
dieses Decocts soll ganz dem Zittm an n'schen Decocte gleichkommen.
— Feltz's Tisane. Rp. Antimon, crud. £iv, Rad. sarsap.
Jij, Rad. chinae^j, Hb. heder ae terestr., Hb. buxi, Ich-
thyocoll. ana Jjß; coq. c. Aq. commun. ^xij, ad rem an. ^vj.
Hiervon verbraucht der Kranke täglich 2 ^ in 3 Dosen : ein Glas um
7 Uhr Morgens, das zweite um 2 Uhr Nachmittags, das dritte um 9 Uhr
Abends. Dabei halte er zwei Mahlzeiten um 1 1 Uhr und 6 Uhr aus
Suppe , Rindfleisch und gekochten Zwetschgen bestehend. Die Kur
dauert 2 4 — 3 0 Tage. Cullerier hat die obige Formel vereinfacht :
Rp. Rad. sarsap. conc. 5ÜJ , Ichthyocoll. gß , Antimon,
p u 1 v. ^iv , A q. commun. ^vj , coq. ad reman. ^iij . Die Kur
dauert nach Umständen 40 — 5 0 Tage. — Das Pollinische Decoct
enthält Sarsaparille, Guajac, Wallnussschalen und Schwefelantimon. —
Syrop (Roob) de Laffecteur. Dieses Geheimmittel gegen die Sy-
philis besteht nach Savuresi aus folgender Composition : Rad. sar-
sap. p art. iij, L ign. Gu aj a c, Rad. ch inae, Lign. s as s afr. ana
p. ij , Chinae flav. p. j, Flor, boraginis p. V2 j Sem. anis.
p. y9, Syr. album. ovor. dep. p. x; coq. c. Aq. fönt. p. 4 6*^
THRAENENFISTEL. 915
pr. horas u s q. ad rem. p. !/8. Diese Flüssigkeit wird noch kochend
ohne die drei lezten Ingredienzien durchgeseiht , das Residuum mit dem
gleichen Quantum Wasser auf 1/3 eingekocht und ein drittes Mal ebenso
verfahren ; dann werden alle drei Decocte in denselben Kessel gegossen
und 1 0 Theile Syrup hinzugesezt , die ganze Mischung bis auf 2/3 der
Masse eingekocht, durchgeseiht und nochmals gesotten. Hierauf giesst
man sie kochend in ein Gef äss , in welchem sich die vorgeschriebenen
Quantitäten Anis und Boretsch in einem Beutel befinden , bedeckt das
Ganze, wartet bis es erkaltet, und füllt es auf Flaschen. — Nach einer
Vorbereitungskur , bestehend in einem Getränk aus Gerste oder wilder
Cichorie, leichter Diät, nötigenfalls einem Brechmittel und am 4. Tage
einem gelinderen Abführmittel und kurz darauf einer Tasse Kräuter-
bouillon, so wie einem täglichen Klystier , fängt der Kranke am 5. Tage
mit dem Roob an, von dem Männer täglich gewöhnlich 6, Frauen 4 Ess-
löffel voll Morgens und ebenso viel vier Stunden nach Tisch nehmen ; in
der Zwischenzeit trinkt er halbstündlich ein gewöhnliches Glas voll Sar-
saparillabkochung. Die Nahrung besteht in leichten Fleischspeisen und
wenig Brod. Diese Kur dauert 8 — 10 Tage, worauf man sie einige
Tage unterbricht und dann von Neuem beginnt ; der Sarsaparilltrank wird
indessen während der Unterbrechung fortgesezt. In der Regel reichen
8 Flaschen des Decocts hin , doch können in hartnäckigen Fällen auch
12, 15, 2 0 nöthig werden. Zum Beschluss der Kur wird noch 14 Tage
lang Sarsaparilldecoct getrunken und durch zwei Tage ein Abführmittel
genommen. — Einige weitere Kurmethoden gegen Syphilis sind kurz fol-
gende : Die Weinhold'sche grosse Quecksilberkur: alle
3 Tage 2 0 Gran Calomel in getheilter Dosis 7 bis 8 Mal , und den an-
dern Tag , wenn kein Stuhl erfolgt , ein Laxans aus Jalappe und Kali
tartaricum ana 15 — 2 0 Gran. — Bergs Methode mit rothem Prä-
cipitat : 1 gr. Präcipitat wird mit 5ij Stibium sulphur. nigr. in 8 Theile
getheilt und Morgens und Abends ein Pulver genommen und dabei Holz-
trank getrunken. Alle 4 Tage wird die Gabe verdoppelt, bis täglich
2 gr. verbraucht wird. — Dzondi's Sublimatpillen (Rp. M er cur.
sublimat. c o r r o s. gr. xij , s o 1 v. i n A q. d e s t i 1 1. q. s., M i c a e
panis albi, Sacch. alb. ana q. s. u t f i a n t pilul. pond. gr. j
Nr. 2 4 0). Man beginnt mit 4 Stück, erhöht jede folgende Dosis, die
einen Tag um den andern gereicht wird, um 2 Stück, so dass der Kranke
am Ende der Kur 3 0 Stück (l1/? gr- Sublimat) erhält.
T.
Telangiectasia , s. Gef äs sge schwulst.
Thränenfistel , Fistula lacrimalis, Dacryosyrinx.
58*
916 THRAENENFISTEL.
Man unterscheidet eine Thränendrüsenfistel und eine Thräneneaekfistel.
— Die Thränendrüsenfistel, Fistula glandulae lacryma-
lis, kommt sehr selten vor und macht sich durch eine haarfeine Oeffnung
am obern Augenlide in der Nähe des Schläfenwinkels kenntlich, aus wel-
cher täglich einige Tropfen einer klaren durchsichtigen Thränenfeuchtig-
keit hervorsickern. Man hat gerathen , die Fistel durch Einsprizen von
reizenden Flüssigkeiten oder durch Einführen eines feinen Höllenstein-
stifts zum Verschluss zu bringen ; es ist aber am rathsamsten , das ohne-
hin mit keinen namhaften Beschwerden verbundene Uebel unberührt zu
lassen. — Die Thr an ens a ckfistel , Fistula sacci lacr y ma-
us , welche eine häufigere Erscheinung als die vorige und mit vielen Be-
schwerden verbunden ist , besteht in einer widernatürlichen Oeffnung des
Thränensacks , aus welcher Thränenfeuchtigkeit ausfliesst. Man unter-
scheidet eine äussere Thränensackfistel , wenn sich die Oeffnung auch
über die äussern Bedeckungen erstreckt , so dass der flüssige Inhalt des
Sacks auf dem Gesicht hervortritt, und eine innere Fistel , wo die äus-
seren Bedeckungen nicht durchbrochen sind , die von dem Thränensacke
ausgehende Oeffnung nicht auf dem Gesichte ausmündet, sondern in die
Nase geht. Die innern Fisteln sind schwer zu erkennen , machen sich
aber am besten durch deutlich wahrnehmbare verdünnte Stellen der Haut
über dem geschwollenen Thränensacke kenntlich, die in Folge eines lange
dauernden , sehr schmerzhaften Entzündungsprocesses entstanden sind ;
auch schneuzt der Kranke Thränen aus. — Oft ist die Fistelöffnung nahe
unter dem runden Augenliderbande gelegen ; nicht selten finden sich
mehrere Fistelgänge. Dann und wann liegt die innere Oeffnung der
Fistel höher als die äussere , so dass das Einführen einer Sonde schwer
oder unmöglich wird. Ihre Oeffnungen sind bisweilen callös, andere Male
mit Fleischwucherungen umgeben. Die Weite des Kanals variirt von
der Dicke eines Haars bis zu der eines Gänsekiels. Die äussern Fisteln
ergiessen entweder unausgesezt, oder periodisch, wenn eine Ansammlung
statt gefunden hat , mit Thränen vermischten Schleim , Eiter , Jauche,
Blut, bisweilen auch reine Thränen. — Complicirt findet man dieses Lei-
den gewöhnlich mit Entzündung , Schleim- oder Eiterfluss des Thränen-
sacks und der Lider, mit fleischigen Wucherungen der genannten Theile,
selten mit Caries des Thränenbeins, die am sichersten durch Untersuchung
mit der Sonde erkannt wird , wobei sich die rauhe Knochenstelle fühlbar
macht , wohl auch fehlende Theile bemerkt werden , gewöhnlich aber
schon aus den wuchernden , schwammigen , leichtblutenden Rändern des
Geschwürs und dem Ausflusse einer dünnen übelriechenden Jauche ver-
muthet werden kann. Noch seltener ist die Verbindung mit Unwegsam-
keit der Thränenpunkte und Röhrchen , die sich dadurch zu erkennen
gibt, dass aus dem gefüllten Thränensacke und bei Versperrung der Fistel
nichts durch die Thränenröhrchen in das Auge gedrückt werden kann.
Ver Schliessung des Nasenkanals ist hingegen eine sehr ge-
THRAENENFISTEL. 917
wohnliche Complication, wodurch in der einen Seite der Nase ein Gefühl
von Trockenheit, als wenn Staub darin wäre, erregt, und Stockungen der
Thränen im Thränensacke , Auftreibung, Entzündung, Verschwärung des-
selben , Thränenträufeln etc. hervorgebracht , auch dem Grade der Ver-
Schliessung nach die Durchdrückung der im Thränensacke angehäuften
Flüssigkeiten unmöglich gemacht wird. Diese Unwegsamkeit des Nasen-
kanals , welche die häufigste Veranlassung zu Thränenfisteln gibt , kann
bedingt sein : durch Ansammlung von zähem Schleim, Blut, Eiter, auch
wohl Absezung erdiger Stoffe aus den Thränen , durch Auflockerung und
Wucherungen der auskleidenden Schleimhaut, durch Verwachsung dieser
und durch Exostosen des knöchernen Theils des Nasenkanals. — Dyscra-
sien mancherlei Art, besonders aber scrophulöse, gichtische , herpetische,
finden sich oft im Verein mit dem in Rede stehenden Leiden. — Be-
handlung. Vor Allem müssen etwa bestehende Dyscrasien berücksich-
tigt werden. Dann muss der Zustand der Thränenpunkte, der Thränen-
kanälchen und des Ductus nasalis erforscht werden. Völlig ge-
schlossene Thränenpunkte lassen keine Herstellung zu ; wenn indessen nur
einer offen ist , so übernimmt dieser die Function ; sind sie nur verklebt
oder durch Entzündung geschlossen , so sucht man sie durch Injectionen
mit der A n e l'schen Sprize oder der vorsichtig eingebrachten A n e 1 ' -
sehen Sonde zu öffnen. Ergibt die Untersuchung des Nasenkanals eine
Verstopfung mit Schleim oder eine Auflockerung seiner häutigen Wand,
so kommt man oft mit einem lange fortgesezten Ausspülen und Aussprizen
mit lauwarmem, später kaltem Wasser und Baden des Auges, welche Be-
handlung auch für die Thränenfistel im Allgemeinen die geeignetste ist,
am besten zum Ziele. Bei Irritation und Aufwulstung der Nasenschleim-
haut lässt man A q. saturnina und Aq. salviae mit Extra ct. opii
aquos. in die Nase einschnaufen oder damit befeuchtete Wieken in die-
selbe hineinschieben und ein in dieselbe Mischung getauchtes Leinwand-
läppchen auf die Fistelöffnung legen. In das Auge selbst wird eine Lö-
sung des Plumbum aceticum (Gr. ij — iv, Aq. destill, ^ß) täg-
lich 4 — 5 Mal eingetröpfelt. Nach Milderung der Reizung lässt man
eine Alaunlösung aufschnauben , um die im Nasenschlauche angesammel-
ten Schleimpfröpfe zu lösen. Wo die Fistel sehr dünn ist, oder ihre in-
nere und äussere Oeffnung nicht in gleicher Höhe liegen , oder wo deren
mehrere oder unvollkommene vorhanden sind , oder wo Caries des Thrä-
nenbeins damit complicirt ist , thut man wohl , die vordere Wand des
Thränensacks und seine Bedeckungen auf die unten anzugebende Weise
zu spalten , damit Eiter und Jauche einen freien Abfluss haben und man
freier zu der innern Fläche des Thränensacks oder dem Thränenbeine ge-
langen kann. Man wendet dann entweder die schon genannten Mittel
als Einsprizungen in Thränensack und Nasenkanal an oder bringt die er-
forderlichen Salben oder Flüssigkeit auf Charpiebäuschchen auf die kran-
ken Theile. Quecksilber-, Zink- und Terpenthinsalben , so wie das ver-
918 THRAENENFISTEL.
dünnte oder unverdünnte flüssige Laudanum , bei Caries Asa foetida
und Myrrhe thun hier gute Dienste. Verzögern callöse Ränder das Zu-
heilen der Fistel , so werden sie mit Höllenstein oder T i n c t. j o d i be-
tupft. Dieffenbach pflanzte ein Hautstück von der Nase auf die
Fistel über. — Die Unwegsamkeit des Nasenkanals ist, wie schon er-
wähnt , eine der gewöhnlichsten Ursachen und Complicationen der Thrä-
nensackfistel ; in der Mehrzahl der Fälle wird es also vornehmlich darauf
ankommen, diese zu beseitigen. Oft ist man bei einiger Ausdauer durch
die bereits angeführte Behandlungsweise im Stande, die Freimachung des
Nasenkanals zu bewirken , womit man den von Zeit zu Zeit zu wiederho-
lenden Versuch verbindet, die im Nasenkanal stockenden Flüssigkeiten in
die Nase hinabzudrücken, was namentlich dann leicht bewirkt wird, wenn
nur Atonie zu Grund liegt. Der Druck muss bei gefülltem Thränensack
und mit Schnelligkeit, während die Fistel verklebt ist, mit der Spize des
Zeigefingers geschehen. Reicht der Druck nicht hin , so sucht man den
Nasenkanal vom Sacke aus durch eine feine mit einem dünnen Knopfe
versehene fischbeinerne oder silberne Sonde zu öffnen , indem man
diese unter quirlender, sanfter Bewegung vorwärts , bei einem Hinderniss
vor- und rückwärts schiebt. Ist die Fistelöffnung zu eng, oder die beiden
Oeffnungen nicht in gleicher Höhe gelegen, oder die Oeffnung nicht nahe
am Augenliderrande, so muss man den Sack aufschneiden , was ebenfalls
am besten geschieht, wenn er gefüllt ist, was man durch Verklebung der
Fistel zu erreichen sucht. Man bedient sich dazu eines schmalen, gera-
den sehr spizen Bistouris , welches man , während die Augenlider nach
aussen gezogen werden , nahe unter dem Augenliderbande schnell ein-
sticht und die Wunde nach unten zu in der Länge von 3 — 4 Linien und
in der Richtung der bei vielen Augenlidern vorhandenen Falte erweitert.
Die Sonde führt man erst horizontal bis an die innere Wand des Thra-
nensacks, wendet sie dann nach oben und gibt ihr eine senkrechte etwas
nach innen gehende Richtung. Theils ein kizelndes Gefühl in der Nase,
wenn die Sonde daselbst anlangt , theils das Hervortreten von Luft aus
der Fistel , wenn man den Kranken nach Zurückziehung der Sonde bei
geschlossenem Mund und Nase schnaufen lässt, dienen als Beweis der ge-
lungenen Operation ; zuweilen treten ein paar Tropfen Blut aus der Nase
hervor. Schlagen wiederholt angestellte Versuche fehl , den Nasenkanal
zu eröffnen, so kann man sich einer spizigen metallenen Sonde bedienen,
um den Kanal mit möglichster Vorsicht und strenger Innehaltung der nor-
malen Richtung wegsam zu machen. Ist er frei, so wird eine präparirte
gerade E-Violinsaite , die man am äussersten Ende im Munde etwas er-
weicht und 6 — 8 Zoll weit mit Mandelöl bestrichen hat, in den Nasen-
kanal etwa 6 Zoll weit eingeschoben , das übrige Stück aber zusammen-
gerollt und in einem kleinen Läppchen an der Stirn des Kranken befe-
stigt. In den Thränensack legt man eine mit milder Salbe bestrichene
Wieke und bedeckt die Oeffnung mit einem englischen Pflaster. Nach
THRAENENFISTEL. 919
ein paar Stunden, wenn das in die Nase gelangte Ende der Saite erweicht
ist , sucht es der Operirte aus der Nase hervorzuziehen. Dies geschieht
am leichtesten , indem er es durch Schnauben hervortreibt , worauf er es
mit dem Finger oder mit dem Knopfe einer Stecknadel oder dergl. heraus-
befördert und dann mit einem Pflasterstreifen an der Seite des Nasenflü-
gels befestigt. Tags darauf werden die Pflaster losgeweicht , die Wieke
entfernt , mit einer geeigneten Flüssigkeit Einsprizungen gemacht , ein
hinlänglich grosses Stück der Saite aufgerollt und von dieser nun , nach
vorheriger Bestreichung mit Oel oder einem passenden Arzneimittel
(weisser oder rother Quecksilbersalbe etc.) durch Ziehen am untern Ende
ein frisches Stück in den Nasenkanal eingezogen. Der ausgezogene
Theil der Saite wird abgeschnitten, das Ende aber wie vorher am Nasen-
flügel befestigt. Dies wiederholt man täglich, bis die E-Saite verbraucht
ist , worauf man zu einer A-Saite und zulezt zu einer D -Saite übergeht ;
den Beschluss macht man mit einem Bleidraht. Der Kanal hat seine
normale Beschaffenheit, wenn das in ihn Gelegte leicht darin beweglich,
der Kranke bei geschlossenem Mund und Nase Luft aus dem Thränen-
sack treiben kann und eine in lezteren gesprizte Flüssigkeit bei vorge-
beugtem Kopfe in vollem Strome aus der Nase kommt. Ein solches Re-
sultat wird selten vor 6 Monaten, bisweilen erst nach Jahresfrist erreicht.
— Gelingt es nicht, den Nasenkanal offen zu erhalten, so legt man ein
goldenes Röhrchen ein , worüber man den Thränensack zum Schliessen
bringt. — Auch die Cauterisation des Nasenkanals hat man ausge-
führt und zwar sowohl vom Thränensacke wie von der Nase aus ; erstere
ist sicherer ausführbar. Die Cauterisation wurde mit dem Glüheisen
und mit Aezmitteln vorgenommen. Bei blennorrhoischem Zustande der
Schleimhaut des Nasenkanals erweisen sich die Aezmittel, namentlich
Höllenstein von Nuzen. — Die verwundendste Methode ist die Bildung
eines künstlichen Thränenwegs mittels Durchbohrung
des Thränenbeins. Sie ist angezeigt, wenn der Nasenkanal an sei-
nem obern Theil verwachsen ist, wenn die Verwachsung knöchern ist und
wenn anderweitige unentfernbare Hindernisse in der Nase die Wiederher-
stellung des Nasenkanals unmöglich machen. — Behufs der Ausf ührung
dieser Operation öffnet man zuerst den Thränensack auf die oben ange-
gebene Weise , führt dann einen kleinen Troicart (ohne Röhre) in den
Sack, sezt ihn auf dessen untern und hintern Theil , dicht vor der Crista
des Thränenbeins , richtet ihn schräg von oben nach unten und von vorn
nach hinten gegen den Zizenfortsaz der andern Seite und drängt ihn in
dieser Richtung unter rotirender Bewegung durch das Thränenbein und
die dasselbe an beiden Seiten deckenden Weichtheile , so dass die Troi-
cartspize unterhalb des vordem Endes der mittlem Nasenmuschel zwischen
ihr und dem Nasen fortsaze des Oberkiefers in die Nase gelangt. Fühlt
man, dass man durchgedrungen ist , hat der Kranke Kizel und Reiz zum
Niesen, so zieht man den Troicart drehend zurück ; fliessen einige Tropfen,
920 TÜROMBOSIS.
so wie eine in den Thränensaek gesprizte Flüssigkeit aus der Nase, so
ist man von der geschehenen Durchbohrung überzeugt. Es wird hierauf
eine Darmsaite in die Nase eingelegt, der Verband auf die oben ange-
gebene Weise bestellt und des Weitern wie oben , bis zur Vernarbung
fortgefahren. Einige heilten ein Röhrchen ein. — Die sämmtlichen vor-
genannten Verfahren sind nur anwendbar , wenn die Thränenpunkte und
Kanälchen von normaler Beschaffenheit und Thätigkeit sind. Ist dies
nicht der Fall , so bleibt nur die Cauterisation und Verödung
des Thränensacks übrig , wobei lezterer längs seiner ganzen äussern
Wand geöffnet , getrocknet und nachdem er auf seiner ganzen innern
Seite bis in den Nasenkanal mit Höllenstein geäzt worden ist , mit Oel
bepinselt und mit Charpie ausgefüllt wird. Die weitere Behandlung be-
zweckt die Verheilung des Sacks und der Wunde durch Granulation.
Diese Methode hat zwar ein unheilbares Thränenträufeln zur Folge , da
die Thränen nicht mehr durch den Sack können. Dieses ist aber gegen-
über den bei den andern Methoden häufig vorkommenden Nachtheilen
(wie Recidiven etc.) nur ein geringes Uebel.
ThrOHlbosis, Pfropfbildung. Man versteht hierunter die
spontane Verschliessung einer verlezten Arterie durch Coagulation des
Blutes an der Stelle der Verwundung. Der Vorgang ist hiebei folgender:
die Enden der getrennten Arterie ziehen sich , wenn diese ganz getrennt
ist , in die sie umkleidende zellige Scheide zurück , zugleich erleidet das
getrennte Ende der Arterie eine circuläre Zusammenziehung. Durch diese
Contraction wird der Blutstrahl feiner und durch die Zurückziehung der
Arterie das sie mit ihrer Scheide verbindende Zellgewebe gedehnt und
an ihrer innern Oberfläche uneben. In diese Unebenheit sezt sich das
Blut gleichsam ein , coagulirt und bildet so einen Blutpfropf vor dem
Gefässlumen (Coagulum externum), das zulezt den Blutstrom
ganz hemmt. Innerhalb des Gefässlumens entsteht nun ein zweites Coa-
gulum (Coagulum internum, Thrombus), das sich bis zum
nächsten Seitenaste erstreckt und eine Kegelgestalt zeigt , deren Spize
nach dem Herzen hinsieht. Dieser Thrombus durchläuft mancherlei Me-
tamorphosen. In der ersten Periode seines Bestehens erscheint er frei
in der Höhle des Gefässes liegend , oder ist mit der Gefässwand nur lose
durch eine zähe Flüssigkeit (Faserstoff, Eiweissstoff , Serum) verbunden.
Nach kürzerer oder längerer Zeit , je nach der Grösse des Thrombus und
des Gefässes bildet sich zwischen der Gefässwand und dem Körper und
der Basis des Thrombus eine Exsudation von Faserstoff aus der innersten
Gefässhaut , mit welcher er in Folge hievon verwächst. Diese Verwach-
sung wird allmälig fester , die Gefässwand legt sich immer inniger an
den Thrombus an, der leztere aber verkleinert sich in allen seinen Durch-
messern , wie das Gefässende , in dem er enthalten ist , weil dasselbe
durch die Kraft des Blutstroms nicht mehr wie früher ausgedehnt wird.
TI?AGBEUTEL. 921
Hiernach bildet sich auch über der Spize des Thrombus von der Peri-
pherie der innersten Gefässwand aus das Exsudat weiter, und über dem
Thrombus schliesst sich auf solche Weise die Höhle des Gefässes, dass
die innerste Gefässhaut über dem Thrombus einen Blindsack bildet , und
dass der Thrombus mit dem flüssigen Blute des Gef ässstumpfes jezt ganz
ausser Berührung gesezt ist. Endlich verliert das Gefässende seine Tex-
tur , schrumpft mit dem Thrombus immer mehr zusammen , die zwischen
den Gefässhäuten ergossene plastische Lymphe wird resorbirt und das
Gefässende bildet mit dem contrahirten Thrombus ein fibröses , bandar-
tiges Stück. Diese Veränderung erfolgt bei kleinen Gefässen in 2 0 — 2 2,
bei grösseren in 40 — 5 0 Tagen. — Da sich der Blutpfropf immer nur
bis zum nächsten Seitenaste erstreckt , niemals darüber hinaus , so muss
er sehr kurz sein , wenn ein Arterienast in der Nähe der Arterienwunde
abgeht ; er kann selbst ganz fehlen , wodurch das Bestreben der Natur,
die Blutung zu stillen, vereitelt, immerhin aber zu Nachblutungen Ver-
anlassung gegeben wird. — Es bedarf kaum der Erwähnung, dass bei
Venenverlezungen der Blutpfropf sich viel leichter bildet , als bei Ver-
wundungen von Arterien.
Tragbeutel , Suspensoria, sind Verbandstücke , welche zur
Unterstüzung hängender Körpertheile dienen. Ehedem bezeichnete man
eine Binde, welche zur Unterstüzung der Brüste benuzt wurde, als Sus-
pensorium mammillare. Gegenwärtig ist dieses Verbandstück fast
ausschliesslich nur noch beim Hodensack im Gebrauche. — Man bereitet
den Tragbeutel für den Hodensack gewöhnlich aus Leinwand , Barchent
oder Leder ; sehr zweckmässig werden auch gewobene und andere ela-
stische Stoffe dazu verwendet. Er besteht aus einem Bauchgurte und
der Tasche für den Hodensack. — Der Bauchgurt besteht aus doppelter
Leinwand , ist zwei Querfinger breit und wird auf der Seite zusammenge-
bunden , geschnallt oder geknöpft ; hinten ist er mit Knöpfen für die
Schenkelbänder versehen. — Den Beutel oder die Tasche bereitet man
am einfachsteh aus zwei länglich viereckigen, der Grösse des Hodensacks
entsprechenden Stücken Leinwand, die man aufeinander legt, das eine
Eck einer der längeren Seiten stark abrundet und dann die beiden Stücke
an den abgerundeten Rändern zusammennäht. Den hintern Theil des auf
diese Art gebildeten Sackes schneidet man halbmondförmig aus. Die
obere gerade bleibende Seite der Tasche näht man , nachdem man vorher
eine Oeffnung zur Aufnahme des männlichen Glieds in den obern Theil
der vordem Seite der Tasche geschnitten hat , an den Bauchgurt. An
das untere Eck , da wo der convexe Rand mit dem halbmondförmigen
zusammenstösst , befestigt man zwei Bänder. Diese werden bei der An-
legung , die sich im Uebrigen aus der Beschreibung des Verbandstücks
ergibt, entweder zwischen den Schenkeln hindurch nach hinten geführt
und in die dort am Leibgurte befindlichen Knöpfe eingehängt , oder zu
922 TRANSFUSION UND INFUSION.
beiden Seiten des Hoclensacks heraufgeleitet und an Bänderschlingen,
die man zu diesem Behufe an der Bauchseite des Gürtels angebracht hat,
geknüpft. — Ist die Tasche zu weit ausgefallen , oder wird sie es im
Verlauf der Behandlung dadurch, dass sich der Umfang des Scrotum
vermindert , so legt man auf ihren Grund eine gehörig dicke Compresse,
welche den leeren Raum zwischen dem Hodensacke und der Tasche aus-
füllt. — Sehr einfach ist es , wenn man ein dreizipfliges Taschentuch
über die Hüften bindet und den Hodensack auf die Mitte der Basis des
Dreiecks legt und dann die Spize desselben aufwärts gegen die Ruthe
schlägt. Oder man bindet ein zusammengelegtes Taschentuch um die
Hüften und befestigt mittels Nadeln vorn an dasselbe die Enden eines
zweiten Tuches , dessen Mitte den Hodensack aufnimmt und in der Höhe
erhält. — Nicht allein die meisten Krankheiten der Hoden , der Samen-
stränge, des Hodensacks und des männlichen Gliedes erfordern das Tragen
eines Suspensoriums , um diese Theile zu unterstüzen und anhaltend in
die Höhe zu heben , sondern es ist selbst für viele Gesunde , bei denen
die Hoden durch ihre Beschäftigung erschüttert werden , z. B. beim Rei-
ten, Springen, Tanzen, rathsam, sich eines Suspensoriums zu bedienen,
um Quetschung und Anschwellung der Hoden zu vermeiden. Zu lezterm
Behufe werden gewöhnlich Suspensorien benüzt , die von dicker Seide
oder Baumwolle gestrickt oder aus Kautschuck bereitet sind. Die ein-
fachen Tuchsuspensorien können nur zur Befestigung von Breiumschlägen
u. dgl. benüzt werden. — Fritschi hat ein complicirteres Suspen-
sorium angegeben , mittels dessen das Scrotum nach der Operation des
Wasserbruchs comprimirt werden soll. Der Beutel stellt ein (seidenes
oder leinenes) Nez dar , welches von in verschiedenen Richtungen ver-
laufenden Bandzügen durchzogen ist, welche das Scrotum von allen Sei-
ten gleichmässig zusammen zu drücken erlauben. — Noch ist des Trag-
beutels für den Nabelbruch zu gedenken, welcher von Fabriz von
Hilden angegeben, von Scarpa verbessert wurde. Er besteht aus
einem entsprechend grossen gut gefütterten Sacke , welcher durch breite
Riemen , die von vorn nach hinten verlaufen , mit einem kurzen Leibchen
in Verbindung steht. Der Rock wird aus elliptischen Stücken zusammen-
gesezt.
Transfusion Und Infusion. Unter Transfusion versteht man
die Operation , vermittels welcher fremdes Blut in das Blutgef ässsystem
eines lebenden Individuums gebracht wird ; unter Infusion die Einbrin-
gung von arzneilichen Stoffen in die geöffnete Vene eines Menschen. —
Die Transfusion macht man hauptsächlich, um bei Verblutungen verloren
gegangenes Blut zu ersezen und dadurch zu beleben , viel seltener zur
Beseitigung anderer Krankheitszustände. — Die Infusion wird ausge-
führt, wenn in dringenden Fällen nothwendige Arzneimittel durch den
Mund nicht beigebracht werden können, wie z. B. Brechmittel bei frem-
TREPANATION.
den Körpern im Schlünde und in der Speiseröhre, bei Vergiftungen etc.,
narkotische Substanzen bei Trismus , Wasserscheue etc. — Bei der
Transfusion wird eine Vene wie beim Aderlass geöffnet und in die-
selbe entweder Blut aus einer Arterie eines andern Individuums durch be-
sondere Röhrenapparate geleitet (unmittelbare Transfusion),
oder venöses Blut , nachdem es einem Andern abgelassen , mittels einer
Sprize eingesprizt (mittelbare Transfusion, Transfusio in-
fus oria). Das abzulassende Blut muss schnell entleert, in einer er-
wärmten Schale aufgefangen , schnell in die erwärmte Sprize gezogen
und langsam , gleichmässig , mit Vermeidung der Einsprizung von Luft,
eingesprizt werden. Man darf die Sprize nie ganz entleeren, da sie zu-
lezt meistens nur Coagulum enthält. Zweckmässiger ist es nach J. Mül-
ler das Blut durch Schlagen oder Quirlen seines Faserstoffs zu berau-
ben , wodurch ihm die Neigung zum Gerinnen genommen wird , es auch
sehr leicht auf der normalen Temperatur erhalten werden kann. Es
dürfen immer nur geringe Quantitäten und in Pausen von einigen Mi-
nuten eingeprizt werden. — Bei der Infusion wird eine Vene ergiebig
geöffnet , während sie oberhalb und unterhalb dieser Stelle comprimirt
wird, und alsdann die Sprize in der Richtung des Blutstroms in die Vene
eingeführt. Nun wird die in der Sprize enthaltene erwärmte Flüssigkeit
langsam und gleichmässig eingesprizt , wobei man sehr darauf achten
muss , dass keine Luft eingesprizt wird , weshalb man nicht unterlassen
darf, bevor man die Spize der Sprize einsezt , aus dieser, während
man sie gerade empor hält , einen Theil der Flüssigkeit auszusprizen.
Die Substanzen , welche man durch die Infusion in den Körper bringt,
gelangen nicht bloss ganz direct mit dem Blute in Berührung , sondern
werden auch so schnell den Centralorganen des Nervensystems zugeführt,
dass ihre Dosis sehr sorgfältig erwogen und im Allgemeinen auf 1/3 der
für die gewöhnliche Darreichung der Arzneimittel bestimmten Gabe her-
abgesezt werden muss. — Die. Operation wird mit der Anlegung des
Aderlassverbandes geendet. — Nicht selten entsteht in Folge dieser Ope-
rationen eine heftige Aufregung des ganzen Körpers, oft von Fieberfrost
oder von Erbrechen und Durchfall begleitet , und zuweilen Phlebitis.
Trepanation, Trepanatio, ist die kunstgemässe. Durchboh-
rung eines Knochens , im engern Sinne der Schädelknochen. Wir werden
hier nur von der lezteren handeln ; von der Durchbohrung des Brustbeins,
des Schulterblatts , der Rückenwirbel , cylindrischer Knochen war schon
in verschiedenen Artikeln die Rede. — Die Durchbohrung der
Schädelknochen, Trepanatio cranii, ist eine Operation , ver-
mittels welcher man eine Stelle des Schädels von den Weichtheilen ent-
blösst , ein Knochenstück durch Bohrinstrumente herausnimmt, um ent-
weder die Knochentheile selbst, weil sie angegriffen sind, oder durch die hie-
durch entstandene Knochenöffnung aus der Schädelhöhle fremde Körper,
924 TREPANATION.
die auf das Gehirn nachtheilig wirken , als Knochensplitter , Extravasate
von Blut, Wasser etc. zu entfernen, oder aber ein eingedrücktes Knochen-
stück wieder emporzuheben. — Bei keiner Operation standen sich die
Ansichten der Wundärzte so schroff gegenüber als bei der Trepanation.
Während eine Partei sie als völlig gefahrlos schilderte und rücksichtslos
bei allen Kopfverlezungen trepanirte , stellte sie eine andere als geradezu
lebensgefährlich hin und verwarf sie demgemäss ganz und gar ; zwischen
diesen hat sich jedoch eine gemässigte Partei gebildet und bis jezt er-
halten , welche der Trepanation ihr Recht in der Reihe der Operationen
einräumte , und die Indicationen auf das richtige Mass beschränkte. —
Die Wundärzte haben sich namentlich mit der Frage viel beschäftigt, ob
man bei mechanischen Verlezungen des Schädels die Operation jedesmal
so früh als möglich , und wenn noch keine Zufälle von Druck und Rei-
zung des Hirns da sind , unternehmen (Früh - oder prophylactische Tre-
panation) oder ob man die Trepanation erst dann vornehmen soll, wenn
sich bereits Gehirnstörungen als Folge der Verlezung gezeigt haben
(Spättrepanation). Für die erstere Ansicht wurde namentlich die
Brüchigkeit der innern Glastafel geltend gemacht, welche häufig im
Innern eine grössere Splitterung zeigt, als man äusserlich vermuthen
sollte. Es gibt ebenso viele tüchtige Vertheidiger der einen wie der an-
dern Ansicht. — Indicirt ist die Operation bei folgenden frischen
Verlezungen: l) bei Fissuren und Contrafissuren, wenn sie mit einer be-
deutenden Verlezung der Glastafel und Blutextravasat vorkommen ; lez-
teres erkennt man aus dem fortwährenden Hervortreten von Blut durch
die Fissur, bei gleichzeitigen Erscheinungen von Hirndruck; ersteres
lasst sich nur vermuthen, aber nicht erkennen; 2) bei Hirnschalenbrüchen
mit Eindruck ; sie sind die häufigsten Indicationen zur Trepanation ; man
darf aber nicht vergessen , dass das Gehirn sich einem ziemlich starken
Eindruck accomodiren kann , andererseits Erscheinungen von Hirndruck
von der Gehirnerschütterung herrühren können : 3) bei Diastase der
Nähte , im Falle ein bedeutendes Extravasat damit verbunden ist ; in
diesem Falle muss man unmittelbar neben der Naht trepaniren ; 4) bei
fremden Körpern, wie Kugeln, Bleistücken, Steinfragmenten, welche auf
andere Weise nicht entfernt werden können ; 5) bei Hiebwunden mit
stumpfen Säbeln mit Eindruck; 6) bei Extravasaten, wenn ihr Siz mit
grosser Wahrscheinlichkeit ermittelt werden kann , sie zugänglich sind
und die Erscheinungen des Hirndrucks bedeutend sind. Ferner bei Tex-
turkrankheiten, wie 7) bei Caries , wenn sie klein, vollkommen örtlich
und durchdringend ist ; 8) bei Necrose , wenn sie eine totale ist , die
innere Tafel in grösserer Ausdehnung ergriffen hat als die äussere und
ein nachtheiliger Einfluss des Eiters auf die Hirnhäute zu fürchten ist ;
9) bei Exostosen an der innern Glastafel, welche durch ihren Druck
Convulsionen, Epilepsie u. dgl. hervorrufen, vorausgesezt dass ihr Siz
genau bekannt ist. — Als Contraindicationen gelten : das Ausdehnen
TREPANATION. 925
der Verlezungen auf die Basis cranii; wenn bei Schädelverlezungen
so viel Raum vorhanden ist , dass Extravasate leicht abfliessen , lose
Brnchstüche , fremde Körper leicht entfernt werden können; wenn der
Patient im Sterben liegt. — Die Stelle der Trepanation wird durch
die Krankheit oder durch die Verlezung bestimmt , und kann niemals ge-
wählt werden ; so viel jedoch die vollkommene Erreichung des Zwecks
erlaubt , vermeide man aus anatomischen Gründen die Nähte , den schup-
pigen Theil des Schläfenbeins , den Hinterhauptshöcker , den vordem
Winkel des Seitenwandbeins. Bei Extravasaten , Caries , Exostosen etc.
trepanirt man genau über deren Spize ; ist es sehr verbreitet , so sezt
man mehrere Kronen in Zwischenräumen von etwa 1 Zoll an. Bei Brü-
chen und Eindrücken trepanirt man dicht am Bande derselben , so dass
die Krone .den Rand nicht berührt ; bei kleinen Brüchen , eingeheilten
Kugeln etc. umfasst man diese ganz mit der Trepankrone. Bei Verle-
zungen der Nähte sezt man die Krone zu beiden Seiten derselben an.
— Die Zahl der anzusezenden Trepankronen hängt von der Ausdehnung
der Verlezung, des Extravasats, der Knochenverderbniss etc. ab. Im
Allgemeinen müssen so viele Kronen angewendet werden , als erforderlich
sind , dass alles Krankhafte vollständig entfernt werden kann ; in den
meisten Fällen werden wohl sechs ausreichen, obschon man zuweilen
auch mehr anzusezen genöthigt war. Wenn mehre Kronen angewendet
werden, so sezt man diese in der Regel so nahe an einander auf, dass
nur ein Zwischenraum von einigen Linien zwischen den einzelnen Oeff-
nungen bleibt und entfernt dann diese knöchernen Brücken mittels einer
geeigneten Säge (der Hey'schen oder der Kettensäge). — Die Operation
zerfällt in folgende Acte: 1) in die Blosslegung des Knochens; 2) in
die Durchbohrung desselben; 3) in die Herausnahme des Knochenstücks
und 4) in verschiedene Verrichtungen, welche zur Erreichung des Zwecks
nöthig werden können. — Die Stelle wird rasirt und die Haare am
ganzen Kopf werden kurz abgeschnitten. Der Hautschnitt ist ein Län-
genschnitt, wenn er ausreicht, oder ein Kreuzschnitt. Muss der Schläfen-
nmskel durchschnitten werden, so macht man einen V- Schnitt mit nach
oben gerichteter Basis. Nach Ablösung der Schädeldecken , die immer
möglichst zur Bedeckung zu erhalten sind , stillt man die Blutung,
schneidet dann die Beinhaut in dem Umfang der anzusezenden Trepan-
krone ein und schabt sie von der Peripherie gegen das Centrum mit der
Rugine oder dem scharfen Scalpellstiele ab ; Einige spalten sie kreuz-
weise und schaben die Ecken zurück. Nach der Reinigung der bloss-
gelegten Knochenstelle geht man an die Durchbohrung des Knochens,
welche man entweder mit dem Bogentrepan oder mit dem Handtrepan
(Trephine) verrichtet. Bei dem Gebrauche des Bogenirepans nimmt man
eine entsprechende Krone , schiebt die Pyramide etwa 1 ]/2 — ^ Linien
über die Sägezähne vor, stellt sie fest und befestigt die Krone an dem
Bogen. Nun fasst man den Trepanbogen wie eine Schreibfeder am
926 TREPANATION.
untersten Theile des Stiels , sezt die Pyramide auf die Mitte der bloss-
gelegten Knochenstelle und bringt den Trepan in eine verticale Richtung.
Man legt alsdann die linke Hohlhand auf die Scheibe des Bogens und
drückt das Instrument ganz sanft nieder ; Zeige- und Mittelfinger und
Daumen der rechten ergreifen die Hülse am mittleren Theil des Bogens
und drehen von rechts nach links so lange massig schnell herum, bis sich
eine hinlänglich tiefe Furche gebildet hat , so dass die Krone auch ohne
Pyramide sicher darin läuft. Man nimmt nun den Trepan ab , stellt die
Pyramide zurück , reinigt die Furche mittels der Bürste von den Säge-
spänen und lässt auch die Krone von den Spänen reinigen. In die von
der Pyramide gebildete Oeffnung schraubt man den Tirefond ein und
wieder aus (der Heine' sehe Tirefond lässt den Schraubentheil zurück),
sezt alsdann den Trepan auf die oben angegebene Weise, diesmal mit zu-
rückgestellter Pyramide, in die Furche und führt ihn wie früher so lange
herum , bis man an den blutigen Spänen und an einem dumpferen Tone
bei dem Sägen erkennt, dass man in dieDiploe eingedrungen ist; die ge-
nannten Zeichen fehlen indessen auch oft. Von nun an muss man den
Trepan öfter, jedoch stets auf die oben beschriebene Art und Weise
abnehmen und wieder aufsezen , die Krone und Furche reinigen und
die Tiefe der leztern mit einem zugespizten Federkiele jedesmal ge-
nau in ihrem ganzen Umfange untersuchen. Findet man die Furche
auf einer Seite weniger tief als auf einer andern , so neigt man den
Trepan beim Herumdrehen mehr nach dieser flacheren Stelle , um eine
gleichmässige Tiefe zu erlangen. Je tiefer man eindringt,' um so
vorsichtiger muss man trepaniren ; man mässigt daher den Druck
der linken Hand und untersucht schon nach einigen , 3 — 4 maligen, zu-
lezt selbst nach einmaligem Umdrehen des Trepans die Furche , bis man
sie an mehreren Stellen durchdringend findet und das Knochenstück bei
dem Drucke mit dem Nagel des linken Zeigefingers Beweglichkeit zeigt.
Die Durchsägung der innern Tafel gibt sich durch ein Knistern zu erken-
nen. — Benuzt man die Trephine, so fasst man sie an ihrem Quergriffe
mit voller Hand, legt den ausgestreckten Zeigefinger an die äussere Fläche
der Krone, sezt sie mit vorgeschobener Pyramide senkrecht auf den Mittel-
punkt der auszubohrenden Knochenstelle und dreht sie mit massigem
Druck in Halbkreisen von rechts nach links und von links nach rechts
durch blosse Pro - und Supination der Hand , wobei man den Oberarm
nicht bewegt , herum , bis sich eine Furche gebildet hat. Das Zurück-
stellen der Pyramide, das Einschrauben des Tirefond, die häufige Unter-
suchung der Furche, das Reinigen derselben und der Krone etc. geschieht
auf dieselbe Weise , wie es bei dem Gebrauche des Bogentrepans ange-
geben wurde. Die Trephine wirkt langsamer und erschütternder als der
Bogentrepan und ermüdet den Operateur sehr. — Wenn man wegen einer
eingekeilten Kugel oder eines lockern Knochenstücks etc. , welche man
mit der Krone ganz umfasst, trepanirt , so kann man die Pyramide nicht
TREPANATION. 927
anwenden, sondern man bedient sich zur sichern Leitung der Krone eines
Kronenführers, d. h. einer mit einer kreisförmigen Oeffnung versehenen
Scheibe von Kork oder Sohlenleder mit einem breiten Rande, so dass sie
mit den Fingerspizen festgehalten werden kann. In die Oeffnung der
Scheibe sezt man die Krone und dreht sie so oft herum , bis man eine
hinreichende Furche gebildet hat , dann entfernt man die Scheibe. Es
gibt auch besondere Kronenleiter von Metall. — In neuester Zeit hat
man sich zuweilen zur Trepanation statt des Trepans oder der Trephine
ausser andern namentlich des Osteotoms von Heine bedient. — In Er-
mangelung eigentlicher Trepanationsinstrumente kann man zur Eröffnung
des Schädels eine Scheibensäge oder, wenn auch diese fehlt, eine Rugine
oder selbst ein Stück Glas nehmen , und den Knochen so lange damit
schaben , bis eine Oeffnung gebildet ist. — Ist es erforderlich , an den
Stirnhöhlen zu trepaniren, so müssen zwei Kronen gebraucht werden und
zwar muss die Krone , welche die äussere Lamelle durchtrennt , grösser
sein. — Um das auf die eine oder andere Weise ausgesägte Knochenstück
herauszunehmen, schraubt man den Tirefond ganz sachte in die vorläufig
für denselben gebildete Oeffnung oder , wenn man sich des Heine'schen
Tirefonds bedient hat, den Handgriff in den zurückgebliebenen Schrauben-
theil ein, löst das bewegliche Knochenstück durch sanftes Hin- und Her-
neigen von seinen Anhängen und hebt es heraus. Lose Knochenstücke
etc., bei denen der Tirefond nicht eingeschraubt werden kann, hebt man
mit einer Zange oder dem Hebel heraus. — Nach der Herausnahme des
Knochenstücks fühlt man mit dem linken Zeigefinger nach dem Rande
der Schädelöffnung, der meistens Unebenheiten oder scharfe Spizen zeigt.
Zu ihrer Entfernung fasst man das Linsenmesser in die volle Faust, bringt
den linsenförmigen Knopf desselben zwischen Dura mater und Schädel
und ebnet den Rand, indem man die Schneide an dem Umfange der Kno-
chenöffnung kräftig umherführt. • — Das weitere Verfahren richtet sich
nach der indicirenden Krankheit. Wäre ein Knocheneindruck vorhanden,
so führt man ein Elevatorium vorsichtig zwischen Dura mater und dem
Knochen ein, und erhebt sehr sanft und behutsam das eingedrückte Kno-
chenstück, indem man den Zeigefinger der linken Hand unter das Eleva-
torium schiebt, und so denselben als Hypomochlion benuzt. ■ — Fremde
Körper, Knochensplitter etc. entfernt man mit den Fingern , der Pincette
oder Kornzange, jedoch ohne Gewalt ; sizen sie in der Dura mater fest,
so schneidet man diese, aber nur so weit ein , als nothig ist , um jene zu
lösen. Bei der Extraction der Splitter vergesse man nie, dass die Split-
terbrüche an der innern Seite des Schädels stets ausgedehnter sind , als
an der äusseren. — Extravasate oder Eiteransammlungen entfernt man
durch eine zweckmässige Lage des Kopfes , durch Aufsaugen mit einem
feuchten Schwamm , oder einem Pinsel von Charpie , oder einer Sprize.
Liegt das Extravasat unter der Dura mater , bildet es eine mehr oder
minder deutliche Erhebung und zeigt diese Haut eine gelbliche, bläuliche
928 TREPANATION.
oder schwärzliche Färbung , so sticht man sie mit einem geraden spizen
Bistouri mit aufwärts gerichteter Schneide an und verlängert den Einstich
mit demselben Messer oder mit einer Scheere. Hat der Erguss seinen
Siz in der Hirnsubstanz selbst , so kann man bis zu 1 Zoll Tiefe in die-
selbe einschneiden. Eine sichere Diagnose solcher Ergüsse ist aber häufig
unmöglich. Breitet sich das Extravasat weiter aus, als die Trepanöffnung,
so bleibt meistens nichts anderes übrig , als noch weitere Kronen aufzu-
sezen. Das Gleiche hat zu geschehen, wenn man wegen eines Extrava-
sats oder Gehirnabscesses trepanirt und den Herd des Leidens ganz ver-
fehlt hat. — Blutungen aus dem Sinus , welche nicht selten die Folge
einer Verlezung durch Knochensplitter sind , stillt man durch trockene
Charpie und angemessenen Druck; Blutungen aus der Art. meningea
media sucht man durch Druck , mittels eines Wachskegels oder durch
die Compressorien von Faulquier oder von v. Gräfe (s. T u r n i k e t)
zu stillen. — Verlezungen der Dura mater durch den Trepan bewirken
gewöhnlich eine heftige Entzündung derselben und erfordern deshalb eine
streng antiphlogistische Behandlung. — Der Verband nach der Trepa-
nation sei so einfach als möglich. In die Knochenöffnung drückt man
ein mit Oel getränktes Leinwandläppchen ein , legt, darüber ein Plumas-
seau von weicher Charpie und hält das Ganze mit einer Compresse und
einem Kopftuche fest. Der Kranke soll auf der trepanirten Seite liegen,
so dass Extravasate ausfliessen können. Die fernere Behandlung muss
allgemein und örtlich antiphlogistisch sein ; körperliche und geistige Ruhe,
dunkles Zimmer, strenge Diät, kalte Umschläge auf den Kopf und unter
Umständen allgemeine oder örtliche Blutentziehungen mit gleichzeitigem
Gebrauche innerer antiphlogistischer Mittel. Der Verband wird täglich
1 oder 2 Mal erneuert, je nachdem es der Ausfluss nöthig macht. Wenn
nach der Trepanation keine besonderen Zufälle entstehen, so sieht man
gewöhnlich am 2 — 3. Tage die äussere Fläche der D ur a m at er mit
einer gelben , schwer abziehbaren Exsudatschicht überzogen. In dieser
Schichte bilden sich, während ein Theil derselben zu Eiter zerfliesst, leb-
hafte Granulationen , welche sich mit den von den Sägerändern und der
Beinhaut herkommenden Fleischwärzchen verbinden ; aus diesen Granu-
lationen bildet sich eine fibroide Zwischensubstanz, welche die Lücke im
Schädel erfüllt und in welcher sich häufig grössere oder kleinere unregel-
mässige Verknöcherungen bilden. Gleichwohl bleibt an dieser Stelle ein
schwacher Punkt, durch welchen man mitunter die Bewegungen des Ge-
hirns wahrnimmt , weshalb es gerathen ist , dieselbe längere Zeit durch
ein Stück gekochten Sohlenleders, eine Kautschukplatte oder eine gefüt-
terte Metallplatte sowohl gegen äussere Einflüsse als auch gegen Druck
des Gehirns zu schüzen. — Häufig kommt es aber nicht zu einem solchen
Verschlusse der Knochenöffnung , sondern das Gehirn drängt sich durch
die Trepanöffnung hervor ; dies geschieht namentlich gern bei Verlezun-
gen der Dura mater, seltener bildet diese einen üeberzug über das
TUBERKELN. 929
hervorgedrängte Gehirn. Diesen Zustand bezeichneten die altern Chirur-
gen mit dem Namen Gehirn schwamm. Man wendet dagegen eine
leichte Compresssion mit Charpie an , so lange bis die Granulationen an
der Wunde dicht genug sind, um das Hervortreiben zu verhindern. Häufig
necrosirt ein Theil der hervorgetriebenen Gehirnmasse, wo sich dann nicht
selten eine bedeutende Meningitis entwickelt. Auch von heftigen Blu-
tungen ist ein solcher Zustand zuweilen begleitet.
Tripper, s. Harnröhrenentzündung.
Tuberkeln, Tubercula. Unter Tuberkel versteht man ein
nicht eingebalgtes , in Knötchenform , seltener als Infiltrat auftretendes
Product, welches bei einer bestimmten , aber noch durchaus unbekannten
Beschaffenheit des Blutes (Tuberculosis) erzeugt wird. Es tritt ur-
sprünglich als flüssiges (proteinhaltiges) Exsudat auf, und wird erst in
Folge von theilweiser Resorption , Coagulation und Organisation zur Tu-
berkelmasse. — Die Tuberkelmasse bietet dreierlei Bestandteile dar,
nämlich : eine formlose, ziemlich consistente, klebrige und durchscheinende
graue Masse, die Grundsubstanz; in ihr entwickeln sich : Elemen-
tarkörner von der verschiedensten Grösse, meist runder Form, weiss-
lich grauer oder gelblicher Farbe und undurchsichtig trübe ; chemisch
verhalten sie sich verschieden , und zwar wie Protein- , Fett- und Kalk-
körnchen ; Kern- und Zellenbildungen. Die beschriebenen Ele-
mente finden sich in verschiedenen Fällen in sehr verschiedenen Verhält-
nissen vor. — Der Proteinkörper der Tuberkelmasse ist bald mehr fibri-
nös, bald mehr albuminös. Diesen Verhältnissen entsprechend, sind auch
die physikalischen Eigenschaften derselben verschieden. Sie erscheint
bald derb, undurchsichtig, gelblich, formlos oder nur körnig, schollige
Gebilde enthaltend , bald graulichweiss , durchscheinend , weich mit vor-
waltendem Zellengebilde , unter welchem auch deutliche Kernzellen vor-
kommen ; überhaupt zeigt das Exsudat einen höheren Grad von Organi-
sation. Darnach lässt sich eine gelbe, faserstoffige, formlose
oder körnige, und eine grauliche, ei w ei sss t o f f i ge , zellige
Tuberkelmasse unterscheiden ; dieses Verhalten ist aber nicht immer rein,
sondern oft gemischt. Bei der Abscheidung der Tuberkelmasse , welche
unter den Symptomen einer chronischen Entzündung , die allerdings zu-
weilen unbemerkt vorübergehen, zu Stande kommt, werden entweder die
Gewebe gleichmässig durchdrungen (tuberkulöse Infiltration),
oder es findet eine mehr oder weniger gehäufte Ablagerung statt, die bald
als ein ganz kleines Knötchen (Miliartuberkel), bald in grösseren
Massen von rundlicher Form (Tuberkelconglomerate, 'Tuber-
kelknoten) erscheint. Entweder sind nur einzelne Tuberkel vorhan-
den, oder ein Gewebe, ein Organ ist mit solchen übersäet und sieht dann
wie granulirt aus (Tuberkelgranulation). — Das durch Coagula-
tion und theilweise Organisation fest gewordene Exsudat (rohe Tuber-
Burger, Chirurgie, £j9
930 TUBERKELN.
kelmasse) verbleibt längere oder kürzere Zeit in diesem Zustande, und
geht dann weitere Veränderungen ein, die theils zu andern pathologischen
Zuständen, theils zur Heilung führen. Unter Ausscheidung von Fett und
Salzen, sowie unter Bildung einer dem Pyin ähnlichen Substanz erweicht die
Tuberkelmaterie , wird vom Centrum her mehr oder weniger flüssig , die
Kernzellen verwandeln sich in Körnerzellen , wobei die grauweisse Tuber-
kelmasse gelblich wird, die Körnerzellen zerfallen und man sieht lose bei-
sammenliegende Molekularkörner in Masse , untermengt mit Fetttropfen,
Fett- und Kalkkrystallen und abgestorbenen Gewebspartikeln. In der
nächsten Umgebung entsteht Entzündung , Eiterung und Schwärung, und
Entzündungsproducte vermengen sich mit der zerflossenen Tuberkelmasse.
In andern Fällen werden die flüssigen Bestandtheile der erweichten Sub-
stanz resorbirt, und nur die ausgeschiedenen Kalksalze mit wenig organi-
scher Substanz bleiben als eine weissgraue , trockene, mörtelartige Con-
cretion zurück (Verkr e i d u n g). Eine weitere Metamorphose des Tu-
berkels , welche aber nur der einfach faserstoffige Tuberkel eingeht , ist
seine Zusammenschrumpfung zu einer hornartigen Masse (Verhornung).
— Kann sich die erweichte Tuberkelmasse durch Verschwärung nach aus-
sen entleeren, so ist eine Vernarbung der Tuberkelhöhle und damit Hei-
lung möglich. Die tuberculösen Cavernen kleiden sich mit einer Mem-
bran aus, die unaufhörlich Eiter secernirt. ■ — Tuberkelmasse kommt in
allen gef ässhaltigen, selbst pathologischen Theilen vor, sie lässt sich aber
in manchen Organen besonders gern nieder ; am häufigsten kommt sie in
der Lunge vor. Sie tritt bald acut, bald allmälig auf. Das Wachsthum
der Tuberkelmasse geschieht durch Anlagerung neuen Stoffs im Umfang
des alten. — Die nächste Ursache zur Tuberkelbildung ist noch un-
bekannt. Man hat unter anderem eine eigenthümliche chemische Con-
stitution des Blastems angenommen , welche dasselbe zu höherer Organi-
sation ungeschickt macht, oder es sind äussere Einflüsse, die auf verschie-
dene Weise die Organisirung hindern. Im ersten Falle kann die Qualität
des Exsudats in einer eigenthümlichen Blutkrase (nach Einigen wahr-
scheinlich der scrophulösen), oder aber in demExsudationsprocesse selbst
begründet sein. — Gelegenheitsursachen geben äussere Verlez-
zungen, wie Stoss, Quetschungen etc. ab, sowie Erkältungen. — Die B e-
handlung ist dem grössten Theile nach eine innere. Wo Tuberkeln
an zugänglichen Stellen vorkommen und Geschwülste bilden, werden diese
exstirpirt , oder , wenn die Masse erweicht ist , wie Abscesse behandelt.
Zur Beförderung der Erweichung dienen Cataplasmen und gelind reizende
Pflaster. Der aufgebrochene Tuberkel fordert meist Reizmittel (Ein-
streuen von rothem Präcipitat). Um die meist hässliche Narbe zu ver-
hüten , muss die Vernarbung sorgfältig geleitet und dem Hervorwuchern
schlaffer Granulationen durch Höllenstein begegnet werden. — Zu den
kräftigsten innern Mitteln gehören Salmiak, Jodkali und Leberthran.
TURNIKET. 931
Turiliket, Aderpresse, Arterienpresse, Tourniquet,
Tomaculum, Torcular, Praelum, ist ein Instrument, mit wel-
chem man die Circulation des Blutes entweder in einem ganzen Theile
oder nur in einem einzelnen Gefassstamme für eine bestimmte Zeit auf-
zuheben oder doch zu hemmen vermag. Sein Zweck ist theils , um, wie
bei Verwundungen, Zeit zu gewinnen, alles was zu einer dauernden Blut-
stillung nöthig ist, herbeizuschaffen und den erforderlichen Verband zu
besorgen, theils um Kranke bei grösseren Operationen, wie Amputationen
u. dgl. , vor Verblutung zu schüzen. — Die Turnikets zerfallen 1) in
solche für die Extremitäten und 2) in solche für den Kopf und Rumpf.
— I. Turnikets für die Extremitäten. Man theilt diese ein :
1) in solche, welche das Glied in allen Punkten drücken und allen Zu-
und Rückfluss des Blutes hindern. Dies bewirken die Band- , Knebel-,
Schnallen-, Keil- und Federturnikets ; 2) in solche, welche vorzüglich nur
auf den Hauptstamm eines Gliedes drücken , ohne den Collateralkreislauf
gänzlich zu unterbrechen. Hierher gehört das Schrauben-, Wellen- und
Windenturniket ; 3) in solche , welche nur einen bestimmten Arterien-
stamm zusammendrücken , ohne alle Beeinträchtigung der Seitengefässe.
Dies geschieht durch die Griifturnikets. — 1) Turnikets, welche
den Blutlauf in allen Ge fassen eines Glied eshemmen.
Diese finden ihre Anwendung hauptsächlich in den Fällen, wenn das Blut
bei einer Verwundung aus mehreren Gef ässen strömt , indem man damit
Zeit gewinnen will, die Quelle der Blutung aufzusuchen und diese durch
geeignete Mittel zum Stillstand zu bringen. Man gebraucht sie ferner
bei Operationen, wo eine starke Blutung zu befürchten ist, vorzüglich bei
Amputationen. Da sie aber das Glied dermassen zusammenschnüren,
dass nicht nur der Blutlauf, sondern auch die Circulation der übrigen
Säfte und die Function der Nerven aufgehoben wird , so dürfen sie nie
lange liegen bleiben, wenn das Glied nicht absterben soll. Es gibt meh-
rere Arten derselben : a) das B andturniket. Es besteht aus einem
etwa 1 1 /2 Ellen langen und 2 Zoll breiten , starken Gurte, der an einem
Ende einen fest umnähten Schliz von 1 *]2 Zoll Länge hat, an dem andern
Ende fast bis zur Hälfte gespalten und umstochen ist. Ueber diesen Gurt
wird eine länglich viereckige Pelotte, auf deren oberer Fläche eine lederne
Oese ist , geschoben und auf die Arterie gelegt , hierauf der eine Theil
des gespaltenen Endes des Gurtes durch den Schliz gesteckt , fest ange-
zogen und mit dem andern Theil in einen Knoten gebunden. — Noch
einfacher und auf der Stelle lässt sich einTurniket mit einem halsbinden-
artig zusammengelegten Sacktuch herstellen, indem man in der Mitte die-
ses Tuches einen festen Knoten macht , diesen auf das zu comprimirende
Gefäss legt, die beiden Enden über diesen Knoten hinführt und sie dann
verknüpft. — b) das K n e b e 1 1 u r n i k e t. M o r e 1 1 führte einen festen
Gurt um das Glied , welchen er nach Vereinigung seiner Enden mittels
59*
932 TURNIKET.
eines durchgesteckten hölzernen Knebels hinlänglich zusammenschnürte.
Wo ein stärkerer Druck einwirken sollte, wurde eine Compresse oder eine
aufgerollte Binde untergeschoben. Später fügte man diesem Gurte eine
runde Scheibe von Leder , Hörn etc. bei , um die Stelle , wo der Knebel
den Gurt zusammendreht, vor Quetschung zu sichern. Henkel versah
diese Platte mit zwei Schnüren , womit der angespannte Knebel befestigt
wird. Eine feste Lederpelotte , auf welcher sich eine Schnalle zur Be-
festigung des Gurtes befindet, verstärkt die Wirkung dieses sehr brauch-
baren Turnikets. — c) Das Schnallenturniket besteht in seiner
ursprünglichen Form aus einem Gurte , welcher durch eine Schnalle be-
festigt wird ; auf die zu comprimirende Arterie kommt eine Bindenrolle
zu liegen. Später wurde eine besondere Pelotte beigefügt, welche an
den Gurt geschoben wurde; auch erlitt die Schnalle mannigfache Ver-
änderungen ; es wurde eine vierwinklige Schnalle benüzt , die Schenkel
der Schnalle mit Walzen versehen etc. So entstanden die Schnallen-
turnikets von Assalini, von Rust, von v. Gräfe. d) Das Keil-
turniket von Krombholz besteht aus zwei ovalen Platten , die an
den beiden abgerundeten Enden durch zwei runde Messingstäbe mit ein-
ander verbunden sind ; über diese Stäbe läuft das Band , das durch einen
zwischen die Platten und die walzenförmigen Stäbe einzuschiebenden
Keil an die leztere angedrückt und dadurch am Nachlassen verhindert
wird. — e) Das Federt urniket besteht aus einem Stahlbogen oder
einer Stahlfeder , die an ihren beiden Enden Riemen trägt , durch deren
Vereinigung die Stahlfeder zusammengedrückt wird. Klein schloss die
aus zwei beweglichen Stücken bestehenden Stahlbogen mit einer gezähn-
ten Stange. Eines dieser Stücke trägt eine Pelotte. Diese und die vo-
rige Art von Turniket sind ganz ausser Gebrauch. ■ — 2) Turnikets,
welche vorzüglich auf den Hauptstamm eines Gliedes
wirken. Die in Bede stehenden Turnikets umgeben zwar das betref-
fende Glied auch kreisförmig mit einem Bande, schnüren dasselbe aber
nicht im ganzen Umfange gleichförmig zusammen, wie die bisher genann-
ten , sondern äussern ihre Wirkung besonders auf den Hauptstamm der
Arterie, wobei sie sich auf der, der Arterie gegenüberliegenden Stelle an-
stüzen. Hierdurch bleiben die Seitenäste der Arterien ziemlich frei, was
die Folge hat, dass man sie länger einwirken lassen kann. Ihre Einrich-
tung ist von der Art, dass der Wundarzt ohne Gehülfen sie auf einen ver-
schiedenen Grad stellen und den Blutlauf in der comprimirten Arterie
nach Erforderniss hemmen oder freilassen kann. Es gehören hierher :
a) das Schraubenturniket. Es besteht aus zwei Platten, welche
mittels einer durch sie senkrecht durchgehenden Schraube, die mit einem
Griffe versehen ist , einander genähert oder von einander entfernt werden
können. Ein um das Glied geführtes und mit einer Pelotte versehenes
Gurtband wird an die obere Platte befestigt und diese Schlinge durch
Umdrehen der Schraube verengt oder erweitert. Garengeot's, Petit's
TURNIKET. 933
und Morand's Instrumente sind von Holz. P 1 a 1 1 n e r brachte einen,
P e r e t zwei aufrechte , durch die obere Platte gehende Stäbe in der un-
tern an , wodurch beide Platten in gleicher Richtung erhalten werden.
An zwei Rändern der obern Platte befinden sich Schnallen, in welche der
in der Mitte gepolsterte Riemen geschnallt wird. H e ist er Hess die
Schraube und Brambilla das ganze Instrument aus Stahl verfertigen.
Eine zweckmässige, den Engländern zugeschriebene Veränderung besteht
in der Einfügung von beweglichen Walzen an den Seiten der Platten ;
die Bewegungen des Gurts sind hierdurch viel freier. Das gegenwärtig
am allgemeinsten in Gebrauch befindliche Schraubenturniket besteht aus
zwei messingenen Platten, die aber stark ausgeschnitten sind , so dass sie
nur noch in der Mitte zusammenhängen. Durch diesen zusammenhängen-
den Theil läuft die in der untern Platte beweglich befestigte Schraube,
mittels welcher die Compression bewirkt wird. In den Ausschnitten der
Platten befinden sich Rollen, zwischen welchen der Gurt durchläuft. Die-
ser wird mit dem Instrument in Verbindung gebracht, dann um das Glied
und über die comprimirende Pelotte herumgeführt und schliesslich durch
eine Schnalle vereinigt. — b) Das Winden turniket ist als eine
Modifikation des Knebelturnikets zu betrachten, bei dem die Aufwicklung
des Bandes entweder über den QuergrifF oder über die Spindel selbst ge-
schieht. An der Basis dieser Spindel , an ihrem Einsenkungspunkte in
die Tragplatte befindet sich ein Sperrrad, welches durch einen Sperrhaken
an der Rückwärtsdrehung gehindert wird. In der Platte sind 2 Längen-
ausschnitte , durch welche das Band läuft. Solche Turnikets haben an-
gegeben Savigny, Zittier, Bell, welcher leztere zwei Walzen, über
welche das Band geht, hinzufügte. Diese Turnikets haben den Fehler,
dass man nicht viele Umdrehungen mit ihnen machen kann. — c) Das
Wellenturniket, Turniket mit liegender Winde (im Gegen-
saze von dem vorigen , welches eine stehende Winde hat) , auch eng-
lisches Turniket genannt, ist eine Modification des vorigen. Die
Walze ist zwischen zwei Seitenplatten befestigt, welche durch eine untere
Platte zusammengehalten wird. Die Umdrehung geschieht auf der Seite
durch einen geflügelten Schlüssel, welcher durch Sperrrad und Sperrfeder
befestigt wird. Hierher gehören die Turnikets von Westphalen,
Knauer, Freeke, Rymer. Dieses Turniket hat nicht die Nach-
theile des vorigen. — 3) Turnikets, welche den Blutlauf in
einem einzigen Gefässstamme unterbrechen. Diese, welche
mit freier Hand auf die zu comprimirende Arterie aufgedrückt werden
und daher den gemeinschaftlichen Namen Griffturniket führen , bestehen
aus einer Stahlstange, die an dem einem Ende mit einem Handgriffe , an
dem andern mit einer Pelotte versehen ist. Leztere wird auf die Arterie
(die Art. cruralis bei ihrem Austritte unter dem P o up art' sehen
Bande, auch die Art. subclavia) aufgesezt und von der den Handgriff
voll umfassenden Hand aufgedrückt. Die wenigen derartigen Instru-
934 TURNIKET.
mente unterscheiden sich nur durch den Bau der Pelotte. Sie sind von
Ehrlich, Brünninghausen und Hesselbach.
IL Turnikets für den Kopf und Rumpf. Diese Instru-
mente, welche sowohl im Bau als in der Art der Anwendung von den bis
jezt aufgeführten gänzlich abweichen, führen den Namen Compresso-
r i e n. Hierher gehören : Foulquier's Compressorium für die Arte-
rien oder Venenblutleiter der Dura mater; es besteht aus einem senk-
rechten Stücke, mit welchem drei Querplatten, die mittlere (Druckplatte)
beweglich, verbunden sind; eine Schraube geht durch die oberste Quer-
platte und befestigt sich in der Druckplatte , welche sie auf und ab be-
wegt. Bei der Anwendung wird die untere mit Schwamm belegte Platte
unter die Hirnhaut und die blutende Arterie geschoben , die Druckplatte
kommt aussen auf den Knochen zu liegen und indem man diese nun mit
der Schraube gegen den Knochen andrückt, wird die Compression bewirkt.
V, Graefe's Compressorium für die Art. meningea ist diesem ähn-
lich, ebenso das von Ferg und Hager. — Bell's Compressorium für
die Art. temporalis besteht aus einer Stahlfeder, welche mit ihrer
Mittte auf das Hinterhaupt zu liegen kommt und deren Enden auf der
Stirn mit Riemen vereinigt werden; auf die Wunde kommt eine gestufte
Compresse zu liegen. Es liegt nicht sicher. Butter befestigt eine
Pelotte durch wagerecht und senkrecht um den Kopf gehende Bänder und
nähert sie durch eine Stellschraube der Arterie. — Für die blutende
Zahnhöhle hat F o u c o u ein metallenes, viereckiges Kästchen angege-
ben , welches die Bestimmung hat , den Tampon an die Zahnhöhle anzu-
drücken. Es umfasst den der blutenden Zahnhöhle gegenüberliegenden
Theil der andern Kinnlade und drückt durch eine mechanische Vorrich-
tung auf die vorher mit Schwamm oder Charpie gefüllte blutende Alveole.
— Robert's Compressorium besteht dem Wesen nach aus einem Querbal-
ken, der an seinem vordem Ende einen halbmondförmig ausgeschnittenen
wagerecht abgehenden Zapfen, den Stopfer, trägt, welcher auf die blutende
Zahnhöhle zu liegen kommt. Das andere Ende des Querbalkens geht
zum Munde heraus und wird, wenn die Blutung aus dem Oberkiefer statt
hat , mit einem von einem Stirnbande herabsteigenden senkrechten Stabe
mittels einer Schraube, welche auch das Andrücken des Querstabs auf die
blutende Alveole vermittelt , in Verbindung gesezt ; hat die Blutung aus
dem Unterkiefer statt, so tritt der aus dem Munde kommende Stab mit
einem zweiten zusammen , der seinen Stüzpunkt unter dem Kinn nimmt ;
eine Schraube drückt diese zwei Stäbe gegen einander und damit den
Stopfer auf die vorher mit trockener C%arpie ausgefüllte Zahnhöhle. —
Das Compressorium von Lampe für die Art. ranina besteht aus ei-
nem stählernen Bügel , vermittels dessen ein Druck auf die Zunge und
unter dem Kinn unter Vermittlung einer Schraube ausgeübt wird. Ein
unpractisches Instrument. — Jourdain's Compressorien gegen Blu-
tungen aus dem Gaumen sind höchst complicirt und dem Zwecke
UNTERBINDUNG DER GEFAESSE. 935
nicht entsprechend. — Die Corapressorien für die Halsgef ässe sind bügel-
artig construirt , so dass die übrigen Organe von dem Drucke verschont
bleiben. Fast alle Verschieben sich leicht , da der Druck nicht an den
entgegengesezten Punkten angebracht ist, so Löffler's, Chapert's
für die Ven. jugularis, Blakett's für die Carotis. — Für die
Art. intercostalis ist von Lotterie eine metallene , S-förmig ge-
bogene Platte angegeben , deren eines mit einem Stückchen Eichen-
schwamm versehenes Ende in die Wunde und hinter die Rippe und deren
anderes vermittels eines Gurts an den Brustkorb befestigt wird ; eine
Rinne in der Platte dient zum Abflüsse des Bluts. Quesnay bediente
sich schon früher einer dünnen elfenbeinernen Platte. Bellocq's
Compressorium wirkt durch eine Schraube, die zwei Metallplatten wie an
den Compressorien für die Arterien der Dura mater gegen die Rippe
treibt, und in Härder's Compressorium werden zwei Metallplatten nach
der Idee des Knebelturnikets gegen einander getrieben. v. Graefe
bediente sich eines für die Arterie der harten Hirnhaut gefertigten Com-
pressoriums. — Die Compressorien für die Art. epigastrica realisi-
ren sämmtlich die Idee , die Arterie mit den Bauchdecken zwischen zwei
pincettenartig gespaltenen Armen zu comprimiren; JÜhopart, Schind-
ler und Hesselbach haben solche Instrumente angegeben. — Du-
puytren's Compressorium für die beim Steinschnitte verlezte P u d e n d a
stellt eine Pincette dar, deren Branchen, mit Eichenschwamm überzogen,
geschlossen in die Wunde gebracht werden, wo sie durch das Federn der
Arme Druck auf das Gef äss ausüben. — Steidele's Compressorium
für die Art. spermatica besteht in einem zangenartigen Instrumente,
dessen Arme durch eine Schraube zusammengedrückt werden. — R u d -
torffer's Compressorium für das männliche Glied besteht aus einem
von zwei Seiten offenen Blechgehäuse , in welchem der darin liegende
Penis von einer mittels Welle und Kurbel in Bewegung gesezten Schlinge
zusammengedrückt wird.
u
Ueberbein, &. Cysten.
Unterbindung der GefäSSe, Ligaturavasorum, nennt
man die Zusammenschnürung eines Gefässes mittels eines um dasselbe
geführten Fadens , wodurch es mechanisch und nach einiger Zeit orga-
nisch verschlossen wird, um den Durchgang der Flüssigkeiten durch das-
selbe zu hemmen. Man wendet die Unterbindung gegenwärtig meistens
nur noch bei Arterien an, da die Unterbindung der Venen nach Verwun-
dungen , z. B. bei Amputationen häufig Entzündung, Eiterung und dann
einen tödtlichen Ausgang nach sich zog, und die Blutung aus grösseren
936 UNTERBINDUNG DER GEFAESSE.
Venen gewöhnlich auf angewendeten Druck bald von selbst stehen. Ueber
die Anwendung der Ligatur bei einem krankhaften Zustande der Venen
s. die Artikel Varix und Varicocele. — Die Unterbindung der
Lymphgefässe ist selten nothwendig und ebenso selten ausführbar. —
Die unmittelbare Folge der Unterbindung ist eine Zerreissung der beiden
innern Membranen der Arterie, wobei sie sich, ihrer Elasticität folgend,
gegen die Achse des Gefässrohrs umkrämpen. Dem Blutstrome aber ist
durch die Ligatur ein Hinderniss gesezt ; das Blut stockt bis zu dem
nächsten Aste aufwärts; es gerinnt, und das Gerinnsel heftet sich zu-
nächst an den rauhen Rändern der zerrissenen und nach innen umge-
krämpten innern Gefässhäute fest. Je weiter aufwärts, desto mehr wird
das Gerinnsel noch von dem andrängenden Blute bewegt und umspült ;
daher ist seine Gestalt die eines Kegels , dessen Basis an der Unterbin-
dungsstelle festhaftet, dessen freie Spize aber in der Richtung gegen das
Herz bis zur Abgangsstelle des nächsten Astes sich hinerstreckt. Ueber
die weiteren Vorgänge im Innern der Arterie s. den Art. Thrombosis.
Wie im Lumen des unterbundenen Gef ässes , so erfolgt auch ausserhalb
desselben ein Lympherguss an der Ligaturstelle, so dass die Arterie da-
von wie mit einem breiten Ringe oder einer eiförmigen Geschwulst , in
welcher nur eine Oeffnung für die Ligaturfäden zurückbleibt, umgeben
wird. Weil aber die mechanische Reizung durch den Unterbindungs-
faden fortdauert, so entsteht an der von der Ligatur umschlossenen Stelle
der Arterie eine beschränkte Eiterung , wodurch früher oder später die
Ligatur mit dem durch dieselbe gefassten Gef ässtheil ausgestossen wird :
die zurückbleibende kleine Eiterhöhle schliesst sich darauf durch Granu-
lation oder durch ein plastisches Exsudat. — Ausser diesen Örtlichen Er-
scheinungen , welche nach Unterbindungen von Arterien wahrgenommen
werden, sehen wir aber auch, namentlich bei Unterbrechung der Circula-
tion in grösseren Gef ässen , ein besonderes Streben der Natur , die be-
wirkte Störung auszugleichen. Zunächst wird der Theil, zu welchem die
Arterie verläuft, beträchtlich kühler* einige Zeit daraufnimmt die Tem-
peratur wieder zu und steigt oft sogar über die normale Höhe. Lässt diese
Erhöhung der Temperatur lange auf sich warten, so hat man zu befürch-
ten, dass der Theil brandig werde. Auch sind alle Muskeln, welche durch
Aeste , die unterhalb der Unterbindungsstelle entspringen , versorgt wer-
den , gleich nach der Unterbindung und in der nächsten Zeit darauf ge-
lähmt. — Höchst interessant ist nun der Vorgang, durch welchen nach
der Unterbrechung des Hauptarterienstamms eines Körpertheils der Kreis-
lauf in demselben wieder hergestellt wird. Nach einem physikalischen
Geseze strömt eine Flüssigkeit stärker dahin , wo sie am wenigsten Hin-
dernisse findet ; so wird auch hier das Blut in grösserer Menge und mit
verstärkter Gewalt gegen die oberhalb der verschlossenen Stelle entsprin-
genden Aeste getrieben. Die Folge davon ist, dass sich diese sehr schnell
erweitern und zwar unter gleichzeitiger Verdichtung ihrer Wandungen,
UNTERBINDUNG DER GEFAESPE. 937
woher es kommt , dass auch derjenige Abschnitt der Extremität, welcher
aus dem unterhalb der Unterbindungsstelle gelegenen Theile des Gef ässes
sein Blut erhalten sollte, vollständig wieder damit versehen wird. Diese
erweiterten Arterienäste , welche mit den unterhalb der Ligatur entsprin-
genden aufsteigenden Zweigen anastomosiren, erhalten alsdann den Namen
Collateralgefässe und der durch sie hergestellte Blutlauf heisst
Collateralkreislauf. Zu bemerken ist, dass durch eine zu mäch-
tige und schnelle Entwicklung des Collateralkreislaufs der Erfolg der Un-
terbindung vereitelt werden kann, indem er dem kranken Theile des Ge-
f ässes schneller wieder Blut zuführt, ehe derselbe hergestellt ist. — Von
grosser Wichtigkeit und Gefahr sind die nicht selten auf Unterbindungen
folgenden Nachblutungen aus der Operationswunde. Der
Grund dieser liegt in den meisten Fällen in der Anwesenheit eines nahe
oberhalb der Unterbindungsstelle abgehenden Asts , wodurch die Bewe-
gung des Bluts in der Nähe der Ligaturstelle unterhalten und somit die
Thrombusbildung gehindert wird. Ausser diesen können auch mangel-
hafte Gerinnungsfähigkeit des Bluts, Verschwärung der Arterie in grösse-
rer Ausdehnung, eiteriges Zerfallen des Thrombus selbst, Durchschneidung
der Arterie durch die Ligatur, bevor sich ein hinreichend festes Gerinnsel
gebildet hat , was besonders bei krankhaften Arterienhäuten zu erwarten
ist, eine Nachblutung an der Unterbindungsstelle unterhalten. Man muss
alsdann sofort das entsprechende Ende der Arterie zum zweiten Male un-
terbinden, wobei es aber gerathen ist, dies in einiger Entfernung von der
ersten Unterbindung zu thun , da theils die Entzündung an dieser Stelle,
theils eine anderweitige Erkrankung der Arterie die Ligatur nicht mit
Erfolg anlegen lassen. — Bei der Unterbindung einer Vene durchschnei-
det die Ligatur die innere Haut derselben nicht ; sie zieht sie in Längen-
falten und hinterlässt einen sichtbar ausgezackten Kreis, der anfangs als
Trennung des Zusammenhangs erscheint, es aber bei genauerer Untersu-
chung nicht ist. — Die Indicationen zur Unterbindung der Arterien
im Allgemeinen sind: 1) Blutungen nach Verlezungen grösserer Arterien,
aber auch kleiner , welche auf eine andere Weise nicht gestillt werden
können, 2) zu befürchtende Blutungen bei grösseren Operationen, wo der
Blutverlust lebensgefährlich werden kann, 3) Aneurysmen und Telean-
giectasien unter den bei diesen Krankheiten angegebenen Bedingungen,
4) Afterorganisationen und Degenerationen , um ihnen den Nahrungsstoff
zu entziehen. — Die Operation ist verschieden , je nachdem es sich
von der Unterbindung blutender Gefässmündungen oder von der Unter-
bindung von Arterien in ihrer gänzlich oder doch theilweise ungetrennten
Continuität handelt, wozu jene in der Regel erst mittels Durchschneidung
der sie bedeckenden Weichgebilde blossgelegt werden müssen.
A. Unterbindung blutender Gefässenden. Hierbei
wird das Gef äss entweder allein in die Schlinge gefasst , isolirte oder
unmittelbare Unterbindung, oder auch die zunächst liegenden
938 UNTERBINDUNG DER GEFAESSE.
Weichtheile , mittelbare Unterbindung oder Umstechung.
Leztere Art von Unterbindung ist schmerzhafter und unsicherer , als die
isolirte, daher möglichst zu vermeiden. — 1) Isolirte Unterbin-
dung. Der Operationsbedarf besteht in einer gewöhnlichen oder besser
in einer Sperrpincette oder auch in einem scharfen Haken (Arterienha-
ken, Tenaculu m), ferner doppelten gewichsten Fäden aus ungebleich-
tem Zwirn für grössere , einfachen für kleinere Arterien , Schwämmen,
kaltem Wasser. — Die Wunde wird gereinigt, der Operateur sucht das
sprizende Gefäss auf und fasst es mit der Pincette in einem gegen die
Längenachse etwas stumpfen Winkel so, dass durch Schliessen der Pin-
cetten das Lumen des Gefässes ganz geschlossen und zwischen den
Branchen der Pincette ganz gesehen wird. Das Mitfassen von Nerven
muss besonders vermieden werden, überhaupt die Arterie so rein als mög-
lich gefasst werden. Ein Gehülfe zieht nun die Arterie etwas hervor und
stellt die Pincette in einen rechten Winkel gegen das Gefäss ; es wird
dadurch das Mitfassen der Pincettenarme in die Ligatur vermieden. Der
Gehülfe verhindert dieses auch leicht dadurch , dass er den Nagel seines
Zeigefingers vor der Spize der Pincette auf die Arterie sezt. Nun führt
der Operateur den Faden unter der Arterie durch, schlingt ihn über die-
ser in einen einfachen Knoten zusammen und fasst die Schlinge zu beiden
Seiten nahe an der Mitte mit Daumen und Zeigefinger ; er schiebt die-
selbe ferner an dem Gefäss möglichst hoch hinauf, legt sich die beiden
Fadenenden in die flachen Hände oder wickelt sie sich um die Ringfinger,
dreht die Hände um und sezt die beiden Zeigefinger auf die Mitte der
Ligatur , dann schiebt er sie bis dicht an die Wundfläche und zieht sie
gehörig fest zusammen. Ueber diesen einfachen Knoten wird sodann auf
die gleiche Weise ein zweiter geschürzt. Man erleichtert sich die Unter-
bindung bei engen und tiefen Wunden durch Erweiterung der AVunde
oder durch Blosslegung der Arterie von der Wunde aus ; auf der andern
Seite darf auch kein zu grosses Stück der Arterie gefasst werden , um
nicht unnöthiger Weise ein grosses Stück derselben zu opfern. Schliess-
lich schneidet man das eine Fadenende nahe am Knoten ab und führt
das andere auf dem nächsten Wege aus der Wunde heraus , um es unter
Vermeidung von Anspannung auf der Haut mittels Heftpflasterstreifen
oder Collodium zu befestigen. — Operirt man ohne Gehülfen, so fasst
man mit einer Arterienpincette das Gefäss und schliesst diese mittels der ihr
eigenthümlichen Vorrichtung. Dann lässt man sie entweder am Gefäss
hangen oder hält sie mit den Zähnen und schürzt auf die oben angege-
bene Weise die Ligatur. In Ermangelung einer Arterienpincette schliesst
man eine gewöhnliche mit den Zähnen , was gelingt , wenn man sie weit
in den Mund nimmt. — Benüzt man den Arterienhaken, welcher
besonders für kleinere Arterien und, wo das Gefäss sich vollkommen iso-
liren lässt, passt, so durchbohrt man das Gefäss quer (bei grösseren Ge-
fässen genügt es auch, wenn man nur eine Wandung durchsticht), zieht
UNTERBINDUNG DER GEFAESSE. 939
es hervor und verfährt dann ganz wie bei der Pincette. — 2) Umste-
chung. Man macht von ihr Gebrauch, wo man das Gefäss nicht her-
vorziehen und es selbst durch blutige Erweiterung der Wunde nicht zu-
gänglich machen kann. Sie wird verschieden gemacht, je nachdem das
getrennte Gefäss in der Mitte einer grössern z. B. Amputationswunde
oder nahe an der Haut liegt. Im ersteren Falle sticht man eine Heft-
nadel etwa 2 — 3 Linien von der Arterie entfernt und ebenso weit unter
derselben ein , lässt die Nadel einen Halbkreis in der Tiefe beschreiben,
zieht die Nadel nach und thut dasselbe auf der zweiten Seite, nur sticht
man die Nadel über der Arterie ein und unter ihr aus. Man kann auch
zwei Nadeln an einem Faden benüzen. Umgibt der Faden so das Ge-
fäss, so schürzt man die hervorhängenden Enden desselben in einen Kno-
ten, welchen man tief hineindrückt, schnürt damit die Gefässmündung
nebst den nächsten Weichgebilden zusammen und macht darüber einen
zweiten Knoten. Selten werden mehr als zwei Umstechungen zur gänz-
lichen Umgehung des Gefässes nothwendig sein. — Liegt das Gefäss an
der Oberfläche, so sticht man die Nadel an der Seite der Arterie ein, geht
hinter ihr herum und an der andern Seite heraus, worauf man den Faden
zusammenschnürt. — An dem aus der Wunde geführten Fadenende wird
nach erfolgter Verschwärung des durch den Knoten zusammengeschnür-
ten Gefässrings die ganze alsdann lose liegende Ligatur leicht und sicher
aus der Wunde entfernt. Gewöhnlich sind 8 — 14 Tage zur Lösung der-
selben erforderlich. Gewalt darf bei der Entfernung niemals angewen-
det werden.
B. Unterbindung in der Conti nuität der Arterien.
Diese Operation erfordert Blosslegung der Arterie an einer Stelle ihres
Verlaufs. Sie ist ange z e i g t : 1) bei bedeutenden arteriellen Blutun-
gen aus frischen oder nicht frischen Wunden , wo das blutende Lumen
nicht gesehen, nicht erreicht werden kann, entweder weil die Auffindung
wegen Zertrümmerung des Gefässes unmöglich ist, oder weil die Gewebe
durch Entzündungsproducte etc. so unkenntlich wurden , dass die Auffin-
dung der blutenden Mündung zu lange dauern und der Kranke ein Opfer
des Blutverlusts werden müsste; 2) bei frischen Hieb- oder Schnittwun-
den , wenn ein grosser Zweig einer Arterie so nahe am Hauptstamm ab-
getrennt ist , dass am Lumen keine Ligatur angelegt werden kann ;
3) wenn in einer frischen Wunde mehrere Zweige, die einzeln nicht un-
terbunden werden können, bluten ; 4) bei Blutungen aus grösseren Arte-
rien , die in zerfallenden , nicht exstirpirbaren Neubildungen liegen ;
5) bei parenchymatösen Blutungen in Folge ulceröser oder brandiger
Zerstörung von Organen , welche von einer, höchstens zwei Arterien mit
Blut versorgt werden; 6) als Voract grösserer Operationen, bei denen
man eine gefährliche Blutung fürchtet und wo die Compression unmög-
lich ist; 7) bei grossen Teleangiectasien , die nicht exstirpirbar sind;
8) bei Aneurysmen. — Man gebraucht ausser den gewöhnlichen Instru-
940 UNTERBINDUNG DER GEFAESSE.
menten für chirurgische Präparation : eine Aneurysmanadel , Fäden,
stumpfe Haken, Hohlsonde, Schwämme, kaltes Wasser. — Operation.
Nachdem man sich theils durch auf die Anatomie gestüzte Kennzeichen,
theils durch die Pulsationen über die Lage der zu operirenden Arterie
Gewissheit verschafft hat, beginnt man die Blosslegung derselben mit ei-
nem Hautschnitt , der bei oberflächlichen Arterien möglichst parallel mit
der Richtung derselben läuft, bei tieferen die Richtung der Arterie mehr
oder weniger kreuzt , und welcher entweder von freier Hand , indem die
Haut mittels Daumen und Zeigefinger gespannt wird, oder unter Bildung
einer Hautfalte gemacht wird. Alle tieferen Schnitte müssen , wo mög-
lich , in derselben Richtung geschehen , um die Bewegungen des Instru-
ments in der Tiefe der Wunde während der Operation nicht zu hindern.
Diese weitere Durchtrennung muss, wo es nur immer thunlich ist, in Mus-
kelzwischenräumen geschehen ; man sucht den als Wegweiser zur Arterie
dienenden oder sie bedeckenden Muskelrand auf und entblösst denselben
in der ganzen Ausdehnung der Hautwunde, indem man die ihn bedecken-
den Fascien und Bindegewebsschichten in der Richtung seiner Fasern
theils spaltet, theils ganz hinwegnimmt. Zu diesem Behufe wird mit der
Pincette zuerst ein kleiner Kegel der zu entfernenden Gewebe gefasst
und emporgehoben , mit flachgeführtem Messer abgetragen , durch diese
Oeffnung eine Hohlsonde eingeführt und auf dieser die Spaltung vorge-
nommen. Lockeres Bindegewebe kann man mit dem Scalpellheft und
Finger zerreissen. Je tiefer man dringt , desto vorsichtiger führe man
das Messer und desto sorgfältiger reinige man die Wunde von Blutgerinn-
seln und stille jede irgend erhebliche Blutung , bevor man weiter geht.
Die so frei gemachten Muskelränder werden mittels Wundhaken von Ge-
hülfen aus einander gehalten und so das weitere Vordringen zur Arterie
erleichtert. Ist man endlich bis zu der gemeinsamen Gefässscheide,
durch welche die Arterie mit den sie begleitenden Venen und oft auch
Nerven verbunden wird , gelangt , so wird die erstere isolirt, indem man
die Scheide mit der Pincette hügelartig erhebt, die erhobene Falte mit
flach gehaltenem Messer abträgt, in die Oeffnung die Hohlsonde einführt
und auf ihr ein wenig dilatirt. Einige ziehen es vor, die erhobene Falte
der Gefässscheide mit der Hohlsonde zu zerreissen. Wie man auch ver-
fährt, die Oeffnung in der Arterienscheide darf nicht grösser sein, als zur
Einführung der Unterbindungswerkzeuge durchaus erforderlich igt, uni
die zur Ernährung der Arterie nöthige Blutzufuhr nicht zu beeinträchti-
gen. Indem man nun den einen Rand der in der Gefässscheide ange-
brachten spaltf örmigen Oeffnung mit der Pincette fasst, den andern aber
mit der Spize der Hohlsonde oder dem Scalpellstiele von der Arterie äb-
zerrt, dringt man mit den gedachten Instrumenten dicht an der Arterie
immer weiter in die Tiefe , bis man sie endlich ganz unter der Arterie
hindurch zur entgegengesezten Seite hinführen kann. Am besten dringt
man mit der Sonde immer von der Seite der Vene aus unter die Arterie.
UNTERBINDUNG DER GEFAESSE.
941
— Ist die Arterie auf solche Weise isolirt, so wird der Unterbindungs-
faden um sie herumgeführt. Man bedient sich hierzu der Aneurysma-
nadel (meistens der Deschamp' sehen) , im Nothfall kann man auch
eine Oehrsonde dazu benüzen , die , um sie entsprechend biegen zu kön-
nen, von Silber sein muss. Der Ligaturfaden , welcher aus zwei parallel
neben einander liegenden mit Wachs bestrichenen Zwirnsfäden besteht,
kann in das zu seiner Führung bestimmte Instrument entweder vor oder
nach dem Acte der Durchschiebung desselben unter der Arterie eingefä-
delt werden ; lezteres ist bei tieferen Arterien schwieriger. Schiebt man
den Faden mit dem Instrumente durch , so fasst man denselben , sobald
das Oehr zum Vorschein gekommen ist, mit der Pincette, zieht ihn etwas
vor und hält ihn fest, während die Nadel zurückgezogen wird. Die Un-
terbindungsnadel wird von der Seite der Vene aus, um diese nicht zu ver-
lezen, herumgeführt, wobei man so lange, bis die Nadel unter der Arterie
ist, den betreffenden Rand des Spaltes in der Arterienscheide mit der
Pincette etwas anspannt. Um sicher zu sein, ob man auch wirklich unter
der Arterie ist, drückt man diese auf der Nadel zusammen, in welcher die
Pulsationen unter der Operationsstelle cessiren ; auch hebt man nach ein-
gezogenem Faden das Gefäss mit diesem etwas in die Höhe und sieht zu,
ob man dies allein gefasst hat. Sollte man die Vene oder den Nerven
mitgefasst, oder gar nicht die Arterie umgangen haben, worauf man nicht
sorgfältig genug untersuchen kann , so nimmt man die Ligatur weg und
legt sie zweckmässiger ein. Hat man die Arterie mit der Nadel verlezt,
so muss man sie an einer höhern Stelle mit der Nadel umgehen. Immer
schiebt man die Ligatur bis an die obere Grenze der isolirten Stelle und
schlingt den Faden in einen einfachen Knoten. Ist der Knoten fest zu-
sammengezogen, so untersucht man mit dem Finger, ob die Arterie unter
der Ligatur noch pulsirt ; ist dies nicht der Fall, so schürzt man den
zweiten Knoten und zieht ihn fest zusammen, indem man die Enden des
Fadens mit Daumen und Mittelfinger hält und mit den Zeigefingern in
der Nähe des Knotens die Fäden anspannt. Des Weitern verfährt man
wie bei der Unterbindung blutender Gef ässenden. — Die Wunde schliesst
man so weit, als es die nothwendig eintretende Eiterung erlaubt. Ist der
Hauptstamm eines Gliedes unterbunden worden , so muss das operirte
Glied so gelagert werden , dass die Arterie nicht gespannt ist, auch alle
Muskeln möglichst erschlafft sind. Bei bedeutend niederer Temperatur
des Gliedes, umgibt man dasselbe mit warmen Tüchern, Flanell, erwärm-
ten Kräuter-, Sand- oder Kleiensäckchen etc, ; um die Erweiterung und
und Entwicklung der Collateraläste zu begünstigen.
Anwendung der Ligatur zur Heilung von Aneurysmen.
1) Unterbindung unmittelbar am Aneurysma mit
gleichzeitiger Eröffnung und Entleerung der Geschwulst.
Methode des Antyllus. Man spaltet , nachdem zuvor der Blut-
lauf in der aneurysmatischen Arterie oberhalb der Geschwulst durch An-
942 UNTERBINDUNG DER GEFAESSE.
legung eines Turnikets gehemmt ist , die das Aneurysma bedeckende
Haut längs der Arterie in der Weise , dass der Schnitt die Geschwulst
oben und unten überschreitet, schneidet dann in derselben Richtung, nur
in etwas geringerer Ausdehnung , die Sackwandungen ein , entfernt alles
Blut aus der Höhle des Sacks und sucht nun die obere Arterienmündung
auf, wozu man, wenn die Auffindung Schwierigkeiten haben sollte , durch
Lüftung des Turnikets das Blut etwas sprizen lässt , führt in die Mün-
dung eine Sonde oder einen weiblichen Catheter , hebt damit die Schlag-
ader etwas auf, isolirt diese und unterbindet sie. Auf gleiche Weise ver-
fährt man mit dem untern Arteriende. Die Höhle des Sacks füllt man
alsdann mit trockener Charpie aus , zieht den Sack mit Heftpfiasterstrei-
fen etwas zusammen und bedeckt das Ganze mit einer Compresse und
Binde. — Diese Methode ist in Bezug auf die radicale Beseitigung des
Aneurysma die sicherste , zugleich aber wegen der Grösse und Tiefe der
Wunde und der langen Dauer der Eiterung die gefährlichste. Dazu
kommt noch , dass , wenn die Arterie in der Umgegend des Aneurysma
nicht vollkommen gesund ist, was bei allen Pulsadergeschwülsten, die
nicht traumatischen Ursprungs sind, vorausgesezt werden muss , gern
Nachblutungen folgen. Sie ist daher grösstenteils verlassen und findet
nur in einigen bestimmten Fällen , so wie in gewissen Körpergegenden
noch Anwendung , nämlich : wenn bei einem falschen diffusen Aneurysma
eine grosse Menge coagulirtes Blut vorhanden ist , dessen Resorption
keine Wahrscheinlichkeit hat , ferner wenn die aneurysmatische Ge-
schwulst brandig zu werden und aufzubrechen droht, endlich bei Aneu-
rysmen auf der Dorsal- und Volarfläche der Hände und Füsse. — 2)
Unterbindung der Arterien zwischen dem Herzen und
der aneurysmatischen Geschwulst. Methode von Hun-
ter. Die wesentlichen Principien dieser Methode sind , die Arterien
in hinreichender Entfernung von dem Aneurysma zu unterbinden , um
sicher zu sein , dasss die Ligatur keinen kranken Theil des Gef ässes
trifft und die Unterbindung an einer Stelle auszuführen , wo dass Gefäss
leicht aufzufinden und zu isoliren ist. Die Operation selbst wird in der
oben angegebenen Weise gemacht. Gewöhnlich hört nach der Unter-
bindung die Pulsation im aneurysmatischen Sacke auf, dieser fällt zu-
sammen , verkleinert sich nach und nach und verschwindet zulezt ganz.
Nicht selten kehren aber nach einiger Zeit , wenn der Collateralkreislauf
sich einstellt, Pulsationen im Sacke in schwächerem Grade wieder und
dieser füllt sich etwas mit Blut. Meistens ist die Blutströmung nicht
bedeutend und hört zulezt von selbst auf. Nur bei Aneurysmen in der
Armbuge , auf der Dorsal - und Volarfläche der Hand und des Fusses
können die zahlreichen Anastomosen so viel Blut zuführen , dass das
Aneurysma unterhalten wird , in welchem Fall noch ein Mal dem Sacke
näher oder unterhalb desselben eine Ligatur angelegt werden muss. —
Bei günstigem Erfolge der Operation geschieht der Verschluss des Aneu-
UNTERBINDUNG DER GEFAESSE,
943
rysma durch Blutgerinnsel, (s. d. Art. Pulsadergeschwülste), welches
in der Regel auf dem Wege der Resorption allmälig verschwindet ; zu-
weilen tritt aber auch Eiterung in der Geschwulst und nach erfolgtem
Aufbruch Heilung durch Granulation ein. — 3) Unterbindung zwi-
schen der Geschwulst und dem peripherischen Theil der
Arterie. Methode von Brasdor. Diese Methode kommt zur An-
wendung, wo das Aneurysma so gelagert ist, dass der Gefässstamm zwi-
schen der Geschwulst und dem Herzen nicht mehr erreicht werden kann.
Dies ist der Fall bei den Aneurysmen an der Carotis communis,
der Art. anonyma, subclavia und iliaca externa. Die Unter-
bindung wird hier unterhalb des aneurysmatischen Sacks vorgenommen,
in der Absicht, durch die Stockung des Bluts Veranlassung zur Coagu-
lation desselben im Aneurysma zu geben und somit Obliteration herbei-
zuführen. Der Versuch gelang zu wiederholten Malen bei Aneurysmen
der Carotis communis; Unterbindungen der Art. cruralis wegen
Aneurysmen dieser oder der Art. iliaca schlugen bis jezt fehl. Der
Grund hievon ist hauptsächlich darin zu suchen, dass die Iliaca ex-
terna Zweige abgibt , welche dem aneurysmatischen Sacke Blut zufüh-
ren , was bei der Carotis communis nicht der Fall ist. Eine Bedingung
des Gelingens der Operation scheint auch zu sein , dass der aneurysma-
tische Sack eine hinreichende Festigkeit besizt , um dem Andringen des
Bluts bis zur erfolgten Gerinnung zu widerstehen. Etwa aus der Puls-
adergeschvvulst entspringende grössere Aeste müssen unterbunden werden.
— Die Unterbindung selbst wird wie bei der vorigen Methode aus-
geführt.
Unterbindung der einzelnen Arterien.
1) Unterbindung des Truncus anonym us. Diese bis
jezt immer mit unglücklichem Ausgange vollzogene Operation wird auf
folgende Weise ausgeführt : man lässt den Kopf des Kranken ein wenig
nach hinten beugen und macht auf der rechten Seite des Halses einen
2,/2 — 3 Zoll langen Einschnitt an dem innern Rande des Stern oclei-
domastoideus, der bis auf !y2 Zoll auf das Manubrium sterni
herabgeht. Ein Gehülfe zieht mittels stumpfer Wundhaken die Wund-
ränder auseinander. Der Operateur trennt das Zellgewebe und die
Fascia colli, dringt dann mit dem linken Zeigefinger zwischen den
Sternaltheil des Kopfnickers und den Muse, sternohyoideus nicht
weit über dem obern Rande des Brustbeins zur Carotis. Nun lässt man
den Kopf stark zurückbeugen und geht mit dem Finger an der Carotis
herab , wo man an der innern Fläche des Manubrium sterni die
Vena subclavia dextra als eine blaue Wulst findet. Mit Hülfe
des Scalpellstiels dringt man tiefer bis zur Art. anonyma, geht mit
dem linken Zeigefinger von innen nach aussen unter dieselbe l/2 Zoll
weiter hinab , bringt mit der Rechten eine Unterbindungsnadel um die
Arterie und unterbindet sie.
944 UNTERBINDUNG DER GEFAESSE.
2) Unterbindung der Carotis communis. Der Kranke
liegt horizontal mit erhöhtem nach der gesunden Seite hingeneigtem
Kopfe. Man macht am innern Rande des M. sternocleidoma-
stoideus einen 2 1/2 Zoll langen Schnitt, welcher, je nachdem man
höher oder tiefer unterbinden will, von der Höhe des Schildknorpels oder
auch tiefer anfängt , und über oder auf dem Sternalende des Schlüssel-
beins endigt, und welcher Haut, Platysma myoides und die Fas-
cia colli durchdringt. Der dadurch blossgelegte Sternoclei-
domastoideus wird erschlafft, indem man das Kinn nach der kran-
ken Seite drehen lässt , worauf man das lockere Zellgewebe , welches
diesen Muskel mit dem M. sternohyoideus verbindet , trennt und
beide Muskel von einander ziehen lässt. Im Grunde der Wunde sieht
man nun den M. omohyoideus quer über die Gefässscheide, in welcher
Carotis, Venajugularis interna und Nerv, vagus zusammen-
liegen , und auf derselben den Ramus descendens nervi hypo-
g 1 o s s i verlaufen. Je nachdem man oberhalb , wo es am leichtesten
ist, oder unterhalb des M. omohyoideus unterbinden muss, lässt man
diesen Muskel nach innen oder aussen verziehen. Hindert er , so durch-
schneidet man ihn. Man lässt dann die Jugularvene nach aussen drücken
und zugleich am obern Wundwinkel comprimiren , um sie zu entleeren
und öffnet die Scheide auf der Carotis selbst auf die oben (S. 9 4 0.) an-
gegebene Weise. Nach gehöriger Isolirung der Arterie wird die Unter-
bindungsnadel von aussen nach innen dicht hinter derselben herumge-
führt und der eingezogene Faden zusammengeschnürt. — Die während
der Operation blutenden Gefässe unterbindet man sogleich , um sich eine
freie Ansicht der Wunde zu erhalten. — Der Kranke hält sieh ruhig im
Bette mit etwas erhöhtem und vorwärts gebeugtem Kopfe.
3) Unterbindung der Art. carotis externa. Diese Ar-
terie eignet sich der vielen , in kurzen Distanzen aus der Vordergegend
derselben entspringenden Zweige wegen nicht gut zur Unterbindung,
weshalb man es gewöhnlich vorzieht , die Carotis communis zu
unterbinden. Nicht selten findet man die Ligatur dieser Arterie als
Voract bei der Exstirpation der Parotis emfohlen. — Nach Dietrich
macht man parallel dem innern Rande des Sternocleidomastoideus und
*/j Zoll vor ihm, einen Querfinger vom untern Rande des Unterkiefers
beginnend, einen 2 Zoll langen Schnitt durch die Haut, das Platysma
myoides und die F a s c i a colli. Im obern Winkel der Wunde er-
scheint der M. digastricus und der M. hypoglossus, welche
sammt der Glandula submaxillaris nach oben gezogen werden;
die V. V. thyreoidea, subungualis und facialis werden
nach unten , die Carotis interna und V. jugularis interna,
so wie auch die Art. pharyngea ascendens nach aussen und der
Stamm der V. facialis nach innen gezogen. Die nun zum Vorschein
kommende Carotis externa wird auf die bekannte Weise blossge-
UNTERBINDUNG DER GEFAESSE.
945
legt und die Ligatur mit einer stärk gekrümmten Aneurysmanadel von
aussen nach innen herumgeführt.
Die Aeste der Carotis externa, nämlich : die Art. t h y -
reoidea superior (welche man vorzugsweise zur Heilung des Kropfs
unterbindet) , die Art. 1 i n g u a 1 i s und die Art. m axillaris ex-
terna können alle durch den für ihren Hauptstamm angegebenen Schnitt
blossgelegt werden. — Für die Art. thy reoide a sup erior hat man
noch ein anderes Verfahren angegeben, nämlich einen Querschnitt unter
dem grossen Hörn des Zungenbeins. — Die Unterbindung der Art. ma-
xillaris externa geschieht leichter am Winkel des Unterkiefers , wo
man sie deutlich etwa 3 — 4 Linien vom vordem Rande des Masseters
fühlt. Der Einschnitt wird senkrecht dem Rande dieses Muskels ent-
sprechend am besten unter Erhebung einer Hautfalte , da die Arterie sehr
oberflächlich liegt , gemacht. — Die Art. temporalis legt man am
besten durch einen zolllangen zwischen dem Ohre und dem Kieferge-
lenke verlaufenden vertikalen Schnitt bloss.
4) Unterbindung der Art. subclavia. Die Unterbindung
dieses Gefässes bietet sowohl anatomisch als chirurgisch fast unübersteig-
liche Hindernisse dar : es ist bei ihr die Vena jugularis, der N.
phrenicus, recurrens vagi, die Pleura gefährdet , neben dem
dass es sehr fraglich ist, ob es , besonders an der sehr kurzen rechten
Subclavia, zu einer ausreichenden Thrombusbildung kommen werde. —
Es gibt drei Unterbindungsmethoden für die Subclavia : an der innern
Seite der Scaleni , zwischen ihnen und an der äussern Seite derselben.
— Die Schnitte für die Unterbindung an der innern Seite
der Scaleni fallen ganz mit denen für die Unterbindung der Art.
anonyma zusammen. Man zieht die Arterie vor, um die Ligatur an
ihrer innersten Seite , bevor sie noch einen Zweig abgibt , unterbinden
zu können. — Unterbindung zwischen den Mm. scaleni s.
Man führt vom Sternalende der Clavicula, der Richtung dieser folgend und
ein wenig über ihr, einen etwa 2,/a Zoll langen Schnitt nach auswärts,
welcher die Haut und das Platysma myoides trennt. Nun schneidet
man den Claviculartheil des Sternocleidomastoideus vorsichtig (wegen
der V. jugularis anterior) auf der Hohlsonde ein , lässt die V. j u-
gularis interna nach innen ziehen und durchtrennt den M. sca-
lenus anticus etwas über der ersten Rippe und wo möglich nicht
vollständig, wodurch noch am ehesten die sonst fast unvermeidliche Ver-
lezung des N. Phrenicus, so wie der Art. mammaria interna
umgangen wird. — Unterbindung an der äussern Seite der
M. scaleni. Nachdem die Schulter des Kranken so viel als möglich
nach unten gedrückt ist, macht man einen Schnitt, welcher in die Mitte
des Dreiecks fällt, welches vom hintern Bauche des M. omohyoide.us,
dem hintern Rande des M. sternocleidomastoideus und dem
Schlüsselbein gebildet wird ; man sezt daher das Scalpell 2 Zoll über
Burger, Chirurgie. QQ
.946 UNTERBINDUNG DER GEPAESSE.
dem Schlüsselbein am hintern Theil der Clavicularportion des Kopfnickers
an, führt es nach aussen und unten schief bis zur Mitte des obern Ran-
des der Clavicula und trennt so Haut und Platysma myoides. Da-
bei hat man sich zu hüten , die V. jugularis externa oder die V.
transversa scapulae und colli zu verlezen. Dann trennt man
das Zellgewebe mit dem Scalpellhefte, damit die sich mit dem M. omo-
hyoideus kreuzende Art. transversa colli und die vor der Art.
subclavia laufende A. transversa scapulae nicht verlezt werde,
von denen die Erhaltung des Arms grösstentheils abhängt. Man geht
nach dem äussern Rande des M. scalenus anticus, der etwas vor
dem äussern Rande des Sternocleidomastoideus hervorragt und
findet die Art. in dem Winkel, welchen jener Muskel mit der ersten
Rippe macht , an der äussern Seite des an lezterer befindlichen Tuber-
culums. Man isolirt mit dem Scalpellstiele die Arterie von der Vene
und dem Plexus brachialis und führt den Ligaturfaden mit einer
kleinen aber stark gekrümmten Aneurysmanadel von der innern Seite her
um den auf der Rippe liegenden Theil der Arterie herum.
5) Unterbindung der Art. mammaria interna. Man
macht einen Schnitt in der Mitte des Zwischenrippenraums, der einige
Linien einwärts vom Seitenrande des Sternums beginnt und sich 2 Zoll
lang nach aussen erstreckt, durch die Haut, denM. pectoralis major
und den intercostalis internus, dann durchtrennt man das Zell-
gewebe mit Pincette und Hohlsonde , isolirt so die Arterie von ihren zwei
Venen und legt die Ligatur an.
6) Unterbindung der Art. axillaris. Man kann diese
Unterbindung unter dem Schlüsselbein oder in der Achselhöhle vornehmen.
— Unterbindung unter dem Schlüsselbein (auch Unter-
bindung der Art. subclavia unterhalb des Schlüsselbeins genannt).
Der Kranke sizt , die Schulter der leidenden Seite wird rück - und ab-
wärts gedrückt und ein Gehülfe steht zur etwaigen Compression der Art.
subclavia gegen die erste Rippe bereit. Man macht durch die Haut
und den untern Theil des Platysma myoides einen Schnitt längs
dem untern Rande des Schlüsselbeins , welcher 1 Zoll von dessen Ster-
nalende anfängt und 3 — 4 Zoll bis zu der Furche geht , welche sich
zwischen M. pectoralis major und deltoideus befindet; die
an dem vordem Rande des leztern liegende Vena cephalica muss
geschont werden. In derselben Richtung und Länge wird der Cla-
viculartheil des grossen Brustmuskels durchschnitten und etwas nach ab-
wärts umgeschlagen, worauf nach vorsichtiger Trennung der Fascia
coraco-clavicularis der Pectoralis minor erscheint , welcher
vom Processus coracoideus abwärts laufend , den äussern Winkel
des Schnitts kreuzt. Bringt man die Fingerspize zwischen seinen obern
Rand und den untern Rand des Schlüsselbeins , so findet man die Ar-
terie ; an ihrer äussern Seite liegt der Plexus brachialis, an der
UNTERBINDUNG DER GEFAESSE. 947
innern die Vena subclavia, welche die Arterie einigermassen deckt.
Man sondert nun mittels des Scalpellstiels die Theile sorgfältig von der
Arterie und bringt von der auf die Seite gezogenen Vene aus , also von
innen und unten nach aussen und oben die Unterbindungsnadel um die
Arterie herum. Die Ligatur muss oberhalb des Ursprungs der A a. tho-
racic a e angelegt werden, weil diese sonst die Thrombusbildung hindern
würden, -r— Unterbindung von der Achselhöhle aus. Der
Arm wird stark abducirt und gegen den Kopf erhoben und nach Ent-
fernung der Haare am innern Rande des M. coracobrachialis (vor-
dere Achselfalte) die Haut in einer Länge von 2 — 3 Zoll eingeschnitten
und hierauf die Fascia in derselben Richtung auf der Hohlsonde ge-
spalten Unmittelbar hinter dem hiedurch entblössten innern Rande
des Coracobrachialis, etwas nach innen von ihm , trifft man auf
die von den zwei Ursprungswurzeln des Nerv, medianus umfasste Ar-
terie , welche man mit der Spize einer gut gerundeten Hohlsonde isolirt
und unterbindet.
7) Unterbindung der Art. brachialis. Man macht , wenn
die Unterbindung der Arterie in der Mitte des Oberarms vollzogen wer-
den soll , bei rechtwinklig vom Stamme abducirtem Arme längs dem
Ulnarrande des M. b i c e p s einen 2 Ifa Zoll langen Hautschnitt , trennt
dann in derselben Ausdehnung die Fascia superficialis, was am
besten auf der Hohlsonde geschieht. Unmittelbar unter der Fascie liegt
die Arterie am Rande des M. biceps, zwischen ihren beiden Venen, an
ihrer Ulnarseite der N. cutaneus medius, auf ihr oder auch an
einer ihrer Seiten der N. medianus und an ihrer Radialseite der N.
cutaneus externus. Man sondert die Arterie von ihren Umgebungen
und unterbindet sie. — In der Armbeuge macht man den Einschnitt
dicht am innern Rande der Sehne des Biceps , gerade über der daselbst
fühlbaren Vertiefung und findet die Arterie nach Trennung der Aponeu-
rose an der äussern Seite des N. medianus.
8) Unterbindung der Art. ulnar is. a) Am obern
Theile des Vorderarms. Man macht an dem Radialrande des
Flexor carpi ulnaris, den man durch abwechselnde Beugung und
Streckung der Hand stärker hervortreten macht , einen 2 Zoll unterhalb
des Condylus humer i internus beginnenden 2 1/.2 Zoll langen
Schnitt durch die Haut und durchschneidet in derselben Richtung und
Länge die Fascia antibrachii. Nach aussen von dem genannten
Muskel tritt nun der Flexor digitorum sublim is zu Tage,
welcher, wenn er mit dem Flexor carpi ulnaris verwachsen ist, von
diesem getrennt wird. Diese zwei Muskeln werden mit Wundhaken aus-
einander gezogen , worauf zwischen ihnen in der Tiefe in Begleitung von
zwei Venen und dem N. ulnaris (an der Ulnarseite) die Arterie er-
scheint, welche sofort isolirt und unterbunden wird. — b) Am untern
Dritttheile des Vorderarms verläuft die Art. ulnaris mehr
60*
948 UNTERBINDUNG DER GEFAESSE.
oberflächlich zwischen der Sehne des Flexor carpi ulnaris und
der des Flexor digitorum sublimis, von ersterer etwas bedeckt.
Ein zwischen diesen beiden Muskeln verlaufender , Mg Zoll oberhalb des
Os pisiforme endender, lVg — 2 Zoll langer Schnitt durch Haut
und Fascie legt die Arterie bloss.
9) Unterbindung der Art. radialis, a) Am obern
Theile des Vorderarms. Man macht etwa lll2 Zoll unter der
Armbeuge und nahe unterhalb der Insertion der Sehne des M. b i c e p s
längs der schiefen Richtung des Ulnarrandes vom M. supinator lon-
gus einen Hautschnitt von 2 — 2 1jl2 Zoll , trennt in derselben Richtung
die Fascia antibrachii, gelangt dann zu dem innern Rande des
genannten Muskels, schiebt diesen etwas nach aussen und durchschneidet
das unter ihm gelegene tiefe Blatt der Fascia antibrachii, unter
welchem die nach innen vom Pronator teres und Palmaris lon-
gus begrenzte und von zwei Venen begleitete Arterie liegt. — b) Am
untern Theile des Vorderarms fühlt man die Arterie deutlich -
pulsiren , und macht , um sie zu entblössen , einen 1/2 Zoll über dem
Handgelenke endenden, l1/2 Zoll langen Schnitt, welcher an der Ra-
dialseite der Sehne des Flexor carpi radialis durch Haut und
Fascie geführt wird. Zwischen jener Sehne und der des Supinator
1 o n g u s findet man die Arterie.
10) Unterbindung der Aorta abdominalis. Diese kann
nur in der Strecke zwischen der Bifurcation und dem Ursprünge der Art.
mesaraica inferior vorgenommen werden. — Kopf und Brust
liegen hoch, die Oberschenkel gegen das Becken gebeugt, die Bauch-
höhle wird durch einen 3 — 4 Zoll langen Schnitt , welcher nahe an
der Linea alba zur linken Seite des Nabels geführt wird und diesen
mit einer leichten Concavität umgeht. Man schneidet zunächst nur
bis auf's Bauchfell und spaltet dieses dann mit grosser Vorsicht, um
einen Vorfall der Gedärme zu verhüten. Hierauf wird der Darmkanal
so viel als möglich nach Rechts gedrängt, der Zeigefinger auf die Aorta
gesezt und das sie bedeckende Blatt des Peritonaeum mit dem Nagel
zerrissen. Derselbe Finger muss auch unter die Arterie zu dringen su-
chen , so dass auf ihm die Unterbindungsnadel um das Gef äss herumge-
führt werden kann. Zweckmässiger- als dieses A. C o op er 'sehe Ver-
fahren ist es , das Bauchfell nicht zu öffnen , sondern dasselbe von der
Seite her, nach Ausführung eines links von der lezten Rippe nach der
Spina ilei anterior super i o r geführten gekrümmten Schnitts,
bis zur Arterie hin zu verdrängen. Auf diese Weise operirten J. Murray
und Candido Borges.
11) Unterbindung der Art. iliaca communis. Von den
verschiedenen Schnittführungen , welche zur Blosslegung dieser Arterie
angewendet wurden, gewährt der von Dumreicher den meisten Raum.
Der 4 — 5 Zoll lange Schnitt beginnt 21/2 Zoll oberhalb der Richtung
UNTERBINDUNG DER GEFAESSE. 949
einer Linie , welche man sich von der Spina i 1 e i a n t. sup. quer zur
Linea alba gezogen denkt, einige Linien vom Rande des M. rectus
abdominis, und endigt schief verlaufend an der genannten Spina
i 1 e i. Dieser Schnitt durchtrennt die Haut und die muskulösen Bauch-
wandungen bis auf die Fascia transversa; in diese macht man in
der Nähe der Cr ist a ilei einen kleinen Einschnitt, führt durch diesen
eine Hohlsonde ein und erweitert den Schnitt. Das' Peritonäum löst man
mit den Fingern ab, drängt dasselbe von der Umschlagsstelle aus gegen
den Nabel hin und lässt es hier mit breiten Spateln fixiren, während man
den Kranken nach der gesunden Seite hin wenden lässt. Mit dem Peri-
tonäum werden gleichzeitig der Ureter und die Vasa spermatica auf-
wärts geschoben. Die Arterie findet man gewöhnlich sehr leicht , auch
ist sie leicht zu isoliren, schwieriger ist jedoch wegen der Tiefe der Wunde
das Herumführen der Nadel. Diese wird wegen der Lage der Venen
rechterseits von aussen nach innen, linkerseits von innen nach aussen ge-
führt. — M o 1 1 und U h d e führen den Schnitt längs des Poupart'-
schen Bandes.
12) Unterbindung der Art. i 1 i a c a interna. Es ist hier
zunächst dasselbe Verfahren einzuschlagen, wie für die Unterbindung der
Iliaca communis. Hat man die Theilungsstelle erreicht, so muss
man auf der Iliaca interna selbst mit dem Zeigefinger abwärts drin-
gen, um die Ligatur in einiger Entfernung von jener anlegen zu können
und somit einer völligen Thrombusbildung sicher zu sein. Das Anlegen
der Ligatur ist mit grossen Schwierigkeiten verbunden.
13) Unterbindung der Art. iliaca externa. Das zweck-
raässigste Verfahren ist folgendes : Nachdem der Kranke horizontal , mit
etwas erhöhtem Steisse, an dem Rand des Bettes gelagert ist , trennt der
an der leidenden Seite stehende Operateur die Bedeckungen durch einen
Schnitt, welcher sich parallel dem Po upart 'sehen Bande, 8 — 1 0 Linien
über ihm , in einer Länge von 2 !/2 Zoll so erstreckt , dass die Mitte des
Schnittes der Mitte dieses Bandes entspricht. Nach gestillter Blutung
schneidet man unter Anwendung der Hohlsonde zuerst die oberflächliche
Schicht der Bauchmuskeln und nachdem man diese sammt dem Samen-
strang mit einem Wundhaken nach aufwärts gezogen hat , vorsichtig , um
das Bauchfell nicht zu verlezen, voni äussern Wundwinkel her die Fas-
cia transversa durch. Nun sieht man das subperitonäale Zellgewebe,
in welchem die Art. epigastrica und ihre zwei Venen fast von der
Mitte des P o u p a r t ' sehen Bandes schief aufsteigen. Dieses Zellgewebe
durchtrennt man mit den Fingern und drängt den ganzen Peritonäalsack
sammt den darin enthaltenen Eingeweiden nach oben und innen, wo man
ihn am besten mit Spateln fixiren lässt. Der Operateur dringt nun mit
dem Finger im untern Wundwinkel zum Rande des kleinen Beckens, wel-
cher hier vom Psoas gebildet wird. Dort findet man die Arterie und
verfolgt sie bis zu der Stelle , wo sie unterbunden werden soll , aufwärts.
950 UNTERBINDUNG DER GEFAESSE.
Hier wird sie an einer kleinen Stelle vorsichtig mit stumpfen Instrumenten
mit Schonung der an ihrer innern Seite gelegenen Vene entblösst und
schliesslich von der Venenseite her die Aneurysmanadel um die Arterie
herumgeführt.
14) Unterbindung der Art. epigastrica. Nach V e 1 -
p e a u macht man einen 2 Zoll langen Schnitt durch die Haut parallel
mit der Richtung des F a 1 1 o p i ' sehen Bandes , dann durch die Aponeu-
rose des M. obliquus externus. Hierauf zieht man die untern
Fasern des M. o b 1 i q. int. aus einander , indem man sie in die Höhe
hebt , und legt den Samenstrang bloss. Nun folgt man seiner obern
Flache , um zum äussern Leistenring zu gelangen. Das innere Leisten-
band , auf dessen hinterer Fläche die Arterie liegt , durchschneidet man
mit dem Scalpell oder zerreisst es mit der Sonde, so dass die Arterie
blossgelegt wird, welche in einem bisweilen ziemlich dichten Gewebe ein-
gehüllt ist. Man lässt die Wundränder auseinander halten , isolirt die
Arterie von ihren beiden Venen , zwischen welchen sie liegt (ist nur eine
Vene vorhanden, so liegt diese an der innern Seite der Arterie) und unter-
bindet sie. — Dieterich schlägt vor, einen 2 Zoll langen geraden Ein-
schnitt 4 Querfinger über der Schamfuge und 2 Zoll von der Linea alba
nach aussen entfernt durch die Haut und Muskeln zu machen , worauf
man die Arterie auf einem aponeurotischen Blatte mit 1 oder 2 Venen
finden werde.
15) Unterbindung der Art. spermatica. Maunoir,
welcher die Unterbindung dieser Arterie bei Sarcocele zuerst ausgeführt
hat , macht in der Richtung des Samenstrangs unterhalb des Bauchrings
mit oder ohne Faltenbildung einen Einschnitt von 1 1/2 Zoll Länge ; man
isolirt die Arterie , unterbindet jede Arterie doppelt und schneidet sie
zwischen den Ligaturen durch. Dieses Verfahren ist wegen der Isolirung
der Arterien sehr schwierig. Zweckmässiger ist es nach D i e t e r i c h , die
Arterie oberhalb des Bauchrings aufzusuchen. Man 'macht zu diesem
Behufe 2 Querfinger breit von der Symphys. oss. pubis nach aussen
entfernt dicht oberhalb des äussern Bauchrings einen Einschnitt, den man
2 Zoll lang etwas schief nach aussen und oben fortführt. Nach Tren-
nung des Zellgewebes und des M. obliquus extern., intern, und
transversus löst man das Bauchfell von seiner zelligen Verbindung
und findet nun den Samenstrang blossgelegt ; durch vorsichtige und feine
Schnitte theilt man dessen häutige Hüllen. Man isolirt nun die Arterie,
welche an der äussern Seite des Vas deferens und vor demselben
nach abwärts läuft , unterbindet sie doppelt und durchschneidet sie zwi-
schen den Ligaturen.
16) Unterbindung der Art. glutaea, ischiadicaund
pudenda interna. Man macht einen tiefen Schnitt in der Richtung
einer Linie, welche von der Crista ilei zwei Zoll über und vor der
Spina ilei posterior superior anfängt und am Tuber i s c h i i
UNTERBINDUNG DER GEF AESSE. 951
endet ; der Schnitt wird bogenförmig geführt , so dass seine Concavität
gegen das O s sacrum gerichtet ist. Nachdem man bis auf den M.
pyriformis vorgedrungen ist, findet man von oben nach unten fort-
schreitend: die Art. glutaea zwischen dem obern Rande der Incisura
ischiadica und dem M. pyriformis, die Art. ischiadica an
der Basis des Sizbeinstachels und die Art. pudenda interna im un-
tern Wundwinkel an der Stelle, wo sie um das Lig. sacro-spinosum
einen Bogen bildet. — Handelt es sich von der Unterbindung der Art.
glutaea, so wird eine geringere Verwundung gesezt , wenn man den
Schnitt von der Spina ilei post. sup. gegen den hintern Rand des
Trochanter major führt, indem dieser Schnitt genau den Fasern
des M. glutaeus maximus entspricht; er muss aber wegen der Dicke
der Schichten wenigstens 4 Zoll betragen.
17) Unterbindung der Art. femoralis s. cruralis. , Die
Art. cruralis folgt einer Linie , welche man von der Mitte des F a 1 -
lopi' sehen Bandes zum hintern Rande des Condylus internus fe-
rn o r i s zieht. Von dem genannten Bande angefangen lässt sich die Ar-
terie bis fast gegen das Ende des obern Drittels mit den Fingern ver-
folgen , indem die Pulsation derselben gefühlt werden kann. Von dem
Ende des obern Drittels an liegt die Arterie etwas tiefer , vom M. sar-
torius bedeckt, in der Furche zwischen dem Vastus internus und
Adductor, welche sich dadurch leicht erkennen lässt , dass man den
Knochen mit den Fingern umgreift , so dass die neben einander gelegten
Fingerspizen dicht an dem Knochen vorübergleiten. — Die Wahl der
Stelle richtet sich nach der indicirenden Krankheit. — a) Unterbin-
dung dicht am Fallopi'schen Bande oder im Schenkel-
buge. Man macht bei ausgestrecktem Schenkel einen Schnitt durch
die Haut und das subcutane Bindegewebe, welcher in der Mitte zwischen
der Spina ant. sup. ilei und der Symphysis ossium pubis am
Fallopi'schen Bande anfängt und sich 2 — 3 Zoll abwärts erstreckt.
Ist die Fascia superficialis noch nicht getrennt , so geschieht dies
jezt auf der Hohlsonde, das Gleiche geschieht mit dem nun zum Vorschein
kommenden Processus falciformis fasciae latae. Mit dem
lezten Schnitt öffnet man häufig die Gef ässscheide , wo nicht, so schlizt
man sie besonders auf, worauf die nun deutlich sichtbare Arterie von der
an ihrer innern Seite liegenden Vene getrennt und von innen nach aussen
mit der Nadel umgangen wird. — b) Unterbindung im mittleren
Drittel des Schenkels. Der an der äussern Seite des Gliedes ste-
hende Operateur verfolgt vom Fallopi'schen Bande aus die klopfende
Arterie mit den Fingern nach innen herab, bis dahin, wo er sie nicht mehr
fühlt. Hier deckt der innere Rand des M. sartorius die Arterie und
an diesem Punkte, d. h. in dem Winkel , welcher durch den M. adduc-
tor medius und vastus internus gebildet wird , muss der Schnitt
enden. Es fängt dieser eine kleine Handbreite von der Schenkelbeuge
952 UNTERBINDUNG DER GEFAESSE.
an und geht etwa 3 Zoll lang bis zum innern Rande des M. sartorius
herab. Die Scheide des Sartorius wird in derselben Ausdehnung geöffnet
und nachdem er entblösst ist , an seinem innern Rande auch das tiefe
Blatt der Fascia lata auf der Hohlsonde gespalten, worauf die Arterie
in der Tiefe erscheint , welche man vom N. saphenus und der nach
hinten gelegenen Vene isolirt und von der Seite der leztern aus unter-
bindet.
18) Unterbindung der Art. poplitaea. Bei dieser selten
nöthig werdenden Operation liegt der Kranke auf dem Bauche und das
Bein ist im Kniegelenk gestreckt , so dass die beiden die Kniekehle be-
grenzenden Muskel- und Sehnenstränge deutlich hervorspringen. In der
Mitte der Kniekehle, ein wenig nach innen zu, macht man von oben nach
unten einen 3 Zoll langen Schnitt durch die Haut, das Zellgewebe und
die Fascie. Die Vena saphena und den N. ischiadicus lässt man
nach aussen halten. Man geht nun mit dem Scalpellstiele tiefer , trennt
das Fett und Zellgewebe, gelangt so zur Vena poplitaea, welche über
der Arterie oder an deren äusserer Seite liegt. Die Aufsuchung des Ge-
fässes geschieht besser in der untern Hälfte als weiter oben, weil die Ar-
terie dort oberflächlicher liegt. Bei der Umführung der Ligatur, welches
von aussen nach innen geschieht, lässt man den Unterschenkel beugen.
19) Unterbindung der Art. tibialisantica. Man lässt
den mit ausgestrecktem Bein auf dem Rücken liegenden Kranken Be-
wegungen mit dem Fusse und den Zehen machen, um die Sehne des M.
tibialis anticus deutlicher zu machen. An der äussern Seite dieses
Muskels oder, wo dieser nicht deutlich zu fühlen ist, einen Finger breit
vom äussern Rande der Tibia, schneidet man, wo man will, in einer Länge
von 3 — 4 Zoll ein, sucht das erste Muskelinterstitium auf, durchtrennt
mit dem Finger und dem Scalpellhefte das lockere Bindegewebe , lässt
mit einem stumpfen Haken den Exten so r digitor. pedis longus
und im untern Drittel den Extensor hallucis longus nach aus-
wärts ziehen und sucht am Zwischenknochenbande die nun freie Arterie
von dem Nerven und ihren zwei Venen zu isoliren , was sehr schwierig
ist. — Die Unterbindung der Art. pediaea wird unmittelbar am Fuss-
gelenk durch einen Schnitt, welcher zwischen die Sehnen des Extensor
hallucis und Extensor digitor um pedis communis longus
fällt, ausgeführt ; weiter nach vorn kann die Arterie auch an der äussern
Seite des Extensor brevis hallucis blossgelegt werden.
2 0) Unterbindung der Art. tibialis postica. Am
obern Drittel des Unterschenkels, wo der tiefen Lage des Gefässes
wegen die Operation sehr schwierig ist , verfährt man folgendermaßen :
Nachdem der Kranke auf den Bauch gelegt ist , macht der an der innern
Seite des Gliedes stehende Operateur an dem innern Rande des Schien-
beins einen Schnitt von 3 — 4 Zoll Länge durch die Haut, welcher vom
hintern untern Theile der innern Tuberosität anfängt. Sollte die Ven.
UNTERSCHIENENVERBAND. 953
saphena magna im Bereiche des Schnittes sein, so präparirt er die-
selbe etwas los und zieht sie nach innen, dann durchschneidet er mit dem
Scalpell die Fascie und die Fleischfasern des S o 1 e u s , welcher dann mit
einem stumpfen Haken abgezogen wird , worauf eine sehr dicke Aponeu-
rose, aus Sehnenfasern des Soleus und der Fascia cruris bestehend,
zu Gesicht kommt. Diese wird in der ganzen Länge des Schnittes durch-
trennt, und man sieht nun deutlich die Arterie von ihren zwei Venen um-
geben , der M. t i b i a 1 i s liegt weiter nach aussen ; man hebt nun das
Gefässpaket mit der Hohlsonde oder der Aneurysmanadel etwas empor
und isolirt und unterbindet die Arterie. — Am mittlem Drittel des
Unterschenkels macht man in der Mitte zwischen der Achillessehne und
dem innern Rande des Schienbeins einen Längenschnitt von 2 Zoll, trennt
die Haut und das oberflächliche Fascienblatt , durchreisst mit dem Scal-
pell das Zellgewebe, welches über dem tieferen Blatte der Fascia cru-
r i s liegt , dann durchtrennt man dieses Blatt selbst in der Mitte der
Wunde und es wird die Arterie sammt ihren Venen sichtbar , welche so
isolirt wird , wie im vorigen Falle. — Am leichtesten ist die Unterbin-
dung dieser Arterie in der Knöchelgegend, da sie hier oberflächlich
liegt. Man macht in der Mitte zwischen dem Fersenhöcker und dem
innern Knöchel einen krummen , mit der Concavität gegen den leztern
hinsehenden Schnitt, welcher die Haut und Fascie durchtrennt und findet
gleich unter dieser Fascie die Arterie an ihrer vordem und hintern Seite
von einer Vene umgeben. Hinter diesem Gefässpaket liegt der N. t i -
b i al i s.
21) Unterbindung der Art. peronaea. Man kann die
Unterbindung in der Wadengegend und in der Gegend der Achillessehne
vornehmen. Bei beiden Arten liegt der Kranke auf dem Bauche mit dem
kranken Unterschenkel auf einem Polster , über dessen Rand der Fuss
herabhängt ; der Operateur steht oder sizt an der Aussenseite der kranken
Extremität. Operirt man in der Wadengegend, so macht man längs
der Kante der Fibula, etwa 2 Zoll von derselben entfernt, einen Einschnitt
durch die Haut und Fascie von 2 Zoll Länge, trennt den Soleus von der
Fibula ab, legt stumpfe Haken in die Wunde, durchtrennt das tiefe Blatt
der Fascia cruris, findet die Arterie von zwei Venen umgeben in der
Tiefe von 1 Zoll und isolirt dieselbe. — In der Achillessehnen-
gegend macht man am Rande der Fibula einen Hautschnitt von 2 Zoll
Länge, durchtrennt die Fascie, zieht die Sehne desM. peronaeus lon-
g u s zur Seite und findet nach Durchtrennung des tiefen Blatts der Fascie
die Arterie von 2 Venen umgeben, dicht an der innern Kante der Fibula.
UnterSChienenverband, Hyponarthecie (vtto, unter,
ru,Q$r)'£ , Schiene). Man versteht hierunter solche Beinbruchverbände,
welche der gebrochenen Gliedmasse vorzugsweise zur sichern und beque-
men Lagerung dienen, dabei aber einen Theil derselben unbedeckt lassen.
954 UNTERSCHIENENVERBAND.
Zuweilen wird mit dieser Lagerung ein stellenweise wirkender Druck
oder eine geringe Ausdehnung verbunden ; sie sind daher nur bei ganz
einfachen Brüchen , bei welchen keine grosse Neigung zur Verschiebung
der Bruchstücke besteht oder bei complicirten Knochenbrüchen anwend-
bar. — Die hierher gehörigen Verbände sind höchst verschieden und las-
sen sich der Hauptsache nach in Kissen, Rinnen, Laden, Unter-
lagsbrettchen, doppelt geneigte Ebenen, Hängematten
und Schweben abtheilen ; zuweilen sind mehrere dieser Formen in
einem Apparate vereinigt. — 1) Kissen, Pulvinar. Sie werden in
der Regel mit Spreu oder Häckerling gefüllt. Das gebrochene Glied
wird in eine in der Mitte des Kissens gebildete Furche gelegt, die Seiten-
tlieile aufwärts geschlagen , von allen Seiten sanft angedrückt und das
Kissen durch zwei unter ihm durchgeführte Bänder zunächst unter und
über der Bruchstelle festgebunden. Zeigt sich eine Neigung zur Dis-
location, so wendet man mehr Bänder an und schiebt zwischen diese und
das Kissen dünne Holzstäbe ein. Dieser Spreukissenverband wird
gegenwärtig nur noch bei complicirten und einfachen Brüchen während
der Entzündungsperiode angewendet. — 2) Rinnen oder Hohlschie-
nen. Es sind dies gleichmässig ausgehöhlte Vorrichtungen , in welchen
die untere Hälfte des Umfangs des Gliedes ruht. Sie werden aus dem
verschiedensten Material angefertigt : in der frühesten Zeit benüzte man
dazu Holz, später machte man solche aus Weissblech, Kupfer, Blei, Zink,
gekochtem Leder, Pappe; in der neuesten Zeit verwendet man mit gros-
sem Nuzen Gutta percha dazu (s. diesen Artikel, so wie den Art. Kap-
selverband). Vor der Einführung der Gutta percha hatten schon
M a y o r und Bonnet von Rinnen aus Eisendraht Gebrauch gemacht,
namentlich hat M a y o r dieser Art von Verbandstücken eine grosse Aus-
dehnung gegeben (über die Anfertigung derselben s. den Art. Schienen).
— Vor ihrer Anlegung müssen die Rinnen mit Compressen, Charpie oder
Baumwolle gut ausgepolstert , und an den passenden Stellen mit Binden
(die starreren mit Riemen) an die Extremität befestigt werden. Sie ge-
währen zwar eine bequeme Lagerung des Gliedes, sind aber doch nur zum
provisorischen Verband zweckmässig , da sie der Verrückung der Bruch-
enden nicht gehörig entgegenwirken. — 3) Kästen oder Laden.
Diese unterscheiden sich von den Rinnen dadurch , dass sie einen mit
zwei ebenen und parallelen Seitenwänden verbundenen Boden darbieten.
Sie werden wie diese im Innern ausgepolstert, gewähren aber dem Gliede
eine sicherere Lage , namentlich verhüten sie das Umfallen der in ihnen
gelagerten Extremität nach innen oder aussen zuverlässiger , weil sie mit
einer breiten ebenen Fläche auf der Lagerstätte ruhen. Sie sind zum
Auseinanderlegen ihrer Wände und zum Verändern in der Länge und
Breite eingerichtet. Auch wurde besonders die den Kasten am untern
Theile schliessende senkrechte Wand, das Sohlenstück, erhöht und
gefenstert, um sowohl die Stellung des Fusses zu sichern, als auch um
UNTERSCHIENENVERBANI). 955
mittels durchgerührter Binden eine massige Ausdehnung des Fusses gegen
das Sohlenstück vorzunehmen , während die Schwere des Körpers als
Gegengewicht wirkt. Baudens versah auch die Seitenwände mit Lö-
chern , um Binden durchzuführen und auf die quer verschobenen Bruch-
stücke einen seitlich wirkenden Druck ausüben zu können. Kluge
richtete das gefensterte Sohlenstück beweglich ein , um eine geringe Ex-
tension ausführen zu können. Einen ähnlichen Kasten, der auch nur an
seinem oberen Ende in halber Höhe geschlossen ist , benüzte Förster
zu seinem Sandverbande. Der Kasten wird zur Hälfte mit feuchtem
Sand gefüllt , darauf die gebrochene Gliedmasse gelegt und dann noch
soviel Sand zugeschüttet , bis dieselbe zum grössten Theile bedeckt und
hierdurch befestigt wird. In ähnlicher Weise wurde flüssiger Gyps ange-
wendet. S. den Art. Gypsverband. — Die Laden gewähren zwar
dem Gliede eine sichere Lagerung und bieten auch den Vortheil, dass ein
Theil desselben frei und dem Auge blossgelegt bleibt , indessen sind sie
unzureichend, einer entschiedenen Neigung zur Dislocation der Bruch-
enden gehörig entgegen zu wirken. Sie passen daher nur bei Brüchen,
die zur Erhaltung der Coaptation einer geringen Unterstüzung bedürfen,
oder bei solchen , die eine heftige Anschwellung und Entzündung erwar-
ten lassen. — 4) Brett chen und geneigte E b enen. Siesollen
namentlich bei complicirten Brüchen dem auf sie gelegten Gliede eine
sichere Lage gewähren. Die Bretter sind entweder so lang und breit wie
das Bett und werden unter die Matraze gelegt oder sie sind kleiner und
kommen nur unter Kissen zu liegen , auf denen die kranke Extremität
ruht; sie sind also nur als eine Ergänzung der gewöhnlichen Verbände zu
betrachten. Eine selbstständigere Stellung erhielten sie , als man zwei
Bretter in einem stumpfen Winkel zusammenstellte , wodurch die geneig-
ten Ebenen entstanden sind ; in einer solchen Zusammensezung waren sie
geeignet, indem sie die ganze untere Extremität mit gebeugtem Knie und
Hüftgelenk aufnahmen, einige Ausdehnung an derselben auszuüben. Die
ursprüngliche geneigte Ebene von C o o p e r besteht aus zwei geneigten
Brettern , die auf einem länglich viereckigen Holzrahmen ruhen. Die
beiden langen Seitentheile des Rahmens sind an ihrem untern Abschnitte
gekerbt, so dass sie zwei Kammstangen darstellen, zwischen deren Zähne
der unterste Rand des Unterschenkelbretts sich hineinlegt. Die Ober-
schenkelschiene steht mit dem obersten Querstück des Rahmens durch
Charniere in beweglicher Verbindung. Durch Verrückung des untern
Brettes in den Kerben des Rahmens wird der Winkel der beiden geneig-
ten Flächen , die durch Charniere beweglich verbunden sind , verändert.
Diese doppelt geneigte Ebene , welche beide Glieder zumal trägt , wurde
im Laufe der Zeit mannigfach verbessert. Hind fügte an den Seiten
Löcher hinzu , welche Pflöcke aufnehmen , die das Glied in der Lage er-
halten. Weitere Veränderungen sind: die Trennung der Ober- und
Unterschenkelbretter in mehrere Theile , in der Weise , dass sie nach
956 URTICATIO.
Belieben verlängert und verkürzt werden können , die Beifügung einer
beweglichen Fusssohle oder eines Petit' sehen Stiefels (Dumreiche r),
um eine gradweise Ausdehnung am Fusse auszuüben. — Vor der Anwen-
dung belegt man die Bretter mit Kissen. — 5) Hangematten und
Schweben. Die Hängematten werden entweder aus einem, auf einem
Rahmen ausgespannten Stück Leinwand gefertigt, oder besser aus Gurten
oder Bindenstreifen, die man quer über den Rahmen spannt , damit man
sie einzeln abnehmen und durch neue ersezen kann, wenn sie beschmuzt
sind. Solche Hängematten haben angegeben: I. L. Petit, Posch,
B. Bell, J. Roe. In einem solchen Apparate liegt das Glied mittels
ringsum angebrachter Matrazenpolster vollkommen horizontal und der
Fuss kann gegen ein Sohlenstück befestigt oder leicht ausgedehnt werden.
Der Vorzug der Hängematten besteht darin, dass sie dem Gliede eine be-
queme Lage gewähren, dass sie eine allseitige Besichtigung des Gliedes
zulassen, so wie ohne Störungen der Bruchenden den Verband von Wun-
den etc. erlauben. — Hängt man die Unterlage, mag sie wie sie will be-
schaffen sein, an Schnüren auf, so dass sie frei in der Luft schwebt, so
ist es eine Schwebe, man kann demnach Rinnen, Kästen, Bretter, ge-
neigte Ebenen, Hängematten in Schweben umzuwandeln. Man hängt die
Schweben an die Zimmerdecke , an den Betthimmel oder an eigends ge-
fertigte Gerüste und sie werden meistens bei Brüchen des Unterschenkels,
seltener bei solchen des Oberschenkels und hier und da auch bei compli-
cirten Brüchen des Armes gebraucht. Die Zahl solcher Vorrichtungen
ist Legion: wir nennen nur die Verbände von Löffle r, Braun, Faust,
Sauter, Günther, Tober, E ichh eimer- Graf e , v. Bier-
kowski etc. Die bekannteste unter den Schweben ist die von Sauter.
— Die Schwebe bildet für das Glied ein kleines besonderes Bett , wel-
ches, indem es den ihm mitgetheilten horizontalen Bewegungen folgt, sich
im Gleichgewicht erhält. Hieraus folgt , dass diese Bewegungen , wenn
sie nicht zu ungestüm und heftig sind, vor sich gehen können, ohne dass
die Fragmente in der Lage, in welcher sie sich befinden, gestört würden.
Die allgemeinen Bewegungen im Bette können mithin erlaubt werden ;
der Verlezte kann sich aufrichten oder aufgerichtet werden, um seine na-
türlichen Bedürfnisse zu befriedigen , oder sich sein Bett machen zu las-
sen. Man kann ihn sogar aufheben und auf einen nebenstehenden Tisch
sezen, wenn es nöthig sein sollte , das Bett zu wechseln. Der Schwebe-
verband gewährt noch den weiteren Vortheil , dass er von allen Seiten
eine Besichtung und Reinigung des Gliedes zulässt, auch dass der Ver-
band ohne Verrückimg der Bruchstücke gewechselt werden kann. Er fin-
det daher hauptsächlich bei complicirten und mehrfachen Brüchen , bei
denen die Complication die Hauptsache ist , Anwendung ; nur bei sehr
schiefen Brüchen genügt er oft nicht.
Urticatio. Man versteht hierunter das Peitschen eines Kör-
VARICOCELE.
957
pertheils mit frischen Nesseln, um eine lebhafte Reizung in demselben
zu erregen. Es wird durch eine aus der Stachelspize der Pflanze drin-
gende Flüssigkeit zuerst eine brennende , dann juckende Empfindung,
und nach einer Minute etwa eine oft 3 — 4 Linien über die Haut sich er-
hebende Geschwulst hervorgebracht, welche leztere nach l*/2 — 2 Stunden
sich wieder verliert. Man hat die Urtication hauptsächlich in folgenden
Krankheitsformen empfohlen und angewendet : bei Lähmungen , welche
von Adynamie (der Nerven) entstanden sind, daher sie auch bei Impotenz,
welche auf Lähmung der Nerv, spermatic. beruht , empfohlen wird ;
bei paralytischen Urinbeschwerden , bei Rheumatismus , Gicht und Neu-
ralgien ; ferner bei zurückgehaltenen und bei zurückgetretenen acuten
Exanthemen. Entzündete Theile darf man nicht berühren. — Man be-
dient sich stets frischer Nesseln (am besten der Urtica urens, d i -
oica. und pilulifera) und nimmt zu jedesmaliger Anwendung so viel,
dass der krankhaft afficirte Ort mit dem dadurch erzeugten Exanthem
völlig bedeckt wird, wozu eine massige Handvoll hinreicht. Damit
streicht man gegen die Richtung der Borsten an den Nesseln, oder man
peitscht oder schlägt mit massiger Kraft so lange , bis der Ausschlag er-
scheint. Mit Ausnahme des Kopfs , Gesichts und Halses können alle
Theile des Körpers mit Nesseln gepeitscht werden.
V.
VailCOCele, Krampfaderbruch, Cirsocele, nennt man
eine varicöse Anschwellung der Venen des Samenstrangs, und im höhern
Grade auch der des Nebenhodens und des Hodens. — Symptome.
Die Krankheit beginnt mit einem lästigen Gefühl von Druck und Schwere
in der Umgebung des Samenstrangs, auf welche Schmerzen folgen , die
sich nach dem Verlaufe des Samenstrangs und bis in die Lendengegend
erstrecken. Bei der Untersuchung findet man nach dem Verlaufe des
Samenstrangs eine ungleiche, durch mehrere Stränge gebildete Anschwel-
lung, welche sich bis zum Leistenringe und bisweilen in diesen hineiner-
streckt , bei einer leichten Compression und in der Rückenlage sich ver-
mindert und bei längerem Stehen sich vergrössert. In höheren Graden
des Uebels pflanzt sich der varicöse Zustand auf den Nebenhoden und
selbst auf den Hoden fort, welcher sich vergrössert, schwerer und endlich
in eine weiche , teigartige Masse verwandelt wird. In diesem Zustande
verliert er die Fähigkeit , einen gesunden Samen abzusondern und atro-
phirt endlich, ein Ausgang, der nicht selten von Melancholie gefolgt ist.
Der Hodensack wird schlaff' und länger , der Kranke fühlt eine schmerz-
hafte Schwere im Hoden , welches Gefühl sich bis in die Lendengegend
verbreitet, besonders wenn derselbe längere Zeit steht. — Diagnose.
958 VARICOCELE.
Bei grosser Ausdehnung zeigt der Krampfaderbrueh einige Aehnlichkeit
mit einem Nezbruche , der indessen nicht durch einfachen Druck ver-
schwindet , wie der erstere und nicht die angeschwollenen Venenstränge,
die sich bei diesem dem Gefühl wie ein Haufen Würmer darbieten, zeigt. —
Ursachen. Der Varicocele liegt meistens eine Atonie der Venenhäute zu
Grunde, welche entweder durch bedeutende Congestionen, als Folge ge-
schlechtlicher Ausschweifungen oder durch mechanische Einflüsse, wie si-
zende Lebensart, Anschwellungen und Verhärtungen im Unterleibe, ein den
Samenstrang drückendes Bruchband, besondere Beschäftigungen etc. her-
vorgebracht wird. Nicht selten kann gar keine Ursache aufgefunden
werden. — Das Uebel kommt viel häufiger auf der linken als auf der
rechten Seite vor , was man dem Drucke der Flexura sigmoidea
coli im ausgedehnten Zustande zuschreibt. Zuweilen steht es in Ver-
bindung mit Hämorrhoidalbeschwerden. — Man beobachtet die Krank-
heit am öftesten bei jüngeren Personen zwischen dem 15. und 3 0. Jahre.
— Prognose. Die Varicocele ist eine mehr lästige als gefährliche
Krankheit. Schlimm ist die Prognose nur in Bezug auf die Heilbarkeit
des Leidens, indem es nur selten gelingt, eine völlige Heilung desselben
herbeizuführen, selbst wenn das Uebel auch erst einen geringen Grad er-
reicht hat. — Behandlung. Diese besteht für die niedern Grade der
Krankheit in der Unterstüzung des Hodens durch eitf gutanliegendes Sus-
pensorium und der wiederholten täglichen Anwendung kalter adstringi-
render Ueberschläge von Bleiwasser, Alaunsolution , aromatischen Decoc-
ten , öfteren Waschungen mit diesen Mitteln oder mit Liquor rnine-
ralis Hofm., Naphtha etc. Dabei muss der Kranke jede Anstrengung
und anhaltendes Stehen vermeiden. — Mit dieser Behandlung wird das
Uebel zwar nicht gehoben , aber es können damit die Beschwerden des
Kranken vermindert und dem Fortschreiten desselben Einhalt gethan
werden. — Hat die Krankheit schon einen höhern Grad erreicht, und
verursacht sie bedeutende Beschwerden , so hat man in der Absicht der
radicalen Heilung verschiedene Verfahrungsweisen angegeben , die eine
Verödung der varicösen Venen oder ihre directe Entfernung bezwecken.
Es gehören dahin : die Exstirpation, die Unterbindung der varicösen Ge-
fässe, die Unterbindung der Art. spermatica, die Cauterisation , die
Punction, die Compression und die Verkürzung des Hodensacks. — Die
Exstirpation ist eine sehr schwierige , unter Umständen gefährliche
und nicht durchaus vor Recidiven sichernde Operation. Sie passt höch-
stens bei umschriebenen varicösen Knoten , welche sich mit den Fingern
von dem übrigen Samenstrang absondern lassen. — Die Operation be-
steht im Wesentlichen darin , dass man durch einen Schnitt längs dem
Samenstrange die allgemeinen Bedeckungen trennt , die so entblössten
varicösen Gef ässe mit den Fingern fasst , möglichst von den gesunden
Venen, der Samenarterie und dem Vas deferens absondert, und ohne
diese Theile zu verlezen, herausschneidet, nachdem man ihren zurückblei-
VARICOCELE. 959
benden Theil vorher oben und unten mit einer Ligatur umgeben , oder
dies auch unterlassen hat. Die Wunde wird mit Heftpflaster vereinigt
und mit Charpie und Compresse bedeckt. Der Kranke verbleibt in ho-
rizontaler Lage, wobei der Hodensack durch einen Tragbeutel oder durch
untergelegte Compressen u. dgl. unterstüzt wird. — Die Unterbin-
dung hat dieselben Schwierigkeiten, wie die Exstirpation und bietet die-
selbe Gefahr der Phlebitis wie diese, wenn man auch nur einen der ange-
schwollenen Venenstämme unterbindet. Zur Ausführung dieser Opera-
tion macht man längs des Samenstrangs unter Bildung einer Hautfalte
einen l1/«, — 2 Zoll langen, in der Nähe des Leistenrings beginnenden
Schnitt durch die Scrotalhaut , spaltet dann vorsichtig die gemeinschaft-
liche Scheidenhaut und den Cremaster und entblösst dadurch die Venen
des Samenstrangs. Von diesen fasst man eine der stärksten, sondert sie
von den übrigen Gef ässen ab und bringt unter sie mit einer geeigneten
Nadel einen Zwirnfaden, den man mit einem doppelten Knoten fest zu-
bindet. Ist die Varicocele gross , so unterbindet man auf diese Weise
2 — 3 Venenstränge. Der Ligaturfaden, von dem man ein Ende dicht
am Knoten abschneidet, wird aussen angeklebt und eitert in wenigen Ta-
gen aus ; die Wunde vereinigt man, damit sie wenigstens zum Theil durch
Adhäsion heile. — Ricord unterbindet subcutan (s. Venen er we i-
terung). Raynaud sticht, nachdem die varicösen Venen mit den
Nerven isolirt sind, hinter denselben eine krumme Nadel mit einem ge-
wichsten Faden durch das Scrotum und knüpft ihn über einem kurzen
dicken Leinwandcy linder mittels einer Schleife zu. Am 2. oder 3. Tage
wird, wenn die indessen entstandene Entzündung nicht zu heftig ist, der
Faden über einen neuen Cylinder fester zugeknüpft , und dies fortgesezt,
bis nach 15 — 18 Tagen die Gefässe und Nerven des Samenstrangs nebst
ihren Hüllen durchschnitten sind, worauf die noch übrige Hautbrücke auf
einer Hohlsonde mittels des Messers getrennt wird. Die Wunde heilt
rasch. V i d a 1 benüzt dazu einen Silberfaden , welchen er mit einer
Schrauben Vorrichtung zusammenschnürt. — Die Unterbindung der
Art. spermatica ist wegen der Kleinheit derselben und ihrer innigen
Verbindung mit den übrigen Gebilden des Samenstrangs sehr schwierig
und weil sie sich oft sehr hoch schon theilt und dann , was dem Opera-
teur sehr leicht entgehen kann, zwei Art. spermaticae vorhanden
sind , unsicher. Man legt sie durch einen unmittelbar vor dem Bauch-
ring beginnenden Schnitt von 1 y2 Zoll Länge bloss und unterbindet sie
möglichst hoch. — Die Cauterisation wird nach B o n n e t auf fol-
gende Weise ausgeführt : vor der Application des Aezmittels werden die
Venen vom Ductus deferens isolirt, dieser mit den Fingern nach hin-
ten geschoben , während man jene zugleich nach vorn zieht. Um die
temporäre Wirkung der Finger permanent zu machen, unterhält man mit-
tels zweier durch Schrauben verbundener länglicher, zwischen die genann-
ten Gebilde gelegter Metallplatten die Isolirung. Nun wird der Samen-
960 VARICOCELE.
sträng durch eine 2 — 3 Zoll lange Incision bossgelegt, dessen aponeuro-
tische Scheide eingeschnitten und die so frei gelegten Venen mit der
Chlorzinkpaste belegt. Die Aezpaste bleibt, je nach der Ausdehnung der
Venen 3 6 — 4 8 Stunden und selbst noch länger liegen. Der Cauterisa-
tion folgt nur massiger Schmerz und unbedeutende oder auch gar keine
Reactionserscheinungen. Die darauf eintretende Entzündung soll stets
auf den Ort der Application beschränkt bleiben , nie Phlebitis oder Eite-
rung erfolgen uhd die AVunde in 10 — 12 Tagen vernarben. Um sämmt-
liche Venen zu treffen muss dlas Aezmittel in einzelnen Fällen 2 — 3 Mal
applicirt werden. Während der Vernarbung contrahirt sich der Samen-
strang bedeutend , und die feste fibröse Narbe zieht den Hoden ziemlich
stark nach oben. B o n n e t sah von dieser Behandlung immer gründ-
liehe Heilung und nie Recidive oder andere Uebelstände. — Die Pun-
ktion besteht entweder in einem einfachen Anstechen der varicösen
Venen mit der Lancette, oder zweckmässiger wird nach F r i c k e ein Ve-
nenstrang fixirt, nebst der vordem und hintern Wand des Scrotum mit
einer gewöhnlichen Nähnadel durchstochen, damit ein geölter Zwirnfaden
eingezogen und dieser ganz locker zusammengeknüpft. Dies geschieht
nach Bedürfniss auch noch an andern Venensträngen. Nach 1 — 2 Tagen
werden die Fäden entfernt , durch deren Reiz eine Ausschwizung plasti-
scher Lymphe in den Venenwandungen hervorgebracht und diese verstärkt
und zu lebhafterer Contraction angeregt werden sollen. Das Verfahren
verdient in leichteren Fällen angewendet zu werden. — Kuh sticht Na-
deln durch die einzelnen Venen und fixirt diese durch auf sie gesezte
Korkstöpsel. — Die Compr ess io n der varicösen Venen wirkt haupt-
sächlich dadurch, dass sie das Blut in den kranken Gefässen hemmt und
coaguliren macht, doch bleibt dabei in der Regel ein entzündlicher Pro-
cess und dessen Mitwirkung nicht aus. — Man macht die Compression
mit oder ohne Verwundung der Haut. Das Erstere oder die unmit-
telbare Compression geschieht nach Davat undFrank in der Art,
dass ein varicöser Venenstrang mit den Fingern abgesondert und dicht
an das Scrotum herangeschoben , dann eine Stecknadel dicht hinter ihm
durch zwei Punkte des Scrotums durchgestochen und um die Nadel ein
Faden in der Form einer <*> herumgeschlungen wird. Auf dieselbe Weise
werden die andern Venenstränge , jeder durch eine Nadel, comprimirt ;
die Nadeln, deren Spizen man abkneipt, bleiben 2 4 — 48 Stunden liegen,
und der Kranke bleibt während dessen im Bette und macht auf das gut
unterstüzte Scrotum kalte Umschläge. Velpeau umgibt die hinter den
isolirten Venen durchgestochene Nadel mit einem Faden in ovalen Touren
bis zur Compression derselben und legt dann auf dieselbe Weise eine
zweite Nadel, 1 Zoll von jener entfernt ein. Wenn nach 10 — 2 0 Tagen
die eingeschnürten Gewebe sich in Form eines Schorfes ablösen , so wer-
den die Nadeln entfernt, und die völlige Heilung ist in etwa einem Monat
beendigt. Diese Operation soll niemals Phlebitis zur Folge gehabt haben,
VARICOCELE. 961
was bei dem obigen Verfahren der Fall gewesen sein soll. Aehnlich ver-
fährt Job er t , nur dass er 2 — 3 Nadeln hinter dem isolirten Samen-
strang einsticht , diese mit einem Faden fest umschlingt und die Nadeln
nach 8 — 10 Tagen wieder entfernt. Pauli sticht eine Nadel hinter,
eine zweite vor der varicösen Vene durch die Scrotalhaut, und umschlingt
die Nadeln bis zur Compression der Vene mit einem Faden; die Nadeln,
deren je nach Umständen mehrere eingelegt werden, bleiben 4 — 5 Tage
liegen und sollen die Obliteration fast ohne eine Spur von Entzündung
bewirken. — Die mittelbare Compression wird von Curling
und in neuester Zeit von R. Thomson mittels einer geeigneten Bandage
(nach Art eines Bruchbandes angelegt) bewirkt , und soll deren Anwen-
dung vom besten Erfolge begleitet gewesen sein. Nach Thomson
braucht der Druck , welcher auf den ganzen Verlauf der Vene wirken
muss , nicht bis zur Obliteration der Vene erhöht zu werden ; es genügt
nach ihm ein fester gleichförmiger, welcher das Lumen des Gef ässes nicht
versperrt , sondern seinen geschwächten Wänden eine Stüze gewährt,
welche dem innerhalb liegenden Gefassstamme das Gewicht der obern
Blutsäule wegnimmt. Hat die Röhre ihren ursprünglichen Durchmesser
wieder erhalten , so kann sie dem hydrostatischen Drucke wieder Wider-
stand leisten. Um zu diesem Resultate zu gelangen, sind 10 — 18 Mo-
nate erforderlich. — F r i t s c h i bedient sich zur Compression der Sa-
menstrangvenen eines nezartigen Suspensoriums , das durch Bandzüge,
welche in verschiedener Richtung verlaufen, gleichförmig verengt werden
kann. — Carey lässt den Kranken auf dem Rücken liegen, bringt das
Scrotum mittels kalten Wassers in den Zustand der Corrugation , so dass
es sich fest an den Hoden und die Basis des Penis anlegt, und lässt dann
dasselbe mit Umgehung der Stellen, welche der Varicocele entsprechen,
mit in Chloroform gelöster Gutta percha bestreichen. Er trägt nach und
nach mehrere Lagen davon auf, bis dadurch ein künstlicher Beutel ge-
bildet ist, welcher, ohne zu belästigen, doch hinreichend resistent ist. —
Breschet bewirkt die Compression durch stählerne Zangen, welche aus
zwei parallelen Armen bestehen, die durch eine Schraube verengt werden,
und zwischen diesen und den zur Compression dienenden Theilen sich
durch eine Krümmung von einander entfernen , um hier einen Theil des
Scrotum vom Drucke frei zu halten; eine in dem einen Arme befindliche
Platte kann zur Verstärkung des Drucks durch eine Schraube vorgetrie-
ben werden. Nach gehöriger Absonderung der varicösen Venen vom Vas
deferens, welches man an seiner regelmässigen cylindrischen Form und
daran, dass es beim Drucke schmerzt , erkennt , wird an jene hoch oben
eine Zange in querer Richtung angelegt und so fest wie möglich zuge-
schraubt ; es müssen dabei sämmtliche varicöse Venen gefasst werden ;
auf dieselbe Weise wird 6 — 8 Linien weiter unten eine zweite Zange an-
gelegt, und beide werden durch Heftpflasterstreifen gegen den Bauch hin
unterstüzt erhalten. Der gewöhnlich sehr heftige Schmerz lässt nach ei-
Burger, Chirurgie. Ol
962 VENENKRANKHEITEN. VARICES.
nigen Stunden nach ; der Kranke bleibt in horizontaler Lage und macht
Umschläge von Bleiwasser um das Scrotum. Nach 7 — 12 Tagen zeigt
sich an den gedrückten Stellen Eiter, dann werden die Zangen abgenom-
men. Die nach dem Abfalle, der Brandschorfe sich zeigende eiternde
Spalte heilt in etwa 14 Tagen. Um die Mortification der Haut zu ver-
hüten , welche nicht erforderlich ist , da für die Heilung des Uebels nur
eine Hemmung des Blutlaufs hinreicht , legte Breschet die Zangen
später weniger fest und öfters an einer andern Stelle an. Dieses Ver-
fahren hat sich als gefahrlos und hülfreich erwiesen. — Chassaignac
isolirt die Theile durch eine Nadel und quetscht sie mit seinem Ecraseur
ab (s. Abbinden). — Die Verkürzung des Hodensacks ge-
schieht nach Cooper durch Ausschneidung eines gehörig grossen Haut-
stücks aus dem Scrotum und Vereinigung der Wunde durch die Naht.
Lehmann verkürzte das Scrotum durch Invagination.
Varix, s. Venen.
Venen, Krankheiten derselben. An den Venen beobach-
tet man wie an den Arterien, jedoch weit seltener, excedirendeAuf-
lagerungen innerer Gefässhaut, eine atheromatöse Zerstörung
und Ablagerungen von Kalkerde in den Venenwänden. Leztere scheinen
in vielen Fällen, wenn sie sich ablösen, die sogenannten Venen steine
(Phlebolithen) zu bilden. — Sehr häufig wird in den Venen Krebs-
masse gefunden, so dass Cruveilhier die Ansicht aussprach, jeder
Krebs gehe von den Venenenden aus. Fast immer ist der Krebs ein se-
cundarer, d. h. durch in die Blutmasse gelangten Krebssaft oder Krebs-
jauche entstandener. — Von besonderer Wichtigkeit für den Wundarzt
sind diejenigen organischen Veränderungen der Venen, welche gewöhnlich
als Varicosität oder Erweiterung derselben bezeichnet werden. Sie müs-
sen deshalb näher betrachtet werden.
Die Erweiterung der Venen, Phlebectasia, ist eine
sehr häufige Erscheinung und stellt sich entweder als eine gleichmässige,
cylindrische Ausdehnung des Venenrohrs dar, wobei das Gefäss fast nor-
mal gestreckt ist , öder das Venenrohr zeigt eine ungleichmässige , buch-
tige Erweiterung, wobei das Gefäss einen geschlängelten Verlauf be-
kommt; bisweilen macht es auch stärkere sackförmige Ausbuchtungen,
welche man Blutaderknoten, Krampfadern, Varices, nennt.
— Der Grund des so häufigen Vorkommens der Venenausdehnungen liegt
zunächst darin, dass die Venen dünne, sehr ausdehnsame und wenig ela-
stische Häute besizen , sehr wechselnde Mengen von Blut unter verschie-
denem hydrostatischen Drucke führen , und dass durch Compression von
Seiten umgebender , namentlich muskulöser Theile häufig dem Blutlaufe
momentane Hindernisse bereitet werden. — Alle Venen sind der Erwei-
terung fähig ; am meisten disponiren jedoch dazu die der untern Körper-
hälfte , und hier besonders die subcutanen Venen der Beine , des Mast-
VENENKRANKHEITEN. — VARICES. 963
darms, Samenstrangs, des Beckens und der Blase. — Venenerweiterungen
gehören vorzugsweise dem mittleren Lebensalter an ; einige derselben
kommen beiden Geschlechtern zu , einige sind nur dem einen oder dem
andern Geschlechte eigentümlich, oder kommen bei dem einen mehr vor
als bei dem andern. — Ursachen. Diese liegen theils in einer abnor-
men Beschaffenheit der Venenhäute , theils in mechanischen Einflüssen,
welche dem Blutlaufe Hindernisse in den Weg legen. — Die abnorme
Beschaffenheit der Venenhäute beruht meistentheils auf Atonie ; zuweilen
auf einer Erweichung der Venenhäute in Folge vorausgegangener chroni-
scher Entzündung. Zu den mechanischen Einflüssen sind zu zählen : der
Einfluss der Gravidation, welcher bei den Venen des untern Hohlvenensy-
stems sich geltend macht, besonders bei anhaltender aufrechter Stellung ;
Verengerung oder gänzliche Verschliessung eines Venenstamms, oder ei-
nes ganzen Systems von Venen, z. B. durch Geschwülste, fehlerhafte Stel-
lung von Organen , Narben in der Nähe von Venen , Verengerungen von
Oeffnungen , durch welche Venenstämme treten, Krampfzustände etc.;
lange andauernde oder oft wiederkehrende Blutanhäufungen im Haarge-
f ässsystem ; Einströmen von Arterienblut in eine Vene. Manchmal wir-
ken mehrere dieser Ursachen zugleich. — Je nach der Ursache tritt die
Phlebectasie entweder in einem grossen Theile des Venensystems auf, oder
nur in einem kleinen Abschnitte desselben oder aber es ist nur eine grös-
sere oder kleinere Stelle einer Vene betroffen. Die Venenhäute sind da-
bei entweder von normaler Dicke oder verdünnt oder auch mehr oder we-
niger verdickt. In den sackförmigen Ausbuchtungen häuft sich das Blut
an und gerinnt. Diese Faserstoffgerinnungen können sich sowohl wieder auf-
lösen als auch sich organisiren und zur Obliteration der Vene und zu Ve-
nensteinen Veranlassung geben. Die Klappen werden dabei verzogen
und verdünnt , sie zerreissen und verschwinden bis auf kleine Reste , die
frei im Gefässe flottiren. Andere Male entwickeln sich Scheidewände im
Innern der erweiterten Vene , durch welche ihre Höhle in kleine Zellen
getheilt wird, in denen das Blut stockt und gerinnt. Dadurch entstehen
kleine mit der Vene zusammenhängende schwammige oder cavernöse Ge-
schwülste. Dazu kommt noch die Entwicklung zahlreicher kleiner Oeff-
nungen, durch welche die Höhle oder vielmehr die kleinen Zellen der er-
weiterten Vene mit dem benachbarten Bindegewebe communiciren. Be-
stehen mehrere solcher siebförmigen multiloculären Varices
nahe bei einander und verdichtet sich die umgebende Bindegewebsschicht
zu einer Art von Kapsel , so stellen sie eine Species jener Geschwülste
dar, die man mit dem Namen der erectilen Geschwülste, Neu-
bildungen von erectilem Gewebe bezeichnet hat. Sehr häufig
wird das zwischen solchen siebförmigen Varices gelegene Bindegewebe,
nachdem seine Maschen mit Blut gefüllt sind , gleichfalls der Siz von
Neubildungen. — Die Phlebectasie verursacht mancherlei Beschwerden
und Gefahren. Die erste Erscheinung ist ein Gefühl von Spannung und
61*
964 VENENKRANKHEITEN. — VARICES.
Schwere ; bei längerer Dauer entstehen capilläre Blutanhäufungen , wo-
durch theils ödematöse Anschwellungen erfolgen , theils chronische Ent-
zündungsprocesse und Verhärtungen eingeleitet werden. In den Venen
selbst hat die Stockung zuweilen Blutgerinnung und Phlebitis zur Folge.
Wird die Entzündung nicht zertheilt, so können daraus Abscesse und Ge-
schwüre sich entwickeln; andere Male ist die Obliteration der Vene die
glücklichere Folge. Grosse Varices verwachsen oft mit der Haut und
verdünnen diese mit der Zunahme in dem Grade, dass endlich
Berstung erfolgt und bedeutende Blutungen eintreten können. Die
Zerreissung tiefer liegender Venen veranlasst nicht selten beträcht-
liche Blutgeschwülste. — Behandlung. Die Phlebectasie er-
fordert zuerst die Entfernung der veranlassenden Ursache ; daher
müssen Geschwülste beseitigt , hyperämisch entzündliche Zustände ge-
hoben , das anhaltende Stehen verboten werden etc. — Ist die Ursache
nicht entfernbar , so kann die Aufgabe der Kunst entweder bloss darin
bestehen, das Leiden erträglich zu machen, oder aber dasselbe gründlich
zu beseitigen. — In ersterer Absicht unterstüzt man den venösen Blut-
lauf durch mechanische Hülfsmittel, bestehend in der methodischen Com-
pression durch Einwicklung mit Binden oder der Anlegung von Schnür-
strümpfen aus Leder oder Gummigewebe. Bei bevorstehenden Ent-
zündungszuständen der Venen nimmt man, wenn es die Constitution des
Kranken gestattet , Blutentziehungen vor. Die Kur wird wesentlich un-
terstüzt durch eine horizontale Lage. — Entzündete Blutaderknoten oder
Stränge werden meistens durch Ruhe, Blutegel, kalte Umschläge und sa-
lmische Abführmittel zertheilt. Schmerzhafte, sehr gespannte Knoten,
die in Eiterung überzugehen drohen, sticht man an und lässt sie gehörig
bluten. — Die radicale Behandlung bezweckt die Entfernung oder Ver-
schliessung der erkrankten Vene. Die hierzu dienenden Operationen
sind: die Exstirpation, die Incision, das Abbinden, die Durchschneidung,
Cauterisation , Compression , Unterbindung , Acnpunktur und das Haar-
seil. — Alle diese Operationen, besonders die blutigen, sind der gerne
folgenden Phlebitis wegen mehr oder weniger gefährlich. Deshalb ist
eine vorsichtige Wahl, sowohl rücksichtlich des zu operirenden Varix, wie
der Methode zu treffen. Die Operation ist überhaupt nur gerechtfertigt,
wenn das phlebitische Leiden sich auf eine ganz beschränkte Weise ent-
wickelt hat und wenn dasselbe erhebliche Beschwerden oder gefährliche
Zufälle veranlasst. Dabei muss auf Constitution, Krankheitsgenius , auf
äussere Verhältnisse des Kranken etc. Rücksicht genommen werden. —
Die Exstirpation, Cirsotomia, eignet sich hauptsächlich bei ver-
einzelt stehenden Blutaderknoten oder bei varicösen Knäueln, welche be-
deutende Beschwerden verursachen , zu bersten drohen oder entstellen.
Hierher gehören besonders varicöse Geschwülste im Gesichte , begrenzte
Geschwülste an den Unterextremitäten und Hämorrhoidalknoten. Hierbei
ist weniger Phlebitis als Blutung zu fürchten, welcher man oft nicht bei-
VENENKRANKHEITEN. VARICES. 965
kommen kann. — Bei der Exstirpation erhebt man die Haut über der
varicösen Geschwulst in eine Falte, schneidet diese durch, praparirt den
Varix frei , legt bei grösserer Vene ober- und unterhalb der Geschwulst
Ligaturen an und schneidet zwischen denselben das varicöse Venenstück
aus. Bei unbeweglicher und entarteter Haut nimmt man diese mit hin-
weg. — Die I n c i s i o n der Venen wird gemacht, theils um entzündete
oder mit geronnenem Blute gefüllte Gef ässe zu entleeren, theils um Ver-
sehliessung des Gefässes herbeizuführen. In lezterer Absicht macht man
einen mehrere Zoll langen Einschnitt in die varicöse Vene , füllt die
Wunde mit Charpie aus und wickelt das Glied ein. Dieses Verfahren
lässt immer Phlebitis befürchten. — Das Abbinden verrichtet man
nur bei Hämorrhoidalknoten. — Die Durchschneidung erweiterter
Venen nimmt am besten subcutan vor, indem man ein dem Dieffen-
b a c h ' sehen Tenotom ähnliches Messer (Phlebotom) zwischen Haut und
Vene flach einführt , dann die Schneide dieser zukehrt und das Ge-
fäss im Zurückziehen durchschneidet. — Die Cauterisation wird
mit dem Glüheisen und mit Aezmitteln ins Werk gesezt. Das Glüheisen
lässt man nicht so lange einwirken, bis die Haut durchgebrannt ist. Auf
die Application desselben lässt man*kalte Umschläge folgen. Als Aez-
mittel bedient man sich des Aezkali's, der Salpetersäure , besonders aber
der Wiener Aezpaste, welche man 15 — 2 0 Minuten lang applicirt. Der
Schorf löst sich erst nach mehreren Monaten und zwar ohne Eiterung,
indem unter demselben schon die Vernarbung erfolgt. Verschliessung
der Vene ist die Absicht und häufige Folge dieses Verfahrens , besonders
wenn gehörig tief geäzt wird. — Die seitliche Compression wird mit
besondern Compressorien ausgeführt. Sanson hebt die Vene in einer
Hautfalte empor und fasst beide mit einander mit seinem Compressorium,
das aus zwei mit Leder überzogenen Metallplatten besteht, die zusammen-
geschraubt werden können. Er bezweckt damit Hemmung der Circula-
tion und Bildung von verschliessenden Blutpfröpfen. Zur Verhütung von
Schwärung wird die Compressionsstelle öfters gewechselt. — Velpeau
und Davat stechen unter der in einer Hautfalte erhobenen Vene eine
Nadel durch und comprimiren auf dieser die Vene , indem sie die Nadel
mit einem Faden in Achtertouren umgeben. Pauli sticht noch eine
zweite Nadel über der Vene durch und umwindet die Nadelenden mit
Faden. Sc artin bewirkt die Compression durch dicke Streifen von
vulcanisirtem Kautschuk. Breschet hat besondere Zangen zur Com-
pression der Venen angegeben, die aber hauptsächlich bei der Varicocele
Anwendung finden (s. dies. Artikel). — Die Unterbindung, in der
Art , wie bei den Arterien ausgeführt , nämlich mit Blosslegung des Ge-
fässes , hatte sehr gefährliche phlebitische Zufälle im Gefolge , weshalb
dieses Verfahren verlassen wurde. Weniger gefährlich ist die von Ri-
c o r d eingeführte subcutane Unterbindung. Behufs dieser Operation
hebt man die zu unterbindende Vene in einer Hautfalte empor , sticht
966 VERBANDTUECHER.
unter dem Gefäss eine schwach gekrümmte, mit einem doppelten Faden
versehene Wundnadel durch und zieht den Faden mit dem Schlingenende
voran ein; hierauf lässt man die Vene fallen und führt über derselben
durch die Hautfalte und durch dieselben Stichöffnungen mit einer Näh-
nadel einen zweiten doppelten Faden, nun mit den freien Enden voran,
so dass auf jeder Seite der Vene ein Schlingenende und zwei freie Faden-
enden sich befinden. Hierauf werden auf jeder Seite die freien Enden
durch das Schlingenende gesteckt und jene beiderseits zur Schnürung der
Vene gehörig stark angezogen. Die Ligaturen lässt man entweder lie-
gen bis sie durchgeschnitten haben, oder entfernt sie, wenn eine zu starke
Reizung eintreten sollte, schon nach einigen Tagen, indem auf jeder
Seite der Vene dicht an den Stichöffnungen je ein Fadenende abge-
schnitten und an den andern in entgegengesezter Richtung gezogen wird.
— Die Acupunctur für sich hat sich wenig wirksam gezeigt, dagegen
hat sich die Anwendung der Electropunktur, in der Weise ange-
wendet, wie es bei den Pulsadergeschwülsten angegeben wurde, vielfach
hülfreich erwiesen. Man sticht die Nadeln entweder in den Varix selbst,
oder in den Venenstamm ein, dessen Aeste varicös sind. — Als Haar-
seil führt Fr icke mittels einer Nähnadel einen Faden quer durch die
Vene, den man längere Zeit in ihr zurücklässt.
VerbandtÜcher sind Verbandstücke aus Leinwand (auch baum-
wollenem oder seidenem Zeug), die in eine passende Form gebracht, zum
Umlegen um Körpertheile entweder für sich oder um andere Verband-
stücke zu befestigen , ähnlich den Binden , benüzt werden. — Die An-
wendung der Verbandtücher war bisher eine sehr beschränkte , ausser zu
einigen Kopfverbänden , ferner als Tragband des Scrotums , der Brüste
und des Arms , finden wir sie wenig im Gebrauch. Erst in der -neuesten
Zeit hat man sich bemüht, ihnen eine ausgebreitetere Anwendung zu ver-
schaffen , und hiezu hat Mayor den ersten Anstoss gegeben , der sogar
so weit ging, die Binden ganz damit verdrängen zu wollen. Damit geht
aber Mayor offenbar zu weit , wenn auch zugegeben werden muss , dass
die Binden in vielen Fällen durch die Verbandtücher zweckmässig er-
sezt werden können. — Die Verbandtücher empfehlen sich unter Andern
besonders dadurch, dass sie überall zur Hand sind, dass sie leicht zu
handhaben sind und das hiezu verwendete Material wieder anderweitig
benüzt werden kann. — Das beste Material für die allgemeinen Ver-
bandtücher ist Leinwand. — Die Grundform der Leinwand, aus welcher
Mayor alle übrigen, für seine Verbandweise nöthigen Formen darstellt,
ist das gleichseitige Viereck (Sacktuch) , welches von verschie-
dener Grösse nothwendig ist. Die daraus darzustellenden Formen sind :
1) Das längliche Viereck. Man stellt es her, indem man ein be-
liebig grosses viereckiges Stück Leinwand in der Richtung zweier gegen-
über liegender Ränder mehrmal zusammenlegt. — 2) Das Dreieck wird
VERBRENNUNG. v 967
gebildet durch Zusammenlegen des gleichseitigen Vierecks in einer seiner
Diagonalen , so dass zwei gegenüberliegende Ecken einander decken.
Hiedurch erhält man ein doppeltes Dreieck ; will man ein einfaches ha-
•ben , so durchschneidet man das Viereck in seiner Diagonale , wodurch
man zwei einfache Dreiecke erhält. — Den längsten Rand eines Dreiecks
nennt man seine Basis, das der Mitte der Basis gegenüberliegende
Ende dieSpize, und die Ecken, in welche die Basis ausläuft, seine
beiden Enden. — Will man zwei kleinere Dreiecke aus einem grösseren
erhalten, so legt man es in der Art in der Mitte zusammen, dass sich
seine beiden Enden decken, und schneidet es in der Richtung des Bru-
ches durch. — Aus dem gleichseitigen Viereck können leicht vier klei-
nere Dreiecke gewonnen werden , wenn man die vier Ecken des Tuchs
so gegeneinander schlägt , dass sich dieselben in dem Mittelpunkte des
Tuchs mehr oder weniger (je nach der benöthigte Grösse) decken ; man
schneidet sie nach der Richtung der Falten ab ; ein kleines Viereck fällt
aus der Mitte aus. — 3) Die Halsbinde, Tuchbinde, Cravatte
erhält man aus dem Dreieck, indem man dessen Spize gegen die Basis
hin einschlägt und nun das Tuch der Länge nach bis zu der nöthigen
Breite zusammenlegt. Die Länge dieser Binde ist von der Länge der
Basis des Dreiecks abhängig. Diese Form von Verbandtüchern ist die-
jenige , welche hauptsächlich die Rollbinde ersezen soll. — Soll ein
Zirkelverband mit dieser Tuchbinde ausgeführt werden , so führt
man dieselbe einige Mal in Kreisgängen um den leidenden Theil und
knüpft die beiden Enden in, einen Knoten oder heftet sie mit Stecknadeln
zusammen. Um einen Spiralverband anzulegen, lässt man die ein-
zelnen Gänge nach einem gemachten Kreisgang spiralförmig verlaufen,
wobei man die Touren sich mehr oder weniger nähern oder decken lässt.
— Als vereinigender Verband wird die Tuchbinde einfach oder
gespalten angewendet. Soll die Binde einfach benüzt werden, so bringt
man sie mit ihrem Grunde auf die der Wunde entgegengesezten Seite,
führt die Enden gegen dieselbe vorwärts , kreuzt sie über ihr und zieht
sie dann so fest an, als es die Vereinigung der Wunde fordert. Hierauf
fuhrt man die Enden zur Kehrseite zurück, wiederholt dieses Verfahren
so oft , als es die Länge der Wunde erfordert und befestigt die Enden
mit Stecknadeln oder verknüpft sie. — Die gespaltene Tuchbinde
wird wie die einfache angelegt; über der Wunde wird dann das eine
Ende durch eine in dem andern angebrachte Spalte gesteckt , beide fest
angezogen und auf die angegebene Weise befestigt. Ist die Wunde sehr
lang , so muss eine zweite Binde genommen werden.
Verbrennung , Combustio, Ämbustio, entsteht in Folge
der Einwirkung eines hohen, die normale Temperatur des Menschen über-
steigenden Wärmegrades auf dem Körper. — Die Verbrennung kann
durch das Feuer , wie durch erhizte und äzende Substanzen geschehen.
— Je nach der Dauer und Stärke der Einwirkung des brennenden
968 VERBRENNUNG.
Gegenstandes wird entweder eine oberflächliche , erythematode , oder eine
tiefer eindringende , phlegmonöse Entzündung gesezt , oder aber der be-
troffene Theil vollständig zerstört. Nach dieser verschiedenen Einwirkung
hat man die Verbrennungen in Grade abgetheilt. — Symptome. Im
ersten Grade findet nur eine leichte Hautentzündung statt, welche
sich durch eine leichte , unter dem Fingerdrucke verschwindende Röthe,
einen brennenden Schmerz äussert, übrigens weder mit Geschwulst noch
mit Fieber verbunden ist. — Im zweiten Grade ist die Röthe in-
tensiver , mit Geschwulst verbunden , der Schmerz heftiger. Nach
Verlauf von einigen Stunden erheben sich Blasen , worauf der Schmerz
etwas nachlässt. Die Blasen enthalten eine klare , gelbliche Flüssigkeit ;
die Blasen plazen oder werden aufgerissen , die losgelösste Oberhaut ver-
trocknet und lösst sich nach einigen Tagen ab, während sich eine neue
Epidermis unter ihnen gebildet hat. Ist die gebrannte Stelle von einigem
Umfange oder sehr nervenreich, so treten bei empfindlichen Personen
Fieberbewegen hinzu. — Im dritten Grade erstreckt sich die Ent-
zündung auf das Malpighis che Schleimnez, die ganze Dicke der
Haut und zuweilen sogar noch auf eine oberflächliche Schicht des unter
der Haut liegenden Zellgewebs ; die Röthe ist sehr stark , die Hize und
namentlich die Geschwulst bedeutend , der Schmerz sehr heftig brennend
und klopfend , so dass bei reizbaren Personen nicht selten Zuckungen
entstehen ; die Epidermis streift sich von dem verbrannten Theile los
und die blossgelegte Lederhaut zeigt graue , gelbe oder braune Flecken,
zwischen denen sich Blasen mit einer braunen milchigen oder blutigen
Flüssigkeit gefüllt , erheben. Bei grosser Ausdehnung der Verbrennung
tritt , besonders in der Nähe wichtiger Organe , bald Fieber , zuweilen
mit nervösen Erscheinungen ein , und nicht selten finden sich neben der
Hautentzündung Phlogosen oder heftige Congestion in innern Gebilden.
Bei diesem Grade bleibt die Eiterung nicht aus ; sie ist anfangs sehr
stark , die Granulationen wuchern gern und der Vernarbungsprocess gibt
nicht selten zu beträchtlichen Deformitäten Anlass. — Im vierten
Grade hat die einwirkende Schädlichkeit die organische Structur eines
grössern oder geringern Theils der Haut , des Unterhautzellgewebes und
selbst noch tiefer gelegener Theile zerstört und die Gebilde in einen
bald dickeren bald dünneren Schorf von aschgrauer, brauner oder schwarzer
Farbe verwandelt, der mehr oder minder trocken, hart und fühllos ist. Im
Umkreise dieses Schorfes findet sich meistens heftige Entzündung , die oft
mit Brandblasen verbunden ist und fast nie auf die Haut beschränkt bleibt,
sondern tiefer greift und in der Regel mit der Zeit noch zunimmt und die
Tendenz hat, den Brandschorf durch Eiterung loszustossen. Zuweilen ist
aber auch bei oberflächlicher Schorfbildung die Reaction so gering , dass
die Narbenbildung unter dem Schorfe zu Stande kommt , wie z. B.
nach Abbrennen von Moxen auf der Haut , oder dass man durch reizende
Salben die Reaction steigern muss , um Eiterung herbeizuführen und die
VERBRENNUNG.
969
Abstossung des Todten zu befördern. Hat die Verbrennung nur einige
Ausdehnung , so stellt sich auch hier Fieber ein , und bei reizbaren Per-
sonen treten nicht selten Convulsionen hinzu. Die nachfolgende Eiterung
ist sehr beträchtlich, die Heilung erfolgt durch üppige Granulationen,
die schliesslich in Narbengewebe sich umwandeln , welches durch seine
bedeutende Contraction oft troz der grössten Sorgfalt die störendsten
Deformitäten herbeiführen kann. Die Narben nach Brandwunden zeigen
sich erhaben , ungleich , brückenf örmig ; sie bleiben lange Zeit roth und
in der Kälte blau gefärbt. — Bei der gänzlichen Verkohlung eines Theils
bleibt nach dessen Abstossung ein mehr oder weniger ungleicher Stumpf
zurück. — Ein jeder Grad von Verbrennung kann , je nachdem eine
grössere oder geringere Fläche gelitten hat , entweder den Verlauf einer
örtlichen Affection nehmen, oder durch allgemeine Zufälle das Le-
ben des Kranken mehr oder weniger gefährden ; die leztern sind dann
entweder die unmittelbare Folge einer durch die Verbrennung hervorge-
rufenen allgemeinen Irritation , oder werden seeundär durch die entzünd-
liche Reaction , Eiterung und Erschöpfung herbeigeführt. Der stets leb-
hafte Schmerz wird zuweilen , besonders bei sehr nervösen Personen bis
zu einem solchen Grade gesteigert , dass er augenblicklich tödtet. Ist
die Irritation , welche sich von den Hautdecken auf das Nervensystem
fortpflanzt, nicht stark genug, um den Tod unmittelbar herbeizuführen,
so treten zuweilen andere furchtbare Symptome auf. Bald sieht man
die Kranken in eine äusserste Unruhe , Schlaflosigkeit , Krämpfe und in
heftiges Fieber, bald in Stupor und Abgeschlagenheit verfallen; lezterm
Schwächezustand erliegen die Kranken meist sehr schnell , wenn nicht
eine allgemeine Reaction zu Stande kommt. Das bei den Verbrennun-
gen eintretende Fieber ist immer mit Ekel oder Erbrechen und Appetit-
losigkeit verbunden. Bei dem Ergriffensein grosser Flächen sieht man
nicht selten alle Symptome einer nervösen und gastrischen Irritation in
einem so gesteigerten Grade hinzukommen, dass der Tod auf der Stelle
erfolgt. Sehr häufig stellt sich eine heftige Oppression ein , welche , wie
die Congestionen zu den innern Organen überhaupt, in der durch die
Verbrennung bedingten Unterdrückung der Hautthätigkeit , insbesondere
auch der Hautausdünstung , ihre Erklärung findet. Eine weitere Gefahr
droht dem Kranken durch die Heftigkeit der bei der Abstossung der
brandigen Theile eintretenden Eiterung, welche erschöpfend werden oder
durch Eiterresorption eine Infection der Blutmasse hervorbringen kann.
Zu den gefährlichsten Complicationen der Verbrennung ist noch die dif-
fuse phlegmonöse Hautentzündung zu rechnen , welche sich zuweilen mit
der ursprünglichen Verlezung verbindet , und welche , wenn man nicht
bald dagegen einschreitet , Eiterherde und Eitersenkungen in die
Zwischenräume der Muskeln bildet, die der äusserst reichlichen Eiterung
wegen die Amputation nöthig machen können. — Prognose. Diese
richtet sich nach dem Grade und der Ausdehnung der Verbrennung , nach
970 VERBRENNUNG.
der Reizempfindliehkeit des betroffenen Individuums und darnach ob die
Verbrennung in der Nähe oder fern von wichtigen Organen statt hat. Es
ist einleuchtend , dass die höhern Grade der Verbrennung bedenklicher
sind , als die niedern ; es kommt aber hierbei auch viel auf den Umfang
einer solchen an. Erstreckt sich die Verbrennung auf einen grossen
Theil der Körperoberfläche , insbesondere wenn sie mehr als ein Drittel
derselben betrifft , sei es auch nur in einem der niedern Grade , so ist
der Fall weit schlimmer, als wenn nur ein einzelnes Glied in einein
höhern Grade verbrannt ist, weil die Funktion der Haut bedeutend gestört
und dadurch das Wechselverhältniss zu den Athmungs - und Circulations-
werkzeugen aufgehoben ist. Sehr empfindliche Personen, Weiber und Kinder
können selbst durch leichtere Verbrennungen Krämpfe bekommen, während
sehr unempfindliche Personen oft grosse Verbrennungen ohne heftige Zufälle
ertragen. Verbrenungen am Kopf (Sonnenstich), der Brust oder des Unter-
leibs sind wegender Betheiligimg der innern Organe weit mehr zu fürchten,
als solche an den Extremitäten. — Die Verbrennungen hinterlassen gern
entstellende Narben , Verwachsungen natürlicher Oeffnungen , Verwach-
sungen neben einander liegender Theile , oder es kommen Abweichungen
der natürlichen Richtung eines Gliedes zu Stande. — Behandlung. Sie
zerfällt in eine allgemeine und örtliche. Die allgemeine Behand-
lung tritt nur ein , wenn die Verbrennung' mit allgemeinen Störungen
verbunden ist ; in den leichteren Fällen ordnet man zunächst eine strenge
Diät an , reicht kühlendes Getränk und sorgt für ein kühles Zimmer mit
reiner Atmosphäre. Sind heftige Schmerzen vorhanden , so gibt man
Morphium, Opium oder Hyoscyainus; treten Fieber und Entzündungs-
symptome ein , namentlich bei kräftigen , vollsaftigen Individuen , so
nehme man allgemeine Blutentziehungen vor, sei aber mit diesen vor-
sichtig und substituire ihnen schmale Kost, verdünnte kühle Getränke
und sonstige kühlende Mittel in den Fällen , wo man eine lang dauernde
profuse Eiterung voraussieht , welche die Kräfte 'der Kranken sehr in
Anspruch nehmen wird. Bozot und J. Cloquet rathen in diesem
Falle das Ansezen einer grossen Menge Blutegel in die Umgebung der
verbrannten Theile an. Ist Suppuration eingetreten und das Fieber ver-
schwunden , so sind eine kräftigere Nahrung und tonisirende Arzneimittel
angezeigt. Insbesondere ist ein mit Salzsäure bereitetes Decoctum
c h i n a e hier am Plaze ; bei hohem Schwächezustand gibt Dupuytren
Eisen- und Chinapräparate mit Vortheil. Gegen die colliquativen Durch-
fälle , welche sich oft zur Zeit der Vernarbung einstellen , verordnet der-
selbe Pillen aus einem 1/2 Gran Extract. o p i i und 1 Gr. Zincum
s u 1 p h u r. , von denen der Kranke in 2 4 Stunden 3 bis 4 Stück nimmt ;
auch Ipecacuanha hat sich gegen dieselben wirksam gezeigt. — O ert-
liche Behandlung. Bei den beiden ersten Graden ist die Anwen-
dung der Kälte von ausgezeichnetem Nuzen; man lässt die verbrannten
Stellen in kaltes Wasser tauchen , oder belegt sie mit Compressen , die in
VERBRENNUNG. 971
kaltes Wasser, Bleiwasser oder Essig und Wasser getaucht sind. Einige
rathen , anfangs nicht zu kaltes Wasser zu nehmen und nur allmälig zu
den mindern Wärmegraden überzugehen. Gut ist auch das Auflegen
von geriebenen Kartoffeln , kühler Erde , Kohlblättern etc. Nicht sehr
grosse und straffe Blasen überlässt man sich selbst ; sehr gespannte öffnet
man durch einen Nadelstich an ihrem Grunde. Sind die Blasen abge-
rissen , so wird die Kälte nicht mehr gut ertragen. Hier passen milde
Salben oder Oele , das Mandel - , Oliven - , Leinöl. Lezteres Oel bildet
in Verbindung mit Kalkwasser (Rp. Aq. c a 1 c i s ^ij , Ol. lini [auch
Ol. oliv] ^j , T i n c t . o p i i s i m p 1 . «^j M. f. 1 i n i m e n t.) das Brand-
liniment , welches eine ausgedehnte Anwendung gefunden hat. Weitere
Zusammensezungen mit diesen Oelen sind: Rp. Ol. lini recent. ^iv,
Album, ovo r. No. II. M. ; — Rp. Ol. hyos.cyami 5vj , Ol. lini
^jß , A c e t. 1 y t h a r g. ►)$ — j , U n g t. a 1 1 h. ^j . M. f. u n g t ; —
Rp. Ol. lini recent. 5viij , Album, ovor. No. vj , Acet. lytharg.
^j. M. f. Liniment. Die aufgeführten Oele und Salben werden mittels
Leinwandläppchen, die damit getränkt oder bestrichen sind, aufgelegt,
oder mit einem Pinsel oder Federbarte aufgestrichen. Eitern einige
Stellen während des Gebrauchs dieser Linimente zu stark, so verbindet
man mit folgender Salbe: I^z. Flo r. zin c, Lapid. calamin., S em.
lycopod. ana 5 j , Gumm. myrrh., Sacch. saturn. ana 3ß,
Axung. porc. §jß. M. f. ungt. Eine ähnliche, gegen den Ein-
fluss der Luft schüzende Wirkung auf die entblössten Hautstellen hat
das mehrmalige Bestreichen mit einer Auflösung des arabischen Gummi,
mit Collodium , das Aufstreuen von Kohlenpulver, Mehl, Semen ly-
copodii. Sehr vortheilhaft wirkt das Auflegen von baumwollener
Watte , womit man bei Verbrennungen des ersten Grades die verbrannten
Theile ohne Weiteres umgibt ; beim zweiten Grade sticht man die Blasen
an , wäscht die Theile mit lauwarmem Wasser oder bei etwas tieferen
Verbrennungen mit Branntwein, Spiritus lavendulae, Terpenthinöl
u. dgl. , legt dann die Watte in dichten Schichten an und befestigt
sie nötigenfalls mit Binden. Weitere Mittel, die angegeben wurden,
sind : die methodische Compression ; man bewirkt sie mit Compressen
und Binden , oder mittels Heftpflasterstreifen ; bei Vorhandensein von
Blasen nimmt man diese vorher weg , bedeckt die Wunde mit durch-
löcherter und mit Cerat bestrichener Leinwand und legt eine dünne Lage
Charpie darüber; eine Lösung von Chlornatron oder Chlorkalk 1^?. Cal-
car. chlorat. ^ß tere invicem et sensim affunde A q.
fönt. s. rosar^j etpost c 1 a r i f i c. 1 i m p i d i a d m i s c. M u c i 1.
gi arab. s. sem. cydon. ^ij. S. Mit leinenen Lappen nicht zu
kalt überzuschlagen ; diese wirken in den niedern Graden zertheilend , in
den höhern reinigend ; eine concentrirte Lösung des Salmiaks mit
Compressen übergeschlagen und dies wiederholt, so oft sich wieder Wärme
und Brennen in der verbrannten Portion einstellt beseitigt bei Ver-
972 VERENGERUNGEN UND VERSCHLIESSUNGEN.
brennungen des 1. und 2. Grads (Ion Schmerz sehr schnell; der Höllen-
stein in Substanz oder in einer saturirten Auflösung ; es bildet sich eine
schwarze Kruste , unter welcher die wunden Stellen wenigstens theilweise
zuheilen. Ausserdem sind noch der Honig, geschabte Rüben , dicker
Terpenthin , Seifenbrei etc. bei den niedern Graden von Verbrennung
gerühmt worden. Auf die Umgegend der von der Oberhaut entblössten
Stellen wendet man fortwährend die Kälte an. — Da die Eiterung in
Folge von Brandwunden immer ungewöhnlich copiös ist, so muss der
Verband immer so eingerichtet sein , dass der Eiter durch die Ver-
bandstücke eingesogen wird, und also so kurz als möglich mit der Wund-
fiäche in Berührung bleibt. Man bedient sich deshalb durchlöcherter
Compressen und darüber trockener Charpie ; hat man Watte angewendet,
so entfernt mau immer den vom Eiter durchdrungenen Theil derselben
(und nur diesen allein , um den verbrannten Theil möglichst wenig der
Luft auszusezen) und ersezt ihn durch neue Lagen. — Beim 4. Grade
hat man es zunächst nur mit der in der Umgebung des Brandigen auf-
tretenden Entzündung zu thun, die man so viel als möglich nieder-
zuhalten sucht ; man verfährt in dieser Absicht wie oben angegeben wurde.
Später hat man auf die Absonderung der todten Masse hinzuwirken,
was mittels erweichender Breiumschläge geschieht. Wenn alles Todte
entfernt ist, behandelt man die Wundfläche nacli ihrem Charakter. Bilden
sich üppige Granulationen, was hier sehr gern der Fall ist, so passen Sal-
ben u. dgl. nicht mehr, sondern man zieht Einstreupulver von rothem
Präcipitat, Höllensteinsolution mit Opium etc. in Gebrauch. — Die Ver-
narbung befördert man durch Höllensteinsolution oder trocknende Salben,
wie die Galmei - , Zink - oder Bleisalben. — In dem Zeitraum der Ver-
narbung muss der Bildung unförmlicher Narben entgegengewirkt werden;
dies geschieht durch eine geeignete Lage des ergriffenen Theils , durch
extendirende Bandagen. Das Zusammenwachsen nebeneinander liegender
Theile, wie der Finger und Zehen , verhindert man durch Leinwandläpp-
chen oder Charpiebäuschchen, die mit Salben bestrichen sind. Indessen
sind Deformitäten oft bei der grössten Vorsicht nicht zu vermeiden, und
diese alsdann auf operativem Wege zu beseitigen.
Verengerungen und Verschliessungen, stenocho-
rien (von Gzei'og , eng und xwqa , Raum), Stenosen (von (freyroco,
ich verdichte , verengere) und Atresien (von a priv. und t^w , fut.
xorjGü), ich durchbohre). Hierunter versteht man die verminderten Raum-
verhältnisse oder die gänzliche Schliessung von Oeffnungen und Hohlräu-
men. — Dieser abnorme Zustand kann angeboren oder erworben sein.
Die angeborenen Verengerungen und Verschliessungen beruhen ent-
weder in einem Stehenbleiben auf einer früheren Bildungsstufe oder auf
excessiver bildender Thätigkeit. — Bei angeborener Atresie von Aus-
führungsgängen (Imperforation) ist die OerFnung entweder durch
VERENGERUNGEN UND VERSCHLIESSUNGEN. 973
eine blosse Haut oder häutige Brücke verschlossen , und der Kanal selbst
hat seine normale Beschaffenheit, oder die Verschliessung geschieht durch
eine fleischartige Masse und der Kanal ist auf eine kürzere oder längere
Strecke verschlossen , endigt blind und lässt äusserlich wenig oder gar
keine Spur von einer Oeffnung wahrnehmen. Die Imperforation erstreckt
sich in seltenen Fällen auf mehrere Körperöffnungen. — Die erwo r b e-
nen Verengerungen und Verschliessungen können in verschiedenartigen
Krankheitszuständen ihren Grund haben , nämlich : 1 ) in einem Krämpfe
der contractilen Wände; 2) in entzündlicher Anschwellung, Hypertrophie
oder Afterproduction der auskleidenden Schleimhäute ; 3) in Narben in
der Nähe von Ausführungsgängen oder an denselben j 4) in Verwachsung
nach vorausgegangener Entzündung und plastischer Ausschwizung ; 5) in
der Compression durch in der Nähe von Oeffnungen und Kanälen liegen-
der Geschwülste etc. ; 6) in dem Mangel an Inhalt in einer Höhle , z. B.
wenn von gewissen Gef ässstrecken das Blut abgeleitet wird, etc. Endlich
7) können auch Oeffnungen und Kanäle durch fremde, von aussen einge-
drungene Körper , oder durch in jenen selbst gebildete pathologische Er-
zeugnisse , wie z. B. durch Schleimpfröpfe , Blutcoagula, Steine etc. ver-
schlossen werden. — Die Folgen der Verengerung und Verschliessung
bestehen in Hemmung oder gänzlicher Behinderung des Durchgangs von
Stoffen , für welche die Oeffnungen und Kanäle bestimmt sind , wodurch
Anhäufung, Erweiterung, Lähmung und Zerreissung, und damit Tod oder
Fistelbildimg herbeigeführt werden kann. Verengerung und Verschlies-
sung von Blutgefässen kann Ausdehnung collateraler Aeste , oder auch
Atrophie, Brand zur Folge haben. Atresie der Nasenöffnungen verhindert
den^Geruch, das Athemholen, Atresie der Pupille den Eintritt des Lichts
etc. Findet eine solche angeborene Verschliessung bei einem Ausfüh-
rungsgange statt, durch welchen häufig Stoffe entleert werden, z. B. dem
After , der Harnröhre , so entdeckt man dieses bald nach der Geburt bei
einer angestellten Untersuchung. Trifft aber diese Verschliessung einen
Ausführungsgang, dessen Functionen erst später eintreten , z. B. Vagina,
Vaginalportion des Uterus, so bemerkt man die Verschliessung meist erst
dann , wenn die Functionsstörung eintritt. - — Die erworbenen Verenge-
rungen und Verschliessungen sind bald nur vorübergehend, wie die, denen
Krampf zu Grunde liegt, bald bleibend, wenn z. B. Verwachsung besteht.
— Behandlung. Verschliessung durch Imperforation oder Verwach-
sung muss mittels schneidender Instrumente gehoben und dann die TVieder-
verwachsung durch Einlegen fremder Körper, wie Bourdonnets mit trock-
nenden Salben bestrichen, Bleiröhren, Darmsaiten, Bougies oder Catheter
etc. verhindert werden. Nicht selten wird die Ueberpflanzung der Schleim-
haut nothwendig. — Krampfhafte Verengerung oder Verschliessung er-
heischt die Anwendung erschlaffender , krampfstillender Mittel , oder die
Myotomie und nebenbei die Einlegung fremder Körper. Entzündliche
Anschwellung erfordert eine antiphlogistische Behandlung. Hypertro-
974 VERHAERTUNft.
phische Zustände der Kanalwandungen oder organisirte Neubildungen
müssen durch exeentrischen Druck, durch adstringirende Mittel, Scari-
fication, Excision, Cauterisation etc. zu entfernen gesucht werden. Com-
primirende Geschwülste, Einschnürungen etc. sind zu beseitigen. — Kön-
nen die Verengerungen und Verschliessungen nicht für die Dauer entfernt
werden , so hilft man palliativ durch Einlegen fremder röhrenförmiger
Körper, oder durch Anlegung neuer OefFnungen und Kanäle an geeigneten
Orten, z. B. eines künstlichen Afters bei Unwegsamkeit des Mastdarms.
vernärtUHgj lud «ratio, Hierunter versteht man die zu einer
compacten Masse erstarrte Ausschwizung gerinnbarer Stoffe in das Paren-
chym eines entzündeten Organs. — Der Vorgang ist hierbei folgender :
das anfangs flüssige Product der Entzündung erfüllt die Zellen des Zell-
gewebes, die Zwischenräume der Nerven , Gefässe , Drüsenkerne, Fasern,
so wie die schichtweise übereinander liegenden Membranen. Später ge-
rinnt die ausgeschwizte Substanz , verklebt die verschiedenartigen Theile
untereinander , vereinigt und verschmilzt sie um so inniger , je fester sie
wird , und dies bis zu einem solchen Grade , dass ihre eigentümliche
Textur und Structur sich verändert und ihre Function beschränkt oder
ganz aufgehoben wird. Ein durchaus verhärteter Theil zeigt in seiner
Structur keine nachweisbare Trennung der einzelnen Gewebe mehr, selbst
nach Maceration nicht ; die Gefässe sind verschlossen, die Faser ist nicht,
mehr irritabel, die Ernährung, der Stoffwechsel und die Secretionen stehen
still. — Die Verhärtung tritt am häufigsten in Folge von Entzündungen
höhern Grades ein. Aber auch oft wiederkehrende chronische Entzün-
dungen, selbst wenn sie massig sind, haben nicht selten Induration zur
Folge , indem kleinere Mengen gerinnbarer Flüssigkeit zu wiederholten
Malen ausgeschieden werden, so dass nach und nach eine Anhäufung von
plastischem Stoffe entsteht. — Symptome. Verhärtete Theile zeigen
weniger Wärme als andere, sind mehr oder minder gefühllos, ihre Func-
tion ist gestört, secernirende hören auf zu secerniren. Verhärtungen ver-
anlassen überdies Druck auf nahe Theile , beschränken somit auch die
Function dieser Nachbarorgane. Hat die Verhärtung ihren Siz in durch-
sichtigen Theilen , so werden diese undurchsichtig ; elastische Theile ver-
lieren ihre Elasticität. Die Verhärtung hat gewöhnlich eine Vermehrung
des Unifangs des befallenen Theils zur Folge (entzündliche Hyper-
trophie), zuweilen wird dieser aber auch durch Verschrumpfung und
Dichterwerden des Entzündungsproducts atrophisch. — Zur Verhärtung
sind besonders weniger blutreiche und solche Theile geneigt , bei denen
die Circulation auch im normalen Zustande langsam von Statten geht, wie
in den Drüsen. Ferner disponirt zur Verhärtung eine torpide Körper-
beschaffenheit, phlegmatisches, auch cholerisches und atrabiläres Tempe-
rament, Dyscrasien, wie Scropheln, Gicht ; zu reichliche und während des
Entzündungsverlaufs zu oft wiederholte Blutentziehungen , ferner die un-
VERHAERTUNG. 975
passende Anwendung der Kalte und der adstringirenden Mittel , durch
welche eine zu frühzeitige Gerinnung des Exsudats herbeigeführt wird. —
Von der scirrhösen Verhärtung unterscheidet sich die entzündliche
Induration dadurch , dass jene ohne merkbare Entzündung sich ausbildet
und das Resultat einer krebsigen Dyscrasie ist. Auch stellt sich der
Scirrhus mit einer knotigen harten Oberfläche dar , während die entzünd-
liche Verhärtung eine mehr ebene Oberfläche darbietet. — Ausgang e.
Niedere Grade von noch nicht lange bestehenden Verhärtungen lassen
sich gewöhnlich bald beseitigen ; alte Verhärtungen widerstehen oft jeder
Behandlung. Wenn irgend eine Reizung die Entzündung wieder an-
facht, so kann durch neue Ablagerungen der Umfang der Verhärtung ver-
mehrt , oder aber diese in Eiterung versezt , selbst brandig werden. —
Behandlung. Bei beginnender Verhärtung muss man suchen , das
Exsudat möglichst lange flüssig zu erhalten und seine Resorption zu be-
fördern. Hierzu dienen bei noch etwas gereiztem Zustande Quecksilber
innerlich und äusserlich. Bei mehr torpidem Zustande zieht man Jod-
mittel, namentlich Jodkali, dann den Sublimat innerlich und äusserlich,
Digitalis, Senega, aromatische "Waschungen , Liniment umvolatile,
camphoratum, gelind reizende Pflaster etc. in Gebrauch. Diese
Mittel dienen auch bei bereits fest gewordenem Exsudate , welchem man
bei noch bestehender entzündlicher Reizung das wiederholte Ansezen von
Blutegeln beifügt. Andernfalls zeigt sich die Anwendung lauer Fomen-
tationen mit Lösungen von Sublimat oder Alkalien, zertheilenden Cataplas-
men mit Cicuta, Hyoscyamus u. dgl., Jod- und Quecksilbersalben mit Zu-
säzen von Campher, resolvirenden, mehr oder weniger reizenden Pflastern, wie
das Empl. mercuriale, conii, hyoscyami, saponatum, de
mercurio c. camphora, de cicuta c. ammoniaco, das Bestrei-
chen von Jodtinktur, der Gebrauch von Bädern von ätherischen oder nar-
kotischen Kräutern, Schwefelbädern, Schlammbädern, Electricität und Gal-
vanismus wirksam. Sehr nüzlich erweist sich auch, wo es angeht, ein
methodischer Druckverband mit Pflasterstreifen oder Binden. Auch Ab-
leitungsmittel , wie Blasenpflaster , Moxen oder das Glüheisen sind unter
Umständen angezeigt. Innerlich zieht man Mittel in Gebrauch , welche
die Aufsaugung und den Stoffwechsel begünstigen. In dieser Hinsicht
werden empfohlen : besonders Brech- und Abführmittel , dann Taraxa-
cum, Chelidonium, Saponaria, Gummi ammoniacum,
galbanum, die Seife, die Antimonialien und Merkurialien, grosse Dosen
Salmiak, die Belladonna , Digitalis, Cicuta, das Aconit, die Dulcamara,
Aqua laurocerasi, das Natrum carbonicum etc. Gute Dienste
leisten auch die auflösenden Mineralwasser. — Gelingt die Zertheilung
nicht, so ruft man entweder eine Entzündung hervor , um die Verhärtung
in Eiterung zu versezen , oder man entfernt sie , sofern es die Localität
gestattet und sie Beschwerden erregen , durch das Messer. Behufs der
Hervorrufung einer Entzündung und Eiterung zieht man bei oberfläch-
97 fi VERKRUEMMUNG.
liehen Verhärtungen scharfe Cataplasmen oder reizende Pflaster in Ge-
brauch ; bei tiefer sizenden durchzieht man die Geschwulst mit einem
Haarseil , das man nöthigenfalls mit scharfen Substanzen versieht , sorgt
dabei für gehörigen Abfluss des Eiters und befördert die Eiterung durch
Auflegen von Cataplasmen. — Ist die Beseitigung der Verhärtung nicht
möglich, so schüze man sie gegen äussere Einwirkungen, halte sie gehörig
warm , sorge für Freiheit aller Se - und Excretionen und eine geregelte
Lebensweise.
Verkrümmung, C u r v a t u r a. Hierunter versteht man auf-
fallende Abweichungen einzelner Theile des menschlichen Körpers von
ihrer natürlichen Richtung , entweder bedingt durch eine wirkliche Ver-
biegung der Knochen oder durch veränderte fixirte Gelenkstellungen ; lez-
terer Zustand wird gewöhnlich als Contractu.!' (C o ntr act ur a) bezeich-
net. — Die Verkrümmungen sind entweder Fehler der ersten Bildung
(Bildungshemmung , Krankheiten des Fötus, fehlerhafte Lage desselben)
und dann angeboren, oder sie entstehen später, in welchem Falle sie sich
immer langsam und in der Regel ohne Schmerz entwickeln. — Die Ver-
krümmungen können sehr verschiedene Formen und Grade zeigen ; die
Theile sind bald gebogen , winklig gekrümmt, bald verdreht. Befindet
sich ein steifes Gelenk in Beugung, so nennt man den Zustand Flexur,
ist es in Ausstreckung , Extensur. — Ursachen. Diese sind : 1)
eine fehlerhafte M u skelt h äti gkei t in der Art, dass der nor-
male Antagonismus aufgehoben ist. Diese Störung kann ihren Grund
haben einerseits in einer Schwäche oder gänzlichen Lähmung einer Mus-
kelpartie, während die antagonistische in ihrem normalen Typus fortwirkt,
andererseits in excessiver krampfhafter Thätigkeit einer Muskelpartie,
während die entgegengesezte nicht verhältnissmässig Widerstand leistet.
Diesem nach ist eine paralytische und eine spastische Verkrüm-
mung zu unterscheiden. In vielen Fällen ist die Contractilität einer Mus-
kelpartie nicht vollständig verloren, sondern es besteht nur ein Ueberwie-
gen der einen über die andere. Mit der Zeit contrahiren sich aber die
überwiegenden Muskeln immer mehr und verkürzen sich zulezt organisch,
so dass sie keiner Ausdehnung mehr fähig sind, während die verlängerten
Muskeln an Contractionsfähigkeit einbüssen. — Die Ursachen dieser
Muskelcontracturen ihrerseits sind sehr mannigfaltig. Krankheiten der
Nervencentren , einseitige peripherische Reizungen sensibler Nerven , un-
gleiche Uebung, Anstrengung einzelner Muskelpartien, anhaltendes Ver-
bleiben der Körpertheile in einer Lage, wobei eine Muskelpartie ausge-
dehnt, die antagonistische verkürzt ist, gehören zu den häufigsten Ursachen
dieser Art. — 2) Andauernde Haltung eines Theils in einer ge-
wissen Stellung gibt eine häufige Veranlassung zu Contracturen. Ge-
lenkfracturen , chronische Entzündungen der Gelenke sind es besonders,
bei welchen oft lange Zeit eine bestimmte , in der Regel flectirte Lage
VERKRUEMMUNG. s 977
beibehalten und jede Bewegung vermieden werden muss. Die Folge da-
von ist eine Rigidität der Muskeln , Sehnen, Fascien und Gelenkbänder,
Verlust ihrer Elasticität und Contractilität , zulezt organische Verkürzung
auf der einen , Verlängerung auf der andern Seite und damit Fixirung in
der gegebenen Stellung. Bei entzündlichen Zuständen kommen dazu
noch plastische Ausschwizungen im Umfange der Gelenke, Verdickung der
Gelenkbänder etc. Die gleichen Folgen können selbstständige Entzün-
dungen von Muskeln, Sehnen, Fascien etc. haben. — 3) Narben, Ver-
dickung oder Atrophie und Retraction von Fascien, Er-
schlaffung von Gelenkbändern, veraltete Luxationen.
— Die Verkrümmung kann ferner wesentlich bedingt sein durch ein Lei-
den der Knorpel und Knochen. Namentlich ist hier die Knochen-
erweichung zu erwähnen, und zwar als häufigste die rhachitische ; das
Körpergewicht , der normale Zug der Muskeln reicht hier hin , eine Ver-
biegung oder verstärkte Krümmung langer Knochen oder ungleiche Com-
pression der Wirbelkörper hervorzubringen. Dieselben Wirkungen können
partielle Zerstörungen der Knochen und Knorpel durch Eiterungs- und
Schwärungsprocesse, namentlich an der Wirkelsäule, haben. Seltener ist
Erweichung und Schwund der Zwischenknorpel. — Der in Contraction
befindliche Theil erleidet mannigfache Veränderungen. Die retrahirten
Muskeln erscheinen nicht blos verkürzt, sondern auch weniger dick, dabei
fest, unnachgiebig, das Muskelgewebe ist mehr oder weniger geschwunden
und blass , zuweilen in fettartiger Umwandlung begriffen. Die Knochen
erscheinen je nach der Dauer und dem Grade der Contractur mehr oder
weniger verbildet. Das ganze Glied befindet sich in einem atrophischen
Zustande. — Diagnose. Vor Allem ist es von Wichtigkeit, eine Ver-
wechslung der Contractur mit einer Ankylose zu vermeiden. Neben einer
genauen Erforschung der vorausgegangenen Krankheitserscheinungen gibt
die Anwendung des Chloroforms nach B. L an genb eck den vollsten
Aufschluss. Eine Deformität , die blos auf Muskelcontractur beruht,
schwindet unter Anwendung eines geeigneten Zugs oder Drucks , sobald
eine tiefe Betäubung durch Chloroforminhalationen herbeigeführt ist.
Gelingt ihre augenblickliche Beseitigung auf diese Weise nicht , so lässt
sich bestimmt annehmen, dass anderweitige Veränderungen im Gelenk oder
seiner Umgebung das wesentliche Hinderniss sind. Lässt sich ein Glied
weder beugen noch strecken, so daif man unbedingt das Vorhandensein
einer Ankylose annehmen. Bestand Caries in einem Gelenke , so bedarf
es nicht einmal dieser Versuche. — Behandlung der Verkrüm-
mungen (Orthopädie). Wenn das Uebel noch nicht veraltet ist,
kann man, bei zu Grunde liegender Entzündung , zunächst versuchen, die
entzündlichen Verhärtungen und Adhäsionen zur Zertheilung und Rück-
bildung zu bringen, in welcher Absicht man entzündungswidrige und zur
Resorption dienende Mittel in Gebrauch zieht. Bei bestehender Paralyse
applicirt man auf die gelähmte Seite Reizmittel , sezt namentlich Blasen-
Burger, Chirurgie. (32
978 VERRENKUNG.
pflaster, selbst Moxen nnd macht spirituöse Einreibungen. Bei spasti-
schen Contracturen dienen narkotische Mittel in Form von Einreibungen,
Fomentationen oder Cataplasmen. Wo diese Mittel nicht wirksam genug
sind, und auch in Verbindung mit activen und passiven Bewegungen nicht
zum Ziele führen, lässt man orthopädische Apparate gebrauchen, um all-
mälig eine bessere Stellung der Knochen herbeizuführen. In schwierigen
Fällen, wo auch dieses Verfahren gar nicht oder nur mit Aufwand von
vieler Zeit , mit Verlust von vielen Kräften und unter grossen Schmerzen
ausführbar wäre , zieht man , wo es angeht , die gewaltsame Ausdehnung
des verkürzten Muskels in der Chloroformnarkose (s. den Art. Gelenk-
st e i fi g ke i t) in Gebrauch. Man beabsichtigt dabei keine Zerreissung,
sondern eine allmälige Dehnung des Muskels , weshalb die Ausdehnung
nicht mit einem Ruck, sondern durch anfangs sanftes, allmälig zu steigern-
des Hin- und Herbewegen desTheils, an welchem die verkürzten Muskeln
inserirt sind , ins Werk gesezt wird. Wenn Muskeln, Sehnen oder Bän-
der ein gar zu starkes Hinderniss bereiten , so nimmt man den Muskel-,
Sehnen- oder Bänderschnitt vor, welchen Durchschneidungen aber, so wie
auch der gewaltsamen Ausdehnung, mechanische Zug- und Druckmittel
als Nachkur folgen müssen. Ueber die Sehnendurchschneidung s. den
Art. subcutane Operationen. Der Bänderschnitt ist angezeigt,
wenn die Contractur wesentlich durch Retraction von Fascien , z. B. in
der Hohlhand und Fusssohle , oder von Gelenkbändern bedingt wird. —
Krümmungen der Knochen in ihrer Continuität , welche gewöhnlich auf
Rhachitis beruhen, können erst dann behandelt werden, wenn diese Krank-
heit ganz erloschen und an die Stelle der Erweichung die Härte des scle-
rosirten Knochens getreten ist. Man kann dann den Knochen abbrechen
und ihn in einer bessern Stellung zu heilen versuchen. — Ein wichtiges
Hülfsmittel, sowohl zur Verhütung wie auch zur Beseitigung von Verkrüm-
mungen, namentlich solcher, welche in Folge eines schnellen Wachsthums,
vorwaltender Muskelschwäche u. dgl. entstehen , ist die Gymnastik. —
In seltenen Fällen , namentlich bei veralteten Luxationen , hat man die
Resection mit Nuzen angewendet.
Verrenkung, Luxatio, Exarthrosis, Exarthrema,
heisst eine dauernde Abweichung beweglich mit einander verbundener
Knochenenden aus ihrer natürlichen Gelenkverbindung. Das Auseinander-
weichen unbeweglich verbundener Knochen nennt man zum Unterschiede
Diastase, Diastasi s.
A. Von den Verrenkungen im Allgemeinen. Die Ver-
renkungen können erworben oder angeboren sein. — I. Erwor-
bene Luxationen. Man unterscheidet je nach den Ursachen eine
Luxatio vera, violenta, traumatica, die durch mechanische
Gewalttätigkeiten veranlasst ist , wobei die Austretung plözlich erfolgt,
und eine Luxatio spuria oder spontanea, wo krankhafte Zustände
VERRENKUNG. 979
und Productionen in den Gelenken die Ursache des Austretens sind und
wobei der Austritt allruälig erfolgt. Hier wird nur von der erstem Art
die Rede sein , der zweiten ist in dem Artikel Gelenkentzündung
gedacht. — Ausserdem theilt man die Verrenkungen ein : in L u x a t i o
completa und incompleta (Subluxatio), je "nachdem die Ge-
lenkflächen gänzlich oder nur theilweise von einander gewichen sind ;
wenn die nur wenig verschobenen Gelenkflächen ohne Kunsthülfe ihre
normale Stellung sogleich nach der Verrückung wieder einnehmen , so
nennt man dies Verstauchung, Distorsio. — Ferner in eine L u-
xatio simplex und complicata, nach dem Fehlen oder der An-
wesenheit von Nebenleiden (Wunden , Quetschungen , Knoehenbrüchen),
in Luxatio recens und inveterata und endlich in eine Luxatio
p r i m i t i v a , wenn der ausgewichene Gelenkkopf in der Stellung stehen
geblieben ist , in welche er durch die Gewalt gebracht worden , und in
eine Luxatio consecutiva s. secundaria, wenn er durch Muskel-
a^ction nach einer andern Stelle gezogen wird. — Ursachen. Diese
sind entweder disponirende oder Gelegenheits Ursachen; zu
den erstem gehören : Schlaffheit der Gelenktheile und Muskeln , freie
Lage und Flachheit der Gelenkhöhle und eine bestimmte Richtung des
Gliedes während der Einwirkung äusserer Ursachen. Gelegenheits-
ursachen sind: alle direct oder indireet einwirkenden Gewalten und
Kräfte, die so stark sind, dass sie den Widerstand der verschiedenen Theile
eines Gelenks zu überwinden vermögen , ferner Muskelactionen während
des Tanzens, Springens, bei starken Krämpfen, epileptischen Anfällen etc.
Häufig wirken beide Momente zusammen. — Symptome. Die haupt-
sächlichsten Zeichen einer Verrenkung sind : Functionsstörung des
Gliedes hinsichtlich der Beweglichkeit im Gelenk, Formveränderung
des leztern , die sich durch Abflachung über der Gelenkhöhle und eine
Erhabenheit an der Stelle , wo sich jezt der Gelenkkopf befindet , kund
gibt, verändertes Längenverhältniss und veränderteRich-
tung des Gliedes. Zu diesen objectiven Symptomen kommen noch die
vom Kranken wahrgenommenen Erscheinungen , wie im Augenblicke der
Ausrenkung das Gefühl einer Zerreissung, zuweilen mit Krachen verbun-
den, Schmerz und ein Gefühl von Eingeschlafenheit im Gliede , was von
dem Drucke des ausgewichenen Gelenkkopfs auf die Nerven und Gef ässe
herrührt. — Diagnose. Verrenkungen können mit Quetschung und
Verstauchung des Gelenks, mit Knochenbrüchen in der Nähe des Gelenks,
mit Ablösung der Epiphysen und mit Gelenkrheumatismus verwechselt
werden. Wenn man bald dazu kommt, so sind solche Verwechslungen
bei einiger Aufmerksamkeit sicher zu vermeiden. Später aber , wenn
schon beträchtliche Geschwulst entstanden ist, wird die Unterscheidung
zuweilen höchst schwierig. Jedoch führt eine genaue Untersuchung auch
hier zum Ziele. Bei Quetschungen und Verstauchungen fehlt jede Ver-
kürzung , jede Veränderung der Richtung des Gliedes , die Gelenkvor-
62*
980 VERRENKUNG.
Sprünge haben ihre normale Stellung zu einander. Die Geschwulst ent-
wickelt sich nicht so schnell , als bei einer Verrenkung und es ist daher
längere Zeit hindurch noch möglich, die Gelenkvorsprünge an ihrer nor-
malen Stelle zu entdecken, wobei die Vergleichung des verlezten Gliedes
mit dem der andern Seite ein grosses Hülfsmittel ist. Bei Knochen-
brüchen in der Nähe von Gelenken findet sich gleichfalls die normale
Stellung der Gelenkvorsprünge ; man kann bei diesen aber eine bestehende
Verkürzung durch einen leichten Zug ausgleichen, worauf sie wiederkehrt,
während sie bei der Verrenkung nur einer grossen Gewalt weicht und die
normale Länge dann bestehen bleibt. Auch zeigt der Bruch eine wider-
natürliche Beweglichkeit , während das Glied bei der Verrenkung in der
Regel völlig unbeweglich ist. Bei bestehender Deformität findet sich
diese beim Bruche in der Nähe des Gelenks, bei der Verrenkung hat sie
ihren Siz in der Gegend des Gelenks selbst. Eine deutliche Crepitation
endlich ist das beste Unterscheidungsmittel, doch kommt diese nicht aus-
schliesslich den Fracturen zu ; auch der verrenkte Gelenkkopf lässt zu-
weilen eine solche vernehmen, sie ist aber hier nicht so rauh und hart, wie
bei einem Knochenbruch , sondern mehr einem Knirschen oder Knarren
ähnlich. Die Epiphysentrennung zeigt alle Symptome einer Continuitäts-
trennung des Knochens und kommt nur bei jugendlichen Individuen vor.
Der Gelenksrheumatismus entsteht gewöhnlich, ohne dass eine äussere Ge-
walt eingewirkt hat. — Prognose. Verrenkungen sind im Allgemeinen
nicht gefährlich, können es aber durch ihre Complicationen werden. — Durch
unterlassene Kunsthülfe kann der Gebrauch des Gliedes beschränkt werden
oder verloren gehen. Im Allgemeinen bedingt eine frische Luxation an einem
zusammengesetzten Gelenke ohne Nebenleiden bei entsprechender Knnst-
hülfe die beste Vorhersage. Ist das Gelenk aber so gebildet, dass der
reponirte Theil wegen Schwächung oder Zerreissung von Bändern etc. nicht
gut zurückgehalten werden kann, sind edle Organe in der Nähe, ist eine
Fractur zugleich zugegen , kann man spätere Folgen wegen schlechter
Constitution des Verlezten erwarten , so darf man die Prognose nur
zweifelhaft stellen. Geradezu ungünstig wird aber dieselbe , wenn die
Verrenkung schon Wochenlang unreponirt besteht , weil hier die Repo-
sition durch die Ausfüllung der früheren Gelenkhöhle und durch die Bil-
dung eines neuen Gelenks ein gewaltsames Verfahren erfordert und die
grossten Nachtheile veranlassen , ja sogar durch Zerreissung von Nerven
oder Blutgefässen den Tod bedingen kann. — Behandlung. Sie
zerfällt: 1) in die Zurückführung des ausgewichenen Ge-
lenkendes in seine normale Lage, Repositio, Reductio;
2) in die Erhaltung des zurückgeführten Knochens in
seinen normalen Beziehungen, Retentio; 3) in die Be-
handlung der Complicationen und 4) in die Nachkur. —
1) Die Reposition geschieht wie bei den Fracturen durch Extension,
Contraextention und Coaptation. Es gibt , wie Fracturen , so auch Lu-
VERRENKUNG. 981
xationen , die durch die blosse Coaptation , durch einen einfachen Druck
des einen Gelenkendes gegen das andere eingerichtet werden können.
Aber bei der grössern Mehrzahl der Falle muss sowohl die Extension
und Contraextension , wie die Coaptation angewandt werden. Die Ex-
tension wird mit den Händen , durch Schlingen , durch Maschinen
(Flaschenzüge) ausgeübt. Häufig reicht man mit den Händen vollkom-
men aus ; sobald es sich aber von der Anwendung einer grössern Gewalt
handelt , wobei insbesondere von mehreren Gehülfen gezogen werden soll,
ist die Anwendung von Schlingen nothwendig, welche aus Handtüchern,
Betttüchern u. dgl., die man mehrmals zusammenlegt, hergestellt werden.
Die Mitte einer solchen handbreiten Binde wird um den Theil gelegt, an
welchem die Extension ausgeübt werden soll ; die Enden werden auf der
entgegengesezten Seite gekreuzt , der Achse des Glieds parallel abwärts
geführt und den Gehülfen übergeben. — Wo es angeht , bringt man die
extendirende Gewalt unterhalb des nächst folgenden Gelenks an , damit
die Muskeln des einzurenkenden Theils nicht gedrückt und dadurch zu
vermehrter Contraction gereizt werden ; dabei muss der Theil in eine
solche Stellung gebracht werden , dass die interessirten Muskeln mög-
lichst erschlafft sind. — Die Contraextension wird möglichst nahe
an dem verrenkten Gelenke und in solcher Weise ausgeübt , dass eine
vollkommene Befestigung des betreffenden Gelenktheils erreicht wird.
Sie geschieht gleichfalls entweder mit den Händen allein oder mit Schlin-
gen, die in der oben angeführten Weise um das Glied oder um den
Rumpf geschlungen, in entgegengesezter Richtung, als wie die Ex-
tensionsschlingen abgeführt und entweder von Gehülfen fesgehalten oder
an einem Pfahl , einem in der Mauer befestigten Ring u. dgl. ihren Halt
finden. Der Wundarzt steht gewöhnlich an der äussern Seite des ver-
renkten Gelenks und gibt das Zeichen zum Beginn der Extension. —
Der Zug muss in der Regel in der Richtung der Achse des verrenkten
Knochens und mit allmällig zunehmender Stärke anhaltend geschehen,
damit die Muskeln ermüden. Wenn der Gelenkkopf beweglich geworden
ist und sich der Gelenkhöhle nähert , so tritt er oft von freien Stücken
und mit einem hörbaren Geräusch in dieselbe , oder man muss ihn mit
den Händen oder umgelegten Schlingen gegen die Gelenkhöhle hinleiten,
nicht selten ihn von dieser zuerst abziehen. Ist der Widerstand der
Muskeln zu gross , so ist das Mittel zur Erschlaffung derselben die Ein-
schläferung des Verlezten durch Chloroform. — Zur Beseitigung zwischen-
liegender Theile oder einer zu kleinen Oeffnung im Kapselbande hat man
vor der Einrichtung Bewegungen des Glieds nach verschiedenen Rich-
tungen angerathen. — Von der vollendeten Einrichtung überzeugt uns
die natürliche Form und Richtung des Glieds, das Aufhören des Schmer-
zes und die freie Beweglichkeit. — In Bezug auf veraltete Luxa-
tionen lässt sich kein bestimmter Zeitraum festsezen, bis zu welchem die-
selben noch einrichtbar sind. Es hängt dies von der Art des. Gelenks
982 VERRENKUNG.
und der Luxation , so wie und zwar hauptsächlich von der Beschaffen-
heit der bereits eingetretenen pathologisch - anatomischen Veränderungen
ab. Luxationen in Drehgelenken können oft nach einem Monat nicht
mehr zurückgebracht werden ; doch ist die Einrichtung auch noch nach
4 , selbst nach 8 Monaten durch starke Gewalt gelungen. In den ge-
windartigen Gelenken ist oft nach 2 0 bis 3 0 Tagen die Einrichtung
nicht mehr möglich. Immer muss die veraltete Luxation durch erwei-
chende Einreibungen , Bäder und Bewegungen des ausgerenkten Glieds
zur Einrichtung vorbereitet werden. — In schwierigen Fällen hat man
die subcutane Durchschneidung der falschen Adhäsionen und einzelner
sehr widerstrebender Muskeln mit Erfolg vorgenommen. — 2) Reten-
tion der Verrenkungen. Da der Gelenkkopf gewöhnlich keine
grosse Neigung zeigt , wieder auszutreten , so sind hier nur Schonung
und Ruhe des Glieds nöthig. Leztere bewirkt man durch eine zweck-
mässige und sichere Lagerung des Glieds und Beschränkung seiner Be-
wegung mittels Mitellen, Tragkapseln und Unterlagen oder mittels Ver-
bänden aus Binden , Compressen und unter Umständen auch Schienen.
— 3) Behandlung der Complicationen. Meistens sind es
Quetschungen und Blutextravasate , welche die Luxationen compliciren.
Man wendet dagegen den antiphlogistischen Apparat in mehr oder minder
starker Ausdehnung je nach den Umständen an. Schlimmer sind Wun-
den , welche bis in das Gelenk dringen , besonders wenn das verrenkte
Gelenkende bloss liegt. Diese Complication kommt vorzugsweise am
Fuss-, Hand- und Ellbogengelenke vor. Die Behandlung besteht in
der möglichst schnellen Reduction, dem Verschluss der Wunde und in
einer energischen Behandlung der nachfolgenden Entzündung. Um die
Einrichtung möglich zu machen , kann die Erweiterung der Wunde mit
dem Messer , wo dies aber bedenklich erscheint oder wenn das heraus-
stehende Knochenstück zu gross ist, die Resection des Gelenkendes noth-
wendig werden. Sind mit solchen Verlezungen Knochenbrüche , Zer-
malmung der Weichtheile , Zerreissung der Gefässe etc. verbunden , so
vermag in den meisten Fällen nur die augenblickliche Amputation das
Leben des Kranken zu retten. — Gewaltsame Ausdehnungen der Gelenk-
bänder , wie sie besonders bei Verstauchungen vorkommen , be-
handelt man , neben einer geeigneten Lage des Gliedes , mit örtlichen
und unter Umständen allgemeinen Blutentziehungen, kalten Umschlägen,
am besten von Arnicainfus, anfangs mit einem Zusaz von Bleiessig, später
von Arnicatinctur , oder auch von Salmiak in Essig gelösst vertauscht.
Mit der Abnahme der Geschwulst nimmt man passive Bewegungen vor.
— 4) Nachkur. In den gewöhnlichen Fällen bezweckt sie die Stär-
kung des Gelenks durch spirituöse , ätherisch - ölige , ammoniakalische
Waschungen, Einreibungen, Douchen, um Recidiven vorzubeugen. Zurück-
gebliebene Steifigkeit des Gelenkes beseitigt man durch öftere vorsieh-
VERRENKUNG. 983
tige Bewegungen, Douchen , warme Bäder, namentlich Blut- und Knötel-
bäder etc.
II. Angeborene Luxationen, Luxationes conge-
nita e. Sie werden am häufigsten am Hüftgelenk beobachtet , kommen
aber auch an andern Gelenken vor. — Die Entstehungsweise derselben ist
eine verschiedene, und zwar sind sie entweder die Folge einer gestörten Bil-
dung des Gelenks , oder werden sie durch die Lage des Foetus im Uterus
bedingt , manchmal sind äussere Gewaltthätigkeiten , welche den Foetus
während der Geburt oder im Uterus treffen, anzuklagen, endlich muss
man sie zuweilen einer grossen Erschlaffung der Bänder, einer übermässi-
gen Anfüllung der Kapsel mit Synovia, einer mangelhaften Entwickelung
des Gelenkkopfs oder der Gelenkhöhle zuschreiben. In vielen Fällen ist
die Erblichkeit derselben unzweifelhaft. — Die meisten angeborenen Lu-
xationen sind bei der Geburt noch unvollständig und werden erst nach
und nach bis gegen das vierte Jahr hin vollständig. Das Kapselband
und die Bänder überhaupt zeigen sich schlaffer als die normalen Gelenke,
das betreffende Gelenk ist daher beweglicher und die Gelenkflächen der
Knochen berühren sich nicht so genau ; man kann sie weiter von ein-
ander entfernen, aber auch leicht in die normale Stellung zurückführen.
Die das Gelenk umgebenden Muskeln befinden sich im Zustande der
Contractur , oft bis zur Umwandlung ihres Gewebes in fibröse Stränge
oder in Fett. Mit weiter fortschreitendem Alter des Kindes entfernen
sich die Gelenkenden des kranken Gelenks immer mehr von einander,
die Bänder werden , der veränderten Lage des Knochens entsprechend,
einer Seits verkürzt, anderer Seits verlängert ; niemals findet aber hierbei
eine Zerreissung des Kapselbandes statt. An dem Hüftgelenk zieht sich
das schlauchartige Kapselband mit der Zeit zusammen, obliterirt und
und sperrt damit den Gelenkkopf von der Pfanne gänzlich ab. Dieser,
welcher an das Hüftbein angedrückt wird , flacht sich ab , bildet an dem
genannten Knochen eine gewöhnlich unregelmässige , von stalactiten-
förmigen Osteophyten umgebene Gelenkhöhle, während die alte Höhle
sich durch Narbensubstanz ausfüllt. — Prognose. Sie ändert sich
nach jeder Art von Luxation, viel mehr aber nach dem Alter des Uebels.
Bei der Geburt ist die Kur im Allgemeinen leicht , mit zunehmendem
Alter vermehren sich die Schwierigkeiten, und wenn das Alter der Puber-
tät überschritten ist , so ist keine Wiederherstellung mehr zu hoffen. —
Behandlung. Bei diesen Luxationen kann nur die allmälige Reduc-
tion zum Ziele führen. Nach der Vorausschickung von erweichenden Bä-
dern und Einreibungen sezt man das Glied einer anhaltenden allmälig
verstärkten Extension aus , um den Gelenkkopf in die Nähe der Gelenk-
höhle zu leiten. Diese Vorbereitung kann (beim Hüftgelenk) 1/2 — 1
Jahr dauern. Ist der beabsichtigte Zweck erreicht, zu dessen Beschleu-
nigung man Widerstand leistende Muskeln oder Bänder subcutan durch-
schneidet , so wird die Einrenkung vorgenommen auf die gewöhnliche
984 VERRENKUNG DES UNTERKIEFERS.
Weise , wozu bisweilen mehrere Monate erfordert werden. Schliesslich
werden mit dem Gliede Bewegungen gemacht , bis das neue Gelenk ge-
hörig ausgebildet ist. Ist keine Reposition möglich , so sucht man den
Gelenkkopf wenigstens an einer möglichst günstigen Stellung zu fixiren
und an dieser die Bildung einer neuen Gelenkhöhle zu bewirken , was
man durch die Anwendung von geeigneten Bandagen und Maschinen in's
Werk sezt. Guerin empfiehlt tiefe subcutane Scarificationen bis in
das Periost des Knochens , um dadurch die Bildung von Osteophyten zu
veranlassen , die den Gelenkkopf umfassen sollen.
B. Von den Verrenkungen insbesondere.
I. Verrenkungen des Unterkiefers, Luxatio man-
dibular Der Unterkiefer kann nur nach vorn verrenken, wobei der
Processus condyloideus über das Tuberculum articu-
1 a r e nach vorn unter den Anfang des Jochfortsazes des Schläfenbeins
tritt , wo man ihn fühlt. Sobald der Gelenkkopf des Unterkiefers diese
Stellung eingenommen hat, stemmt sich nicht selten der Processus
coronoideus gegen den untern Rand des Os zygomaticum nahe
der dasselbe mit dem Processus zygomaticus maxillae ver-
bindenden Naht. An dieser Stelle findet sich gewöhnlich eine kleine
Grube , in welche die Spize des Processus coronoideus alsdann
eingreift. — Bei Kindern und alten Leuten, welchen die Zähne fehlen,
kommt diese Verrenkung höchst selten vor. Die Verrenkung findet ent-
weder nur auf einer oder auf beiden Seiten statt. Symptome: a) der
beiderseitigen Verrenkung. Der Mund steht weit offen , der
Speichel fliesst fortwährend ab und der Kranke kann nicht kauen oder
deutlich sprechen , insbesondere vermag er die Lippenbuchstaben nicht
auszusprechen. Die untere Zahnreihe steht weit vor der obern vor. Vor
dem Gehörgange fühlt man eine Vertiefung, unter dem Jochbogen einen
Vorsprung. — b) Die einseitige Verrenkung zeigt ein nach der
Seite verschobenes Kinn , das Sprechen ist gehindert , wenn auch nicht
in dem Grade wie bei der beiderseitigen Verrenkung. Vor dem Ohre
findet sich eine Grube, an der Stelle, wo der verrenkte Condylus des
Oberkiefers stehen sollte, und ersterer wölbt die Wange auffallend her-
vor. — Ursachen. - Uebermässiges Oeffnen des Mundes beim Gähnen,
Singen, Erbrechen etc. und ein Schlag auf das Kinn von oben nach
unten, — Prognose. Wird die Luxation nicht eingerichtet, so bleibt
der Kiefer in der ersten Zeit in seiner Lage feststehen , der Speichelfluss
hält zwar an , vermindert sich aber mit der Zeit ; das Kauen ist unmög-
lich und der Kranke kann nur mit rückwärts gebogenem Kopfe flüssige
Nahrungsmittel zu sich nehmen. In andern Fällen kann der Kiefer nach
und nach zur Beweglichkeit zurückkehren , ohne aber seine frühere ganz
normale Stellung zu erreichen ; deshalb bleibt auch hier das Kauen
unvollkommen und die Sprache etwas gehindert. Die einseitige Ver-
renkung bessert sich weniger als die beiderseitige. Ist die Reposition
VERRENKUNG DER WIRBEL. 985
gemacht , so hat die Verrenkung keine weiteren nachtheiligen Folgen
als eine zurückbleibende Disposition zu Rückfällen. — Reposition.
Man sezt die beiden mit Leinwand umwickelten Daumen auf die hintern
Backenzähne und die übrigen Finger an die Seitentheile des Unter-
kiefers bis zum Kinn und drückt nun mit dem Daumen gerade ab-
wärts , während man mit den andern Fingern das Kinn erst erhebt und
den Kiefer dann nach hinten schiebt; die Zusammenziehung der Kaumus-
keln vollendet die Einrenkung. Findet sich die oben beschriebene Ein-
keilung der Spize des Processus coronoideus, so muss man so-
gleich mit den Daumen gegen den vordem Rand des Processus con-
d y 1 o i d e u s drücken , um diesen nach hinten zu schieben , während der
Kranke sich bemüht , den Mund möglichst weit zu öffnen. — Bei der
einseitigen Luxation operirt man nur mit einem Daumen, wobei aber
die Zurückschiebung nicht nur nach hinten , sondern auch nach aussen
geschehen muss. — Für veraltete Fälle sind von Junke, Asti, Stro-
meyer und Vollmer besondere Vorrichtungen angegeben worden, mit
denen man ähnlich , wie mit den Fingern , nur kräftiger wirkt. — Ee-
t e n t i o n. Sie geschieht einfach durch ein Kinntuch ; dabei ist dem
Kranken in den ersten Wochen Vorsicht beim Oeffnen des Mundes und
beim Kauen zu empfehlen.
2. Verrenkungen der Wirbel, Luxationes vertebra-
rum. a) Verrenkungen der beiden ersten Halswirbel.
Der Atlas ist mit dem Hinterhauptbein so innig verbunden, dass nur
eine sehr grosse Gewalt die Verrenkung des ersteren zu bewirken ver-
mag. In den wenigen darüber bekannt gewordenen Fällen war der Tod
schnell eingetreten. — Häufiger kommt die Verrenkung des Epi-
stropheus vor. Symptome. Der Kopf des Verlezten neigt sich
auf das Brustbein , ohne dass die Halswirbel hinten eine convexe Linie
bilden , er lässt sich leicht nach allen Seiten drehen , am Nacken fühlt
man eine Hervorragung ; der Mund ist geöffnet , die Augen ragen stark
hervor, das Gesicht ist geröthet und aufgedunsen, der Puls, wenn er über-
haupt noch zu fühlen , selten und klein ; die Empfindung und Bewegung
sind ganz erloschen. In der Mehrzahl der Fälle erfolgt der Tod sogleich
durch Compression oder Zerreissung des Rückenmarks. — Ursachen.
Diese sind in den meisten Fällen ein Sturz aus der Höhe oder ein Schlag
auf das Hinterhaupt, wobei der Kopf vorn über gestossen wird ; sehr sel-
ten erfolgt die Luxation durch eine gewaltsame Bewegung in entgegen-
gesezter Richtung. Es findet hierbei eine Zerreissung des Querbandes
und der Bänder der Processus obliqui statt ; der dadurch frei ge-
wordene Zahnfortsaz bedingt meistens eine Verleznng des Rückenmarks.
Bei Kindern, deren Zahnfortsaz kürzer und bei welchen die Ligamenta
lateralia weniger fest sind, soll der erstere beim Aufheben derselben
am Kopfe unter dem Ligamentum transversum durchschlüpfen
können. — Prognose. Sie ist höchst ungünstig. — Behandlung.
VERRENKUNG DER WIRBEL.
Diese lässt nur bei einer unvollkommenen Verrenkung etwas hoffen und
besteht dann in einer einfachen oder in einer mit einer schonenden Rück-
wärtsbeugung verbundenen Geradrichtung des Kopfs. Nach erlangter
Einrichtung wird diese entweder durch eine befestigte Rückenlage oder
durch geeignete Verbände streng aufrecht erhalten. Die Bewegungen
des Gelenks gehen dabei verloren. — b) Verrenkungen der fünf
untern Halswirbel. Zwischen den fünf untern Halswirbeln kom-
men unvollkommene und vollkommene , einseitige und doppelseitige Lu-
xationen vor, welche nach vorn oder nach hinten statt haben können. —
Symptome. Der Kranke empfindet im Augenblicke der Verrenkung
einen sehr heftigen Schmerz und hört zuweilen ein Geräusch , oder hat
doch die Empfindung , dass etwas in seinem Halse reisse. Bei der ge-
wöhnlicheren, der einseitigen Form der Verrenkung , steht der Kopf
schief, mit dem Gesichte nach der entgegengesezten Seite hin gewandt,
und es ist dem Kranken vollkommen unmöglich , den Kopf gerade zu
richten. An der hintern Seite des Halses findet sich ein Vorsprung, wel-
cher durch den Dornfortsaz des verrenkten Wirbels gebildet wird. Da-
neben zeigen sich mehr oder weniger hervortretende Zeichen von Com-
pression oder Zerreissung des Rückenmarks, wie Bewegungs- und Empfin-
dungslosigkeit der Extremitäten, Lähmung der Blase, des Mastdarms etc.
Bei der doppelseitigen Verrenkung nach vorn ist der Kopf vorwärts
geneigt, fällt aber bei vollständiger Luxation gern nach hinten ; zugleich
nimmt man im Nacken in der Höhe des luxirten Wirbels eine Vertiefung
mit einem Vorsprunge des Dornfortsazes des nächst folgenden Wirbels
wahr ; bei der seltenen Verrenkung nach hinten ist der Kopf rückwärts
gebeugt. Dazu die Zeichen der Compression des Rückenmarks. — Ur-
sachen. Sie sind die bei der Verrenkung des zweiten Halswirbels auf-
geführten , ferner schnelle rotirende Bewegungen und Drehungen des
Kopfs nach der Seite. — Prognose. Sie richtet sich nach dem Grade
und der Art der Verrenkung. Stets ist sie zweifelhaft zu stellen. Ge-
lingt die Einrichtung nicht, so erfolgt in der Mehrzahl der Fälle der Tod ;
zuweilen jedoch erst nach mehreren Tagen. — Reposition. Unter
allen Umständen muss diese versucht werden , was bei gehöriger Vorsicht
ohne Insultation des Rückenmarks geschehen kann. Die Contraextension
geschieht an den Schultern des niedrig sizenden Kranken , die Extension
am Kopfe , den der Wundarzt mit der einen Hand am Kinn , mit der an-
dern am Hinterhaupte fasst. Der Zug geschieht zunächst in der Rich-
tung, welche der Hals durch die Luxation erhalten hat, dann in der nor-
malen Richtung desselben ; je nach der Eigen thümlichkeit des Falls muss
auch noch eine Beugung oder Rotation hinzukommen. ■ — Retention.
Man legt dem Kranken eine geeignete Cravatte um und sichert die Lage
des Kopfs durch Kissen. — Nachbehandlung. Sie muss den all-
gemeinen und örtlichen Zufällen entsprechend sein und anfangs in der
Einleitung einer kräftigen Antiphlogose bestehen. Einer zurückbleibenden
VERRENKUNG DER RIPPEN. 987
Empfindlichkeit der Wirbel gegen Druck muss durch Blutegel entgegen-
gewirkt werden, um eine sich entwickelnde Spondilitis zu verhindern. —
c) Verrenkung der Rückenwirbel. Die Rückenwirbel können
nach vorn und nach hinten verrenken und eine seitliche Abweichung er-
leiden. Eine vollkommene Verrenkung ohne Bruch ist indessen der
festen Verbindungen wegen nicht möglich. — Symptome. Man be-
merkt an der Stelle der Luxation entweder eine Hervorragung oder Ver-
tiefung, je nach der Abweichung nach vorn oder nach hinten, eine wider-
natürliche Stellung und Richtung des Körpers und des Processus
spinös us. Dabei Convulsionen oder Lähmung der obern Extremitäten
und Beeinträchtigung der Brustorgane. — Ursachen. Fall auf den
Rücken von einem erhöhten Orte , oder auffallende Lasten. — Pro-
gnose. Sie ist im Allgemeinen ungünstig , doch kennt man mehrere
geheilte Fälle. — Reposition. Der auf dem Bauche liegende Kranke
wird an den Achseln und dem Becken gefasst und ausgestreckt, während
der Wundarzt durch einen Druck mit dem Ballen der Hand den ausge-
wichenen Wirbel zu reponiren sucht. — Retention. Besondere Ver-
bände sind nicht erforderlich , da der reponirte Knochen keine Neigung
zeigt, sich aufs Neue zu dislociren. Der Kranke verhält sich nur ruhig
auf einem nicht zu nachgiebigen ebenen Lager. — Nachbehand-
lung. Es müssen die örtlichen und allgemeinen Symptome berücksich-
tigt werden , die meistens ein antiphlogistisches Verfahren in Anspruch
nehmen. — d) Verrenkung der Lendenwirbel. Diese ist häu-
figer als die der andern Wirbelbeine und betrifft in der Mehrzahl der
Fälle den ersten und zweiten Lendenwirbel. Diese Verrenkung weicht
von der der Brustwirbel nur darin ab, dass mehr die im Unterleibe als die
in der Brust gelegenen Organe leiden und die untern Extremitäten sich
in einem lähmungsartigen Zustande befinden, ferner der reponirte Wirbel
eine grosse Neigung zur Wiederausweichung zeigt, weshalb ein Verband
nöthig ist. Dieser besteht entweder in einem unter das Kreuz des auf
einer Matraze ausgestreckten Kranken geschobenen Kissen, oder in einer
der ganzen Wirbelsäule entlang , gelegten gepolsterten Schiene , welche
mit Handtüchern oder Gurten um Becken und Brust befestigt wird. —
3. Verrenkung der Rippen und ihrer Knorpel. Die
Rippen luxiren an den Wirbeln, die Verrenkung ihres vordem Endes an
ihrem Knorpel ist noch nicht sicher nachgewiesen. Hernach luxiren die
untern Knorpel von einander und endlich können sie sich auch vom Brust-
bein ablösen. — a) Verrenkung des Wirbelendes der Rip-
pen. Bei dieser Verrenkung tritt das hintere Ende der Rippe nach vorn
auf den Körper der Wirbel. — Symptome. Grössere passive Beweg-
lichkeit der Rippe , eine gewisse Leere neben der Wirbelsäule beim An-
fühlen und ein besonderes, von Emphysem und Crepitation bei Fracturen
abweichendes Geräusch. Dabei alle characteristis'chen Erscheinungen der
Reizung der Pleura und Lungen. — Ursachen. Diese sind immer di-
988 VERRENKUNG DES BRUSTBEINS.
recte, ein Fall, oder eine äusserlich einwirkende Gewalt. — Prognose.
Bei langer andauerndem Bestehen der Dislocation müsste die Reizung den
Lungen gefährlich werden , weshalb die Einrichtung sobald als möglich
vorzunehmen ist. — Reposition. Man bringt einen Druck auf dem
vordem Theil der Rippe an. — Retention. Man legt auf das vordere
Ende der Rippe eine dicke Compresse , eine zweite ähnliche auf die der
verrenkten Rippe entsprechenden Querfortsäze der Wirbel und befestigt
beide mit einem Tuche oder einer Binde. — Nachbehandlung.
Wie bei den Rippenbrüchen. — b) Verrenkung der Rippen an
ihren Knorpeln. Wahrscheinlich handelte es sich bei den hierher
gezählten Fällen um ein Bruch der Knorpel. Wenn eine solche Abtren-
nung aber auch wirklich statt hätte, so würde sie sich doch völlig wie ein
Bruch verhalten und müsste wie ein solcher behandelt werden. —
c) Verrenkung der Knorpel unter sich. Meistens betrifft diese,
übrigens sehr seltene Luxation die unteren wahren Rippen , welche zu
mehreren (wie die 6., 7. und 8. Rippe, so wie auch die 5. und 6. und
die 8. und 9.) durch ihre entsprechenden Ränder beweglich unter sich
verbunden sind. Bei der Untersuchung findet man die betreffenden Rip-
pen eingedrückt und die darüber liegenden bilden einen bedeutenden Vor-
sprung. Die eingedrückten Rippen sind zusammengerückt und liegen dach-
ziegelförmig über einander. Der Verlezte neigt sich gegen die kranke
Seite. Man lässt den Kranken tief inspiriren und drückt dann eine Com-
presse durch eine breite Binde fest auf die vorspringenden Knorpel. —
d) Verrenkung der Knorpel von dem Brustbein. Diese
Verrenkung gleicht im Wesentlichen der vorigen und nimmt auch dieselbe
Behandlung in Anspruch. Die Einrichtung ist schwierig aufrecht zu er-
halten.
4. Verrenkung des Brustbeins. Das in den früheren Le-
bensjahren aus drei Stücken bestehende Brustbein, kann an den zwei
Gelenken, welche diese Stücke vereinigen, luxiren. — a) Verrenkung
der zwei ersten Stücke des Brustbeins. Meistens steigt da-
bei das zweite Stück des Brustbeins vor dem ersten in die Höhe ; in sel-
tenen Fällen wurde ein Abstand zwischen den beiden Stücken beobachtet.
— Symptome. Oertlicher Schmerz, zuweilen ein von dem Verlezten
vernommenes Krachen , Respirationsbeschwerden und endlich ein Vor-
sprung, gebildet von dem zweiten Stücke des Brustbeins und den an dem-
selben befestigten Rippen oder eine Furche , wenn ein Abstand besteht.
Die Ursachen sind directe und indirecte. Die ersten sind selten und
bestehen in einem Drucke, welcher das obere Stück des Brustbeins trifft;
die indirecten Ursachen bestehen meist in einer Einwirkung , welche die
Wirbelsäule stark vorwärts treibt ; doch vermag auch eine starke Vorwärts-
beugung des Körpers die Verrenkung herbeizuführen. — Prognose.
Diese bekömmt nur durch die Complicationen Bedenklichkeit, die in der
Regel nicht fehlen. Einfache Luxationen haben keine ernsthaften Zufälle
VERRENKUNG DFS BECKENS. 989
zur Folge ; die Einrichtung ist indessen häufig sehr schwierig. — Re-
position. Bei der Luxation mit Abstand lässt man den Kranken mit
vorwärts geneigter Wirbelsäule und Kopf sizen ; bei der mit Dislocation
der einzelnen Stücke suchte man die Einrichtung durch starke Rückwärts-
beugung des Körpers herbeizuführen , was in einigen Fällen nicht zum
Ziele führte , weshalb man mit einem starken auf die Gelenkfacette des
Körpers des Brustbeins aufgesezten Pfriem das aufgestiegene Stück nach
unten und hinten trieb. — Retention. Im ersten Falle muss der
Kranke die angegebene Stellung bis zur Vereinigung der Gelenkflächen,
wozu 12 Tage nöthig sein sollen, beibehalten; im zweiten legt man einen
festen Verband an und bringt ein dickes Kissen unter das Kreuz. Die
Heilung erfolgt innerhalb eines Monats mit einiger Deformität. — Nach-
behandlung. Sie muss den Zufällen angemessen sein. — b) V e r -
renkung des Schwertknorpels. Die Verrenkung geschieht immer
nach innen und ist von häufigen Vomituritionen gefolgt. Einmal gelang
es , den Fortsaz mit den Fingern zu erheben , ein zweites Mal sah sich
Billard veranlasst, an der rechten Seite das Fortsazes einzuschneiden
und diesen mit einem stumpfen Haken hervorzuziehen. Das Verfahren
gelang.
5. Verrenkung des Beckens. Die Luxation oder eigentlich
Diastase der Beckenknochen kommt sowohl an der Symphysis ossium
p u b i s als an der Symphysis sacro-iliaca vor, und zwar kann die
Verrenkung entweder nur an einer dieser Symphysen bestehen , oder an
beiden zugleich , in welchem Falle man es mit der Luxation des Darm-
beins zu thun hat, oder es können endlich beide Symphyses sacro-
iliaca e verrenkt sein , was eine Verrenkung des Heiligbeins ergibt. —
a) Verrenkung der Schambeinsymphyse. — Symptome.
Heftiger Schmerz an der Symphyse, welcher durch die Bewegung des ent-
sprechenden Gliedes sehr vermehrt wird und sich dabei namentlich auch
an der Symphysis sacro-iliaca bemerklich macht , und ein leerer
Zwischenraum in der Gegend der Schambeinsymphyse , welcher je nach
dem Abstände der Schambeine grösser oder kleiner ist, und diesem nach
1 — 4 Zoll betragen kann. — Ursachen. Sie bestehen in einer Ge-
walt , welche die Schambeine von einander entfernt • zweimal wurde die
Verrenkung zu Pferde erzeugt, durch ungestüme Sprünge des Thiers.
Die Zerreissung der Symphysen in Folge schwerer Geburten s. unten. —
Die Prognose hängt von den Complicationen ab ; fehlen diese (welche
unter andern in einer Zerreissung der Urinblase bestehen können), so ist
Heilung zu hoffen. — Reposition und Retention. Man hält die
Schambeine mittels eines fest um das Becken geführten Gurts an einander
geschlossen und lagert die untern Gliedmassen, nachdem auch die Kniee
durch eine Binde vereinigt sind , auf eine aus Kissen gebildete doppelt
geneigte Ebene. — Nachbehandlung. Sie muss den Umständen
angemessen, meist antiphlogistisch sein. — Die Heilung erfordert 2 bis
990 VERRENKUNG DES BECKENS.
3 Monate ; aus Vorsicht muss noch längere Zeit ein Leibgürtel getragen
werden. — b) Verrenkung der Symphysis sacro-iliaca. —
Symptome. Grosse Beweglichkeit des entsprechenden Darmbeins mit
Krachen, sowohl bei Druck auf dieses als auch bei Bewegung des Schen-
kels , ein Abstand an der Symphyse , welcher den Finger einzulegen er-
laubt und Veränderung der Höhe der Spina posterior ossis ilei.
- — Die Ursachen sind directe Gewalten, ein Fall von einer beträcht-
lichen Höhe auf eine Seite des Beckens , oder das Auffallen einer schwe-
ren Last auf dieses. — Prognose. Sie ist nicht zu sehr bedenklich.
Von 5 Subjecten wurden 4 wiederhergestellt. — Behandlung. Sie
muss hauptsächlich in der Bekämpfung der Zufälle bestehen. Um das
Becken wird ein breiter Leibgürtel gelegt, der auch nach der Heilung,
welche etwa 2 Monate in Anspruch nimmt , noch längere Zeit getragen
werden muss. — c) Verrenkung des Darmbeins in seinen
beiden Symphysen zumal. — Symptome. Bei dem Zufall
wird nicht selten ein Krachen vernommen ; das erste objective Zeichen ist
Anschwellung und Ecchymose ; das correspondirende Glied' erscheint ver-
kürzt, zuweilen mit auswärts gekehrtem Fusse, ein einfacher Zug stellt
aber eine gute Stellung des Fusses wieder her. Dieser Zug veranlasst
bisweilen ein Krachen, ebenso die Beugung des Schenkels ; ein Druck auf
die Symphysen oder die Darmbeingräte bringt Beweglichkeit in dem Kno-
chen hervor, welcher auch höher steht, als der der andern Seite, manch-
mal sogar eine Neigung zeigt, so dass der Sizbeinhöcker der Mittellinie
sich nähert. — Diese Verrenkung wurde mit einem Schenkelhalsbruch
verwechselt ; noch mehr hat man sich aber vor einer Verwechslung mit
einem doppelten Bruche des Beckens zu hüten. — Ursachen. Sie
sind heftige directe Gewalten , welche hier ebenso gut von vorn als von
hinten oder selbst auf die Seite wirken können; meistens sind es schwere
Lasten, welche auf das Becken auffallen, doch auch ein Sturz von einer
Höhe. — Die Prognose ist bedenklich ; die äussere Gewalt erschöpft
sich selten an dem Scelette und bringt noch andere tödtliche Verlezun-
gen hervor. Brüche sind nicht selten gleichzeitig zugegen. Die Be-
handlung beruht auf denselben Indicationen , wie bei den vorherge-
henden Luxationen. — d) Verrenkung des Heiligbeins. Dieser
Knochen kann nach vorn und nach unten luxiren. — Symptome. Bei
der Luxation nach vorn bemerkt man ein starkes Hervortreten des Darm-
beins nach hinten und daher eine grössere Tiefe der Darmbein - Heilig-
beinrinne. Ein Druck in entgegengesezter Richtung auf den vordem
Theil der beiden Darmbeingräten lässt eine grosse Beweglichkeit und eine
deutliche Crepitation wahrnehmen. — Bei der Luxation nach unten,
über welche nur ein , durchaus nicht bis zur Gewissheit constatirter Fall
bekannt ist , wird Schmerz in den hintern Beckensymphysen , Aufsteigen
der Darmbein gräten über die Höhe der lezten falschen Rippen , tieferes
Herabsteigen des Steissbeins, Verwischung der Gesässfalten und vollkom-
VERRENKUNG DES BECKENS. 991
mene Paraplegie namhaft gemacht. — Ursachen. Directe auf das
Kreuzbein einwirkende Gewalten , Ueberfahren mit einem schwer belade-
nen Wagen , Fall von einer bedeutenden Höhe , heftiger Schlag auf das
Kreuzbein. — Eine Einrichtung wurde nicht versucht ; die meisten Ver-
lezten kamen davon ; einer (bei der Verrenkung nach unten) mit bleiben-
der Lähmung. — e) Verrenkung der drei Symphysen oder
der drei Knochen zumal. Diese Verrenkung , welche nur durch
die Einwirkung ungeheurer unmittelbar auftreffender Gewalten möglich,
endete der anderweitigen bedeutenden Verlezungen wegen in allen bekann-
ten Fallen mit dem Tode. — f) Verrenkung des Steissbeins.
Dieser Knochen kann nach innen und nach aussen luxiren ; in der neue-
sten Zeit wurde von Röser auch eine Verrenkung auf die Seite beobach-
tet. — Symptome. Bei der viel häufigeren Luxation nach innen
oder vorn findet sich ein ausserordentlich heftiger Schmerz , welcher
durch die geringste Bewegung vermehrt ist , schmerzhaftes Drängen auf
den Mastdarm und die Blase und das Gefühl eines fremden Körpers in
dem Mastdarm. Bei der Luxation nach aussen oder hinten kann
der Kranke nicht sizen. — Die Untersuchung durch den Mastdarm, wo-
bei man aber sehr tief eingehen muss , lässt die Verlezung leicht erken-
nen. — Ursachen. Die Verrenkung nach innen wird durch Ein-
wirkungen von aussen , einen Fall auf vorspringende Gegenstände mit
dem Hintern , einen Schlag auf diesen , einen Stoss von einem sezenden
Pferde, die nach aussen durch schwere Geburten und harte Fäcalmassen
beim Stuhlgang veranlasst. — Prognose. Wird die Luxation erkannt
und eingerichtet, so ist die Prognose gut, wo nicht, so kann Vereiterung,
Caries und Necrose die Folge sein. — Reposition. Bei der Luxation
nach innen wird der Knochen mittels eines in den Mastdarm eingeführ-
ten Fingers nach aussen gedrückt, während eine Hand aussen flach auf-
gelegt wird ; bei der Verrenkung nach aussen genügt ein Druck mit der
Hand auf die äussere Fläche zur Einrichtung. — Retention. Bei
der Verrenkung nach innen bedarf es häufig keines Verbandes , nur
wenn der Knochen sich immer wieder dislocirt, was zuweilen vorkommt,
ist es nöthig, einen fremden Körper, Kork u. dgl. in den Mastdarm ein-
zubringen. Bei der Luxation nach aussen legt man eine graduirte Com-
presse auf und befestigt dieselbe mit einer T-Binde. — Nachbehand-
lung. Man gibt dem Kranken eine Seitenlage oder sezt ihn auf einen
gepolsterten Ring, sorgt für dünne Leibesöffnung und leitet bei entzünd-
lichen Zufällen ein antiphlogistisches Verfahren ein. — g) Zerreis-
sung der Symphysen bei der Entbindung. Die Sprengung
der Symphysen betrifft anfänglich meistens die Schambeinsymphyse und
pflanzt sich von da fast unvermeidlich auf die Symphyses sacro-
i 1 i a c a e fort. Die lezteren sind indessen manchmal isolirt gesprengt.
— aa) Zersprengung der Schambeinsymphyse. — Sym-
ptome. Das erste Zeichen ist ein Krachen, welches zuweilen von den
992 VERRENKUNG DES SCHLUESSELBEINS.
Umstehenden vernommen wird; diesem Krachen folgt bald ein örtlicher
Schmerz , worauf sich eine sehr beträchtliche Beweglichkeit der beiden
Seiten des Beckens bemerklich macht. Zuweilen reisst das Mittelfleisch
und der vordere Theil der Scheide ein. — Ursachen. Der Zufall
entsteht , wie bemerkt , bei schweren Entbindungen , bedingt durch ein
Missverhältniss zwischen dem Umfange des Kopfs und den Beckendurch-
messern. Da aber diese Verhältnisse oft bestehen, ohne dass sich dieser
Zufall ereignete , so muss noch eine andere Prädisposition angenommen
werden , welche wahrscheinlich in einer Erschlaffung der Symphysen be-
steht. — Prognose. Sie ist immer bedenklich wegen der Complica-
tionen, welche der Puerperalzustand und manchmal auch die Erschöpfung
einer langen Geburtsarbeit zur Folge hat. Peritonitis , Entzündung der
Symphysen und Abscesse sind zu fürchten. Die Behandlung besteht
zuerst in dem möglichsten Zusammenrücken der von einander gewichenen
Knochen mit den Händen, hernach in der Erhaltung der Annäherung wäh-
rend der zur Consolidation erforderlichen Zeit. Hierzu dient ein breiter
um das Becken geschnürter Gürtel und zu grösserer Sicherheit auch das
Zusammenbinden der Kniee. Zur Consolidation sind 4 — 6 Wochen er-
forderlich. — bb) Zerspreng ung der Symphyses sacro-ilia-
cae. Krachen, Schmerz und Beweglichkeit sind auch hier die Symptome,
auch die Ursachen sind dieselben , wie bei der vorigen Form , dagegen
scheint dieser Zufall weniger bedenklich, als diese , indem alle davon be-
fallenen Kranken geheilt wurden. Die Behandlung besteht ebenfalls in
der Anlegung eines passenden und lange getragenen Gürtels.
6. Verrenkung des Schlüsselbeins. Man unterscheidet
eine Verrenkung des Sternalendes und eine Verrenkung des Acro-
mialendes des Schlüsselbeins. Ersteres kann nach vorn, nach oben
und nach hinten, lezteres nach oben, über das Acromion, nach unten
und hinten unter das Acromion und nach unten und vorn, unter den
Processus coracoideus verrenkt werden. — a) Verrenkung
des Sternalendes. — Symptome. Bei der Verrenkung nach
vorn, welche die häufigste ist, bemerkt man eine Hervorragung auf dem
obern Theil des Brustbeins, welche verschwindet, wenn man die Schulter
nach aussen drückt ; die Schulter steht tiefer und mehr nach innen , der
Kopf des Kranken ist nach der verlezten Seite geneigt und die Bewegun-
gen des Arms sind erschwert und schmerzhaft. Zuweilen ist die Luxation
unvollständig, d. h. der Knochen verlässt sein Gelenk nicht ganz und ragt
nur wenig hervor. — Bei der Luxation nach oben steht das luxirte Ende
der Mittellinie des Körpers näher und etwas höher, als das der andern
Seite und die Schulter tiefer und vorwärts geneigt. — Bei der Luxation
nach hinten ist der Kopf nach der Seite der Luxation geneigt, die
Schulter erhöht und nach vorn und innen gebracht ; am Sternalende fühlt
man eine Vertiefung, in welcher der Finger die leere Gelenkhöhle erken-
nen kann ; dabei sind zuweilen bedeutende Beschwerden im Athemholen
VERRENKUNG DES SCHLÜESSELBEINS. 993
und Schlingen zugegen. — Ursachen sind Gewalten, welche die Schul-
ter seitwärts oder von vorn treffen. — Das Schlüsselbein bricht übrigens
leichter als es luxirt. — Prognose. Sie Ist nicht sehr bedenklich ;
selbst nicht eingerichtet , erlaubt die Luxation die Wiederkehr der Be-
wegungen. Die Luxation nach hinten lässt sich leichter eingerichtet er-
halten als die nach vorn, welche deshalb selten ohne Deformität zu heilen
ist ; auch bei der Luxation nach vorn lässt sich der luxirte Knochen nur
schwer an seinem Plaze erhalten. — Reposition. Diese ist bei allen
diesen Luxationen leicht. Bei der Luxation nach vorn zieht man die
Schulter nach aussen oder nach aussen und hinten und drückt mit dem
Daumen den luxirten Kopf in seine Höhle zurück ; bei der nach oben
zieht man die Schulter nach aussen und oben und drückt das Schlüssel-
bein von oben nach unten ; bei der nach hinten muss die Schulter nach
aussen und hinten gezogen werden. — Retention. Die Stellung der
Schulter, in welcher die Einrichtung vollzogen wurde, muss fixirt werden.
Dies geschieht bei sämmtlichen Luxationen des Sternalendes des Schlüs-
selbeins mittels des D esault 'sehen Verbandes für den Schlüsselbein-
bruch, oder besser der B o y e r ' sehen Modifikation desselben (s. Knochen-
brüche). Bei der Luxation nach vorn fügt man demselben noch eine ge-
polsterte erweichte Schiene von Pappe oder Gutta percha bei , die man
mit Bindentouren befestigt. Melier und H e c k e r halten das luxirte
Knochenende mit einer Pelotte nieder, welche mit einer Feder in Verbin-
dung steht , die auf dem Rücken ihren Stüzpunkt hat. Dabei befestigt
H e c k e r die auf der gesunden Schulter ruhende Hand mit Mayor's
Taschentuchverband. Eine ähnliche Stellung gab Velpeau dem Arme
der leidenden Seite bei der Luxation nach oben. — Der Verband muss
4 bis 6 Wochen getragen werden. — b) Verrenkung des Acro-
mialendes. — Symptome. Bei der Verrenkung über das Acro-
m i o n. Das äussere Ende des Schulterendes des Schlüsselbeins macht
einen starken Vorsprung über dem Achselstumpfe, der nach unten durch
eine sehr merkliche Vertiefung, welche ihn vom Acromion scheidet, be-
grenzt ist ; dadurch erscheint der Arm, wie die vordere und hintere Wand
der Achselhöhle verlängert ; der Arm hängt am Stamme herab , der Kopf
ist nach der kranken Seite geneigt und die willkürlichen Bewegungen,
vorzüglich die Erhebung , sind durch den Schmerz gehindert. Bei einer
unvollständigen Luxation dieser Art kann sich der Vorsprung dem Auge
entziehen, beim Befühlen indessen , wenn man mit dem Finger längs des
Schlüsselbeins von innen nach aussen hinfährt, ist man sicher, dem Vor-
sprunge dieses Knochens zu begegnen, ebenso, wenn man die obere Fläche
des Acromion durchläuft. — Bei der viel selteneren Verrenkung unter
das Acromion fühlt man die Spize dieses leztern deutlich und daneben
eine Vertiefung ; die Schulter hat ihre runde Form verloren und ist dem
Brustbein genähert ; die Bewegungen des etwas länger gewordenen Arms
sind sehr eingeschränkt , aber passive Bewegungen sind möglich. — Bei
Burger, Chirurgie. 63
994 VERRENKUNG DES OBERARMS.
der Luxation unter den Rabenschnabelfortsaz zeigt sich, neben
einem mehr oder minder heftigen Schmerz in der Regio coraco-
a c r o m i a 1 i s und einer bedeutenden Ecchymose, eine Vertiefung an der
gewöhnlichen Stelle des Schlüsselbeins und wenn man auf diesem mit dem
Finger hinfahrt , so findet man es nach unten und aussen geneigt und
sein Acromialende in der Achselhöhle untergebracht ; der Processus
coracoideus und das Acromion erscheinen frei und unter der Haut
vorspringend ; die Schulter ist nach vorn und unten geneigt und der am
Rumpfe herabhängende Arm kann leicht nach allen Richtungen, ausge-
nommen nach oben und innen, hingeführt werden. — Ursachen. Ge-
wöhnlich werden diese Luxationen durch einen Fall auf die Schulter ver-
anlasst, wodurch diese nach unten und hinten gedrängt wird. Bei der
Luxation unter das Acromion ist es eine gerade von oben nach unten wir-
kende Gewalt, welche sie hervorbringt. — Prognose. Sie ist im All-
gemeinen nicht sehr bedenklich, selbst bei der nicht eingerichteten Luxa-
tion. Eine vollkommene Heilung wird niemals erlangt. ■ — Reposition.
Die Schulter wird stark nach hinten und aussen gezogen und dann das
Acromialende des Schlüsselbeins , je nachdem es über oder unter das
Acromion getreten ist , niedergedrückt oder erhoben ; lezteres geschieht
auch , wenn es sich unter dem Rabenschnabelfortsaze befindet. — Re-
tention. Man legt den Schlüsselbeinbruchverband von Des ault an, dem
man je nach der Abweichung eine Compresse über oder unter der Clavi-
cula beifügt. Um das aufgestiegene Ende des Schlüsselbeins niederzu-
halten, wandte man das Petit' sehe Turniket an. Malgaigne bedient
sich mit Vortheil eines festen Bandes von der Breite und Dicke der Hosen-
träger, welches unter dem Ellbogen angelegt wird; das vordere mit einer
Schnalle versehene Ende steigt bis zur Höhe der Brust hinauf, das andere
erreicht die Schulter von hinten , läuft über das Schlüsselbein weg und
verbindet sich mittels der Schnalle mit dem vordem Ende. Zur Siche-
rung am Ellbogen erhält das Band daselbst eine Ellipse. Wo es drückt,
werden Compressen angelegt. — Der Verband darf erst nach Beseitigung
der hier gewöhnlich auftretenden entzündlichen Erscheinungen angelegt
werden. — Zur Consolidation des Gelenks werden 3 0 Tage erfordert.
7. Verrenkung des Oberarms. Gewöhnlich nimmt man
drei Grundformen von Verrenkungen des Oberarms an : nämlich a) nach
unten in die Achselhöhle , b) nach vorn unter das Schlüsselbein , und c)
nach hinten^neben das Schulterblatt. Malgaigne fügte in der neue-
sten Zeit diesen drei Formen noch eine vierte bei, nämlich nach oben, wo
der Oberarmkopf über das Ligamentum acromio-coraeoideum
luxirt ist. — a) Verrenkung nach unten, Luxatio axillaris.
Je nach dem höhern oder tiefern Stande des Gelenkkopfs unterscheidet
Malgaigne eine Lux. subcoraeoidea und subglenoidea. —
Symptome. Die Schulter steht tiefer, ist abgeflacht, das Acromion
bildet einen Vorsprung, unter demselben fühlt man eine tiefe Lücke und
VERRENKUNG DES OBERARMS. 995
in der Achselhöhle eine kugelige Erhabenheit von dem ausgewichenen
Gelenkkopfe ; der Arm ist etwas im Ellbogen gebogen, verlängert und et-
was nach hinten gerichtet ; er kann nur wenig nach aussen bewegt wer-
den. Durch Druck des Kopfes auf den Plexus brachialis entsteht
nicht selten Einschlafen und Pelzigsein der Finger. — Als unvollständige
Luxation bezeichnet man es , wenn der Gelenkkopf die Cavitas g 1 e -
n o i d a 1 i s nur theilweise verlässt. — b) Verrenkung nach vorn
oder innen, Luxatio subscapularis. Der Gelenkkopf weicht bei
dieser Luxation gerade vorn über den Rand der Cavitas glenoidalis
auf die vordere Flache (F o s s a) der Scapula und kommt gewöhnlich an
die innere Seite des Processus coracoideus zu stehen (Lux. i n -
tracoracoidea); in sehr seltenen Fällen nähert er sich mehr oder
weniger dem Schlüsselbein (Lux. subclavicularis). — Sym-
ptome. Der äussere Habitus dieser Luxation unterscheidet sich nur
durch den höhern Stand des Gelenkkopfs von der ähnlichen Axillarluxa-
tion. So zeigt sich ein Vorspringen des Acromion, eine Vertiefung dar-
unter, der Ellbogen steht meistens nach aussen, ist jedoch dem Stamme
mehr genähert als bei der vorigen Luxation ; der Arm hat bald seine nor-
male Länge, bald ist er verkürzt, bald verlängert, nicht selten etwas nach
einwärts gedreht ; die mitgetheilten Bewegungen sind fast ebenso leicht,
die willkürlichen ebenso gehemmt , wie bei jener. Zuweilen steht der
hintere Rand des Schulterblattes nach aussen. Das Hauptunterscheidungs-
zeichen ist aber das Fehlen des Gelenkkopfs in der Achselhöhle , welcher
dagegen unter dem Schlüsselbeine eine Wölbung bildet. — c) Verren-
kung nach oben, Luxatio supracoracoidea. Bei dieser nur
ein einziges Mal von M a 1 g a i g n e beobachteten Luxation stand der
Kopf an dem innern Rande des Acromion , bedeckte den Processus
coracoideus und grenzte nach oben an die innere Seite des Schlüssel-
beins und erhob den Deltoideus. Der Arm zeigte l1^ Linien Verkür-
zung, Bewegungen waren sehr schwierig. — d) Verrenkung nach
hinten oder aussen, Luxatio infraspinata. Malgaigne
unterscheidet eine Lux. s üb a er omialis , bei welcher sich der Ober-
armkopf hinter dem untern Winkel befindet, und eine Lux. infra-
spinata, wo er sich unter die Gräte des Schulterblatts gelagert hat. —
Symptome. Die Schulter ist abgeplattet , nach vorn ausgehöhlt, die
Acromionspize ragt hervor , der vordere Rand der Achselhöhle ist nach
hinten geworfen, so dass die Brust auf dieser Seite breiter erscheint ; der
Gelenkkopf bildet je nach seiner Stellung nach aussen und hinten ent-
weder unter der hintern Ecke des Acromion oder in der Fossa infra-
spinata eine Erhabenheit. Der Arm ist mehr oder weniger verlängert
und schief von hinten und oben nach vorn und unten gerichtet ; der Ell-
bogen kann nicht nach hinten gebracht werden. — U r Sachen. Die
Construction des Schultergelenks , als das freieste am Körper , bildet bei
jedem Menschen gleichsam eine Anlage zu Luxationen und besonders ist
63*
996 VERRENKUNG DES OBERARMS.
es der untere Theil der Gelenkhöhle , welcher schon bei geringfügigen
Veranlassungen das Austreten des Kopfes zulässt, da hier die Gelenkkap-
sel fast allein den Kopf in seiner Lage erhält ; es ist deshalb auch die
Luxation nach unten die am häufigsten vorkommende. — Fast bei
jeder Verrenkung zerreisst die Kapselmembran ; eine höchst seltene Aus-
nahme hiervon findet nur bei sehr bedeutender Kapselerschlaffung und
Muskelatrophie, besonders wenn sich der Kopf nicht weit von seiner Höhle
entfernt, statt. — Die Gelegenheitsursachen sind starke Muskelanstren-
gungen beim Heben etc., directe mechanische Gewalten, welche den Ober-
arm oder die Schulter treffen , die häufigsten ein Fall auf die Hand oder
den Ellbogen bei ausgestrecktem und abducirtem Arme. — Die Richtung,
welche der Kopf bei seinem Austritte einschlägt , hängt in der Regel von
der zufälligen Stellung des Gliedes ab, welche dasselbe im Augenblicke
der einwirkenden äussern Gewalt inne hat. — Prognose. Ist die Ver-
renkung frisch und nicht complicirt , so ist die Prognose günstig , da die
Einrichtung dann meistens leicht bewerkstelligt werden kann ; hat die
Verrenkung dagegen schon Wochen oder Monate lang gedauert, und sich
ein neues Gelenk zu bilden angefangen , so kann man keine Heilung ver-
sprechen, da die Einrichtung entweder sehr gefährlich oder ganz unmög-
lich ist. — Reposition. Die Einrichtung des luxirten Oberarms kann
entweder durch einen Zug nach der Achse des Körpers nach unten, oder
in einem rechten Winkel mit der Längenachse des Körpers oder in der
Richtung des Körpers nach oben ins Werk gesezt werden. Bei der Aus-
dehnung des Gliedes gerade oder schief nach unten sezt der
Wundarzt nach A. C o o p e r dem liegenden Kranken die eine Ferse in
die Achselhöhle der leidenden Seite und macht die Extension mit einem
über dem Ellbogengelenk umgelegten Handtuche. Ein anderes Verfahren
von A. Cooper besteht in Folgendem: er stemmt sein Knie indieAxilla,
während sein Fuss auf des Kranken Stuhl steht, erhebt dann das Knie
durch Strecken des Fusses und drückt zu gleicher Zeit das Acromion mit
der rechten Hand nach unten und innen. In ähnlicher Weise kann die
Extension über der gepolsterten Lehne des Stuhls, auf welcher der Kranke
sizt, gemacht werden. Richerand legt dem auf einem Stuhle sizenden
Kranken die Mitte eines grossen zusammengelegten Tuches unter der
Achselhöhle der kranken Seite an, führt die Enden desselben hinten und
vorn schräg über die Brust und übergibt sie zwei Gehülfen. Ein zweites
Tuch wird quer über die Schulterhöhe gelegt, seine Enden nach der ent-
gegengesezten Seite geführt und zwei Gehülfen übergeben. Ein weiterer
Gehülfe drückt in der Richtung von oben nach unten auf das Acromion
und fixirt zugleich den mittlem Theil des auf der Schulter ruhenden
Tuches. Nachdem so der Rumpf und das Schulterblatt durch diese zur
Gegenausdehnung bestimmten Tücher fixirt sind , schlingt man um das
Handgelenk eine Serviette herum, so dass sie sich kreuzt und übergibt sie
der nöthigen Anzahl von Gehülfen. Der Wundarzt stellt sich an die
VERRENKUNG DES OBERARMS. 997
Aussenseite des kranken Arms ; die Gehülfen ziehen in der schrägen Rich-
tung, welche der Knochen durch die Luxation erhalten hat , aber auf ein
Zeichen des Wundarztes führen sie den Arm in seine natürliche Richtung
zurück , während ersterer den Kopf des Humerus zu heben sich bemüht.
Ist der Kopf frei gemacht , so führen die Gehülfen unter fortwährender
Ausdehnung den Ellbogen nach ein- und vorwärts. — Bei der Ausdeh-
nung des Gliedes horizontal auswärts wird die Contraextension
auf die eben angegebene Weise bewerkstelligt. Behufs der Extension
legt man über dem Ellbogen des im rechten Winkel vom Körper abbe-
wegten Arms eine Schlinge an , an welcher zwei Gehülfen zuerst in der
Richtung , welche der Arm in Folge der Dislocation angenommen hat,
ziehen, bis der Gelenkkopf beweglich geworden ist, worauf dem Arme die
gerade Stellung beim Zuge gegeben wird , und der Wundarzt dann den
Gelenkkopf dadurch einzurichten sucht , dass er ihn von seiner anomalen
Stelle aus nach dem untern Rande der Gelenkhöhle einen Bogen beschrei-
ben oder eine rotirende Bewegung ausführen lässt. In dem Augenblicke,
wo der Kopf den Rand der Pfanne berührt , muss die Extension nach-
lassen Am leichtesten gelingt die Einrichtung, wenn man den Arm in
eine senkrechte Stellung bringt und die Ausdehnung dann gerade nach
oben ins Werk sezt ; in dieser Stellung sind alle Muskeln erschlafft,
welche der Reduction am meisten hinderlich sein können (Deltoideus,
Supra- und In fr a spinatus) und es wird das Anstemmen des Kopfs
an den Rand der Gelenkhöhle vermieden, Dieses Verfahren kommt bei der
M o t h e'schen Methode in Anwendung, welche nach der Modifikation v. R u s t
und A. L.Richter folgendermassen ausgeführt wird : der Kranke sizt auf
<lem Boden, ein an der gesunden Seite des Kranken knieender Gehülfe
umfasst mit beiden gefalteten Händen die kranke Schulter und drückt sie
nach unten , ein zweiter fasst das Glied mit beiden Händen am Handge-
lenke, zieht es an, um es auszustrecken, dann erhebt er den Arm allmälig
immer höher gegen den Kopf, bis er gerade in die Höhe steht, worauf er
eine stärkere Extension macht , als ob er den Kranken am Arme vom
Boden aufheben wollte, während der Wundarzt mit seinen beiden Daumen
den Gelenkkopf in die Pfanne zurückdrückt. — Ohne Gehülfen stemmte
Mothe seinen einen Fuss auf die kranke Schulter des liegenden Krän-
zen , bewegte den Arm nach oben , bis er mit der Längenachse des Kör-
pers eine parallele Richtung hatte und extendirte dann kräftig am Hand-
gelenke. Nach der Einrichtung muss der Arm vorsichtig herabgeführt
werden. — Von der vollführten Einrichtung überzeugt uns , neben dem
eigenthümlichen Geräusche und dem Rucke, mit welchem der Gelenkkopf
in seine Höhle eintritt, das Aufhören der Schmerzen, die natürliche Form
des Gelenks und die freie Beweglichkeit des Arms nach allen Richtungen.
— Hat die Luxation längere Zeit bestanden und lässt sich der Arm wegen
schon vorhandener Pseudoproducte nicht auf gewöhnliche Weise feduci-
ren, so wendet man nach vorausgegangenen Bewegungen des Arms nach.
998 VERRENKUNG DES VORDERARMS.
verschiedenen Riehtungen, erweichenden Einreibungen, Bädern etc. , den
Flaschenzug an. Dies geschieht auf folgende Weise : der Kranke sizt
auf einem Stuhle, die Schulter wird durch einen Retractor fixirt und die-
ser in einen an der der gesunden Seite zugekehrten Wand befestigten
Haken eingehängt , die Extensionsbinde über dem Ellbogen angelegt
und durch Bänder mit dem an der entgegengesezten Wand befestigten
Flaschenzuge verbunden. Die Extension , welche in der Richtung ge-
macht wird, die der Arm in Folge der Dislocation hat, geschieht allmälig,
indem man den erlangten Grad von Ausdehnung immer einige Zeit erhält.
Hat sie den gehörigen Grad erreicht , so sezt der Wundarzt sein Knie in
die Axilla, sezt den Fuss auf den Stuhl und hebt und drückt den Gelenk-
kopf ganz sanft in die Gelenkhöhle, was im Augenblicke, wo man die Ex-
tension nachlässt, gewöhnlich ohne Schnappen geschieht. — Sehr wider-
strebende Muskeln und Sehnen kann man subcutan durchschneiden. —
Obgleich es Beispiele gibt , dass veraltete Luxationen nach langer Zeit
ihres Bestehens , selbst noch nach einem Jahre , eingerichtet wurden , so
ist doch räthlich, die Reduction bei allen über 2 bis 3 Monate alten Ver-
renkungen zu unterlassen. — Retention. Die Neigung zu Recidiven
bekämpft man am besten durch Ruhe des Gliedes nach der Reposition,
weshalb man den Arm mehrere Wochen in einer Mitelle tragen lässt und
ihn ausserdem noch durch ein Tuch am Körper befestigt. — Die Nach-
behandlung besteht in der Bekämpfung der Entzündung , späterhin
der Muskelsteifigkeit ; bei einem zurückbleibenden paralytischen Zustande
des Arms zieht man flüchtige Einreibungen, Douchen, Vesicantien,Moxen
etc. in Gebrauch. — Für habituelle Verrenkungen besizen wir besondere
mechanische Vorrichtungen , welche die Erhebung des Arms erschweren
oder während der Erhebung einen Druck auf die untere Wand der Ge-
lenkkapsel ausüben. Eine solche Vorrichtung hat Steinmetz angegeben.
8. Verrenkungen des Ellbogengelenks oder des
Vorderarms. Man unterscheidet die Verrenkung beider Vorderarm-
knochen vom Humerus und die isolirte Verrenkung des Radius und der
Ulna. — A. Verrenkung beider Vorderarmknochen im Ell-
bogengelenke. Die Verrenkung kann hier nach hinten, nach
vorn, nach aussen, nach innen vor sich gehen , ferner können beide
Knochen nach verschiedenen Richtungen abweichen. — a) Verrenkung
nach hinten. Diese Luxation ist. die häufigste und kommt für sich
öfter vor, als die übrigen Vorderarmluxationen zusammengenommen. —
Symptome. Der Arm befindet sich in halber Beugung und ist ver-
kürzt ; das Olecranon macht hinten einen starken Vorsprung ; in der Arm-
beuge fühlt man das untere Ende des Humerus als einen queren Knochen-
vorsprung und die Sehne des Muse, bieeps ist sehr gespannt ; die will-
kürlichen Bewegungen sind beinahe aufgehoben , die mitgetheilten haben
dagegen eine ziemlich grosse Ausdehnung. — Eine unvollständige
Luxation nach hinten soll nach Malgaigne häufiger vorkommen , als
VERRENKUNG DES VORDERARMS. 999
die vollständige. Der Arm ist bei dieser Luxation, bei welcher sich der
Processus coronoideus an die Trochlea anstemmt , von gleicher
Länge, wie auf der gesunden Seite, oder sogar ein wenig länger, nur unbe-
deutend gebeugt ; das Olecranon springt nach hinten vor, erreicht weit nicht
die Hohe des innern Condyls , während es bei der vollständigen Verren-
kung beträchtlich höher steht als dieser ; als ein pathognomonisches Zeichen
ist nach Malgaigne der unvollständige Vorsprung des Radius nach
hinten anzusehen , dessen becherförmige Gelenkfläche unter der Haut ge-
fühlt werden kann. — Ursachen. Sie bestehen meist in einem Fall
auf die Handfläche bei ausgestrecktem Arme, wodurch dieser in eine
übermässige Streckung versezt wird; andere Male scheint eine Ver-
drehung des Vorderarms in der Supination die Luxation hervorzubringen.
— Prognose. Sie hat nichts LTngünstiges , wenn die Luxation frisch
ist ; die Einrichtung erfolgt leicht und das Gelenk erhält bei einer gut
geleiteten Behandlung die Bewegungen ziemlich leicht wieder ; nach
4 — 6 Wochen Bestand aber ist die Einrichtung sehr in Frage gestellt.
— Reposition. Ein Gehülfe umfasst den Oberarm nahe über dem
Ellbogen behufs der Contraextension , ein anderer extendirt mit der
linken Hand den gebogenen Arm über dem Handgelenke und drückt mit
der rechten auf den obern Theil der Volarfläche des Vorderarms , der
Wundarzt selbst treibt während dieser Extension das Olecranon mit
beiden Daumen abwärts. Eine kräftige Extension kann auch ausge-
führt werden, wenn man das Ellbogengelenk über dem Knie beugt, womit
man das Abwärtstreiben des Olecranon verbindet. Ein anderes Verfahren
ist , den gestreckten Arm stark zu extendiren , dann einen Druck von
hinten auf das Gelenk anzubringen und darauf eine rasche Flexionsbe-
wegung auszuführen. — Retention. Man bringt den Vorderarm in
einen etwas grösseren als rechten Winkel zum Oberarm und erhält ihn in
dieser Stellung durch eine Schlinge; in schweren Fällen legt man den Arm
auf ein Spreukissen. Nachbehandlung. Diese richtet sich nach
den Umständen. Zur Verhütung von Gelenksteifigkeit müssen dem Arme
nach 3 bis 5 Tagen leichte Bewegungen mitgetheilt werden. — b) Ver-
renkung nach vorn. Diese Luxation kommt entweder m i t oder
ohne Bruch des Olecranon vor. — Symptome. Ist das Olecranon
unversehrt , so befindet sich der Arm in leichter Bewegung und ist , je
nachdem die Spize desselben auf der Humerusrolle stehen geblieben oder
vor diese gerückt ist , bedeutend (um 1 Zoll) verlängert oder etwas ver-
kürzt ; in der Armbuge macht der Kronenfortsaz und der Radiuskopf
einen ziemlichen Vorsprung; die Fossa olecrani ist leer und die
Gelenkfläche des Humerus tritt nach hinten hervor. Flexion und Exten-
sion sind beschränkt. — Bei gleichzeitigem Bruche des Olecranon ist
der Arm leicht gebeugt , supinirt und stark verkürzt ; das Olecranon be-
findet sich an seinem Plaze , ist aber sehr beweglich ; in der Armfalte
liegt eine harte Geschwulst, welche von dem nach vorn getretenen Ra-
1000 VERRENKUNG DES VORDERARMS.
dius, so wie von dem untern Bruchstücke der Ulna gebildet wird. — Ur-
sachen. Ein Fall auf das Olecranon bei gebeugtem Arme. — Pro-
gnose. Troz der fast totalen Zerreissung der Gelenkbänder ist die
Prognose doch nicht ungünstig; in mehreren Fällen konnten die Kranken
ihren Arm wieder wie früher gebrauchen. — Reposition. Man ex-
tendirt den Arm und beugt ihn dann rasch ; wo dies nicht ausreicht,
drückt man den Vorderarm nach ergiebiger Ausdehnung nach hinten.
Retention. Bei der Luxation ohne Bruch legt man den Arm in eine
Schlinge ; bei der mit Bruch ist die Einrichtung ohne weiteren Verband
nicht aufrecht zu erhalten (s. Knochenbruch). — Die Nachbe-
handlung ist die oben angegebene. — c) Verrenkungen nach
aussen oder innen. Diese Luxationen sind häufiger incomplet als
complet. Die nach aussen kommt öfter vor als die nach innen. —
Symptome. Bei der completen Luxation nach aussen bildet
der ganze verkürzte Arm eine Incurvation , deren Convexität sich an der
Radialseite befindet ; der Vorderarm ist etwas gebeugt , pronirt , abge-
flacht und adducirt. Das Olecranon bildet einen starken Vorsprung nach
hinten, steht aber dem äussern Condylus näher, eben so der Processus
coronoideus. Die Fossa olecrani ist leer. An der äussern Seite
des Gelenks fühlt man das Capitulum radiials eine Hervorragung ;
der innere Condylus und der innere Rand der Trochlea treten stark hervor.
Die Sehne des Triceps ist unter der Haut erhoben, angespannt und läuft
schief nach aussen. Die leichtesten Bewegungen sind schmerzhaft. —
Die Zeichen der inco mpleten Luxation gleichen denen der completen,
nur sind sie weniger auffallend : der Arm ist verkürzt, der Kopf des Radius
steht nach aussen dicht neben dem Capitulum humeri, leichte Ex-
tensions- und Flexionsbewegungen sind möglich. — Bei der Luxation
nach innen findet das umgekehrte Verhältniss statt ; das Olecranon
und der Processus coronoideus sind gegen den innern Condylus
abgewichen, das Köpfchen des Radius hat den Plaz des Olecranon ein-
genommen und der äussere Condylus steht stark hervor. Die Bewegun-
gen im Ellenbogengelenk sind beschwerlich, beschränkt und schmerzhaft.
Ursachen. Die gewöhnlichste Ursache zu den Seitenluxationen ist ein
Fall auf die Hand ; der Arm wird hiebei hyperextendirt , umgeknickt und
nach der einen oder der andern Seite verdreht ; auch direkte Gewalten,
welche den fixirten Arm seitlich treffen, so wie heftige Verdrehungen
können sie hervorbringen. — Prognose. Die completen Luxationen
geben der ausgebreiteten Zerreissungen der Weichtheile wegen eine we-
niger gute Prognose , als die unvollständigen ; namentlich ist bei den
erstem auch die Zerreissung des Mediannerven zu fürchten. — Re-
p o s i t i o n. Man macht die Extension und Contraextension auf die ge-
wöhnliche Weise und schiebt die Knochen dann durch seitlichen Druck
oder Rotation , je nach der Richtung und Art der Verrenkung , über ein-
ander; gelingt es nicht auf diese Art, so bringt man den Vorderarm in
VERRENKUNG DES VORDERARMS. 1001
Hyperextension , drückt dann seitlich und flectirt den Arm rasch ; bei der
Unterposition von Weichtheilen biegt man den Vorderarm nach der Dor-
salflexion seitlich um. — Retention. Das Tragen des gebeugten
Arms in einer Schlinge reicht bei einfachen Fällen hin. Bei grosser Nei-
gung zu abermaliger Verschiebung müssen rechtwinklig gebogene Seiten-
schienen angelegt werden. — Nachbehandlung. Bei ausgedehnter
Quetschung und Zerreissung der Weichtheile muss der zu erwartenden
heftigen Entzündung kräftig entgegengewirkt werden. — d) Verren-
kung der Vorder armknochen nach verschiedenen Rich-
tungen. Bei dieser höchst seltenen Luxation tritt die Ulna nach hinten
und der Radius nach vorn ; einmal beobachtete man eine Verrenkung der
Ulna nach aussen und des Radius nach vorn und innen. — Symptome.
Der Vorderarm ist leicht gebeugt, verkürzt und in der Mittellage zwischen
Pro - und Supination. Das Olecranon steht hinten höher , nach innen
tritt die Trochlea , nach aussen das Capitulum hervor ; der Processus
coronoideus liegt in der Fossa olecrani, der Radiuskopf liegt
entweder nach vorn über dem Capitulum humeri oder befindet sich
in der Grube , die sonst der Kronenfortsaz einnimmt. Die Bewegungen
im Gelenke sind ganz aufgehoben. — Ursachen. Fall auf die Hand,
wobei wahrscheinlich eine Verdrehung statt findet. — Prognose. Sie
ist nicht so schlecht , als man nach den ausgedehnten Zerreissungen er-
warten sollte. Die Einrichtung bietet keine Schwierigkeiten dar. —
Reposition. Man bringt zuerst durch Extension die Ulna zurück
und reponirt dann durch Supination , Extension und Herabdrücken den
Radiuskopf. — Retention. Das Wiederaustreten des Radiuskopfs
verhindert man durch die Anlegung eines Schienen Verbandes. Die Nach-
b ehandlung muss der zu erwartenden Entzündung entgegenwirken. —
B. Isolirte Verrenkung der einzelnen Vorderarm-
knochen. Die Ulna kann allein nach hinten, der Radiuskopf nach
hinten, nach vorn und nach aussen luxiren. — a) Verrenkung
der Ulna. Diese Luxation ist immer unvollständig; der Processus
coronoideus befindet sich an der hintern untern Fläche der Trochlea.
— Symptome. Der Arm ist extendirt oder leicht flectirt , auffallend
pronirt , Extension und Flexion äusserst schmerzhaft , Pro - und Supi-
nation möglich ; der Ulnarrand des Vorderarms ist auffallend verkürzt,
■einwärts gekehrt und die Hand nach innen umgeschlagen. Die Trochlea
springt deutlich an der vordem Seite und das Olecranon mit* der Triceps-
sehne nach hinten hervor. — Ursachen. Fall auf die Hohlhand bei
ausgestrecktem Arme. Die Prognose ist günstig. — Reposition.
Man lässt den untern Theil des Oberarms fixiren und die Extension an
der in Supination gebrachten Hand machen, worauf der Wundarzt, wenn
die Ausdehnung zu dem erforderlichen Grade gediehen ist, den Arm
beugt und das Olecranon nach vorn drückt. — Retention. Man legt
den Arm gebeugt mehrere Wochen in eine Mitelle. — b) Verren-
1002 VERRENKUNGEN AM HANDGELENKE.
kung des R a d i u s k o p f s. — S y m p t o m e. a) Die Verren-
kung nach hinten. Der Vorderarm ist leicht gebeugt, die Hand
in mittlerer Pronation , der Radialrand verkürzt , der lladiuskopf wird
neben dem Olecranum gefühlt und die Hand kann nicht supinirt werden.
— ß) Die Verrenkung nach vorn. Der Arm ist leicht gebeugt,
stark pronirt, die Extension und Supination unmöglich, die Flexion geht
nur bis zum rechten Winkel , weil dann der lladiuskopf über dem Capi-
tulum anstösst ; nach aussen von der Gelenkfalte fühlt man den beweg-
lichen Radiuskopf. Die Radialseite des Vorderarms ist verkürzt , der
Vorderarm selbst abducirt und der Condylus internus tritt schärfer
hervor , als auf der gesunden Seite. Bei Kindern beobachtet man häufig
eine unvollständige Verrenkung nach vorn oder eine Subluxation
des Radiusköpfchens. Die Hand ist dabei pronirt, der Vorderarm leicht
gebeugt und gegen den Bauch angelegt oder auch gestreckt und zur
Seite herabhängend. Das ganze Glied ist unbeweglich und der Versuch
die Hand zu supiniren erregt die heftigsten Schmerzen. Der Kopf des
Radius wird selten entdeckt. — y) Die Verrenkung nach aussen.
Der leicht gebeugte und in Pronation befindliche Vorderarm kann nicht
extendirt und nur unvollkommen supinirt werden ; der Radiuskopf wird
nach aussen gefühlt. Fast immer ist ein Bruch des obern Endes der
Ulna mit dieser Luxation verbunden. — Ursachen. Sie sind direkte
Gewalten, welche den Radius allein treffen, auch übermässige Pro- und
Supinationsbewegungen des Vorderarms durch Fall , Verdrehung etc.
Die Subluxation des Radius entsteht meistens durch gewaltsames Ziehen
an der Hand , so bei Kindern , welche man , im Begriffe zu fallen , an
dem Handgelenke heftig zurückhält , oder wenn man sie vom Boden auf-
reisst, um sie eine Gosse überspringen zu lassen. — Prognose. Sie
ist nur in der Hinsicht nicht günstig , als sich bei diesen Luxationen
eine grosse Geneigtheit zu Recidiven zeigt. — - Reposition. Man ex-
tendirt den Vorderarm an dem Handgelenke mit der linken Hand und
reponirt das Capitulum radii durch Druck mit der rechten Hand,
während man den Vorderarm in Supination bringt. Die unvollkommene
Verrenkung nach vorn richtet sich häufig von selbst ein. G o y r a n d
empfiehlt , das kranke Gelenk mit der linken Hand zu umfassen , so dass
der Daumen vorn auf das Capitulum radii drückt , mit der rechten
Hand aber an der Hand des Kindes kräftig zu extendiren r dieselbe dann
in Supination zu stellen und in dieser , während man den Radius gleich-
sam nach hinten zurückstösst, den Vorderarm plözlich und vollständig
zu beugen. Das Köpfchen soll mit einem deutlichen Geräusch an seine
normale Stelle eintreten. — Retention. Man legt Compressen,
Schienen und Binden an und lässt den Arm gebeugt mehrere Wochen
in einer Schlinge tragen.
9. Verrenkungen am Handgelenke. Diese betreffen
entweder das Radio -ulnar- Gelenk, oder das Radio-carpal - oder das ei-
VERRENKUNGEN AM HANDGELENKE. 1003
gentliche Handgelenk, oder endlich das Handwurzelgelenk. — a) Ver-
renkung des Radio-ulnargelenks, oder des Köpfchens
der Ulna. Sie erfolgt entweder nach vorn oder nach hinten. —
Symptome. Bei der Luxation nach hinten befindet sich die Hand
in halber oder vollständiger Pronation und" in Adduction , der Querdurch-
messer des Handgelenks ist verkleinert , Beugung und Streckung der
Hand sind frei, die Supination ist unmöglich. Auf dem Rücken derHand
bemerkt man einen widernatürlichen Vorsprung (den Kopf der Ulna) , die
Vorderarmknochen sind sich so genähert , dass sie sich unten kreuzen,
und der Griffelfortsaz der Ulna steht , anstatt in gerader Richtung mit
dem Ringfinger, in der des Mittelfingers. — Bei der Luxation nach
vorn, welche weit seltener als die vorige ist, steht die Hand fest
in der Mittellage zwischen Pro - und Supination , der untere Theil des
Vorderarms ist missgestaltet , abgerundet , in seinem grössten Durch-
messer verkleinert ; an dem mittlem vordem Theil des Handgelenks
bemerkt man einen Vorsprung , nach innen fühlt man den innern
Knöchel nicht mehr und an der Stelle der Erhöhung , welche der Ulna-
köpf gewöhnlich bildet , ist eine Vertiefung. Die Ulna kreuzt unten
den Radius. — Ursachen. Uebertriebene Pro - oder Supinations-
bewegungen , auch directe Einwirkungen , wie ein Fall , Stoss , Schlag.
— Prognose. Wenn es gelingt, den abgewichenen Griffelfortsaz
an seinem normalen Plaze zu erhalten, so ist die Prognose günstig,
andernfalls büsst das Handgelenk an seiner Kraft und Festigkeit ein.
Sehr ungünstig ist die Prognose , wenn zugleich eine Fractur des Ra-
dius besteht und die Ulna aus der Haut hervorragt. Ankylose oder
Zerstörung des Gelenks durch Eiterung kann dann die Folge sein. —
Reposition. Unter Fixirung des Oberarms hält der Wundarzt den
Radius und das Handgelenk mit den vier Fingern beider Hände zurück
und drängt mit den Daumen die Ulna an ihren Plaz; zuweilen genügt
eine einfache Pro - oder Supinationsbewegung zur Einrichtung. — R e -
t e n t i o n. Nach Beseitigung der Entzündung erhält man den Vorder-
arm bei der Luxation nach hinten in vollständiger Supination , bei der
nach vorn in forcirter Pronation, legt hinten und vorn dicke Compressen
auf und befestigt Pappschienen mit einer festangezogenen Rollbinde
darüber. Dieser Verband muss lange getragen werden , da die Theile
schwer wieder verwachsen. — b) Verrenk ung des Radio-c arp al-
gelenk s oder der Hand. Diese Verrenkung kann nach hinten
oder nach vorn geschehen. Seitenverrenkungen gibt es nicht. —
Symptome. Bei der Verrenkung der Handwurzel nach hinten
(der beiden Vorderarmknochen nach vorn) ist die Hand unbeweglich und
nach vorn geneigt, die Finger befinden sich im flectirten Zustande. Auf
dem Rücken der Hand bildet der Carpus , an der Volarfläche vor dem
Ballen der Hand die Vorderarmknochen einen Vorsprung von 7 bis 8
Linien ; der Processus styloideus radii liegt nach innen vom
1004 VERRENKUNG DES MITTELHANDKNOCHENS DES DAUMENS.
Carpus an der innern Seite des Schiff beins ; der Processus styloi-
deus ulnae bildet nach vorn und aussen einen Vorsprung, die beiden
Vorderarmknochen bleiben nieist mit einander verbunden. — Bei der
selteneren Verrenkung des Carpus nach vorn (der Vorderarmknochen
nach hinten) ist die unbewegliche Hand zum Vorderarm gestreckt , die
Finger haben eine Richtung nach rückwärts , sind bald gebeugt bald ge-
streckt und können ohne Gewalt und Schmerz bewegt werden. An der
Volarfläche der Hand zeigt sich der Carpus hervorragend ; auf dem Rük-
ken des Handgelenkes ist dagegen eine Vertiefung wahrnehmbar , über
welcher die untern Enden beider Vorderarmknochen durch ihre griffei-
förmigen Fortsäze zwei Hervorragungen bilden. — Ursachen. Fall
auf die rückwärts gebeugte Hand oder irgend ein die Beugung des Hand-
gelenks nach hinten forcirender Druck. — Prognose. Sie ist nur
ungünstig , wenn Complicationen , namentlich eine Gelenkwunde , beste-
hen. Die Nichteinrichtung der Luxation beeinträchtigt die Brauchbarkeit
der Hand in hohem Grade. — Reposition. Man übt eine Extension
an der Hand aus und sucht mit den beiden Daumen den Carpus zurück-
zudrängen. — Retention. Man befestigt eine gepolsterte Schiene
auf der Seite , nach welcher die Verrenkung erfolgt war. Nachbe-
handlung. Die meist eintretende Entzündung muss nachdrücklich be-
kämpft werden. — c) Verrenkung des Medio-carpal- oder
Handwurzelgelenks. Die Luxation betrifft entweder einen einzel-
nen Knochen oder eine ganze Reihe. Von einzelnen Knochen wurde die
Dislocation des Os pisi forme und die des Os capit at um beobach-
tet ; ist eine ganze Reihe dislocirt , so betrifft es gewöhnlich die zweite
Reihe, welche auf der ersten, und zwar auf der Dorsalseite, reitet. Leztere
Verrenkung kommt indessen äusserst selten vor. Frische Luxationen
lassen sich unter Anwendung einer Extension mit nachfolgendem Druck
auf den betreffenden Knochenvorsprung ziemlich leicht einrichten. Nach
«rfolgter Reduction legt man die Hand auf eine hölzerne Platte und übt
durch kleine Schienen und Rollbinden die nöthige Compression aus. Der
Entzündung, welche hier gern Abscesse, Ankylose, Caries etc. zur Folge
hat, muss kräftig entgegengewirkt werden.
10. Verrenkung des Mittelhandknochens des Dau-
mens. Unter den Mittelhandknochen ist der des Daumens der einzige,
welcher luxirt werden kann , was entweder nach hinten oder nach vorn
geschieht. — Symptome. Bei der häufigeren Luxation nach hinten,
welche mehr oder weniger vollständig sein kann , bildet der Mittelhand-
knochen an oder auf dem Os multangulum majus einen Vorsprung,
lezteres tritt dagegen auf der Palmarseite mehr oder weniger hervor, mit
einer Vertiefung darunter und Abflachung der Eminentia thenar.
Der Mittelhandknochen ist gegen die Hohlhand gebeugt, unbeweglich und
der ganze Daumen erscheint verkürzt. — Bei der Verrenkung nach
?orn ist der Mittelhandknochen nach vorn und innen zwischen das O s
VERRENKUNG DER FINGER. 1005>
multanguluin majus und den Mittelhandkn'ochen des Zeigefingers
getreten , wo er in der Hohlhand einen Vorsprung bildet ; der Daumen
ist nach hinten umgelegt und kann nicht gegen den kleinen Finger ge-
bracht werden ; meist ist starke Anschwellung und Schmerz zugegen. —
Ursachen. Fall auf den äussern Rand der Hand oder eine andere
mechanische Gewalt , welche die Volar- oder Dorsalfläche des Daumens
trifft. — Prognose. Bald nach geschehener Verlezung ist die Re-
position leicht, sie wird aber sehr schwierig, oft unmöglich, wenn die Ver-
renkung bereits einige Zeit bestanden hat. Nach der Reposition bleibt
eine grosse Neigung zu habituellen Verrenkungen zurück, wenn das Glied
nicht längere Zeit geschont und ein Contentivverband getragen wird. Bei
gleichzeitiger Complication mit äussern Wunden und Zerreissung der
Sehnen kann die Exstirpation des Daumens nöthig werden. Die unter-
lassene Reposition schwächt die Kraft der Hand sehr. — Reposition..
Man treibt die Mittelhandknochen vorwärts, was man nötigenfalls durch
eine leichte Extension unterstüzt. Bei der Verrenkung nach vorn biegt
man den Daumen während der Ausdehnung gegen die Handfläche hin. —
Retention. Eine mit einer Binde befestigte kleine hölzerne Schiene
sichert die Einrichtung.
11. Verrenkungen der Finger. A. Verrenkung der
ersten Phalanx (in der Articulatio metaca rpo-ph alan-
ge a). Diese Luxationen kommen am häufigsten am Daumen, äusserst
selten an den übrigen Fingern vor. Meistens erfolgt die Verrenkung
nach der Dorsalseite durch übermässige Streckung bei einem Fall auf die
ausgestreckten Finger. Viel seltener sind die Verrenkungen nach vorn
und nach den Seiten. Leztere sind nur beim Zeigefinger und kleinen
Finger möglich. a) Die Verrenkungen des Daumens können
vollständig und unvollständig sein. Bei der Verrenkung nach hinten
ist der Daumen gestreckt, nach rückwärts gebogen, kürzer und unbeweg-
lich. Das untere Ende des ersten Daumengliedes wird auf der Rücken-
fläche der Hand gefühlt und auf der Volarseite springt der Mittelhand-
knochen vor. Bei der seltenen Luxation nach vorn bildet das untere
Ende des ersten Glieds einen Vorsprung auf der Volarfläche der Hand,
der Daumen ist meist etwas einwärts gedreht , verkürzt und gestreckt ;
freiwillige Bewegungen sind unmöglich. Mit der Prognose dieser Ver-
renkungen muss man sehr behutsam sein, da diese nicht selten uneinricht-
bar gefunden werden. Der Grund hiervon hat verschiedene Erklärungen
gefunden. Die Einen suchen ihn in den Muskeln, welche sich, gleichsam
ein Knopfloch bildend , um den Hals des Knochens zusammenschnüren.
Andere finden ihn in der Zwischenlagerung des von der Phalange nach-
gezogenen Ligamentum anterius; noch Andere endlich in der Un-
versehrtheit der Seitenbänder. Auf diese verschiedenen Ansichten grün-
den sich die verschiedenen Einrichtungsmethoden , die vorgeschlagen
worden sind. Diese sind bei der Luxation nach vorn: die Extension^
1006 VERRENKUNG DER FINGER.
die einfache Impulsion , die Impulsion mit der Vorwärtsbeugung und die
Impulsion mit der Rückwärtsbeugung. — Die Extension geschieht
entweder mittels der Hand oder mit einer Schlinge oder endlich , wenn
der verrenkte Finger sich nicht gut fassen lässt , mit eigends dazu con-
struirten Zangen (von Charriere, Luer). Penneck und Rog-
netta legten die Schlinge hinter der luxirten Phalanx an und übten
damit neben dem Zuge einen Druck auf den Knochen aus. Die blosse
Extension führt selten zum Ziele. — Bei der einfachen Impulsion
oder dem Druck ohne Extension verfahrt man auf folgende Weise :
Der Wundarzt umfasst die Hand des Verlezten mit den vier lezten Fin-
gern seiner beiden, kreuzweise über einander gelegten Hände, wobei die
beiden Zeigefinger auf dem Kopfe des Mittelhandknochens gekreuzt wer-
den ; hernach drängt er , indem er die Daumen hinter der Phalange an-
sezt , diese sanft bis an den Knorpel des Kopfs des Mittelhandknochens
hin, worauf er ihr eine Hebelbewegung mittheilt, welche die Einrichtung
vollendet. Dieses von G e r d y angewendete Verfahren zeigte sich bei
Fällen, wo die Phalanx mit ihrer überknorpelten Gelenkfläche rechtwink-
lig auf der Dorsalseite des Mittelhandknochens aufsass, von Erfolg. —
Impulsion mit Vorwärtsbeugung. Man fasst den luxirten
Daumen mit der rechten Hand, wobei der Zeigefinger horizontal auf den
Kopf des Mittelhandknochens gelegt, der Daumen auf das vorspringende
Ende des ersten Glieds aufgelegt wird, drängt, indem man mit dem Dau-
men auf dieses Ende drückt , mit dem Zeigefinger den Kopf des Mittel-
handknochens zurück und beugt zu gleicher Zeit den luxirten Finger.
Bei diesem Verfahren wird der gespannte Flexor brevis erschlafft
und die Berührungsfläche der beiden Knochen vermindert. — Impul-
sion mit Kückwärtsbeugung. Bei diesem Verfahren, welches be-
sonders bei der Interposition des Kapselbandes seine Anwendung finden
soll , wird der Daumen nach hinten gebogen und alsdann auf den Kopf
des ersten Daumengliedes gedrückt, welches damit sachte an seinen Plaz
zurückkehrt. Lawric bediente sich zu demselben Zwecke eines Schlüs-
sels , in dessen Ring ,er den luxirten Finger so steckte , dass der freie
Rand des Rings sich auf das hintere Ende des Daumengliedes aufstüzte
und der übrige Theil des Schlüssels auf der Palmarseite des Daumens
angelegt war. Nach einem starken Zuge Hess er den Schlüssel wie einen
Hebel wirken , um den Daumen nach hinten umzulegen , worauf er das
Ende des Daumengliedes nach vorn schwingen Hess. Vi dal war bei ei-
ner alten Luxation mit der einfachen Hebelbewegung glücklich. — Wenn
alle diese Verfahren fehlschlagen, so kann man nach Hey dem Gliede
Drehbewegungen um seine Achse mittheilen; Malgaigne suchte den
luxirten Knochen durch einen hinter ihm in den Mittelhandknochen ein-
gesezten Pfriem vorwärts zu treiben; Bell u. A. schlugen vor, die Sei-
tenbänder, Andere die einschnürenden Muskeln einzuschneiden, was ohne
Erfolg in Ausführung gebracht wurde. Endlich hat man die Resection
VERRENKUNG DES OBERSCHENKELS. 1007
des Kopfs des Mittelhandknochens vorgenommen , welche jedoch , da sie
doch immer ein steifes Gelenk hinterlässt, nur bei mit Zerreissung der
Integumente complicirter Verrenkung räthlich ist. — Die Einrichtung der
Luxation nach vorn bietet viel weniger Schwierigkeiten dar, als die nach
hinten. Häufig reicht eine einfache Extension an dem luxirten Finger
hin ; kommt man damit nicht zu Stande , so übt man mit dem Daumen
einen Druck auf den Kopf des Mittelhandknochens aus , während man zu
gleicher Zeit mit dem Zeige- und Mittelfinger das Ende des Fingergliedes
in entgegengesezter Richtung zurückzudrängen sucht ; zuweilen kann auch
eine forcirte Beugung nüzen. — Zur Erhaltung der Einrichtung ist es
nothwendig , das Gelenk mit einer Binde zu umgeben , mit welcher man
nötigenfalls kleine Schienen befestigt. — b) Verrenkungen der
vier lezten Finger. Diese können vollständig und unvollständig
sein. Auch bei ihnen ist die Verrenkung nach hinten viel häufiger als
die nach vorn. Bei allen Verrenkungen der Finger stehen dieselben steif
und unbeweglich, je nach der Art der Verschiebung bald gestreckt bald
gebeugt ; die Vorsprünge des Mittelhandknochens, so wie des untern En-
des der Phalanx sind deutlich fühlbar. Die Einrichtung gelingt meistens
durch einen mit einem Druck, zuweilen mit Beugung oder Streckung ver-
bundenen Zug an dem luxirten Finger; im Uebrigen sind hier auch alle
für die Luxation des Daumens beschriebenen Verfahren anwendbar. —
B. Verrenkungen der zweiten und dritten Phalanx. Die
Vorsprünge, die Unbeweglichkeit sind hier die gleichen, wie bei den vor-
hergehenden Luxationen , aber die Stellung der Finger ist nicht immer
die im rechten Winkel mit der Rückenseite des obern Glieds, sie können
in der geraden parallelen stehen bleiben , oder da die Bänder zerrissen
sind , durch die Gewalt der Beuger nach vorn flectirt werden. Bei der
Verrenkung des zweiten Fingerglieds ist auch das erste oft stark flectirt.
Auch bei ihnen ist die Verrenkung nach hinten die häufigere. — Die
Einrichtung hat nur Schwierigkeiten , wenn die Verlezung nicht mehr
frisch ist. Man extendirt , wie es bei dem Daumen angegeben wurde,
bald in Flexion bald in forcirter Extension und drückt, wenn die Gelenk-
enden beweglich geworden sind , die Hervorragungen mit dem Daumen
weg. Wo es grosser Anstrengung bedarf, bedient man sich einer schma-
len Schlinge oder der L u e r ' sehen Zange ; auch der Schlüssel ist hier
mit Vortheil anzuwenden. Zur Retention bedient man sich kleiner Schie-
nen, die man mit Heftpflasterstreifen befestigt.
12. Verrenkung des Oberschenkels. Es werden vier
Punkte angenommen , an welchen der Schenkelkopf seine Höhle gewöhn-
lich verlässt, nämlich nach hinten, nach vorn, nach oben und nach
unten. Am häufigsten erfolgt dieser Austritt nach hinten und nach
vorn, wo derselbe nach Malgaigne durch Ausschnitte in dem Pfannen-
rande begünstigt wird. — Hat der Kopf einmal den Pfannenrand an ei-
nem dieser Punkte überschritten , so kann er sich auf verschiedenen
1008 VERRENKUNG DES OBERSCHENKELS.
Punkten der die Pfanne umgebenden Knochenflächen feststellen , woraus
verschiedene Unterarten hervorgehen. Diesemnach unterscheidet man :
A. Verrenkung nach hinten, a) auf die äussere Fläche
des Darmbeins, Verrenkung nach hinten und oben oder nach aussen
und oben, Luxatioiliaca; b) in den kleinen Hüftbeinaus-
schnitt oder in dessen Nähe , Verrenkung nach hinten und unten oder
nach aussen und unten, Luxatio ischiadica. — B. Verrenkung
nach vorn, a) auf den horizontalen Ast des Schambeins,
Verrenkung nach vorn und oben oder nach innen und oben , Luxatio
ileopubica; b) aufdas Foramenovale, Verrenkung nach vorn
und unten oder nach innen und unten, Luxatio ischiopubica; die
sämmtlichen bis jezt aufgeführten Verrenkungen können unvollständig
oder vollständig sein. — C. Verrenkung gerade nach unten,
a) zwischen den Rand der Pfanne und die Tuberosität
des Sizbeins, Luxatio subcotyloidea; b) in das Peri-
naeum, Luxatio subperinaealis. — D. Verrenkung nach
oben, neben die innere Seite der Spina ilei anterior supe-
r i o r ; diese Luxation ist vollständig oder unvollständig. — Symptome.
a) Luxatio iliaca, Verrenkung nach hinten und oben.
Ober- und Unterschenkel sind leicht gebogen, die ganze Extremität ist
nach einwärts gedreht, so dass Knie und Fusszehen nach innen stehen,
die grosse Zehe entspricht dem Tarsus des andern Fusses; die Adduction,
so wie die Rotirung des Glieds nach innen ist möglich, die Entfernung
des Knies von dem der andern Seite und das Auswärtsrollen des Schen-
kels ist unmöglich. Der Trochanter ist nach vorn gedreht und steht hö-
her und der Fuss ist dem entsprechend verkürzt ; die Falte der Hinter-
backe steht höher, die Hüfte ist breiter und springt nach aussen vor. In
der Leistenfalte fühlt man an der Stelle des Schenkelkopfs eine Grube,
welchen man bei Magern nach hinten vorspringend findet. — Diese Form
von Luxation ist die am häufigsten vorkommende. — b) Luxatio
ischiadica, Verrenkung nach hinten und unten. Unter-
und Oberschenkel leicht gebogen, Knie und Fussspize nach innen gekehrt.
Das verlezte Glied lässt sich weder beugen, noch nach aussen rotiren.
Der Trochanter tritt ein wenig nach vorn und das Glied ist je nach der
Stellung des Gelenkkopfs mehr oder weniger verkürzt. Bei magern Per-
sonen fühlt man den Kopf hinten etwas über dem Sizbeinhöcker. Nächst
der vorigen , von der sie oft den ersten Grad bildet , kommt diese Form
am häufigsten vor. — c) Luxatio ileopubica, Verrenkung
nach vorn und oben. Streckung, Auswärtsdrehung und Abduction
des Schenkels , weder Verkürzung noch Verlängerung , Abflachung der
Hinterbacke, Verwischen des Trochanters, Schwierigkeit oder Unmöglich-
keit der Bewegungen. Der Schenkelkopf bildet in der Schenkelbeuge
eine runde, harte Geschwulst, an deren innerer Seite die Pulsationen der
Art. cruralis fühlbar sind. — d) Luxatio ischiopubica, Ver-
VERRENKUNG DES OBERSCHENKELS. 1009
renkung nacn vorn und unten. Der Schenkel ist gebeugt, stark
nach aussen gebracht und der Unterschenkel kann nicht gestreckt wer-
den ; das Glied ist bedeutend verlängert ; die Hüfte ist eingesunken, der
Trochanter verwischt, die Hinterbacke abgeflacht und in die Länge gezo-
gen, die Falte steht tiefer. Den Schenkelkopf findet man als eine harte
Geschwulst an der^ innern obern Seite des Schenkels , während unterhalb
der Mitte des P o up art 'sehen Bandes sich eine Vertiefung zeigt. Ad-
duetion und Rotation nach innen ist unmöglich. — Nicht selten bleibt
der Schenkelkopf auf dem Pfannenrande stehen und stellt so eine unvoll-
ständige Luxation dar. — e) Luxatio supracotyloidea, Ver-
renkung nach oben. Das Glied ist gestreckt, in einer leichten Ab-
duction, stark auswärts gedreht und verkürzt. Die Hinterbacke ist abge-
plattet, der Trochanter verwischt und nach hinten getreten. Die Ver-
renkung ist entweder unvollkommen und der Schenkelkopf liegt dann an
der äussern Seite des vordem untern Darmbeinstachels , ungefähr 1 Zoll
unter dem obern, oder vollkommen, in welchem Falle der Kopf zwischen
den beiden Darmbeinstacheln bis einige Linien unter dem obern steht. Die
Verkürzung ist in lezterem Fall viel beträchtlicher als im ersten. Diese
Luxation ist selten. — f) Luxatio subcotyloidea und f) Luxa-
tio perinaealis, Verrenkung nach unten. Bei der ersten
Form ist das Glied etwas länger, der Schenkel in Abduction und Aus-
wärtsdrehung, der grosse Trochanter stark versenkt , der Kopf kann nir-
gends gefühlt werden und jede Drehbewegung ist unmöglich. Eine Dreh-
bewegung nach aussen erzeugt leicht die ischiadische Luxation. Bei der
Luxatio perinaealis ist der Schenkel rechtwinklig vom Körper ent-
fernt, leicht vorwärts gebracht, verlängert, der Stamm auf diese Seite ge-
neigt, die Fussspize etwas auswärts gedreht; der Vorsprung der Hüfte
nach aussen ist durch eine bedeutende Vertiefung ersezt und der Schen-
kelkopf macht einen sehr bemerklichen Vorsprung am Mittelfleische, hin-
ter dem Hodensacke und an dem Bulbus Urethra e. Diese Lage des
Kopfs verursacht eine Harnverhaltung. — Die beiden vorgenannten For-
men kommen sehr selten vor. Ursachen. Die Verrenkungen des
Hüftgelenks gehören zu den selteneren Vorkommnissen wegen der grösse-
ren Festigkeit dieses Gelenks , die es der Tiefe der Pfanne , der Stärke
seiner Bänder und Muskeln zu danken hat. Die Veranlassung dazu gibt
am häufigsten ein Fall von einer gewissen Höhe auf den Oberschenkel
und die Hüfte, ein Zusammenstürzen unter einer bedeutenden Last, das
Ueberfahrenwerden , das Abgleiten des Fusses auf einer schiefen Fläche.
Eine dadurch bewirkte rapide Extension , Adduction , Abduction oder
Flexion sprengt das Kapselband an der Stelle, gegen welche der Kopf an-
drängt, zerreisst das Ligamentum teres und einen Theil des Labri
cartilaginei, der Kopf tritt aus dem Acetabulum hervor und folgt
der Impulsion , welche ihm die äussere Gewalt durch ihre Wirkung auf
•den Schenkel mittheilt, oder es wird durch eine gewaltsame Bewegung
Burger, Chirurgie. 64
1010 VERRENKUNG DES OBERSCHENKELS.
des Rumpfs gegen den Oberschenkel die weitere Lageveränderung des
Kopfs bewerkstelligt. — Prognose. Die Schenkelluxationen ergeben
an und für sich keine sehr bedenkliche Prognose , sie wird es nur durch
die nicht selten gleichzeitig bestehenden Complicationen, wie Bruch der
Pfanne, Erschütterung des Rückenmarks, heftige Quetschungen der
Weichtheile etc. Die Einrichtung dieser Luxationen bietet allerdings
häufig nicht geringe Schwierigkeit dar , doch lassen sich diese durch ein
rationelles Reductionsverfahren , besonders wenn jene noch frisch sind,
gewöhnlich überwinden. Es sind sogar Fälle bekannt, dass Schenkelluxa-
tionen noch nach einigen Wochen, selbst Monaten ohne Nachtheil sich
einrichten Hessen. ■ — Bleiben diese Verrenkungen ganz uneingerichtet,
so kommt es zur Bildung eines künstlichen Gelenks , und der Gebrauch
des Gliedes kehrt zum grössten Theil zurück, wenn auch stets ein hin-
kender Gang zurückbleibt. Der Gang wird bei einer Verkürzung des
Schenkels besser als bei einer Verlängerung. — Die Luxationen nach
vorn lassen sich leichter einrichten, als die nach hinten. — Reposi-
tion. Die neueste Zeit hat das Verdienst, Einrichtungsmethoden einge-
führt zu haben , bei welchen durch Verminderung der Muskelcontraction
und der Reibung der Knochen ein geringerer Aufwand von Kraft nöthig
ist , als dies bei den altern Verfahrungsweisen , welche diese Momente
nicht berücksichtigten , der Fall war , weshalb diese auch grösstentheils
verlassen sind. Nur in wenigen schwierigen Fällen, namentlich bei ver-
alteten Luxationen, wird noch die sonst gewöhnliche Methode mittels des
Flaschenzugs in Anwendung gebracht. — Bei der Luxatio iliaca
(nach hinten und oben) lässt man entweder in einer den andern Schenkel
kreuzenden Directionslinie in langsamen allmählig verstärkten , aber an-
haltenden Zügen extendiren, worauf der Wundarzt , wenn er merkt, dass
der Schenkelkopf in der Nähe der Pfanne angekommen ist, das Knie um-
fasst und den Schenkel stark nach aussen wendet ; mit dieser Bewegung
muss der Zug nachgelassen, der Fuss etwas gesenkt, zugleich auch der
Schenkelkopf mit der Hand vorwärts gedrängt werden ; um das Hinab-
sinken des Kopfs, wodurch es zur Bildung einer Luxatio ischiadica
käme, zu verhüten, kann er durch ein um den obern Theil des Schenkels
und den Nacken eines Gehülfen geführtes Tuch (Coaptationsschlinge) in
der nöthigen Höhe erhalten werden. Oder ein Gehülfe hebt den im Knie
gebogenen Schenkel gerade nach vorwärts auf, bis er zum Körper in einem
rechten Winkel steht und bis der vordere , jezt innere Rand des grossen
Trochanters gerade unter der vordem obern Darmbeingräte befindlich ist,
worauf sich der Schenkel von selbst so um seine Längenachse nach aussen
dreht , dass er beim langsamen Niederlassen in seine Höhle zurücktritt.
Ersteres Verfahren erweist sich von Nuzen, wenn die Kapsel hinten, lezte-
res, wenn sie nach hinten und unten eingerissen ist. — Bei der Luxa-
tio ischiadica (nach hinten und unten) kommen im Wesentlichen
dieselben Repositionsmethoden zur Anwendung , nur muss man bei der
VERRENKUNG DES OBERSCHENKELS. 1011
Extension an dem gestreckten Beine das untere Ende des Schenkels wäh-
rend der Abduction und Rotation stark nach unten drängen , damit der
Schenkelkopf gegen den hinter der Pfanne liegenden Vorsprung aufsteigt.
Die Coaptationsschlinge unterstüzt die Bewegung sehr. — Bei der L u -
xatio ileopubica (nach vorn und oben) erhebt man das im Knie ge-
beugte Glied und beugt den Schenkel vorwärts und etwas nach aussen,
bis er fast einen rechten Winkel mit dem Stamm bildet, worauf eine ein-
fache Einwärtsdrehung den Kopf gewöhnlich leicht in seine Höhle treten
lässt. Das ganze Manöver geschieht nach Malgaigne am besten,
wenn man sich die Kniekehle des Verlezten auf die Schulter legt, auf den
luxirten Kopf die Hände legt und nun, indem man sich sachte aufrichtet,
die genannten Bewegungen ausführt. — Bei der Luxatio ischiopu-
b i c a (nach vorn und unten) lässt man den auf dem Bette oder dem
Boden liegenden Kranken gehörig niederhalten, erhebt den Schenkel bis
zum rechten Winkel und darüber nach aussen , extendirt ihn in dieser
Eichtung , wobei man mit der Hand auf den Schenkelkopf drückt , und
führt ihn dann unter einer Einwärtsdrehung wieder nach unten. — Bei
der Luxatio supracotyloidea (nach oben) genügt , wenn sie un-
vollkommen ist, die Beugung in Verbindung mit der Adduction und Ein-
wärtsdrehung, ist sie vollkommen, so muss man den zwei lezten Manövern
einen kräftigen Zug nach unten und hinten und eine Erhebung des Femur
mit einer Coaptationsschlinge vorausgehen lassen. — Bei der Luxatio
subcotyloidea (nach unten) wird der Schenkel zuerst stark in Beu-
gung gebracht und in dieser Richtung von einem Gehülfen angezogen, wäh-
rend der Wundarzt ihn schnell in Adduction und Einwärtsdrehung bringt. —
Bei der Luxatio perinaealis lässt man das Glied nach unten und
aussen hinziehen und den Kopf mittels einer massigen Drehung über den
aufsteigenden Ast des Sizbeins zurückgehen , um ihn in das ovale Loch
zu führen , von wo er durch das kräftige und quere Hinüberführen des
kranken Gliedes über das gesunde in seine Höhle zurückgebracht wird.
— Mittels des Flaschenzugs reponirtman folgendermassen : bei der
Luxation nach aussen und oben legt man den Kranken auf einen
Tisch und führt durch die Schenkelbeuge einen Contraextensionsgurt,
welcher hinter dem Kranken an einen Haken befestigt wird. Dann wird
ein Extensionsgürtel über dem Knie angelegt, von welchem aus Riemen
mit dem Flaschenzuge verbunden werden , der vor dem Kranken in der
Wand befestigt wurde. Das Knie muss dabei etwas gekrümmt und etwas
über das gesunde gerichtet sein. Nun wird der Flaschenzug ganz lang-
sam angezogen, bis der Kopf am Rande der Pfanne angelangt ist, worauf
man unter Nachlass des Zugs das Knie und den Fuss nach aussen rotirt.
Springt der Kopf so nicht von selbst ein, so hilft man mit dem unter dem
Oberschenkel durchgestreckten Arm nach. — Bei der Luxation nach
aussen und unten wird der Kranke auf die gesunde Seite gelegt,
Extensions- und Contraextensionsgurte auf die eben_ angegebene Weise
64*
1012 VERRENKUNG DER KNIESCHEIBE.
angelegt und an dem im Knie gebogenen Gliede in querer Richtung über
das gesunde hin gezogen. Zugleich zieht ein Gehülfe ein um den obern
Theil des Schenkels geführtes Tuch mit der einen Hand in die Höhe,
während er mit der andern auf das Becken drückt , um damit den Kopf
über den Rand der Pfanne zu heben. — Bei der Luxation nach
vorn und oben kommt dieselbe Lage und Befestigung in Anwendung,
der Schenkel wird aber in der Richtung nach hinten gezogen. — Bei der
Luxatio nach vorn und unten wird die Extension in der Richtung
der Luxation gemacht und während der Ausführung derselben das luxirte
und am Fussgelenke gefasste Bein über das gesunde gezogen. — - Bei der
vollkommenen Luxation nach oben verfährt man auf die bei
dieser Luxation oben angegebene Weise auch mit dem Flaschenzuge ; das
Gleiche gilt von der Luxation nach unten. — Retention. Das
eingerichtete Glied wird neben das gesunde gelegt, beide an den Knien
zusammengebunden und einige Wochen eine ruhige Rückenlage anem-
pfohlen ; der Kranke hat sich namentlich vor dem Aufsizen zu hüten. —
Nachbehandlung. Entzündliche Zustände behandelt man nach
Massgabe ihrer Stärke allgemein oder örtlich antiphlogistisch, und erlaubt
dem Kranken erst den Gebrauch seines Gliedes, wenn aller Schmerz ver-
schwunden ist.
13. Verrenkung der Kniescheibe. Die Kniescheibe kann
nach aussen und nach innen, und zwar unvollkommen und vollkom-
men verrenken, und ausserdem kann sie eine halbe Drehung um ihre
Längenachse erleiden. M a 1 g a i g n e spricht auch von einer völligen
Umkehrung der Kniescheibe, die aber noch sehr zweifelhaft ist. End-
lich verrenkt die Kniescheibe nach oben bei Zerreissung des Knieschei-
benbandes. Am häufigsten luxirt die Kniescheibe nach aussen und zwar
auf unvollkommene Weise. — Symptome: a) die Verrenkung
nach aussen. Das Knie hat seine normale Gestalt verloren , an der
Stelle der Kniescheibe findet man eine Einsenkung , diese selbst bildet
nach aussen je nach der Vollkommenheit oder Un Vollkommenheit der
Luxation einen mehr oder minder beträchtlichen Vorsprung , und ist et-
was um ihre Längenachse nach innen gedreht, in der Art, dass ihr äusse-
rer Rand mehr oder weniger erhaben und etwas nach vorn gewendet ist
und ihre vordere Fläche daher etwas nach innen und vorn hinsieht ; der *
Vorsprung der Kniescheibe sezt sich in schiefer Richtung nach oben ins
die Kniescheibensehne, nach unten in das Kniescheibenband fort. Bei
der vollkommenen Luxation ist der Unterschenkel mehr oder weniger ge-
beugt, bei der unvollkommenen eher gestreckt, jede Bewegung wird durch
die Schmerzen unmöglich gemacht. — Eine noch stärkere Erhebung des
äussern Randes der Kniescheibe, so dass diese fast auf die Kante gestellt
ist, nennt Malgaigne äussere verticale Verrenkung. — b)
Die Verrenkungnach innen. Sie bietet dieselben Erscheinungen
dar, wie die nach aussen , nur dass sich alles umgekehrt verhält, der in-
VERRENKUNG DES KNIEGELENKS. 1013
nere Rand der Kniescheibe den Vorsprung bildet etc. ; es besteht dieselbe
Unbeweglichkeit des Beins , welche überhaupt jeder Luxation der Knie-
scheibe eigenthümlich ist. Die höheren Grade dieser Verrenkung bilden
die M algai gne 'sehen inneren verticalen Verrenkungen.
— c) Die halbe Drehung jler Kniescheibe um ihre Längenachse.
Es ist dies eben die verticale Verrenkung der Kniescheibe von M a 1 -
g a i g n e , bei welcher der eine oder der andere Rand derselben gerade
nach vorn hinsieht, mit Vertiefungen zu beiden Seiten. — d) Die Ver-
renkung nach oben. Sie ist ohne Zerreissung des Kniescheiben-
bandes nicht möglich. Das Knie hat seine Gestalt verloren , die Knie-
scheibe ist meistens bei zwei Querfinger über ihre gewöhnliche Höhe
hinaufgestiegen und darunter bemerkt man eine ungewöhnliche Vertie-
fung , in welcher man den vordem Gelenkrand der Tibia und die leere
Schenkelrolle fühlen kann ; die Streckung des Unterschenkels ist unmög-
lich. — Ursachen. Eine Disposition zu den Verrenkungen der Knie-
scheibe geben Schlaffheit der Bänder und einwärts geneigte Kniee. Ge-
legenheitsursachen sind Gewalten , welche die Kniescheibe selbst treffen,
wie ein Fall, Stoss etc. ; nicht selten erfolgt die Verrenkung durch Mus-
kelwirkung, z. B. wenn ein Fall verhindert werden will. — Prognose.
Sie ist nicht ungünstig , da die Einrichtung meist leicht zu machen ist,
und selbst nicht eingerichtete Luxationen das Glied nicht ganz unbrauch-
bar machen. Rückfälle sind übrigens nicht selten. — Reposition.
Das völlig extendirte Bein wird emporgehoben und im Hüftgelenke ge-
beugt, so dass die Extensoren so viel als möglich erschlafft werden, dann
drückt man den hervorstehenden Rand der Kniescheibe stark nieder, -um
den entgegengesezten zu heben', worauf die Muskeln die Kniescheibe in-
ihre Lage ziehen. Bei der Achsendrehung umfasst der Wundarzt die
Kniescheibe des gleichfalls und ziemlich hoch erhobenen Gliedes mit der
Hand und drängt sie stark nach aussen oder innen , je nachdem die vor-
dere Fläche derselben nach innen oder aussen gerichtet ist. Im Falle
des Fehlschlagens hat zuweilen eine rasche Beugung des Kniegelenks zum
Ziele geführt. Bei der Luxation nach oben drängt man bei erhobenem
Beine die Kniescheibe nach unten und erhält sie durch einen der bei dem
Bruche der Kniescheibe angegebenen Verbände bis zur Wiedervereinigung
des Bandes (4 0 — 5 0 Tage) an Ort und Stelle. — Retention. Man
gibt dem ausgestreckten Gliede eine erhöhte Lage und legt nach Abnahme
der Geschwulst eine Bandage an, welche das Austreten der Kniescheibe
und die Beugung des Knies hindert. Am besten eignet sich hierzu eine
Kniekappe. — Nachbehandlung. Sie muss gegen die Entzündung
gerichtet sein. Nach 1 4 Tagen nimmt man behutsame passive Bewegun-
gen vor.
14. Verrenkung des Femoro-tibial-Gelenks, Luxa-
t i o cruris. Die Verrenkungen im Kniegelenke sind wegen der breiten
Gelenkflächen der hier zum Gelenk zusammentretenden Knochen , sowie
1014 VERRENKUNG DES KNIEGELENKS.
der Befestigung durch starke Bänder und Sehnen nicht häufig, doch kann
dieTibia nach vorwärts und rückwärts und nach beiden Seiten ausweichen;
die beiden Arten sind eher vollständig , die lezten unvollständig. Eine
sehr seltene Verrenkung des Kniegelenks ist die durch Rotation. —
S y m p t o m e. Bei den vollkommenen Verrenkungen des Unterschenkels
ist die Extremität verkürzt und diese Verkürzung kann 2 Zoll überstei-
gen; der Unterschenkel ist steif und meistens unbeweglich, jedoch auch
abnorm beweglich. Die Deformität des Knies ist auffallend, in einer nach
der Art der Verschiebung verschiedenen Weise. — a) Verrenkung
nach vorn. Der Kopf der Tibia springt bedeutend hervor, der untere
Theil des Schenkels ist eingedrückt und man fühlt in dem Eindrucke die
Kniescheibe , welche platt auf dem Schienbeinstachel liegt. Die beiden
Condylen des Oberschenkels sind in der Kniekehle fühlbar , spannen da-
selbst die Weichtheile an und drücken auf die Schenkelgef ässe und Ner-
ven. Der Mus c. tr i ceps und das Li gam e nt. p atellae sind an-
gespannt ; der Unterschenkel ist im Knie gebogen oder gestreckt und
häufig um mehrere Zoll verkürzt. — b) Verrenkung nach hinten.
Der Kopf der Tibia tritt am obern Theile der Kniescheibe hervor und
comprimirt dort die Gefässe und Nerven. Unmittelbar über ihm ist eine
Vertiefung am Oberschenkel , dessen Condylen bedeutend nach vorn her-
vorragen. Unterhalb der Kniescheibe, deren vordere Fläche abwärts ge-
richtet ist , findet sich eine tiefe Einbiegung , in welcher man das ange-
spannte Ligamentum p atellae fühlt. Der Unterschenkel ist meist
stark gebogen und die Verkürzung ist weniger beträchtlich als bei der
Verrenkung nach vorn. — c) Verrenkung nach innen. Hier ver-
lässt der innere Condylus der Tibia den innern Condylus des Femur und
tritt an dessen innerer Seite hervor , während der leztere auf den äussern
Condylus der Tibia tritt und nach aussen hervorragt. Die Kniescheibe
hat eine schiefe Stellung nach innen und das untere Ende der Tibia ist
nach aussen gerichtet. — d) Bei der Verrenkung nach aussen
findet das umgekehrte Verhältniss statt. Bei den Seitenluxationen ist
jede Bewegung sehr schwierig und schmerzhaft. — e) Verrenkung
der Tibia mit Achsendrehung. Hier verlässt die nach vorn oder
hinten luxirte Tibia zugleich mit einem Knorren den entsprechenden Con-
dylus femoris, während die beiden andern Condylen aufeinander
stehen bleiben ; die Folge davon ist ein Rollen des Fusses nach aussen
oder innen , was neben den sonstigen Erscheinungen der genannten Ver-
renkungen die fragliche Luxation charakterisirt. — Man spricht auch
von einer partiellen Luxation des Femur auf die halbmondförmigen Knor-
pel ; nach M a 1 g a i g n e liegt diesem Zufalle eine Erschlaffung der Bän-
der zu Grunde , in Folge deren eine Subluxation der genannten Knorpel,
die dann einen Vorsprung bilden, eintritt. — Ursachen. Starke Ge-
walttätigkeiten, Auffallen schwerer Lasten, Ueberfahren, besonders wäh-
rend der eine Theil der untern Extremität fixirt ist oder diese hohl liegt,
VERRENKUNG DES WADENBEINS. 1015
erzeugen die vollkommene, Fehltritte, minder starke Gewalten, wie Stoss,
Schlag etc. die unvollkommene Luxation. — Prognose. Sie ist im-
mer zweifelhaft zu stellen, da stets eine bedeutende Entzündung auftritt,
welche Brand oder auch organische Knochenkrankheiten zur Folge haben
kann. Doch lehrt auch die Erfahrung, dass diese verderblichen Folgen
nicht selten durch eine sorgsame Behandlung verhütet werden können.
Nur bleibt meist eine' grosse Schwäche des Gliedes zurück. — Grosse
Zerstörungen des Gelenkes machen die Amputation nothwendig. — Re-
position. Ein Gehülfe macht die Contraction am untern Theil des
Oberschenkels, ein zweiter umfasst den Unterschenkel über den Knöcheln
und extendirt ihn in der Richtung der Luxation bis die Gelenkenden aus
einander weichen, worauf der Wundarzt mit beiden Händen die Knochen
von entgegengesezten Seiten in ihre normale Lage drückt. Bei der Ach-
sendrehung muss der Unterschenkel während der Extension in einer Rich-
tung gedreht werden, welche der, in welcher die Gewalt gewirkt hat, ent-
gegengesezt ist. Der vorgefallene halbmondförmige Knorpel weicht oft
einem auf ihn ausgeübten Drucke , zuweilen einer heftigen Beuge- und
Streckbewegung. — Retention. Man lagert das Glied auf ein Spreu-
kissen und enthält sich anfangs aller Verbände. Später kann man zur
Sicherheit des Gelenks einen Verband mit oder ohne Schienen anlegen.
— Nachbehandlung. Man leitet das strengste antiphlogistische
Verfahren ein, bis die Besorgniss vor Entzündung geschwunden ist. Nach
14 bis 2 1 Tagen beginnt man mit vorsichtigen passiven Bewegungen.
Das Knie schüzt man lange durch eine Kniekappe.
15. Verrenkung des Wadenbeins. Diese seltenen Luxa-
tionen kommen am obern Ende, von welchem hier nur die Rede ist, nach
hinten und vorn vor. Das Capitulum fibulae tritt dabei ent-
weder räch hinten oder nach vorn, bildet an dieser abnormen Stelle eine
beträchtliche Erhöhung unter der Haut, während an dem normalen Size
dieses Kopfes ein leerer Raum sich findet. Bei der selteneren Luxation
nach hinten ist der Fuss nach aussen geworfen und die ganze Waden-
beingegend von Kälte und Fühllosigkeit befallen ; bei der Verrenkung
nach hinten ist der Fuss in Adduction und die Sehne des Biceps läuft in
einem Bogen zu dem Köpfchen des Wadenbeins. Beugung und Strek-
kung des Unterschenkels ist bei beiden Formen möglich, aber ein Stüzen
auf den Fuss nicht. — Diese Verrenkungen können durch eine directe
Gewalt hervorgebracht werden , sind aber in der Mehrzahl der Fälle die
Folge eines Muskelzugs , z. B. bei einem Fehltritte oder wenn ein Fall
verhütet werden will. — Die Einrichtung ist leicht und gelingt schnell
auf einen Druck auf das Wadenbeinköpfchen, während Unterschenkel und
Fuss gebeugt sind. Man erhält den Unterschenkel noch einige Tage in
Beugung ; zur Sicherheit kann man eine Compresse und Binde anlegen.
16. Verrenkung des Fusses oder des Fussgelenks.
Die Unterschenkelknochen können in der Richtung nach innen, nach
1016 VERRENKUNG DES WADENBEINS.
aussen, nach vorn, nach innen und vorn und nach hinten von
dem Sprungbein abweichen. — S v m p t o in e. a) Verrenkung nach
innen. Bei dieser häufigsten der Fussverrenkungen ist der Fuss in der
Weise nach aussen gewendet, dass der innere Rand desselben mehr gegen
den Boden, der äussere nach oben gekehrt ist, die Fusssohle nach aussen
und der Fussrücken nach innen sieht. Der Astragalus steht mit seinem
Kopfe an der untern innern Seite des Knöchels der Tibia , dieser innere
Knöchel so wie der Astragalus treten so stark hervor , dass er die Haut
zu durchbrechen droht und wirklich durchbricht; nicht selten ist die Fi-
bula gebrochen; nach Malgaigne fehlt dieser Bruch nie. — b) Ver-
renkung nach aussen. Bei dieser sehr seltenen Luxation ist der
Fuss in Extension und dabei so nach innen gewendet, dass er die Form
eines Klumpfusses angenommen hat, der äussere Fussrand nach unten,
der innere nach oben und die Sohlenfläche nach innen gerichtet ist. Der
äussere Knöchel ragt stark hervor, der innere verschwindet ganz zwischen
dem Fusse und Beine. Der innere Knöchel ist häufig gebrochen , zu-
weilen die Fibula, am häufigsten beide zugleich ; geht der eine oder der
andere Bruch der Luxation voran, so sind die äussern Seitenbänder nicht
zerrissen, was unter andern Umständen der Fall ist. — c) Verrenkung
nach vorn. Der Dorsaltheil des Fusses ist verkürzt, während die Ferse
unverhältnissmässig lang hervorsteht. Die Tibia bildet vorn einen unge-
wöhnlichen Vorsprung und hinten findet sich zwischen ihr und der Achilles-
sehne ein grosser weicher Zwischenraum. Der Fuss ist unbeweglich, die
Zehen sind abwärts gerichtet und die Ferse ist nach hinten in die Höhe
gezogen. Meist ist die Fibula gebrochen, die obere Partie derselben mit
der Tibia nach vorn gezogen , während der untere Theil an seiner Stelle
bleibt ; selten bricht der innere Knöchel. Die äussern Seitenbänder sind
unverlezt, das Kapselband ist nach vorn eingerissen und das Ligamen-
tum deltoideum zum Theil zerrissen. — Diese Luxation kann auch
unvollkommen sein, in welchem Falle sich die angegebenen Zeichen weni-
ger stark ausgedrückt finden. — d) Verrenkung nach innen und
vorn. Diese zeigt die Symptome der vereinigten Luxation nach innen
und der nach vorn. Zuweilen herrschen die der einen , andere Male die
der andern vor. Immer findet sich die Fibula, zuweilen der innere Knö-
chel gebrochen. — e) Verrenkung nach hinten. Bei dieser sel-
tensten aller Fussverrenkungen ist die Fussspize aufwärts gerichtet , die
Ferse abwärts gekehrt, der Rücken des Fusses bedeutend verlängert , die
Ferse verkürzt ; die Tibia steht auf dem Fersenbeine ; vor der Tibia bil-
det das Sprungbein eine runde Hervorragung ; das Wadenbein bleibt un-
versehrt. — Ursachen. Bei der bedeutenden Festigkeit des Fussge-
lenkes sind nur Uebergewalten im Stande , hier eine Verrenkung zu be-
wirken. Die häufigste Veranlassung dazu gibt ein Fehltritt oder Fehl-
sprung, das Umknicken des Fusses auf die eine oder die andere Seite bei
fixirtem oder eingeklemmtem Fusse, Aufspringen auf eine schräge Fläche ;
VERRENKUNG DER FUSSWURZELKNOCHEN. 1017
auch durch gewaltsame Verdrehungen desFusses können diese Luxationen
herbeigeführt werden. — Prognose. Selbst in den einfachsten Fällen
ist die Prognose zweifelhaft zu stellen , da sehr häufig eine chronische
Anschwellung des Gelenks mit häufigen Schmerzen zurückbleibt, und das
Fussgelenk für lange Zeit oder für immer eine Neigung zur Verrenkung
behält. Sehr schlimm ist die Prognose aber, wenn Zerreissungen, beson-
ders der Hautgebilde , die Eröffnung des Gelenks etc. die Verrenkung
compliciren. Hier führt die Entzündung entweder zur Ankylose, oder es
tritt eine profuse Eiterung, Zellgewebsnecrose, Brand, Convulsionen , Te-
tanus ein, wo dann häufig nur die Resection oder Amputation das gefähr-
dete Leben zu erhalten vermag. — Reposition. Man beugt das Knie-
und Hüftgelenk, ein Gehülfe macht die Contraextension unter dem Knie,
ein zweiter die Extension am Fusse , wobei die linke Hand an die Ferse,
die rechte auf den Fussrücken gelegt wird. Wenn man nun durch Ziehen
in der Richtung der Verrenkung Beweglichkeit bemerkt, so wird der Fuss
in seine normale Richtung zurückgeführt , zugleich werden auch vom
Wundarzte die ausgewichenen Knochen in ihre normale Lage gedrückt.
— Retention. Das Glied wird, im Kniegelenke gebeugt , auf einem
Spreukissen in die Seitenlage gebracht, um die erforderlichen Massregeln
gegen die Entzündung eintreten lassen zu können und dem Gliede die
nöthige Ruhe zu geben. Ist die Entzündung beseitigt , so wendet man,
besonders bei gleichzeitiger Fractur der Unterschenkelknochen einen der
bei lezteren angegebenen Verbände, namentlich den D upuytren'schen,
an. — Nachbehandlung. Sie besteht in der dem Falle angemesse-
nen Antiphlogose und späteren Kräftigung des Gelenkes durch Spirituosa
etc. Ist ein Knochentheil durch die Haut gedrungen , so sucht man ihn
zu reponiren, wobei man nötigenfalls die Wunde erweitert, und vereinigt
diese dann genau ; gelingt die Reposition nicht , so entfernt man ihn mit
der Säge ; sind die Weichtheile aber in grossem Umfange zerrissen und
grosse Arterien getrennt, so amputirt man so früh als möglich.
17. Verrenkung der Fusswurzelknochen. Troz der
festen Ineinanderfügung der Fusswurzelknochen und der vielen und man-
nigfachen Befestigungsmittel, welche sie unter sich verbinden, beobachtet
man doch Dislocationen einzelner von ihnen und zwar sind es immer die-
selben , an welchen man sie vorkommen sieht , nämlich das Sprungbein,
das Fersenbein und das Schiffbein , seltener das erste Keilbein. — a)
Verrenkung des Sprungbeins. Dieses kann , indem es sich aus
seiner Verbindung mit dem Kahnbein löst , nach vorn, nach innen,
nach aussen weichen , oder sich um seine Achse drehen. —
Symptome. Bei der Luxation nach vorn fühlt man das Sprungbein
auf dem Kahnbeine stehen , der Fuss befindet sich in Extension und die
Fussspize ist etwas abducirt ; bei der nach innen liegt der Kopf des
Astragalus nach innen vor dem innern Knöchel , der Fuss ist extendirt,
der innere Fussrand nach unten, der äussere nach oben gewendet ; bei der
1018 VERRENKUNG DER FUSSWURZELKNOCHEN.
nach aussen sind die Verhältnisse umgekehrt , der äussere Fussrand ist
nach unten , der innere nach oben gekehrt , was dem Fusse das Ansehen
eines Klumpfusses gibt; der Kopf des Talus liegt in der Nähe des äussern
Knöchels auf dem Würfelbeine; bei der Umdrehung des Sprungbeins
um seine (von einem Knöchel zum andern gehende) Querachse erscheint
das Glied verlängert , die Zehen sind nach einwärts gekehrt und herabge-
senkt, der Talus ist zwischen Tibia und Calcaneus eingekeilt. — Die
Luxationen des Sprungbeins können auch unvollständig sein , so dass nur
ein Theil seiner Gelenkfläche oder seines Kopfes nach oben oder seitlich
am Fusse hervortritt. — Ursachen. Diese sind ein Fall von einer
Höhe mit dem Fusse auf eine schiefe Fläche, wobei der Körper rückwärts
fällt, oder ein Fall rückwärts, während der vordere Theil des Fusses fest-
gehalten wird. — Nicht selten veranlasst dieselbe Gewalt auch den Durch-
brach der Haut , wo dann das Sprungbein nach aussen hervorsteht. —
Prognose. Sie ist immer sehr misslich , da die Einrichtung sehr oft
misslingt , in welchem Falle ein bedeutendes Hinken zurückbleibt , oder
Eiterung, Caries, Necrose, brandige Zerstörung die Folge sein kann, wo-
durch später die Amputation nöthig wird. Nur bei unvollkommenen
Luxationen kann der Fuss seine Brauchbarkeit zum grössten Theil wieder
erlangen. — Reposition. Man beugt das Kniegelenk im rechten
Winkel, umfasst mit beiden Händen Unterschenkel und Fuss, stemmt den
Fussrücken des Kranken gegen sein eigenes Knie, drückt ihn gegen dieses
&n und bringt dann den Fuss in Flexion. Oder man lässt einen Gehülfen
<lie Contraextension über den Knöcheln des im Knie- und Hüftgelenke ge-
beugten Gliedes , einen andern die Extension an der Ferse und am Vor-
fusse machen , während der Wundarzt mit seinen beiden Daumen den
Astragalus an seinen Plaz zu drücken sucht. Bei hartnäckigen Fällen
kann die Extension mittels eines hinter der Ferse angelegten Tuchs ge-
macht werden ; man hat selbst zu dem Flaschenzuge seine Zuflucht ge-
nommen. Die Extension muss stetig gemacht, aber lange fortgesezt wer-
den. — Retention. Man legt einen Verband an , wie beim Bruche
der Fibula und erhält den. Fuss in einer der Richtung der Luxation ent-
gegengesezten Lage. — Nachbehandlung. Durch Ruhe und kalte
Umschläge verhütet oder beseitigt man die Gefahren einer Gelenkentzün-
dung. — Gelang die Reposition nicht, so hat man zum Oeftern mit Er-
folg das Sprungbein herausgelöst oder aus der schon vorhandenen V/unde
entfernt ; die Tibia tritt dann in Berührung mit dem Fersenbeine , das
Glied wird allmälig wieder brauchbar , nur erscheint der Fuss etwas ver-
kürzt. Ebenso ist die Exstirpation des Sprungbeins angezeigt bei der
Umdrehung um seine Achse , da hier Repositionsversuche keinen Erfolg
haben. — b) Verrenkung des Fersen-, Kahn- und ersten
Keilbeins. Die Erkenntniss dieser Luxationen ergibt sich leicht aus
der anatomischen Lage der einzelnen Knochen. Das Fersenbein
weicht gewöhnlich nach aussen, das Kahnbein am häufigsten nach
VERRENKUNG DER FÜSSWURZELKNOCHEN. 1019
oben, seltener nach aussen und nach unten, das erste Keilbein
nach innen und oben. — Die Ursachen sind grosse Gewaltthätig-
keiten , z. B. das Ueberfahrenwerden des Fusses , das Auffallen einer
schweren Last auf den Fuss , das Einklemmen des Fusses wahrend eines
Falles. — Die Prognose ist nicht günstig; es folgen nicht selten Ab-
scesse und Caries , besonders wenn die Einrichtung nicht zu Stande zu
bringen ist oder versäumt wird. — Die Reposition geschieht durch Ex-
tension des Fusses , Biegung desselben in der der Luxation entgegenge-
sezten Richtung und durch Druck auf den vorstehenden Knochen. — Die
Retention geschieht durch Compressen , Binden und Schienen auf die
Luxationsstelle ; das Glied lagert man auf die äussere Seite.
18. Verrenkung der Mittelfussknochen an der Fuss-
wurzel. Diese Luxationen können auf einen oder mehrere Metatarsal-
knochen beschränkt sein oder den ganzen Mittelfuss betreffen. Ein-
zelne Mittelfussknochen verrenken in der Mehrzahl der Fälle
nach oben, doch sind auch Beispiele von einer Verrenkung nach unten
bekannt. Sie geben sich durch einen Vorsprung mit dahinter liegender
Vertiefung je nach der Art der Luxation auf der Dorsal- oder Plantarseite
des Fusses zu erkennen. Die Verrenkung kann vollkommen oder unvoll-
kommen sein. — Der Mittelfuss im Ganzen kann nach oben,
nach unten, nach aussen und nach innen dislociren. Bei der Ver-
renkung nach oben bilden die Mittelfussknochen einen queren Vorsprung
auf dem Rücken des Fusses mit einer Vertiefung nach hinten ; auf der
Fusssohle kann man den convexen Rand der Fusswurzelknochen fühlen.
Bei der Verrenkung nach unten springen die Fusswurzelknochen auf
dem Fussrücken vor mit einer Vertiefung davor , der Mittelfuss ragt auf
der Planta pedis hervor. Bei den beiden vorgenannten Luxationen
ist der Fuss verkürzt. Die Verrenkungen nach den Seiten sind sehr
selten und die nach aussen und nach vorgängigem Bruche des eingelasse-
nen zweiten Mittelfussknochens oder nach seiner Luxation nach oben
möglich. Der ausgerenkte Mittelfuss zeigt an der einen Seite des Fusses
einen Vorsprung, an der andern eine Vertiefung. Die Ursachen die-
ser Verrenkungen sind ein Sprung auf den vordem Theil der Planta
pedis von einer Höhe oder ein starker Druck auf den vordem TheiL des
Fusses, wie z. B. von einem stürzenden Pferde. — Die Prognose ist
nicht so übel, obgleich die Einrichtung nicht selten versagt, indem sich
auch bei nicht eingerichteter Luxation mit der Zeit ein erträglicher Gang
einstellt. Behufs der Reposition wird der gebogene Unterschenkel
fixirt, der vordere Theil des Fusses mit den Händen oder mittels Schlin-
gen extendirt , worauf man die ausgewichenen Knochen an ihren Plaz
drängt. Malgaigne bedient sich auch hier bei der Luxation einzelner
Mittelfussknochen des Pfriems , mit welchem er das luxirte Ende nach
vorn treibt. Zur Erhaltung der Einrichtung legt man eine dicke Sohle
1020 VORHAUTVERSCHLIESSUNG.
auf die Planta pedis, auf welche man den Fuss mit einer Binde be-
festigt.
19. Verrenkung der Zehen. Am häufigsten kommt die
Verrenkung der grossen Zehe vor. Diese tritt dabei nach oben, wo sie
auf der Dorsalseite des Mittelfussknochens einen mehr oder minder gros-
sen Vorsprung, je nachdem die Luxation vollkommen oder unvollkommen
ist, bildet. Bei der vollkommenen Verrenkung ist meist die Gelenkkapsel
zerrissen und nicht selten ragt das luxirte Gelenkende durch die Haut
hervor. Die Ursachen sind meistens ein Fall vom Pferde , Hängen-
bleiben im Steigbügel oder Sturz des Pferdes auf den Fuss. Die Re-
position bietet oft die grössten Schwierigkeiten dar , ist zuweilen so-
gar ganz unmöglich , was um so übler ist , als der Kranke dadurch sehr
lange Zeit ausser Stande ist, sich auf die Zehen zu stüzen. Man exten-
dirt mit einer Schlinge oder der Liier' sehen Zange an der Zehe und
sucht die Knochen übereinander zu drücken. Den eingerichteten Knochen
sucht man durch kleine Schienen und Heftpflasterstreifen amPlaze zu er-
halten, was oft misslingt. Ist der Gelenkkopf durch die Haut getreten
und gelingt die Reposition nicht, so trägt man denselben ab.
Vorfall, Prolapsus, Procidentia, nennen wir jene Ab-
weichung von der normalen Lage irgend eines Organs, wobei das leztere,
ohne von den allgemeinen Bedeckungen oder einer sonstigen natürlichen
Haut überzogen zu sein , äusserlich sichtbar wird. Mit dem Vortreten
eines Organs kann eine theilweise oder vollständige Umkehrung desselben
oder des nächstgelegenen verbunden sein (Prolapsus cuminver-
s i o n e) — Die Ursachen sind entweder Erschlaffung der Faser des
vorgefallenen Organs, oder Erschlaffung oder Zerreissung der das Organ
befestigenden Theile ; ausserdem anderweite krankhafte Veränderung der
Theile, grössere speeifische Schwere, Druck von benachbarten vergrösser-
ten oder widernatürlichen Gebilden und Erweiterung der natürlichen OefF-
nungen. — Die Behandlung hat 3 Indicationen : die Reposition, Re-
tention und die Nachbehandlung. Die Reposition geschieht durch Manual-
hülfe, die Retention durch verschiedene mechanische Vorrichtungen und
Operationen und die Nachbehandlung hat die Beseitigung der verschie-
denen Ursachen, die dem Vorfalle zu Grunde liegen und der Nachkrank-
heiten zur Aufgabe.
VorhautverSChlieSSUng , Atresia praeputii. Diese
Abnormität kann angeboren oder durch vorausgegangene Krankheiten, als
Entzündung, Geschwüre etc. erworben sein; öfter trifft man sie angeboren.
Der Urin sammelt sich dann in eine kegelförmig hervorragende und glän-
zende Geschwulst der ausgedehnten Vorhaut. Zur Abhülfe dieses Uebels
stösst man in die Mitte dieser Geschwulst ein schmales gerades Bistouri
oder eine Lancette, jedoch nicht so tief ein, dass die Eichel verlezt werden
VORSTEHERDRUESE. ABSCESS. 1021
könnte ; in diese gemachte Oeffnung bringt man dann eine Charpiewieke,
um das Wiederverwachsen zu verhindern. Theilweise Verwachsung der
Yorhaut oder Verengerung desselben siehe unter Ruthe.
Vorsteherdrüse, Krankheiten derselben. Die Vor-
steherdrüse kann der Siz verschiedener Affectionen sein, wie der Ent-
z ü n d u n g mit ihren Ausgängen, unter denen namentlich Abscessbildung
und Verhärtung zu nennen ist , ferner einer Hypertrophie und
Atrophie, einer Neuralgie, endlich beobachtet man hier Steine,
Tuberkel, selten Krebs.
Vorstehe rdrüsenabscess, Abscessusprostatae. Er
ist die Folge einer häufiger acuten als chronischen Entzündung, da leztere
sich mehr zur Verhärtung hinneigt. Ausser den allgemeinen Zeichen
eines Abscesses bemerken wir noch hier Druck und Schwere im Mittel-
fleische , Blasenkrampf, Harnverhaltung und Stuhlzwang; die Diagnose
wird zuverlässiger durch die Fluctuation , welche man durch den Mast-
darm fühlt. Diese Abscesse entleeren sich bald durch die Blase , die
Harnröhre , den After , bald durch die Haut des Mittelfleisches , bilden
häufig Fisteln und Verschwärungen, die nicht selten den Tod nach sich
ziehen. Steine in der Harnblase , Stricturen der Harnröhre , Verlezungen
durch den Catheter , heftige Tripper und äussere Verlezungen sind, nebst
den gewöhnlichen , die Ursachen der Abscessbildung. — Die Prognose
ist nicht günstig ; es bleiben oft unheilbare Uebel , häufige Samener-
giessung etc. zurück. Wenn der Abscess sich ausgebildet hat , so muss
man suchen , durch Umschläge , Sizbäder , Einreibungen etc. und zulezt
durch das Messer seine zeitige Eröffnung nach aussen herbeizuführen;
bei gleichzeitiger Harnverhaltung muss der Catheter in die Blase einge-
führt werden, was oft sehr schwierig ist, zuweilen aber auch den
Abscess öffnet. Man lässt dann den Catheter in der Blase liegen , bis
kein Eiter mehr mit dem Urin abgeht.
Vorsteherdrüsenentzündung, Inflammatio glandulae
prostatae, Prostatitis. Sie macht sich kenntlich durch ein Gefühl von
Wärme, Schwere, stechendem und drückendem Schmerz in der Tiefe der
Beckenhöhle an der Wurzel der Harnröhre, der sich gegen den Mast-
darm, bisweilen längs des Penis, seltener in den Unterleib hinauf und
in die Schenkel verbreitet und durch Druck auf den Damm, so wie durch
Harn- und Stuhlausleerungen vermehrt und dabei namentlich in der Co-
rona glandis empfunden wird; durch zwängenden und pressenden
Schmerz beim Harn- unb Kothabgange, und Spärlichkeit oder gänzliche
Unterdrückung desselben ; durch ein fortwährendes Gefühl von Druck
uuf den Mastdarm und durch Abgang von Schleim mit dem Urin. Die
Drüse zeigt sich stets etwas angeschwollen, wie theils eine Untersuchung
durch den Mastdarm , theils die Einführung des Catheters in die Harn-
röhre zeigt. Ist der Catheter bis in die Gegend der Vorsteherdrüse
1022 VORSTEHERDRUESE, — ENTZUENDÜNG.
gelangt, so macht das weitere Einschieben Schmerz oder ist auch gänzlich
unmöglich , oft folgen einige Tropfen Blut. Hat die Entzündung einen
einigermassen hohen Grad erreicht , so gesellt sich stets Fieber hinzu.
Theils wegen der Nachbarschaft, theils wegen der Harnverhaltuug, theils
durch Consensus tritt oft theilweise oder allgemeine Entzündung der
Harnblase , der Harnröhre , der Samenbläschen und des Mastdarms ein.
Auch Nierenleiden hat man einige Male bemerkt. Dies sind die
Symptome der acuten Prostatitis. — Wenn die Prostata sich in einem
Zustande chronischer Entzündung befindet, so sind diese etwas
anders beschaffen. Fieber ist nicht vorhanden , demungeachtet befindet
sich der Kranke in einem Zustande allgemeinen Unbehagens ; die Zunge ist
schleimig belegt, der Unterleib nicht in Ordnung und die Contenta des
Rectums werden mit Schwierigkeit entleert. Es wird auch Schmerz im
Damme gefühlt, wenn man einen starken Druck auf diese Gegend aus-
übt oder wenn die Schenkel stark übereinander geschlagen werden. Ein
dünner unbedeutender Ausflugs begleitet diesen Zustand ; er besteht bis-
weilen aus blossem Schleim, hie und da ist er deutlich eiterig; die Quan-
tität ist nicht gering. Im Verlauf der Harnröhre bis zur Eichel wird
Schmerz gefühlt, oft ist derselbe nur auf leztere beschränkt; auch findet
oft ein Gefühl von Schmerz und Schwere im Rectum statt, welcher er-
stere durch den Druck des in den Mastdarm eingeführten Fingers auf
die Blase vermehrt wird ; in gleicher Weise kommen schiessende Schmer-
zen in den Schenkeln nach dem Verlaufe der Nervi ischiadici und
nach der Lendengegend vor. Dazu Reizbarkeit des After und der Blase
und Harnstrenge , verbunden mit Hämorrhoiden und einer Art Eczema.
Während der Nacht treten nicht selten schmerzhafte Muskelkrämpfe am
Damm und After ein. Dieser Zustand gibt häufig zu dauernder Hyper-
trophie des einen oder andern Lappens der Prostata Veranlassung. —
Die acute Prostatitis endigt unter günstigen Umständen in 7, — 14 Tagen
durch Zertheilung, die sich durch allmäliges Verschwinden der geschil-
derten Zufälle zu erkennen gibt. Fühlt sich aber bei der Exploration
per an um die Drüse heiss an, ist sie sehr schmerzhaft, ist das Pulsiren
ihrer Arterien deutlich zu bemerken, tritt vermehrtes Fieber gegen Abend,
Frösteln ein , so ist der Uebergang in Eiterung zu erwarten. Zuweilen
geht die acute Entzündung in die chronische über. — An und für sich
nimmt die Entzündung der Prostata nicht leicht einen schnellen töcltli-
chen Ausgang, aber häufig führt sie durch langes Siechthum in Folge
von Ulceration und durch mannichfache grosse Leiden der Harnwerk-
zeuge zu einem langsamen qualvollen Tode. — Ursachen. Sie sind
äussere Gewaltthätigkeiten wie ein Stoss , Fall etc. , sodann Verlezung
und Reizung durch Kerzen, Catheter, Steine; Stricturen der Harnröhre,
geschlechtliche Ausschweifungen , manche Blasenleiden , plözliches und
anhaltendes Ausgeseztsein in Nässe und Kälte , wie Arbeiten in nassen
Kleidern , langes Gehen in der Nässe , plözliche Unterdrückung der
VORSTEHERDRUESE. ENTZUENDUNG. 1023
Hautthätigkeit , unterdrückte Hautausschläge, Gicht, besonders aber
Tripper. — Die Diagnose des fraglichen Uebels ist nicht selten
schwierig , da wegen der nahen Verbindung , in welcher die Prostata mit
vielen andern Theilen steht, die entweder in das entzündliche Leiden
verwickelt , oder auf andere Weise in ihren Verrichtungen gestört wer-
den , ein undeutliches Krankheitsbild entsteht. Die sicherste Kunde gibt
die Untersuchung durch den Mastdarm , so wie die Einführung des Ca-
theters. — Behandlung der acuten Prostatitis. Diese muss
streng antiphlogistisch sein : wiederholte Application von Blutegeln an
den Damm, warme Sizbäder oder warme Fomentationen mit Flanell oder
Schwämmen, erweichende Klystiere, Abends 2 Gran Calomel mit 10 Gr.
Pulv. Doweri; nachdem den Urin verdünnende Mittel, viel schlei-
miges Getränk , wie Gersten - und Zuckerwasser , hauptsächlich aber die
Soda - und Kalisalze , welche die Säure des Urins neutralisiren und durch
Vermehrung der Secretion desselben ihn für die Blase weniger schmerz-
haft und leichter entleerbar machen. Adam lässt von einer schleimigen
Mixtur mit 1 6 Tropfen Liquor potassae und 2 0 Tropfen Hyoscy-
amustinctur alle sechs Stunden 1 Löffel voll nehmen. Daneben ordnet
man eine nicht reizende Diät an. — Bei der chronischen Prosta-
t i s t i s sezt man gelegentlich Blutegel an den Damm, lässt von Zeit zu Zeit
ein Bad nehmen und applicirt Klystiere; daneben reicht man bei zu
Grunde liegendem Tripper nach Adam blaue Pillen in dreigranigen
Dosen mit 5 Gr. Extr. Conii Abends und 3 Mal täglich 15 Tropfen
Tinct. hyoscyami; wenn der Tripper wieder erscheint 3 greift man
zum Terpenthin. Hat die Krankheit lange bestanden und leidet die Ge-
sundheit des Patienten im Allgemeinen in Folge der localen Reizung, so
ist der Gebrauch der Tinct. ferri muriatici drei Mal täglich zu
2 0 Tropfen angezeigt, auch See- oder Stahlbäder sind von Nuzen.
Ebenso rühmt man Jod innerlich (2 — 3 Gr. Kali hydroiod. 3 Mal
täglich in einem Sarsaparilldecoct) und äusserlich ; W a r r e n fand die kalte
Douche gegen den Damm sehr nüzlich. — Bei Prostatitis nach
Onanie dienen Blutegel an den Damm , die Anwendung des Extr.
conii in f ünfgranigen Dosen , kalte Sizbäder , Stahlmittel ; bei nächt-
lichen Samenergiessungen wendet man nach Lallemand leichte Ae-
zungen mit Lapis infern alis an.
Vorsteherdrüsenhypertrophie. Dieses Leiden ist fast aus-
schliesslich dem höhern Alter eigenthümlich und wesentlich von der An-
schwellung der Drüse zu unterscheiden, welche nach Eni Zündungen
zurückbleibt. Während der Eintritt der lezteren Krankheit durch eine
Reihe ausgeprägter Symptome bezeichnet ist, schleicht sich die Hyper-
trophie der Prostata so heimlich ein , dass die einzigen Anzeigen ihrer
Gegenwart in dem mechanischen Hinderniss des Harnlassens in Folge
der Ausdehnung der Drüse bestehen ; es wird weder Schmerz noch Un-
behaglichkeit gefühlt , bevor nicht die Drüse einen beträchtlichen Um-
1024 VORSTEHERDRÜESE. ENTZUENDUNG.
fang erreicht hat , worauf dann Symptome so betrübender Art eintre-
ten , dass sie mehr oder weniger die künftige Existenz des Kranken
verbittern. Diese Symptome bestehen in einem schwachen Gefühl
von Unbehaglichkeit in der Blasengegend mit Schmerzen , die in die
Beine , Schenkel , die Weichen und an die Spize des Penis schiessen ;
damit ist gewöhnlich eine geringe Störung des Allgemeinbefindens ver-
bunden. Im weiteren Verlaufe der Krankheit bemerkt der Kranke einen
häufigeren Urindrang als gewöhnlich , und geringere Quantität des Urins
dabei , der auch nicht so leicht wie vorher , aber doch in einem Strahle
und mit einer gewissen Kraft gelassen wird; der Harndrang nimmt an
Intensität und Frequenz zu , es muss urplözlich , besonders des Nachts,
Wasser gelassen werden, von dem jedoch nur eine sehr geringe Menge
und mit einer gewissen Anstrengung entleert wird. Die Schmerzen stei-
gern sich, der Kranke fängt an zu fiebern, seine Zunge ist etwas belegt,
die Hände fühlen sich heiss und trocken an , aber er ist noch im Stande
seinen gewöhnlichen Beschäftigungen nachzugehen; seine Beinkleider
sind gewöhnlich nass durch den häufigen Abgang geringer Quantitäten
Urin aus der Blase , dessen Geruch ammoniakalisch und äusserst wider-
wärtig ist ; der Ausdruck seines Gesichts ist ängstlich und bietet charak-
teristische Zeichen einer Harnkrankheit. Wenn dieser Zustand nicht
erleichtert wird , so folgen noch viel heftigere und gefährlichere Sym-
ptome : so nimmt der Harndrang immer mehr zu , die Quantität wird
jedesmal vermindert , bis der Kranke zulezt nicht einen einzigen Tropfen
lassen kann und nun an vollständiger Harnverhaltung leidet. Bisweilen
kommt es auch vor, dass der Strahl des Urins allmälig an Kraft abnimmt
und dass der Urin mehr abläuft und abtröpfelt , als dass er ausgetrieben
wird ; manchmal kann der Kranke geringe Quantitäten Urin in einem
Strahle lassen , aber augenscheinlich entleert er seine Blase nie voll-
ständig. — Die hypertrophirte Prostata wird nach allen ihren Dimen-
sionen hin vergrössert gefunden, doch wird der linke Lappen häufiger
hypertropisch als der rechte. Gewöhnlich ist Verhärtung damit verbun-
den , so dass die Prostata beim Schneiden ganz knorpelig erscheint ; in
andern Fällen fühlt sie sich dagegen weicher als gewöhnlich an. Bei
der microscopischen Untersuchung findet man die Blutgefässe der ver-
grösserten Drüse zahlreich und gross , ihre Ductus und Folliculi
an Durchmesser bedeutend vergrössert , sie ist mit Concretionen ange-
füllt und es findet eine bemerkenswerthe Zunahme in der Ablagerung
von weissen Fasern und von Muskelsubstanz statt, welche die Zwischen-
räume der Follikel ausfüllt. Gelegentlich findet man grössere Ge-
schwülste , die aus wirklichem hypertrophischen Drüsengewebe bestehen.
— - In practischer Hinsicht von Wichtigkeit ist es , zu wissen , dass die
Harnröhre bei der Hypertrophie der Prostata in der Pars prostatica
neben einer bedeutenden Erweiterung auch eine Längenzunahme erfahren
hat und sie bei ungleichmässiger Ausdehnung der seitlichen Lappen ge-
VORSTEHERDRUESE. HYPERTROPHIE. 1025
schlängelt verläuft oder bei Einwirkung des mittleren Lappens eine sichel-
förmige , mit ihrer Cönvexität nach unten gerichtete Kurve bildet ; nicht
selten verlegt der mittlere Lappen die Harnröhre klappenartig. Diese
Einrichtung muss bei der Einführung des Catheters berücksichtigt werden.
— Mit der Hypertrophie der Prostata verbindet sich eine Erkrankung
der Blase , welche in einem Reizzustande , Verdickung der Häute der-
selben , so wie häufig in zahlreichen gleichförmigen Ausdehnungen be-
steht , womit die Ausscheidung eines verdorbenen , mit Schleim und Eiter
vermischten Urins verbunden ist. Selbst die Nieren werden in Mitleiden-
schaft gezogen. — Die Aetiologie dieser Krankheit ist in das grösste
Dunkel gehüllt ; sie befällt Arme wie Reiche , Hagestolze wie Verhei-
rathete. — Eine hypertrophische Prostata prädisponirt immer zu An-
fällen von venöser Congestion und von Entzündung mit allen ihren Fol-
gen. Indem nun die Congestion durch vielerlei Dinge (Reiten, starkes
Trinken , geschlechtliche Aufregung etc.) gesteigert werden kann , gibt
sie wohl die häufigste Veranlassung zur Harnverhaltung. — Behand-
lung. Besteht ein Congestionszustand der Prostata, so sezt man eine
Partie Blutegel an den Damm , lässt Morgens und Abends ein warmes
Sizbad brauchen und gibt einen Esslöffel voll Oleum ricini. Sehr
wohlthuend ist die Anwendung von 2 Gran C a 1 o m e 1 mit 1 0 Gran
P u 1 v. Doweri vor Schlafengehen, 2 bis 3 Abende hintereinander. Mit
diesem kann man Clystiere von Haferschleim verbinden. Um die Ab-
sonderung verdünnten Urins zu erzielen , gibt man alle 4 Stunden von
einem Tranke, welcher aus Mucilago gummi a r a b i c i mit 2 0 Tropfen
Liquor potassae und ebenso viel Tinct. hyoscyami besteht.
Daneben sind erhizende Speisen und Getränke und Excesse in V e n e r e
zu vermeiden. Damit stellt sich meist bald ein erleichterter Abgang
des Urins ein. Bei hartnäckiger Incontinenz des Urins muss die Ueber-
f üllung der Blase durch Catheterismus beseitigt werden ; man führt den
Catheter Morgens und Abends in die Blase , bis diese ihre Kraft wieder
erlangt hat. — Bei fehlender Congestion der Prostata sind Blutegel , so
wie überhaupt eine active Antiphlogose schädlich. — Bei Harnver-
haltungen in Folge von Anschwellung der Prostata bietet diese der
Einführung des Catheter oft unüberwindliche Schwierigkeiten dar. Es
ist deshalb nöthig , die verschiedenen Handgriffe zu kennen , welche diese
zu überwinden im Stande sind. Zuerst ist immer mit einem gewöhn-
lichen elastischen Catheter , mit einem stählernen Stilet der Versuch zu
machen ; er muss von einer solchen Stärke sein, um die Harnröhre gerade
auszufüllen , ohne sie indessen zu stark auszudehnen. Der Arzt steht an
der rechten Seite des liegenden Kranken und führt das gut eingeölte
Instrument mit seiner Concavität dem Bauche zugekehrt bis zur Prostata
hinab; wenn es den Punkt der Harnröhre erreicht hat, welcher das drei-
eckige Ligament rechtwinklig durchschneidet, so muss er den Eintritt
der Spize des Catheters in die Blase erschwert erachten; er drückt des-
Burger. Chirurgie. (J5
1026 VORSTEHEEDRUESE. HYPERTROPHIE.
halb den Handgriff sanft zwischen die Schenkel des Kranken nieder,
worauf dann der Catheter oft auf einmal in die Blase tritt. Findet aber
an diesem Punkte eine Schwierigkeit statt, so zieht er den Catheter
etwas zurück , hebt seine Spize durch Niederdrücken des Handgriffs noch
mehr und lässt ihn so mit Leichtigkeit in die Blase schlüpfen. Bei
allen diesen Manövern ist jede Gewalt sehr zu vermeiden ; schliesslich
kann man , wenn der Catheter nicht in die Blase eindringen will , das
Stilet zurückziehen, in der Hoffnung das beweglichere Instrument werde
leichter über den Boden der. Prostata hingehen. Zuweilen kommt man
mit einem silbernen Catheter besser zum Ziele. Aus der Richtung, welche
das hintere Ende des Catheters annimmt , sobald das Blasenende des-
selben in den prostatischen Theil der Harnröhre gelangt ist, kann man
auf die an diesem Theile der Harnröhre vorkommenden Abweichungen
schliessen. Ist nämlich einer der Seitenlappen der Prostata vorzugsweise
entwickelt , so wird sich das hintere Ende des Instruments , sobald man
die Hand entfernt nach links oder rechts neigen. Wird das Instrument
beim Eintritt in die Blase plözlich aufgehalten, so rührt dies in den
meisten Fällen von einer starken Anschwellung des mittlem Drüsenlap-
pens her. Im ersteren Falle schiebt man das Instrument in der ange-
nommenen Richtung , indessen ohne Gewalt anzuwenden , vorwärts ; im
letztern Falle hebt man das vordere Ende desselben durch eine schwin-
gende Bewegung. Bei diesem lezteren Fall hat Mercier einen Ca-
theter angegeben, welcher in seiner ganzen Länge gerade und nur 6,
höchstens 8 Linien vor seinem Blasenende sich fast unter einem rechten
Winkel krümmt (Sonde coudee). Diese Sonde muss, im prostatischen
Theile der Harnröhre angekommen, nicht allein mit dem Griff abwärts
gebracht, sondern auch direct gegen den Blasenhals geschoben werden.
Bei sehr starkem klappenartigen Vorsprung des mittlem Lappens be-
dient sich Velpeau eines starkgekrümmten Catheters. — Nach Ein-
führung des Catheters hat man den verengten Harnröhrentheil durch
liegenbleibende Bougies , Catheter , einen Druck nach hinten zu erwei-
tern gesucht. — Kann die vorliegende Schwierigkeit auf keine der an-
gegebenen Weisen überwunden werden , so muss der Blasenstich unver-
züglich unternommen werden, welcher dem von Einigen empfohlenen ge-
waltsamen Durchstossen der Prostatageschwulst unbedingt vorzuziehen
ist. — Noch ist zu bemerken , dass die Hypertrophie der Prostata bis-
weilen mit einer Cystenbildung verbunden ist, welche wahrscheinlich
auf einer einfachen Erweiterung mit folgender Verschliessung der natür-
lichen Follikel der Drüse beruht.
Vorsteherdrüsenkrebs. Diese seltene , auch im jugendlichen
Alter vorkommende Krankheit kann als Scirrhus und als Markschwamm
auftreten. Sie zeigt die der Prostatahypertrophie eigenthümlichen
Symptome , zu welcher sich die dem Krebse characteristischen Zeichen
gesellen. Gewöhnlich findet häufiger Harndrang mit schwierigem Harn-
VORSTEHERDRUESE. NEURALGIE. 1027
lassen statt , und ersterer ist namentlich des Nachts sehr heftig. Auf
den Abgang des Urins folgt grosser Schmerz ; manchmal geht mit dem
letzten Tropfen Urin etwas arterielles Blut ab ; der Urin ist anfangs klar,
aber später durch Beimischung von zerseztem Schleim oder Eiter , selbst
von dem Gehirnkrebse ähnlichen Zotten oder Krebszellen und von Phos-
phaten getrübt. Die Blase ist reizbarer als bei der gewöhnlichen Hyper-
trophie, und im Stande, ihren Inhalt ganz zu entleeren. Tiefe , dumpfe,
lancinirende Schmerzen werden im Verlaufe des Penis, besonders nach der
Eichel hin , in den Weichen und in den Schenkeln gefühlt , im Rücken
und im Rectum ist ein gewisses Unbehagen , und der Kranke glaubt
dessen Inhalt nicht vollständig entleeren zu können. Bei Einführung
des Catheters in die Blase findet man wenig oder gar keinen Urin darin
und bei dem Durchgange des Instruments durch die Pars prostatica
glaubt man ein Krazen auf einer steinigen Masse zu fühlen. Mit dem
in den Mastdarm eingeführten Finger fühlt man die Prostata von knor-
peliger Härte , gewöhnlich unregelmässig knotig. Dazu kommt allge-
meines caehectisehes Aussehen, verbunden mit allmäliger Abmagerung,
grosser Unruhe , Anschwellung der Leistendrüsen. — Ueber die Behand-
lung lässt sich nicht viel sagen. Es kann sich hier nur von einer Lin-
derung der Zufälle handeln. Bei Harnverhaltung muss Morgens und
Abends ein elastischer Catheter mit grosser Vorsicht eingeführt werden,
der auch in der Blase liegen bleiben kann. Man sezt warme Clystiere
und bringt Stuhlzäpfchen von Opium bei , welches leztere überhaupt zur
augenblicklichen Erleichterung der fürchterlich quälenden Symptome in
seinen verschiedenen Formen Anwendung finden muss.
Vorsteherdrüsenneuralgie. Die Prostata nebst dem Blasen-
halse und dem nahe liegenden Theile der Harnröhre sind einer Art von
Neuralgie ausgesezt , deren Symptome denen einer organischen Erkran-
kung so ähnlich sind, dass es oft äusserst schwer hält, eine sichere
Diagnose zu stellen. Diese Krankheit befällt selten Leute vor dem
50. Jahre und sucht sich meist solche von melancholischem oder biliösem
Temperament aus. In einem Falle , den Adam zu behandeln hatte,
klagte der betreffende Kranke über heftigen Schmerz in der Regio h y -
pogastrica, der sich längs des Penis in das Mittelfleisch, zum After,
in die Schenkel und über das Kreuz ausdehnte. Dabei hatte er häufigen
Harndrang ; der Urin ging zwar leicht ab , aber er hatte immer noch das
Gefühl , als hätte er die Blase nicht vollständig entleert. Auch klagte
er über ein Gefühl von Härte am After, doch konnte daselbst am
Sphincter ani nichts entdeckt werden. Das Gesicht zeigt eine grosse
Niedergeschlagenheit. Die Einführung des Catheters geschah ohne grosse
Schwierigkeit und der entleerte Urin zeigte nichts Abnormes. Es war
Neigung zur Verstopfung zugegen. Es wurden Alealien mit Uva ursi,
später Ferrum carbonicum mit Alealien , dann blaue Pillen mit
Extractum conii und zulezt kleine Gaben Extractum colchici
65*
1028 VORSTEHERDRÜESE. -- TUBERKULOSIS.
mit einer geringen und nur temporären Erleichterung verordnet. Da-
neben früh und Abends Einführung eines elastischen Catheters. Später
erhielt der Kranke drei Mal täglich fünf Tropfen verdünnter Salpeter-
säure in einem Sarsaparilldecoct, ein Belladonna - Pflaster auf das Kreuz,
Waschungen des Mastdarms mit warmem Seifenwasser und zwei Mal in der
Woche ein heisses Bad. — Adam leitet die Krankheit von einem krank-
haften Zustande der Gallen- und Urinsecretion ab. Diesemnach hält er nach
Keinigung des Darmkanals die Anwendung von Mitteln für angezeigt,
welche eine specifische Wirkung auf das Nervensystem der gastrischen
Schleimhäute ausüben und die alle in die Klasse der Tonica gehören,
z. B. die Präparate der tonisirenden Rinden, des Eisens, des Arseniks etc.
V o r s t e h e r d r ü s e nr e i z b a r k e i t. Es gibt einen Zustand der
Prostata und des Blasenhalses zugleich, welcher sich durch eine characte-
ristische Symptomenreihe eines Reizzustandes der Prostata auszeichnet
und von der Entzündung zu unterscheiden ist. Der Kranke klagt über
ein Gefühl von Unbehaglichkeit im 4)amme , über dumpfen Schmerz in
den Hoden mit Anschwellung der Samenstränge , über Schweregefühl im
Mastdarm , Jucken am After und einen häufigeren Harndrang , während
der Harn selbst mit etwas Schwierigkeit -und zugleich mit etwas Schleim
aus der Harnröhre abgeht. In Fällen von längerer Dauer zeigt die Harn-
röhrenmündung eine fleckige Röthe, steht offen, häufig bemerkt man Ex-
coriationen an der Vorhaut mit Jucken längs der Harnröhre und an der
Eichel. Dabei sind nächtliche Pollutionen keine ungewöhnlichen Beglei-
ter. Verschlimmert sich dieser Zustand durch Venusdienst und- hizige
Getränke , so wird der früher helle und farblose Ausfluss gelb und eiter-
artig und derselbe oft fälschlich für einen Tripper gehalten, von dem
er sich aber durch den Mangel an Schneiden und Harnstrenge unterschei-
det. Nach Adam besteht dieser Zustand in einer Reizbarkeit der Pars
prostatica der Harnröhre sowohl, wie der Ausführungsgänge der Fol-
likel der Drüse selbst. — Die Behandlung ist einfach. Schröpfköpfe
oder Blutegel an dem Damm , warme Fomentationen oder Sizbäder sind
vom grössten Nuzen. Man reicht ein tüchtiges Abführmittel zur Entlee-
rung des Rectums und hält dann den Leib durch kleine Gaben Bittersalz
offen. Später gibt man Pillen aus 5 Gran E x t r. C o n i i nebst 2 bis
3 blauen Pillen jeden Abend und Terpentin mit Rhabarber 3 — 4 Mal
täglich. Hat diese Behandlung durch 2 — 3 Wochen keinen Erfolg, so
sind ganz kleine Gaben von Copaiva , ] 0 Tropfen 3 Mal täglich oft sehr
nüzlich ; zugleich können die warmen Umschläge täglich einmaligen kalten
Siz- oder Douchebädern Plaz machen. Eisenhaltige Arzneien , z. B.
Tinct. ferri sesquichlorati zeigen sich nach Aufhören der Sym-
ptome der Reizung, wenn der Ausfluss noch fortdauert, gleich von Erfolg.
Vorsteherdrüsensteine, s. Neubildungen.
Vor stehe rdrüsentuberkel. Diese seltene Krankheit der
Prostata kommt in drei Formen vor : als kleine Miliartuberkel , oder als
VORSTEHERDRUESE. — VERHAERTUNG. 1029
grössere Ablagerungen käsiger Materie an verschiedenen Stellen der
Drüse , oder es ist ein ganzer Lappen der Drüse in Tuberkelmasse ver-
wandelt. Die Symptome dieses Leidens drehen sich hauptsächlich
um das Harnsystem ; es ist heftiger Harndrang zugegen und es wird
wenig Harn mit vielem Schleim , bisweilen mit Blut vermischt gelassen.
Die Einführung des Catheters verursacht in der Pars prost atica der
Harnröhre fürchterliche Schmerzen und diese nehmen bei Druck der Pro-
stata auf das Rectum zu. Wenn der Tuberkel sich erweicht, so kommt
es zur Bildung von Abscessen im Damme. — Meistens ist die Tuberku-
losis der Prostata mit ausgedehnter Tuberkulose des Harn- und Ge-
schlechtssystems verbunden , wodurch , so wie durch die schwer zu deu-
tenden Symptome die Behandlung meist unnüz und erfolglos wird.
Könnte es auf irgend eine Weise gelingen, sich über die Natur der Krank-
heit in einem früheren Stadium zu vergewissern , so müsste sich der Pa-
tient aller Aufregung der Geschlechtssphäre vollkommen enthalten und
sogleich zur Anwendung von die Constitution stärkenden Mitteln geschrit-
ten werden. Eisen, China, Jod, Leberthran etc., nebst Flanell auf
blosser Haut , warme Soolbäcler , so wie der Aufenthalt an der See in ei-
nem warmen Klima gehören in diese Kategorie von Mitteln. Wenn die
Krankheit dagegen schon bis zur Eiterung fortgeschritten ist und alle
Zeichen äusserster Blasenreizung vorhanden sind , so kann nur noch von
einer Palliativbehandlung die Rede sein, welche mit der beim Krebse die-
ser Drüse angegebenen übereinkommt. Sobald sich Neigung zur Ab-
scessbildung zeigt, namentlich wenn eine weiche Stelle im Perinaeum vor-
handen ist, so muss sogleich eine Oeffnung gemacht werden, in welchem
Falle, wenn die Tuberkulose auf die Prostata beschränkt ist, noch Heilung
möglich ist.
Vorsteherdrüsenverhärtung, Indu ratio prostatae.
Diese Krankheit , welche zum Unterschiede von der Hypertrophie dieser
Drüse immer nach vorausgegangener schleichender Entzündung und mei-
stens zwischen dem 2 0. und 4 0. Jahre auftritt, kann die ganze Drüse
einnehmen oder sich nur auf einen Theil derselben und zwar meistens
ihren mittleren Lappen beschränken. Eine besondere Disposition zu
diesem Leiden haben scrophulöse Subjecte ; als Gelegenheitsursachen
nimmt man an : durch Blasensteine bedingte Reizung, Stricturen , über-
mässiges Reiten, geschlechtliche Ausschweifungen , Missbrauch geistiger
Getränke , Hämorrhoidalleiden ,, Gicht etc. Es entwickelt sich immer
langsam und zeigt im Uebrigen ganz dieselben Symptome wie die Hyper-
trophie. Dagegen muss die Behandlung eine andere sein. Während
die leztere nur ausnahmsweise ein antiphlogistisches Verfahren erfordert,
dieses sogar in der Regel positiv schädlich ist, darf ein solches besonders
anfangs nicht versäumt werden. Man sezt daher von Zeit zu Zeit Blut-
egel an den Damm und geht dann, wenn der Reizzustand beseitigt ist, zu
Mitteln über, welche die Resorption anspornen und eine Ableitung be-
1080 WARZEN.
wirken ; solche Mittel sind : Salmiak in grossen Dosen , Spongia ma-
r i n a , kohlensaure Alealien , besonders doppeltkohlensaure Soda , Jod
innerlich und äusserlich in Form von Einreibungen und Stuhlzäpfchen,
leztere in Verbindung mit Extr. h y o s c y a m i und Cicuta , ferner
Gold- und Quecksilberpräparate ; Vesicatore oder Haarseile am Damme,
und öfters wiederholte Abführmittel. — Nur im Anfange kann man hof-
fen , eine Zertheilung herbeizuführen ; in vorgerückteren Fällen kann
man manchmal das Uebel vermindern, meistens aber durch den eingeleg-
ten Catheter den Zustand des Kranken erträglich machen ; die Einfüh-
rung des leztern in die Blase erfährt indessen nicht selten dieselben
Schwierigkeiten , wie bei der Hypertrophie der Prostata ; die Handgriffe
dabei sind bei der Beschreibung dieser Form von Prostatavergrösserung
angegeben. — Zur Erweiterung des von der Prostatageschwulst vereng-
ten Harnröhrentheils wendet man einen Druck an , den man entweder
nach allen Seiten hin wirken lässt, was man durch liegen bleibende elasti-
sche oder metallene Catheter oder Pflasterbougies , oder nach Physik
mittels eines eingeführten und später mit Wasser gefüllten Darmstücks
von einem Schafe oder einer Kaze ins Werk sezt, oder man wendet einen
nach hinten gehenden Druck , die sogenannte Depression der Geschwulst
an , was nach M e r c i e r folgendermassen geschieht : man bringt einen
elastischen Catheter so weit in die Harnröhre ein, dass dessen Blasenende
auf der Geschwulst aufliegt ; hierauf führt man ein Fischbeinstäbchen in
den Catheter ein , erhebt den Penis mit dem Catheter dann v^iederholt
gegen den Bauch und bewirkt damit, indem sieh das Blasenende des Ca-
theters senkt, ein Niederdrücken der Geschwulst. Dieses Verfahren wird
mehrere Wochen lang fortgesezt. — Auch hier ist, wenn bei einer voll-
ständigen Harnverhaltung die Einführung des Catheters nicht gelingt,
der Blasenstich angezeigt.
w.
VV arzeil , Verrucae, stellen sich als kleine rundliche Aus-
wüchse der Haut dar, welche entweder hart oder weich sind, und darnach
in harte und weiche Warzen unterschieden werden. Die harte Warze,
Verruca vulgaris, stellt einen kleinen festen Höcker dar , welcher
über die Oberfläche der Haut hervorragt und selten den Umfang einer
kleinen Erbse überschreitet. Sie tritt ohne alle schmerzhafte Empfin-
dung bald einzeln, bald in mehr oder minder grosser Anzahl , vorzüglich
an den Fingern und Händen, und bisweilen auch am ganzen Körper auf.
Wenn man eine solche Warze durchschneidet, so sieht man, dass sie aus
zwei leicht zu unterscheidenden Schichten besteht , nämlich aus einer
obern härtern, der verdickten Epidermis, und einer unteru weichen viel-
WASSERBALGGESCHWULST AUF DER KNIESCHEIBE. 1031
höckerigen , welche nachweisbar aus hypertrophischen Hautpapillen zu-
sammengesezt ist. Zu jeder dieser Papillen geht ein kleines Gefäss,
das mit einer kleinen Erweiterung stumpf endet. Die Epidermis lagert
sich zwischen die einzelnen , oft fadenförmig verlängerten Papillen der
Cutis (Wurzeln der Warzen) und gibt denselben bald ein glattes , bald
ein rauhes, büschelartiges Aussehen; in diesem Falle hat jeder Fortsaz
seine eigene Epidermisscheide. Diese Warzen springen bisweilen auf,
bluten , und manchmal ergiesst sich eine klebrige Flüssigkeit aus den
Rissen. Solche nässende Warzen sind bisweilen sehr schmerzhaft. Die
in Rede stehenden Warzen bleiben eine Zeitlang auf der Haut und ver-
schwinden dann häufig von selbst, indem sie allmählig resorbirt werden,
oder verwelken und abfallen ; in beiden Fällen hinterlassen sie keine
Narbe. — Die weiche W a r z e, Verruca carnosa, hat stets einen
normalen Epidermisüberzug , auf welchem häufig dicht gedrängte Haare
wachsen, und die ausserdem bald durch ihre gelbe oder bräunliche Farbe,
bald durch ihre birnf örmige Gestalt , indem sie vermittels eines Stiels
aufsizt, ein eigenthümliches Ansehen erhält. Ihr Inneres besteht nur aus
Bindegewebe und zwar zum Theil aus unentwickeltem. — Die Ursa-
chen der Warzen sind in den meisten Fällen unbekannt. Man sieht sie
bei beiden Geschlechtern und in jedem Alter, doch häufiger bei vollsafti-
gen Personen, Frauen, Kindern und jungen Leuten, bei denen der Vege-
tationstrieb vorherrscht. Reizende Einflüsse auf die Haut scheinen ihr
Entstehen zu begünstigen. Die weichen Warzen sind fast immer ange-
boren. — Behandlung. Die Rückbildung der Warzen wird geför-
dert durch Bestreichen mit scharfen Pflanzensäften wie dem Chelido-
nium majus, Wolfsmilch, Sadebaum etc., oder mit Cantharidentinktur,
Salmiak- , Seifenlösung , Jod. Durch Aezmittel , als Spiessglanzbutter,
Höllenstein , Schwefel- , Salpetersäure etc. können die Warzen zerstört
werden. Kneipen, Drücken und Zupfen der Warzen bewirkt nicht selten
ihr Absterben. Gestielte Warzen entfernt man durch die Ligatur oder
trägt sie mit der Scheere ab. Breite harte Warzen exstirpirt man.
Wasserbalggeschwulst auf der Kniescheibe, Hy-
groma cysticum patellare, nennt man eine Anfüllung der Bursa
subcutanea patellaris mit einer verschiedentlich beschaffenen
Flüssigkeit (s. Cysten), wodurch sie sich dem Auge als eine Geschwulst
darstellt , welche schmerzlos , ohne Veränderung der Hautfarbe , weich,
elastisch , compressibel , meistens eirund , immer deutlich umgrenzt ist,
auf der Kniescheibe aufsizt , oder birnf örmig von ihr herabhängt , oder
sich mehr in die Breite ausdehnt. Mag sie aber auch noch so weit die
Grenzen der Kniescheibe überschreiten, so hängt sie doch nur an ihr und
nirgends anders fest, weshalb sie sich auch, obschon sie nach allen Rich-
tungen hin beweglich ist , nicht von diesem Standort wegdrücken lässt.
— Die Ursache dieser Schleimbeutelwassersucht ist zunächst immer
1032 WASSERBRUCH.
eine Entzündung der innern Haut des Schleimbeutels und zwar meistens
eine chronische , die man bei der geringen Empfindlichkeit dieser Theile
leicht übersieht, und in Folge derselben erfolgt dann die Ausschwizung.
Gelegenheitsursachen sind örtliche Einwirkungen, namentlich Quetschun-
gen in Folge eines Falles, Stosses , ein anhaltender Druck etc. oder all-
gemeine Krankheiten, wie Rheumatismus, Gicht, Scropheln etc. — Be-
handlung. Sie muss sich nach dem Zustande der Geschwulst und den
veranlassenden Ursachen richten. Wo möglich muss auf die Zertheilung
hingewirkt werden. — Ist noch ein entzündlicher Zustand zugegen , so
wendet man Blutegel , Umschläge von Bleiwasser und Einreibungen der
Quecksilbersalbe an ; später , wenn die Entzündung gehoben , aber
noch Flüssigkeit angesammelt ist , zieht man Blasenpflaster , welche
man längere Zeit unterhält , oder Einreibungen flüchtiger Salben , Jod-
salbe , Jodtinktur in Gebrauch. Wenn die Entzündung sehr heftig und
die Anschwellung sehr gross ist, so sind, des raschen Verlaufs wegen, ge-
wöhnlich alle Zertheilungsversuche fruchtlos ; in diesem Falle ist es am
besten, gleich Cataplasmen anzuwenden und am 3. oder 4. Tage einen
Einschnitt zu machen. — Ist die Geschwulst wie gewöhnlich unschmerz-
haft , so wendet man die oben angegebenen Reizmittel , ferner Douchen,
Moxen , Druck , zertheilende Pflaster, namentlich ein aus Gummi a m -
m o n i a c u m mit Acetum squillae bereitetes (Rp. Gummi a ni -
m o n i a c. 5J , A c e t. s q u i 1 1. q. s. a d subact. u t f. E m p 1. D. —
Das Pflaster wird noch warm einen Messerrücken dick auf Leder gestri-
chen und schnell, ehe es erkaltet und hart wird, auf den leidenden Theil
gelegt , wo es bis zu seiner freiwilligen Lösung liegen bleibt) oder die
sehr wirksame Heister 'sehe Mischung (Rp. Lythargyri ^vj, Bol.
armen. 5j, Mast ich. Myrrh. ana ^ß, Acet. vini ^j. coq. per
hör. qua dr. S. Mittels mehrfach zusammengelegter Tücher 4 — 6 Mal
täglich lauwarm überzuschlagen) an. Liegen innere Ursachen zu Grunde,
so ist mit der örtlichen eine angemessene innere Behandlung zu verbin-
den. Bei rheumatischem Ursprung erweist sich namentlich Herbstzeit-
losenwein, bei scrophulösem Jodkali wirksam. Gelingt es auf diese Weise
nicht , die Zertheilung herbeizuführen , so wendet man die Punction mit
Druckverband , oder mit nachfolgender Einreibung des E 1 i x i r. a c i d.
H a 1 1 e r i in die umgebende Haut an. Schlägt auch diese Behandlung
fehl, so verbindet man mit der Punction reizende Einsprizungen, wie von
verdünnter Jodtinktur, oder zieht ein Haarseil durch die Geschwulst, um
durch Erregung von Entzündung eine Verwachsung der Wandungen zu
bewirken, oder aber man spaltet die Geschwulst und heilt die Wunde
mittels Einlegen von Charpie durch Eiterung und Granulation oder end-
lich man exstirpirt den Schleimbeutel und heilt die Wunde durch erste
Vereinigung.
WaSSerbrUCll, s. Hydrocele.
WASSERKOPF. 1033
Wasserkopf, Hydrocephalus, heisst die Ausdehnung des
Schädels durch Ansammlung von wässerigem Erguss. Der Siz dieses Er-
gusses kann entweder in den Ventrikeln (H. v e n t r i c u 1 o r u m) oder
in der Höhle der Arachnoidea sein. In lezterem Falle ist der Erguss
entweder auf den ganzen Sack der Arachnoidea verbreitet (Hydrops
meningeus di ff usus s. Hydrocephalus externus), oder auf
einzelne Stellen beschränkt (H. meningeus limitatus), welche lez-
tere hernienartig ausgestülpt werden können (Hydrocephalus me-
ningeus herniosus). Manche bezeichnen die Ansammlung von
Wasser innerhalb der Schädelhöhle als innern und die ausserhalb dersel-
ben unter den Kopfbedeckungen als äussern Wasserkopf. — Der Was-
serkopf ist in der Mehrzahl der Fälle angeboren, doch kann er auch erst
nach der Geburt entstehen. — Symptome. Das augenfälligste der-
selben ist gewöhnlich die Veränderung , welche der Schädel erfährt.
Derselbe ist über die Norm gross , namentlich ist der vordere Theil des-
selben stark entwickelt , so dass die Stirn das Gesicht überragt , welches
dadurch verkürzt und verkleinert erscheint. Die andern Knochen des
Schädelgewölbes haben ihre Rundung verloren , breiten sich mehr in die
Fläche aus und sind dabei in hohem Grade verdünnt. Die Fontanellen
und Nähte sind offen und nur von einer dünnen Membran verschlossen,
durch welche man die Fluctuation hindurch fühlt. In seltenen Fällen
kann die Form des Kopfs eine konische sein. Mit. der Zunahme des
Wassers stellen sich Symptome von Gehirndruck ein, welche in aufrechter
Stellung ausgeprägter sind ; diesen folgen Störungen in den Centralorga-
nen des Nervensystems , welche sich durch Abstumpfung der Sinne , be-
sonders des Gesichts , Verminderung der Geisteskräfte aussprechen ; lez-
tere bleiben nur selten unversehrt , noch seltener bemerkt man eine vor-
zeitige Entwicklung derselben, was namentlich bei rhachitischen Kindern
vorkommt. Hand in Hand mit diesen Störungen erleiden auch die Or-
gane der Bewegung Veränderungen. Die Muskeln werden durch die
Compression der Centraltheile ihrer Nerven dem Einflüsse des Willens
entzogen. Mit der Abnahme ihres Gebrauchs leidet auch ihre Ernäh-
rung , die Glieder werden dünn , schlaff und schwach , der Gang schwer
und schwankend und von häufigem Fallen unterbrochen, endlich treten
Lähmungen und Convulsionen ein und der Tod beschliesst in den meisten
Fällen nach kürzerer oder längerer Zeit die Scene. — Prognose. Sie
ist im Allgemeinen als ungünstig zu betrachten. Angeboren ist die
Krankheit fast immer tödtlich. In der Kegel sterben die damit behafte-
ten Kinder bald nach der Geburt ; selten erreichen sie, bei geistigem Un-
vermögen , das Knaben- und noch seltener das Jünglings- und Mannes-
alter. Hat sich der Wasserkopf erst in späterer Zeit ausgebildet und
verläuft er sehr langsam, so ist noch Heilung möglich ; doch gehört auch
hier ein glücklicher Ausgang immer zu den Seltenheiten. — Ausgänge-
1034 WASSERGESBHWÜLST DER STIMMRIZE.
Der günstigste Ausgang ist der, wenn es zur Resorption der ergossenen
Flüssigkeit kommt ; die Nahte treten dann zusammen, die Schädelknochen
werden viel dicker und der Raum, welchen die resorbirte Flüssigkeit ein-
nahm, durch die neue Knochenmasse bedingt , welche sich an der innern
Fläche der Knochen ablagert. Der spontane Aufbruch des Schädels gibt
einen weniger günstigen Ausgang ab, weil das Gehirn durch den Abfluss
des Wassers dem gewohnten Drucke plözlich entzogen wird. — Be-
handlung. Sie hat die Beseitigung des Ergusses zur Aufgabe, und
hierzu bedient man sich entweder pharmaceutischer oder chirurgischer
Mittel. Die pharmaceutischen Mittel gehören zu der Klasse jener, welche
im Allgemeinen die Resorption ergossener Flüssigkeiten bewirken, harn-
treibende, schweisstreibende , Abführmittel und Hautreize, auch Jodprä-
parate. Die grösste Wirksamkeit schreibt man dem Quecksilber und der
Digitalis zu ; sehr nüzlich hat sich auch die Einreibung von 2 Theilen
üngt. juniperi und 1 Theil Ungt. mercuriale in den abrasirten
Kopf erwiesen • daneben Calomel , mit Zusaz von Rheum oder Jalappe,
wenn es an Stuhlgang fehlt ; erfolgt hierauf keine Besserung, so lässt man
diesem Mittel gelind reizende Bäder , diuretische Mittel , Fontanellen zu
beiden Seiten des Hinterhauptlochs, oder auf beiden Oberarmen oder rei-
zende Einreibungen von Ungt. mezerei oder T a r t. s t i b i a t. an den
genannten Stellen folgen. Auch Fomentationen des Kopfs mit A c e t. s q u i 1-
1 i t. und künstliche Geschwüre im Nacken sind vortheilhaft. Andere empfeh-
len Einreibungen des abrasirten Kopfs mit Jodtinktur. — Unter den
chirurgischen Mitteln ist die Compression und die Punction zu nennen.
Von lezterer war in dem Artikel Punction die Rede. Die Compres-
sion des Kopfs wird mittels gekleisterter Binden , Heftpflasterstreifen
etc. ins Werk gesezt ; soll sie aber von Nuzen sein, so muss sie nach und
nach in steigendem Masse , methodisch und lange Zeit hindurch gesche-
hen ; sie ist aber nur anwendbar bei massiger Wasseransammlung und so
lange die Nähte noch nicht vereinigt sind. Neben diesem Mittel muss
man auch kräftig innerlich verfahren , namentlich Calomel und Digitalis
reichen, um einer Steigerung der Kopfsymptome vorzubeugen.
Wassergeschwulst der Stimmrize, Oedema giotti-
dis, Hydrops glottidis, auch Angina laryngea oedema-
t o s a , besteht in einer krankhaften Infiltration der Ränder der obern
Glottis , d. h. der Schleimhautfalten zwischen dem Kehldeckel und den
Giessbeckenknorpeln ; nur selten nehmen auch die Ränder der untern
Glottis, die eigentlichen Stimmrizenbänder, an der ödematösen Anschwel-
lung Theil, zuweilen findet man jedoch die gesammte Schleimhautausklei-
dung des Kehlkopfs mit Einschluss der Schleimhaut des Kehldeckels an-
geschwollen. Pitha unterscheidet nach der Verschiedenheit der Infil-
tration folgende Formen : 1 ) das einfache Oedem stellt eine teigig-
eindrückbare , unebene, schlotternde und kalte Geschwulst dar, welche
WASSERGESCHWULST DER STIMMRIZE. 1035
sich in der Regel langsam chronisch oder subacut und fast immer nur
sccundär im Gefolge anderer mit Oligämie und Hydrämie einhergehender
Processe entwickelt. Es kann aber auch selbstständig und plözlich auf-
treten und dann rasch zum Tode führen. 2) Die Infiltration eines ge-
ronnenen plastischen Exsudats, welche namentlich an der Epi-
glottis vorkommt und einen festen, strozenden , glatten Tumor darstellt.
Dieses acut-phlegmonöse Oedem pflegt ganz selbstständig , primitiv und
idiopathisch aufzutreten. 3) Die eiterigen, eiterig-serösen oder
jauchigen Oedembildungen an der Glottis gehören fast ohne
Ausnahme secundären pathologischen Processen im Kehlkopfe oder in sei-
nen Nachbarorganen an. Sie können direct traumatischen oder entfern-
ten metastatischen Ursprungs sein, im Gefolge typhöser, exanthematischer,
pyamischer , urämischer oder sonstiger acuter oder chronischer dyscrasi-
scher Processe , wie tuberkulöser , syphilitischer, krebsiger und scorbuti-
scher Geschwüre erscheinen. Am häufigsten treten sie bei Typhus , den
Blattern, Scharlach, Masern und dem wandernden Rothlauf und zwar so-
wohl in ihrem Verlaufe als in der Reconvalescenz auf. Alle heftigeren
Entzündungen der Organe der Mund- und Rachenhöhle, tiefe subfasciale
Phlegmonen des Halses, Karbunkeln im Nacken, Verbrennungen des Mun-
des und Halses etc. disponiren durch blosses nachbarliches Fortschreiten
zu dem gedachten secundären Glottisödem. Nicht selten gesellt sich je-
doch dieses furchtbare und heimtückische Uebel zu unbedeutenden Kehl-
kopfs- und RachenarTectionen , zu geringen catarrhalischen oder syphiliti-
schen Geschwüren etc. auch bei sonst gesunden Individuen. — Gele-
genheitsursachen sind : zufällige Verwundungen, grosse Operatio-
nen am Halse, in der Mund- und Rachenhöhle, heftig wirkende chemische
Agentien , Schlangen- oder Viperngift , Erkältungen , oft ein flüchtiger
Luftzug, ein kalter Trunk bei erhiztem Körper etc. Diese Ursachen
können das Uebel plözlich oder binnen wenigen Stunden herbeiführen,
welches besonders bei Nacht exacerbirt. Zuweilen ist gar keine Ursache
aufzufinden; die Krankheit schleicht ganz allmählig heran, verräth sich
im Beginne durch kein characteristisches Merkmal ; der Kranke spürt
zuerst ein leises Hinderniss beim Durchtritt der Luft durch den Kehlkopf
und hat das Gefühl , als ob hier sich etwas Schleim angesammelt hätte,
wovon er sich durch Räuspern zu befreien denkt. Dabei verliert die
Stimme Klang und Reinheit , die Sprache wird heisser , auch diese Be-
schwerden steigern sich allmählig , der Husten , der nur etwas zähen
Schleim ohne Erleichterung entleert, wird unwillkürlich, das Einathmen
ist von einem eigenthümlichen trockenen Geräusch begleitet , die Exspi-
ration dagegen ist frei; dabei kann der Kranke seinen Geschäften nach-
gehen, ist fieberlos und bei gutem Appetit. Uebrigens ist das Hinderniss
im Athmen fortwährend, wenn auch* nicht immer in gleichem Grade, zu-
gegen. Allmählig treten die eigenthümlichen Erscheinungen kenntlicher
hervor, namentlich kommt es zu Erstickungsanfällen , die periodisch auf-
1036 WASSERGESCHWULST DER ST1MMR1ZE.
treten und nach ihrem Aufhören nur das Respirationshinderniss zurück-
lassen. Endlich tritt der Tod durch Erstickung aus Hirn- und Lungen-
paralyse ein. Andere Male tritt die Krankheit, wie bemerkt, plözlich ein
und kann schon in 2 4 Stunden den Tod durch Suffocation herbeifüh-
ren. — Von grösster Wichtigkeit ist die frühzeitige Diagnose der
Krankheit. Die plözliche Heiserkeit, das Gefühl von Beengung im Halse
und die Dyspnoe zeigen in der Regel ganz entschieden den Siz der
Krankheit in dem Larynx an. Die Unterscheidung von Croup und
Asthma ist meist nicht sehr schwierig , namentlich kann die Empfindung
von der Gegenwart eines bewegliehen fremden Körpers im Kehlkopf wäh-
rend einer Schlingbewegung auf die Spur leiten. Lezterer Umstand
könnte aber wohl eine Verwechslung mit einem Pseudoplasma des Kehl-
kopfs veranlassen. Den sichersten Aufschluss hierüber verschafft man
sich durch die manuelle Untersuchung. Man führt den Zeigefinger über
die Zungenwurzel hinab, drückt die Epiglottis an dieselbe und dringt mit
dem Finger weiter hinab und nach hinten. Dieses kann ohne Anstand
und sehr rasch geschehen , ja selbst ein längeres Zufühlen bringt keinen
Nachtheil. Findet man bei der Untersuchung ein sehr hartes und volu-
minöses Oedem, dessen Beseitigung man in kurzer Zeit nicht hoffen kann,
so wird man ungesäumt zur Laryngotomie schreiten , ohne mit nuzlosen
Mitteln die Zeit zu verlieren ; findet man hingegen ein lockeres, weiches
und nicht sehr umfangreiches Oedem, so wird man sich vorerst zu ander-
weitigen therapeutischen Massregeln ermuthigt fühlen. Daneben darf
die sorgfältige Untersuchung der Mund- und Rachenhöhle nicht "versäumt
werden. — Die Prognose ergibt sich aus dem Angeführten von selbst.
Es gibt nicht leicht einen gefährlicheren Zustand als ein hochgradiges
Glottisödem. Besonders berücksichtigenswerth ist aber die ausserordent-
lich rasche , bisweilen wahrhaft fulminante Tödtung. Bei übrigens ge-
sunden Individuen bietet eine rechtzeitig eingeschlagene , rationelle und
energische Behandlung relativ günstige Aussichten. Das secundäre Oe-
dem ist begreiflicherweise gefahrvoller als das idiopathische , ein ausge-
dehntes Oedem schlimmer als ein theilweises, ein eiteriges schlimmer als
in ein einfach seröses etc. — Die Behandlung betreffend, erscheint es in
prophylactischer Hinsicht rathsam, namentlich während anginöser Epidemien
und bei Personen , welche sich dem Einflüsse rauher , nasskalter Witte-
rung aussezen müssen , auf die Respirationsorgane doppelte Aufmerksam-
keit zu wenden. Die Hauptsache bleibt, die Krankheit in ihrem leisesten
Keim zu ersticken. Ein adstringirendes Gurgelwasser , am besten aus
Alaun, und ein ableitender Senfteig in den Nacken, vermögen bei gehöri-
gem diätetischen Verhalten die ersten Anfänge des Uebels zu beseitigen.
Steigert sich die Dyspnoe und zeigt die Localuntersuchung das geringste
Oedem an der Glottis, so reiche man ungesäumt ein Brechmittel aus Tpe-
cacuanha und vergeude ja nicht die kostbare Zeit mit Blutegeln , Kata-
plasmen, Salben u. dgl. Blutentziehungen erweisen sich nuzlos, in reich-
WATTVERBAND. 1037
licherem Masse angewendet sogar durchaus schädlich. Hat das Oedem
eine bedeutende Höhe erreicht , sind die Brechmittel erfolglos geblieben,
steigt die Erstickungsgefahr, so erübrigt nur noch die Laryngotomie
als äusserstes Rettungsmittel. Der Erfolg der Laryngotomie (welche
man am besten an der Stelle des Ligamentum conoideum vor-
nimmt) hängt vor allem davon ab , dass sie nicht in den späteren Stadien
der Krankheit (nach schon eingetretener Lungenlähmung etc.) gemacht
werde. Dieses vorausgesezt, glaubt Pitha, dass man unter allen bisher
bekannten örtlichen Mitteln sich etwa nur von der localen Application des
salpetersauren Silbers auf die Glottis Erfolg versprechen dürfe. H. Green,
der durch dieses Verfahren mehrere zum höchsten Grade der Erstickungs-
gefahr entwickelte Fälle von Glottisödem schnell beseitigt haben will, be-
dient sich zu genanntem Zwecke einer concentrirten Lösung (2 — 3 Scru-
pel Argentum nitricum crystallisatum auf 1 Unze Wasser),
welche er mittels eines gestielten Schwammes kräftig auf den Larynx und
so viel als möglich in die Glottis selbst einbringt. Schon die hierdurch
constant hervorgerufene ausserordentlich copiöse Schleimsecretion lässt
mit Grund eine rasche Verminderung des Oedems hoffen , wie sie nicht
leicht ein anderes Mittel zu verschaffen vermag. Compression des
Oedems zwischen den Fingern (T h u 1 1 i e r) , Scarification desselben
(Lisfranc), der Catheterismus des Kehlkopfs (Desault und Laue-
rn a n d) sind nicht zu empfehlen. Pitha glaubt , dass die drohende
Erlahmung des Nervensystems mit Oxygen-Einathmungen bekämpft wer-
den könnte , auch zur Verminderung oder gänzlichen Verdrängung des
Oedems der Aufenthalt in comprimirter Luft sich nüzlich erweisen würde.
Wasserkrebs, s. n o m a.
Wasserscheu, s. Wunden.
Wattverband. Dieser von Burggräve herrührende Verband
ist eine Modifikation des Pappverbandes (s. diesen Artikel). Bei der An-
legung dieses Verbandes beginnt man damit , das ganze Glied mit einer
dicken, aus 3 — 4 Blättern gebildeten Lage Watte einzuhüllen. Hierauf
wird das Glied, während die Extension und Contraextension von Gehülfen
unterhalten wird, auf ein Blatt erweichter Pappe gelegt, diese von beiden
Seiten her streifenartig eingerissen und diese Streifen wie eine 1 8 köpfige
Binde um das Glied geschlagen. Nachdem dies geschehen ist, wird das
Glied erhoben und das Ganze mit einer gestärkten Rollbinde befestigt
und damit zugleich eine methodische und gleichförmige Compression aus-
geübt. Die Watte formt sich ganz gut um das Glied , übt eine gleich-
massige Compression aus und verhindert jede Excoriation durch Binden-
falten, Krümmungen, nicht gefütterte Erhabenheiten etc. Man muss aber
die Vorsicht beobachten, die Watte vor ihrer Anlegung von etwaigen
fremden Körpern zu befreien. Man verstärkt diesen Verband bis zur
Austrocknung mittels trockener Pappe oder hölzerner Schienen. Wenn
1038 WIRBELENTZUENDUNG.
man ihn durchschnitten hat, so lassen sich die Klappen leicht von ein-
ander entfernen , wobei die Anwesenheit der Watte das Einsinken der
Klappen nach hinten verhindert, was von ungünstiger Einwirkung auf den
hintern Theil des Gliedes wäre. Die Watte wird leichter als die Binden-
enden und Compressen hervorgezogen und ersezt, wenn sie bei complicir-
ten Fracturen mit Blut oder Eiter getränkt ist. Man schneidet zu diesem
Behufe gegenüber der Wunde ein Fenster in die Pappe. Statt eines ein-
zigen Blatts kann man auf diese Wattlagen auch zwei , drei oder vier
Pappschienen legen und sie mit der Rollbinde oder mit S c u 1 1 e t ' sehen
Streifen und dann mit der Binde festhalten. Ausser den gerühmten
Eigenschaften dieses Verbandes gewährt er noch den Vortheil , dass die
elastische Watte beim Abschwellen des Gliedes verhindert, dass der Ver-
band zu locker wird und bei der Geschwulstzunahme , dass Einschnürung
erfolgt.
Wirbelentzündung, Spondylitis, Spondylarthro-
cace, Pott'schesUebel, MalumPotii, Cyphosisparaly-
t i c a. Die Entzündung kann , wie an andern Gelenken , den Bänderap-
parat, die Synovialhaut oder die Knochen befallen. Die Entzündung der
Bänder als primäre Erscheinung , wo dieselbe nicht im Gefolge von Kno-
chenentzündungen auftritt , kommt besonders nach mechanischen Ver-
lezungen und Erkältungen vor. Synovialhautentzündungen, die überdies
nur an den Gelenken der schiefen Fortsäze , wo allein Synovialsäcke be-
stehen, vorkommen können, sind problematisch. Dagegen kommen Kno-
chenentzündungen und zwar peripherische wie centrale , namentlich an
den" vorherrschend spongiösen Brust- und Lendenwirbeln ziemlich häufig
vor. — Die gemeinschaftlichen Erscheinungen der Wirbelentzündnngen
sind Schmerz beim Drucke und bei Bewegungen an der afficirten Stelle
und Zufälle von Krampf oder Lähmungen in den Muskeln, welche von
der entsprechenden Stelle des Rückenmarks ihre Nerven erhalten und
später in sämmtlichen Theilen des Körpers , welche unter der afficirten
Stelle liegen. In einzelnen Fällen fehlen die Schmerzen grösstentheils,
selbst bei sehr fortgeschrittenem Uebel. Früher oder später bemerkt
man einen Vorsprung eines oder mehrerer Dornfortsäze, was bei leichteren
Graden blos von einer entzündlichen Erweichung der Bänder, in stärkeren
Graden aber von der Zerstörung und dem dadurch bedingten Einsinken
der Wirbel herrührt. Dem deutlichen Auftreten des Leidens gehen oft
schon allgemeine Symptome hervor , welche auf dasselbe aufmerksam
machen können. Kinder, dte schon gut gehen konnten, verlieren die Lust
dazu , sind gleich müde, straucheln auf ebener Erde , fiebern, magern ab,
schreien oft im Schlafe , lassen den Urin ins Bett gehen. In aufrechter
Stellung ziehen sie den Kopf nach hinten und zwischen die Schultern,
und dies um so mehr , je weiter oben die afficirte Stelle der Wirbelsäule
liegt. Untersucht man dann die Wirbelsäule, so findet man einen Punkt,
WIRBELENTZUENDUNG. 1039
welcher beim Drucke schmerzhaft ist. — Bei Erwachsenen wird das Uebel
meistens früher bemerkt, weil sie die Schmerzen in den kranken, Wirbeln
deutlich fühlen und angeben. Ist es einmal zur Eiterbildung gekommen,
so schreitet die Zerstörung der Wirbel fort , der Eiter senkt sich , bildet
Gänge gegen die Oberfläche und bricht endlich nach aussen durch. Mei-
stens geht der Kranke unter solchen Umständen hektisch zu Grunde. In
seltenen Fällen hört die Eiterung wieder allmälig auf und der Kranke
kann unter Fortbestand einer Fistel und häufig mit zurückbleibender De-
formität Jahre lang leben. Oft treten die Dornfortsäze nicht vor, beson-
ders wenn sich die Zerstörung über eine grosse Strecke der Wirbelbeine
verbreitet hat. — Die Ursachen dieses Uebels sind: Scropheln, Gicht,
Rheumatismus, Onanie , äussere Gewalttätigkeiten. — Die Prognose
ist in weit fortgeschrittenen Fällen nicht günstig , besonders bei schon
anderweitig alterirter Constitution. Bei Erwachsenen ist die Prognose im
Allgemeinen schlimmer als bei Kindern, besonders wenn sich schon Ab-
scesse gebildet haben. — Das Krankheitsbild erleidet nach dem Size der
Entzündung Modificationen. Sind die H al s wirb e 1 befallen (S p o n -
d y 1 i t i s cervicalis), so kündigt sich die meistens in dein Gelenke
zwischen dem Atlas und Epistropheus sizende Krankheit mit einer schmerz-
haften , des Nachts , bei feuchter Witterung , beim Verschlingen grosser
Bissen oder auch beim tiefen Einathmen sich vermehrenden AfFection des
Halses an. Die Beugung des Kopfs gegen die Schulter wird schmerzhaft
und es stellt sich ein ziehender , reissender Schmerz im Nacken und am
Hinterhaupte ein. Beim Drucke auf die obersten Halswirbel macht sich
ein heftiger Schmerz bemerklich. Im weitern Fortgange des Uebels wird
das Schlingen und Athemholen beschwerlich, die Stimme heiser, jede Be-
wegung des Kopfes ausserordentlich schmerzhaft. Dieser sinkt auf die
dem Leiden entgegengesezte Seite , in welcher Lage ihn der Kranke un-
verrückt erhalten niuss. Die Beschwerden steigern sich immer mehr , es
stellt sich ein taubes Gefühl der Haut des Halses und der Brust, Reissen
und partielle Lähmungen in den Armen ein, und der Kranke hat das Ge-
fühl, als wenn der Kopf mit einem Reife umschlossen wäre. Unter die-
sen Umständen erfolgt der Tod bisweilen plözlich , indem der von seinen
Ligamenten gelöste Processus odontoideus bei irgend einer Be-
wegung aus seiner Lage kommt und das Rückenmark comprimirt. Ge-
schieht dies allmälig, so kann vollständige Paraplegie, Lähmung des gan-"
zen Körpers eintreten und der Kranke noch einige Tage leben. Pflanzt
sich die Entzündung auf die Hirnhäute fort, so entsteht Blindheit, Taub-
heit, Betäubung. Selten entstehen fistulöse Oeffnungen am Halse. —
Nach dem Tode findet man Caries am Hinterhauptbeine , am Atlas und
Epistropheus , die Bänder des Processus odontoideus mehr oder
weniger zerstört, das Rückenmark und die austretenden Nerven entzündet •
zuweilen Blutergiessungen aus der angefressenen Arteria vertebra-
lis, Ergiessungen in die Brusthöhle oder in die Luftröhre. — Der Ent-
1040 WIRBELENTZUENDUNG.
ziindung in den Rücken- und Lendenwirbeln (Spondylitis
dorsalis et lumbalis) gehen häufig Fieber , Appetitlosigkeit , Eng-
brüstigkeit , Aufschreien im Schlafe voraus. Es kommt alsdann eine
grosse Schwache der untern Extremitäten, die leidenden Wirbel schmerzen
beim Drucke, der Kranke hat das Gefühl eines Reifes um den Thorax.
Es stellen sich tonische Krämpfe in den untern Extremitäten ein , dazu
kommt später Stuhlverhaltung und Incontinenz des Urins. Mittlerweile
treten die Dornfortsäze nach hinten vor, womit die Bewegungen des Rum-
pfes immer eingeschränkter werden. Um den Rumpf im Stehen zu unter-
stüzen , stemmt der Kranke beide Hände auf die Hüften , später auf die
Oberschenkel. Die Bewegungen der Füsse werden immer beschwerlicher,
sie verlieren endlich ihre Empfindlichkeit und werden völlig gelähmt. —
Nach dem verschiedenen Siz des Uebels an den Lenden- oder Brustwirbeln
haben die Kranken Aufgetriebenheit des Unterleibs , Druck im Magen,
Beengung der Respiration, Anfälle von Erstickung, Zeichen vonPhthisis.
Endlich erscheinen Eiteransammlungen unter dem Schenkelbogen , am
Leistenkanale , in der Nähe des Mastdarms, an den Seiten der Wirbel-
säule etc. In seltenen Fällen bahnt sich der Eiter einen Weg in die
Lungen, in die Bauchhöhle, in einen Darm. — Ausser der Verkrümmung
der Wirbelsäule nach hinten kann diese auch in seltenen Fällen nach der
Seite oder nach vorn erfolgen. — Die anatomische Untersuchung ergibt
Caries eines oder mehrerer Wirbel. An der Stelle der zerstörten Wirbel
findet sich ein Eitersack, welcher eine purulente käseartige Masse enthält.
In diesem Sacke liegen oft ganz getrennte Knochenstücke. Manchmal
finden sich Höhlen in den Wirbeln , welche mit dem Abscesse communi-
ciren und mit dickem käsigen Eiter angefüllt sind, welcher von vielen
Schriftstellern für erweichte Tuberkel gehalten wird. Die Intervertebral-
substanz ist manchmal erhalten, andere Male verschwunden, so dass eine
Höhle zwischen zwei Wirbeln besteht. Die Knochen sind oft in eine
schwammige, zerschneidbare Masse verwandelt. Die Rückenmarkshäute
sind geröthet und verdickt, das Rückenmark zuweilen erweicht, das Neu-
rilem der austretenden Nerven ist gleichfalls verdickt. Der Wirbelkanal
zeigt sich in der Regel nicht verengt. — Behandlung* Während
des entzündlichen Stadiums sezt man Blutegel oder blutige Schröpfköpfe
und reicht innerlich kühlende Salze. Mit diesen Mitteln fährt man fort,
so lange die Wirbel gegen Druck noch empfindlich sind. Bei einigem
Nachlasse der Erscheinungen geht man zu Einreibungen der grauen Queck-
silbersalbe , hauptsächlich aber zu anhaltenden Ableitungen durch Fonta-
nelle , Haarseile , Moxen oder das Glüheisen über, welche man an beiden
Seiten der Wirbelsäule applicirt. Während dieser örtlichen Behandlung
muss man durch innere Mittel die allgemeine Krankheitsursache zu be-
kämpfen suchen. Sehr oft muss man die Kräfte durch China und eine
gehörige diätetische Pflege unterstüzen. In der Regel müssen die Fonta-
nelle sehr lange, 1, 2 und mehr Jahre unterhalten werden. — Bei Trag-
WUNDEN. 1041
heit des Darmkanals muss man für Regulirung der Stuhlausleerung sor-
gen , wozu mitunter reizende Mittel , wie Aloe, Coloquinthen etc. nöthig
werden. Harnverhaltung kann die Anwendung des Catheters nöthig
machen. — Kommt es zur Abscessbildung , so gelingt es zuweilen , den
Abscess durch Anwendung kräftiger Ableitungsmittel zur Zertheilung zu
bringen, Gelingt dies nicht, so halte man dessen Eröffnung so lange als
möglich auf und erfolgt der Aufbruch, so unterstüze man die Kräfte durch
gute Pflege , reine Luft und stärkende Mittel. S. auch den Artikel
Senkungsabscess. — Bei der Bänderentzündung, Spondy-
litis fibrosa, welche sich gleichfalls durch Schmerzhaftigkeit beim
Drucke zu erkennen gibt, aber geringere Nervensymptome zu zeigen
pflegt, hilft das wiederholte Ansezen von Blutegeln. Nicht selten beob-
achtet man in Folge dieser Entzündung eine Krümmung , namentlich der
Halswirbel, gegen welche die Orthopädie nichts mehr vermag.
Wunde, Vulnus, Trauma, nennt man eine durch mechanische
Gewalt plözlich entstandene Trennung organischer Theile mit gleichzeiti-
ger Trennung der allgemeinen Bedeckungen.
A. Von den Wunden im Allgemeinen. Man theilt die
Wunden ein: 1) nach der verschiedenen Richtung, Tiefe und Form in
Längen-, Quer- und schiefe Wunden, je nachdem dieselben mit
der Längenachse des Körpers parallel laufen, oder diese in einem rechten
Winkel oder schief durchschneiden ; - — oberflächliche, tiefe und
durchdringende, penetrirende Wunden; leztere sind solche,
welche in eine Körperhöhle dringen. — Regelmässig nennt man die
Wunde, wenn die Ränder und Winkel eben, glatt und in einer bestimm-
ten Richtung verlaufend sind , unregelmässig, wenn die gegenthei-
ligen Verhältnisse stattfinden. — Lappenwunden sind solche , wenn
ein getrennter Theil noch an einer Seite mit dem Körper zusammenhängt ;
Wunden mit Substanzverlust, wenn ein Theil gänzlich vom Kör-
per abgetrennt ist. — 2) Nach der Verschiedenheit der verlezenden
Werkzeuge — in Schnitt- und Hiebwunden, wenn scharfe, — in
Stichwunden, wenn spize Instrumente , ■ — in Schusswunden,
wenn Wurfgeschosse, und in gerissene und gequetschte Wunden,
wenn stumpfe Körper die Trennung veranlasst haben. 3) Nach der Zeit-
dauer in frische Wunden, die noch bluten und noch nicht entzün-
det sind und in entzündete und eiternde Wunden. 4) Nach dem
Fehlen oder der Anwesenheit von anderweitigen krankhaften Zuständen
in einfache und zus ammengesezte oder compli cirte Wunden.
Die Complicationen sind theils örtlich, z. B. die Gegenwart eines fremden
Körpers oder eines Giftes in der Wunde, die Unregelmässigkeit der mecha-
nischen Wundverhältnisse , die Eröffnung von Körperhöhlen etc. , theils
allgemein, z. B. eine Dyscrasie. — 5) Nach der Gefahr für die Gesund-
heit oder das Leben in tödtliche und nichttödtliche Wunden.
Burger, Chirurgie. QQ
1042 WUNDEN.
Die tödtlichen Wunden sind entweder unbedingt tödtliche (V u 1 -
nera absolute lethalia), d.h. unter allen Umständen tödtlich, oder
bedingt tödtliche (Vulnera per accidens lethalia), wo der
Tod durch Mangel an nöthiger oder zweckmässiger Kunsthülfe, oder in
Folge einer eigenthümlichen Körperbeschaffenheit, oder durch ungünstige
äussere Umstände etc. herbeigeführt wird. — Die nicht tödtlichen Wun-
den zerfallen in solche , welche vollkommen heilbar sind , und in
solche, welche nur unvollkommen geheilt werden, so dass der Ver-
lezte irgend einen bleibenden Schaden (Damnum permanens) zu-
rückbehält. — 6 ) Nach dem verlezten Organe oder Theile in — Haut-,
Muskel-, Sehnen-, Nerven-, Gefäss-, Knochen wunden ; —
Kopf-, Hals-, Brust-, Bauchwunden, Wunden der Extremi-
täten. — - Symptome. Die bei Verwundungen vorkommenden Er-
scheinungen sind im Allgemeinen : Schmerz, Blutung, Klaffen der Wund-
ränder, Fieber und Nervenzufälle. — Der Schmerz ist im Anfang be-
dingt durch die Verlezung der Nerven , später durch die hinzutretende
Entzündung. Er ist verschieden nach der Art der Trennung , nach dem
Nervenreichthum des verlezten Theils und nach der Empfindlichkeit des
Verlezten. — Die Blutung ist nach der Art der Trennung und nach
der Grösse und Menge der verlezten Gefässe mehr oder weniger bedeu-
tend. — Das Klaffen der Wunde ist bedingt zuerst durch das Ein-
dringen des verlezenden Instruments und dann durch die Elasticität und
Contractilität der verlezten Theile ; es ist stärker, wenn diese im Augen-
blicke der Verwundung in Spannung waren und nach der Verlezung ge-
reizt wurden. — Die Entzündung ist das Product der organischen
Reaction , hervorgerufen durch den Wundreiz. Sie gibt sich durch An-
schwellung, Röthe, Trockenheit, Hize der Wunde und vermehrten Schmerz
zu erkennen. Nach dem Grade der Verwundung , der Constitution des
Verwundeten und der Empfindlichkeit des verlezten Theils ist diese Reac-
tion mehr oder weniger heftig und erzeugt nach Massgabe dieser Um-
stände Fieber, Wundf ieb er (F e bris träum ati ca) , welches sich
durch Frost mit nachfolgender Hize und schnellem Pulse , durch Durst
und Mangel an Appetit kund gibt. Dieses Fieber steht immer in geradem
Verhältniss mit der Entzündung der Wunde. — Die Nervenzufälle,
welche sich zu Wunden gesellen, können sein : heftiger Schmerz, der mit
der Entzündung der Wunde nicht im Verhältniss steht, Unruhe, Schlaf-
losigkeit, Irrereden, Krämpfe, Zuckungen etc. Die gewöhnlichsten Veran-
lassungen zu diesen Zufällen sind : eine erhöhte Reizbarkeit des ganzen
Körpers oder des verlezten Theils, Druck, Dehnung, Zerrung von Nerven,
Verlezung solcher, so wie von Aponeurosen und sehnigen Gebilden, fremde
Körper in der Wunde , angesammelter schlechter Eiter , schlechte Ho-
spitalluft , nasskalte Witterung , Gemüthsbewegungen, Diätfehler etc. —
Vorgänge bei der Heilung der Wunden. Die Heilung der
Wunden geschieht im Allgemeinen auf eine zweifache Weise : durch di-
WUNDEN. 1043
recte oder indirecte Vereinigung. Die directe Vereinigung kann nur ge-
lingen , wenn die Wundentzündung nicht zu stark wird (sogenannte a d -
häskve Entzündung) und die Wundränder gut aneinander gelegt
sind. In diesem Falle tritt die Heilung schnell ein , die Wunde klebt
schon in den ersten 2 4 Stunden zusammen und verwächst in den folgen-
den Tagen, weshalb diese Vereinigung die schnelle oder unmittel-
bare (ßeunio per primam intentionem) genannt wird. Der
Vorgang ist dabei folgender : aus den mit einander in Berührung ge-
brachten Wundrändern schwizt eine geringe Menge Blutflüssigkeit (Blut-
plasma , plastische Lymphe) , welche die beiden Wundränder zusammen-
klebt , was bei kleinen Wunden schon in wenigen Stunden zu Stande
kommt. Diese Verbindung der Wundflächen untereinander ist noch keine
organische ; sie wird dies erst durch die Entwicklung von neuen Gef ässen,
welche die Continuität und Circulation zwischen den Wundflächen wieder
herstellen. — Die indirecte Vereinigung pflegt einzutreten, wenn die Ent-
zündung in der Wunde bedeutend wird, oder ihre Flächen nicht vereinigt
sind, was häufig bei tiefen Wunden und immer bei Wunden mit Substanz-
verlust der Fall ist. Es kommt dann zur Eiterung , Granulations - und
Narbenbildung, und wird dieser Vorgang Heilung durch Eiterung
und Vernarbung oder mittelbare Vereinigung (ßeunio
per secundam intentionem, per granulationem s. suppu-
rationem) genannt. Hierbei sickert nach dem Aufhören der Blutung
zuerst eine röthliche Flüssigkeit aus , welche vertrocknet und die Wunde
bedeckt und unter Anschwellung und spannendem Schmerze einer blas-
sen , allmälig weisslich und gelblich werdenden Flüssigkeit Plaz macht,
welche sich als wirklicher Eiter ausweist. Unter diesem Secret sieht man
ein zartes Häutchen , unter welchem hinwiederum sich weiche , empfind-
liche, leicht blutende Fleischwärzchen entwickeln, welche, indem sie sich
immer weiter ausbreiten , die Wunde ausfüllen und schliesslich fest und
trocken werden und damit die sogenannte Narbe darstellen. S. auch
die Artikel A b s c e s s und Eiter. — Prognose. Bei dieser kommen
in Betracht : die Wunde selbst , die Beschaffenheit des verlezten Theils,
das Alter, die Constitution und die Lebensverhältnisse des Verwundeten.
— Reine Trennungen heilen leichter und schneller, als solche, die mit
Quetschungen verbunden sind. Die fistulöse Form der Wunde kann Sen-
kungen und Stockungen des Eiters veranlassen. Bei der Anwesenheit
von fremden Körpern hängt die Prognose von der Möglichkeit ab , diese
zu entfernen. Bei jungen gesunden Subjecten heilen die Wunden besser
als bei alten cachectischen Personen, bei welchen sich die Wunden häufig
in Geschwüre verwandeln , die den Charakter der allgemeinen Krankheit
haben. Je wichtiger der verwundete Theil ist, je bedeutender sein Ein-
fluss auf das Befinden des ganzen Organismus , um so gefährlicher sind
seine Verlezungen. Je vortheilhafter die Aussenverhältnisse des Kranken,
je besser die Gemüthsstimmung desselben, je zeitiger und besser die Kunst
ß6*
1044 WUNDEN.
zu Hülfe kommt, desto besser ist die Prognose zu stellen. — Unter dem
Einflüsse verschiedener ungünstiger Verhältnisse können im Verlaufe der
Wunden verschiedene Zufälle eintreten, wie heftige Entzündung, pro-
fuse Eiterung, Blutung, Venenentzündung, Eiterresorption, die Folgen
der Eesorption giftiger Stoffe , Starrkrampf u. s. w. — Kommt eine
Wunde nicht zur Heilung , sondern besteht sie als Eiter absondernde
Fläche fort, so wird sie zu einem Geschwür oder zu einer Fistel. —
Ueberhäutet sich eine Wunde, ohne dass Vereinigung der Trennung statt-
findet, oder ein Substanzverlust ersezt wird , so bleibt eine Spalte oder
ein Defect. — Behandlung der Wunden. Vor Allem muss die
Wunde genau untersucht, die Blutung gestillt und müssen fremde Körper
entfernt werden. Ist dies geschehen , so wird die Heilung der Wunde
nach den vorhandenen Wundverhältnissen durch schnelle Vereinigung
oder durch Eiterung herbeizuführen gesucht , und den sich einstellenden
Zufällen begegnet. — Durch die Untersuchung der Wunde ver-
schafft man sich nicht allein Aufschluss über die Gestalt , Richtung und
Tiefe der Wunde , sondern auch über die Beschaffenheit der verlezten
Theile und die Gegenwart fremder Körper. Sie geschieht mittels des
Fingers oder der Sonde , und zwar so früh als möglich. Die erstere
Untersuchungsart ist , wenn es die Umstände erlauben , vorzuziehen , weil
sie sicherer und weniger schmerzhaft ist. Bei jeder Untersuchung gibt man
dem verwundeten Theile die Lage, in der er sich während des Acts der Ver-
wundung befand , und verfährt dabei möglichst schonend. Findet man
fremde Körper , so entfernt man sie mit einem Schwämme oder den Fin-
gern, und wenn dies nicht ausreicht, mit geeigneten Instrumenten auf eine
schonende Weise. Zuweilen kann hierbei eine Erweiterung der Wunde
nöthig sein. — Die Blutung ist entweder unbedeutend, hört nach eini-
ger Zeit von selbst auf, kann durch kaltes Wasser , durch einen leichten
Druck gestillt werden, oder diese Mittel reichen nicht aus, sei es weil ein
grösseres Gef äss verlezt , oder eine besondere Disposition zu Blutungen
vorhanden ist , und es muss die Blutstillung auf anderem Wege versucht
werden. S. den Art. blutstillende Mittel. — Die weitere Be-
handlung richtet sich nach der Wundbeschaffenheit. Die schnelle Ver-
einigung ist die beste Art der Behandlung, und zu versuchen, wenn die
Wundränder in unmittelbare Vereinigung gebracht werden können, wenn
keine fremden Körper in der Wunde zurückgeblieben sind , und wenn
nicht Verwundungen tiefer liegender Theile ein Offenbleiben der äussern
Wunde erheischen. Bei grösseren Wunden kann man versuchen, wenig-
stens einen Theil derselben durch schnelle Vereinigung zu schliessen. —
Um die schnelle Vereinigung herbeizuführen , reinigt man die
Wunde, wartet das Aufhören der Blutung ab und bringt die Wundränder
in möglichst genaue unmittelbare Berührung. Die Mittel, welche man
in dieser Absicht anwendet , sind : eine passende Lagerung des verlezten
Theils, klebende Pflaster, Collodium, Nähte und Binden. In den meisten
WUNDEN. 1045
Fällen werden mehrere dieser Mittel zugleich angewendet. — Die Lage-
rung des verlezten Theils muss eine solche sein , dass die bei der Ver-
lezung interessirten Muskeln erschlafft sind ; man bringt daher bei Quer-
wunden an der Extensionsseite das Glied in eine gestreckte , bei Quer-
wunden an der Beugeseite in eine gebogene Lage. Die Lage des ver-
lezten Theils dient in der Regel nur zur Unterstüzung der anderweitigen
Vereinigungsmittel. — Der klebenden Pflaster bedient man sich
theils zur Unterstüzung der blutigen Naht , theils für sich bei leicht zu
vereinigenden Wunden , wenn die Localität ihre Anwendung gestattet.
Die Vereinigung mit Pflastern nennt man die trockene Naht. Bei
grösseren Wunden bedient man sich des Heftpflasters, bei ganz
kleinen, oberflächlichen des englischen Pflasters. Bei der An-
wendung des Heftpflasters legt man, nachdem die Umgebung der Wunde
von Haaren befreit und sorgfältig abgetrocknet worden ist, das eine Ende
eines gehörig langen Streifens in einiger Entfernung von der Wunde an,
zieht ihn, während man die Wundränder in möglichst genaue Berührung
bringt , über die Wunde weg und klebt sein anderes Ende auf der ent-
gegengesezten Seite an. Den ersten Streifen legt man über die Mitte
der Wunde , die übrigen neben jenen , bis die Wunde bedeckt ist. Bei
Längenwunden der Extremitäten kann man auch die Mitte eines gehörig
langen Streifens gegenüber der Wunde anlegen und die beiden Enden
über der Wunde kreuzen. Man kann die Pflaster frei lassen, oder aber
mit Charpie, einer Compresse und Binde bedecken. — Wo Pflaster nicht
gut anzubringen sind, namentlich bei fast abgetrennten vorragenden Kör-
pertheilen , kann man sich des Collodiums bedienen. Auch in Streifen-
form bei grösseren Wunden kann man das Collodium anwenden , wo es
den Vortheil gewährt , dass es durch nasse Umschläge nicht losgelöst
wird. — Man lässt die Heftpflaster 5 — 8 Tage liegen, worauf man sie
vorsichtig von beiden Enden aus gegen die Wunde zu löst und dann
durch frische ersezt. — Die blutige Naht (Sutura cruenta) findet
ihre Anwendung bei Wunden, bei denen es auf eine sehr genaue Vereini-
gung mit geringer Narbe ankommt, daher an Körpertheilen, die entblösst
getragen werden, bei stark klaffenden Wunden, bei bedeutenden Lappen-
wunden, endlich bei Wunden solcher Körpertheile , die ihrer Beschaffen-
heit wegen keine andere Vereinigung zulassen. Ueber die Ausführung
dieser Vereinigungsart s. den Art. Naht. — Die vereinigenden
Binden (Fasciae unientes) sind als Vereinigungsmittel von unter-
geordnetem Werthe und dienen meistens nur zur Unterstüzung der übri-
gen Verbandmittel. S. den Art. Binden. — Gelingt die schnelle Ver-
einigung der Wunde nicht , oder kann und darf dieselbe nicht ins Werk
gesezt werden , so tritt Eiterung der Wunde und Heilung durch
Granulationsbildung ein. Eine solche Wunde bedeckt man, nach-
dem sie vom Blute gereinigt ist , mit Charpiebäuschchen , die mit einer
milden Salbe bestrichen oder mit Oel oder lauem Wasser befeuchtet wor-
1046 WUNDEN.
den sind , befestigt diese mit Heftpflasterstreifen und legt darüber eine
Compresse und Binde. Am 4. oder 5. Tage, bis wohin sich die Charpie
vom Eiter durchdrungen zeigt, erneuert man den Verband, was spater,
nach Massgabe der Eiterung, täglich 1 — 2 Mal zu geschehen hat. Bei
der Abnahme des ersten Verbandes verfahre man vorsichtig und gelinde,
weiche ihn sorgfältig los , und versuche nicht das noch Festsizende mit
Gewalt zu entfernen. Befinden sich Ligaturen oder blutige Hefte in der
Wunde, so bedeckt man diese mit einem mit Bleicerat bestrichenen Lein-
wandläppchen und legt darüber Charpie , um jene bei der Abnahme des
Verbandes nicht zu gefährden. Wenn sich keine besondern Zufälle ein-
stellen , so wird auf diese Weise fortverbunden , bis die Wunde geheilt
ist. Ein massiger Grad von Entzündung gehört immer zu guter Eiterung
und Granulation. Ist dieser zu gering, hat die Wunde ein blasses Aus-
sehen, so bestreicht man die Charpie mit reizenden Salben, z. B. Ungt.
digestivum, elemi, basilicum, oder tränkt sie mit einem Cha-
milleninfus , China- oder Weidenrindendecoct , und reicht eine nahrhafte
Diät. Bei zu hohem Entzündungsgrade, wo die Wunde trocken und ihr
Umfang geschwollen ist, entferne man alles Reizende, bedecke die Wunde
mit milden Salben und erweichenden Cataplasmen, lasse eine magere Diät
geniessen und reiche ausleerende Mittel. Ueppige Granulationen be-
streicht man mit Höllenstein und legt einen etwas comprimirenden Ver-
band an. — Fieber (Wundfieber) ist keine seltene Erscheinung
bei Wunden ; in vielen Fällen erfordert es keine besondere Be-
handlung ; nur wenn es sehr lebhaft , der Patient vollblütig , und be-
sonders wenn die Verwundung ein wichtiges Organ betrifft , muss man
durch allgemeine Blutentziehungen einer heftigen Wundentzündung vor-
zubeugen suchen ; daneben gibt man innerlich Nitrum und abführende
Salze und ordnet eine magere Diät an. Nimmt das Fieber im späteren
Verlaufe der Eiterung, indem diese profus wird, den Character eines hec-
tischen an, so müssen die sinkenden Kräfte durch stärkende Mittel, China,
Kalmus, Wein, gute Kost und reine Luft gehoben werden. — Zuweilen
werden Verwundete von heftigen Frostanfällen heimgesucht, welche nicht
der Anfang des gewöhnlichen Wundfiebers sind und mit dem Entzün-
dungszustande der Wunde nicht in Verbindung stehen. Dieses Fieber,
welches meistens den Uebergang von Eiter in die Blutmasse anzeigt, ist
unter dem Namen des Febris traumatica intermittens, perni-
ciosa, auch traumatico-pyaemica bekannt. S. das Nähere
darüber in dem Art. P y ä m i e.
B. Voneinigen bes ondern Wun df ormen undWund-
complicationen. 1) Schnitt- und Hiebwunden. —
Schnittwunden, Vulnera incisa, sind solche , welche durch
scharfe schneidende Instrumente, die in einem sägef orangen Zuge geführt
werden, hervorgebracht werden ; Hiebwunden, Vulnera caesim
facta, werden durch gleiche Instrumente, die durch Druck wirken, er-
WUNDEN. 1047
zeugt. — Die Wundränder, Flächen und Winkel sind bei dieser Art von
Trennung am regelnlässigsten , am wenigsten gerissen und gequetscht,
und zwar um so weniger , je schärfer das verlezende Instrument war und
je mehr dasselbe durch Zug gewirkt hat. — Behandlung. Diese
Wunden eignen sich am besten zur schnellen Vereinigung und gilt hier-
über das oben Gesagte. Nur in Betreff einiger besondern Wundformen
ist eine weitere Auseinandersezung nöthig. — Bei Lappen wunden
muss der immer etwas in sich zusammengezogene Lappen durch einen
gehörigen Druck gedehnt , mit der Wundfläche in Berührung gehalten
werden. Zu seiner Befestigung sind Nähte und Heftpflaster erforderlich.
Befindet sich an dem Fleischlappen ein Knochenstück, so schält man die-
ses vor der Anheftung aus. — Bei der theilweisen oder vollständigen
Abtrennung von Körpertheilen , wie Finger, Ohren, Nasenspize etc. kann
nach völlig gestillter Blutung deren Wiederanheilung mittels Kleb-
pflastern , Collodium oder der blutigen Naht versucht werden. Den an-
gehefteten Theil und seine Umgebung hüllt man in Baumwolle ein. —
2) Stichwunden, Vulnera punctoria, puncta, sind solche,
die mit schmalen spizigen Instrumenten beigebracht werden. Sie zeigen
eine verschiedene Beschaffenheit , je nachdem das verlezende Instrument
nur stechend oder zugleich auch durch scharfe Eänder schneidend wirkt.
Im erstem Falle werden nur die der Spize entgegenstehenden Theile ge-
trennt, die angrenzenden verdrängt, wobei durch das Eindringen des dik-
keren Theils des verlezenden Gegenstandes (welcher ebenso gut ein Pfahl,
das Hörn eines Thiers etc., wie ein Werkzeug sein kann) mehr oder we-
niger Dehnung und Zerrung hervorgebracht wird. Im leztern Falle ist
die Trennung so rein , wie durch Schnitt. — Die Stichwunden sind im
Allgemeinen gefährlicher als die Schnittwunden; ihre Untersuchung ist
schwieriger ; bei tieferem Eindringen, besonders solcher Instrumente, die
zugleich scharf sind, sind häufig wichtige Gebilde, Nerven, Gef ässe oder
Eingeweide verlezt und ausgebreitete Entzündungen, Eiterungen und Ei-
teranhäufungen sind zu befürchten. — Die Behandlung der Stich-
wunden muss sich nach ihrer Beschaffenheit richten. Beine einfache
Wunden schliesst man sorgfältig, nachdem man das Blut ausgedrückt
hat , und lässt den verlezten Theil ruhig halten. Wird die Entzündung
zu heftig , so zieht man Blutegel und Kälte in Gebrauch. Eitert der
Stichkanal , so bedeckt man die Wunde mit einem Charpiebausch , legt
darüber ein erweichendes Cataplasma und begünstigt den Abfluss des Ei-
ters durch eine zweckmässige Lagerung. Kann der Eiter nicht gehörig
abfliessen und sammelt er sich in der Tiefe, so muss nach Beschaffenheit
der Umstände die äussere Oeffnung erweitert, eine Gegenöffnung angelegt
oder der ganze Stichkanal gespalten werden. — Die Erweiterung der
Stichwunden kann nöthig werden wegen der Anwesenheit von fremden
Körpern in der Wunde, wenn die Enge der Oeffnung das Einführen fas-
sender Instrumente nicht gestattet ; bei Blutungen, die sich durch Druck
1048 WUNDEN.
nicht stillen lassen, behufs der Aufsuchung und Unterbindung des bluten-
den Gefässes ; bei Verlezungen von Fascien, um deren Spannung bei der
eintretenden Entzündung zu verhüten. Bei partiellen Nervenverlezungen,
die oft schlimme Zufälle im Gefolge haben , wie Lähmung des verlezten
Nervens, Verlust der Bewegung und des Gefühls, Neuralgie, räth man, den
betroffenen Nerven zu durchschneiden , was aber nicht immer gut auszu-
führen ist ; in diesem Falle hat man sich meistens auf eine strenge Anti-
phlogose in Verbindung mit narkotischen Mitteln, besonders Calomel mit
Opium innerlich und örtlich auf narkotische Cataplasmen zu beschränken.
— 3) Gerissene und gequetschte Wunden. Gerissene
Wunden, Vulneralacerata, sind solche, wo die Theile in Folge
der gewaltsamen Einwirkung eines stumpfen Gegenstandes vor der wirk-
lichen Trennung den höchsten Grad von Ausdehnung erlitten haben.
Gequetschte Wunden, Vulnera quassata, contusa sind
solche, wo durch die stumpf einwirkende Gewalt zugleich eine Quetschung
der betroffenen Theile statt gefunden hat. — Diese Wunden zeigen
immer eine unregelmässige Form; ihre Ränder sind meist eckig, zackig,
lappig, die W^undflächen ungleich und die Trennung der Gewebe hat
nach verschiedenen Richtungen hin stattgefunden. Durch die Quetschung
und Ausdehnung haben die Theile ihre Empfindlichkeit und Contractilität
mehr oder weniger eingebüsst , daher schmerzen diese Wunden im An-
fange wenig, der Kranke empfindet mehr ein Gefühl von Stumpfheit, und
die Wundränder klaffen verhältnissmässig wenig. Die Blutung aus den
Wundflächen ist in der Regel gering , selbst bei Verlezungen grösserer
Gef ässe ; die Wundränder sind meist sugillirt. Mit der später eintreten-
den Reaction steigern sich die Symptome der Entzündung, Schmerz und
Geschwulst werden bedeutend. Die Entzündung hat eine grosse Neigung
zur Eiterung und zu brandiger Zerstörung , welche leztere um so rascher
eintritt , je mehr die Theile in ihrer Vitalität getrübt wurden. — Be-
handlung. WTenn die Theile nicht zu sehr gequetscht sind, so kann
man immerhin die schnelle Vereinigung der Trennungen versuchen, indem
man die Wundränder durch Heftpflaster einander nähert ; es darf dies
aber nicht auf gewaltsame Weise geschehen, um die Reaction der Wunde
nicht noch höher zu steigern. Ist Eiterung zu vermuthen , so verbindet
man einfach mit Charpie, wendet kalte Umschläge an, und wenn die Ent-
zündung sehr stark zu werden droht , so macht man örtliche oder auch
allgemeine Blutentziehungen und leitet eine innere entsprechende Be-
handlung ein, bis die Heftigkeit der Entzündung gebrochen und eine
gute Eiterung eingetreten ist. Erfolgt Brand, so wird er nach allgemei-
nen Grundsäzen behandelt. Fast gänzlich abgetrennte und ihrer Vitalität
beraubte, in der Wunde liegende Theile entfernt man am besten gleich
anfangs durch das Messer oder die Scheere. — 4) Schusswunden,
Vulnera sclopetaria, werden gewöhnlich durch harte, meistens me-
tallene Körper , wie Kugeln von verschiedener Grösse , Stücke von Blei,
WUNDEN. 1049
Nägel etc., welche in den meisten Fällen mittels Wurfgeschossen ge-
schleudert werden , bewirkt. Aehnliche Verlezungen werden durch Ex-
plosionen von Dampfkesseln, Destillirkolben u. clgl. hervorgebracht, und
weiter zeigt die Erfahrung , dass auch weiche Körper , wie Pfropfe von
Papier, Werg etc. durch die Schnelligkeit der ihnen mitgetheilten Bewe-
gung in ihrer Wirkung den metallenen Kugeln gleichkommen können.
— Die Schusswunden sind immer mit einem hohen Grade von Quetschung
und Zerreissung der getroffenen Gebilde und mit einer mehr oder minder
bedeutenden Erschütterung der Nachbartheile oder auch des ganzen Kör-
pers verbunden. Die Schusswunden selbst sind unter sich sehr verschie-
den und die zahlreichen Modifikationen derselben werden hauptsächlich
bedingt durch die Zahl, Grösse, Gestalt und Festigkeit der abgeschosse-
nen Körper , durch die Richtung und Schnelligkeit , mit welcher sie auf
den Körper treffen , und endlich durch die Verschiedenheit der getroffe-
nen Theile selbst. — Schrotkörner , aus grösserer Nähe auf einen Kör-
pertheil abgeschossen , so dass sie zusammenbleibend eindringen , bilden
einen breiten weiten Schusskanal ; aus grösserer Entfernung kommend,
treffen sie zerstreut den Körper und bilden dann mehrere kleinere Kanäle.
Flintenkugeln , wenn sie in einen Theil eindringen, bilden Schusskanäle,
deren Grösse jenen entsprechen. Kanonenkugeln reissen den getroffenen
Theil entweder ganz hinweg oder zerschmettern ihn in grosser Ausdeh-
nung. Eckige, rauhe Körper, die durch irgend eine Explosion von Pul-
ver oder Gasarten fortgeschleudert werden, wie Stücke eines gesprengten
Gewehrs , Bomben , Granaten , welche plazen , Holzstücke oder Steine,
welche von einer anprallenden Kugel umhergeschleudert werden etc., brin-
gen ebenfalls Zerschmetterung der Theile oder sehr unregelmässige , ge-
rissene Wunden hervor. — In Betreff der Geschwindigkeit, mit welcher
Kugeln fortgeschleudert werden , gilt Folgendes : Kugeln , in der Nähe
des Körpers abgeschossen , machen eine kleinere Oeffnung mit glatten,
fast liniären Rändern ; treffen sie dagegen mit minderer Geschwindigkeit
den Theil , so ist die Oeffnung grösser , die verlezten Theile sind mehr
gequetscht , gezerrt. Treffen sie mit geringer Kraft oder in schräger
Richtung auf den Körper, ohne die Continuität der Haut zu trennen, so
bewirken sie Verlezungen, welche ganz den Contusionen gleich sind. —
Wunden, welche mit Schusswaffen hervorgebracht werden , sind meisten-
theils mit einem schwärzlichen Brandschorfe bedeckt, der von der Zer-
malmung und örtlichen Mortification der Theile, nicht aber von der Ver-
brennung derselben herrührt. Nur in unmittelbarer Nähe des Körpers
abgefeuerte Schüsse können Verbrennung veranlassen. — Man unter-
scheidet im Allgemeinen folgende Verlezungszustände bei Schusswunden,
a) Die Kugel trifft einen Theil , dringt aber nicht in denselben ein und
lässt die Haut unverlezt , bringt jedoch in den tiefer gelegenen Weich-
theilen und selbst in den Knochen geringere oder grössere Verlezungen
hervor. Es sind dies die sogenannten Prell- oder Streifschüsse,
1050
WUNDEN.
zu denen man jezt auch allgemein die unter dem Namen Luftstreif-
s c h ü s s e bekannten Verlezungen zählt. Leztere werden durch matte
oder in schiefer Richtung auf den Körper treffende Kugeln hervorge-
bracht. — b) Die Kugel durchdringt einen Theil gänzlich, es sind daher
zwei Oeffnungen vorhanden , wovon die eine , durch welche die Kugel
eindrang, gewöhnlich eingedrückt, mehr gequetscht , so gross oder selbst
kleiner als die Kugel , die andere (AustrittsöfFnung) aber grösser, ausge-
rissen und weniger gequetscht ist. Es können indessen verschiedene
Umstände sowohl in Bezug auf den Schuss selbst, als auch in Betreff des
verlezten Theils , sowohl im Augenblick der Verwandung wie auch nach
derselben Einfluss ausüben auf Form und Grösse der Oeffnungen. Eine
plattgedrückte Kugel z. B. kann mit ihrem grossten Durchmesser ein-
dringen und mit dem kleinsten austreten ; alsdann ist die Eintritts Öffnung
grösser als die andere. Eine sehr elastische Haut an der Stelle der Aus-
trittsöffnung, kann sich, nachdem sie bedeutend ausgedehnt worden war,
nach ihrer Zerreissung stark contrahiren und so eine kleinere Oeffnung
als die Eintrittsöffnung zeigen. — c) Die Kugel dringt ein , bleibt aber
stecken und der Schusskanal hat nur eine Oeffnung. Dies ist namentlich
der Fall, wenn Kugeln auf Knochen treffen oder wenn sie in Körperhöh-
len gelangen. In seltenen Fällen umkreist die Kugel einen Theil und
kommt aus der Eingangsöffnung wieder heraus. Dies geschieht nament-
lich , wenn die Kugel in schiefer Richtung auf einen convexen Körper,
einen Halbcylinder trifft. In diesem Falle ist gleichfalls nur eine einzige
Oeffnung vorhanden; dies ist besonders in der Hinsicht zu wissen nöthig,
weil man hier vergebens die Kugel im Körper suchen würde. Der blinde
Theil des Schussjianals ist immer weiter , als der nach aussen führende.
■ — d) Die Kugel hat einen Körpertheil ganz weggerissen. — Die Rich-
tung des Schusskanals ist nicht immer eine geradlinige und es finden
viele Abweichungen derselben statt. Diese beruhen auf der verschiedenen
Dichtigkeit und dem Widerstandsvermögen, welches die einzelnen Gewebe
dem Eindringen der Kugel entgegensezen, so wie auf der Kraft und Rich-
tung, mit welcher die Kugel auf den Theil trifft. Eine mit voller Kraft
und in gerader Richtung auftreffende Kugel bildet in der Regel einen
geradlinigen Schusskanal ; je mehr aber die Kugel schon an Kraft ver-
loren hat, desto mehr kann sie durch festen oder elastischen Widerstand
von ihrem Verlaufe abgelenkt werden und auf diese Art zwischen Haut
und Muskeln herumlaufen oder auch in eine Körperhöhle eindringen , an
ihrer innern Wand herumgehen und an der entgegengesezten Seite wieder
herauskommen oder liegen bleiben. Sehnige und muskulöse Theile wer-
den von der Kugel nicht selten aus ihrer Lage gedrängt und bilden dann
später, wenn sie ihre Lage wieder einnehmen, Brücken im Schusskanale.
Wo der Schusskanal unter der Haut verläuft , ist diese anfangs röthlich,
später bläulich gefärbt , zuweilen wul.startig erhoben und häufig bemerkt
man beim Betasten ein knisterndes Geräusch. Wenn Kugeln auf Kno-
WUNDEN.
1051
eben treffen, so verändern jene nicht selten ihre Form, werden zuweilen
ganz platt gedrückt, auch wohl getheilt. Trifft eine Kugel mit voller
Kraft und unter rechtem Winkel auf einen festen, jedoch porösen Körper
z. B. einen spongiösen Knochen , so treibt sie einen Schusskanal durch
denselben, welcher enger ist, als ihr Durchmesser ; Splitterung findet sich
nur an der Ausgangsöffhung. Ein glasartig brüchiger Knochen wird von
einer solchen Kugel mit einem kreisrunden Loch durchbohrt , von einer
schief auftreffenden in viele Stücke zersplittert. Je matter die Kugel
und je stumpfer der Eintritts winkel, desto bedeutender ist die Zersplitte-
rung harter Knochen. — Von fremden Körpern findet man in Schuss-
wunden ausser Kugeln und Kugelstücken auch Theile des Pfropfs, wenn
der Schuss aus der Nähe traf, abgerissene Kleidungsstücke, Knochensplit-
ter. — Symptome und Verlauf der Schusswunden. Die
Schusswunden sind anfangs gewöhnlich mit geringem Schmerze und mit
gar keiner, oder nur unbedeutender Blutung verbunden, wenn nicht grös-
sere Gefässe durch eine kräftige Kugel verlezt sind. Der Schmerz be-
steht meistens in einem drückenden Gefühl, der Kranke hat die Empfin-
dung, als habe ihn ein schwerer Körper getroffen , ohne ihn jedoch zu
verwunden. Später entwickelt sich ein brennender Schmerz mit verschie-
dener Heftigkeit je nach dem verlezten Theile und dem Gemüthszustande
des Verwundeten. Zuweilen ist gar kein Schmerz da, besonders wenn
ein grosses Geschoss ein ganzes Bein fortgenommen hat ; der Kranke
fällt dann und glaubt , ein Bein sei in einer Grube stecken geblieben.
Selten fehlen die Zufälle der Erschütterung , theils in dem getroffenen
Gliede, theils in dem ganzen Körper. Das Glied ist manchmal kalt und
fast gef ühl- und bewegungslos , zuweilen ist die Kälte und Ermattung
über den ganzen Körper (Wundstupor) ausgedehnt, der Verwundete ist
halb oder ganz ohnmächtig, zittert, hat Schwindel, Erbrechen und einen
fadenförmigen Puls. — Bald stellt sich in der Schusswunde eine heftige
Entzündung mit vermehrtem Schmerze und Geschwulst ein. Damit sind
meist allgemeine Fiebererscheinungen verbunden. Am 3. bis 4. Tage
zeigt sich Eiter, in dessen Folge sich der gebildete Brandschorf abstösst ;
nicht selten treten in dieser Zeit auch Nachblutungen ein, die sehr ge-
fährlich werden können. Die Eiterung ist gewöhnlich sehr copiös, Eiter-
stockungen und Senkungen sind nicht selten , und diese , so wie fremde
Körper, ungünstige äussere Verhältnisse etc. verwandeln häufig anfänglich
gute Eiterung in eine schlechte , profuse, in Folge welcher leicht Venen-
entzündung und Eiterresorption entsteht. Durch die Eiterung werden
festsizende Kugeln gelöst ; bisweilen werden diese auch eingekapselt.
Brand entsteht nicht selten'. Ist die Thätigkeit der Theile durch die
Erschütterung gelähmt, so kommt die Entzündung langsam oder gar
nicht zu Stande. Dann tritt die Verjauchung und Resorption der Jauche
ein , da die Umgegend vorher nicht durch plastische Entzündung abge-
grenzt worden ist. Der Tod ist die gewöhnliche Folge davon. —
1052 WUNDEN.
Prognose. Sie ist um so schlimmer, je grösser die Zerstörung, je
empfindlicher der Verwundete, je wichtiger der verlezte Theil, je schlech-
ter die Constitution ist und je ungünstiger die äussern Lebensverhältnisse
des Verlezten sind. Zu fürchten sind im Allgemeinen : die Zufälle der
Erschütterung, heftige entzündliche Zufälle, Brand und copiöse Eiterung.
— Behandlung. Wenn die Verlezung nicht von der Art ist , dass
sie die augenblickliche Wegnahme des Glieds fordert, so muss vor Allem
eine genaue Untersuchung der Wunde vorgenommen werden , um sich
von ihrem Verlaufe und von der Gegenwart fremder Körper zu überzeu-
gen. Zur Untersuchung bedient man sich des Fingers oder eines weib-
lichen Catheters. Finden sich fremde Körper vor, so entfernt man sie je
nach Umständen mit den Fingern , einer Pincette , Korn- oder Polypen-
zange, dem Kugellöffel oder der Kugelzange, dem Meissel. Ist die äus-
sere Oeffnung zu eng oder befinden sich Brücken im Laufe des Schuss-
kanals, welche das Eingehen hindern, so erweitert man die Wunde. Ist
die Kugel in einen Knochen eingekeilt, so sucht man sie mittels, der Ku-
gelschraube auszuziehen , oder wendet die Trephine an , oder entfernt
einen Theil des Knochens mit dem Meissel, so dass man einen Hebel un-
ter die Kugel bringen kann. In manchen Fällen muss die Ausstossung
der Kugel von der Eiterung erwartet werden. Unter der Haut liegende
Kugeln schneidet man aus. Die Ausziehung fremder Körper muss vor-
genommen werden , ehe sich die Wunde entzündet ; ist dies bereits ge-
schehen , so muss man die Verminderung der Entzündung abwarten. —
Die weitere Behandlung der Schusswunden unterscheidet sich nicht von
jener der gerissenen und gequetschten Wunden. Man bedeckt die Oeff-
nung mit einem mit milden Mitteln versehenen Charpiebäuschchen, welches
man mit einer Compresse und Binde leicht befestigt. Hat mit der Ver-
lezung eine bedeutende Erschütterung und Quetschung stattgefunden,
und ist der Theil kalt und unempfindlich, so sind im Anfange belebende
und reizende Mittel, wie Umschläge von The den 's Schusswasser, Essig
und Wasser, von aromatischen, weinigen Aufgüssen etc. angezeigt. War
die Erschütterung nicht bedeutend, oder hat sich der Kranke wieder von
derselben erholt , wird er warm , so muss man kalte Umschläge machen
und Blutegel sezen. Der örtlichen Behandlung entsprechend muss die
allgemeine sein, anfangs flüchtig reizend, belebend, nachher dem Grade
der allgemeinen Eeaction angemessen antiphlogistisch. Wenn heftige
Entzündung , Geschwulst und Schmerzen entstehen , so ersezt man die
kalten Umschläge durch erweichende , schmerzstillende , warme , um die
Eiterung zu befördern. Etwa spannende Fascien schneidet man ein.
Eintretende Nachblutungen beseitigt man durch Druck, Styptica oder Un-
terbindung der Gef ässe ; entstehen sie aus grosser entzündlicher Aufre-
gung, so sind kalte Umschläge, Blutentziehungen und Ableitungen erfor-
derlich. Später eintretende parenchymatöse Blutungen , denen ein
Schwächezustand zu Grunde liegt , erfordern ein erregendes , reizendes
WUNDEN. 1053
und stärkendes Verfahren, eine kräftige Diät und die örtliche Anwendung
styptischer, tonisirender Mittel, selbst das Glüheisen, die Unterbindung
des Hauptstamms oder die späte Amputation. — Ist die Eiterung im
Gange, so ist sie meist ergiebig; man verbinde daher die Wunde meist
trocken, wechsle nach Bedürfniss den Verband täglich mehrmals, beachte
mögliche Eitersenkungen, denen man durch Gegenöffnungen entgegentritt,
und sich häufig entwickelnde secundäre Abscesse, deren Zeitigung man mög-
lichst befördert, und die man dann bald künstlich Öffnet. Stellt sich im
Verlaufe der Eiterung wieder Entzündung ein, welche nicht selten roth-
laufartiger Natur ist, und dann sehr verderblich werden kann, indem ein
bedeutendes Absterben und Verjauchen des Zellgewebes , Loslösung der
Weichtheile , Aufsaugung der verjauchten Secrete, Brand die Folge sein
kann, so beseitigt man die veranlassenden Ursachen, welche in zu reizen-
der Behandlung der Wunde, in der Anwesenheit fremder Körper, beson-
ders Knochensplitter, spannender Fascien, in Abscessen unter solchen beste-
hen können, möglichst bald, gibt innerlich kühlende Mittel, unter Umstän-
den auch Calomel und bei starker Blutaufregung mache man einen Ader-
lass. Tritt Brand ein , so wird er nach den allgemeinen Grundsäzen
behandelt. — Wenn die Beschaffenheit der Verlezung die A m p u t a -
t i o n nothwendig macht , so werde dieselbe vorgenommen , sobald sich
der Kranke vom ersten Eindruck der Verlezung erholt hat. Die Ampu-
tation ist in solchen Fällen angezeigt: a) wenn ein Glied von einer Kugel
ganz oder grösstentheils abgerissen worden ist ; b) wenn durch einen
Streifschuss die harten und weichen Theile ohne Trennung der Haut völ-
lig zerschmettert und zerquetscht sind ; c) wenn auch ohne Knochenver-
lezung die Hauptarterien und Nerven eines Glieds zerrissen sind ; d) wenn
eine Kugel in ein grösseres Gelenk gedrungen ist und aus demselben
nicht entfernt werden kann, oder Splitterung der Gelenkenden bewirkt
hat. Beim Schulter-Ellbogengelenk ist bisweilen die Resection vorzuzie-
hen ; e) wenn Blutungen auf anderem Wege nicht gestillt werden können.
— In einem späteren Zeiträume kann die Amputation durch Brand, hef-
tige Nervenzufälle, namentlich Starrkrampf, durch nicht zu stillende Blu-
tung und erschöpfende Eiterung nothwendig werden. — 5) Vergif-
tete Wunden, Vulnera venenata, sind solche , bei welchen zu
der Continuitätstrennung noch die Anwesenheit eines eigenthümlichen
Stoffs kommt, welcher bald imMomente der Trennung selbst eingeführt wird,
bald erst später mit einer Wunde in Berührung kommt und seiner Be-
schaffenheit nach sehr verschiedenartige Zufälle veranlasst. Es gehören
hierher die Stiche und Bisse giftiger Thiere, wie von Bienen,
Wespen, Hornissen etc., ferner von Schlangen, Fischen; der Bis s toller
Thiere, endlich Verlezungen bei Sectionen, wobei Zersezungspro-
ducte (sogenanntes Leichengift) in die Wunde gelangen. — Die Stiche
der Bienen, Wespen und Hornissen sind die leichtesten Wunden
dieser Art. Die Zufälle, welche solchen Stichen folgen, rühren theils
1054 WUNDEN.
von dem zurückgelassenen Stachel, theils von dem Eindringen einer
scharfen Flüssigkeit her, und bestehen in Brennen, Anschwellung und ro-
senrother Umgebung der gestochenen Stelle. Fieber, Beängstigung,
Krämpfe, Ohnmächten, Brand etc. entstehen nur dann, wenn ein Indivi-
duum von zahlreichen Stichen betroffen, oder wenn die Verwundung einen
sehr reizbaren Theil , wie die Augen oder Theile der Mundhöhle betraf.
— Behandlung. Findet man den Stachel, so sucht man ihn mit ei-
ner Pincette auszuziehen, macht dann kalte Umschläge, und bei heftigen
Schmerzen* warme Oeleinreibungen allein oder in Verbindung mit Tinct.
opii, Ol. hyoscyami coctum etc.; bei bedeutender Geschwulst und
Entzündung können allgemeine und örtliche Blutentziehungen neben dem
Gebrauche von antiphlogistischen Abführmitteln nöthig werden ; auch ein
diaphoretisches Getränk mit einigen Tropfen Ammoniak erweist sich nüz-
lich. — Der Biss giftiger Schlangen ist gefährlicher. In
Deutschland ist es nur die Viper (Coluber berus), deren Biss zu
f lirchten ist, und dies hauptsächlich, wenn das Thier gereizt und kräftig ist,
was nur im Sommer der Fall zu sein pflegt. — Symptome. Alsbald nach
dem Bisse entsteht ein heftiger brennender Schmerz in der Wunde, wel-
cher sich schnell über das ganze Glied verbreitet ; eine glühende Hize
befällt den ganzen Körper und ist vorzüglich in der Herzgrube und Ma-
gengegend stark. Die Bisswunde entzündet sich schnell , schwillt sehr
an und die Geschwulst schreitet rasch über das ganze Glied und selbst
bis zur verlezten Körperhälfte fort. Die Geschwulst ist anfangs glänzend
roth, später blass, violett, grau, marmorirt. Lymphgefässe und Drüsen
entzünden sich und schwellen an. Die Geschwulst scheint in Brand über-
gehen zu wollen , doch erfolgt dieser nur selten. Dabei zeigt sich ein
heftiges Fieber mit Irrereden, kleinem aussezenden Puls, Erbrechen, Abge-
schlagenheit, kalte Schweisse ; nicht selten beobachtet man auch Zuckun-
gen , Gelbsucht , Beängstigungen und Ohnmächten. Der Tod erfolgt
unter grossem Verfalle der Kräfte, Lähmung der Sphincteren etc. Ge-
wöhnlich tritt . aber bei zweckmässiger Behandlung unter reichlichen
Schweissen Genesung ein. — Die Behandlung besteht in der raschen
Entfernung des Gifts mittels Aussaugen, Auswaschen, Ausschneiden und
Ausäzen der Wunde. Zum Aezen bedient man sich flüssiger tief eindrin-
gender Aezmittel , des Liquor ammonii caustici, Kali caustici,
Butyrum antimonii oder einer Mineralsäure. Die Aufsaugung
und Weiterverbreitung des Gifts verhindert man unmittelbar nach der
Verlezung durch das Umlegen eines schnürenden Bandes oberhalb der
Wunde, durch das Aufsezen eines Schröpf kopfs auf diese. Auf den ge-
schwollenen Theil macht man Oeleinreibungen und legt erweichende
Cataplasmen auf; bei heftiger Entzündung sezt man Blutegel und reibt
U n g t. mercuriale ein. Innerlich gibt man flüchtig erregende und
schweisstreibende Mittel, besonders Ammoniumpräparate , Liquor am-
monii v in os us, Ammonium carbonicum, Camphor, kleine Ga-
WUNDEN. 1055
ben Opium ; später Chlorpräparate. — Durch den Biss wüthender
Thiere, besonders aus dem Hunden- und Kazengesehlechte entsteht
eine der schlimmsten Arten von vergifteten Wunden, die in ihrem Gefolge
die Entwicklung der Hundswuth (Rabies canina) und der Was-
serscheu (Hydrophobia) mit sich führt. Der Träger des Giftes
ist der Speichel des wuthkranken Thiers. — Die Wuth entwickelt sich
entweder von freien Stücken (spontane Wuth) oder durch Uebertragung
des Gifts. Spontan entwickelt sie sich in der Regel nur beim Hunde-
geschlecht , und als Ursachen dieser Entwicklung sieht man gewöhnlich
an : grosse Hize, schnellen Temperaturwechsel, schlechte Nahrung, Man-
gel an Wasser, Einsperren und unbefriedigten Geschlechtstrieb. — Die
Wuth tritt bei Hunden unter zwei Formen auf, nämlich als rasende
und stille, die jedoch in einander übergehen. Die wesentlichen Er-
scheinungen der Wuthkrankheit sind: verändertes Benehmen des Thiers
in wechselnder Weise, bald ist dasselbe unruhig, hat Trieb zum Fortlau-
fen, bald ist es traurig, still, ruhig, die Fresslust ist vermindert, dagegen
frisst es ungewöhnliche Dinge, Holz, Leder, Stroh etc., so wie bisweilen
auch seinen eigenen Koth oder den anderer Thiere ; es leidet an Versto-
pfung. Eine eigenthümliche Veränderung erleidet die Stimme , das
Bellen klingt rauh, heiser, gleicht einem klagenden Geheule. Der Blick
ist scheu, die Pupille erweitert, starr, die weisse Haut des Auges geröthet,
die Schnauze warm und trocken, die Maulhaut geröthet, die Zunge ange-
schwollen , mehr oder weniger vorhängend. Bei rasend tollen Hunden
ist das Maul häufiger trocken als feucht, bei still tollen dagegen hängt
der Unterkiefer herab und es fliesst viel schleimiger Speichel aus. Ferner
ist Neigung zum Beissen vorhanden , und das Thier schnappt häufig in
die Luft. Das Haar wird struppig. Mitunter stellen sich würgende
Krämpfe und Zuckungen ein. Eingesperrte Hunde rasen periodisch in
ihrem Behälter herum, freie rennen meist gerade aus mit gesenktem Kopfe
und hängendem Schwänze bis zur Ermattung , worauf sie ruhen und den
Lauf von Neuem beginnen. Viele Hunde haben eine Scheu vor dem
Wasser und vor Allem was dem Wasser ähnlich sieht , also glänzenden
Gegenständen etc. ; andere können bis zulezt Wasser sehen, selbst durch
solches schwimmen. Endlich zeigt sich ein lähmungsartiger Zustand der
hintern Extremitäten. Zuweilen sterben solche Hunde plözlich, wie durch
Schlagfluss , oder erst nachdem sie bis aufs Aeusserste erschöpft sind.
Der immer erfolgende Tod tritt nach 6 — 8 Tagen ein. — Die gewöhn-
lichste Uebertragung des Wuthgifts auf den Menschen geschieht durch
einen Biss. Die dadurch beigebrachte Wunde unterscheidet sich nicht
von einer gewöhnlichen Bisswunde und verheilt auch ebenso leicht. Der
Ausbruch der Wuthkrankheit erscheint gewöhnlich zwischen dem 3 0. und
4 0 . Tage nach der Verlezung , oft dauert es nur 7 — 14 Tage ; es kann
aber auch Monate, selbst Jahre anstehen bis er erfolgt. Er kündigt sich
gewöhnlich durch eine Verfärbung und Verschlechterung der noch offenen
1056 WUNDEN.
Wunde , oder durch eine Entzündung oder ein Wiederaufbrechen der
der schon gebildeten Narbe an, wobei sich zugleich ziehende, spannende
Empfindungen in dem gebissene Theile bis zum Nacken und Schlünde
einstellen und die nahen Drüsen anschwellen. Mit diesen Erscheinungen
entsteht zugleich eine Verstimmung des Gemüths, Angst, Unruhe, schreck-
hafte Träume , Mangel an Appetit , gesteigerte Reizbarkeit der Nerven,
Mattigkeit , Neigung zum Erbrechen , veränderte Stimme , leichte Hals-
krämpfe und Fieberzufälle. — Unter Steigerung dieser allgemeinen
Erscheinungen treten nun die eigentlichen hydrophobischen An-
fälle ein, mit welchen die Krankheit bisweilen auch unerwartet beginnt.
Sie bestehen im Wesentlichen in Hals- und Brustkrämpfen, welche das
Schlucken verhindern und grosse Athemnoth herbeiführen. Das zuvor
bleiche Gesicht wird roth und aufgetrieben, die Augen sind geröthet,
glänzend, treten vor, rollen wild, die Züge sind bald die eines Zornigen,
bald die eines Aengstlichen. Bei der grossen Reizbarkeit des Nerven-
systems werden diese Anfälle leicht hervorgerufen durch Versuche zum
Schlingen, ja nur durch den Anblick des Wassers oder durch den Gedan-
ken daran bei gleichzeitig bestehendem heftigen Durste. Später ist oft
ein glänzender Gegenstand , ein leichtes Geräusch, die leichteste Berüh-
rung, selbst ein Luftzug im Stande, die heftigsten Krämpfe hervorzuru-
fen. Der Kranke vermag nicht den eigenen Speichel hinabzuschlucken,
er sucht ihn durch Räuspern und Spucken zu entfernen. Bei einzelnen
zeigt sich Neigung zum Beissen, ein heftiger Trieb zum Beischlaf. Nach
den Anfällen ist der Kranke sehr ermattet, bald ruhig, bald in verzweif-
lungsvollem Zustande. Diese ruhigeren Zwischenräume können kürzer
oder länger dauern, gewöhnlich folgen die späteren Wuthanf alle einander
immer rascher , heftiger anhaltender. Der Kranke verfällt in denselben
in eine Art von vorübergehender Manie , Raserei , er wüthet gegen sich
und Andere , zerstört Gegenstände , spuckt um sich , schreit , schimpft,
droht , sucht zu entfliehen und entwickelt eine grosse Muskelkraft. Die
Stimme ist rauh und hohl, das Geschrei ist mehr ein schauerliches Geheul,
oft vernimmt man ein eigenthümliches Pfeifen , der Kranke Schiebt den
Unterkiefer vorwärts, so dass der Mund einer Hundeschnauze ähnlich
wird. Die Krankheit dauert selten über zwei Tage , manchmal nur we-
nige Stunden. Der Tod erfolgt entweder in einem Krampfanfalle oder
in Folge des Eintritts allgemeiner Lähmung. Die Marochetti' sehen
Bläschen unter der Zunge sind keine constante Erscheinung. — Pro-
gnose. Die Wuthkrankheit ist immer tödtlich. — Behandlung. Bei
dieser kann es sich nur von einer Prophylaxis handeln, da alle bis jezt gegen
die ausgebrochene Wuth empfohlenen Mittel sich erfolglos zeigen. Man
schneidet in dieser Absicht die Wunde oder schon gebildete Narbe völlig
aus , worauf man nach dem Ausbluten die ganze Wundfläche gründlich
mit einem tiefgreifenden, verflüssigenden Aezmittel, am besten mit La-
pis causticus, äzt oder mit dem Glüheisen ausbrennt. Gestattet die
WUNDEN. 1057
Localität das Ausschneiden der Wunde nicht , so erweitert man sie hin-
länglich und wendet dann das Aezmittel nachdrücklich an. Während
dieser Operation legt man , um die Aufsaugung des Gifts zu verhindern,
zwischen der Wunde und dem Herzen ein schnürendes Band um das Glied.
Nach eingetretener Eiterung verbindet man mehrere Monate lang mit
scharfen Salben. Daneben rühmt man von den sehr vielen vorgeschla-
genen prophylactischen Mitteln , neben möglichster Beruhigung des Ge-
müths des Gebissenen , innerlich eine Quecksilberkur bis zur Salivation,
Canthariden, stärkere Gaben von Belladonna, Opium. Bricht die Wuth
dennoch aus, so hat man den innern Gebrauch der oben genannten Mittel
in grossen Gaben, ferner Aderlässe bis zur Ohnmacht, Sturzbäder, Appli-
cation des Glüheisens im Nacken, die Electricität, flüchtige Laugensalze,
Cuprum sulphuricum in brechenerregender Gabe, Chinin, essigsau-
res Blei etc. vorgeschlagen. Die sich unter der Zunge entwickelnden
Bläschen sollen geöffnet und cauterisirt werden ; es wurde behauptet,
wenn dies bei Zeiten geschehe , so trete die Wuth nicht auf; es wurde
schon bemerkt, dass diese Bläschen häufig fehlen. — Das der Wuth ver-
dächtige Thier muss wo möglich eingefangen und nicht getödtet, sondern
in sicherem Gewahrsam genau beobachtet werden. — Die Verlezun-
gen bei Sectionen sind bisweilen von üblen Folgen begleitet , die
von der Einwirkung reizender faulender Stoffe (dem sogenannten Lei-
chengifte) herrühren. Schnitte sind nicht so gefährlich als Stiche.
Sectionen von Typhusleichen oder von Cadavern solcher, die an entzünd-
lich brandigen Processen seröser Häute, besonders der Bauchhaut, gestor-
ben sind , geben am leichtesten Anlass zu üblen Folgen ; zu bemerken
ist , dass bei denjenigen Körpern , welche in der Fäulniss bereits stark
vorgeschritten sind , eine Infection viel weniger zu fürchten ist , als bei
solchen, die erst kurz verstorben sind. — Symptome. Es stellt sich
nach wenigen Stunden eine heftige Entzündung und Anschwellung an der
Stelle der Verlezung, so wie nach dem Laufe der Lymphgefässe ein, auf
welche örtlichen Erscheinungen das Uebel beschränkt bleibt oder wozu
sich alsbald ein typhöses Fieber mit grosser Schwäche , Erbrechen , stin-
kenden Stuhlausleerungen , Kopfschmerz, Delirien und sehr frequentem,
kleinem , zusammengezogenem Pulse gesellt. Die lezteren allgemeinen
Erscheinungen können sich sogar zeigen , ohne dass am Orte der Verle-
zung sich auffallende Veränderungen entwickeln. — Prognose. Diese
ist bei der typhösen Form viel schlimmer als bei der örtlichen , selbst
wenn diese mit einer heftigen örtlichen oder auch auf Lymphgefässe und
Venen sich erstreckenden Entzündung auftritt. Die typhöse Form kann
nach wenigen Tagen tödten oder diesen Ausgang erst nach mehreren Wo-
chen herbeiführen. Nach Travers kommt hier auf 7 Kranke nur
1 Genesender, bei der andern Form auf 2 0 Verwundete nur 1 Todter. —
Behandlung. Man schüzt sich vor der Ansteckung durch Einölen
der Hände vor der Section , bei bestehenden Verwundungen durch Be-
Burger, Chirurgie. 67
1058 WUNDEN.
decken derselben mit Collodium oder durch festes Umwickeln mit Heft-
pflaster, and sorgfältiges Reinigen der Hände nach der Section. — Hat
eine Verwundung während der Section stattgefunden, so drückt man die
Wunde stark aus , wobei man in der Richtung des arteriellen Blutstroms
gegen sie hinstreicht, um die Blutung zu vermehren und zu unterhalten,
saugt sie auch wohl aus , reinigt sie sorgfältig mit lauem Wasser und
wäscht sie dann mit Seifenwasser , Essig , Salzwasser, einer Kali-, Chlor-
kalk- oder Alaunsolution aus , worauf man sie mit einein Heftpflaster be-
deckt. Bei entstehender heftiger Entzündung wendet man Blutegel,
Quecksilbersalbe und narkotische Umschläge an und wenn sich Abscesse
bilden, so öffnet man sie frühzeitig. Das begleitende Fieber muss seinem
Charakter gemäss behandelt werden.
Wundstarrkrampf, Tetanus t raumaticus. Hierunter
versteht man die tonischen und clonischen Krämpfe , welche sich zu
schmerzhaften Wunden gesellen, manchmal aber auch ohne alle Verwun-
dung vorkommen. — Der Wundstarrkrampf kann gleich im Anfange nach
der Verlezung auftreten , gewöhnlich geschieht dies aber erst zwischen
dem 8. und 21. Tage, seltener später, oder gar schon nach eingetretener
Vernarbung. Er zeigt sich unter verschiedener Form , je nachdem der
Krampf alle Muskeln , oder nur die Beuge- oder Streckmuskeln befällt.
Diesem nach unterscheidet man : 1) Tetanus universalis, wo Er-
starrung aller Muskeln stattfindet und der Kranke unbeweglich gerade
ausgestreckt liegt; 2) Opisthotonus {oTTiCd'Ei' , nach hinten, to-
rog , Spannung , Krampf) , wo der Rumpf nach rückwärts , 3) E m p r o -
sthotonus {i^nQoüd^ev , nach vorn) , wo der Körper nach vorn gebogen
ist; 4) Pleurosthotonus (von der Seite her) s. Tetanus late-
ralis, wo der Körper nach der einen oder der andern Seite hingezogen
ist. Die Häufigkeit des Vorkommens dieser verschiedenen Formen des
Tetanus findet nach der angegebenen Reihenfolge statt. — Ein nicht
seltener Begleiter der verschiedenen tetanischen Zufälle ist eine tonische
Zusammenziehung der Kaumuskeln , der Kiunbackenkrainpf,
Mundsperre, Trismus (tql^^oq , Zähneknirschen), der selten allein
und häufig als der Vorläufer des allgemeinen Starrkrampfs erscheint. —
Symptome. Die Krankheit kündigt sich durch Trockenheit und grös-
sere Schmerzhaftigkeit der Wunde , Aufregung des Kranken , plözliches
Aufschrecken im Schlafe , durch Druck, Spannung in der Magengegend,
Frösteln etc. an ; demnächst stellt sich ein schmerzhaftes Ziehen und
Spannen von der Wunde gegen das Rückenmark hin ein , gefolgt von
Muskelzuckungen in dem verlezten Theile, Erstarrung der Muskeln, Stei-
figkeit des Halses, Unvermögen den Mund zu öffnen, erschwertem Schlin-
gen , veränderter Stimme , starren , manchmal verzogenen Gesichtszügen.
In der weiteren Entwicklung der Krankheit treten schmerzhafte Anfälle
heftiger tonischer Muskelspannung ein ; der Unterkiefer wird fest an den
Oberkiefer gedrückt , Sprechen und Schlingen sind unmöglich und der
WUNDEN. 1059
Körper ist, so weit die Krämpfe reichen, steif. Das Gesicht des Kranken
ist bald traurig , bald ängstlich , zuweilen ist es starr und der Ausdruck
drohend , indem die Augenbrauen zusammengezogen sind ; dabei ist es
meistens geröthet, das Auge ist starr oder wird convulsivisch bewegt , die
Pupille verengt, lichtscheu. Mitunter wechseln einige Krampfformen mit
einander ab , und fast immer treten zwischendurch in einzelnen Muskel-
partien auch clonische, convulsivische Krämpfe auf. Endlich werden auch
das Zwerchfell, das Herz und die Darmmuskeln ergriffen, was hartnäckige
Stuhlverstopfung, Respirations - und Circulationshemmung und damit oft
plözlichen Tod zur Folge hat. — Die Anfälle dauern von wenigen Minu-
ten bis zu einer Viertelstunde und darüber. Die einzelnen Paroxysmen
folgen sich bald rasch , bald in grösseren Pausen. Während der ganzen
Krankheit behält der Kranke sein volles Bewusstsein. — Der Tetanus
zeigt bald mehr einen acuten, bald mehr chronischen Verlauf. Im ersten
Falle tödtet er gewöhnlich in 3 bis 4 Tagen, oft innerhalb der ersten 2 4
Stunden , dies besonders in heissen Ländern. Der Tod erfolgt durch
Herzkrampf, Apoplexie oder Lähmung. Der chronische Tetanus kann
3 bis 8 Wochen dauern. Wenn der Tetanus nicht mit dem Tode endigt,
so lassen die Krämpfe allmälig nach und es stellen sich Schlaf und Appe-
tit ein. — Sectionsergebniss. . Am häufigsten findet man Blut-
anhäufungen in den blutreichen Organen und in den grossen Venen mit
venöser Blutbeschaffenheit , die vom Krämpfe befallenen Muskeln im Zu-
stande der Hyperämie, manchmal stellenweise zerrissen und sugillirt. Zu-
weilen werden Spuren einer Entzündung des Rückenmarks , des Gehirns,
der Nerven und ihrer Scheiden , Erguss seröser Flüssigkeit zwischen die
Häute derselben und Erweichungen dieser Theile angetroffen. Bisweilen
zeigt sich nach R. Froriep eine stellenweise Röthung und knotige An-
schwellung der Nerven der verlezten Extremität bis zum Rückenmark hin.
Andere Male wird durchaus keine materielle Veränderung gefunden. —
Ursachen. Als Gelegenheitsursachen werden angeführt : Erkältung,
fremde Körper in der Wunde , Gemüthsaff'ecle und gastrische Complica-
tionen. Am häufigsten tritt der Tetanus auf in kleinen, gequetschten,
gerissenen, gestochenen Wunden nervenreich er, sensibler Theile, beson-
ders an Händen und Füssen, so wie in Wunden der Gelenke oder solcher
Theile, die von festen oder fibrösen Theilen umschlossen sind. Die näch-
ste Ursache des Starrkrampfes beruht auf einer excessiv gesteigerten Re-
flexionsthätigkeit. — Junge kräftige Personen männlichen Geschlechts
sind dem Tetanus mehr unterworfen , als Frauenzimmer und alte Leute.
— Die Prognose ist sehr schlecht , da nur wenige Kranke genesen.
Indessen gibt der chronische Tetanus eine bessere Prognose, als der acute.
— Behandlung. Man suche dem Tetanus vorzubeugen , indem man
fremde Körper aus der Wunde entfernt, den Kranken vor Erkältungen be-
wahrt und sehr empfindlichen Individuen beruhigende , schmerzstillende
Mittel, namentlich Opium reicht. Ist der Starrkrampf ausgebrochen, so
67*
1060 WUNDEN DER GEFAESSE.
hat man vor Allem der Wunde seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Man
entfernt etwa noch zurückgebliebene fremde Körper und Splitter, resecirt
Bruchenden , welche die Weichtheile zerren und reizen , spaltet fibröse
Haute , schneidet unvollständig getrennte und zerrissene Nerven vollends
durch und verwandelt zerquetschte und zermalmte Wunden sofort durch
die Amputation in reine und regelmässige. In einigen Fällen hat die
Durchschneidung des afficirten Nervenstamms oberhalb der Wunde Hülfe
gebracht. Ist die Wunde schon vernarbt , so schneidet man die Narbe
aus oder zerstört sie durch das Aezmittel oder das Feuer. Die Wunde
bedeckt man mit einer milden Salbe und macht narkotische Umschläge
darüber. — Neben diesem örtlichen Verfahren leitet man eine innere Be-
handlung ein, die eine verschiedene seinmuss, je nachdem der Starrkrampf
auf Entzündung des Rückenmarks beruht oder nur ein functionelles Lei-
den besteht. Im ersten Falle verfährt man streng antiphlogistisch, lässt
zur Ader , sezt Blutegel längs des Rückgrats und gibt innerlich Queck-
silber , Salpeter , Brechweinstein in starken Dosen und kalte narkotische
Mittel. Im lezteren Falle gibt man bei Vorhandensein gastrischer Un-
reinigkeiten ausleerende Mittel, besonders Laxanzen aus Calomel und Ja-
lappe und geht dann zu der Anwendung narkotischer Mittel in starken
Gaben über. Von diesen sind besonders empfohlen: Opium, Blausäure,
Belladonna, Tabak, Extractum cannabis, Colchicum etc. Unter
diesen Mitteln hat sich das Opium am wirksamsten erwiesen. Stütz
gibt es abwechselnd mit Kali oder Ammonium carbonicum und
lässt Kalibäder nehmen. Er gibt das Opium als Pulver , des Morgens
gr. j, des Mittags gr. jß, und des Abends gr. ij , oder die Tinct. opii
simpl. , von welcher er alle */2 — 1 Stunden 5 — 15 Tropfen nehmen
lässt. Von dem Kali carbonicum lässt er, 5üj in ^vj Wasser auf-
gelöst, alle l/2 — 1 Stunde abwechselnd mit dem Opium 1 Esslöffel voll
nehmen. Zu einem Bade nimmt er 4 Unzen Kali causticum. Auch
das Morphium aceticum endermatisch zeigte sich von Nuzen. Den
Tabak wendet man in Form von Klystieren an. Ausser den genannten
Mitteln sind noch ferner empfohlen worden : das kohlensaure Eisen , die
Ammoniumpräparate , das Chinin , Terpentinöl, der Silbersalpeter, beson-
ders aber, das Chloroform. — Bei chronisch gewordenem Zustande und
bei grosser Nervenschwäche verbindet man obige Mittel mit Camphor,
Moschus, China und einer nahrhaften, mehr reizenden Diät.
C. Wunden einzelner Gewebe und Systeme.
1) Wunden der Blutgefässe und Wundblutung. Blut-
gefässe werden bei jeder Verwundung getrennt, was sich aus der dabei
nothwendig stattfindenden Blutung ergibt. Die Gefässe werden hierbei
entweder nur theilweise oder ganz getrennt , und die Verlezung betrifft
bald nur Capillargefässe oder auch Arterien und Venen. Die Verlezung
von Capillarge fassen gibt sich durch das Hervorquellen von hell-
rothem Blut aus der ganzen WTundfläche kund ; aus verlezten Venen
WUNDEN DER GEFAESSE. 1061
liiesst dunkles Blut in ununterbrochenem Strome, welcher durch Druck
auf das Gef äss unterhalb der Wunde gehemmt wird ; aus verwundeten
Arterien springt hellrothes Blut stossweise in einem Bogen hervor, und
ein Druck oberhalb der Wunde auf das Gefäss bringt die Blutung zum
Stillstande. Je nach dieser verschiedenen Quelle der Blutung unterschei-
det man eine c a p i 1 1 a r e (parenchymatöse) , arterielle und venöse
Blutung. Die Blutung, welche unmittelbar auf die Verlezung folgt, nennt
man primäre, diejenige, welche erst spater (in Folge des Absterbens
der Gef ässwandungen nach Quetschungen , oder durch Vereiterung der-
selben) eintritt , secundäre oder Nachblutung. Ist die Wunde
der äussern Bedeckungen der Gef ässwunde genau gegenüber , so fliesst
das Blut frei aus, im Gegentheil entstehen Ecchymosen. — Aus Cap'ii-
largefässen ist die Blutung meist unbedeutend und steht gemeiniglich
von selbst , indem entweder die Gef ässwandungen sich contrahiren oder
mit der eintretenden Entzündung eine Blutstockung in den nahe liegen-
den Capillaren eintritt. Nur bei einem krankhaften Zustande der Ca-
pillargef ässe , wenn sie abnorm erweitert , erschlafft oder gelähmt sind,
oder wenn das Blut wenig gerinnfähig ist , kann auch eine capillare Blu-
tung gefährlich werden. — Aus Arterien sind die Blutungen am ge-
fährlichsten , insofern die Verlezung einer nur einigermassen grossen Ar-
terie zur Verblutung führen kann. Nicht selten tritt aber auch hier die
Natur ins Mittel und stillt Blutungen , selbst aus grösseren Arterien , wo-
bei es aber wesentlich in Betracht kommt , ob die Arterie völlig durch-
schnitten oder abgerissen oder nur angeschnitten ist (s. d. Art. Throm-
b o s i s). — Die Blutungen aus verlezten Venen sind im Allgemeinen
fast immer weniger gefährlich , als die aus Arterien. Bei kleinen Venen
steht die Blutung meist von selbst, wenn ein etwaiges Hinderniss der Cir-
eulation beseitigt ist, die Wundränder vereinigt werden und der Kranke
sich ruhig verhält. Es bildet sich ein Blutpfropf in der Venenwunde, und
diese heilt mit der Hautwunde , wobei das Gef ässlumen erhalten wird.
Die spontane Zerreissung, namentlich varicöser Venen kann eine sehr be-
deutende Blutung zur Folge haben , doch strömt hier das Blut nicht so
rasch und mit solcher Gewalt , wie aus Arterien , und oft ist schon das
Collabiren der Venenwandungen im Stande , die Blutung zu stillen. —
Verlezungen grosser Venen , wie der Subclavia, Jugularis, Cru.-
ralis etc., können schnell tödtlich werden, wenn die Kunsthülfe zögert.
Vergl. die Art. Blutung, blutstillende Mittel, Aneurysma,
Unterbindung der Gef ässe, Turniket, Transfusion und
Infusion. — Ein sehr schlimmes Ereigniss ist das Eindringen
von Luft in verlezte Venen. Die Luft gelangt dabei von der
Vene aus ins rechte Herz und von da in die Circulation und bringt durch
mechanische Störung dieser plözlich lebensgefährliche Zufälle hervor-
Man beobachtet diesen Zufall am häufigsten bei Operationen am Halse,
der Schulter und der Achsel. Das Eindringen der Luft erzeugt einen
1062 WUNDEN DER GELENKE.
eigentümlich zischenden , gurgelnden Ton , der Kranke stosst plözlich
einen Schrei aus, wird blau im Gesicht, fällt in Ohnmacht und stirbt ent-
weder in kurzer Zeit, wenn viel Luft eingedrungen ist, oder kommt, wenn
der Lufteintritt schnell verhindert wird, allmälig wieder zu sich. — Bei
der S e c t i o n findet man Luft und schäumiges Blut im rechten Herzen,
in der Lungenarterie und den Lungen , zuweilen auch im linken Herzen
und in den Gefässen des grossen Kreislaufs. — Veranlassung zu
diesem Zufalle gibt Verdickung oder Verknöcherung der Venenwandun-
gen , so wie Verwachsung derselben mit den umgebenden Theilen , wo-
durch sie die Fähigkeit verlieren, zusammenzufallen. Begünstigt wird
das Eindringen der Luft durch heftiges Schreien, überhaupt angestrengte
Respirationsbewegungen , Bewegungen der Arme und Zurückbeugungen
des Halses. — Behandlung. Sobald man das charakteristische Ge-
räusch hört , schliesst man die Vene alsbald mit dem Finger , gibt dem
Kranken eine horizontale Lage und wendet Riechmittel, Besprizen mit
kaltem Wasser , Reibungen des Körpers , Zusammendrücken des Thorax
etc. an.
2. Wunden der Gelenke. Oberflächliche Gelenkwunden
haben keine besondere Bedeutung. Dagegen sind Wunden , welche in
das Gelenk dringen, immer höchst gefährlich. Die Gefahr dieser Wun-
den besteht in der Entzündung der Synovialmembran und der fibrösen
Bänder, welche um so leichter erfolgt , je mehr die Luft einen freien Zutritt
in das Gelenk hat, je unreiner die Wunde, je schlechter die Constitution
ist und je weniger das verlezte Gelenk geschont wird. Man erkennt die
in ein Gelenk dringenden Wunden in vielen Fällen an dem Ausfliessen
der Synovia, welches jedoch fehlen kann, wenn die Wunde eng ist und
nicht gerade verläuft. Es kann übrigens auch die Verlezung von Sehnen-
scheiden und Schleimbeuteln den Ausfluss einer der Synovia ähnlichen
Materie zur Folge haben, und den Verdacht einer Gelenkverlezung er-
regen. — Gelenkwunden dürfen nur dann mit Sonden untersucht werden,
wenn es sich um die Ausziehung eines fremden Körpers handelt. — Be-
handlung. Man schliesst die Wunde genau, hält das Gelenk mittels
geeigneter Rinnen oder Schienenverbände in möglichster Ruhe und ver-
fährt nach Massgabe der eintretenden Reaction mehr oder weniger streng
antiphlogistisch. Diesem gemäss macht man kalte Umschläge, sezt Blut-
egel, verordnet eine magere Diät , reicht entsprechende innere Mittel und
nimmt nöthigenfalls allgemeine Blutentziehungen vor. Entsteht Eite-*
rung, so erweitert man die Wunde, macht Gegenöffnungen und reicht dem
Kranken eine nährende Diät und stärkende Mittel. Zerstörung der Ge-
lenkknorpel und ankylotische Verwachsung ist fast immer die Folge der
Eiterung ; deshalb muss man dem Gliede bei Zeiten eine solche Stellung
geben , welche für den späteren Gebrauch die am wenigsten unbequeme
ist. Vergl. Gelenkentzündung.
3. Wunden der Knochen. Die Knochen, besonders die
WUNDEN DER MUSKELN UND SEHNEN. 1063
schwammigen können durch Hieb und Stich getrennt werden ; nicht min-
der werden sie von Kugeln durchdrungen. Ein Hieb trennt entweder
den Knochen nur theilweise oder ganz , oder er haut ein Stück von ihm
weg. — Die Heilung der Knochenwunden geschieht ähnlich wie bei den
Weichtheilen , entweder durch Bildung eines plastischen Exsudats , das
sich allmälig zu Knochengewebe organisirt, oder auf dem Wege der Eite-
rung und Granulation. — War die Knochentrennung mit starker Contu-
sion verbunden , so tritt gern eine oberflächliche Necrose ein. — Be-
handlung. Wenn es möglich ist , so muss die äussere Wunde durch
schnelle Vereinigung geschlossen werden, andernfalls hat man die Heilung
der Knochenwunde durch Eiterung und Granulation zu erwarten. Hängt
ein Knochenstück an einem losgehauenen Fleischlappen , so kann jenes
anheilen, wenn seine Beinhaut nicht gelitten hat, man legt es in diesem
Falle genau an ; andernfalls ist es auszulösen. — Wunden mit Contu-
sionen müssen mit kalten Umschlägen, Blutegeln etc. behandelt werden.
4. Wunden der Muskeln und Sehnen. — Muskelwun-
den, welche der Länge nach verlaufen, klaffen wenig oder gar nicht, bei
Querwunden dagegen findet ein starkes Klaffen statt, sowohl in Folge der
Retraction der Muskelenden als der Wirkung der Antagonisten, und zwar
ist das Klaffen um so bedeutender, je länger der Muskel und je lockerer
er mit andern Theilen verbunden ist. — Die Verheilung geschieht durch
bindenden Zellstoff und ein contractiles leimgebendes Gewebe. — Be-
handlung. Muskelwunden erheischen die gewöhnliche Vereinigung
durch klebende Mittel oder die Naht , und eine solche Lagerung des
Theils, dass der verwundete Muskel erschlafft ist. — Sehnen, welche
in die Quere getrennt sind , treten an der Trennungsstelle aus denselben
Gründen auseinander , wie die Muskeln. Die Sehnen regeneriren sich
vollständiger als diese , nämlich durch eine sehnige Zwischensubstanz,
aber nur unter der Bedingung , dass die Sehnenenden einander genähert
und vor dem Zutritt der Luft geschüzt werden. Ist lezteres nicht der
Fall, so sieht man die Sehnenden lange Zeit blass und ohne Lebenszeichen
in der Wunde liegen : endlieh zeigen sich Gef a'sse in ihnen , sie werden
roth , Fleischwärzchen wachsen auf den Schnittflächen und verschmelzen
allmälig mit den von den benachbarten Theilen aus hervorsprossenden.
Endlich wird der ganze Zwischenraum durch leztere ausgefüllt und die
Narbenverkürzung beginnt, so dass schliesslich die Continuität der Sehne
vollständig wieder hergestellt wird mit dem einzigen Unterschiede , dass
bei diesem Heilungsvorgange die Sehnennarbe mit den umgebenden Thei-
len verwächst , wodurch die Beweglichkeit der Sehne beeinträchtigt wird.
— Behandlung. Durchschnittene Sehnen sucht man durch eine pas-
sende Lagerung des Theils möglichst in gegenseitige Annäherung zu brin-
gen und darin durch geeignete Verbände und Apparate zu erhalten. Die
äussere Wunde wird sorgfältig geschlossen. Nach der Verheilung (3 bis
6 Wochen) darf man den Theil erst allmälig zu seiner vollen Thätigkeit
1064 WUNDEN DES KOPFS.
zurückkehren lassen , um eine naehtheilige Dehnung und Verlängerung
der neugebildeten Zwischensubstanz zu verhüten. — Die Vereinigung der
Sehnenenden mittels der Naht wird von den meisten Wundärzten als
unnöthig verworfen. Nur wenn die Enden einer durchschnittenen Sehne,
ohne sich zu vereinigen, vernarbt sind, kann die Naht von Nuzen sein.
Man legt zu diesem Behufe die Enden durch einen Längenschnitt bloss,
frischt sie an und nähert sie einander durch eine zweckmässige Lagerung,
nötigenfalls durch Ausschälung aus den mit ihnen verwachsenen Theilen.
Namentlich zur Vereinigung der getrennten Fingerextensoren wird die
Naht neuerdings sehr empfohlen. — Die Nadeln müssen durch die ganze
Dicke der Sehne geführt werden.
5. Wunden der Nerven. Kleinere Nervenzweige werden bei
allen Wunden verlezt, grössere Nervenstämme seltener. Verlezungen der
Nerven veranlassen grösstentheils den Wundschmerz , können aber auch
zuweilen stürmische Reactionen des ganzen Nervensystems bedingen. Ist
ein Nerv ganz getrennt, so ziehen sich die Enden nur wenig zurück, und
der von demselben versorgte Theil wird je nach der Art des Nervens sei-
ner Empfindung oder Bewegung beraubt. Eine Vereinigung der getrenn-
ten Nervenenden kann stattfinden, wenn die Entfernung derselben nicht
über 2 bis 3 Linien beträgt. Ein in Folge der Entzündung sich bilden-
des plastisches Exsudat sezt die Enden mit einander in Verbindung , und
durch Organisirung dieses Exsudats kommt eine Vereinigung zu Stande,
womit sich auch die Leitungsfähigkeit des Nervens wieder herstellt. Kommt
die Vereinigung nicht zu Stande, so wird das peripherische Ende atrophisch,
das centrale dagegen kolbig. — Ist der Nerv nicht ganz getrennt oder
angestochen , so erfolgt zunächst ein heftiger nach dem peripherischen
Verlauf des Nerven ausstrahlender Schmerz , der sich gewöhnlich ohne
weitere Zufälle bald verliert. Wird der verlezte Theil aber nicht geschont
oder einer Erkältung ausgesezt, und ist der Verlezte überdies von reizbarer
Constitution, so dauert der Schmerz ungewöhnlich lange an ; es kann selbst
zu einer eigentlichen Neuralgie oder zu Krämpfen kommen , welche den
Uebergang in Tetanus befürchten lassen. — Behandlung. Bei völ-
lig getrennten Nerven unterstüzt man die Vereinigung der Enden durch
eine geeignete Lage des Theils ; unvollständig getrennte schneidet man
vollends durch. Den Erscheinungen gesteigerter Nervenerregung begegnet
man durch warme narkotische Breiumschläge und innerlich Aqua 1 a u -
rocerasi, Extr. hyoscyami und steigt die Reizbarkeit bis zu Kräm-
pfen und ist Gefässaufregung damit verbunden, so reicht man nach einem
vorausgeschickten vorsichtigen Aderlass Opium (s. Wundstarr-
krampf).
D. Wunden der einzelnen Körpertheile.
1. Kopfwunden, Vulnera capitis. Die Verlezungen des
Kopfs bilden das wichtigste und schwierigste Kapitel in der ganzen Chi-
WUNDEN DES KOPFS. 1065
rurgie. Die Wichtigkeit ist bedingt durch das Gehirn , welches bei die-
sen Verlezungen immer mehr oder weniger in seiner Integrität gefährdet
wird ; die Schwierigkeit findet ihre Erklärung darin, dass man, besonders
bei in der Schädelhöhle entstandenen Verlezungen, sehr oft über den Siz
und Umfang des Uebels in Ungewissheit schwebt und häufig dem Kran-
ken eine ausreichende Hülfe nicht zu Theil werden kann. — Um die
Kopfverlezungen in allen ihren Momenten genau unterscheiden zu lernen,,
theilt man sie hinsichtlich ihres Sizes in Wunden 1) der Weichtheile
des Schädels, 2) des Schädels selbst und 3) des Gehirns
und seiner Häute. Weiter betrachtet man als Folgen dieser Wun-
den : 4) die Erschütterung, 5) den Druck und 6 ) die Entzün-
dung des Gehirns. — I. Wunden der Weichtheile des
Schädels, Kopfwunden im engern Sinne. Die Weichtheile
des Schädels können von allen Arten von Verlezungen betroffen werden,,
wie Stichwunden, Schnittwunden, Hiebwunden etc., und kann die Trennung-
sich entweder blos auf die Kopfschwarte beschränken oder auch die G a -
lea aponeurotica, die Muskeln (Stirn-, Sehläfenmuskel etc.) durch-
drungen sein. — Stichwunden haben bisweilen eine weitverbreitete
Entzündung erysipelatöser Natur, mit Fieber, Schlafsucht und Irrereden
zur Folge. Besonders treten diese drohenden Erscheinungen bei Personen
auf, die häufig an galligen Krankheiten, Gesichtsrose u. dgl. leiden , oder
wenn die Aponeurosen der Kopfmuskeln getroffen wurden. Die Behand-
lung solcher Zufälle erfordert zuweilen Aderlässe , Brech - oder Purgir-
mittel , Blutegel , kalte Umschläge und besonders bei Ergriffensein der
Galea tiefe Einschnitte. Bildet sich irgendwo Eiterung , so öffnet man
den Abscess frühzeitig und sorgt für freien Abfluss des Eiters. — Ein-
fache Schnitt- und Hiebwunden fordern nach allgemeinen Regeln
die Vereinigung, welche man nach der Entfernung der Haare in der Um-
gebung der Wunde durch Heftpflaster und eine passende Kopf binde ins
Wejk sezt. Ist ein Lappen abgetrennt, so heftet man ihn nach gehöri-
ger Reinigung durch einige Knopfnähte oder mit Heftpflastern wieder an.
Eine Compresse und Kopfbinde vervollständigt den Verband. Heilt der
Lappen nicht vollständig an , bilden sich Eiterherde , so muss man dem
Eiter gehörig Abfluss verschaffen , nötigenfalls Gegenöffnungen machen
und einen massigen Druck ausüben. Blutungen aus der Art. fronta-
lis, temporalis oder occipitalis stillt man durch die Compression
oder Ligatur. — Contusionen der Weichtheile des Schädels bringen
die sogenannten Beulen hervor, die sich, wenn sie klein sind, gewöhn-
lich durch kalte Umschläge und einen massigen Druck leicht zertheilen :
sind sie gross, deutlich fluctuirend, so versucht man erst ihre Zertheilung
durch kalte und zertheilende Umschläge , auch Blutegel , und wenn Alles
fehlschlägt , so öffnet man sie durch einen Einschnitt. — IL Wunden
des Schädels. Man unterscheidet Hieb-, Stich-, Quetsch-
wunden und Fracturen des Schädels. — 1) Hiebwunden. Sie
1066 WUNDEN DES KOPFS.
haben um so mehr Bedeutung, je stumpfer das verlezende Instrument , je
grösser also auch die gleichzeitige Erschütterung des Gehirns war , und
je tiefer die Verwundung eindrang. Die Alten unterschieden 4 Arten :
1) Hedra, wo das Werkzeug nur eine leichte oberflächliche Spur zu-
rücklässt ; 2) Eccope, wenn das Instrument senkrecht auftrifffc und einen
geraden Einschnitt macht; 3) Diacope, wenn es einen schiefen, mehr
oder weniger tiefen Einschnitt veranlasst; 4) Aposceparnismös,
wenn ein Knochenstück ganz abgehauen ist. — Behandlung. Ist der
Knochen nur leicht angehauen, so kann die unmittelbare Vereinigung ein-
treten. Wenn jedoch der Knochen in seiner ganzen Dicke durchhauen
ist , so handelt es sich davon, ob die Wunde einfach oder gequetscht ist
und ob mit ihr noch Nebenverlezungen , wie ein Sprung im Knochen,
Hirnerschütterung, Extravasat etc. verbunden sind. Im ersten Falle kann
die Wunde sogleich vereinigt werden , im andern lässt man einen Kaum
zwischen den Wundrändern, um dem Eiter etc. Abfluss zu gestatten ; da-
neben ein angemessenes antiphlogistisches Verfahren und Verhalten.
Wenn ein Stück des Schädels völlig abgelöst ist und nur noch an den
Weichtheilen hängt , so kann man die Anheilung desselben versuchen,
wenn es von einigem Umfange , rein abgeschlagen , nicht gesprungen,
hauptsächlich aber an seiner äussern Fläche nicht vom Periosteum losge-
löst ist. Man hat sogar die Anheilung eines mit dem Hautlappen völlig
vom Kopfe getrennten Knochenstücks mit Erfolg unternommen. Wenn
die angegebenen Bedingungen nicht bestehen , so thut man besser , das
Knochenstück auszuschälen und den Lappen für sich anzuheilen. — 2 )
Stichwunden. Sie sind meist durch Degen, Bajonette, Messer etc.,
aber auch zuweilen durch halb stumpfe Werkzeuge beigebracht. Häufig
durchdringt das verlezende Instrument nicht die ganze Dicke des Schädels ;
ist dies aber der Fall, so kann die Tabula vitrea gesplittert, das Ge-
hirn und seine Häute verlezt sein. In vielen Fällen bricht das Instrument
in der Wunde ab und bleibt stecken. — Die Behandlung ist nach
■den Zufällen einzurichten. Ist das zurückgebliebene Instrument nicht
zu entfernen , so ist die Trepanation angezeigt , wenn sich auch zunächst
keine üblen Zufälle zeigen, da die Erfahrung lehrt, dass solche noch nach
Jahren sich einstellen können. — 3) Quetschungen. Sie entstehen
durch stumpf wirkende Gewalt (Stoss, Schlag, Fall, Schuss), und sind im
Allgemeinen schwere Verlezungen, da sich bei ihnen in den meisten Fäl-
len die Verlezung nicht auf den Knochen beschränkt, sondern auch dem
Gehirn eine mehr oder minder verderbliche Erschütterung mitgetheilt ,
wird. Wenn dies leztere aber auch nicht der Fall ist, so kann die oft
erst sehr spät auftretende Entzündung des Knochengewebes sich noch dem
Gehirn und seinen Häuten mittheilen. Eindrücke des Knochens
ohne Bruch sinfl nur bei Kindern möglich, die einen dünnen nachgiebigen
Schädel haben. — Behandlung. Da sich die Tragweite einer solchen
Verlezung nicht zum Voraus bestimmen lässt, so thut man gut. den Kran-
WUNDEN DES KOPFS. 1067
ken sorgfaltig zu überwachen , ihn einem strengen Regimen zu unterwer-
fen, wenn er jung und blutreich ist, einen vorbeugenden Aderlass vorzu-
nehmen, worauf man des Weitern je nach den auftretenden Cerebralsym-
ptomen verfährt ; kalte Umschläge und Ableitungen auf den Darmkanal
sind nie zu versäumen. Nach B o y e r soll man , sobald man das P e r i -
cranium vom Knochen abgelöst und die Farbe des leztern verändert
ündet, trepaniren. Da sich aber der Umfang einer Schädelcontusion sel-
ten mit Sicherheit bestimmen lässt, so folgen die Wundärzte dieser Praxis
nicht mehr. Die Eindrücke des Schädels gleichen sich oft ohne Zuthun
der Kunst wieder völlig aus ; sie werden einfach als Contusionen behan-
delt. — 4) Knochenbrüche des Schädels, Fractura cranii.
Diese sind verschieden, je nachdem die Knochentrennung schmal (Spalte,
F i s s u r a) oder breit ist (Bruch, Fractura). Ihre Richtung ist ent-
weder gerade oder gezackt, oder läuft nach verschiedenen Seiten aus. Sie
besteht entweder an der Stelle , wo die Gewalt eingewirkt hat , oder von
dieser entfernt, durch Gegenstoss bewirkt (Gegenspalten, Contra-
fissurae, oder Gegenbrüche, Contra fr acturae). Ihre Er-
kennung ist nur dann leicht , wenn eine Wunde der Weichtheile damit
verbunden ist ; die Erkenntniss der Gegenbrüche ist dagegen unsicher.
Meistens findet eine Quetschung der Diploe statt und die innere Tafel ist
gesplittert ; zuweilen ist der Bruch mit einem Knocheneindrucke verbun-
den : auch kann die innere Tafel splittern , ohne dass die äussere noth-
gelitten hätte. — Als Zeichen , welche das Dasein und den Siz einer
Schädelfractur anzeigen sollen , hat man angegeben : wenn die Haut ge-
trennt ist, die Ablösung des Pericraniums ; diese Lostrennung findet sich
aber auch ohne einen Bruch und ist auf der andern Seite nicht bei allen
Brüchen vorhanden. Tritt sie dagegen später ein , so hat sie eine bei
weitem grössere Bedeutung als Symptom, denn in den meisten Fällen deu-
tet sie dann auf eine krankhafte Thätigkeit im Innern des Schädels hin.
Ein gleich unsicheres Zeichen ist eine teigige Geschwulst, welche sich an
der Stelle entwickeln soll, wo die Contrafractur sich findet. Denn diese
Geschwulst fehlt meistens, und wo sie vorhanden, ist sie mehr die Folge
eines durch den Fall hervorgebrachten Stosses. Nicht viel mehr Werth
hat der Schmerz, welcher die Kranken veranlasst, nach der Stelle desselben
zu greifen. Nicht versäumen darf man bei nicht entblösstem Schädel
die Untersuchung des verlezenden Körpers, wie man auch die Gewalt und
Richtung seiner Einwirkung zu ermessen suchen und den Kranken endlich
über seine Empfindung im Augenblicke der Verlezung befragen muss.
Wenn die Zersplitterung der Knochen beträchtlich ist , so erkennt man
sie leicht durch die Berührung , es mag Eindruck vorhanden sein oder
nicht, die weichen Theile mögen gesund oder gequetscht sein. Ist blos
eine Quetschung an den äussern Bedeckungen ohne Eindruck und ohne
Beweglichkeit , aber mit den übrigen sogenannten rationellen Zeichen
(nämlich Gehirnsymptomen und den örtlichen Wirkungen des Bruches),
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so ist die Quetschung eine Anzeige für den Ort des Bruches , und hier
muss man die weichen Theile einschneiden, um den Knochen blosszulegen.
— Den Contrafracturen an der Schädelbasis hat man vorzugsweise Blu-
tungen aus den Ohren und der Nase, so wie Sugillationen der Augenlider
zugeschrieben ; man sieht diese aber auch nach einer einfachen Erschüt-
terung entstehen , und nicht selten Kranke mit diesen Symptomen ohne
besondere Zufälle genesen ; nur wenn die Blutungen , besonders aus dein
Ohr von einiger Bedeutung sind, darf man mit einiger Sicherheit auf einen
Bruch schliessen. Symptome von viel grösserer Bedeutung für die An-
nahme eines solchen Bruches sind : Amaurosis eines oder beider Augen,
Lähmung der einen Gesichtshälfte und Ausfluss einer serösen Flüssigkeit
aus dem Ohr, welche in den ersten Tagen nach der Verlezung eintritt,,
oft lange Zeit andauert und nicht selten eine bedeutende Quantität um-
fasst. Diese Flüssigkeit ist die in dem Arachnoidealsacke eingeschlossene
Cerebro-spinalflüssigkeit ; wenn diese Flüssigkeit daher an irgend einer
Stelle des Schädels (meistens aus dem Ohre, doch auch aus der Nase und
am Schädelgewölbe) nach aussen tritt , so muss nothwendig der dieselbe
einschliessende Sack zerrissen , wie auch der entsprechende Knochen ge-
sprungen sein. — Die Brüche des Schädels bewirken an sich , als reine
Aufhebung des Zusammenhangs , keine primären Zufälle , wenn sie ohne
Eindruck und ohne Verlezung eines beträchtlichen Gef ässes sind, gewöhn-
lich aber entsteht eine Blutausschwizung aus den Gefässen der Diploe
und aus jenen der harten Hirnhaut, welche vom Knochen getrennt wurde.
Dadurch entsteht eine mehr oder weniger beträchtliche Ergiessung, die
das Gehirn zusammendrückt und Zufälle des Drucks hervorruft ; oder es
kommt in Folge einer Entzündung des Gehirns und seiner Häute zu einem
eiterigen Extravasat oder einer Lymphausschwizung. — Eine sehr seltene
Erscheinung ist das Auseinanderweichen der Nähte, Diast a -
sis suturarum. Sie kann entweder als Complication einer ausgedehn-
ten Fractur oder für sich durch Gegenschlag vorkommen. In lezterem
viel selteneren Falle wird in Folge der sehr bedeutenden Gewalt, welche
zur Herbeiführung einer solchen Verlezung nothwendig ist , eine erheb-
liche Gehirnerschütterung , so wie eine beträchtliche Blutergiessung zwi-
schen die Dura mater und die Schädelknochen veranlasst, welche den
Fall immer zu einem sehr bedenklichen macht. ■ — Die Prognose ist
immer ungewiss. Ein jeder Bruch des Schädels sezt eine heftige Gewalt-
thätigkeit voraus, welche, wenn auch der Bruch des Knochens an und für
sich nicht gefährlich ist , doch meist das Gehirn und seine Häute nicht
unbetheiligt lässt. Besonders beruht die Prognose auf dem Grade der
Gehirnerschütterung und auf der Stelle und Grösse des Bruchs. Die
spröde und glasartige Beschaffenheit der innern Tafel des Schädels macht,
dass sie beinahe nie in der Richtung und dem Umfange der äussern brichtT
sondern dass der Bruch fast immer strahlenförmig ausläuft, dass sie meist
splittert, wodurch die harte Hirnhaut immer mehr oder weniger losgetrennt
WUNDEN DES KOPFS. 1069
und verlezt wird. Die Gewalttätigkeit selbst bedingt in den meisten
Fällen Quetschung der Diploe und darauf folgende Entzündung. Frac-
turen in der Basis cranii, besonders der Pars basilaris und pe-
t r o s a , sind in der Regel tödtlich. Grosse Zerstörungen der Knochen
sind übrigens oft weniger schlimm , als einfache Risse , weil es dort weit
leichter ist, das Uebel zu entdecken, weil dabei das Gehirn meist eine ge-
ringere Erschütterung erlitten hat und (weil die Kraft der verlezenden
Gewalt an der verlezten Stelle sich erschöpft hat) und Extravasat und
Splitter besser entfernt werden können. Brüche ohne Eindruck und ohne
Yerlezung beträchtlicher Gefässe sind weniger gefährlich, als wo dies
statt hat. Erstrecken sich tiefe Fissuren bis an die Orbita, sind die Um-
gebungen des Auges, hauptsächlich das untere Augenlid, sugillirt, so rei-
■chen sie auch gewöhnlich bis in die Schädelbasis ; der Kranke legt dann
meinen Kopf sehr nach hinten ; der Ausgang ist meist tödtlich. — Be-
handlung. Früher trepanirte man bei jedem Schädelbruch , mochten
Zufälle des Drucks und der Reizung des Gehirns zugegen sein oder nicht.
Im ersten Falle nahm man die Trepanation vor, um dem ergossenen Blute
Ausgang zu verschaffen und die eingedrückten Knochenstücke zu erheben,
im zweiten , um den consecutiven Zufällen , wie der Entzündung , den
Blutergiessungen etc. zuvorzukommen, weil es nach ihrem Eintritt zu spät
sei. Später wurden die Indicationen zur Trepanation, besonders von
D e s a u 1 1 , sehr eingeschränkt, weil man fand, dass man in vielen Fällen
durch eine strenge antiphlogistische Behandlung Herr über die Entzün-
dung werden könne. — Die Schädelbrüche verhalten sich sehr verschie-
den nach dem Grade der Gewalttätigkeit , wodurch sie hervorgebracht
wurden , nach der Beschaffenheit der Schädelknochen und den anderwei-
tigen Verlezungen und besonders den Affectionen des Gehirns, welche mit
ihnen verbunden sein können. Sehr oft bestehen sie als einfache Knochen-
verlezungen ohne alle Complicationen und heilen bei einfacher Behand-
lung der Wunde, bei Aderlass , Abführmitteln mit Tartarus emeti-
cus in re fr acta dosi und kalten Umschlägen. Es ist daher keines-
wegs etwa nothwendig noch rathsam , die Weichtheile einzuschneiden,
blos in der Absicht, Brüche oder Spalten aufzusuchen, wenn keine ander-
weitigen Umstände es erfordern. Ferner gibt es Brüche , bei denen die
Spalten so weit klaffen, dass das ergossene Blut leicht abfliessen oder bei
denen man durch die Hinwegnahme loser Knochensplitter demselben einen
gehörigen Abfluss verschaffen kann. In diesem Falle kann die Trepa-
nation füglich unterbleiben. Anders ist es bei Comminutivbrüchen , wo
sehr bewegliche Knochenstücke eine verschiedene Richtung haben , von
denen eines oder das andere nach innen gerichtet ist , in die Dura m a -
t e r sticht oder selbst das Gehirn verlezt ; hier ist, wenn solche Knochen-
stücke nicht auf eine mildere Weise entfernt werden können , die prophy-
lactische Trepanation angezeigt , gleichviel ob die harte Hirnhaut verlezt
und Compression zugegen ist oder nicht. — Schädeleindrücke ohne gleich-
1070 WUNDEN DES KOPFS.
zeitige Symptome von Hirndruck erfordern die Trepanation nicht ; man
sucht sie mit einem Elevatorium zu erheben, wenn dies aber auch nicht
gelingt, so kann man doch zusehen, da sich das Gehirn an den Druck ge-
wöhnen kann, und die eingedrückten Knochenstücke sich selbst nach und
nach wieder erheben können. Treten aber Gehirnsymptome ein , welche
auf eine Störung der Gehirnfunctionen durch mechanische Ursache hin-
deuten, so muss man , wenn die Erhebung des Knochenstücks nicht mög-
lich ist , operiren. — Bei dem Auseinanderweichen der Nähte bestehen
meist so tiefe Beschädigungen der in der Schädelhöhle gelegenen Theile,
dass von einem operativen Eingriff" nicht viel zu erwarten ist. Vergl. den
Art. Trepanation. — III. Wunden des Gehirns und seiner
Häute. Diese Wunden werden durch niedergedrückte Knochenstücke
oder durch das verlezende Instrument selbst, welches auch zuweilen als
fremder Körper darin stecken bleibt , z. B. Kugeln bei eindringenden
Schusswunden, hervorgebracht. Dabei können Theile des Gehirns weg-(
genommen , es kann zerrissen, gequetscht sein , es können Zerreissungen
von Gefässen und Extravasate entstehen, auch eine starke Erschütterung
vorhanden sein. Zu bemerken ist , dass das Gehirn nicht selten ohne
Nachtheile bedeutende Eingriffe, selbst Substanzverluste erträgt. Die Be-
deutung dieser Wunden hängt daher keineswegs allein von den Störungen
in der Continuität dieses Organs ab , sofern jene nicht gewisse Grenzen
überschreiten, sondern vielmehr von der zugleich stattfindenden Erschütte-
rung und der nachfolgenden Entzündung. — Behandlung. Das Erste
muss die schonende und vorsichtige Entfernung der fremden Körper sein,
welche man bei hinreichender Oeffhung mit Zangen , dem Tirefond etc.
aus dem Gehirn und dessen Häuten wegzunehmen sucht. Lässt sich der
angegebene Zweck durch die bestehende Wunde nicht erreichen, so muss
man trepaniren. Ist der fremde Körper aber in der Hirnsubstanz ver-
graben, so lässt man ihn, ehe man behufs seiner Aufsuchung noch grössere
Verwüstungen veranlasst, lieber zurück, da bekannt ist, dass solche Körper
sich einkapseln und oft ohne üble Zufälle zurückbleiben können ; zuwei-
len verursachen sie indessen auch intermittirende Kopfschmerzen , oder
nach jahrelangem Wohlsein plözlich Schlafsucht, Convulsionen und den
Tod. — Ausgetretene Flüssigkeiten in der Schädelhöhle werden durch
eine geeignete Lage des Kopfs am besten beseitigt. Der Verband muss
ganz einfach aus lockerer Charpie , Compresse und Kopftuch bestehen.
Bildet sich später ein Abscess in der Hirnsubstanz, so öffnet man ihn mit
der Lancette , und tritt Brand der Hirnwunde ein, so verbindet man mit
Chinadecoct, mit Digestivsalbe und Myrrhe etc. Die übrige Behandlung
richtet sich nach den Umständen und muss im Anfange in der Vorbeugung
oder in der Bekämpfung der Entzündung bestehen. — IV. Erschüt-
terung des Gehirns, Commotio cerebri. Diese ist eine häu-
fige Begleiterin, besonders der Kopfverlezungen, und entsteht, indem der
verlezende Körper seine Bewegung dem ganzen Kopfe mittheilt. — S y m-
WUNDEN DES KOPFS.
1071
ptome. Der Kranke stürzt nach erlittener Gewalt zusammen, ist be-
wusstlos und klagt, wenn er sieh wieder etwas erholt hat, über Schwindel,
Neigung zum Schlafe , Klingen und Sausen vor den Ohren. In einem
höheren Grade der Erschütterung erholt sich der Kranke nicht so rasch,
liegt mit blassem Gesicht und kalten Extremitäten ; dabei ist das Athmen
leicht, der Puls klein und gleichmässig, die Pupille ist erweitert, das Auge
unempfindlich. Erbrechen fehlt selten, und zuweilen entstehen Lähmun-
gen einzelner Glieder oder Sinnesorgane auf der der verlezten Stelle ent-
gegengesezten Seite des Körpers. Im höchsten Grade der Erschütterung
stirbt der Kranke nach wenigen Secunden durch Vernichtung der Nerven-
kraft. — An dem Gehirn solcher plözlich Verstorbener zeigt sich keine
sichtbare Verlezung, es hat nur an Consistenz eingebüsst , indem es sich
mit leichter Mühe zerreissen lässt , auch findet man es die Schädelhöhle
nicht mehr ganz ausfüllend. — Die Ursachen sind entweder Erschüt-
terung des ganzen Körpers durch einen Fall auf die Füsse etc. , oder ein
Schlag, Stoss, Fall auf den Kopf selbst. — Die Prognose ist nach dem
Grade der Erschütterung verschieden. Geringere Grade können ohne
bleibende Nachtheile rasch vorüber gehen , höhere aber ausser der leicht
hinzutretenden Extravasation von Blut oder der Entzündung mit ihren
Gefahren, Verlust einzelner Geisteskräfte oder Sinne zurücklassen. —
Behandlung. Bei sehr gesunkener Lebensthätigkeit kann man zwar
für den Augenblick reizende Mittel, z. B. Waschungen mit Wein etc.,
innerlich Arnica , Moschus etc. anwenden , sie müssen indessen bei den
leisesten Reactionssymptomen (Hebung des Pulses etc.) ausgesezt werden.
Die eigentliche Behandlung beruht darauf, die Reaction nach der Er-
schütterung zu verhüten oder die Folgen derselben zu beseitigen , und
dazu dienen kalte Umschläge, kühlende Abführmitte], reizende Klystiere,
Sinapismen, scharfe Fussbäder und kleine Aderlässe , wenn der Puls hart
wird ; hat man Aderlässe und dadurch bedingte Schwäche zu fürchten, so
wendet man Blutegel an. In den spätem Zeiträumen der Krankheit nüzen
Brechweinstein in gebrochener Dosis, Abführungen, Arnica, Vesicatore in
den Nacken etc. — Zurückbleibende Lähmungen werden durch reizend
stärkende Waschungen, eisenhaltige Bäder etc. behandelt. — V. Druck
des Gehirns, Compressio cerebri. Das Gehirn erleidet in Folge
seiner beständigen Bewegungen durch die dasselbe einschliessende Knochen-
kapsel fortwährend eine wirkliche Compression ; diese ist aber gemässigt
und gleichmässig und übt daher keinen nachtheiligen Einfluss auf dieses
edle Organ aus. Anders aber ist es , wenn ein anderer Körper auf dem
Gehirn lastet , mag derselbe nun flüssig oder fest sein ; hier äussert sich
der feindselige Einfluss alsbald durch Krankheitserscheinungen , die nach
dem Grade des Drucks verschieden sind. Im leichteren Grade fühlt der
Kranke einen dumpfen Kopfschmerz, Schwindel, Verdunklung des Gesichts
und erschwerte willkürliche Bewegung. Bei einem höhern Grade liegt der-
selbe in tiefem Schlafe , die Respiration ist beschwerlich , schnarchend,
1072 WUNDEN DES KOPFS.
■der Puls voll, hart, unregelmäßig, das Auge starr, die Pupille erweitert,
«is sind Lähmungen (meistens der entgegengesezten Seite), Convulsionen,
unwillkürlicher Abgang des Koths und Urins, nicht selten Blutungen aus
Nase und Ohren vorhanden ; der Kr. greift oft mit der Hand nach dem Kopfe.
Tritt der Tod ein, so erfolgt er durch Apoplexie. — Die Kenntniss des
Sizes eines Ergusses etc. ist bezüglich der Behandlung von Wichtigkeit.
Zunächst gibt die Lähmung einen Fingerzeig. Diese zeigt die Seite an,
wo die comprimirte Stelle zu suchen ist ; sie wird , wie oben bemerkt,
meistens auf der der Lähmung entgegengesezten Seite sein. Findet sich
daselbst eine Verlezung , so ist wahrscheinlich der Erguss unter dieser.
Ein an diesem Orte befindlicher Knochenbruch erhebt die Vermuthung
fast zur völligen Gewissheit. In späterer Zeit zeigt bei fehlender äusserer
Wunde eine teigige diffuse Geschwulst auf der der Lähmung entgegen-
gesezten Seite, bei bestehender Wunde die Ablösung des Periosts und die
Veränderungen der äussern Wunde (Auftreibung der Wundränder , Ver-
färbung , Trockenwerden derselben oder starker Ausfluss einer jauchigen
stinkenden Flüssigkeit aus der Wunde) den Siz des Ergusses mit ziem-
licher Sicherheit an. — Die Ursachen des Hirndrucks bestehen in der
Ergiessung von Blut, Lymphe, Serum oder Eiter durch eingedrückte Kno-
chenstücke , Zerreissung von Gef ässen , Ausschwizung aus denselben und
durch Entzündung und deren Folgen. — Gewöhnlich entsteht das blutige
Extravasat einige Minuten oder Stunden nach der Verlezung ; ein Extra-
vasat von Lymphe, Serum oder Eiter erfolgt erst dann, nachdem Zeichen
der Entzündung des Hirns vorausgegangen sind. — Prognose. Sie ist
bei oberflächlich liegenden, geringeren Ergüssen von Blut, namentlich, bei
jüngeren Personen ziemlich günstig, da dessen Aufsaugung erwartet wer-
den kann ; verbinden sich aber damit die Zufälle der Entzündung , oder
liegt das Extravasat in der Hirnsubstanz oder auf der Grundfläche des
Schädels, so ist meistens der Tod die Folge. Die in Folge von Entzün-
dung auftretenden Extravasate von Lymphe, Eiter etc. geben eine schlimme
Prognose. Betreffs der Compression des Gehirns durch eingedrückte
Knochenstücke siehe oben. — Behandlung. Sie beruht auf der Ent-
fernung des blutigen Extravasats , der Verhütung der Entzündung oder
der Beseitigung der Entzündungsproducte. Ueber lezteres s. Entzündung
des Gehirns und seiner Häute. — Die Aufsaugung des blutigen Extrava-
sats versucht man in allen leichtern Fällen und wo der Siz desselben nicht
mit Gewissheit zu bestimmen ist , oder die Symptome des Drucks nicht
zunehmen. Die Mittel , welche man in dieser Absicht anwendet , sind
Blutentleerungen , abführende Salze und kalte Umschläge. Nehmen die
Zeichen des Drucks troz dieser Behandlung zu und hat man zugleich be-
stimmte Andeutungen über den Siz des blutigen Extravasats, so niuss man
über demselben trepaniren. Liegt es unmittelbar unter dem Schädel, so
fliesst es nach Eröffnung desselben aus ; liegt es zwischen oder unter den
Hirnhäuten , so müssen diese vorsichtig eingeschnitten werden. —
WUNDEN DES KOPFS. 1073
VI. Entzündung des Gehirns und seiner Häute, Encepha-
litis et Meningitis. Diese Entzündung kann sich zu der geringsten
wie zu der ausgedehntesten Schädelverlezung gesellen und sie ist es haupt-
sachlich , welche den Kopfwunden die grosse Bedeutung verleiht , die sie
haben, insofern sie nicht nur an sich gefährlich ist, sondern es auch noch
durch ihre Producte wird. Man unterscheidet: 1) Entzündung der
harten Hirnhaut und 2) Entzündung des Gehirns. Beide
treten unter einer acuten und einer chronischen Form auf. — l)
Entzündung der harten Hirnhaut, Meningitis trauma-
tica. Die acute Form entwickelt sich gewöhnlich am 3. bis 5. Tage
mit drückendem Kopfschmerz, Hize des Kopfs, kleinem härtlichen Pulse
und Unbesinnlichkeit , welchen Erscheinungen mit der Bildung der Ex-
sudate Betäubung und stille Delirien, Zuckungen, unregelmässiger Puls,
weite und starre Pupille , schnarchende Respiration , unwillkürlicher Ab-
gang des Koths und Urins und der Tod folgen. — Die S e c t i o n ergibt
Röthung der Dura mater und ein über dieslbe ausgebreitetes Lymph-
exsudat. — Die chronische Meningitis bildet sich 7 bis 1 4 Tage,
zuweilen noch viel später nach geschehener Verlezung aus. Sie charak-
terisirt sich durch Kopfweh, Abgeschlagenheit, taumelnden Gang, geringe
Betäubung, Fieberschauer und schnellen Puls. Dabei entsteht gewöhn-
lich an der verlezten Stelle eine umschriebene Geschwulst der Kopfbe-
deckungen, und ist eine Wunde zugegen , so wird diese blass , jauchend,
das Pericranium löst sich und über und unter der Dura mater sammelt
sich eine gelbliche Jauche an , die man nach dem Tode bei der Section
findet. — 2) Entzündung des Gehirns, Encephalitis traumatica.
Bei der acuten Form klagt der Kranke bald nach der Verlezung über
heftige, reissende Kopfschmerzen, Erbrechen, Unruhe und Schlaflosigkeit.
Dabei sind die Augen geröthet, lichtscheu, die Pupille zusammengezogen,
das Gesicht ist roth , die Carotiden klopfen stark , der Puls ist voll und
hart und der Kopf heiss. Später entstehen Zuckungen und wüthende
Delirien. In diesem Zustande kann der Kranke durch Hirnlähmung ster-
ben , oder es tritt Eiterung ein , was sich durch die Erscheinungen des
Hirndrucks zu erkennen gibt. — Die Section ergibt Ueberf üllung des
Gehirns mit Blut , Erguss von Lymphe oder Eiter auf dem Gehirn , oder
kleine Abscesse in demselben. — Die chronische Encephalitis
tritt gleich der chronischen Meningitis oft erst sehr spät ein und
charakterisirt sich durch dieselben Zeichen. Später aber, wenn sich hie
und da Eiter im Gehirn gebildet hat, treten die Zeichen des Hirndrucks
auf, die meistens mit dem Tode endigen. — Fast immer fliessen indessen
die Symptome der Meningitis mit denen der Encephalitis zu-
sammen. Man sieht dann zu dem intensiven Kopfschmerz, zu der Unruhe
und der geistigen Erregtheit , den Delirien sich Niedergeschlagenheit,
Schwäche, Coma und Lähmung gesellen ; der anfangs lebhafte, zusammen-
gezogene und schnellende Puls wird später langsam und breit. — Mit
Bürger, Chirurgie. ßg
1074 WUNDEN DES GESICHTS.
dem Eintritt der Eiterung in der Schädelhöhle bilden sich zuweilen auch
Abscesse an entfernten Stellen, in dem Parenchyme anderer Organe z. B.
in der Leber , den Lungen etc. Diese Eiterherde sind offenbar pyämi-
schen Ursprungs und nicht, wie man ehemals, besonders von den Leber-
abscessen, glaubte , die Folge einer Commotion dieser Organe oder
einer sympathischen Beziehung zwischen ihnen und dem Gehirn. — Die
Ursachen der Hirnentziindung sind: jede von aussen einwirkende Ge-
walt, Knochensplitter, Knocheneindrücke, Verlezung des Gehirns und sei-
ner Häute, gewaltsame Ablösung der Dura mater, Anhäufung von
Eiter unter den Weichtheilen des Schädels etc. — Die Prognose
hängt hauptsächlich von der Möglichkeit ab , ob man die Ursachen ent-
fernen kann oder nicht , und ob , wenn der Uebergang in Eiterung oder
Lymphausschwizung eingetreten ist , diese Producte fortgeschafft werden
können. Die Prognose ist immer höchst zweifelhaft. — Behandlung.
Diese muss sehr energisch sein ; es bedarf, sowohl um dem Ausbruch der-
selben vorzubeugen , als auch um sie zu bekämpfen , reichlicher Biutent-
ziehungen ; am besten beginnt man mit einem Aderlass , welchem man
eine topische Blutentziehung folgen lässt. Bei jungen kräftigen Leuten
kann man anfangs ein paar starke Aderlässe kurz hinter einander vor-
nehmen, welchen man nach längeren Zwischenräumen weniger reichliche
folgen lässt. Manche Wundärzte ziehen die wiederholte Application von
Blutegeln vor. Daneben wendet man Eisumschläge , Calomel in abfüh-
renden Gaben, Tartarus stibiatus in r e fr acta dosi, Mittelsalze,
ölige Klystiere, Ableitungsmittel und eine strenge Diät an. Nach gebro-
chener Entzündung gibt man Arnica vorsichtig neben den genannten
Mitteln. Den Kältegrad der Umschläge muss man mindern oder die An-
wendung der Kälte auch ganz aufgeben , wenn sich Steifigkeit des
Halses oder Oedem des Schädels einstellt. Steigern sich troz dieser
Behandlung die Symptome, verbinden sich damit die Zufälle des Drucks
und werden die Schädelknochen missfarbig , so ist , wenn man über den
Siz des Uebels Gewissheit hat, die Trepanation angezeigt, um die Ursache
der Verschlimmerung zu entfernen. — Bei der chronischen Entzün-
dung fährt man mit der ermässigten antiphlogistischen Behandlung und
vorzüglich mit den kalten Umschlägen einige Zeit hindurch fort und wen-
det ableitende Mittel an ; bildet sich ein Extravasat von geringer Ausdeh-
nung, so kann man die Trepanation versuchen , ist aber eine Ergiessung
von Lymphe oder Eiterbildung in grösserem Umfang vorhanden, so ist "in
der Regel jede Behandlung fruchtlos.
2. Wunden de s Gesicht s und desMundes.
Gesichtswunden erfordern die besondere Rücksicht, entstellende
Narben zu verhüten ; es muss daher unter allen Umständen die schnelle Verei-
nigung versucht werden. Dies geschieht durch die Anlegung blutiger Nähte,
bei nicht tiefeindringenden Wunden durch die Anwendung des Collodium,
durch Vermeidung der Unterbindung und durch einfachen Verband ohne rei-
WUNDEN DES GESICHTS. 1075
zende Salben. Entsteht Erysipelas oder acutes Oedem, so wendet man äusser-
lich Bleiwasser und innerlich Abführmittel an. — a) Wunden der
Augenbrauengegend. Verticale Wunden können mittels Heft-
pflaster vereinigt werden , Querwunden erfordern aber die blutige
Naht, mit der man sich um so mehr zu beeilen hat, weil sonst leicht ein
Niederfallen des obern Augenlids veranlasst wird. — Auf diese dem An-
schein nach leichten Wunden folgen manchmal gefährliche Zufälle , wie
Blindheit oder Gesichtsschwäche , deren Ursache man der gleichzeitigen
Erschütterung oder Zerreissung der Retina oder der Quetschung und
Zerrung des Nervus supraorbitalis zuschreiben muss. Diese
Complication tritt entweder sogleich mit der Verlezung oder erst einige
Zeit nach dieser ein, und wird anfangs durch kalte Umschläge, Blutegel
und weiterhin durch reizende und ableitende Mittel, wie Arnica innerlich
und Blasenpflaster etc. äusserlich bekämpft. Bei der in Folge der Quet-
schung und Zerrung des Stirnnervens bedingten Amaurose hat man die
Durchschneidung dieses Nervens empfohlen. — b) Wunden der Au-
genlider. Kleine oberflächliche Wunden vereinigt man hier am
zweckmässigsten mit Collodium. Bei verticalen Spaltungen der Augen-
lider ist die blutige Naht erforderlich , wobei die Hefte jedoch nur die
äussere Haut fassen dürfen. Bei zu fürchtender Entzündung macht man
Ueberschläge von Bleiwasser. — c) Wunden der Nase. Diese
vereinigt man, von welcher Form sie auch sein mögen, am besten durch
die blutige Naht, wobei man sich nicht scheuen darf, wenn man es für
nöthig erkennt, die Hefte durch die Knorpel zu führen. Bei völlig oder
theilweise abgetrennten Theilen der Nase drückt man den abgelösten
Theil, sobald die sogenannte plastische Lymphe hervorzuquellen beginnt,
genau an und befestigt ihn mittels der Naht oder durch wiederholtes Be-
streichen des Wundrandes mit Collodium. Selbst wenn ein abgelöster
Theil schon blass und kalt ist , kann man dessen Anheilen versuchen. —
Nach der Verheftung macht man Ueberschläge von kaltem Wasser. Völ-
lig abgetrennt gewesene Nasentheile hüllt man in Baumwolle ein. Wei-
tere Verbände von Heftpflastern und Binden sind unnöthig. — d) Wun-
den des äussern Ohrs. Sie erfordern die blutige Naht, welche man
unbedenklich durch die Ohrknorpel führen kann ; bei völliger oder theil-
weiser Abtrennimg des Ohrs kann man noch das Collodium zu Hülfe neh-
men. Nach der Heftung umgibt man das ganze Ohr mit Baumwolle oder
Charpie, füllt namentlich auch die Einbuchtungen desselben, so wie auch
den Gehörgang aus und hält das Ganze mit einer Compresse und einem
Kopftuche fest. — e) Wunden derWangen und Lippen. Ober-
flächliche Wunden der Wange kann man mit Collodium oder Heftpfla-
ster vereinigen , tiefer ein- oder durchdringende heftet man blutig und
wendet kalte Umschläge an. Die Hefte entfernt man am 2. oder 3. Tage.
Ist der Ductus Stenonianus verlezt und bleibt nach versuchter
schneller Vereinigung eine Speichelfistel zurück, so tritt die Behandlung
68* '
1076 WUNDEN DES HALSES.
dieser ein (s. d. Art. Speicheldrüse). Mussten Gefässe unterbunden wer-
den , so leite man die Unterbindungsfäden nach aussen. — "Wunden,
welche die Lippe spalten, erfordern die umwundene Naht. — f) Wun-
den der Zunge. Sind sie nur oberflächlich, so heilen sie von selbst,
tiefer eindringende, besonders Querwunden, machen die Naht nothwendig.
Blutungen sucht man durch kaltes Wasser, Wasser und Essig, durch Un-
terbindung oder das Glüheisen zu stillen. Dabei darf der Kranke nicht
kauen und nicht sprechen.
3. Wunden des Halses. Diese Wunden haben der wichtigen
Organe wegen , die sich hier finden , eine grössere Bedeutung , als die
Wunden des Gesichts. Die Verlezung der grossen Blutgefässe und Ner-
ven, der Luft- und Speiseröhre können Ursachen eines mehr oder minder
rasch erfolgenden Todes sein. — Oberflächliche Halswunden
vereinigt man durch Heftpflaster oder einige blutige Hefte und passende
Lagerung des Kr., wobei man Sorge trägt, dass keine kürzenden Narben
entstehen. — Verlezung der Halsge fasse. Die Verlezung der
grösseren Gefässe des Halses, namentlich der Carotis, tödtet meist rasch
durch die Blutung, und nur selten wird man Gelegenheit und Zeit haben,
dieselben zu unterbinden. Eine Verwundung der Vena jugularis
ist weniger gefährlich, da sie oft von selbst zu bluten aufhört oder doch
früh genug an ihrem obern Ende unterbunden werden kann. — Die Blu-
tung aus kleineren Äesten der Carotis stillt man durch ihre Unterbindung
in der Wunde oder durch diejenige des Hauptstamms. — Verlezung
der Muskeln. Diese erfordern die Naht, besonders wenn die "Muskeln
quer getrennt sind. Bis zur vollständigen Verheilung der Wunde niuss
der betroffene Muskel in Erschlaffung erhalten werden. Man bewirkt
dies bei Querwunden an der vordem Seite des Halses durch Vorwärtsbeu-
gen mittels der Kohl er' sehen Müze , bei solchen im Nacken durch
Rückwärtsbeugen des Kopfs mittels eines passenden Verbandes. Bei
Längenwunden des Halses muss der Kopf auf die der Wunde entgegen-
gesezte Seite geneigt werden. — Verlezung der Halsnerven.
Verlezung des Nervus vagus führt Verlust der Stimme, krampfhafte
Zufälle und den Tod herbei. Verlezung des Nerv, recurrens veran-
lasst für einige Zeit oder auf immer Stimmlosigkeit. Verlezung des
Kamus laryngeus tödtet durch Hemmung der Respiration. Verle-
zungen des Nerv, sympathicus, phrenicus oder des Rücken-
marks führen den Tod unter Convulsionen herbei. — Wunden der
Luftröhre oder des Kehlkopfs. Sie sind meistens die Folge des
versuchten Selbstmords, sind an sich nicht tödtlich, verursachen aber an-
fangs heftige Blutungen , Stimmlosigkeit , Austreten von Luft , Speichel
und Getränken und später heftige Entzündung und Krampf der Luftröhre,
Emphysem, Erstickungszufälle etc. Gewöhnlich sind es Querwunden
zwischen dem Kehlkopfe und dem Zungenbeine. — Behandlung.
Nachdem die Blutung gestillt ist, bringt man die Wundränder durch star-
WUNDEN DES HALSES. 1077
kes Vorwärtsneigen des Kopfs in gegenseitige Berührung und erhält sie
darin durch einen geeigneten Verband (Köhler' sehe Müze, eine hinten
steife Halsbinde) , wobei der Kranke etwas auf die Seite geneigt liegt,
damit das Wundsecret nicht in die Luftröhre fliesst. Blutige Hefte legt
man nur an , wenn sich die Wundränder beim Vorwärtsneigen des Kopfs
nach innen umklappen, so wie auch wenn die Trachea ganz durchschnitten
ist ; in beiden Fällen lässt man aber die Nadeln nur durch die äussere
Haut gehen. Die Blutung muss vollständig aufgehört haben, bevor man
die Naht anlegt, da sonst Ansammlung des Blutes und darnach Eiterung
unter der vereinigten Haut erfolgen würde. Entsteht Luftröhrenentzün-
dung oder Krampf der Luftröhre, so öffnet man eine Ader, gibt Emulsio-
nen mit Nitrum und Extr. hyoscyanii und nebenbei Calomel. Die
Nahrungsmittel müssen flüssig sein. Da die schnelle Vereinigung, be-
sonders bei unregelmässigen Wunden, häufig nicht zu Stande kommt, so
rathen mehrere Wundärzte gleich von vorn herein, die Heilung der Wunde
durch Eiterung und Granulation herbeizuführen. Entsteht Emphysem,
was besonders bei Stichwunden gern der Fall ist , so erweitert man die
Wunde und macht kleine Einstiche. Zurückbleibende Heiserkeit besei-
tigt man durch Milchdiät; bei starkem Auswurfe mit Sinken der Kräfte
gibt man isländisches Moos mit China und Narcoticis. Bei grosser Auf-
geregtheit nach Selbstmordversuchen zeigen sich Digitalis und Opium
nüzlich , ebenso wenn der Verlezte von Delirium tremens befallen
wird. — Verticalwunden der Luftröhre vereinigt man mit Heftpflaster
und lässt den Kopf längere Zeit rückwärts halten. — Zurückbleibende
Fisteln heilt man später durch die umschlungene Naht oder die Ueber-
pflanzung eines Hautlappens. — Wunden der Speiseröhre. Man
erkennt sie bei grossen Wunden durch das Gesicht , durch die Untersu-
chung mit dem Finger und durch das Ausfliessen verschluckter Flüssigkei-
ten aus der Wunde. Die tiefe Lage der Speiseröhre macht es erklärlich,
dass sie kaum jemals von einem verwandenden Instrument getroffen wer-
den kann , ohne dass vorher andere wichtige Theile verlezt worden sind.
Namentlich ist es die Luftröhre , welche wohl selten einer gleichzeitigen
Verlezung entgeht ; doch sind auch die Carotiden, die Jugularvenen, die
grossen Halsnerven gefährdet. Die Behandlung hat die Entzündung
zu bekämpfen und die Vereinigung der äussern Wunde so lange zu ver-
hindern , bis dieselbe in der Tiefe zu Stande gekommen ist , was man
daran erkennt , dass keine Speisen und Getränke mehr aus der Wunde
hervortreten. Ist die Wunde von einiger Ausdehnung , so ist es nöthig,
eine Schlundsonde durch die Nase einzuführen , um sowohl den Kranken
mit Nahrung zu versorgen , als auch das Ausfliessen derselben wie des
Speichels aus der Wunde zu verhüten. Am besten bleibt die Röhre lie-
gen ; erträgt sie der Kranke nicht, so muss man sich auf ernährende Kly-
stiere und Bäder beschränken. Den quälenden Durst mildert man durch
mit Zucker bestreute Citronenscheiben , welche man auf die Zunge legt.
1078 WUNDEN DER BRUST.
— Nicht selten bleiben Verengerungen oder beuteiförmige Erweiterun-
gen der Speiseröhre zurück, wodurch das Schlingen erschwert wird.
4. Wunden der Brust. Diese Wunden sind entweder ober-
flächliche oder in die Brusthöhle eindringende (penetri-
rende). Leztere können mit fremden Körpern, Bluterguss, Vorfall ei-
nes Theils der Lunge oder mit Verlezung von Brustorganen complicirt
-sein. — I. Oberflächliche (nicht penetrireude) Brust-
wunden. Hieb- und Schnittwunden haben keine grössere Be-
deutung , als ähnliche Wunden anderer Körpergegenden. Stichwun-
den veranlassen nicht selten entzündliche Erscheinungen, zuweilen erysi-
pelatöser Natur, besonders häufig aber Nervenzufälle. Schusswunden
können durch die Quetschung , welche sie auf die Brustorgane ausüben,
von Bedeutung werden. Nicht selten laufen schief auftreffende Kugeln,
einer Rippe folgend, unter der Haut um den Brustkasten herum, wodurch
man im ersten Augenblicke zu dem Glauben verleitet werden könnte, dass
die Kugel durch den Thorax hindurchgegangen sei. Ein röthlicher er-
habener Streifen auf der Haut zeigt den Lauf der Kugel an. — Die B e-
handlung der oberflächlichen Brustwunden weicht in keiner Weise von
derjenigen anderer Wunden ab. Entzündliche Zustände machen ein anti-
phlogistisches Verfahren nothwendig. Die unter der Haut weilende Ku-
gel entfernt man durch einen Einschnitt an dieser Stelle. — IL Pen e-
trirende Brust wunden. — a) Einfach penetrirende Wun-
den, d. h. solche , bei welchen blos das Cavum pleurae geöffnet ist,
erkennt man durch das Aus- und Einströmen der Luft aus der Wunde
beim Athmen, durch das Austreten von schaumigem Blute, durch die Bil-
dung eines Emphysems bei schrägem oder verstopftem Wundkanale und
durch die erschwerte Respiration , indem die in die Brusthöhle eindrin-
gende Luft die Lungen zusammendrückt und den Blutumlauf hindert. —
Die Behandlung besteht in der schnellen Schliessung der Wunde
mittels Heftpflaster, welches man noch mit Collodium überstreichen kann,
und einer Compresse, welche man mit einer breiten Brustbinde befestigt.
Dann behandle man den Kranken streng antiphlogistisch durch Aderlässe,
kühlende Mixturen etc. — Gelingt es nicht, die Entzündung zu verhüten,
so kann Brustwassersucht, Empyem, Zehrfieber die Folge sein. — b) Pe-
netrirende Brustwunden, complicirt durch fremde Kör-
per. Die fremden Körper , welche diese Wunden compliciren können,
sind abgebrochene Stücke des verlezenden Instruments , Kugeln , Klei-
dungsstücke oder eingeknickte Rippen. Dieselben bieten zunächst einen
wesentlichen Unterschied dar, je nachdem sie in der Brustwand sizen, oder
sich im Innern des Thorax befinden. Im ersten Falle ist die Ausziehung
leicht, wenn der fremde Körper blos in den WTeichtheilen festsizt. Ist er
dagegen in einen Knochen eingetrieben , so ist die Extraction in der Re-
gel höchst schwierig. Lässt sich ein solcher Körper nicht mit einem ge-
eigneten Instrumente ausziehen, so muss man den Knochen entweder tre-
WUNDEN DER BRUST. 1079
paniren oder reseciren ; zuweilen kann auch das Ausschneiden der Kno-
chensubstanz mit einem starken Messer , so dass man einen Hebel unter
den Körper bringen kann, genügen. Bei allen diesen chirurgischen Ver-
fahren muss die Pleura möglichst geschont werden. Unter Umständen
kann es auch gerathen sein , die Lösung des fremden Körpers durch die
Eiterung abzuwarten. Eingeknickte Rippen erhebt man mit einem Hebel.
— Befindet sich der fremde Körper innerhalb der Brusthöhle, so lässt er
sich zuweilen mit dem eingeführten Finger oder einem Catbeter fühlen.
Solche Untersuchungen dürfen aber nicht zu weit getrieben werden , da
sie grössere Gefahren , als die Anwesenheit des fremden Körpers selbst
herbeiführen können. Die fremden Körper erregen je nach ihrer Lage
(im Cavum mediastini , in der Pleurahöhle , in der Lunge) verschiedene
Zufälle, bestehend in einer fortdauernden Reizung, beschwerlicher Respi-
ration , Schmerzen an der verlezten Stelle , Entzündung , Eiterung. —
Man sucht den fremden Körper , wenn es nöthig ist , unter Erweiterung
der Wunde (mit zuweilen erforderlicher Resection einer Rippe) auszuzie-
hen. Häufig ist dies aber nicht möglich, und man ist genöthigt, ihn sich
selbst zu überlassen und die weitere Behandlung je nach den auftreten-
den Zufällen einzurichten. Nicht selten bleiben solche fremde Körper,
namentlich Flintenkugein ohne üble Zufälle im Thorax liegen. In dem
bei weitem häufigeren Falle erregen sie eine bedeutende Eiterung, deren
Eröffnung in einem tiefen Intercostalraume dann zuweilen noch den frem-
den Körper zu entfernen erlaubt. In seltenen Fällen hat man auch den
(in der Lunge steckenden) fremden Körper unter Husten auswerfen sehen.
— War der fremde Körper alsbald nach der Verlezung zu entfernen, so
verfährt man des Weitern wie bei den einfach penetrirenden Brustwun-
den. — c) Penetrirende Brustwunden mit Bluterguss
verbunden. Das Blut kann aus der Art. intercostalis, mam-
naria interna, aus den Lungen, den grossen Gef ässen der Brust und
aus dem Herzen kommen , und ergiesst sich entweder nach aussen oder
häufiger in irgend einen Raum nach innen. Die Blutanhäufung in der
Brusthöhle (Ha em o thor ax) wird erkannt aus der Blässe des Gesichts,
dem kleinen schnellen Pulse , dem zitternden , zuweilen weit verbreiteten
Herzschlage, den Zeichen der Ohnmacht, aus der erschwerten Respiration,
der grossen Angst, dem gurgelnden oder später mangelnden Athmungsge-
räusche bei der Auscultation , und dem matten Ton bei der Percussion.
Dabei kann der Verwundete nicht auf der gesunden Seite und muss dabei
hoch liegen , er klagt über tiefsizenden Schmerz , die Brust wird aufge-
trieben, der Urin geht sparsam ab und ist wässerig. Ist die Lunge ver-
lezt , so speit der Kranke Blut aus. Vermehrt sich das Extravasat sehr
stark und rasch, so stirbt der Kranke an Erstickung. — Behandlung.
Von einer Unterbindung und Compression der blutenden Gefässe kann
nur bei der Art. intercostalis und mammaria interna die Rede
sein ; es sind aber nur wenige Fälle eines damit erzielten Erfolgs be-
1080 WUNDEN DER BRUST.
kannt. Bezüglich der erst genannten Arterie sind folgende Blutstillungs-
verfahren in Anwendung gebracht worden: die Umstechung der Rippe;
die Umstechung der Arterie ohne Rippe; die unmittelbare Unterbindung;
die Compression der Arterie, entweder mittels besonderer Compressorienj
oder mittels eines Bourdonnets oder eines Stückchens Leinwand, welches,
nachdem dessen Mitte in die Wunde eingeschoben und dann mit Charpie
gefüllt worden ist, wie auch das Bourdonnet, gegen das blutende Gefäss
angezogen wird ; ähnlich wirkt eine luftdichte Flasche, welche , nachdem
sie in die Brusthöhle gebracht ist , aufgeblasen wird. Alle diese Mittel
erfordern eine grosse äussere Wunde oder eine Erweiterung derselben ;
sie sind ferner als solche Eingriffe zu betrachten, welche die Entzündung
der Wunde steigern müssen, neben dem dass ihre Wirkung immer unsi-
cher ist. Dazu kommt , dass man niemals mit Sicherheit angeben kann,
ob nicht die Blutung aus den Lungen kommt , wo dann eine grosse äus-
sere Oeffnung sehr nachtheilig ist. Die Verlezung der Art. inte r Co-
sta 1 i s nahe am Brustbeine oder in der Mitte der Rippe verursacht nicht
immer bedeutende Blutung. Die Verlezung nahe an ihrem Ursprünge ist
immer gefährlich wegen der starken Blutung , allein wegen der tiefen
Lage derselben ist sowohl die Erkenntniss der Quelle der Blutung , als
auch die Anwendung der vorgeschlagenen Mittel schwierig , fast unmög-
lich. Die zweckmässigste Behandlung der Blutung aus der genannten
Arterie, so wie auch aus anderen nicht zu den grössten gehörigen Gefässen
der Brust besteht darin, die Brustwunde auf die oben angegebene Weise
genau und fest zu verschliessen , in der Hoffnung , dass der Druck des
ausgetretenen Blutes die Gefässöffnung verschliessen werde, und daneben
kalte Umschläge auf die Brust, strenge Ruhe, kühlende und schwächende
Arzneien, Säuren und selbst einen , dem Kräftezustande des Kranken an-
gemessenen Aderlass anzuwenden , um zugleich die Kraft des Blutstroms
zu massigen und die Bildung eines Thrombus zu begünstigen. Steht die
Blutung nach diesem Verfahren , so soll man nach Einigen nach 2 bis
3 Tagen die Wunde öffnen, um das Blut aus der Brusthöhle abzulassen ;
nach Andern ist es besser , dasselbe der Aufsaugung zu überlassen. —
Wollte man die Art. intercostalis unterbinden ; so müsste man sie
am untern Rande der Rippe aufsuchen. Ueber die Unterbindung der
Art. mammaria interna s. den Art. Unterbindung der Ge-
fäss e. Am leichtesten wird diese Operation in den 3 ersten Intercostal-
räumen ausgeführt ; viel schwieriger ist sie schon im vierten Intercostal-
raume und im fünften und sechsten ist sie fast ganz unausführbar; dabei
ist bisweilen die Erweiterung und selbst die theilweise Ausschneidung der
Rippenknorpel nothwendig ; ausserdem sucht man die Blutung auf dieselbe
Weise, wie bei der Art. intercostalis zu stillen. — Den Verlezun-
gen der grossen Gefässe in der Brusthöhle folgt meist rasch der Tod. —
d) Penetrirende Brustwunden mit Vorfall eines Theils
der Lunge. Ist ein Theil der Lunge eben erst vorgefallen , so sucht.
WUNDEN DER BRUST. 1081
man ihn sanft zurückzubringen , wobei man nötigenfalls bei fester Ein-
klemmung des vorgefallenen Lungentheils die Wunde erweitert ; nach ge-
schehener Reposition schliesst man die Wunde sorgfältig. Ist der vorge-
fallene Theil schon mit der Wunde verwachsen oder brandig, so unter-
bindet man ihn und schneidet ihn ab oder überlässt ihn sich selbst. —
e) Penetrirende Brustwunden mit Verlezung von Brust-
organen. — a) Wunden der Lunge. Selten besteht eine pene-
trirende Brustwunde , ohne dass die Lunge nicht zugleich verlezt wäre,,
und zwar erfolgt diese Verlezung bald durch das verlezende Instrument
selbst, bald durch eine gebrochene Rippe oder einen fremden Körper.
Ausser den angegebenen Zeichen penetrirender Brustwunden characteri-
sirt sich die Verlezung der Lunge noch durch einen quälenden Husten
und Auswurf von schaumigem Blute , durch heftigen Schmerz in der ver-
lezten Seite und meist auch durch eine binnen kurzer Zeit sich ausbil-
dende Luftgeschwulst (E m p h y s e m). Die Luftansammlung bildet sich
entweder in der Brusthöhle (Pneumothorax), und es entstehen dann
Respirationsbeschwerden durch Compression der Lungen, wobei der Kranke
nach vorn geneigt sizt , ein geröthetes aufgedunsenes Gesicht, kleinen
Puls etc. bekommt , oder die Luft dringt aus dem Cavum pleurae in
die innere WundöfFnung und von da ins Zellgewebe unter die Haut, und
wird hier durch ein knisterndes Geräusch beim Drücken erkannt. Dieses
Emphysem unter der Haut kann sich vom Orte der Wunde aus über einen
grossen Theil des Körpers verbreiten. Vergl. den Art. Emphysem.
Niemals besteht bei den Wunden der Lunge allein Luftansammlung , der-
untere Theil der Pleurahöhle ist immer von Blut erfüllt (Haemopneu-
mothorax). — Nicht selten sind diese Wunden von Lungenentzündung
gefolgt. — Behandlung. Sie weicht nicht wesentlich von der oben
angegebenen penetrirender Brustwunden ab; man schliesst die Wunde
in der Thoraxwand genau, damit weder Blut noch Luft heraustreten kön-
nen und durch Entwicklung des Haemopneumothorax die Blutung au&
der Lunge gestillt wird. Man lässt den Kranken ruhig auf dem Rücken:
oder auf der kranken Seite liegen, reicht ihm kühlende Flüssigkeiten und
mindert die Kraft des Kreislaufs durch entsprechend starke Aderlässe,
welche nebenbei noch die Resorption des ergossenen Blutes begünstigen
und einer übermässigen Entzündung vorbeugen. Ist der Druck der in
der Pleurahöhle angesammelten Luft so stark , dass selbst die gesunde
Lunge in ihrer Function gestört wird, was aus der grossen Athemnoth zu
ersehen ist, so kann man einen Theil der Luft entleeren, wozu man sieb
am besten eines Troicarts mit Ventilvorrichtung bedient, welcher das Ein-
strömen von Luft in die Brusthöhle verhindert. S. P u n c t i o n. Das
äussere Emphysem erfordert zertheilende Umschläge und Scarificationen-
mit nachfolgender Compression. — ß) Wunden des Herzens. Als
besondere Zeichen sind angegeben: Schmerz in der Gegend des Herzens,
unausstehliche Beängstigung, unregelmässiger intermittirender Puls, Kälte
1082 WUNDEN DES UNTERLEIBS.
der Extremitäten , kalte Schweisse und häufige Ohnmächten. Wunden,
welche nur die Herzsubstanz treffen und weder in eine Herzhöhle eindrin-
gen noch die Kranzgef ässe des Herzens verlezen, können heilen. Es sind
indessen auch Fälle bekannt, dass selbst in eine der Herzhöhlen, nament-
lich in einen Ventrikel, eindringende Wunden nicht immer tödtlich sind;
dies gilt aber nur von solchen , die sehr eng sind ; weitere tödten immer
und zwar in der Regel in sehr kurzer Zeit. Herzwunden, und zwar ganz
leichte können noch durch die nachfolgende Entzündung tödtlich werden.
— Behandlung. Man schliesst die äussere Wunde alsbald auf das
Genaueste und macht dann einen starken Aderlass, um die Kraft des
Blutstroms zu schwächen. Diese Blutentziehung wiederholt man nach
Bedürfniss mehrmals , macht nebenbei Eisumschläge auf die Herzgegend
und lässt den Kranken vollkommen ruhig liegen, verbietet ihm alles Spre-
chen und erlaubt ihm nur Flüssigkeiten in sehr geringer Menge zu ge-
messen. Absolute Ruhe und magere Kost muss längere Zeit beobachtet
werden. — Wunden der grösseren Ge fasse des Herzens, des
Ductus thoracic us, des Brusttheils der Speiseröhre und des
Zwerchfells sind meistens mit noch anderweiten Verlezungen com-
plicirt und deshalb gewöhnlich unabwendbar tödtlich.
5. Wunden des Unterleibs. Die Wunden des Unterleibs
sind entweder nicht eindringend oder eindringend, und leztere
können einfach oder mit Vorfall oder Verlezung der Einge-
weide verbunden sein. — I. Nicht eindringende B auchwun-
d e n. Sie unterscheiden sich von den oberflächlichen Wunden anderer
Körpertheile dadurch, dass sie gern mit heftiger Entzündung, mit Fieber
und Erbrechen sich vergesellschaften , und dass sie selbst , wenn eine
Quetschung oder eine Verlezung (namentlich durch Stich) der sehnigen
Ausbreitungen am Unterleibe zugleich zugegen ist , Entzündung der in-
nern Bauchdecken und den Tod zur Folge haben können. Besonders
sind starke Quetschungen durch die Erschütterung der Eingeweide von
bedeutenden Folgen. — Behandlung. Man vereinigt die Wunde
durch die blutige Naht oder mittels langer Heftpflaster und unterstüzt
die Vereinigung durch eine passende, die Haut und die Muskeln erschlaf-
fende Lagerung. Blutungen aus der Art. epigastrica oder der
mammaria interna stillt man durch die Unterbindung. Nebenbei
verf ährt man antiphlogistisch , macht kalte Umschläge , lässt zur Ader,
sezt Blutegel , so lange die Entzündungssymptome noch zugegen sind.
Später dienen aromatische , spirituöse Waschungen und flüchtige Salben.
— Entstehen in den Sehnenscheiden Eitersenkungen oder Abscesse, so
erweitert man die Wunde und öffnet den Abscess vorsichtig. — Die be-
schädigten Stellen der Bauchwand schüzt man gehörig , damit sie nicht
zum Ausgangspunkt eines Eingeweidebruchs werden. — IL Eindrin-
gende (penetrirende) Bauch wunden. Man erkennt sie, wenn
.sie gross sind, durch das Gesicht und das Gefühl; ferner gibt die Rieh-
WUNDEN DES UNTERLEIBS. 1083
tung der Wunde und das Austreten von Bauchflüssigkeiten und von Ein-
geweiden Aufschluss. Die allgemeinen Zufälle , welche penetrirende
Bauchwunden gewöhnlich zu begleiten pflegen , sind : Anschwellen des
Leibes , heftiger Leibschmerz , grosse Schwäche , grosse Angst , kleiner
schneller Puls, verfallenes Gesicht, kalter Schweiss, Schluchzen und Er-
brechen. — Behandlung. Sie besteht im Allgemeinen in der Ver-
schliessung der Wunde, der Abhaltung der Entzündungszufälle und der
Bekämpfung dieser, wenn sie eintreten. — Zur Vereinigung der Wunde
bedient man sich in den gewöhnlichen Fällen langer , den ganzen Leib
umgebender Heftpflaster, einer Compresse und Leibbinde, wobei man für
eine zweckmässige Lagerung Sorge trägt. Bei grossen, namentlich aber
bei Querwunden, und wenn der Leib sehr aufschwillt und die Bewegungen
der Bauchdecken durch Husten, Erbrechen etc. nicht zu verhindern sind,
geben die Heftpflaster keine genügende Sicherheit , und man muss des-
halb zur blutigen Naht (Bauchnaht, Gastrorrhaphia) greifen. Man
bedient sich hierzu der Knopfnaht , die aber hier so angelegt wird , dass
man einen doppelten seidenen Faden in zwei Nadeln einfädelt und diese
in der Richtung von innen nach aussen durch die ganze Dicke der Bauch-
wand mit Ausnahme des Bauchfells durchsticht. Im JJebrigen verfährt
man dabei wie unter Naht angegeben ist. Zur Unterstüzung der Hefte
legt man in ihre Zwischenräume lange Heftpflasterstreifen, darüber Char-
pie, eine Compresse und Bauchbinde. Dabei muss streng antiphlogistisch
verfahren werden ; man macht kalte Umschläge, die aber gewöhnlich nach
2 Tagen mit warmen vertauscht werden müssen, nimmt wiederholte Blut-
entleerungen vor , und lässt bei strenger Ruhe eine sparsame Diät und
blos milde Getränke geniessen. Meistens ist es wünschenswerth , den
Darmkanal möglichst ruhig zu erhalten ; in dieser Absicht vermeidet man
alle Abführmittel und Klvstiere und gibt Opium in mittleren Dosen ;
treten Erscheinungen von Peritonitis ein , so gibt man dieses in Verbin-
dung mit Calomel. — Der Verband wird selten erneuert und einfach be-
stellt. Die Lösung der Hefte geschieht zwischen dem 4. bis 8. Tage.
Die Leibbinde muss noch lange Zeit getragen werden. Je vollständiger
die Vereinigung der Wunde ist , um so sicherer ist der Verwundete vor
einer Hernie. — a) Bauchwunden mit Vorfall der Einge-
weide. Bei einer jeden penetrirenden Bauchwunde von nur einiger
Ausdehnung treten das Nez oder die Därme vor. Diese vorgefallenen
Theile liegen entweder lose in der Wunde, oder sie sind fest von ihr um-
schlossen, und befinden sich entweder in gesundem Zustande, oder sie sind
entzündet, selbst brandig. — Diese Vorfälle sind eine schlimme Compli-
cation , da durch die Einwirkung der Luft meist bedeutende Entzündung
und selbst der Tod herbeigeführt werden kann. — Behandlung. Die
vorgefallenen Eingeweide müssen so schnell als möglich zurückgebracht
und die Wunde geschlossen werden. Behufs der Reposition bringt man
den Verwundeten in eine Lage , in welcher die Bauchdecken erschlafft
1084 WUNDEN DES UNTERLEIBS.
sind, spült die etwa beschmuzten Eingeweide mit lauem Wasser ab, und
schiebt dann mit geöltem Zeigefinger zuerst das Mesenterium , dann den
Darm und endlich das Nez nach der Richtung der AVunde in die Unter-
leibshöhle zurück. Hat man sich darauf durch Einführung eines Fingers
in die Tiefe der Wunde von der gelungenen Reposition überzeugt , so
vereinigt man die Wundränder durch die Bauchnaht, Heftpflaster und die
Leibbinde , wie es oben angegeben wurde. Ist es nicht möglich , die
Därme auf die angegebene Weise zurückzubringen, weil sie von Gasen
oder Koth angefüllt , oder weil die ßauchdecken schon geschwollen sind,
so muss man durch sanftes Zusammendrücken der Darme ihr Volumen
vermindern , einen Theil aus der Wunde hervorziehen und sie dann zu-
rückbringen. Gelingt dieses nicht, was oft der Fall ist, so muss man die
Erweiterung der Wunde vornehmen, was mit einem geknöpften Messer am
besten in der Richtung nach oben unter Schonung im Wege befindlicher
Gefässe geschieht. Ist die Wunde gehörig erweitert, so bringt man die
vorgefallenen Theile auf die angegebene Weise zurück. — Ist das Nez
allein vorgefallen , so soll man zwar im Allgemeinen die Reposition des-
selben , selbst mit Erweiterung der W^unde , vornehmen ; in den Fällen
aber, wo es in Folge der Einklemmung entzündet und dadurch ange-
schwollen oder gar brandig geworden ist , oder gar degenerirt erscheint,
muss man die Anheilung desselben im Wundkanale unterstüzen und das
Vorgefallene der brandigen Abstossung überlassen ; man kann es auch
ohne Nachtheil mit dem Messer wegnehmen. — Ist ein vorgefallener
Darm brandig oder dem Brande nahe, so bringt man denselben so zurück,
dass der brandige Theil desselben in der Wunde oder dicht an derselben
bleibt, wo man ihn mittels einer oder mehrerer Fadenschlingen befestigt,
damit, wenn die Perforation erfolgt, der Darminhalt sich nach aussen er-
giessen und eine Darmfistel sich bilden kann. — Die übrige Behandlung*
und besonders die innere muss auf Abwendung der lebensgefährlichen
Entzündung durch Aderlass , Blutegel , kalte Umschläge , Emulsionen,
schleimige Getränke etc. gerichtet sein. — b) Bauchwunden mit
Verlezung von Eingeweiden. Die Hauptgefahr solcher Verlezun-
gen wird durch den Erguss des Inhalts der verschiedenen Unterleibsor-
gane mit Einschluss der Blutgefässe in die Unterleibshöhle bedingt. Je
nach dem verlezten Theile besteht das Extravasat in Blut, Magen- oder
Darminhalt , Galle oder Harn. Unter diesen Stoffen ist das Blut noch
der am wenigsten schädliche, und es ist mehr der dadurch hervorgerufene
Blutverlust zu fürchten. Eine Blutung in der Unterleibshöhle wird leicht
erkannt, wenn sich das Blut nach aussen ergiesst, schwer aber, wenn dies
nicht der Fall ist, und hier können anfangs nur die Zeichen einer innern
Verblutung , immer kleiner werdender Puls , blasse , kalte Extremitäten,
Ohnmacht etc. auf die Spur leiten , bis später , wenn die Blutung nicht
den Tod zur Folge hat, die Zeichen einer Peritonitis die Diagnose bestä-
tigen helfen. Selten macht sich eine Fluctuation bemerklich, da sich das
WUNDEN DES UNTERLEIBS. 1085
Extravasat mehr über die Eingeweide verbreitet , als irgendwo concen-
trirt. Geringere Mengen Blut werden unter sonst günstigen Verhältnis-
sen resorbirt, andern Falls aber durch feste Exsudate eingekapselt. Wei-
terhin können sie dann noch die Quelle einer Abscessbildung (meistens
in der Hüftbeingrube) werden oder die Grundlage einer Cyste abgeben.
— Nachtheiliger als das Blut ist der Austritt des Magen- und Darmin-
halts, der Galle oder des Harns in die Unterleibshöhle , weil diese Stoffe
weit reizender sind und daher binnen wenigen Stunden die heftigste Un-
terleibsentzündung mit Anschwellung , grossen Schmerzen , Schluchzen,
Erbrechen , unauslöschlichem Durste, grosser Angst etc. veranlassen. —
Behandlung. Entleeren sich die extravasirten Stoffe aus der Unter-
leibshöhle, so soll man den Austritt derselben im Allgemeinen durch Of-
fenhalten der Wunde und eine geeignete Lagerung des Kranken begün-
stigen; nur bei dem Austritt von Blut verschliesst man die Oeffnung, weil
hierdurch die Gefahr der Verblutung verringert und durch das ausgetre-
tene Blut selbst die Bildung eines Blutpfropfs befördert wird. In allen
Fällen muss streng antiphlogistisch verfahren werden ; man macht kalte
Umschläge, wiederholte Aderlässe , reicht milde kühlende Getränke, em-
pfiehlt die strengste Buhe etc. — a. Wunden des Magens. Man
erkennt sie, ausser durch den Ort und die Tiefe der Wunde, an dem Aus-
tritt von Speisebrei aus der äussern Wundöffnung , an dem entstehenden
Blutbrechen und später dem blutigen Stuhlgange und bei gleichzeitiger
Extravasaten von Speisebrei in die ünterleibshöhle an den sehr heftigen
Schmerzen, der grossen Angst, den kalten Schweissen, Ohnmächten, Kräm-
pfen, Convulsionen. Bleibt die Magenwunde mit der Bauchwand in Be-
rührung und verwachsen die Wundränder beider Theile mit einander, so
kommt es zur Bildung einer M agen fi stel, wobei wenigstens das Leben
des Verwundeten erhalten wird. — Die Behandlung besteht in Ader-
lässen, kalten, später warmen Umschlägen, Opiumklystieren, bei Vermei-
dung innerer Arzneien durch den Mund. Kann man der Magen wunde
beikommen, so näht man sie zu (Serosa gegen Serosa; s. deD Art. Naht),
in der Art, dass man beide Fadenenden durch die Bauchwunde nach aus-
sen führt und somit zugleich die Verklebung zwischen Magen und Bauch-
wand sichert. Gelingt dies nicht, so sucht man wenigstens die Magen-
wundränder durch eine Fadenschlinge an die Bauchwand zu befestigen,
dass der Inhalt sich nach aussen entleeren muss. Ist der verwundete
Magen zugleich vorgefallen , so unterliegt das Zusammennähen der Ma-
o-enwunde keiner Schwierigkeit. Eine zurückbleibende Fistel muss durch
einen geeigneten Druckverband geschlossen gehalten werden. — ^.Wun-
den der Darm e. Man erkennt sie, wenn die Därme durch die Bauch-
wunde nach aussen getreten sind, leicht an dem Ausflusse von Faecalma-
terie und an dem Entweichen von Darmgas ; schwer ist das Erkennen
aber , wenn der Darm nicht vorgefallen ist ; hier lassen nur die sich ein-
stellenden Zufälle, wie heftige kolikartige Schmerzen, grosse Angst, Er-
1086 WUNDEN DES UNTERLEIBS.
brechen, unlöschbarer Durst etc. die Verlezung vermuthen. Diese Zufälle
sind um so stürmischer und die Gefahr ist um so grösser , je näher am
Magen die Verlezung ihren Siz hat. Die Verwundung eines nicht vom
Bauchfell überzogenen Theils des Darms bedingt nicht die oben erwähn-
ten allgemeinen Erscheinungen , weil kein Darminhalt in die Bauchhöhle
gelangt. Hier folgt auch keine Peritonitis , wohl aber kann es in Folge
der durch die Darmcontenta in dem umgebenden Bindegewebe hervorge-
rufenen Phlegmone zur Gangrän (Stercoralabscess) zuweilen mit Hinter-
lassung einer Darmfistel kommen. Die dringendste Gefahr kann bei
Darmwunden auch dadurch beseitigt werden, dass die Wunde durch eine
andere Darmschlinge zunächst verlegt und in sehr kurzur Zeit unter Ver-
mittlung eines gerinnenden Exsudats auch organisch verschlossen wird ;
das Gleiche kann durch das Anlegen der Darmwunde an die Bauchwand
oder an das Mesenterium geschehen. Solche Verklebungen hinterlassen
aber immer eine Anlage zu Koliken und Verdauungsbeschwerden, wie auch
die Adhäsionen zu innern Einklemmungen disponiren. — Kleine Stich-
wunden werden leicht durch die hervor- und aufquellende Schleimhaut
verstopft. Längenwunden klaffen bei gleicher Grösse stärker als Quer-
wunden, wegen der grösseren Stärke der Zirkelfasern der Darmmuskula-
tur ; tief eindringende , den Darm in die Quere trennende Wunden sind
dessen ungeachtet sehr gefährlich und die Wiederherstellung der Conti-
nuität des Darmkanals ohne Kunsthülfe nicht möglich. — Behand-
lung. Liegt der verwundete Darm in der Unterleibshöhle, so ist nichts
weiter zu thun , als die Wunde oberflächlich zu verbinden und durch ein
kräftiges antiphlogistisches Verfahren der gefährlichen Entzündung vorzu-
beugen ; daneben verbietet man dem Kranken, um die Bewegungen des
Darms zu beschränken und dadurch den weiteren Austritt seines Inhalts
zu verhindern, alles Essen und Trinken und reicht ihm unausgesezt Opium ;
den quälenden Durst lässt man durch in den Mund genommene Eisstück-
chen stillen. Ist dagegen der verlezte Darm vorgefallen oder doch in
der Nähe der Bauchwunde zu sehen und zu fassen , so schliesst man die
Darmwunde entweder durch die Naht (Darmnaht, Enterorrhaphie,
s. Naht) oder man hält das verwundete Darmstück mit Hülfe einer Fa-
denschlinge so in der Nähe der äussern Bauchwunde, dass der Darminhalt
nach aussen abfiiessen kann. Der in lezterem Falle zu Stande kommende wi-
dernatürliche After muss dann später einer besondern Behandlung unterwor-
fen werden. S. den Art. widernatürlicher After. — Hat man den
Darm genäht, so reponirt man ihn, schliesst die Unterleibswunde, wendet
eine strenge Antiphlogose an und lässt den Kranken noch längere Zeit
strenge Diät halten. — Abweichend von dem vorhergehenden ist das Ver-
fahren, wenn die Verlezung einen nicht vom Bauchfell bekleideten Darm-
theil betroffen hat. Hier darf die äussere Wunde nicht geschlossen wer-
den, vielmehr muss durch erweichende Umschläge, Einsprizungen, nöthi-
genfalls auch durch Dilatation der leztern für freien Abfluss des Darm-
WUNDEN DES UNTERLEIBS. 1087
koths gesorgt werden , um der Bildung eines Abscesses vorzubeugen. —
y. Wunden der Leber und Gallenblase. Aus der Lage und
Richtung der Wunde lässt sich meist mit grosser Wahrscheinlichkeit er-
kennen, ob die Leber verlezt ist oder nicht. Ausserdem spricht für eine
solche Verlezung der Ausfluss von schwarzem , manchmal mit Galle ver-
mischtem Blute, das Gefühl eines tiefen Schmerzes im rechten Hypochon-
drium, der sich gegen die rechte Schulter verbreitet, eine auffallende Stö-
rung des Allgemeinbefindens , Beklemmung, Angst, Schluchzen, Erbre-
chen ; späterhin tritt noch Gelbsucht mit safrangelbem Harn und grauen
Excrementen hinzu. Tiefgehende Wunden mit Verlezung der grossen
Gefässe haben den Tod durch Verblutung zur Folge. Ist die Gallen-
blase allein verlezt und erfolgt Erguss der Galle in den Unterleib , so
stirbt der Kranke an einer sich rasch entwickelnden Peritonitis. — Be-
handlung. Nicht tief eindringende Wunden bedeckt man mit einem
leichten Verband , bei tieferen gibt man dem Kranken eine solche Lage,
dass der Ausfluss aus der Wunde nicht gehindert ist. Bei fortdauernder
Blutung wendet man kalte Umschläge, die Tamponade und eine gut
schliessende Leibbinde an. Etwa sich vorfindende fremde Körper (Kugeln,
Bippen splitter) müssen wo möglich entfernt werden. Dabei eine strenge
antiphlogistische Behandlung , die aber bei Ergüssen in die Bauchhöhle
meist vergeblich ist. Entsteht Eiterung, so sorgt man für gehörigen Ab-
fluss des Eiters und unterstüzt die Kräfte des Kranken. — d. Wunden
der Milz. Sie bieten nur insofern Gefahr, als Gefässe verlezt und da-
durch innere Blutungen veranlasst werden. Man hat die prolab irte Milz
ohne Nachtheil abgeschnitten. Die Behandlung muss eine antiphlogisti-
sche sein. — €. Wunden der Nieren. Man erkennt sie durch
die Untersuchung mit dem Finger und an dem Ausflusse von Blut und
Urin aus der Wunde und von Blut aus der Harnröhre. Dazu gesellt sich
Schmerz in der Nierengegend , welcher sich über den ganzen Unterleib
ausbreitet , Schmerz und krampfhaftes Anziehen des Hodens gegen den
Bauchring. Tödtlich werden diese Wunden, wenn sie sehr tief gehen,
das Nierenbecken getrofien wurde, und der Urin in die Unterleibshöhle
austreten kann. Bei kleinen Wunden der hintern Fläche bleiben biswei-
len Nierenfisteln zurück. — Behandlung. Man legt den Kranken
so , dass die Flüssigkeiten leicht ausfliessen können , reicht milde Ge-
tränke, wie Milch, sorgt für gehörigen Abfluss des Urins durch Einlegen
eines Catheters und Einsprizung von lauwarmem Wasser in die Blase,
wenn sie Blutcoagulum enthält, und verfährt imUebrigen streng antiphlo-
gistisch. — £. Wunden der Harnblase. Sie werden leicht durch
ihre Oertlichkeit, durch den Ausfluss von Urin aus der Wundöffhung und
den Abgang von Blut durch die Harnröhre erkannt. Wenn bei diesen
Wunden das Bauchfell nicht verlezt ist, der Urin also nicht in die Unter-
leibshöhle treten kann, so sind sie nicht sehr gefährlich; nur Infiltratio-
nen des Urins und Urinfisteln sind zu fürchten. — > Behandlung.
1088 WUNDEN DER GESCHLECHTSTHEILE.
Neben der allgemeinen antiphlogistischen Behandlung legt man einen
Catheter so lange in die Blase, bis der Urin nicht mehr durch die Wunde
abfliesst. Der Verband der Wunde darf den Abfluss des Urins aus ihr
nicht hindern. Bestehen Infiltrationen, so macht man warme Umschläge
und Öffnet die sich bildenden Abscesse. Fremde , bei der Verwundung
in die Blase gelangte Körper sucht man wo möglich zu entfernen , weil
sie sonst Veranlassung zu einem Blasensteine geben. — rj. Verlezung
der Gefässe im Unterleibe. Betrifft diese die grossen Gefässe,
wie die Aorta abdominalis, die Vena Cava, so erfolgt der Tod
rasch durch Verblutung ; wurden kleinere Gefässe, die Vasa mesa-
r a i c a oder die Gefässe des Nezes getroffen , so tritt derselbe Ausgang,
wenn auch langsamer ein. — Behandlung. Kennt man den Ort der
Verlezung nicht oder kann man nicht zu ihm gelangen , so beschränkt
sich die Behandlung auf das Umlegen einer Leibbinde und die Anwen-
dung kalter Umschläge ; sind die Theile, an welchen die Gefässe verlezt
sind , vorgefallen , so muss man die blutenden Gefässe unterbinden oder
torquiren.
6. Wunden der Geschlechtstheile.
A. Wunden der weiblichen Geschlechtstheile. —
a) Wunden der Gebärmutter. Der nicht schwangere Uterus
wird selten von einer Verwundung betroffen , häufiger ist dies der Fall
beim schwangeren Uterus , und sind solche Verwundungen dann mit be-
deutenden Blutungen und der Gefahr einer zu frühen Niederkunft ver-
bunden. Gewöhnlich steht die Blutung nicht eher , als bis die Entbin-
dung erfolgt , wo ihr durch die Contraction der Gebärmutter Einhalt ge-
than wird, weshalb auch, wenn die Entbindung nicht von freien Stücken
■■eintritt , diese durch Sprengung der Eihäute herbeigeführt werden muss.
Sollte die Verlezung der Gebärmutter so bedeutend sein , dass das Kind
zum Theil oder ganz in die Bauchhöhle getreten wäre , so müsste , wenn
es nöthig wäre , die Wunde der Bauchdecken erweitert und durch diese
das Kind ausgezogen werden. — b) Wunden der Scheide. Es sind
meist gerissene oder gequetschte, indem sie gewöhnlich beim Falle durch
fremde Körper oder beim Geburtsacte entstehen. Folgen dieser Wunden
können sein Ergiessung des Bluts zwischen Vagina und Rectum , oder in
das Zellgewebe des Damms, Entzündung, Eiterung, bei gänzlicher Tren-
nung der Wand Vorfall der Därme. — Die Behandlung besteht in
der Zurückbringung der Gedärme und Reinigung der Wunde, worauf
man einen Schwamm von solchem Umfange in die Scheide bringt,
dass sich die Wundränder noch berühren ; die Kranke beobachtet die
Rückenlage, man lässt kaltes Wasser überschlagen und verfährt allgemein
antiphlogistisch. Wenn der Urin nicht fortgeht , so wie wenn er unwill-
kürlich abgeht, so legt man einen Catheter in die Blase. Den Schwamm
darf man in den ersten Tagen nicht herausnehmen , wenn aber Eiterung
eingetreten ist, ohne welche Heilung selten erfolgt, wechselt man ihn Öfter.
WUNDEN DER GESCHLECHTSTHEILE. 1089
— c) Wunden des Damms. Sie bestehen meistens in Zerreissungen,
die während der Geburt entstehen. Sie beschränken sich entweder auf
das Einreissen der hintern Schamlefzencommissur, oder der Riss geht bis
zum Mastdarm , wobei selbst der Sphincter mit getrennt sein kann. —
Bei geringen Einrissen genügt die Seitenlage mit zusammengebundenen
Beinen, und die Sorge für die grösste Reinlichkeit während des Lochien-
flusses. Bei umfangreichem Risse ist neben diesem Verhalten noch die
Anlegung einiger blutigen Hefte nöthig. Kommt die Heilung nicht zu
Stande, und bilden sich callöse Wundränder, so müssen diese später ab-
getragen und die Verheilung mittels der blutigen Naht versucht werden.
Man kann sich auch der Serres-fines zur Naht bedienen und Guttapercha-
solution zum Schuze aufstreichen. — Um die Heilung nicht zu stören,
muss der Urin knieend oder durch den Catheter entleert und durch er-
weichende Klystiere für dünnen Stuhlgang gesorgt werden. Wenn Ent-
zündung eintritt, so fomentirt man mit erwärmtem Bleiwasser. Versucht
man die Heilung ohne blutige Naht, so bestreicht man die sich bildenden
Granulationen mehrmals täglich mit einer Mischung, von 2 Theilen Peru-
balsam und ] Theile Tinct. myrrhae. — B. Wunden der männ-
lichen Geschlechtstheile. — a) Wunden des Penis. Den
Penis treffen gewöhnlich gequetschte Wunden , da reine und tiefe Wun-
den nur Folgen absichtlicher Gewalt sein können. Zu ersteren gesellt
sich gewöhnlich bald eine starke Ecchymose , in Folge welcher der Um-
fang der Ruthe beträchtlich zunimmt , die Haut schwarz wird und wie
brandig erscheint. Zertheilende Umschläge bewirken die Aufsaugung
bald. Bei tiefer eindringenden Schnittwunden müssen zuerst die Arte-
riae dorsalis und corporum cavernosorum unterbunden und
die Wunde dann über einem eingelegten Catheter gereinigt werden. Be-
steht bei den gequetschten Wunden des Penis zugleich eine Zerreissung
der Urethra , was aus dem Drange zum Uriniren und der Geschwulst des
Penis bis zum Scrotum und in die Weichen erkannt wird, so muss man
einen Catheter einlegen, die Verlezung erst antiphlogistisch und dann mit
Cataplasmen behandeln , oder die von Urin infiltrirten Stellen einschnei-
den und die Wunde nach den gewöhnlichen Regeln behandeln. — b)
Wunden des Hodensacks, der Hoden und des Samen-
strangs. Die Wunden des Scrotum lassen sich nicht gut vereinigen,
eitern deshalb in der Regel, heilen aber der üppigen Reproduction wegen,
die sich hier vorfindet, doch sehr rasch. — Wunden und Quetschungen
des Hodens haben meist sehr heftige Entzündung und nervöse Zufälle
zur Folge. Die Wunden werden nach allgemeinen Regeln , die Entzün-
dung wie bei den Hodenkrankheiten angegeben , behandelt. Tritt Eite-
rung ein und wird der Hoden in seiner Organisation zerstört , so ist die
Hinwegnahme desselben nothwendig. — Wunden des Samenstrangs
erfordern die Unterbindung und bedingen gewöhnlich Schwinden des
Hodens.
Burger, Chirurgie. ßQ
1090 WUNDEN DER EXTREMITAETEN.
7. Wunden der Extremitäten. Alles, was von den Wunden
im Allgemeinen und von den verschiedenen Arten derselben gesagt wurde,
gilt auch für die Wunden der Gliedmassen. Es ist nur noch übrig, von
den Wunden zu sprechen , welche die Streck- und Beugesehnen der Fin-
ger , so wie die Achillessehne treffen. — Die Trennung der Streck-
sehnen hat die Folge, dass sich die Finger, deren Sehnen von der Tren-
nung betroffen wurden , in die Hohlhand einschlagen und von dem Ver-
lezten nicht mehr ausgestreckt werden können. Da die Hand dadurch
ihre Brauchbarkeit mehr oder weniger einbüsst , so darf nichts versäumt
werden, was diesem Gebrechen vorzubeugen im Stande ist. ■ — Eine Ver-
einigung der durchschnittenen Strecksehnen wird nur dadurch möglich,
dass man die Hand so stark als möglich gegen den Vorderarm zurück-
beugt und in dieser Lage erhält , bis eine Heilung zu Stande gekommen
ist. Hierzu sind mehrere Verbände angegeben worden. Evers bedient
sich zur Erreichung des genannten Zweckes eines Brettes von 18 bis 2 0
Zoll Länge und 6 Zoll Breite, in welches zwei andere Brettchen senkrecht
eingesezt sind , von denen das vordere 6 , das hintere 4 Zoll hoch ist.
Das leztere ist versezbar, um die Vorrichtung der Länge des Vorderarms
anpassen zu können. — Der Raum zwischen den beiden senkrechten
Brettern wird mit dicken Compressen ausgepolstert, die Hand auf die an-
gegebene Weise zurückgebeugt und, nachdem die Wunde verbunden und
eine Binde in Hobelgängen angelegt ist , der Vorderarm so auf das hori-
zontale Brett gebracht , dass die Hand auf dem vordem Brette ruht und
der Ellbogen sich an das hintere anstemmt. Hierauf wird der Arm mit-
tels Binden auf das Brett festgebunden. Damit man die Hand gegen
das Ende der Kur nach und nach wieder in die Horizontallage bringen
kann , wurde später das vordere Brettchen höher und tiefer stellbar ein-
gerichtet. — Schreger benuzte zu demselben Zwecke einen blecher-
nen Halbcylinder , an dessen vorderem Rande eine schief aufsteigende,
flache, stellbare Handstüze von Blech angebracht war. In diese Vorrich-
tung wurde der wie oben verbundene Arm gelegt und das Ganze durch
eine Tragbinde unterstüzt. — M a y o r bringt die Basis eines dreieckigen
Verbandtuches auf die Palmarfläche der Handwurzel , umgeht dieses mit
den Enden , kreuzt und befestigt diese dann mit einer Nadel ; hierauf
wird die Spize dieses Tuches , welches über die Finger hervorsteht , aus-
gebreitet, über den Rücken der Hand gegen den Vorderarm geführt, wo-
bei die Hand so stark als nöthig zurückgebeugt wird, und dann das Tuch
an eine über dem Ellbogen herumgeführte Tuchbinde befestigt. —
Mourgue empfiehlt neuerdings die Vereinigung der getrennten Finger-
extensoren durch die Naht. — WTenn die Beugesehnen der Finger
getrennt sind, so sind die betreffenden Finger gestreckt und können nicht
gebeugt werden. Hier müssen, um die getrennten Sehnenenden mit ein-
ander in Berührung zu bringen, die Finger und die Hand in der stärksten
Beugung gegen die Volarseite des Vorderarms geneigt und in dieser Lage
WTNDSEIN. 1091
erhalten werden. Schreger bedient sich hierzu einer blechernen
Schiene , die vom Ellbogengelenke an der Streckseite des Vorderarms bis
an die Fingerspizen herabreicht , in der Gegend der Handwurzel und am
vordem Mittelhandgelenk winklig gebogen ist und dann breiter werdend
zur Aufnahme der Finger in eine der Beugung dieser entsprechende Krüm-
mung übergeht. Am obern und untern Ende dieser Schiene befindet sich
ein Knopf, in welchen die zur Befestigung derselben dienenden Binden ein-
gehängt werden. Der Arm wird mit einer Tragbinde unterstüzt. —
M a y o r legt seinen Verband in umgekehrter Richtung, wie den oben an-
gegebenen an. — Bei der Trennung der Achillessehne muss der
Vorderfuss in einer möglichst gestreckten Lage erhalten werden ; dies ge-
schieht durch die Verbände , welche bei der Zerreissung dieser Sehne in
Anwendung kommen (s. Sehn enz er reis sung). Damit jedoch die
Sehnenenden nicht nach einer oder der andern Seite abweichen, legt man
zu beiden Seiten lange Compressen an, welche den vertieften Raum neben
der Achillessehne ausfüllen und ihrem Abweichen einen Widerstand dar-
bieten. Hierauf wird die Wunde der allgemeinen Bedeckungen vereinigt
und, wenn die Sehne allein getrennt ist, eine nicht zu sehr antiphlogisti-
sche Behandlung eingeleitet, weil die Sehne selbst sich nicht so sehr ent-
zündet , wie ein Muskel. Die Sehne selbst wird nur dann mit einigen
wenigen Heften der Knopfnaht vereinigt, wenn bei der genannten Be-
handlung ihre Vereinigung nicht verlässlich wäre. Vergl. auch Wunden
der Sehnen.
Wundsein, Frattsein, Intertrigo. Es ist dies eine Va-
rietät des Erythems (s. dies. Artikel) , welche entsteht , wenn zwei Haut-
flächen an Stellen des Körpers , wo starke Falten sich finden , in häufige
Berührung mit einander kommen. Vorzugsweise trifft man sie an bei
Kindern und Fettleibigen : unter der weiblichen Brust, in der Achselhöhle,
in der Leistengegend, an dem obern Theile der Schenkel, an den Hinter-
backen. Es wird von der entzündeten Fläche eine serös-eiterige, schwach-
riechende Flüssigkeit abgeschieden und es stellt sich lebhaftes Jucken
ein. Dauern die Ursachen fort , so bilden sich Risse , Schrunden,
Rhagades, welche vorzugsweise zwischen den Zehen, neben den gros-
sen Schamlippen, an der Vorhaut, am Halse, an der Brustwarze zum Vor-
schein kommen. - — Begünstigt wird die Entstehung dieses lästigen Uebels
hauptsächlich durch Vernachlässigung der Hautpflege. — Behand-
lung. Neben fleissiger Reinigung der wunden Flächen mit reinem kal-
tem Wasser bildet das Hauptmittel das Semen lycopodii, welches
wiederholt aufgestreut wird. Doch erweisen sich auch Umschläge von
Bleiwasser oder einer leichten Lösung von Zinkvitriol, das Einlegen von
Leinwandläppchen oder geschabter Charpie , die mit Ungt. Zinci be-
strichen sind , nüzlich. Bei Intertrigo am After wird häufig Talg mit
Vortheil angewendet.
69
1092 ZAHNKRANKHEITEN. ZAHNAUSZIEHEN.
z.
Zähne, Krankheiten derselben. Die Zähne erleiden nicht
allein Anomalien , welche sich auf ihre Zahl , Lage und Anordnung be-
ziehen, sondern sie sind auch Erkrankungen ihrer Substanzen, sowie Ver-
lezungen ausgesezt.
Zahnausziehen, Extractio dentium, ist dasjenige opera-
tive Verfahren, wodurch man vermittels eines geeigneten Instruments
einen Zahn aus seiner organischen Verbindung mit dem Kiefer entfernt.
Im Allgemeinen zieht man solche Zähne aus , welche cariös und schmerz-
haft sind , welche durch ihre Stellung die benachbarten weichen Gebilde,
Zunge, Lippen etc. beständig reizen, Milchzähne, welche die nachfolgen-
den in ihrer Entwicklung hindern , oder diesen eine falsche Stellung
geben, ferner solche, welche die Ursache zu Krankheiten der Kiefer oder
der benachbarten weichen Theile sind , Zähne bei alten Leuten , welche
locker sind und einzeln stehen, und endlich diejenigen, welche anderer
Operationen wegen, z. B. bei vorkommenden Resectionen des Unterkiefers
etc. entfernt werden müssen. Nicht selten wird auch die Hinwegnahme
eines Zahns nöthig, um bei krankhaft verschlossenem Munde in den Stand
gesezt zu werden , dem Kranken Nahrungsmittel beizubringen. — Da-
gegen dürfen nicht ausgezogen werden : Zähne , welche zwar schmerzen
aber nicht cariös sind , und cariöse , welche nicht schmerzen ; mit denen
eine Entzündungsgeschwulst, die in Eiterung überzugehen droht , verbun-
den ist ; bei der Phosphornecrose , so lange eine heftige Entzündung be-
steht ; wo ein scorbutischer Zustand , der eine heftige Blutung besorgen
lässt, zugegen ist ; bei rheumatischen Leiden, wo die Schmerzen nach dem
Ausziehen nicht selten heftiger als vorher werden ; mit benachbarten oder
mit dem Kiefer verwachsene Zähne. — Bei heftigen Schmerzen eines
noch in leidlichem Zustande befindlichen Zahnes kann man sich mH der
Luxation desselben begnügen; hierdurch werden die in ihn eintreten-
den Nerven zerrissen und damit die Schmerzen für immer beseitigt ; nach
der Operation drückt man den betreffenden Zahn wieder fest , worauf er
wieder anheilt. — Das Verfahren bei dem Ausziehen der Zähne ist ver-
schieden, je nachdem man sich dazu der Zange, des Schlüssels,
des Geissfusses oder des Hebels bedient. Der Vorzug des einen
oder des andern Verfahrens wird bestimmt durch den Siz und die Be-
schaffenheit des Zahns , so wie durch die individuelle Fertigkeit des Ope-
rateurs mit dem einen oder dem andern Instrumente. — Im Allgemeinen
ist die Ausziehung der Zähne mit der Zange die am wenigsten beleidi-
gende ; bis auf die neueste Zeit war ihre Anwendung auf die Ausziehung
der Vorder - und loser Backzähne beschränkt ; nun aber wird sie häufig
auch zur Ausnehniuna; feststehender Backzähne verwendet. — Der
ZAHNKRANKHEITEN. ZAHNAUSZIEHEN. 1093
Schlüssel dient am besten zur Ausziehung von Backzähnen, weil er
die Ausübung einer grossen Gewalt zulässt , ohne die andern Zähne zu
beschädigen ; eine ungeschickte Handhabung des Instruments führt in-
dessen nicht selten ein Abbrechen des Zahns herbei, auch wird das Zahn-
fleisch , wenn nicht gehörige Vorsorge getroffen wird , gern gequetscht.
Der G e i s s f u s s ist häufig anzuwenden, wo andere Instrumente weniger
gut zu brauchen sind. Man benüzt ihn zur Ausnehmung von Wurzeln,
ferner von losen Zähnen , bei welchen weder Schlüssel noch Zange anzu-
wenden ist, nämlich bei angeschwollenem scorbutischem Zahnfleisch, Pa-
rulis , wo der Druck des Schlüssels zu viel Schmerz verursachen würde
und für die Zange der innere Ansaz fehlt. Er ist ferner sehr nöthig beim
Ausziehen von Zähnen am unrechten Orte, z.B. bei Augenzähnen, welche
über die andern Zähne gewachsen sind, Zähnen im Gaumen etc. , wo mit
ihm die Zähne luxirt und dann mit der Zange vollends entfernt werden.
- — Der Hebel wird wenig mehr angewendet ; er soll vorzugsweise zum
Ausziehen der Weisheitszähne dienen , wenn daneben noch ein Zahn vor-
handen ist. — Die unter dem Namen Pelikan und Ueberwurf be-
kannten Instrumente sind ganz ausser Gebrauch. — In neuester Zeit
wird häufig vor dem Zahnausziehen Chloroform angewendet, um die Pa-
tienten zu betäuben und dadurch für den Schmerz unempfindlich zu
machen. Gegenüber aber der vielfach gemachten Erfahrung, dass die
Anästhesirung häufig nicht ohne Gefahr für das Leben bleibt, unterlässt
man diese, besonders auch im Hinblick auf die Geringfügigkeit der Ope-
ration, wohl am besten und greift lieber zu dem unschädlichen Mittel, die
betreffenden Theile selbst unempfindlich zu machen , was häufig damit
gelingt, dass man eine grössere, mit Chloroform getränkte Flocke Baum-
wolle längere Zeit über den auszunehmenden Zahn und das Zahnfleisch
legt oder lezteres auch nur damit reibt. — Bei der Ausziehung der Vor-
der z ä h n e aus der untern Kinnlade stellt sich der Operateur vor
den auf einem Lehnstuhl sizenden Kranken , drückt mit dem Zeigefinger
der linken Hand die Lippe nach unten , legt den Daumen auf den näch-
sten Zahn, die übrigen Finger unter das Kinn und fasst mit der krum-
men Zange, welche er nahe am Gelenk ergreift und zwischen deren
beide Arme er die beiden lezten Finger einbiegt (um das vollständige
Schliessen der Zange und damit das Abkneipen des Zahns zu verhindern),,
den Hals des Zahns so tief wie möglich, macht einige kleine Bewegungen
nach ein - und auswärts , um die Verbindungen des Zahns zu lösen und
zieht diesen dann mit einem plözlichen Ruck in der Richtung seiner Län-
genachse heraus. — Bei der Ausziehung der Vorderzähne aus der
obern Kinnlade nimmt der Operateur dieselbe Stellung ein, hält mit
dem Zeigefinger der linken Hand die Lippe aufwärts , hält mit diesem
Finger und dem Daumen zugleich den Kiefer fest , legt die Spizen der
übrigen Finger auf die Stirn, fasst den Zahn möglichst weit oben mit der
geraden Zange, welche man wie die krumme ergreift , bewegt ihn
1094 ZAHNKRANKHEITEN. ZAHNAUSZIEHEN.
gelinde nach rechts und links und nach ein - und auswärts und zieht ihn
dann gleichfalls durch einen kräftigen Ruck heraus. Manche Wundärzte
ziehen es vor , sich bei der Operation hinter den auf einem niedrigen
Stuhle sizenden Kranken zu stellen. — Die B ac kz ahne,, zieht man ent-
weder mit dem Schlüssel oder mit der Zange aus. Im ersten Falle
umwickelt der Operateur den Bart des Schlüssels mit zarter Leinwand
(oder bringt zweckmässiger eine Baumwollkugel zwischen den Bart und
das Zahnfleisch) , nachdem er diesen mit einem dem Durchmesser des
Zahns entsprechenden Haken versehen hat , und stellt sich vor den auf
einem gewöhnlichen Stuhle sizenden Kranken ; dann fasst er den Griff
des Schlüssels, ist es ein Zahn linker Seits, mit der rechten, im entgegen-
gesezten Falle mit der linken Hand , den Zeigefinger auf dem Stiele des-
selben hinstreckend, hält den Haken mit dem Zeigefinger der andern Hand
in die Höhe , sezt den Bart des Instruments möglichst tief an der Spize.
der Wurzel an der Aussenseite des Zahns an und lässt dann den Haken
über den Zahn fallen , worauf man den freien Zeigefinger auf den Bogen
des Hakens legt und diesen hinreichend tief unter das Zahnfleisch drückt.
Während er nun mit dem leztgenannten Finger den Haken an seiner
Stelle erhält, dreht er den Handgriff in einem halben Kreise herum , wo-
bei er den Bart zugleich wie vom Zahnfleisch hin wegzuziehen und nach
der Krone zu heben suchen muss , unter welchen Bewegungen der Zahn
entweder rein ausgezogen wird , oder noch mit dem Zahnfleische in Ver-
bindung bleibt, von welchem man ihn mit den Fingern oder einer Krumm-
zange vollends löst. Erlaubt die Beschaffenheit des Zahns den Ansaz
des Hakens an dessen innerer Seite nicht , so sezt man die Spize des lez-
tern an der Aussenseite an und macht die Drehung mit dem Griffe des
Schlüssels nach innen. — Viele Wundärzte stellen sich beim Ausziehen
der obern Backzähne hinter den nieder sizenden Kranken. — Von gros-
ser Wichtigkeit ist die Wahl des Hakens. Dieser muss die Krone des
Zahns von einer Seite zur andern umfassen, ohne weit von ihr abzustehen
und ohne einen andern Theil als den Hals , an welchem seine Spize an-
gesezt ist, zu berühren. Ist der Haken zu gross , so dreht sich der Bart
auf dem Zahnfleisch, ohne dass der Zahn dem Zuge folgte, ist er zu klein,
so sprengt man eher die Krone ab , als dass man die Wurzel aus dem
Zahnfleisch heraushöbe. — Die Zange, deren man sich zum Ausziehen
der Backzähne bedient , ist anders gebaut und stärker , als die Krumm-
zange für die Vorderzähne. Sie hat eine Länge von 6 Zoll, ist S förmig
gekrümmt und öffnet sich seitlich. Sie hat ein breites , scharfes, in der
Mitte mit einem Grate versehenes Gebiss und hinter diesem eine Höhlung
zur Aufnahme der Zahnkrone. Das Gebiss ist ganz dem Zahne ange-
passt , nach der verschiedenen Grösse der Backzähne mehr oder weniger
weit ; dasselbe gilt von der auf das Gebiss folgenden Höhlung , woraus
hervorgeht, dass man für die verschiedenen Zähne verschiedene Zangen
haben muss ; es ist dies nothwendig, um ein Abkneipen der Zähne zu ver-
ZAHNKRANKHEITEN. ZAHNAÜSZIEHEN. 1095
hüten. Der Gebrauch dieser Zange ist leicht ; man fasst den Zahn tief,
macht einige rotirende Bewegungen , um ihn aus seinen Verbindungen zu
lösen und hebt ihn dann mit einem Ruck heraus. — Bei der Anwendung
des Geissfusses fasst man diesen mit der vollen rechten Hand , so
dass das Ende des Griffs in der Handfläche ruht , der Zeigefinger längs
der Stange ausgestreckt ist , der Daumen sich auf diese stüzt und die
übrigen Finger sich um sie herumbiegen. Sizt der Zahn auf der linken
Seite im Unterkiefer, so steht der Operateur vor dem Patienten und etwas
links ; in andern Fällen steht er hinter demselben. Den linken Zeige-
finger legt man als Gegenhalt an die innere Seite des auszunehmenden
Zahns, mit der rechten Hand schiebt man den senkrecht gehaltenen Fuss
des Instruments möglichst tief zwischen Zahnfleisch und Wurzel , senkt
dann, ohne aber den Ansaz an der Alveole zu nehmen, den Griff beim
Unterkiefer ; beim Oberkiefer hebt man bis zu einem kleinen spizigen
Winkel mit der Kinnlade, worauf man, während man die Wurzel zu glei-
cher Zeit nach innen drückt , den Zahn in die Höhe hebt. Bleibt die
Wurzel am Zahnfleische hängen, so nimmt man sie vollends mit der Zange
weg. — Zum Ausziehen der Zahnwurzeln, deren Krone abge-
brochen oder zerstört ist , kann man sich des Schlüssels , verschiedener
Zangen, des Geissfusses oder der Wurzelschraube bedienen. Dem Schlüs-
sel wird zu diesem Zwecke ein spizer scharfer Haken beigefügt, den man
entweder nach der gewöhnlichen Vorschrift zwischen die Wand des Al-
veolus und die zu entfernende Zahnwurzel eindrängt oder geradezu auf
das Zahnfleisch aufsezt und dieses so wie die Alveole durchschneidet. Bei
lockern Zähnen eignet sich am besten derGeissfuss oder die Wurzelzange,
eine Zange mit schmalem , dünnem und langem Gebiss , womit man tief
unter das Zahnfleisch greifen kann. Wurzeln , welche keinen Halt zum
Fassen mehr darbieten , kann man nach der Angabe Eoser's mit einer
scharfen Knochenzange entfernen , indem man mit ihr von beiden Seiten
die Alveole sammt dem sie bedeckenden Theil des Zahnfleisches durch-
schneidet. Die Wurzel fällt darauf von selbst aus dem geöffneten Zahn-
fach, oder kann doch ohne grosse Schwierigkeit ausgezogen werden. Die
Wurzelschraube eignet sich besonders für Wurzeln von Vorderzähnen,
namentlich des Oberkiefers ; sie gleicht einem Geissfusse , nur dass statt
der Klaue am Ende der Stange eine Schraube sich befindet ; diese wird in
die Wurzel eingeschraubt und leztere durch einen geraden Zug ausge-
zogen. — Nach der Herausnahme des Zahns lässt man den Mund mit
Wasser ausspülen und drückt den Zahnfächerrand massig zusammen. Ist
ein Stück von demselben abgebrochen, so nimmt man die Splitter mit der
Wurzelzange oder einer Pincette weg ; sizen die Splitter aber fest , so
drückt man sie in ihre natürliche Lage. Abgerissenes Zahnfleisch schnei-
det man mit der Scheere vollends ab. Bei eintretender Eiterung wendet
man erweichende Mundwasser an. Ist der Zahn abgebrochen , so sucht
man den Stumpf auf die oben angegebene Weise auszuziehen. Lose ge-
1096 ZAHNKRANKHEITEN. ZAHNFAEULE.
wordene Zähne drückt man wieder in ihre Höhle und befestigt sie nöthi-
genfalls mit Faden u. dgl. an die nebenstehenden. Auf gleiche Weise
verfährt man, wenn ein gesunder Zahn ausgezogen wurde. Eine geringe
Blutung folgt auf jede Ausziehung eines Zahns ; sie ist auch nicht uner-
wünscht , weil dadurch die Entzündung des Zahnfleisches am besten ver-
hütet wird ; kaltes Wasser stillt sie in der Regel bald ; ist dies nicht der
Fall , so verfährt man , wie es in dem Artikel Blutung angegeben ist.
Bruch der Kinnlade, Caries des Alveolarfortsazes behandelt man nach be-
stimmten Vorschriften.
Zahnentzündung, Odontitis, Odontalgia (von oSovc,
Zahn und ulyoq , Schmerz) inflammatoria. Die Entzündung hat
entweder ihren Siz in dem von der innern Wand der Alveole auf die Wur-
zeln des Zahns übergehenden Periost oder in der gef ässreichen Zahnpulpe.
— Bei der Entzündung an den Wurzeln des Zahns bekommt
der Patient die Empfindung, als wäre der betreffende Zahn länger gewor-
den, namentlich wenn die beiden Zahnreihen auf einander gedrückt wer-
den. Dabei macht sich ein oft weit verbreiteter dumpfer spannender
Schmerz bemerklich. Der Zahn wird gegen Berührung und gegen Tem-
peraturwechsel sehr empfindlich, nimmt eine gelbliche Farbe an und wird
wirklich etwas länger. Nach Verfluss einiger Zeit entwickelt sich eine
Anschwellung des Zahnfleisches in der Umgegend des kranken Zahns,
welche sich nicht selten auf die ganze Wange ausdehnt. Die Entzündung
kann sich zertheilen, in der Regel kommt es aber zur Eiterung mit Ent-
leerung des Eiters in die Nähe des Zahns ; damit lassen auch die Schmer-
zen nach und der dabei locker gewordene Zahn tritt in seine alte Stellung
zurück und wird wieder fest. In andern Fällen aber verbreitet sich die
Entzündung mit grösserer Heftigkeit auf die Alveole und es kommt zur
Bildung von Parulis und Zahnfisteln. S. diese Artikel. — Die Entzün-
dung der Zahnpulpe ist von einem heftigeren Schmerz begleitet, der
aber weniger weit verbreitet ist und durch leichtes Anklopfen an die Sei-
ten des Zahns vermehrt wird ; das Längerwerden des Zahns fehlt hier. —
Als Ursache der Zahnentzündung nimmt man allgemein eine eigenthüm-
liche Disposition an. Zunächst sind es dann mechanische oder chemische
Insultationen, so wie Erkältungen, endlich und hauptsächlich Caries der
Zahnkrone, welche dieselbe bedingen. — Die Behandlung besteht in
der Application einiger Blutegel an das Zahnfleisch in der Nähe des lei-
denden Zahns und später in der Anwendung erweichender und narkoti-
scher Mundwasser.
Zahnfäule, Caries dentium, wird ein eigenthümlicher, sehr
häufig vorkommender Zerstörungsprocess an den Zähnen genannt, welcher
in der Mehrzahl der Fälle an der Krone, selten am Halse, mit einer Ent-
färbung der ergriffenen Stelle beginnt und mit Zersezung , Erweichung
und Auflösung endigt. — Die Caries kann an allen Zähnen entstehen,
doch beobachtet man sie häufiger an den Backzähnen als an den Schneide-
ZAHNKRANKHEITEN. ZAHNFAEULE. 1097
zahnen, und unter leztern sind wieder die obern der Krankheit mehr unter-
worfen als die untern. — Die Caries entwickelt sich immer von aussen
an der Peripherie des Zahns und dringt nach dem Kanal zu. Die Krank-
heit beginnt damit, dass an der Oberfläche des Schmelzes ein kleiner
schwarzer oder gelblicher Fleck entsteht , welcher durch die Zersezung
des Schmelzes bewirkt wird. Mit der fortschreitenden Zersezung kommt
es zur Zerstörung der Zahnsubstanz , so dass sich ein Loch bildet. Ist
dieses Loch so tief geworden, dass die Wand , welche die Zahnhöhle be-
deckt, erweicht ist, so wird der Zahn schon empfindlich, namentlich durch
Zugluft, kalte Getränke etc. Die innere Zahnhaut kann sich entzünden
und es entsteht Schmerz. Ist die Zahnhöhle wirklich geöffnet , so ge-
schieht dies natürlich noch leichter. — Beginnt die Caries am Halse des
Zahns, so geht der Zerstörungsprocess rascher vor sich, weil hier der be-
deckende Schmelz fehlt und deshalb die schädliche Ursache unmittelbar
auf die Zahnsubstanz wirkt. Hier ist die Färbung meist hellgelb. —
Der Verlauf der Caries ist entweder acut oder chronisch. Je
schwärzer die Farbe des Flecks ist, um so mehr kann man ein langsames
Vorschreiten annehmen ; ist aber der Schmelz, wie es an der äussern Fläche
besonders geschieht , an einer grösseren Stelle mattweiss und bröcklich,
so geht gewöhnlich die Zerstörung rasch vor sich. Die acute oder weisse
Form der Caries ist feucht und mit einem sehr üblen Geruch verbunden ;
die chronische oder schwarze zeigt sich trocken und ist nicht übelriechend.
— Von der Caries der Zähne ist der Brand derselben, sonst auch trok-
kene Caries genannt, zu unterscheiden. Er kommt selten vor, zeigt sich
auch schon in den früheren Lebensperioden und beginnt gewöhnlich an
solchen Stellen , wo die Caries nicht entsteht , namentlich an den Spizen
der Backzähne oder auch an der äussern Fläche der Vorderzähne. Erzeigt
sich als schwarzer , dunkel- oder hellbrauner Fleck ; dabei ist die kranke
Stelle nicht erweicht, sondern völlig hart und sieht glänzend aus. Es kann
allmälig die ganze obere Fläche der Krone ihres Schmelzes verlustig gehen,
ein Loch entsteht aber nie. Der Verlauf dieses Processes ist äusserst lang-
sam ; es kann sich aber Caries dazu gesellen , wo dann die Zerstörung
rasche Fortschritte macht. ■ — Mit dem Weiterschreiten der Caries be-
schränken sich die Folgen dieses Uebels nicht mehr blos auf die Schmer-
zen, sondern es entwickelt sich oft auch eine Entzündung des Periosts mit
nachfolgender Eiterung im Zahnfleisch (s. P a r u 1 i s) , Zahnfisteln , par-
tieller Necrose und Caries der Alveolarwände mit schwammigen Wuche-
rungen (s. Epulis). — Ursachen. Die häufigste Veranlassung zur
Entstehung der Zahnfäule geben scharfe Mundsäfte, namentlich mit vor-
waltender Säure , wie sie sich besonders bei ererbten Cachexien , Schwä-
chung (durch Ausschweifung in der Jugend, mangelhafte Nahrung, unge-
sundes Klima etc.) , bei Scropheln , Rhachitis, Syphilis etc. und bei ver-
schiedenen Magenleiden finden. Auch finden sich im Allgemeinen beim
weiblichen Geschlecht und in der Jugend mehr scharfe Säfte , deshalb
1098 ZAHNKRANKHEITEN. ZAHNFAEULE.
auch mehr kranke Zähne. Zur Zeit der Schwangerschaft besonders wer-
den die Zähne gern hohl ; auch die Zeit des Säugens und der monatlichen
Reinigung ist von Einfluss. Auch die von aussen in den Mund gebrachte
Säure hat dieselbe Wirkung , daher sieht man besonders bei Pharmaceu-
ten , z. B. in Folge der Entwicklung saurer Dämpfe bei der Destillation,
so wie bei Conditoren und Köchen in Folge des Ansazes von Zuckerstaub
an die Zähne so häufig Caries an den Zähnen. Begünstigt wird die Ein-
wirkung der Säure durch die natürlichen Vertiefungen auf der Zahnkrone
und durch Gedrängtstehen der Zähne , wo jene leichter haften kann und
an welchen Stellen bekanntlich auch am häufigsten Caries vorkommt. Bei
vorherrschender Alcalescenz des Speichels findet man immer gesunde
Zähne ; deshalb sieht man gewöhnlich die Zähne gesund, wenn viel Wein-
stein vorhanden ist. Nicht minder sind Erschütterungen , Zersprengen
des Schmelzes , schneller Wechsel im Genuss heisser und kalter Speisen,
kurz alle Verlezungen des Zahns von Bedeutung für die Entstehung von
Caries. Endlich ist noch die Entblössung des Zahnhalses durch den so-
genannten Weinstein zu nennen. — Behandlung. Sowohl zur Ver-
hütung der Caries wie auch zu der des Weiterumsichgreifens der bereits
bestehenden Zerstörung ist vor Allem Reinlichkeit des Mundes, bestehend
in fortwährender Entfernung der Speisereste und des Zahnschleims mit-
tels des Gebrauchs einer weichen Zahnbürste und geeigneter Zahnstocher
anzuempfehlen. Daneben darf die Verbesserung der Säftemasse und die
Abhaltung schädlicher Stoffe vom Munde nicht versäumt werden. Bei
seitlicher Caries feilt man die Caries aus; der Hauptzweck ist dabei weni-
ger die Entfernung dieser Stelle, als um Raum zu schaffen für die Reini-
gung. — Ein weiteres Mittel zur Verhütung der Weiterverbreitung der
Krankheit besteht in dem Ausfüllen der cariösen Zähne, dem Plom-
biren. Es wird damit die Luft, der Speichel etc. ab- und so das Er-
weichen und Verwittern aufgehalten. Man bedient sich hierzu verschie-
dener Metalle , besonders Piatina , Gold , Staniol, Wismuth, Blei , Zinn,
Silber, Merkur, wovon die erstem als dünne Plättchen benuzt, leztere
theils in einem gewissen Verhältnisse geschmolzen , theils als Amalgam
angewendet werden. Auch hat man verschiedene Kitte , z. B. Mastix
und Alabastergyps , eine Mischung von Kalk und Phosphorsäure, von Ma-
stix (5$), Sandarac (3ij), rectificirtem WTeingeist (5J) , mit welcher Mi-
schung man ein entsprechend grosses Baumwollenkügelchen tränkt, so wie
Gutta percha, welche man erwärmt in die Höhle eindrückt. Auch weisses
Wachs, welches man erwärmt , ist oft von Nuzen ; namentlich bei Caries
der vordem Zähne eignet es sich , weil die Farbe des Wachses der der
Zähne nahe kommt ; es muss nur sehr oft erneuert werden. Alle diese
Ausfüllungen (Plomben) können nur unter der Bedingung dauerhaft sein,
dass die auszufüllende Höhle eine geeignete Gestalt besizt, um ihnen
Halt zu gewähren. Die flaschenförmigen Höhlen eignen sich am meisten,
oft auch die cylinderförmigen. Vor dem Plombiren wird alles Cariöse
ZAHNKRANKHEITEN. ZAHNSCHMERZ. 1099
sorgfältig entfernt und dann die Höhle genau ausgetrocknet ; die Plombe
muss erneuert werden , wenn sie die Höhle nicht mehr genau ausfüllt.
Das Plombiren passt besonders, so lange die Markhöhle nicht geöffnet und
der Zahn nicht sehr empfindlich ist. — Gegen den üblen Geruch dienen
spirituöse Mundwasser (Auflösung von kölnischem in gewöhnlichem Was-
ser , Salbeiwasser mit Tinct. gummi Kino und Bergamottöl etc.),
Chlorkalksolutionen, ein Pulver aus gerösteten Kaffeebohnen, Myrrhe und
Calmuswurzel , Einlegen von Baumwolle in die Zahnhöhle , welche mit
Kölnischwasser, Bals. vitae Ho ff m. befeuchtet ist , Ausstopfen mit
Zahnkitt. — Als leztes meist nicht zu umgehendes und in der Mehrzahl
der Fälle durch die heftigen Schmerzen bedingtes Hülfsmittel bleibt noch
die Entfernung des kranken Zahns übrig.
Zahnfistel. Mit diesem Namen bezeichnet man Eitergänge,
welche sich entweder am Zahnfleische oder auf der äussern Haut , an der
Wange, der Basis des Unterkiefers, oder auch am Gaumen öffnen und von
dem erkrankten Periost oder einer nekrotischen Knochenstelle ihren Aus-
gang nehmen. Fast immer liegt dem Leiden ein cariöser Zahn zu Grunde.
Vorher gehen längere Zeit furchtbare reissende Schmerzen voraus. Es
bildet sich eine röthliche weiche Geschwulst an der Stelle des kranken
Zahns , dieser hebt sich merklich in die Höhe , obgleich seine Krone oft
noch ganz gesund ist ; es bildet sich nun unter einigem Nachlass der
Schmerzen ein Abscess im Zahnfleische, welcher gewöhnlich bald an einer
oder mehreren kleinen Stellen aufbricht, aus denen noch lange Zeit hin-
durch dünner Eiter entleert wird. Der kranke Zahn schmerzt bei der
Berührung mit einer metallenen Sonde. Vergl. auch Zahnentzün-
dung. — Man muss zuerst den verdächtigen Zahn ausziehen und dann
zuerst erweichende und später adstringende Mundwasser, Infus, sal-
viae, Tinct. catechu etc. gebrauchen. Schliesst sich die Fistel nicht
bald , so ist entweder eine andere cariöse Zahnwurzel Schuld oder es ist
Necrose des Processus alveolaris zugegen.
Zahnschmerz, Odontalgia. Dieser Schmerz ist, wenn auch
in vielen Fällen nur Symptom einer anderweiten Krankheit des Zahns oder
dessen Umgebung eine dennoch so häufig vorkommende und gleichzeitig
lästige Erscheinung , dass ihm als solche eine Stelle unter den selbststän-
digen Krankheitsformen stillschweigend eingeräumt worden ist. Die den
Schmerz herbeiführenden Grundkrankheiten ist man dadurch genöthigt,
als seine Ursachen zu bezeichnen , und da nun diese sehr oft ausserhalb
des Zahns liegen, ohne dass jedoch bei der innigen Vereinigung der Zähne
mit dem Kieferknochen eine genaue Unterscheidung immer möglich ist, so
zählt der Sprachgebrauch auch jene Schmerzen den Zahnschmerzen bei,
welche in dem Kieferknochen oder dem Zahnfleische ihren Siz haben.
Durch jeden Säftezufluss werden bei $er eingekeilten Lage der Zähne jeder
etwaige Druck , ebenso wie jede Spannung befördert und hierdurch an-
fangs unbedeutende Schmerzen, sehr oft zu einer fürchterlichen Höhe ge-
1100 ZAHNKRANKHEITEN. ZAHNSCHMERZ.
steigert, und ebenso vom Zahn auf seine Umgebung, als auch umgekehrt,
weiter verbreitet. — Die nächste Ursache eines schmerzenden Zahns ist
allemal ein widernatürlicher Reiz des in dem Zahne sich verbreitenden
Nervens, während als entferntere Ursachen alle dynamischen und organi-
schen Krankheiten des Zahns und seiner Umgebung, Congestion, Entzün-
dung, Eiterung, Caries , als noch entferntere aber Erkältungen , das Zer-
beissen harter , den Schmelz der Zähne verlezender Körper , der schnelle
Wechsel zwischen heissen und kalten Genüssen, der Genuss scharfer Säu-
ren , Unreinigkeiten in den ersten Wegen , unterdrückte gewohnte Blut-
flüsse , die Schwangerschaft etc. betrachtet werden müssen. Besonders
disponirt zu Zahnschmerzen sehen wir sensible reizbare Personen, dann
aber auch solche, welche an allgemeinen, das Knochensystem in Anspruch
nehmenden Dyscrasien, wie Gicht, Scropheln, Syphilis leiden. Häufig findet
man die Zahnschmerzen endlich in Gegenden, wo ein öfterer und schneller
Temperaturwechsel stattfindet. — Behandlung. Diese muss nach den
zu Grunde liegenden Ursachen eine verschiedene sein. Bei dem ner-
vösen oder neuralgischen Zahnschmerz, welcher bei übrigens
gesunden Zähnen vorkommen kann und sich durch sehr heftige periodi-
sche Anfälle, die besonders bei Nacht stark auftreten, kennzeichnet, zieht
man innerlich Opium, Morphium, Belladonna, Hyoscyamus, Strammonium,
die Flores zinci etc. in Gebrauch, benuzt äusserlich narkotische Fo-
mente, Cataplasmen, Einreibungen z. B. von Ol. cajeputi mit Opium,
Camphergeist und Schwefeläther, von Chloroform und Süssmandelöl in die
Wange, und wendet Ableitungsmittel an. Ist der Zahn hohl , so be-
schwichtigt man die Reizbarkeit des blossliegenden Nerven am besten
durch die Sicherung vor äussern Einflüssen, daher nach geschehener Rei-
nigung desselben durch Ausfüllen mit Wachs, Blei, Gold (s. Zahn-
fäule) und durch Einlegen narkotischer und reizender Substanzen. Unter
den narkotischen Mitteln hat sich das Opium, die Belladonna, die Cicuta,
der Hyoscyamus, unter den reizenden aber das Pyrethrum, die ätherischen
Oele , die natürlichen Balsame und der Campher einen vorzüglichen Ruf
erworben. Man bringt sie in der Form eingraniger Pillen oder als Tinc-
tur in den hohlen Zahn. Alle angepriesenen Zahnpillen und Zahntinc-
turen enthalten gewöhnlich beide Arten von Stoffen ; z. B. Rp. Extr.
b e 1 1 a d. , — h y o s c, O p i i p u 1 v. ana gr. v , Rad. p y r e t h r. gr. x,
Ol. c a r y o p h. gtt. v. M. f. p i 1. p o n d. gr. j. S. Zahnpillen ; — R p.
Tinct. theb aic, Extr. cicut., — di git. purp, anagr. iij, Pul v.
rad. pyrethri q. s. ut f. pil. gr.j. S. Zahnpillen. Weitere wirksame
Zusammensezungen sind: Rp. Creosot. ►)]$ , Pulv. rad. alth. q. s.
ut f. pil. pond. gr.j. S. Zahnpillen; — Rp. Creosot. gtt. viij,
Ale oh. vini 5j. M. D. S. Mit Baumwolle in den hohen Zahn zu brin-
gen; — Rp. Tinct. op. simpl. , Naphth. vitriol. ana 5ß. D. S.
Desgleichen; Rp. AI um. pulv. 5 j , Spirit. nitr. dulc. §ß. M.
S. Desgleichen. Eines der am schnellsten wirkenden Mittel ist das
ZAHNKRANKHEITEN. ZAHNSTEIN. 1101
Chloroform , welches man mitBaumwolle in den Zahn bringt. Als sehr
gutes Mittel empfiehlt Carus: Rp. Tinct. guajac. 5vj, Tinct. va-
ler. 5J, Syr. Cochlea r. , Tinct. benzoes compos. ana 5ij,
Land. liq. Syd. 3j- M. S. Einen Theelöffel voll davon mit einer Tasse
warmen Wassers in den Mund zu nehmen. Die Wirkung aller dieser Mit-
tel pflegt in der Regel nur eine momentane oder wenigstens keine nach-
haltige zu sein. — Zur Vernichtung des in die Zahnpulpe eindringenden
Nervenästchens oder wenigstens der Pulpa bringt man ein Stückchen
Höllenstein , Aezkali oder Chlorzink in die Zahnhöhle ; doch vermeidet
man die lezteren beiden Mittel, wegen ihrer leichten Zerfliessbarkeit, bes-
ser. Das sicherste und unschädlichste Zerstörungsmittel ist ein entspre-
chend gebogener glühender Draht , am besten ein Platindraht , welcher
kalt eingeführt und dann durch den galvanischen Strom glühend gemacht
wird. S. Electrotherapie. — Der entzündliche Zahn-
schmerz, welcher sich durch einen lebhaft klopfenden Schmerz , durch
Röthe und Geschwulst des Zahnfleisches, heisse Mundhöhle und zuweilen
geröthete Wange zu erkennen gibt, erheischt das Anlegen von Blutegeln,
Scarificiren des Zahnfleisches, kühlende Laxantia und Ableitungsmittel.
Bei schwächlichen oder zu Krämpfen geneigten Personen sezt man an die
Stelle der antiphlogistischen Mittel krampfstillende, Derivantia und Ruhe.
Ist der Zahn hohl , so wendet man örtlich die kalten Narcotica an. —
Der rheumatische Schmerz kann auf einen hohlen Zahn beschränkt
sein , sehr häufig tobt aber ein heftiger Schmerz in mehreren Zähnen,
selbst in einer ganzen Kieferreihe , wobei nicht selten auch eine ganze
Kopf- und Halsseite krankhaft ergriffen werden kann. Neben einer dia-
phoretischen, antirheumatischen oder antiarthritischen Behandlung, welche
durch warme Bedeckung der leidenden Gesichtshälfte mit Flanell oder
einer Cataplasme von Hyoscyamus, durch den Aufenthalt des Kranken im
Bette unterstüzt wird , dienen hier besonders Ableitungen durch Sinapis-
men und Vesicantien, das Einreiben einer Auflösung des Alcohol sul-
phurat. und Campher in Weingeist in die Wangen, das Einlegen von
Baumwolle in den äussern Gehörgang, welche mit ätherischen Oelen oder
scharfstoffigen Mitteln befeuchtet sind. Sind die Schmerzen sehr heftig,
so kann durch das eine oder andere der bei dem nervösen Zahnschmerz
angegebenen Zahnmittel eine Linderung verschafft werden.
Zahnstein, Calculus dentalis, auch Weinstein ge-
nannt, besteht aus einem Niederschlage der im Speichel enthaltenen Salze
(hauptsächlich kohlensaurem Kalk) auf die Zähne und kommt hauptsäch-
lich bei solchen Personen vor , welche die Reinigung ihres Mundes ver-
nachlässigen oder durch anderweitige Erkrankungen verhindert sind, die-
selbe auszuführen. Inzwischen beobachtet man diese Incrustationen nicht
selten auch da , wo die grösste Sorgfalt auf Mund und Zähne verwendet
wird. Wahrscheinlich hat auch eine fehlerhafte Mischung des Speichels
Einfluss auf die Bildung des Weinsteins. Am häufigsten legt er sich an
1102 ZAEHNE, UEBERZAEHLIGE.
die untern Schneidezähne. Er ist von gelblicher, an der Oberfläche bräun-
licher, ja schwärzlicher Farbe und bildet oft Massen von mehreren Linien
Dicke und in einer Ausdehnung, dass eine ganze Zahnreihe zu einem zu-
sammenhängenden Stücke verbunden ist. Er kann in das Zahnfach bis
zu den Wurzeln vordringen , wodurch eine Ablösung und Verdrängung
des Zahnfleisches und damit ein Lockerwerden des Zahns bedingt wird.
— Zur Verhütung solcher Ablagerungen dient das gehörige Puzen der
Zähne. Man bedient sich hierzu einer weichen Bürste , welche in der
Art bewegt werden muss , dass das Zahnfleisch dabei nicht verlezt oder
vom Zahnhalse abgelöst wird. Die Bürste wird mit schwach lauwarmem
Wasser angefeuchtet und kann ausserdem noch in Zahnseifen, Zahnpasten
oder Zahnpulver eingetaucht werden. Die meisten dieser medicamentösen
Substanzen haben eine solche Zusammensezung , dass sie neben der Be-
förderung der Reinigung noch die Erschlaffung oder Ablösung des Zahn-
fleisches verhüten. Die gebräuchlichsten Formeln von Zahnpulvern sind :
Rp. Pulv. carbon. lign. tiliae sjj, — cort. quere. 5üj, Ol. ca-
ryoph. gtt. vj. MD. — Rp. C onch. pr aep. Jj , Cortic. peru-
vian., Rad. calami arom. ana ^ß. M. F. Pulv. S. Stärk. Zahnpulv.
— Rp. Conch. praep. 5vj, Rad. irid. florent. 3j, Coccionell.
gr. v, AI um. pulv. gr. viij, Ol. caryoph. gtt. vj. M. f. pul v. sub-
tiliss. D. — Rp. Pulv. lign. santal. rubr. ^ß , Aluni. crud.
5ß , Pulv. cort. p er u vi an. 5ij , Ol. caryoph., — bergamott.
ana gtt. vj. M. f. pulv. Hufeland'sches Zahnpulver. — Bei grosser
Neigung zur Zahnsteinbildung bürstet man die Zähne mit echtem Wein-
essig oder benüzt folgendes Pulver: Rp. Pulv. rad. calam. aromat.
5$, — carb. lign. tiliae 5jß, Sodae carbon. ^j. M. — Als blei-
chendes Zahnpulver ist empfohlen: Rp. Calcar. chlorat. gr. viij,
Corall. rubr. seu Pulv. rad. irid. florent. ^ß, Ol. caryoph.
gtt. j. M. Gelingt die Entfernung der Incrustationen mit der Bürste
nicht , so müssen sie entweder mit besondern verschieden geformten In-
strumenten vorsichtig entfernt, oder aber, wenn durch die Wegnahme der-
selben die Festigkeit der Zähne beeinträchtigt oder das Zahnfleisch einer
bedeutenderen Verlezung ausgesezt würde, lieber ganz unberührt gelassen
werden.
Zähne, überzählige. Es ereignet sich nicht selten, dass wenn
ein Milchzahn über die bestimmte Zeit seine Festigkeit behält, der Zahn,
welcher an seine Stelle treten sollte , nach einer andern Richtung wächst
und daher entweder an der äussern oder innern Seite des Alveolarrandes
hervordringt. Auch in Folge eines Missverhältnisses zwischen der Aus-
dehnung des Alveolarrandes und der Breite der Zähne kommt es zuweilen
zur Verdrängung einzelner Zähne , welche dabei entweder schief gestellt,
oder an einer abnormen Stelle des Alveolarrandes nach aussen getrieben
werden. — Unrecht stehende Zähne hindern das Kauen , das Sprechen,
verunstalten das Gesicht und verursachen selbst Verlezungen der weichen
ZAHNKRANKHEITEN. VERLEZUNGEN. 1103
Theile. — Gewöhnlich besteht die Indication, den Milchzahn, welcher die
gehörige Entwicklung des zweiten Zahns hindert , auszuziehen und den
leztern durch öfters wiederholten Druck in seine natürliche Richtung zu
bringen. Wenn dies aber einen günstigen Erfolg haben soll, so darf die
zwischen beiden Zähnen befindliche Scheidewand nicht zu dick , die ab-
norme Richtung nicht zu bedeutend und die Breite des zweiten Zahns
nicht zu gross im Verhältniss zu dem ersten sein. Ist dies der Fall, und
steht der erste Zahn völlig fest , so ist es zweckmässiger , den unrichtig
stehenden Zahn auszuziehen und den Michzahn zu erhalten. — Beim
Schiefstand eines Zahns, wegen Mangel an Raum, ist es nothwendig, den.
schief stehenden Zahn auszuziehen, worauf in der Regel die übrigen durch
Nachrücken die entstandene Lücke ausfüllen. Sehr häufig kommt eine
solche schiefe Stellung an dem Eckzahn vor ; zieht man aber diesen aus,
so entsteht eine entstellende Lücke. Für solche Fälle ist es daher, wenn
die Richtung des Eckzahns nicht allzu abweichend ist , gerathener , den
ersten Backzahn zu entfernen, wornach man Hoffnung hat, den Eckzahn
in die Reihe eintreten zu sehen.
Zahnverlezungen. Die Zähne sind der Verrenkung und dem
Bruche ausgesezt. Bei der Verrenkung wird der Zahn entweder ganz
aus seiner Verbindung gelöst oder er bleibt noch mit einem Theile des
Zahnfleisches in Verbindung. In dem einen wie in dem andern Falle
kann der Zahn erhalten werden , wenn man ihn alsbald wieder in seine
Höhle hineindrückt und in dieser Stellung durch Schonung allein oder
durch Befestigung an seine Nachbarn mehrere Tage lang ruhig erhält.
Das Festwachsen eines solchen Zahns geschieht wahrscheinlich, indem
das vom Periost der Alveole gelieferte Exsudat rings um seine Wurzeln
verknöchert. Eine Gefäss- und Nervenverbindung stellt sich nicht wie-
der her ; der Zahn bleibt unempfindlich, auch verliert er seinen Glanz. —
Fracturen der Zähne kommen nicht selten vor, häufig verbinden sie
sich mit der Verrenkung , indem bei dieser eine oder alle Wurzeln ab-
brechen. Dies hindert indessen das Einheilen des Zahns nicht. Die
fracturirte Stelle der Wurzel wird von einem Callus umfasst, welcher mit
der an dieser Stelle im normalen Zustande sich vorfindenden Substan-
tia ostoidea in seiner Structur völlig übereinstimmt. Anders verhält
es sich bei Absprengungen von Theilen der Krone ; von einem Anheilen
solcher kann keine Rede sein , es kann sich nur fragen , ob ein solcher
Zahn ganz entfernt oder das zurückbleibende Zahnstück zur Befestigung
eines künstlichen Zahns benuzt werden soll.' Bei Absprengungen kleiner
Stücke oder bei Sprüngen in den Zähnen kann der Zahn zunächst erhal-
ten werden, nur ist zu erwarten, dass er durch die Blosslegung der S u b-
stantia tubulosa einer baldigen Zerstörung anheimfallen werde. Je-
doch kann in der Substantia tubulosa auch eine Exsudation er-
folgen, durch welche sie verdichtet und dadurch widerstandsfähiger
wird. — Häufiger als durch mechanische Verlezungen leiden die Zähne
1104 ZELLGEWEBSENTZUENDUNG.
durch die Einwirkung chemischer Agentien, unter welchen besonders
die mineralischen Sauren sich verderblich zeigen. Sie zerstören den
Schmelz der Zähne und überliefern ihn dadurch der weitern schädlichen
Einwirkung äusserer Einflüsse.
Zäpfchen, Krankheiten desselben. An dem Zäpfchen
beobachtet man eine Missbildung, Entzündungen und eine Vergrösserung.
Entzündung des Zäpfchens, Angina tonsillaris,
kommt meistens im Gefolge der allgemeinen Halsentzündung vor , wobei
dasselbe allerdings nicht selten, vorzugsweise entzündet ist, zuweilen eine
ödematöse Anschwellung des Zäpfchens bemerkt wird. — Die Behand-
lung dieser Entzündung fällt mit derjenigen der Angina zusammen, von
der sie einen Theil bildet. S. Angina. Bei bedeutenderem Oedem
scarificirt man das Zäpfchen mit einem feinen Messer.
Missbildung des Zäpfchens. Diese besteht in einer Spal-
tung desselben, Uvula bifida, welche, wenn sie sich auf das Zäpfchen
beschränkt, wenig oder gar keine Beschwerden verursacht, weswegen für
sie keine Hülfe in Anspruch genommen wird. Häufig erstreckt sich die
Spaltung aber zugleich auch auf das Gaumensegel und selbst auf den
knöchernen Gaumen, womit sehr bedeutende Beschwerden verbunden sind.
Ueber die Behandlung dieser Deformität s. den Art. Gaumen.
Vergrösserung des Zäpfchens, Hypertrophia Uvu-
la e , entsteht nicht selten in Folge langwieriger , oft wiederkehrender
Entzündungen. Das Zäpfchen hängt dabei bis auf den Rücken der Zunge
herab und erregt dadurch Husten , Ekel und Erbrechen , erschwert auch
die Sprache und macht sie undeutlich. — Bei geringeren Graden von Ver-
längerung wendet man adstringirende Gurgelwasser von Eichenrindende-
coct mit Alaun , Tinctura catechu, pimpinellae, Berühren mit
scharfen reizenden Stoffen (Pfeffer), mit Höllenstein u. dgl. an. In höhe-
ren Graden ist die Abkürzung des Zäpfchens, Abscissio uvu-
lae, angezeigt. Man fasst es zu diesem Behufe mit einer Korn-, Polypen-
oder Hakenzange und trägt es mit einer Scheere oder einem concaven
Knopfmesser ab, Den Mund hält man während der Operation durch zwi-
schen die Backzähne gelegte Korkstücke offen. Die Blutung steht gewöhn-
lich auf die Anwendung kalter Gurgelwasser von Essig und Wasser , Be-
rühren mit T h e d e n ' s Schusswasser , im schlimmsten Fall wendet man
das Glüheisen an. — Befürchtet man zum Voraus eine bedeutende Blu-
tung, so kann man die Abtragung auch mittels der galvano-caustischen
Schneideschlinge vornehmen (s. Electrotherapie).
Zellgewebsentzündung, Phlegmone (von (pXsyco, ich
brenne). Das Zellgewebe ist sehr häufig der Siz von Entzündung, die
entweder ursprünglich in ihm auftritt , oder durch Weiterverbreitung von
andern Gebilden, z. B. der 'äussern Haut, der Beinhaut , den Fascien aus
entsteht. Sie tritt vorzüglich in dem subcutanen Zellgewebe auf
ZELLGEWEBSENTZUENDUNG. 1105
(Phlegmone subcutanea), wird jedoch sehr oft auch in den weichen
Theilen unter den Fascien beobachtet (Phlegmone subfascialis).
— Die Ursachen dieser Entzündung kommen grösstenteils mit den
bei der Entzündung im Allgemeinen angegebenen überein und sind haupt-
sächlich: fremde Körper, Wunden, besonders Stich- und Schusswunden,
Fracturen mit Splitterung der Knochen, tiefe Verbrennungen. Auch Er-
kältungen und Unterdrückung der Hautthätigkeit können sie veranlassen.
Mitunter sieht man sie ohne irgend eine erkennbare Ursache gleichsam
spontan auftreten. Junge , kräftige Subjecte sind ihr besonders ausge-
sezt. Im Verlaufe mancher Fieber haben sie oft eine kritische Bedeu-
tung. — Symptome. Der Entzündung gehen bald fieberhafte Sym-
ptome vorher , bald folgen diese. Ersteres ist gewöhnlich bei den aus
innern Ursachen entstehenden Entzündungen der Fall , lezteres bei den
wahren Phlegmonen, besonders wenn diese sehr heftig sind und sehr reiz-
bare Subjecte betreffen. Die örtlichen Erscheinungen sind verschieden,
je nachdem die Entzündung in subcutanem oder subfascialem Zellgewebe
ihren Siz hat. Bei der subcutanen Zellgewebsentzündung treten die
Erscheinungen deutlicher hervor. Es stellen sich Schmerz, erhöhte Tem-
peratur, Anschwellung . Spannung und eine symptomatische Röthung der
Haut ein. Je nach der Heftigkeit und Andauer der erzeugenden Ursache
beschränken sich diese Symptome entweder auf eine kleinere Stelle , in-
dem sich eine rundliche Entzündungsgeschwulst bildet (circumscripte
Zellgewebsentzündung) , oder sie breiten sich weiter aus , so dass oft ein
ganzes Glied schmerzhaft, geschwollen und geröthet wird (diffuse
Zellgewebsentzündung). — Bei der s üb fas cialen Zellgewebsentzün-
dung treten einzelne dieser Erscheinungen stärker hervor, während andere
weniger in die Augen fallen. Die unnachgiebigen Fascien stellen sich
der Ausdehnung der entzündeten Gewebe mehr entgegen , daher ist die
Anschwellung des Theils geringer , dagegen Spannung und Schmerz hef-
tiger. Auch die Röthe der Haut ist geringer und stellt sich erst spät ein,
bald aber erscheint in Folge einer serösen Infiltration ein subcutanes
Oedem. — 1) Umschriebene Zellhautentzündung, Phleg-
mone circumscrip ta. Die phlegmonöse Geschwulst ist mehr oder
weniger umfangreich, umschrieben, in die Tiefe sich erstreckend, hart, re-
sistent, tief geröthet, besonders im Mittelpunkte, und so , dass die Röthe
auf Druck nicht weicht oder doch sehr schnell wiederkehrt. Der Schmerz
äussert sich als ein Gefühl von Stechen , Reissen und Spannen , die Hize
hat, wenigstens im Anfange, nicht das eigenthümlich Brennende , wie bei
der wahren Rose ; erst wenn sich die Entzündung gegen die Haut hin
ausbreitet, nimmt sie diesen Charakter an. — 2) Verbreitete Zell-
gewebsentzündung, phlegmonöses Erysipelas, Pseudo-
erysipelas, Phlegmone diffusa. Diese Form der Entzündung
entsteht am liebsten, wenn bei Vorhandensein einer erysipelatösen Diathese
im Körper eine Wunde , sei sie auch noch so unbedeutend , mit unreinen
Burger, Chirurgie. 70
1106 ZELLGEWEBSENTZUENDUNG.
Stoffen (Leichen- oder anderem Gift, verdorbenem Eiter etc.) in Berüh-
rung kommt. Seltener pflanzt sich ein Erysipelas auf das Unterhautbinde-
gewebe fort. Die Entzündung kündigt sich meistens durch ein Leiden
des Digestivapparats an , welches oft während des ganzen Verlaufs der
Krankheit fortbesteht. Zunächst macht sich an der betreffenden Stelle
ein Gefühl von Schwere , Jucken und eine Empfindung bemerklich , als
bestände in der Tiefe eine Quetschung. Es stellt sich eine Röthe ein,
welche in der Mitte dunkel, im Umkreise blass und rosig gefärbt ist; ein
Druck mit dem Finger, welcher zuweilen ein teigiges Gefühl gibt, macht
die Röthe an dieser Stelle verschwinden , worauf sie nur langsam wieder
erscheint. Bei tiefem Size der Krankheit tritt die Röthe der Haut in-
dessen oft nicht eher auf, als bis das Leiden schon bedeutende Fort-
schritte gemacht hat. Bald lässt sich die Haut nicht mehr eindrücken ;
sie leistet Widerstand , als läge sie auf einem Brette ; dabei findet sich
eine brennende Hize, ein stechender Schmerz und es erheben sich Blasen;
endlich treten die allgemeinen entzündlichen Erscheinungen mit Heftig-
keit auf. Im weiteren Verlaufe der Krankheit breitet sich die Entzün-
dung über die benachbarten Theile aus; die Anschwellung wird beträcht-
licher, der Schmerz lebhafter, es stellt sich ein Gefühl von Spannung und
Einschnürung an der kranken Stelle ein und es machen sich nervöse Sym-
ptome, gewöhnlich durch einen starken Frostschauer eingeleitet, bemerk-
lich. Unter Nachlass der Erscheinungen wird die leidende Stelle nun
wieder teigig, was den Eintritt der Eiterung anzeigt. Diese erreicht bald
eine solche Ausdehnung , dass die Haut auf grosse Strecken von dem an-
gesammelten Eiter in die Höhe gehoben , verdünnt , abgelöst, missfarbig
und brandig wird. Damit treten Symptome allgemeiner Schwäche und
die Folgen der Aufsaugung des Eiters sehr stark hervor , weshalb man
dieser Krankheit auch den Namen Brandrose, Erysipelas gan-
graenosum gegeben hat. Die Eröffnung des Abscesses fördert eine
grosse Menge stinkenden Eiters und zerstörten Bindegewebes zu Tage. —
Verlauf. Es gibt eine chronische und eine acute Zellgewebsentzün-
dung. Die chronische Entzündung findet sich bei fortwirkenden be-
schränkten Entzündungsreizen und bei alten geschwächten Subjecten.
Man trifft sie namentlich in der Umgebung alter Abscesse und Fistel-
gänge , chronischer Geschwüre , wo sie öfters eine Art hypertrophischer
Verhärtung erzeugt, welche unter dem Namen Callosität bekannt ist.
Die acute Entzündung tritt hingegen bei jüngeren kräftigen Individuen,
heftigeren Entzündungsreizen und grosser Nervenreizbarkeit auf. — Aus-
gänge. Die Zellgewebsentzündung kann sich zertheilen, aber auch ex-
sudative Processe und Brand zur Folge haben. Der günstigste, übrigens
seltenste Ausgang ist die Zertheilung. Sie tritt ein , wenn die Ent-
zündung nicht sehr heftig war und an einer Stelle auftrat, wo wenig Fett
liegt. Meistens kommt es zur Bildung von Exsudaten, welche
aber verschieden und oft gemischt sind. Es kommen drei Hauptarten von
ZELLGEWEBSENTZUENDUNG. 1107
Exsudaten vor, wonach man eine seröse, fibrinöse und eiterige Zellgewebs-
entzündung unterscheidet. 1 ) Die seröse Phlegmone stellt das ent-
zündliche Oedem dar. Dasselbe tritt ein bei schwächeren Graden der
Entzündung. Vergl. Oedem. — 2) Die fibrinöse Phlegmone.
Das bei dieser Entzündung gesezte faserstoffige Exsudat gerinnt rasch in
den Maschen des Zellgewebes , wodurch die Entzündungsgeschwulst eine
besondere Härte bekommt. Das festgewordene Exsudat kann in eine
entzündungslose Induration übergehen , oder es kann sich im Umfange
desselben schmelzende Eiterung und Abscessbildung mit Ausstossung ab-
gestorbener Zellgewebsreste ohne beträchtlichen Einfluss auf den Umfang
und die Härte der Geschwulst einstellen (Furunkel , Carbunkel).
In andern Fällen wird der geronnene Faserstoff wieder flüssig und ent-
weder resorbirt, womit die Geschwulst schwindet oder es findet eine eite-
rige Umwandlung statt, wodurch der folgende Zustand herbeigeführt wird.
— 3) Die purulente Phlegmone erzeugt in der circumscripten
Form die heissen Abscesse , in der ausgebreiteten das Pseudoerysipelas,
wobei mit der Eiterbildung mehr oder weniger Zerstörung des Gewebes
verbunden ist. Bei sehr heftiger Entzündung ist dieser Ausgang fast un-
ausbleiblich. Oft geht eine vorwaltend fibrinöse Ausschwizung vorher, wo
dann die anfangs sehr harte entzündliche Anschwellung eine eiterige Er-
weichung erfährt, an einzelnen Stellen weich wird, und auf einen gemach-
ten Einschnitt Eiter mit faserstoffigen Gerinnseln undEesten abgestorbe-
nen Gewebes entleert. In andern Fällen bildet sich das flüssige Exsudat
unmittelbar zu Eiter um , besonders wenn es metastatisch in Folge einer
Diathesis purulenta entstanden ist. Gleich nach den Entzündungs-
erscheinungen , die sehr unmerklich sein können , stellt sich dann mehr
oder weniger Fluctuation ein. Sich selbst überlassen treten nun oft sehr
bedeutende Zerstörungen ein , indem ein grosser Theil des subcutanen
und subfascialen Zellgewebs zu Grunde gehen kann , so dass die Haut
ganz unterminirt ist, Fascien, Gefässe und Muskeln entblösst , wie präpa-
rirt liegen. An den mit Blasen besezten Stellen der Haut bricht diese
durch und bildet unregelmässige grosse Oeffhungen mit unreinen Rändern.
Crosse Massen von Eiter und Exsudatpfröpfen und Zellgewebsflocken kom-
men zum Vorschein. Bei bedeutenderen Fällen dieser Art dauert nun die
Eiterung in furchtbarem Grade , grosse Hautstücke gehen verloren durch
Absterben oder Ulceration, an die Stelle des mehr entzündlichen Fiebers
treten die Zufälle der Hectik und der Kranke stirbt entweder an fort-
dauerndem Säfteverlust oder an Eiterresorption und Pyämie ; in andern
Fällen kann in Folge der Erosion und Perforation der Gefässe eine tödt-
liche Blutung eintreten. — In glücklicher verlaufenden Fällen vermindert
sich allmälig die Eiterung ; es bilden sich Granulationen und durch Neu-
bildung von Bindegewebe werden die Verbindungen zwischen den ent-
blössten Theilen wiederhergestellt, doch bleiben gewöhnlich noch längere
Zeit Spannung . geringere Beweglichkeit und atrophischer Zustand des
70*
1108 ZELLGEWEBSENTZUENDUNG.
Theils zurück. — Brand ist stets zu fürchten, wenn die Entzündungs-
geschwulst in ihrer Entwicklung durch fibröse Häute gehemmt wird. Eine
schwache Constitution, eine zerrüttete Gesundheit u. dgl. begünstigen das
Eintreten dieses Ausgangs. Ist er weit verbreitet und fortschreitend, so
ist er sehr bedenklich ; auf einen kleinen Raum beschränkt , kann er die
Beendigung der Krankheit beschleunigen, indem er durch die Zerstörung
der Gewebe dem Eiter freien Abfluss verschafft. — Prognose. Bei
der umschriebenen Zellgewebsentzündung ist die Prognose nicht bedenk-
lich, wenn ihr Siz oberflächlich, sie wenig ausgebreitet und aus einer äus-
sern Ursache hervorgegangen ist ; unter den gegentheiligen Verhältnissen
kann sie, besonders wenn sie in der Nähe eines wichtigen Theils auftritt,
schlecht, jedenfalls zweideutig sein. — Bei dem phlegmonösen Ervsipelas
ist die Prognose um so bedenklicher, je ausgebreiteter dasselbe ist und je
allgemeiner wirkend die Veranlassungen desselben sind. — Behand-
lung. Diese muss eine streng antiphlogistische sein und zwar spielen
hier, da man es mit der Entzündung eines eingeschlossenen Gewebes und
einer dadurch bedingten Spannung der Theile zu thun hat , die Blutent-
ziehungen eine Hauptrolle ; demnächst erweisen sich bei acuter Entzün-
dung anhaltende kalte Umschläge von Bleiwasser, der innerliche Gebrauch
von Salpeter, Brechweinstein, Calomel oder Laxirsalzen neben einer anti-
phlogistischen Diät von Nuzen. Bei der fibrinösen Phlegmone besonders
müssen wiederholt Blutegel in grosser Anzahl angesezt werden; die Kälte
muss indessen hier gemieden werden, um nicht die Gerinnung des Exsu-
dats zu befördern. Nach gehöriger Blutentziehung bedeckt man den
Theil mit dicken , erweichenden Cataplasmen und reibt Quecksilbersalbe
ein, damit das Exsudat wieder verflüssigt und wo möglich zur Resorption
gebracht wird. Nimmt die Geschwulst einen torpiden Charakter an, so
legt man behufs der Erweichung Zugpflaster auf, macht Ueberschläge mit
einer Sublimatsolution etc. Zeigt sich eine weiche und fluctuirende Stelle
oder kann man aus andern Erscheinungen auf Gegenwart von Eiter in der
Tiefe schliessen , so macht man einen Einschnitt bis auf den Eiterherd
und legt dann erweichende Cataplasmen auf. — Bei dem phlegmonösen
Erysipelas können im Entstehen des Uebels Aderlässe von grossem Nuzen
sein , doch nur bei kräftigen Personen ; auf die entzündete Stelle selbst
sezt man Blutegel in grosser Zahl, um die Entzündung zu massigen. Die
Eiterung wird dadurch nicht verhütet, wohl aber kann diese dadurch ober-
flächlicher und begrenzter gemacht werden. Frühzeitige Einschnitte haben
sich hier von grossem Nuzen erwiesen ; sie erregen nicht nur eine wohl-
thätige Blutung , sondern sie heben auch die grosse Spannung der ent-
zündeten Gewebe auf. Innerliche Mittel sind dabei von geringem Nuzen ;
doch kann man Nitrum und andere kühlende Salze bei schmaler Diät und
säuerlichen Getränken geben. Kalte Umschläge nüzen nicht viel. Als
ein sehr wirksames Mittel wird von den Franzosen die Anwendung eines
Blasenpflasters auf den Mittelpunkt des Uebels angepriesen. Fängt die
ZELLGEWEBSVERHAERTUNG. 1109
Geschwulst an teigig zu werden , ein untrügliches Kennzeichen der Eite-
rung, so darf man nicht zögern , die Haut an mehreren Stellen in grosser
Ausdehnung zu spalten und die Aponeurosen durch Einschnitte zu ent-
spannen, wenn unter denselben Eiter sich befinden sollte. Man macht die
Einschnitte mit der Längenachse des Gliedes parallel laufend und vermei-
det wichtige Gefässe und Nerven. Die nächste Behandlung besteht in
der Reinigung der Wunden , in Aussprizungen und Breiumschlägen.
Nimmt unter dieser Behandlung die Eiterung ab und fängt die Haut an
sich anzulegen, so kann man diesen Heilungsprocess durch einen leichten
Druckverband unterstüzen ; nebenbei sezt man an die Stelle der Breium-
schläge Umschläge von Chamilleninfus. Wird dagegen die Eiterung pro-
fus, tritt ein Zustand von Schwäche ein, so sindTonica angezeigt, äusser-
lich Umschläge von aromatischen Kräutern, Wein, innerlich China mit
Schwefelsäure nebst einer nahrhaften kräftigen Diät. — Auf gleiche Weise
verfährt man bei der gangränösen Zellgewebsentzündung , wenn sie
Folge eines allgemeinen Schwächezustandes ist. — In seltenen Fällen,
namentlich wenn sich die Zerstörungen in Gelenke erstrecken , kann die
Amputation oder Exarticulation des ergriffenen Gliedes nöthig werden.
Nach Stromeyer darf man sich nicht scheuen, in den kranken Theilen
zu operiren.
Zellgewebsverhärtung, Induratio telae cellulosae,
macht sich kenntlich durch Auftreibung, Steifigkeit, Unbeweglichkeit und
Schwere der leidenden Theile, und ist oft noch mit einer mehr oder min-
der starken entzündlichen Reizung , in deren Folge sie entstand, verbun-
den, daher sie auch die anatomischen Kennzeichen des chronisch entzün-
deten Zellgewebes in ausgezeichnetem Grade an sich trägt. So lange die
von der Entzündung gesezten Exsudate noch nicht festgeworden sind,
nimmt es den Eindruck des Fingers wie ödematöse Theile an , und die
entstandene Grube gleicht sich nur sehr langsam aus. Nach und nach
wird aber die ergossene Masse immer fester und härter (sclerosirt) und
verschmilzt mit dem Zellgewebe zu einer dichten, callösen, beim Einschnei-
den kreischenden , bisweilen speckartigen Masse , wie wir dies z. B. im
Umkreise alter Geschwüre wahrnehmen. Am häufigsten findet man das
subcutane Zellgewebe verhärtet, wenn tiefgreifende Rosen wiederholt einen
Theil befallen hatten , oder um Geschwülste herum , die entweder die in
ihnen wirkende krankhafte Thätigkeit auf das umgebende Gewebe über-
trugen oder auch nur auf mechanische Weise durch den ausgeübten Druck
eine langdauernde entzündliche Reizung in ihm hervorriefen. Wir finden
dies um aufgetriebene Drüsen, Tuberkel etc. — Die Behandlung ist die
der Verhärtung überhaupt. — Die Zellgewebsverhärtung der
Neugeborenen, Scleroma textus cellulosi, welche nach
Engel mehr eine Affection des Coriums als des Unterhautzellgewebes
darstellt, scheint eine selbstständige, vielleicht durch Störung der Haut-
1110 ZERTHEILENDE MITTEL.
function veranlasste Entzündung mit Exsudatbildung in das Corium und
Unterhautzellgewebe zu sein , wofür spricht , dass das Uebel häufiger in
öffentlichen Anstalten , als in der Privatpraxis , namentlich im nördlichen
Frankreich angetroffen wird , wo bei den grossen Sälen der Findelhäuser
und Hospitäler die Feuerung mittels der Kamine nicht hinreichend ist.
Die Krankheit zeigt sich als eine massige , aber sehr harte, brettähnliche
Anschwellung mit röthlichgelblicher Färbung vorzüglich am untern Theile
des Rumpfs , an den Oberschenkeln und Wangen. — Leztere Form der
Zellgewebsverhärtung gehört indessen nicht vor das Forum des Wundarztes.
Zertheilende, auflösende Mittel, Resolventia, Dis-
cutientia, sind im weitern Sinn alle diejenigen Mittel, welche die Zer-
theilung bei Entzündungen bewirken, also alle Antiphlogistica frühzeitig
genug angewandt: als Aderlass , Blutegel, Nitrum, nach Umständen die
Kälte, die Wärme etc. Im engern und gewöhnlichen Sinn begreift man
aber unter diesem Namen eine Anzahl mehr oder weniger erregender
Mittel , welche zum Theil dadurch wirken , dass sie zuerst die Haut und
nach und nach die tieferen Theile gelinde reizen, dadurch den Stoffwech-
sel , d. h. die Umwandlung des Bluts in feste organische Substanz und
dieser wieder in Blut bethätigen , somit also Stockungen der organischen
Säfte lösen und krankhaft abgesonderte Flüssigkeiten und extravasirtes
Blut und Lymphe zur Resorption bringen, zum Theil dadurch, dass sie
durch ihre gelind adstringirenden Eigenschaften den geschwächten klei-
nen Gefässen ihren Tonus wieder geben. In offenen Geschwüren und
eiternden Wunden vermehren sie die Eiterung und befördern dadurch die
Absonderung der abgestorbenen oder sonst verdorbenen Theile von den
gesunden und die Bildung der Granulationen, weshalb sie zum Theil auch
als eiterungsbefördernde und reinigende Mittel dienen. Einige derselben
widerstehen auch der Fäulniss und sind daher als Antiseptica zu gebrau-
chen. Vergl. reinigende und fäulniss widrige Mittel. — Die
Mittel, welche hier zur Anwendung kommen, werden aus den verschieden-
sten Klassen des Arzneischazes genommen und unter verschiedenen For-
men, als Fomente , Waschungen , in Salben- und Dunstform angewendet.
Eine sehr häufige Anwendung finden gewürzhafte, ätherisches Oel haltige
Kräuter, Blumen, Wurzeln, Samen und Früchte, wie Salbei, Pfeffermünz,
C2uendelkraut, Thymian, Ysopkraut, Lavendel, Rosmarin, Chamillen, Ho-
pfen , Heublumen etc. , Gewürznelken , Kaffeebohnen, Wachholderbeeren
etc. , welche theils mit Wasser oder Wein infundirt , für sich allein oder
mit Salzen vermischt , zu feuchtwarmen Umschlägen oder Bähungen , zu
reinigenden Einsprizungen und zu allgemeinen und örtlichen Wasser- und
Dampfbädern , theils in Kräuterkissen zu trockenen Bähungen angewen-
det werden. Eine sehr häufig verwendete Composition sind die S p e c i e s
cephalicae s. aromaticae. Ferner kommt eine Reihe ätherischer
Oele, wie das Terpentin-, Wachholder-, Anis- , Cajeput-, Lavendel-, Cha-
ZERTHEILENDE MITTEL. 1111
millenöl etc. für sich oder in Verbindung mit Fett , namentlich aber der
Kampher , und zwar in trockener Form , als Dunst , in Weingeist, Essig
oder Oel gelöst, so wie in Weingeist gelöst und mit Seife verbunden (L i-
nimentum saponata-camphoratum s. Bals. opodeldoc)
zur Anwendung. Nicht minder werden die ätherisch-öligen Geister , wie
das Kölnische Wasser, der Lavendel-, Pfeffermiinz-, Melissen-, Quendel-
geist etc. als Einreibungen benuzt. — Von grosser Wirkung sind die na-
türlichen Balsame , Schleimharze und Harze , welche für sich allein zu
Päucherungen , hauptsächlich aber in mannigfachen Verbindungen als
Pflaster und Salben , namentlich bei sogenannten kalten Geschwülsten,
Drüsenverhärtungen, serösen Ergüssen und Entzündungen tiefer gelegener
Gebilde, z. B. der Gelenke angewendet werden ; die gebräuchlichsten
sind : der Terpentin, der Copaivabalsam, das Benzoeharz, der Storax, die
Myrrhe, das Ammoniakharz, das Mutterharz, der Stinkasant , der Mastix,
das Fichtenharz etc. Verschiedene brenzliche Oele werden theils mit
Fett oder abgezogenen Geistern zu Einreibungen , theils in Verbindung
mit zertheilenden Pflastern und Salben gebraucht. Solche sind das
Steinkohlen-, Stein-, Judenpech-, Wachs-, Seifen-, Hirschhornöl, das Kreo-
sot. — Zur Zertheilung indolenter Drüsenverhärtungen, anfangender kal-
ter Abscesse u. dgl. zieht man Mittel aus der Klasse der Acria in Ge-
brauch, wie die Arnica, Gratiola, das Scrophel-, Löffel-, Nachtviolenkraut,
den schwarzen Pfeffer , Sabadillsamen, die weisse Niesswurz , Zaunrübe,
die Meerzwiebelwurzel, den Knoblauch etc., welche, theils gekocht oder
in Aufguss, theils frisch zerrieben oder zerquetscht zu Umschlägen benuzt
werden. Hierher gehören ferner verschiedene natürlich scharfe und ran-
zig gewordene Pflanzen- und thierische Oele, wie das Ricinus-, Nusskern-,
Lorbeer-, Scorpion-, Kreuzspinnenöl etc. , welche zu Einreibungen benuzt
werden. Zerth eilend und schmerzstillend zugleich wirken die narkoti-
schen scharfen Mittel ; unter diesen sind zu nennen : die Cicuta , Bella-
donna, Digitalis, der Nachtschatten, der Tabak, das Schöllkraut etc.,
weiche frisch zerquetscht und als Aufguss häufig gegen Drüsenverhärtun-
gen , Milchknoten und Scirrhen in Anwendung kommen. — Mächtige
Auf iösungsmittel für Stockungen , Ablagerungen und Anschwellungen im
Lymph - und Drüsensysteme sind Jod , Chlor und Brom und deren Ver-
bindungen mit Alealien , so wie die Verbindungen des erstem mit Eisen,
Blei , Zink , Quecksilber , Silber und Gold ; leztere drei Metalle werden
auch noch in verschiedener anderer Verbindung als die Thätigkeit der
Lymphgefässe und Drüsen erhöhende und die Assimilation vermindernde
Mittel mit Nuzen angewendet. — Eine ähnliche , nur flüchtigere
und schnellere Wirkung haben die Laugensalze , wie das Ammoniak
in seinen verschiedenen Verbindungen, das Aleali fixum und
die verschiedenen alcalinischen Seifen. — Eine häufige Anwendung, be-
sonders zur Zertheilung und Aufsaugung stockender und ausgetretener
Säfte, hauptsächlich neu entstandener Blutextravasate, finden die Neutral-
1112 ZOSTER.
salze. Ihre vorzüglichste Wirkung besteht darin, dass sie den Bluttheil-
chen die Eigenschaft zu gerinnen zum Theil rauben und sie dadurch län-
ger zur Resorption tauglich machen. Die hauptsächlichsten hierher ge-
hörigen Mittel sind : der Salmiak, der Salpeter, das Koch- und Glauber-
salz, der Borax. Sie werden gewöhnlich in Auflösung kalt oder warm zu
Umschlägen benüzt. — Noch ist eines Mittels zu gedenken, welches in
vielen Fällen mit ausgezeichnetem Erfolg angewendet wird. Es ist dies
die trockene Wärme. Diese wirkt zuerst erregend auf die Haut
und führt dann eine stärkere Absonderung herbei. Man wendet sie an :
bei rheumatischen AfFectionen , Rothlauf, katarrhalischen Drüsenentzün-
dungen, bei Stockungen und Ablagerungen organischer Säfte, bei Unter-
drückung gewohnter Hautausdünstungen , bei Congestionen nach dem
Kopfe oder der Brust etc., wo man je nach der Localität entweder Säck-
chen, die mit Mehl, Kleie, Asche, Sand oder mit aromatischen Kräutern
(s. oben) gefüllt sind , oder trockene Fussbäder von erwärmtem Malz,
Sand oder Asche, oder Wärmflaschen, warme Steine etc. anwendet. Will
man damit noch einen stärkeren Reiz ausüben, so verbindet man mit die-
sen Mitteln trockene Frictionen der Haut mit wollenen Zeugen. Um
zugleich das Ausströmen der Electricität aus dem leidenden Theil zu ver-
meiden, umgibt man denselben mit schlechten Wärmeleitern, wie Feuer-
schwamm, Seidenzeug, Baumwolle, Thierfellen, Schaf- und Lammwolle,
welche leztere besonders bei chronischer Gicht und Rheumatismus , Drü-
senverhärtungen (Brüste, Hoden etc.) vortreffliche Dienste leisten. Nicht
selten verbindet man mit diesen Mitteln mit Nuzen Räucherungen von
Harzen, Zucker.
Zoster, Gürtelrose, Gürtel, Zona, (Herpes Zoster).
Man gibt diesen Namen einer Entzündung der Haut , welche sich durch
mehrere Gruppen in einander laufender Bläschen auszeichnet, die zusam-
men gleichsam ein Band bilden, welches halbkreisförmig einen Theil des
Körpers umgürtet. — Gewöhnlich geht die Eruption von einem Punkte
der Mittellinie des Körpers aus und begibt sich bis zu dem entgegenge-
sezten Punkte und zwar meistens in der Mitte des Rumpfs. Entwickelt
sie sich höher hinauf, so nehmen die Flecke ihren Lauf quer über die
Schulter und verbreiten sich häufig den Arm entlang; hat sie ihren Siz
in der Lendengegend, so breitet sie sich zuweilen bis zum Schenkel und
Beine aus. In seltenen Fällen bildet die Zona einen halben Ring um
den Hals , oder einen Halbzirkel um das Gesicht oder den Kopf herum.
Zuweilen nehmen die Flecke auch eine Längenrichtung am Rumpfe an ;
an den Extremitäten ist dies immer der Fall. Die Eruption soll auf der
rechten Seite häufiger vorkommen als auf der linken. Die Zona ist eine acute
Krankheit, die 3 bis 4 Wochen dauert. — Symptome undVerlauf.
Häufig gehen dem Erscheinen des Zoster allgemeine Symptome voraus,
ähnlich wie sie vor dem Auftreten des Erysipelas wahrgenommen werden ;
ZOSTER. 1113
öfter fehlen diese und der Ausschlag wird angekündigt durch stechende
und brennende Hize und Schmerz an der Stelle, welche von derZona ein-
genommen wird , welcher leztere in höherem oder geringerem Masse die
Krankheit hindurch andauert. Die Eruption selbst kündigt sich durch
unregelmässige, ziemlich lebhaft geröthete Flecken an, welche bald an den
Endpunkten des Halbgürtels auftreten , um sich durch später dazwischen
erscheinende mit einander zu verbinden , bald von einem Punkte der
Mitte ausgehen, nach aussen sich ausbreiten, bis sie gegenüber Halt ma-
chen. Die zuerst erscheinenden Flecke sind grösser als die später auf-
tretenden, und sie sind von einander durch Zwischenräume gesunder Haut-
stellen getrennt. Bald nach dem Erscheinen eines Flecks zeigen sich
gruppenweise kleine, weisse, durchsichtige Bläschen auf seiner Oberfläche,
die innerhalb 3 bis 4 Tagen die Grösse einer Erbse erreichen. Die
Flecke röthen sich mehr ; die Röthe erstreckt sich selbst einige Linien
über die Bläschengruppen hinaus ; am 2. oder 3. Tage wird die in ihnen
enthaltene Flüssigkeit trübe , später serös eiterig und sogar , wenn die
Entzündung heftig wird, wirklich eiterig. Am 4. oder 5. Tage fangen
die Bläschen an zusammenzufallen oder zu welken. Sie sehen runzelig
aus und trocknen mit ihrem Inhalte während der beiden folgenden Tage
zu kleinen braunen oder gelblichen Krusten ein, die am 1 0 . oder 1 2 . Tage ab-
fallen und rothe Flecken hinterlassen, die nach und nach verschwinden.
Die verschiedenen Gruppen von Bläschen treten nicht gleichzeitig auf;
wahrend die altern austrocknen , zeigen sich neue in den von ihnen offen
gelassenen Zwischenräumen. ■ — Bis zum zwanzigsten Tag sind bei jun-
gen, gesunden Personen gewöhnlich alle Krusten abgelöst ; bei alten und
schwachen fliessen die Bläschen zuweilen zusammen , die Haut unterhalb
der Krusten geht in Verschwärung über und die Vernarbung schreitet nur
ziemlich langsam vor. Am hintern Theil des Rumpfs stirbt, wahrschein-
lich in Folge des Drucks durch das längere Liegen, die Haut alsdann ab
und es bilden sich Schorfe, die nach ihrem Abfallen Narben wie nach Ver-
brennungen zurücklassen. Bei alten Personen endigt die Krankheit zu-
weilen auch mit Gangrän der Hautbedeckung. Gewöhnlich lassen die
allgemeinen Symptome bald nach ; mitunter verschwinden sie ganz. Mei-
stens hält indessen der oben berührte stechende Schmerz bis gegen das
Ende der Krankheit an , er kann selbst einige Wochen nach dem Ver-
schwinden der Entzündung bestehen bleiben. Oft schwellen die dem
leidenden Theile nahe gelegenen Lymphdrüsen an ; in einigen Fällen tritt
zugleich mit dem Zoster eine acute Entzündung derjenigen Eingeweide
auf, welche unter der, von der Zona eingenommenen Wandung liegen. —
Sehr häufig macht sich eine Neuralgie an der von der Gürtelrose ergrif-
fenen Stelle bemerklich. An der Brust schmerzen die Intercostalnerven,
am Bauche die Lumbarnerven , ist die untere Extremität der Siz des Zo-
sters, so werden die N. N. cruralis und ischiadicus in Mitleidenschaft ge-
zogen. — Ursachen. Wie beim Erysipelas , so herrscht auch hier
1114 ZUNGE. ENTZUENDUNG.
über die veranlassenden Ursachen ein grosses Dunkel. Der Einfluss,
welchen der Sommer , vorzüglich aber der Herbst hat , ist ausser allem
^Zweifel. Es werden Erwachsene , wie Kinder und Greise befallen. Re-
cidive sind nicht selten ; die Erblichkeit ist nachgewiesen ; die Krankheit
ist weder contagiös noch epidemisch. Nach Romberg steht der Zoster
in ätiologischer Beziehung zur Neuralgie der Intercostal- und Lumbalner-
ven, wofür die heftigen vorangehenden und zurückbleibenden Schmerzen
und der Umstand , dass die Bläschen stets dem Laufe der Nerven folgen,
sprechen. — Prognose. Sie ist im Allgemeinen günstig, namentlich
bei jungen Personen und Erwachsenen ; von Bedeutung können nnr die
zuweilen folgenden gangränösen Zerstörungen, so wie die symptomati-
schen Affectionen der Eingeweide werden. — Behandlung. Es ist
ein mild antiphlogistisches und ausleerendes Verfahren empfohlen. Da
die gastrische Complication häufiger vorkommt als die entzündliche , so
eignet sich die ausleerende Methode am meisten und zwar zeigen sich
wiederholte Brechmittel von grossem Nuzen. Ist der Kranke schwäch-
lich oder schon im hohen Alter, so empfiehlt man tonische Mittel und eine
stärkende Diät. Dabei muss sich der Kranke hüten, auf der kranken
Seite zu liegen oder zu krazen, damit die Bläschen nicht bersten und Ge-
schwüre und gangränöse Stellen entstehen. Sind aber bereits Versch wä-
rungen entstanden , so kann- die Bleisalbe angewendet werden. Droht
Brand , so empfiehlt man eine Salbe aus 3 0 Gr. Höllenstein und §j Ce-
rat; sind heftige Schmerzen vorhanden, so sezt man ^j Cerat 5ß Extr.
opii aquosum bei. Auch Waschungen von salpetersaurem Zink,
Alaun und Borax sind empfohlen. Durch die Application von Blasen-
pflasterstreifen neben die Bläschen auf die gesunde Haut soll die Ausbrei-
tung des Uebels beschränkt werden j das Gleiche erreicht man, wenn man
die Bläschen mit einer Nadel ansticht und einen Augenblick einen fein
gespizten Höllensteingriffel in den Einstich bringt.
Zuilge, Krankheiten derselben. An der Zunge beobach-
tet man Missbildungen, Entzündung und Verschwörung, auch hat man fast
alle Pseudoplasmen im Gewebe derselben gefunden.
Zungenentzündung, Glossitis. Sie erstreckt sich entwe-
der nur auf den Schleimhautüberzug oder auf das Gewebe der Zunge,
und kann eine allgemeine oder nur partielle , eine acute oder chronische
sein. — Veranlassung zur Zungenentzündung geben gewöhnlich
örtliche Einwirkungen (Verbrennungen meist durch Aezmittel , Insecten-
stiche, Verwundungen durch die Zähne, durch fremde Körper etc.) ; auch
Quecksilberintoxication zieht bisweilen Glossitis nach sich und zuweilen
tritt sie im Verlaufe typhöser Fieber auf. — Die Erscheinungen
der Glossitis sind wesentlich verschieden, je nachdem sie nur die Schleim-
haut oder die eigentliche Substanz der Zunge betrifft. Die oberfläch-
liche Zungenentzündung verläuft langsam, hinterlässt aber selten üble
ZUNGE.
ENTZUENDÜNG. 1115
Folgen. Die Zunge ist kaum angeschwollen, ihre Oberfläche ist trocken,
hart, roth, rauh oder sehr glatt, manchmal rissig. In andern Fällen ist
sie theilweise mit Schwämmchen oder weisslichen Plättchen besezt. Ein
constantes Symptom dieser Entzündung ist eine Abnahme oder Alteration
des Geschmacks ; die Kranken haben ein Gefühl wie von einer scharfen,
gepfefFerten Substanz. Missbrauch des Quecksilbers gibt häufig Veran-
lassung zu dieser Entzündung. Nicht selten besteht zugleich Entzündung
des Schlundes oder der Gastrointestinalschleimhaut. — Die tiefe Zun-
genentzündung verläuft meist sehr rasch ; binnen einigen Stunden, manch-
mal in einer etwas längeren Zeit schwillt die Zunge "dermassen an, dass
sie den Mund ausfüllt, das Gaumensegel nach oben und hinten drängt
und den Kehldeckel zurück drückt. Ihre vordere Partie drückt die Kiefer
aus einander, tritt durch die Oeffnung des Mundes hervor und bildet äus-
serlich einen mehr oder weniger langen und umfänglichen Vorsprung.
Die Oberfläche dieses Organs ist gewöhnlich trocken roth , manchmal
braun oder schwärzlich. Die Entzündung kann sich auf den Boden der
Mundhöhle verbreiten, wo man dann eine schmerzhafte Anschwellung un-
terhalb des Kiefers bemerkt. Die Deglutition , die Respiration werden
schwierig , das Gesicht ist aufgetrieben und nicht selten beobachtet man
Gehirncongestionen. Der Kranke geht, wenn keine entsprechende Hülfe
geschafft wird, durch Erstickung oder Apoplexie zu Grunde. Die Gefahr
ist noch grösser, wenn die Entzündung durch die unmittelbare Berührung
eines Gifts oder einer deleteren Substanz, z. B. mit Milzbrand- oderRoz-
contagium hervorgebracht wurde. In solchen Fällen sieht man gewöhn-
lich die angeschwollene Zunge in grosser Ausdehnung brandig werden.
Das Gleiche ist oft auch der Fall bei den im Verlaufe des Typhus und
der Pocken auftretenden Zungenentzündungen. In solchen Fällen kommt
zu der Erstickungsgefahr noch diejenige der Gangrän und namentlich der
Gangrän im Munde, von wo aus die Jauche unwiederbringlich in den Ma-
gen gelangt und von da aus noch anderweitige Leiden erzeugt. — Die
Z ingenentzündung kann sich ausser in Brand durch Zertheilung und
durch die Bildung eines Abscesses in dem Gewebe der Zunge endigen.
Hat die Zunge einen Substanzverlust durch den Brand erlitten , so ist,
wenn der Kranke nicht dadurch aufgerieben wurde , immerhin eine Fest-
heftung des übrig gebliebenen Theils an den Nachbargebilden und somit
Störung ihrer Function zu befürchten. — Behandlung. Die ober-
flächliche Zungenentzündung bekämpft man durch den Gebrauch demul-
cirender Getränke, erweichender Gargarismen, Ableitungen auf den Darm-
kanal, in Verbindung mit topischen Blutentziehungen am Halse. — Die
tiefe Glossitis erfordert, wegen der Gefahr, womit der Kranke in wenigen
Augenblicken bedroht wird , ein schnelles und energisches Eingreifen.
Zunächst beginnt man mit einem ergiebigen Aderlass, welchem man, wenn
es ausführbar ist, ein paar tiefe, über den Rücken der Zunge verlaufende
Einschnitte folgen lässt. Man sperrt den Mund zu diesem Behufe durch
1116 ZUNGE. MISSBILDUNGEN.
zwischen die Zahnreihen gelegte Korkstücke auf und zieht die mittels
einer Compresse gefasste Zunge hervor. Auf die hiernach erfolgende
Blutung sinkt die Zunge in der Regel sogleich zusammen und es erfolgt
unter der Anwendung erweichender Mundwasser Zertheilung. Wenn der
Kranke schlucken kann , so erweisen sich auch Ableitungen auf den
Darmkanal von Nuzen. — Bildet sich ein Abscess, was meistens nur bei
partieller Glossitis geschieht , so muss man ihn so früh als möglich mit
dem Messer öffnen , um einem Erguss des Eiters in den Larynx , was Er-
stickung herbeiführen könnte, vorzubeugen. — Bei Gangrän der Zunge
sind die brandigen Theile so früh als möglich zu entfernen und der nach-
theilige Einfluss der Brandjauche durch Einsprizungen und Mundwasser
aus Chinadecoct mit Zusaz von Mineralsauren zu verhüten. Kann der
Kranke schlucken, so kann man dasselbe Mittel auch innerlich verordnen.
Zungenmissbil düngen. — 1. Verwachsung der
Zunge, Ankyloglossa. Die Zunge kann bald durch ein zu
grosses Frenulum , bald durch seitliche Anheftungen , bald mit ihrer
ganzen untern Fläche an den Boden der Mundhöhle festgeheftet sein.
Alle diese Anheftungen sind meist ursprüngliche Missbildungen. Kom-
men sie nach der Geburt vor, so sind sie die Folgen von Verwundungen^
Verbrennungen, Gangrän, Verschwärungen , besonders von Mercurialge-
schwüren ; diese Verwachsungen sind indessen sehr selten , da die fort-
währenden Bewegungen der Zunge eine Anheftung hindern. — Die Ver-
wachsung der Zunge hat eine Beeinträchtigung des Saugens, des Schlin-
gens und der Articulation der Töne zur Folge. — Am häufigsten kömmt
ein zu kurzes oder vielmehr ein zu weit gegen die Zungenspize hin sich
erstreckendes Zungenbändchen vor. Man erkennt dieses Uebel in den
meisten Fällen leicht daran , dass das Kind die Brustwarze nur mühsam
erfasst oder gar nicht saugen kann. Untersucht man seinen Mund, wo-
bei man es durch Zuhalten der Nase zum Qeffnen des Mundes zwingt, so
bemerkt man, dass es die Zunge nicht über das Zahnfleisch hervorstrek-
ken kann ; hebt man sie empor , so erkennt man die Beschaffenheit des
Zungenbändchens , welches sie fast unbeweglich zurückhält und selbst
beim leichten Hervorheben sich widersezt. Die Untersuchung ist um so
nöthiger , als die Unfähigkeit der Kinder zum Saugen auch von andern
Ursachen, z. B. von einer kleinen Brustwarze abhängen kann. — Be-
handlung. Diese besteht in der Lösung der abnormen Anheftungen
bis zu dem Grade , dass die Zunge ihre freie Beweglichkeit erhält. —
Die Einschneidung des zu weit vorwärts laufenden oder zu kurzen Zun-
genbändchens verrichtet man, nachdem der Kopf des Kindes gehörig
fixirt und es durch Zuhalten der Nase zum Oeffnen des Mundes genöthigt
worden ist , indem man die Zunge mit zwei Fingern der linken Hand,
mit dem Griff der Hohlsonde oder einem Mundspatel, in deren Ausschnitt
das Bändchen zu liegen kommt , in die Höhe hebt , und hierauf das da-
durch angespannte Frenulum mit einer Scheere in der nöthigen Länge
ZUNGE. MISSBILDUNGEN. 1117
einschneidet. Man schneidet möglichst entfernt von der Zunge , um
nicht ein Aestchen der Art. ranina oder diese selbst zu verlezen. Aus
diesem Grunde ist es auch gerathen , den Schnitt lieber zu kurz als zu
lang zu machen , und , wenn die Zunge noch nicht beweglich genug ist,
die Operation zu wiederholen. • — Membranöse Adhärenzen
sucht man mit dem Scalpellhefte zu lösen ; gelingt dies nicht , so durch-
schneidet man sie mit einem geknöpften Bistouri. Fleischige Stränge
fasst man mit einer Pincette und schneidet sie zuerst von der Zunge und
dann von ihrem andern Anheftungspunkte am Zahnfleische oder an der
Wange mit der Scheere ab. — Wenn die Zunge mit dem Boden der
Mundhöhle verwachsen ist, so erhält man den Mund des Kranken mittels
eines zwischen die Kinnladen geschobenen Korkstücks offen , hebt die
Spize der Zunge in die Höhe und trennt diese durch flachgeführte Züge
mit einem convexen Messer in gehörigem Umfange los. Diese Operation
ist sehr schwierig, die Blutung dabei meist höchst störend. Zwischen die
getrennten Flächen räth man , in Oel getränkte Leinwandläppchen zu le-
gen. — Die Zufälle, welche nach der Trennung der Zunge in den ange-
gebenen Fällen entstehen können, sind : Blutung, und, wenn die Zunge
in zu grossem Umfange getrennt wurde , Gefahr der Erstickung durch
Rückwärtsbeugung der Zunge. — Die Blutung aus der verlezten Art.
ranina sucht man durch Charpiebäuschchen , welche mit styptischen
Mitteln , T h e d e n s Schusswasser oder einer Alaunlösung getränkt sind,
oder durch Berührung der blutenden Stelle mit einem glühenden Drahte
zu stillen. Eine Blutung kann auch durch das Saugen der Kinder an der
Zunge bewirkt oder unterhalten werden, wobei das Blut verschluckt wird ;
um dies zu verhindern , lässt man sie in den ersten zwei Tagen nach der
Operation gleich nach dem Erwachen an die Brust legen. — Sollte die
Zunge verschluckt werden, so muss man sie bei dem darauf eintretenden
Erstickungsanfalle sogleich mit dem Finger aus dem Schlünde hervor-
holen , für die Zeit des Nichtsaugens eine dicke Compresse auf sie legen
und die Kiefer durch ein Band fest an einander geschlossen halten. — -
2. Zungenhypertrophie, Macroglossa. Die Zunge ist durch
Uebernährung einer sehr beträchtlichen Vergrösserung fähig. Sie hat
dann nicht mehr Raum in der Mundhöhle, und tritt zwischen den Lippen
hervor (Vorfall der Zunge, Prolapsus linguae). — Die ver-
grösserte Zunge hängt nach dem Grade der Vergrösserung zu einem
Drittel , zur Hälfte , oder noch weiter mit Umschlagung der Unterlippe
über das Kinn herab und kann nur mit Mühe oder gar nicht in die Mund-
höhle zurückgebracht werden. Das Zungenbein und der Larynx sind
nach vorn und aufwärts gezogen, der Speichel fliesst unausgesezt aus dem
Munde, das Schlingen ist erschwert und die Sprache mehr oder weniger
mangelhaft und undeutlich. Der hervorragende Zungentheil ist bald mit
zähem, bald mit vertrocknetem Schleime überdeckt, eben, glatt oder ris-
sig, mit vergrösserten Papillen besezt und weniger empfindlich. Durch
1118 ZUNGE. MISSBILDUNGEN.
den freien Zutritt der Luft zur Mund- und Schlundhöhle sind diese stets
trocken, was einen unaufhörlichen Durst veranlasst. Wo die Zähne an-
liegen, zeigt die Zunge, namentlich an der untern Fläche, eine Einker-
bung , zuweilen finden sich hier Geschwüre. Bei längerer Dauer des
Uebels werden die Zähne und Alveolarfortsäze nach aussen gedrückt. —
Entstehungsweise. In der Mehrzahl der Fälle ist das Uebel an-
geboren ; oft besteht nach der Geburt nur eine Disposition zur Zungen-
vergrösserung, welche, wenn sie nicht beachtet wird, mit dem Wachsthum
des Kindes unverhältnissmässig stark zunimmt. In noch andern Fällen
entsteht das Leiden nach dem zweiten Zahndurchbruch und häufig nach
vorausgegangenen Convulsionen in Folge zurückbleibender Zungenläh-
mung. — Behandlung. Sie muss sich nach den zu Grunde liegenden
Ursachen und nach dem Grade der Vergrösserung richten. Besteht eine
Disposition zur Zungenhypertrophie , so müssen alle Einflüsse vermieden
werden, welche die Verlängerung der Zunge begünstigen. In dieser Ab-
sicht verhindert man das Saugen an sogenannten Lullern und an kurzen
und kleinen Brustwarzen ; lässt sich in lezterer Hinsicht keine geeignete
Aenderung treffen, so bedient man sich der künstlichen Ernährung. Zu
gleicher Zeit zieht man Mittel in Gebrauch , welche eine Retraction und
Retention der Zunge bewirken ; dahin gehören das Aufstreuen reizender
Stoffe, z. B. von Alaunpulver, Pfeffer auf die Zungenspize und das Auf-
binden des Unterkiefers, damit der Mund geschlossen bleibt. Lässt sich
die Zunge ihrer Grösse wegen nicht mehr vollständig in die Mundhöhle
zurückbringen , so wirkt man auf ihre allmählige Verkleinerung hin, was
man durch die Anwendung zusammenziehender, reizender Mittel , durch
Scarificationen und Ansezen von Blutegeln , endlich durch eine metho-
dische , allmählig verstärkte Compression der Zunge mittels einer Binde
oder eines Säckchens von Leinwand und darüber Einwicklung mit Heft-
pflasterstreifen zu bewirken sucht. Sobald die eintretende Verkleinerung
der Zunge es gestattet, wird diese reponirt und der Mund durch Aufbin-
den des Unterkiefers geschlossen. Bleibt auch diese Behandlung erfolg-
los, oder ist die vergrösserte Zunge zugleich in ihrer Structur verändert,
so entfernt man den überflüssigen Zungentheil durch Abbindung, Ampu-
tation oder Excision eines keilförmigen Stücks aus der Zunge. — Be-
hufs der Abbindung der Zunge durchsticht man diese entweder mit
einer mit einem doppelten Faden versehenen Nadel in ihrer Mitte und
knüpft den Faden an den Seiten der Zunge, oder man legt, besonders
bei dicken Zungen , drei Schlingen ein , einen für den mittlem Theil der
Zunge und zwei für die Seitentheile derselben, was durch zweimaliges Durch-
stechen der Zunge mittels einer mit einem doppelten verschieden gefärb-
ten Faden versehenen Nadel geschieht. Man übt das Abbinden der Zunge nur
noch, wenn man eine bedeutendere Blutung zu fürchten hat, da sie nicht
allein schmerzhafter und langwieriger als die Amputation derselben ist,
sondern auch durch die entzündliche Anschwellung den Kranken mit Re-
ZUNGE. NEUBILDUNGEN. 1119
spirationsbehinderung bedroht und den Einflüssen der gangränescirenden
Masse aussezt. Die galvanocaustische Drahtschlinge beseitigt alle diese
Nachtheile (s. den Art. Electrotherapie). — Bei der Amputa-
tion der Zunge wird diese, während der Kopf des Kranken an der Brust
eines hinter ihm stehenden Gehülfen angedrückt und der Mund, wenn e&
nöthig ist, durch einen zweiten Gehülfen mittels eines Mundspiegels auf-
gesperrt erhalten wird, entweder hinter der Schnittfläche mit einer Poly-
pen- oder Kornzange quer über so gefasst, dass zugleich die Gef ässe com-
primirt werden, oder aber es werden hinter dieser Stelle in gleichen Ent-
fernungen zwei oder drei Ligaturen durch die Zunge gezogen und diese
damit gehalten. Nun fasst der Wundarzt die Zungenspize mit den Fin-
gern , einem Haken oder einer Hakenzange und schneidet vor der com-
primirenden Zange oder den Ligaturen den überflüssigen Zungentheil in
einer bogenförmigen Form mit dem Messer oder einer starken Scheere
ab. Die Blutung wird unter fortwährender Compression durch Eiswasser,,
die Unterbindung, im Nothfall durch das Glüheisen, oder, wenn Ligatu-
turen eingelegt wurden, durch Schliessung der Ligaturfäden gestillt. Bei
der Ausschneidung eines keilförmigen Stücks aus der
Zunge verfährt man folgendermassen : nach Fixirung des Kopfs wird
die Zunge mittels einer in ihre Spize eingesezten Hakenzange hervorge-
zogen und dann in der Gegend, wo die Spize des auszuschneidenden
Keils sich befinden soll, zwei gerade Nadeln, in welche die beiden Enden
eines etwa 1 Elle langen starken Fadens eingefädelt sind, in einem Zwi-
schenraum von einem Zoll durch die ganze Die' der Zunge von unten
nach oben hindurchgestossen. Nachdem die NacMn an der obern Seite
der Zunge herausgezogen sind , ergreift ein Gehülfe die Fadenenden und
fixirt damit die Zunge. Während hierauf der Operateur die leztere mit
der Hakenzange anzieht , schneidet er mit zwei kräftigen Messer- oder
Scheerenschnitten den Keil in der beabsichtigten Grösse aus, wobei genau
darauf zu achten ist, dass die Spize des Keils zwischen die beiden Stich-
punkte zu liegen kommt. Der eingeführte Faden wird nun als erste
Naht zusammengeknüpft und die Zunge mit den Enden desselben so lange
fixirt , bis die erforderliche Anzahl Knopfnähte , welche durch die ganze
Dicke der Zunge gehen müsten, angelegt ist. — Liegt dem Vorfall der
Zunge eine Lähmung der Zungenmuskeln zu Grunde, so dienen neben dem
beständigen Zurückhalten der Zunge , Blasenpflaster hinter die Ohren
und in den Nacken, reizende Einreibungen, die Electricität, der Galvanis-
mus etc. •
Neubildungen an der Zunge. Im Gewebe der Zunge kom-
men Pseudoplasmen der verschiedensten Art vor , unter welchen der
Krebs das am häufigsten vorkommende und wichtigste ist. Dieser tritt
unter verschiedenen Formen auf, beginnt meistens an der Spize oder an
den Rändern der Zunge und zwar entweder mit einer harten umschriebe-
nen Anschwellung in der Tiefe der Zungensubstanz oder mit einem war-
1120 ZUNGE. NEUBILDUNGEN.
^enartigen über die Oberfläche der Zunge sich erhebenden Knoten. Lez-
tereForm (Epithelialcarcinom) wandelt sich alsbald in ein ausgebreitetes,
rissiges Geschwür mit jauchigem Secret um. Die andere Form durch-
bricht erst nach längerem Bestehen die Oberfläche, geht aber endlich
auch in Verjauchung über. — Bei allen Formen des Zungenkrebses sind
die Schmerzen in der Regel sehr heftig. Das Geschwür zeigt einen miss-
farbigen leicht blutenden Grund, jauchige übelriechende Absonderung und
harte, rothe nach aussen umgestülpte Ränder -und ruht auf einer noch un-
erreichten scirrhösen Verhärtung. Zuweilen breitet es sich , besonders
an der Wurzelhälfte , in Form vielfach sich verzweigender Ausläufer zwi-
schen die benachbarten Muskeln aus und zeigt einen fungös wuchernden
Grund. Bei längerer Dauer greift die Zerstörung auf den Boden der
Mundhöhle über und schreitet selbst gegen den Schlund hin. Die Unter-
zungen- und Unterkieferdrüsen schwellen frühzeitig an ; späterhin ver-
wachsen sie mit der von der Zunge ausgehenden Krebsmasse zu einem
Ganzen. Es kann sogar zum Aufbruch am Halse und zur Bildung von
Fistelgängen kommen. Diesen Grad erreicht die Krankheit indessen sel-
ten, denn da der Zungenkrebs das Kauen und Schlingen sehr erschwert
und, wenn er in Verschwärung übergegangen ist, die aus dem Geschwüre
abfliessende Jauche in die Verdauungswege gelangt , so äussert dies gar
bald auf den gesammten Organismus einen so nachtheiligen Einfluss,
dass der Tod meist früher eintritt , ehe es zu den geschilderten umfang-
reichen Zerstörungen kommt. — Vor Verwechslung mit anderweitigen
Verschwärungen der Zunge hat man sich zu hüten, da diese zuweilen
durch Misshandlung ein krebsartiges Aussehen bekommen. — Behand-
lung. Diese kann nur in der Entfernung der entarteten Partie der
Zunge bestehen, jedoch nur unter der Bedingung, dass noch keine allge-
meine Dyscrasie besteht, die Zunge nicht bis zu ihrer Wurzel degenerirt
ist und die umliegenden Drüsen noch nicht scirrhös indurirt sind. Das
beste Verfahren für die Exstirpation krebsiger Stücke der Zunge ist die
oben bei der Hypertrophie * der Zunge beschriebene Ausschneidung
keilförmiger Stücke. Die Schnitte müssen dabei je nach dem Siz und
der Form des Uebels verschieden sein : bald lässt man zwei Schnitte in
einem spizen Winkel zusammentreffen, bald auf einen Längenschnitt einen
queren oder schiefen Schnitt fallen etc. Ist die Zunge in ihrer ganzen
Dicke erkrankt , so amputirt man sie auf die oben angegebene Weise.
Bei Degeneration des hintern Zungentheils wird vorläufig die Wange der
kranken Seite gespalten , um Raum und Licht zu gewinnen. In neuerer
Zeit wurde empfohlen, die Amputation der Zunge durch einen den Boden
der Mundhöhle eröffnenden Schnitt vorzunehmen; der Act der Blutstillung
ist bei diesem Verfahren bei weit nach hinten gemachter Operation we-
niger schwierig. Bei den keilförmigen Excisionen legt man auf die oben
angegebene Weise die hinterste Naht vorher ein. Die Blutung stillt man
auf die eben daselbst angeführte Weise. Im Uebrigen lässt man den
ZUNGE. — VERSCHWAERUNG. 1121
Kranken sich ruhig halten, nicht sprechen und nur flüssige, milde Dinge
geniessen. Der anfangs reichlich abgesonderte Speichel darf vom Kranken
nicht verschluckt werden , sondern muss frei abfliessen. Die blutigen
Hefte entfernt man in 4 — 6 Tagen. Die Wunde heilt von selbst und
die anfangliche Ungestaltheit der Zunge , so wie die Erschwerung des
Sprechens und Schluckens verliert sich allmählig, wenn der Substanzver-
lust nicht allzu gross war. — Aus Furcht vor der bei der Exstirpation
durch den Schnitt unvermeidlichen Blutung hat man die Ligatur empfoh-
len und ausgeführt. Die Ausführung dieser, so wie die Nachtheile der-
selben s. oben bei Hypertrophie der Zunge. Doch gibt es Fälle , in de-
nen ein gemischtes Verfahren von Vortheil sein kann. Wenn nämlich
die Zunge auf der einen Seite weit nach hinten entartet ist, so kann man
nach Mayor die stark hervorgezogene Zunge in der Mittellinie spalten,
dann die krebsige Hälfte mit einer Hakenzange für sich vorziehen, im
Gesunden mit einer Ligatur umgeben und mittels eines Schlingenschnü-
rers zusammenschnüren. J. Cloquet und Mirault stiessen, ebenfalls
für die Ligatur einer Zungenhälfte , bei sehr weit nach hinten sich er-
streckendem Krebse vom Halse aus über dem Zungenbeine eine Nadel durch
die Zungenwurzel in die Mundhöhle , und von dieser aus zur Seite
der Zunge wieder zurück durch den Hals aus und schnürten die aus der
Halswunde hervorhängenden Fäden zusammen. Vi dal führt den Faden
vom Halse aus in der Art zuerst durch und dann neben der Zunge in die
Mundhöhle, dass die Schlinge desselben unter der Haut die Zungenwurzel
umfasst, während seine beiden Enden in die Mundhöhle hineinragen, wo
sie dann entweder auf dem Zungenrücken zusammengeknotet oder mit
einem Schlingenschnürer zusammengeschnürt werden. — Der Mund
muss , wenn der unterbundene Theil abstirbt , fleissig mit säuerlichen
Mundwässern ausgespült werden, um die Jauche und den Gestank zu ent-
fernen. Nach mehreren Tagen fällt das unterbundene Stück nebst der
Ligatur ab. Der Process wird sehr abgekürzt , wenn man die abgebun-
dene Zunge dicht vor der Ligatur abschneidet. Wo es angeht, wendet
man mit Vortheil die galvanocaustische Schneideschlinge (s.Electrothe-
rapie), oder das E er as e m en t lineaire (s. Abb in den) an ; mit
lezterem kann die ganze vordere Partie der Zunge oder einzelne Theile
derselben , indem man eine Nadel durchsticht , abgequetscht werden. —
Anderweitige an der Zunge vorkommende Pseudoplasmen schält man je
nach ihrer Lage und Form entweder aus oder entfernt sie mittels keilför-
miger Schnitte. Die nicht selten vorkommenden Gefässgeschwülste
beseitigt man am besten durch die Ligatur.
Zungenverschwärung ist ein sehr häufig vorkommendes Lei-
den. Die Geschwüre sind entweder aphthöser, scorbutischer, merkuriel-
ler oder syphilitischer Natur. Ausserdem beobachtet man auch sehr oft
an den Seiten der Zunge Geschwüre, die durch wiederholte Reizung und
Verlegung durch Zahnspizen herbeigeführt werden. Leztere GeschWüre
Bürger, Chirurgfe. 71
1122 ZUSAMMENKLEBENDE MITTEL.
bedürfen zur Heilung nur die Beseitigung des schadhaften Zahns oder
das Abfeilen der scharfen Spizen desselben. Bei den dyscrasischen Ge-
schwüren, welche sich durch ihre Form zu erkennen geben, ist eine entspre-
chende innere Behandlung erforderlich. Bei allen Zungengeschwüren
aber ist die grösste Reinlichkeit zu beobachten.
Zusammenklebende, zusammenhaltendeMittel, Ag-
g 1 u t i n a n t i a. Man bezeichnet damit solche Mittel, welche die Eigen-
schaft haben , fest auf der Haut zu kleben , oder durch Erhärtung eine
genau anliegende feste Hülle zu bilden, und die man anwendet, um ge-
trennte Theile in genauer Berührung zu halten, bis sie durch Vernarbung
wieder vereinigt sind. — Die Mittel, welche hier in Betracht kommen,
sind: l) das He f tpf 1 aster, Emplas tr um adhaesi vu m. Es be-
steht aus 2 Theilen Bleiglättepflaster und 1 Theil Fichtenharz. Dieses
Pflaster wird auf feste , nicht zu feine Leinwand nach den Längenfäden
gestrichen und in Streifen von verschiedener Länge und Breite geschnit-
ten , meistens zur Vereinigung der Wunden für sich allein (sogenannte
trockene Naht) oder zur Unterstüzung der blutigen Naht, häufig aber
auch zur Befestigung anderer Verbandstücke, als nicht klebender Pflaster,
derCharpie, Nabelschilde etc., und zum Circulardruckverbande gebraucht.
— Das aus freier Hand mit dem Spatel gestrichene Pflaster klebt besser,
als das mit der Maschine gestrichene, weil bei ersterem die Pflastermasse
in das Gewebe der Leinwand eingedrückt, bei lezterem blos oberflächlich
aufgetragen ist. Es darf nicht zu lange vor dem Gebrauche gestrichen
werden , weil es bald austrocknet und dann nicht mehr klebt. Bei Per-
sonen mit reizbarer Haut erregt es einen lästigen Ausschlag ; in diesem
Fall bedient man sich des gut eingekochten Bleiweisspflasters. In Er-
mangelung des Heftpflasters kann jedes gute klebende Pflaster benüzt
werden. Vor der Anlegung der Klebepflaster müssen die Haare an den
betreffenden Stellen sorgfältig entfernt und der Theil gut abgetrocknet
werden. — 2) Das s ogenannte en glis che Pfl as t er, Empla-
strum anglicum s. adhaesivum Woodstockii, welches aus
Taffet besteht, den man mit einer dünnen Lage in Weingeist gelöster und
mit etwas Benzoeharz versezter Hausenblase bestrichen hat. Es dient,
etwas befeuchtet , zur Vereinigung kleiner Hautwunden , besonders der
Augenlider. — 3 ) Der Tischlerleim, Gluten animale, wird mit
Wasser aufgekocht , auf Leinwand gestrichen und noch warm aufgelegt,
mit Vortheil zur Wundenvereinigung, besonders von den damit arbeiten-
den Handwerkern, benüzt. — 4) Die Goldschlagerhaut, Charta
auri foliati, welche aus dem Amnion oder dem Bauchhautüberzug des
Dickdarms grösserer Thiere , zwischen welchen die Goldschlager das
Plattgold schlagen , besteht , wird zur Vereinigung kleiner Hautwunden,
besonders der Aderlasswunden, sowie zur Bedeckung abgeschürfter Haut-
stellen benüzt. Die Stelle, auf die es zu liegen kommt, muss vorher be-
ZUSAMMENZIEHENDE MITTEL. 1123
nezt werden. — 5) Das Collodium. S. diesen Artikel. — Ferner
werden als Klebemittel das E i w e i s s , der Stärkemehlkleister,
das Dextrin, Arabischgummischleim und der G y p s verwen-
det, diese aber sämmtlich , um die gesteiften Knochenbruchverbände her-
zustellen. Vergl. die Art. Pappverband und Gypsverband.
Zusammenziehende Mittel, Adstringentia. Die ei-
genthümliche Kraft dieser Mittel in Beziehung zum lebenden Organismus
ist rein zusammenziehend oder schrumpfend ; sie bewirken Schrumpfung
der Haut, des Zellgewebes und aller blos elastischen Gewebe, Zusammen-
ziehung der Muskeln , der Gef ässe und aller Fasern , Beschränkung der
Absonderung und Stärkung des Zusammenhangs. Sie finden daher An-
wendung : 1 ) in allen Krankheiten , wo eine Schwäche und Atonie in ir-
gend einem Theile entstanden, oder nach andern Zufällen zurückgeblie-
ben ist , namentlich bei Vorfällen und Brüchen , die aus Schlaffheit der
Bauchwandungen zurückgeblieben sind, bei Erschlaffung nach Verrenkun-
gen und Quetschungen ; zuweilen auch , um örtlichen Entzündungen vor-
zubeugen; 2) zur Verminderung und Unterdrückung krankhafter Abson-
derungen , bei übermässig stark eiternden Wunden und Geschwüren, bei
krankhaften Schleimflüssen aus der Scheide, der Harnröhre und dem Af-
ter, wenn keine deutliche Entzündung mehr vorhanden ist ; bei habituel-
len Blutflüssen; 3) beim feuchten Brand; 4) zur Zertheilung wässeriger
Geschwülste und seröser Congestionen ; 5) gegen Blutgeschwülste und
abnorme Gef ässerweiterungen ; 6) beim Durchliegen. Nachtheilig sind
sie, wenn starke Entzündung vorhanden ist, und bei Wunden, welche
durch Granulation heilen sollen. — Die Adstringentia im Allgemeinen
betrachtet, sind entweder physische oder chemische. Unter die ersteren
kann man das kalte Wasser, das Eis und den Schnee rechnen. Die erste
Wirkung dieser Mittel besteht darin , dass sie dem damit berührten
Theile Wärme entziehen und dessen Temperatur herabsezen , womit eine
wahre Adstriction verbunden ist, welche eine Verminderungs des Umfangs
des Theils und des Blutandrangs zur Folge hat; bei längerer Einwirkung
aber verursachen sie Schwäche und Abnahme der Nerven thätigkeit. Man
wendet sie in der Form von Umschlägen, Fomentationes fri-
gid a e, von kalten Begiessungen in Zwischenräumen, Af-
fusiones frigidae, von kalten Begiessungen mit anhal-
tendem Strome, Irrigationes frigidae, von Sturz-, S p r i z-,
Tropf- und Regenbädern, von kalten Einsprizungen, Wa-
schungen und Reibungen an. — Die chemischen Adstringentia
zerfallen in weingeistige, gerb sto ff h altige und minerali-
sche. — Zu den ersteren, welche zwar flüchtig reizend und belebend,
aber durch die schnelle Verdunstung erkältend und daher ziemlich stark
zusammenziehend wirken, rechnet man : den Weingeist, die Aetherarten,
den Wein. Zu den gerbstoffhaltigen Mitteln, welchen die kräf-
1124 ZUSAMMENZIEHENDE MITTEL.
tigste Wirkung dieser Gattung von Arzneistoffen zukommt, gehören be-
sonders die Galläpfel, die Eichen-, Weiden-, Ulmen-, Rosskastanien-, bra-
silianische Rinde, die grünen Wallnussschalen , die Tormentill-, Schlan-
gen-, Ratanhia-, Klettenwurzel, die Blätter der Wallnuss, Rosen und ihre
Früchte, des Sumach, die Salbeiblätter, die Ringelblumen, das Eisen-, Jo-
hannis-, Ehrenpreis-, Ginsterkraut, die Birken-, Erlen-, Brombeerblätter,
das Drachenblut, Kinogummi, der Catechusaft etc. — Zu den minera-
lischen Mitteln rechnet man die verschiedenen Eisenmittel , wie den
Eisenvitriol, Eisensafran, Eisenrost, das Cyaneisen etc.; ferner den Alaun,
so wie einige Bleipräparate , nämlich den Bleiessig und den Bleizucker.
Diese verschiedenen Mittel werden theils für sich , theils in Verbindung
mit einander, die pflanzlichen Stoffe als Abkochungen, Aufgüsse, in Pul-
verform , in der Form von Waschwassern, Umschlägen, Gurgelwassern,
Einsprizungen, Salben angewendet.
Register.
i.
Seite
Abbinden
1
Abkürzung des Zäpfchens .
1104
Ablatio mammae
180
Ableitende Mittel . . .
3
Ablösung der Finger .
66
— — Fingerglieder
68
— — Glieder . .
35
— — Hand im Hand gelen]
i 63
— des männlichen Glieds
824
— der Mittelfussknochen
77
— d. Mittelhandknochen au?
ihren Gelenken
64
— des Oberarms ans den
L
Schultergelenk
60
— — Oberschenkels a. d
Hüftgelenk
69
— — Unterschenkels aus
dem Kniegelenk . .
71
— — Vorderarms ans den
L
Ellbogengelenk
62
der Zehen
79
Ablnentia
786
54
Abnahme des Fusses im Fussge-
lenk
72
— d. Fusses in d. Fusswurze
75
Abscess
6
— am After
27
— des Bauchs .
99
— im Becken .
107
— der Brustdrüse
177
- — in den Gelenken .
339
— , heisser
13
— in der Hüftbeingrube
107
— , kalter
14
— der Leber
603
— , metastatischer .
780
— am Mittelfleische .
640
— der Oberkieferhöhle .
711
Seite
Abscesseröffnung 11
Abscess us 6
— abdominalis ... 99
— acutus 13
— ani 27
— antriHighmori . . 711
— articuli 340
— chronicus. . . . 14
— congestivus . . 557 860
— frigid us 14
— hepatis ... 603 1074
— inflammato rius . . 13
— lumbalis . . . . 605
— lymphaticus . . . 14
■ — mammae . . . . 177
— metastaticus . . . 780
— ossium 502
— ovarii 224
— p er cong esti on em . 860
— perinaei . . . . 640
— prostatae . . . .1021
— sterco reus. . . .1086
— urethrae . . . . 403
— urinosus . . . . 387
— vesicae urinariae . 387
Abscisio uvnlae . . . . 1104
Absezung der Glieder ... 35
Abstergentia 786
Abtragung des Acromialendes des
Schlüsselbeins 792
— — Brustbeinendes des
Schlüsselbeins . . . 792
— der Gelenkenden der Kno-
chen 787
— der Gelenkenden der Mit-
telhandknochen und Finger 797
— der Gelenkendenden der
Mittelfussknochen u. Zehen-
glieder . . . . . . 801
1126
REGISTER.
grats
Abtragung der Gelenkköpfe .
— — Knochen im Fussge
lenke ....
— — Knochen im Hüftge
lenke
— — Knochen imKniege
lenk
— — Mandeln .
— — Nymphen
— des Oberarmkopfs
— schadh. Knochenstücke
— des Unterkiefergelenks
— derVordcrarmkuochenim
Ellbogengelenk .
— — Vorderarmknochen
Handgelenk
Abwasch ungsmittel
Acarusscabiei
— folliculorum
— comedonum
Acephalocysten
Achillessehne, Zerreissung ders
Achores .
Achsendrehung des Rück
Achtzehnköpfige Bind
A c i n*e s i a .
Acupunktur
Aderlass
— am Arme* .
— — Fusse .
— — Halse .
— an der Vena
Aderpresse .
Adspersio
Ad s tringen ti a
Aestiges Aneurysma
Aezen, das .
Aezmittel
After, künstlicher
— widernatürlicher
Afterabscess
Afterbildung
Afterblutung
Afterentzündung .
Afterfissur .
Afterfistel . . .
Afterkrampf
Afterlähmung .
Afterneuralgie .
Afterverschluss
Aftervorfall
Agglutinantia
Akidopeirastik
Allentheses
Seite
788
800
798
799
623
837
792
801
791
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740
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211
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15
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19
20
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197
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27
28
630
26
26
26
636
637
1122
35
289
Seite
Altersbrand 141 143
Ambustio 967
35
52
51
53
56
54
59
788
55
60
51
19
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43
58
53
51
55
45
56
52
59
42
714
Amp utati o .
— antibrachii
— brach ii .
— c a r p i .
— c-r.ur.is
— digitorumman
— — pedis
— epiphysium
— femoris .
— i n contiguitat e
— — continuitat
— mammae .
— metacarpi .
metatarsi
— pedis partialii
— penis .
— tarsi .
Amputation
— in der Contiguitat
— — Continuitat
— der Finger
— im Fussgelenk
— der Fusswurzel
— — Handwurzel
— mit dem Lappenschnitt
— der Mittelfussknochen
— — Mittelhandknochcn
— des Oberarms .
— — Oberschenkels .
— mit dem Ovalärschnitt
— des Unterschenkels .
— — Vorderarms .
— der Zehen ....
— mit dem Zirkelschnitt
Anasar ca
Anästhesie 79 600
Anbohrung der Oberkieferhöhle 712
Aneurysma.
— anastomosium
— anastomoticum
— an onymae .
— art.-axillaris .
— - — brachialis
— — carotis .
— — cruralis
— — cruris
— — ili acae .
— — ischiadicae
glutaeae
— poplitaeae
— — radialis et ulna
ris
et
756
756
757
764
765
765
764
766
767
766
766
766
765
REGISTER.
1127
ge
Aneurysma art. -sub clav.
— arterioso- venosum
— cirsoideum
— dissecans
— herniosum
— manus
— mixtum .
— ossium
— per anastomosin
— — transf u sionem
— proptoticum .
— racemosum
— spontaneum .
— spurium
— — circumscriptum
— — consecutivum
— — diffusum .
— — primitivum
— traumaticum .
— varicosum .
— verum
— — cylindroideu
■ — — fusiforme
— — sacciforme
Aneurysmatische Knoche
schwulst
Aneurysmatischer Varix
Angina . . . .
— b enigna .
— externa .
— faucium
— gangraenosa
— inflammatoria
— laryngea oedem
— maligna
— palatina
— parotidea .
— putrida .
— syphilitica
— tonsillaris .
— typ ho des
— ulcerosa
— uvularis
Animantia .
Ankyloglossum .
Ankylosis .
Anstechen ....
A n o d y n a
Anthrax.
— contagiosus
Antiputredinosa
Antiseptica
Antroflexio uteri
A n t r o v e r s i o uteri
at
Seite Seile
765 Anus artificialis ... 30
760 — praeternaturalis . 31
756 Aphthae 853
757 Applicatio cucurbitarum 850
757 Apostema 6
766 Archorrhagia 132
757 Ar ena urin'aria .... 696
566 Armschlinge 81
757 Armtragbinde 81
760 Arterienentzündung . . . . 253
757 Arterienpresse 931
756 Arteritis 253
756 Arteriotomia 84
758 Arthrocace .... 331336
760 Arthrophlogosis . . . 330
760 — fibrosa 331
759 — genu 496
759 — ossium 334
758 — synovialis . . . . 333
760 — totalis 337
756 Arthropyosis 339
756 Arthoxerosis. . , . . 454
756 Ascia 115
756 Ascites 104
Assulae 846
566 Atheroma 206 212
761 Atheromatöser Process ... 83
133 Atresia 972
133 — ani 636
386 — canalisnasalis . . 917
133 — hymenaea. . . . 844
134 — meatusauditoriiex-
133 terni 728
1034 — narium 682
134 — oris 655
133 — praeputii . . 827 1020
862 — tubae Eustachii . . 727
134 — urethrae .... 420
900 — uteri 320
133 — vaginae 844
386 — vulvae 835
134 Atrophia 84
133 — senilis 570
110 — testiculorum . . . 440
1116 Auflagerungen, excedirende . 83
341 Auflösende Mittel 1110
767 Auscultatio 86
111 Ausdehnung 512
188 Auseinanderweichen der Nähte 1068
144 Ausfüllen der Zähne. .... 1098
274 Auslösung der Glieder ... 35
274 — — Mittelfussknochen . 77
304 — — Mittelhandknochen
305 aus den Gelenken . . 64
1128
REGISTER.
Auslösung des Oberarms aus dem
Schultergelenk
— — Oberschenkelsaus d
Hüftgelenk . . .
— ganzer Knochen .
— der Fusswurzelknochen
— — Handwurzelknochen
— — Kniescheibe .
— — Mittelhandknochen
— ■ des Radius
— — Schlüsselbeins .
— — Unterkiefers .
— — Wadenbeins . .
Seite Seite
Ausrottung, theilweise, derKno-
60 chen in der Continuität . . 801
Ausschälen 268
69 Ausschneiden 268
811 Auschneidg. eines Nervenstücks 706
814 — , theilweise, d. Oberkiefers 802
813 — — des Unterkiefers . 805
813 Aussen wizung 270
812 Austrocknende Mittel , 86
812 Auswärtsbeugung des Knies . 499
812 Auswüchse, hornartige . . . 430
812 x\usziehen der Zähne . . . 1092
813 Autoplastik 745
B.
Bad 88
Bähung 98
Balanitis ...... 404
Balgfasergeschwulst . . . . 273
Balgfettgesch wulst . . . . 277
Balggeschwulst 206
Balgkropf 595
B alneum . 88
Baryecoia 729
Bauchabscess 99
Bauchbruch . . . . -. . 164
Bauchbruchband 173
Bauchdarmschnitt 30
Bauchnaht 1083
Bauchschnitt 101
Bauchstich 7 73
Bauchwassersucht 103
Bauerwezel 862
Baumwolle ....... 105
Bausch 204
Beckenabscess 107
Beckengesch wülste . . . . 109
Beckensymphysenentzündung . 109
Beinbruch 508
Belebende Mittel 110
Beschneidung der Vorhaut . . 829
Beruhigende Mittel . . . . 111
Betäubende Mittel . . . . 112
Beule 221 1065
Bildungshemmung . . . . 653
Binde, die 112
— 18köpfige 114
— , aufhebende der Brüste . 176
— , austreibende . . . . 114
— der Brüste 175
— — — , aufhebende . 176
— — — — vierköpfige 176
— — — dreieckige . . 176
— — — sechsköpfige . 175
Binde, fleischmachende
— haltende
— kriechende
— kreuzförmige .
— schildkrotförmige
— spiralförmige .
— T-förmige .
— umgeschlagene
— vereinigende .
— vielköpfige
Biss giftiger Thiere .
— wüthender Thiere
Blasenbruch . . .
Blasendarmfistel .
Blasenhalsschnitt .
Blasenkörperschnitt .
Blasenmastdarmfistel .
Blasenrose ....
Blasensarkom des Hodens
Blasenscheidenfistel
Blasenschnitt .
Blasenschwanz des Zellgewebs
Blas ensti ch . . .
Blasenwürmer
Blasenziehende Mittel
Blätterbinde
Blatter, bösartige .
— , contagiöse
— , schwarze .
Blatterrose .
Blechschienen .
Blut, entzündliches
Blutaderknoten
Blutanhäufung
Blutbeule
Blutbruch .
Blutegel, künstlicher
Blutegelsezen .
Blutentziehung
116
116
115
116
116
115
114
114
116
114
1053
1055
166
392
875
875
395
815
439
396
874
1 740
777
1 740
4
114
144
144
144
815
848
248
962
247 469
221
467
852
116
251
REGISTER.
1129
Seite
Bluter 122
Blutergiessung 221
Bluterkrankheit 122
Blutfluss 119
Blutgeschwulst 221
Blutharnen 129
Blutkropf . 594
Blutpfropf 921
Blutsauger, künstliche . . . 852
Blutschwär 297
Blutschwamm ...... 589
Blutstillende Mittel . . . . 118
Blutsturz 120
Bluttröpfeln . , . . . . 120
Blutung 119
Blutunterlaufung . . . . . 221
Bombyx 105
Bougie 266
Bracherium 168
Bräune, die . . . . . . 133
Brand 135
— der Alten . . . ... 141
— durch Aufliegen . . . 140
— feuchter 136
— fortschreitender . . . 137
— der Fusszehen . . . 142
— — Greise . . . . 141
— heisser . 135
— kalter 135
— der Knochen .... 504
— Pott'scher 141
— trockener 136
Brandschwär 188
Breigeschwulst 212
Breiumschlag 147
Brennen, das 197
Brennmittel 197
Brenncylinder, der . . . . 199
Bronchotomia . . . . 609
Bruch 149
— ■ angeborener . . . . 149
— beweglicher . . . . 150
— brandiger 157
— des eirunden Lochs . . 165
— durch das Hüftloch . . 164
— — denSizbeinausschnitt 164
Bruch eingeklemmter
— erworbener
— , Radicalheilung dess
— unbeweglicher
— der weissen Linie
— , Zurückbringung dess
Bruchband .
Bruchbetten
Bruchbinde
Bruchpforte
Bruchsack .
Bruchsackgrund .
Bruchsackhals .
Bruchsackkörper .
Bruchschnitt
Brüche der Hirnschale
Brustbinden
Brustbrüche
Brustdrüsenentzündung
Brustdrüsen exstirpation
Brustdrüsenfistel .
Brustdrüsengeschwülste
Brustgürtel ....
Brustkrebs ....
Bruststich ....
Brustwarzenabscesse .
Brustwarzendeckel
Brustwarzenentzündung
Brustwarzenkrebs .
Brustwarzen, wunde .
Brustwunden
Bubo
— catarrhalis
— crescentium
— criticus .
— gangraenosus
— insons
— metastaticus
— rheumatieüs
— sympathicus
— vener eus
Bubonocele
Buchbinde .
Buckel, der . .
Burgundernase
Cachexia mercurialis
. 650
C
alculipraeputiales .
Calcnli
. 690
— pros tatici .
— biliares.
. 692
— renales
— intestinales .
. 703
— salivales
— lacrymales
. 702
— ureterici
— nasales.
. 687
— urinarn
71
1130
REGISTER.
Seite
Seite
Calculi vesicales . . . 699
Carieshumida
572
Callus
510
— necrotica .
572
— definitiver .
511
— p artiali s
571
— difformer .
512
— peripherica
571
— luxur i ans .
512
— sicca
572
— provisorischer .
511
— syphilitica
895
Callusbildung .
510
Caro luxur i ans .
13
Cancer
588
Cast ratio
190
— aquaticus .
708
Cataplasma
147
— carninianor
um
444
Catheter
191
— cellulosus .
589
Catheterisiren
193
— cutaneus
431
Catheter ismus
193
— labiorurn
607
— force
414
— — pudendi
838
— der Harnwege
194
— linguae .
1119
— — Speiseröhre .
872
— ni am mae
184
— — tubaEustachii
193
— melanodes.
589
Cauterisation
197
— p enis .
824
C auterium actu al e .
197
— prostatae
1026
— potentiale .
20
— r e cti .
628
Celsische Amputationsmethode
42
— scroti
444
Cephalaematoma
579
— testiculi
441
Cereoli
266
— uteri. . .
210
Cer vix ob stipa
383
Cancroid ....
431
Chanker ".
896
Candelae
266
— brandiger ....
898
Capistrum .
380
— fressender ....
898
— simpl ex .
381
— , Hunter'scher .
897
— duplex
381
— verhärteter
897
Capitium quadraturj
i
575
Charpie
199
— trianguläre
576
Charpiebäuschchen
200
Capsula sequestrali
s
505
Charpieballen
201
Caput obstipum
383
Charpiekuchen ....
200
Carbunkel ....
188
Charpiepinsel
201
Carbunculus .
188
Charpiewieken ....
201
— benignus
188
Cheiloplastik
605
— contagiosus
144
Cheilorrhagia . . .
. 127
— galli cus .
144
Chirotheca
733
— hungaricus
144
Ctirurgia curtorum
. 745
— malignus
. 144
Chirurgie, plastische .
. 745
— p olonicus .
. 144
Choles teatoma .
. 278
Carcinoma .
. 588
— cysticum
. 279
— c e r e b r i .
. 330
Chondromalacia
. 575
— epitheliale
. 431
Chondritis
. 574
— fasciculatum
. 589
Chorda
. 403
— fibrös um
. 589
Cicatrisantia.
86
— hydotides
. 183
Cicatrisatio
8 1043
— medulläre
. 589
Cicatrix
. 672
— recti .
. 628
C ingulum
. 371
— reticulare
. 589
— ab domin al e
. 372
— uteri .
- 210
— p ectorale .
. 371
Cari es ...
. 571
Circumcisio praeputii
. 829
— carnosa .
. 572
Cirsocele
. 957
— centralis
. 571
Cirso tomia ,
. 964
— f u n g o s a .
. 572
Cl avus
. 456
REGISTER.
1131
Seite
Clomus linteus . . . . 201
Clysina 491
Coaptatio 512
Colcitis 838
Collodium 201
Colloid 203
Colotomia 30
Colpitis 838
Colpocele 165
Colpocysteotomi a . . . 875
Colpodes morrhaphia . 323
Colporrhagia . . , . . 130
Combustio 967
Commotio 262
— cerebri 1070
Compressa 204
Compressio 219
— cerebri 1071
C om pressorien .... 934
Concremente 690
Concretionen .... . 690
Condyloma 205
— accumi na tum . . 205
— latum 205
Conformatio 512
Congelatio 259
Congestion 469
Conquassatio 783
Contentivverband 514
Contractionsverband . . . , 514
Contractura , 976
— coxae 448
— digitorum . . . . 280
— genu 500
— man us 484
— pedis 484
Contraextension . . . . 512 981
D
Dacryolithi 702
Dacryosyrinx 915
Dammriss 215
Damnumpermanens . . 1042
Dampfbad 95
Darmabscesse 216
Darmbruch 150
Darmnaht 668
Darmnezbruch 150
Darmsaiten 266
Darmscheere 34
Darmschnitt 218
Darmsteine 703
Decapitatio claviculae in
extremi täte sternali . 792
Contrafissura
Contra fr actura .
C o n tusio
Seite
. 1067
. 1067
. 783
Cornuahumana .
. 430
Corporaaliena .
— interarticularia
. 289
. 344
— mobilia in articu
Cosme'sches Mittel
lis 344
23
Coxalgia ....
. 450
C oxarth r ocac e
Coxiti s
. 450
. 450
Crepitation
Crusta inflammatoria
— lactea
. 509
. 248
. 651
— serpigmosa
. 651
Cucurbita .
Curvatura .
. 850
. 976
— column. vertebrs
lis 819
— genu .
. 498
Cynanche
. 133
— parotidea .
. 862
— sublingu alis .
. 386
Cyphosis
Cystauchenotomia.
Cvsten
. 820
. 875
. 206
Cystis serosa simplex
Cvstides.
207
. 206
Cysticercus cellulosa
211 740
Cysto cele
Cystoide .....
Cystosarcoma
. 150
. 209
. 273
— mammae
. 183
— phyllodes .
. 273
— proliferum
. 273
— simpl ex .
. 273
Cystosomatotomia .
. 875
Cystotomia ....
. 874
Decapitatio extremitatis
claviculae acromialis . 792
— maxillae inferioris 791
— ossis brachii in arti-
culo humeri . . . 792
— — femoris in arti-
culocoxae. . . . 798
— ossium 788
— — in ar ticulo genu 799
D ecoctum Zi ttmanni . . 913
Decubitus gangraenosus 140
Defecte 653
Deformitates 652
Demulcentia 263
Depressiocranii . . . 1067
1132
REGISTER.
Seite
Derivantia 3
Desmoide 273
Detergentia 786
Detritus ossium . . . . 571
Diacope 1066
Diagnosticapunctoria . 35
Diastasisossium . . . 979
— pelvis 989
— sutuvarum. . . . 1068
Diathesis haemorrhagica 122
■ — purulenta. . . 235 780
Dignathus 654
Dilatantia 265
- — activa 266
- — passiva 266
Discutientia 1110
Dislocatio 509
— ad axin 509
— ad dir ecti on em . . 509
— cum distr actione . 509
— adlatus 509
— — longitudinem . 509
— — peripheriam . 509
Distorsi o 979 982
Dolabra
— ascendens .
— descendens
— r e p e n s p b t u s a
Dolores osteocopi .
Doppelbildungen .
Doucbe
Drachenschuss ....
Druck
— des Gehirns
Drucktuch
Drüsenbeule in den Leisten
Drüsengewebskropf
Ducia
Durchbohrung des Brustbeins
— — Ohrläppchens
— der Schädelknochen
— des Trommelfells
Durchschneidung der Ner
Dys ecoi a
Dysmorphoses
Dysphagia .
D y s u r i a .
Ebenen, geneigte .
Ecchymoma
— capitis
Ecchymosis . .
E ccop e
Echinococcus homi
Eicheltripper . . .
Eierstocksabscess
Eierstocksentzündung
Eierstocksexstirpation
Eierstockgeschwülste .
Eierstockwassersucht .
Eindruck der Schädelknochen
Eingeweidebruch . . .
Einimpfung der Kuhpockeu
Einklemmung des Bruchs
Einknickung der Knochen
Einrichtung des Knochenbruchs
— der Verrenkung
Einwachsen des Nagels
Einwärtskrümmung des Knies
Einwicklung
Eiter
Eiterband ....
Eiterbeule
Eiterbildung . .
Eiterbrust .
Eitergährung .
955 Eitergeschwulst .
221 Eiterprobe . . .
579 Eiterstock . . .
221 Eiterung . . .
1066 Eiterungsfieber
1 740 Electricität . . .
404 Electrolysis
224 Electro-Magnetismus
223 Electropunktur
229 Electrotherapie
230 Elephantiasis Arab
226 — Graecorum
1066 Elytritis ....
149 Elytromochlion
474 Ely tr orrhagia
152 Ely trorhaphia
509 Emollientia
512 Emphysem a
980 — gangraenosum
663 — spontaneum
499 — träum ati cum
116 Emprosthotonns
232 Empyema
376 Encephalitis .
6 235 Encephalocele
232 Enchondroma .
243 Enema
780 Englische Krankheit
REGISTER.
1133
Seite
Enostosis 562
Enterocele 150
Entero-epiplocele. . 150
Enterolithi 703
Enteroraphia. . . . 668
Enterotomia 218
Entmannimg 190
Entozoen 740
Entzündliches Blnt .... 248
Entzündimg 247
— des Afters 27
— — äussern Gehörgangs 716
— der äussern Haut . 267 814
— — Arterien .... 253
' — — Beckensymphysen . 109
— — Eichel .... 404
— — Eustachischen Rohre 721
— des fibrösen Gewebes . 254
_ — Gehirns .... 1073
— — — u. seiner Häute 1073
— — Gehörgangs . . . 716
— der Gelenke . . . . 330
— — Harnröhre . . . 403
— — harten Hirnhaut . 1073
— des Hodens .... 436
— der Highmorshöhle . . 711
— des Hüftgelenks . . . 450
— . — Kniegelenks . . . 496
— der Knochen . . . . 555
— — Knochenhaut . • 557
— — Knochensubstanz . 555
— — Knorpel . . . . 574
— — Leistendrüsen . . 187
— des Lendenmuskels . . 755
— der Lymphdrüsen . . 610
— — Lymphgefässe . • 254
— — Markhaut . . . 558
— — Muskeln .... 256
— des Nagelgliedes . . • 732
— der Nagelmatrix . . . 663
— — Nerven .... 689
— — Oberkieferhöhle . 711
— des Ohrs 716
— der Ohrspeicheldrüse • 862
— — Schamlefzen . . 835
— — Scheide .... 838
— — Schilddrüse . , . 848
— ■ — Schleimhäute . . 25 7
— des Schultergelenks . . 853
— der serösen Häute . . 257
— r — Speicheldrüsen . . 862
— — Stirnhöhle . . . 892
— — - Synovialhäute • . 333
— syphilitische .... 892
Seite
Entzündung des Trommelfells .
718
der Venen
257
— — Vorhaut . . . .
826
— — Vorsteherdrüse .
1021
— — weiblichen Brust 1'
11 186
— — Wirbel . . . .
1038
— — Zähne . . . .
1096
— des Zellgewebs
1104
— — — des Halses .
386
— der Zunge
1114
Entzündungsfieber . . . .
248
Entzündungshaut
248
Entzündungswidrige Methode .
251
Enuresis
401
— erethistica
401
— nocturna
401
— paralytica.
391
— spastica
401
Epicysteotomia . . 8
76 886
Epididymitis ....
436
Epiplo cele
150
E p i s i o r r h ap h i a .
258
Epispadia
472
Epispadiaeus.
473
Ep ispastica
4
Epistaxi s ,
. 126
Epithelialkrebs ....
. 431
Epi thema
98
E p u 1 i s
. 258
Erbgrind
. 581
Erfrierung
. 259
Eröffnung der Abscesse .
11
— — Bauchhöhle .
. 101
— — Brusthöhle . .
. 770
— — Oberkieferhöhle
. 712
— — Stirnhöhle . .
. 892
Erregende Mittel ....
. 110
Errhina
. 707
Erschlaffende Mittel . . .
. 263
Erschütterung
, 262
— des Gehirns
. 1070
Erweichende Mittel . . .
. 263
Erweichung
. 264
Erweiterung der Capillargefäss
e 326
Erweiterungsmittel
. 265
Erysipelas
. 814
— ambulans
. 815
— bullosum . . .
. 815
— erraticum .
. 815
— oedematosum
. 815
— phlegmonös um .
. 815
Erythema
. 267
Escharotica
21
Exarthrema
. 978
1134
REGISTER.
Exarthrosi s
Exarticulatio
— an ti br a chi
— brachii .
— cruris
— digitorummanu
— — p e dis
■ — femoris .
— g e n u .
— humeri ,
— manu s
— in carpo .
— o ssi um metacarp
— — meta tarsi
— p edi s . . .
— — intarso
— phalangum
Excisio cicatricum
— maxillaeinfer. par-
tialis
— — super, partialis
— o ss. p el vis partialis
— nervorum partialis
Exci tanti a
Exf o liatio insensibilis
Exostosis
— externa
— interna
Exostosen, syphilitische .
Expulsivbinde
Exsi ccantia
Exstirpatio
— ani
— claviculae.
— exostosis
— fibulae
— fungus durae matris
Seile Seite
978 Exstirpatio gangliorum 214
35 — gl an dulae sublingu-
62 alis 865
60 — — submaxillar is . 864
71 — hygromatum. . . 215
66 — labiorumoris . . 608
79 — linguae 1119
69 — mammae .... 180
71 — maxillae inferioris 812
60 — neuromatum. . . 706
63 — nympharum . . . 837
64 — ossium 811
64 — — carpi .... 813
77 — — metacarpi . . 813
72 — — metatarsi . . . 814
75 — — tarsi .... 814
68 — ovarii 229
674 — parotidis .... 863
— patel lae 813
804 — radii 812
802 — recti 632
811 — steatomatis uteri . 309
706 — testic ul orum . . 190
110 — tonsillarum . . . 623
505 — uteri 305
562 — varicum 964
563 — — haemorrhoida-
563 Hum ...... 379
902 — verrucarum . -. . 1031
116 Exsudation 270
86 Extensio 512 981
268 Extensionsverband . . . . 514
630 Extratio dentium . . . 1092
812 Extravasat 272
564 Exulceratio 352
813 Exutorium 287
330
Fadenwurm
Falsches Gelenk
Fas cia
— as ci alis .
— libriformis
— T-formis
Fasciatio circularis
— compr essi va
— conti nens
— — c ap iti s
— contentiva
— cruci ata .
— exp eil ens
— expulsiva
■ — incarnativa
740 Fasciatio orbiculari
751 — radiata .
112 — spiralis .
115 — uniens
114 Faserfettgeschwulst
114 Fasergeschwulst
115 Faserkrebs . . .
116 Faserkropf . . .
116 F'äulnisswidrige Mittel
579 Favus .
116 — confertus
116 — dispers us
116 Febri s consumtiva
116 — hectica . .
116 — inflammatoria
115
116
115
116
277
273
589
595
274
581
581
581
235
235
248
REGISTER.
1135
Seite
Febris intermittens per-
niciosa 782
— mercurialis . . . 646
— suppurativa . . . 234
— traumatica . . . 1042
Federharz 483
Feigwarzen 205
Ferulae 846
Fettbrüche 160 165
Fettgeschwulst 276
— geschichtete . . . . 278
Fettmuttermal 277
Fibrochondritispelvis . 109
Fibroide 274
Fibrom 274
Filaria nie dinensi s . . 740
Filzschienen 847
Finger, überzählige . . . . 280
Fingerkrampf 279
Fingerverkrümmung . . . 280
Fingerverwachsung . . . . 281
Fingerwurm 732
Fischbeinschienen .... 847
Fissurae 668 852
Fissura ani 28
— colli 382
— co lumna vertebralis 819
— cranii 1067
— glan dis penis . . . 473
— labii superi oris . . 426
— palati . . . . 300 426
— u v u 1 a e 1104
Fistel 285
— falsche 285
— unvollkommene . . . 285
— vollkommene . . . . 285
— wahre 285
Fistelmembran 285
Fistel, Spaltung ders. . . . 287
Fistula 285
— ani 625
— biliar is 298
— colli 382
— dentis 1099
— glandulaelacryma-
lis 915
— intestinorum ... 31
— penis 392
— perinaei 392
— pharyngea. . . . 382
— recti 625
— recto-vaginalis . . 840
— sacci 1 acrymalis . 916
— salivalis .... 865
Fistula sterco rea
— tr achealis .
— umbilicalis
— urethralis .
— urethro-reeta
— u r i n a r i a
— vaginalis
— vesi calis
— vesico-rectali
— vesico-vagina
Flechte ....
— fressende .
Flechtengeschwür .
Fleisch, wildes . .
Fleischgeschwulst .
Fleischpolyp
Fleischwärzchen
Follicularcysten
Fomentatio
Fomentum .
Fontanelle .
Fonticulus .
Formfehler .
Fothergill'scher Gesichtsschmerz
Fractur durch Gegenschlag
Fractura (ossium)
— comminutiva
— completa
— complicata
— duplex
— incompleta
— longi tu dinali
— male sanata
— obliqua .
— transversa.
Fragil itas ossium
Frattsein ....
Freisam
Fremde Körper
— — im Auge .
— — — äussern Gehör
gange . . . , .
— — in der Harnröhre
— — — den weiblichen
Geschlechtstheilen
— — im Kehlkopf u. in d
Luftröhre ....
— — — Magen u.Darm
kanale
— — — Mastdarme
— — in der Mund- unc
Rachenhöhle ...
— — — — Nasenhöhle
— — auf der Oberfläche
1136
REGISTER.
Fremde Körper im Schlünde
Fremdkörperkrankheiten
Frictionskur
Froschgeschwulst .
Frostbeule
Funsus artic uli .
Gallenblasenfistel .
Gallenblasenschnitt
Gallenblasenstich .
Gallenfettgeschwulst .
Gallensteine ...
Galvanismus
Galvanocaustik
Galvanopunktur
Ganglion ....
Gangraena.
— cerealis.
— dentium .
ex d ecubitu
— humid a .
— nosocomialis
— progrediens
— senilis
— sicca.
Gargarisma
Gastro rrhaphia .
Gastrotomia .
Gaumen, deformer
Gaumennaht
Gaumenspalte .
Gebärmutterbeugung .
Gebärmutterblutfluss .
Geb ärmutter exstirp ati o n
— pai'tielle
— totale
Gebärmutterfibroide .
Gebärmutterkrebs .
Gebärmutterpolyp
Gebärmutterrheumatismu
Gebärmutterträger
Gebärmutterumstülpung
Gebärmutterverengerung
Gebärmutterverschliessung
Gebärmuttervorfall
— unvollkommener
— vollkommener
Gebärmutterwassersucht
Gefässdurchschlingung
Gefässgeschwulst .
Gefässkropf
Gehirnentzündung
Gehirnerschütterung .
Seite
293
289
904
296
261
338
Seite
Fun g us duraematri
haematodes
Furunkel ....
Fussgeschwüre .
Fussverkrümmung
Fusszehenbrand
G.
298
776
776
278
692
238
239
5 239
213
135
143
254
140
136
445
137
141
136
370
1083
621
300
301
300
304
130
305
306
307
309
310
313
318
661
318
320
320
321
322
322
324
119
326
594
1073
1070
Gehirnhautkrebs .
Gehirnkrebs
Gelenk, falsches
— widernatürliches
Gelenkabscess .
Gelenkbänderentzündung
Gelenkeiterung
Gelenkentzündung
Gelenkkörper .
Gelenkmäuse
Gelenksteifigkeit
Gelenkwassersucht
G e n u r e c u r v a t u m
— valgum .
— varum . .
Geschwulst, erectile .
Geschwülste
— der Oberkieferhöhle
— — - Schamlippen
— — Scheide .
Geschwür ....
— abdominelles .
— asthenisches
— atonisches .
— brandiges .
— buchtiges .
— callöses
— dyscrasisches .
— einfaches .
— entzündliches .
— erethisches
— fauliges
— fistulöses
— fressendes .
— idiopathisches
— indolentes .
— künstliches
ödematöses
— phagadänisches
— physkonöses
— reizbares
— schmerzhaftes .
— ■ schwammiges .
— schwieliges
— smuoses
— symptomatisches
REGISTER.
1157
Seite
Seite
Geschwür, torpides . . . . 355
Glüheisen, das
. 197
— unreines 355
Gnathorrhagia
. 127
— varicöses 358
Goldaderknoten . . . .
. 377
— venöses 359
Gon arthrocace .
. 496
— vicarirendes .... 360
Gonorrhoea
. 403
Geschwürsbildung . . . . 352
Gr anulati o
8
Gesichtskrampf . . , . . 361
Gries
. 691
Gesichtslähmung 362
Gürtel
371 1112
Gesichtsschmerz 362
Gürtelrose
. 1112
Gib bu s
819
115
364
Guineawurm
Gummata
Gummigewächse . ,
. 740
Gitterbinde
. 902
Gliedmaassen, künstliche
. 902
Gliedschwamm . . . . 331 338
Gurgelwasser
. 370
Gliedwasser 347
Gutta percha ....
. 372
Glossitis 1114
Gypsklebeverband .
. 375
Glossorr hagia .... 127
Tl
Gypsverband . . .
r
. 374
Jx.
Haarseil 376 Hamma . . . . .
. 168
Hab ena
81
Handverkrümmung
. 490
Halsentzündung
133
Harnabscess ....
. 387
Hämatocele
467
Harnblasenabscess
. 387
— cellularis .
468
Harnblasengeschwülste .
. 388
— cystica .
468
Harnblasenlähmung .
. 389
— o e d emato sa
468
Harnfistel . . • .
. 392
— vaginalis
468
: — falsche ....
. 392
— v a r i c o s a
468
— vollständige
. 393
Haematuria
129
Harnfluss, paralytischer .
. 391
H a e m o r r h a g i a
119
— unwillkürlicher
. 400
— ani ....
132
Harnrecipient ....
. . 402
— aperta
120
Harnröhrenabscess . . -
. . 408
— aurium .
126
Harnröhrenentzündung .
. . 403
— narium .
126
Harnröhrenmastdarmfistel
. . 396
— o cculta .
120
Harnröhrenpolyp . . .
. . 407
— o r i s
127
Harnröhrenschnitt
. . 417
— p e n i s . . .
128
Harnröhrenverengerung .
. . 408
— vaginae .
130
Harnröhrenverschliessung
. . 420
— uteri .
130
Harnsand
. . 696
Hämorrhoidalgeschwür
360
Harnsteine
. . 695
Hämorrhoidalknoten .
377
Harntröpfeln ....
. . 400
Haemorrhoides coc
;a c
>
377
Harnverhaltung
. 420
— fluentes
377
— entzündliche .
. . 422
— saccatae
377
— krampfhafte
. . 423
Haemorrhophilie
122
— mechanische .
. . 425
Hämospasie
850
— paralytische .
389 425
Haemostati ca .
118
Hasenscharte ....
. . 426
Hängematten
956
Hautentzündung .
. . 267
Halbverschnittene .
473
Hautfollicularcysten . .
. .- 212
Halfter
380
Hauthörner
. . 430
Hals, schiefer .
383
Hautkrebs
. 431
Halsfistel ....
382
Hautwolf
. 612
— angeborene
382
Hemiplegia ....
. 600
— erworbene .
383
Hemmungsbildung
. 653
Halszellgewebsentzündung
386
Hermaphroditismus
. 655
Burger, Chirurgie.
72
1138
REGISTER.
G
Herni a
— ab d ominalis
— cerebri .
— congenita
— cruralis .
— — externa
— — interna
— diaphragma
— dor salis
— femorali
— foraminis ov
— funiculisum
— immobilis
— incarcerata
— inguinalis
— — congeni
— — externa
— — interna
— intestinire
— irreponibil:
— iscbiadica
— 1 a b i i pude
t e r n i .
— lateralis
— ligamen ti
n ati
— lineae alb a
— mobilis .
— perinaei
— scrotalis
— thoracica
— umbilicalis
— vaginalis
— ventralis
— ventriculi
Herniotomia .
— cruralis .
— inguinalis
— is chiadica
— o v a 1 a r i s .
— perinaei.
— umbilicalis
— ventralis
Herpes . . .
— exced ens
— praeputiali
— Zoster
Herzbeutelstich
Herzbruchband
Heteroplastik .
Hexenschuss
Hiebwunden
Hinken, freiwilliges
Hirnbruch .
ta
cti
nd
mb
is
1 i c a 1
Seite Seile
149 Hirnerschütterung 1070
149 Hirnschwamm 929
167 Hobel, der 115
149 Hobelspan verband . . . . 115
160 Hoden, reizbarer 442
161 Hodenabscess 439
160 Hodenatrophie 440
167 Hodenentzündurig .... 436
164 Hodenkrebs 441
160 Hodenneuralgie , 442
165 Hodensackkrebs 444
162 Hörmaschinen 730
150 Honiggeschwulst 212
152 Hospitalbrand 445
158 Hüftbeinbruch 164
158 Hüftgelenkscontractur . . . 448
158 Hüftgelenksentzündung . . . 450
159 Hüftleiden der Greise . . . 453
167 Hüftweh 455
151 Hühnerauge 456
164 Hülsenwurm 211 740
Hundswuth 1055
158 Hydatiden 210
154 — falsche 210
— wahre 211
162 Hydarthrosis 347
164 Hydarthrus 347
150 Hy drargyr osis . . : . 641
166 Hydroarion 226
158 Hydrocele 458
167 — congenita .... 465
162 — cystica 467
165 — tunicae vaginalis
164 communis .... 467
164 — — — testis . . . 458
155 Hydrocephalus .... 1033
160 — externus .... 1033
158 — meningeus hernios. 1033
164 — — limitans . . . 1033
165 — ventriculorum . • 1033
166 Hydrometra 324
162 — ascitiva 324
164 — cystica 324
436 — hydatica .... 324
612 — vesicularis . . . 324
648 Hydroophoria . .... 226
1112 Hydrophobia 1055
772 Hydrops abdominis . . 103
174 — cysticus 104
745 — glottidis .... 1034
605 — saccatus .... 104
1046 — antri Highmori . . 711
450 — arficuli ..... 347
167 — ascites 104
REGISTER.
1139
Seile
Hydrops ascites di ff usus 104
— genu 498
226
227
227
226
226
324
324
299
819
— ovani
— — cellulosus
— — cysticus . .
— — hydatidosus
— — saccatus .
— uteri
— uterinus
— v esi cae f elleae
H ydrorrhäehis . . .
Hydrosarcocele . . 442 459
Hygrome 214
Hygroma cy sticum patel-
lare 1031
Hyperavcusis 729
Hyperaernia
Hy per crostosis
Hypertrophi a .
— 1 i n g u a e .
• — - m amm ae
— o s s i u m
— o v a r i i
— prostatae
— tonsillarum
— uvulae
Hypocysteotomia
Hyponarthecie .
Hypospadia
Hy pospadi aeus
Hysterophor
Hysterotomia vaginali
Seite
. 469
563 570
471
1117
183
570
230
1023
622
1104
875
953
472
473
661
321
Jauche
Ichor
Ichorrhämie
Imperforation .
Impfen der Kuhpocken
Incarce ratio hernia
— acuta .
— chronica
— spasmodi ca
— ster corea .
Incarnatio unguis
Incisio ....
Incontinentia urin
Incrustationen . - .
Induratio
— prostatae
— telae cellulos
— testiculi
Infectio purulenta
Infiltratio .
Infiammatio
Inf r actio
Infusion ....
Inoculatio vaccinarum
Intertrigo
39
233 Inunctionskur ....
233 Inversi o uteri . . .
782 — — completa .
972 — — incompleta
474 Involventia
152 Jochbinde . .
153 Irrigationes
153 Ischias nervosa
153 — — antica
153 — — postic
663 I s chio cele .
477 Ischuria . . .
1 400 — chronica
692 — e causa mechan
974 — i nflammato ria
1029 — paralytica . .
1109 — spasmodica
438 — renalis .
780 — uretherica
272 — urethralis
247 — vesicalis
509 Isthmitis . .
922 Isthmo rrhagia
474 Jucken der Haut .
1091
. 910
. 318
. 319
. 318
. 263
. 371
. 1123
. 455
. 455
. 455
. 164
. 420
. 423
ca 425
. 422
391 425
. 423
. 421
. 421
. 425
. 421
. 133
. 127
. 750
Kästen 954 Klammernaht . . .
Kapselverband 481 Kleisterverband
Karbunkel 188 Klumpfuss ....
Kaumittel 482 Klumphand . . .
Kautschuk 483 Klystier
Kerzen 266 Knebelturniket .
Kinnbackenkrampf .... 1058 Kniegelenksentzündung
Kiotomia 623 Kniegelenkswassersucht
Kissen 954 Knieverkrümmung
670
734
484
490
491
931
496
498
498
1140
REGISTER.
Seile
Kniescheibe, Wasserbalgge-
schwulst auf ders. .
1031
Knochenabscess ....
. 502
Knochenaneurysma
566
Knochenatrophie ....
. 570
Knochenaufsaugung .
571
Knochenbrand
504
Knochenbruch ....".
508
— der Beckenknochen .
523
— des Brustbeins
524
— r — Fersenbeins .
554
— r der Fingerglieder
539
— am Fusse ....
554
— des Jochbeins .
518
— — Kehlkopfs
521
— der Kniescheibe .
548
— — Mittelhandknochen
539
— — Nasenbeine .
517
— des Oberarmbeins
531
— — Oberkiefers . .
518
— — Oberschenkels .
, 540
— — Radius
535
— der Rippen . . .
525
— — Rippenknorpel .
. 526
— des Schienbeins .
552
— — Schlüsselbeins .
526
— — Schulterblatts
529
— der Ulna ....
536
— des Unterkiefers .
519
— d. Unterschenkelknocher
i 550
— der Vorderarmknochen
535
— des Wadenbeins .
522
— der Wirbel . . .
522
— des Zungenbeins .
521
Knochencysten ....
565
Knochenentzündung .
555
Knochenerweichung .
559
Knochenfleiscbgeschwulst
274
Knochenfrass
571
Knochengeschwülste .
562
Knochengeschwür
571
Knochengewächs ....
562
Knochenhypertrophie . .
570
Knochenkrebs
567
Knochenmürbigkeit .
571
Knochenschmerzen, syphilitische
902
Knochenverschwärung
571
Knochenschwund ....
570
Knochenspeckgeschwulst
478
Knochentuberkel ....
568
Knollfuss
484
Knorpelatrophie
574
Knorpelentzündung .
575
Seite
Knorpelgeschwulst .... 245
Kopfblutgeschwulst der Neuge-
borenen 579
Kopfgrind 580
Kopfbinden 575
Kornähre 116 583
— absteigende für die Schul-
ter 583
— aufsteigende fürd. Schul-
ter 583
— für den Daumen . . . 584
— — die Hüfte . . . 583
— — — Leistengegend 584
— — — Verenkung des
Fusses 584
Kornbrand 143
Kothabscesss 1085
Kothfistel 31
Kothrecipient 584
Krähen äuge 456
Kräze 585
Kräzgeschwür 585
Kräzmilbe 740
Krampfader 962
Krampfaderbruch 957
Krankheit, englische . . . . 560
Krebs 588
— der Brustdrüse . . . 184
— — Gebärmutter . 310
— — Haut . -... 431
— des Hodens .... 441
— — Hodensacks . . . 444
— der Lippen und Wangen 607
— des männlichen Glieds . 824
— — Mastdarms . . . 628
— der Schamlippen . . . 838
— — Vorsteherdrüse . .1026
— — Zunge . . . .1119
Krebsgeschwür 591
Kreuzbrustbinde 176
Kreuzverband . . . . . . 116
Kreuzweh 604
Kreuzzugbinde 115
Kriebelkrankheit 143
Kropf 594
Künstliche Gliedmaassen . . 364
Künstlicher After .....* 30
Kürassverband 481
Kürschnernaht 668
Kuhbein 499
Kuhpockenimpfung . . . . 474
Kupfernase 675
REGISTER.
IUI
Seite
Labium leporinum . . . 4 26
Lähmung 600
— allgemeine .... 600
— gekreuzte 600
— halbseitige .... 600
— der Harnblase . . . 389
— unvollkommene . . . 600
— partielle 600
— peripherische .... 600
— reflectirte 600
Lagostoma 426
L a p a r o-c holecysteotomia 776
Laparo-enterotomia . . 218
Laparo-gastr otomia . . 621
Lappenschnitt 43
Laqueus 849
Laryngotomia .... 609
Lary n go-tracheotomi a . 609
Leberabscess 603
Lectulus 893
Lederschienen 847
Leibgürtel 372
Leichdorn 456
Leistenbeule 187
Leistenbruch .... .158
— äusserer . . . ~. 158
— — kurzhalsiger . . . 159
— angeborener . . . . 158
— gerader , 158
— innerer 158
Leistenbruchband 170
Lendenabscess .... 604 755
Lendenweh 604
Ligatura fistulae . . . 286
— vasorum .... 935
Linteum carptum . . . 199
— ras um 200
Lipoma 276
— circumscriptum . 276
— colloides . . . . 279
— diffusum . . . . 276
— mixtum 277
— simplex 276
Lippenbildung 605
Lippenkrebs 607
Lippenspalte 426
Lithiasis 691
Lithotomia 874
en
Lithotripsis
Litho tripti ca .
Lithotritie ....
Longuette ....
Lordosis ....
Lostrennung der Epiphys
Lubricantia
Lues venerea .
Luftröhrenfistel
Luftröhrenschnitt . .
Luftstreifschüsse .
Lungenbruchband
Lumbago
Lupia . . . . .
Lupus
— excedens
— exfoliativus
— exulcerans
— hypertrophicus
— orbicularis
— serpiginosus
— superficialis
— vorax
Luxatio ....
- — completa
— complicata
— consecutiva
— incompleta
— inveterata .
— primitiva
— re cens
— secun daria
— simplex .
— spontanea 338
— spuria
— traumatica
— vi olenta .
Lymphabscess .
Lymphadenitis .
Lymphangitis
— chronica
Lymphdrüsenentzündung
Lymphdrüsenhypertrophie
Lymphdrüsenkrebs
Lymphdrüsensarkom .
Lymphdrüsentuberkulose
Lymphgefässentzündung
Lymphatischer Kropf
Seite
886
701
886
205
819
678
263
899
382
609
1050
174
604
206
612
612
613
613
613
613
613
612
612
978
979
979
979
979
979
979
979
979
979
342 450 978
978
978
978
14
617
254
255
617
619
620
619
620
254
596
H.
Magenfistel .
Magenschnitt
1085 Malacia 264
621 Malactica 263
1142
REGISTER.
Malleus humidus
Malumcoxae senile
— Potii . .
Mandelconcremente
Mandelgeschwür .
Mariscae .
MarkschAvamm
Mastdarniblutung .
Mastdarmbruch
Mastdarmerweiterung
Mastdarmfissur
Mastdarmfistel .
— aussen blinde
— innen blinde
— unvollständige
— vollständige
Mastdarmkrebs
Mastdarmpolyp
Mastdarmscheidenfistel
Mastdarmverengerung
Mastdarmverschliessung
Mastdarmvorfall
Mastdarmzellgewebsentzündu
Maturantia
Maturationsfieber .
Mastitis .
Medullarkrebs .
Mel liceris .
Menstrualgeschwür
Mercurialfieber
Mercurialfriesel • .
Mercurialgeschwür
Mercurialkrankheit
Metr orr hagia .
Mictus cruentus
Milchborke .
Milchfistel .
Milchgrind .
Milchknoten
Milchschorf
Milzbrandblatter
Milzbrandcarbunkel
Missbildungen .
Mitella . .
Mitramuliebrum
— reticulata
Mittel, ableitende .
— v äzende .
— auflösende .
— belebende .
ng
Seite
817 Mittel, beruhigende . .
453 — betäubende
1038 — blasenziehende
624 — blutstillende . .
624 — eiterbildende .
378 — eiterungsbefördernde
589 ■ — erregende . . .
132 — erschlaffende .
167 — erweichende
624 — erweiternde
28 — fäulnisswidrige
625 — reifmachende .
625 — reinigende . . .
625 — rothmachende
625 — schmerzstillende .
625 — steinauflösende
628 — zertheilende
632 — zusammenhaltende
840 — zusammenklebende
633 — zusammenziehende
636 Mittelfleischabscess
637 Mittelfleischbruch .
640 Morbus anglicus
785 — cer ealis .
234 — coxarum
177 Mortificatio
589 Monstra . . .
212 Moxa ....
360 Moxibustio .
646 Mumificatio
648 — senilis
649 Mundbildung . .
641 Mundblutung . .
130 Mundbrand . .
129 Mundificantia
651 Mundsperre
182 Mundverengerung .
651 Mundverschliessung
178 Muskelfasergeschwülste
651 Muskelschnitt . .
144 Mutterhalter . .
144 Muttermal, farbiges
652 Mutterring . . .
81 Mutterz apfen .
577 Müze, nezförmige .
577 Myoide ....
3 Myositis . . .
20 Myotomia . .
1110 Myringitis . .
110
N.
Nabelbruch 162 Nabelringbruch
Nabelbruchband 171 Nabelschnurbruch
162
162
REGISTER.
1143
Seite
Nachtripper 404
Naevus maternus lipoma-
todes ...... 277 327
— vasculosus . . . 326
Nadelstich 15
Nagel, Einwachsen desselben . 663
— Entzündung der Matrix 663
Naht 664
— ächte 665
— blutige .... 665 1045
— gemischte 668
— der vier Meister . . . 668
— m. durchgezogen. Stichen 668
— mit Invagination . . . 671
— trockene . . . 665 1045
— umschlungene . . . 665
— umwundene . . . . 665
— unächte 665
— unblutige 665
— unterbrochene . . . 665
— ununterbrochene . . . 668
Narbe 672
Narbenbildung .... 8 1043
Narbenoperation 673
Narcotica 112
Nase, künstliche 688
Nasenbildung 676
Nasenbluten 126
Nasengeschwür 680
Nasenlöcherverengerung . . . 681
Nasenlöcherverschluss . . . 681
Nasenpolyp 682
Nasensteine 687
Nasus artificialis . . . 688
Necrosirung 688
Necrosis 135 504
Necrosis centralis
— externa .
— interna .
— partialis
— peripherica
— s enuum .
— s up erfi cialis
— to tali s
Ne crotomia
Nervenausschneidung
Nervengeschwulst .
Nervenschmerz
Nervenschnitt .
Neubildung
— nicht organisirte
— organisirte .
Neuralgia
— facialis .
— frontalis
— glandulaeprosta
— inf ra orbital is
— ischiadica
— maxillaris
— mercurialis
— testiculi
— trun ci ampu tati
Neurectomia .
Neuritis .
Neuroma
Neurotomia
Nezbruch
Nierensteine
Niesemittel .
Nodus venereus
Noma ....
N y m p h i t i s .
Seile
504
504
504
504
504
143
504
504
508
706
705
704
706
690
690
350
704
362
362
1027
363
455
363
650
442
50
706
689
705
706
150
698
707
902
708
835
Ob stipitas capitis
Obturatoren für den Gaumen
Obvolventia
O dontalgia .
O donti dis
Oedema .
— callidum
— frigid um
— glo tti dis
— hyperaemicum
— inflammatorium
— p edum
— scroti
Oesophagotomia
Ohren, künstliche
Ohrenblutfluss .
383
303
. 263
096 1099
. 1096
. 714
. 714
. 714
. 1034
. 714
. 714
. 714
. 443
. 873
. 730
. 126
Ohrentzündung 716
Ohrenfluss, 723
Ohrläppchendurchbohrung . . 724
Ohrpolypen 725
Ohrenschmalz, mangelndes . . 727
— verhärtetes 726
Ohrentönen 729
Ohrenzwang 727
Ohrspeicheldrüsenentzündung . 862
Ohrspeicheldrüse , Exstirpation
derselben 863
Ohrverschliessung 728
Omarthrocace .... 853
Omphalocele 162
Oncotomia 11
Onychia 662
1144
REGISTEK.
Onychia benigne
— maligna .
Onychocryphosi
Oophoritis .
Opisthotonus .
Orchitis.
Orthopädie .
Osteoaneurysma
Osteocarcinorna
0 s teo c opi
Osteoidgeschwulst
Os teoly osis
Osteomalacia .
O s teomy elitis
0 s teop alinclasis
Osteophyt . . .
Paedarthrocace
Palatoplastik . , .
Panaritium.
— cutaneum
— periostei
— tendineum
Panzerhandschuh .
Pappschienen .
Pappverband
Par acentesis .
— ab d ominis
— capitis
— pectoris
— pericardei
— th oracis
— uteri .
— vesicaefelleae
— — urinariae
Paralysis
— agita n s .
— cruciata
— incompleta
— m u s c u 1 o r u m
— transversa .
— vesicae urinai
Paraphimosis .
Paraplegi a .
Parasiten
P a,r e s i s
Parotitis
P a r u 1 i s
Pauke ....
Peitschen mit Nesseln
Peni cillus .
Periostitis .
Periostosis
Seite Seile
662 Osteoporose 556
663 Osteopsathyrosis . . . 571
663 Os te osarcoma . . . 274 564
223 Osteosteatoma .... 278
1058 Ostitis 555
436 — articularis . . 334
977 — — centralis . . 334
566 — — peripherica. . 334
567 Otalgia 727
902 Otitis . , 716
568 Otorrhagia 126
571 Otorrhoea 723
559 Ovalärschnitt 45
558 Ozaena 680
516 — maligna contagiosa 817
563
P.
568 Periproctitis 640
300 Pernio 261
732 Pes equinus 489
732 Pessarium ...... 657
732 Pferdefuss 489
732 Pflasterschienen ..... 847
733 Pfropf bildung 920
847 Phallorrhagia .... 128
734 Ph ary gorrhagi a . . . . 127
767 Phatnorrhagia . . ... 127
773 Phimosis 826
769 Phlebectasia 962
770 Phlebitis 257
772 Phlebolithen 962
770 Phlebotomia 16
776 Phlegmasia alb a d ol ens . 742
776 Phlegmone 1104
777 — circumscripta . . 1105
600 — diffusa 1105
600 — subcutanea . . . 1105
600 — subfascialis . . . 1105
600 Phlogosis 247
361 Phosphornekrose 744
600 Plagula 204
389 Plastische Chirurgie .... 745
830 Plastische Operationen . . . 745
600 Plattfuss 488
740 Pleurosthotonus . . . 1058
600 Pneumatosis 243
1021 Pneumothorax . . . . 1081
741 Politisches Decoct .... 914
187 Polypen 747
957 — bösartige 749
201 — fibröse 748
557 — harte 748
563 — weiche 748
REGISTER.
1145
Pott'seher Brand .
Prellschüsse
Proetocystotomi
Proctorrhagia
Profluvium sang
Prolapsus ani
— linguae .
— uteri .
— vaginae .
Pro natio uteri
Prostatitis .
Prurigo . . .
Pruritus . *
Pseudarthrosis
Pseudocancer cu
Pseudoe rysipela
— colli .
Psendomorphosi
Pseudoplasma
Psoasabseess
Psoasentzündung
Psoitis
Psora . . .
Psydracia
Quadriga
Quassatio
Quellmeissel
Seite Seite
141 Ptyalismus . .... 647
1049 Pulsadergeschwulst . . . . 756
875 — wahre , 756
132 — gemischte 757
120 — falsche 758
637 Pul vi 11 us 200
1117 Pulvinar 954
321 Punktion 767
845 — der Bauchhöhle . . . 773
304 — — Brusthöhle . . . 770
1021 — — Gallenblase ... 776
750 — — Gebärmutter . . 776
750 — — Harnblase . . . 777
751 — des Herzbeutels . . . 772
431 — — Hydrocephalus . . 769
1105 Pus 232
386 Pustulamaligna. . . . 144
652 — nigra 144
690 Pyämie 780
755 Pyarthros 339
755 Pyogenesis . ... 232
755 Pyosis 232
585 Pyothorax 243
648
a.
176 Querbruch 509
783 Querlähmung 600
266 Quetschung 783
Rabies c anina
Rachenpolyp
Radicaloperation der Brüche
Ramex ....
Ranula
Rauced o syphili t
R e c e p t a c u 1 u m a n
— faecium .
— urinae
Regenbad
Reifmachende Mittel
Reinigende Mittel .
Relaxantia .
Repositio fr&ctui
— herniae .
— luxationis
Rese-ctio . .
— in continu
sium .
— ossium in
— — totalis
Resolutio
Resolventia
täte
ticuli s
1055
Retentiofracturae .
512
785
— luxationis .
982
151
— urinae
420
149
— — paralytica
425
296
Retroflexio uteri
304
901
Retroversio uteri .
304
584
Reunio
1042
584
— per granulationem
1043
402
— — primam intentio-
95
4-043
785
— — secundaminten-
786
tionem
1043
263
— — • suppurationem
1043
512
3
151
Rhachitis ad ultoruju .
559
980
— juvenilis
560
787
852
Rhinolithen
687
801
Rhinoplastik
676
788
Rhinorrhagia
126
811
Rinnen , ♦.
954
250
Risse
852
1110
Rollbind c .... . .
113
72*
1146
REGISTER.
Seite
Rose 814 Rückgratsspalte . . . .
Rothlauf 814 Rückgratsverkrüramung .
Röthung der Haut .... 267 Rückwärtsbeugung des Knies
Rozkrankheit 817 — — des Uterus . .
Rubifacienti a .... 4 Ruptura tendinum .
Rückenbruch 164 Russwarze
Seite
819
819
500
304
858
444
Sackwassersucht
104
Sacro-coxalgie .
109
Säbelbein
499
Salivatio
647
Sandkloss
436
Sandverband .
955
Sanguif luxus
120
Sanies . .
233
Sarcocele scroti
443
S ar coma .
273
— cysticum
439
— melanodes
273
— scroti
443
Scabies . . .
585
Scapulier
Scarificatio
371
833
Schaden, bleibender
1042
Schärpe ....
Schambruch
81
166
Schamfugenschnitt
Schamlefzenabscess
833
836
Schamlefzenbrand
836
Schamlefzenbruch
166
Schamlefzenentzündung
835
Schamlefzenhypertrophie
Schamlefzenkrebs .
837
838
Schamlefzennaht .
258
Scheidenblasenschnitt
886
Scheidenblutung .
Scheidenbruch
130
165
Scheidencatarrh
838
— acuter .
838
— chronischer
838
Scheidenentzündung
Scheidenfisteln
838
840
Scheidengeschwülste
Scheidengeschwüre
S chei denkais ers chnitt
841
843
321
Scheidennaht .
241
Scheidenstüze .
660
Scheidenträger
Scheiden Verengerung
Scheidenverschliessun
Scheidenvorfall
y
660
844
844
845
Schenkelbruch . .
160
. — äusserer
160
Schenkelbruch, innerer . . . 160
Schenkelbruchband . . . . 171
Schenkelgeschwulst, weisse . . 742
Schiefbruch 509
Schiefer Hals 383
Schienen 846
Schilddrüsenentzündung . . . 848
Schilddrüsengeschwülste . . 594
Schilddrüsenkrebs . . . . 595
Schlagadergeschwulst . . . 756
Schleimbeutelcysten . . . . 214
Schleimbeutelwassersucht . . 214
Schleimhautfollicularcyste . . 212
Schleimpolyp 748
Schlinge 849
Schlingen, erschwertes . . . 871
Schlingennaht 668
Schlundfistel 382
Schlundpolyp 785
Schmarozerthiere 740
Schmierkur 910
Schneckenverband . . . . 115
Schnitt 477
Schnittwunden 1046
Schornsteinfegerkrebs . . . 444
Schraub enturniket . . . . 932
Schreibkrampf. . '. . . . 279
Schröpfen 850
— blutiges 851
— trockenes 850
Schröpfkopf 850
Schröpfstiefel 850
Schrunden 852
Schulterbinde 371
Schultergelenkentzündung . . 853
Schusswunden 1048
Schwamm chen 853
Schwappung 7 8
Schweben 956
Schwerhörigkeit, nervöse . . 729
Schwinden 85
— der Knochen . . . . 570
■ — der Hoden 440
Schwund, der 85
S cirrhus 589
Scleroma textus cellulosi U09
REGISTER.
1147
Sclerosis . . .
— centralis
— corticalis .
— supr ac orticali
Scoliosis
Scrophelkrankkeit
Scrophulosis .
Scrophulöse Geschwüre
Sectio abdominalis
— alta . .
— bilateralis
— lateralis
— quadrilateral:
— recto-vesicali
— transver salis
— vagino-vesica
— verticalis
Sedantia .
Sehnennaht
Sehnenscheidencysten
Sehnenschnitt .
Sehnenzerreissung
Seitensteinschnitt
Senknngsabscess
Sequester .
S etaceum
Seton . . .
Sichelbein . .
Sinapismus .
Spaltbildungen
Spanischer Kragen
Spasmus scriptoriu
— muscul. faciei
Speckgeschwulst. .
Speicheldrüsenfistel
Speichelfistel .
Speichelfluss
Speichelsteine . .
Speiseröhrenpolyp
Speiseröhrenschnitt
Speiseröhrenverengerung
Sphacelus .
Spica ....
— coxae .
— humeri .
— pollicis
— pro luxati o
Spinabi fi da
— ventosa .
Spiralverband . .
— breiter . .
— kriechender
— schmaler
Spizfuss ....
lis
Pe
Seite
570 Splenia ....
570 Splitterbruch . . .
570 Spondilarthrocace
570 — cervicalis .
819 — dorsalis et lum
855 Spondilitis
855 — fibrosa . .
856 Spondilostrophosis
101 Spreukissenverband .
876 Sprizbad ....
883 Staphyloplastik
879 886 Staphylorrhaphia
884 Steatoma . .
884 Steinkrankheit . . .
885 Steinschnitt . . .
886 — beim Manne .
885 — — Weibe
1 1 1 Steinauflösende Mittel
1064 Steinzertrümmerung .
213 — beim Manne .
894 — — Weibe
858 Stenochorien . . .
879 886 Stenosen ....
860 — der Speiseröhre
504 Steppnaht ....
376 Sternutatoria . .
376 Stich
499 — giftiger Thiere
4 Stichwunden
653 Stillicidium sangni
830 — urinae . .
279 Stirnhöhlenabscess
361 Stirnhöhlenpolyp . .
277 Stomacace gangra
865 Stomatoplastik
865 Stranguria .
647 Streifschüsse
702 Strictura recti
874 — oesophagi .
867 — urethrae
870 — vaginae .
136 Strohladen ....
116 — falsche . . .
583 — wahre .
583 Struma ....
584 — aneurysmatic
dis 584 — cystica .
819 — fibrosa . .
569 — inflammatorii
115 — lymphatica
115 — vasculosa .
115 S typtische Mittel . .
116 Subcutane Operationen
489 Subluxatio . . .
lis
1148
REGISTER.
Seite
Suggillatio 221
Supinatio uteri .... 304
Suppositorium uterinurh 657
Suppurantia 785
Suppuratio 232
Suspensoria 921
Suspenso rium brachii . 81
— pro hernia umbili-
cal. ...... 921
— scroti 922
Sutura 664
— ansata 668
— circumvoluta . . 666
— clavata 667
— cruenta . . . 665 1045
— interscisa .... 665
— intorta 666
— pellionum .... 668
— pinnata ..... 667
— sicca . . . . 665 1045
¥r transgressiva . . 668
Symphorosen .
Symphyseotomia
Synchondrotomia
Synovialcysten .
Synovitis .
Syphiliden . .
Syphilis . .
— primäre
— secundäre
— tertiäre .
— universalis
Syphilitischer Bubo
Syphilitische Exostosen
Syphilitische Geschwüre
— — primäre .
■ — — secundäre
Syphilitische Hautausschläge
• — Knochenschmerzen
— Periostosen
Syringi ti s .
Syringo tomia .
Seite
649
833
833
212
333
900
895
896
898
901
899
899
902
896
896
900
899
902
902
721
287
Talipescalcaneus .
— calcaneo-valgu
— equi no-valgus
— — varus
— valgus
— varus .
Tal ip oman us
Tampon
Taxis
T-Binde . .
Telan giectasia
— lipomatode
Tenotomia .
Testudo . .
Tetanus .
Thorolus Stramin
Thränendrüsenfistel
Thränensackfistel .
Thrombosis
Thrombus .
Thyreoideitis
Tinea capitis .
— — mal ig n
— — favosa
— lacteafaciei
Todtenlade . . ..
Tonsillotomia
Torcular
Tornaculum
Torsiovasorum
Torticollis . .
490 Trachealfistel . .
490 Tracheotomia
490 Tragbeutel . . .
490 Transfusion
488 — mittelbare .
488 — unmittelbare
490 Trans fusio infusoria
201 Transplantationeines
151 Tremor mercurialis
114 Trepanatio . . .
326 — antri Highmori
277 327 — cranii
894 — scapulae
116 — sterni
1058 Tripper ....
893 — beim Manne
916 — — Weibe
916 — chronischer
920 ht- erysipelatöser
920 — trockener
848 — virulenter
580 Trismus . . .
581 Tropfbad . .
580 Tuberkel . .
651 Tumor albus
505 — genu .
623 Tumores . .
931 — benigni
931 — carcinomatos
119 — =■ cystici
383 — — compositi
Hautstücks
383
609
921
922
923
923
923
746
. 650
. 923
. 712
. 923
. 808
. 810
. 403
. 403
. 404
. 404
. 404
. 404
. 404
. 1058
95
. 929
331 338
. 496
. 350
. 350
. 351
. 206
. 209
REGISTER.
1149
Tumoresfibrosi. . .
273
— maligni . . .
351
— ossium
562
— üac cati
206
— tuni cati '
206
Turniket
931
Ueberbein
l
213
Uebernährung
471
Ueberzählige Finger ....
280
— Zähne
1102
U Iceratio
352
Ulcus
351
Ulorrhagia
127
Umbeugung der Gebärmutter .
304
Umlauf
663
98
Umstechung
938
Umstülpung der Gebärmutter .
318
Unterbindung der Gefässe .
935
— blutender Gefässenden .
937
— in derContinuität derAr-
939
— nach Antyllus
941
— — Brasdor ....
943
— — Hunter ....
942
— der A r teria anonvma
943
— — — aorta abdo-
minalis
948
— — — axillaris
946
— — — brachialis.
947
— — — carotis cora-
944
— — — — externa
944
— — — cruralis .
951
— — — epigastrica
-950
— — — femoralis
951
— — — glutaea .
950
— — — iliaca com-
munis
948
Vaccinatio
474
Varices haemorrhoidales
377
Vari cocele
957
Varix ,
962
— arterialis
757
— aneury smaticus
761
Ven a medinensis
740
Venaesectio
16
Venensteine
962
Venerische Krankheit
899
Verbandtücher
966
Seite Seite
Turniket für die Extremitäten . 931
— — den Kopf u. Rumpf 934
Turundae 201
— intumesc en t es . . 266
Typhlitis sterco rea . . 217
u.
Unterbindung der Art. iliaca
externa
— — — — interna
— — — ischiadica
— — — lingualis
— ■ — — mammar. in
terna
— — — maxillar.ex
terna.
— — — pediaea.
— - — — peronaea
— — — p o p 1 i t a e a
— — — pudenda int
— — — ra dialis .
— — — spermatica
— — — siibclavia
— — — temporalis
— — — t h v r o i d. s u
p erior
— — — tibialis an-
ti ca
— — — — p o s t i c a
— — — ulnaris .
— — Fisteln . . . .
Unterschienenverbände .
Urethrocystaneurysmato-
mia
Ur ethrorrhagia .
Urethrotomia externa
— interna
Urticatio
Usura ossium . ..
Uvula bifida . .
Verbrennung . . .
Vereinigung der Wunden
Verengerung .
— der Harnröhre
— des Mastdarms
— der Mutterscheide
— — Vorhaut .
Vergrößerung der Brüste
— — Eierstöcke
— — Nymphen
— — Zunge . .
949
949
950
945
946
945
952
953
952
950
948
950
945
945
945
952
952
947
286
953
875
128
414
417
956
571
1104
967
1044
972
408
633
844
826
183
231
837
1117
1150
REGISTER,
Seite
Verhärtetes Ohrenschmalz . . 726
Verhärtung • . 974
Verknöcherung 692
— der Arterien .... 83
Verkreidung 692
Verkrümmung 976
Vernarbung 304
Verrenkung 978
— angeborene .... 983
— a. innern Bedingungen 338 343
— der Beckenknochen
. 989
— de.s Brustbeins
. 988
— — Ellbogengelenks
. 998
— — Fersenbeins .
. 1018
— — Fusses .. .
. 1015
— der Fusswurzelknochen
. 1217
— — Halswirbel . .
. 985
— Hand ....
. 1003
— am Handgelenk .
. 1002
— des Handwurzelgelenks
. 1004
— — Kahnbeins .
. 1018
— — ersten Keilbeins
. 1018
— — Knies ....
. 1013
— der Kniescheibe .
. 1012
— — Lendenwirbel
. 987
— — Mittelfussknochen
. 1019
— des Mittelhandknochens
des Daumens .
. 1004
— — Oberarms . .
. 994
— — Oberschenkels .
. 1007
— der Finger ....
. 1005
— des Radius im Ellbogen
-
gelenke ....
. 1000
— — — im Handgelenke 1004
— d. Rippen u. ihr. Knorpel 987
— — Rückenwirbel
. 987
— des Schlüsselbeins
. 992
— — Sprungbeins
. 1017
— — Steissbeins .
. 991
— d.Ulnai. Ellbogengelenk«
3 1001
— — — im Handgelenke 1003
— — Vorderarmknochen
998
— des Wadenbeins .
1015
— der Wirbel
985
— — Zehen
1020
Verruca.
1030
— cancroides
431
— carnosa .
1031
— vulgaris . .
1030
Verschiebung der Bruchenden
Verschliessung ....
Verschliessung der Harnrühre
— des Mastdarms
— — Muttermundes
— der Mutterscheide
— des Nasenkanals .
— der Nasenöffnungen
— — Vorhaut
Verschwärung .
Verticalschnitt .
Versiones uteri
Verstauchung .
Verwachsung der Finger
— — Gelenkendend. Kno-
chen
— — Lippen und Wange
mit dem Zahnfleische .
— — Schamlippen
— — Vorhaut
— — Zunge
Vesicantia .
Vestibularschnitt .
Viergespann
Vinculum
Visceralgeschwür .
Vitia primae et secun
formationis .
Vorfall
— der Gebärmutter
— — Gedärme .
— — Lunge
— des Mastdarms
— der Mutterscheide
— des Nezes .
— der Zunge .
Vorhautbildung
Vorhautverschliessung
Vorsteherdrüsenabscess
Vorsteherdrüsenentzündung
Vorsteherdrüsenhypertrophie
Vorsteherdrüsenkrebs
Vorsteherdrüsenneuralgie
Vorsteherdrüsensieine
Vorsteherdrüsentuberkel .
Vorsteherdrüsenverhärtung
Vorwärtsbeugung des Knies
— der Gebärmutter .
Vulnus
d ae
652
1020
320
1083
1080
637
845
1083
1117
833
1020
1021
1021
1023
1026
1027
703
1028
1029
500
305
1041
w.
Wabenkopfgrind 580 Wangenkrebs 607
Wachsbeule 187 Warze 1030
Wachsgrind . , , t . . 581
REGISTER.
1151
Seite
Warzenkrebs 431
Wasseransammlung in derSchei-
denhaut des Hodens . . . 458
— im Zellgew. d. Hodensacks 443
Wasserbalggeschwulst auf der
Kniescheibe 1031
Wasserbruch 4 58
— angeborener . . . . 465
Wassergeschwulst der allgemei-
nen Scheidenhaut .... 467
— — Stimmrize . • . 1034
Wasserkopf 1033
Wasserkrebs 708
Wasserscheu .1055
Wassersucht der Highmorshöhle 711
Wattverband . . ."_*. . .1037
Weinhold'sche Kur . . . . 915
Weinstein der Zähne . . . .1101
Weinstühlchen 499
Weisse Gelenkgeschwulst . 331 338
Widernatürlicher After ... 31
Widernatürliches Gelenk . . 751
Wieke 201
Wildes Fleisch 13
Winddorn . . . . . . 569
Windgeschwulst 243
Winterbeule 261
Wirbelentzündung .... 1038
Wolfsrachen 300 426
— doppelter 426
— Operation desselben . . 302
Wunden . 1041
— gerissene 1048
— gequetschte .... 1048
— absolut tödtliche . . . 1042
— zufällig tödtliche . . . 1042
— vergiftete 1053
— der Augenbrauen . . 1075
— — Augenlider . . .1075
Zähne, Ausfüllen der . . . 1098
— Ausziehen der . . . 1092
Zahnentzündung 1096
Zahnfäule 1096
Zahnfistel 1099
Zahnfleischgeschwulst . . 258 741
Zahnfleischgewächs . . . . 258
Zahnschmerz 1099
Zahnstein 1101
Zähne, überzählige . . . .1102
Zahnverlezungen 1103
Zapfennaht 667
Zäpfchen, Abkürzung dess. . . 1004
Seite
Wunden der Blutgefässe .
. 1060
— — Brust ....
. 1078
— des Damms
. 1089
— der Därme ....
. 1085
— — Extremitäten
. 1090
— — Gallenblase .
. 1087
— — Gebärmutter
. 1088
— — Gelenke .
. 1062
— des Gesichts
. 1074
— — männlichen Glieds
. 1089
— — Halses . .
. 1076
— der Harnblase
. 1087
— des Herzens
. 1081
— der Hoden ....
. 1089
— — Knochen .
. 1062
— des Kopfs ....
. 1064
— der Leber ....
. 1087
— — Lippen .
. 1075
— — Lunge
. 1081
— des Magens
. 1085
— der Milz ....
. 1087
— Muskeln u. Sehnen 1063
— — - Nase ....
. 1075
— — Nerven
. 1064
— — Nieren . . .
. 1087
— — Ohren
. 1075
— des Samenstrangs
. 1089
— der Scheide
. 1088
— — Speiseröhre .
. 1077
— — Trachea .
. 1076
— des Unterleibs
. 1082
— der Wange ...
. 1075
— — Zunge
. 1075
Wundfieber
. 1042
Wundstarrkrampf ....
. 1058
Wundsein
. 1091
Wurm am Finger ...
. 732
Wurmkrankheit . .
. 817
Wuth
. 1055
Zäpfchen, Entzündung dess.
1004
— Vergrösserung dess. .
1004
— Spaltung dess. . .
1004
Zellenkrebs
589
Zellgewebsbrand des Halses
386
Zellgewebsentzündung
1004
Zellgewebsverdickung d. Hoden
sacks .......
443
Zellgewebsverhärtung
1109
— brandige des Halses ..
386
— der Neugeborenen
1109
Zermalmung
783
Zerreissung der Achillessehne
858
1152
fcEGISTEfi.
Seite
Zertheilende Mittel . . . .1110
Zertheilung ....... -250
Zertrümmerung .des Steins in der
Blase ........ 886
Ziegenbein 499
Ziegenpeter . . . . . . 862
Zirkelschnitt 42
Zirkelverband . . . • ; . . 115
Zittern der Hände 279
— merkuriclles . . . . 650
Zittmann'sches Decoct . . . 913
Zona 1112
Zoster
Zungenbändchen, zu kurzes
Zungenentzündung
Zungenhypertrophie . .
Zungenkrebs ....
Zungenverschwärnng .
Zurückbringung eines Bruch
Zusammenklebende Mittel
Zusammenziehende Mittel
Zweiwuchs
Zwerchfellbruch
Seite
1112
1116
1114
1117
1119
1121
151
1122
1122
r»6i
167
Seite
5
7
12
22
24
25
30
49
50
52
59
66
92
99
111
116
151
153
181
206
207
224
357
379
406
548
548
557
561
566
576
634
652
693
792
Ze
le 15
3
15
22
5
13
12
2
20
5
15
13
8
17
14
14
9
20
5
12
6
16
22
11
21
17
22
4
3
18
18
5
14
6
22
Druckfehler.
von unten statt Hydrarthrus lies Hydarthrus.
,, ,, discrasiseh 1. dyscrasisch.
,, ,, ut reman. 1. ad reman.
,, ,, - amonii 1. ammonii.
,, ,, Pflanzenform 1. Pflanzenschleim.
,, ,, Telangiactasien 1. Telangiectasien.
oben ,, Callisonl. Callisen.
unten , , umstülpt 1. umsticht,
oben nach abgenommenem seze Gliede.
,, statt Guthri n 1. Guthrie,
unten ,, am Fusse 1. am rechten Fusse.
,, nach Lappenschnitte streiche 50.
oben statt bringt 1. benüzt.
unten ,, der Bauchhöhlennähe 1. der Bauchhöhle
näher,
oben ,, weiter angezeigte 1. weiter unten angezeigte,
unten ,, Spinal. Spica.
oben ,, Bauches 1. Bruches,
unten ,, Bauchgeschwulst 1. Bruchgeschwulst,
oben ,, der Wundwinkel 1. der eine Wundwinkel.
,, ,, Verbrennung 1. Verkrümmung.
,, • ,, Brustserum 1. Blutserum.
,, ,, zu Tode 1. zum Tode,
unten ,, in Substanz 1. in Distanz,
oben ,, Entleerung 1. Entzündung.
,, ,, Erschlaffung der organischen 1. Erschlaf-
fung oder organische,
unten ,, schräge 1. sehnige.
,, ,, schräge 1. sehnige,
oben ,, bildet 1. bietet,
unten nach Festigkeit seze wieder,
oben statt ärgeren 1. längeren.
,, ,, über den Nacken 1. über die Wangen.
,, ,, Structur 1. Strictur.
untten ,, Verwässerung 1. Verwachsung,
oben ,, Cholodochus 1. Choledochus.
unten ,, Auflösung 1. Auslösung.
Druck von Otto Wigand in Leipzig.