Skip to main content

Full text of "Handwörterbuch der Chirurgie : mit Einschluss der Operations-, Verband- und Arzneimittellehre : für praktische Wundärzte"

See other formats


Boston 

Medical  Library 

8  The  Fenway 


Amnion  nvoiaaw 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2011  with  funding  from 

Open  Knowledge  Commons  and  Harvard  Medical  School 


http://www.archive.org/details/handwrterbuchdOOburg 


Handwörterbuch 


der 


CHIRURGIE 


mit  Einschluss  der 


Operations-,  Verband-  und  Arzneimittellehre. 


Für  praktische  Wundärzte 

bearbeitet  von 

es 

Dr.  C.  G.  Burger, 


Oberamtswundarzte  in  Münsingen. 


Leipzig 

Verlag  von  Otto  Wigand, 

1858. 


JsS./f-?^ 


Vorrede. 


Die  grossen  und  schnellen  Fortschritte,  welche  die  Chirur- 
gie und  ihre  Hülfswissenschaften  in  der  neuesten  Zeit  machen, 
lassen  es  wünschenswerth  erscheinen,  die  Masse  von  neuen  Ent- 
deckungen, Erfahrungen  und  Beobachtungen,  welche  in  Zeit- 
schriften und  Monographien  niedergelegt  sind ,  von  Zeit  zu  Zeit 
den  Handbüchern  der  Chirurgie  einzuverleiben  und  so  allgemein 
zugänglich  zu  machen.  Ermutigt  durch  die  günstige  Aufnahme, 
welche  sein  Lehrbuch  der  Chirurgie  gefunden  hat,  und  besonders 
auch  von  verschiedenen  Seiten,  namentlich  von  Besizern  des  ge- 
nannten Lehrbuchs  aufgefordert,  hat  sich  der  Verfasser  ent- 
schlossen, ein  die  ganze  Chirurgie  nebst  ihren  wichtigsten  Hülfs- 
wissenschaften umfassendes,  für  den  Anfänger,  hauptsächlich  aber 
für  den  Practiker  taugliches  Werk  auszuarbeiten.  Obgleich  nun 
gerade  nicht  behauptet  werden  kann,  dass  die  chirurgische  Lite- 
ratur arm  an  Werken  ist,  ja  sogar  zugegeben  werden  niuss,  dass 
keine  frühere  Zeit  so  viele  und  gediegene  Werke  über  Chirurgie 


aufzuweisen  hat,  als  eben  die  gegenwärtige,  so  ist  auf  der  andern 
Seite  nicht  in  Abrede  zu  ziehen,  dass  die  meisten  derselben  durch 
ihren  zu  hohen  Preis  dem  minder  bemittelten  Wundarzte  nicht 
zugänglich  sind ,  wesshalb  ein  grosser  Theil  dieser ,  theils  aus 
Mangel  an  Gelegenheit,  theils  aus  Mangel  an  Zeit,  sich  ander- 
weitig zu  belehren,  nothwendig  ausser  Stande  sein  muss,  mit  den 
Fortschritten  ihrer  Wissenschaft  gleichen  Schritt  zu  halten. 
Diesem  hat  der  Verfasser  bei  der  Bearbeitung  seines  Werkes 
dadurch  zu  begegnen  gesucht,  dass  er  sich  einerseits  einer  zu 
dehnenden  Weitschweifigkeit  enthielt,  ohne  indessen  etwas 
Wissenswerthes  zu  übergehen,  andererseits  demselben  eine 
solche  Einrichtung  gab,  dass  möglichst  Baum  erspart  ist,  was 
noch  durch  einen  compressen,  das  Auge  übrigens  nicht  beschwe- 
renden Druck  unterstüzt  wird.  —  Die  Form  betreffend,  so  wurde 
die  encyclopädische  gewählt,  die  namentlich  für  den  beschäftigten 
Practiker  sich  äusserst  bequem  erweist,  indem  er  sich  vorkom- 
menden Falls  schnell  Eaths  erholen  kann.  Der  Vorwurf,  der 
früher  den  encyclopädischen  Wörterbüchern  nicht  mit  Unrecht 
gemacht  wurde,  dass  sie  nämlich  zusammengehörige  Gegen- 
stände auseinanderreissen,  fällt,  seitdem  man  in  neuerer  Zeit  an- 
gefangen hat,  die  an  den  einzelnen  Körpertheilen  vorkommenden 
Krankheiten  im  Zusammenhange  abzuhandeln ,  wie  auch  schon 
früher  in  ähnlichen  Werken  sich  alle  Wunden ,  Fracturen,  Her- 
nien etc.  unter  einem  Artikel  finden,  so  dass  es  auch  bei  dieser 
Form  an  einer  systematischen  Anordnung  nicht  fehlt.  —  Was 
die  innere  Einrichtung  betrifft,  so  ist  in  dem  vorliegenden  Werke 
hauptsächlich  auf  das  Bedürfniss  des  Practikers  Rücksicht  ge- 
nommen und  in  dieser  Hinsicht  namentlich  der  Diagnose  und 
der  Behandlung  eine  besondere  Sorgfalt  gewidmet  worden; 
erwünscht  dürfte  bezüglich  der  leztern  die  Aufnahme  zahlreicher 
durch  die  Erfahrung  bestätigter  Receptformeln  bei  den  einzelnen 
Artikeln   sein.      Um  indessen   das  Werk  nicht  allein  für  den 


VII 

wissenschaftlichen  Practiker  nuzbringender,  sondern  auch  für 
den  Anfänger  brauchbar  zu  machen ,  ist  auch  den  Hauptergeb- 
nissen der  neuesten  pathologisch  anatomischen  und  physiologi- 
schen Untersuchungen  gebührend  Rechnung  getragen,  so  dass 
also  Theorie  und  Praxis  in  gleicher  Weise  berücksichtigt  sind. 
—  Wie  der  Titel  besagt,  sind  neben  der  chirurgischen  Pathologie 
und  Therapie  die  Operations-,  Verband-  und  Arzneimittellehre 
in  abgesonderten  Artikeln  aufgenommen.  Die  Instrumenten- 
lehre wurde  ausgeschlossen,  weil  die  Beschreibung  der  Masse 
von  (grösstentheils  bekannten)  Instrumenten  einen  zu  grossen 
Raum  erfordert  hätte;  indessen  sind  nicht  wenige  namentlich 
neuere  Instrumente  wenigstens  nach  ihren  Grundzügen  aufge- 
nommen. In  gleicher  Weise  wurde  von  einer  Aufnahme  der 
Augenheilkunde  Umgang  genommen,  weil  sie  zu  einem  sehr 
umfangreichen,  sogar  selbstständigen  Abschnitte  der  Chirurgie 
angewachsen  ist  und  daher  specieller  Handbücher  bedarf.  Nicht 
so  sicher  der  Billigung  der  Fachgenossen  wie  bezüglich  der  zwei 
vorgenannten  Lehren  ist  der  Verfasser  über  die  Weglassung 
der  in  den  Handbüchern  der  neuern  Zeit  häufig  den  einzelnen 
Artikeln  vorangeschickten  topographischen  chirurgischen  Ana- 
tomie. Auch  entschloss  sich  derselbe,  den  Nuzen  einer  solchen 
anerkennend ,  erst  nach  langen  Bedenken  zu  dieser  Weglassung 
und  zwar  im  Hinblick  darauf,  dass  eine  blosse  Skizze  derselben 
doch  nicht  vollständig  befriedigen ,  ein  näheres  Eingehen  auf 
diesen  Gegenstand  den  Umfang  des  Werkes  über  die  Massen 
vergrössern  würde.  —  Der  Verfasser  hat  sich  bemüht,  ein  Werk 
zu  liefern,  welches  den  Anforderungen  der  gegenwärtigen  Zeit 
entspricht  und  zu  diesem  Behufe  alles  bewährte  Neue  aus  Zeit- 
schriften, Monographien  und  Handbüchern  aufgenommen,  aber 
auch  das  Alte,  soweit  es  brauchbar  ist,  nirgends  übergangen. 
Ob  er  seinen  Zweck  erreicht  hat,  muss  er  dem  Unheil  der  Sach- 
verständigen überlassen. 


VTIT 

Schliesslich  sei  noch  bemerkt ,  dass  alle  Artikel ,  mit  weni- 
gen Ausnahmen ,  unter  den  deutschen  Benennungen  aufgeführt 
sind;  ein  vollständiges  Register,  welches  alle  Synonyme  ent- 
hält, erleichtert  das  Aufsuchen  eines  bestimmten  Artikels  auf  die 
möglichste  Weise. 

Der  Verfasser. 


71929 


A. 


ABBINDEN.  Man  verstellt  darunter  das  Zusammenschnüren 
eines  organischen  Theiles  oder  eines  krankhaften  Productes  mit  einer  Liga- 
tur, um  eine  Abtrennung  desselben  zu  bewirken.  Dies  kann  auf  zweifache 
Weise  geschehen :  entweder  die  Ligatur  bewirkt  die  Trennung  unmittelbar, 
indem  sie  gleich  einer  Scheere  durch  schneidenden  Druck  wirkt,  oder 
sie  wirkt  allmäklig,  indem  sie  durch  Aufhebung  der  Circulation  ein 
Absterben  des  unterbundenen  Theiles  herbeiführt.  Man  wählt  diese 
immerhin  schmerzhafte  und  langwierige  Operationsmethode ,  wenn  man 
mit  schneidenden  Instrumenten  nicht  zur  Trennungsstelle  gelangen  kann, 
wenn  man  durch  dieselben  wichtige  Nachbartheile  gefährden  würde, 
wenn  man  Blutungen  vermeiden  muss  ,  oder  endlich  bei  Messerscheu  des 
Kranken.  Nur  gestielte  oder  mit  nicht  zu  breiter  Basis  aufsitzende 
Körper  lassen  die  Ligatur  gut  zu.  Behufs  der  unmittelbaren  Trennung 
legt  man,  während  ein  Gehülfe  die  Geschwulst  abzieht,  einen  gewichsten 
Faden  von  Seide  oder  Hanf  oder  einen  Metalldraht  um  die  Basis  der- 
selben und  zieht  ihn  so  fest  zusammen ,  dass  die  gefassten  Theile  durch- 
schnitten werden.  Zur  allmähligen  Trennung  nimmt  man  eine  mehrfache 
Ligatur  oder  selbst  eine  feste  Schnur,  schlingt  sie  in  einen  einfachen 
Knoten  ,  zieht  sie  zusammen  bis  massiger  Schmerz  entsteht  und  schürzt 
dann  einen  zweiten  Knoten  mit  einer  Schleife.  Ist  der  abzubindende 
Theil  an  der  Trennungsstelle  dicker ,  als  an  dem  darüber  liegenden ,  so 
kann  man ,  um  das  Abgleiten  der  Ligatur  zu  verhindern ,  eine  oder 
mehrere  Insectennadeln  über  der  Stelle ,  wohin  diese  zu  liegen  kommt, 
durch  die  Geschwulst  hindurchführen.  Bei  grossen  Geschwülsten,  welche 
nicht  so  fest  geschnürt  werden  können ,  dass  die  Circulation  ganz  auf- 
gehoben wird ,  ist  es  zweckmässig ,  mitten  durch  die  Basis  derselben 
mittels  einer  Nadel  eine  doppelte  Ligatur  durchzuziehen  und  dann  je 
zwei  Enden  nach  jeder  Seite  hin  zusammenzuknüpfen ;  auch  zieht  man 
wohl  kreuzweise  zwei  doppelte  Ligaturen  durch  und  knüpft  ihre  Enden 
an  vier  Seiten  zusammen.  Ist  das  abzubindende  Gebilde  von  der  äusseren 
Haut  umgeben ,  so  wird  diese  an  der  Ligaturstelle  vorher  mit  halbmond- 
Burger,  Chirurgie.  1 


Z  ABBINDEN. 

förmigen  Schnitten  eingeschnitten ,  oder  die  Ligatur  auch  subcutan 
angelegt.  Bei  grossen  Geschwülsten ,  wo  die  Kraft  der  Hände  zur  Zu- 
sammenschnürung der  Ligatur  nicht  ausreicht,  oder  wenn  die  Geschwulst 
in  einer  Körperhöhle  liegt ,  wo  die  Finger  nicht  gut  beikommen  können, 
bedient  man  sich  besonderer  Instrumente ,  sowohl  zur  Umlegung  der 
Ligatur ,  Schiingenführer,  als  zur  Zusammenschnürung  derselben, 
Schlingenschnüre r.  Unter  ihnen  sind  besonders  das  Ligatur- 
stäbchen von  Gräfe,  der  Cylinder  von  Levret  und  die  Rosenkranz- 
instrumente von  Koderik,  Mayor  u.  A.  (S.  Nasen-  und  Gebärmutter- 
polypen) zu  nennen.  Der  Gräfe 's  che  Schlingenschnürer  besteht  aus 
einem  Stahlstäbchen,  das  an  dem  einen  Ende  ein  Loch  hat,  durch  welches 
die  zwei  Enden  der  schon  umgelegten  Schlinge  gebracht  werden ;  am 
anderen  Ende  befindet  sich  eine  Schraube,  die  je  nach  der  Seite,  nach 
welcher  sie  bewegt  wird ,  eine  bewegliche ,  die  befestigten  Fadenenden 
tragende  Schraubenmutter  auf-  und  abwärts. f  ührt ;  eine  einzige  Umdreh- 
ung reicht  oft  hin ,  die  Einschneidung  nach  Wunsch  zu  steigern  oder  zu 
vermindern.  Ein  der  neuesten  Zeit  angehöriges  Instrument  zur  Ent- 
fernung kranker  oder  entarteter  Weichtheile  ist  der  Ecraseur  von 
Chassaignac.  Es  ist  eine  gegliederte  Metallkette,  die  in  Form  einer 
Schlinge  oder  eines  Ringes  um  die  zu  trennenden  oder  zu  exstirpirenden 
Theile  gelegt  und  an  ihren  Enden  mit  einem  mächtig  wirkenden  Apparate 
versehen  wird ,  der  graduell  den  Umfang  des  Metallringes  vermindert, 
die  Weichtheile  unterhalb  des  Metallringes  zusammenpresst  und  endlich 
durchquetscht.  Es  bleibt  eine  nicht  blutende  Wundfläche ,  von  relativ 
sehr  kleinem  Umfange  zurück ,  die  rasch  verheilt.  Der  Erfinder  nennt 
seine  Methode  Ecrasement  lineaire,  linienförmige  Durch  -  oder 
Abquetschung.  Geschwülste  mit  breiter  Basis  müssen  für  die  Abquet- 
schung  vorbereitet,  d.  h.  gestielt  werden,  was  durch  einen  massig  um  die 
Geschwulst  zusammengeschnürten  Faden  geschieht.  Uebermässig  breite 
Geschwülste  durchsticht  man  mit  einer  geraden  lanzenförmigen  Nadel  an 
der  Basis  ,  leitet  einen  Faden  und  an  diesem  die  Kette  des  Instrumentes 
ein ,  und  theilt  so  die  Geschwulst  in  zwei  Theile ,  die  man  nacheinander 
oder  mittels  zweier  Instrumente  auf  einmal  abquetscht.  Ist  der  breite 
Stiel  der  Geschwulst  von  dicker  Haut  umgeben,  so  kann  man  auch  die 
Haut  erst  circulär  einschneiden  und  dann  erst  die  Kette  appliciren.  — 
Wenn  eine  grössere  Strecke  zu  durchtrennen  ist,  so  reicht  das  einmalige 
Einschnüren  nicht  hin ;  die  Ligatur  wird  nach  begonnener  Trennung 
locker  und  hört  auf,  den  Theil  zu  constringiren.  Hier  muss  also  die 
Einschnürung  verstärkt  werden,  weshalb  man  entweder  die  Ligatur  mehr 
zusammenzieht ,  nachdem  man  vorher  die  Schleife  aufgezogen  hat ,  oder 
wo  dies  nicht  angeht ,  legt  man  eine  festere  Ligatur  um  die  Trennungs- 
stelle, oder,  wo  man  den  Schlingenschnürer  applicirt  hat,  lässt  man  diesen 
stärker  wirken.  Dieses  stärkere  Zusammenschnüren  wiederholt  man 
täglich  oder  alle  zwei  Tage,  bis  die  beabsichtigte  Trennung  erfolgt  ist.  - — ■ 


ABLEITENDE    MITTEL.  6 

Entsteht  nach  der  Operation  Blutung  in  Folge  des  Einschneidens  einer 
zu  dünnen  Ligatur,  so  wendet  man  kaltes  Wasser  oder  andere  blutstillende 
Mittel  an.  Eine  sieh  entwickelnde  Entzündung,  der  benachbarten  Theile 
behandelt  man  nach  allgemeinen  therapeutischen  Grundsätzen.  Schwillt 
der  unterbundene  Theil  oder  Körper  sehr  an  und  sondert  derselbe  eine 
brandige  Jauche  ab,  so  dass  dadurch  Funktionsstörungen  in  den  benach- 
barten Theilen  oder  durch  die  Aufsaugung  der  Jauche  üble  Zufälle  ent- 
stehen, so  macht  man  Einschnitte  in  den  Theil,  theils  um  ein  Zusammen- 
fallen der  Geschwulst  durch  Entleerung  der  in  ihr  enthaltenen  Säfte  zu 
bewirken ,  theils  um  in  diese  Einschnitte  fäulnisswidrige  Mittel ,  z.  B. 
Myrrhe ,  Chlorkalk ,  Kohle ,  China  etc.  anwenden  zu  können.  Treten 
während  oder  nach  der  Operation  Nervenzufälle ,  heftiger  Schmerz, 
Trismus,  Tetanus  etc.  ein,  so  hängt  das  oft  von  dem  Grade  der  Zusammen- 
schnürung ab  ;  man  muss  daher  in  einem  solchen  Falle  ,  wo  die  Nerven 
nur  gequetscht  sind  ,  die  Ligatur  entweder  sehr  fest  zusammenschnüren 
oder  aber  lockern.  Das  zurückbleibende  Geschwür  behandelt  man  seiner 
Beschaffenheit  gemäss. 

Ableitende  Mittel,  D  e  r  i  v  a  n  t  i  a ,  R  e  v  u  1  s  i  v  a.  Man  versteht 
darunter  solche  Mittel,  die  durch  eine  mehr  oder  minder  nahe  am  Size  des 
Uebels  stattfindende  Einwirkung  eine  in  einem  Organe  fixirte  Krankheits- 
ursache abzuleiten  geeignet  sind.  Die  ableitenden  Mittel  gehören  zu  den 
wichtigsten  des  Heilapparates,  der  uns  zur  Bekämpfung  mancher  Entzün- 
dungen zu  Gebote  steht.  Sie  wirken  theils  durch  Erregung  eines  Gegen- 
reizes ,  der  ebenfalls  Schmerz ,  vermehrten  Säftezufluss,  Entzündung  oder 
sonstige  Structur-  oder  Vegetationsveränderung  oder  auch  eine  Verlezung 
der  Substanz  herbeiführt,  theils  durch  das  Hervorbringen  einer  Secretion 
von  Serum  oder  Eiter,  um  anomale  Stockungen  der  Säfte  zu  zertheilen  und 
zur  Resorption  zu  bringen,  eine  krankhafte  Secretionsthätigknit  nach  aussen 
abzuleiten  etc. ,  theils  durch  beides  zugleich.  Es  gehören  hierher  die 
rothmachenden  Mittel,  die  Blasenbildung,  die  Acupunctur,  das  Fontanell, 
das  Haarseil  und  die  Cauterisation.  Hier  wird  nur  von  den  zwei  ersten 
die  Rede  sein ;  die  übrigen  werden  in  besonderen  Artikeln  besprochen 
werden.  —  Diese  Mittel  finden  zwar  bei  Entzündungen  eine  ausgedehnte 
Anwendung ,  noch  mehr  sind  sie  aber  bei  den  Folgezuständen  derselben, 
der  Eiterung,  Ulceration ,  Exsudation,  Verhärtung  etc.  und  bei  vielen 
anderen  Krankheitszuständen,  namentlich  bei  denen  mit  erhöhter  Sensibi- 
lität angezeigt.  Betreffs  ihrer  Anzeigen  gilt  im  Allgemeinen  Folgendes. 
Sie  können  entweder  am  Anfange  der  Entzündung  (nie  aber  während  der 
Acme  einer  acuten  Entzündung) ,  oder  bei  ihrer  Abnahme ,  oder  auch  bei 
ihrem  Uebergange  in  den  chronischen  Zustand  angewendet  werden.  Im 
ersten  Falle  bringt  man  sie  nach  vorausgeschickten  Blutentziehungen, 
Kälte  etc.  entfernt  von  dem  Size  der  Krankheit  an  ;  im  zweiten  Falle 
operirt  man  diesem  so  nahe  als  möglich. 

1* 


4:  ABLEITENDE  MITTEL. 

Die  rothmachenden  Mittel,  Rubefacientia,  wendet 
man  vorzüglich  an,  um  einen  Gegenreiz  zu  bewirken,  welcher  schnell  und 
kräftig  ist ,  ohne  eine  Secretion  der  Haut  zu  veranlassen  und  gebraucht 
sie  deshalb  als  Ableitungsmittel  bei  schmerzhaften  Entzündungen  des 
Ohres,  der  Brust  etc.,  bei  Rheumatismen,  Neuralgien,  zurückgetretenen 
Exanthemen  etc.  Das  wirksame  Princip  der  rothmachenden  Mittel  ist 
meistens  ein  scharfes  ätherisches  Oel ;  man  wählt  deshalb  solche  Sub- 
stanzen dazu ,  welche  ein  solches  enthalten ,  dergleichen  sind  :  der  Senf, 
der  Meerrettig,  die  Zwiebel,  der  Knoblauch  etc. ;  ausserdem  werden  noch 
solche  Mittel  benüzt ,  die  durch  physische  oder  chemische  Agentien 
reizend  auf  die  Hautoberfläche  einwirken  ;  hierher  gehören :  die  Cantha- 
riden,  der  Seidelbast,  der  Pfeffer,  das  Capsicum,  das  Veratrin,  scharfer 
Weingeist ,  heisses  Wasser  und  Wasserdämpfe ,  das  Glüheisen  in  Distanz 
etc.  Die  häufigste  Anwendung  findet  der  Senfsamen,  Semen 
sinapeos  s.  sinapis,  und  zwar  in  der  Regel  als  Senfteig, 
Sinapismus.  Man  benüzt  dazu  gepulverten  Senf  (Farina  semi- 
n  i  s  sinapis),  welchen  man  mit  heissem  Wasser  bis  zur  Consistenz 
eines  Cataplasmas  umrührt ,  denselben  dann  mit  einem  Löffel  halbfinger- 
dick auf  Leinwand  aufstreicht  und  auf  die  Applicationsstelle  legt.  Man 
lässt  den  Senfteig  so  lange  liegen  bis  starkes  Brennen  und  lebhafte 
Röthung  der  Haut  eintritt,  was  in  der  Regel  in  einer  */4,  l/2  Stunde,  bei 
reizloser  Haut  noch  später  geschieht.  Lässt  man  den  Senfteig  zu  lange 
liegen,  so  erfolgt  höchst  schmerzhafte  Blasenbildung.  Nach  eingetretener 
Wirkung  nimmt  man  den  Senfteig  behutsam  ab  und  reinigt  die  Stelle 
mit  lauwarmem  Wasser.  Statt  des  Senfteigs  kann  man  auch  das  ätherische 
Senf  öl  entweder  rein  oder  mit  Alcohol  in  verschiedenen  Proportionen 
vermischt  benützen.  Eine  Lösung  von  2  4  Tropfen  in  Jj  Alcohol  wirkt 
rasch  und  kräftig.  Man  reibt  es  entweder  in  die  Haut  ein  oder  legt 
damit  getränkte  Compressen  oder  Löschpapier  auf  dieselbe.  Geriebener 
Meerrettig  wirkt  sehr  rasch  nach  2  —  3  Minuten  und  erregt  binnen 
5  —  8  Minuten  schon  einen  sehr  lebhaften  brennenden  Schmerz  und  eine 
hellrothe  Färbung.  —  Catharindentinktur  wendet  man  als  Ein- 
reibung oder  Foment  an.  Die  scharfen  vegetabilischen  Alcaloide ,  wie 
Daphnin,  Veratrin,  Cantharidin  etc.  werden  (meistens  1  gr.  auf  5J  Fett) 
als  Salbe  eingerieben.  —  Auch  das  Nesselpeitschen  gehört  hierher. 

Die  blasenziehenden  Mittel,  Vesicantia,  Epispastica, 
(von  €7Ti(?7raG),  ich  ziehe  an),  sind  in  ihrer  ableitenden  Wirkung  langsamer, 
der  Brennschmerz  ist  gelinder ,  sie  wirken  aber  intensiver.  Es  gibt  ver- 
schiedene blasenziehende  Mittel,  sie  sind  1)  die  C  an  th  ariden.  Diese 
werden  fast  ausschliesslich  zum  Blasenziehen  verwendet  und  zwar  am 
häufigsten  in  ?flasterform  als  gewöhnliches  und  immerwährendes  Can- 
tharidenpflaster.  Das  gewöhnl.  Cantharidenpfiaster ,  Empl.  cantharidum 
ordinarium ,  wird  zwischen  den  Fingern  zerdrückt ,  messerrückendick  auf 
Leinwand  aufgestrichen  und  durch  Heftpflaster  oder  mit  einer  Binde  auf  der 


ABLEITENDE  MITTEL.  0 

Haut ,  nachdem  diese  vorher  von  Haaren  gereinigt  und  etwas  gerieben 
worden  ist,  befestigt.  Nach  1 0 —  1 2  Stunden  ist  die  Blasenbildung  vollendet. 
Man  nimmt  dann  das  Pflaster  ab  und  entleert  die  Flüssigkeit  mittels  einer 
Scheere.  Beabsichtigt  man  bloss  einen  vorübergehenden  Hautreiz  und  eine 
plötzliche  Ableitung,  so  nimmt  man  die  Epidermis  nicht  weg  und  verbindet 
mit  einer  milden  Salbe,  Butter  etc.  Man  nennt  dies  ein  fliegendes 
Blasenpflaster.  Soll  dagegen  eine  länger  dauernde  Ableitung  durch 
Eiterung  unterhalten  werden,  so  trägt  man  die  Oberhaut  ab  und  verbindet 
mit  reizenden  Salben,  z.  B.  U  n  g  t.  basilicum,  s  a  b  i  n  a  e  u.  dergl.  — 
Das  immerwährende  Cantharidenpflaster,  Empl.  cantharidum  per- 
p  e  t  u  u  m  ,  wird  vorher  in  heissem  Wasser  oder  am  Feuer  erweicht  und  mit 
dem  Spatel  auf  Leder  oder  Seidenzeug  aufgestrichen.  Es  bedarf  keiner 
Befestigung ,  da  es  von  selbst  anklebt.  Binnen  einigen  Tagen  sickert 
eine  starke  Absonderung  unter  ihm  hervor,  die  gewöhnlich  1  0 — 14  Tage 
anhält ,  worauf  dann  das  unwirksam  gewordene  Pflaster  abfällt.  Bis- 
weilen zieht  es  auch  Blasen,  worauf  es  dann  sogleich  abfällt.  —  Eine  noch 
schnellere  Wirkung  als  die  des  gewöhnlichen  Blasenflasters  erhält  man 
durch  die  Anwendung  des  Collodium  cantharidale  (Rp. 
Cantharid.  pulv.  ^jj  ,Aether  sulphur.  ^iv ,  Alcoh.  absolut. 
x].  Digere  per.  hör.  24;  posteaexpr.  filtra  et  misce  c. 
Schiessbaumwolle  q.  s.),  welches  bloss  in  der  beabsichtigten 
Ausdehnung  aufgestrichen  zu  werden  braucht ,  festklebt  und  kräftig 
wirkt.  —  Vermöge  seiner  Wirkung  beschränkt  das  Blasenpflaster  antago- 
nistisch innere  Secretionen,  erhöht  die  Thätigkeit  der  absorbirenden 
Gefässe  und  bringt  stockende  Flüssigkeiten  dadurch  wieder  in  Bewegung; 
es  ist  daher  überall  da  angezeigt,  wo  die  ableitende  Methode  von 
Nuzen  ist.  Unentbehrlich  ist  es ,  wenn  es  darauf  ankommt ,  die  Reste 
innerer  Entzündungen  zu  heben  und  ihren  Uebergang  in  Eiterung,  Exsu- 
dation etc.  zu  verhindern  oder ,  wenn  sie  schon  eingetreten  sind ,  durch 
eine  antagonistische  Secretion  zu  heben,  z.  B.  beim  Hydrarthrus ,  ferner 
bei  Metastasen ,  bei  vergifteten  Wunden  und  endlich,  um  den  Heerd  von 
Hautentartungen  und  langwierigen  Hautausschlägen  zu  zerstören.  Tritt 
in  Folge  der  Anwendung  der  Ganthariden  eine  Affection  der  Harnwege, 
Strangurie ,  Ischurie ,  Stuhlzwang  etc.  ein ,  so  reicht  man  reichliche 
schleimige  Getränke,  Kampher  und  Opium.  2)  Die  Brechweinstein- 
salbe, das  Brechweinsteinpflaster  und  die  wässerige  Auf- 
lösung des  Brechweinsteins  (15  —  20  Gr.  auf  §j  Flüssigkeit) 
führen  keine  Blasen ,  sondern  eine  den  Varicellen  ähnliche  Pustelbildung 
herbei.  3)  Das  C  r  o  t  o  n  ö  1 ,  unvermischt  zu  2 — 4  Tropfen  täglich  einige 
Mal  eingerieben,  ruft  sehr  bald  ein  Erythem  der  Haut  hervor,  auf 
welchem  binnen  12 — 2  4  Stunden  Bläschen  aufschiessen.  Man  wendet 
es  fast  ausschliesslich  bei  Krankheiten  des  Kehlkopfes ,  der  Stimmorgane 
an.  —  4)  Das  siedende  Wasser  wird  entweder  durch  eine  besondere 
von  D  z  o  n  d  i    angegebene  Vorrichtung   als   heisser  Dampf  oder  indem 


D  ABSCESS. 

man  Metallstüeke  darin  erhizt  und  diese  auflegt  (Mavor's  Hammer), 
angewendet.  Brennender  Alcohol,  Rum,  Siegellack  wirken  zwar  rascher, 
sind  aber  auch  viel  verwundender.  —  5)  Sehr  ähnlich  dem  immerwäh- 
renden Blasenpflaster  wirkt  die  Seidelbast  rinde,  Cortex  Me- 
zerei, doch  hat  sie  das  Eigenthümliche ,  dass  ihre  Wirkung  eine  sehr 
allmählige  ist ,  dessenungeachtet  aber  durch  fortgesezte  Anwendung  sehr 
gesteigert  werden  kann.  Man  legt  von  der  frischen  oder  der  getrockneten 
vorher  (während  10  —  12  Stunden)  in  Essig  oder  warmem  Wasser  er- 
weichten Rinde  ein  beliebig  grosses  Stück  mit  der  innern  Fläche  auf  die 
gewählte  Hautstelle,  gewöhnlich  die  Insertionsstelle  des  M.  deltoideus 
am  Oberarm  ,  bedeckt  es  mit  Wachstaffet  oder  einer  Compresse  und 
befestigt  das  Ganze  mit  einer  Rollbinde.  Nach  6 — 12  Stunden  erfolgt 
starkes  Jucken ,  Röthe ,  und  unter  zweimaliger  Wiederholung  täglich 
kommt  es  zur  Bildung  von  Bläschen,  welche  bersten,  ein  scharfes  Serum 
ergiessen  und  sich  in  eine  stark  absondernde  Geschwürsfläche  verwandeln. 
Bei  lebhafter  Entzündung  und  reichlicher  Secretion  lässt  man  dann  die 
Rinde  einige  Zeit  weg  und  verbindet  mit  Epheu-  oder  Kohlblättern,  Rahm 
oder  milden  Salben  ;  im  entgegengesezten  Falle  verbindet  man  mit  rei- 
zenden Salben  oder  fährt  mit  der  Application  der  Rinde  fort ,  die  man 
nötigenfalls  in  Tinct.  cantharidum  einweichen  kann.  Reinlichkeit 
ist  eine  nothwendige  Bedingung.  Die  Anwendung  des  Seidelbastes  passt 
nur  in  eingewurzelten  chronischen  Krankheiten  ,  bei  reizlosen  Subjecten, 
wenn  ein  anhaltender,  durchdringender  Reiz  nothwendig  ist,  namentlich  bei 
Lähmungen,  Zahnschmerzen,  Schwerhörigkeit,  chronischen  Ophthalmien, 
Cephaleea,  chronischen  Brustkrankheiten,  hartnäckigen  Hautausschlägen  etc. 

AöSCeSS ,  Eiterbeule,  Eitergeschwulst,  Abscessus, 
Apostema,  wird  eine  mit  Eiter  oder  eiterartiger  Flüssigkeit  gefüllte 
und  durch  Eiterbildung  entstandene  Höhle  genannt.  Davon  ist  die 
Eiter  ergiessung  zu  unterscheiden,  worunter  man  Ansammlungen 
von  Eiter  in  normalen  Höhlen  z.  B  in  der  Brusthöhle ,  in  Gelenken  etc. 
versteht.  Abscesse  können  in  allen  Geweben  entstehen  und  in  verschie- 
dener Tiefe  vorkommen  ;  indessen  findet  man  sie  häufiger  in  der  Nähe 
der  Oberfläche  als  in  der  Tiefe  der  Organe.  Sie  zeigen  in  der  Regel 
eine  sphärische  Gestalt ;  oft  wird  diese  aber  von  den  umgebenden 
Geweben  vielfach  verändert.  Die  Neigung  der  Abscesse  sich  gegen  die 
Körperfläche  hin  zu  vergrössern ,  hat  meist  seinen  Grund  nur  darin ,  dass 
sie  hier  die  nachgiebigsten  Gewebe  finden.  Nicht  selten  wird  die 
Abscesshöhle  von  Gefässen,  Nerven-  und  Ausführungsgängen  durchzogen ; 
auch  findet  man  dieselben  zuweilen  unregelmässig  und  aus  mehreren 
Abtheilungen  bestehend ,  welche  durch  Gänge  mit  einander  verbunden 
sind.  Gewöhnlich  trifft  man  nach  kürzerem  oder  längerem  Bestände  des 
Abscesses  dessen  Höhle  von  einer  eigenthümlichen  Pseudomembran, 
welche  unter  dem  Namen  der  Abscesshaut  oder  der  Hunter'schen 


ABSCESS.  / 

Eitermembran  bekannt  ist,  ausgekleidet.  Diese  Haut  ist  nicht,  wie 
früher  angenommen  wurde ,  zur  Eiterbildung  nothwendig ,  da  sie  nicht 
selten  gänzlich  fehlt ,  sondern  sie  ist  vielmehr  als  eine  Folge  der  Eiter- 
ansammlung zu  betrachten;  sie  entsteht,  indem  die  den  Eiter  umgebenden 
Gewebe  durch  eine  plastische  Exsudation  sich  verdichten ;  sie  erleidet 
nach  der  Beschaffenheit  und  Menge  des  Eiters  ,  sowie  je  nachdem  die 
Abscesshöhle  mit  der  Luft  communicirt,  verschiedene  Moclificationen.  — 
Die  Abscesshöhle  selbst  kommt  zu  Stande ,  indem  der  anfangs  zerstreut 
abgesezte  Eiter  sich  gegen  ein  bestimmtes  Centrum  ,  wahrscheinlich  den 
Ausgangspunkt  der  Entzündung  hin  sammelt ,  wobei  er  die  Maschen  des 
Bindegewebes  durchbricht  oder  verdrängt  und  dasselbe  oft  in  grösserer 
Ausdehnung  zerstört  und  sich  schliesslich  durch  eine  plastische  Exsu- 
dation von  seiner  Umgebung  abschliesst. 

Man  kann  die  Abscesse  eintheilen ;  1)  nach  den  Ursachen,  die 
sie  erzeugen,  in  idiopathische,  primäre,  oder  in  solche,  die 
durch  eine  unmittelbar  auf  das  erkrankte  Organ  einwirkende  Ursache 
entstanden  sind,  und  in  deute ropathische,  secundäre,  oder  in 
solche ,  deren  Entstehung  von  andern  Leiden  abhängig  ist ,  in  welchem 
Falle  der  Abscess  als  sympathischer  oder  kritischer  auftreten  kann ; 
2 )  nach  dem  Vitalitätszustande  in  entzündliche,  heisse, 
Absc.  inf  1  amma  tor  ius ,  acutus,  suppurativus,  und  in 
kalte  Abscesse,  Absc.  frigidus,  chronicus;  3)  nach  ihrem 
Size  in  innere  und  äussere,  in  oberflächliche  und  tief- 
liegende; 4)  nach  den  Theilen,  in  welchen  sie  sich  bilden,  in 
Zell-,  Haut-,  Knochen-,  Gehirn-,  Lungen-,  Leberabscesse  etc.  Zeichen 
der  beginnenden  Eiterung.  Die  Entzündungszufälle :  Hize, 
Schmerz,  Köthe,  Geschwulst,  Fieber,  die  den  meisten  Abscessen  vorher- 
gehen ,  steigern  sich ,  die  Röthe  wird  dunkler ,  die  Hitze  grösser ,  der 
Schmerz  heftiger  und  klopfender ,  die  Geschwulst  begrenzt  sich  mehr, 
wird  härter  und  erhabener.  Damit  verbinden  sich  bei  grösseren  Abscessen 
wiederholte  Frostanfälle,  welche  die  Eiterung  vorbereiten  und  verkünden. 
Sobald  der  Eiter  gebildet  ist ,  erhebt  sich  die  Geschwulst  auf  Kosten 
ihres  Umfanges  ,  indem  sie  sich  zuspizt ;  auch  die  Köthe  concentrirt  sich 
gegen  die  zugespizte  Mitte  hin,  wo  sie  intensiver  und  gewöhnlich  bläulich 
wird,  während  die  peripherische  Röthe  verschwindet.  Ebenso  vermindert 
sich  die  Spannung  in  der  Peripherie  ,  sie  fühlt  sich  teigig  an ,  an  dem 
Gipfel  der  Geschwulst  wird  sie  dagegen  grösser ;  der  Kranke  hat  ein 
Gefühl  von  Kälte  und  Schwere  in  der  Geschwulst  und  auf  Anschlagen 
derselben  fühlt  man  eine  schwappende  Bewegung  (Fluctuation): 
Der  Abscess  ist  reif.  —  Ursachen.  Es  sind  die,  welche  Entzündung 
überhaupt  hervorrufen ,  daher  entweder  allgemeine  oder  örtliche.  Jene 
beruhen  hauptsächlich  auf  discrasischen  Leiden,  Syphilis ,  Scropheln  etc., 
diese  bestehen  in  örtlichen  Reizen ,  fremden  Körpern  u.  dgl.  ; —  Prog- 
nose.     Sie  richtet  sich  nach  den  Ursachen  ,    dem  Size  ,   der  Grösse  und 


ö  A-BSCESS. 

Anzahl,  dem  Vitalitätszustande,  und  den  Complicationen. —  Ausgänge. 
Der  gewöhnliclie  Ausgang  ist  die  Entleerung  des  Eiters ,  indem  in  Folge 
der  vom  Eiter  selbst  angeregten  und  unterhaltenen  Entzündung  Ver- 
schwärung  eintritt,  welche  meist  einen  Durchbruch  nach  der  Haut  herbei- 
führt. Zuweilen  schlagt  indessen  die  Natur  einen  anderen  Weg  ein,  den 
Eiter  zu  entfernen  ,  nämlich  der  Eiter  wird  wieder  in  das  Gefässsystem 
aufgenommen.  Diese  Absorption  kommt  durch  Vermittlung  der  Abscess- 
haut  zu  Stande  ,  ein  Vorgang ,  welcher  nichts  mit  der  gefürchteten  Auf- 
nahme von  Eiter  in's  Blut  gemein  hat ,  welche  man  als  die  Quelle  der 
Pyämie  betrachtet ,  denn  hier  handelt  es  sich  nicht  von  einem  zersezten 
Eiter,  da  dieser  noch  nicht  den  verderblichen  athmosphärischen  Einflüssen 
ausgesezt  war.  Ueberdies  wird  hier  nur  Eiterserum  resorbirt,  in  welchem 
allerdings  die  Eiterkörperchen  theilweise  wieder  aufgelöst  worden  sein 
können.  Der  grösste  Theil  dieser  lezteren  wird  in  Fett  umgewandelt, 
welches  später  gleichfalls  resorbirt  wird  ;  die  Abscesshaut  wird  auf  eine 
fibröse  Schicht  reducirt.  Kommt  es  dagegen  zum  Aufbruche  des  Ab- 
scesses,  so  entleert  sich  der  Eiter,  die  Geschwulst  fällt  zusammen  und  die 
ausgedehnten  Nachbargebilde  contrahiren  sich.  In  Folge  des  Zutrittes 
der  Luft  wird  die  Abscesshaut  geröthet,  schwillt  an  und  die  Eiterbildung 
vermehrt  und  verändert  sich.  Es  bilden  sich  Granulationen 
(Fleischwärzchen),  welche  sich  aus  Zellen  entwickeln,  die,  anfangs  iden- 
tisch mit  den  Eiterkörperchen  an  der  Abscesshaut  haften ,  in  mehr  oder 
weniger  ansehnlichen  Haufen  mit  einander  verkleben  und  sich  weiterhin 
in  Bindegewebe  und  Gefässe  umwandeln.  Dauert  die  Ursache  der  Ent- 
zündung nicht  fort ,  so  füllen  diese  Granulationen  die  Abscesshöhle  all- 
mählig  aus  und  der  Process  schliesst  mit  der  Narbenbildung  oder 
Vernarb  ung.  Besteht  die  Ursache  der  Entzündung  aber  noch  fort, 
so  unterbleibt  die  Bildung  von  Granulationen ,  der  Eiter  wird  immer 
schlechter  und  der  Abscess  verwandelt  sich  in  ein  Geschwür.  - —  Diag- 
nose. Die  Unterscheidung  eines  Abscesses  von  anderen  Geschwülsten 
bietet  oft  nicht  geringe  Schwierigkeiten  dar.  Das  wesentlichste  Moment 
ist ,  den  Eiter  zu  erkennen  oder  seine  Anwesenheit  auf  Grund  der  ätiolo- 
gischen Verhältnisse  und  des  Krankheitsverlaufes  darzuthun.  Das  ent- 
scheidendste Zeichen  ist  die  Schwappung  (Fluctuatio).  Um  diese 
gut  zu  fühlen ,  muss  die  Geschwulst  fixirt  werden ,  die  fixirende  Hand 
fühlt  den  Anstoss  der  von  der  andern  Hand  auf  der  entgegengesezten 
Seite  der  Geschwulst  in  Bewegung  gesezten  Flüssigkeit;  bei  kleinen 
Abscessen  genügt  ein  leichtes  Eindrücken  mit  einem  Finger  auf  die 
Spize  der  Geschwulst  und  schnelles  Erheben  des  Fingers ,  ohne  ihn  "in- 
dessen ganz  zu  entfernen.  Bei  tiefsizenden  Abscessen  zeigt  ein  Oedem 
die  beginnende  Eiterung  an.  Wahre  Aneurysmen  haben  bis  jezt  am 
häufigsten  Anlass  zur  Verwechslung  mit  Abscessen  gegeben.  Die  Unter- 
scheidungsmerkmale sind :  Die  wahre  Pulsadergeschwulst  stellt  gleich 
anfangs  eine  weiche  pulsirende  Geschwulst  dar ,  welche  auf  Druck  theil- 


ABSCESS.  9 

weise  oder  ganz  verschwindet ;  der  Abscess  ist  dagegen  im  Anfange  fest 
und  verkleinert  sich  auf  Druck  nicht.  Der  Abscess  wird  später  weich, 
das  Aneurysma  härter;  beim  ersten  ist  dies  am  merklichsten  an  der  Spize, 
beim  Aneurysma  an  der  Basis.  Dem  Abscesse  werden  bisweilen  Pulsa- 
tionen von  einer  benachbarten  Arterie  mitgetheilt ;  diese  Pulsationen 
machen  sich  aber  nur  an  der  der  Arterie  zugekehrten  Seite  der  Ge- 
schwulst fühlbar  und  hören  ganz  auf,  wenn  es  möglich  ist,  die  Geschwulst 
zu  verschieben ;  das  Aneurysma  pulsirt  dagegen  in  seinem  Umfange, 
woran  ein  Verschieben  desselben  nichts  ändert.  Schwieriger  wird  die 
Unterscheidung  später,  wo  die  Pulsationen  durch  Blutablagerung  in  dem 
Aneurysma  undeutlicher,  in  dem  Abscessse  dagegen  mit  seiner  Erweichung 
deutlicher  werden ,  weil  der  flüssiger  werdende  Inhalt  durch  die  mitge- 
theilten  Pulsschläge  der  Arterie  immer  leichter  in  Bewegung  gesezt 
wird.  Bestehen  vollends  Abscess  und  Aneurysma  gleichzeitig  in  dersel- 
ben Gegend,  so  ist  es  oft  geradezu  unmöglich,  ins  Klare  zu  kommen. 
Handelt  es  sich  daher  von  der  Eröffnung  einer  verdächtigen  Geschwulst, 
so  sollte  immer  eine  genaue  Auscultation  vorausgeschickt  und  der  Inhalt 
derselben  durch  den  Versuchstroicart  erforscht  werden. 

Behandlung.  Gewöhnlich  ist  die  Entleerung  des  Eiters  der 
Heilzweck ,  doch  gibt  es  Fälle ,  wo  die  Aufsaugung  begünstigt  werden 
muss,  wie  bei  Abscessen  im  Auge,  Ohre,  Gehirn,  in  den  Gelenken ,  deren 
vollständige  Entwicklung  und  Aufbruch  die  Existenz  des  ergriffenen  Or- 
gans oder  selbst  das  Leben  gefährden  könnte.  Zur  Erreichung  dieses 
Zweckes  zieht  man  bei  einem  hochgesteigerten  Vitalitätszustande  allge- 
meine und  örtliche  Blutentziehungen ,  kühlende  Abführmittel  aus  Cassia, 
Manna ,  Tamarinden  etc.  mit  Zusäzen  von  antiphlogistischen  laxirenden 
Salzen ,  hauptsächlich  aber  Quecksilber  in  laxirenden  Dosen ,  (Calomel 
2  —  6  gr.)  in  Gebrauch.  Oertlich  lässt  man  die  graue  Salbe  (5ß  —  OJ) 
in  die  Umgegend  der  Geschwulst  einreiben  und  macht  kalte  oder  bei  drü- 
sigen Theilen  lauwarme  Umschläge  von  Bleiwasser  mit  einem  Zusaze  von 
Opium.  Diese  Mittel  unterstützt  man  durch  ein  ruhiges  Verhalten,  vege- 
tabilische Nahrung.  Alle  reizenden  Mittel,  besonders  sogenannte  zerthei- 
lende  Pflaster  und  Einreibungen ,  so  wie  bloss  erweichende  und  erschlaf- 
fende Mittel  sind  direct  schädlich.  Steht  dagegen  der  Abscess  auf  einer 
niedrigen  Stufe  der  Vitalität  mit  geringen  entzündlichen  Erscheinungen, 
so  ist  ein  entgegengesetztes  Verfahren  einzuleiten,  um  die  Gefässthätigkeit 
zur  Resorption  zu  bestimmen.  Hier  eignen  sich  die  zertheilenden  Mittel, 
wie  warme  aromatische  Umschläge ,  Auflösungen  von  Salmiak  in  Wasser 
und  Essig,  warm  umgeschlagen,  reizende  Linimente,  Linimentum 
volatile  rein  oder  mit  Ungt.  mercuriale  oder  einem  Zusaze  von 
Tinct.  opii  oder  cantharidum,  Linimt.  camphoratum,  sa- 
ponato-camphorat.,  Aufpinseln  von  Jodtinktur  etc. ;  Salben,  welche  die 
Resorption  bethätigen,  wie  Ungt.  kalihydrojodin.  (5j  auf  Jj  Fett), 
reizende  harzige  Pflaster,  Empl.ammoniaci,  de  galbano  crocato, 


10 


ABSCESS. 


meliloti  etc.  Bei  mehr  chronischem  Verlaufe  wendet  man  einen  Druck- 
verband an  und  erregt  künstliche  Eiterungen  durch  Blasenpflaster,  Ein- 
reibungen von  Ungt.  t  a  r  t  a  r  i  s  t  i  b  i  a  t  i ,  Umschläge  von  T  i  n  c  t.  can- 
th  a  r  i  d  u  m  ,  bei  tiefsizenden  Abscessen  Moxen,  Haarseile  etc.,  daneben 
reicht  man  innerlich  die  Resorption  betätigende  Mittel ,  wie  Calomel, 
Digitalis  ,  Belladonna ,  Rad.  senegae.  Brech  -  und  Abfuhrmittel  bei 
kräftiger  Constitution ,  eine  nahrhafte  mehr  reizende  Diät  und  massige 
Bewegung  bei  schlecht  genährtem  schwächlichen  Körper  und  laue  allge- 
meine Bäder,  denen  man  bei  reizlosem  Zustande  Salz,  Lauge,  aromatische 
Kräuter  zusezt ,  unterstützen  die  Kur  wesentlich.  —  Liegt  kein  Grund 
vor,  die  Eiterung  rückgängig  zu  machen,  so  zieht  man  Mittel  in  Gebrauch, 
welche  die  Maturation  des  Abscesses  befördern.  Bei  erhöhter  Lebens- 
thätigkeit  sind  massige  locale  Blutentziehungen  und  bei  Erethismus  der 
Nerven  und  Straffheit  der  Faser  beruhigende  und  erschlaffende  Mittel 
am  Plaze.  Sehr  dienlich  ist  die  einfache,  feuchte  Wärme  in  verschiede- 
ner Form  als  Bäder,  Dämpfe,  Umschläge  und  Kataplasmen,  deren  Wirkung 
mittels  schleimiger  Vehikel,  Althäa,  M  alva,  Seminalini,  Species 
emollientes  noch  erhöht  werden  kann;  bei  heftigen  Schmerzen  zeigen 
sich  narkotische  Stoffe,  wie  Hyoscyamus,  Conium  maculat. ,  Capita 
papaveris,  welche  mit  Milch  oder  Wasser  gekocht,  Opium,  Bella- 
donna, Crocus,  welche  mit  Semmel  oder  Milch  zu  einem  Teige  geknetet 
werden,  wirksam.  Bei  gesunkener  Vitalität  und  Torpidität  sind  dagegen  rei- 
zende belebende  Mittel  passend,  wie  aromatische  Umschläge,  möglichst  warm, 
Breiumschläge,  denen  man  gebratene  Zwiebeln,  Sauerteig,  Senfmehl  oder 
Seife  beisezt  (z.  B.  Rp.  S  ap  o  n.  nigr.  ^jj,  Aq.  fervid.  ^jj,  ebul- 
liant  lenicalore,  deinde  adde  Cepar.  sub  einer,  assat. 
^jjj,  Pulv.  sem.  sinap.  5ß — jj  Kerndl.),  harzige  Substanzen,  Terpen- 
thin,  Empl.  degalb.  crocato,  ammoniac.  ,  diaehyl.  compo- 
s  i  t.  etc.  ,  welche  man  besonders  bei  Nacht  statt  der  Breiumschläge ,  die 
nie  kalt  werden  dürfen,  auflegt.  ■ —  Ist  der  Abscess  auf  diese  Weise  reif 
geworden  ,  so  überlässt  man  die  Eröffnung  desselben  entweder  der  Natur 
oder  man  öffnet  ihn  mit  Hülfe  der  Kunst.  Der  spontane  Aufbruch 
hat  den  Vorzug  vor  der  künstlichen  Eröffnung ,  indem  dabei  die  Entzün- 
dungshärte vollständiger  schmilzt ,  der  Abscess  schneller  heilt  und  die 
Narbe  kleiner  zu  werden  pflegt.  Die  künstliche  Eröffnung  eines  Abscesses 
darf  nicht  zu  lange  verschoben  werden  :  1 )  bei  sehr  heftigen  Schmerzen 
in  empfindlichen  Theilen  durch  den  Druck  des  Eiters  gegen  unnachgie- 
bige Wandungen ;  2)  bei  tiefer  Lage  des  Eiters  oder  unter  Aponeurosen 
so  dass  eine  Verbreitung  des  Eiters  zu  besorgen  steht,  ehe  derselbe  gegen 
die  Oberfläche  gelangt;  3)  bei  Siz  des  Eiters  in  sehr  laxen  Theilen,  die 
eine  Senkung  des  Eiters  zulassen  ;  4)  wenn  wichtige  Funktionen  durch 
den  Siz  des  Abscesses  gestört  werden ,  wie  bei  Abscessen  im  Pharynx 
und  im  Isthmus  faucium;  5)  bei  drohendem  Aufbruch  in  eine 
Körperhöhle;    6)  bei  Abscessen  in  der  Nähe  von  Knochen;    7)  wenn  die 


ABSCESS.  11 

Selbstöffnung  an  ungünstigen  Stellen  erfolgen  will ;  8)  bei  kritischen 
Abscessen  zur  besseren  Fixirung  der  Eiterung.  Dagegen  öffnet  man 
Abscesse  in  der  Nahe  von  grossen  Gefässen  entweder  so  spät ,  dass  der 
Eiter  der  Oberfläche  schon  sehr  nahe  ist,  oder  mit  der  grössten  Vorsicht. 
Die  künstliche  Eröffnung  der  Abscesse  (Oncotomia) 
geschieht  entweder  durch  Aezmittel  oder  durch  scheidende  AVerkzeuge. 
Der  Aezmittel  bedient  man  sich,  wenn  die  den  Abscess  bedeckende  Haut 
schon  sehr  entartet  ist  oder  bei  torpiden  Abscessen,  in  denen  man  vor  der 
Eröffnung  eine  Steigerung  und  Umstimmung  der  Vitalität  herbeiführen 
will ,  endlich  bei  messerscheuen  Kranken.  Meistens  wendet  man  Kali 
causticum  an  (S.  Aezmittel).  —  Die  blutige  Eröffnung  geschieht  ent- 
weder mittels  eines  Stiches  oder  Schnittes  oder  durch  das  Haarseil.  Der 
Einstich  oder  Schnitt  verdient  in  der  Regel  den  Vorzug  vor  den  übrigen 
Verfahrungsarten  und  ist  bei  tieferliegenden  Abscessen  die  einzig  anwend- 
bare. Oberflächlich  gelegene  Abscesse  öffnet  man  mit  der  Lancette, 
tiefgelegene  mit  dem  Bistouri.  Die  Grösse  des  Schnittes  richtet  sich 
nach  dem  Umfange  des  Abscesses  und  variirt  von  5 — 8  Linien  bis  zu 
mehreren  Zollen  ;  zuweilen  zieht  man  einem  grossen  Einschnitte  mehrere 
kleine  vor.  Zur  Eröffnung  wählt  man  die  erhabenste  und  weichste  und 
bei  mehreren  solchen  die  abhängigste  Stelle.  Bei  der  Ausführung  der 
Operation  fixirt  man  den  Abscess  mit  der  linken  Hand ,  indem  man  ihn 
an  der  Basis  mit  Daumen  und  Zeigefinger  umfasst  und  zusammendrückt. 
Bei  grossen  Abscessen  thut  dies  ein  Gehülfe  mit  beiden  Händen.  Als- 
dann sticht  man  die  zwischen  Daumen  und  Zeigefinger  der  rechten  Hand, 
so  weit  von  der  Spize  entfernt  als  zum  Eindringen  nöthig  ist,  gefasste  Lan- 
cette ,  deren  Klinge  zu  den  Blättern  in  einen  stumpfen  Winkel  gestellt 
ist,  in  die  gewählte  Stelle  schief  abwärts  ein  bis  der  Eiter  neben  der 
Spize  hervorquillt ,  worauf  man  diese  etwas  erhebt  und  schneidend  weiter 
führt,  um  der  Oeffnung  die  gehörige  Grösse  zu  geben.  Ist  die  Wandung  des 
Abscesses  dicker,  so  kann  man  sich  eines  spizen  Bistouri's  bedienen,  das 
nach  Art  einer  Schreibfeder  gefasst ,  mit  nach  dem  Abscesse  gerichteten 
Rücken  eingestochen  und  wie  die  Lancette  fortgeführt  wird.  In  manchen 
Fällen  ist  es  zweckmässig,  den  Einschnitt  subcutan  zu  machen.  —  Das 
Haarseil  passt  mehr  bei  den  kalten  Abscessen ,  um  die  Lebensthätigkeit 
in  ihnen  anzufachen.  Man  öffnet  den  oberen  Theil  des  Abscesses  mit 
einer  Lancette ,  führt  durch  diese  Oeffnung  eine  mit  einem  Haarseile  (s. 
diesen  Art.)  versehene  Oehrsonde  bis  zum  unteren  Theile  der  Abscesshöhle, 
drückt  hier  den  Kopf  derselben  gegen  die  Wand  an ,  schneidet  auf  die 
Sonde  ein ,  und  indem  man  diese  durch  die  letztere  Oeffnung  auszieht, 
führt  man  das  Haarseil  in  die  Abscesshöhle  ein  ;  oder  man  erhebt  durch 
Zusammendrücken  des  Abscesses  die  äussere  Wandung  desselben  nach 
Art  einer  Falte  und  führt  an  deren  Basis  eine  Haarseilnadel  durch.  Man 
kann  sich  auch  eines  Troicarts  bedienen  ,  durch  dessen  Röhre  man  nach 
ausgezogenem  Stilet  die  Sonde  mit  dem  Eiterbande  führt.      Das  Haarseil 


12 


ABSCESS. 


knüpft  man  von  Tag  zu  Tag  fester  zusammen,  oder  man  führt  es  nur  alle 
Tage  weiter,  bis  die  Eiterung  sich  verbessert  oder  vermindert,  worauf  man 
es  entfernt. 

Nach  der  spontanen  oder  künstlichen  Eröffnung  des  Abscesses  und 
der  Entleerung  des  Eiters  tritt  die  Behandlung  des  offenen  Abscesses  ein. 
Bei  guter  Beschaffenheit  des  Eiters  und  weder  zu  schwacher  noch  zu 
starker  Absonderung  desselben  genügt  es  ,  mit  den  lauwarmen  Umschlä- 
gen fortzufahren ,  um  die  Schmelzung  der  übrigen  Härte  zu  befördern, 
und  mit  trockener  Charpie  zu  verbinden.  Das  Einbringen  von  Wieken 
etc.  in  Abscessöffnungen  ist  überflüssig  und  nachtheilig ,  nur  wo  ein  zu 
frühes  Verwachsen  der  Wundränder  des  Schnittes  zu  befürchten  steht, 
kann  ein  dünner  Charpiemeissel  eingelegt  werden.  Wird  aber  zu  wenig 
Eiter  abgesondert  oder  zuviel  und  ist  dieser  von  schlechter  Beschaffenheit, 
so  muss  auch  hier  die  Behandlung  der  Vitalitätsstimmung  des  Abscesses 
gemäss  eingerichtet  werden.  Ist  die  Eiterabsonderung  zu  copiös ,  übri- 
gens von  guter  Beschaffenheit ,  so  beruht  dies  auf  einer  über  die  Norm 
gesteigerten  plastischen  Thätigkeit.  Die  Bildung  der  Granulationen  ge- 
schieht zu  rasch,  sie  erheben  sich  über  die  Hautränder  und  hindern  da- 
durch die  Vernarbung.  In  diesem  Falle  sezt  man  den  Kranken  auf 
eine  schmalere,  blos  vegetabilische  Diät,  verbindet  trocken  und  gibt  Ab- 
führmittel. Ist  jedoch  der  Eiter  dabei  sehr  dünn,  selbst  jauchig,  die 
Granulationen  blass  und  schlaff,  so  liegt  gewöhnlich  eine  Dyscrasie  zu 
Grunde ,  welche  aufgesucht  und  entsprechend  behandelt  werden  muss. 
Bei  bloss  verminderter  Lebensthätigkeit  passen  örtliche  Reizmittel  und 
zwar  am  besten  in  der  Form  von  Einstreupulvern,  wie  Holzkohle,  Calmus- 
wurzel ,  Chinarinde  etc.  mit  einem  Zusaze  von  Kampher ,  Myrrhe  etc. 
Innerlich  erweisen  sich  besonders  China,  Cascarilla,  Ratanhia ,  die  Eisen- 
präparate ,  der  Bleizucker  und  das  Kalkwasser  nüzlich.  Bei  guter  Ver- 
dauung passt  besonders  die  China,  z.  B.  Rp.  Cort.  china  reg. ,  Rad. 
calam.  aromat.  ana  ^J3  in  f.  et  coq.  c.  aq.  fönt,  ^jxvj  ut  rem. 
^x ,  col.  adde  Tinct.  aurant. ,  Tinct.  valer.  ana  5ß-  M.  S. 
Alle  1 — 2  Std.  einen  Essl.  voll;  bei  etwas  belegter  Zunge  setzt  man  dem 
Chinadecocte  Elix.  acid.  Hall,  oder  El  ix.  vitriol.  Myns.  zu 
Blei  gibt  man  bei  gleichzeitig  bestehenden  Durchfällen.  Daneben  Fleisch- 
brühe, etwas  Wein,  reine  Luft.  Ist  dagegen  die  Absonderung  zu  gering, 
bilden  sich  nur  sparsame  Granulationen ,  so  kann  entweder  ein  zu  hoch- 
gesteigerter oder  verminderter  Vitalitätszustand  die  Ursache  sein.  Bei  zu 
hochgesteigerter  entzündlicher  Reizung,  bei  grosser  Hize,  Härte,  Spannung 
und  Schmerzhaftigkeit  des  Theiles,  wo  die  Secretionsfläche  trocken,  hart, 
hochroth  erscheint,  befördert  man  die  Secretion  durch  feuchtwarme  Um- 
schläge und  legt  einige  Blutegel  an.  Sind  jedoch  Schwäche  und  Torpi- 
dität  die  Ursache  der  zu  geringen  Absonderung,  zeigt  sich  die  Secretions- 
fläche bleich  und  schlaff,  wie  es  öfters  nach  lange  andauernden  erschö- 
pfenden Eiterungen,  bei  schlechter  Ernährung  der  Fall  ist ,   so  sind  kräf- 


ABSCESS.  13 

tige  Speisen  und  Getränke,  Wein,  Fleisch,  frische  Luft,  neben  dem  inner- 
lichen Gebrauche  von  stärkenden ,  reizenden  Mitteln ,  darunter  wieder 
namentlich  die  China  am  Plaze.  Oertlich  machen  sich  balsamische,  rei- 
zende Mittel  nöthig;  diese  sind  die  sogenannten  Digestivmittel,  wie  Ungt. 
digestiv.,  basilicum,  Bals.  Arcaei,  allein  oder  in  Verbindung 
mit  anderen  Mittel,  z.  B.  Rp.  Ungt.  digest. ,  Bals.  Arcaei  ana  5j, 
Merc.  präcipit.  rubr.  ^ß — 5J3.  M.,  oder  eine  Mischung  einer  dieser 
Salben  mit  Myrrhentinktur,  z.  B.  Rp.  Ungt.  basilic.  3 j  ,  Tinct. 
myrrh.  3ijj-  M.  ;  noch  wirksamer  sind  Umschläge  von  Kamillenthee, 
von  einem  Aufgusse  der  Species  aromaticae.  Bei  ganz  torpidem 
Zustande  zeigt  sich  das  Eintröpfeln  von  Myrrhentinktur  und  das  Einstreuen 
von  rothem  Präcipitat  von  Nuzen.  —  Wenn  die  Granulationen  sich  zu 
schnell  entwickeln,  so  dass  sie  über  das  Niveau  der  Haut  emporwuchern 
(Caro  luxurians,  wildes  Fleisch),  so  verhindern  sie  die  Verheilung 
der  Eiterfläche ;  sie  müssen  daher  in  den  nöthigen  Schranken  gehalten 
werden.  Dazu  dienen  gelind  zusammenziehende ,  austrocknende  Mittel, 
wie  Bleiwasser,  Kalkwasser,  Auflösungen  von  Lapis  infernalis,  Cu- 
prum sulphuricum,  Betupfen  mit  Höllenstein,  Daneben  wendet 
man  einen  Druckverband  mit  Pflasterstreifen  an ,  gibt  dem  Theile  eine 
erhöhte  Lage  und  lässt  eine  weniger  nahrhafte  Kost  geniessen. 

Der  heisse,  wahre  Abscess,  Absc.  inflammatorius, 
acutus,  bildet  sich  nur  aus  einer  acht  phlegmonösen  Entzündung  heraus, 
weshalb  er  auch  der  phlegmonöse  heisst.  Er  verdankt  seine  Entste- 
hung gewöhnlich  einer  äusseren  Veranlassung  und  tritt  deshalb  meist 
isolirt  auf.  Bei  der  Bildung  dieser  Abscesse  nimmt  man  zuerst  in  den 
Maschen  des  entzündeten  Gewebes  Eiter  wahr,  der  mit  Blut  gemischt  ist; 
derselbe  sammelt  sich  hierauf  in  kleinen  isolirten  Heer  den,  welche  immer 
mehr  zusammenrücken  und  endlich  im  Mittelpunkte  des  entzündeten 
Theiles  verschmelzen.  Damit  spizt  sich  die  Geschwulst  zu,  die  Härte  in 
der  Umgegend  schmilzt  und  es  macht  sich  Fluctuation  bemerklich ,  die 
von  Tag  zu  Tag  an  Umfang  gewinnt,  womit  der  Abscess  in  den  Zustand 
der  Reife  tritt.  Unter  fortdauernder  Absorption  der  Wandungen  bahnt 
sich  endlich  der  Eiter  einen  Weg  nach  aussen ,  der  Abscess  bricht  auf 
und  entleert  seinen  Inhalt ,  der  aus  gutem  Eiter ,  zuweilen  mit  Blut ,  ge- 
ronnenem Faserstoff*  und  abgestorbenen  Organtheilen  (den  sogenannten 
E  ite  rsto  ck  bildend)  gemischt,  besteht.  Mit  der  Fluctuation  findet 
sich  die  Abscesshaut  wenn  auch  erst  in  rudimentärem  Zustande.  Aeusserst 
selten  kommt  es  vor ,  dass  ein  heisser  Abscess  durch  Absorption  ver- 
schwindet. Die  vorausgehenden  Erscheinungen  der  Entzündung,  so 
wie  bei  tiefem  Size  das  sich  in  der  Umgegend  einstellende  Oedem  lassen 
diese  Gattung  von  Abscessen  nicht  leicht  verkennen.  Da  ihnen  meist 
kein  Allgemeinleiden  zu  Grunde  liegt,  so  geben  sie  keine  üble  Prognose. 
—  Behandlung.  Wenn  keine  Gründe  vorliegen ,  welche  eine  früh- 
zeitige Eröffnung  fordern  (s.  Seite  10),  so  befördert  man  das  Reifwerden 


14  ABSCESS, 

dieser  Abscesse  und   öffnet  sie ,   wenn  sich  der  Aufbruch  zu  lange  verzö- 
gert, durch  den  Schnitt. 

Der  kalte  oder  sogenannte  Lymphabscess,  Absc.  frigi- 
dus,  chronicus,  lymphaticus,  bildet  sich  ohne  deutliche  Ent- 
zündungszufälle des  Theiles  ,  wo  der  Eiter  zum  Vorschein  kommt.  Da 
ihm  fast  immer  ein  Allgemeinleiden  zu  Grunde  liegt ,  so  tritt  er  nicht 
selten  in  Mehrzahl  bei  demselben  Individuum  auf  oder  entsteht  bei  vor- 
handener Disposition  nach  geringfügigen  äusseren  Veranlassungen.  Er 
besizt  immer  eine  vollkommen  entwickelte  Abscesshaut  und  ist  gewöhn- 
lich fest  eingekapselt.  Der  Eiter  des  kalten  Abscesses  ist  dünn,  übel- 
riechend, arm  an  Eiterkörperchen  und  enthält  weisse  oder  gelbliehe  käse- 
artige Flocken.  —  Er  kommt  fast  ausschliesslich  bei  scrophulösen  Sub- 
jecten,  bei  schlechter  Ernährung  und  vorzugsweise  bei  Weibern  und 
Kindern  vor  und  zeigt  sich  meist  am  Rumpfe.  —  Symptome  und 
Verlauf.  Der  kalte  Abscess  stellt  eine  weiche,  circumscripte ,  fast 
immer  schmerzlose ,  unempfindliche  Geschwulst  dar ,  welche  gewöhnlich 
dicht  unter  der  Haut  liegt ,  die  ihre  normale  Färbung  besitzt.  Die  Ge- 
schwulst wird  unter  allmähliger  Vergrösserung  deutlich  fluctuirend ,  kann 
aber  dann  Jahre  lang  ohne  irgend  eine  Veränderung  bestehen  ;  zuweilen 
vermindert  sie  sich  ,  um  aufs  Neue  wieder  zu  wachsen.  In  der  Umge- 
bung besteht  keine  Entzündung  ;  bei  bedeutendem  Wachsthume  erregt 
dieser  Abscess  aber  durch  die  Spannung  und  Compression  der  umliegen- 
den Theile  Schmerz ;  die  ihn  bedeckende  Haut  wird  dunkelroth ,  ver- 
dünnt, bricht  endlich  an  einer  oder  mehreren  Stellen  auf  und  entleert  den 
oben  beschriebenen  dünnflüssigen  Eiter.  Die  Geschwulst  sinkt  hierauf 
zusammen  ,  die  Ränder  vereinigen  sich  jedoch  nicht  mit  dem  Grunde ,  es 
bilden  sich  keine  oder  nur  geringe  und  schlechte  Granulationen  und  die 
Abscesshöhle  geht  in  ein  schlaffes ,  jauchiges,  buchtiges  Geschwür  über, 
das  einen  dünnen  Eiter  absondert  und  schwer  zur  Heilung  zu  bringen  ist. 
Zuweilen  schliesst  sich  die  Abscessöffnung  auch  frühzeitig  und  es  bildet 
sich  eine  neue  Ansammlung ,  die  sich  später  wieder  entleert ,  was  sich 
mehrmals  wiederholen  kann.  Grosse  oder  in  Mehrzahl  vorhandene  kalte 
Abscesse  können  nach  ihrem  Aufbruche  eine  hectische  Consumption  zur 
Folge  haben.  —  Die  Prognose  hängt  von  dem  Kräftezustande  des 
Kranken  und  der  Möglichkeit  ab,  das  Allgemeinleiden  zu  beseitigen. 
Die  Behandlung  muss  daher  zunächst  gegen  die  bestehende  Dyscrasie 
und  insbesondere  auf  die  Hebung  der  Kräfte  des  Kranken  gerichtet  sein. 
Alsdann  hat  man  zuerst  zu  versuchen ,  den  Abscess  zur  Resorption  zu 
bringen,  was  indessen  selten  gelingt ;  die  hierzu  geeigneten  Mittel  siehe 
S.  9.  Schlägt  dieser  Versuch  fehl,  so  muss  der  Eiter  auf  künstlichem 
Wege  entleert  werden.  Ist  das  Allgemeinleiden  noch  nicht  ganz  gut,  so 
muss  die  Entleerung  des  Abscesses  mit  Verhütung  des  Lufteintrittes  be- 
wirkt werden ;  dies  geschieht  durch  wiederholte  Punktionen  mit  der  Lan- 
cette   oder  einem    Troicart    unter    sorgfältiger   Hautverschiebung,    oder 


ACUPUNCTUll.  15 

unter  Wasser.  Ist  aber  das  Allgemeinbefinden  gut,  so  sezt  man  sich 
die  Aufgabe ,  eine  kräftige  Entzündung  in  dem  Abscesse  zu  erwecken, 
was  entweder  vor  oder  nach  seiner  Eröffnung  geschieht.  Zu  dem  Ende 
zieht  man  das  Aezmittel  oder  das  Haarseil  in  Gebrauch  ( s.  S.  11), 
oder  man  spaltet  den  Abscess  ganz  oder  theilweise  und  stopft  dieAbscess- 
höhle  mit  Charpie  aus ,  die  mit  Aezkalilösung  befeuchtet  ist ,  oder  man 
wendet  nach  vorausgegangener  Punction  des  Abscesses  mit  der  Lancette 
reizende  Einsprizungen  von  Rothwein  ,  Höllenstein  - ,  Stublimat  -  oder 
Aezsteinlösung ,  von  siedendem  Wasser ,  verdünnter  Jodtinktur  etc.  mit 
darauffolgendem  Druckverbande  an,  oder  man  öffnet  den  Abscess  endlich 
mit  dem  Glüheisen.  Zeigt  der  Abscess  nach  seiner  Eröffnung  sehr  ver- 
dünnte ,  bläuliche  oder  dem  Absterben  nahe  Bedeckungen ,  so  trägt  man 
diese  ab  und  behandelt  die  zurückbleibende  Eiterfläche  reizend. 

OongestionSabSCeSS ,    s.  Knochenkrankheiten. 

Metastatischer  Abscess,  s.  Pyämie. 

AcupilIlCtur,  ÄCUpunctura,  Nadelstich.  Man  be- 
zeichnet damit  das  kunstgerechte  Einstechen  einer  oder  mehrerer  Nadeln 
in  diesen  oder  jenen  Theil  des  Körpers,  in  der  Absicht,  eine  Umstim- 
mung  in  der  Lebensthätigkeit ,  namentlich  der  Sensibilität  an  der  betref- 
fenden Stelle  zu  bewirken.  Die  Affectionen ,  bei  welchen  die  Acupunc- 
tur  angewendet  wird  ,  sind  nicht  entzündliche  Neuralgien  in  der  Augen- 
brauen- ,  Schläfen- ,  Gesichts  -  und  Hüftgegend ,  rheumatische  und  gich- 
tische Schmerzen  ,  Lähmungen  ,  Krämpfe  ,  Trismus ,  Lumbago  etc.  Die 
Nadeln  bestehen  aus  Gold,  Silber,  Piatina  oder  Stahl,  sind  sehr  dünn, 
3 — 4  Zoll  lang  und  mit  einem  metallenen,  wächsernen  oder  aus  Siegel- 
lack gemachten  Kopfe  versehen ;  die  stählernen  müssen  gut  ausgeglüht 
sein ,  da  sie  sonst  leicht  im  Fleische  abbrechen.  Die  Nadeln  können  an 
jedem  Punkte  der  Körperoberfläche  eingestochen  werden,  nur  meidet  man 
Nerven  oder  Gefässe.  In  der  Regel  sticht  man  in  den  leidenden  Theil 
selbst  ein,  wo  dieser  aber  nicht  verletzt  werden  darf,  oder  wo  man  eine 
Derivation  beabsichtigt ,  macht  man  die  Operation  in  einiger  Entfernung 
von  jenem ,  z.  B.  bei  Leiden  des  Auges  und  Kopfes  im  Nacken  oder  in 
der  Schläfengegend.  Die  Nadel  wird  drehend ,  während  die  Haut  ange- 
spannt ist,  1 — 2  Zoll  eingesenkt ;  man  lässt  sie  fünf  Minuten  und  länger 
stecken  und  zieht  sie  endlich  sachte  wieder  aus.  Bedarf  man  mehrerer, 
so  sticht  man  sie  in  Zwischenräumen  von  1/2  Zoll  ein.  Meist  ist  damit 
kein  Schmerz  verbunden;  in  sehr  empfindlichen  Theilen  hat  man  indessen 
heftige  Schmerzen ,  selbst  Ohnmächten ,  Convulsionen  und  Fieberzufälle 
entstehen  sehen.  Blutet  ein  Stich ,  so  soll  er  an  einer  anderen  Stelle 
wiederholt  werden,  weil  jener  ohne  Wirkung  ist. 

Die  Electro-  und  G  alvanopunctur ,  welche  bei  denselben 
Krankheiten ,  aber  auch  bei  der  Asphyxie ,  bei  der  Wassersucht  und  zum 


16  ,  ADERLASS. 

Verschlusse  von  Arterien  und  Aneurysmen  mit  Erfolg  benuzt  wurde ,  be- 
steht darin,  dass  man  starke ,  mit  einem  Oehre  versehene ,  der  Oxydation 
nicht  unterworfene  Nadeln,  nachdem  sie  in  den  Körper  eingesenkt  worden 
sind  ,  mittels  Leitungsdrähten  mit  einer  galvanischen  Säule ,  oder  einer 
Electrisirmaschine  oder  noch  besser  mit  einem  electro-magnetischen  Appa- 
rate in  Verbindung  setzt.  Die  Operation  ist  weit  schmerzhafter  und  die 
Einstichpunkte  ulceriren  nicht  selten.  Die  nächsten  Wirkungen  sind  ein 
lebhafter  brennender  reissender  Schmerz  ,  heftige  Zuckungen,  vermehrte 
Diurese  und  starker  Schweiss.  Bei  zu  starker  Einwirkung  muss  die  Strö- 
mung zeitweise  unterbrochen  werden.  —  Zum  Verschlusse  von  Arterien, 
namentlich  von  Aneurysmen  bedient  man  sich  eines  Paares  feiner,  scharf 
zugespitzter  Nadeln  von  Stahl  oder  Piatina ,  welche  bis  in  die  Nähe  der 
Spize  genau  und  stark  mit  Firniss  überzogen  sind  und  welche  in  einiger 
Entfernung  von  einander  parallel  mit  der  Achse  des  Gefässes  so  einge- 
stochen werden,  dass  die  Spizen  dem  Blutstrome  entgegengerichtet  sind. 
Mit  einer  dieser  Nadeln  wird  darauf  der  positive ,  mit  der  anderen  der 
negative  Pol  einer  galvanischen  Batterie ,  eines  Rotationsapparates  oder 
dgl.  in  Verbindung  gesetzt.  Der  electrische  Strom  wird  durch  die  mit- 
tels des  Firnissüberzuges  isolirten  Nadeln  bis  in  das  Innere  des  Gefässes 
geleitet ,  wo  er  von  einer  Nadelspize  zur  anderen  überspringt  und,  indem 
er  das  in  dem  Gefässe  befindliche  Blut  durchdringt ,  dieses  in  Gerinnung 
versezt.  Die  Dauer  der  Operation  variirt  je  nach  der  Grösse  des  Gefässes 
oder  Aneurysmas  von  5  —  4  5  Minuten;  bei  grossen  Aneurysmen  sind 
mehrere  Nadelpaare  nothwendig ,  auch  muss  die  Operation  mehrmals 
wiederholt  werden. 

AderlaSS,  Venaesectio,  Phlebotomia  (von  cpXsipg,  die 
Vene  und  teftvsir,  schneiden)  ist  die  kunstmässige  Eröffnung  einer  Vene, 
um  eine  gewisse  Menge  Blut  zu  entleeren.  Man  kann  jede  oberflächlich 
gelegene  ,  sieht  -  oder  fühlbare  Vene  zum  Aderlassen  wählen  und  früher 
wurden  ,  um  örtlich  Blut  zu  entziehen  ,  am  Kopf ,  im  Nacken  ,  unter  der 
Zunge  etc.  Venen  geöffnet ;  gegenwärtig  lässt  man  nur  noch  am  Arme, 
Fusse ,  am  Halse  und  an  der  Vena  ran  i  na  zur  Ader.  —  Am  Arme 
wählt  man  gewöhnlich  die  Armbeuge,  an  der  mehrere  Venen  unmittelbar 
unter  der  Haut  verlaufen  und  meistens  auch  sehr  durchscheinend  sind. 
An  der  äusseren  Seite  des  Gelenkes  läuft  die  Vena  cephalica,  an 
der  inneren  die  Vena  basilica  hin;  zwischen  beiden  liegt  die  Vena 
mediana  communis,  welche  in  der  Mitte  des  Vorderarmes  herauf- 
steigt und  sich  alsbald  in  zwei  Aeste  theilt ,  deren  stärkerer  als  Vena 
mediana-basilica  mit  der  Vena  basilica,  deren  schwächerer  als 
Vena  mediana-eephalica  mit  der  Vena  cephalica  sich  ver- 
bindet. Eine  weitere  Vene  von  geringem  Durchmesser  ist  die  Vena 
u  1  n  a  r  i  s.  Die  zwei  Aeste  der  Vena  mediana,  namentlich  der  innere, 
sind  von  grossem  Kaliber  und  eignen  sich  daher  besonders  zur  Eröffnung, 


ADERLASS.  17 

jedoch  befindet  sich  unter  der  Vena  rnediana-basilica  die  Aponeu- 
rose  des  M.  b  i  c  e  p  s  und  unter  dieser  die  A  r  t.  brach  ialis,  während 
die  Vena  mediana-cephalica  von  der  Art.  radialis  gekreuzt 
wird,  wenn  diese  hoch  am  Oberarm  entspringt.  Ein  genaues  Fühlen  nach 
der  Pulsation  der  Arterie  schüzt  vor  allen  Unannehmlichkeiten.  Am 
wenigsten  Gefahr  bieten  die  VV.  u  1  n  a  r  i  s  und  c  e  p  h  a  1  i  c  a  ,  sie  haben 
aber  meist  einen  kleinen  Durchmesser;  die  V.  basilica  ist  stärker.  An 
der  Hand  lässt  man  nur  ausnahmsweise  zur  Ader  uud  wählt  dann  auf 
dem  Rücken  die  V.  cephalica  (zwischen  dem  Mittelhandknochen  des 
Daumens  und  Zeigefingers)  oder  die  V.  salvatella  (zwischen  dem  des 
kleinen  und  Ringfingers).  —  Ehe  man  zur  Operation  schreitet,  muss  vor- 
her alles  Nöthige  vorbereitet  werden ;  sie  erfordert  eine  Lancette  oder 
einen  Schnäpper ,  eine  wollene  Compressionsbinde ,  eine  3  Ellen  lange 
Rollbinde,  eine  kleine  viereckige  Compresse,  ein  Gefäss  zum  Auffangen 
des  Blutes,  einen  Schwamm,  lauwarmes  Wasser  und  Restaurationsmittel. 
Nachdem  der  Kranke  je  nach  dem  Kräftezustande  sich  gesetzt  oder  ins 
Bette  gelegt  hat ,  lässt  man  ihn  den  Arm  massig  ausstrecken  und  sucht 
nach  den  Pulsationen  der  Arterien ,  worauf  man  die  Compressionsbinde 
einige  Querfinger  über  der  Armbeuge  mit  einigen  Gängen  und  einer 
Knotenschleife  so  fest  um  den  Oberarm  legt,  dass  nur  die  Circulation  in 
den  Venen ,  nicht  aber  in  den  Arterien  gehemmt  ist.  Treten  die  Venen 
bei  diesem  Drucke  nicht  gehörig  hervor,  so  reibt  man  den  Vorderarm  ein 
wenig,  oder  bäht  ihn  mit  warmem  Wasser,  oder  lässt  den  Arm  einige  Zeit 
herabhängen.  Kommt  dessen  ungeachtet  keine  Vene  zum  Vorschein,  wie 
dies  häufig  bei  beleibten  Personen  der  Fall  ist ,  so  sucht  man  sie  durch 
das  Gefühl  zu  entdecken ;  sie  geben  sich  dem  untersuchenden  Finger 
durch  eine  elastische  Schwappung  zu  erkennen,  und  wenn  man  die  muth- 
massliche  Stelle  einer  Vene  mit  dem  benetzten  Finger  leicht  betupft ,  so 
bleibt  vermöge  der  Schnellkraft  der  Venenbedeckung  gerade  über  der 
Vene  ein  Wassertropfen  stehen,  auf  welchen  man  immer  mit  Erfolg  das 
Instrument  eindringen  lassen  kann.  Der  Wundarzt  stellt  sich  nun  am 
zweckmässigsten  an  die  äussere  Seite  des  Armes ,  so  dass  er  bei  der 
Operation,  je  nachdem  er  am  rechten  oder  linken  Arme  operirt,  über  den 
Vorderarm  oder  den  Oberarm  hereingreift;  ist  er  im  Stande  mit  der  lin- 
ken Hand  zu  operiren,  so  wird  das  Instrument  in  beiden  Fällen  von  unten, 
d.  h.  über  den  Vorderarm  her ,  an  die  Vene  gebracht.  Nachdem  die 
ausgewählte  Vene  nochmals  untersucht  worden  ist ,  wird  sie  mit  dem 
Daumen  der  nicht  operirenden  Hand  fixirt,  während  die  übrigen  Finger  das 
Gelenk  umfassen ,  und  hierauf  die  Eröffnung  derselben  mit  der  Lancette 
oder  dem  Schnäpper  vorgenommen.  Operirt  der  Wundarzt  mit  der  Lan- 
'cette,  so  fasst  er  sie  mit  dem  Daumen  und  Zeigefinger  der  rechten  Hand 
so ,  dass  nur  der  einzustechende  Theil  der  im  rechten  Winkel  zu  den 
Blättern  gestellten  Klinge  frei  bleibt,  setzt  die  Spize  bei  kleineren  Venen 
im  Diagonal  -  oder  Querschnitt ,  bei  grösserem  zu  einen  Längenschnitte 
Burger,  Chirurgie.  1 


18  ADERLASS. 

auf  die  Einstichstelle  ,  indem  er  die  drei  lezten  Finger  der  operirenden 
Hand  auf  die  innere  Seite  der  Armbeuge  aufstüzt,  und  sticht  die  Lancette 
in  der  angegebenen  Richtung  in  das  Gefäss  ein.  Ein  neben  der  Spize 
hervorquellender  Bluttropfen  zeigt  das  Eindringen  in  die  obere  Venen- 
wand an.  Durch  Erhebung  der  Lancettspize  gibt  man  der  Venenöffnung 
die  nöthige  Grösse.  —  Bedient  man  sich  des  Schnäppers ,  so  fasst  man 
denselben  aufgezogen  so  in  die  rechte  Hand ,  dass  der  Daumen  auf  der 
Schiebplatte,  der  Zeige-  und  Mittelfinger  auf  dem  Drücker  und  der  Gold- 
finger auf  dem  unteren  Theil  des  Kästchens  ruht ,  während  der  kleine 
Finger  sich  auf  den  Arm  stüzt,  und  setzt  den  Rand  des  Kästchens  so  auf, 
dass  sein  vorderes  Ende  etwas  entfernter  von  der  Haut  bleibt ,  als  sein 
hinteres,  welches  sich  an  diese  anlehnt.  Je  nachdem  die  Fliete  mehr  oder 
weniger  tief  eindringen  soll ,  gibt  man  ihr  die  erforderliche  Stellung ; 
durch  einen  Druck  von  Seiten  des  Mittelfingers  auf  den  Drücker  dringt 
die  Fliete  in  Folge  der  Schnellkraft  der  Feder  ein.  Nach  der  Eröffnung 
der  Vene  entfernt  man  den  zur  Fixirung  derselben  aufgesezten  Daumen, 
hält  aber  mit  den  übrigen  Fingern  den  Arm  in  gleicher  Richtung,  damit 
keine  Verschiebung  der  Wundränder  eintritt ;  am  Sichersten  wird  man 
davor  gewahrt ,  wenn  man  dem  Kranken  schon  vor  der  Operation  einen 
auf  den  Boden  aufgestützten  Stock  zu  halten  gibt.  Das  gewöhnlich  in 
einem  Bogen  ausströmende  Blut  wird  in  einem  Gefässe  aufgefangen.  Ist 
die  nöthige  Menge  Blut  abgelassen  ,  so  löst  man  ,  während  der  Daumen 
der  einen  Hand  auf  die  Aderöffnung  gedrückt  wird,  mit  der  anderen  die 
Hemmungsbinde,  reinigt  die  Wunde  und  ihre  Umgebung  von  Blut,  streift 
dann  ,  wahrend  man  den  Daumen  ,  die  Haut  spannend  ,  zurückzieht ,  die 
kleine  Compresse  von  der  Seite  her  über  die  Wunde,  setzt  den  Daumen 
auf  die  Compresse,  worauf  man  sie  durch  Achtertouren  der  Rolibinde  um 
das  gebogene  Ellbogengelenk  befestigt.  Die  Wunde  heilt  durch  schnelle 
Vereinigung  in  2  4 — 4  8  Stunden.  Die  Binde  lässt  man  nach  3  —  4 
Tagen  wegnehmen.  —  Verschiedene  Zufälle  können  während  und  nach 
der  Operation  eintreten.  Das  Blut  kann  nicht  gehörig  fliessen,  entweder 
weil  die  Oeffnung  zu  klein  ist,  in  welchem  Falle  man  sie  erweitert  oder 
eine  neue  macht ,  oder  weil  die  Hemmungsbinde  zu  fest  oder  zu  locker 
anliegt,  welchem  man  abhilft,  oder  weil  sich  ein  Fettklümpchen  zwischen 
die  Wundlippen  eingeschoben  hat ,  welches  man  mit  der  Pincette  fasst 
und  mit  der  Scheere  wegschneidet ,  oder  endlich  weil  der  Parallelismus 
zwischen  der  Haut-  und  Venenwunde  aufgehoben  ist,  was  man  dadurch 
zu  beseitigen  sucht,  dass  man  die  Haut  hin-  und  herschiebt  und  den  Arm 
leicht  pronirt  und  supinirt.  Gewöhnlich  fliesst  das  Blut  stärker ,  wenn 
man  den  Kranken  den  Stock  in  der  Hand  drehen  oder  abwechselnd  fest 
fassen  und  wieder  loslassen  lässt.  Bei  kleinen  Oeffnungen  oder  wenn 
Haut  -  und  Venenwunde  sich  nicht  genau  entsprechen ,  entstehen  leicht 
Blutergiessungen  in  das  Unterhautzellgewebe ,  welche  rasch  eine 
bläuliche  Geschwulst  bilden.      Man  verstreicht   und  zerdrückt  diese  Ge- 


ADERLASS.  19 

schwulst  mit  dem  Daumen,  worauf  das  ergossene  Blut  unter  dem  gewöhn- 
lichen Aderlassverband  in  einigen  Tagen  meist  von  selbst  verschwindet ; 
durch  kalte  Umschläge  kann  die  Aufsaugung  des  Blutes  befördert  werden. 
Ein  weit  übleres  Ereigniss  ist  die  Verlegung  der  Armschlagader; 
sie  gibt  sich  dadurch  zu  erkennen ,  dass  mit  dem  dunklen  Venenblute 
zugleich  hellrothes  Arterienblut  stoss weise  aus  der  Wunde  hervorspringt 
und  der  Blutstrom  nach  abgenommener  Hemmungsbinde  sich  nicht  nur 
nicht  vermindert,  sondern  sogar  verstärkt.  Ueber  die  Behandlung  s.  Wunden 
der  Arterien.  Heftige  S  ch merzen  längs  des  Vorderarmes  oder  in 
den  Fingern  deuten  die  Verlezung  eines  Nervenzweiges  an  ;  in  höheren 
Graden  treten  zuweilen  Krämpfe  und  Convulsionen  hinzu ;  narkotische 
erweichende  Umschläge  und  innerlich  Narcotica  reichen  gewöhnlich  zur 
Beschwichtigung  dieser  Zufälle  hin.  Zuweilen  beobachtet  man  eine  Ent- 
zündung der  Lymphgefässe  oder  der  Venen ,  was  die  Folge  der  Anwen- 
dung stumpfer  oder  unreiner  Instrumente ,  zu  frühzeitiger  Bewegung  des 
Armes  etc.  sein  kann  (s.  den  Artikel  Entzündung). 

Beim  Aderlass  am  Fusse  lässt  man  den  Kranken  sizen  und  den 
Fuss  in  ein  Gefäss  mit  warmem  Wasser  sezen.  Sobald  die  Venen  an- 
schwellen ,  legt  man  die  Hemmungsbinde  etwas  über  den  Knöcheln  an, 
lässt  den  Fuss  auf  den  Rand  des  Gefässes  sezen ,  trocknet  ihn  ab  und 
wählt  die  Vene.  Es  eignet  sich  die  V.  saphena  magna  an  der  inne- 
ren und  die  V.  saphena  parva  an  der  äusseren  Seite  des  Fusses  zur 
Eröffnung.  Gewöhnlich  wird  die  erstere ,  als  die  hervorspringendste, 
unterhalb  des  Knöchels  und  vor  demselben  geöffnet ;  die  beste  Stelle 
hierzu  ist  da ,  wo  sie  über  der  Vertiefung  zwischen  dem  ersten  Keil  -  und 
dem  Kahnbein  liegt.  -  Nach  der  Operation ,  welche  ebenfalls  mit  der 
Lancette  oder  dem  Schnäpper  gemacht  werden  kann ,  lässt  man  den  Fuss 
wieder  in  das  Wasser  sezen  und  schätzt  aus  dessen  Färbung  und  der 
Dauer  der  Blutung  die  Menge  des  gelassenen  Blutes ;  auffangen  lässt 
sich  das  Blut  nur  schwer ,  da  es  meist  nicht  in  einem  Strahle  strömt, 
sondern  über  den  Fuss  herabrieselt.  Der  Verband  ist  wie  am  Arme.  Der 
Fuss  muss  einige  Tage  geschont  werden. 

Beim  Aderlass  am  Halse  wählt  man  die  V.  jugularis  externa, 
wo  sie  über  den  M.  sternocleidomastoideus  hingeht  oder  ihren 
hinteren  Ast,  Man  lässt  den  Kranken  sizen  und  seinen  Kopf  von  einem 
Gehülfen  nach  der  entgegengesezten  Seite  halten ,  der  zugleich  die  Vene 
an  der  nicht  operirt  wird ,  comprimirt.  Auf  die  zu  eröffnende  Vene  legt 
der  Wundarzt  quer  unter  der  Eröffnungsstelle  seinen  linken  Daumen, 
drückt  sie  zusammen ,  und  wenn  sie  angeschwollen  ist ,  legt  er  seinen 
linken  Zeigefinger  etwas  höher  auf  die  Vene,  um  sie  zu  fixiren.  Zwischen 
diesen  beiden  Fingern  wird  die  hier  nur  allein  anwendbare  Lancette  ein- 
gestochen und  in  der  Richtung  von  unten  und  innen  nach  oben  und  aussen 
geführt ,  um  die  Fasern  des  Platysma  myoides  in  der  Quere  zu 
trennen.    •  Da   das  Blut   gewöhnlich   nur   am  Halse  herabrieselt ,   so  muss 

2* 


20  AEZMITTEL. 

der  Rand  des  Gefässes  an  die  Haut  angedrückt  werden  ,  ohne  den  Druck 
mit  dem  Daumen  aufzuheben,  um  einen  etwaigen  Eintritt  von  Luft  in  die 
Vene  zu  verhüten  ;  auch  kann  man  das  Blut  über  ein  rinnenförmig  gebo- 
genes Kartenblatt  in  das  Gefäss  fliessen  lassen.  Ist  die  gehörige  Menge 
Blut  abgeflossen,  so  reinigt  man  -die  Wunde  mit  einem  Schwämme,  schiebt 
den  linken  Daumen  auf  dieselbe,  bedeckt  sie  mit  einem  Stück  Heftpflaster, 
legt  eine  Compresse  auf  und  befestigt  durch  einige  Kreistouren  einer 
Binde.  —  Am  häufigsten  wird  der  Aderlass  am  Halse  bei  Erhängten, 
Erdrosselten  und  Erstickten ,  so  wie  bei  Apoplectischen  vorgenommen. 
Da  diese  scheintodt  sind,  so  kann  die  Vene  weder  gesehen  noch  gefühlt 
werden;  in  diesem  Falle  sucht  man  sie  in  der  Mitte  einer  Linie  auf,  die 
man  sich  bei  gerader  Lage  des  Kopfes  von  dem  Winkel  des  Unterkiefers 
nach  der  Mitte  des  Schlüsselbeines  gezogen  denkt. 

Der  Aderlass  an  der  Vena  ranina,  welcher  einigermassen  der 
Vergessenheit  anheimgefallen  war ,  wird  neuerdings  wieder  von  A  r  a  n 
als  ein  Heilmittel  gerühmt,  welches  bei  heftigen  entzündlichen  Anginen 
Laryngitis,  Stomatitis,  Glossitis  acuta  etc.  schnelle  und  nach- 
haltige Erleichterung  bringe  und  sicherer  einwirke ,  als  die  Aderlässe  am 
Arme  oder  Blutegel  am  Halse.  Ar  an  verwirft  die  bisher  üblichen 
Quereinschnitte  in  die  Vena  ranina  uad  gibt  dagegen  demnachfolgen- 
den Verfahren  den  Vorzug.  Man  weist  den  Kranken  an ,  die  Spize  der 
Zunge  kräftig  gegen  den  obern  Zahnbogen  zu  drücken,  so  dass  die  untere 
Fläche  der  Zunge  zwischen  den  Zähnen  hervortritt  und  durchschneidet 
nun  mit  einer  sehr  scharfen  Lancette  in  leichten  Zügen  von  oben  nach 
unten  die  Schleimhaut  über  der  rechten  Vena  ranina,  so  dass  diese 
in  einer  Ausdehnung  von  4  bis  5  Linien  blossgelegt  wird  und  zwischen 
den  Wundrändern  der  Schleimhaut  hervortritt ;  dann  wird  das  Gefäss,  so 
weit  es  blossgelegt  ist ,  von  oben  nach  unten  durchschnitten.  Das  Blut 
fliesst  nicht  im  Strahle ,  sondern  sickert  blos  aus.  Dieselbe  Operation 
wird  nun  an  der  linken  Vena  ranina  wiederholt.  Sind  beide  Venen 
geöffnet ,  so  lässt  man ,  um  die  Blutung  zu  fördern  ,  den  Kranken  von 
Minute  zu  Minute  etwas  warmes  Wasser  in  den  Mund  nehmen  oder  die 
Zunge  öfters  bewegen.  Kaltes  Wasser  oder  auch  nur  die  Ruhe  der 
Zunge  stillt  meist  die  Blutung.  Sollte  dies  nicht  der  Fall  sein,  so  drückt 
man  ein  Stück  Schwamm  auf  oder  bringt  bei  nachhaltigerer  Blutung  eine 
Sonde  mit  glühend  gemachter  Spize,  einen  Höllensteinstift  oder  etwas  Eisen- 
chlorid in  die  WundöfFnung. 

Aderpresse,  s.  Turniket. 

Aezmittel,  Cauteria  potentialia.  Darunter  verstehen 
wir  diejenigen  Substanzen ,  welche  so  feindlich  auf  die  organischen  Ge- 
webe einwirken ,  dass  sie  ein  örtliches  Absterben  ,  eine  Zerstörung  des 
Organischen,  bewirken.      Diese  Zerstörung  kommt  zwar  allen  Aezmitteln 


AEZMITTEL.  21 

zu  ,  jedes  Aezmittel  hat  aber  eine  besondere  Wirkungssphäre  ,  wodurch 
ihm  eine  besondere  Eigentümlichkeit  aufgedrückt  wird.  Das  Aezmittel 
geht  mit  der  zerstörten  organischen  Faser  eine  Verbindung  ein  und  bildet 
einen  trockenen  oder  feuchten  sulzigen  Brandschorf ,  Eschara,  daher 
auch  der  ihnen  und  den  Brennmitteln  zukommende  Name  Escharotica. 
Eine  lebhafte  Entzündung  an  der  Grenze  des  Abgestorbenen  ,  durch  die 
Demarkationslinie  gebildet ,  leitet  die  Trennung  des  Todten  von  dem  Le- 
benden ein  ;  der  Brandschorf  stösst  sich  los  und  eine  längere  oder  kürzere 
Zeit  dauernde  Eiterung  folgt.  Die  Schmerzen ,  welche  das  Aezmittel 
verursacht,  sind  sehr  verschieden,  bald  heftiger ,  bald  gelinder ;  auch  die 
Grösse  des  Brandschorfes  differirt,  da  manche  Mittel  ihre  Wirkung  genau 
auf  den  Ort  ihrer  Anwendung  beschränken ,  andere  diese  weiter  darüber 
hinaus  erstrecken  ;  die  Tiefe ,  in  welcher  die  einzelnen  Mittel  eindringen, 
richtet  sich  nach  ihrer  Intensität ,  und  auch  die  Qualität  der  Eiterung  ist 
verschieden  nach  der  Verschiedenheit  des  Aezmittels,  wie  auch  die  Narbe 
manche  Eigenthümlichkeiten  darbietet.  Alle  Aezmittel  wirken  in  ver- 
dünntem Zustande  als  Reizmittel ,  sie  wandeln  die  Lebensthätigkeit  ab- 
sondernder Flächen  um  ,  erregen  Entzündung  und  anders  qualificirte  Ei- 
terung. Man  zieht  sie  in  Gebrauch ,  wenn  man  entweder  eine  örtliche 
Steigerung  oder  Umstimmung  des  Lebensprocesses  oder  eine  Ableitung 
durch  örtlichen  Reiz  und  nachfolgende  Eiterung,  oder  endlich  Zerstörung 
der  gesunden  oder  kranken  Faser  bezweckt. 

Die  einfachen  Stoffe ,  deren  man  sich  entweder  für  sich  oder  in 
manichfachen  Verbindungen  zu  Aezmitteln  bedient ,  sind  die  kaustischen 
Alealien  und  Erden,  die  concentrirten  Säuren  und  die  Metallsalze  in  man- 
cherlei Form.  1)  Kali  causticum,  Lapis  causticus  chirurgorum, 
das  Aezkali,  der  Aezstein  ist  das  kräftigste  Aezmittel,  zerstört,  in 
Substanz  angewendet,  die  organische  mit  der  Haut  versehene  Masse  inner- 
halb 4 — 6  Stunden,  von  der  Haut  entblösste  Stellen  oder  schleimhäutige 
Theile  innerhalb  weniger  Minuten.  Es  zerfliesst  leicht ,  äzt  daher  eine 
grössere  Stelle  als  auf  welche  man  es  aufträgt.  Der  Schorf  ist  ziemlich 
dick,  graulich  -  schwarz  und  halblederartig ;  auf  von  der  Haut  entblösten 
Stellen  ist  er  sulzig  weich  und  röthlich  -  grauschwarz  ;  er  fällt ,  wenn  der 
Aezstein  auf  die  Haut  eingewirkt  hat,  nicht  vor  dem  8. •—  1  2.  Tage,  auf 
weicheren  Gebilden  aber  früher  ab.  Die  Entzünduug  breitet  sich  nicht 
weit  aus  und  die  Eiterung  ist  meist  reichlich,  anfangs  jauchig,  später  gut- 
artig und  es  folgen  gesunde  Granulationen ,  die  später  eine  Neigung  zur 
Wucherung  zeigen.  Die  folgende  Narbe  ist  meist  uneben  und  missge- 
staltet. Wendet  man  die  Auflösung  des  Aezsteines  (flüssiges  Aez- 
kali, Aezlauge,  Liquor  Kali  caustici,  Lixivium  causti- 
cum, Liquor  hydratis  k  a  1  i  c  i )  an  ,  so  bildet  sich  ein  schmuzig  - 
graulicher  Fleck,  der  sich  langsam  löst.  Bei  der  Anwendung  in  trockener 
Form  muss  der  zerfliessenden  Eigenschaft  des  Aezsteines  wegen  die  Um- 
gegend der  zu  äzenden  Stelle  geschüzt  werden.    Dies  geschieht  am  besten 


22  AEZMITTEL 

mittels  eines  Stückes  Heftpflaster,  das  in  der  Mitte  ein  Loch  hat,  in  wel- 
ches man ,  nachdem  das  Pflaster  auf  die  Haut  geklebt  ist ,  zerdrückten 
Aezstein  bringt ;  dieses  Loch  muss  kleiner  sein ,  als  man  zu  äzen  beab- 
sichtigt. Nach  Anfeuchtung  des  eingelegten  Aezsteines  klebt  man  ein 
zweites  Pflaster  darüber.  Zu  grösserer  Sicherheit  kann  man  die  genannte 
Oeffnung  mit  einem  Walle  von  Heftpflastermasse  umgeben,  was  man  einen 
Pflasterkorb  nennt.  Bei  der  Anwendung  in  flüssiger  Form  legt 
man  in  Aezlauge  getauchte  Fleckchen  Leinwand  in  die  Oeffnung  des 
Pflasters,  oder  streicht  sie  mit  einem  Asbestpinsel  ein  oder  bei  vertieften 
Stellen  oder  Kanalwandung  giesst  man  sie  ein  oder  bringt  damit  befeuchtete 
Charpiebäuschchen  ein.  Man  gebraucht  den  Aezstein  zur  Bildung  von 
Fontanellen  bei  Arthrocacen,  Lähmungen  etc.,  zur  Oeffnung  kalter  torpider 
Abscesse ,  welche  dadurch  nach  6  —  8  stündiger  Einwirkung  entweder 
geöffnet  werden  oder  einen  Schorf  bekommen,  den  man  mit  der  Lancette 
durchsticht  oder  dessen  Abfallen  man  durch  warme  Breiumschläge  beför- 
dert ;  ferner  zur  Zerstörung  von  Bälgen ,  die  das  Messer  nicht  zulassen, 
von  Warzen ,  des  Giftes  in  Bisswunden  von  wuthkranken  Thieren  und 
Schlangen  und  des  Milzbrandkarbunkels  ,  zur  Eadicalkur  des  Wasserbru- 
ches etc.  In  flüssiger  Form  zur  Zerstörung  von  Warzen ,  Fungositäten 
u.  dgl.  hauptsächlich  .aber  des  Giftes  unreiner  Wunden.  —  2)  Das 
Natrum  causticum  wirkt  ähnlich  wie  das  Kali,  nur  milder  und  zer- 
fliesst  nicht  so  leicht.  —  3)  Ammonium  causticum,  Liquor 
amonii  caustici,  der  Aezammoniak  wird  nur  da  angewendet, 
wo  man  einen  flüchtigen  Reiz  haben  will,  z.  B.  bei  Lähmungen.  —  4) 
Calcaria  usta,  Calx  viva,  Oxydura  calcicum,  der  A  e  z  k  a  1  k 
wirkt  milder  und  nicht  so  tief  und  rasch  wie  der  Aezstein  und  hinterlasst 
keine  so  entstellenden  Narben  wie  dieser.  Er  findet  gegenwärtig  nur  noch 
als  Wiener  Aezpaste  (6  Theile  Kalk  und  5  Theile  Aezkali  mit  etwas 
Weingeist  angerührt)  Anwendung,  in  welcher  Verbindung  er  sehr  schnell 
und  kräftig  wirkt  und  das  Aezkali  überall  ersezt ,  nur  darf  er  nicht  zu 
lange  liegen  bleiben,  —  5)  Ahmen  causticum,  u  s  t  u m  ,  der  ge- 
brannte Alaun  ist  ein  sehr  mildes  Aezmittel,  das  nur  auf  Geschwürs- 
flächen und  Schleimhäute ,  aber  nicht  auf  die  Cutis  wirkt ,  daher  es  vor- 
zugsweise gegen  wuchernde  Granulationen ,  beim  Hospitalbrande  etc.  an- 
gewendet wird.  Mit  gleichen  Theilen  Präcipitat  bildet  er  das  Pulvis 
anglicus  escharoticus.  —  6)  Acidum  sulphuricum  con- 
centratum,  die  Schwefelsäure  ist  ein  schnell  und  eingreifend 
wirkendes,  einen  eisengrauen,  halblederartigen  Schorf  mit  nachfolgender 
jauchiger  Eiterung  und  entstellender  Narbe  hinterlassendes  Mittel. 
Um  das  Fliessen  zu  verhindern,  verbindet  man  sie  gern  mit  Crocus  (Acid. 
s  u  1  p  h  u  r.  5jjj  ,  Crociaustriaci  gr.  vjj — xjj)  zu  einer  Art  Paste, 
die  gegen  Wasserkrebs,  Warben,  Condylome ,  oberflächliche  Muttermäler, 
bösartige  alte  Geschwüre  etc.  angewendet  wird.  —  7)  Acidum  nitri- 
cum    concentratum,    die   Salpetersäure    erzeugt   einen    gelben 


AEZMITTEL.  23 

festen  Sehorf.  Eine  besonders  ausgedehnte  Anwendung  gestattet  sie 
nach  der  Methode  von  Rivallie.  Dieser  bereitet  durch  Auftröpfeln 
dieser  Säure  auf  Charpiebüuschehen  in  einer  irdenen  Schale  eine  gallert- 
artige Masse,  durch  deren  Auftragung  man  schon  nach  15 — 2  5  Minuten 
eine  hinreichende  Aezung  bewirkt ,  um  nach  2  4  Stunden  den  grössten 
Theil  des  Brandschorfes  entfernen  und  die  Aezung,  wenn  es  nöthig  ist, 
wiederholen  zu  können.  Wurde  besonders  zur  Zerstörung  von  Ence- 
phaloiden  benuzt.  —  8)  Acidum  muriaticum  concentratum, 
die  Salzsäure,  wirkt  sehr  mild  und  erzeugt  einen  weissen ,  harten 
aber  nicht  dicken  Schorf.  Anwendung  wie  die  Schwefelsäure.  —  9)  Ace- 
tum  radicale,  Essigalcohol,  und  Acetum  pyrolignosum 
concentratum,  concentrirter  Holzessig,  wirken  bei  weitem 
milder  als  die  Mineralsäuren.  —  10)  Kreosot  um,  das  Kreosot, 
wirkt  nur  auf  Schleimhäute ,  Geschwüre  und  der  Oberhaut  beraubte 
Stellen ,  wobei  es  die  Oberfläche  in  einen  Brei  verwandelt ,  ohne  eigent- 
liche Substanztödtung,  weshalb  seine  Anwendung  öfter  wiederholt  werden 
muss.  Es  dient  als  Beizmittel  gegen  Condylome,  zur  Tödtung  cariöser 
Knochenpartien  und  verdünnt  zur  Behandlung  der  Hornhautflecken, 
z.B.Rp.  Kreosoti  5j,  Aq.  destill.  5jj,  Mucilag.  gi  arab.  5j  M. 
Mit  einem  Pinsel  aufzutragen.  11)  Kali  bichromicum  bildet  einen 
sich  bald  lösenden  und  von  gesunden  Granulationen  gefolgten  grünlichen 
Schorf.  Anwendung  bei  callösen  Geschwüren  und  hartnäckigen  Flechten. 
—  12)  Präparate  des  Arseniks.  Von  diesen  wird  vorzugsweise 
der  weisse  Arsenik,  Arsenicum  album  angewendet.  Er 
erzeugt ,  auf  die  unverlezte  Haut  gebracht ,  eine  mit  blutigem  Serum 
gefüllte  Blase,  nach  deren  Oeffnung  die  oberste  Schicht  des  Coriums  sich 
zuerst  in  einen  weichen,  röthlich  -  lividen  ,  später,  härter  und  schwarzwer- 
denden dicken  Schorf  verwandelt.  Auf  Geschwürsflächen  angewendet 
(meistens  als  Cosme's  Pulver,  Rp.  Cinnabar.  factit.  5jj ,  Cinerum 
solear.  antiq.  gr.  vjjj ,  Sanguin.  dracon.  gr.  xjj,  Arsen,  alb.  ^jj. 
M.)  ,  erregt  er  sehr  heftige  brennende  Schmerzen,  eine  lebhafte  erysipe- 
latöse  Entzündung  mit  ausgedehnter  ödematöser  Anschwellung ,  einen 
scharf  begrenzten ,  mehr  oder  weniger  dicken ,  schwarzen  lederharten 
Schorf,  der  sich  nach  seiner  Grösse  und  Tiefe  früher  oder  später,  oft  erst 
nach  vielen  Wochen  durch  Eiterung  trennt  und  eine  gutartige  eiternde 
Stelle  und  endlich  eine  glatte,  kleine  Narbe  hinterlässt.  In  der  milderen 
Form  des  Hellmund'schen  Mittels  (Rp.  Pulv.  Cosmi  5ß, 
Bals.  per u via n. ,  Ext.  cicut.  ana  5 j  ,  Sacch.  saturn.  ^j, 
Laud.  liq.  Syd.  ^13,  Gerat,  simpl.  5J  M.)  sind  die  Zufälle 
geringer  und  es  bildet  sich  ein  feuchter  Brandschorf;  das  Geschwür 
sondert  viele  dünne  Jauche  ab,  und  um  den  14.  —  15.  Tag  stösst  sich 
der  Brandschorf  los,  worauf  gutartige  Eiterung  eintritt.  Man  gebraucht 
den  Arsenik  mit  Vortheil  zur  Zerstörung  der  nicht  knotigen  Krebs- 
geschwürflächen ,   weicher  Telangiectasien  ,   leicht  blutender  Warzen ,  als 


24  AEZMITTEL. 

umstimmendes  Mittel  gegen  bösartige,  fressende  herpetische  Geschwüre, 
Hospitalbrand  und  Karbunkel.  Aus  Furcht  vor  Vergiftuug  darf  der 
Gebrauch  des  Arsenik  nicht  anhaltend  sein. —  13)  Argentum  nitri- 
cum  crystallisatum  und  fusum,  der  Höllenstein,  erzeugt  auf  der 
Haut  einen  mehr  oder  weniger  dicken,  trockenen  braunschwarzen  Schorf, 
der  sehr  fest  sizt  und  sich  nur  allmählig  losstösst.  Auf  Wundflächen 
entsteht  augenblicklich  ein  weisser,  bläulicher,  später  graulich  -  schwarzer 
Schorf,  der  sich  schon  nach  wenigen  Stunden  löst.  Die  nachfolgende 
Entzündung  ist  immer  activ,  die  Eiterung  gutartig.  Man  wendet  ihn  in 
trockener ,  flüssiger  und  Salbenform  an.  In  trockener  Form  benuzt  man 
ihn  zum  Aezen  von  Condylomen ,  Hornhautflecken ,  Stricturen ,  kleinen 
Fleischgeschwülsten,  wuchernden  Granulationen,  zum  Eingränzen  des 
wandernden  Rothlaufes,  bei  Verbrennungen  etc.,  in  Auflösung  zu  beizenden 
Verbandwassern  gegen  fungöse  Geschwüre  (Rp.  Argen  t.  nitric. 
cryst.  5ß,  solv.  in  Aq.  flor.  chamom.  ^vj,  addeTinct.  opii 
spl.  5iß-  M.),  zu  beizenden  Augentropfen  (1- — 10  gr.  auf  ^j  Aq.  dest.), 
gegen  Augenblenorrhöen ,  zu  umstimmenden  Gurgel  -  und  Mundwassern 
(l/6 — 1/2  gr.  auf  ^j  Aq.  dest.),  zu  umstimmenden  Einsprizungen  (}/2  — 
1  gr.  auf  5j  Wasser)  in  die  Thränenfistel ,  gegen  chronische  Schleim- 
flüsse der  Harnröhre  und  der  Mutterscheide ,  zur  Abortivbehandlung  des 
Trippers  (10  gr.  auf  5J  Wasser)  etc.  ;  in  Salbenform  gegen  hartnäckige 
chronische  Augenbindehautentzündungen ,  zur  Zertheilung  der  Bubonen 
(1  Theil  in  Wasser  gelösten  Höllenstein  auf  15  Theile  Fett)  etc.  — 
14)  Die  Quecksilberpräparate.  Der  Sublimat,  Mercurius 
sublimatus  corrosivus,  Hydrargyrum  muriaticum  cor- 
rosivum  s.  oxydatum,  ist  ein  starkes  Aezmittel,  das  einen  weissen 
Schorf  erzeugt ,  die  Organe  durch  feuchten  Brand  zerstört ,  eine  sehr 
lebhafte  Entzündung  und  leicht  nachtheilige  Folgen  durch  Einsaugung 
erregt.  Es  wird  seltener  als  Aezmitttel ,  denn  als  umstimmendes  Mittel 
benüzt;  als  Aezmittel  in  Auflösung  (  ^ j  - — -  iij  auf  ^j  Flüssigkeit)  zum 
Betupfen,  oder  in  Salbenform  (5ß — j  auf  §j  Fett)  gegen  Condylome, 
fungöse  Geschwüre ,  kallöse  Geschwüre ,  hartnäckige  Bubonen  ;  als  um- 
stimmendes Mittel  in  der  Auflösung  zu  Waschwassern  (gr.  1  —  iij  auf 
5J  Flüssigkeit)  gegen  Hautausschläge ,  wunde  Brustwarzen ,  ferner  zu 
Einsprizungen,  Verbandwassern,  Pinselsäften  etc.  —  Der  rothe 
Quecksilberprä  cipitat,  Merc.  praeeipitatus  ruber, 
Hydr.  oxydatum  rubrum,  äzt  ziemlich  stark ,  aber  nicht  tief ,  mit 
geringer  Entzündung  in  der  Umgebung,  aber  reichlicher  Eiterung,  welche 
leicht  um  sich  greift.  Man  benüzt  ihn  als  Beizmittel  in  Pulverform  für 
sich  oder  mit  Speichel  oder  Pflanzenform  angerührt  und  mit  einem  Pinsel 
aufgestrichen  oder  auch  in  Salbenform  gegen  syphilitische  Condylome, 
unschmerzhafte  callöse  Schanker  und  andere  dyscrasische  Geschwüre  mit 
unreinem  Grunde ,  zürn  Wegbringen  der  Nasen-  und  Ohrpolypen  und 
wuchernder    Granulationen ;    als   umstimmendes  Mittel  in  Salbenform   zu 


AEZMITTEL.  25 

^j — 5j  Fett  zum  Verbände  schlecht  eiternder  Geschwüre,  geschwüriger 
Frostbeulen,  gegen  dyscrasische  Entzündungen  der  Bindehaut  des  Auges, 
Wucherungen  derselben  etc.  —  Das  salpetersaure  Quecksilber- 
oxyd, Merc.  nitrosus,  Hydr.  nitricum  oxydatum,  meist 
als  Liquor.  Bellostii  zur  Wegbeizung  syphilitischer  Condylome 
und  sonstiger  Afterproducte  bei  torpiden  fungösen  Geschwüren ,  Caries, 
zu  äzenden  Einsprizungen  bei  Lymphabscessen  benuzt ,  erzeugt  einen 
blassgrauen  halblederartigen  Schorf  von  mittlerer  Dicke.  Eiter  und 
Lymphe  gerinnen  durch  ihn.  — Der  weisse  Quecksilberpräci- 
pitat,  Merc.  praecipitatus  albus,  Hydr.  muriaticumprä- 
cipitatum,  wirkt  gleich  dem  rothen ,  nur  schwächer ,  und  wird  daher 
mehr  als  umstimmendes ,  wie  als  Aezmittel  benüzt.  —  1  5)  Das  salz- 
saure Zink,  Zinkchlorid,  Zincum  muriaticum,  in  flüssigem 
Zustande  Zinkbutter,  Butyrum  Zinci,  in  trockenem  Chlor- 
zink, Zincum  muriaticum  oxydatum.  Der  Chlorzink  dehnt 
seine  Wirkungen  nie  über  die  beabsichtigten  Grenzen  aus  ,  erzeugt  einen 
weissgrauen ,  harten,  lederartigeu  Schorf,  eine  lebhafte  Entzündung  und 
weit  verbreitete  Ödematöse  Anschwellung.  Die  Eiterung  ist  productiv, 
die  Stelle  verkleinert  sich  bald  und  schliesst  sich  mit  einer  schönen  glatten 
Narbe.  Es  erregt  äusserst  heftige  stechende  und  brennende  Schmerzen. 
Die  häufigste  Anwendung  geschieht  in  der  Form  einer  Paste  durch  Mischen 
mit  Mehl  in  verschiedenen  Proportionen,  je  nachdem  man  eine  mehr  oder 
weniger  intensive  Wirkung  beabsichtigt.  C  an  quo  in  schlägt  folgende 
Proportionen  vor :  No.  1  ,  2  Theile  Mehl  und  1  Theil  Zink ;  No.  2  ,  3 
Theil  Mehl  auf  1  Theil  Zink ;  No.  3  ,  4  Theil  Mehl  auf  1  Theil  Zink. 
Man  sezt  während  des  Mischens  nur  sehr  wenig  Wasser  zu,  da  der  Chlor- 
zink sehr  schnell  Wasser  aus  der  Luft  anzieht  und  von  selbst  zerfliesst. 
Je  dicker  man  diese  Aezpaste  aufträgt ,  um  so  tiefer  dringt  sie  ein.  In 
flüssigem  Zustande  trägt  man  das  salzsaure  Zink  mit  einem  Pinsel  auf. 
—  Die  Verbindung  des  Chlorzinks  (2  Th.) ,  Chlorbrom  (3  Th.)  und 
Chlorantimon  (1  Th.)  stellt  das  Landolfi'sche  Aezmittel  dar.  Man 
wendet  es  bei  Krebs,  Wasserkrebs,  fungösen  Geschwüren,  Telangiactasien 
und  Milzbrandkarbunkel  an.  —  16)  Antimonpräparate.  Das 
Antimonchlorid,  die  Spiessglanzbutter,  Liquor  chlo- 
reti  stibii,  Butyrum  antimonii  wirkt  milder  als  das  Zinkchlorid, 
doch  genügt  ein  einmaliges  Bestreichen  mit  der  Flüssigkeit  auf  die  un- 
verlezte  Oberhaut  zur  Erzeugung  eines  dicken,  grau-weisslichen,  weichen, 
genau  begrenzten ,  in  der  Mitte  eingesunkenen  Schorfes ,  der  nach 
seinem  Abfallen  eine  unreine  Geschwürsfläche  hinterlässt ,  die  erst  nach 
und  nach  eine  gutartige  Eiterung  zeigt.  Man  wendet  dieses  Mittel 
hauptsächlich  zur  Wegäzung  von  Warzen,  Condylomen,  Polypen,  Staphy- 
lomen ,  veralteten  Hornhautflecken  unter  Anwendung  eines  Asbestpinsels, 
Glasstäbchens  an ,  ferner  zur  Zerstörung  des  Giftes  beim  Milzbrandkar- 
bunkel und  in  Bisswunden  wuthkranker  Thiere.    Der  Brechweinstein 


26 


AFTEKKRANKIIEITEN. 


wirkt  als  Aezmittel  sehr  heftig  und  unsicher.  —  Weitere ,  sehr  gelind 
wirkende  und  gewöhnlich  nur  zur  Zerstörung  wenig  belebter  Pseudo- 
plasraen  verwendete  Aezmittel  sind :  das  Goldchlorid,  Chlor  etum 
auri,  die  Kupferpräparate,  darunter  der  Kupfervitriol, 
Cuprum  sulphuricum  und  der  Grünspan,  Cuprum  suba- 
ceticum,  Aerugo,  und  die  Eisenpräparate,  unter  welchen  der 
Eisenvitriol,  Ferrum  sulphuricum  und  der  Eisensalpeter, 
Ferrum  nitricum,  zu  nennen  sind.  —  In  der  neuesten  Zeit  ver- 
bindet Maunoury  Guttapercha  mit  verschiedenen  Aezmitteln  :  Chlor- 
zink ,  Aezkali .  arseniger  Säure  u.  a.  und  stellt  daraus  3  Arten  von 
Körpern  dar:  1)  feste,  zähe,  in  beliebige  Formen  zu  schneidende  Platten, 
2)  Aezcylinder  nach  Art  des  Höllensteinstiftes,  3)  Fäden  zur  Entfernung 
gewisser  Tumoren  durch  Umschnürung  und  Aezung. 

After,  Krankheiten  desselben.  Sie  sind  zahlreich ;  das 
reichlich  vorhandene  Zellgewebe ,  welches  den  untern  Theil  des  Mast- 
darmes umgibt ,  ist  häufig  der  Siz  einer  Entzündung ,  die  meistens  mit 
Abscessbildung  endet;  ausserdem  beobachtet  man  Krampf,  Neuralgie, 
Lähmung  des  Afters  ,  wie  er  auch  der  Siz  von  Wunden  ,  Einrissen  ,  -  Ge- 
schwüren ,  Eruptionen  mancherlei  Art ,  Vegetationen ,  Geschwülsten  ver- 
schiedener Natur  sein  kann.  Zuweilen  sieht  man  ihn  als  angebornen 
Bildungsfehler  ganz  fehlen  oder  anderweitig  verändert. 

Krampf  des  Afters.  Dieser  ist  entweder  vorübergehend  oder 
stellt  sich  in  seltenen  Fällen  als  anhaltende  Contraction  des  Schliess- 
muskels  dar.  Man  beschwichtigt  oder  beseitigt  diese  Zustände  durch 
die  Anwendung  von  warmen  Bähungen  oder  Sizbädern  oder  von  narko- 
tischen Sizbädern,  Salben  und  Stuhlzäpfchen  z.  B.  Rp.  Axung.  porci, 
Succ.  sempervivi  tector. ,  Succ.  belladonn. ,  A.  amygd. 
d  u  1  c.  a n a  5jj  (Boyer).  Wird  durch  diese  Mittel  bei  der  Contractur 
keine  dauernde  Hülfe  erzielt,,  so  ist  diese  nur  von  der  Durchschneidung 
des  Schliessmuskels  auf  einer  oder  auf  beiden  Seiten ,  zu  erwarten. 
S.  A  f  t  e  r  f  is  s  u  r. 

Neuralgie.  Diese  seltene  Affection  tritt  meist  ohne  bekannte 
Ursachen  unter  äusserst  heftigen  Schmerzen  in  Paroxysmen  auf.  Bella- 
donna in  Salbe  und  Injectionen  zeigen  sich  hülfreich. 

Lähmung  des  Anus.  Sie  tritt  entweder  in  Folge  spinaler 
und  cerebraler  Paralyse  oder  peripherisch  nach  starken  Reizungen  und 
vorausgegangenen  Krankheiten  des  Afters  und  Mastdarms  auf.  Immer 
ist  sie  mit  Erschwerung  der  Kothentleerung  verbunden ;  ist  sie  vollkommen, 
so  wird  die  spontane  Entleerung  aller  festeren  Fäcalmassen  unmöglich 
und  kann  selbst  durch  Kly stiere  oft  nicht  erzwungen  werden ,  während 
der  After  offen  steht  und  flüssige  Stoffe  und  Gase  ohne  Wissen  und 
Willen  des  Kranken  abgehen.  Die  Behandlung  muss  vorzüglich  gegen 
die  Ursache  der  Lähmung  gerichtet   sein   und  nur  bei  chronischen  Para- 


AFTERKRANKHEITEN.  27 

lysen  kann  zuweilen  durch  reizende  Injectionen,  Electricität  u.  dgl.  örtlich 
vortheilhaft  eingewirkt  werden. 

Entzündung.  —  Diese  hat  ihren  Siz  meist  in  dem  reichlich  in 
der  Umgebung  des  Afters  angehäuften  Zellgewebe,  steigert  sich,  wie  alle 
phlegmonösen  Entzündungen  ,  rasch  zu  einem  hohen  Grade  und  gibt  sich 
durch  Röthe ,  klopfenden  Schmerz ,  Härte ,  sehr  in  die  Tiefe  gehende 
Geschwulst  und  Spannung ,  grosse  Hize ,  Fieber  und  Störung  des  All- 
gemeinbefindens zu  erkennen.  Die  Zertheilung  dieser  Entzündung 
gelingt  selten,  gewöhnlich  geht  sie  schon  nach  wenigen  Tagen  in  Eiterung, 
zuweilen  in  Brand  über.  Die  Ursachen  sind  örtliche  oder  allgemeine; 
Hämorrhoiden,  vieles  Sizen,  Reiten,  erschwerter  Stuhlgang  disponiren  den 
Körper  zu  diesen  Entzündungen,  welche  durch  örtliche  Reize,  wie  Unter- 
drückung der  Hautausdünstung ,  Quetschungen ,  fremde  Körper  im  Mast- 
darme ,  Verlezungen  durch  Klystiere  etc. ,  oder  durch  allgemeine  Krank- 
heitsreize, wie  Flechten,  Gicht,  Syphilis,  besonders  aber  durch  Metastasen 
und  consensuelle  Einwirkungen  der  Brustorgane  hervorgetufen  werden. 
Die  Prognose  richtet  sich  nach  den  Ursachen,  dem  Alter,  der  Compli- 
cation  etc.  Die  Behandluug  muss  streng  antiphlogistisch  sein,  daher 
allgemeine  und  örtliche  Blutentziehungen,  Einreibung  der  Quecksilber- 
salbe ,  Bähungen  mit  Bleiwasser  etc.  Dicke  erweichende  Katäplasmen 
lindern  die  Schmerzen  und  begünstigen  die  Zertheilung  oder  die  Eite- 
rung. 

Abscess  am  After.  Er  kommt  entweder  als  ein  kleines, 
oberflächlich  liegendes  Knötchen,  besonders  bei  solchen,  welche  an  Hä- 
morrhoiden leiden ,  meist  nicht  einzeln  in  der  Nähe  des  Afters  zum  Vor- 
schein, welches  bald  in  Eiterung  übergeht  und  in  der  Regel  durch  blosse 
Reinlichkeit  unter  Rücksichtnahme  auf  die  Hämorrhoidalanlage  geheilt 
wird.  Oder  der  Gesässabscess  erscheint  nach  einer  heftigen  phlegmonösen 
Entzündung  und  ist  dann  von  grösserer  Bedeutung.  Wenn  dieser 
Abscess  reif  ist  ,  so  öffnet  er  sich  entweder  nach  aussen ,  oder  in  den 
Mastdarm  oder  nach  beiden  Orten  zugleich ,  gewöhnlich  mit  mehreren 
Oeffnungen  ;  bei  der  Eröffnung  in  den  Mastdarm  ergiesst  sich  der  Eiter 
mit  dem  Stuhlgange.  Bei  gesunden  Personen  kann  nun  vollkommene 
Heilung  erfolgen ;  liegt  dem  Abscesse  aber  ein  allgemeines  Leiden  zum 
Grunde  ,  so  bilden  sich  fistulöse  Gänge ,  deren  Mündung  neben  oder  in 
dem  Mastdarm  sich  befindet  (S.  Mastdarmfistel).  Die  Ursachen 
dieser  Abscesse  sind  die  der  Entzündung.  —  Die  Prognose  richtet 
sich  wie  bet  dieser  nach  den  Ursachen ,  der  Complication  etc.  ;  tieferlie- 
gende hinterlassen  gewöhnlich  Fisteln  ;  zuweilen  gehen  solche  Abscesse 
schnell  in  Brand  über ,  in  welchem  Falle  sie  schnell  tödten.  Die  B  e- 
handlung  besteht  in  der  Beförderung  der  Eiterung  und ,  sobald  man 
deutlich  Schwappung  fühlt,  in  der  ergiebigen  Eröffnung  der  Eiteransamm- 
lung ,   um  den  Abfluss  des  Eiters  nach  aussen  zu   begünstigen  ;    ist    eine 


28  AFTPEFISSUP. 

Spalte  in  dem  Mastdärme ,  so  muss  der  Schnitt  sfcli  bis  zu  dieser  hin 
erstrecken.  Ist  der  Mastdarm  im  Abscesse  von  Zellgewebe  entblösst, 
so  ist  es  nothwendig ,  ihn ,  wenn  er  auch  nicht  geöffnet  ist ,  mit  dem 
Abscesse  ein-  und  durchzuschneiden.  Den  Verband,  die  Regelung  der 
Stuhlentleerung  etc.  besorgt  man  auf  die  bei  den  Mastdarmfisteln  ange- 
gebene Weise.  Die  allgemeine  Behandlung  muss  den  zum  Grund 
liegenden  Ursachen  angepasst  werden.  Der  schnell  in  Brand  über- 
gehende Abscess  muss  zeitig  durch  einen  grossen  Einschnitt  geöffnet 
und  mit  reizenden  warmen  Umschlägen  verbunden  werden ;  die  innere 
Behandlung  muss  belebend  und  stärkend  sein.      S.  Brand. 

AiteriiSSlir ,  Fissura  ani.  Mit  diesem  Namen  bezeichnet 
man  Einrisse  an  der  Aftermündung,  die  mit  einer  krampfhaften  Zusammen- 
schnürung des  Afters  verbunden  sind.  Sie  characterisirt  sich  durch 
einen  fixen  Schmerz  an  einer  Stelle  des  Afterrandes ,  der  während  und 
nach  den  Stuhlausleerungen  sehr  heftig  wird ,  und  sich  in  der  Zeit 
zwischen  den  Stuhlausleerungen  allmählig  wieder  beruhigt.  Dieser 
Schmerz  besteht  in  einem  Brennen  und  Hize ,  die  sich  nach  längerem 
Bestände  des  Leidens  bis  zu  dem  Grade  steigert ,  dass  nicht  selten  mit 
den  Stuhlausleerungen  Convulsionen  und  Ohnmächten  verbunden  sind. 
Die  Darmausleerungen  werden  immer  seltener  und  erscheinen  mit  Blut- 
streifen überzogen.  Dies  nöthigt  den  Kranken  zu  dem  täglichem  Ge- 
brauche von  Klystieren  und  oft  wiederholten  Abführmitteln ,  welche 
Mittel  aber  bei  längerem  Gebrauche  nur  die  Pein  vermehren ,  indem  das 
Einbringen  des  Sprizenrohres  oder  die  anhaltende  Diarrhöe  Schmerzen 
wie  von  einem  glühenden  Eisen  hervorrufen.  Endlich  bedarf  es  nicht 
einmal  mehr  dieser  Berührungen ,  sondern  jeder  Diätfehler ,  jede  heftige 
Bewegung ,  ein  anhaltendes  Sizen  oder  Stehen ,  die  eintretende  Men- 
struation führen  diese  Schmerzen  herbei,  durch,  deren  immer  längeres  An- 
dauern die  Gesundheit  des  Kranken  so  erschüttert  wird  ,  dass  eine  allge- 
meine Abmagerung  mit  grosser  Reizbarkeit  des  Nervensystems  entsteht. 
Bei  der  örtlichen  Untersuchung  nimmt  man  gewöhnlich  den  Anfang  der 
Schrunde  wahr ;  das  Einbringen  des  Zeigefingers  ist  schwierig ,  immer 
sehr  schmerzhaft  und  von  einer  krampfhaften  Zusammenschnürung  des 
Schliessmuskels  begleitet ;  manchmal  fühlt  man  die  Fissur ,  andere  Male 
erkennt  man  sie  nur  an  dem  Schmerze ,  der  an  dieser  Stelle  durch  den 
Druck  hervorgebracht  wird.  —  Ursachen.  Die  Krankheit  kommt  in 
jedem  Lebensalter  vor ;  die  Frauen  sind  zur  Zeit  der  cessirenden  Men- 
struation, die  Männer  durch  Hämorrhoidalleiden  dazuprädisponirt.  Ge- 
legenheitsursachen sind  Reizungen  in  dem  unteren  Theile  des  Mastdarmes 
durch  harte  Fäces,  Obstkerne,  Gallen-  und  Darmsteine,  Würmer,  Abscesse 
in  der  Nähe  des  Afters,  Päderastie  etc.  —  Die  Behandlung  besteht 
neben  dem  Gebrauche  einer  vegetabilischen  reizlosen  Diät,  in  der  Anwen- 
dung kühlender  Abführmittel ,   von  Blutegeln  ,   kalter  Waschungen  ,  Siz- 


AFTERFISSUR.  29 

badern ,  der  aufsteigenden  Douclie ,  narkotischer  Injectionen  und  der- 
gleichen Salben,  vorzüglich  von  Belladonna.  Velpeau  fand  eine  Salbe 
aus  Ungt.  matr.  (Empl.  minii  mit  Baumöl  gemischt)  und  Ol. 
amygd.  dulc.  ana,  Morgens  und  Abends  auf  Charpiewieken  applicirt, 
Boy  er  die  oben  (s.  Krampf  des  Afters)  angeführte  Salbe  sehr  wirksam; 
vielfach  werden  Stuhlzäpfchen ,  sowie  Klystiere  von  Ratanhiaextract, 
leztere  besonders  bei  kleinen  Kindern  gerühmt.  Beclard  betupft  den 
Riss  mit  Höllenstein  und  bringt  allmählig  verstärkte  Charpiewieken  in 
die  Afteröffnung.  Bourgois  lässt  den  Kranken  selbst  auf  der  Spize 
des  Zeigefingers  eine  bohnengrosse  Quantität  von  verschieden  concen- 
trirter  Höllensteinsalbe  so  hoch  als  möglich  in  den  After  und  nach  der 
ulcerirten  Stelle  hinführen  ;  der  darauf  eintretende  Schmerz  verliert  sich 
nach  Vg — 2  Stunden;  nach  der  Application  gibt  man  alsbald  ein  Klystier 
von  kaltem  Wasser  und  bringt  ein  mildes  frisches  Fett  (Talg)  ein.  Die 
Höllensteinsalbe  wendet  man  erst  wieder  nach  drei  Tagen ,  später  alle 
4  —  6  Tage  an  ;  in  der  Zwischenzeit  die  einfache  Salbe  und  Klystiere. 
Die  Heilung  soll  gewöhnlich  in  3  Wochen  mit  3 — 4,  aber  auch  8  — 10 
Cauterisationen  vollendet  sein.  Sicherer  als  alle  diese  Mittel  ist  die 
Einschneidung  des  Schliessmuskels  an  der  Stelle  der  Fissur  oder  einer 
andern.  Man  verrichtet  diese  Operation  nach  vorausgeschicktem  Abführ- 
mittel und  Klystier ,  um  den  Stuhlgang  auf  mehrere  Tage  zu  verhüten, 
mittels  des  Knopfmessers ,  welches  man  auf  dem  beölten  ,  in  den  Mast- 
darm eingebrachten  linken  Zeigefinger ,  flach  aufgelegt ,  bis  über  den 
Sphincter  einführt,  und  womit  man  nach  Umwendung  der  Messerschneide 
nach  aussen  die  Darmhäute ,  den  Schliessmunkel ,  das  Zellgewebe  und 
die  äussere  Haut  in  einem  Zuge  seitwärts  oder  nach  rechts  und  links 
durchschneidet.  Zwischen  die  Lefzen  der  dreieckigen  Wunde  bringt 
man  einen  Leinwandstreifen ;  äusserlich  legt  man  ein  Plumasseau ,  eine 
Compresse  und  die  TBinde  über.  Dieser  Verband  wird  nach  3  —  4 
Tagen  und  dann  täglich  erneuert ,  bis  die  Wunde  durch  eine  breite 
Narbe  sich  ganz  geschlossen  hat.  Demarquay  und  Schärlau 
durchschneiden  den  Sphincter  subcutan ,  indem  sie  zwischen  diesem  und 
der  Schleimhaut  ein  Tenotom  flach  einstechen ,  1  Zoll  hinauf  schieben 
und  dann,  die  Spize  des  Tenotom's  gegen  den  Sphincter  wendend,  diesen 
unter  allmähligem  Zurückziehen  des  Messers  durchschneiden.  Der 
Mastdarm  muss  während  der  Operation  mittels  des  eingeführten  Fingers 
oder  durch  ein  Speculum  angespannt  erhalten  werden.  Der  Verband 
besteht  in  der  Einführung  eines  mit  Zinksalbe  bestrichenen  Charpie- 
bausches.  Maisonneuve  führt  beide  beölte  Zeigefinger  in  das 
Rectum  ein,  krümmt  sie  nach  beiden  Seiten  hin  und  zieht  nun  gewaltsam 
und  rasch  die  Kreisfasern  des  Sphincters  nach  verschiedenen  Richtungen 
hin  auseinander.  Die  Nachbehandlung  besteht  in  Bähungen  und  erwei- 
chenden Klystieren.  Diese  sämmtlichen  Operationen  sind  meist  von 
einem  sehr  raschen  Erfolge  begleitet. 


30  AFTER,   KUENSTLICHER. 


After,  künstlicher,  A  n  u  s  a  r  t  i  f  i  c  i  a  1  i  s  ist  eine  vermittels 
einer  Operation  am  Unterleibe  gemachte  Oeffnung  um  dadurch  den 
Darmexcrementen  einen  Ausweg  zu  bahnen;  die  chirurgische  Operation 
wird  der  Bauchdarmschnitt,  Laparo-Colotomia,  C  o  1  o- 
tomia  genannt.  Die  Bildung  eines  künstlichen  Afters  kann  nothwendig 
werden :  bei  angeborner  Aftersperre  oder  bei  Verengerung  des  Mast- 
darmes ,  welche  nicht  gehoben  werden  können  und  bei  Verschliessung 
anderer  Theile  des  Darmkanales  aus  verschiedenen  Ursachen ,  wenn  die 
Wegsamkeit  des  Darmrohres  nicht  wieder  herstellbar  ist.  —  Man  legt 
den  künstlichen  After  meistens  auf  der  linken  Bauchseite  an  und  zwar 
entweder  in  der  Weichengegend  an  der  Flexura  sigmoidea  (Littre), 
oder  in  der  Lumbaigegend  am  Colon  descendens  (Callison). 
Im  ersten  Falle  macht  man  i/i) — 1  Zoll  von  der  Spina  iliaca  an- 
terior superior  einen  1  y.2 —  2  Zoll  langen,  etwas  schräg  von  oben 
und  aussen  nach  unten  und  innen  gehenden  Hautschnitt ,  dessen  Mitte 
ungefähr  der  Mitte  der  Darmbeingräte  gegenüber  liegt.  Hierauf  werden 
die  Bauchmuskeln  schichtweise  getrennt  und  das  Bauchfell  vorsichtig 
geöffnet.  Man  sucht  nun  die  Flexura  sigmoidea  auf,  zieht  sie 
hervor  und  führt  mit  einer  gewöhnlichen  Wundnadel  zwei  Fäden  in  einer 
Entfernung  von  i/2  Zoll  durch  das  Gekröse  oder  den  Darm ,  um  damit 
diesen  zu  fixiren.  Alsdann  wird  der  Darm  an  seiner  gewölbten  Stelle 
der  Länge  nach  1  Zoll  weit  eingeschnitten ,  entleert  und  mit  seinen 
Wundrändern  durch  mehrere  Knopfnähte  an  die  Wundränder  der  Bauch- 
wand in  der  Weise  angeheftet,  dass  die  Darmwundränder  mit  dem  Haut- 
rande zusammenwachsen.  Nun  werden  die  Gekrösschlingen  ausgezogen 
und  ein  einfach  deckender  Verband  angelegt.  Mit  eintretender  Ver- 
wachsung des  Darmes  an  die  Bauchwand  entfernt  man  die  Hefte  und 
legt  später  einen  Kothrecipienten  an.  —  Um  den  After  in  der  Lenden- 
gegend zu  bilden,  macht  man  nach  Amussat  in  der  Mitte  zwischen 
dem  Darmbeinkamme  und  der  untersten  Rippe  einen  Querschnitt  von 
dem  äussersten  Rande  des  M.  sacrolumbalis  und  longissimus  dorsi 
nach  einwärts  von  3  —  4  Zoll  Länge  durch  Haut  und  Muskeln ,  wobei 
man  die  tieferen  Lagen ,  um  den  Darm  besser  zu  entblössen  ,  kreuzweis 
einschneidet.  Man  entblösst  nun  das  Colon  vorsichtig  und  verschafft 
sich  über  dessen  Lage  theils  durch  Fingerdruck  theils  durch  Percussion 
Aufschluss  ,  fasst  es  mit  zwei  Fäden  und  punktirt  es  mit  einem  Troikart, 
worauf  man  die  Oeffnung  in  senkrechter  Richtung  erweitert ,  die  Darm- 
wundränder nach  aussen  zieht  nnd  mit  den  Wundrändern  der  Haut  zu- 
sammenheftet. Den  zur  Darmentleerung  nicht  nöthigen  Theil  der 
Bauchwunde  vereinigt  man  mit  einigen  Heften.  Die  Nachbehandlung  ist 
wie  bei  der  vorigen  Operationsweise.  —  Hat  die  Verschliessung  oder 
Verengerung  des  Darmes  über  dem  S.  romanum  seinen  Siz ,  so  dass 
das    Colon    descendens    nicht    für    den  künstlichen  After  benüzt 


AFTER,    WroERNATÜERLICHER.  31 

werden   kann  ,    so  macht  man  die  Operation  rechts  in  der  Lumbaigegend 
oder  in  der  Weiche,  indem  man  das  Coecum  eröffnet. 

AfterverSCMieSSUng',   s.  Krankheiten  des  Mastdarms. 

After,  Widernatürlicher ,  Anus  p  r  aa 1  e  r  n  a  t  u  r  a  1  i  s  ,  ist 
eine  abnorme  Oeffhung  am  Unterleibe  ,  welche  mit  der  Höhle  des  Darm- 
kanales  communicirt  und  durch  welche  sich  die  Darmcontenta  entleeren. 
Ist  diese  Oeffhung  klein,  so  dass  sich  nur  eine  geringe  Menge  der  Fsecal- 
materie  auf  diesem  Wege ,  der  grösste  Theil  desselben  aber  durch  den 
natürlichen  After  entleert,  so  nennt  man  dies  eine  Kothfistel, 
Fistula  stercorea.  —  Die  Ursachen  sind  penetrirende  Baueh- 
"wunden  mit  Verlezung  der  Därme  oder  mit  einem  Vorfalle  derselben,  der 
in  Brand  übergeht ,  brandige  Brüche ,  Abscesse  etc.  ,  wodurch  entweder 
nur  ein  Theil  der  Wandung  eines  Darmes  oder  eine  ganze  Darmschlinge 
zerstört  und ,  indem  der  verwundete  Darm  mit  der  Oeffhung  in  den 
Bauchdecken ,  namentlich  mit  dem  Bauchfelle  verwächst ,  die  Ergiessurig 
des  Kothes  in  die  Unterleibshöhle  verhindert  wird.  Abscesse  haben 
meistens  nur  eine  Kothfistel  zur  Folge  ,  und  zwar  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  in  der  Blinddarmgegend ,  dem  häufigsten  Size  der  Abcesse.  —  Die 
äussere  Oeffhung  des  widernatürlichen  Afters  ist  gewöhnlich  rund ,  ein- 
gezogen und  in  Folge  der  Narbencontraction  von  strahligen  Falten  der 
Haut  umgeben.  In  den  meisten  Fällen  ist  die  Oeffhung  einfach,  zuweilen 
sind  aber  auchrmehrere  zugegen ,  welche  durch  Kanäle  mit  dem  Darm  in 
Verbindung  stehen.  In  Folge  der  Reizung  durch  die  austretenden 
Fasealstoffe  ist  die  die  Oeffhung  umgebende  Haut  entzündet ,  verhärtet, 
nicht  selten  excorürt  und  mit  den  unterliegenden  Theilen  verwachsen. 
Die  Darmenden  liegen  entweder  sehr  nahe  oder  unmittelbar  an  den 
Lippen  der  äusseren  Wunde  oder  sie  münden  sich  in  einen  vom  Bauch- 
fell gebildeten  Sack  ;  letzteres  ist  namentlich  nach  brandig  gewordenen 
Brüchen  der  Fall.  Auf  diesem  Verhalten  der  Darmenden  zur  äusseren 
Oeffhung  beruht  hauptsächlich  die  Heilbarkeit  dieser  Fisteln.  Das  obere 
oder  zwischen  dem  Magen  und  der  abnormen  Oeffhung  liegende  Darm- 
ende gibt  sich  durch  den  Austritt  von  Darmkoth ,  das  untere  oder  Mast- 
darmende durch  einen  solchen  von  Darmschleim  zu  erkennen.  —  Eine 
häufige  Complication  des  falschen  Afters  ist  ein  Darmvorfall.  Dieser 
Vorfall  tritt  entweder  plözlich  in  Folge  einer  Anstrengung  oder  allmählig 
auf;  er  betrifft  entweder  das  obere  oder  das  untere  Darmstück  oder 
beide  zugleich.  Die  äussere  Haut  des  Vorfalles  besteht  aus  der  Schleim- 
haut,  indem  das  Darmende  sich  umstülpt;  sie  ist  sehr  weich,  roth,  reiz- 
bar und  mit  Schleim  überzogen  ;  wenn  der  Darm  lange  aussen  liegt ,  so 
verliert  er  seine  Empfindlichkeit ,  die  Schleimhaut  wird  blässer  und  kann 
endlich  eine  den  allgemeinen  Bedeckungen  ähnliche  Beschaffenheit  an- 
nehmen. Das  vorgefallene  Darmstück  bildet  eine  konische  Geschwulst 
von  verschiedener  Grösse,  welche  am  Grunde  zusammengeschnürt  und  an 


32  AFTER,    WIDERNATÜRLICHER. 

der  Spize  mit  einer  Oeffnung  versehen  ist ,  aus  welcher ,  ist  es  das  obere 
Darmstück ,  Koth  ,  ist  es  das  untere  ,  Schleim  hervorkommt ;  sind  beide 
Darmstücke  vorgefallen  ,  so  bemerkt  man  zwei  Hervorragungen  mit  den 
characteristischen  Ausleerungen.  Die  Geschwulst  vergrössert  sich  bei 
Anstrengungen ,  Heben ,  Tragen ,  Husten ,  Niesen  und  nimmt  bei  einer 
horizontalen  Lage  des  Kranken  an  Umfang  ab.  Der  Vorfall  kann  in 
der  Oeffnung,  durch  die  er  vorgefallen  ist,  eingeklemmt  werden,  am  Ende 
sogar  mit  ihm  verwachsen.  Zuweilen  senkt  sich  eine  Darmschlinge 
zwischen  die  beiden  Darmenden  ein,  damit  einen  Bruch  bildend.  — 
Der  falsche  After  übt  einen  sehr  nachtheiligen  Einfluss  auf  den  ganzen 
Organismus  aus  und  dies  um  so  mehr ,  je  weiter  oben  am  Darmkanale 
sich  die  Afterölfnung  befindet,  indem  hierdurch  dem  Körper  nährende 
Stoffe  entzogen  werden ,  die  bei  längerem  Verweilen  hätten  absorbirt 
werden  können;  dadurch  muss  nothwendiger  Weise  die  Ernährung  leiden; 
die  Kranken  magern  deshalb ,  besonders  anfangs ,  schnell  ab.  Dazu 
kommt  noch ,  dass  durch  den  beständigen  Ausfluss  des  Darminhaltes 
Excoriationen  und  Ausschläge  auf  der  umgebenden  Haat  erzeugt  werden, 
die  dem  Kranken  durch  das  beständige  Jucken  oft  alle  Ruhe  rauben. 
Je  weiter  unten  am  Darmkanale  die  abnorme  Oeffnung  sich  befindet ,  um 
so  unangenehmer  ist  der  Geruch  der  Ausleerungen.  Der  unter  der 
Oeffnung  gelegene  Theil  des  Darmkanales  verengt  sich  ,  da  nichts  mehr 
in  ihn  gelangt  ;  er  sondert  nur  noch  Schleim  ab  ,  der  in  festen ,  weiss- 
lichen  Massen  durch  den  natürlichen  After  ausgeleert  wird  ;  das  obere 
Darmstück  dagegen  wird  hypertropsisch ,  sehr  blutreich  und  mehr  oder 
weniger  aasgedehnt.  —  Der  falsche  After  ist  in  den  meisten  Fällen  ein 
mehr  lästiges  als  gefährliches  Uebel.  Es  wird  begreiflicher  Weise 
durch  die  Complicationen  verschlimmert  und  durch  die  bedeutendere 
Beeinträchtigung  der  Ernährung  zuweilen  wirklich  lebensgefährlich. 

Die  Heilung  des  falschen  Afters  kommt  entweder  durch  blosse 
Naturthätigkeit  oder  durch  ein  eingreifendes  Kunstverfahren  zu  Stande. 
Von  der  verschiedenen  Lage  und  Beschaffenheit  der  Darmenden  hängt 
es  ab ,  ob  die  Herstellung  auf  dem  einen  oder  dem  anderrn  Wege  be- 
werkstelligt werden  kann.  Erfolgt  die  Heilung  durch  blosse  Natur- 
thätigkeit ,  so  geschieht  dies  auf  folgende  Weise  :  Nach  der  Trennung 
der  abgestorbenen  Theile  zieht  sich  der  Grund  der  Wunde  nach  hinten 
zurück ;  die  beiden  durch  die  Zurückziehung  des  Mesenteriums  mit 
fortgezogenen  Darmenden  folgen  dieser  Bewegung  und  nehmen  den 
ihnen  entsprechenden  Theil  des  Bauchfelles  mit ,  welches  dadurch  eine 
trichterförmige  Höhle  bildet.  Diese  doppelte  Zurückziehung  geschieht 
um  so  schneller,  je  neuer  der  Bruch  und  je  nachgiebiger  daher  das  um- 
gebende Zellgewebe  noch  ist.  Bei  alten  festgewachsenen  Bauch-  und 
Nabelbrüchen ,  nach  penetrirenden  Bauchwunden  und  Abscessen ,  bei 
welchen  die  Darmöffnungen  uumittelbar  mit  der  äusseren  Wunde  ver- 
wachsen ,   tritt   daher   dieser  vortheilhafte  Umstand  nicht  ein.      In   dem 


AFTER,    WIDERNATUERLICHER.  33 

Maasse ,  als  die  genannte  Zurückziehung  vor  sich  geht ,  vergrössert  sich 
die  trichterförmige  Höhle ,  welche  dadurch  immer  mehr  in  Stand  gesezt 
wird ,  die  aus  der  oberen  Darmmündung  kommenden  Excremente  aufzu- 
nehmen und  in  die  untere  überzuleiten.  Am  leichtesten  kommt  die 
spontane  Heilung  zu  Stande ,  wenn  nur  ein  geringer  Theil  des  Darm- 
umfanges  zerstört  wurde  ;  bei  einer  massigen  Zurückziehung  des  Bruch- 
sackes richten  sich  dann  die  beiden  Darmmündungen  gegen  einander 
und  der  Uebergang  der  Excremente  von  einer  Oeffnung  in  die  andere 
erfährt  keine  grossen  Hindernisse.  Ist  dagegen  ein  grosser  Theil  des 
Darmrohres  oder  eine  ganze  Darmschlinge  durch  den  Brand  zerstört 
worden ,  so  liegen  die  beiden  Darmenden  fast  parallel  neben  einander, 
wodurch  eine  vorspringende  Scheidewand  gebildet  wird ,  welche  die 
Communication  zwischen  dem  oberen  und  unteren  Darmstücke  hindert. 
Wenn  der  Vorsprung  dieser  Scheidewand  (Klappe ,  Sporn)  durch  die 
Zurückziehung  dieser  Darmstücke  nicht  ausgeglichen  wird ,  so  besteht 
die  einzige  Möglichkeit  der  Wiederherstellung  des  natürlichen  Weges 
für  die  Excremente  in  der  Zerstörung  dieser  Scheidewand. 

Behandlung.  Sie  besteht  im  Anfange  bloss  in  der  Sorge  für 
Reinlichkeit ,  für  gehörigen  Abfluss  des  Kothes ,  in  der  Bedeckung  der 
Oeffnung  mit  einem  Ceratläppchen ,  in  dem  Bestreichen  der  nächsten 
Umgebung  der  Fistel  mit  Collodium ,  um  sie  gegen  die  reizende  Einwir- 
kung des  austretenden  Darminhaltes  zu  schüzen  und  in  Vermeidung  eines 
jeden  Druckes  auf  dieselbe ,  woneben  man  dem  Kranken  gut  nährende, 
leicht  verdauliche  Speisen  erlaubt ,  öfters  Klystiere  und  leichte  Abführ- 
mittel anwendet.  Nach  ausreichender  Befestigung  der  Darmstücke  in 
ihren  neuen  Beziehungen  kann  man  durch  abwechselndes  Beugen  und 
Aufrichten  des  Körpers  die  Spannung  des  Mesenteriums  und  damit  die 
Kraft  der  Zurückziehung  desselben  vermehren  lassen.  Sind  mehrere 
Fistelgänge  zugegen ,  so  spaltet  man  sie ;  zieht  sich  die  Oeffnung  zu 
schnell  zusammen  oder  kann  der  Koth  nicht  gehörig  abfliessen,  so  erwei- 
tert man  die  Oeffnung  mit  Pressschwamm  oder  mit  dem  Messer ,  mit  der 
Vorsicht  aber ,  die  Verwachsungen  des  Darmes  nicht  zu  überschreiten, 
und  legt  ein  gehörig  grosses  Bourdonnet  ein.  Das  Einlegen  eines 
Bourdonnets  ist  auch  das  einzige  Mittel,  um  den  Darmvorfall  zu  ver- 
hüten. Ist  dieser  entstanden ,  so  tritt  er  entweder  bei  ruhiger  Rücken- 
lage von  selbs.t  zurück ,  wo  nicht ,  so  reponirt  man  ihn  durch  Druck  mit 
der  flachen  Hand  oder  indem  man  den  Finger  oder  einen  umwickelten 
Stab  in  die  Oeffnung  des  Darmes  einführt  und  diesen  in  sich  selbst  ein- 
stülpt ;  geht  es  nicht  auf  einmal ,  so  versucht  man  einen  anhaltenden 
Druck  mittels  einer  Binde.  Bei  eingeklemmtem  Vorfalle  schneidet  man 
die  einschnürende  Stelle  vorsichtig  ein.  Werden  unter  dieser  Behand- 
lung nach  und  nach  die  Excremente  auf  dem  natürlichen  Wege  aus- 
geleert,  so  kann  man,  wenn  die  Quantität  derselben  der  Menge  der 
genossenen  Nahrungsmittel  entspricht ,  die  äussere  Oeffnung  sich  all- 
Burg&r.  Chirurgie.  O 


34  AFTER,    WIDERNATUERLICHEE. 

mählig  schliessen  lassen.  —  Gelingt  die  Heilung  des  widernatürlichen 
Afters  unter  dieser  Behandlung  nicht,  so  besteht  die  einzige  Hülfe  in 
der  Beseitigung  der  Scheidewand  oder  des  Vorsprunges.  Dies  kann  auf 
zwei  Wegen  geschehen ,  entweder  durch  Zurückdrängung  oder  durch 
Trennung  derselben.  Das  Zurückdrängen  wurde  von  D  e  s  a  u  1 1  mittels 
dicker  Charpiewieken ,  von  Dupuytren  durch  einen  gestielten  Halb- 
mond, von  Dieffenbach  mit  einer  krückenartigen  mit  einem  Bruch- 
bande verbundenen  Vorrichtung  versucht.  Dieses  Verfahren  ist  gefahr- 
los und  kann  bei  nur  wenig  vorspringender  Scheidewand  von  Nuzen 
sein.  Zur  Trennung  der  Scheidewand  sind  verschiedene  Vorrichtungen 
vorgeschlagen  worden ,  welche  theils  auf  blutigem  Wege ,  theils  durch 
Mortification  wirken.  Leztere  verdienen  als  die  gefahrloseren  den 
Vorzug  und  unter  diesen  ist  die  von  Dupuytren  angegebene  Darm- 
scheere  oder  das  Enterotom  ziemlich  häufig  mit  Erfolg  in  Gebrauch 
gezogen  worden.  Man  untersucht  zuvörderst  mittels  beölter  Finger 
oder  dicker  Sonden  die  Lage  beider  Darmstücke  und  erweitert  die  OefF- 
nung  derselben  nothigenfalls  durch  Pressschwamm.  Nun  führt  man  den 
einen  Scheerenarm  zuerst  in  die  untere ,  schwerer  aufzufindende  Darm- 
mündung ,  dann  den  anderen  in  das  obere  Darmstück  so  weit  ein ,  dass 
ungefähr  2 — 21/2  Zoll  Länge  von  der  Scheidewand  gefasst  wird,  worauf 
man  sie  vereinigt  und  durch  Drehung  um  ihre  Achse  sich  davon  über- 
zeugt, dass  sie  richtig  eingebracht  sind  ■  alsdann  schliesst  man  die  Scheere 
mittels  der  Schraube  so  fest ,  dass  sie  an  der  Scheidewand  hält  und  nur 
geringer  Schmerz  entsteht ;  die  Griffe  der  Scheere  umwickelt  man  mit 
Leinwand  und  befestigt  sie  mittels  einer  TBinde.  Täglich  oder  nur  alle 
zwei  Tage  schraubt  man  die  Griffe  mehr  zusammen,  bis  die  Scheidewand 
getrennt  ist  und  die  Scheere  mit  dem  gefassten  Hautstücke  ausgezogen 
werden  kann,  was  gewöhnlich  nach  7  — 10  Tagen  möglich  ist.  Während 
dieses  Verfahrens  geniesse  der  Kranke  leichte  Nahrungsmittel  und  der 
Stuhlgang  werde  durch  Kly stiere  unterhalten.  Die  gewöhnlich  mehr 
oder  weniger  heftig  auftretenden  Zufälle  von  Darmentzündung  werden 
streng  antiphlogistisch  behandelt;  sie  können  selbst  die  Lüftung  der 
Zange  oder  sogar  die  Abnahme  derselben  nöthig  machen.  —  Blasius 
brachte  an  der  Darmscheere  zwei  Compressionsschrauben  an,  und  um  ein 
grösseres  Stück  aus  der  Scheidewand  auszukneipen  versah  L  i  o  t  a  r  d  die 
vorderen  Enden  derselben  mit  in  einander  greifenden  Ringen,  B  1  an  d  i  n , 
v.  Ludwig,  Hahn  mit  gekerbten  ovalen  Platten.  D  e  1  p  e  c  h  bedient 
sich  einer  Zange,  die  er  Compresseur  enterotome  nennt,  Rey- 
bard  gab  eine  besondere  Pincette  mit  einer  Klinge  an,  mit  welcher  der 
Vorsprung  durchschnitten  wird ,  Jobert  will  die  Darmscheere  nur  zwei 
Tage  liegen  lassen  und  dann  die  Scheidewand  einschneiden  etc.  End- 
lich macht  V  i  d  a.l  den  Vorschlag,  die  vorderen  Enden  der  Darmscheere 
mit  einem  Aezmittel  zu  versehen  und  die  Scheidewand  durch  Aezung  zu 
trennen. 


AMPUTATION.  35 

Die  Schliessung  der  wiedernatürlichen  Oeffnung  am  Unterleibe  nach 
wiederhergestelltem  natürlichen  Wege  kann  man  bewirken  durch  ruhige 
Lage,  fortgesezte  Anwendung  von  Klystieren,  durch  einen  massigen  Druck 
mittels  elastischer  Pelotten ,  durch  Cauterisation  der  Wundränder  mit 
Höllenstein,  durch  Heftpflaster,  die  blutige  Naht,  mit  einer  Klemme  von 
Dupuytren,  durch  Abtragen  des  Schleimhautsaumes  der  Fistel  mit 
dem  Messer  oder  Zerstörung  desselben  mit  dem  Glüheisen,  endlich  durch 
Ueberpflanzen  eines  Hautstückes  auf  die  Oeffnung.  —  Ist  die  Fistel  nicht 
zu  schliessen,  so  lässt  man  ein  gut  anschliessendes  elastisches  Bruchband 
tragen ;  das  Gleiche  hat  zu  geschehen,  wenn  der  falsche  After  überhaupt 
nicht  geheilt  werden  kann ,  in  welchem  Falle  aber  ein  Kothrecipient  und 
zwar  am  besten  der  J  u  v  i  1 1  e  mit  dem  Bruchbande  in  Verbindung  gesezt 
werden  muss.      S.  Kothrecipient. 

Akidopeirastik ,  die  Kunst ,  mit  der  Nadel  oder  überhaupt 
mit  etwas  Spizigem  zu  untersuchen,  Diagnostica  punctoria, 
nennt  Middeldorpf  eine  neue  Untersuchungsmethode  mit  spizigem 
Werkzeuge,  welche  nach  ihm  bei  den  verschiedensten  Krankheitszuständen 
eine  bisher  ungeahnte  Sicherheit  in  der  Erkenntniss  gewährt ,  indem  sie 
direct  auf  das  Wesen  der  Krankheit  in  Form ,  Lagerung ,  Inhalt ,  Con- 
sistenz  etc.  losgeht.  Der  Erfinder  hat  ein  eigenes  Etui  für  diese  Nadel- 
diagnostik zusammengestellt ,  welches  aus  verschiedenen  feinen  Nadeln, 
Nadelhaltern  und  mancherlei  äusserst  dünnen  Troicarts  besteht.  Näheres 
darüber  steht  noch  zu  erwarten. 

Amputation ,  die  Absezung  oder  Ablösung  der  Glie- 
der, Amputatio  artuum  ist  die  kunstmässige  Trennung  ganzer 
Glieder  des  Körpers  oder  Theile  desselben  sammt  ihren  knöchernen 
Grundlagen  nach  der  Richtung  ihrer  Dicke  -  Durchmesser  mittels  schnei- 
dender Instrumente.  Die  Trennung  der  Glieder  geschieht  entweder  in 
der  Continuität  der  Knochen ,  Amputation  in  der  Continuität 
oder  Amputation  im  engeren  Sinne,  oder  in  der  Contiguität,  Ampu- 
tation in  der  Contiguität  oder  in  oder  aus  den  Gelenken, 
Amputation  im  weiteren  Sinne ,  Exarticulatio,  Enucleatio, 
Gliederauslösung. 

A)  Von   der   Amputation   im  Allgemeinen. 

Die  Amputation  ist  eine  der  lebensgefährlichsten  Operationen  und 
ihre  Resultate,  betreffend  die  Zahl  der  mit  dem  Leben  davon  gekommenen 
Kranken  sind  nichts  weniger  als  aufmunternd  und  günstig ,  daher  das 
Bestreben  der  Wundärzte  aller  Zeiten  ,  sie  möglichst  zu  beschränken ; 
besonders  aber  ist  es  "die  Neuzeit,  welche  an  der  Hand  einer  rationellen 
Therapie  überraschende  Resultate  in  dieser  Richtung  erlangt  hat.  Als 
unabänderlich  feststehende  allgemeine  Indication  für  die 
Amputation  ist  die   von  Die  ff  enb  ach   aufgestellte  anzunehmen; 

3* 


36  AMPUTATION. 

nach  ihm  inuss  man  amputiren :  1)  wo  die  örtlich  unheilbar  erkrankte 
Extremität  zugleich  das  Leben  gefährdet;  2)  wo  eine  Krankheit  der 
Extremität  nach  den  körperlichen  und  Aussenverhältnissen  des  Individuums 
zu  einer  anderweitigen  Heilung  des  Uebels  keine  Hoffnung  lässt,  sondern 
den  Umständen  nach  ebenfalls  das  Leben  aufs  Spiel  sezen  würde  ;  3)  wo 
durch  eine  örtliche  unheilbare  Krankheit  der  Gebrauch  des  Gliedes  und 
der  Lebensgenuss  verkümmert  wird.  Folgendes  sind  in  näherer  Angabe 
die  Fälle,  welche  die  Amputation  erfordern:  1)  wenn  ein  Glied  voll- 
ständig abgerissen  oder  zu  einer  formlosen  Masse  zerschmettert  ist 
(durch  Kanonenkugeln,  Maschinenwalzen,  Locomotivenräder  u.  dgl.  m.), 
2)  die  Eröffnung  des  Kniegelenkes  durch  eine  weite  Wunde 
mit  Zerschmetterung  eines  oder  beider  Gelenkköpfe ;  ähnliche-  Verle- 
zungen  anderer  Gelenke  erfordern  höchstens  die  Resection  ;  3)  wenn  bei 
Verlezungen  des  Oberarms  und  Oberschenkels  die  verlezende  Kraft  das 
Glied  so  getroffen,  dass  nicht  nur  die  Hauptarterie,  sondern  auch  die  Haupt- 
venenstämme und  Nerven  vollkommen  oder  fast  ganz  zerrissen  sind  ;  4) 
Zerschmetterungen  von  Knochen  mit  fast  vollständiger  Tren- 
nung der  Weichtheile;  5)  vollständige  Zermalmung  eines  Knochens, 
so  dass  eine  Vereinigung  unmöglich  erscheint;  6)  Splitterbrüche, 
namentlich  in  der  Nähe  von  Gelenken ,  besonders  wenn  dabei  die  Verle- 
zung  der  Weichtheile  bedeutend  ist;  7)  wenn  bei  einer  für  sich  einfachen 
Fractur  die  Weichtheile  dermassen  zerquetscht  und  zermalmt  sind, 
dass  Brand  unvermeidlich  scheint ;  8)  Zerschmetterung  des  Hand- 
und  Fussgelenkes,  besonders  durch  Schusswunden;  9)  Luxatio- 
nen mit  Zerquetschung  und  Zerreissung  des  grössten  Theiles  der  das 
Gelenk  umgebenden  und  bildenden  Weichtheile ;  10)  Gelenkeite- 
rung mit  Caries  der  das  Gelenk  zusammensezenden  Knochen;  11) 
Aneurysmen,  wenn  das  Glied  unter  dem  Aneurysma  kalt ,  ödematös, 
gelähmt,  pulslos  ist,  durch  seinen  Druck  auf  die  Nervenstämme  und  durch 
Unterbrechung  des  Kreislaufes  ;  ferner  wo  Weichtheile  und  Knochen  von 
der  aneurysmatischen  Geschwulst  sehr  tief  und  in  hohem  Grade  zerstört 
sind,  der  Knochen  oder  ein  Gelenk  durchgängig  exulcerirt  ist  und  deshalb 
diese  Nachbartheile  an  sich  keine  Hoffnung  für  ihre  Heilung  übrig  lassen ; 
wo  deshalb  der  Brand  zu  fürchten  wäre ,  wenn  man  unterbinden  wollte, 
weil  der  Blutzufluss  dadurch  unterbrochen,  durch  den  ersten  unvollkommen 
eingeleiteten  Collateralkreislauf  noch  nicht  ersezt  würde  und  die  ohnehin 
kranken  Theile  diese  Vorgänge  nicht  lange  ertragen  könnten ,  sondern 
abstürben;  12)  Necrose  der  Gelenkenden,  so  wie  Necrose  des 
Körpers  der  Knochen,  wenn  Erschöpfung  eintreten  würde,  bevor  der 
Sequester  sich  gelöst  hat  und  entfernt  werden  kann,  oder  wenn  die  behufs 
der  Entfernung  nöthige  Verwundung  das  Glied  unhaltbar  zerstören  oder 
das  Leben  gefährden  würde ,  so  bei  mehreren  Sequestern  in  besonderen 
Höhlen  etc.  13)  Degenerationen  und  Ulcerationen  der 
weichen  Theile  von   ausgedehntem  Umfange ,    welche   allen  Heilmitteln 


AMPUTATION.  37 

widerstehen  und  durch  ihre  Bückwirkung  auf  den  Organismus ,  durch 
Säfteverlust  u.  dgl.  das  Leben  bedrohen  oder  das  Glied  gänzlich  un- 
brauchbar machen,  wie  krebshafte  Geschwülste ,  die  nicht  für  sich  exstir- 
pirbar  sind,  Elephantiasis,  grosse  Geschwüre,  welche  wegen  der  Beschaf- 
fenheit ihres  Bodens  gar  nicht  oder  nicht  auf  die  Dauer  heilbar  sind  ; 
14)  Knochengeschwülste  (Osteosteatom ,  Osteosarkom,  Spina 
v  e  n  t  o  s  a)  ,  die  sehr  störend  auf  die  Gesundheit  einwirken  und  nicht 
durch  Besection  von  oder  mit  ihrem  Boden  auf  dem  Knochen  abgetragen 
werden  können  ;  15)  complicirte  Fracturen  unter  sehr  ungünstigen 
Umständen  oder  beim  Mangel  aller  Pflege  und  der  Nothwendigkeit  eines 
weiten  Transports ,  oder  wenn  sie  nach  einem  beträchtlichen  Zeiträume 
keine  Neigung  zur  Heilung  zeigen  und  durch  anhaltende  und  starke 
Eiterung  hectische  Zufälle  herbeiführen  und  das  Leben  bedrohen ; 
16)  verkrümmte,  ankylosirte,  contrahirte  Glieder,  wenn 
sie  dem  Kranken  nicht  nur  durch  ihre  Unbeweglichkeit  und  Stellung 
vollkommen  unbrauchbar ,  sondern  auch  sehr  lästig  werden  und  ihn  an 
den  freien  Bewegungen  seines  übrigen  Körpers  behindern ,  wenn  der 
Kranke  die  Operation  fordert  (Amputation  aus  Gefälligkeit).  —  Con- 
traindicirt  ist  die  Operation:  1)  wenn  das  Uebel  durch  Excision 
eines  Theiles  des  Knochens  allein  (Besection)  heilbar  ist;  2)  wenn  durch 
die  Amputation  nicht  alles  Krankhafte  so  weit  entfernt  werden  kann ,  als 
der  Zweck  der  Operation  fordert;  3)  wenn  innere  Ursachen  des  Uebels 
(Dyscrasien)  noch  vorhanden  sind ,  oder  örtliche  noch  fortwirken  und 
nicht  beseitigt  werden  können ;  doch  darf  man  in  Beziehung  auf  Dys- 
crasien nicht  gar  zu  ängstlich  sein,  sonst  dürfte  man  z.  B.  bei  Caries 
gar  keine  Operation  unternehmen ,  während  doch  die  tägliche  Erfah- 
rung das  Gegentheil  zeigt ;  4)  bei  sehr  hohem  Grade  von  Kräfte  -  und 
Säftemangel,  wo  durch  den  Eingriff  der  Operation  das  Leben  gänzlich 
aufgerieben  werden  würde ,  ebenso  während  eines  durch  die  Verlezung 
verursachten  hohen  Grades  von  allgemeiner  Depression ,  welcher  sich 
durch  sehr  kleinen  oder  mangelnden  Puls ,  Kälte ,  Stupor ,  Ohnmacht 
u.  a.  zu  erkennen  gibt.  —  Der  bedeutende  verwundende  Eingriff  nicht 
allein ,  welcher  durch  die  Amputation  gesezt  wird ,  sondern  auch  der 
Umstand,  dass  der  Körper  dadurch  eines  wichtigen  Theiles  beraubt  wird, 
müssen  in  der  Stellung  der  Indicationen  für  diese  Operation  sehr  vor- 
sichtig machen.  Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache ,  dass  die  Indicationen 
nur  im  Allgemeinen  aufgestellt  werden  und  die  aufgeführten  speciellen 
Zustände  nicht  erschöpfend  sein  können ,  denn  nur  aus  der  Abschäzung 
der  individuellen  inneren  und  äusseren  Verhältnisse  eines  Kranken  in 
Bezug  auf  seinen  örtlichen  Krankheitszustand  kann  im  concreten  Falle 
das  Urtheil  über  die  Notwendigkeit  der  Amputation  hervorgehen*  und 
eben  weil  jene  Verhältnisse  stets  individuell  sind  und  sie  durchaus  in 
Anschlag  kommen  müssen,  so  lassen  sich  die  Zustände,  welche  die  Ampu- 
tation fordern,  nur  sehr  schwierig  und  unvollständig  bestimmen.    Esmuss 


38  AMPUTATION. 

zunächst  mit  Gräfe  eine  absolute  und  relative  Nothwendigkeit  der 
Amputation  unterschieden  werden.  Absolut  nothwendig  ist  die  Ampu- 
tation, wo  ohne  sie  das  Leben  durch  den  örtlichen  Krankheitszustand  an 
sich  vernichtet  werden  würde  und  die  oben  aufgestellten  Anzeigen  könnten 
nur  hierher  gehören ;  aber  auch  bei  ihnen  bleibt  noch  sehr  viel  der  Beur- 
theilung  des  individuellen  Zustandes,  des  Verlaufes,  den  der  Krankheits- 
fall gemacht,  des  Grades,  den  er  erreicht,  überlassen,  um  ihre  Giltigkeit 
in  concreten  Fällen  zu  bestimmen.  Die  angeführten  Zustände  sind 
solche ,  wo  in  der  bei  weitem  grösseren  Mehrzahl  ohne  die  Amputation 
das  Leben  nicht  erhalten  werden  würde ,  aber  es  ist  bei  ihnen  nicht  die 
Möglichkeit  verneint ,  dass  in  seltenen  Fällen  Heilung  ohne  Amputation 
erfolgen  könne,  nur  sind  diese  Fälle  höchst  schwierig,  meist  gar  nicht  im 
Voraus  zu  bestimmen.  Die  relative  Nothwendigkeit  der  Amputation 
wird  durch  ungünstige  äussere  Verhältnisse  eines  Kranken  gegeben, 
welche  eine  an  sich  heilbare  Verlezung  unheilbar  und  tödtlich  machen, 
und  diese  relativ  nothwendigen  Amputationen  finden  besonders  häufig  im 
Kriege  bei  Verwundungen  statt,  wo  die  Bedingungen  für  eine  glückliche 
Heil  ng  oft  nicht  blos  fehlen,  sondern  dieser  eine  Menge  äusserer  Um- 
stände entgegen  wirken  und  es  also  darauf  ankommt ,  an  die  Stelle  jener 
Verlezung  eine  leichter  heilbare  Amputationswunde  zu  sezen.  Besonders 
häufig  machen  Schussverlezungen  und  die  dadurch  erzeugten  complicirten 
Fracturen  die  Amputation  relativ  nothwendig ,  hauptsächlich  an  den 
grösseren  Gliedmassen-  und  namentlich  wenn  Gelenke  betroffen  sind ; 
auch  bis  in  die  Knochen  dringende  grosse  Hieb  -  und  Schnittwunden  des 
Knie- ,  Ellbogen-  und  Fussgelenkes  indiciren  hier  die  Operation ,  da  hier 
nur  die  strengste  Ruhe  noch  einen  ungünstigen  Ausgang  verhüten  kann. 
Irrig  ist  es  aber  bei  diesen  und  überhaupt  bei  penetrirenden  Wunden  der 
Charniergelenke  die  Amputation  für  absolut  nothwendig  zu  halten ,  da 
hier  unter  günstigen  äusseren  Verhältnissen  wohl  Heilung  möglich  ist. 
Ebenso  muss  man  in  diesem  Falle  bei  complicirten  Fracturen  mit  der 
Amputation  zurückhaltend  sein  .  da  diese  von  der  durch  richtige  Kunst- 
hülfe unterstüzten  Natur  oft  dann  noch  geheilt  werden ,  wenn  schon  ein 
ungünstiger  Anschein  vorhanden  ist ;  namentlich  darf  man  sich  bei  ein- 
getretener Eiterung  durch  deren  Stärke  und  Einfluss  auf  den  ganzen 
Körper  nicht  zu  früh  zur  Operation  verleiten  lassen ,  indem  sie  sich  nicht 
selten  nach  dem  Abgange  von  Knochenstücken  u.  dgl.  vermindert  und 
Leben  und  Glied  erhalten  lässt.  —  Der  Brand  gibt  heut  zu  Tage  keine 
Indication  zur  Amputation  mehr  ab ,  dagegen  muss  die  Absezung  des 
todten  Gliedtheiles  so  bald  als  möglich  geschehen,  d.  h.  wenn  dieDemar- 
cation  des  Brandes  in  vollem  Gange  ist ,  weil  dadurch  am  besten  die 
Verpestung  der  den  Kranken  umgebenden  Luft  und  die  dadurch  gegebene 
materielle ,  so  wie  die  durch  das  brandige  Glied  gesezte  psychische 
schädliche  Einwirkung  auf  den  Kranken  aufgehoben  wird.  —  Was  die 
Zeit   zur  Amputation  bei  Verlezungen  betrifft,   so   wird  die  Ope- 


AMPUTATION.  39 

ration  entweder  vor  dem  Eintritt  der  Entzündung  (primäre  oder  f  r  ü  h  e 
Amputation),  also  in  den  ersten  2 4  Stunden  und  zwar  sobald  als 
möglich  nach  erlittener  Verlezung ,  oder ,  wo  dies  nicht  angeht ,  nach 
vorübergegangenem  entzündlichen  Allgemeinleiden,  d.  h.  9,  14,  2  4  bis 
2 8  Tage  nach  geschehener  Verlezung  (secundäre  oder  späte 
Amputation)  vorgenommen.  Die  oben  sub  1  bis  5  bezeichneten 
Verlezungen  sind  'diejenigen,  bei  denen  man  die  Operation  ohne  Auf- 
schub vornehmen  sollte,  und  die  Erfahrung  lehrt,  dass  der  Erfolg  solcher 
frühzeitigen  Amputationen  auffallend  günstig  ist.  Bei  den  übrigen 
Verlezungen  kann  man  unter  der  Voraussezung  günstiger  äusserer  und 
innerer  Verhältnisse  zuwarten,  in  der  Hoffnung,  das  Glied  zu  retten.  Bei 
chronischen  Leiden  ist  die  Zeit  mehr  der  Wahl  des  Operateurs  anheim- 
gestellt ,  doch  warte  man  nicht  zu  lange ,  damit  der  Kranke  nicht  zu 
schwach  werde.  Auf  eine  Verminderung  des  hectisehen  Fiebers  kann 
man  nicht  immer  warten ,  doch  muss  sich  der  Kranke  so  weit  erholt 
haben ,  dass  er  im  Stande  ist ,  die  bedeutende  Verwundung  und  den 
Heilungsprocess  ,  der  bei  so  geschwächten  Personen  wiederum  meistens 
ein  langer  Eiterungsprocess  zu  sein  pflegt ,  zu  überstehen ;  —  Bei 
der  Bestimmung  der  Amputationsstelle  sind  folgende  Umstände 
zu  berücksichtigen :  1 )  muss  alles  Krankhafte  entfernt  werden ;  hier- 
bei muss  im  Auge  behalten  werden ,  dass  selten  die  innerlichen  und 
äusserlichen  Theile  eines  Gliedes  in  gleicher  Höhe  krank  oder  schadhaft 
sind ;  man  muss  daher  vorher  wohl  untersuchen ,  um  die  Schnittlinie 
immer  im  Gesunden  zu  führen ;  namentlich  erstreckt  sich  bei  Schluss- 
verlezungen  die  Quetschung  der  weichen  und  die  Splitterung  der  harten 
Theile  oft  viel  höher  hinauf,  als  es  äusserlich  erscheint.  Sind  dagegen 
Weichgebilde  im  Umfange  eines  örtlichen  Uebels  nur  secundär  mit 
erkrankt,  nicht  von  jenem  selbst  ergriffen  und  überhaupt  nicht  in  höherem 
Grade  verändert,  so  kann  man  sie,  um  das  Glied  nicht  zu  hoch  abnehmen 
zu  müssen ,  erhalten  und  den  Schnitt  durch  sie  führen  ;  ebenso  brauchen 
Fisteln ,  wenn  sie  blos  von  Knochenleiden  abhängen ,  nicht  durchaus  fort- 
genommen zu  werden ,  weil  sie  nach  Entfernung  des  Grundleidens  von 
selbst  heilen  ;  2)  man  berücksichtige  die  Verwundbarkeit  der  Stelle  und 
die  Gefährlichkeit  der  Operation  daselbst  durch  die  Blutung  im  Gegen- 
saz  zu  der  nächsten  Stelle ,  die  wenigst  gefährliche  Stelle  hat  daher  den 
Vorzug;  z.  B.  bei  der  Amputation  des  Oberschenkels  das  untere  Dritttheil 
vor  dem  Anfang  des  oberen.  Namentlich  muss  bei  grosser  Verwundbar- 
keit und  in  hohem  Alter  die  Bequemlichkeit  des  Stumpfes  wegen  der 
geringeren  Gefahr  einer  unbequemlichen  Stelle  nachstehen  ;  3)  man  er- 
halte so  viel  als  möglich  vom  Gliede ,  um  dasselbe  brauchbarer  und  zum 
Anlegen  eines  künstlichen  Gliedes  geschickter  zu  machen ;  4)  die  Ampu- 
tationsstelle muss  die  Bildung  eines  gut  bedeckenden ,  bequemen  und  die 
Anlegung  eines  künstlichen  Gliedes  brauchbaren  Stumpfes  zulassen.  — - 
Je  mehr  die  Exarticulation  oder  die  Amputation  eines  Gliedes  alle  diese 


40  AMPUTATION. 

Vortheile  vereint  darbietet ,  gibt  man  der  einen  oder  der  andern  den 
Vorzug  ;  bei  Gleichheit  jener  Verhältnisse  zieht  man  aber  die  Amputation 
vor.  Der  Exarticulation  wirft  man  vor ,  dass  die  Wunde  in  der  Regel 
grösser  werde,  die  überknorpelten  Gelenkflächen  mit  den  weichen  Theilen 
schwerer  und  langsamer  als  bei  der  Amputation  verheilen,  und  zwar  mehr 
als  noch  einmal  so  viel  Zeit  zur  Heilung  der  Wunde  erfordert  werde, 
ein  Umstand,  der  besonders  bei  geschwächten  Personen  in  Betracht 
kommt ;  endlich  dass  die  das  Gelenk  umgebenden  weichen  Theile  eine 
schlechtere  Bedeckung  für  die  Knochenfläche  geben  und  eine  weniger  gute 
Narbe  sich  bilde.  Methoden  oder  Schnittweisen  zur  Amputation  und  ebenso 
zur  Exarticulaton  gibt  es  im  Allgemeinen  folgende :  1 )  der  Zirkelschnitt 
und  zwar  der  einfache  und  der  doppelte,  2)  der  Lappenschnitt  und  zwar 
der  einfache  und  der  mehrfache*,  3)  der  Trichterschnitt,  4)  der  Ovalär- 
schnitt  und  5)  der  von  B 1  a  s  i  u  s  angegebene  Schrägschnitt. 

Die  Prognose  bei  der  Amputation  hängt  von  folgenden  Umständen 
ab:  1)  von  den  die  Operation  indicirenden  Krankheiten; 
wenn  die  Krankheit  local  ist  oder  ihr  wenigstens  kein  bedeutendes  All- 
gemeinleiden mehr  zu  Grunde  liegt  und  sie  demnach  durch  die  Operation 
entfernt  werden  kann ,  ist  die  Prognose  gut ;  schlecht  hingegen ,  wenn 
eine  Dyscrasie ,  ein  bedeutendes  Fieber  oder  Nervenleiden  oder  ein  orga- 
nischer Fehler  eines  Eingeweides  zugegen  ist;  2)  von  der  Individu- 
alität des  Kranken,  namentlich  der  Verwundbarkeit;  bei  jungen, 
kräftigen  und  blutreichen  Menschen ,  die  wegen  Verlezungen  operirt 
werden,  ist  die  Reaction  des  Gefäss-  und  Nervensystemes  in  der  Regel  zu 
stark ,  daher  erfolgt  leicht  Nachblutung ,  heftige  Entzündung ,  Brand, 
nervöser  Erethismus  und  Tetanus ,  während  bei  anderen  durch  chronische 
Leiden,  grosse  Schmerzen  und  Säfteverlust  die  Erregbarkeit  herabgestimmt, 
das  Nervensystem  gegen  die  Schmerzen  der  Operation  abgestumpft  und 
die  folgende  Entzündung  eine  massige  ist;  3)  von  der  Zeit  der  Ope- 
ration; hierüber  gilt  das  oben  Gesagte ;  4)  von  dem  Orte  der 
Operation;  je  entfernter  derselbe  von  dem  Rumpfe  ,  und  ie  weniger 
er  aus  Gefässen ,  Sehnenscheiden  und  fibrösen  Theilen  zusammengesezt 
ist ,  desto  besser  ist  die  Prognose.  Die  Exarticulation en  werden  durch 
die  Eiterung  manchmal  gefährlicher  als  die  Amputationen  im  engeren 
Sinne.  Zang  stellt  folgende  Gefährlichkeitsscala  auf:  Exarti- 
culationen  des  Oberschenkels ,  Exartic.  des  Oberarmes  und  Amputation 
des  Oberschenkels  am  oberen  Dritttheile ,  Amput.  an  anderen  Stellen  des 
Oberschenkels  und  Exartic.  des  Unterschenkels,  Amput.  des  Unter- 
schenkels, des  Ober-  und  Vorderarmes,  Exart.  des  3.  und  4.  Mittelhand- 
und  des  2.,  3.  und  4.  Mittelfussknochens ,  Exart.  des  Fusses ,  Exart. 
der  Hand ,  Amput.  des  2.,  3.  und  4.  Mittelfussknochens ,  Amput.  des 
3.  und  4.  Mittelhandknochens,  Exart.  des  1.  und  5.  Mittelfussknochens, 
Exart.  des  1.  und  5.  Mittelhandknochens,  Amput.  der  letztgenannten 
Hand-  und  Fussknochen  ,  Amput.   der  Finger  und  Zehen  und  Exart.  der- 


AMPUTATION.  41 

selben;  5)  von  der  Amputationsmethode;  unter  gleichen 
Verhältnissen  und  im  Falle  der  freien  Wahl  wird  von  den  meisten  Prac- 
tikern  dem  Zirkelschnitt  vor  dem  Lappenschnitte  der  Vorzug  gegeben 
und  dieser  1)  auf  die  Stellen  beschränkt,  wo  wegen  der  Breite  der  Wunde 
die  Bedeckung  derselben  mit  Haut  schwierig  ist ,  wie  an  dem  oberen 
Theile  des  Oberschenkels  und  Vorderarmes  ,  besonders  aber  an  den  Ge- 
lenken,  2)  auf  die  ungleiche  Verbreitung  der  Krankheit  der  weichen 
Theile  und  3)  auf  den  Fall ,  wo  wegen  Ankylose  oder  Contractur  der 
Zirkelschnitt  gar  nicht  oder  nur  schwierig  auszuüben  ist;  6)  von  der 
Verbandmethode  und  7)  von  der  zweckmässigen  Nach- 
behandlung  und   Pflege  und  anderen  äusseren  Verhältnissen. 

Man  bedarf  folgender  Instrumente  zur  Amputation :  ein 
Schraubenturniket ,  ein  einschneidiges  gerades  Messer  mit  8  Zoll  langer, 
1  0  Linien  breiter  Klinge  und  stumpfrunder  Spize ,  zum  Zirkelschnitt ;  ein 
spizes  zweischneidiges  Messer  mit  1 1  Zoll  langer ,  1 3  Linien  breiter 
Klinge ,  und  ein  eben  solches ,  aber  in  der  Klinge  nur  6  Zoll  langes, 
8  Linien  breites,  zur  Lappenamputation;  verschiedene  grosse,  gerade  und 
convexe  Scalpells  zur  Amputation  kleinerer  Glieder ,  Lösung  der  Haut, 
BeinhaiÄ  u.  dgl.  ;  ein  Zwischenknochenmesser  (Catline)  mit  2  schneidiger, 
spizer ,  3 l /4  Zoll  langer ,  4  Linien  breiter  Klinge  ;  einfach  und  doppelt 
gespaltene  leinene  Compressen  zur  Retraction  der  durchschnittenen 
Weichgebilde  ;  eine  grosse  Bogensäge,  8  bis  9  Zoll  lang,  und  eine  kleine 
31/ 2  —  4  Zoll  lange  Bogen-  oder  Fingersäge,  eine  Kornzange,  eine 
Knochenzange ,  eine  Knochenfeile ,  Arterienpincetten  und  Haken  nebst 
Unterbindungsfäden ,  kleinere  und  grössere  krumme  Heftnadeln  nebst 
Faden  und  Fadenbändchen ;  ausserdem  gebraucht  man  Restaurations- 
mittel ,  kaltes  und  warmes  Wasser  ,  Schwämme  ,  Oel ,  eine  Scheere  und 
zum  Verbände:  rohe  Charpie ,  Charpiebäuschchen  und  Charpie- 
kuchen ,  L  zoll  breite  bandförmige ,  gut  klebende  Heftpflasterstreifen, 
mehrere  Compressen ,  eine  Zirkelbinde  ,  Stecknadeln  ,  ferner  ein  Spreu- 
kissen, Wachsleinwand  und  eine  Reifenbahre.  —  Gehülfen  bedarf  man 
bei  grösseren  Amputationen  fünf  bis  sechs,  bei  kleineren  drei  oder  vier. 

Lagerung  des  Kranken.  Bei  den  Amputationen  an  den 
oberen  Extremitäten  sei  sie ,  Avenn  es  der  Kräftezustand  des  Kranken  zu- 
lässt ,  sizend.  Bei  den  unteren  Gliedmassen  liegt  der  Kranke  auf  einem 
schmalen  Bette  oder  besser  auf  einem  mit  einer  Matraze  oder  einem  festen 
Bette  belegten  Tische.  Die  Stellung  des  Operateurs  und  der 
Gehülfen  richtet  sich  nach  den  verschiedenen  Gliedern.  Ist  alles  an- 
geordnet, so  sind  die  nothwendigen  Vorkehrungen  gegen  die 
Blutung  zu  treffen.  Der  Hauptarterienstamm  wird  während  der  Ope- 
ration comprimirt  und  zwar  entweder  mittels  des  Turnikets  oder ,  wo  für 
dessen  Anlegung  kein  Raum  mehr  ist  und  wenn  man  einen  zuverlässigen 
Gehülfen  hat ,  mittels  der  Finger  des  lezteren.  Das  Turniket  legt  man 
an,  wenn  der  Kranke  schon  die  Lage  zur  Operation  hat ;    es  muss  gehörig 


42 


AMPUTATION. 


darauf  gesehen  werden,  dass  die  Pelotte  gerade  den  Hauptstamm  trifft  und 
unter  ihr  keine  Pulsation  fühlbar  bleibt.  Ein  Gehülfe  sorgt  für  die  sichere 
Lage  des  Turnikets  und  hält  sich  bereit ,  es  jeden  Augenblick  zu  lüften 
oder  stärker  zu  schliessen. 

Die  Operation  selbst  zerfällt,  man  mag  sie  in  oder  ausser  den 
Gelenken  machen ,  in  vier  Acte :  nämlich  in  die  Durchschneidung  der 
weichen  Theile ,  in  die  Trennung  der  Knochen  oder  der  Gelenkbänder, 
in  die  Blutstillung  und  in  die  Vereinigung  der  Wunde.  —  Die  Durch- 
schneidung der  Weicht  heile  differirt  nach  den  verschiedenen 
Methoden,  die  sich  auf  sie  allein  beziehen. 

1.  Der  Zirkelschnitt.  Er  besteht,  wie  schon  sein  Name 
andeutet,  darin,  dass  sämmtliche  Weichtheile  senkrecht  auf  die  Achse  des 
Gliedes  (daher  auch  der  Name  Verticalschnitt)  kreisförmig  durch- 
schnitten werden.  Er  zerfällt  in  den  einfachen  und  doppelten  (zwei- 
zeitigen) Schnitt.  —  a)  Einfacher  Zirkelschnitt  (auch  Celsus'- 
scher  Schnitt  genannt).  Dieser  Schnitt  wird  2'3  des  Durchmessers  des 
Gliedes  tiefer  als  der  Knochen  durchsägt  werden  soll  und  zwar  auf  fol- 
gende Weise  ausgeführt :  ein  Gehülfe  umfasst  über  der  Amputationsstelle 
das  Glied  mit  beiden  Händen  und  spannt  die  Haut  gleichmässig  an  ;  ein 
anderer  hält  das  Glied  an  seinem  untern  Theile ;  der  Operateur  lässt  sich 
an  der  äusseren  Seite  des  Kranken  auf  ein  Knie  nieder ,  führt  das  ein- 
schneidige Messer  unter  dem  Gliede  weg  nach  dessen  oberer  Seite ,  fasst 
dessen  Spize  mit  den  Fingern  der  linken  Hand ,  schiebt  dasselbe  gegen 
sich  und  durchschneidet  dadurch  zuerst  die  ihm  zugekehrte  Seite  des 
Gliedes  bis  auf  den  Knochen  ;  alsdann  zieht  er  das  Messer  unabgesezt 
und  sich  stets  auf  den  Knochen  haltend  zurück  und  kreisförmig  um  den 
übrigen  Theil  des  Gliedes  herum  bis  zu  dem  Anfangspunkte  des  Schnitts ; 
bei  dem  lezten  Theile  des  Schnitts  erhebt  er  sich ,  so  dass  er  diesen 
stehend  verrichtet.  Ist  dies  geschehen  ,  so  lässt  er  die  Muskeln  stark 
zurückziehen ,  schneidet  den  Muskelkegel  kreisförmig  durch  und  sägt 
schliesslich  den  Knochen  in  diesem  Schnitte  durch.  Dieser  Schnitt  ist 
nur  anwendbar  bei  sehr  verwundbaren ,  mageren  Individuen  mit  schlaffer, 
dehnbarer  Haut  und  Muskulatur  am  Oberarm ,  seltener  am  Oberschenkel. 
—  b)  Doppelter  oder  zweizeitiger  Zirkelschnitt.  Man 
durchschneidet  die  vorher  stark  zurückgezogene  Haut  etwa  einen  Zoll 
unter  der  Durchsägungsstelle  des  Knochens  mit  dem  Amputationsmesser 
kreisförmig  bis  auf  die  Fascie  und  lässt  sie  dann  stark  zurückziehen  ,  oder 
geht  dieses  nicht ,  so  präparirt  man  sie  von  den  unterliegenden  Theilen 
ab  und  schlägt  sie  nach  oben  um.  Nun  nimmt  der  Operateur  das  Ampu- 
tationsmesser,  sezt  dasselbe  etwa  2  —  3  Linien  unter  der  retrahirten  oder 
umgeklappten  Haut  an  und  schneidet  die  übrigen  Weichgebilde  wie  bei 
dem  einfachen  Zirkelschnitte  senkrecht  bis  auf  den  Knochen  durch. 
Dann  legt  der  Gehülfe  seine  Hände  auf  die  Schnittfläche  und  zieht  die 
Fleischmasse  stark  zurück,  worauf  die  kegelförmig  vortretende  Muskulatur 


AMPUTATION,  43 

dicht  vor  den  Fingern  des  Gehülfen  mit  einem  ganz  wie  auf  die  frühere 
Weise  verrichteten  Zirkelschnitt  bis  auf  die  Knochen  durchschnitten  wird. 
Erforderlichen  Falls  wiederholt  man  dieses  Durchschneiden  eines  Fleisch- 
kegels und  führt  so  die  Muskelwunde  von  1/2  bis  2  Zoll  höher  am  Knochen 
hinauf.  Dieser  Schnitt  hat  bei  einröhrigen  Gliedern  den  Vortheil ,  dass 
er  ein  besseres  Polster  für  den  Stumpf  gibt  und  dass  die  perpendiculäre 
Wunde  sich  rasch  zur  Heilung  neigt,  was  besonders  bei  vulnerablen  Per- 
sonen wichtig  ist ;  er  ist  besonders  bei  rigiderer  ,  nicht  zu  starker  Musku- 
latur an  einer  nicht  zu  hohen  Stelle  des  Gliedes  ,  wo  noch  das  Turniket 
angewendet  werden  kann  ,  an  Theilen ,  welche  mehr  Sehnen  und  weniger 
Muskeln  enthalten ,  daher  an  den  beiden  unteren  Dritttheilen  des  Ober- 
arms, am  Oberschenkel  nahe  am  Knie,  am  unteren  Theil  des  Unterschenkels, 
am  Vorderarm  nahe  am  Handgelenk  anwendbar.  —  Als  eine  Modin cation 
des  zweizeitigen  Zirkelschnitts  ist  der  Trichter-  oder  Hohlkegel- 
schnitt zu  betrachten,  dessen  Erfinder  Alans  on  ist.  Gräfe  benüzt 
dazu  sein  Blattmesser,  an  dem  die  Klinge  5I/2  Zoll  lang,  der  hintere  Theil 
der  Schneide  geradlinig,  der  vordere  Theil  stark  convex,  der  Kücken  dick, 
die  Spize  stumpf  und  abgerundet  ist.  Er  macht  mit  dem  hinteren  gerad- 
linigen Theile  des  Messers  einen  Zirkelschnitt  durch  die  Haut ,  drückt 
dann  genau  am  Rande  der  zurückgezogenen  Haut  den  oberen  Theil  des 
Messers  in  schräger  Richtung ,  die  Schneide  auf-  und  einwärts  gerichtet, 
durch  die  Muskeln  möglich  tief  ein  und  führt  es  in  derselben  Richtung 
rings  um  den  Knochen ,  indem  er  mittels  des  aufgesezten  linken  Daumens 
und  Zeigefingers  stark  auf  den  Rücken  des  Blattes  drückt.  Es  wird  so 
eine  trichterförmige  Wunde  gebildet ,  deren  Tiefe  sich  zum  Umfange  des 
Gliedes  wie  1  zu  5  verhalten  muss.  Z  a  n  g  lässt  nach  dem  ersten  schiefen 
Schnitt  bis  auf  den  Knochen  die  durchschnittenen  Muskeln  von  einem 
Gehülfen  zurückziehen  und  schneidet  den  sich  bildenden  Fleischkegel  mit 
einem  einfachen  Zirkelschnitt  durch.  Diese  Methode  ist  vorzugsweise 
beim  Oberschenkel1,  wo  die  Lappenamputation  nicht  stattfindet ,  ebenso 
beim  Oberarm  ,  bei  derben  ,  muskulösen  ,  leicht  verwundbaren  Subjecten, 
wo  schnelle  Vereinigung  erzielt  und  zur  Anlegung  eines  künstlichen 
Gliedes  ein  derbes  Fleischpolster  gebildet  werden  soll ,  anwendbar.  In- 
dessen erfordert  dieses  Verfahren  eine  ausserordentliche  Geschicklichkeit 
und  gibt  immer  eine  ungleiche  Wundfläche. 

2 .  Der  Lappenschnitt.  Er  besteht  darin  ,  dass  sämmtliche 
Weich  theile  entweder  an  einer  oder  auf  zwei  Seiten  des  Gliedes  und  zwar 
entweder  von  innen  nach  aussen  oder  von  aussen  nach  innen  in  Form 
eines  viereckigen  oder  abgerundeten  Lappens  durchschnitten  werden.  — 
a)  Einfacher  Lappenschnitt.  Schnitt  von  innen  nach 
aussen.  Nachdem  alles  vorbereitet  ist  und  der  Operateur  seine  gewöhn- 
liche Stellung  eingenommen  hat,  ergreift  er  ein  zweischneidiges  Ampu- 
tationsmesser ,  umfasst  die  Hälfte  der  Weichtheile  des  Glieds  mit  der 
linken  Hand  etwas  unter  der  Stelle ,    wo   der  Knochen   durchsägt   werden 


44  AMPUTATION. 

soll ,  drückt  sie  etwas  zusammen  ,  sticht  das  Messer  dicht  am  Knochen 
quer  durch  das  Glied  hindurch  und  schneidet  nun  ,  sobald  er  den  Aus- 
stich gewonnen  hat ,  in  möglichst  wenig  Zügen  schief  gegen  die  Peri- 
pherie heraus ,  wodurch  ein  abgerundeter  Lappen  erzeugt  wird.  Der 
so  gebildete  Lappen  muss  2/3  des  Durchmessers  des  Gliedes  an  der  betref- 
fenden Stelle,  oft  auch  den  vollen  Durchmesser  lang  sein,  da  er  sich  con- 
trahirt ;  sollte  er  die  nöthige  Länge  nicht  erhalten  haben ,  so  müsste  man 
an  seiner  Basis  den  Schnitt  nachträglich  weiter  hinauf  führen.  Nun  wird  der 
Lappen  nach  oben  umgeschlagen ,  vom  Gehülfen  gehalten  und  hierauf  an 
seiner  Basis  mit  einem  Halbzirkelschnitt  die  Weichtheile  im  übrigen  Um- 
fange des  Gliedes  so  durchschnitten,  dass  die  Endpunkte  dieses  Schnitts 
mit  denen  des  Lappenschnitts  gerade  zusammentreffen.  —  Schnitt  von 
aussen  nach  innen.  Der  rückwärts  von  dem  zu  bildenden  Lappen 
stehende  Operateur  fasst  mit  der  nicht  operirenden  Hand  die  Weichtheile 
an  der  Stelle ,  wo  der  Lappen  seine  Basis,  haben  soll ,  drückt  dieselben 
zusammen  und  spannt  so  die  Hant  sammt  den  übrigen  Weichtheilen  nach 
oben  an.  Nun  nimmt  der  Operateur  ein  schwach  convexes  (Langen- 
b  e  c  k  'sches)  Amputationsmesser ,  sezt  es  schief  an  die  Haut ,  so  weit  von 
den  Fingern  der  nicht  operirenden  Hand  entfernt ,  als  er  den  Lappen 
lang  zu  machen  beabsichtigt ,  und  schneidet  in  möglich  wenig  Zügen 
sämmtliche  Weichtheile  bis  an  die  mit  den  Fingern  markirte  Basis  durch. 
Zur  Sicherheit  kann  die  Form  und  Grösse  des  zu  bildenden  Lappens  vor- 
her auf  die  Haut  gezeichnet  werden.  Der  auf  diese  Weise  gebildete 
Lappen  zeigt  einen  sehr  regelmässigen  Schnitt  und  weniger  Muskulatur, 
was  ihn  geschmeidiger  und  zur  Vereinigung  geeigneter  macht.  —  Der 
einfache  Lappenschnitt  ist  anwendbar :  an  fleischigen  Theilen  des  Vorder- 
armes und  des  Unterschenkels  ,  da  die  Weichgebilde  an  diesen  Theilen 
wegen  des  festeren  Zusammenhangs  mit  den  Knochen  und  dem  Zwischen- 
knochenbande nicht  stark  genug  retrahirt  werden  können ,  ferner  am 
Oberarm  und  Oberschenkel ,  wenn  an  der  einen  Seite  die  Weichtheile 
höher  hinauf  zerstört  sind ,  als  an  der  andern.  —  b)  Doppelter 
Lappenschnitt.  Bei  dem  Schnitte  von  innen  nach  aussen 
sticht  man  ein  gehörig  grosses  zweischneidiges  Messer  an  der  zu  durch- 
sägenden Stelle  des  Knochens  ein  und  zwar  auf  der  Mitte  des  Gliedes, 
nicht  auf  der  des  Knochens  ,  da  sonst  der  innere  Lappen  zu  gross  würde, 
führt  die  Spize  um  den  Knochen  nach  hinten  und  auf  der  entgegengesezten 
Seite  dem  Einstichspunkte  gerade  gegenüber  wieder  heraus  und  schneidet 
dann  schief  gegen  die  Peripherie  aus.  Der  Lappen  muss  die  Länge  des 
halben  Durchmessers  des  Gliedes  an  der  betreffenden  Stelle  haben.  Nach 
der  Bildung  dieses  ersten  Lappens  sticht  man  das  Messer  genau  an  der 
ersten  Einstichstelle  wieder  ein  und  bildet  den  zweiten  Lappen  auf  die 
gleiche  Art,  wie  jenen.  Sind  hiermit  nicht  alle  Weichtheile  im  Umfange 
der  Durchsägungsstelle  getrennt ,  so  durchschneidet  man  sie  bei  zurück- 
geschlagenen  Lappen  mit  Kreisschnitten.       In    der  Regel   wird   der   die 


AMPUTATION.  45 

Gefässe  enthaltende  Lappen  zulezt  gebildet.  —  Die  Lappen  werden  bald 
zu  beiden  Seiten  des  Glieds,  an  der  äussern  und  innern  Seite  (verticaler 
doppelter  Lappenschnitt),  bald  an  der  vorderen  und  hinteren  Seite  (hori- 
zontaler Lappenschnitt)  gebildet.  —  Bei  dem  Schnitte  von  aussen 
nach  innen  bildet  man  auf  die  angegebene  Weise  auf  der  andern  Seite 
einen  eben  solchen  Lappen,  wie  der  erste  war.  —  Der  doppelte  Lappen- 
schnitt ist  in  den  bei  dem  einfachen  Lappenschnitte  angegebenen  Fällen 
anwendbar ,  wenn  das  Individuum  nicht  zu  vulnerabel  und  entkräftet  ist, 
ein  Lappen  zur  vollständigen  Deckung  des  Stumpfes  nicht  hinreicht  oder 
die  Blutung  wegen  zahlreicher  Gefässausdehnungen  nicht  durch  Unter- 
bindung allein  gestillt  werden  könnte ,  sondern  die  Tamponade  eines 
Lappens  durch  den  andern  forderte  ;  man  macht  von  ihr  besonders  an  der 
oberen  Hälfte  des  Oberschenkels  und  bei  Exarticulationen  Gebrauch.  Zu 
bemerken  ist  indessen ,  dass  die  Wunde  beim  Zirkelschnitt  Vorzüge  vor 
der  beim  Lappenschnitte  hat.  Nicht  selten  legen  sich  die  Schnittflächen 
nicht  überall  genau  an  einander,  so  dass  es  da  oder  dort  unter  den  Lappen 
zur  Eiterung  kommt,  es  stösst  sich  auch  wohl  ein  Theil  des  Lappens  ab, 
die  Entzündung  erreicht  einen  höheren  Grad ,  die  Heilung  verzögert  sich, 
die  Vernarbung  kommt  nicht  gleichmässig  zu  Stande.  Wo  also  der 
Lappenschnitt  nicht  ausdrücklich  geboten  ist,  ist  der  Zirkelschnitt  in  dieser 
Beziehung  vorzuziehen. 

3.  Der  Ovalär schnitt.  Dieser  unterscheidet  sich  von  dem 
Zirkelschnitte  nur  dadurch ,  dass  der  Schnitt  durch  sämmtliche  Weich- 
theile  nicht  senkrecht ,  sondern  schief  auf  die  Achse  des  Gliedes  geführt 
wird ;  er  kommt  nur  bei  Gelenken  und  zwar  besonders  bei  solchen  zur 
Anwendung ,  welche  an  ihren  Seiten  reichlichere  weiche  Theile  haben, 
namentlich  wenn  die  Weichgebilde  am  äussern  obern  Theil  des  Gelenks 
zerstört  sind.  Seine  Ausführung  differirt  nach  den  Gelenken,  das  Wesent- 
liche desselben  besteht  aber  in  Folgendem  :  bei  gehörig  fixirtem  Gliede 
beginnt  man  eine  erste  Incision  durch  Haut  und  Muskeln  etwas  über  dem 
Gelenke,  führt  sie  über  dessen  eine  Seite  schräg  nach  dem  innern  untern 
Theile  und  längs  der  hier  meistens  vorhandenen ,  das  Gelenk  bezeich- 
nenden Falten  bis  zu  deren  Mitte  hin.  Dann  macht  man  eine  zweite 
Incision ,  welche  in  dem  Endpunkte  der  ersten  beginnt ,  ebenso  wie  diese 
auf  der  andern  Seite  des  Gelenks  aufwärts  und  mit  ihr  oben  im  Anfangs- 
punkte sich  vereinigt ,  so  dass  beide  Schnitte  also  ein  das  Glied  umfas- 
sendes Dreieck  darstellen,  welches  sich  nach  der  Auslösung  des  Knochens 
zu  einer  elliptischen  leicht  in  einer  linearen  Spalte  zu  vereinigenden 
Wunde  gestaltet.  —  Eine  Variante  des  Ovalschnitts  ist  der  Schräg- 
schnitt von  Blasius.  Dieser  Schnitt,  wozu  ein  eigenes  Messer 
benüzt  wird,  unterscheidet  sich  vom  Ovalärschnitte  nur  dadurch,  dass  beide 
Enden  desselben  scharfe  Winkel  bilden ;  die  W^unde  hat  somit  an  der 
einen  Seite  ihres  Längendurchmessers  einen  hohlen ,  an  dem  entgegen- 
gesezten  Ende  einen  soliden  Zipfel.      Der  solide  Zipfel  wird  in  den  Hohl- 


46  AMPUTATION. 

zipfel  hinein  genaht  und  so  über  die  ganze  Amputationswunde  geschlagen, 
dass  dieselbe  durch  den  soliden  Zipfel  verdeckt  wird.  —  Dieses  Verfahren 
soll  die  Vortheile  des  Lappen  -  und  Zirkelschnitts  vereinigen  ,  es  hat  in- 
dessen wenig  Anhänger  gefunden. 

Die  Durchtrennung  der  Knochen  ist  verschieden  bei  der 
Amputation  im  engeren  Sinne  und  bei  der  Exarticulation.  —  1)  bei  der 
Amputation  müssen ,  um  die  Knochen  möglichst  hoch  absägen  zu 
können ,  die  Muskeln  nach  oben  gezogen  und  zurückgehalten  werden ; 
dazu  bedient  man  sich  am  häufigsten  der  einfach  oder  doppelt  gespaltenen 
Compresse :  man  bringt  den  ungespaltenen  Theil  derselben  auf  die  untere 
Seite  des  Glieds  ,  so  dass  das  Ende  der  Spalte  genau  am  Knochen ,  der 
ungespaltene  Theil  unter  diesem  auf  der  Muskelmasse  liegt ,  lässt  diesen 
vom  Gehülfen  fassen  und  führt  die  beiden  Köpfe  des  gespaltenen  Theils 
so  über  die  übrige  Wundfläche  weg ,  dass  sie  mit  ihren  innern  Rändern 
überall  genau  am  Knochen  anliegen  ,  sich  auf  der  Mitte  der  vorderen 
Fläche  kreuzen  und  die  Muskeln  in  allen  Punkten  decken.  Bei  Gliedern 
mit  zwei  Knochen  steckt  man  von  der  doppelt  gespaltenen  Compresse  den 
mittleren  Kopf  mit  Hülfe  der  Pincette  zwischen  den  Knochen  von  unten 
nach  oben  durch  und  breitet  ihn  nach  oben  hin  über  die  weichen  Theile 
aus  ;  im  Uebrigen  verfährt  man,  wie  mit  der  einfachen  Compresse.  Nach- 
dem der  Gehülfe  mit  seinen  beiden  Händen  die  Compresse  umfasst  und 
die  Muskelmasse  damit  bis  zur  Durchsägungsstelle  zurückgedrängt  hat', 
durchschneidet  man  die  Beinhaut  und  etwa  noch  anhängende  Muskelreste 
dicht  vor  der  Compresse  kreisförmig  mit  einem  Scalpell.  Hierauf  legt 
der  Operateur  seine  nicht  operirende  Hand  auf  die  retrahirende  Binde, 
legt  den  Nagel  des  Daumens  in  die  durch  den  Beinhautschnitt  gebil- 
dete Furche  und  sezt  die  Säge ,  sie  an  den  genannten  Nagel  anlehnend, 
mit  dem  Griffende  auf  den  Knochen ,  zieht  sie  gegen  sich  an  und  bildet 
sich  so  eine  seichte  Furche  in  demselben ;  hierauf  schiebt  er  die  Säge 
von  sich  und  drückt  sie  etwas  nieder.  Diese  Sägezüge  wiederholen  sich 
immer  schneller ,  bis  der  Knochen  durchsägt  ist.  Die  Gehülfen  müssen 
das  Glied  unbeweglich  halten  und  Derjenige  ,  welcher  den  unteren  Theil 
desselben  fixirt ,  lässt  diesen  dabei  etwas  abwärts  sinken ,  damit  sich  die 
Säge  nicht  einklemme ;  gegen  das  Ende  der  Trennung  macht  man  wieder 
kurze  und  langsame  Züge  und  im  lezten  Moment  lässt  man  das  Glied 
wieder  ein  wenig  heben,  damit  der  Knochen  nicht  durchbricht  und  splittert. 
Etwa  zurückbleibende  Splitter  entfernt  man  mit  der  Knochenzange  oder 
einer  feinen  Säge.  Bei  Gliedern  mit  zwei  Knochen  bildet  man  zuerst 
auf  dem  dickeren  die  Rinne  und  senkt  dann  die  Säge  auf  den  dünnen,  damit 
dieser  zuerst  durchsägt  werde.  Sollte  man  den  Knochen  an  einer  kranken 
Stelle  durchsägt  haben,  so  sägt  man  ihn  weiter  oben  nochmals  ab  oder  exstir- 
pirt  ihn  aus  dem  nächsten  Gelenk. —  2)  Bei  der  Exarticulation  hält 
ein  Gehülfe  die  weichen  Theile  mit  den  Händen  zurück ,  der  Operateur 
oder  ein  zweiter  Gehülfe  gibt  dem  Gliede  die  zur  hinreichenden  Spannung 


AMPUTATION.  47 

der  zu  trennenden  Sehnen  und  Gelenkkapsel  nothwendige  Lage  und 
Drehung  (nach  der  entgegengesezten  Richtung),  ohne  jedoch  den  Gelenk- 
kopf gerade  zu  luxiren,  worauf  zuerst,  wo  es  angeht,  die  stärksten  Sehnen 
und  Bänder,  und  die,  welche  die  Knochen  in  sehr  enger  Berührung  halten, 
alsdann  die  Gelenkkapsel  durchschnitten  werden.  Bei  der  Durchführung 
des  Messers  durch  das  Gelenk  sei  die  Schneide  des  Messers  gegen  den  zu 
entfernenden  Gelenkkopf  gerichtet ;  um  die  Verlezung  anderer  Theile  zu 
verhüten ,  vermeide  man  das  Eindringen  mit  der  Spize  in  ein  wenig 
geöffnetes  Gelenk.  Zulezt  trennt  man  den  noch  übrigen  Theil  der 
Gelenkkapsel  und  was  sonst  den  Knochen  noch  befestigt. 

Stillung  der  Blutung.  Man  unterbindet  zuerst  die  Haupt- 
arterie, dann  die  Aeste,  welche  man,  ohne  das  Turniket  zu  lüften,  durch 
die  Anatomie  geleitet ,  zu  finden  wissen  muss.  Man  fasst  die  Arterien 
mit  einer  guten  Pincette  und  ein  Gehülfe  legt  die  Fäden  um.  Nach  dem 
Lappenschnitte  sind  die  schräg  durchschnittenen  Gefässe  oft  schwer  zu 
unterbinden;  sie  ziehen  sich  nicht  zurück,  bluten  deshalb  stärker  und 
müssen  daher  stark  vorgezogen  werden ,  um  die  Ligatur  sicher  anlegen  zu 
können.  Entdeckt  man  kein  zu  unterbindendes  Gefäss  weiter  ,  so  lässt 
man  das  Turniket  lüften ,  ohne  dass  es  verrückt  wird ,  merkt  sich  die 
Stelle  einer  jezt  sprizenden  Arterie  ,  lässt  jenes  wieder  schliessen  und 
unterbindet.  Es  müssen  alle  nur  einigermassen  bedeutende  Arterien 
unterbunden  werden ;  verknöcherte  Arterien  unterbinde  man  mit  einem 
sehr  breiten  Fadenbändchen.  Tiefliegende  Arterien  mache  man  durch 
einen  Einschnitt  zugänglich ;  Blutungen  aus  Knochenarterien  werden 
durch  Eindrücken  eines  Wachs-  oder  Pflasterkügelchens  gestillt.  Eine 
parenchymatöse  Blutung  sucht  man  durch  Begiessen  mit  kaltem  Wasser, 
adstringirende  Mittel,  im  Nothfall  durch  Application  des  glühenden  Eisens 
zu  stillen.  Leztere  Blutungen  treten  erst  mit  gänzlicher  Lösung  des 
Turnikets  zu  Tage.  Nach  beendigter  Blutstillung  schneidet  man  von  jeder 
Gefässligatur  ein  Ende  nahe  am  Knochen  ab  ,  leitet  die  anderen  Enden 
vereint  aus  dem  am  niedrigsten  liegenden  Wundwinkel  oder  überhaupt 
auf  dem  kürzesten  Wege  aus  der  Wunde  und  klebt  sie  unangespannt 
aussen  auf  der  Haut  mit  kleinen  Heftpflasterstreifen  an.  Aus  der  Wund- 
fläche hervorragende  Sehnen  und  Nerven  schneidet  man  ab,  nicht  zu  hoch 
gehende  Fisteln  im  Fleische  schneidet  man  aus,  entfernt  überhaupt  kranke 
Theile,  so  weit  es  thunlich  ist. 

Vereinigung  der  Wunde.  Der  Verband  ist  verschieden  ,  je 
nachdem  man  die  Amputationswunde  durch  schnelle  Vereinigung  oder 
Eiterung  zu  heilen  beabsichtigt.  Erstere  verdient  überall  den  Vorzug, 
wo  nicht  wegen  unentfernbarer  örtlicher  Verhältnisse  Eiterung  nothwendig 
eintreten  muss.  Zu  ihrer  Herbeiführung  reinigt  man  die  Wundfläche 
auf  schonende  Weise  von  allem  Coagulum  oder  was  sie  sonst  etwa  bedeckt, 
reinigt  und  trocknet  auch  die  Haut  am  ganzen  Stumpfe  und  vereinigt 
dann  die  Wunde   so  ,   dass  möglichst  gleichartige  Theile  mit   einander  in 


48  AMPUTATION. 

Berührung  kommen.  Nach  dem  Zirkelschnitte  bringt  man  durch  sanften 
Druck  und  Zug  von  oben  her  mit  beiden  Händen  die  Wunde  zu  einer 
Spalte  zusammen,  welche  in  der  Regel  vertical  verlaufen,  jedoch  manch- 
mal wegen  verschiedener  Verhältnisse  eine  diagonale  und  selbst  eine 
quere  Richtung  erhalten  muss ;  ehenso  macht  man  es  nach  dem  Trichter- 
und  Ovalschnitt.  Nach  dem  einfachen  Lappenschnitt  beugt  man  den 
Lappen  so  über  die  Wundfläche,  dass  sich  sein  Hautrand  mit  dem  übrigen 
Hautrande  genau  vereinigt ;  sind  zwei  Lappen  gebildet  worden  ,  so  legt 
man  sie  so  aneinander ,  dass  auch  hier  die  Hautränder  sich  überall  genau 
berühren.  Nach  dem  Schrägschnitt  klappt  man  den  Wundzipfel  in  den 
einspringenden  Wundwinkel  hinein.  Die  so  gehaltenen  Wundlefzen  ver- 
einigt man  bei  grösseren  Gliedern  durch  Knopfnähte,  welche  nur  durch 
Haut  und  Zellgewebe  geführt  und  mit  breiten  Fadenbändchen  gemacht 
werden :  in  ihre  Zwischenräume  legt  man  quer  über  die  Wundspalte  lange 
und  breite  Heftpflasterstreifen  herüber ,  die  man  durch  einen  oder  zwei 
kreisförmig  um  das  Ende  des  Stumpfes  herumgeführte  Streifen  befestigt. 
Bisweilen  reichen  diese  Streifen  allein  zur  Vereinigung  hin.  Die  Verei- 
nigung darf  nirgends  gewaltsam  geschehen ,  lieber  lässt  man  einen  Theil 
der  Wrunde  ungeschlossen.  Ueber  die  vereinigte  Wunde  legt  man  etwas 
rohe  Charpie  ,  schlägt  eine  Compresse  um  den  Stumpf  und  befestigt  sie 
durch  einige  Touren  einer  Zirkelbinde.  —  Eiterung  der  Wunde  ist 
dann  zu  bezwecken ,  wenn  die  Blutung  durch  Tamponade  oder  styptische 
Mittel  gestillt  werden  musste  und  wenn  mit  den  erzielten  Weichgebilden 
der  Stumpf  nicht  ohne  gewaltsames  Zerren  derselben  bedeckt  werden 
kann.  In  diesen  Fällen  belegt  man  die  Wundfläche  mit  in  Oel  oder 
Wasser  getauchten  Charpiebäuschchen  oder  Läppchen  ,  nähert  die  Wund- 
lefzen einander  massig  durch  Heftpflaster,  bedeckt  sie  mit  einer  Compresse 
und  befestigt  diese  durch  eine  Binde. 

Nachbehandlung.  Nachdem  der  Operirte_  ins  Bett  gebracht 
ist ,  wird  der  Stumpf  auf  einem  mit  Wachstuch  und  Compresse  belegten 
Spreupolster  so  gelagert ,  dass  er  mit  seinem  verwundeten  Ende  darüber 
hinausragt  und  seine  Musculatur  erschlafft  ist ,  also  in  der  Mittellage 
zwischen  Beugung  und  Streckung;  über  ihn  sezt  man  eine  Reifenbahre, 
um  die  Bettdecke  von  ihm  abzuhalten.  Das  Turniket  bleibt  geöffnet  am 
Stumpfe  liegen ,  um  es  bei  eintretender  Nachblutung  ohne  Zeitverlust 
schliessen  zu  können.  In  den  ersten  Tagen  muss  der  Verwundete  sorg- 
fältig überwacht  werden  ,  um  bei  ungewöhnlichen  Zufällen ,  namentlich 
Nachblutungen  sogleich  bei  der  Hand  zu  sein.  In  der  Regel  wendet  man 
während  der  Zeit  der  eintretenden  Entzündung  kalte  Umschläge  an ,  um 
diese  in  Schranken  zu  halten  ;  bei  bezweckter  Eiterung  vertauscht  man 
sie  bald  mit  erweichenden  Cataplasmen.  Die  Entzündung  ist  in  der 
Regel  mit  einiger  Gefässreaction  verbunden  ;  es  tritt  3  —  6  Stunden  nach 
der  Operation  das  Wundfieber  mit  Frost  und  Hize  und  mit  erethischem 
Character  ein ,   welches  die  Anwendung  des  antiphlogistischen  Verfahrens 


AMPUTATION.  49 

fordert,  daher  Diät,  säuerliche  Getränke,  Nitrum,  bei  Sensiblen  Potio 
II  i  v  e  r  i  mit  Extr.  hyoscyami  oder  Aqua  laurocerasi,  bei  Nei- 
gung zu  Diarrhoe  mit  G.  arabicum,  und  zum  Getränk  Mandelmilch.  Tritt 
stärkeres  Fieber  ein  und  ist  das  Individuum  vollblütig,  kräftig,  so  macht 
man  von  einem  oder  mehreren  Aderlässen  Gebrauch.  Leicht  treten  ga- 
strische und  biliöse  Zustände  ein ,  gegen  welche  man  neben  geregelter 
Lebensweise  säuerliche ,  gelind  eröffnende  Mittel  reicht.  Nach  8  Tagen 
etwa  gibt  man  eine  kräftigere,  jedoch  stets  leichte  Diät,  und  besonders  bei 
Heilung  durch  Eiterung  selbst  stärkende,  belebende  Arzneien,  wie  bittere, 
aromatische  Mittel ,  China  u.  dgl.  Die  örtliche  Behandlung  wird 
dem  bei  der  Wunde  stattgehabten  Zwecke  gemäss  nach  allgemeinen  Regeln 
geleitet.  Bei  beabsichtigter  schneller  Vereinigung  nimmt  man  nach  3  bis 
4  Tagen  nach  Losweichung  mit  lauem  Wasser  und  unter  Vermeidung 
jeder  Zerrung  der  Gefässligaturen  tvon  dem  Verbände  weg,  was  leicht  geh 
und  ersezt  das  Weggenommene  auf  die  frühere  Weise,  während  ledie  Thei 
sorgfältig  unterstüzt  werden.  Die  blutigen  Hefte  entfernt  man  zwischen 
dem  4.  und  8.  Tag.  Alle  1  bis  2  Tage  wiederholt  man  den  Verband 
und  versucht  dabei  vom  6 .  Tage  die  Ligaturen  kleinerer  Gef ässe ,  vom 
8.  ab  die  des  Hauptstammes,  doch  nur  stets  durch  sanftes  und  vorsichtiges 
Ziehen  zu  entfernen.  Nicht  vereinigte  Stellen  der  Wunde  behandelt  man 
einfach.  Hat  sich  die  Wunde  wohl  äusserlich,  aber  nicht  im  Innern  ver- 
einigt, so  macht  man  nur  eine  kleine  Oeffnung  mit  dem  Myrthenblatte  in 
die  Spalte,  um  dem  Eiter  Abfluss  zu  verschaffen  und  verfährt  des  Weiteren 
wie  bei  einem  Abscess.  Ist  in  der  ganzen  Wundfläche  Eiterung  einge- 
treten ,  so  verfährt  man  wie  da ,  wo  leztere  beabsichtigt  wurde.  —  In 
diesem  Falle  erneuert  man  den  Verband  erst  am  5.  Tage,  wobei  man  nur 
das  vom  Eiter  Gelöste  wegnimmt ,  die  Ligaturen  berücksichtigt ,  und  die 
Wunde  dann  täglich  nach  ihrem  Vitalitätszustande  verbindet.  Man  hält 
die  Wunde  dabei  immer  etwas  zusammen ,  um  die  Eiterung  zu  beschrän- 
ken und  nebenbei  dem  Stumpfe  ein  gutes  Polster  zu  verschaffen ;  nach 
der  Verheilung  kann  dies  mit  Hülfe  einer  Expulsivbinde  begünstigt  wer- 
den. Erst  wenn  der  Knochen  sich  abgerundet  hat,  was  in  3 — 4  Monaten, 
bei  dicken  Knochen  oft  noch  viel  später  der  Fall  ist,  darf  man  daran  den- 
ken, ein  künstliches  Glied  anzulegen. 

Nach  der  Operation  können  verschiedene  Zufälle 
eintreten.  1)  Nachblutung.  Diese  erfolgt  entweder  in  den  ersten 
2  4  Stunden  (primäre)  oder  später  nach  eingetretener  Eiterung  (s  e  - 
cundäre).  Die  erste  rührt  meistens  von  unterlassener  oder  nicht  siche- 
rer Unterbindung  grösserer  Gefässe  her,  wogegen  man  zunächst  anhaltend 
eiskalte  Umschläge  anwendet  und  das  Turniket  fester  anzieht.  Ist  die 
Blutung  aber  heftig,  so  dass  sie  wahrscheinlich  aus  einer  grösseren  Arterie, 
vielleicht  dem  Stamme  selbst  kommt ,  so  comprimirt  man  letzteren  über 
der  Wunde ,  öffnet  diese  und  unterbindet  die  Arterie  oder  umstülpt  sie 
und  gelingt  weder  das  eine  noch  das  andere,  so  wendet  man  Eisumschläge, 
Burger,  Chirurgie.  4 


50 


AMPUTATION. 


im  Nothfall  einen  Tampon  mit  Colophonium  und  Weingeist  an  oder  unter- 
bindet die  Arterie  oberhalb  der  Wunde.  Die  secundäre  Nachblutung  er- 
folgt später,  am  8.,  15.,  2  0.  Tage  und  hat  ihren  Grund  meistens  darin, 
dass  sich  die  unterbundenen  Gefässe ,  weil  sie  krank  sind,  nicht  organisch 
schlössen,  oder  in  körperlichen  Anstrengungen  oder  in  zu  frühem  Abfallen 
der  Ligatur  u.  a.  Hilft  hier  die  anhaltende  Anwendung  von  Eis  nebst 
Druck  auf  Stumpf  und  Arterienstamm  nicht ,  so  kann  man  zwar  noch  ein- 
mal in  der  Wunde  zu  unterbinden  suchen  ,  tamponiren ,  Styptica,  selbst 
das  Glüheisen  anwenden  ,  sicherer  und  einfacher  aber  als  Alles  Dies  ist  die 
Unterbindung  des  Arterienstammes  oberhalb  der  Wunde.  Tritt  trozdem 
neue  Blutung  ein ,  so  bleibt  meist  nur  die  Amputation  an  einer  höhern 
Stelle  übrig ,  wo  die  Gefässe  vielleicht  gesünder  sind.  Ist  die  Blutung 
parenchymatös  ,  was  in  Atonie  der  Gefässenden  oder  örtlicher  Schwäche 
und  Erschlaffung  begründet  sein  kann ,  so  wendet  man  kaltes  Wasser, 
Styptica  und  Tamponade,  innerlich  Säuren  an  ;  eine  venöse  Blutung  kann 
durch  zu  festen  Verband  verursacht  werden.  2)  Krampfhafte  Be- 
wegungen des  Amputationsstumpfes  beseitigt  man  durch  Opium  ,  Mor- 
phium,  lezteres  innerlich  und  endermatisch.  3)  Die  Neuralgie  des 
Amputationsstumpfes  ist  einer  der  übelsten  Zufälle ,  wobei  furchtbare 
Schmerzen  in  dem  Stumpfe,  gewöhnlicher  in  dem  abgenommenen  zugegen 
sind.  Meistens  gehen  diese  Schmerzen  von  dem  mit  der  Narbe  verwach- 
senen Ende  eines  Nervens  aus.  Man  wendet  kräftige  Narcotica  (Morphium 
endermatisch  ,  Veratrin salbe)  an  ;  wo  sie  nicht  helfen  und  der  eingewach- 
sene Nerv  zu  bestimmen  ist,  legt  man  ihn  blos  und  excidirt  ein  Stück 
desselben ;  reicht  auch  dies  nicht  aus,  so  muss  man  höher  oben  amputiren. 
4)  Zu  heftige  Entzündung  der  Wunde  fordert  eine  Lockerung  des 
Verbandes ,  die  Anwendung  kalter  Umschläge ,  nötigenfalls  auch  Blut- 
entziehungen 5)  Bei  gänzlich  mangelnder  Reaction  macht  man 
warme  aromatische  Umschläge,  Waschungen  des  Stumpfes  mit  Kampher- 
geist u.  dgl.  ,  legt  einen  festeren  Verband  an  und  gibt  allgemeine  robori- 
rende  und  erregende  Mittel  nebst  einer  entsprechenden  Diät.  Brand 
der  Wunde ,  Hospitalbrand,  Abweichungen  der  Eiterung, 
Erysipelas  des  Stumpfes  behandelt  man  nach  allgemeinen  Regeln  (s. 
diese  Art.).  Tritt  Necrose  am  untern  Knochenende  ein,  so  überlässt 
man  die  Lösung  des  Knochenstückes  der  Natur.  Hervorragen  des 
Knochens  aus  der  Wundfläche  hat  Necrose  desselben  zur  Folge  und 
man  kann  seine  Abstossung  durch  Einführung  einer  in  Weingeist  getauch- 
ten Wieke  in  die  Markhöhle  befördern.  Nimmt  die  Wundfläche  eine 
kegelförmige  Gestalt  an  und  ragt  sie  bedeutend  hervor,  so  muss  man 
über  ihr  von  Neuem  amputiren.  —  Oedem  am  Stumpfe  fordert  Ein- 
wicklung  des  lezteren  und  die  Anwendung  aromatischer  Mittel.  —  E  x  - 
coriationen  und  Ulcerationen  der  Narbe  behandelt  man  mit 
reizenden  Verbandmitteln  oder  transplantirt  ein  gesundes  Hautstück  an 
die  Stelle  der  Narbe.  —  Tetanus,  Venenentzündung  etc.  behan- 


AMPUTATION  IN  DER  CONTINUITAET.  51 

delt  man  nach  allgemeinen  Regeln  (s.  diese  Art,).  —  In  der  Regel  be- 
darf der  Kranke  keiner  stärkenden  Nachkur ,  wohl  aber  muss  man  bei 
starker  Eiterung  und  nach  vorausgegangenem  heftigen  Blutverluste 
die  Natur  unterstüzen  durch  Bier ,  Wein ,  Chocolade ,  Säuren ,  China, 
manchmal  die  zu  profuse  durch  den  Verband,  durch  Aqua  calcis, 
Solut.  calcariae  oxymuriaticae,  Sol.  lapid.  infernalis 
etc.  vermindern ,  besonders  aber  die  Eitersenkung  durch  zweckmäs- 
sigen Verband  (Expulsivbinde)  und  passende  Lage  verhüten  und  ihr  nach 
Umständen  durch  Erweiterung  der  Wunde  oder  Gegenöffnungen  abhelfen. 
B.     Von  der  Amputation  im  Besondern. 

I.  Amputationen  in  der  Continuität. 

1)  Amputation  des  Oberarms,  Amputatio  brachii. 
Der  Kranke  sizt  am  Besten  auf  einem  Stuhl,  an  den  man  ihn  durch  einige 
Handtücher  befestigt ;  bei  grosser  Schwäche  liegt  er  auf  einem  Tische 
oder  hohem  Bette  ,  so  dass  die  Schulter  des  zu  operirenden  Armes  über 
den  Rand  derselben  hervorsteht.  Der  Oberarm  wird  rechtwinklig  zum 
Rumpfe  erhoben.  Ein  an  der  äusseren  Seite  des  Gliedes  stehender  Ge- 
hülfe hält  den  Oberarm  über  der  Operationsstelle  und  zieht  die  Haut  zu- 
rück ,  der  zweite  steht  an  der  inneren  Seite  des  Vorderarmes  und  hält 
diesen,  der  dritte  comprimirt  die  Gefässe  und  der  vierte  hält  den  Kranken 
auf  der  andern  Seite.  Bei  der  Amputation  an  den  beiden  unteren  Dritt- 
theilen  wird  die  Art.  brachialis  am  oberen  Theile  des  Armes  entweder 
mittels  des  Turnikets  oder  besser  mit  dem  Finger  comprimirt ;  im  oberen 
Drittel  geschieht  die  Compression  an  derA.  subclavia  und  zwar  unter- 
halb des  Schlüsselbeines,  am  inneren  Rande  des  Processus  coracoi- 
deus  oder  oberhalb  des  Schlüsselbeines  mit  einem  Finger  oder  einem 
Schlüsselring.  Der  Operateur  steht  an  der  äusseren  Seite  des  Armes. 
Die  Operation  kann  nach  allen  Methoden  gemacht  werden :  Der  einfache 
Zirkelschnitt  wird  ganz  auf  die  oben  Seite  42  angeführte  Weise 
vollführt  und  zwar  werden  die  Weichtheile  etwa  2  Zoll  unter  der  Durch- 
sägungsstelle  des  Knochens  durchschnitten.  Der  doppelte  Zirkel- 
schnitt wird  vorzüglich  an  den  zwei  unteren  Dritttheilen  des  Oberarmes 
wie  oben  angegeben  gemacht,  indem  man  die  Haut  1  */2 — 2  Zoll  unter 
der  Durchsägungsstelle  durchschneidet.  Am  oberen  Theile  des  Armes 
ziehen  sich  bei  dem  Zirkel  schnitte  die  M.  M.  deltoideus,  pectora- 
lis  und  latissimus  dorsi  zurück  und  der  Knochen  steht  vor.  Beim 
einfachen  Lappenschnitte  bildet  man  den  Lappen  aus  der  vor- 
dem oder  hintern  Seite  des  Armes.  Man  schneidet  mit  dem  beim  rechten 
Arm  in  der  linken,  beim  linken  in  der  rechten  Hand  gehaltenen  kleineren 
zweischneidigen  Messer  auf  die  oben  angegebene  Weise  einen  2 — 21/2 
Zoll  langen  Lappen  aus  und  darauf  an  der  Basis  des  lezteren  die  Weich- 
theile der  anderen  Seite  kreisförmig  durch.  Der  doppelte  Lappen- 
schnitt ist  am  Oberarm  selten.  Man  bildet  zwei  seitliche  Lappen  auf 
die  oben  angegebene  Weise ;  man  sticht  das  Messer  auf  der  Mitte  der  vor- 

4* 


52  AMPUTATION  IN  DER  CONTINUITAET. 

dern  Fläche  des  Armes  ein  ,  macht  erst  den  äusseren  ,  dann  den  inneren 
Lappen,  jeden  l1/.-, — 13/4  Zoll  lang,  und  durchschneidet  an  der  Durch- 
sägungsstelle  das  noch  undurchschnittene  Fleisch  mit  einem  Kreisschnitt 
bis  auf  den  Knochen.  Der  Tr  ic  h  t  er  s  chni  tt  wurde  von  Grä  fe  mit 
einem  2  Zoll  tiefen  Trichter  ,  der  Ovalschnitt  von  G  u  t  h  r  i  n  nicht 
weit  von  der  Schulter  entfernt  gemacht.  Beim  Schrägschnitt  bildet 
man  die  Wundzipfel  aus  dem  Fleische  der  vordem  und  hintern  Seite,  be- 
sonders aus  dem  M.  biceps.  —  Zu  u  n  t  erbin  d  en  hat  man  die  A. 
b  r  a  c  h  i  a  1  i  s  und  profunda  brachii,  manchmal  auch  noch  kleinere 
Aeste  oder  die  hoch  entspringende  radialis  oder  ulnaris.  Die  Ver- 
einigung der  Wunde  nach  dem  Zirkelschnitte  geschieht  am  Zweckmäs- 
sigsten  in  eine  Querspalte.  Der  Stumpf  wird  horizontal ,  ein  wenig  ab- 
hängig auf  ein  Spreukissen  gelegt. 

2)  Amputation  des  Vorderarmes,  Amputatio  anti- 
brachii.  Der  Vorderarm  kann  an  allen  Stellen  amputirt  werden  ;  der 
späteren  Benuzung  wegen  soll  so  weit  unten  als  möglich  operirt  werden. 
Der  Kranke  sizt  am  besten.  Ein  an  der  äusseren  Seite  der  Schulter 
stehender  Gehülfe  comprimirt  die  A.  brachialisam  mittleren  Theile 
des  Oberarmes.  Der  Vorderarm  wird  vom  Körper  entfernt ,  massig  flec- 
tirt  und  von  einem  an  der  äusseren  Seite  des  Oberarmes  stehenden  Ge- 
hülfen oberhalb  der  Amputationsstelle  umfasst ;  ein  anderer  Gehülfe  fixirt 
das  Glied  am  Handgelenke  in  der  Pronation.  Der  Operateur  steht  an  der 
innern  Seite  des  Vorderarmes.  Die  Operation  wird  mittels  des  Lappen-, 
des  Schräg-  und  des  doppelten  Zirkelschnittes  gemacht ;  für  den  einfachen 
Zirkelschnitt  adhäriren  die  Muskeln  zu  fest  und  der  Trichterschnitt  ist 
wegen  der  doppelten  Knochen  nicht  ausführbar.  —  Der  einfache 
Lappenschnitt  wird  im  fleischigen  Theile  des  Armes  gemacht  und 
der  Lappen  aus  der  Volarseite  gebildet.  Man  fasst  das  kleinere  zwei- 
schneidige Messer  beim  linken  Gliede  mit  der  linken ,  beim  rechten  mit 
der  rechten  vollen  Hand,  legt  den  Zeigefinger  auf  denTvücken  der  Klinge, 
sticht  es  an  oder  etwas  unter  der  Durchsägungsstelle  an  der  Radialseite 
ein,  führt  es  über  den  Radius  und  die  Ulna  hin  bis  zur  entgegengesetzten 
Seite  und  bildet  einen  2  —  2l/2  Zoll  langen  Lappen.  Dann  trennt  man 
mit  einem  halben  Kreisschnitt  die  weichen  Theile  der  Dorsalseite  und 
lässt  den  zurückgeklappten  Lappen  möglichst  nach  oben  ziehen.  Nun 
stösst  man  dicht  vor  demselben  die  schmale  Catline  mit  den  Knochen  zu- 
gewandten Schneiden  hart  an  der  äussern  hintern  Fläche  des  Radius  von 
aussen  nach  innen  durch  das  Fleisch  zwischen  den  Knochen  und  das 
Zwischenknochenband,  führt  sie  quer  herüber  zur  Ulna  und  zieht  sie  hart 
an  deren  vorderer  äusserer  Fläche  heraus ,  dann  verfährt  man  ebenso  auf 
der  anderen  Seite  und  befreit  damit  die  Knochen  von  allen  Weichtheilen, 
worauf  man  die  doppelt  gespaltene  Compresse  auf  die  früher  angegebene 
Weise  anlegt  und  nach  Trennung  der  Beinhaut  beide  Knochen  durchsägt, 
Der  doppelte  Lappenschnitt  wird  am  unteren  Theile  des  Vorder- 


AMPUTATION  IN  DER  CONTINUITAET.  53 

armes,  so  wie  dann  gemacht,  wenn  wegen  hoch  heraufgehender  Zerstörung 
der  Weichtheile  beider  Seiten  beim  einfachen  Lappenschnitte  die  Trennung 
des  Knochens  dem  Ellbogengelenk  sehr  nahe  geschehen  müsste.  Man 
bildet  zuerst  den  Volarlappen  in  der  Länge  von  1  i/2 — 2  Zoll ,  dann  sezt 
man  den  Daumen  und  Mittelfinger  in  die  Lappenwinkel,  zieht  die  Weich- 
gebilde von  den  Knochen  ab  ,  sezt  das  Messer  in  den  oberen  Winkel  am 
Radius  ein  und  fuhrt  es  an  der  Dorsalseite  der  Knochen  bis  zum  ersten 
Einstichspunkte  ;  der  Dorsallappen  kann  gleich  gross  wie  der  Volarlappen 
oder  auch  kleiner  sein.  Der  doppelte  Zirkelschnitt  passt  nicht 
für  den  obern  Theil  des  Vorderarmes  und  wird  auch  meistens  nur  am  un- 
tern Theil  desselben  gemacht,  doch  erhält  er  auch  hier  wenig  Weichtheile, 
da  diese  sich  schwer  retrahiren  lassen.  Man  durchschneidet  ganz  nach 
S.  42  in  zwei  Zirkelschnitten  die  Haut  und  Muskeln,  lässt  diese  stark  zu- 
rückziehen und  trennt  dicht  vor  ihrer  Schnittfläche ,  wie  eben  angegeben 
wurde ,  das  Fleisch  zwischen  den  Knochen  und  dann  diese  selbst.  Wo 
mehr  Haut  erspart  werden  muss,  wie  in  der  Mitte  des  Vorderarmes,  muss 
diese  hinaufpräparirt  und  umgestülpt  werden.  Den  O  val  s  ch  n  itt  em- 
pfiehlt B  a  u  d  e  n  s  ,  welcher  will ,  dass  die  Haut  1 1/2  Zoll  weit  aufwärts 
abgelöst  werde.  Beim  Schrägschnitt  wird  der  Wundzipfel  womöglich 
aus  den  Volarweichgebilden  gemacht.  —  Verband.  Zu  unterbinden 
sind  die  A.A.  radialis,  ulnaris  und  interossea,  welch  leztere 
erst  nach  Lüftung  des  Turnikets  bemerkbar  wird.  Die  Wunde  wird  so 
vereinigt ,  dass  das  eine  Ende  der  WTundspalte  dem  Radius,  das  andere  der 
Ulna  entspricht ;  aus  lezterem  werden  die  Ligaturfäden  herausgeführt. 
Der  Stumpf  wird  massig  flectirt  und  horizontal  auf  einem  Polster  gelagert. 

3)  Die  Amputation  der  Handwurzel  wird  nicht  mehr  ge- 
macht, indem  man  zweckmässiger  das  Handgelenk  wählt. 

4)  Amputation  der  Mittelhandknochen,  Amputatio 
metacarpi.  Man  kann  die  Mittelhandknochen  einzeln  oder  in  ihrer 
Gesammtheit  amputiren  ;  diese  Operationen  werden  aber  von  Vielen  der 
Exarticulation  nachgesezt.  a)  Die  Amputation  der  ganzen 
Mittelhand  kann  mit  dem  doppelten  Zirkelschnitt  oder  mit  einem  un- 
teren oder  mit  zwei  Lappen  verrichtet,  werden.  Beim  Zirkelschnitt 
wird  die  Hand  zwischen  Pro-  und  Supination  gehalten,  der  Daumen  ent- 
fernt und  die  Haut  der  Dorsalfläche  etwas  zurückgezogen  ,  einen  halben 
Zoll  unter  der  Durchsägungsstelle  der  Knochen  macht  man  mit  einem 
grossen  Bistouri  einen  Zirkelschnitt  in  zwei  Zügen  durch  die  Haut  und 
die  Sehnen  bis  auf  die  Knochen ,  präparirt  diese  Theile  zurück  und  trennt 
die  Zwischenknochenmuskeln  genau  von  den  Knochen.  Beim  einfachen 
Lappenschnitt  wird  nach  Jäger  die  in  Pronation  gesezte  Hand  mit 
der  linken  so  gefässt ,  dass  der  Daumen  und  Zeigefinger  am  2.  und  5. 
Mittelhandknochen  die  Amputationssstelle  bezeichnen ;  dann  wird  ein 
schmales  zweischneidiges  Messer  an  dem  ersteren  ein-  und  dem  lezteren 
ausgestochen  ,    auf  der  Volarseite  hingeführt  und  schräg  abwärts  gezogen, 


54  AMPUTATION  IN  DER  CONTINUITAET. 

um  einen  1 1/2  Zoll  langen  Lappen  zu  bilden  ,  endlich  einige  Linien  unter- 
halb der  Basis  des  Lappens  ein  halber  Kreisschnitt  über  die  Dorsalseite 
gemacht.  Den  doppelten  Lappenschnrtt  empfahl  Langen- 
beck,  der  einen  kleinen  halbmondförmigen  Dorsal-  und  eben  solchen 
Volarlappen  durch  Einschneiden  von  aussen  nach  innen ,  und  V  e  1  p  e  a  u  , 
der  zwei  viereckige  Lappen  bildet.  —  b)  Bei  der  Amputation  des 
2.,  3.  und  4.  Knochens  macht  man  von  der  Hautfalte  des  Ohrfingers 
bis  zu  der  des  Daumens  über  den  Handrücken  weg  einen  nach  oben  con- 
vexen ,  dann  über  die  Handfläche  einen  nach  unten  convexen  Schnitt, 
trennt  zu  den  Seiten  der  3  Knochen  und  um  diese  herum  bis  zu  und  an 
der  Dnrchsägungsstelle  die  Muskeln  ab  und  durchsägt  die  Knochen  vom 
2 .  an  einzeln.  Oder  man  bildet  zwei  kleine  Lappen  ,  indem  man  die 
Weich theile  an  der  Seite  des  4.  und  2.  Knochens  bis  zur  Durchsägungs- 
stelle  spaltet  und  diese  Schnitte  dnrch  zwei  quere  über  die  Volar-  und 
Dorsalseite  verbindet.  Ebenso  verfährt  man  bei  c)  der  Amputation 
des  3.  und  4.  Knochens,  bei  der  man  die  Schnitte  durch  die  Inter- 
stitiell des  Handrückens  stark  nach  aussen  und  oben  ziehen  lässt ,  um  sie 
nachher  mit  der  Volarhaut  neben  und  zwischen  den  erhaltenen  Knochen 
zusammenzuheften.  Oder  man  durchschneidet  die  Dorsal-  und  Volarhaut 
Vförmig,  lässt  sie  stark  zurückziehen  und  trennt  dann  die  tieferen  Theile. 
d)  Zur  Amputation  der  2  oder  3  lezten  Knochen  werden 
ebenfalls  Seitenschnitte  gemacht  und  in  gleicher  Weise  wie  oben  ange- 
geben durch  Querschnitte  verbunden ,  um  Lappen  zu  gewinnen.  Zur 
Durchsägung  der  Knochen  bedient  man  sich  besonderer"  Sägen,  Gräfe's 
Scheibensäge,  A.  Cooper's  Metacarpalsäge  u.  a. 

5)  Amputation  der  Finger,  Amputatio  digitorum 
man us.  Die  Amputation  der  Finger  ist  nur  bei  den  beiden  Phanlangen 
des  Daumens  und  der  2 .  Phalanx  des  Zeigefingers ,  auch  wohl  noch  bei 
der  1 .  des  lezteren  und  der  2 .  des  kleinen  Fingers  zweckmässig  ;  bei  den 
übrigen  ist  die  Exarticulation  vorzuziehen.  —  Bei  der  Operation  sizt  der 
Kranke  ;  ein  hinter  ihm  stehender  Gehülfe  umfasst  mit  der  Linken  die 
vorgestreckte  und  in  Pronation  gesezte  Hand  an  ihrer  Wurzel ,  mit  der 
Rechten  das  obere  Ende  der  abzunehmenden  Phalanx  und  zieht  die  Haut 
möglichst  zurück ,  ein  zweiter  Gehülfe  zieht  die  benachbarten  Finger  ab 
und  fixirt  den  Kranken  am  unteren  Ende.  Der  Operateur  steht  bei  der 
linken  Hand  an  deren  Radial  - ,  bei  der  rechten  an  der  Ulnarseite.  Die 
Operation  geschieht  mittels  des  doppelten  Zirkelschnittes  ,  der  Abmeisse- 
lung ,  des  Lappen  -  oder  Schrägschnittes.  Beim  doppelten  Zirkel- 
schnitte macht  man  mit  einem  geraden  Scalpell  zuerst  4  Linien  unter 
der  Durchsägungsstelle  einen  Kreisschnitt  durch  die  Haut,  lässt  diese  re- 
trahiren,  macht  dann  an  ihrem  Rande  einen  zweiten  Kreisschnitt  durch  die 
übrigen  Weichgebilde  und  die  Beinhaut,  legt  eine  gespaltene  Compresse 
an  und  sägt  den  Knochen  mit  der  Phalangensäge  durch.  Bei  der  Ab- 
meisselung,   Dactyiosmileusis    (von  öaxrvAog ,   der  Finger  und 


AMPUTATION  IN  DER  CONTINUITAET.  55 

(TjutAsva) ,  ich  schnize)  ,  wird  der  Finger  mit  der  Dorsalfläche  auf  einen 
kleinen  feststehenden  Holzkloz  gelegt  und  vom  Gehülfen ,  der  die  Haut 
stark  retrahirt ,  fixirt  ;  dann  sezt  man  einen  Meissel  mit  der  linken  Hand 
senkrecht  auf  die  Volarfläche  der  Phalanx  und  schlägt  mit  einem  grossen 
hölzernen  Schlägel  schnell,  kräftig  und  senkrecht  darauf,  so  dass  der  Fin- 
ger mit  einem  Schlage  getrennt  wird.  —  Der  Lappenschnitt  wird 
selten  und  nur  dann  nothwendig,  wenn  es  an  der  einen  Seite  an  den  nöthi- 
gen  Weichtheilen  fehlt.  Der  beste  Lappen  wird  aus  der  Volarseite ,  wo 
dies  nicht  geht  aus  den  Seitentheilen  gebildet ;  den  schlechtesten  Lappen 
gibt  die  Dorsalseite ;  man  kann  auch  zwei  Lappen  aus  den  Seitentheilen 
bilden.  —  Beim  Schrägschnitte  nimmt  man  den  Wundzipfel  am 
besten  aus  den  Volarweichgebilden  ;  die  Ausführung  kann  der  allgemeinen 
Beschreibung  entnommen  werden.  —  Verband.  Zur  Blutstillung  reicht 
gewöhnlich  kaltes  Wasser  aus  ;  die  Wunde  wird  nach  dem  Zirkelschnitte 
zu  einer  Querspalte  vereinigt,  nach  der  Abmeisselung  mit  Charpie  bedeckt. 
6)  Amputation  des  Oberschenkels,  Amputatio  femo- 
ris.  Die  Amputation  des  Oberschenkels  macht  man,  wenn  es  angeht, 
möglichst  tief  unten ;  man  kann  aber  auch  nötigenfalls  am  obersten 
Theile  ,  am  kleinen  und  selbst  durch  den  grossen  Trochanter  amputiren. 
—  Der  Kranke  nimmt  eine  halblehnende  Stellung  auf  einem  Tische  oder 
quer  über  einem  Bette  ein  ,  wobei  das  Becken  des  Kranken  etwas  über 
den  Rand  hervorragt ;  ein  an  der  gesunden  Seite  stehender  Gehülfe  fixirt 
den  Kranken.  Der  kranke  Schenkel  wird  im  Hüft-  und  Kniegelenk  mas- 
sig flectirt  und  von  einem  am  äusseren  oberen  Theile  desselben  stehenden 
Gehülfen  oberhalb  der  Amputationsstelle  mit  beiden  Händen  behufs  der 
Retraction  der  Weichtheile  umfasst ;  unten  wird  er  von  einem  anderen 
mit  beiden  Händen  unter  der  Amputationsstelle  umschlossen.  Der  ge- 
sunde Schenkel  wird  von  einem  Gehülfen  gehalten  oder  auf  einen  Schemel 
gestellt.  Zur  Vorkehrung  gegen  die  Blutung  legt  man  je  nach  der  höhern  oder 
tiefern  Amputation  ein  Turniket  auf  den  oberen  Theil  der  Art.  cruralis 
oder  man  lässt  diese  von  einem  Gehülfen  gegen  das  Schambein  drücken.  Der 
Operateur  steht  an  der  äussern  Seite  des  Gliedes.  Die  Operation  wird 
nach  allen  Methoden  verrichtet.  —  Der  einfache  Zirkelschnitt 
wird  selten  gemacht ;  nach  der  kreisförmigen  Durchschneidung  der  Haut 
werden  die  Muskeln  l4/2 — 2  Zoll  höher  vom  Knochen  getrennt.  Der 
doppelte  Zirkelschnitt  ist  beim  mittlem  und  untern  Dritttheil 
anwendbar,  doch  nur  bei  schlaffer  Muskulatur,  weil  der  grösste  Theil  der 
Schenkelmuskeln  mit  dem  Knochen  nicht  verwachsen  ist  und  sich  daher 
stark  zurückzieht.  Man  operirt  mit  dem  grossen  einschneidigen  Messer 
nach  S.  41,  macht  je  nach  der  Dicke  des  Schenkels  3 — 4  Zoll  unterhalb 
der  Durchsägungsstelle  den  Hautschnitt,  löst  die  Haut  sammt  allem  Zell- 
stoff 3/4 — lV4  Zoll  nach  aufwärts  von  der  Fascie  los  und  durchschneidet 
vor  ihrem  Rande  die  Muskeln  ,  während  der  Gehülfe  sie  kräftig  zurück- 
zieht;  endlich  lässt  man  nach  S.  42  noch  ein-  oder  zweimal  einen  Fleisch- 


56  AMPUTATION  IN  DER  CONT1NUITAET. 

kegel  hervortreten  und  durchschneidet  ihn,  um  den  Knochen  hoch  genug 
durchsägen  zu  können.  Der  einfache  Lappenschnitt  ist  vorzüg- 
lich bei  ungleicher  Zerstörung  der  Weichgebilde  anwendbar ,  passt  aber 
auch  unter  anderen  Umständen.  Man  verrichtet  ihn  ganz  nach  Seite  4  3. 
Bei  freier  Wahl  macht  man  gewöhnlich  einen  seitlichen  Lappen  und  zwar 
wo  möglich  so,  dass  die  Art.  c  r  u  r  a  1  i  s  in  ihm  verläuft,  damit  er  stärker 
ernährt  wird.  Der  doppelte  Lappenschnitt  ist  am  obern  Theil 
des  Schenkels  und  bei  starker,  straffer  Muskulatur  anwendbar.  Man 
bildet  nach  S.  44  einen  innern  und  einen  äussern  Lappen  und  zwar  den 
innern  zuerst.  Jeder  Lappen  betrage  3  ,  selbst  4  Zoll.  Man  sticht  be- 
hufs der  Lappenbildung  nicht  auf  die  Mitte  des  Knochens  ,  sondern  in 
der  Mitte  der  vordem  Schenkelfläche  ein  ,  wodurch  der  äussere  Lappen 
zur  Bedeckung  des  Knochens  tauglicher  wird.  Der  Trichterschnitt 
muss  einen  3 —  4  Zoll  tiefen  Trichter  ergeben.  S.  Seite  43.  Beim 
Ovalschnitt  wird  nach  M  a  1  g  a  i  g  n  e  die  Haut  in  einer  Ellipse  durch- 
schnitten ,  deren  oberes  Ende  an  der  vorderen  äussern ,  deren  unteres  1 
bis  l1/^  Zoll  tiefer  an  der  hintern  innern  Seite  liegt.  Die  Muskeln 
werden  in  zwei  Zügen  getrennt  und  dann  noch  höher  hinauf  vom  Knochen 
abgelöst.  Beim  Schrägschnitt  nimmt  man  für  den  Wundzipfel  am 
besten  die  Weichtheile  an  der  innern  hintern  oder  äussern  hintern  Seite 
des  Gliedes  und  führt  die  Schnitte  ganz  nach  den  Vorschriften  S.  4  5  von 
unten  nach  oben.  Die  Entfernung  des  obern  und  untern  Endpunktes  der 
Schnitte  von  einander  richtet  sich  nach  der  Dicke  des  Gliedes.  —  Ver- 
band. Man  unterbindet  zunächst  die  Art.  cruralis,  dann  die  Art. 
profunda  und  stärker  blutende  Muskeläste ;  bei  hoher  Amputation 
können  15 — 17  Ligaturen  nöthig  werden.  Die  Wunde  wird  nach  dem 
Zirkelschnitte  in  einer  senkrechten  Spalte  vereinigt  und  mit  Knopfnähten, 
die  bei  kräftigen  Muskeln  auch  durch  diese  geführt  werden  müssen ,  in 
Verbindung  erhalten.  Der  Kranke  erhält  eine  halbsizende  Lage  im  Bette, 
der  Stumpf  wird  in  einem  sehr  stumpfen  Winkel  zum  Stamme  auf  ein 
Polster  gelegt.  Ein  Kloz  unter  dem  gesunden  Fusse  verhindert  ein  Her- 
abgleiten  des  Kranken. 

7)  Amputation  des  Unterschenkels,  Amputatio  cru- 
ris.  Wenn  nach  der  Amputation  des  Unterschenkels  ein  künstliches 
Glied  getragen  werden  soll ,  so  amputirt  man  so  tief  unten,  als  es  die 
Verlezung  erlaubt;  für  einen  Stelzfuss  3 — 4  Zoll  unter  der  Kniescheibe, 
um  ein  hinderliches  Hervorragen  des  Stumpfes  nach  hinten  zu  verhüten  ; 
man  kann  indessen  auch  höher  amputiren ,  wenn  es  die  Umstände  not- 
wendig machen ,  die  Tuberosität  der  Tibia  darf  aber  nicht  überschritten 
werden,  weil  man  sonst  die  Insertion  des  Kniescheibenbandes  trennt,  auch 
wohl  das  Gelenk  geöffnet  würde.  —  Der  Kranke  wird  wie  zur  Amputa- 
tion des  Oberschenkels  ,  nur  weiter  auf  den  Tisch  oder  das  Bett  hinauf- 
gelagert, der  Unterschenkel  massig  flectirt  und  die  Art.  cruralis  etwa 
3  Querfinger  über  dem  Knie,  wo  sie  die  Sehne  des  Triceps  durchbohrt, 


AMPUTATION  IN  DER  CONTINUITAET.  •  57 

an  der  inneren  Seite  des  Schenkels  mittels  des  Turnikets  eomprimirt. 
Die  Gehülfen  werden  wie  bei  der  Amputation  des  Oberschenkels  ange- 
stellt,  der  Operateur  steht  an  der  innern  Seite  des  Gliedes.  Opera- 
tionsmethoden: Der  doppelte  Zirkelschnitt ,  einfache  oder  doppelte 
Lappenschnitt,  Oval-  und  Schrägschnitt.  —  Der  doppelte  Zirkel- 
schnitt ist  am  obern  und  untern  Theile  des  Unterschenkels  und  bei 
beabsichtigter  Heilung  durch  Eiterung  anwendbar.  Man  macht  ihn  nach 
S.  42  mit  dem  grossen  einschneidigen  Messer,  durchschneidet  die  Haut 
1  * /2  —  2  Zoll  unter  der  Durchsägungsstelle  ,  trennt  sie  dann  besonders 
von  der  Tibia,  an  der  sie  fest  anhängt ,  gehörig  nach  oben  hin  ab  ,  lässt 
sie  überall  gleichmässig  zurückziehen  und  macht  dann  den  zweiten  Kreis- 
schnitt bis  auf  die  Knochen.  Man  lässt  nun  die  Muskeln  zurückziehen, 
befreit  die  Knochen  durch  Umgehen  mit  der  Catline  von  allen  Weich- 
theilen,  legt  die  doppelt  gespaltene  Compresse  an  und  durchsägt  endlich 
die  Knochen ,  am  besten  zuerst  die  Fibula  ,  während  der  Unterschenkel 
stärker  einwärts  gedreht  wird ,  dann  die  Tibia ;  zur  bessern  Fixirung  der 
Fibula  kann  man  den  Finger  zwischen  beide  Knochen  stecken.  Der 
einfache  Lappenschnitt  passt  in  der  Mitte  der  Wade  und  wo 
schnelle  Vereinigung  bezweckt  wird.  Man  bildet  den  Lappen  nach  S.  43 
aus  dem  Wadenfleische  mit  dem  grösseren  zweischneidigen  Messer ,  wel- 
ches man  am  hinteren  Rande  der  Tibia  einsticht,  an  deren  und  der  Fibula 
hinterer  Fläche  vorbeiführt  und  durch  Abwärtsziehen  desselben  einen 
etwa  3  Zoll  langen  Lappen  scheidet.  Die  vorderen  Weichtheile  durch- 
schneidet man  mit  einem  halben  Kreisschnitt  und  verfährt  des  Weiteren 
wie  bei  der  vorigen  Methode.  B.  Bell  schlug  bei  destruirter  Wade  vor, 
einen  äussern  vordem  Lappen  zu  bilden.  Der  d  opp  elte  L  app  en- 
schnitt  wurde,  da  es  sehr  schwer  ist,  2  einigermassen  gleiche  Lappen 
zu  bilden,  wenig  geübt.  Roux  schneidet  zuerst  die  Haut,  um  sie  nach- 
giebiger zu  machen,  2  Zoll  lang  auf  der  vordem  innern  Fläche  der  Tibia, 
parallel  mit  der  Crista  ein ,  senkt  dann  in  den  obern  Wundwinkel  ein 
langes  gerades  Messer  ein ,  sticht  es  hinten  in  der  Mitte  der  Wade  aus 
und  bildet  so  einen  inneren  Lappen.  Dann  führt  er  das  Messer  von 
jenem  Einstichpunkte  um  die  Crista  tibiae,  den  äussern  Rand  der 
Fibula  und  sticht  es  ebenfalls  in  der  Mitte  der  Wade  aus  ,  um  einen  äus- 
sern Lappen  zu  bilden.  Langenbeck  macht  zwei  seitliche  halbmond- 
förmige Lappen  durch  Einschneiden  von  aussen  nach  innen.  Der  Oval- 
schnitt ist  als  nicht  nothwendig  und  umständlich  nicht  zu  empfehlen. 
Der  Schrägschnitt  hat  bei  gegebener  Wahl  den  obern  Endpunkt  der 
Schnitte  dicht  an  der  äussern  Seite  der  Crista  tibiae,  den  untern 
jenem  diametral  gegenüber  in  der  Wade  ,  etwas  nach  innen  von  deren 
Mittellinie.  —  Verband.  Zu  unterbinden  sind  die  A  A.  tibialis 
antica,  postica  und  peronea  und  bisweilen  auch  Muskeläste  ;  am- 
putirt  man  hoch ,  so  sind  die  Gefässe  schwer  zu  fassen  und  vorzuziehen, 
man  muss   sie   mit   dem  Arterienhaken  isolirt  ergreifen  und  nötigenfalls 


58  AMPUTATION  IN  DER  CONTINUITAET. 

durch  einen  Einschnitt  frei  inachen.  Hervorragende  Sehnen  schneidet 
man  mit  der  Scheere  weg.  Die  Wunde  vereinigt  man  nach  dem  Zirkel- 
schnitte zu  einer  dem  Zwischenknochenbande  parallelen  Spalte  ;  die  Haut 
darf  nicht  stark  gegen  die  vordere  Ecke  der  Tibia  angedrückt  werden. 
Der  Stumpf  bilde  mit  dem  Oberschenkel  einen  Winkel  von  etwa  10  0°, 
bei  tiefer  Amputation  jedoch  ,  wo  später  ein  künstliches  Glied  getragen 
werden  soll ,  werde  das  Bein  noch  mehr  gestreckt,  damit  sich  die  Beuge- 
sehnen nicht  so  stark  contrahiren  können. 

8 .  Amputation  der  Fusswurzel,  Amputatio  t  a  r  s  i. 
Die  Amputation  der  Fusswurzel  wurde  von  H  a  y  w  a  r  d  wegen  Caries  der 
Keilbeine  gemacht ;  er  machte  zuerst  den  halben  Zirkelschnitt  durch  die 
Dorsalhaut,  sägte  das  Osnaviculare  und  cub  oi  d  e  um  durch  und 
bildete  dann  den  unteren  Lappen.  Nach  M  a  y  o  r  soll  immer  soweit  vom 
Fussgelenke  entfernt ,  als  es  die  Krankheit  erlaubt ,  amputirt  werden, 
gleichviel  an  welcher  Stelle  der  Fusswurzel  oder  des  Mittelfusses  ;  nach 
einem  Querschnitt  über  den  Fussrücken  bildet  er  mittels  Durchstechen 
des  Messers  einen  Plantarlappen  und  sägt  dann  mit  einer  feinen  Säge  die 
Knochen  nebst  den  Bändern  durch. 

9.  Amputation  der  Mittel  fussknochen,  Amputatio 
metatarsi.  a)  Amputation  sämmtlicher  Mittel  fuss- 
knochen. Sie  wird  wie  die  der  ganzen  Mittelhand  gemacht  und  ein 
Lappen  zur  Deckung  der  Wundfläche  wo  möglich  aus  der  Planta,  nöthigen- 
falls  aber  auch  vom  Fussrücken  genommen  ;  bei  weiter  zerstörten  Weich- 
theilen  macht  man  zwei  Lappen ,  von  denen  der  am  Fussrücken  kleiner 
ist.  —  b)  Amputation  des  1.  Mittel  fussknochen  s.  Man 
bildet  am  besten  einen  unteren,  wo  dies  nicht  angeht,  einen  inneren  oder 
endlich  einen  oberen  Lappen.  Bei  der  Bildung  eines  unteren 
oder  Plantarlappens  fasst  Z  a  n  g  beim  linken  Fusse  die  grosse 
Zehe,  zieht  sie  nach  innen  und  lässt  die  andern  Zehen  nach  aussen  hal- 
ten ;  beim  rechten  Fusse  zieht  der  Gehülfe  die  grosse  Zehe  nach  innen, 
während  er  selbst  die  andern  abducirt.  Dann  schneidet  er  mit  einem 
geraden  ,  schmalen ,  langen ,  senkrecht  gehaltenen  Scalpell  die  weichen 
Theile  dicht  an  der  äussern  Seite  des  1.  Mittelfussknochens  bis  zur  Am- 
putationsstelle hin  durch ,  sticht  das  Messer  an  der  inneren  Seite  nahe 
dem  unterem  Rande  des  Knochens  dem  Endpunkte  des  ersten  Schnittes 
gegenüber  ein  und  zieht  es  an  jenem  Rande  nach  vorn.  Beide  Schnitte 
werden  durch  quere  bis  auf  den  Knochen  dringende  vereinigt ,  wovon 
einer  an  der  Rückenfläche  etwa  2  Linien  von  den  hintern  Endpunkten 
jener ,  der  andere  an  der  Plantarseite  zwischen  den  vordem  Endpunkten 
der  Längenschnitte  verläuft.  Der  so  umschnittene  Plantarlappen  wird 
dicht  am  Knochen  nach  hinten  zu  abgelöst,  zurückgehalten ,  die  Haut  am 
Rücken  stark  retrahirt  und  die  Zehe  von  den  andern  abgezogen  ,  worauf 
das  Messer  von  oben  senkrecht  zwischen  beide  Knochen  in  den  Winkel 
des  ersten  Längen  Schnittes  gebracht,  von  ihm  aus  mit  einem  halben  Kreis- 


AMPUTATION  IN  DER  CONTINUITAET.  59 

schnitte  über  die  Rückenfiäche  herüber  am  Rande  der  Haut  die  Sehnen 
und  was  sonst  den  Knochen  deckt  getrennt ,  und  hierauf  ebenso  an  der 
untern  Hälfte  des  Knochens  verfahren  wird.  Hierauf  deckt  man  die 
Weichtheile  mit  einer  gespaltenen  Compresse,  schiebt  eine  kleine  hölzerne 
Schiene  zwischen  die  Knochen  und  durchsägt  den  blossgelegten  Mittel- 
fussknochen  mit  senkrecht  geführter  kleiner  Säge.  Um  einen  innern 
Lappen  zu  bilden  ,  fasst  man  die  an  der  inneren  Seite  des  Mittelfusses 
befindlichen  Weichtheile,  zieht  sie  vom  Knochen  ab  und  sticht  das  gerade 
Messer  1  Querfinger  vor  dem  Fusswurzelgelenk  auf  den  innern  obern 
Rand  des  1.  Metatarsalknochens  ein  und  an  des  lezteren  innerer  Seite 
dicht  vorbeigehend,  an  der  Planta  wieder  aus,  führt  es  dicht  am  Knochen 
nach  vorn  und  schneidet  vor  dessen  vorderem  Ende  nach  innen  durch. 
Das  Uebrige  geschieht  wie  bei  dem  unteren  Lappen,  nur  dass  der  Knochen 
schräg  von  hinten  und  innen  nach  vorn  und  aussen  durchsägt  wird.  Bei 
der  Bildung  eines  obern  oder  Dorsallappens  macht  man  wie 
beim  ersten  Verfahren  den  Längenschnitt  an  der  äussern  Seite  des  1. 
Mittelfussknochens  ,  dann  einen  zweiten  an  der  inneren  Seite  etwas  unter 
dem  obern  innern  Rande  des  Knochens ,  vereinigt  beide  durch  einen 
Querschnitt  auf  dem  Rücken  des  vordem  Endes  des  Knochens  und  löst 
den  so  umschnittenen  Lappen  dicht  vom  Knochen  ab.  Endlich  trennt 
man  dicht  vor  der  Basis  des  Lappens  alle  den  Knochen  umgebenden 
Weichtheile  wie  beim  ersten  Verfahren  und  sägt  den  Knochen  durch.  — 

c)  Amputation  des  5.  Mittelfussknochens.  Bej  dieser  verfährt 
man  wie  am  1 .  Mittelfussknochen ,  nur  dass  man  Alles  ,  was  hier  an  der 
innern   Seite   gemacht   wurde  ,    an  der  äussern  macht  und  umgekehrt.  — 

d)  Amputation  des  2.,  3.  und  4.  Mittelfussknochens.  Nach 
Abwendung  der  benachbarten  Zehen  von  der  kranken  durchschneidet  man 
an  jeder  Seite  des  kranken  Knochens  ,  hart  an  diesem  ,  die  Weichtheile 
bis  zur  Durchsägungstelle,  lässt  diese  beiden  Schnitte  an  der  Plantarfläche 
V  artig  zusammenlaufen  und  macht  am  Fusse  den  dem  innern ,  am  linken 
den  dem  äussern  Rande  entsprechenden  l/4  Zoll  kürzer ,  als  den  andern. 
Dann  vereinigt  man  beide  Schnitte  auf  der  Rückenseite  durch  einen 
schrägen  ,  2  Linien  von  den  Winkeln  jener  Schnitte  geführten ,  lässt  die 
Haut  retrahiren  und  durchschneidet  dicht  vor  ihr  alle  Weichtheile  bis  auf 
den  Knochen ,  worauf  man  nach  Anlegung  der  gespaltenen  Compresse 
und  der  hölzernen  Schiene  den  Knochen  von  dem  kürzeren  Längenschnitte 
aus  mit  der  Phalangensäge  schräg  nach  hinten  durchsägt.  —  e)  Ampu- 
tation von  zwei  oder  mehreren  Mittelfussknochen.  Hier 
würde  man  einen  Plantar-  und  Dorsallappen  bilden  und  übrigens  ähnlich 
wie  bei  derselben  Amputation  an  der  Mittelhand  verfahren  müssen. 

10)  Amputation  der  Zehen,  Amputatio  digitorum 
p  e  d  i  s.  Sie  wird  ganz  wie  die  Amputation  der  Finger  verrichtet ,  übri- 
gens, mit  Ausnahme  der  ersten  Phalanx  der  grossen  Zehe  etwa ,  der  Ex- 
articulation  nachgesezt  werden  müssen. 


60  AMPUTATION  IN  DER  CONTIGUTTAET. 

II.  Amputationen  in  der  Continguität, 
Exarticulationes. 
1)  Exarticulation  des  Oberarms,  Exarticulatio  hu- 
mer i  s.  b  r  a  c  h  i  i.  Bei  der  Auslosung  des  Oberarmes  aus  dem  Schulter- 
gelenke ist  die  Vorbereitung,  wie  bei  der  Amputation  des  Oberarms  ;  die 
Compression  der  A.  s  u  b'C  1  a  v  i  a  kann  man  erst  bei  der  Durchschneidung 
der  weichen  Theile  in  der  Achselhöhle  beginnen  lassen.  Wenn  der  Kranke 
nicht  sizen  kann  ,  so  liegt  er  auf  der  gesunden  Seite.  Die  Operation  ge- 
schieht mittels  des  einfachen  oder  mehrfachen  Lappenschnittes ,  des 
Schräg-  Zirkel-,  Trichter-  oder  Ovalschnittes  ;  die  drei  lezteren  Methoden 
sind  weniger  zweckmassig  und  entbehrlich.  —  Mehrfacher  Lappen- 
schnitt, a)  Die  Bildung  eines  äussern  und  innern  Lap- 
pens (Transversalmethode)  ist  bei  gesunden  Weichtheilen  anwendbar  und 
gewährt  den  Vortheil ,  dass  sie  eine  regelmässige  Wunde  gibt ,  die  Exar- 
ticulation leicht  gemacht,  auch  vor  derselben  der  Gelenkkopf  untersucht 
und  die  Operation  auf  dessen  Resection  beschränkt  werden  kann.  Man 
operirt  nach  v.  W  a  1 1  h  e  r  auf  folgende  Weise  :  Bei  an  die  Seite  des 
Thorax  geführtem  und  so  vom  Gehiilfen  gehaltenem  Oberarme  sticht 
man  das  mittlere  zweischneidige  Messer  an  der  äussern  Seite  des  P  r  o  c. 
coracoideus  bis  auf  den  Knochen  ein,  führt  es,  seinen  Griff  senkend, 
längs  des  vordem  Randes  des  M.  d  e  1 1  o  i  d  e  u  s  bis  zu  dessen  Insertions- 
stelle,  indem  man  bis  auf  den  Knochen  schneidet.  Dann  macht  man  vom 
äussern  obern  Winkel  des  Schulterblattes  längs  des  hintern  Randes  des- 
selben Muskels  wieder  bis  zu  dessen  Insertion  eine  zweite,  jener  parallele 
Incision  und  vereinigt  die  unteren  Winkel  beider  Schnitte  durch  einen 
bis  auf  den  Knochen  dringenden  Querschnitt ,  löst  den  so  umschnittenen 
äussern  Lappen  bis  zum  Anfangspunkte  der  beiden  Längenschnitte  vom 
Knochen  ab  und  lässt  ihn  von  einem  Gehülfen  zurückhalten,  der  zugleich 
die  A  A.  circumflexae  humeri  compriinirt,  falls  man  sie  nicht  sogleich 
unterbinden  will.  Nun  schreitet  man  zur  Auslösung  des  Knochens  :  zu 
diesem  Behufe  fasst  man  mit  der  linken  Hand  den  Arm  an  seiner  unteren 
Hälfte,  bringt  ihn  dicht  an  den  Thorax,  rollt  den  Gelenkkopf  nach  innen, 
und  schneidet  den  dadurch  angespannten  hintern  obern  Theil  des  Kapsel- 
bandes in  einem  kräftigen  Zuge  durch,  indem  man  das  Messer  mit  voller 
Klinge  dicht  unter  dem  Acromion  senkrecht  auf  den  Knochenkopf  sezt, 
rollt  ferner  denselben  nach  aussen  und  hinten  und  durchschneidet  den 
obern ,  vordem  Theil  der  Gelenkkapsel ,  so  wie  die  Sehne  des  langen 
Kopfes  des  Biceps.  Man  drängt  nun  den  Gelenkkopf  noch  mehr  aus 
der  Gelenkgrube  ,  geht  mit  der  ganzen  Schneide  des  Messers  hinter  den 
ersten  auf  die  Länge  von  4  Querfinger  herab  und  schneidet  dann  quer 
nach  innen  in  einem  Zuge  durch,  wobei  man  entweder  den  Arm  horizon- 
tal stellt  oder  in  verticaler  Richtung  vom  Stamme  entfernt  oder,  wo  dies 
nicht  angeht ,  hangen  lässt  und  etwas  nach  unten  und  aussen  zieht ,  um 
die  Weichtheile   der  innern  Seite  anzuspannen.  —  b)  Bildung  eines 


AMPUTATION  IN  DER  CONTIGUITAET.  61 

vordem  und  hintern  Lappens  (Verticalmethode).  Verfahren  von 
Larrey.  Man  macht  vomAcromion  bis  etwa  einen  Zoll  unter  dem  Halse 
des  Oberarmbeines  einen  Längenschnitt  durch  die  Haut  und  den  M.  d  e  1- 
toideus,  welcher  den  lezteren  in  zwei  gleiche  Hälften  theilt,  sticht  bei 
nach  der  Schulter  zurückgezogener  Haut  das  Messer  vom  Anfangspunkte 
des  Längenschnittes  erst  nach  hinten  und  unten  bis  unter  die  Anheftung 
des  M.  latissimus  dorsi,  dann  nach  vorn  und  unten  bis  unter  die 
Sehne  des  Pe  et  o  r  ali  s  major  durch  und  bildet  so  ,  indem  man  das 
Messer  in  dem  Längenschnitte  bis  zu  dessen  Ende  herabbewegt  und  hier 
nach  aussen  durchschneidet,  erst  den  hintern,  dann  den  vordem  Lappen, 
wobei  die  Achselgefässe  unverlezt  bleiben  ;  die  Lappen  werden  abpräpa- 
rirt  und  zurückgeschlagen,  und  die  beiden  Circumflexae  comprimirt. 
Nun  durchschneidet  man  die  Kapsel  mit  einem  rings  um  den  Knochen- 
kopf geführten  Schnitt ,  geht  dicht  hinter  dem  Knochen  mit  dem  Messer 
herab  und  schneidet  die  inneren  Weichtheile  an  den  unteren  Winkeln  der 
beiden  Lappen  wagrecht  durch  ,  nachdem  ein  Gehülfe  die  Achselgefässe 
und  Nerven  fest  zwischen  die  Finger  gefasst  hat.  Larrey  gebraucht 
zur  Operation  ein  besonderes,  geradschneidiges  Messer  von  nur  Sl/.2  Zoll 
Länge.  —  c)  Die  Bildung  dreier  Lappen  nach  Rust  ist  zweck- 
mässig ,  wo  es  zweifelhaft  ist ,  ob  die  Exärticulation  oder  Decapitation  zu 
unternehmen  ist.  Er  macht  einen  bis  auf  den  Knochen  dringenden  Län- 
genschnitt vom  Acromion  bis  zur  Insertion  des  M.  deltoideus;  vom 
obern  Drittheile  desselben  führt  er  zwei  schräge  Schnitte  nach  aussen  und 
unten  bis  unter  die  beiden  Achselfalten.  Die  dadurch  vorgezeichneten 
dreieckigen  Lappen,  deren  Spizen  sich  gleich  unter  dem  Gelenkkopfe  be- 
rühren ,  werden  losgelöst  und  nach  aussen  und  innen  (hinten  und  vorn) 
zurückgeschlagen  ;  nun  wird  ein  zweischneidiges  Messer  flach  zwischen 
das  Acromion  und  den  Gelenkkopf  bei  etwas  erhobenem  Arme  einge- 
stochen und  so  von  innen  und  aussen  nicht  allein  die  Gelenkkapsel  ge- 
öffnet ,  sondern  auch  die  Sehne  des  B  i  c  e  p  s  getrennt ,  worauf  man  ,  mit 
dem  Messer  durch  das  Gelenk  und  an  der  innern  Seite  des  Knochens 
herabgehend ,  einen  inneren  dreieckigen  Lappen  bildet ,  der  zwischen  die 
beiden  obern  gerade  hineinpasst.  — E  inf  a  ch  er  L  app  ens  chn  itt. 
a)  Die  Bildung  eines  innern  Lappens  geschieht  bei  Zerstörung 
der  äussern  obern  Weichgebilde  nach  L  e  d  r  a  n  und  Langenbeck  fol- 
gendermassen  ;  bei  heruntergezogenem  und  gegen  den  Thorax  gedrück- 
tem Arme  macht  man  nahe  unter  dem  Acromion  durch  den  M.  deltoi- 
deus einen  Schnitt ,  der  sich  von  der  vordem  bis  zur  hintern  Seite  des 
Gelenkes  quer  herüber  und  bis  auf  das  Gelenk  erstreckt ,  schneidet  das 
Kapselband  quer  durch,  lässt  vom  Gehülfen  den  Arm  und  damit  den  Ge- 
lenkkopf nach  oben  und  aussen  drängen ,  führt  nun  das  Messer  durch  die 
Gelenkhöhle  und  dicht  an  der  inneren  Fläche  des  Knochens  abwärts  und 
bildet  so  einen  hinreichend  grossen,  in  einem  stumpfen  Winkel  endenden 
Lappen  ,J  hierbei  werde  die  A.  axillaris  möglichst  spät  durchschnitten 


DZ  AMPUTATION  IN  DER  CONTIGUITAET. 

und  deshalb  der  Oberarmkopf  mit  der  freien  Hand  nach  unten  gezogen. 
—  b)  Die  Bildung  eines  äussern  Lappens  ist  bei  Zerstörung 
der  Theile  der  Achselhöhle  nöthig  und  geschieht  wie  bei  dem  v.  Walther- 
schen  Verfahren ,  nur  dass  man  nach  ausgelöstem  Gelenkkopfe  sogleich 
die  inneren  Weichtheile  des  Arms  quer  durchschneidet.  —  Der  Schräg- 
schnitt bedarf  der  Weichgebilde  an  der  obern,  äussern  Seite  der  Schul- 
ter nicht  zur  Schliessung  der  Wunde.  Um  den  linken  Arm  zu  exarticu- 
liren ,  lasst  man  ihn  wo  möglich  fast  rechtwinklich  abduciren ,  führt  vor 
der  Schulter  stehend ,  ein  grosses  convexes  Scalpell  unter  dem  Arme 
weg  und  sticht  es  dicht  unter  dem  Acromion  und  vor  seiner  hintern  Ecke 
bis  aufs  Gelenk  ein,  zieht  es  schräg  durch  den  hintern  Theil  des  M.  del- 
toideus  und  den  T  r  i  c  e  p  s  nahe  an  der  hintern  Achselfalte  vorbei  bis 
in  den  M.  b  i  c  e  p  s  ,  an  dessen  mittlerem  Drittel  man  den  Schnitt  etwa 
4  Finger  unter  der  Achsel  endet,  indem  man  das  Messer  beim  Ausziehen 
schon  in  der  zweiten  Schnittlinie  wieder  hinaufgehen  lässt  und  damit  den 
B  i  c  e  p  s  ganz  oder  grösstentheils  durchschneidet.  Darauf  sticht  man  das 
Messer  am  ersten  Einstichspunkte  wieder  aufs  Gelenk  ein,  und  führt  den 
zweiten  Schnitt  durch  den  vordem  Theil  des  Deltamuskels  bis  in  das  Ende 
des  ersten  hinein.  Sprizt  nach  einem  der  Schnitte  eine  grössere  Arterie, 
so  kann  man  sie  unterbinden  oder  comprimiren  lassen.  Der  Knochen  wird 
nun,  den  früheren  Schnitten  folgend,  ausgelöst.  An  der  rechten  Schulter 
steht  der  Operateur  hinter  dieser  und  führt  den  ersten  Schnitt  über  die 
vordere  Seite  des  Gliedes.  —  Der  doppelte  Zirkelschnitt  wurde 
besonders  von  Morand  und  Sharp,  so  wie  von  Nanoni,  der  Trich- 
terschnitt von  Gräfe  und  der  Ovalschnitt  von  Scoutetten  und  Gu- 
thrie geübt.  —  Wenn  das  Acromion  oder  die  Gelenkfläche  des  Schulter- 
blattes so  beschädigt  ist ,  dass  sie  entfernt  werden  müssen ,  so  kann  man 
sie  bei  gut  fixirtein  Schulterblatte  und  nach  erforderlicher  Blosslegung  mit 
einer  kleinen  Säge  oder  mit  dem  Meissel  wegnehmen.  Auch  der  P  r  o  c. 
coracoideus,  so  wie  das  Schlüsselbein  können  so  beschädigt  sein,  dass 
ihre  theilweise  Wegnahme  nothwendig  werden  kann.  —  Verband.  Zu 
unterbinden  ist  die  A.  axillaris,  ferner  häufig  die  A.  circumflexa 
humeri  poster.  ,  bisweilen  auch  die  anterior,  die  A.  acromia- 
lis  u.  a.     Der  Verband  der  Wunde  geschieht  nach  S.  47. 

2)  Exarticulation  des  Vorderarms  ,  Exarticulatio 
antibrachii.  Die  Ablösung  des  Vorderarmes  im  Ellbogengelenke  wird 
von  den  meisten  Wundärzten  als  schwieriger ,  schmerzhafter  und  verwun- 
dender, als  die  Amputation  am  untern  Ende  des  Oberarmes  ,  dieser  nach- 
gesetzt. Man  hat  zu  ihrer  Ausführung  den  Zirkel  - ,  Lappen  -  und  Oval- 
schnitt theils  angewendet,  theils  empfohlen.  —  Einfacher  Lappen- 
schnitt. Dupuytren  sticht  bei  etwas  gebogenem  Vorderarm  ein  zwei- 
schneidiges Messer  am  innern  Condylus  des  Oberarms  ein  und  am  äussern 
aus  und  bildet  einen  3  Zoll  langen  Lappen  aus  der  Volarseite  des  Vorder- 
armes, unterbindet  die  Art.  brachialis,  macht  dann  von  der  Verbindung 


AMPUTATION  IN  DER  CONTIGUITAET.  63 

des  Radius  mit  demHumerus  aus  einen  halben  Zirkelschnitt  an  der  hintern 
Seite  des  Gliedes  und  trennt  das  Gelenk  theils  von  vorn  ,  theils  von  den 
Seiten  her ;  man  kann  nach  ihm  das  Olecranon  absägen  ,  um  dem  Triceps 
seine  Insertion  zu  erhalten.  Aehnlich  wie  Dupuytren  verfuhren  Tex- 
tor und  Jäger.  —  Der  doppelte  Lappenschnitt  wird  nur  voll- 
zogen ,  wenn  aus  den  vorderen  Weichtheilen  kein  hinreichend  grosser 
Lappen  gebildet  werden  kann.  Man  bildet  am  besten  einen  vordem  Lap- 
pen ,  wie  es  eben  angegeben  wurde ,  dringt  von  vorn  in  das  Gelenk  und 
schneidet  hinten  einen  li/gZoll  langen  Hautlappen  aus. —  Der  Zirkel- 
schnitt soll,  wenn  kein  genügender  Volarlappen  zu  bilden  ist ,  ange- 
wendet werden.  V  e  1  p  e  a  u  macht  1  Zoll  unter  dem  Gelenk  den  Schnitt 
durch  die  Haut ,  löst  diese  aufwärts  ,  stülpt  sie  um  ,  schneidet  dann  am 
Gelenke  selbst  die  Muskeln  der  vordem  Seite  durch  ,  trennt  das  Gelenk 
von  den  Seitenbändern  her  und  endet  mit  der  Durchschneidung  des  Tri- 
ceps. Dupuytren  macht  eine  Art  von  doppeltem  Zirkelschnitt.  Die 
Vereinigung  der  Wunde  geschieht  in  die  Quere. —  Ovalschnitt.  Nach 
T  e  x  t  o  r's  Vorschlag  macht  man  bei  extendirtem  Vorderarme  und  pronir- 
ter  Hand  einen  schrägen  Schnitt ,  der  etwas  unter  der  Articulation  des 
Radius  beginnt  und  4  Zoll  lang  bis  über  das  Ende  des  Olecranon  sich 
erstreckt,  und  einen  zweiten  von  der  Verbindung  der  Ulna  mit  dem  Ober- 
arm bis  zu  demselben  Punkte  ,  löst  dann  die  Weichtheile  bis  zum  Gelenk 
von  den  Knochen,  trennt  das  Gelenk  vom  Radius  aus  bis  zur  innern  Seite, 
führt  nun  das  Messer  durch  das  Gelenk  und  an  der  vordem  Fläche  der 
Knochen  3  Querfinger  abwärts  und  schneidet  darauf  gegen  die  Haut  hin 
durch.  Der  Ovalschnitt  erschwert  die  Exarticulation  und  die  Schliessung 
der  Wunde,  welche  der  Länge  nach  bewirkt  wird.  —  Zu  unterbinden 
ist  die  A.  brachialis  oder  die  A.  ulnaris  und  radialis. 

3)  Exarticulation  der  Hand,  Exarticulatio  manus. 
Die  Ablösung  der  Hand  im  Handgelenke  bringt  keinen  grösseren  Nutzen, 
als  die  Amputation  am  untern  Ende  des  Vorderarmes,  giebt  aber  eine  lang- 
samer heilende  Wunde  und  auch  nur  eine  dünne ,  empfindliche  Decke  für 
die  Gelenkfläche.  —  Man  macht  den  Zirkel-  oder  den  Lappenschnitt.  Die 
Vorbereitungen  sind  wie  bei  der  Amputation  des  Vorderarmes.  —  Beim 
Zirkelschnitt  löst  man  die  Hand  zwischen  Pro-  und  Supination,  fasst 
dieselbe ,  indem  man  bei  der  rechten  in  der  innern ,  bei  der  linken  an  der 
äussern  Seite  steht ,  mit  der  Linken  und  führt  von  der  Wurzel  des  Dau- 
mens an,  1  Zoll  vor  dem  Gelenk,  einen  Kreisschnitt  durch  die  Haut.  Diese 
wird  zurückgezogen,  bis  zum  Gelenk  gelöst  und  dieses  bei  abducirter  Hand 
unter  dem  Proc.  styloideus  radii  schief  eingesenkt;  unter  Verstärkung  der 
Abduction  führt  man  das  Messer  durch  das  Gelenk  hindurch  bis  zurUlnar- 
seite  und  durchschneidet  dabei  überall  die  Sehnen.  —  Beim  einfachen 
Lappenschnitt  bildet  man  einen  Volar-  oder  Dorsallappen.  Der  Vo- 
larlappen wird  nach  L  angenb  e  ck  folgendermaasen  gebildet :  Bei 
in  Pronation  gesezter  Hand  führt  man  mit  einem  schmalen,  kleinen  Ampu- 


64  AMPUTATION  IN  DER  CONTIGUITAET. 

tationsmesser  von  einem  Griffel fortsaz  zum  andern  quer  über  das  Gelenk 
einen  Schnitt  durch  Haut  und  Muskeln  ,  flectirt  und  adducirt  die  Hand, 
trennt  das  dadurch  gespannte  Ligamentum  cubit  ale  des  Handgelen- 
kes dicht  am  Ende  des  Grifl'elfortsazes  mit  nach  innen  und  oben  gerich- 
teter Messerschneide ,  ebenso  den  Dorsaltheil  des  Kapselbandes,  abducirt 
dann  die  Hand  und  durchschneidet  das  Lig.  radiale.  Nun  beugt  man  die 
Hand  so  stark,  dass  die  Gelenkfläche  der  Handwurzel  hervortritt,  führt  das 
Messer  durch  das  Gelenk  zur  Volarseite  der  Handwurzel  und  es  an  diese 
mit  der  Fläche  anlegend  ,  in  sägeförmigem  Zuge  abwärts ,  wobei  man  das 
hervorspringende  Os  p  i  s  i  forme  umgeht  und  bildet  somit  einen  halb- 
mondförmigen Lappen  ,  der  nach  Dupuytren  3  Querfinger  breit  sein 
muss  ,  um  zur  Deckung  der  Gelenkfläche  hinzureichen.  —  Zur  Bildung 
eines  Dorsallappens  nach  Richerand  sezt  man  bei  stark  zurück- 
gezogener Haut  das  Messer  mit  der  Spitze  etwas  unter  dem  Griffelfortsaze 
des  einen  Vorderarmknochens  ein ,  führt  es  an  der  einen  Seite  der  Hand- 
wurzel erst  gerade  abwärts,  dann  in  einem  nach  abwärts  gekehrten  Bogen 
über  die  Gelenkenden  der  Mittelhandknochen  zur  andern  Seite  der  Hand- 
wurzel und  an  dieser  zum  andern  Griffelfortsaze  aufwärts,  löst  diesen  Haut- 
lappen nebst  möglichst  vielem  Zellgewebe,  doch  ohne  die  Sehnen,  bis  zum 
Gelenk  ab  ,  trennt  dieses  wie  vorhin ,  und  schneidet  die  Weichtheile  der 
Volarseite  in  einem  Schnitte  quer  durch.  —  Behufs  der  Ausführung  des 
doppelten  Lappenschnittes  macht  W  a  1 1  h  e  r  bei  pronirter  Hand 
über  den  Handrücken  von  einem  Rande  des  Handwurzelgelenkes  zum  an- 
dern einen  nach  unten  convexen  Bogenschnitt  durch  Haut  und  Zellgewebe, 
trennt  den  Lappen  von  der  aponeurotischen  Fascie  bis  zum  Gelenke  los, 
supinirt  dann  die  Hand  und  bildet  an  der  Volarseite  einen  eben  solchen 
Lappen,  dessen  Endpunkte  mit  denen  des  ersten  zusammenfallen ;  endlich 
trennt  er ,  wie  beim  Zirkelschnitt  angegeben ,  die  Gelenkbänder  und  Seh- 
nen. —  Zu  unterbinden  sind  die  A.  radialis,  ulnaris  und  interos- 
s  e  a.  Die  Wunde  wird  so  vereinigt ,  dass  in  ihren  Winkeln  die  beiden 
Knochen  liegen. 

Exarticulatio  manus  in  carpo.  Einen  Fall  von  Exarticula- 
tion  zwischen  den  beiden  Reihen  der  Handwurzelknochen  nach  kreisför- 
miger Durchschneidung  der  Weichtheile  berichtet  A.  Cooper.  Sie  ist 
nicht  nachahmungswerth. 

4.  Exarticulation  der  Mittelhandknochen.  Exarti- 
culatio ossium  metacarpi.  Bei  der  Auslösung  der  Mittelhand- 
knochen sizt  der  Kranke  und  hält  den  Vorderarm  vom  Körper  entfernt ; 
ein  an  der  äussern  Seite  stehender  Gehülfe  umfasst  die  Handwurzel,  zieht 
die  Haut  zurück  und  comprimirt  zugleich  die  A.  r  a  d  i  a  1  i  s  und  ulnaris, 
oder  bei  der  Exarticulation  des  1.  oder  5.  Mittelhandknochens  nur  eine 
derselben.  Ein  zweiter  Gehülfe  hält  die  Finger  der  kranken  Hand.  — 
Die  Operation  wird  mittelst  des  Lappen-  oder  Ovalschnittes  gemacht  und 
differirt  je  nach  dem  auszulösenden  Knochen,    a)  Exarticulation  des 


AMPUTATION  IN  DER  CONTIGUITAET.  65 

Daumens.  Nach  Scoutetten  macht  man  behufs  des  Ovalschnittes, 
eine  Linie  über  dem  Carpalgelenke  anfangend,  einen  schief  bis  zur  Ulnar- 
seite  des  ersten  Gelenkes  des  Daumens  über  die  Palmarfalte  gehenden  und 
auf  der  entgegengesetzten  Seite  bis  zum  Anfangspunkt  zurücklaufenden 
Schnitt  durch  die  Haut,  trennt  die  Muskeln  vom  Knochen  auf  beiden  Sei- 
ten ab ,  schneidet  das  Carpalgelenk  ein ,  renkt  den  Kopf  des  Metacarpus 
aus ,  indem  man  auf  sein  unteres  Ende  drückt ,  und  trennt  denselben  vol- 
lends von  den  an  der  unteren  Fläche  anhangenden  Muskeln.  Den  Lap- 
penschnitt macht  man  nach  v.  W  a  1 1  h  e  r  so  :  die  Hand  ist  in  Prona- 
tion ,  der  Daumen  wird  abgezogen.  Man  schneidet  mit  senkrecht  gehal- 
tenem Messer  in  die  Weichtheile  zwischen  Daumen  und  Zeigefinger  nahe 
dem  ersteren  ein  ,  führt  es  dicht  am  1 .  Mittelhandknochen  fort ,  umgeht 
dessen  dickeres  Ende,  ohne  es  mit  dem  Messer  zu  verlassen,  um  die  Art. 
radialis  und  das  Gelenk  des  Metacarpus  secundus  nicht  zu  ver- 
lezen ,  abducirt  den  Daumen  so  stark  als  möglich  und  dringt  in  das  ge- 
spannte Gelenkband  des  Metacarpus  mit  dem  Os  multangulum  m  a  - 
j  u  s  ein.  So  wie  man  durch  das  Gelenk  dringt ,  was  mit  der  Spize.  des 
Messers  geschehen  muss  ,  abducirt  man  den  Daumen  immer  mehr ,  beugt 
ihn  selbst  ganz  zurück,  um  das  Gelenk  von  der  Radialseite  einschneiden 
und  längs  der  lezten  herabgehen  zu  können.  Mit  diesem  Ausschneiden 
wird  ein  Lappen  gebildet ,  der  den  ersten  Schnitt  zu  decken  vermag. 
Z  a  n  g  bildet  den  Lappen  durch  Einstechen  des  Messers  an  der  Radial- 
seite des  Metacarpus.  —  b)  Beim  Mittelhandknochen  des  Zeige- 
fingers macht  man  den  Ovalschnitt  wie  bei  dem  des  Daumens,  indem 
man  das  Messer  zuerst  bis  zur  Mitte  der  Falte  an  der  Volarfläche  des 
Fingergelenkes  führt ,  dann  von  der  andern  Seite  her  wieder  in  den  End- 
punkt des  Schnittes  einsezt  und  schräg  zu  dessen  Anfangspunkt  zurück- 
geht. Zur  Trennung  des  Gelenkes  sezt  man  in  dieses  die  Messerspitze  an 
der  Radialseite  ein,  trennt  das  äussere  Seitenband,  zieht  das  Messer  zurück 
und  führt  es  bei  auseinander  gezogener  Wunde  quer  über  das  Gelenk 
durch  das  hintere  Ligament,  sticht  dann  die  Spize  bei  aufwärts  gerichteter 
Schneide  schräg  zwischen  dem  2.  und  3.  Mittelhandknochen  ein,  erhebt 
das  Messer  zum  Rechtwinkel ,  durchschneidet  so  das  Zwischenknochen- 
band und  trennt  endlich  den  Rest  der  Kapsel  von  den  Muskelfasern.  — 
Der  Lappenschnitt  wird  nach  v.  Walther  wie  beim  ersten  Mittel- 
handknochen gemacht.  —  c)  Beim  3.  und  4.  Mittelhandknochen 
macht  man  den  Ovalschnitt  wie  beim  Zeigefinger ;  die  betreffenden  Ge- 
lenke liegen  gegenüber  der  bei  der  Flexion  des  Daumens  erscheinenden 
Hervorragung  des  obern  Endes  des  4.  Mittelhandknochens.  —  d)  Beim 
5.  Mittelhandknochen  macht  man  den  Oval  schnitt  wie  am 
Zeigefinger.  Zur  Trennung  des  Gelenkes  richtet  man  bei  auseinander- 
gezogenen Wundlefzen  die  Schneide  nach  einer  von  der  Spize  der  Apo- 
physe  des  5.  zum  Kopfe  des  2.  Mittelhandknochens  gezogenen  Linie, 
trennt  so  das  innere  Ligament ,  dann  in  die  Quere  das  obere  und  zulezt 
Bürger,  Chirurgie.  5 


66  AMPUTATION  IN  DER  CONTIGUITAET. 

das  Zwischenknochenband,  indem  man  das  Messer  mit  aufwärts  gewand- 
ter Spitze  zwischen  die  Gelenkflächen  des  4.  und  5.  Knochens  einsticht 
und  es  in  senkrechter  Richtung  erhebt.  —  Lappenschnitt.  Wal- 
ther operirt  wie  beim  Daumen ,  indem  er  einen  Ulnarlappen  bildet.  — 
e)  Exarticulation  sämmtlicher  Mittelhandknochen.  Man 
macht  i/o  Zoll  unter  den  obern  Enden  aller  Mittelhandknochen  von  dem 
Carpalgelenke  des  Daumens  bis  zu  dem  des  kleinen  Fingers  einen  halben 
Kreisschnitt  auf  dem  Handrücken  durch  die  Haut  und  Strecksehnen,  lässt 
sie  zurückziehen  ,  schneidet  von  links  nach  rechts  und  bei  sich  allmälig 
verstärkendem  Drücken  der  Finger  nach  unten  die  Carpalgelenke  ein  und 
durch  und  bildet  aus  dem  Ballen  des  Daumens  und  kleinen  Fingers  einen 
hinreichend  langen,  jedoch  nicht  zu  dicken  Lappen.  —  f)  Exarticula- 
tion der  4  letztenMittelhandknochen  mit  Erhaltung  des  Dau- 
mens. Nach  Main  g au lt  wird  bei  supinirter  Hand  ein  kleines  zweischnei- 
diges Messer  an  der  Ulnarseite  des  5.  Metacarpalgelenkes  ein-  und  bei 
jenem  des  Zeigefingers  ausgestochen  und  durch  schiefes  Ausschneiden  nach 
unten  ein  Lappen  gebildet  und  an  seiner  Basis  die  Haut  und  die  Sehnen 
des  Handrückens  mittelst  eines  halben  Kreisschnittes  getrennt ,  die  Ge- 
lenke von  der  Ulnarseite  aus  ein-  und  durchgeschnitten,  wobei  die  Mittel- 
handknochen immer  mehr  nach  unten  gedrückt  werden.  —  g)  Exarti- 
culation mehrerer  äusserer  Mittelhandknochen.  Man 
kann  die  2  oder  3  letzten  Mittelhandknochen  mittels  eines  Volar-  oder 
Dorsallappens  entfernen ,  indem  man  zuerst  den  Zwischenknochenschnitt 
und  dann  einen  gleich  langen  Längenschnitt  an  der  Ulnarseite  des  5.  Me- 
tacarpus  macht  und  beide  Schnitte  auf  dem  Rücken  durch  einen  von  den 
Carpalgelenken  mehr  oder  weniger  entfernten  Querschnitt  vereinigt ,  die 
Haut  mit  den  unterliegenden  Sehnen  zurückpräparirt ,  die  Gelenke  trennt 
und  den  Volarlappen  bildet.  —  Mit  den  einzelnen  Mittelhandknochen 
wurden  auch  nöthigenfalls  die  entsprechenden  Handwurzelknochen  mit 
weggenommen.  —  Verband.  Nicht  immer  ist  zur  Blutstillung  die  Li- 
gatur nöthig.  Die  Wunde  vereinigt  man  nach  dem  Ovalschnitt  zu  einer 
Längenspalte,  nach  dem  Lappenschnitte  5  0,  wie  es  im  allgemeinen  Theile 
angegeben  wurde.  Es  handelt  sich  besonders  davon,  Eiterstockungen  und 
Senkungen  zu  verhüten. 

5)  Exarticulation  der  Finger,  Exarticulatio  digi- 
torum  man  us.  Die  Exarticulation  der  Finger,  geschieht  im  Gelenke 
des  1.  Fingergliedes  mit  dem  Mittelhandknochen  und  betrifft  einen  oder 
mehrere  Finger  zugleich.  —  a)Die  Exarticulation  eines  ein- 
zelnen Fingers  geschieht  mittels  des  Lappen-,  Oval-,  Zirkel-  oder 
Schrägschnittes.  —  Vorkehrung  gegen  die  Blutung  ist  nicht  nöthig ;  ein 
Gehülfe  umfasst  den  vorgestreckten  Arm  mit  beiden  Händen  an  der  Mit- 
telhand ,  ein  anderer  hält  vom  kranken  Finger  die  benachbarten  ab. 
—  Lappenschnitt,  aa)  Bildung  eines  Vorlarlappens  nach 
R  u  s  t.     Bei  in  Pronation  gesezter  Hand  fasst  man  den  kranken  Finger, 


AMPUTATION  IN  DER  CONTIGUITAET.  67 

sucht  die  Stelle  des  Gelenks  und  trennt  zu  beiden  Seiten  (beim  Zeige- 
und  kleinen  Finger  nur  an  einer  Seite )%  die  ihn  mit  den  benachbarten 
Fingern  verbindenden  Hautfalten  durch  zwei  Längenschnitte,  welche  nahe 
an  ihm  mit  senkrecht  gehaltenem  Messer  bis  einige  Linien  von  dem  Ge- 
lenke geführt  werden ;  man  vereinigt  deren  Endpunkte  durch  einen  Quer- 
schnitt an  der  Dorsalseite  ,  lässt  die  Haut  retrahiren,  schneidet  die  Sehne 
des  Streckmuskels  durch  und  öffnet  das  Gelenk  durch  einen  queren  Schnitt, 
Nun  dringt  man  mit  der  Messerspize  ins  Gelenk ,  trennt  bei  aufwärts  ge- 
richteter Schneide  von  innen  nach  aussen  die  Seitenbänder  und  flectirt 
das  Glied  so  stark ,  dass  sein  Gelenkende  nach  oben  tritt ,  führt  darauf 
das  Messer  durch  das  Gelenk  und  dicht  an  der  Volarfläche  des  Knochens 
abwärts,  bildet  so  einen  hinreichend  grossen  Lappen  und  schneidet  zulezt 
die  Weiehgebilde  quer  durch.  Beim  Daumen  bedarf  es  der  Längen- 
schnitte an  der  Seite  nicht ,  sondern  man  maclit  sogleich  den  Dorsalquer- 
schnitt, bb)  Einen  Dorsallappen  macht  man  nur,  wenn  die  Zerstö- 
rung der  Weichtheile  auf  der  Volarfläche  einen  Lappen  hier  zu  bilden 
nicht  erlaubt.  Beim  Mittel-  und  Ringfinger  macht  Zang,  wie  oben  an- 
gegeben ,  die  beiden  seitlichen  Längenschnitte  ,  doch  so  ,  dass  sie  in  der 
Volarfläche  V förmig  zusammenlaufen,  verbindet  sie  durch  einen  4  Linien 
vor  dem  Gelenk  auf  dem  Rücken  gemachten  Querschnitt,  trennt  bei  retra- 
hirter  Haut  den  vordem  und  die  seitlichen  Theile  der  Gelenkkapsel  und 
durchschneidet  endlich  deren  Volartheil ,  indem  er  das  Messer  senkrecht 
mit  dem  Griff  nach  oben  hält  und  in  einem  flachen ,  gegen  die  Phalanx 
gerichteten  Bogen  von  einem  Längenschnitte  zum  andern  führt.  — 
cc)  Bildung  zweier  Lappen.  Walther  sezt,  um  Seitenlappen  zu 
bilden,  das  Messer  senkrecht  in  der  gespannten  Fingerfalte  auf,  führt  es 
sogleich  gegen  den  Knochen  und  dann  längs  desselben  hinauf  bis  zum 
Gelenk,  luxirt  den  Kopf  der  Phalanx  ,  geht  durch  das  Gelenk  und  bildet 
an  der  entgegengesezten  Seite  einen  zweiten  ,  dem  ersten  an  Gestalt  und 
Ausdehnung  ähnlichen  Lappen.  —  Ovalschnitt.  Nach  Scoutet- 
t  e  n  sticht  man  die  Spize  des  Messers  über  dem  Gelenk  ein  ,  senkt  die 
Schneide  und  führt  den  Schnitt  schräg  von  der  Mitte  des  Gelenkes  bei 
der  linken  Hand  über  die  Ulnar- ,  bei  der  rechten  über  die  Radialseite 
des  Fingers  bis  3  Linien  oberhalb  der  Commissur,  endet  ihn  an  derVolar- 
seite  nahe  der  Gelenkfalte  und  macht  dann ,  vom  unteren  Wundwinkel 
beginnend  ,  einen  2 .  schrägen  Schnitt  über  die  andere  Seite  des  Fingers 
bis  in  den  Anfang  des  erstem.  Dann  durchschneidet  man  das  Zellgewebe, 
die  Flechse  des  Streckmuskels  ,  ferner  bei  zurückgebeugtem  Finger  die 
weichen  Theile  an  der  Volarseite  des  Gelenkes  und  endlich  die  seitlichen 
Bänder.  —  Zirkelschnitt.  Nach  C  o  r  n  u  a  u  sezt  man  die  Ferse  des 
Bistouris  auf  die  Palmarseite  und  schneidet  die  Haut  auf  gleicher  Höhe 
in  einem  Kreisschnitte  ein,  der  Gehülfe  zieht  sie  zurück,  wobei  man  sie 
vollends  frei  macht ;  dann  schneidet  man  die  vordere  Seite  des  Gelenkes 
ein,  luxirt  den  Kopf  der  Phalanx  und  endigt  mit  der  Trennung  derSeiten- 

5* 


68  AMPUTATION  IN  DER  CONTIGUITAET. 

ligamente.  —  Schrägschnitt.  Man  sticht  ein  Scalpell  genau  am  Ge- 
lenk in  der  Mitte  seiner  Dorsalseite  bis  auf  den  Knochen  ein  ,  führt  es 
schräg  über  die  Ulnarseite  des  Fingers  zur  Volarseite  und  endigt  den 
Schnitt  in  der  Mitte  der  Commissur  ,  den  Wundzipfel  bildend.  Nun  sezt 
man  das  Messer  von  der  Radialseite  her  mit  vor-  und  abwärts  gerichteter 
Spize  wieder  in  die  Wunde  ein  und  führt  den  Schnitt  über  die  Radial- 
seite schräg  zum  Anfang  der  ersten  Incision  hin.  Die  Auslösung  des  Ge- 
lenkes geschieht  von  der  Dorsalseite  her. —  b)  Exarticulation  der 
4  Finger  mit  Ausnahme  des  Daumens  nach  L  is  fr  an  c.  Die  Hand 
wird  in  Pronation  gehalten,  die  Haut  des  Handrückens  zurückgezogen  und 
gespannt ,  die  Finger  etwas  gebeugt  und  vom  Operateur  gefasst ;  man 
macht  1  Finger  breit  unter  den  Hervorragungen  der  Mittelhandknochen 
einen  nach  unten  leicht  convexen  Schnitt  über  die  Dorsalseite  der  Finger- 
gelenke ,  der  die  Haut  gleichmässig  trennt ,  indem  die  Spize  des  Messers 
in  den  Vertiefungen  zwischen  den  Fingern  nachhilft ;  die  Haut  wird  dann 
zurückgezogen  und  an  ihrer  Grenze  die  Strecksehnen  getrennt  und  dann 
bei  vermehrter  Beugung  der  4  Finger  die  Gelenke  ;  unter  der  stärksten 
Beugung  bildet  man  endlich  den  bis  an  die  Palmarfalten  gehenden  Lap- 
pen. —  Sind  nur  2  oder  3  Finger  zu  exarticulirenT  so  umgeht  man  diese 
zuerst  an  der  Volar-,  dann  an  der  Dorsalseite  mit  2  in  der  obigen  Rich- 
tung geführten  Schnitten.  —  Verband.  Zur  Blutstillung  reicht  meist 
kaltes  Wasser  hin.    Der  Verband  geschieht  nach  S.  4  8. 

6)  Exarticulation  der  Phalangen,  Exarticulatio 
phalangum  digitorum  manus.  Die  Ablösung  der  Fingerglieder 
geschieht  hier  in  der  Verbindung  der  1»  und  2.  oder  der  2.  und  3.  Pha- 
lanx. —  Die  in  Pronation  gebrachte  Hand  wird  von  einem  seitwärts  ste- 
henden Gehülfen  gehalten  und  von  ihm  die  andern  Finger  entfernt  oder 
gebeugt.  Der  Operateur  fasst  mit  der  linken  Hand  die  zu  entfernende 
Phalanx  und  hält  ein  kleines  ,  schmales  ,  gerades  Bistouri  in  der  rechten. 
Die  Operation  geschieht  mittels  des  Lappen-,  Zirkel-  und  Schrägschnittes. 
—  Lappenschnitt.  Der  einfache  (Volar-)  Lappen  passt  für 
alle  Phalangengelenke  und  wird  nach  L  o  d  e  r  u.  A.  so  gebildet :  man 
fasst  die  kranke  Phalanx ,  beugt  sie  und  zieht  eine  Linie  unter  der  Her- 
vorragung des  Gelenkes  von  rechts  nach  links  einen  Querschnitt  auf  der 
Dorsalfläche,  durch  den  man  das  Gelenk  öffnet ;  unter  verstärkter  Beu- 
gung schneidet  man  dann  mit  der  Spize  des  Messers  die  Seitenbänder 
durch,  geht  mit  flach  gehaltener  Klinge  durch  das  Gelenk  und  bildet 
einen  4 — 5  Linien  langen  Vorlarlappen ,  den  man  vor  seiner  Vollendung 
über  den  Gelenkkopf  anlegen  kann  ,  um  seine  richtige  Länge  auszumit- 
teln.  Die  Bildung  eines  Dorsallappens  ist  nur  angezeigt,  wenn  man 
bei  der  Exarticulation  der  2.  Phalanx  wegen  der  Zerstörung  ihrer  Volar- 
haut  keinen  untern  Lappen  bilden  kann.  —  Behufs  des  doppelten 
Lappenschnittes  macht  man  an  jeder  Seite  einen  Längenschnitt, 
verbindet   diese  an  ihren  Endpunkten  durch  einen  Kreisschnitt ,   löst  den 


AMPUTATION   IN  DER  CONTIGUITAET.  69 

dadurch  umschnittenen  Volar  -  und  Dorsallappen  bis  zum  Gelenk ,  und 
trennt  dieses.  Oder  man  bildet  den  Dorsallappen  auf  die  angegebene 
Weise  und  schneidet  nach  Eröffnung  des  Gelenkes  den  Vorlarlappen,  wie 
oben  gezeigt  wurde,  aus.  —  Zirkelschnitt.  Dieser  wird  bei  zurück- 
gezogener Haut  etwas  unterhalb  des  Gelenkes  durch  die  weichen  Theile 
geführt,  worauf  man  diese  noch  mehr  zurückziehen  lässt  und  die  durch 
Beugung  des  Gliedes  angespannte  Kapsel  nebst  den  Sehnen  durchschnei- 
det. —  Der  Schrägschnitt  wird  ganz  so,  wie  bei  der  Exarticulation 
eines  ganzen  Fingers  gemacht.  —  Die  Gefässe  bedürfen  selten  der  Unter- 
bindung. —  Der  Verband  geschieht  nach  S.  4  8. 

7)  Exarticulation  des  Oberschenkels,  Exarticula- 
tio  femoris-  Bei  der  Auslösung  des  Oberschenkels  aus  dem  Hüftge- 
lenke liegt  der  Kranke  wie  bei  der  Amputation  dieses  Knochens  ,  jedoch 
mit  dem  Stamme  fast  horizontal  mit  freien  Hinterbacken  und  je  nach  der 
Methode  auf  der  gesunden  Seite  ,  dem  Rücken  oder  dem  Bauche.  Die 
A.  cruralis  wird  auf  dem  Schambeine  comprimirt  oder ,  wo  dies  nicht 
sicher  geschehen  kann  ,  vor  der  Operation  gleich  unter  dem  Poupart'- 
schen  Bande  blossgelegt  und  unterbunden.  Die  Gehülfen  werden  wie  bei 
jener  Amputation  angestellt ;  der  Operateur  steht  meistens  an  der  äussern 
Seite  des  Schenkels.  Die  Operation  wird  mittels  des  Oval- ,  Lappen-, 
Schräg-,  Zirkel-  und  Trichterschnittes  gemacht ;  der  erstere  verdient  im 
Allgemeinen  den  Vorzug.  —  Ovalschnitt  nach  S  cou  te  tt  en.  Der 
Kranke  liegt  auf  der  gesunden  Seite ,  der  Operateur  sticht  oberhalb  der 
Spize  des  grossen  Trochanters  die  Spize  eines  grossen  zweischneidigen 
Messers  perpendiculär  ein,  senkt  sogleich  die  Schneide,  führt  einen  Schnitt 
4  Querfinger  unter  der  Inguinalfalte  und  mit  dieser  parallel  nach  vorn 
und  innen  und  geht  um  das  Glied  ,  indem  er  die  Theile  möglichst  tief 
durchschneidet.  Dann  sezt  er  das  Messer  mit  nach  unten  und  hinten  ge- 
haltener Spize  an  der  innern  Seite  des  Schenkels  im  untern  Winkel  des 
ersten  Schnittes  an  und  führt  es  schräg  nach  hinten  und  wieder  in  den 
Anfang  des  ersten  Schnittes  zurück ;  nun  wiederholt  er  diese  Schnitte 
behufs  der  gänzlichen  Trennung  der  Weichtheile  und  durchschneidet  end- 
lich ,  indem  er  wechselsweise  die  Wundlefzen  abziehen  lässt ,  die  noch 
übrigen  Muskelfasern  ,  um  zum  Gelenke  zu  kommen.  Die  Kapsel  durch- 
schneidet er  mit  senkrecht  gehaltener  Schneide,  dringt  auf  den  Schenkel- 
kopf ein ,  senkt  das  Glied,  dreht  die  Fussspize  nach  aussen  und  durch- 
schneidet das  Ligamentum  teres  mit  der  Messerspize  ,  ohne  aber 
mit  dieser  tiefer  in  die  Gelenkpfanne  einzudringen.  Nun  erhebt  er  den 
Schenkel,  um  dessen  Kopf  herauszuheben ,  geht  um  diesen  mit  voller 
Schneide  herum  und  trennt  den  Rest  der  Kapsel  und  die  noch  adhäriren- 
den  Muskelfasern.  —  Lappenschnitt.  Der  einfache  Lappen- 
schnitt wird  oft  wegen  theilweiser  Zerstörung  der  Weichtheile  nöthig. 
a)  Einen  vordernLappen  bildet  B  a  u  d  e  n  s  :  während  der  Kranke  auf 
dem  Rücken  liegt  und  das  Glied  etwas  flectirt  ist,  spannt  man  mit  der  Linken 


70  AMPUTATION  IN  DER  CONTIGUITAET. 

die  Haut  an  der  vordem  Seite  gut  an  und  zieht  sie  nach  vorn  zusammen  ; 
alsdann  sticht  man  beim  rechten  Schenkel ,  an  der  innern  Seite  stehend, 
ein  zweischneidiges  Messer  in  die  innere  Seite  des  Oberschenkels  ,  etwa 
1  Zoll  von  der  zwischen  ihm  und  dem  Damme  befindlichen  Furche  ein, 
führt  es  dicht  am  Schenkelhalse  hin,  um  die  Gelenkkapsel  zu  öffnen,  und 
lässt  seine  Spize  zwischen  dem  grosser  Trochanter  und  der  vordem  untern 
Darmbeingräte  heraustreten,  zieht  es  nun  dicht  an  der  vordem  Fläche  des 
Femur  herab  und  bildet  einen  7 — 8  Zoll  langen  Lappen.  Vor  dem  Aus- 
schneiden comprimirt  ein  Gehülfe  die  Gefässe  im  Lappen,  welchen  er  dann 
in  die  Höhe  hält ;  man  trennt  nun  vollends  das  Kapselband  und  L  i  g. 
t  e  r  e  s  ,  renkt  den  Gelenkkopf  aus  und  schneidet  die  hintere  Muskelmasse 
längs  der  Furche  zwischen  Oberschenkel  und  Hinterbacken  in  grossen 
Zügen  durch ,  wobei  man  mehr  Haut  als  Muskelmasse  erhält.  Am  linken 
Schenkel  sticht  man  das  Messer  von  der  äussern  Seite  her  durch.  — 
b)  Behufs  der  Bildung  eines  hintern  Lappens  liegt  der  Kranke  auf 
dem  Bauche,  dann  werden  2  —  3  Querfinger  unter  dem  Sizknorren  die  an 
der  hintern  Seite  des  Schenkels  befindlichen  weichen  Theile  quer  durch- 
schnitten ,  dieselben  retrahirt  und  nachdem  die  am  Trochanter  sich  an- 
sehenden Muskeln  bis  zum  Gelenke  abgelöst  sind,  in  der  Form  eines  Lap- 
pens in  die  Höhe  geschlagen  ;  ferner  wird  das  Gelenk  getrennt ,  die  Mus- 
keln der  innern  vordem  Schenkelseite  durchschnitten  und  die  Wunde 
durch  den  nach  vorn  und  oben  gebrachten  hintern  Lappen  gedeckt.  — 
Weiter  wurde  noch  ein  innerer  vorderer  und  ein  innerer  hinterer  Lappen 
gebildet.  —  Doppelter  Lappenschnitt.  a)  Für  die  Bildung 
eines  innern  und  äussern  Lappens  gab  Larrey  das  beste  Ver- 
fahren an.  Derselbe  stellt  sich  zwischen  die  Schenkel  desauf  dem  Kücken 
liegenden  Kranken  ,  unterbindet  die  A  r  t.  und  Yen.  crualis  am  L  i  g. 
Poupartii,  sticht  von  dieser  Wunde  aus  ein  zweischneidiges  Messer 
senkrecht  zwischen  den  am  kleinen  Trochanter  adhärirenden  Flechsen  und 
der  Basis  des  Schenkelhalses  nach  hinten  durch  und  dem  Einstichpunkte 
gerade  gegenüber  aus ,  richtet  die  Schneide  dann  schräg  nach  innen, 
schneidet  mit  einem  Zuge  alle  an  der  innern  Seite  gelegenen  Weichtheile 
durch  und  bildet  so  einen  innern ,  jedoch  nicht  zu  grossen  Lappen.  Die- 
sen lässt  er  gegen  die  Schamgegend  hin  zurückhalten  ,  unterbindet  etwa 
blutende  Arterien  (die  A.  obturatoria,  Aeste  der  Profunda),  ab- 
ducirt  dann  das  Glied ,  trennt  mit  einem  Bistouri  den  innern  Theil  des 
Kapselbandes  ,  dann  das  L  i  g.  t  e  r  e  s  und  luxirt  den  Schenkelkopf  nach 
innen.  Nun  bringt  er  die  Schneide  des  Messers  zwischen  Pfanne  und 
grossen  Trochanter ,  führt  es  nach  unten  und  aussen  und  bildet  so  den 
äussern  Lappen ,  indem  er  mit  dem  Trochanter  fast  wagerecht  bleibt.  — 
Auch  ein  vorderer  und  hinterer  Lappen  wird  gebildet.  —  Schräg- 
schnitt. Der  Kranke  liegt  auf  dem  Rücken  ,  der  Operateur  steht  an 
der  innern  Seite  .des  Gliedes  ,  und  führt  das  Messer  um  die  hintere  und 
äussere  Seite  desselben  zum  grossen  Trochanter ,  an  dessen  hinterer  Ecke 


AMPUTATION  IN  DEft  CONTIGUITAET.  71 

man  es  schräg  bis  auf  das  Gelenk  einsticht  und ,  es  durch  die  hinteren 
Weichtheile  bis  zur  innern  Seite  führend,  etwa  6  Zoll  unter  dem  Gelenke 
ausschneidet.  Darauf  sezt  man  das  Messer  im  ersten  Einstichspunkte  wie- 
der schräg  ein ,  dringt  gegen  den  Gelenkkopf  hin ,  öffnet  die  Kapsel, 
durchschneidet  das  Lig.  teres,  renkt  .den  Schenkelkopf  aus  und  geht 
mit  dem  Messer  durch  das  Gelenk ,  um  den  Rest  des  Zusammenhanges 
längs  der  ersten  Schnitte  zu  trennen.  —  Zirkelschnitt.  Nach  Aber- 
nethy  macht  der  an  der  Aussenseite  des  Gliedes  stehende  Wundarzt 
einige  Zoll  unter  dem  Gelenke  den  doppelten  Zirkelschnitt ,  trennt  die 
Muskeln  vom  grossen  und  kleinen  Trochanter,  schneidet  die  Kapsel  ein, 
luxirt  den  Knochen  und  schneidet  das  Lig.  teres  durch.  —  Trichter- 
schnitt. Nach  Gräfe  macht  man  bei  etwas  gebeugtem  Oberschenkel 
den  Hautkreisschnitt  3 — 4  Querfinger  unter  dem  Trochanter  und  nach 
Zurückziehung  der  Haut  mit  dem  schief  nach  oben  gerichteten  convexen 
Theile  seines  Blattmessers  den  Muskelschnitt  bis  zum  Halse,  lässt  die  Mus- 
keln mit  den  Händen  zurückziehen  und  wiederholt  den  Kreisschnitt,  worauf 
der  Oberschenkel  nach  aussen  gedreht,  dann  die  Kapsel  unten  und  aussen 
getrennt ,  der  Kopf  aus  der  Pfanne  gedreht  und  endlich  die  Muskel-  und 
Sehnenmasse  am  äussern  Theile  der  Kapsel  und  hinter  dem  Trochanter 
getrennt  wird.  —  Verband.  Zu  unterbinden  sind  die  A.A.  crualis, 
profunda  femoris,  obturatoria,  circumflexa  int.  et  ext., 
ischiadica,  die  Aeste  der  A.  glutaeasuperior  und  auch  wohl 
noch  andere  ;  auch  die  V  e  n.  crualis  muss  unterbunden  werden.  Die 
Wunde  wird  nach  dem  Ovalschnitte  zu  einer  senkrechten  Spalte,  nach  den 
andern  Methoden  nach  Seite  4  8  vereinigt  und  mit  einigen  blutigen  Heften 
geheftet. 

8)  E  xarticulation  im  Kniegelenk,  E  xar  ticulatio 
cruris  s.  genu.  Die  Ablösung  des  Unterschenkels  aus  dem  Kniegelenke 
ist  nach  T  e  x  t  o  r  namentlich  indicirt ,  wenn  bei  zerstörtem  Knochen  die 
Weichtheile  an  der  vordem  Fläche  des  Unterschenkels  verdorben,  dagegen 
an  der  hintern  noch  tauglich  sind.  Sie  verwundet  aber  sehr,  verheilt  lang- 
sam ,  gibt  gern  zu  Eiteransammlungen ,  Ulcerationen  und  Fistelbildung 
Anlass,  weswegen  man  zweckmässiger  die  Amputatio  femoris  macht. 
—  Die  Kniescheibe  muss  wo  möglich  erhalten  werden.  —  Die  Operation, 
bei  der  die  Vorbereitung  wie  bei  der  Amputatio  femoris  ist,  wird 
mittels  des  einfachen  oder  doppelten  Lappenschnittes ,  des  Zirkel  -  oder 
Ovalschnittes  gemacht.  —  Einfacher  Lappenschnitt.  Brasdor 
und  Lange nbeck  machen,  lezterer  bei  flectirtem Knie,  um  die  vordere 
Hälfte  des  Gelenkes  einen  halben  Kreisschnitt ,  der  mit  aufwärts  gerich- 
teter Convexität  oberhalb  der  Mitte  der  Kniescheibe  verläuft ,  lassen  die 
Haut  heraufziehen,  fassen  die  Kniescheibe,  heben  sie  auf,  sezen  hinter  ihr 
das  Messer  quer  gegen  das  Gelenk  an,  trennen  sämmtliche  Gelenkbänder, 
während  das  Knie  immer  stärker  flectirt  wird  und  führen  dann  das  Messer 
dicht  hinter  den  Unterschenkelknochen  herab,   um   einen    4  Querfinger 


72  AMPUTATION  IN  DER  CONTIGUITAET. 

breiten  Lappen  zu  bilden.  —  Doppelter  Lappenschnitt.  Tex- 
tor lässt  den  Unterschenkel  strecken ,  die  Haut  stark  nach  oben  ziehen 
und  macht  einen  nach  unten  convexen  Schnitt ,  von  einer  Tuberosität  der 
Tibia  zur  andern,  beugt  dann  den  Unterschenkel  und  durchschneidet  zuerst 
das  Kniescheibenband,  dann  die  Seiten-  und  Kreuzbänder,  wobei  die  halb- 
mondförmigen Knorpel  sizen  bleiben.  Nun  wird  ein  grösseres  Messer  dicht 
an  der  hintern  Flache  des  Schien  -  und  Wadenbeines  herabgeführt  und 
ein  hinterer  Lappen  gebildet.  —  Zirkelschnitt.  Nach  V  e  1  p  e  a  u 
wird  bei  gestrecktem  Knie  die  Haut  3 , —  4  Fingerbreiten  unter  der  Knie- 
scheibe kreisförmig  durchschnitten,  bis  zum  Gelenk  abgelöst  und  zurück- 
gezogen ,  dann  das  Kniescheibenband  und  die  Gelenkverbindungen  von 
vorn  nach  hinten  bei  massiger  Beugung  des  Knies  getrennt  und  zulezt  mit 
einem  Schnitte  durch  alle  Weichtheile  der  Kniekehle  in  gleicher  Höhe  mit 
der  retrahirten  Haut  hindurchgegangen.  —  Ovalschnitt  nach  Bau- 
d  e  n  s.  Man  soll  die  stark  zurückgezogene  Haut  in  einem  vorgezeichneten 
Oval  durchschneiden ,  dessen  vorderer  Endpunkt  3  Fingerbreiten  unter 
dem  Lig.  patellae,  dessen  hinterer  um  eine  Fingerbreite  höher  in 
der  Kniekehle  liegen ,  alsdann  wird  die  Haut  bis  zum  Gelenk  hinaufge- 
zogen  und   dieses  unter  der  Patella  nebst  den  weichen  Theilen  getrennt. 

—  Zu  unterbinden  ist  die  A.  poplitaea  und  auch  wohl  noch  klei- 
nere Arterien;  läuft  der  N.  ischiadicus  im  Lappen,  so  schneidet  man 
ihn  aus.  Die  Vereinigung  der  Wunde  nach  dem  Kreis-  und  Ovalschnitt 
geschieht  in  einer  von  vorn  nach  hinten  gehenden  Spatte. 

9.  Exarticu'l  atio-n  im  Fussgelenke,  Exarticulatio 
pedis.  Die  Abnahme  des  Fusses  im  Fussgelenke  war  lange  Zeit  von 
den  meisten  Wundärzten  der  Amputatio  cruris  nachgesezt  worden, 
unter  der  Angabe ,  dass  der  zurückkleibende  Stumpf  weder  zum  Gehen, 
noch  zum  Tragen  eines  künstlichen  Fusses  tauge.  Die  neueste  Zeit  hat 
indessen  solche  Verbesserungen  in  die  Amputationsweise  gebracht ,  dass 
die  Ansichten  über  den  Werth  dieser  Exarticulation  wesentliche  Aende- 
rungen  erlitten.  —  Die  Operation  kann  mit  dem  Zirkelschnitt ,  dem  ein- 
fachen und  dem  doppelten  Lappenschnitt  gemacht  werden.  Der  Zirkel- 
schnitt kann,  als  für  dieses  Gelenk  nicht  passend ,  übergangen  werden. 

—  Lappensehnitt.  Der  doppelte  Lappenschnitt  wird  nach 
Leveille  folgendermassen  gemacht.  Es  wird  zuerst  ein  kurzer,  halb- 
mondförmiger Dorsallappen  von  einem  Knöchel  zum  andern  gemacht  und 
nach  oben  abpräparirt ;  dann  drückt  man  den  Vorderfuss  nach  unten, 
schneidet  die  Seitenbänder  und  das  vordere  Gelenkband  ein ,  luxirt  den 
Talus  nach  vorn  und  führt  das  Messer  zwischen  der  Achillessehne  und 
dem  Fersenbeine  gegen  die  Fusssohle ,  um  einen  2  Zoll  langen  Plantar- 
lappen zu  bilden.  Syme  verfährt  folgendermassen:  An  dem  Fussrücken 
wird  ein  nach  vorn  convexer  Schnitt  geführt ,  dessen  Spize  eine  Querlinie 
berührt ,  die  mitten  durch  den  Raum  zwischen  dem  äussern  Knöchel  und 
der  Tuberosität  des  5.  Metatarsalknochens  gehen  würde.    Die  Enden  des 


AMPUTATION  IN  DER  CONTIGUITAET.  73 

Schnittes  reichen  gerade  bis  zur  Spize  beider  Knöchel.  Der  zweite  Schnitt 
reicht  von  einem  Knöchel  zum  andern  und  geht  quer  durch  die  Sohle. 
Beide  Lappen  werden  bis  zur  Höhe  des  Gelenkes  abpräparirt ;  den  hin 
tern  muss  man  sehr  vorsichtig  ablösen,  um  ihn  nicht  zu  dünn  zu  erhalten. 
Man  hüte  sich,  die  A.  tibialis  postica  vor  ihrer  Theilung  in  die  A. 
plantaris  int.  et  ext.  zu  durchschneiden,  da  dies  Brand  des  Lappens 
zur  Folge  haben  würde.  Nach  Blosslegung  des  Gelenkes  öffnet  man  das- 
selbe von  vorn  und  den  Seiten.  Das  Ende  der  Operation  bildet  die  Durch- 
schneidung der  Achillessehne.  Die  Knöchel  nimmt  man  mittels  einer  Beiss- 
zange  weg. ,  Fände  man  die  Gelenkflachen  cariös  ,  so  müsste  man  soviel 
als  nöthig  wäre ,  von  der  Dicke  der  Knochen  mit  der  Säge  wegnehmen. 
Beide  Lappen  vereinigt  man  durch  die  Naht,  nachdem  vorher  die  Arterien 
unterbunden  worden  sind.  Der  Stumpf  zeigt  eine  leicht  konische  Auftrei- 
bung, die  Spize  sieht  gerade  nach  unten  und  besteht  aus  der  Fersenhaut; 
die  lineare  Narbe  läuft  quer  und  liegt  gerade  nach  vorn.  Durch  dieses 
Verfahren,  welches  dem  Kranken  ohne  Beschwerde  zu  gehen  erlaubt,  wurde 
der  Ruf  dieser  Articulation  begründet.  Verfahren  von  J.  R  o  u  x.  Er  be- 
zweckte dabei,  die  A.A.  tibialis  postica  und  plantaris  interna 
im  Lappen  zu  erhalten,  und  den  Abfluss  des  Eiters  zu  erleichtern.  Der 
erste  Schnitt  beginnt  an  der  entferntesten  Stelle  der  äussern  Seite  des 
Fersenbeines,  geht  unter  dem  äussern  Knöchel  weg,  bildet  am  Fussrücken, 
1  Centimeter  vor  dem  Tibio-tarsalgelenke,  eine  vorn  convexe  krumme  Linie 
und  endigt  einige  Millimeter  vor  dem  innern  Knöchel.  Der  zweite  Schnitt 
geht  vom  Ende  des  ersten  aus  ,  läuft  zum  inneren  Fussrande ,  dann  zur 
Sohlenfläche ,  die  er  etwas  schief  von  vorn  und  innen  nach  hinten  und 
aussen  durchschneidet  und  endigt  an  dem  Anfangspunkte  des  ersten  Schnit- 
tes. Der  kleine  äussere  Lappen  wird  abgetrennt,  das  Gelenk  von  vorn  und 
aussen  blossgelegt ,  von  hier  aus  eröffnet  und  zulezt  trennt  man  nach  und 
nach  alle  Bänder.  Darauf  trennt  man  den  innern  untern  Lappen  ab,  zuerst 
an  der  hintern ,  dann  an  der  innern  Fläche  des  Fersenbeins  ;  hierbei  mei- 
det man  die  A.  tibia-1.  post.  und  geht  ganz  genau  hinter  dem  Ansazpunkte 
der  Achillessehne  weg ,  um  ihre  Verbindung  mit  der  Haut  nicht  ganz  zu 
vernichten,  wonach  sonst  eine  Retraction  der  Sehne  entstehen  würde.  Die 
Knöchel  werden  resecirt.  Nach  dem  Verbände  legt  man  das  Glied  auf  die 
äussere  Seite.  DerEiterabfluss  geschieht  dabei  leicht,  was  bei  demSyme- 
schen  Verfahren  nicht  der  Fall  ist ,  weshalb  bei  diesem  ein  Einschnitt  in 
das  Centrum  des  Lappens  beigefügt  werden  muss.  Morel  fügte  dem 
R  o  u  x 'sehen  Verfahren  unwesentliche  Veränderungen  hinzu.  Um  dieVer- 
lezung  der  A.  tibial.  postica  bej  Syme's  Methode  zu  verhüten,  räth 
B.  Langenbeck,  nach  Vollendung  des  über  den  Fussrücken  laufenden 
Querschnittes  das  Messer  sofort  hart  an  dem  innern  Knöchel  einzustechen 
und  hier ,  unmittelbar  am  Knochen  bleibend ,  mit  der  Spize  des  Messers 
die  Weichtheile  vom  Knochen  abzulösen.  —  Einfacher  Lappen- 
schnitt.     Kluge,   Baudens,   Velpeau   uud   Soupart   bildeten 


74  AMPUTATION  IN  DER  CONTIGUITAET. 

einen  vorderen  oder  Rückenlappen ;  da  die  Haut  am  Fussrücken  aber  dünn 
ist ,  so  taugt  sie  nicht  zum  Ertragen  des  Körpergewichtes.  Ausser  einem 
vordem  Lappen  bildet  Soupart  auch  je  einen  inneren,  einen  äusseren 
und  einen  unteren  für  den  Fall ,  dass  Affectionen  der  Weichtheile  in  der 
Umgebung  des  Gelenkes  die  Ausführung  obiger  Verfahren  nicht  zulassen. 
—  Man  hat  versucht ,  dem  Unterschenkel  nach  der  Operation ,  wenn  es 
die  Krankheit  der  Knochen  zulässt ,  eine  grössere  Länge  zu  verschaffen. 
Der  von  de  Lignerolles  und  Malgaigne  in  dieser  Beziehung  ge- 
machte Versuch,  das  Sprungbein  zu  erhalten,  ist  von  allen  Chirurgen  auf- 
gegeben worden ,  indem  die  untere  Fläche  des  Sprungbeines  durch  ihre 
Unebenheit  und  ihre  mehr  oder  weniger  convexe  Gestalt  beim  Gehen  am 
Stumpfe  einen  viel  zu  grossen  Druck  auf  einzelne  Punkte  des  Lappens 
ausübt  und  weil  die  Beweglichkeit  des  Sprungbeines  beim  Gehen  keine 
Sicherheit  gewährt.  Lisfranc  hat  dafür  ein  eigenes  Operations  verfah- 
ren angegeben ,  mit  Bildung  eines  Lappens  aus  dem  Fussrücken.  —  Ein 
bedeutenderer  Versuch,  dem  Unterschenkel  eine  grössere  Länge  zu  erhal- 
ten, ist  das  in  neuester  Zeit  von  Pirogoff  eingeführte  Verfahren,  wel- 
ches er  „osteoplastische  Verlängerung  der  Unterschen- 
kelknochen bei  der  Exarticulation  des  Fusses"  nennt. 
Das  Verfahren  unterscheidet  sich  von  demSyme's  dadurch,  dass  er  nicht 
das  Fersenbein  ausschält ,  sondern  dasselbe  in  der  Gegend  des  S  u  s  t  e  n  - 
tacul  um  tali  durchsägt.  Der  in  der  Fersenhaut  zurückbleibende  Theil 
des  Fersenbeines  (hinterer  Fortsaz  desselben)  wird  mit  der  Sägefläche 
nach  aufwärts  gegen  die  Sägefläche  der  Unterschenkelknochen  geschlagen, 
und  es  soll  durch  die  Verwachsung  der  beiden  Sägeflächen  der  Unter- 
schenkel um  die  Länge  des  zurückgebliebenen  hinteren  Fortsazes  des  Fer- 
senbeines verlängert  werden.  Man  kann  das  Fersenbein  vor  der  Exarti- 
culation im  Sprunggelenke  oder  nach  derselben  durchsägen  ;  am  Besten 
geschieht  es  nach  derselben  ,  da  im  entgegengesezten  Falle ,  wegen  der 
Stellung  des  hinteren  Fortsazes  des  Calcaneus  die  Sägefläche  schief  wird, 
so  dass  bei  der  senkrechten  Aufstellung  des  Fersenhöckers  der  hintere 
Rand  desselben  viel  zu  hoch  wird ,  wodurch  das  Aufeinanderpassen  der 
Sägeflächen  fast  gänzlich  unmöglich  wird.  Bei  der  Durchschneidung  der 
hinteren  Kapselwand  muss  man  sehr  vorsichtig  sein ,  um  nicht  die  Achil- 
lessehne zu  verlezen ,  auch  ist  es  räthlich ,  den  inneren  senkrechten  Haut- 
schnitt einige  Linien  vor  dem  Knöchel  zu  machen ,  um  die  A.  tibialis 
p  o  s  t  i  c  a  unterhalb  ihrer  Theilung  in  ihre  beiden  Plantaräste  durch- 
schneiden zu  können.  —  Die  Vortheile ,  welche  Pirogoff  seiner  Me- 
thode zuschreibt,  sind  folgende:  1)  wird  die  Achillessehne  nicht  durch- 
schnitten, hieraus  folgt,  dass  2)  die  Basis  des  hinteren  Lappens  nicht 
dünner  ist,  als  seine  Spize,  indem  die  Haut  dort  mit  der  fibrösen  Scheide 
der  Achillessehne  verbunden  bleibt ;  3)  der  hintere  Lappen  ist  nicht  kap- 
penartig ,  wie  bei  S  y  m  e  's  Methode  ,  und  seine  Form  daher  einer  Eiter- 
ansammlung weniger  günstig ;  4)  der  Unterschenkel  erscheint  nach  dieser 


AMPUTATION  IN  DER  CONTIGUITAET.  75 

Operationsweise  um  l4/2  Zoll,  ja  bisweilen  noch  mehr  länger,  als  bei  den 
übrigen  Methoden,  weil  der  hintere  Fortsaz  des  Fersenbeines,  der  im  Lap- 
pen zurückgeblieben  ist ,  indem  er  dem  unteren  Ende  der  Unterschenkel- 
knochen angeheilt  wird,  diesen  um  l1/2Zoll  verlängert  und  5)  dem  Kran- 
ken als  Stüzpunkt  dient.  —  Zwei  in  der  neuesten  Zeit  von  van  Gou- 
doever  nach  Pirogoff's  Methode  ausgeführte  Operationen  waren  vom 
vollständigsten  Erfolge  begleitet ;  bei  dem  einen  Falle,  einen  Erwachsenen 
betreffend ,  betrug  der  Unterschied  in  der  Länge  beider  Unterschenkel 
1^4  Zoll,  bei  dem  andern,  einem  6  ^jährigen  Kinde,  10 — 11  Millime- 
ter ;  mittels  eines  zweckmässigen  Schuhes  war  der  Gang  nur  wenig  auf- 
fallend. Nach  mehreren  Jahren  war  der  Stumpf  noch  vollkommen  ge- 
sund. 

10)  Exarticulatio  pedis  intarso.  Die  Exarticulation  in 
den  Fusswurzelknochen  oder  die  C  h  o  p  a  r  t  'sehe  Amputation  besteht  in 
der  Entfernung  des  vorderen  Theiles  des  Fusses  aus  den  Gelenken  zwi- 
schen der  1.  und  2.  Reihe  der  Fusswurzelknochen  oder  der  Verbindung 
des  Sprung-  und  Fersenbeines  mit  dem  Kahn-  und  Würfelbein ,  mit  Er- 
haltung der  ersten  Reihe.  —  Vorbereitung  wie  bei  der  Amputatio 
cruris.  Die  Operation  wird  mittels  des  Lappen-,  Schräg-  oder  Oval- 
schnittes gemacht.  —  Lappenschnitt.  Vor  dem Fusse  stehend,  sucht 
man  den  Höcker  des  Kahnbeines,  welcher  etwa  1  Zoll  vom  innern  Knöchel 
entfernt  an  der  innern  Seite  des  Fusses  sich  befindet ;  das  Gelenk  ist  un- 
mittelbar dahinter  (Richerand).  Oder  man  sucht  die  Tuberosilät, 
indem  man  vom  äussern  Knöchel  aus  den  äussern  Fussrand  verfolgt.  Das 
Gelenk  liegt  vor  derselben  ,  etwa  10  — 12  Linien  vom  Knöchel  entfernt. 
Auch  kann  man  die  Tuberosität  am  5.  Mittelfussknochen  fühlen,  hinter 
welcher  sich  das  Gelenk  etwa  8  Linien  entfernt  befindet  (Lisfranc). 
Endlich  findet  man  am  Fussrücken ,  1  Zoll  vom  Tibio-tarsalgelenke  ent- 
fernt, den  Kopf  des  Sprungbeines  ;  naeh  aussen  von  diesem  Kopfe  bemerkt 
man  eine  Vertiefung,  die  der  Insertion  des  M.  exten  s.  halluc.  brevis 
entspricht  (Dupuytren).  Man  merkt  sich  diese  Punkte  genau,  fasst 
den  vordem  Theil  des  Fusses  mit  der  rechten  Hand ,  deren  Daumen  auf 
den  Fussrücken  legend,  und  sticht  dann  (nach  W  a  1 1  h  e  r  und  B 1  a  s  i  u  s) 
mit  der  linken  Hand  das  mittlere  zweischneidige  Messer  beim  rechten 
Fusse  */2  Zoll  unter  dem  äussern ,  beim  linken  1  Zoll  unter  dem  innern 
Knöchel  und  etwas  vor  demselben  senkrecht  bis  auf  den  Knochen ,  neigt 
sogleich  die  Schneide  und  führt  einen  Schnitt  dem  Fussrande  parallel 
nach  vorn  bis  zu  dem  nachherigen  Querschnitt ,  fasst  ferner  den  Fuss  mit 
der  linken ,  das  Messer  mit  der  rechten  Hand ,  und  macht  am  anderen 
Fussrande  einen  eben  solchen  Schnitt,  welchen  man  mit  dem  ersten  durch 
einen  queren  verbindet ,  der  zwei  Querfinger  breit  vor  dem  Fussgelenke 
über  den  Fussrücken  bis  auf  den  Knochen  geführt  wird.  Den  so  umschrie- 
benen Lappen  trennt  man  nebst  den  Sehnen  und  allem  Zellstoff  in  langen 
Messerzügen  von  den  Knochen  bis  über  die  Exarticulationsstelle  ab,  lässt 


76  AMPUTATION  IN  DER  CONTIGUITAET. 

ihn  zurückhalten  und  sucht  sich  nochmals  die  obigen  Hervorragungen. 
Nun  trennt  man  am  innern  Fussrande  die  Verbindung  des  Os  navicu- 
lare  mit  dem  Talus,  führt  die  volle  Schneide  des  Messers  quer  über 
den  Fussrücken  und  trennt  damit ,  während  der  Vorderfuss  abwärts  ge- 
drückt wird ,  die  Verbindung  der  betreffenden  Knochen ,  welche  eine 
schwach  S  förmige  Krümmung  macht,  die  am  innern  Fussrande  nach  vorn, 
am  äussern  nach  hinten  convex  ist.  Nach  geschehener  Trennung  der 
Bänder  beugt  man  den  Vorderfuss  stärker  abwärts,  bringt  die  volle  Klinge 
unter  die  vorderen  Tarsalknochen,  umgeht  die  hier  befindlichen  Vorragun- 
gen und  führt  das  Messer ,  das  am  äussern  Fussrande  etwas  tiefer  als  am 
innern  zu  stehen  kommt,  in  sägeformigem  Zuge  bis  zum  vordem  Ende  der 
Mittelfussknochen  ,  wo  man  durchschneidet  und  so  einen  Plantarlappen 
bildet.  —  Die  Franzosen  führen  von  einer  Seite  des  Gelenkes  zur  andern 
einen  halbmondförmigen  Schnitt  über  den  Fussrücken  und  dringen  nach 
zurückgezogener  Haut  von  der  Seite  in  das  Gelenk  ein.  Langenbeck 
bildet  gar  keinen  Dorsallappen  und  Zang  will  ihn  verhältnissmässig grös- 
ser machen  ,  wenn  der  Plantarlappen  wegen  der  Zerstörung  der  weichen 
Theile  nicht  gross  genug  gemacht  werden  kann.  —  Beim  Schräg- 
schnitt lässt  man  die  Haut  gut  zurückziehen  und  den  Fuss  beugen,  stellt 
sich  an  dessen  rechte  Seite ,  führt  am  rechten  Fusse  ein  grosses  convexes 
Scalpell  um  dessen  innern  Rand  zu  dem  höchsten  Punkte  des  Kahnbeines 
und  sticht  es  hier  schräg  gerichtet  auf  einer  Linie  ein ,  welche  an  der 
Stelle  der  zu  trennenden  Gelenke  quer  über  den  Fussrücken  herüber  ge- 
dacht wird.  Dann  zieht  man  das  Messer  über  den  innern  Fussrand  an 
dem  vordersten  Theile  des  Kahnbeines  weg  zur  Planta  und  hier  längs 
einer  gegen  den  Fussrand  hin  schwach  convexen  Linie  zum  vordem  Ende 
des  3.  Mittelfussknochens,  führt  nun  das  Messer  von  der  äusseren  Seite 
des  Fusses  her  zum  ersten  Einstichspunkte ,  sticht  es  hier  wieder  schräg 
ein  und  zieht  es  über  den  äussern  Fussrand  an  dem  hintern  Ende  des 
3.  Mittelfussknochens  vorbei  zur  Planta  und  in  dieser  zum  Endpunkte  des 
ersten  Schnittes.  Beim  linken  Fusse  macht  man  den  ersten  Schnitt  über 
den  äussern,  den  zweiten  über  den  innern  Fussrand.  Nun  extendirt  man, 
vor  dem  Fusse  stehend ,  diesen  mit  der  linken  ,  lässt  die  Weichtheile  zu- 
rückziehen und  trennt  die  Gelenkverbindungen ,  führt  darauf  das  Messer 
zwischen  den  Knochen  durch  zur  unteren  Fläche  des  Vorderfusses  und 
löst  längs  dieser  den  noch  bestehenden  Zusammenhang  der  Weichtheile, 
indem  man  das  Messer  in  den  bereits  dort  gemachten  Schnitten  hinführt. 
Dieses  Verfahren  soll  den  Vortheil  gewähren  ,  dass  der  Plantarwundzipfel 
der  Dorsalwunde  genau  entspricht,  was  bei  Lappenschnitten  nicht  der  Fall 
sei ,  und  dass  der  obere  Rand  der  Knochen  von  Weichtheilen  gedeckt 
bleibe.  —  Der  Ovalschnitt  gewährt  in  der  Weise,  wie  er  von  S  e  d  i  1  - 
1  o  t  modificirt  wurde  ,  grosse  Vortheile  ;  es  werden  wenig  Bedeckungen 
erfordert ,  man  erhält  am  Fussrücken  viele  Weichtheile  und  die  beiden 
Endlinien  der  Gelenklinie  bleiben  gedeckt ;    auch  ist  die  Annäherung  der 


AMPUTATION  IN  DER  CONTIGUITAET.  77 

Wundränder  leicht  und  der  Abfluss  des  Eiters  geht  gut  vor  sich.  Bei 
der  Operation  umfasst  die  linke  Hand  den  rechten  Fuss  am  Rücken ;  die 
Ferse  ruht  auf  dem  Rande  eines  Tisches.  Mit  einem  kleinen  Amputations- 
messer wird  zuerst  ein  Querschnitt  geführt,  welcher  einige  Linien  vor  dem 
Fersen-Würfelbeingelenke  beginnt  und  in  der  Mitte  des  Fussrückens  an 
der  äussern  Seite  der  Sehne  des  M.  tib  ialis  anticus  endigt.  Von 
hier  aus  läuft  ein  zweiter  Schnitt  schräg  von  hinten  nach  vorn  und  von 
aussen  nach  innen ,  der  2  Querfinger  breit  hinter  dem  Phalango-Metatar- 
salgelenke  der  grossen  Zehe  sich  um  den  innern  Fussrand  herumwendet, 
von  wo  aus  er  in  der  Richtung  von  vorn  nach  hinten ,  von  innen  nach 
aussen  und  von  oben  nach  unten  an  der  Sohle  verlaufend ,  in  den  Aus- 
gangspunkt des  ersten  Schnittes  einfällt.  Die  Weichtheile  der  Sohle 
werden  schräg  von  unten  nach  oben  und  von  vorn  nach  hinten  abpräpa- 
rirt  mit  möglichster  Entfernung  des  Fettzellgewebes.  Der  innere  Lappen 
wird  bis  zum  Höcker  des  Kahnbeines ,  der  als  Führer  zur  Eröffnung  des 
Medio  -  Tarsalgelenkes  dient ,  abgelöst  und  das  Lig.  interosseum 
durchschnitten ;  dann  bringt  man  das  Messer  zwischen  die  Knochenflächen 
und  beendigt  die  Operation  mit  der  Trennung  der  tiefgelegenen  Weich- 
theile an  der  Sohle,  im  Niveau  des  hier  geführten  Schnittes.  Am  linken 
Fusse  öffnet  man  nach  Ausführung  der  Schnitte  das  Fersen-Würfelbein- 
gelenk, durchschneidet  das  Lig.  interosseum  und  löst  das  Kahnbem 
mit  der  Messerspize ;  hierauf  legt  man  das  Messer  mit  voller  Schneide 
zwischen  Fersen-  und  Würfelbein,  dann  zwischen  Sprung-  und  Kahnbein 
und  durchschneidet  vollends  die  Weichtheile  bis  zum  innern  Fussrande. 
Hier  umgeht  man  mit  Sorgfalt  den  Vorsprung  des  Kahnbeines,  sezt  das 
Messer  zwischen  diesen  und  die  Bedeckungen  und  verfolgt  das  erste 
Keilbein,  so  wie  die  hintere  Hälfte  des  4.  Mittelfussknochens ,  um  so  den 
entsprechenden  inneren  Lappen  abzulösen.  —  Bei  sämmtlichen  Verfahren 
ist  es  räthlich ,  die  Sehnen  der  vordem  Muskeln  so  lang  zu  lassen ,  dass 
sie  mit  der  Narbe  verwachsen  können ,  wodurch  man  der  Retraction  des 
Fusses  nach  hinten  vorbeugt ,  ein  Nachtheil ,  der  der  Chop  art' sehen 
Amputation  überhaupt  zum  Vorwurf  gemacht  wird.  —  Verband.  Zu 
unterbinden  sind  dieA.  A.  dorsal ispedis,  plantaris  interna 
und  externa,  so  wie  manchmal  nochAeste  dieser  Arterien.  —  Man  hat 
auch  einzelne  Fusswurzelknochen  entfernt. 

11.  Exarticulation  der  Mittel fussknochen,  Exar- 
ticulatio  ossiummetatarsi.  Die  Auslösung  der  Mittelfussknochen 
kann  nur  einen  einzigen ,  mehrere  oder  sämmtliche  betreffen,  kann  ferner 
auf  sie  allein  beschränkt  sein  oder  auch  ihre  betreffenden  Fusswurzel- 
knochen mitnehmen.  a)  Exarticulation  sämmtliche r  Mittel- 
fussknochen oder  Amputation  zwischen  Tarsus  und  Metatarsus. 
Diese  Exarticulation  erfordert  eine  genaue  Kenntniss  von  der  Anordnung 
der  Gelenkflächen.  Zuerst  sucht  man  das  Gelenk  auf;  dazu  dient  die 
Tuberosität  des   5.    Metatarsalknochens   an  der  äussern  Seite  des  Fusses. 


78  AMPUTATION   IN  DER  CONTIGUITAET. 

Die  Gelenklinie  liegt  unmittelbar  dahinter ;  im  Falle  der  Anschwellung 
kann  man  sie  2  Zoll  vor  dem  Malleolus  extern  us  annehmen.  Das 
innere  Ende  dieser  Linie  liegt  9  Linien  weiter  nach  vorn  ;  man  erkennt 
es  auch  an  der  Hervorragung  des  hintern  Endes  des  1.  Mittelfussknochens 
und  bei  der  Abduction  des  Fusses  an  der  deutlich  fühlbaren  Sehne  des 
sich  daselbst  ansezenden  Peronaeusbrevis;  es  liegt  hinter  der  ge- 
nannten Tuberosität  und  vor  einem  zweiten  Vorsprunge,  der  dem  1 .  Keil- 
beine angehört.  Das  Gelenk  des  2.  Mittelfussknochens  mit  dem  2.  Keil- 
beine befindet  sich  4  Linien  weiter  vorn  als  das  des  ersten,  und  2  Linien 
weiter  vorn  als  das  des  3.  Mittelfussknochens,  so  class  der  Kopf  des  2. 
Metatarsus  zwischen  dem  1.  und  3.  Keilbeine  eingekeilt  ist.  Das  3.,  4. 
und  5.  Metatarsalgelenk  gehen  in  gleicher  Linie  schief  nach  aussen  und 
hinten  fort.  —  Vorbereitung  wie  zur  vorigen  Operation.  Verfahren  von 
Lisfranc  und  zwar  am  rechten  Fusse  :  Während  ein  Gehülfe  den  Fuss 
in  seiner  natürlichen  Stellung  unterstüzt ,  legt  man  den  linken  Daumen 
auf  die  Hervorragung  des  hintern  Endes  des  5.  ,  den  Zeigefinger  auf  die 
des  J .  Mittelfussknochens.  Mit  einem  schmalen  kurzen  Messer  macht 
man  über  den  Fussrücken  einen  halbmondförmigen,  nach  vorn  convexen 
Schnitt  durch  die  Haut  und  Sehnen  von  der  Stelle ,  wo  der  Daumen ,  bis 
zu  der,  wo  der  Zeigefinger  liegt,  lässt  die  Haut  zurückziehen,  fasst  den 
Fuss  mit  voller  Hand  an  seiner  Dorsalflache,  als  wollte  man  ihn  luxiren 
und  trennt  mit  der  Messerspize  die  Verbindung  des  5.  Mittelfussknochens 
mit  dem  Würfelbeine.  Man  dringt  nun  zwischen  diese  beiden  Knochen 
mit  voller  Schneide  ein ,  wobei  man  die  Spize  des  Messers  nach  dem  vor- 
dem Ende  des  1 .  Mittelfussknochens  hinrichtet ,  trennt  die  Verbindung 
der  beiden  nächsten  Mittelfussknochen  mit  dem  Tarsus,  geht  nun  auf  die 
innere  Seite  des  Fusses  und  trennt  hier  die  Articulation  des  1 .  Mittel- 
fussknochens, beschreibt  hierauf  mit  der  Spize  des  Messers  zwischen  dem 
Vorsprunge  des  1.  Keilbeines  und  des  2.  Mittelfussknochens  einen  Halb- 
kreis, um  die  diese  Knochen  verbindenden  Ligg.  interarticularia 
zu  durchschneiden,  und  nachdem  man  die  Verbindung  des  2.  Os  meta- 
t  a  r  s  i  mit  dem  2.  Os  cuneiforme  gelöst  hat ,  luxirt  man  den  Fuss 
mit  Kraft ,  durchschneidet  die  Zwischenknochenbänder ,  bringt  dann  das 
Messer  an  die  untere  Fläche  der  Mittelfussknochen  und  bildet ,  nach  den 
Zehen  zu  schneidend,  zur  Deckung  der  Knochen  einen  etwa  2  Zoll  langen 
Lappen.  Beim  linken  Fusse  fängt  man  den  ersten  Schnitt  an  der  innern 
Seite  an.  —  Hey,  A.  Cooper  und  Scoutetten  sägen  den  Vorsprung 
des  Os  cuneiforme  primum  durch.  —  Villerme  bildet  zuerst 
einen  Rückenlappen,  der  gegen  den  innern  Rand  hin  länger  ist,  weil  der 
Fuss  hier  dicker  ist,  öffnet  das  Gelenk  und  schneidet  dann  einen  unteren 
Lappen  aus.  Soupart  bildet  auch  hier  je  nach  dem  Zustande  der 
Weichtheile  einen  Rücken  - ,  Sohlen  -  oder  einen  seitlichen  Lappen.  — 
b)  Exarticulation  von  2,  3  oder  4  Mittelfussknochen, 
nöthigenfalls   mit  Wegnahme  einzelner  Tarsalknochen.      Man  spaltet  die 


ANAESTHESIE.  79 

weichen  Theile  zwischen  den  zu  entfernenden  und  den  zurückbleibenden 
Knochen  von  der  Commissur  der  Zehen  aus  bis  an  das  Ende  des  Mittel- 
fusses,  macht  eine  gleich  lange  Incision  am  innern  oder  äussern  Fussrande 
und  verbindet  beide  Schnitte  auf  dem  Fussrücken  durch  einen  queren, 
der  je  nach  der  Bildung  eines  grösseren  oder  kleineren  Dorsallappens 
mehr  oder  minder  vorwärts  verlegt  wird.  Dieser  Lappen  wird  bis  zu  den 
Gelenken  abgelöst ,  die  Trennung  dieser  nach  Massgabe  der  vorherigen 
Operation  bewirkt  und  wie  bei  dieser  ein  Plantarlappen  gebildet.  Zur 
Exarticulation  von  zwei  mittleren  Knochen  spaltet  man  die  Weichtheile 
zwischen  den  Knochen.  —  c)  Die  Exarticulation  einzelner 
Mittel fussknochen  geschieht  nach  den  bei  den  Mittelhandknochen 
gegebenen  Regeln. 

12.  Exarticulation  der  Zehen,  Exarticulatio  digi- 
torum  pedis.  Die  Ablösung  einer  ganzen  Zehe  wird  nach 
den  für  die  Exarticulation  der  Finger  gegebenen  Regeln  vollzogen,  ebenso 
die  Exarticulation  der  2.  und  3.  Phalangen,  die  jedoch  der 
der  ganzen  Zehen  nachsteht,  weil  die  Zehenreste  beim  Gehen  nur  hinder- 
lich sind.  Am  besten  ist  bei  den  Zehen  auch  die  Bildung  eines  Plantar- 
lappens. Bei  der  Exarticulation  der  grossen  Zehe  kann  man ,  wie  bei 
der  Amputation  des  1.  Mittelfussknochens  einen  obern  ,  untern  oder  in- 
nern Lappen  bilden  (Z  a  n  g).  Die  Exarticulation  sämmtlicher 
Zehen  geschieht  nach  Lisfranc  so:  Beim  rechten  Fusse  fixirt  man, 
nachdem  die  Haut  stark  zurückgezogen  worden  ist ,  mit  dem  linken  Dau- 
men das  Gelenk  der  kleinen,  mit  dem  linken  Zeigefinger  das  der  grossen 
Zehe  mit  dem  Mittelfusse  und  macht  mit  einem  geraden  schmalen  Am- 
putationsmesser von  der  äussern  Seite  des  5.  bis  zur  innern  des  1.  Mittel- 
fussknochens einen  halbmondförmigen ,  nach  vorn  convexen  Schnitt  über 
die  Rückenseite  der  Gelenkköpfe  der  Zehen,  trennt  dann  die  Gelenke, 
von  der  5.  Zehe  anfangend,  sämmtlich  und  mit  Schonung  der  Sesambein- 
chen  von  den  Mittelfussknochen,  führt  durch  sie  das  Messer  an  die  untere 
Seite  der  gebeugten  Zehen ,  richtet  diese  wieder  in  die  Höhe  und  durch- 
schneidet endlich  die  Plantarweichgebilde  schräg  nach  unten  und  vorn 
längs  der  die  Zehen  vom  Mittelfusse  scheidenden  Falte  ,  um  so  einen  un- 
tern Lappen  zu  bilden.  Bei  Subjecten  unter  1  4  Jahren  kann  man  die 
knorpligen  Köpfe  der  Mittelfussknochen  mit  fortnehmen ,  wodurch  der 
Lappen  2  —  3  Linien  länger  wird. 

AnaeSthesie  (von  «  priv.  und  aiaO-^ic,  Empfindung).  Mit 
diesem  Ausdruck  bezeichnet  man  entweder  einen  krankhaften  Zustand, 
der  sich  durch  die  Abnahme  oder  den  Verlust  der  Empfindungsfähigkeit 
eines  Theiles  in  Folge  von  Störungen  des  sensitiven  Nervens  ausspricht, 
oder  aber  einen  Zustand  von  gänzlicher  Empfindungslosigkeit ,  welcher 
behufs  der  Beseitigung  der  Schmerzen  bei  Operationen  mittels  besonderer 
Mittel  willkürlich  herbeigeführt  wird.      Lezteres  wird  uns  allein  hier  be- 


80 


ANAESTHESIE. 


schäftigen.  Die  Aufhebung  der  Empfindlichkeit ,  um  chirurgische  Ope- 
rationen schmerzlos  vorübergehen  zu  lassen,  wurde  schon  seit  alten  Zeiten 
angestrebt.  Zu  diesem  Behufe  hat  man  die  Zusammenschnürung  des 
Gliedes,  an  welchem  man  operirte,  die  Compression  oder  auch  die  Durch- 
schneidung des  Hauptnervenstammes,  narkotische  Mittel,  Kälte,  den  thie- 
rischen  Magnetismus  und  selbst  einen  Aderlass  bis  zur  Ohnmacht  in  Ge- 
brauch gezogen.  Diese  Mittel  wurden  aber  als  unzureichend  immer  bald 
wieder  verlassen  und  am  Ende  beschränkte  sich  die  grosse  Mehrzahl  der 
Wundärzte  darauf,  durch  möglichst  grosse  Schnelligkeit  in  der  Ausfüh- 
rung der  Operation  und  durch  Ablenken  der  Aufmerksamkeit  des  Kranken 
die  Schmerzhaftigkeit  zu  vermindern.  Erst  der  neueren  Zeit  war  es  vor- 
behalten, Mittel  aufzufinden,  welche  dem  Zwecke  vollkommen  entsprechen. 
Das  eine  dieser  Mittel  ist  der  Aether,  welcher  durch  Jackson  ent- 
deckt wurde  und  durch  dessen  Einathmung  der  zu  Operirende ,  so  lange 
die  Wirkung  dieser  Inhalationen  andauert ,  in  einen  eigenthümlichen 
tiefen  Schlaf  versezt  wird ,  während  dessen  die  Empfindlichkeit  desselben 
ganz  aufgehoben  oder  doch  so  sehr  vermindert  wird ,  dass  er  nach  der 
Operation  keine  Erinnerung  von  derselben  hat.  Dieselbe  Wirkung  hat 
noch  sicherer  und  bei  Anwendung  geringerer  Quantitäten  das  zuerst  von 
Simpson  in  Gebrauch  gezogene  und  seitdem  ausschliesslich  angewen- 
dete Chloroform  (Formylchlorid,  C2  H2  Cl8 ).  Ein  drittes  Mittel ,  die 
sogenannte  holländishe  Flüssigkeit  (C4  H  4  Cl2)  scheint  nach  den 
Untersuchungen  von  Nunnely  u.  A.  in  noch  geringerer  Quantität  und 
noch  sicherer  als  das  Chloroform  in  der  angegebenen  Richtung  zu  wirken. 
Endlich  hat  die  neueste  Zeit  noch  ein  weiteres  Anästheticum  zu  Tage 
gefördert,  das  Amylen,  welches  seinem  Wesen  nach  ein  öliger  Kohlen- 
wasserstoff und  aus  C10H10  zusammengesetzt  ist.  Die  Anwendung  dieser 
Substanzen  (Anaesthetica)  geschieht  entweder  mittels  besonderer 
Vorrichtungen,  deren  eine  grosse  Anzahl  erfunden  wurden  und  von  denen 
die  von  L  u  e  r  und  von  Charriere  die  bekanntesten  sind ,  oder  in  der 
Art ,  dass  man  dem  Kranken  ein  mit  diesen  Flüssigkeiten  beneztes  Tuch 
vor  Mund  und  Nase  hält.  Lezteres  Verfahren  wird  gegenwärtig  fast  all- 
gemein befolgt.  Das  Tuch  darf  nicht  so  nahe  an  den  Mund  und  die 
Nase  gebracht  werden,  dass  dem  Kranken  das  Einathmen  von  atmosphä- 
rischer Luft  gänzlich  benommen  ist ,  auch  ist  ein  zu  rasches  und  heftiges 
Einathmen ,  zumal  beim  Beginne  ,  zu  vermeiden.  Während  der  Inhala- 
tionen muss  der  Arzt  die  Athembewegungen  und  den  Puls  des  Kranken 
sorgfältig  überwachen.  Nimmt  die  Frequenz  der  Athemzüge  und  des 
Pulses  bedeutend  ab,  so  muss  man  sogleich  frische  Luft  einathmen  lassen 
und  die  Brust  des  Kranken  mit  kaltem  Wasser  besprengen.  Zuweilen  ist 
es  nothwendig ,  die  Einathmungen  in  dieser  Weise  mehrmals  zu  unter- 
brechen, bis  endlich  unter  tiefem  schnarchenden  Athmen  Schlaf  und  Em- 
pfindungslosigkeit eintritt.  Die  Form,  unter  welcher  die  Betäubung  ein- 
tritt, ist  nach  Dieffenbach  entweder  eine  ohnmächtige,  heitere,  alberne 


ARMBINDE.  81 

oder  tobende.  Nicht  selten  beginnt  das  Toben  erst  mit  der  Operation  ; 
die  Kranken  schreien  und  klagen  heftig  über  Schmerzen,  ohne  aber  nach 
dem  Erwachen  eine  Erinnerung  davon  zu  haben.  In  andern  Fallen  ver- 
halten sich  die  Kranken  während  der  Operation  ganz  ruhig  oder  sprechen 
von  Dingen ,  die  mit  ihrem  jezigen  Zustand  in  gar  keinem  Zusammen- 
hang stehen,  behaupten  aber  nachher,  dass  sie  Alles  genau  gefühlt  und 
alle  Schmerzen  mit  grosser  Heftigkeit  empfunden  haben  ;  was  jedoch  bei 
genauem  Eingehen  auf  die  Sache  sich  als  unwahr  erweist.  Zuweilen 
bleibt  in  Folge  der  Anwendung  eines  Anästheticums  Kopfschmerz,  Brech- 
neigung etc.  einige  Zeit  zurück.  In  einigen  Fällen  hat  man  plözlichen 
Tod  während  oder  gleich  nach  den  Inhalationen  von  Aether  oder  Chloro- 
form beobachtet.  Dies  muss  zu  grosser  Vorsicht  bei  der  Anwendung 
dieser  Mittel  auffordern.  Wie  der  Tod  herbeigeführt  wird,  ist  nicht  ge- 
nau ermittelt ;  wahrscheinlich  gelangen  Chloroformdünste  in's  Blut ,  es 
finden  Gehirncongestionen  statt  und  der  Tod  tritt  wie  durch  Schlagfluss 
ein.  Die  Wiederbelebungsmittel ,  welche  indessen  bis  jezt  sich  erfolglos 
zeigten  ,  sind :  kalte  Begiessungen ,  scharfe  Riechstoffe,  Kizeln  der  Nase 
und  des  Schlundes,  Aderlass,  Einblasen  von  Luft,  Hautreize,  Elektricität. 
Um  daher  diesen  üblen  Zufall  möglichst  zu  vermeiden,  halte  man  das 
oben  angegebene  Verfahren  bei  den  Inhalationen  genau  ein,  bei  bestehen- 
den Lungen-  und  Herzkrankheiten,  bei  Anlage  zum  Schlagflusse,  nach  er- 
schöpfenden Blutungen  und  bei  vollem  Magen  müssen  sie  aber  ganz 
unterbleiben.  —  Ausser  zur  Schmerzstillung  wendet  man  die  Anästhetica 
auch  da  an ,  wo  der  Widerstand  gespannter  Muskeln  zu  überwinden  ist, 
indem  diese  während  der  Betäubung  sich  im  Zustande  der  Erschlaffung 
befinden,  so  z.  B.  bei  der  Reposition  eines  eingeklemmten  Bruches  oder 
einer  Verrenkung.  —  In  der  Regel  werden  5ij — ^ß  hinreichen ,  eine 
vollkommene  Narcose  herbeizuführen. 

Aneurysma,  s.  Pulsadergeschwulst. 

Allglna,  s.  Bräune. 

Aphthae,  s.  Schwämmchen. 

Armbinde,  Arm  tragbinde,  Armschlinge,  Schärpe» 
Mitella,  Habena,  Suspensorium  brachii,  ist  ein  bei  Ver- 
lezungen  des  Oberarms,  des  Schulterblatts  und  Schlüsselbeins,  so  wie  bei 
Leiden  des  Vorderarms  und  der  Hand  gebräuchliches  Verbandstück. 
Man  unterscheidet  folgende  Arten  :  1 )  Die  viereckige  Tragbinde 
oder  die  Armschlinge ,  Mitella  magna  s.  quadrangularis, 
s.  Suspensorium  brachii.  Man  bedient  sich  hiezu  eines  Stücks 
Leinwand ,  eines  Sacktuchs  oder  einer  Serviette  von  3  Fuss  Länge  und 
2  Y2  Fuss  Breite ,  fasst  es  behufs  der  Anlegung  an  den  zwei ,  einen  der 
kurzen  Ränder  begrenzenden  Ecken,  legt  die  Mitte  dieses  Randes  unter 
die  kranke  Achsel ,  führt  die  gefassten  Ecken ,  das  eine  über  die  Brust, 
das  andere  hinten  über  den  Rücken  auf  die  gesunde  Schulter  und  ver- 
Burger,  Chirurgie.  6 


82 


ARMBINDE. 


bindet  sie  dort  mit  einander.  Nun  fasst  man  die  zwei,  den  vorigen  ent- 
gegengesezten  Ecken  des  am  Leibe  herunterhängenden  Tuchs ,  schlägt 
dieses  über  den  gebogenen  und  über  die  Brust  gelegten  Arm  in  die  Höhe, 
und  gibt  diesem  seine  Stüze,  indem  man  diese  Ecken  gleichfalls  über  die 
Brust  und  den  Rücken  führt  und  auf  der  gesunden  Schulter  befestigt. 
Die  am  Ellbogen  hervorstehende  Ecke  schlägt  man  nach  vorn  um  und 
steckt  sie  am  Arme  fest.  —  Ger  dyf führt  das  Verbandtuch  mit  einem 
seiner  langen  Ränder  in  der  Höhe  des  Ellbogens  um  die  Brust,  verknüpft 
dessen  Enden  auf  dem  Rücken,  hüllt  dann  das  ganze  Glied  ein ,  indem  er 
das  Tuch  über  dasselbe  hinaufschlägt  und  die  Enden  des  andern  Randes 
um  den  Hals  zusammenbindet.  —  2)  Die  grosse  dreieckige  Träg- 
binde des  Arms,  Mitella  mag natriangulariss.  Suspen- 
sorium brachii.  Man  schlägt  ein  lV2  Ellen  im  Gevierte  haltendes 
Stück  Leinwand ,  Sacktuch  etc.  in  ein  Dreieck  zusammen  ,  legt  das  eine 
Ende  von  diesem  in  der  Art  auf  die  gesunde  Schulter,  dass  die  Spize  des 
Dreiecks  nach  dem  Ellbogen  des  kranken  Arms  hinsieht  und  das  andere 
Ende  desselben  am  Leibe  herabhängt.  Nun  lässt  man  den  Arm  in  einen 
rechten  Winkel  biegen,  fasst  das  Ende  des  herabhängenden  Tuchs,  schlägt 
es  über  den  Vorderarm  auf  die  kranke  Schulter ,  schlingt  es  um  den 
Nacken  und  knüpft  es  auf  der  gesunden  Schulter  mit  dem  andern  Ende 
zusammen.  Den  über  den  Ellbogen  vorstehenden  Zipfel  schlägt  man 
nach  vorn  um  und  befestigt  ihn  mit  Nadeln.  —  3)  Die  kleine  Trag- 
binde des  Arms,  Mitella  parva  s.  Suspensorium  man us. 
Man  bedient  sich  hierzu  gewöhnlich  eines  seidenen  Tuches  von  lV2 — 2 
Fuss  Länge  und  1  Fuss  Breite,  welches  wie  ein  Halstuch  drei-  bis  vier- 
fach zusammengelegt  wird.  Die  Hand  wird  in  den  Grund  der  Binde  ge- 
legt und  die  beiden  Enden  sodann  am  Kleide  des  Kranken,  z.  B.  in  einem 
Knopfloche  mittels  Bändern  oder  Stecknadeln  befestigt.  —  4)  Die 
Tragbinde  des  Arms  von  Mayor.  Eine  Halstuchbinde  wird  vom 
Nacken  aus  um  den  Hals  nach  vorn  geführt  und  dergestalt  verknüpft, 
dass  sie  bis  auf  den  vordem  obern  Theil  der  Brust  herabhängt.  An  diese 
wird  sodann  eine  gewöhnliche  dreieckige  Tragbinde  befestigt.  Diese 
Schlinge  lässt  sich  mit  einem  weniger  grossen  Stück  Leinwand  als  die 
oben  beschriebenen  ausführen.  —  5)  Die  Tragkapsel  für  den 
Vorderarm  von  Bell,  Mitella  s,  Suspensorium  capsulare 
B  e  1 1  i  i ,  besteht  aus  einem  Halbcylinder  von  Blech,  Leder  oder  Pappe, 
welcher  mit  Flanell  oder  Wolle  gefüttert  ist  und  vom  Ellbogen  bis  über 
die  Fingerspizen  hinausreicht  und  hinten  durch  eine  Querwand  verschlos- 
sen ist.  An  den  Seitenwänden  sind  auf  der  einen  Seite  zwei  kurze  Rie- 
men, auf  der  andern  zwei  Schnallen,  um  den  Vorderarm  in  der  Kapsel  zu 
befestigen.  Das  vordere  und  hintere  Ende  der  Kapsel  werden  durch 
lange  Riemen  an  einen  gepolsterten  ledernen  Ring,  der  auf  der  gesunden 
Schulter  ruht,,  angeschnallt.  Ist  das  Schlüsselbein  gebrochen ,  so  darf 
der  lange  Riemen   vom  hintern  Ende  der  Kapsel  nicht  über  die  Schulter, 


ARTERIEN.  83 

sondern  hinter  derselben  über  den  Rücken  gehen.  —  Mayor  hängt  eine 
Rinne  von  gekochtem  Leder  oder  Pappendeckel  mittels  starker  Bänder 
an  eine   um  den  Hals  befestigte  aus  einer  Tuchbinde  gemachte  Schlinge. 

Arterien,  Krankheiten  derselben.  Hier  wird  nur  von 
den  Neubildungen  in  dem  Arteriengewebe  die  Rede  sein.  Die  Entzün- 
dung der  Arterien  wird  in  dem  Art.  Entzündung,  die  Erweiterungen 
derselben  in  dem  Art.  Pulsadergeschwulst  und  die  Wunden  der 
Arterien  in  dem  Art.  W  unden  besprochen  werden.  —  In  dem  Arterien- 
gewebe können  verschiedene  Neubildungen  auftreten,  als  deren  einfachste 
Form  die  aus  dem  strömenden  Blute  selbst  erfolgenden  fib  r  in  ö  s  en 
Ablagerungen,  von  Rokitansky  als  excedirende  Auflage- 
rungen von  innerer  Gefässhaut  bezeichnet,  zu  betrachten  sind. 
Diese  sind  der  Ausgangspunkt  zweier  krankhaften  Veränderungen ,  näm- 
lich des  atheromatösen  Processes  und  der  sogenannten  Ver- 
knöcherungen der  Arterie.  Der  ath  er  omatös  e  Proc  es  s  be- 
steht in  dem  Zerfallen  der  tieferen  Schichten  der  Auflagerung  zu  einer 
breiartigen  Masse  {a.d~7jou ,  Weizengraupenbrei)  ,  welche  aus  Cholestea- 
rine ,  Fett,  Eiweiss  und  Kalksalzen  besteht.  Diese  Metamorphose 
schreitet  nach  den  innern  Schichten  vor,  die  innere  Oberfläche  wölbt  sich 
und  stellt  endlich  einen  fluctuirenden  Abscess  dar.  Dieser  plazt ,  ein 
Theil  der  breiartigen  Masse  gelangt  in  die  Blutmasse,  der  zurückbleibende 
wird  vom  Blute  getränkt  und  stellt  eine  Art  von  Geschwür  dar ,  welches 
nach  dem  Gefässrohr  hin  offen  steht,  und  durch  Zerstörung  der  Ringfaser- 
haut in  die  Tiefe  greift.  Sehr  oft  wird  die  atheromatöse  Masse  allmälig 
eingedickt  und  verwandelt  sich  in  ein  feuchtes  mörtelartiges  Concrement. 
Bisweilen  wird  die  durch  das  Wegspülen  des  Breies  entstandene  Vertie- 
fung durch  eine  neue  Auflagerung  ausgefüllt  und  dadurch  eine  Art  von 
Narbe  gebildet.  —  Die  Verknöcherung  der  Art  er  ien  besteht 
nicht  in  der  Bildung  von  wirklicher  Knochensubstanz ,  sondern  in  der 
Ablagerung  von  Kalksalzen  in  den  tieferen  Schichten  der  ex- 
cedirenden  Auflagerungen.  Die  Knochenconcretion  liegt  nackt  auf  der 
innern  Gefässoberfläche  und  hat  die  Form  von  concav-convexen  Plättchen 
mit  einer  ziemlich  glatten  und  ebenen  innern  concaven  und  einer  rauhen 
höckerigen  äussern  convexen  Fläche  mit  unregelmässig  zackigen  Rändern. 
Häufig  werden  in  grossen  Arterien  die  Knochenplatten  vom  Blutstrome 
theilweise  losgerissen  und  ragen  dann  in  das  Gefässrohr  hinein ,  oder  sie 
werden  auch  mit  fortgeschwemmt.  Im  erstem  Falle  geben  sie  Veran- 
lassung zur  Anheftung  von  Fibringerinnseln ,  im  zweiten  führen  sie  zur 
Obliteration  kleinerer  Arterien ,  in  denen  sie  stecken  bleiben.  —  Hand 
in  Hand  mit  diesen  Auflagerungen  geht  eine  Erkrankung  der  mittleren 
Arterienhaut  (Ringfaserhaut) ,  welche  mit  dem  Dickerwerden  jener  locke- 
rer, schmuziggelb,  unelastischer ,  dünner  und  brüchig  wird.  Mit  der  zu- 
nehmenden Erweiterung  des  Gefässes   weicht  sofort  die  Faserung  äusein- 

;6* 


84 


ATROPHIE. 


ander  und  in  die  hierdurch  entstandenen  Lücken  senkt  sich  die  Auflage- 
rung ein,  so  dass  sie  in  diesen  Lücken  endlich  mit  der  indessen  schwielig 
gewordenen  Zellscheide  in  Berührung  tritt  und  mit  ihr  verwächst.  Nach 
Rokitansky  liegt  dieser  Erkrankung  der  Ringfaserhaut  eine  Fettent- 
artung zu  Grunde.  —  Nach  Rokitansky  ist  die  Auf  lagerung  nicht  das 
Product  einer  Entzündung  ,  sondern  in  einer  eigentümlichen  Blutkrase 
zu  suchen ;  nach  Andern  besteht  der  atheromatöse  Process  wahrscheinlich 
in  einer  fettigen  Degeneration  eines  faserstoffigen  Entzündungsproductes.  — 
Die  excedirenden  Auflagerungen  sind  die  häufigste  Krankheit  der  Arterien 
und  die  Ursache  der  meisten  Aneurysmen  und  vieler  spontanen  Obliterationen. 

ArteriOtOHlie  (von  aQxrjQia  und  xsfj,vE iv ,  schneiden).  Man 
versteht  hierunter  diejenige  Operation,  vermittels  welcher  eine  Schlagader 
an  einer  bestimmten  Stelle  um  Blut  zu  entleeren  geöffnet  wird.  Diese 
Operation ,  welche  gegenwärtig  nur  noch  selten  verrichtet  wird ,  wird  in 
neuerer  Zeit  nur  an  einem  Aste  oder  auch  dem  Stamme  der  Art.  tempo- 
ralis  ausgeführt;  sehr  selten  und  nur  versuchsweise  an  der  A.  radia- 
lis. Sie  wurde  bei  Entzündungen  des  Gehirns  und  seiner  Umgebungen, 
bei  soporösen  Zuständen ,  in  der  Manie ,  bei  der  sehr  acuten  Augenent- 
zündung,  der  Amaurose,  der  Ohrenentzündung  etc.  empfohlen.  Heutzu- 
tage wird  sie  nur  bei  heftigen  Augenentzündungen  für  indicirt  gehalten, 
indem  bei  allen  andern  Fällen  von  Entzündungen  am  Kopfe  ein  Aderlass 
am  Arm  oder  an  der  Ven.  jugularis  externa  mindestens  ebenso 
viel  leistet.  —  Bei  der  Operation  selbst  verfährt  man  folgendermassen : 
Nachdem  man  die  Stelle,  wo  operirt  werden  soll ,  von  Haaren  befreit  und 
gereinigt  hat  und  den  Kopf  des  liegenden  oder  sizenden  Kranken  auf  die 
Seite  hat  neigen  lassen,  bezeichnet  man  die  Stelle  der  Haut,  unter  welcher 
der  zu  öffnende  Arterienast  liegt ,  durch  einen  Nageleindruck  oder  mit 
Dinte.  An  dieser  Stelle ,  welche  am  Schlafe  sich  beiläufig  1  5  Linien 
über  der  Wurzel  des  Jochbeines  findet ,  macht  man  wo  möglich  mittels 
Erhebung  einer  Hautfalte  einen  Einschnitt ,  legt  die  Arterie  bloss  und 
führt  zwei  Fäden  hinter  derselben  durch.  Den  obern  dieser  Fäden  knotet 
man  in  der  Nähe  des  obern  Wundviertels  sogleich  um  die  Arterie.  Der 
untere  ist  bestimmt ,  nach  geschehener  Blutentleerung  die  Arterie  unter- 
halb der  Wunde  zu  unterbinden.  Nun  sticht  man  die  Arterie  in  dem 
Räume  zwischen  beiden  Fäden  der  Länge  nach  an  und  zieht ,  nachdem 
die  nöthige  Quantität  Blut  entleert  ist ,  auch  die  untere  Ligatur  fest  zu. 
Von  den  Unterbindungsfäden  schneidet  man  das  eine  Ende  am  Knoten 
ab ,  das  andere  führt  man  aus  der  Wunde  heraus  und  befestigt  es  mit 
einem  Heftpflasterstreifen  auf  der  Haut ;  die  Wunde  vereinigt  man  mit 
Heftpflasterstreifen. 

;  ArthrOCace,  s.  Gelenkentzündung. 

ArthrophlogOSis,  s.   Gelenkentzündung. 

AtrOpJHia,    (von   a   priv.   und   TQospri  [xQeyuv] ,  Ernährung) ,  die 


ATROPHIE.  85 

mangelhafte  Ernährung,  Atrophie,  das  Schwinden,  der 
Schwund  der  Theile.  Wenn  irgend  ein  Körpertheil  mangelhaft  er- 
nährt wird ,  so  tritt  ein  Zustand  von  Abmagerung ,  von  Schwund  seiner 
Masse  ein,  wodurch  sein  Volumen  vermindert  wird.  Bei  vielen  Atrophieen 
handelt  es  sich  übrigens  nicht  um  eine  einfache  Volums  -  und  Massenab- 
nahme, sondern  es  stellt  sich  zugleich  auch  eine  Texturveränderung  in  dem 
schwindenden  Organe  ein.  Das  Volumen,  Gewicht,  die  Gestalt,  Consi- 
stenz  und  Farbe  des  atrophirten  Organes  sind  nach  der  Ursache  der  Atro- 
phie auf  sehr  verschiedene  Weise  verändert.  Gefässe  und  Nerven  des 
kranken  Organes  nehmen  ohne  Zweifel  ebenfalls  am  Schwunde  Theil. 
Bei  hohlen  Organen  besteht  die  Atrophie  entweder  mit  normaler  Grösse 
der  Höhle  (einfache  Atrophie)  ,  oder  mit  Erweiterung  (excentrische)  oder 
Verengerung  derselben  (concentrische  Atrophie).  —  Dieser  Krankheits- 
zustand kommt  in  sehr  verschiedenem  Grade  vor ,  hat  bald  einen  acuten, 
bald  chronischen  Verlauf,  und  ist  entweder  nur  vorübergehend  oder  bleibt 
auf  einer  gewissen  Stufe  der  Entwicklung  stehen ,  oder  hat  völlige  Ver- 
trocknung,  brandige  Zersezung ,  mitunter  auch  gänzliches  Schwinden  zur 
Folge.  —  Die  nächsten  Ursachen  dieses  Krankheitszustandes  sind  ver- 
minderte Blutzufuhr  und  verstärkte  Resorption.  Eine  der  häufigsten  Ver- 
anlassungen zur  Verminderung  der  Blutzufuhr  gibt  eine  anhaltende  Com- 
pression ,  wodurch  der  Zutritt  der  Ernährungsflüssigkeit  verhindert  wird. 
Ein  solcher  Druck  kann  durch  fremde  Körper  geschehen,  wie  durch  lange 
und  festanliegende  Verbände,  oder  er  geschieht  durch  Geschwülste  oder 
voluminös  gewordene  Organe ,  wodurch  selbst  die  härtesten  Theile ,  wie 
Knochen ,  dicke  Lagen  von  fibrösem  Gewebe ,  nach  und  nach  consumirt 
werden,  wasmanüsur  nennt.  Eine  weitere  sehr  gewöhnliche  Ursache  von 
Atrophie  ist  die  Verengerung  der  zuführenden  Gefässe  eines  Theiles  oder  die 
Verarmung  des  Blutes  an  nährenden  Bestandteilen.  Ebenso  ist  die 
mangelhafte ,  wie  die  übermässige  Functionirung  eines  Theiles  häufige 
Ursache  seines  Atrophirens.  Dies  zeigt  sich  besonders  auffallend  an 
Muskeln  nach  Lähmungen ,  welche  dabei  stets  erbleichen  und  atrophisch 
werden,  ohne  dass*  die  Ernährung  ganz  aufhört.  Seltener  erfolgt  das 
Atrophiren  durch  gehemmten  Rückfluss  des  Blutes  und  in  solchen  Fällen 
fast  nur  indirect  durch  eine  anhaltende  meist  seröse  Infiltration  des  Thei- 
les,  aber  nur  da,  wo  der  Rückfluss  nicht  gänzlich  aufgehoben  ist,  z.B. 
bei  Varicositäten  der  Venen ;  bei  raschen  und  vollkommenen  Hemmungen 
des  Rückflusses  treten  schwerere  Mortificationsprocesse  ein.  Auch  folgt 
zuweilen  auf  chronische  Entzündungen  wahrscheinlich  wegen  eintretender 
Unthätigkeit  der  erweiterten  Gefässfasern  dauernde  Verengung  der  Ca- 
pillaren  und  damit  veränderte  Ernährung.  —  Das  Drüsen-,  Muskel-  und 
Nervengewebe  und  der  Fettkörper  sind  vor  Allem  der  Atrophie  ausgesezt, 
in  hohem  Grade  auch  die  Knochen,  etwas  weniger  auffallend  die  Schleim- 
häute, die  Cutis,  das  Bindegewebe,  die  fibrösen  Membranen  und  Stränge. 
—  Behandlung.       Die  erste  Aufgabe  ist,   wenn  es   möglich  ist,    die 


86 


AUSTROCKNENDE  MITTEL. 


fortwirkende  Ursache  zu  beseitigen  ,  daher  Entfernung  fest  anliegender 
Verbände,  drückender  Geschwülste  u.  dgl.  Am  meisten  wirkt  auf  Voll- 
kommenheit der  örtlichen  Ernährung  eine  den  Umständen  angemessene 
mit  Ruhe  wechselnde  Functionirung ,  eine  den  Blutlauf  begünstigende 
Lage  oder  Stellung  des  Theiles,  ferner  zur  Bethätigung  der  Function  ge- 
lähmter Theile  reizende  Applicationen ,  Einreibungen  mit  Ungt.  roris- 
mar.  composit.,  Ol.  phosphorätum,  Eisenbäder,  Douche,  trockene 
Frictionen  ,  Urtication  ,  Fontanellen  ,  Moxen  ,  warme  aromatische  Bäder. 
Sehr  wirksam  erweist  sich  auch  die  feuchte  Wärme  durch  Anwendung  er- 
weichender Kataplasmen ,  Fomentationen ,  Eintauchen  der  Glieder  in 
warme  thierische  Flüssigkeiten,  z.  B.  Ochsenblut,  die  Elektricität ,  der 
Galvanismus  ;  daneben  eine  entsprechende,  restaurirende  und  kräftigende 
Pflege  der  Gesammtconstitution. 

AllSCllltation,  Auscultatio.  Man  bezeichnet  damit  die  Be- 
nüzung  des  Gehörs  zur  Erforschung  der  Krankheiten.  Die  Auscultation 
ist  entweder  eine  unmittelbare,  welche  mit  unbewaffnetem  Ohre ,  oder  sie 
ist  eine  mittelbare,  welche  mit  dem  von  Laennec  erfundenen  Stetho- 
skop vorgenommen  wird.  Das  Stethoskop  ist  ein  hölzerner  Cylinder  von 
10  Zoll  Länge,  welcher  in  seiner  Mitte  durch  einen  3  —  4  Linien  im 
Durchmesser  haltenden  Kanal  durchbohrt  ist ;  am  unteren  Ende  erweitert 
es  sich  in  einem  Winkel  von  2  5°  kegelförmig;  diese  kegelförmige  Oeff- 
nung  ist  mit  einem  Cylinder  von  Holz ,  der  in  seiner  Mitte  ebenfalls 
durchbohrt  ist ,  zu  verschliessen.  —  Das  Stethoskop  hat  verschiedene 
Aenderungen  erfahren  ;  es  gibt  auch  solche,  mit  welchen  mehrere  zugleich 
stethoskopirt  werden  können.  —  Bei  der  Anwendung  sezt  man  das  Stetho- 
skop ,  indem  man  es  wie  eine  Schreibfeder  zwischen  dem  Daumen  und 
dem  Zeigefinger  hält  und  mit  Hülfe  der  drei  übrigen  Finger  unterstüzt, 
mit  der  untern  Fläche  auf  den  zu  untersuchenden  Korpertheil  und  legt 
das  Ohr  «auf  das  obere  Ende  an.  Das  Instrument  muss  dabei  so  aufge- 
sezt  werden,  dass  weder  am  untern,  noch  am  obern  Ende  das  Einströmen 
von  Luft  stattfinden  kann  >  dass  es  dem  Kranken  keinen  Schmerz  verur- 
sacht, dass  man  die  Entstehung  aller  Nebengeräusche  vermeidet  und  nicht 
etwa  durch  eine  gezwungene  Stellung  Ohrengeräusche  erregt.  —  Bei  der 
unmittelbaren  Auscultation  wird  das  Ohr  einfach  auf  die  zu  untersuchende 
Stelle  gelegt.  —  Man  wendet  die  Auscultation  hauptsächlich  an :  zur 
Erkenntniss  der  Knochenbrüche ,  der  Blasensteine,  Gallensteine,  Tympa- 
nitis,  Gelenkkrankheiten  ;  ausserdem  dient  sie  zur  genaueren  Erkenntniss 
innerer  Pulsadergeschwülste ,  sowie  zur  Erforschung  der  verschiedenen 
Geräusche,  welche  der  Uterus  in  der  Schwangerschaft  darbietet. 

Austrocknende  Mittel,  auch  die  Vernarbung  beför- 
dernde Mittel,  Exsiccantia,  Cicatrisantia.  Hierunter  ver- 
steht man  solche  Mittel ,  welche  die  Eigenschaft  haben  ,  die  Theile,  auf 
die   man  sie   applicirt ,   auszutrocknen.       Von   diesen   Mitteln  wirken  die 


AUSTROCKNENDE    MITTEL.  87 

einen  wie  Absorbentia ,  so  dass  sie  mit  Begierde  auf  der  ulcerirten 
oder  excoriirten  Oberfläche  den  ausfliessenden  Eiter  einsaugen  ;  die  an- 
dern streben  das  Gefässgewebe  der  eiternden  Wunden  und  Geschwüre  zu 
verengen ,  die  Vitalität  zu  erheben  und  damit  die  abnorme  Absonderung 
zu  verbessern  und  zur  normalen  zurückzuführen.  Die  einfach  einsaugen- 
den Mittel  sind  ohne  eigentliche  arzneiliche  Wirkung,  sie  saugen  nur  die 
wässerigen  Theile  der  abgesonderten  Feuchtigkeit  ein  und  begünstigen 
dadurch  bei  bloss  seröser  Absonderung  der  Haut  die  Erhärtung  der  ober- 
sten Schichte  des  Schleimnezes  zur  neuen  Epidermis ,  bei  eiteriger  Ab- 
sonderung die  Verdichtung  des  Eiters  zu  einer  Borke ,  unter  welcher  eine 
neue  Epidermis  oder  eine  Narbenhaut  entsteht.  Die  hauptsächlichsten 
hierher  gehörigen  Mittel  sind  :  der  Badeschwamm  ,  der  Feuerschwamm, 
die  Charpie ,  Baumwolle ,  verschiedene  mehlige  Pulver ,  wie  arabisches 
Gummi ,  Stärkmehl ,  Getreidemehl ,  der  Bärlappsamen  (Semen  lyco- 
podii),  welcher  besonders  als  Streupulver  gegen  das  Wundsein  der  Kin- 
der dient ;  das  Holzkohlenpulver ,  welches  hauptsächlich  zum  Einstreuen 
in  übelriechende ,  viel  wässerige  Jauche  absondernde  Geschwüre  benüzt 
wird ,  die  weisse  Kreide  etc.  Der  zweiten  Gattung  von  Mitteln  kommt 
eine  zusammenziehende  Wirkung  zu,  durch  welche,  indem  sie  eine  Con- 
striction  der  Granulationen  bewirken ,  die  Absonderung  vermindert  und 
eine  Gerinnung  des  in  der  abgesonderten  Flüssigkeit  (Serum  und  Eiter) 
enthaltenen  Eiweisses  und  damit  die  Bildung  einer  Borke  begünstigt 
wird  ,  unter  welcher  die  Narbenhaut  oder  neue  Oberhaut  gebildet  wird. 
Die  gebräuchlichsten  Mittel  dieser  Gattung  sind:  die  rein  zusammen- 
ziehenden Mittel  (s.  diesen  Art.);  ferner  die  adstringirenden 
austrocknenden  Mittel ,  d.  h.  solche ,  welche  neben  der  zusammen- 
ziehenden Wirkung  noch  die  Eigenschaft  haben ,  die  abgesonderte  Flüs- 
sigkeit entweder  einfach  aufzusaugen  oder  sich  chemisch  mit  ihr  zu  ver- 
binden ;  endlich  die  durch  Vitalitätsumstimmung  austrock- 
nend wirkenden  Mittel.  Unter  die  adstringirenden  austrocknenden 
Mittel  gehören  :  der  Graphit ,  die  Bolarerden ,  das  Kalkwasser,  die  Zink- 
kalke und  Salze ,  unter  diesen  hauptsächlich  die  Zinkblumen,  der  weisse 
Vitriol ;  die  Bleikalke  und  Salze ,  unter  diesen  namentlich  das  essigsaure 
Bleioxyd  (Plumbum  aceticum),  der  Bleiessig,  das  Bleiextract  (Ace- 
tum  saturnin  um,  Extractum  saturni),  der  Bleizucker,  das 
Bleiweiss,  das  Gerbstoffblei  (Plumbum  tannicum),  das  Jodblei;  das 
Wismuthoxyd  etc.  —  Zu  den  austrocknenden  Mitteln  ,  welche  zugleich 
auf  die  Vitalität  wirken ,  rechnet  man  :  die  Verbindungen  des  Chlors  mit 
Kalk,  Soda  und  Kali,  wie  der  Chlorkalk,  das  Chlornatron  etc.  ;  den  Sal- 
miak, Borax,  Jod  und  Jodkali,  die  Seifen,  die  verdünnten  Mineralsäuren, 
die  Schwefelblumen,  Schwefellebern,  die  Spiessglanz-  und  Quecksilber- 
präparate ,  den  Höllenstein ;  verschiedene  natürliche  Harze  und  Balsame, 
unter  ihnen  den  Peru  - ,  Copaivabalsam ,  die  Myrrhe  ;  das  Kreosot  und 
kreosothaltige   Mittel,  wie  den  Theer,  Russ  etc.  ;  ferner  aromatische,  ad- 


88  BA$DEK. 

stringirende  etc.  Pflanzen ,   wie  Wachholderbeeren,  Alantwurzel  etc.  ;  das 
Freisamkraut,  Tabakskraut,  Erdschierling,  den  Pfeffer,  Sabadillsamen  etc. 


B. 


B  AEDEH,  B  a  1  n  e  a.  Unter  Bad  verstellt  man  das  eine  kürzere 
oder  längere  Zeit  dauernde  Eintauchen  des  Körpers  oder  eines  Theiles 
desselben  in  tropfbar  flüssiges  oder  dampfförmiges  Wasser;  im  weiteren 
Sinne  verstehen  wir  darunter  anch  noch  andere  Arten  der  Anwendung  von 
Flüssigkeiten  auf  den  Körper  oder  einzelne  Theile  desselben.  Man  kann 
daher  die  Bader  eintheilen  in  l)  Wasserbäder;  2)  Bäder,  wobei  die  Flüs- 
sigkeit auf  eine  andere  Art  als  durch  einfaches  Eintauchen  an  den  Körper 
applicirt  wird  ;  3)  Dampfbäder. 

I.  Die  Wasserbäder  sind  entweder  allgemeine,  wobei  der 
Körper  bis  an  den  Hals  oder  die  Schultern ,  oder  örtliche,  theilweise, 
wobei  nur  ein  Theil  des  Körpers  eingetaucht  wird.  Beide  Arten  von 
Bädern  können  einfach  sein,  d.  h.  bloss  aus  Quell-,  Fluss-  oderRegen- 
wasser  bestehen  ,  oder  einen  Zusaz  von  Arznei  -  oder  Nahrungs Stoffen 
haben,  medicinische  und  ernährende  Bäder.  —  A.  Die  ein- 
fachen allgemeinen  Wasserbäder  werden  entweder  kalt ,  tem- 
perirt  oder  warm ,  die  zusammengesezten  hingegen  fast  immer  warm  ge- 
nommen. —  Die  kalten  Bäder  sind  entweder  sehr  kalt,  d.  h.  unter 
-\-  10°  R.,  kalt,  d.  h.  von  -|-  10 —  15°  R.,  oder  kühl,  von  +  15 — 2  0° 
R.  Es  ist  gut ,  wenn  man  sich  vor  dem  kalten  Bade  etwas  Bewegung 
macht ,  doch  darf  sie  nicht  bis  zur  Hervorbringung  von  Schweiss  gehen. 
Man  muss  sich  den  Kopf  nass  machen ,  um  Congestionen  nach  dem  Ge- 
hirn zu  vermeiden.  Die  Dauer  des  kalten  Bades  muss  sich  nach  der 
Wirkung  richten ,  die  man  davon  erhält ;  beim  Eintreten  des  Schauers 
räth  man,  das  Bad  zu  verlassen.  Man  muss  sich  nach  dem  Bade  schnell 
abtrocknen  und  sodann  eine  leichte  Bewegung  machen.  Während  der 
Verdauung  ist  das  Baden  zu  vermeiden.  Die  unmittelbare  Wirkung 
eines  sehr  kalten  Bades  ist  ein  starker  Schauer ,  welchem  alsbald  in 
Folge  des  schnellen  Zurückdrängens  des  Blutes  aus  den  Capillaren  nach 
dem  Centrum  beschwerliche  Respiration ,  Kopfschmerz,  Druck  unter  dem 
Brustbein,  zuweilen  Ekel  und  Erbrechen  folgt.  Nach  dem  Bade ,  das  in 
der  Regel  nur  wenige  Minuten  dauern  darf,  entsteht  ein  stärkerer  An- 
drang des  Blutes  nach  den  peripherischen  Theilen ,  die  deprimirende 
Nachwirkung  ist  aber  dessenungeachtet  eine  so  nachhaltige,  dass  die  An- 
wendung solcher  Bäder  eine  grosse  Einschränkung  erleiden  muss.  Nur 
bei  wenig  reizbaren  Subjecten  mit  schlaffer  und  weicher  Faser  und  deren 
Constitution  sich  durch  Trägheit  aller  Verrichtungen  charakterisirt,  könn- 


BAEDEK.  89 

ten  sie  mit  Vortheil  als  tonisirendes  Mittel  in  Gebrauch  gezogen  werden, 
besonders  wenn  sie  durch  Gewohnheit  von  der  Heftigkeit  ihrer  Wirkun- 
gen verloren  haben.  —  Das  kalte  Bad  bringt  ähnliche  Erscheinungen, 
wie  die  eben  beschriebenen,  hervor,  nur  sind  sie  nicht  so  intensiv.  Nach 
dem  Bade  fühlt  man  sich  frisch,  leicht  und  wohl,  und  einige  Stunden 
darauf  folgt  eine  starke  Aufregung.  Es  wirkt  stärkend ,  wenn  die 
Schwäche  vorzugsweise  in  Atonie  besteht ,  indem  es  den  Tonus  aller  Or- 
gane steigert,  die  Gewebe  fester  macht,  die  durch  Transpiration  bewirkten 
Verluste  vermindert,  die  Thätigkeit  des  Verdauungssystemes  erhöht  und 
folglich  den  Wiederersaz  erleichtert.  Es  vermindert  zugleich  die  Reiz- 
barkeit der  Nerven  und  die  Empfänglichkeit  der  Haut  für  rheumatische 
Störungen  und  ist  somit  ein  wichtiges  Abhärtungsmittel.  Es  findet  da- 
her Anwendung  :  bei  grosser  Reizbarkeit  und  Empfänglichkeit,  mit  Atonie 
verbunden,  somit  bei  Neigung  zu  rheumatischen  Störungen  der  Haut,  bei 
chronischer  Nervenschwäche,  Anlage  zu  Krämpfen,  bei  Hypochondrie  und 
Hysterie;  bei  habitueller  Atonie  und  Schlaffheit,  z.  B.  bei  entkräftenden 
Schweissen  aus  Atonie  der  Haut,  bei  chronischen  Schleimflüssen,  bei  Vorfällen 
des  Mastdarmes,  der  Scheide,  der  Gebärmutter,  bei  Atonie  der  Geschlechts- 
theile  aus  Missbrauch  derselben ;  bei  Scheintod  durch  Erfrieren ;  als  Vorbau- 
ungsmittel und  zur  Vollendung  der  Kur  bei  Unregelmässigkeiten  des  Kreislau- 
fes, Neigung  zu  Congestionen,  freiwilligen  Blutungen  etc.  —  Im  Kindes-  und 
Greisenalter,  bei  Congestionen  nach  innen  u.  dgl.  ist  es  zu  vermeiden.  — 
Man  gebraucht  es  gewöhnlich  als  Wannenbad.  —  Das  k  ü  h  le  Bad ,  wel- 
ches die  Temperatur  des  Flusswassers  zur  Sommerszeit  hat ,  wird  haupt- 
sächlich als  Flussbad  gebraucht,  wobei  noch  der  Wellenschlag  und  die 
Bewegung  des  Körpers  in  Betracht  kommen.  In  der  Wirkung  nähert  es 
sich  dem  kalten  Bade.  Man  gebraucht  es  hauptsächlich  bei  Schwäche  der 
Metamorphose,  namentlich  bei  Cachexien,  wie  Scropheln,  Rhachitis,  Chlo- 
rosis,  doch  mehr  zur  Nachkur,  bei  beschwerlicher  und  schmerzhafter  Men- 
struation und  Neigung  zu  Abortus  aus  örtlicher  Schwäche.  —  Hierher 
gehört  auch  das  Meer  b  ad,  welches  gewöhnlich  auch  zu -f-  15  —  20  °R. 
genommen  wird,  in  seinen  Wirkungen  mit  dem  Flussbade  übereinkommt, 
welche  aber  durch  den  Salzgehalt,  stärkeren  Wellenschlag,  grössere  Dich- 
tigkeit und  folglich  grösseren  Druck  auf  den  Körper ,  vermehrt  werden, 
daher  es  in  denselben  Fällen  empfohlen  wird.  —  Die  temper irten 
Bäder,  von  -j—  2  0 — 2  5  °  R.,  wirken  weder  tonisirend ,  noch  schwächend, 
und  werden  meist  nur  zur  Reinigung  der  Haut  benuzt.  —  Die  warmen 
Bäder  sind  entweder  warm,  von  -|-  2  5  —  30  °  R.  ,  oder  sehr  warm,  über 
+  30  °  R.  Ueber  -f-  36  °R.  soll  aber  nie  gebadet  werden.  Das  warme 
Bad  wirkt  wesentlich  erschlaffend  und  beruhigend,  indem  es  alle  periphe- 
rische Thätigkeit  erhöht ,  das  sympathische  System  folglich  frei  macht 
und  zugleich  die  Gefühlsnerven  durch  seinen  sanften ,  überall  gleichen 
Eindruck  ermüdet.  Es  ist  daher  eins  der  besten  und  kräftigsten  anti- 
phlogistischen und  krampfstillenden  Mittel;  es  vermindert  den  Durst  und 


90  BAEDKR. 

bewirkt  die  Absonderung  eines  klaren,  reichliehen  Urins.  Man  gebraucht 
es  bei  den  meisten  acuten  Entzündungen  und  bei  Rheumatismen,  bei  ein- 
geklemmten Brüchen  ,  hartnäckigen  veralteten  Luxationen ,  beim  Wund- 
starrkrampf, bei  mehreren  chronischen  Hautausschlägen  ,  bei  Scheintod 
durch  Ertrinken  ,  Ersticken  u.  dgl. ,  bei  Neurosen  mit  übermässiger  Reiz- 
barkeit,  Krampf  koliken  etc.  —  Das  sehr  war  m  e  Bad  bewirkt  sehr 
grosse  Ausdehnung  des  Blutes,  erregt  daher  leicht  zu  heftige  Wallungen, 
Congestionen  nach  dem  Kopf  und  der  Brust ,  weshalb  man  kalte  Begies- 
sungen  oder  Fomentationen  auf  den  Kopf  machen  muss.  Man  gebraucht 
es  bei  veralteten  Rheumatismen,  Contracturen  und  Lähmungen  und  unter- 
stüzt  seine  Wirkung  durch  Massiren  und  Reiben.  Die  Dauer  der  warmen 
Bäder  ist  y4 — 1  Stunde.  Nach  dem  lauwarmen  Bade  muss  man  sich  vor 
Erkältung  hüten.  —  Die  örtlichen  einfachen  Bäder  dienen  meist 
nur  zur  Erfüllung  einer  besonderen  Heilanzeige.  Ihre  Wirkungen  sind, 
wie  die  der  allgemeiuen  ,  nach  dem  Wärmegrad  verschieden  ;  indem  sie 
gemäss  dessen  die  Säfte  von  einem  Theile  mehr  zurückdrängen  oder  dahin 
locken  ,  wirken  sie  als  R  e  p  e  1 1  e  n  t  i  a  oder  als  R  e  v  u  1  s  i  v  a.  1 )  Das 
Halbbad,  Semiluvium,  und  das  Sizbad,  Insessus.  Unter  er- 
sterem  versteht  man  ein  Bad  ,  in  welchem  der  untere  Theil  des  Körpers 
bis  zum  Nabel,  unter  lezterem  ein  solches,  wobei  blos  das  Becken  bis  zum 
Nabel  und  die  oberen  Theile  der  Oberschenkel  eingetaucht  sind.  Warm 
(— 1-  2  5 — 3  0  °)  erweitern  sie  die  Capillargefässe  der  unteren  Extremitäten 
und  der  Beckenorgane,  bewirken  dadurch  einen  Zufluss  der  Flüssigkeiten 
nach  diesen  Theilen  auf  Kosten  der  oberen  Theile  ;  kalt  (unter  -j-  2  0  °) 
haben  sie  die  entgegengesezte  Wirkung.  Man  gebraucht  sie ,  als  allge- 
mein erschlaffendes,  beruhigendes  Mittel,  wenn  Krankheiten  des  Herzens, 
der  grossen  Gefässe  und  der  Lungen  den  Gebrauch'  ganzer  Bäder  verbie- 
ten ;  zur  Beförderung  des  Menstrual-  und  Hämorrhoidalblutflusses  ;  als 
beruhigendes  Mittel  bei  entzündlichen  Schmerzen  und  Krämpfen  der  Un- 
terleibs- und  Beckenorgane.  Atonische  Zustände  dieser  Organe  verbieten 
sie  ;  bei  diesen ,  wie  z.  B.  Erschlaffung  des  Mastdarmes  und  der  Mutter- 
scheide, bei  passiven  Blutflüssen  aus  diesen  Theilen  oder  krankhaften  Ver- 
änderungen ihres  Gewebes  wendet  man  sie  mit' Nuzen  kühl  oder  kalt  an. 
2 )  Das  Handbad,  Maniluvium,  ist  ein  Bad,  bei  welchem  die  Hand 
allein  oder  bis  zum  Ellbogengelenk  eingetaucht  wird.  Kalt  wie  warm  be- 
wirken sie  eine  reichliche  örtliche  Transpiration.  Sie  bewirken  eine  Ab- 
leitung vom  Kopfe  und  der  Brust ,  weshalb  sie  sich  ,  namentlich  die  war- 
men,  bei  Congestionen  nach  den  Kopf-  und  Brustorganen ,  beim  Blut- 
husten, Croup,  Lungenkatarrh  etc.  nüzlich  erweisen.  3)  Das  Fussbad, 
Pediluvium,  ist  ein  solches,  wobei  dieFüsse  und  meist  auch  noch  der 
untere  Theil  des  Unterschenkels  eingetaucht  sind.  Man  wendet  sie  kalt, 
warm  und  sehr  warm  an,  und  von  ihnen  gilt,  was  von  den  Handbädern 
gesagt  wurde.  Sie  wirken  auf  eine  grössere  Fläche  des  Körpers  ableitend 
als  diese ,  namentlich  auch  auf  die  unteren  Theile ,  weshalb  sie  besonders 


BAEDER.  91 

bei  solchen  Leiden  der  Kopf-  und  Brustorgane  Anwendung  finden,  welche 
durch  gestörte  Verrichtungen  der  Unterleibsorgane  begründet  sind. 
4)  Das  Augenbad,  Balneum  oculare,  wird  ganz  gut  durch  Fo- 
mentationen  ersezt.  —  B.Zusammengesezte  oder  medicinische 
Bäder,  Balnea  coinposita  s.  niedicinalia.  Bei  diesen ,  welche 
allgemeine  oder  örtliche  sein  können  ,  ist  das  Wasser  mit  Arzneistoffen 
geschwängert.  Ihre  Temperatur  ist  gewöhnlich-}-  2  5  —  3  0  °R.,  zuweilen 
kälter ,  selten  wärmer.  —  1)  Alkalinische  Bäder.  Sie  lockern  die 
Haut  auf  und  machen  diese  wie  die  inneren  Theile  geschmeidig,  stimmen 
krankhafte  Ab  -  und  Aussonderungen  der  äussern  Haut ,  wie  auch  der 
Schleimhäute  und  Drüsen  günstig  um  und  äussern  auf  das  Nervensystem 
eine  besondere  beruhigende  Wirkung,  a)  Bäder  mit  Aezkali  wen- 
det man  an ,  wenn  man  eine  schnelle  ,  durchdringende  Wirkung  auf  das 
Nervensystem  beabsichtigt ,  wie  beim  Tetanus  ,  bei  Convulsionen  der  Ge- 
bärenden und  Neugeborenen,  bei  der  Epilepsie  und  bei  Lähmungen  ;  man 
gebraucht  sie  ferner -bei  metastatischen,  schnelle  Gefahr  drohenden  Affec- 
tionen  wichtiger  innerer  Organe  von  Unterdrückung  normaler  oder  ab- 
normer Hautabsonderungen ,  bei  bösartigen  Hautausschlägen,  wie  Friesel, 
und  bei  grosser  Spannung  einzelner  Theile,  wie  bei  Verkürzung  der  Flech- 
sen ,  der  Gelenksteingkeit.  Zu  einem  solchen  Bade  nimmt  man  je  nach 
Umständen  ^ß — j  trockenes  Aezkali  oder  so  viel  Pfunde  äzende  Seifen- 
siederlauge. —  Als  örtliche  Bäder  bei  Podagra,  atonischen  callösen  Fuss- 
geschwüren  ,  Arthrocace  ,  Metastasen  von  unterdrückten  Fussschweissen. 
Hiezu  nimmt  man  5j  —  ij  trockenes  Aezkali  auf  die  Maas  Wasser. 
b)  Bäder  mit  milden  oder  kohlen^  au  ren  Alkalien.  Sie 
wirken  langsamer  und  milder  als  die  vorigen  und  werden  als  allgemeine 
Bäder  bei  chronischen,  gichtischen  und  rheumatischen  Beschwerden,  chro- 
nischen Hautausschlägen  ,  bei  habituellen  Schleimflüssen  ,  Hautscropheln, 
Verhärtungen  der  Lymphdrüsen  und  des  Zellgewebes  u.  dgl.  angewendet. 
Man  bereitet  sie  entweder  aus  Holzaschenlauge  von  massiger  Stärke,  oder 
durch  Zusaz  von  riij — xij  Pottasche  oder  Soda  auf  ein  Bad,  welchen  man 
zuweilen  etwas  Schleim  zusezt.  —  Als  örtliche  Bäder  gehraucht  man  sie 
theils  als  geschmeidigende,  zertheilende,  umstimmende  Mittel  bei  rheuma- 
tischen, gichtischen  Schmerzen  der  Extremitäten,  bei  Knochenhautentzün- 
dungen von  äusseren  Ursachen ,  bei  allen  Entzündungen  fibröser  Organe 
mit  bedeutender  Spannung ,  bei  fistulösen  Vereiterungen  des  Hand-  und 
Fussgelenkes,  Drüsengeschwülsten,  Contracturen  u.  dgl.,  theils  als  ablei- 
tende Gegenreize  (Hand-  und  Fu'ssbäder).  Die  Bereitung  geschieht  wie 
oben  ;  von  der  Pottasche  oder  der  Soda  nimmt  man  5ij  —  5$  auf  4  Pfd. 
Wasser.  c)  Die  S  ei  f  enb  äd  er  sind  die  mildesten  Bäder  dieser  Art 
und  eignen  sich  besonders  dann,  wenn  die  vorigen  wegen  zu  zarter  Haut 
und  reizbaren  Körperbaues  nicht  anwendbar  sind.  Man  nimmt  1  —  2  Pfd. 
Hausseife  auf  ein  Bad.  —  2)  Säurenbäder,  Balnea  acida.  Diese 
wirken  reizend ,  die  Thätigkeit  der  Haut ,  Nieren,  Leber  und  des  Drüsen- 


92  BAEÜER. 

Systems  überhaupt  vermehrend,  dadurch  auflösend  auf* das  Pfortadersystem 
und  die  Blutcirculation,  sowie  die  Vegetationsprocesse  der  genannten  Ge- 
bilde überhaupt  regelnd,  wahrend  sie  zugleich  die  Expansion  beschränken. 
Sie  zeigen  sich  daher  besonders  wirksam  bei  den  Folgekrankheiten  von 
Stockungen  im  Pfordadersystem  und  Leberleiden ,  Gelbsucht ,  Hypochon- 
drie u.  dgl. ,  bei  chronischen  rheumatischen  und  gichtischen  Hebeln  aller 
Art ,  scrophulösen  Leiden  etc.  Man  bringt  dazu  das  Chlorwasser ,  die 
Salzsäure  und  die  Salpetersäure ,  am  besten  ein  Gemisch  dieser  beiden 
Säuren  zu  gleichen  Theilen  (das  sogenannte  Königswasser)  theils  in  gan- 
zen oder  Halbbädern  zu  ^vj — x  auf  ein  Bad,  zu  Fussbädern  ^ij  —  iij  auf 
ein  Bad.  Die  Temperatur  sei  — (—  2  8 — 3  0  °R.,  die  Dauer  »/2 — 1  Stunde. 
—  3)  Jodbäder.  Diese  wirken  reizend ,  die  Thätigkeit  der  Haut,  des 
Lymph-  und  Drüsensystems  vermehrend,  und  werden  daher  gegen  scro- 
phulöse  Leiden  aller  Art  empfohlen.  Man  gebraucht  sie  als  allgemeine 
Bäder  und  nimmt  auf  ein  Bad  5ij  —  iij  Jod  und  ^ß — j  Jodkali ,  welche 
vorher  in  ^vj — viij  Wasser  gelöst  werden ;  für  Kinder  weniger.  Tempe- 
ratur -\-  2  5 — 28°  R. ,  Dauer  1/2 — 3/4  Stunden.  —  4)  Salzbäder. 
Sie  sind  höchst  kräftige,  auflösende,  die  Säftemischung  verbessernde,  die 
Ausscheidung  regelwidrig  gebildeter  Stoffe  beschleunigende,  den  Ab-  und 
Aussonderungsprocess  befördernde  Mittel  und  werden  bei  chronischen 
Hautausschlägen  und  Schleimflüssen,  Stockungsablagerungen,  Wassersuch- 
ten ,  chronischen  Nervenkrankheiten  etc.  angewendet.  Unter  diesen  Bä- 
dern ist  besonders  das  Seebad,  Balneum  marinum,  zu  nennen,  bei 
welchem  ausser  dem  Salzgehalt  noch  der  Wellenschlag,  welcher  den  Kör- 
per wohlthätig  erschüttert,  und  die  Bewegung  des  Badenden  selbst  in  An- 
schlag gebracht  werden  müssen.  Sie  werden  gewöhnlich  frisch ,  d.  h. 
von  -|-  15  —  20°  R.  genommen.  Dauer  5  —  10  Minuten,  täglich  1  —  2 
Mal.  Nach  diesen  kommen  die  S  o  o  lenb  äder,  d.h.  in  den  natürlichen, 
meist  etwas  jod-  und  bromhaltigen  Kochsalzquellen,  welche  in  -j-  18 — 2  5 
Temperaturgraden  und  in  1  0  0  Theilen  Wasser  zu  6  —  18  Theilen  Salz 
genommen  werden.  Dauer  2  0  —  4  0  Minuten.  Diese  kann  man  durch 
künstliche  Salzbäder  ersezen,  wozu  6 — 3  0  Pfd.  Steinsalz  auf  ein  Bad  ge- 
nommen werden.  Ein  solches  Bad  kann  6  —  8  Mal  benuzt  werden ,  nur 
muss  man  jedes  Mal  1  —  2  Pfd.  Salz  zusezen.  —  Salzfussbäder  als  ablei- 
tende Mittel.  —  5)  Sublimatbäder  bewirken  eine  regere  Gefäss- 
thätigkeit  in  der  Haut  und  befördern  kräftig  den  Resorptionsprocess.  Man 
empfiehlt  sie  besonders  bei  syphilitischen  Hautausschlägen,  sowie  bei  hart- 
näckigen chronischen  rheumatischen  und  gichtischen  Leiden  und  bei  Ar- 
throcace.  Auf  der  Haut  darf  keine  wunde  Stelle  sein.  Man  rechnet 
gr.  ij — jv  Sublimat  auf  die  Maas  Badwasser  oder  etwa  5ij — 5J  Sublimat 
auf  ein  Bad.  Gewöhnlich  fängt  man  mit  5ij  (beim  Erwachsenen)  an  und 
steigt  auf  ^j.  Die  Bäder  müssen  in  Steingutgefässen  genommen  werden. 
Zu  Fussbädern  (bei  örtlichen  chronischen  arthritischen  Leiden,  Geschwü- 
sen,  Bubonen)  nimmt  man  gr.  viij — 5j  auf  ein  Bad.  —  6)  Schwefel- 


BAEDER.  93 

b  ä  d  e  r.  Die  schwefelwasserstofFhaltigen  Mineralwasser ,  als  allgemeine 
Bäder  gebraucht,  beschleunigen  die  Ausdünstung  und  Absonderung  der  Haut, 
verändern  die  Absorption  derselben,  lösen  Stockungen  im  Pfordader-  und 
lymphatischen  System  ,  vermindern  abnorme  Absonderungen  der  Schleim- 
haut der  Verdauungsorgane  ,  steigern  die  Thätigkeit  des  Nervensystems, 
beschleunigen  die  Thätigkeit  des  Herzens  etc. ,  eignen  sich  daher  bei 
Stockungen  in  den  Venen  und  Lymphgefässen ,  bei  Krankheiten  der 
Schleimhäute  in  Folge  unterdrückter Hautthätigkeit,  z.B.  bei  chronischen 
Hautausschlägen  syphilitischer ,  psorischer  und  herpetischer  Natur ,  bei 
Folgekrankheiten  der  Gicht,  des  Rheumatismus  etc.  —  Künstliche  Schwe- 
felbäder bereitet  man  aus  ^ij  —  vj  Kalk  -  oder  Kalischwefelleber  und 
5ij  —  51J  verdünnter  Schwefelsäure  auf  einBad.  Temperatur  -f-  2  6  —  3  0°R.; 
Dauer  1/2  —  1  Stunde.  —  7)  Stahl-  oder  Eisenbäder.  Sie  besei- 
tigen die  Schlaffheit  und  Atonie  des  Hautorganes  ,  erhöhen  die  Irritabili- 
tät der  Muskelfaser,  beschleunigen  und  kräftigen  die  Circulation  des  Blu- 
tes und  der  Lymphe,  verbessern  die  Qualität  der  Säftemasse,  stimmen  die 
Nerventhätigkeit  belebend  und  stärkend  um  und  hemmen  die  Absonde- 
rungen. Sie  passen  daher  bei  allgemeiner  Körperschwäche  nach  starken 
Blutverlusten,  Vereiterungen,  Rhachitis,  chronischen  Schleimflüssen,  Neu- 
ralgien ,  Lähmungen  etc.  Die  künstlichen  Stahlbäder  bereitet  man  aus 
^j — iij  Globul.  martial.  oder  Löschwasser  oder  ^ß — iij  Eisenvitriol 
oder  ^j — ij  Liquor  ferri  muriatici.  Jodeisenbäder  (^ß Jod- 
eisen auf  das  Bad)  werden  gegen  Scropheln ,  Bleichsucht ,  Menstruations- 
mangel etc.  empfohlen.  —  8)  Alaunbäder.  Als  allgemeine,  wie  auch  als 
Localbäder  gegen  krebshafte  Affectionen ,  namentlich  der  Gebärmutter 
empfohlen.  Man  nimmt  ^iij — v  rohen  Alaun  auf  einBad. —  9)Chlor- 
kalkbader  (^vj — xij  auf  ein  Bad)  gegen  chronischen  Blasenausschlag. 
—  10)  Aromatische  und  stärkende  Bäder  wendet  man  nach 
schweren  Verwundungen,  Fracturen ,  Blut-  und  Schleimflüssen,  Vereite- 
rungen ,  Lähmungen ,  Scropheln ,  Rhachitis  ,  Phthisen  u.  dgl.  an  und  ver- 
wendet dazu  Pfeffer-  und  Krausemünze-,  Melissen-,  Quendel-,  Majoran-, 
Thymian-  ,  Lavendel-  ,  Chamillenblumen  ,  Fenchelsamen  .  Calmuswurzel, 
Weiden- ,  Ulmen- ,  Eichen- ,  Kastanienrinde  u.  dgl.  ,  welche  man  in  Auf- 
güssen oder  Abkochungen  dem  Bade  zusezt.  Nach  Umständen  fügt  man 
auch  Wein ,  Weingeist ,  Kamphergeist  bei.  Man  gebraucht  sie  als  allge- 
meine und  Localbäder.  —  1  1)  Malzbäder.  Sie  wirken  auflösend  und 
die  Absonderungen  gelind  antreibend.  Man  gebraucht  sie  daher  bei  den 
Drüsenverhärtungen  im  Unterleibe  der  Kinder,  bei  Scropheln  und  Rhachi- 
tis ,  bei  lymphatischen  Abscessen ,  Steifigkeit  und  Schwäche  der  Gelenke, 
Arthrocacen,  Flechten  und  Kräze.  Man  bereitet  sie  aus  einer  Abkochung 
von  4  —  10  Pfd.  geschrotenen  Malzes  auf  ein  Bad.  Dasselbe  Mittel  be- 
nüzt  man  zu  trockenen  örtlichen  Bädern  bei  chronischen  Rheumatismen, 
rheumatischen  Lähmungen,  und  um  gewohnte  unterdrückte  Fussschweisse 
wieder  hervorzurufen.    —     12)   Torfbäder.       Der  Torf,   Turfe  s. 


94  BAEDER. 

Cespes  utilis,  welcher  Essig-  und  Phosphorsäure  und  brenzlichtes  Oel 
enthält,  wird  zu  Bädern  (4 — 10  Pfd.  auf  ein  Bad)  gegen  Lähmungen 
empfohlen.  —  13)  Russbäder  wurden  als  Präservativmittel  gegen 
Scharlachfieber  empfohlen.  —  14)  Schleimige,  erweichende, 
demulcirende  Bäder.  Sie  wirken  abspannend  und  besänftigend. 
Man  wendet  sie  bei  Entzündungen,  namentlich  fibröser  Theile,  bei  Gelenk- 
steifigkeit,  Muskelcontracturen  nach  äussern  Verlezungen  und  bei  chroni- 
schen Hautausschlägen  an.  Man  bereitet  sie  aus  Abkochungen  von  schlei- 
migen ,  mehligen  Vegetabilien ,  wie  Herb,  malvae,  althaea,  sym- 
phyti,  Semen  lini,  Kleien,  Heublumen  (3  —  6  Pfd.  auf  ein 
ganzes  Bad),  aus  einer  Auflösung  von  Tischlerleim  (*/2 —  1  Pfd.)  und  aus 
Milch.  Eine  wichtige  Stelle  unter  dieser  Art  von  Bädern  nehmen  diethie- 
rischen  Bäder,  Balnea  animalia,  ein.  Der  leidende  Theil  wird 
in  das  noch  ganz  warme  (geschlagene)  Blut  so  eben  geschlachteter  Thiere 
oder  in  frisch  gemolkene ,  noch  warme  Milch  eingetaucht.  Besonders 
haben  sich  die  sogenannten  Blutbäder  als  eines  der  kräftigsten  Mittel 
gegen  Gelenksteifigkeit  gezeigt.  Einen  schwachen  Ersaz  für  diese  geben 
das  Brüh-  und  Kuttelwasser.  —  15)  Narkotische  Bäder. 
Sie  finden  selten  Anwendung.  Man  bereitet  sie  mit  Blausäure  (5ij  —  5J 
auf  ein  ganzes  Bad)  bei  chronischen  Entzündungen  des  Rückenmarkes, 
Neuralgien;  aus  Aufgüssen  von  Schierlingskraut  (^vj — viij)  ,  bei  Krebs- 
übeln, namentlich  der  Gebärmutter;  als  örtliches  Bad  (^ij — iij)  zur  Be- 
förderung lymphatischer  Ausschwizungen  ;  von  Tabak  (^vj — viij  auf  ein 
ganzes  Bad)  bei  Brucheinklemmungen  und  krampfhafter  Harnverhaltung. 
—  16)  Ameise  nbä  der.  Sie  werden  bei  lähmungsartigen  Zuständen 
angewendet.  Zu  einem  ganzen  Bade  werden  3  —  6  Maas  lebendige  zer- 
quetschte Ameisen  in  einen  leinenen  Sack  gethan ,  dieser  in  einem  Topfe 
mit  siedendem  Wasser  angebrüht ,  worauf  man  diesen  Aufguss  und  den 
Sack  mit  in  das  Bad  thut  und  diesen  hier  noch  mehrmals  ausdrückt.  — 
Zu  örtlichen  Bädern  nimmt  man  1  —  3  Maas  Ameisen.  —  C.  Ernäh- 
rende Bäder,  B.  nutritia.  Bei  diesen  ist  das  Wasser  mit  Nah- 
rungsstoffen geschwängert.  Man  wendet  sie  an ,  wo  das  Beibringen  von 
NahrungsstofFen  auf  dem  gewöhnlichen  Wege  nicht  möglich  ist ;  sie  leisten 
indessen  nicht  viel.  Man  bereitet  sie  aus  Milch,  Fleischbrühe  oder  Leim- 
auflösung. 

IL  Bäder,  bei  welchen  kein  Eintauchen.  des  Körpers 
stattfindet.  —  1)  Das  Sprizbad  und  die  Douche,  Adsper- 
sio  et  Ducia.  Hierunter  versteht  man  den  fortwährenden  Strom  einer 
Flüssigkeitssäule  von  2  —  12  Linien  Durchmesser ,  welcher  auf  irgend 
einen  Theil  des  Körpers  gerichtet  wird.  Bei  ersterem  ist  die  Flüssigkeits- 
säule stärker  als  bei  lezterem.  Nach  der  Richtung  des  Stromes  unter- 
scheidet man  eine  ab- ,  aufsteigende  und  seitliche  Douche.  Sie  werden 
entweder  mittels  einer  grossen  Sprize  oder  durch  eigene  Vorrichtungen, 
während  der  Kranke  in  der  Badewanne  sizt ,   applicirt.    Diese  ist  leer  bei 


BAEDER. 


95 


warmer  Douche ,  und  mit  warmem  Wasser  gefüllt  bei  kalter  Douche.  Sie 
können  kalt  oder  warm,  einfach  oder  mit  Arzneistoffen  (meist  salziger 
oder  schwefeliger  Natur)  geschwängert ,  angewendet  werden.  Der  Theil, 
welcher  von  dem  Strahle  getroffen  wird ,  wird  roth  ;  es  sind  mithin  kräf- 
tige Reizmittel,  welche  bei  Geisteskrankheiten,  nervösem  Schwindel,  Kopf- 
weh und  Taubheit,  sowie  bei  Lähmungen,  Varicositäten  und  Angiectasien 
kalt,  bei  Gelenkanschwellungen,  Muskelcontracturen ,  Steifigkeit  der  Ge- 
lenke ,  chronischen  Rheumatismen ,  Gichtschmerzen  ,  Scirrhen  der  Gebär- 
mutter warm  Anwendung  finden.  Dampfdouchen,  s.  unten.  — 
2)  Das  Sturz-  oder  Plongirbad,  Effusio  s.  Imb  r  i  f  i  c  ati  o. 
Bei  diesen  fällt  eine  grosse  Masse  Wasser  aus  einer  Rinne  oder  sonstigen 
Vorrichtung  auf  den  Körper  oder  einen  einzelnen  Theil  desselben  herab. 
Seiner  mächtigen  Einwirkung  wegen  findet  es  in  der  Regel  nur  bei  sehr 
hartnäckigen  Uebeln  wie  Geisteskrankheiten,  Wasserscheu,  Veitstanz, 
Starrkrampf,  Hypochondrie,  Hysterie  etc.  Anwendung.  —  2)  DasRe- 
genbad,  Traufbad,  Impluvium  forte.  Hier  fällt  das  Wasser 
(gewöhnlich  in  der  Temperatur  von  -\-  18  —  2  4°  R.)  durch  eine  sieb- 
artige Vorrichtung  (Brause)  wie  ein  Regen  auf  den  Körper  herab.  Man 
empfiehlt  sie  bei  hartnäckigen  Neurosen ,  als  Veitstanz ,  Hypochondrie, 
Neuralgien,  kalten  Gelenksgeschwülsten,  Gelenkssteifigkeit  etc.  —  Ueber 
die  kalten  Begiess"ungen  s.  den  Artikel  zusammenziehende  Mittel.  — 
4)  Das  Staubregenbad,  Wasserstaubbad,  Impluvium 
t  e  n  u  e ,  wird  nur  als  Mittel ,  die  Gesundheit  zu  erhalten  ,  indem  die 
Haut  durch  dasselbe  abgehärtet  wird ,  benüzt.  Man  benüzt  dazu  eine 
eigene  Vorrichtung  (Staubregenkasten).  —  5)  Das  Tropfbad,  Stil- 
licidium  s.  Embrocatio.  Bei  diesem  fällt  das  Wasser  in  einzel- 
nen Tropfen  von  grösserer  oder  geringerer  Höhe  auf  einzelne  Theile  des 
Körpers  herab.  Man  wendet  es  als  zertheilendes  Mittel  warm  (-j—  4  0 
—  45  °  R.)  bei  fixen  atonischen  Rheumatismen,  Lähmungen  und  Con- 
tracturen,  kalt  bei  Geisteskrankheiten,  kalten  Gelenksgeschwülsten,  hart- 
näckigen Drüsengeschwülsten  u.  dgl.  an. 

ni.  Dampfbäder,  Balnea  vaporaria.  A.  Wasser- 
dampfbäder. Bei  diesen  wird  das  Wasser  in  Dunstgestalt  an  den 
Körper  gebracht ;  man  benüzt  sie  als  allgemeine  und  Localbäder ,  ein-, 
fach  oder  mit  Arzneistoffen  geschwängert.  Sie  kommen  in  ihren  wesent- 
lichen Eigenschaften  mit  den  warmen  Wasserbädern  überein ,  haben  aber 
den  grossen  Vorzug ,  dass  man  sie  in  höheren  Wärmegraden  (von  — J—  3  0 
— 40°  R.)  und  anhaltender  anwenden  kann,  weil  ihre  Hize  durch  die 
beständige  Verdunstung  des  aus  den  Dämpfen  auf  der  Oberfläche  des 
Körpers  niedergeschlagenen  Wassers  gemildert  und  unschädlich  gemacht 
wird.  Sie  üben  daher  auf  die  äussere  Haut  eine  ganz  eigenthümliche 
Wirkung  aus  ;  sie  erschlaffen  diese ,  rufen  Schweiss  hervor ,  beschleuni- 
gen den  Kreislauf  und  die  Respiration ,  alle  Verrichtungen  gehen  leichter 
und  regelmässiger  vor  sich   und   es   entsteht  eine  Neigung  zum  Schlafe  ; 


9ß  IiAEDER. 

sie  erregen  aber  nicht  die  Spannung  der  Hautoberfläche,  wie  die  trockene 
Wärme.  Sie  passen  daher ,  wo  dies  vermieden  werden  muss  und  die 
warmen  Wasserbader  wegen  ihrer  nässenden  Eigenschaften  nicht  gut  er- 
tragen werden.  —  Allgemeine  einfache  Wasserdampf- 
b  ä  d  e  r.  1 )  Das  sogenannte  russische  Dampfbad,  Balneum 
vaporarium  russicum,  wird  in  besonders  dazu  eingerichteten 
Badestuben  genommen ,  in  welchen  der  Dampf  entweder  durch  Auf- 
giessen  des  Wassers  auf  heisse  Steine  entwickelt,  oder  durch  Röhren  aus 
einem  Kessel  dahin  geleitet  wird,  und  in  welchen  Stufen  angebracht  sind, 
damit  der  Badende  sich  höher  oder  tiefer  sezen  oder  legen  und  so  nach 
Bedürfniss  sich  höheren  oder  geringeren  Wärmegraden  aussezen  kann. 
Man  verbindet  meistens  das  Reiben  des  Körpers  mit  Tüchern  oder  das 
Peitschen  mit  Ruthen  und  das  nachherige  Abkühlen  mittels  Uebergiessen 
des  Körpers  mit  kühlem  Wasser  damit,  wodurch  die  natürliche  Spannung 
der  Haut ,  welche  diese  durch  das  Dampfbad  zum  Theil  verlor ,  wieder 
hergestellt  wird.  —  2)  Das  Dampfbad  mit  Freilassung  des 
Kopfes.  Bei  diesem  wird  reine  nicht  erwärmte  Luft  eingeathmet, 
weswegen  die  Respiration  und  der  Kreislauf  nicht  so  sehr  wie  bei  dem 
vorigen  beschleunigt  werden  und  daher  auch  die  Congestionen  gegen  den 
Kopf  geringer  sind.  Man  lässt  sie  in  einem  Räucherungskasten  oder 
einer  gut  verschlossenen  Badwanne  nehmen  ,  in  welche  der  Dampf  gelei- 
tet oder  entwickelt  wird.  —  Man  lobt  die  Dampfbäder  bei  chronischen, 
rheumatischen  und  gichtischen  Uebeln,  besonders  alten  arthritischen  Läh- 
mungen und  Contracturen,  bei  Hautscropheln,  Flechten,  veralteter  Syphi- 
lis ,  Mercurialcachexie ,  veralteten  katarrhalischen  Krankheiten ,  chroni- 
schen Nervenkrankheiten ,  die  von  gestörter  Hautfunction  oder  von  Meta- 
stasen herrühren  etc.  —  Plethora  und  Neigung  zu  Congestionen  nach 
innern  Organen  contraindiciren  sie.  —  Die  örtlichen  Wasser- 
dampfbäder wirken  in  ähnlicher  Weise  auf  eine  beschränkte  Stelle 
des  Körpers,  wie  die  allgemeinen  auf  den  ganzen  Körper.  An  die  äussere 
Körperoberfläche  leitet  man  den  Dampf,  indem  man  den  Theil  gut  um- 
hüllt und  Gefässe  mit  heissem  Wasser ,  heisse  gekochte  Kartoffeln  unter- 
stellt oder  die  Dämpfe  durch  Röhren  an  den  Körpertheil  leitet.  Sollen 
die  Dämpfe  in  einzelne  Oeffnungen  des  Körpers ,  wie  in  die  Ohren ,  die 
Nase,  Scheide,  den  After  geleitet  werden,  so  bedeckt  man  ein  mit 
heissem  Wasser  gefülltes  Gefäss  mit  einem  Trichter,  durch  welchen  der 
Dampf  in  die  Oeffnung  geleitet  wird ,  oder  man  bedient  sich  besonderer 
Dampfmaschinen,  wie  die  von  Symond,  Ramadge,  Dzondi  etc.  —  Oefters 
sezt  man  dem  siedenden  Wasser  erweichende ,  aromatische ,  krampfstil- 
lende etc.  Arzneistoffe  bei.  —  Man  gebraucht  sie  hauptsächlich  bei  Ent- 
zündungen mit  viel  Spannung  und  Schmerz,  so  bei  Rothlauf,  bei  Augen-, 
Mund-,  Rachen-,  Nasen-,  Ohren-,  Scheiden-,  Afterentzündungen  und  Ge- 
schwüren ,  bei  örtlichen  rheumatischen  Affectionen ,  Krämpfen ,  z.  B.  der 
Blase  und  des  Mastdarmes  ,   bei  kalten  Gelenksgeschwülsten ,   Contractu- 


BAEDER.  97 

ren,  verhärteten  Drüsen,  Milchknoten,  bei  mangelnder  oder  unterdrückter 
Menstruation,  bei  Krampfwehen  und  Rigidität  der  Genitalien  in  der 
Niederkunft  etc.  —  B.  Medicinische  Dunst-  und  ßauch- 
bäder.  Man  versteht  hierunter  die  Anwendung  des  Dunstes  oder 
Rauches ,  in  welchen  sich  Arzneistoffe  ganz  oder  theilweise  verwandeln 
lassen ,  auf  die  äussere  ,  seltener  die  innere  Körperoberfläche.  Man  be- 
nüzt  dazu  die  Apparate  für  die  Wasserdampfbäder  mit  Freilassung  des 
Kopfes ,  und  lässt  entweder  den  Dunst  oder  Rauch  durch  Verdunsten 
oder  Verbrennen  der  Arzneistoffe  innerhalb  des  Apparates  selbst  ent- 
wickeln oder  leitet  ihn  durch  Röhren  in  den  Apparat.  Die  hiezu  ver- 
wendeten Substanzen  sind  hauptsächlich  folgende:  l)  Schwefel, 
gegen  Kräze  ,  veraltete  Hautausschläge  ,  eingewurzelte  rheumatische  Lei- 
den, Krankheiten  des  Lymph-  und  Drüsensystemes ;  2)  Schwefel  und 
Chlor  zugleich,  gegen  Flechte,  Kräze  etc.  ;  3)  Schwefelleber, 
gegen  Mercurialkrankheit  und  veraltete  Hautausschläge ;  4)  Queck- 
silberpräparate, besonders  Zinnober ,  gegen  syphilitische  Krank- 
heiten;  5)  Chlorgas,  gegen  Leberkrankheiten;  6)  Jod,  gegen  tu- 
berculöse  Lungenschwindsucht;  7)  Essig,  gegen  gewisse  Affectionen 
des  Mundes  und  Halses ,  lymphatische  Exsudationen ,  Wasserbrüche  der 
Kinder,  brandiges  Rothlaufund  Bräune;  8)  Ammonium,  gegen  chro- 
nische ,  lymphatische  Entzündungen  ,  Lähmungen  und  rheumatische  Lei- 
den; zum  Einathmen  gegen  Stimmlosigkeit  von  Erschlaffung  der 
Schleimhaut;  9)  Alcohol,  gegen  rheumatische  Augenentzündungen; 
10)  Naphtha  aceti  et  vitrioli,  gegen  torpide  nervöse  Schwer- 
hörigkeit (durch  die  Tuba  Eustachii);  11)  Kampher,  gegen 
chronische  Rheumatismen ;  12)  Theer  und  Kreosot,  zum  Einath- 
men gegen  Keuchhusten  und  Schleimschwindsucht;  13)  Gebrannter 
Kaffee,  örtlich  gegen  chronische  Augenentzündungen;  14)  Harze 
und  Schleim  harze  (Mastix,  Benzoe,  Bernstein,  Myrrhe,  Weih- 
rauch, Terpentin,  Stinkasant)  s.  d.  Artikel  zertheilende  Mittel; 
15)  A  d  str  in  gir  en  d  e  Pflanzenstoffe,  IQ)  Aromatische 
und  17)  Narkotische  Pflanzenstoffe,  theils  durch  Verdampfen, 
theils  durch  Verbrennen  (s.  diesen  Art.). 

Mit  dem  Namen  Bad  belegt  man  ferner  noch  einige  Heilmittel, 
wie  :  1)  Das  S  on  nen-  oder  L  i  chtb  ad  ,  Insolatio  s.  Heliosis, 
besteht  darin ,  dass  sich  ein  Mensch  theilweise  oder  ganz  nackt  an  einem 
vor  Winden  geschüzten  Orte  den  Sonnenstrahlen  aussezt.  Die  Wirkung 
davon  ist  eine  erregende  und  reizende  und  wird  bei  torpiden  Nerven- 
krankheiten ,  Cachexien  und  als  Stärkungsmittel  in  der  Reconvalescenz 
angewendet.  2)  Das  Luftbad,  Balneum  aereum,  besteht  darin, 
dass  sich  ein  Mensch  an  einem  schattigen ,  luftigen ,  jedoch  nicht  windi- 
gen Orte  nackt  oder  nur  leicht  bekleidet  eine  Zeit  lang  aufhält  und 
darauf  warm  bekleidet  etwas  warmes  Getränk  zu  sich  nimmt.  Es  stärkt 
und  härtet  die  äussere  Haut  ab  und  wird  bei  Nervenschwäche  empfohlen. 
Bürger.  Chirurgie.  7 


98  BAEHUNG. 

3)  Das  Sandbad,  Arenatio  s.  Psammismus.  Bei  diesem  um- 
gibt man  bei  Scheintod  den  ganzen  Körper ,  ausser  dem  Gesichte ,  mit 
warmem ,  trockenem  Sande.  Es  kann  auch  an  einzelnen  Theilen  ge- 
schehen ,  namentlich  nach  der  Operation  von  Aneurysmen ,  um  die  Blut- 
circulation  in  den  Collateralästen  zu  begünstigen.  4)  Das  Laubbad, 
Balneum  in  foliis.  Man  steckt  den  Kranken  in  einen  mit  frischen 
Birken-  und  Erlenblättern  gefüllten  Sack ,  worauf  ein  starker  Schweiss 
erfolgt.  Bei  Gicht  und  Rheumatismus.  5)  Das  Erdbad,  Balneum 
terrestre  s.  Geochosia,  empfiehlt  man  besonders  bei  Scheintod 
durch  Bliz  und  wird  durch  Eingraben  in  feuchte  Erde  ins  Werk  gesezt. 
6)  Das  S  chl  am  m  -  oder  M  oor  b  ad  ,  Balneum  cocnosum.  Ein 
Bad ,  welches  man  aus  dem  Niederschlag  oder  Schlamm  von  Mineralquel- 
len bereitet  und  das  in  seinen  Wirkungen  mit  den  Bädern  in  solchen 
Mineralwassern  übereinkommt.  7)  Das  elektrische  Bad,  Bal- 
neum electricum,   s.    elektrische  Cur. 

Bäiillllg',  fomentatio  s.  f Omentum  s.  fotus,  oder  Um- 
schlag, Epithema  (von  tili,  auf  und  Ti&tj/Lbi,  ich  seze,  lege).  Hier- 
unter versteht  man  die  mehr  oder  weniger  lang  andauernde  Anwendung 
eines  Arzneimittels  an  irgend  einer  Stelle  der  Körperoberfläche  mittels 
eines  geeigneten  Trägers.  Man  unterscheidet  nasse  und  trockene  Bähun- 
gen. Die  nassen,  fomentationes  humidae,  sind  entweder 
kalt  oder  warm  in  verschiedenen  Graden.  Sie  werden  mittels  leinener 
oder  wollener  einfacher  oder  zusammengelegter  Tücher,  Waschschwämme, 
Löschpapier,  Thierblasen  ,  welche  mit  der  Feuchtigkeit  getränkt  oder  ge- 
füllt, oder  in  welche  die  feuchten  Arzneimittel  eingehüllt  sind,  applicirt. 
Die  Tücher  müssen  halb  ,  d.  h.  so  weit  ausgedrückt  werden ,  dass  keine 
Flüssigkeit  abläuft.  Ihre  Wirkung  hängt ,  abgesehen  von  der ,  weiche 
ihre  Temperatur  mit  sich  bringt,  von  den  Eigenschaften  der  dazu  verwen- 
deten Arzneistoffe  ab  ;  demgemäss  gibt  es  erschlaffende  ,  adstringirende, 
erregende ,  narkotische  etc.  Bähungen.  Die  kalten  müssen  gewechselt 
werden ,  bevor  sie  auf  dem  leidenden  Theile  warm  werden ,  weil  sie  sonst 
durch  den  schnellen  und  häufigen  Wechsel  der  Temperatur  schaden ;  bei 
den  warmen  ist  dieselbe  Vorsicht  nöthig.  —  Die  trockenen  Bähun- 
gen, Fomenta  sicca,  sind  ebenfalls  kalt  oder  warm.  Die  kalten 
werden  mittels  Thierblasen ,  die  mit  Schnee  oder  Eisstückchen  gefüllt 
und  die  in  Tücher  eingehüllt  sind ,  oder  mittels,  mit  kaltem  Sande  ge- 
füllter Säckchen  oder  mit  kalten  Flüssigkeiten  gefüllter  Flaschen  appli- 
cirt. Die  warmen  werden  mittels  einfach  erwärmter,  oder  mit  arznei- 
lichem Gas  oder  Rauch  durchzogener  leinener  oder  wollener  Tücher,  oder 
gekrämpelter  Baum-  oder  Schafwolle ,  oder  mittels  erwärmter ,  mit  arz- 
neilichem Pulver ,  Mehl ,  Asche ,  Sand  gefüllter  Säckchen  oder  mittels 
mit  warmem  Wasser  oder  Sand  gefüllter  Flaschen  oder  erwärmter  Back- 
steine applicirt.      Ihre  Wirkungen  sind  entweder  einfach  die  der  Wärme, 


BAUCHABSCESSE.  99 

oder  in  Verbindung   mit   dieser  von  den  Arzneistofl'en  ,    deren  Träger  sie 

sind,  abhängig. 

Rp.  Herb,  althaeae  Rp.  Nitri  5viij 

malvae  Ammonii  muriat.  iiv 

meliloti  Aquae  gxx 

Rad.  althaeae  Aceti  (jjij 

Sem.  linicontus.  sing.  part.  aequal.     M.   bene.      Kühlender 
Conc.  misce.  Ueberschlag. 

Diese  Species  werden  so  lange  gekocht,  Schmucker, 

bis   das   Wasser   schleimig   wird  und  dann 
durchgeseiht.      Erweichende  Bähung. 
Rp.  Herb,  althaeae 

hyoscyami 
Capit.  papaveris  ana  ^ß 
Conc.  coque  in  aquae  ^iij  ad  col.  ^jß. 
Schmerzstillende  Bähung. 
Rp.  Infus,  flor.  arnicae  ex  ^vj  parat,  ^iij 
Aceti  v  i  n  i  ^ j 
M.  —  Zertheilende  Bähung. 
Rp.  Sal.  ammoniaci  pur.  $ß 
Spirit.  vini  commun.  ^ij 
Aquae  ^xvj  —  xx. 
M.  —  Zertheilender  Ueberschlag. 

Vogler. 

BaUChabseeSSe ,  Abscessus  abdominales.  Diese  Ab- 
scesse  können  ihren  Siz  in  den  oberflächlichen  Schichten  der  Bauchwan- 
dungen oder  der  Bauchhöhlennähe  haben.  Die  oberflächlichen 
Abscesse  in  den  Bauchdecken  verhalten  sich  in  jeder  Beziehung^  wie  die 
Abscesse  anderer  Gegenden.  Diejenigen  aber ,  welche  zwischen  den 
Bauchmuskeln  oder  in  dem  subperitonäalen  Bindegewebe  entstehen,  — 
tiefe  Bauchabscesse,  zeichnen  sich  durch  grosse  Schmerzhaftigkeit,  hef- 
tiges Fieber  und  einen  langsamen  Verlauf  aus.  Die  Schmerzhaftigkeit 
dieser  Abscesse  erklärt  sich  zum  Theil  aus  der  Einschliessung  der  phleg- 
monösen Geschwulst,  welche  ihnen  vorausgeht,  durch  derbe,  straffe  Mem- 
branen, theils  aus  dem  grossen  Nervenreichthum  der  Bauchdecken.  Die- 
ser Schmerz  wird  vermehrt  durch  jeden  Druck  und  durch  jede  Spannung 
der  Bauchmuskeln ,  somit  auch  durch  Husten ,  Drängen  bei  der  Harn- 
oder Stuhlausleerung  u.  dgl.  Die  Entzündungsgeschwulst  und  auch  der 
ausgebildete  Abscess  zeigen  nie  eine  deutliche  Erhebung  über  die  äussere 
Oberfläche ,  sondern  behalten  unter  dem  gleichmässigen  Drucke  der  sie 
umspannenden  Aponeurosen  eine  mehr  abgeplattete  Gestalt.  Diese 
Abscesse  erscheinen  in  den  meisten  Fällen  an  der  untern  Hälfte  des 
Abdomen ,   wo  das  Bauchfell  über  das  grosse  und  kleine  Becken  hingeht, 

7* 


100  BAWCHABSCE8SB. 

weil  hier  das  subperitonäale  Bindegewebe  am  reichlichsten  vorhanden  ist 
und  zwar  findet  man  sie  am  häufigsten  in  der  seitlichen  Bauchgegend 
zwischen  den  falschen  Rippen  und  dem  Darmbeinkamme  und  in  der 
Fossa  iliaca.  —  Nicht  selten  werden  diese  Abscesse ,  noch  ehe  sie 
sich  vollkommen  ausgebildet  haben,  tödtlich  durch  Ausbreitung  der  Ent- 
zündung über  das  Bauchfell  und  die  Gedärme.  Sie  brechen  selten  nach 
aussen  auf;  häufiger  ergiessen  sie  sich  in  das  Bauchfell  oder  in  ein  be- 
nachbartes Darmstück,  oder  der  Eiter  senkt  sich  und  kommt  dann  in  der 
Leistengegend,  am  Oberschenkel  oder  an  irgend  einer  Stelle  des  kleinen 
Beckens  zum  Vorschein  und  bricht  hier  zuweilen  von  selbst  durch ,  in 
welchem  Falle  Heilung  möglich  ist ,  der  Kranke  aber  doch  auch  hectisch 
zu  Grunde  gehen  kann.  —  Der  in  den  tiefen  Abscessen  gebildete  Eiter 
hat  fast  immer  einen  deutlichen  Fäcalgeruch,  ohne  dass  deshalb  das 
Bestehen  einer  Communication  mit  dem  Darme  angenommen  werden 
dürfte.  Die  Nähe  eines  Darmstückes ,  namentlich  eines  Theiles  des 
Dickdarmes  genügt ,  um  die  übelriechenden  Gase  durch  Diffusion  bis  in 
den  Inhalt  des  Abscesses  gelangen  zulassen.  —  Ursachen.  Diese 
sind  mechanische  Verlezungen  des  Unterleibes  ,  besonders  auch  die  mit 
geburtshilflichen  Operationen  verbundene  Dehnung  und  Zerrung  der 
Unterleibs-  und  Beckenorgane,  Erkältungen,  Anhäufungen  von  Fäcalmas- 
sen  im  Blinddarm  und  dessen  Fortsaz,  so  wie  in  dem  seitlichen  Colon.  — 
Die  Diagnose  dieser  Abscesse  ist  besonders  in  ihrer  ersten  Entwicke- 
lung  meist  schwierig  und  werden  sie  deshalb  oft  erst  erkannt ,  wenn  sie 
im  Mastdarm ,  in  der  Scheide  etc.  zum  Vorschein  kommen.  Das  wich- 
tigste Zeichen  ist  im  Anfange  der  entzündliche  Schmerz  an  einer  der 
Stellen ,  wo  diese  Abscesse  am  häufigsten  aufzutreten  pflegen.  Dann 
müssen  die  Fiebererscheinungen  und  die  Functionsstörungen  einzelner 
Unterleibsorgane  berücksichtigt  werden.  Einige  Sicherheit  kommt  in  die 
Diagnose ,  wenn  sich  an  der  Stelle  des  Schmerzes  eine  Geschwulst  bildet 
und  Erscheinungen ,  wie  sie  bei  eintretender  Eiterung  vorzukommen 
pflegen ,  wie  ein  Gefühl  von  Kälte  und  Schwere  an  der  leidenden  Stelle, 
ödematöse  Anschwellung  in  der  Umgebung,  öftere  Frostschauer  etc.,  sich 
zeigen.  —  Behandlung.  Die  oberflächlichen  Bauchabscesse  brechen 
meist  nach  aussen  auf,  doch  müssen  sie  zeitig  geöffnet  werden,  um  einer 
Eitersenkung  vorzubeugen.  Durch  Blutegel  und  kalte  Fomente  sucht 
man  den  Uebergang  der  Entzündung  in  Eiterung  zu  verhüten.  Die  tie- 
fen Bauchabscesse  fordern  eine  strenge  antiphlogistische  Behandlung 
durch  zahlreiche  Blutegel,  kalte  Fomente,  innerlich  Calomel ,  Opium; 
bei  mehr  chronischer  Entzündung  zieht  man  wiederholte  örtliche  Blut- 
entziehungen ,  später  Reizmittel  auf  die  Bauchhaut  in  Gebrauch.  Ist 
Eiterung  eingetreten ,  so  kann  man  durch  Einreibungen  von  Quecksilber- 
und Jodsalbe,  Aufstreichen  von  Jodtinctur,  innere  resolvirende  Mittel  etc. 
den  Eiter  zur  Resorption  zu  bringen  versuchen ;  gelingt  dies  nicht  bald, 
so   eüuss   man   dem  Eiter  einen  Ausweg  nach   aussen  bahnen  ,   um  einem 


BAUCHSCHNITT.  101 

Durchbruch  nach  innen  oder  einer  Eitersenkung  vorzubeugen.  Ist  der 
Abscess  äusserlich  zu  erkennen ,  so  eröffnet  man  ihn  nach  gemachtem 
Hautschnitt  durch  schichtweises  Trennen  der  Bauchdecken.  Wird  die 
fluctuirende  Geschwulst  deutlicher  von  der  Mntterscheide  oder  dem  Mast- 
darm aus  gefühlt,  so  eröffnet  man  sie  von  diesen  aus  mit  einem  Troikart. 
Hat  sich  der  Eiter-  bis.  hinter  die  Leistengegend  herabgesenkt ,  so  eröff- 
net man  die  Geschwulst  nach  Art  der  Congestionsabscesse. 

BaUCilS Chllltt ,  Laparotomia  (von  Xunaqa ,  der  Bauch, 
und  tb/jvw ,  ich  schneide),  Sectio  abdominalis.  Man  versteht 
hierunter  die  Eröffnung  der  Unterleibshöhle  mittels  Durchschneidung 
ihrer  Wandung,  um  schädliche, -auf  andere  Weise  nicht  entfernbare  Sub- 
stanzen aus  ihr  wegzunehmen  oder  anderweitige  Operationen  an  den 
Baucheingeweiden  vorzunehmen.  —  Man  macht  die  Operation:  l)  wenn 
dickflüssige  Substanzen  ,  wie  geronnenes  Blut ,  Sülze ,  in  der  Bauch-  oder 
Beckenhöhle  in  solcher  Masse  befindlich  sind ,  dass  ihre  Resorption  nicht 
zu  hoffen  ist,  dagegen  üble,  namentlich  Entzündungszufälle  von  ihnen  zu 
erwarten  oder  schon  erzeugt  sind  ;  2)  bei  Ergiessung  des  Inhaltes  eines 
Baucheingeweides  (Speisen ,  Chymus  ,  Koth)  ,  so  wie  bei  einem  fremden, 
vom  Magen  und  Darm  aus  oder  durch  die  Bauchwand  eingedrungenen 
Körper ,  wenn  nicht  eine  Bauchwunde  vorhanden  ist ,  die  nach  etwaiger 
Erweiterung  die  Entleerung  möglich  macht ,  und  wenn  man  den  Siz  des 
Schädlichen  erkannt  hat,  was  jedoch  bei  Kugeln  selten  oder  nie  der  Fall 
ist;  3)  wenn  bei  Ruptur  des  schwangeren  Uterus  oder  der  Scheide  der 
Foetus  in  die  Bauchhöhle  gelangt  und  auf  dem  natürlichen  Wege  nicht 
oder  ohne  grosse  Benachtheiligung  nicht  zu  entfernen  ist,  was  auch  dann 
gilt ,  wenn  die  Mutter  plözlich  gestorben  ist ,  das  Kind  aber  noch  lebt ; 
4)  bei  Extrauterinschwangerschaften,  sei  es  früher  oder  später ,  wenn  der 
Foetus  lebt  oder  todt  ist ,  im  iezteren  Falle  namentlich  durch  Fäulniss 
oder  als  fremder  Körper  gefährliche  Zufälle  hervorbringt ;  5)  bei  Recli- 
nation  des  schwangeren  Uterus ,  wenn  er  auf  anderem  Wege  nicht  zu 
reponiren  sein  sollte;  6)  bei  Intussusception  ,  wenn  sie  und  ihr  Siz  be- 
stimmt erkannt  und  andere  Mittel  dagegen  fruchtlos  waren;  7)  bei  inne- 
rer Einklemmung  von  Darmstücken  ,  welche  durch  Spalten  des  Gekröses, 
Nezes,  Zwerchfelles  gedrungen  sind,  oder  von  dem  in  die  Unterleibshöhle 
zurückgedrängten  und  nicht  wieder  herauszubringenden  Bruchsacke  ein- 
geschnürt werden.  —  Ferner  macht  man  die  Operation  als  ersten  Act 
des  Magen- ,  Darm-  und  Kaiserschnittes ,  der  Bildung  eines  künstlichen 
Afters,  der  Exstirpation  der  Ovarien  und  anderer  krankhaften  Geschwülste 
in  der  Bauchhöhle.  —  Bei  grosser  Erschöpfung  des  Individuums ,  so  wie 
bei  Blutextravasaten ,  so  lange  die  Blutung  noch  nicht  steht ,  hat  die 
Operation  zu  unterbleiben.  —  Der  Bauchschnitt  ist  eine  der  gefährlich- 
sten chirurgischen  Operationen  ,  weil  dabei  das  sehr  verwundbare  Bauch- 
fell verlezt  und   der  Luft    der  Zutritt  zu  den  Unterleibsorganen  gestattet 


102  BAUCHSCHNITT. 

wird ,  weil  ferner  oft  die  Därme  vorfallen  und  sie  immer  nur  unter  nach- 
teiligen Berührungen  ,  selbst  gar  nicht  zurückzubringen  sind  und  weil 
im  günstigsten  Fall  ein  Bauchbruch  eine  häufige  Folge  ist.  Dazu  kommt 
noch  die  Unsicherheit  der  Diagnose  bei  Unterleibsübeln ,  welche  den 
Bauchschnitt  zu  erfordern  scheinen.  —  Man  gebraucht  zur  Operation 
1  bauchiges  und  1  gerades  Scalpell ,  1  Pott'sches  Bistouri ,  1  Hohlsonde 
und  Pincette ,  stumpfe  Wundhaken ,  gerade  und  krumme  Kornzangen, 
Unterbindungsgeräthe ,  Nadeln ,  Fadenbändchen,  Schwämme  nebst  kaltem 
und  warmem  Wasser ,  Oel ,  l  Sprize  ,  Restaurationsmittel  und  zum  Ver- 
bände Charpie ,  lange  ,  um  den  Unterleib  reichende  ,  1  Zoll  breite  Heft- 
pflasterstreifen, einen  ausgefaserten  Leinwandstreifen,  Compressen,  Hand- 
tücher und  eine  Bauchbinde.  —  Vor  der  Operation  entleert  man  Blase 
und  Mastdarm.  Der  Kranke  liegt  horizontal  auf  einem  schmalen  Tische 
oder  einem  erhöhten  Bette ,  auf  jeder  Seite  desselben  steht  ein  Gehülfe, 
um  die  Wundränder  auseinander  zu  halten ,  vorfallende  Därme  mit  den 
Schwämmen  zurückzuhalten ,  ein  dritter  Gehülfe  reicht  Instrumente  zu, 
andere  unterstüzen  den  Kranken.  Der  Operateur  steht  auf  der  rechten 
Seite  des  Kranken.  Die  Stelle  des  Einschnittes  richtet  sich  nach  dem 
Size  des  Uebels  ,  also  da,  wo  das  Extravasat,  eine  Geschwulst',  ein  frem- 
der Körper  etc.  am  deutlichsten  bemerkbar  ist ;  wo  möglich  vermeide  man 
grössere  Gefässe ,  besonders  die  Art.  epigastrica,  und  quere  Durch- 
schneidung der  Muskelfasern,  man  schneide  daher,  wenn  man  die  Wahl 
hat,  am  liebsten  in  der  Linea  alba  zwischen  Nabel  und  Schambein  ein. 
Die  Länge  des  Schnittes  wird  durch  den  Umfang  und  die  Natur  des 
Uebels  bestimmt ;  zur  Entleerung  dickflüssiger  Stoffe  oder  fremder  Körper 
genügen  1 — iVä'  ^ei  V°lvulus  und  inneren  Einklemmungen  etwa  2  Zoll, 
zur  Ausziehung  eines  ausgetragenen  Fötus  6  Zoll. 

Operation.  Unter  Anspannung  der  Haut  durchschneidet  man 
diese  und  die  Muskeln  bis  auf  das  glänzende  Bauchfell ,  worauf  man  die 
meist  geringe  Blutung  stillt.  Nun  geht  man  an  die  Eröffnung  der  Bauch- 
höhle, zu  welchem  Behufe  man  das  Bauchfell  an  irgend  einer  Stelle  mit 
der  Pincette  hügelförmig  erhebt ,  es  flach  einschneidet,  eine  Hohlsonde 
einführt  und  die  Oeffnung  auf  dieser  mittels  des  Pott'schen  Bistouris  bis 
zu  der  Grösse  erweitert,  dass  man  einen  beölten  Finger  einbringen  kann, 
auf  welchem  man  das  Bauchfell  in  der  Richtung  und  Ausdehnung  des 
ersten  Schnittes  spaltet.  Sich  hervordrängende  Eingeweide  suchen  die 
zur  Seite  stehenden  Gehülfen  mittels  feiner  in  warmes  Wasser  oder  Oel 
getauchter  Leinwand  oder  Schwämme  zurückzuhalten.  Das  weitere  Ver- 
fahren hat  die  Entfernung  des  Schädlichen  zum  Zweck.  Extravasate 
entfernt  man  durch  eine  Seitenlage  des  Kranken ,  durch  Aufsaugen  mit- 
teis feiner  Schwämme ,  durch  milde  Einsprizungen ;  festere  Substanzen 
nimmt  man  mit  den  Fingern  oder  einer  Zange  aus.  Rührt  der  Erguss 
von  Perforation  des  Darms  her,  so  muss  man  dessen  durchbrochene  Stelle 
der  Bauchwunde   zu  nähern   und  an  derselben  durch  eine  Gekrössehlinge 


BAUCHSTICH.  103 

7u  erhalten  suchen.  Sind  bei  Ruptur  des  schwängern  Uterus 
die  Eihäute  noch  nicht  geborsten,  so  öffnet  man  diese,  wobei  aber  eine 
Verlezung  des  Mutterkuchens  vermieden  werden  muss,  und  entwickelt  den 
Fötus  an  den  Füssen  ,  worauf  man  die  Nabelschnur  doppelt  unterbindet 
und  durchschneidet;  den  Abgang  der  Nachgeburt  befördert,  man  wo  mög- 
lich durch  die  Scheide  heraus.  Ganz  ähnlich  verfährt  man  beim  Ex- 
tra uterinfötus,  bei  welchem  man  entweder  im  2. — 5.  Monat  der 
Schwangerschaft,  wenn  man  sie  sicher  erkannt  hat,  oder  im  9.  Monat, 
wenn  die  Wehen  beginnen,  operirt.  Bei  Reclination  des  schwan- 
gern Uterus  bewirkt  man  die  Reposition  mit  der  in  die  Bauchhöhle 
eingeführten  beölten  Hand.  'Verwicklungen,  Ineinander- 
schiebungen und  innere  Einklemmung  der  Därme  entwickelt 
man  sanft  mit  beölten  Eingern,  nachdem  man  den  Darm  durch  die  Wunde 
hervorgezogen  hat;  einschnürende  Spalten  dilatirt  man  vorsichtig  mit  dem 
Messer.  —  Verband  und  Nachbehandlung.  Nach  erfülltem 
Zwecke  der  Operation  reinigt  man  die  Wunde  und  die  Bauchhöhle  vom 
Blute  und  andern  Flüssigkeiten  mittels  weicher  Schwämme  und  vereinigt 
die  Bauchwunde  durch  eine  hinreichende  Zahl  von  Knopfnähten ,  welche 
man  1  Zoll  von  einander  anlegt  und  nur  durch  die  Muskeln  bis  an  das 
Bauchfell  führt.  Zwischen  die  einzelnen  Nähte  legt  man  zur  genauen  und 
sichern  Befestigung  Heftpflaster ,  welche  man  mit  ihrem  mittleren 
Theile  im  Rücken  anlegt  und  deren  Enden  man  über  der  Wunde  kreuzt. 
Der  untere  Wundwinkel  muss  unter  Umständen  offen  gelassen  werden, 
in  welchem  Falle  man  einen  beölten  ausgefranzten  Leinwandstreifen  in 
denselben  einlegt.  Ueber  das  Ganze  legt  man  eine  Compresse,  und  dar- 
über einen  Bauchgürtel.  —  Der  Kranke  wird  mit  erhöhtem  Kopfe  hori- 
zontal und  wenn  sich  noch  Flüssigkeiten  entleeren  sollen,  etwas  nach  der 
Seite  hin  mit  etwas  angezogenen  Schenkeln  gelagert.  Gegen  die  in  der 
Regel  während  oder  bald  nach  der  Operation  eintretenden  nervösen  Sym- 
ptome gibt  man  einige  Tropfen  Opiumtinktur  oder  1/2  Gran  Morphium 
und  ordnet  eine  antiphlogistische  Lebensweise  an.  Entwickelt  sich  eine 
Entzündung  des  Bauchfells ,  so  verfahre  man  streng  antiphlogistisch  mit 
Aderlässen,  Blutegeln,  Eisumschlägen,  innerlich  Potio  Riveri  mit  Aq. 
laurocerasi  oder  Extr.  hyoscyami,  Calomel  mit  Opium.  Den 
Leib  hält  man  durch  Klvstiere  offen  und  sorgt  für  regelmässige  Ausson- 
derung des  Urines  ,  den  man  nötigenfalls  mittels  des  Katheters  entleert. 
Wenn  ein  Ausfluss  aus  der  Wunde  stattfindet,  so  muss  der  Verband  einige 
Mal  täglich  erneuert  werden,  ausserdem  so  selten  als  möglich.  Die  blu- 
tigen Hefte  entfernt  man  am  6. — 10.  Tage.  Man  unterstüzt  die  noch 
nicht  vollkommene  Vernarbung  durch  Heftpflasterstreifen  und  lässt  später 
zur  Verhütung   eines  Bauchbruches   längere  Zeit  einen  Bauchgurt  tragen. 

BaUChstich,  s.  Punktion. 

Bauchwassersucht,    Hydrops     abdominis,    Hydrops 


104  BAUCHWASSERSUCHT. 

ascites,  nennt  man  eine  Ansammlung  seröser  Flüssigkeit  in  der  Höhle 
des  Unterleibs.  Diese  Krankheit,  deren  Entstehungsgeschichte  und  Dia- 
gnose der  innern  Pathologie  anheimfällt ,  interessirt  den  Wundarzt  nur 
insofern,  als  seine  Hülfe  in  Anspruch  genommen  wird ,  solche'Ansamm- 
lungen  zu  entleeren.  Um  aber  dies  mit  Sicherheit  thun  zu  können,  muss 
er  im  Stande  sein,  zu  unterscheiden,  ob  sich  das  Wasser  auch  wirklich  in 
der  Bauchhöhle  und  nicht  in  einem  in  dieser  befindlichen  Organe  ange- 
sammelt hat,  oder  er  es  sogar  nicht  mit  ganz  andern  Krankheitszuständen, 
wie  Tympanites  oder  Schwangerschaft  zu  thun  hat.  —  Zunächst  ist  zu 
wissen  nöthig,  dass  die  Bauchwassersucht  unter  zwei  Formen  auftritt,  als 
freier  Erguss,  Hydrops  ascites  diffusus  oder  Ascites  im 
engern  Sinne,  und  als  eingesackter,  Hydrops  abdominis  sac- 
catus,  cysticus.  Bei  der  fr  eien  B  auch  was  s  er  s  u  cht  befindet 
sich  die  ergossene  Flüssigkeit  frei  in  dem  Sacke  des  Bauchfells  und  um- 
spült die  von  demselben  umschlossenen  Eingeweide.  Sie  äussert  sich  in 
ihrem  Entstehen  durch  Störungen  in  den  Verrichtungen  der  Unterleibs- 
organe, gestörte  Verdauung,  Verstopfung,  reissende  Schmerzen  im  Unter- 
leibe,  so  wie  in  den  Lenden  und  Füssen  ;  der  Leib  fühlt  sich  etwas  voll 
an ,  die  Füsse  schwellen  an  den  Knöcheln  etwas  ödematös  an  und  der 
Harn  wird  braun  und  sazig.  Allmälig  erreicht  die  Wasseransammlung 
den  Grad,  dass  sie  mit  Bestimmtheit  erkannt  werden  kann.  Der  Leib 
schwillt  gleichförmig  an  und  zwar  von  unten  nach  oben.  Das  sicherste 
Zeichen  für  den  untersuchenden  Arzt  bleibt  die  vorhandene  Fluctuation 
des  Wassers,  und  diese  ist  bereits  sehr  deutlich  bemerkbar,  wenn  sich  die 
Wasseransammlung  auch  nur  erst  bis  in  die  Gegend  des  Nabels  erstreckt. 
Zu  ihrer  Erforschung  genügt  es  bei  beträchtlicher  Menge  ihres  Ergusses,. 
dass  man  die  eine  Hand  flach  an  die  eine  Seite  des  Bauchs  anlegt  und 
mit  den  Fingern  der  andern  Hand  auf  der  gegenüberliegenden  Seite  kurz 
anschlägt.  Ist  nur  eine  geringe  Menge  Flüssigkeit  vorhanden,  so  genügt 
dieses  Verfahren  nicht.  Alsdann  muss  man  die  eine  Hand  in  der  Gegend, 
wo  man  die  Flüssigkeit  vermuthet,  auflegen  und  mit  den  Fingern  der  an- 
dern Hand  nahe  dabei  anschlagen.  Nächst  der  Erforschung  der  Fluc- 
tuation ist  die  eigentliche  Percussion  niemals  zu  verabsäumen.  Sie  lehrt 
uns  den  Umfang  des  Ergusses  und  das ,  in  Bezug  auf  die  Wahl  der  Ein- 
stichstelle höchst  wichtige  Lageverhältniss  der  Unterleibseingeweide  ken- 
nen. —  Nach  dem  Fehlschlagen  der  pharmaceutischen  Behandlung  tritt 
die  Indication  ein,  das  Wasser  durch  den  Bauchstich  zu  entleeren.  Diese 
Operation  ist  zwar  gewöhnlich  nur  Palliativmittel,  indem  sich  das  Wasser 
bald  nach  derselben  wieder  ansammelt ;  es  ist  aber  erfahrungsgemäss,  dass 
die  innern,  gegen  die  Ursachen  der  Wassersucht  gerichteten  Mittel  nach 
der  Wasserentleerung  nicht  selten  weit  kräftiger  wirken  und  dass  also 
durch  die  leztere  auch  eine  radicale  Heilung  eingeleitet  werden  kann. 
Immerhin  bleibt  die  Operation  ein  Mittel ,  nicht  allein  die  Beschwerden 
des   Kranken   zu   mindern ,   sondern  auch  das  Leben  desselben  zu  fristen. 


BAUMWOLLE.  105 

Dieselbe  kann  sehr  oft  wiederholt  werden.  Grosse  Schwäche  und  hecti- 
sches  Fieber  contraindiciren  sie  als  Palliativmittel  nicht,  nur  muss  hier 
das  Wasser  langsam  und  nur  theilweise  entleert  werden  ;  bei  grossen  und 
schmerzhaften  Indurationen  und  Degenerationen  der  Baucheingeweide 
dagegen  beschleunigt  sie  nur  den  Tod.  Ueber  die  Ausführung  der  Ope- 
ration s.  den  Art.  Punction.  —  Die  Sackbauchwassersucht 
wird  entweder  durch  Blasen,  die  an  der  Bauchwand  oder  an  einem  Ein- 
geweide frei  hängen,  gebildet  oder  das  Wasser  befindet  sich  in  einem  am 
Bauchfelle  gebildeten  Sacke.  Die  hauptsächlichste  und  oft  beinahe  allein 
bestehende  Krankheitserscheinung  ist  die  Geschwulst ,  die  sich  nach  vor- 
hergegangenen Schmerzen  oder  auch  ohne  diese ,  blos  unter  dem  Gefühl 
von  Druck  und  Spannung  bildet.  Diese  Geschwulst  wächst  sehr  langsam, 
zeigt  nur  eine  undeutliche  oder  gar  keine  Fluctuation,  auch  haben  Lagen- 
veränderungen auf  sie  keinen  Einfluss.  In  der  Regel  ist  das  Allgemein- 
befinden durch  diese  Wassersucht  nicht  gestört  und  es  kann  ein  solcher 
Hydrops  oft  zu  einer  ungeheuren  Grösse  anwachsen  und  10,  15  bis  2  0 
Jahre  bestehen,  ohne  dem  Kranken  anders  als  durch  seine  Last  beschwer- 
lich zu  fallen.  Die  Cyste,  die  das  Serum  enthält,  kann  sich  im  Laufe 
der  Zeit  entzünden,  mit  Eiter  füllen,  bersten  und  nach  innen  oder  aussen 
sich  ergiessen.  —  Tympanites  lässt  sich  durch  den  eigenen  Percus- 
sionston  erkennen,  der  Hydrops  ovarii  beginnt  in  den  Weichen,  ist 
hier  umschrieben,  scharf  begrenzt,  nicht  selten  höckerig ,  die  Portio 
vaginalis  nach  einer  Seite  geneigt ;  eine  bedeutende  Ausdehnung 
der  Blase  bei  Harnverhaltung  gibt  sich  durch  Drang  zum  Uriniren  bei 
Druck  auf  die  Blasengegend  und  durch  das  Verschwinden  der  Anschwel- 
lung, sobald  man  den  Harn  durch  den  Catheter  entleert  hat,  zu  erkennen. 
Bei  der  Schwangerschaft  nimmt  der  Unterleib  regelmässig  zu, 
Fluctuation  fehlt ,  die  Vaginalportion  zeigt  ihre  regelmässigen  Verände- 
rungen, die  Brüste  schwellen  an  etc.  und  endlich  ergibt  die  Auscultation 
den  Fötalherzschlag.  —  Bei  der  Sackwassersucht  ist  die  Punction  das 
einzige  Mittel ,  die  Ansammlung  zu  entfernen  ,  und  sie  muss  um  so  eher 
gemacht  werden ,  wenn  sich  noch  keine  organischen  Veränderungen  in 
dem  Sacke,  Verdickungen,  Entartungen  eingestellt  haben. 

Baumwolle,  B  o  m  b  y  x  ,  findet  eine  sehr  häufige  Anwendung  in 
der  Chirurgie.  Der  Vorwurf,  dass  sie  durch  die  ihr  eigenthümlichen 
Häkchen  Wundflächen  zu  sehr  reize  und  sie  deshalb  zum  Ersaze  der  Char- 
pie  untauglich  sei ,  ist  durch  die  Erfahrung  widerlegt ;  ihrer  Weichheit 
wegen  ist  sie  in  manchen  Fällen  selbst  der  Charpie  vorzuziehen ,  und  ihre 
grosse  Wohlfeilheit  macht  sie  ganz  besonders  bei  Armeen  und  in  Spitälern 
sehr  empfehlungswerth.  Die  zu  chirurgischen  Verbänden  zu  verwendende 
Baumwolle  muss  gut  gekardet  sein.  Riberi  macht  der  Baumwolle  den 
Vorwurf,  dass  sie,  auf  Wundflächen  gebracht,  ihrer  fast  gänzlichen  Un- 
durchdringlichkeit wegen,  die  Stagnation  des  Eiters  begünstige.  Die  Er- 
fahrung  lehrt  aber ,   dass  die  Anhäufung  des  Eiters,  besonders  bei  Brand- 


106  BAUMWOLLE. 

wunden  nie  Nachtheil  bringt ,  im  Gegentheil  bleibt  der  Eiter,  wahrschein- 
lich in  Folge  der  abgehaltenen  Luft,  stets  gutartig,  und  selbst  die  tiefsten 
Geschwüre  heilen  in  kurzer  Zeit.  —  Wir  bedienen  uns  der  Baumwolle 
gewöhnlich  :  l)  zum  Schuze  leidender  Theile  gegen  die  Luft  und  andere 
äussere  Schädlichkeiten,  so  zum  Verstopfen  des  äussern  Gehörgangs  ,  zum 
Ausfüllen  eines  hohlen  Zahns  etc.  ,  ganz  besonders  aber  bei  Verbrennun- 
gen ,  wo  sie  aber  zeitig  und  in  dicken  Lagen  aufgelegt  werden  muss  ; 
2)  bei  Blutungen,  wo  sie  durch  ihre  Weichheit  ganz  besonders  geeignet 
ist ,  sich  allen  Vertiefungen  anzuschmiegen  ;  3)  zur  Getrennthaltung  ge- 
wisser Theile,  wie  des  in  das  unterliegende  Fleisch  eingewachsenen  Nagels  ; 
als  Träger  von  Arzneistoffen  ,  z.  B.  bei  cariösen  Zähnen.  —  Ausserdem 
verwenden  wir  die  Baumwolle  noch  zu  Brenncylindern,  Bougie's,  zum  Aus- 
füttern und  Unterlegen  gegen  Druck  (Wattverband) ,  und  wegen  ihrer 
grossen  Weichheit  zu  Schnuren  und  Stricken ,  welche  mit  dem  Körper 
selbst  in  Berührung  kommen.  —  Eine  neue  Eigenschaft  haben  neuer- 
dings Vanzetti  und  v.  Bierkowski  in  der  Baumwolle  entdeckt.  Sie 
äussert  nämlich  bei  allen  äusserlichen  entzündlichen  Affectionen  eine  kräf- 
tige antiphlogistische  Wirkung  ;  sie  vertritt  sogar  sehr  gut  die  Stelle  kal- 
ter Umschläge.  Die  Krankheiten ,  in  denen  sich  die  Baumwolle  in  dieser 
Richtung  hülfreich  erwiesen  hat ,  sind  :  Erysipelas,  Erythem  und  andere 
vorübergehende  Röthungen ;  ferner  heftige  Contusionen ,  Verrenkungen 
nach  geschehener  Einrichtung  und  Knochenbrüche  mit  bedeutender  Ge- 
schwulst ,  endlich  Wunden  ,  sowohl  zufällige  wie  von  Operationen ,  und 
Geschwüre.  Soll  die  Baumwolle  aber  die  genannte  Wirkung  äussern,  so 
muss  sie  rein ,  weiss  und  geruchlos ,  auch  darf  der  damit  zu  bedeckende 
Theil  durch  nichts  verunreinigt  oder  mit  Wasser  befeuchtet  sein.  Die 
Baumwolle  wird  unmittelbar  auf  den  leidenden  Theil  aufgelegt  und  nur 
lose  auf  ihm  befestigt.  Eine  bestehende  Wunde,  die  durch  Eiterung  hei- 
len soll ,  verbindet  man  vorher  wie  gewöhnlich  mit  Charpie  und  legt  dar- 
über ein  hinreichend  grosses  Stück  Watte.  Wunden ,  die  durch  erste 
Vereinigung  heilen  sollen,  wie  nach  Operationen  etc.,  die  also  mittels  der 
blutigen  oder  trockenen  Naht  vereinigt  worden  sind ,  bedeckt  man  ohne 
Weiteres  mit  Watte.  Nach  Verlauf  der  ersten  2  4  Stunden  wird  von  dem 
Verbände  nur  die  locker  aufsizende  Watte  vorsichtig  entfernt  und  frische 
aufgelegt,  und  so  verfährt  man  auch  am  3.  und  4.  Tage.  Erst  nach 
3  Mal  2  4  Stunden  nimmt  man  den  ganzen  Verband  auf  das  Sorgfältigste 
ab ,  reinigt  alle  Stellen  genau  mit  lauem  Wasser  und  verbindet  von  nun 
an  alle  24  Stunden,  bis  vollkommene  Heilung  erfolgt.  —  Von  bedeuten- 
dem Werthe  wird  dieses  Mittel  in  der  chirurgischen  Hospitalpraxis ,  be- 
sonders in  den  militärischen  Hospitälern ,  hauptsächlich  während  eines 
Kriegs,  wo  sich  der  Anwendung  von  kalten  Fomenten  oft  grosse  Schwie- 
rigkeiten entgegenstellen ,  wie  z.  B.  während  des  Transports  der  Ver- 
wundeten. 


BECKENABSCESSE.  107 

BeckenabsceSSC  Diese  Abscesse  sind  in  den  meisten  Fällen 
die  Folgen  einer  allgemeinen  oder  umschriebenen  Peritonitis  ,  kommen  in 
verschiedener  Ausdehnung  und  Anzahl  vor  und  haben  gewöhnlich  ihren 
Siz  zwischen  den  Beckengebilden  und  den  über  dem  Beckeneingange  ge- 
legenen Darmpartien.  Am  häufigsten  beobachtet  man  sie  (beim  Weibe) 
in  den  taschenförmigen  Vertiefungen  des  Beckenabschuitts  des  Perito- 
näums  und  in  den  verschiedenen  Räumen  zwischen  den  Beckenorganen. 
Durch  die  innigen  Verklebungen  dieser  Organe  unter  sich  sind  diese  Ab- 
scesse vollkommen  abgeschlossen.  Die  Grösse  dieser  Abscesse  ist  sehr 
verschieden ;  in  einzelnen  Fällen  findet  man  mehrere  kleinere  von  Hasel- 
nuss-  bis  Wallnussgrösse  ,  andere  Male  ist  nur  ein  grosser  Abscess  vor- 
handen. —  Mit  diesen  Abscessen  sind  immer  innige  Verwachsungen  der 
umgebenden  Organe  verknüpft,  wodurch  theils  Dislocationen,  theils  Func- 
tionsstörungen  derselben  bedingt  werden  können.  Unter  die  wichtigsten 
hierher  gehörigen  Anomalien  gehören  die  Knickungen  und  vollständigen 
Obliterationen  des  Dünndarms ,  Verengerungen  des  Recturns ,  der  Blase, 
der  Ureteren  etc.  —  Mit  diesen  peritonäalen  Eiterabsackungen  verbinden 
sich  in  einzelnen  Fällen  auch  Abscesse  ausserhalb  des  Peritonäums  am 
Beckengrunde  und  unter  den  aponeurotischen  Muskeldecken  im  Becken, 
namentlich  über  dem  Iliacus  internus  und  nach  dem  Verlaufe  des 
Psoas.  Sowohl  die  ersteren  als  auch  die  lezteren  Abscesse  haben  die 
Tendenz  zur  Perforation,  welche  jedoch  bei  den  ersteren  bei  stattfinden- 
der gehöriger  Absackung  oft  lange ,  selbst  Jahre  hindurch  hingehalten 
wird  ,  so  wie  dieselben  auch  noch  durch  eintretende  Resorption  vollstän- 
dige Heilung  zulassen,  während  bei  den  lezteren  die  Perforation  eine  un- 
ausbleibliche Folge  zu  sein  scheint.  —  Die  Perforation  findet  nach  der 
Lage  des  Abscesses  und  nach  der  verschiedenen  Umgebung  auf  verschie- 
dene Weise  statt.  Da,  wo  ein  lockeres  Bindegewebe  die  Eiterinfiltration 
begünstigt,  finden  Eitersenkungen  oft  in  grosser  Ausdehnung  statt,  bevor 
das  eine  oder  das  andere  Organ  durchbohrt  wird.  Die  äussere  Durch- 
bruchstelle ist  daher  bald  vom  Eiterherde  entfernt ,  bald  befindet  sie  sich 
in  seiner  nächsten  Umgebung.  Man  sieht  daher  Perforationen  in  der  Nabel-, 
Gesäss-,  Lenden-  und  Inguinalgegend ,  im  Rectum ,  Dünndarm;  in  der 
Blase,  dem  Uterus,  in  der  Vagina,  in  der  Perinäalgegend,  der  innern 
Schenkelfläche.  —  Eine  besondere  Betrachtung  muss  den  Abscessen  in 
der  Hüftbeingrube  gewidmet  werden.  Diese  nicht  selten  vorkom- 
menden Abscesse  sind  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  nicht  dort  entstanden, 
sondern  durch  Senkung  dahin  gelangt.  Die  lezteren  nehmen  am  häufig- 
sten von  einem  cariösen  Wirbel,  zuweilen  von  einer  vereiterten  Niere  oder 
einer  an  der  hintern  Bauchwand  angelötheten  und  dann  perforirten  Darm- 
schlinge etc.  ihren  Ursprung.  Von  den  selbstständig  in  der  Fossa  iliaca 
auftretenden  Abscessen  aber  verdanken  viele  ihre  Entstehung  einem  voraus- 
gegangenen Ergüsse   von   Blut   oder  Darminhalt ,    namentlich   aber   einer 


108  BECKENABSCESSE. 

Perforation  des  vorher  mit  der  hintern  Peritonäalwand  verwachsenen 
Wurmfortsazes  oder  einer  durch  Anhäufung  von  Koth  und  fremden  Kör- 
pern bedingten  Entzündung  im  Blinddarm ,  im  Anfangstheil  des  Colon 
ascendens  und  in  dem  hinter  diesem  liegenden  Zellgewebe ;  andere 
sind  die  Folgen  einer  Beinhaut-  oder  Knochenentzündung  an  der  innern 
Fläche  des  Darmbeins,  oder  einer  Entzündung  des  dort  liegenden  Muskels 
(Ileopsoas).  Der  Eiter  dieser  Abscesse  tritt  an  denselben  Punkten  zu 
Tage,  wie  bei  den  vorgenannten  Abscessen.  —  Diagnose.  Diese  hat 
oft  grosse  Schwierigkeiten.  Die  intraperitonäalen  Abscesse  zeigen ,  so 
lange  sie  klein  sind,  oft  eine  beträchtliche  Derbheit  und  fast  nie  eine 
deutliche  Fluctuation,  auch  lassen  sie  sich  wegen  der  Verklebung  der  mei- 
sten Nachbarorgane  nicht  mit  Genauigkeit  umgreifen,  so  dass  sie  sich  von 
andern  Anschwellungen  der  Beckenorgane  nicht  leicht  unterscheiden  las- 
sen. Nur  wenn  sie  sehr  bedeutend  und  bis  an  die  Oberfläche  gedrungen 
sind  ,  sind  sie  der  Diagnose  zugängig.  Diese  Abscesse  erschöpfen  meist 
früher,  als  es  zur  Perforation  kommt.  —  Die  extraperitonäalen  Abscesse 
sind  oft  so  tief  im  Becken  gelagert ,  dass  sie  sich  in  ihrem  Beginne  nicht 
immer  entdecken  lassen1.  Ein  starker  Druck  auf  die  entsprechende  Gegend 
kann  wohl  schmerzhaft  sein  ,  dieses  Symptom  kann  aber  auch  andern  Lei- 
den angehören.  Eine  häufige  Erscheinung  dieser  Abscesse  sind  heftige 
Neuralgien,  die  der  Ischias  gleichen  können ;  ebenso  leidet  die  Beweglich- 
keit der  einen  oder  andern  Extremität.  Der  Hüftbeingrubenabscess 
drängt  die  Eingeweide  zur  Seite  und  wölbt  sich  allmälig  als  eine  nicht 
scharf  umgrenzte  Geschwulst  oberhalb,  später  auch  unterhalb  des  Fallopii 
sehen  Bandes  hervor.  —  Droht  einer  der  in  Vorstehendem  aufgeführten 
Abscesse  seine  nächste  Umgebung  zu  durchbrechen,  so  bildet  sich  im  Um- 
fange der  Durchbruchstelle  reactive  Entzündung  mit  allgemeinen  Fieber- 
erscheinungen. Je  nach  dem  Organe,  welches  durchbrochen  Avird,  ist  der 
weitere  Verlauf  der  Krankheit  ein  mehr  oder  weniger  schmerzhafter  und 
langwieriger.  Am  raschesten  durchbrochen  wird  die  Darm-  und  die  Blasen- 
wand und  hier  wird  meist  nach  kurzem  Bestände  der  Entzündungszufälle 
plözlich  mit  Erleichterung  durch  den  Anus  oder  die  Urethra  Eiter  ausge- 
leert. Am  langwierigsten  und  schmerzhaftesten  pflegt  der  Durchbruch 
in  der  Gesäss-,  Lenden  -  und  Perinäalgegend  zu  sein.  Ist  der  Aufbruch 
geschehen,  so  folgt  immer  eine  langwierige ,  oft  zum  Tode  führende  Eite- 
rung. —  Prognose.  Diese  richtet  sich  nach  der  Constitution,  dem 
Siz  des  Abscesses  und  der  Natur  der  angesammelten  Flüssigkeit.  Immer- 
hin sind  diese  Abscesse  aber  stets  als  sehr  bedenkliche  Krankheiten,  be- 
sonders im  Wochenbette,  anzusehen.  —  Behandlung.  So  lange  sich 
noch  Entzündungserscheinungen  bemerklich  machen,  bekämpft  man  diese 
durch  örtliche  Blutentziehungen ,  sobald  aber  der  Abscess  eine  Tendenz 
zum  Durchbruche  zeigt ,  so  muss  man  diesem  möglichst  rasch  blutig  ent- 
gegen kommen.  Die  Eröffnung  geschieht  da ,  wo  man  dem  Abscesse  am 
besten  beikommen  kann.      Der  zweckmässigste  Ort  für  die  Eröffnung  der 


BECKENSYMPHYSENENTZUENDUNG.  109 

Abseesse  in  der  Hüftbeingrube  ist  oberhalb  des  F  a  1 1  o  p  i  'sehen  Bandes 
und  zwar  mittels  einer  Incision,  wie  sie  für  die  Blosslegung  der  A.  i  1  i  a  c  a 
externa  gemacht  wird.  Drängt  sich  der  Eiter  aber  mehr  gegen  einen 
der  oben  genannten  Punkte  ,  so  schneidet  man  von  hier  aus  ein.  Nur 
wenn  man  es  mit  jauchig  zerflossenen  Eiterabsackungen  mit  Zerstörung 
der  Nachbarschaft  zu  thun  hat ,  eilt  man  mit  der  Eröffnung  nicht ,  da 
durch  den  Luftzutritt  die  Zersezung  des  Eiters  und  der  tödtliche  Ausgang 
nur  beschleunigt  wird.  Senkungsabscesse  dürfen  gleichfalls  nicht  ohne 
Weiteres  geöffnet  werden.  S.  Senkungsabscesse  und  Knochen- 
krankheiten.—  Die  Behandlung  muss  nach  dem  Auf  bruche  oder  der 
Eröffnung ,  wie  bei  allen  grossen  Eiterungen ,  eine  stärkende  sein.  —  S. 
weiter  die  Art.  Harn  ab  sc  es  s  ,  Krankheiten  der  Eierstöcke 
und  Krankheiten  des  Mastdarms. 

BeckengeSCh Wülste.  Diese  gehen  entweder  von  der  G  e  b  ä  r- 
inutter  und  ihren  Anhängen  aus  (s.  Krankheiten  der  Gebär- 
mutter und  der  Eierstöcke)  oder  haben  ihren  Siz  im  Darin- 
kaual  (Anhäufung  von  Faecalmassen ,  Entzündung  und  Perforation  des 
Wurmfortsazes,  Krebs,  besonders  des  Rectums),  oder  in  der  Peritonä- 
alhöhle  (Hydrops  ascites,  abgesackte  Exsudate,  Bauchschwanger- 
schaft ,  Cysten  etc.)  ,  oder  bestehen  in  Abnormitäten  und  Afterbildungen 
des  Omentum  (Cysten,  Krebs,  Fettablagerung  etc.),  der  Harnblase 
(Lähmung  dieser  mit  Retention  des  Harns  ,  Krebs  ,  Polypenbildung)  ,  der 
Beckendrüsen,  der  Beckenmuskeln  (Entzündung  des  Ileopsoas) 
und  der  Beckenknochen  (Krebs ,  fibröse  Geschwülste ,  Knochenaus- 
wüchse). Die  meisten  dieser  Geschwülste  finden  an  den  geeigneten  Orten 
ihre  nähere  Betrachtung. 

Beckensymphysenentzündung ,    Sacro-coxaigia, 

Fibrochondritis  pelvis,  Diastasis  spontane  a.  Der  Siz  die- 
ser Entzündung  sind  die  faserknorpeligen  Beckensymphysen ,  gewöhnlich 
die  eine  Symphysis  sacro-iliaca,  doch  beobachtete  man  sie  auch 
an  beiden  und  an  der  S  y  m  p  h.  oss.  p  u  b  i  s.  Sie  befällt  vorzugsweise 
zart  gebaute  junge  Leute,  namentlich  solche,  die  scrophulös  sind  und  der 
Onanie  ergeben  waren,  ferner  disponirt  Schwangerschaft  und  Wochenbett 
dazu  in  Folge  des  grösseren  Säftereichthums  und  der  Auflockerung  der 
Beckenfaserknorpel  in  dieser  Periode.  Die  Gelegenheits  Ursachen 
sind  mechanische  Verlezungen  ,  ein  Fall ,  Stoss  ,  Schlag ,  ein  Sprung  auf 
die  Füsse ,  Aufheben  schwerer  Lasten ,  schwere  Entbindungen ,  Erkältun- 
gen ,  Gicht.  Contusionen  des  Beckens  ,  welche  für  den  Augenblick  keine 
schlimmen  Zufälle  herbeiführen ,  können  einen  Zustand  chronischer  Ent- 
zündung hinterlassen,  die  mit  der  Zeit,  besonders  wenn  andere  Einflüsse, 
wie  Gicht ,  Rheuma  oder  Syphilis  coneurriren ,  in  Caries  mit  tödtlichem 
Ausgange   übergeht.    —    Symptome.      Tiefer  Schmerz   an   der   einen 


110  BELEBENDE,  ERREGENDE  MITTEL. 

Kreuzgegend  ,  der  gegen  das  Hüftgelenk ,  die  Leistengegend  und  längs 
des  ischiadischen  Nervs  ausstrahlt ;  beschwerlicher  und  bald  ermüdender 
Gang ,  wobei  beim  Auftreten  auf  den  Fuss  ein  Einsinken  erfolgt  und  der 
Körper  sich  rückwärts  neigt.  Die  Gegend  der  Synchondrose  ist  geschwol- 
len und  gegen  Druck  empfindlich  ,  selbst  gegen  das  Liegen  auf  dieser 
Seite.  Bei  Weibern  kann  man  sich  durch  die  Scheide  auch  von  innen 
her  von  der  öchmerzhaftigkeit  der  Synchondrose  beim  Drucke  überzeugen. 
Beim  Stehen  ruht  die  Last  auf  der  gesunden  Extremität ,  die  kranke  ist 
im  Knie  und  in  der  Hüfte  leicht  gebogen  und  ruht  nur  auf  der  Fussspize, 
die  Hinterbacke  ist  abgeflacht  und  ihre  Falte  steht  tiefer.  Durch  Sen- 
kung des  Beckens  erscheint  dieses  Glied  beträchtlich  verlängert.  Manch- 
mal geht  die  Verlängerung  des  Beines  in  Folge  eines  Falles  oder  eines 
unvorsichtigen  Trittes ,  z.  B.  auf  der  Treppe ,  unter  dem  Gefühle  eines. 
Ruckes  durch  wirkliche  Dislocation  in  beträchtliche  Verkürzung  über,  die 
jedoch  durch  anhaltende  Extension  wieder  aufgehoben  werden  kann.  In 
den  höheren  Graden  des  Uebels  kann  man ,  wenn  man  die  Hand  auf  den 
Darmbeinkamm  auflegt,  beim  Gehen  oder  selbst  bei  der  einfachen  Beu- 
gung der  Schenkel,  diesen  deutlich  aufsteigen  fühlen.  Der  Gang  wird 
immer  wankender ,  die  Extremität  schwächer ,  das  Gehen  beschwerlicher, 
der  Kranke  hat  das  Gefühl  der  Taubheit  in  der  leidenden  Seite  und  fie- 
bert gegen  Abend.  In  acuten  Fällen  entstehen  consensuelle  Reizungen 
des  Darmkanales  und,  wenn  die  Schamfuge  entzündet  ist,  der  Harnblase 
und  Harnröhre.  Der  Verlauf  ist  selten  acut  und  dies  nur  im  Kindbette ; 
die  chronische  Form  dauert  oft  sehr  lange,  selbst  Jahre.  Wenn  die  Zer- 
theilung  nicht  eintritt,  so  kann  die  Heilung  durch  Ankylose  erfolgen,  was 
bei  der  gichtischen  Complication  meist  der  Fall  ist.  Der  häufigste  Aus- 
gang ist  der  in  tödtliche  Eiterung  oder  Caries  mit  Congestionsabscessen, 
die  in  der  Nähe  der  Synchondrose  mitunter  neben  dem  Mastdarm  zum 
Vorschein  kommen.  —  Die  Diagnose  ist  bei  einiger  Aufmerksamkeit 
auf  den  Siz  der  Schmerzen ,  die  constant  beim  Drucke  auf  die  Synchon- 
drose vermehrt  werden ,  in  den  meisten  Fällen  nicht  schwierig.  —  Die 
Prognose  ist  im  Ganzen  ungünstig ,  weil  die  in  Eiterung  und  Caries 
übergegangene  Entzündung  fast  immer  tödtlich  endet. 

Behandlung.  Diese  muss  sehr  activ  sein  und  besteht  bei  den 
acuten  Formen  besonders  in  Blutegeln  und  Merkur,  bei  der  chronischen  in 
wiederholter  Application  von  Blutegeln,  Schröpf  köpfen,  fliegenden  Blasen- 
pflastern, Moxen  und  Glüheisen,  Ungt.  mercuriale.  Ist  eine  Neigung 
zur  Dislocation  vorhanden,  so  muss  ein  Hagedorn'scher  Verband  angelegt 
und  das  Gehen  bis  zur  völligen  Consolidation  untersagt  werden.  Später 
können  Bäder  und  kalte  Douchen  von  Nuzen  sein. 

Belebende,  erregende  Mittel,  Animantia,  Excitan- 

t  i  a.  Hierunter  versteht  man  solche  Reizmittel ,  welche  entweder  schnell, 
aber  nicht  andauernd,  oder  langsam  aber  anhaltend  die  geschwächte  Ner- 


BERUHIGENDE  MITTEL.  111 

ven-  und  Gef  ässthätigkeit  erregen ,  indem  sie  entweder  direet  auf  das 
Nervensystem  einwirken  und  ihm  gleichsam  Lebenskräfte  mittheilen,  und 
so  indirect  auch  das  nur  unter  dem  Einfluss  des  Nervensystems  thätige 
Gefässsystem  beleben ,  oder  indem  sie  belebend  direet  auf  das  Gefäss- 
system  einwirken  und  diesem  neue  Kraft  zuführen  und  so  indirect  auch 
das  nur  unter  dem  Einflüsse  des  Gefässsystems  thätige  Nervensystem  be- 
leben. —  Erstere,  die  fluchtigen,  passen  mehr  da,  wo  die  beiden  Lebens- 
factoren mehr  schlummern  und  durch  die  flüchtige  Einwirkung  dieser 
Mittel  gleichsam  wieder  erweckt  werden  ;  sie  finden  also  ihre  Anwendung 
da,  wo  es  einer  raschen  Aufreizung  bedarf,  wie  bei  Ohnmächten  ,  beim 
Scheintod ,  bei  torpider ,  an  Lähmung  grenzender  oder  bereits  in  solche 
übergegangener  Schwäche ,  und  zwar  so  lange  ,  bis  die  beiden  Lebens- 
factoren wieder  so  weit  im  Gleichgewichte  stehen ,  dass  das  Leben  fort- 
bestehen kann  und  andere ,  weiter  angezeigte  Mittel  in  Anwendung  ge- 
bracht werden  können.  Leztere  hingegen ,  die  anhaltend  wirkenden, 
passen  mehr  da ,  wo  der  eine  oder  der  andere  dieser  Lebensfactoren  oder 
beide  zugleich  wirklich  erschöpft  oder  so  geschwächt  sind,  dass  das  Leben 
(allgemein  oder  örtlich)  zwar  schwach  fortbesteht ,  aber  die  natürlichen 
Functionen  nur  schwach  oder  ganz  unmöglich  sind.  Diese  Mittel  zer- 
fallen also  in  solche ,  welche  vorzüglich  auf  das  Nervensystem ,  und  in 
solche,  welche  hauptsächlich  auf  das  Gefässsystem  wirken.  Zu  den  erste- 
ren,  flüchtig  und  schnell  wirkenden  Mitteln  rechnet  man  :  Ammonium, 
Phosphor ,  die  empyreumatischen  Oele  ,  Nuxvomica,  Electricität  und 
Galvanismus  etc.  ;  zu  den  zweiten ,  den  eigentlichen  Irritantia,  die 
ätherischen  Oele  (Ol.  terebinthinae,juniperi,  cajeput,  cha- 
momillae,  macis,  majoranae,  den  Kampher  u.  a.),  die  ätherisch- 
öligen oder  abgezogenen  Geister  (das  Kölnische  Wasser ,  derSpirit. 
menthae,  melissae,  serpylli,  rorismarini  etc.)  ,  die  weingei- 
stigen Mittel  (Alkohol,  die  Aetherarten,  den  Wein),  die  Wärme,  die  Kälte, 
den  Essig,  die  Ameisensäure  ;  scharfe  Mittel,  wie  den  Pfeffer,  die  Cantha- 
riden,  die  Bertrams-  und  Bibernellwurzel  etc.  ;  aromatische  Räucherungen, 
den  thierischen  Dunst,  das  Sonnenbad,  die  Urtication,  das  Schröpfen,  die 
Acupunctur  etc. 

Beruhigende  Mittel,  Sedantia  oderschmerzstillende 
Mittel,  Anodyna  (von  «  prid.  und  oSvvrj ,  der  Schmerz).  Hierunter 
versteht  man  alle  therapeutischen  Mittel,  sie  mögen  nun  arzneiliche,  phy- 
sische oder  chirurgische  sein ,  welche  den  Zweck  haben ,  die  allgemeine 
oder  partielle  Aufregung  und  den  Schmerz,  von  welcher  Ursache  er  auch 
abhängen  mag,  zu  vermindern.  Daher  umfassen  die  S  e  d  a  n  t  i  a  nicht 
bloss  alle  die  arzneilichen  Mittel ,  welche  unter  verschiedenen  Umständen 
zu  beruhigenden  werden  können,  wie  z.  B.  die  erweichenden,  kühlenden, 
adstringirenden ,  ja  selbst  einige  reizende  Mittel,  wenn  sie  als  Revul- 
s  i  v  a  gebraucht  werden ,  sondern  auch  viele  physische  Mittel ,  die  wie  die 


112  BINDE. 

Bäder,  die  Bähungen,  die  Compressionsmittel  nicht  in  die  Pharmocologie 
gehören,  sowie  endlich  eine  Menge  chirurgischer  Verfahren,  wie  Einschnitte 
bei  ungleicher  Spannung  der  Theile,  das  Ausziehen  eines  fremden  Körpers, 
eines  schmerzhaften  Zahnes ,  Blutentziehungen  etc.  Die  Beruhigung  ist 
also  nicht  das  Resultat  einer  eigenthümlichen  Heilwirkung,  die  durch  eine 
Klasse  analoger  Mittel  hervorgebracht  wird ,  sondern  blos  der  allgemeine 
Ausdruck  einer  secundären  therapeutischen  Wirkung ,  die  das  Product 
einer  Menge  sehr  verschiedener  und  manchmal  sogar  entgegengesezter 
Mittel  sein  kann.  —  Indessen  gibt  es  eine  Klasse  von  Mitteln ,  welche 
durch  directe  Wirkung  auf  die  Nerven  die  Schmerzen  vermindern  ,  die 
unter  dem  Namen  der  betäubenden  Mittel  näher  erörtert  werden  sollen. 

Betäubende  Mittel,  Narcotica  (von  i'UQxou),  ich  betäube). 
Mit  diesem  Namen  belegt  man  Arzneimittel ,  welche  die  Sensibilität  her- 
unterstimmen und  sie  abstumpfen  und  zwar  theils  unmittelbar  durch  blosse 
Berührung  der  peripherischen  Enden  der  Nerven ,  theils  mittelbar ,  indem 
die  wirksamen  Stoffe  derselben  von  den  aufsaugenden  Gefässen  aufge- 
nommen, in  den  Kreislauf  gebracht  werden  und  vom  Blute  aus  auf  Gehirn 
und  Nervenmark  einwirken.  Die  äusserlich  wirkenden  Mittel  dieser  Gat- 
tung können  in  nicht  erregende  oder  solche ,  welche  die  animalen 
Lebensäusserungen  der  Nerven  beschränken ,  ohne  die  Bildungsthätigkeit 
derselben  zu  vermehren,  und  in  erregende  oder  solche  eingetheilt  wer- 
den ,  welche  zugleich  die  Thätigkeit  der  Blutgefässe ,  der  Nerven  und  des 
Gehirns  vermehren.  Leztere  äussern  auch  auf  die  rückführenden  und  auf- 
saugenden Gefässe  einige  Wirkung.  —  Zu  den  nicht  erregenden 
Narcotica  zählt  man :  die  Blausäure  und  die  blausäurehaltigen  Wasser 
(Aqua  laurocerasi,  pruni  padi,  amygd.  amar. ,  persico- 
r u m )  und  Oele  (Oleum  laurocerasi,  amygd.  amar.  ,  cortic. 
pruni  padi  etc.)  und  das  blausaure  Kali;  zu  den  erregenden:  das 
Bilsenkraut,  die  Belladonna,  den  Stechapfel,  den  Giftlattich,  Hanf,  das 
Opium  und  diesem  ähnlich  wirkende  Substanzen,  die  Cicuta,  Digitalis,  den 
Tabak ,  Akonit  etc.  ;  endlich  sind  noch  der  Aether  und  das  Chloroform, 
sowie  der  thierische  Magnetismus  als  schmerzstillende  Mittel  zu  nennen. 

Binde  ,  F  a  s  c  i  a  ,  Vinculum.  Mit  diesem  Namen  bezeichnet 
man  ein  gewöhnlich  aus  Leinwand  bereitetes  ,  langes  und  schmales  oder 
kurzes  und  breites  Verbandstück,  welches  zur  Befestigung,  zum  Zusam- 
menhalten oder  Einschliessen  irgend  eines  Theiles  des  Körpers  dient.  Man 
bereitet  auch  Binden  aus  Barchent,  Flanell,  Seide,  Kattun,  Gurt  und  Leder, 
je  nachdem  es  der  Zweck  erfordert.  —  Die  Breite  und  Länge  der  Binden 
richtet  sich  nach  dem  Umfange  und  der  Länge  des  kranken  Körpertheiles. 
Zu  schmale  Binden  schneiden  an  umfangreichen  Gliedern  ein ,  zu  breite 
klaffen.  Die  Binden  für  die  Hand  müssen  etwa  1  Querfinger ,  für  den 
Kopf  2,  für  die  Arme  und  Schenkel  3  und  für  den  Rumpf  4  Finger  breit 


BINDE.  113 

sein.  Die  Lange  wechselt  von  2  —  27  Ellen.  —  Man  theilt  die  Binden 
in  einfache  und  zusmmengesezte  ein.  Erstere  bestehen  aus  ein- 
fachen Bändern,  welche  sich  nach  einer  Richtung  hin  entwickeln  ;  die  lez- 
teren  hingegen  bestehen  aus  mehreren  einzelnen  Bindenstücken  ,  die  so 
zu  einem  Ganzen  vereinigt  werden,  dass  sie  entweder  in  einer  oder  in  ver- 
schiedenen Richtungen  verlaufen. 

I.  E  inf  ach  e  B  in  d  en.  An  jeder  einfachen  Binde  unterscheidet 
man  die  beiden  Enden  und  das  Mittelstück  oder  den  Grund. 
Wird  eine  Binde  in  ihrer  ganzen  Länge  auf  eine  Rolle  aufgewickelt ,  so 
erhält  man  eine  einköpfige  Binde;  rollt  man  sie  von  beiden  Seiten 
gegen  die  Mitte  hin  auf,  so  entsteht  eine  zweiköpfige  Binde.  Die 
aufgewickelte  Binde  nennt  man  Rollbinde.  —  Um  eine  einfache  Binde 
aufzuwickeln  ,  wird  das  eine  Ende  einige  Mal  in  sich  selbst  zusammen- 
geschlagen und  durch  Rollen  zwischen  den  Fingern  beider  Hände  eine 
steife  Rolle  gebildet.  Diese  Rolle  fasst  man  an  ihren  Seitenwänden  mit 
der  Spize  des  linken  Daumens  und  Zeigefingers  und  legt  sie  so  in  die 
hohle  rechte  Hand,  dass  der  aufzurollende  Theil  der  Binden  zwischen  dem 
Daumen  und  Zeigefinger  durchlaufend  über  den  Rücken  dieser  Hand 
herabhängt.  Der  eingeschlagene  4.  und  5.  Finger  der  rechten  Hand  un- 
terstüzen  die  Rolle.  Beide  Hände  befinden  sich  dabei  in  einer  Lage  zwi- 
schen Pro-  und  Supination.  Um  nun  das  Aufrollen  der  Binde  zu  bewerk- 
stelligen ,  werden  beide  Hände  in  Supination  gebracht ,  wodurch  der  zwi- 
schen den  Fingern  der  linken  Hand  festgehaltene  Bindenkopf  sich  wie  um 
zwei  Angeln  dreht,  während  der  gegen  den  Zeigefinger  angedrückte  Dau- 
men der  rechten  Hand  den  unaufgewickelten  Theil  der  Binde  ,  welcher 
dem  Zuge  der  Rolle  folgt  und  sich  an  diese  anlegt ,  durchlässt.  Hierauf 
werden  die  Hände  in  die  erst  innegehabte  Lage  zurückgebracht  und  das 
eben  angegebene  Verfahren  so  lange  wiederholt ,  bis  die  Binde  ganz  auf- 
gewickelt ist.  Von  Zeit  zu  Zeit  fixirt  man  die  Rolle  in  der  sie  haltenden 
Hand  und  zieht  den  aufzurollenden  Theil  der  Binde  mit  dem  Daumen 
und  Zeigefinger  der  rechten  Hand  fest  an  ,  um  die  Festigkeit  der  Rolle 
zu  vermehren.  Soll  eine  Binde  auf  zwei  Köpfe  aufgerollt  werden ,  so  be- 
zeichnet man  erst  die  Mitte  derselben,  wickelt  sie  dann  von  dem  einen 
Ende  aus  bis  zu  dem  Zeichen  auf  und  steckt  den  Kopf  mit  einer  Steck- 
nadel fest,  damit  er  sich  beim  Aufrollen  der  zweiten  Bindenhälfte  nicht 
abwickele.  In  Spitälern  bedient  man  sich  häufig  eigener  Bindenwickel- 
maschinen.  —  Mit  dem  Anlegen  der  Binde  darf  nie  über  der  leidenden 
Stelle  begonnen  werden.  Um  die  einköpfige  Binde  anzulegen  ,  fasst  man 
sie  so  in  die  rechte  Hand ,  dass  der  Kopf  nach  oben  sieht ,  ergreift  das 
freie  Ende  der  Binde  mit  dem  linken  Daumen  und  Zeigefinger ,  rollt  ein 
Stück  ab,  legt  es  da  an,  wo  man  beginnen  will  und  hält  es  dort  mit  eini- 
gen Fingern  fest ,  bis  man  es  durch  einige  darüber  geführte  Kreisgänge 
befestigt  hat,  worauf  man  mit  der  weitern  Anlegung  der  Binde  in  der 
Weise  fortfährt,  dass  man  den  Kopf  nahe  an  dem  Gliede  herumführt  und 
Burger,  Chirurgie.  8 


1  14  BINDE. 

jede  Uniwickelung  (Gang,  Tour)  die  andere  etwas  deckt.  Hat  man  Theile 
von  ungleichem  Durchmesser  zu  verbinden  ,  so  wendet  man  zur  Vermei- 
dung klaffender  Spalten  den  sogenannten  Umschlag  (Inversio, 
Renverse)  an,  den  man  so  lange  als  nöthig  bei  allen  Gangen  wieder- 
holt. Je  nachdem  der  zu  verbindende  Theil  an  Dicke  zu-  oder  abnimmt, 
werden  die  Umschläge  auf-  oder  abwärts  gemacht.  Man  bildet  sie,  indem 
man  den  erschlafften  Bindenkopf  um  seine  Achse  dreht,  während  man  den 
Daumen  auf  den  Rand  der  zulezt  gemachten  Bindentour  legt,  so  wohl  um 
diese  zu  fixiren,  als  die  Wendungsstelle  für  den  Umschlag  zu  bestimmen. 
Man  bildet  die  Umschläge  immer  an  der  gleichen  Stelle.  —  Beim  An- 
legen der  zweiköpfigen  Binde  wird ,  während  man  in  jeder  Hand  einen 
Bindenkopf  hält ,  der  Grund  derselben  auf  die  Mitte  der  hintern  Fläche 
des  zu  umgehenden  Theiles  gelegt ,  beide  Köpfe  nach  vorn  geführt  und 
über  dem  Gliede  gewechselt  und  gekreuzt.  Der  Schluss  der  Binde  darf 
so  wenig  wie  der  Anfang  in  den  Bereich  der  kranken  Stelle  kommen  ;  er 
wird  mit  einer  Stecknadel  oder  Nadel  und  Faden  befestigt.  —  Beim  Ab- 
nehmen der  Binde  löst  man  zuerst  den  Schluss  derselben  und  übergibt 
das  Abgewickelte  in  einem  Knäuel  von  einer  Hand  in  die  andere.  Ange- 
klebte Stellen  weicht  man  mit  warmem  Wasser  auf. 

II.  Z  u  s  a  m  m  e  n  g  e  s  e  z  t  e  B  i  n  d  e  n.  Zu  diesen  rechnet  man  die 
TBinde ,  die  Buchbinde,  die  Scultet'sche  und  die  Gitterbinde.  — 
l)  Die  TBinde  (Fascia  T  formis)  hat  die  Gestalt  eines  lateini- 
schen T  und  besteht  aus  einem  horizontalen  Leinwandstreifen  ,  an  dem 
je  nach  Bedürfniss  ein  oder  zwei  senkrechte  Streifen  entweder  festgenäht 
oder  mit  einer  Oehse  angeschoben  sind  (bewegliche  TBinde);  nicht 
selten  wird  der  senkrechte  Theil  an  seinem  freien  Ende  bis  auf  einige 
Zoll  gespalten.  Die  TBinden  werden  zur  Befestigung  anderer  Verband- 
stücke, namentlich  am  Rumpfe  benüzt.  —  2)  Die  Buch-  oder  Blätter- 
binde (F.  as  cialis  s.  libriformis)  wird  hauptsächlich  bei  Fractu- 
ren  der  unteren  Extremitäten  angewendet.  Man  nimmt  zu  ihrer  Herstel- 
lung drei  Stücke  Leinwand ,  deren  Länge  und  Breite  sich  nach  dem  ver- 
lezten  Gliede  richtet ,  legt  sie  auf  einander ,  verbindet  sie  in  der  Mitte 
durch  eine  Naht  und  macht  in  jede  Lage  von  beiden  Seiten  aus  zwei  Ein- 
schnitte in  der  Weise,  dass  die  Einschnitte  der  verschiedenen  Lagen  nicht 
auf  einander  treffen.  Hiedurch  erhält  man  im  Ganzen  1  8  Köpfe,  weshalb 
man  diese  Binde  auch  die  18köpfige  nennt.  Man  kann  auch  mehr  als 
18  Köpfe  bilden.  Zweckmässiger  wird  diese  Binde  aus  einzelnen  Lein- 
wandstreifen gebildet,  welche  man  in  drei  Lagen  in  der  Art  über  einander 
legt,  dass  die  Zwischenräume  der  einzelnen  Streifen  gedeckt  werden :  hier- 
durch wird  es  möglich ,  einzelne  beschmnzte  Streifen  zu  entfernen  und 
durch  reine  zu  ersezen.  Die  mittlere  Lage  erhält  dabei  einen  Streifen 
weniger  als  die  obere  und  untere.  — -  3)  Die  vielköpfige  Binde, 
gewöhnlich  die  S  cu  ltet 'sehe  Binde  genannt,  hat  dieselbe  Bestimmung 
wie   die  vorhergehende,  vor  der  sie  aber  den  Vorzug  verdient.    Sie  wird 


BINDE.  115 

aus  einzelnen  Leinwandstreifen  zusammengesezt ,  die  so  auf  einander  ge- 
legt werden ,  dass  einer  den  andern  zur  Hälfte  deckt.  Die  Breite  der 
Streifen  beträgt  2  —  3  Zoll ;  ihre  Länge  muss  eine  solche  sein ,  dass  sie 
l1/2  Mal  um  das  Glied  gelegt  werden  können.  Die  Anzahl  der  Streifen 
richtet  sich  nach  der  Länge  des  Gliedes.  Zur  bessern  Handhabung  der 
Binde  ordnet  man  sie  auf  einem  Tuche  an,  welches  man  unter  das  zu  ver- 
bindende Glied  bringt.  Bei  der  Anlage  beginnt  man  mit  dem  untersten 
kürzesten  Streifen,  dessen  beide  Enden  man  so  um  das  Glied  schlägt,  dass 
sie  sich  auf  diesem  kreuzen.  Auf  gleiche  Weise  verfährt  man  mit  den 
übrigen  Streifen  von  unten  nach  oben  zu.  —  5)  Der  Gitterbinden 
gibt  es  zwei ,  eine  vierköpfige,  auch  Kreuzzugsbinde  genannt, 
zur  Vereinigung  von  Längenwunden,  und  eine  zweiköpfige,  für  Quer- 
wunden  bestimmt.  Die  erste  besteht  aus  vier  Bindenstreifen,  von  welchen 
je  zwei  durch  drei  schmale  Bändchen  mit  einander  verbunden  sind,  welche 
vor  ihrer  Befestigung  so  in  einander  geschoben  werden,  dass  die  6  Bänd- 
chen sich  kreuzen.  Die  zweiköpfige  Gitterbinde  besteht  aus  zwei  Lein- 
wandstücken von  1I/2 — 1  Elle  Länge  und  so  breit  als  die  Wunde,  von 
denen  das  eine  von  einem  Ende  an  bis  zur  Mitte  mehrfach  gespalten,  das 
andere  mit  eben  so  vielen  Spaltöffnungen  versehen  wird.  Bei  der  Anle- 
gung der  4köpfigen  Binde  kommen  die  gekreuzten  Bändchen  auf  die 
Wunde  zu  liegen  ;  zwei  Köpfe  der  Binde  werden  auf  der  der  Wunde  ent- 
gegengesezten  Seite  des  Theiles  auf  einer  Compresse  verknüpft ,  die  bei- 
den anderen  Köpfe  so  fest  als  nöthig  angezogen  und  seitlich  befestigt. 
Von  der  2köpfigen  Gitterbinde  wird  das  eine  Stück  oberhalb ,  das  andere 
unterhalb  durch  einige  Zirkeltouren  befestigt ,  die  Köpfe  des  einen  Strei- 
fens durch  die  Spalten  des  anderen  gesteckt ,  die  Enden  beider  in  ent- 
gegengesezter  Richtung  angezogen  ,  bis  die  Wundlefzen  mit  einander  in 
Berührung  kommen,  und  sie  dann  durch  weitere  Zirkelgänge  befestigt. 

in.  Allgemeine  Binden  verbände.  Der  Zirkelverband 
(Fasciatio  circularis,  orbicularis)  besteht  aus  mit  einer'  ein- 
köpfigen Binde  ausgeführten  kreisförmigen ,  sich  vollständig  deckenden 
Umwickelungen  um  einen  Körpertheil ;  einen  einzelnen  Gang  nennt  man 
Zirkelgang.  Dieser  Verband  dient  zur  Befestigung  kleiner  Verband- 
stücke ;  auch  beginnen  und  enden  die  meisten  Rollbindenverbände  mit 
Zirkeltouren.  —  2)  Der  Spiral-,  Schnecken-  oder  Hobelspan- 
verband,  der  Hobel  (Fasciatio  spiralis,  Ascia,  Dolabra) 
besteht  in  der  Anlegung  einer  Binde,  wobei  die  Touren  sich  spiralförmig 
um  den  zu  verbindenden  Körpertheil  winden  (Ductus  s  p  i  r  a  1  e  s).  Wird 
die  Binde  dabei  aufwärts  geführt,  so  heisst  der  Verband  eine  Dolabra 
a  s  c  e  n  d  e  n  s  ,  im  umgekehrten  Falle  eine  Dolabra  descendens. 
Decken  sich  die  Touren  wenig  oder  gar  nicht,  so  nennt  man  den  Verband 
den  kriechenden  Spiral  verband  (D.  repens  obtusa);  er 
dient  zur  leichten  Festhaltung  anderer  Verbanclstücke ;  wird  ein  Dritttheil 
jeder  Tour   durch   die   nachfolgende  gedeckt,    so  heisst  dies  der  breite 

8* 


116  BLUTEGELSEZEN. 

oder  grosse  Spiralverband;  geschieht  die  Deckung  zur  Hälfte 
(bei  Einwicklungen  der  Extremitäten),  der  mittlere  und  bei  solcher  zu 
drei  Viertheilen  der  kleinere  oder  schmale  Spiralverband.  — 
Dient  der  Spiralverband  zur  Festhaltung  anderer  Verbandstucke,  so  heisst 
er  auch  haltender  Verband  (Fascia t.  continens  s.  con- 
tentiva).  Legt  man  ihn  fest  an  in  der  Absicht ,  einen  Druck  aus- 
zuüben ,  so  wird  er  Compressivverband  (F.  compressiva)  ge- 
nannt. Eine  Abart  von  diesem  ist  der  austreibende  Verband  (F. 
expulsiva  s.  expellens),  welchen  man  in  Verbindung  mit  gestuften 
Longuetten  uud  Compressen  anwendet ,  um  Secrete  aus  Hohlgeschwüren 
auszutreiben  und  deren  Wandungen  durch  Zusammendrücken  zur  Ver- 
wachsung zu  bringen.  —  3)  Der  Kr  e  uz  verb  an  d  (F.  cruciata) 
findet  an  Gelenken  seine  Anwendung  und  besteht  aus  zuerst  auf-  oder 
abwärts  steigenden,  dann  in  entgegengesezter  Richtung  auf-  oder  abwärts 
verlaufenden  Gängen ,  so  dass  sich  je  zwei  Gänge  an  irgend  einer  Stelle 
kreuzen  (Ductus  cruciati).  An  jeder  Kreuztour  unterscheidet  man 
die  Kreuzungsstelle  und  die  Strahlen  oder  Bogen.  Es  gibt 
zwei  Arten  von  Kreuzverband  :  a)  der  Schildkrot-  oder  strahlen- 
förmigeVerband  (Testudo,  Fase,  radiata)  entsteht,  wenn  die 
Kreuzungspunkte  mehrerer  Gänge  aufeinander  fallen  und  die  Bogen  der- 
selben einander  immer  mehr  genähert  oder  von  einander  entfernt  werden. 
Bei  Gelenken  fallen  die  Kreuzungspunkte  auf  die  Beuge  -  und  die  Bogen 
auf  die  Streckseite  des  Gliedes.  Steigen  die  Bogen  über  dem  Gelenke 
auf-  und  unter  diesem  abwärts,  so  erhält  man  eine  Testudo  reversa, 
bei  umgekehrtem  Verlaufe  eine  T.  i n v e r s a.  b)  Der  Kornähren- 
verband (S  p  i  c  a)  wird  dadurch  gebildet,  dass  man  bei  mehreren  Kreuz- 
touren diese  sich  nur  theilweise  decken  lässt,  wodurch  eine  Figur  entsteht, 
die  Aehnlichkeit  mit  der  Stellung  der  Spelzen  einer  Kornähre  hat.  Man 
kann  eine  horizontale  oder  perpendiculäre ,  eine  auf-  oder  absteigende 
Spina  bilden.  —  1)  Der  vereinigendeVerband  (Fase,  uniens) 
wird  mit  einer  zweiköpfigen  Binde  ausgeführt,  indem  man  über  der  Wunde 
angekommen,  entweder  den  untern  Bindengang  über  den  obern  umschlägt 
oder  den  einen  Kopf  durch  eine  Längenspalte  hinter  dem  andern  durch- 
steckt und  dann  beide  Köpfe  so  stark ,  als  zur  Vereinigung  der  Wunde 
nöthig  ist ,  anzieht.  Man  fährt  so  fort ,  bis  diese  geschlossen  ist.  — ■  Die 
Anwendung  der  Gitterbinde  siehe  oben.  —  Man  nennt  diesen  Verband 
auch  den  fleischmachenden,  Fase,  incarnativa. 

Biutegelsezen  ,  Applicatio  hirudinum.  Mit  dem  An- 
sezen  von  Blutegeln  bezweckt  man  eine  örtliche  Blutentleerung  aus  dem 
Capillargefässsystem.  Es  gibt  eine  grosse  Menge  von  Verfahren,  sie  anzu- 
sezen.  Am  zweckmässigsten  ist  es,  wenn  es  die  Localität  erlaubt ,  sie  in 
ein  kleines  Weinglas  oder  in  einen  gläsernen  Schröpfkopf  zu  bringen, 
denselben  da  umgestülpt  aufzusezen ,  wo  sie  saugen  sollen ,  und  ruhig  ab- 


KLliTEGELSEZEN.  117 

zuwarten,  bis  sie  angebissen  haben.  Oder  man  fasst  dieselben  mit  einem 
Stückchen  Leinwand  an  ihrem  hinteren  Theile  und  leitet  den  Kopf  gegen 
die  Applicationsstelle  hin  ;  man  kann  sie  mittels  eines  zusammengerollten 
Kartenblattes  oder  eines  Glascylinders  ansezen ;  lezteres  Verfahren  ist 
beinahe  unentbehrlich ,  wenn  die  Blutegel  in  der  Tiefe  von  Höhlen  oder 
Kanälen  applicirt  werden  sollen  ,  z.  B.  am  Muttermunde.  —  Wollen  die 
Blutegel  nicht  anbeissen ,  so  haben  sie  entweder  schon  vorher  gesogen, 
oder  sie  häuten  sich,  oder  die  Haut  ist  noch  nicht  gehörig  von  riechenden 
Schweissen  ,  Haaren  ,  Einreibungen  etc.  ,  gereinigt.  Ist  dies  aber  gesche- 
hen ,  so  bestreicht  man  zur  Beförderung  des  Anbeissens  die  betreffende 
Stelle  mit  Zuckerwasser,  Milch  oder  Blut,  oder  man  legt  die  Blutegel  vor- 
her in  braunes  Bier ,  lässt  sie  einige  Minuten  auf  einem  trokenen  Tuche 
herum  kriechen ;  im  Nothfall  macht  man  einen  kleinen  Einstich  mit  der 
Lancette.  Wenn  sich  die  Blutegel  vollgesogen  haben ,  so  fallen  sie  von 
selber  ab  ;  will  man  dieses  Abfallen  beschleunigen  ,  so  bestreut  man  sie 
mit  ein  wenig  Salz.  Nach  dem  Abfallen  begünstigt  man  die  Nachblutung 
durch  Waschungen  mit  lauwarmem  Wasser.  In  der  Regel  hört  die  Blu- 
tung von  selbst  auf  oder  man  stillt  sie  durch  kaltes  Wasser  oder  Essig 
oder  das  Auflegen  von  Feuerschwamm  doch  sehr  bald.  Zuweilen  ist  es 
indessen  ungemein  schwer,  namentlich  bei  Kindern,  die  Blutung  zu  stillen. 
Man  hat  bei  diesen  daher  solche  Stellen ,  wo  grössere  Venen  oder  gar 
Arterien  liegen,  bei  der  Application  sorgfältig  zu  vermeiden  und  vielmehr 
diejenigen  auszuwählen  ,  an  welchen  sich  wegen  unterliegender  Knochen 
mit  Leichtigkeit  eine  Compression  ausüben  lässt.  Zur  Stillung  solcher 
Blutungen  empfiehlt  man  das  Aufstreuen  von  styptisehen  Pulvern  (Colo- 
phonium ,  Alaun,  Gummi  arabicum),  das  Eindrehen  von  2 — 3  Charpie- 
fäden ,  das  Aufstreichen  von  Collodium ,  das  Auflegen  von  Pinghwar-har, 
die  Cauterisation  mit  einem  zugespizten  Stückchen  Höllenstein  oder  einem 
glühend  gemachten  Drahte  oder  einer  Stricknadel ,  die  Verschliessung 
der  Wunde  mittels  einer  Schieberpincette  ,  oder  als  das  sicherste  Mittel 
das  Durchstechen  einer  die  Bissstelle  in  sich  schliessenden  Hautfalte  mit 
einer  Insectennadel  und  Umschlingungung  dieser  mit  einem  Faden  in  der 
Weise ,  dass  sich  der  Faden  auf  der  Stichwunde  kreuzt.  —  Theile, 
welche  mit  zartem  ,  schlaffen  Zellgewebe  versehen  ,  z.  B.  die  Augenlider, 
der  Hodensack ,  der  Penis  vertragen  die  Blutegelstiche  nicht  gut ,  weil 
grosse  Blutunterlaufungen ,  Geschwulst  und  Entzündung  darnach  ent- 
stehen;  man  vermeidet  sie  daher  möglichst;  treten  diese  Zufälle  auf,  so 
wendet  man  Bähungen  von  Bleiwasser  an.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  thut 
man  auch  wohl,  die  Blutegel  nicht  auf  die  entzündete  und  geröthete  Haut- 
stelle selbst,  sondern  an  die  Grenze  derselben  zu  sezen ;  bei  tiefer  gele- 
gener oder  atonischer  Entzündungsgeschwulst  kann  man  dies  jedoch  ohne 
Bedenken  thun.  —  Sollten  Blutegel  zufällig  in  die  Nasenhöhle,  den 
Magen,  den  Mastdarm,  die  Scheide  etc.  gekrochen  sein,  so  tödtet  man  sie 
durch  eine  eingesprizte  oder  verschluckte  Kochsalzlösung. 


118  BLUTSTILLENDE   MITTEL. 

Blutstillende  Mittel,  Haemostatica  (von  ai/ua,  das 
Blut ,  und  $(i(x)  j  ich  stille).  Die  in  grosser  Anzahl  sich  darbietenden 
Mittel  zur  Blutstillung  müssen ,  je  nach  der  Grösse,  Zahl,  Natur  und 
Lage  der  Gef  ässe ,  welche  das  Blut  ergiessen  ,  je  nachdem  die  Blutung 
in  Folge  einer  Verwundung ,  einer  Verschwärung ,  einer  Ausschwizung, 
einer  Zusammenschnürung  stattfindet,  nothwendig  verschieden  sein.  Die 
gesunde  oder  krankhafte  Beschaffenheit  der  Wandungen  der  Blutgefässe, 
aus  denen  das  Blut  kommt ,  die  der  umgebenden  Weichtheile ,  welche 
gesund,  entzündet,  infiltrirt  oder  vom  Brande  ergriffen  sein  können,  die 
Natur  der  Zufälle ,  welche  die  Blutung  begleiten ,  das  Alter ,  die  Kraft 
oder  die  Schwäche  des  Kranken  sind  noch  andere  Umstände ,  die  man 
sorgfältig  in  Erwägung  ziehen  muss  ,  um  entweder  eine  richtige  Wahl 
unter  den  blutstillenden  Mitteln  zu  treffen  oder  um  methodisch  diejeni- 
gen anzuwenden ,  welche  in  jedem  besondern  Falle  passen.  — •  Die  Blut- 
stillungsmittel zerfallen  je  nach  ihrer  Wirkungsweise  in  solche ,  welche 
vorzugsweise  auf  chemischem  Wege  Gerinnung  des  Blutes  und  dadurch 
Verschluss  des  blutenden  Gef  ässes  bedingen  ;  in  solche ,  welche  wesent- 
lich durch  Erregung  der  Contraction  der  Gefässe  wirken  und  in  solche, 
weiche  auf  mechanischem  WTege  den  Blutstrom  hemmen.  —  I.  Che- 
misch wirkende  Mittel.  Die  meisten  zu  dieser  Gruppe  gehören- 
den Mittel  sind  pharmaceutische  (Medicamenta  styptica,  von 
c;v(ß(x) ,  ich  ziehe  zusammen).  Sie  wirken  nur  dann  ,  wenn  sie  mit  dem 
Blute  selbst  in  Berührung  kommen ,  indem  sie  das  Eiweiss  des  Blutes 
gerinnen  machen ;  nebenbei  wirken  sie  auch  contrahirend  auf  die  Gefässe. 
Man  wendet  diese  Substanzen  entweder  in  Auflösungen  oder  gewöhn- 
licher als  Pulver  an.  Im  erstem  Falle  werden  sie  in  Wunden  und  be- 
sonders in  Höhlen ,  aus  denen  eine  Blutung  erfolgt ,  eingesprizt  oder 
Charpiebäusche  damit  getränkt ;  im  lezteren  streut  man  sie  auf  die  blu- 
tenden Gefässe  theils  direct ,  theils  indem  man  sie  einem  Tampon  ein- 
verleibt. Um  das  Haften  in  der  Wunde  zu  sichern ,  mischt  man  ihnen 
auch  Gummi  und  Harze  bei ,  denen  Manche  eine  specifische  Wirksamkeit 
zuschreiben.  Hieher  gehören  :  schwefelsaures  Kupfer  ,  Alaun  ,  schwefel- 
saures Eisen,  Höllenstein,  Mineralsäuren,  Weinessig,  Weingeist,  Theden's 
Schusswasser  (eine  Zusammensezung  der  drei  lezteren).  Wenn  der  Blut- 
fluss  nur  einigermassen  beträchtlich  ist ,  so  ist  die  Wirksamkeit  dieser 
Mittel  sehr  unsicher  und  unzureichend  ;  bei  Blutungen  aus  den  kleinsten 
arteriellen  und  venösen  Gef  ässen  leisten  sie  aber  gute  Dienste,  besonders 
wenn  Druck  damit  verbunden  wird.  Dagegen  sind  die  auch  hiebe r 
gehörige  Cauterisation  (Glüheisen)  und  Electropunctur  (s.  d.  Art.)  höchst 
wichtige  Blutstillungsmittel  auch  bei  Blutungen  aus  grösseren  Arterien. 
-  II.  Die  Contraction  der  Gefässe  anregende  Mittel. 
Die  hieher  gehörigen  Mittel  haben  zwar  mit  den  vorhergehenden  die  ge- 
nannte Wirkung  gemein;    sie   ist   für  diese  aber  nur  eine  Nebenwirkung, 


BLUTUNG.  119 

während  sie  für  jene  die  Hauptwirkung  ausmacht.  Obenan  unter  ihnen 
steht  die  Kälte,  welche  am  zweckmässigsten  durch  Eis  angewendet 
wird.  Für  geringere  Blutungen  reicht  schon  kaltes  Wasser  aus  ;  bei  Ver- 
lezungen  grösserer  Arterien  ist  aber  auch  das  Eis  nicht  ausreichend.  Man 
erhält  das  kalte  Wasser  in  der  wärmeren  Jahreszeit  durch  hineingeworfe- 
nes Eis  auf  einem  gleichen  Kältegrade ;  in  Ermangelung  von  Eis  oder 
Schnee  sezt  man  dem  Wasser  Salz  zu.  Weitere  hieher  gehörige  nur 
für  geringere  Blutungen  brauchbare  Mittel  sind  :  die  Ergotinlösung  nach 
Bonjean,  das  Br  o  c  chieri'sche  ,  Ch  app  el  in' sehe  ,  Binelli'sche 
(Kreosot-)  Wasser,  Seeale  cornutum.  —  III.  Mechanisch  wir- 
kende Mittel.  Die  hier  in  Betracht  kommenden  Mittel  wirken  ent- 
weder durch  Zusammendrücken  des  blutenden  Gefässrohres  oder  durch 
Verklebung  der  Gef  ässoffnung.  Zu  den  ersteren  gehören  :  das  T  u  r  - 
niket,  die  Unterbindung  der  Gefässe  (s.  dies.  Art.),  die  Um- 
drehung der  Gefässe,  Torsio  vasorum,  bei  welcher  die  blu- 
tende Arterie  mit  einer  eigends  dazu  construirten  Pincette  vorgezogen 
und  7  —  8mal  um  ihre  Achse  gedreht  wird  ;  die  Durchschlingung 
der  Gefässe,  welche  darin  besteht ,  dass  man  die  hervorgezogene  Ar- 
terie schief  abschneidet  und  hierauf  das  zugespizte  Ende  mit  einer  Zange 
in  einen  Spalt  in  die  Arterien  wand  einzieht ,  die  Tamponade,  wor- 
unter man  das  Auflegen  von  mehr  oder  weniger  grossen  Kugeln  (Tam- 
pons) aus  Charpie,  gekautem  Papier  oder  Feuerschwamm  auf  die  blutende 
Oberfläche  oder  das  Einbringen  derselben  in  blutende  Höhlen  ,  wie  Nase, 
Mund,  Scheide ,  After  ,  oft  mit  styptischen  Mitteln  getränkt  oder  bestreut 
und  unter  Anwendung  eines  Druckes  versteht.  Zu  den  verschliessenden 
und  verklebenden  Mitteln  rechnet  man  verschiedene  schwammige  Kör- 
per ,  welche  sich  an  die  Wundränder  ansaugen ,  wie  den  Feuerschwamm, 
Lärchenschwamm ,  Bovist,  Badschwamm,  das  Pinghwar-har  (ein  indisches 
Laubraoos)  ,  verschiedene  mehlige  Pulver ,  welche  mit  dem  abfliessenden 
Blute  einen  Teig  bilden ,  welcher ,  indem  er  sich  an  die  Wundfläche  an- 
klebt ,  die  Mündungen  der  blutenden  Gefässe  verschliesst ,  nach  Einigen 
durch  Abgabe  von  Sauerstoff  an  das  Blut  dieses  auch  schneller  zur  Ge- 
rinnung bringt;  solche  Substanzen  sind:  das  arabische  Gummi,  der 
Kirsch- ,  Pflaumen-,  Lärchengummi ,  das  Colophonium.  Weitere  rein  ver- 
klebende Mittel  sind  das  Collodium  und  der  Gyps ,  der  entweder  trocken 
aufgestreut  oder  mit  Wasser  zu  einem  Brei  angerührt,  indem  er  erhärtet, 
die  Wunde  verstopft. 

Blutung ,  Blutfluss,  Haemorrhagia  ( von  aipa ,  das 
Blut,  und  gjjyvvfjt ,  ich  berste),  die  Hämorrhagie.  Mit  diesem 
Worte  bezeichnet  man  jeden  Austritt  des  Blutes  aus  seinen  Gefässen. 
Nicht  jede  Blutung  ist  etwas  Krankhaftes ,  es  gibt  auch  physiologische 
Blutungen  (die  normale  Menstruation  etc.).  Eigentlich  ist  jeder  Blut- 
fluss  für  sich  keine  Krankheit  zu  nennen ,   er  ist  nur  das  Symptom  eines 


120  BLUTUNG. 

krankhaften  Zustandes  der  blutenden  Qefässe  oder  des  ganzen  Gefäss- 
systemes  und  hat  nicht  selten  örtliche  oder  allgemeine  Störungen  in  den 
Functionen  der  leidenden  Organe  zur  Folge.  Die  Blutflüsse  sind  entwe- 
der dynamischen  oder  organischen  Ursprunges.  Die  dyna- 
mischen können  a  c  t  i  v ,  d.  h.  auf  allgemein  oder  örtlich  erhöhter 
Thätigkeit  des  Gef  ässsystemes  beruhend ,  oder  passiv,  auf  einem 
Schwächezustand  desselben  beruhend  sein.  Wird  durch  den  activen 
Blutfluss  eine  allgemeine  oder  örtliche  Plethora  gehoben  ,  so  nennt  man 
ihn  kritisch;  entstand  die  örtliche  Blutung  dadurch,  dass  an  einem 
entfernt  gelegenen  Orte  die  Blutcirculation  gestört  wurde ,  consen- 
suell.  Die  passiven  Blutungen  sind  als  meistens  auf  einer  Entmischung 
des  Blutes  beruhend,  gewöhnlich  symptomatische,  d.  h.  Symptome 
einer  allgemeinen  Dyscrasie.  —  Die  Blutungen  organischen  Ur- 
sprunges sind  immer  die  Folge  einer  Verlezung  (Verwundung  durch 
Stiche  etc.)  ,  D  i  a  e  r  e  s  i  s  ,  oder  einer  Zerreissung ,  R,  h  e  x  i  s  ,  oder  einer 
Zerfressung,  Diabrosis,  der  Gefässe,  daher  die  Unterscheidung  einer 
Haemorrhagia  per  diaeresin,  per  r  hexin  und  per  d  i  a  - 
b  r  o  s  i  n.  —  Ferner  unterscheidet  man  ,  je  nachdem  die  Blutung  aus 
Arterien  oder  aus  Venen  erfolgt ,  arterielle  und  venöse  Blut- 
flüsse. Sind  leztere  dynamischen  Ursprunges,  so  tragen  sie  immer 
den  Charakter  der  Passivität  an  sich,  was  sich  aus  der  Structur  der  Ve- 
nen leicht  erklärt.  —  Rücksichtlich  des  Sizes  unterscheidet  man  die 
Blutungen  in  innere  und  äussere,  je  nachdem  sie  im  Innern  des 
Körpers  stattfinden  ,  oder  aus  einem  der  Oberfläche  näher  gelegenen  Or- 
gane kommen.  Im  ersteren  Falle ,  wenn  das  Blut  gar  nicht  nach  aussen 
gelangt ,  nennt  man  die  Blutung  auch  eine  verborgene ,  H.  occulta, 
im  Gegensaze  zu  der  H.  a  p  e  r  t  a ,  wo  das  Blut  zu  Tage  tritt.  Nach 
dem  Grade  ihrer  Heftigkeit  bezeichnet  man  leztere  auch  wohl  mit  dem 
Namen  des  Bluttröpfeins,  Stillicidium  sanguinis,  wenn 
das  Blut  tropfenweis  abgeht;  des  Blutflusses,  Profluvium 
sanguinis,  Sanguifluxus,  wenn  das  Blut  in  einem  ruhigen 
Strahle  fortfliesst ;  endlich  mit  dem  des  Blutsturzes,  Haemor- 
rhagia, wenn  es  mit  grosser  Heftigkeit  hervorbricht.  —  Nach  dem 
Orte  des  Vorkommens  theilt  man  die  Blutflüsse  in  l)  Hämor- 
rhagien  der  Schleimhäute,  wohin  alle  Blutflüsse  der  Mund- 
und  Nasenhöhle ,  des  Magens  und  Darmcanales  ,  des  Harnsystemes,  der 
männlichen  und  weiblichen  Geschlechtstheile  gehören;  2)  Hämor- 
rhagien  der  Haut;  3)  Hämorrhagien  der  serösen  Mem- 
branen, wohin  die  Blutergiessung  der  Pleura ,  des  Herzbeutels ,  des 
Bauchfelles  und  der  Scheidenhaut  des  Hodens  zu  zählen  sind;  4)  Hä- 
morrhagien des  Zellgewebes,  wohin  alle  Ecchymosen, 
Sugillationen,  Vibices  etc.  zu  rechnen  sind  ;  5)  Endlich  Hä- 
morrhagien des  Parenchyms  der  Eingeweide.  —  Dia- 
gnose.     Diese  ist  nur  schwierig  bei  inneren  Blutungen,  besonders  wenn 


BLUTUNG.  121 

sie  in  den  Höhlen  des  Körpers  ohne  Ausweg  nach  aussen  stattfinden : 
aber  auch  wenn  das  von  innen  kommende  Blut  zu  Tage  tritt,  ist  es  nicht 
immer  leicht,  die  Quelle,  aus  der  es  fliesst,  zu  bestimmen  ;  so  kann  z.  B. 
bei  einer  Blutung  aus  dem  Munde  das  Blut  ebenso  gut  aus  dem  hintern 
Theile  des  Mundes,  wie  aus  den  Lungen,  dem  Magen  kommen.  In 
solchen  Fällen  müssen  die  der  Hämorrhagie  vorhergegangenen  Umstände, 
die  sie  begleitenden  Symptome ,  die  Farbe  und  Mischung  des  Blutes  mit 
andern  Stoffen  etc.  zu  Rathe  gezogen  werden.  Ueber  innere  verborgene 
Blutungen  können  nur  die  vorhergegangenen  Krankheitserscheinungen 
(Vorboten)  und  die  Zeichen  des  Blutverlustes  einiges  Licht  geben. 
Erstere  sind  nach  den  verschiedenen  Körperhöhlen  verschieden,  z.  B.  bei 
Blutungen  in  der  Schädelhöhle  Schwindel,  Eingenommenheit  des  Kopfes, 
Betäubung,  schwere  Träume  ;  in  der  Brust  Bangigkeit,  vermehrte  Wärme, 
Druck  etc.  Die  Zeichen  der  Blutleere  sind  :  Gesichtsblässe,  kalte  Glieder, 
kleiner  aussezender  Puls  ,  kalte  Schweisse,  Ohrensausen,  Schwindel,  Ohn- 
mächten etc. 

Die  activen  Blutflüsse  beruhen,  wie  schon  erwähnt,  entweder 
auf  erhöhte rThätigkeit  des  ganzen  Gefässsystemes,  sind 
mit  einem  acht  inflammatorischen  Fieber  verbunden,  oder  das  Gefässleiden 
trägt  nur  den  Charakter  des  Erethismus  an  sich  ,  oder  aber  die  Blu- 
tung ist  eine  rein  örtliche,  an  der  das  gesammte  Gefässsystem  keinen 
Äntheil  nimmt.  Im  ersten  Falle  tritt  die  Blutung  auf  der  Höhe  des  Ge- 
f ässfiebers  ein ;  ihm  voraus  geht  das  Gefühl  des  Druckes  ,  der  Schwere, 
der  vermehrten  Wärme  im  leidenden  Theile,  der  sich  dabei  geröthet  und 
geschwollen  zeigt.  Das  ausfliessende  Blut  ist  hellroth  und  erzeugt  eine 
Entzündungshaut.  Solche  Blutflüsse  sind  für  das  Allgemeinleiden  immer 
als  Krisen  zu  betrachten ,  indem  der  vorher  harte  und  volle  Puls  weicher 
und  langsamer ,  die  trockene  Haut  feucht  wird ,  die  Spannung  in  allen 
Theilen  nachlässt  etc.  —  Die  Hämorrhagien  mit  dem  Charakter  des 
Erethismus  zeigen  zwar  ähnliche  Erscheinungen,  doch  sind  leztere  sehr 
veränderlich ,  der  Puls  ist  nicht  klein ,  krampfhaft ;  in  einem  Theile  des 
Körpers  kann  Congestion  stattfinden ,  während  sich  antagonistisch  in  an- 
dern die  Erscheinungen  des  Krampfes  und  der  Blutleere,  im  Allgemeinen 
aber  die  Zufälle  einer  gesteigerten  Reizbarkeit  im  Nervensystem  kund- 
geben. Die  Blutung  erleichtert  zwar  den  Kranken  im  Anfange  etwas,  die 
Zufälle  der  Congestion  lassen  nach ,  bald  folgt  aber  ein  Gefühl  von 
Schwäche  und  Abspannung ,  das  sich  bis  zu  Zuckungen ,  Unruhe,  Schwin- 
del, Funken  vor  den  Augen,  Ohrensausen  etc.  steigern  kann.  —  Blutun- 
gen ohne  Mitleiden  des  Gefässsystemes  sind  rein  örtlich ,  deren  Grund 
in  dem  Organe  selbst  liegt ;  meistentheils  ist  es  Schwäche  mit  vermehrter 
Reizbarkeit;  durch  leztere  wird  ein  Zufluss  von  Blut  bedingt,  dessen  An- 
drang zu  widerstehen,  die  erstere  nicht  gewachsen  ist.  —  Die  passiven 
Blutflüsse  beruhen  auf  Schwäche  und  Relaxation  der  Gefässe  und 
einer   Auflösung   des  Blutes ,   wobei  Transsudaten   desselben   stattfindet ; 


122 


BLUTUNG. 


deswegen  stellt  sich  auch  häufig  die  Blutung  in  mehreren  Organen  zugleich 
ein  (wie  im  Scorbut,  Faul-  und  Fleckfieber).  Das  ausgetretene  Blut  (das 
nur  aus  dem  in  Serum  aufgelösten  Blutfarbstoff  besteht)  ist  wässrig,  gelb- 
grün ,  schwärzlich  ,  gerinnt  nicht ,  ist  oft  übelriechend  und  geht  leicht  in 
Faulniss  über  ;  der  Puls  klein  ,  ungleich  ,  zitternd  ,  aussczend  ,  weich  und 
leicht  wegzudrücken.  Die  Blutung  erleichtert  den  Kranken  gar  nicht, 
macht  ihn  im  Gegentheile  immer  schwächer,  hinfälliger  und  es  folgen  bald 
Lähmungen  ,  Sopor ,  Stupor ,  Tympanitis ,  Marmorkälte  der  Glieder,  kalte 
klebrige  Schweisse  und  unwillkürlicher  Abgang  der  Excremente.  —  Die 
Blutungen  organischen  Ursprunges  zeichnen  sich  durch  den 
Mangel  an  Vorboten,  ein  rascheres  Ausströmen  des  Blutes  und  daher  auch 
durch  eine  schneller  und  plözlich  hervortretende  Blutleere  aus.  —  Kommt 
das  Blut  aus  den  Arterien,  so  springt  es  hellroth,  in  Absäzen  und  mit 
Gewalt  hervor,  während  das  schwarze,  carbonisirte  V  e  n  e  n  b  1  u  t  langsam 
dahin  fliegst.  Eine  hochrothe  Färbung  zeigt  das  Blut  gewöhnlich  bei  Blu- 
tungen oberhalb  des  Zwerchfells  ,  eine  dunkle  bei  solchen  unterhalb  des- 
selben. —  Ursachen  der  Blutungen.  Sie  gehen  zum  Theil  schon  aus 
dem  Gesagten  hervor.  Zunächst  ist  einer  bei  einzelnen  Individuen  vor- 
kommenden krankhaften  Anlage  zu  Blutflüssen  zu  erwähnen,  welche  unter 
dem  Namen  der  Bluterkrankheit,  Hämorrhophilie  (Idio- 
syncrasia  s.  Diathesis  haemorrhagica)  bekannt  ist ,  und  auf 
einer  zarten  Construction  und  Vulnerabilität  der  Gefässhäute  und  einer 
dünnen ,  wässrigen  Beschaffenheit  der  Blutmasse  zn  beruhen  scheint.  Die 
daran  leidenden  Individuen  (B  1  u  t  e  r)  sind  gewöhnlich  zartgebaute  san- 
guinische Personen  mit  leicht  erregbarem  Gef  ässsystem ,  weisser  durch- 
sichtiger Haut,  blonden  Haaren  und  blauen  Augen.  —  Als  prädisponiren- 
des  Moment  der  activen  Blutungen  mit  dem  Charakter  der  Synocha  sind 
das  mittlere  und  kräftige  Mannesalter ,  verbunden  mit  einer  robusten  und 
plethorischen  Körperconstitution  ,  und  als  Gelegenheitsursachen  alle  stark 
reizenden  und  sehr  nährenden  Speisen  und  Getränke  ,  starke  Körperbe- 
wegung,  schneller  Temperaturwechsel  etc.  namhaft  zu  machen.  Zu  Blu- 
tungen mit  dem  Charakter  des  Erethismus  sind  jugendliche  Leute  mit 
einer  reizbaren  schwächlichen  Körperconstitution  prädisponirt  und  erregt 
werden  sie  ausser  von  den  eben  genannten  Gelegenheitsursachen  durch 
Erkältungen  und  Krämpfe  einzelner  Theile  ,  wodurch  die  Circulation  hier 
gehemmt  und  in  anderen  Theilen  angehäuft  wird ,  ferner  durch  die  Ein- 
wirkung ungewöhnlicher  Wärmegrade  auf  das  zu  Blutungen  disponirte 
Organ ,  die  Unterdrückung  gewohnter  Blutflüsse  und  schliesslich  durch 
alle  acuten  Krankheiten  mit  dem  Charakter  des  Erethismus.  —  Die  An- 
lage zu  den  passiven  Blutflüssen  bedingt  eine  schlaffe ,  laxe ,  schwammige 
Körperconstitution  und  das  phlegmatische  Temperament.  Als  Gelegen- 
heitsursache muss  alles  betrachtet  werden ,  was  zu  einer  mangelhaften 
Blutbildung,  zu  einer  daraus  hervorgehenden  mangelhaften  Ernährung  bei- 
trägt oder  was  auch  selbst  schnell  eine  Entmischung  des  Blutes  im  gesun- 


BLUTUNG.  123 

den  Körper  herbeiführen  kann.  Dahin  gehören  der  Aufenthalt  in  einer 
feuchten ,  verdorbenen ,  an  Sauerstoff  armen  Athmosphäre,  der  Mangel  an 
Nahrung,  an  Salzen  und  Sauren,  der  Genuss  verdorbener  Nahrungsmittel, 
deprimirende  Affecte,  Kummer,  Sorge,  Furcht,  der  Biss  giftiger  Schlangen, 
Blizschlag ,  narkotische  Pflanzengifte  ,  endlich  alle  Krankheiten  mit  dem 
Charakter  der  Schwäche,  Faulfieber,  Scorbut  etc.  —  Als  prädisponirende 
Ursachen  für  die  Blutungen  organischen  Ursprunges  müssen  betrachtet 
werden  alle  organischen  Verbildungen  im  Gefässsystem  selbst,  angeborene 
wie  erworbene.  Zu  den  angeborenen  sind  zu  rechnen  :  alle  Missverhält- 
nisse in  der  Grösse  blutreicher  Organe  zu  andern  Körpertheilen  ;  zu  den 
erworbenen  eine  durch  das  Alter  des  Individuums  oder  durch  krankhaften 
Zustand  ( kalkartige  Ablagerungen  und  dgl.  )  bedingte  Mürbigkeit  oder 
Brüchigkeit  der  Gefässe  ,  Puls-  oder  Blutadergeschwülste  ,  Knoten  in  den 
Lungen,  enge  Kleidungsstücke  etc.,  wodurch  der  Kreislauf  gehemmt  oder 
erschwert  wird.  Gelegenheitsursache  kann  Alles  werden,  was  starke  Con- 
gestionen  nach  einzelnen  Organen  verursacht  oder  unmittelbar  nachtheilig 
auf  einen  bestimmten  Gefässtheil  einwirkt ,  wie  heftige  Erschütterungen, 
Quetschungen ,  Verwundungen,  fressende  Geschwüre,  Knochensplitter  etc. 
—  Prognose.  Diese  wird  bestimmt  durch  den  Charakter  der  Blutung, 
durch  die  Menge  des  dabei  entleerten  Blutes,  durch  den  Ort  der  Blutung, 
durch  das  Alter  und  die  Individualität  des  von  der  Blutung  befallenen 
Individuums.  Die  activen  Blutungen  sind  in  der  Regel  weniger  ungünstig, 
als  die  passiven,  und  leztere  sind  wieder  um  so  gefährlicher,  je  mehr  sich 
eiue  angeborene  Anlage  zu  Blutungen  findet  und  je  grösser  der  allgemeine 
Schwächegrad  ist ,  je  mehr  die  Blutung  auf  Paralyse  des  Gef  ässsystems 
und  einer  allgemeinen  Zersezung  des  Blutes  beruht.  Der  active  Blutfluss 
mit  synochalem  Charakter  wird  gewöhnlich  erst  dann  gefahrdrohend,  wenn 
die  Blutung  das  rechte  Maass  überschreitet,  so  dass  durch  ihn  ein  Schwäche- 
zustand herbeigeführt  wird ,  während  die  activen  Blutflüsse  mit  erethi- 
schem Charakter  gleich  von  vorn  herein  die  irritable  Schwäche  vermehren. 
Die  Quantität  des  Blutverlustes  bestimmt  nicht  immer  die  Gefahr ,  unbe- 
deutende innere  Blutungen  geben  eine  schlechtere  Prognose  als  bedeu- 
tender Blutverlust  durch  Verwundungen  ,  Nasenbluten  etc. ,  doch  kommt 
es  im  lezteren  Falle  sehr  darauf  an  ,  ob  das  Blut  sich  langsam  und  all- 
mälig  oder  sehr  rasch  ergiesst.  Auch  kommt  in  Betracht ,  dass  die 
äusseren  Blutungen  durch  die  Kunst  leichter  zu  stillen  sind.  Blutungen 
aus  grösseren  Gefässen  und  aus  Arterien  sind  bedenklicher,  als  solche  aus 
kleineren  Gefässen  und  Venen  ;  sie  sind  gefährlicher  im  Kindes-  und  Grei- 
senalter als  im  Mannesalter ,  gefahrdrohender  im  Allgemeinen  bei  Män- 
nern als  bei  Weibern.  Die  Prognose  bei  Blutungen  organischen  Ursprun- 
ges hängt  sehr  von  der  Ursache  dieser  Blutung  ab.  Eine  Hämorrha- 
gia  per  rhexin  oder  d  i  a  b  r  o  s  i  n  entstanden  ist  bedenklicher  als  die 
per  diaeresin  verananlasste  ,  weil  die  R  h  e  x  i  s  und  Diabrosis  oft 
auf  nicht  zu  beseitigenden  Ursachen  beruht.    Hämorrhagien  nach  äussern 


1 24  BLUTUNG. 

Verlezungen  haben  ,  wenn  nicht  der  Blutverlust  ein  zu  bedeutender  ist, 
nichts  Bedenkliches ,  mindern  sogar  nicht  selten  das  Wundfieber ,  den 
Schmerz  etc. 

Behandlung.  Sie  muss  eine  verschiedene  sein  nach  dem  ver- 
schiedenen Charakter  der  Blutung  und  im  Allgemeinen  die  Wege  verfol- 
gen, welche  die  Natur  zur  Stillung  der  Blutungen  einschlägt  (s.  den  Art. 
T  h  r  o  m  b  o  s  i  s).  —  Bei  der  activen  Blutung  mit  synochalem 
Charakter  handelt  es  sich  zunächst,  da  sie  etwas  Kritisches,  ein  wohl- 
thätiges  Bestreben  der  Natur  ist,  die  Congestion,  Plethora,  die  ihr  vorher- 
gehen, zu  beseitigen,  nicht  davon  ,  sie  zu  stillen  ;  im  Gegentheil  kann  es, 
wenn  sie  zu  gering  ist ,  nöthig  werden ,  sie  zu  befördern  oder,  wenn  die 
Natur  ein  edles  Organ  zur  Blutung  wählte  ,  dessen  Verlezung  einen  blei- 
benden Nachtheil  für  den  Kranken  haben  kann ,  sofort  eine  künstliche 
Blutentziehung  durch  einen  Aderlass  zu  veranstalten ,  um  hierdurch  die 
Strömung  von  dem  bedrohten  Organe  abzuleiten.  Die  innere  Behandlung 
muss  dabei  dem  Gefässfieber  entsprechend ,  gewöhnlich  eine  antiphlogisti- 
sche im  weitesten  Sinne  des  Wortes  und  zugleich  ableitende  sein ;  daher 
reicht  man  N  i  t  r  u  m  mit  Crem,  t  a  r  t  a  r  i ,  mit  Tart.  vitriolatus, 
säuerliche  kühlende  Laxanzen  von  Tamarinden  ,  Cassia,  unter  den  Salzen 
Natrumtartaricum,  Kaliaceticum,  Sa  1  Glaube  r  i ,  die  in- 
dessen nicht  zu  anhaltend  angewendet  werden  dürfen,  namentlich  nicht  bei 
Kindern,  zarten  Frauen  etc.,  weil  hier  der  Uebergang  in  Erethismus  ohne- 
hin leicht  erfolgt  und  jene  Mittel  die  Paralyse  befördern  können.  Ist  die 
Blutung  Folge  einer  unterdrückten  normalen  oder  schon  zur  Gewohnheit 
gewordenen  Hämorrhagie  ,  so  suche  man  vorzugsweise  die  Blutstvömung 
wieder  nach  den  früheren  Orten ,  nach  den  Uterin-  oder  Hämorrhoidal- 
gefässen  etc.  hinzuleiten  ,  wozu  sich  die  Application  von  Blutegeln,  der 
Gebrauch  von  lauwarmen  Fuss  -  und  Halbbädern  etc.  eignet.  Erst  dann, 
wenn  die  Blutung  die  Grenze  einer  Krise  überschreitet  und  der  Blutver- 
lust an  sich  gefahrdrohend  wird,  ist  es  Zeit,  dagegen  einzuschreiten,  wenn 
nämlich  der  Ort  der  Blutung  die  Anwendung  örtlich  wirkender  Mittel  zu- 
lässt.  —  Den  activen  Blutflüssen  mit  erethischem  Charak- 
ter liegt,  wie  erwähnt,  kein  Ueberschuss  an  Kraft  und  Stärke  des  Ge- 
sammtorganismus,  vielmehr  oft  ein  Mangel  an  Kraft,  immer  aber  eine  un- 
gleich vertheilte  Sensibilität  und  partiell  gesteigerte  Irritabilität  und  ein 
daraus  hervorgehender  Congestivzustand  nach  einzelnen  Organen  zum 
Grunde.  Es  kann  daher  nicht  die  Rede  davon  sein,  die  eben  angeführten 
Antiphlogistica ,  Aderlässe  etc.  in  Gebrauch  zu  ziehen.  Höchstens  kann 
ein  mit  Vorsicht  angestellter  kleiner  revulsorischer  Aderlass  nöthig  werden. 
Meistens  reicht  man  mit  Blutegeln  aus,  die  man  in  die  Nähe  des  leidenden 
Organes  sezt.  Zur  Beruhigung  des  Gefässsystemes  nüzen  vor  Allem  Mi- 
neralsäuren,  namentlich  Elix.  acid.  Hall.  mitTinct.  digitalis, 
etwas  Tinct.  opii,  Acid.  phosphoricum  zu  2  0  —  40  Tropfen  in 
Valerianathee ,    alle   %U    Stunden   gereicht.       Ist   ein  örtlicher  Krampf  als 


BLUTUNG.  125 

Ursache  der  ungleichen  Vertheilung  des  Blutes  und  der  daraus  hervor- 
gehenden Blutung  zu  erkennen,  so  nüzen  ausser  dem  Opium,  Hyoscyamus, 
der  Digitalis  besonders  Ipecacuanha  in  r  e  fr  acta  dosi,  Castoreum,  Mo- 
schus, Nux  vomica,  Valeriana,  bis  dieser  Zustand  und  die  Blutung 
nachlässt.  Dann  fahre  man  mit  dem  E  1  i  x.  a  c  i  d.  H  a  1 1  e  r.  fort ,  wähle 
hierauf  das  Elix.  vitrioli  Mynsichti,  Infus,  calam.  arom., 
c  a  r  y  o  p  h  y  1 1  a  t. ,  q  u  a  s  s  i  a  e,  spater  Tinct.  chinae  composita.  Da- 
zwischen hinein  können  zuweilen  wieder  Antispasmodica  nöthig  werden. 
Wichtig  ist  bei  diesen  Blutflüssen  auch  die  Benuzung  der  ableitenden,  re- 
vulsorisch  wirkenden  Heilmethode :  örtliche  Blutentziehungen,  Sinapismen, 
Blasenpflaster ,  locale  lauwarme  Bäder ,  geschärft  mit  Salz ,  Senf,  Asche, 
Klystiere  etc.  Dauert  die  Blutung  troz  der  Anwendung  der  genannten 
Mittel  fort ,  dann  ist  es  auch  hier  an  der  Zeit ,  zu  den  örtlich  wirkenden 
Mitteln  seine  Zuflucht  zu  nehmen.  —  Die  passiven  Blutungen  for- 
dern die  Energie  des  Gefässsystemes  erhebende  und  die  Contraction  der 
Faser  befördernde  Mittel.  Hierher  gehören  die  gewürzhaft  bittern,  die 
rein  bittern,  die  gerbstoffhaltigen  Mittel  und  das  Eisen  innerlich  und  äus- 
serlich  angewendet.  Ist  hingegen  die  Blutung  Begleiter  einer  adynami- 
schen Krankheit,  des  Faulfiebers  etc.,  so  sind  auch  hier  die  Mineralsäuren 
von  grossem  Nuzen,  so  wie  bei  einem  sich  ausbildenden  Status  nervo- 
s  u  s  oben  genannte  tonische  Mittel  mit  ätherischen  Oelen  ,  mit  gewürz- 
haften Mitteln,  mit  Naphthen  etc.  zweckmässig  verbunden  werden.  Um 
die  Blutung  rasch  zu  stopfen ,  gibt  man  vorzüglich  die  Schwefelsäure, 
z.  B.  R  p.  Elix.  a  c  i  d.  H  a  1 1.  5jj,  S  y  r.  cinnamora.  ^j ,  A  q.  m  e  n  t  h. 
pip.  ,  A  q.  menth.  crisp.  ana  ^jiv.  M.  S.  Halbstündlich  1  —  2  Essl. 
voll  in  einer  Tasse  Haferschleim;  oder  Rp.  Elix.  vitriol.  Myns.  ^j, 
Elix.  a  c  i  d.  H  a  1 1.  5jj,  A  q.  cardamo  m  i  5iv.,  Syr.  cinnamomi^j. 
M.  S.  Wie  oben.  Auch  die  Aq.  oxy  m  u  riati  c  a  ,  die  Phosphorsäure 
zeigen  sich  von  Nuzen  ;  z.  B.  Rp.  Aq.oxym  u  r.  ^ß,  S  y  r.  r  u  b.  i  d  a  e  i  ^jj, 
Aq.  cinnamomi  s.  v.  ^vj.  M.  S.  Wie  oben;  Rp.  Acid.  phospho- 
rici  5jjj-  S.  Alle  Vg  Stunden  10 — 2  0  Tropfen  in  einer  Tasse  Hafer- 
schleim. Sobald  hierdurch  und  durch  die  geeigneten  äussern  Mittel  die  Blutung 
etwas  gelinder  geworden  ist ,  findet  besonders  die  China  Anwendung,  wel- 
cher man  Elix.  acid.  Hall,  beisezt.  Eine  Hauptrolle  spielen  bei  allen 
passiven  Blutungen  die  örtlichen  Mittel.  Neben  den  styptischen  Mitteln 
(s.  den  Art.  blutstillende  Mittel)  wendet  man  flüchtige  Reizmittel, 
wie  die  ätherischen  Oele,  Camphergeisi,  Terpentinöl,  Mastix,  Weihrauch  etc. 
so  wie  adstringirende,  tonisch  wirkende  Mittel ,  wie  die  Abkochungen  der 
China  - ,  Eichen  -  ,  Ulmen  -  ,  Weiden  -  ,  Kastanienrinde  ,  das  Gummi  Kino, 
Succus  catechu,  die  Schmucker'schen  Fomentationen  etc.  in  der 
Nähe  des  blutenden  Theiles  an.  —  Die  Diät  muss  bei  den  verschiedenen 
Blutungen  dem  Charakter  derselben  entsprechend  sein  ;  daher  bei  activen 
Blutungen  mit  synochalem  Charakter  magere  Diät  und  kühlende  Getränke  ; 
bei  solchen  mit  erethischem  Charakter  reizlose  und  nährende  Diät,  beson- 


1 2  ß  BLUTUNG.     NASENBLUTEN. 

ders  schleimige  Dinge  :  Sago,  Salep,  Gerstenschleim,  Fleischbrühe  u.dgl.; 
bei  passiven  Blutungen  eine  kräftige,  nährende,  reizende  Diät:  Wein,  Ge- 
würze, Zimmt,  Eier,  kräftige  Fleischbrühe  u.  dgl. 

Blutungen  im  Besondern. 

Ohrenblutfluss,  Hämorrhagica  aurium,  Otorrhagia 
(von  ovg,  coTog,  das  Ohr).  Blutungen  aus  dem  innern  Ohre  sind  selten. 
Am  meisten  kommen  sie  in  Folge  heftiger  Kopfverlezungen  vor ,  wo  sie 
eine  Zerreissung  bedeutender  Blutgefässe  und  das  Vorhandensein  von 
Fissuren  und  Fracturen  in  basi  cranii  beurkunden.  Die  Prognose  die- 
ser Blutungen  ist  sehr  bedenklich  ;  eine  besondere  Behandlung  nehmen 
sie  nicht  in  Anspruch.  Ohrenblutflüsse  in  Folge  von  Verlezungen  durch 
stechende  Instrumente  oder  fremde  Körper  sind  meist  unbedeutend  und 
leicht  zu  stillen.  Ferner  hat  man  in  seltenen  Fällen  in  Folge  anomaler 
Menstruation  und  unterdrückter  Hämorrhoiden  Blutungen  aus  den  Ohren 
beobachtet.  Im  höchsten  Grade  bösartiger  Fieber  mit  Colliquation,  beim 
Scorbut  kann  neben  Blutungen  aus  andern  Organen  das  aufgelöste  Blut 
auch  aus  den  Ohren  fliessen. 

Nasenbluten,  Hämorrhagianarium,  Epistaxis,  R  h  i- 
norrhagia  (von  qiv,  die  Nase).  Es  kommt  in  der  Regel  nur  aus  einem 
Nasenloche,  meist  nur  tropfenweise,  zuweilen  aber  auch  wohl  in  massigem 
Strome.  Wenn  das  Blut  zur  äussern  Nasenöffnung  hervordringt ,  so  ist 
die  Diagnose  sehr  leicht,  schwieriger  hingegen,  wenn  bei  weit  nach  oben 
und  hinten  liegender  blutender  Stelle  das  Blut  in  den  Rachen  friesst 
(Cho  anorr  h  agia)  ,  wo  es  dann  im  Schlafe,  besonders  von  Kindern, 
verschluckt  und  hierauf  weggebrochen  wird.  Vorboten  des  Nasenblutens 
sind  Jucken,  Kizel  in  der  Nase,  Niesen,  brennendes  Gefühl  in  den  Nasen- 
löchern neben  den  Zufällen  der  Congestion  gegen  den  Kopf.  —  Eine 
Anlage  zum  Nasenbluten  findet  sich  im  kindlichen  Alter  und  im  männ- 
lichen Geschlechte.  Kinder  beiderlei  Geschlechts  sind  dem  Nasenbluten 
sehr  häufig  unterworfen ,  mit  den  Jahren  der  Pubertät  wird  es  seltener 
und  geht  nun  nicht  selten  im  Jünglinge  zum  Blutspucken  über ,  während 
es  sich  in  der  Jungfrau  zur  Menstruation  umformt.  Deshalb  finden  sich 
normwidrige  Blutflüsse  beim  weiblichen  Geschlecht  weit  seltener  als  beim 
männlichen  ,  von  dem  wieder  solche  mit  einer  gedrungenen  plethorischen 
Constitution  oder  solche,  welche  einen  phthisischen  Habitus  zeigen,  dem 
Nasenbluten  am  häufigsten  unterworfen  sind.  —  Gelegen  he itsur- 
sache  ist  ausser  traumatischen  Veranlassungen  Alles  ,  was  einen  Orgas- 
mus im  ganzen  arteriellen  Gefässsystem  hervorruft  oder  was  einen  ver- 
mehrten Andrang  des  Blutes  nach  dem  Kopfe  veranlasst,  daher  grosse 
Hize,  der  Missbrauch  spirituöser  Getränke,  Anstrengung  des  Kopfes,  enge 
Halsbinden,  organische  Fehler  in  der  Brust  und  in  dem  Unterleibe,  Fieber, 
Krämpfe,  unterdrückte  Menses,  Hämorrhoiden  etc.  ^—  Die  Prognose 
ist  verschieden.  Nasenbluten  bei  sonst  gesunden  Kindern  und  Jünglingen 
oder   Mädchen  ist  an   sich  in   der  Regel  nicht   gefährlich  ;    doch  wer  als 


BLUTUNG.     MUNDBLUTUNG.  127 

Kind  viel  Nasenbluten  hatte  ,  bekommt  in  späteren  Jahren  leicht  Blut- 
speien und  Schwindsucht,  nach  den  4  0er  Jahren  oft  Hämorrhoiden  und 
im  Alter  ist  es  oft  ein  Vorbote  der  Apoplexie.  Im  entzündlichen  Fieber 
ist  das  Nasenbluten  als  kritische  Erscheinung  höchst  wohlthatig ,  während 
es  im  Faulfieber,  Scorbut  etc.  ein  sehr  übles  Symptom  ist.  —  Behand- 
lung. Sie  muss  sich  nach  dem  Charakter  der  Blutung  richten.  Früh- 
zeitig muss  jedes  heftige  erethische  und  jedes  passive  Nasenbluten  gestillt 
werden,  andere  Arten  dürfen  erst  gestopft  werden  ,  wenn  die  Blutung  die 
Kräfte  zu  erschöpfen  droht.  Man  versucht  zuerst  Besprizen  des  Gesich- 
tes mit  kaltem  Wasser ;  reicht  dies  nicht  aus,  so  lasse  man  kaltes  Wasser, 
Wasser  mit  Essig ,  eine  schwache  Alaunlösung  oder  eine  Abkochung  von 
irgend  einem  adstringirenden  Mittel  einschnauben  oder  einsprizen  oder 
befeuchte  mit  diesen  Flüssigkeiten  kleine  Charpiebäuschchen  und  bringe 
sie  mittels  einer  Sonde  oder  Kornzange  an  die  blutende  Stelle.  Steht  die 
Blutung  auch  jezt  noch  nicht,  oder  ist  überhaupt  die  blutende  Stelle  weit 
hinten,  so  führt  man  die  B  eil  o  c  q'  sehe  Röhre  oder  eine  Darmsaite  durch 
die  Nase  bis  zum  Rachen  und  bindet  an  die  vorgeschobene  Feder  der 
Röhre  oder  an  das  aus  dem  Munde  hervorgeholte  Ende  der  Darmsaite  ein 
hinlänglich  dickes  Bourdonnet ,  womit  man  im  Zurückziehen  die  hintere 
NasenöfFnung  verschliesst  und  eine  Compression  auf  die  blutende  Stelle 
ausübt.  Von  vorn  her  verstopft  man  die  Nase  ebenfalls  mit  Charpie.  Ein 
an  dem  Bourdonnet  befestigter  und  zum  Munde  herausgehender  Faden 
dient  dazu,  das  später  locker  werdende  Bourdonnet  zu  entfernen. 

Mundblutung,  Haemorrhagia  oris,  Stomatorrhagia 
(von  czojU.U;  der  Mund).  Die  Blutungen  aus  dem  Munde  können  einen 
sehr  verschiedenen  Ursprung  haben.  Wenn  das  Zahnfleisch  die  Quelle 
ist,  so  heisst  die  Blutung  Ulorrhagia,  ist  es  die  Zahnhöhle,  Phat- 
norrhagia,  am  Gaumen  und  Rachen ,  Isthmorrhagia,  die  innere 
Fläche  der  Wange,  Gn  a  to  rrh  agi  a  ,  kommt  sie  aus  der  Zunge,  Glos- 
sorrhagia,  aus  den  Lippen,  Cheilorrhagia,  aus  dem  Schlünde, 
Pharyngorrhagia.  Die  Diagnose  ist  leicht,  wenn  der  Siz  der 
Blutung  die  eigentliche  Mundhöhle  ist,  wo  dann  die  Blutung  immer  leicht 
erkannt  werden  kann ,  das  Blut  auch  immer  leicht  und  ohne  Räuspern 
nach  aussen  gelangt.  Wenn  das  Blut  tiefer  im  Schlünde  ergossen  wird, 
so  wird  es  mit  Räuspern ,  Husten  und  selbst  mit  Erbrechen  ausgeworfen, 
unterscheidet  sich  dann  aber  von  dem  Bluthusten  und  Bluterbrechen  leicht 
durch  das  Fehlen  der  diesen  zukommenden  Symptome.  - —  Die  Prognose 
hat  nichts  Bedenkliches  ,  wenn  die  Blutung  die  Folge  einer  leichten  Ver- 
legung ist  und  an  einer  Stelle  vorkömmt,  wo  man  leicht  beikommen  kann; 
bedenklicher  wird  die  Prognose  werden,  wenn  das  Blut  aus  der  Art.  ra- 
nina,  lingualis  oder  einer  in  einem  Knochenkanal  verlaufenden  Arte- 
rie kommt ,  oder  wenn  endlich  die  Blutung  eine  passive,  auf  einer  krank- 
haften Beschaffenheit  des  Gefässsystems  oder  des  Blutes  selbst  beruhende 
ist.  —  Behandlung.      Oft  hilft  schon  das  Ausspülen  des  Mundes  mit 


128  BLUTUNG.      HARNROEHRENBLUTUNG. 

kaltem  Wasser  und  Essig.  Ist  die  Blutung  symptomatisch ,  z.  B.  bei 
Scorbut ,  Morbus  Werlhofii,  Mercurialgeschwüren  etc.  ,  so  wendet 
man  Mundwasser  von  D  e  c  o  c  t.  chinae,  Alaun  und  Branntwein,  von  Es- 
sig, T i n  c t.  myrrhae,  T i n c t.  catechu  pro  closi  6 0  Tropfen  in  einer 
Tasse  Wasser  an  ;  auch  saturirte  Salbei  - ,  Eichenrindenabkochungen  etc. 
sind  dienlich ,  daneben  die  innere  Behandlung  des  Grundübels ,  im  Noth- 
falle  zieht  man  das  Glüheisen  in  Gebrauch.  —  Blutungen  aus  den  Zahn- 
höhlen kommen  gewöhnlich  nur  nach  Zahnoperationen,  besonders  Zahn- 
extractionen  vor ,  wenn  die  zerrissene  Arterie  sich  weder  zurückzieht  noch 
contrahirt ,  so  ist  die  sonst  geringfügige  Blutung  dann  oft  sehr  beträcht- 
lich ;  zuweilen  ist  die  Blutung  gerade  nicht  stark ,  währt  aber  Tag  und 
Nacht  fort.  Hilft  kaltes  Wasser ,  Wasser  und  Essig  nicht ,  so  wendet 
man  eine  nachdrückliche  Compression  an  ,  indem  man  die  Zahnlücke  mit 
Charpie  ,  die  in  Alaunlösung ,  Theden's  Schusswasser  etc.  getaucht,  oder 
mit  styptischen  Pulvern  bestreut  ist ,  ausfüllt ,  und  dann  die  Kiefer  mit 
einem  Kopftuche  zusammenbindet.  In  verzweifelten  Fällen  wendet  man 
selbst  das  glühende  Eisen  an.  —  Bei  heftigeren  Blutungen  aus  der 
Zunge  unterbindet  oder  cauterisirt  man  das  blutende  Gefäss  oder  übt 
einen  Druck  mit  dem  Compressorium  von  Lange  auf  die  Zunge  aus. 
Starke  Blutungen  aus  der  Art.  ranina  erfordern  fast  immer  das  Glüh- 
eisen. 

Blutungen  aus  dem  männlichen  Gliede,  Hämorrha- 
giapenis,  Phallorrhagia  (von  (pa'KXog,  penisj  rührt  meistens  von 
äussern  Verlezungen  her  und  ist  in  der  Regel  leicht  zu  stillen.  Fliesst 
das  Blut  aus  der  Harnröhre  (U  r  e  t  h  r  o  r  r  h  a  g  i  a)  ,  so  ist  es  oft  schwer, 
über  den  eigentlichen  Siz  der  Blutung  zu  entscheiden ,  da  er  hier  ebenso 
gut  in  den  Nieren  als  in  dem  Verlaufe  der  Harnröhre  sein  kann ;  hier 
gilt ,  dass  der  Blutabgang  aus  allen  vor  der  Blase  gelegenen  Theilen  un- 
willkürlich und  ohne  Drang  zum  Uriniren  stattfindet.  Disponirt  zu  Harn- 
röhrenblutungen sind  alte  Hämorrhoidarii ,  Wollüstlinge  und  Säufer.  — 
Gelegenheitsursachen  sind  Entzündung  der  Schleimhaut  (Gonorrhoea 
chordata),  Geschwüre  der  Harnröhre  ,  Verwundungen  derselben  durch 
Katheter,  kleine  Harnsteine  etc.,  übermässige  Anstrengung  beim  Beischlaf, 
der  unvorsichtige  Genuss  von  Canthariden  u.  dgl.  ,  endlich  alle  auf  Ent- 
mischung der  Säfte  beruhende  Krankheiten.  Oft  beobachtet  man  solche 
Blutflüsse  in  Folge  unterdrückter  Hämorrhoiden.  —  Die  Prognose  wie  die 
Behandlung  richtet  sich  nach  den  veranlassenden  Momenten.  Die  Pro- 
gnose ist  eine  andere  ,  wenn  der  Blutfluss  ein  activer  als  wenn  er  ein 
passiver  ist,  wenn  sich  die  Ursache  beseitigen  lässt  oder  nicht  etc.  —  Die 
Behandlung  muss  zunächst  darauf  ausgehen  ,  die  ursächlichen  Momente 
zu  entfernen  :  daher  beseitige  man  fremde  Körper,  stelle  einen  unterdrück- 
ten Hämorrhoidalfluss  wieder  her,  behandle  Entzündungen  antiphlogistisch, 
hebe  die  durch  Reizmittel  (Aphrodisiaca)  gesezten  Blutungen  durch  Oel- 
mixturen,  Campher  etc.      Ist  die  Blutung  passiver  Natur ,    oder  abhängig 


BLUTUNG.      BLUTHARNEN.  1  29 

von  mechanischen  Verlezungen  ,  von  Fungositäten,  so  wendet  man  Kälte 
in  Form  von  Bädern,  Umschlägen  oder  Einsprizungen  an,  zu  welchen  lez- 
tern  man  reines  Wasser  oder  Lösungen  des  Alauns ,  Zinkvitriols ,  Ab- 
kochungen von  gerbstofl'haltigen  Mitteln  etc.  benuzen  kann.  Wo  es  an- 
geht kann  die  blutende  Stelle  gegen  einen  eingelegten  Katheter  ange- 
drückt werden.  —  Zu  unterscheiden  von  der  Harnröhrenblutung  ist  das 

Blutharnen,  Haematuria  (von  ai/ua,  Blut  und  ovqciv,  harnen), 
M  i  c  t  u  s  eruent  u  s.  Hier  erfolgt  der  BJutabgang  immer  unter  einem 
heftigen  Drange  zum  Uriniren  oder  mit  der  Harnentleerung  selbst.  Das 
Blut  kommt  aus  der  Blase,  kann  aber  auch  aus  den  Nieren  oder  den  Ure- 
thren kommen ,  in  welchem  Falle  Schmerzen  in  der  Nierengegend  und 
längs  der  Harnleiter  zugegen  sind  und  das  Blut  mit  dem  Harne  vermischt 
ist.  Ist  die  Blase  der  Siz  der  Blutung ,  so  zeigt  sich  ein  Gefühl  von 
Vollsein,  Druck  und  Krampf  in  der  Blasengegend  und  ein  Brennen  in  der 
Harnröhre,  dem  sich  bald  Priapismus,  Kälte  der  Extremitäten,  grosse  Un- 
ruhe, ein  kleiner  harter  Puls  und  Ohnmächten  zugesellen.  Das  Blut  ist 
hier  nicht  mit  dem  Harne  vermischt,  sondern  scheidet  sich  auf  dem  Boden 
des  Gefässes  als  eine  feste  aus  rothen  Flocken  bestehende  Masse  ab. 
Geht  diese  Coagulation  des  Blutes  schon  in  der  Harnblase  vor  sich  ,  so 
wird  dadurch  der  Eingang  in  die  Urethra  mechanisch  verschlossen  und  es 
tritt  Harnverhaltung  ein.  Eine  Disposition  zu  Blutungen  aus  dem  uro- 
poetischen  Systeme  findet  sich  vorzugsweise  bei  alten  Hämorrhoidalis, 
die  ausschweifend  gelebt  haben.  Gelegen  heits  Ursachen  sind  : 
Erhizungen  und  Erschütterungen  der  Nieren-,  der  Blasengegend  und  des 
Mittelfleisches  z.  B.  durch  Reiten  und  Fahren  ,  durch  einen  Fall ,  Stoss 
oder  Schlag  etc.  ;  ferner  Erkältungen  des  Unterleibs ,  Missbrauch  von 
Aphrodisiacis  ,  das  Aufheben  und  Tragen  schwerer  Lasten  ,  Nieren-  und 
Blasensteine,  organische  Verbildungen  in  den  Harnwerkzeugen  ,  Blasen- 
hämorrhoiden  und  endlich  entzündliche  Fieber ,  wo  das  Blutharnen  selbst 
kritisch  sein  kann  oder  auch  Nerven-  und  Faulfieber,  so  wie  der  Scorbut, 
•.vo  er  als  Zeichen  der  Colliquation  anzusehen  ist.  Zuweilen  treten  diese 
Blutungen  längere  Zeit  nach  gemachten  Steinoperationen  auf.  —  Die 
Prognose  hängt  von  den  veranlassenden  Momenten,  von  dem  Charakter 
der  Blutung  und  von  der  Möglichkeit  ab  ,  die  Ursache  zu  entfernen.  — 
Behandlung.  Sie  richtet  sich  nach  den  Ursachen.  Wo  Acria  ein- 
wirkten, gebe  man  Kampher  mit  Opium,  Oelmixturen,  denen  aber  bei  hef- 
tigen Schmerzen  und  entzündlichen  Zufällen  die  Application  von  Blutegeln 
in  die  Nierengegend  vorhergehen  muss.  War  mechanische  Gewalt  die 
Ursache  ,  so  lasse  man  zur  Ader  und  mache  hinterher  kalte  Umschläge  in 
die  Nierengegend  ;  dazu  Ruhe ,  sparsame  Diät,  schleimige  Getränke,  Oel- 
mixturen. Entwickelt  sich  das  Uebel  allmälig  ,  so  entferne  man  die  Ur- 
sache,  seze,  wenn  es  nöthig  erscheint,  Blutegel  an  die  Genitalien  und 
reiche  innerlich  bei  heftigen  Schmerzen  Emulsio  sem.  p  a  p  a  v.  albi 
mit  etwas  Opium,  später  Uva  ursi.  Bei  passiven  Blutungen  antiseptische 
Bürger,  Chirurgie.  9 


130  BLUTUNG.     GEBAERMUTTERBLUTFLUSS. 

und  roborirende  Mittel.  Sind  blutende  Gefässe  nach  Operationen  nicht 
zu  erreichen,  so  bleibt  nichts  anderes  übrig,  als  die  Art.  pudenda  in- 
terna zu  unterbinden. 

Scheidenblutung,  Hämorrhagia  vaginae,  Colpor- 
rhagia  (xoXirog,  Schooss),  Elytrorrhagia  (iXvTQov,  Scheide).]  Die 
Blutung  aus  der  Scheide  kann  activ,  passiv,  symptomatisch  oder  trauma- 
tisch sein.  Oft  vertritt  sie  die  Stelle  des  Menstrual-  und  Hämorrhoidal- 
flusses.  Bei  weitem  am  häufigsten  ist  sie  traumatischen  Ursprunges  und 
dann  abhängig  von  Zerreissung  des  Hymens ,  Zerreissung  der  Scheide  bei 
schweren  Entbindungen ,  von  chirurgischen  Operationen ,  zufälligen  Ver- 
lezungen,  Berstung  varicöser  Gefässe.  Andere  Veranlassungen  zu  solchen 
Blutungen  sind  Vorfälle  der  Scheide,  polypöse,  condylomatöse  und  fungöse 
Auswüchse ,  so  wie  syphilitische  und  carcinomatöse  Geschwüre  ,  eingelegte 
und  vergessene  Pessarien  etc.  —  Die  Prognose  hängt  von  den  Ursachen 
ab  und  ob  diese  zu  beseitigen  sind  oder  nicht.  —  Behandlung.  Vor 
Allem  Entfernung  der  Ursachen.  Bei  traumatischen  Blutungen  wendet 
man  Umschläge ,  Einsprizungen  von  kaltem  Wasser ,  styptischen  Flüssig- 
keiten, Einbringen  von  Schwämmen,  die  mit  solchen  befeuchtet  sind  ,  von 
mit  styptischen  Pulvern  bestreuten  Charpiekugeln  etc.  an.  Dabei  muss 
ein  Katheter  in  die  Blase  eingelegt  werden. 

Gebärmutterblutfluss,  Hämorrhagia  uteri,  Metror- 
rhagia  (/u^tqu,  Gebärmutter).  Hierunter  ist  jeder  Blutausfluss  aus  den 
Gehärm  uttergefässen,  welcher  die  Grenzen  der  Menstruation  überschreitet 
oder  ausserhalb  der  zu  dieser  Verrichtung  bestimmten  Zeit  stattfindet ,  zu 
verstehen.  —  Die  Ursachen  dieser  Blutflüsse  sind  sehr  verschieden ; 
sie  können  auftreten  :  entweder  als  Uebermass  des  Monatflusses  ,  oder  als 
heftiger  erschöpfender  Blutsturz  bei  Fehlgeburten,  Placenta  praevia, 
Placentarapoplexien  beim  Geburtsacte  und  im  Wochenbette  ;  oder  als  lang- 
wieriger, unausgesezt  hervorsickernder  Blutabgang  bei  Uterinleiden,  be- 
sonders bei  Krebs  ;  ferner  in  Folge  von  Entleerung  der  Uterinapoplexie 
(Blutergüsse  in  die  Muskelsubstanz  der  Gebärmutter)  ,  die  besonders  bei 
altern  Weibern  in  Folge  der  auffallenden  Mürbigkeit  der  Uterinalfäsern 
und  Rigidität  der  Gefässwände  zu  Stande  kommt.  Auch  mechanische 
(bei  gehindertem  Rückflusse  des  Blutes),  passive  (bei  Scorbut,  Typhus  etc.) 
und  entzündliche  Stasen  können  Veranlassung  zur  Mutterblutung  werden. 
—  Gelegenheitsursachen  sind  :  heftige  Körperbewegung,  erhöhter 
Geschlechtstrieb  ,  erhizende  Getränke  ,  stark  nährende  Speisen  ,  Onanie, 
krampfhafte  Reizungen  des  Darmkanales,  schlechte  Nahrung,  feuchte  n-ass- 
kalte  Wohnung,  Rhachitis,  Scropheln  etc.  ;  ferner  örtliche  Einwirkungen, 
wie  Stoss,  Druck,  Fall  auf  den  Uterus ,  Verwundungen  durch  geburtshülf- 
liche  Operationen ,  endlich  Aftergebilde  aller  Art ,  wie  varicöse  Gefässe, 
Scirrhus  ,  Krebs  ,  Polypen  ,  Auswüchse  ,  Vorfall ,  Umbeugungen  und  Um- 
stülpungen des  Uterus,  Vereiterungen  desselben.  —  Die  Erkenntniss 
dieser   Blutungen  ist  leicht ,   wenn  das  Blut  frei  nach  aussen  abfliesst ;  ist 


BLUTUNG.      GEBAERMUTTERBLUTFLUSS.  131 

jedoch  aus  irgend  einem  Grunde  der  Austritt  des  in  die  Höhle  des  Uterus 
ergossenen  Blutes  gehindert,  so  ist  die  Diagnose  nicht  selten  schwer  und 
oft  nur  aus  den  vorhergehenden  Zufällen  (Schmerz  an  dem  Orte  der  Er- 
giessung,  Auftreibung  des  Unterleibes  etc.)  und  den  eintretenden  Erschei- 
nungen der  beginnenden  Blutleere  (s.  oben)  auf  die  stattfindende  Blutung 
zu  schliessen.  —  Prognose.  Sie  ist  so  verschieden  wie  die  Ursachen 
und  hängt  besonders  von  der  Möglichkeit  ab ,  diese  zu  beseitigen.  Eine 
Blutung  activer  Art  ist  oft  kritisch  und  dann  günstig ,  mit  erethischem 
Charakter  hinterlässt  sie  gern  Recidive ,  wodurch  das  Uebel  oft  chronisch 
wird  und  Hectik,  Wassersucht  und  organische  Fehler  des  Uterus  zur  Folge 
haben  kann  ;  passive  oder  auf  Degeneration  des  Uterus  beruhende  Blutun- 
gen sind  bedenklich.  Ist  der  Blutfluss  Symptom  eines  bevorstehenden 
Abortus  oder  der  Molenschwangerschaft,  so  dauert  sie  gewöhnlich  so  lange 
fort ,  bis  das  Ei  oder  die  Mole  von  der  Gebärmutter  getrennt  und  ausge- 
stossen  sind.  Während  aber  beide  obengenannten  Arten  von  Blutungen 
selten  lebensgefährlich  werden,  sind  die  Blutflüsse ,  welche  von  einem  fal- 
schen Anheftungspunkte  der  Placenta  abhängen ,  fast  immer  mit  dringen- 
der Gefahr  verbunden.  Bei  ihnen  ,  so  wie  bei  den  Blutflüssen ,  welche 
von  einer  vorzeitigen  oder  verspäteten  Trennung  der  Placenta  herrühren, 
hängt  die  Erhaltung  des  Lebens  der  Blutenden  oft  allein  von  einem  als- 
baldigen operativen  Einschreiten  ab.  —  Behandlung.  Bei  activen 
Blutungen  mit  synochalem  Charakter  kann  man  bei  milderen  Graden  zu- 
sehen, oder  sich  höchstens  auf  ein  kühlendes  Verhalten,  Ruhe,  horizontale 
Lage ,  Cremortartari  beschränken ;  bei  starken  robusten  Personen 
mit  vollem  hartem  Pulse ,  Fieber ,  seze  man  Blutegel  an  die  Genitalien, 
Schröpfköpfe  an  die  innere  Schenkeifläche,  lasse  selbst  zur  Ader  und  gebe 
innerlich  Nitrum  in  Emulsion.  Bei  Symptomen  des  Erythismus  ,  wo  sich 
krankhafte  Zufälle  einstellen ,  passen  besonders  die  Mineralsäuren  mit 
antispasmoclischen  Mitteln,  dem  Opium,  Castoreum,  der  Ipecacuanha,  z.  B. 
Rp.  Elix.  acid.  Hall.  5ijß  ,  Laud.  liquid.  Syd.  5ß ,  Tinct. 
cinnamomi  gj.  M.  S.  Alle  ]/2  —  1  Stunden  2  5  —  3  0  Tropfen;  bei 
sehr  hohen  Graden  von  Reizbarkeit  passt :  Rp.  Castoreiopt.  gi\  10, 
Rad.  ipecac.  gr.ij,  Op.  pur.  gr.j,  Elaeosacch.  cinnamomi  5\j. 
M.  f.  pulv. ,  divid.  in  xij  part.  aequal.  S.  Alle  t/|,  ]/2  —  1  Stunden  ein 
Pulver.  Auch  die  Verbindung  der  antispasmoclischen  Mittel  mit  Digitalis 
erweist  sich  hier  wirksam.  Mit  diesen  innerlichen  Mitteln  verbindet  man 
zweckmässig  örtlich  wirkende ,  wie  sanfte  Reibungen  des  Unterleibes  mit 
warmen  Tüchern,  Einreibungen  von  antispasmodischen  Mitteln  ,  -  Klystiere 
von  Chamillen,  Valeriana,  Assa  foetida,  Injectionen  in  die  Gebär- 
mutter von  Chamillen ,  Valeriana,  Belladonna  etc.  —  Bei  den 
passiven  Metrorrhagien  handelt  es  sich  von  einer  schnellen  Stillung  der 
Blutung,  die  anzuwendenden  Mittel  müssen  daher  solche  sein,  welche  be- 
lebend und  bethätigend  auf  den  Gesammtorganismus  wirken  und  die  er- 
schlafften Gefässe  zur  Zusammenziehung  fähig  machen ,  oder  auch  solche, 

9* 


132  BLUTUNG.     AFTEKBLUTUNG. 

welche  der  Blutung  auf  mechanische  Weise  entgegentreten.  Die  hier  am 
besten  passenden  inneren  Mittel  sind  die  Mineralsäuren,  die  Tinctura 
cinnamomi,  je  nach  Umständen  mit  Wein,  Opium,  China,  Ratanhia, 
Kino  etc.,  ferner  Naphthen,  Tinct.  valerianae  mit  T  i  n  c  t.  cinuara., 
das  Seeale  co^rnutum,  der  Saccharum  saturni,  der  Alaun, 
z,  B.  Rp.  AI  um.  crud.  gr.  xv,  solve  in  Aq.  menth.  crisp.  ^iv,  adde 
Tinct.  cinnammomi,  S y r.  papav.  ana  ^j .  M.  S.  Alle  V4,  1/2 
bis  1  Stunden  1  Löffel  voll;  Vitrio  1.  m  ar  t  is  zu  gr.ij  mit  China  und 
Zimmt,  das  reine  Tannin  ;  bei  alten  geschwächten  cachectischen  Individuen 
ist  die  Tinct.  cinnamomi  mit  Tinct.  martissalita  ein  erprob- 
tes Mittel.  Bei  der  Metrorrhagie  in  der  Periode  des  Aufhörens  der  Men- 
struation dienen  bei  robusten  Frauen  oft  ein  revulsorischer  Aderlass,  inner- 
lich Cremor  tartari ,  Nitrum  ,  kühlende  Getränke,  antiphlogistische  Diät ; 
bei  schwächlicher ,  reizbarer ,  hysterischer  Constitution  dagegen  sind  die 
oben  bei  der  erethischen  Form  angegebenen  Mittel ,  wie  E  1  i  x.  a  c  i  d. 
Hall,  mit  Tinct.  cinnamomi,  Tinct.  opii,  später  aromatische 
und  tonische  Bäder,  innerlich  Calamus  aromaticus,  Quassia,  China 
etc.  in  Gebrauch  zu  ziehen.  —  Zu  den  äusseren  Mitteln  gehören :  Reibun- 
gen des  Unterleibes  mit  der  blossen  Hand,  das  Auftröpfeln  und  Einreiben 
flüchtiger  Mittel,  Umschläge  von  kaltem  Wasser ,  dergleichen  Einsprizun- 
gen  in  die  Gebärmutter,  Einsprizungen  von  Essig  und  Wasser,  von  Ad- 
stringentia etc.  Zur  Beförderung  der  Contractionen  des  Uterus  nach 
Ausstossung  der  Frucht  legt  man  neben  den  ebengenannten  Mitteln  beide 
Hände  auf  den  Unterleib  und  drückt  die  Gebärmutter  zusammen ,  legt  ein 
Handtuch  fest  um  den  Unterleib  oder  das  Miles'sche  Uterinturniket  an, 
oder  einen  Sandsack  auf,  führt  die  Hand  in  die  Uterinhöhle  ein,  um  das 
Blutcoagulum  zu  entfernen  und  den  Uterus  zur  Contraction  zu  reizen 
oder  bringt  endlich  einen  Tampon ,  bestehend  aus  Leinwand ,  Charpie, 
Wasch-  oder  Feuerschwamm  und  befeuchtet  oder  bestreut  mit  styptischen 
Mitteln  in  die  Höhle  der  Gebärmutter  ein.  Auch  Schweinsbla^en  ,  die 
nach  ihrem  Einbringen  mit  Luft  oder  Wasser  gefüllt  werden,  benuzt  man. 
Schlägt  Alles  fehl,  so  comprimirt  man  die  Aorta  gegen  die  Lendenwirbel. 
—  Bei  Blutungen  organischen  und  mechanischen  Ursprunges  muss  in  der 
Regel  die  Behandlung  zunächst  gegen  das  Grundübel  gerichtet  sein,  doch 
können  Fälle  eintreten ,  wo  der  Blutung  die  allererste  Rücksicht  zuzu- 
wenden ist. 

Afterblutung,  Hämorrhagia  ani,  Archorrhagia  (o.Q- 
%og  ,  der  Mastdarm)  ,  Proc  torrh  agia  (jrQoxTog ,  der  After).  Diese 
Blutung  kommt  nicht  so  gar  selten  vor  und  kann  verschiedene  Quellen 
haben ;  auch  kann  sie  einen  sthenischen  oder  asthenischen  Charakter 
haben,  idiopathisch  und  symptomatisch  vorkommen.  Als  Symptom  einer 
andern  Krankheit  tritt  sie  auf  bei  Localleiden  des  Mastdarmes,  Verlezun- 
gen  desselben  ,  bei  der  Ruhr ,  beim  Scorbut,  Faulfieber  etc.  (als  blutiger 
Stuhlgang).       Als   selbständiges  Leiden   ist  der  Hämorrhoidalblutfluss  zu 


BRAEUNE.  133 

betrachten,  da  er  unter  Erscheinungen  eines  Congestivzustandes  nach  den 
Gefässen  des  Mastdarmes  (Moliniina  hae  m  orrhoi  da  li  a)  auftritt. 
Bei  Frauen  kommen  Blutungen  aus  dem  After  vicarirend  für  die  Men- 
struation vor.  —  Die  Behandlung  muss  dem  Grundübel  und  dem 
Charakter  der  Blutung  angemessen  sein.  Sind  mechanische,  traumatische 
Verlezungen  oder  Operationen  die  Ursache  der  Mastdarmblutung,  so  macht 
man  Einsprizungen  von  Wasser ,  Essig  und  Branntwein,  von  Alaunlösung, 
Eichenrindendecoct  und  bringt  damit  getränkte  Charpie  oder  Wasch- 
schwamm ein. 

Bräune,  Halsentzündung,  Angina  (von  av/a) ,  ich  ver- 
engere), Cynanche.  Hierunter  versteht  man  alle  entzündlichen  Krank- 
heiten der  Organe  des  Athmens  und  Schlingens  im  und  am  Halse.  Der 
Chirurgie  gehören  die  Bräunen  der  Mund  -  und  Rachenhöhle  und  die  der 
äussern  Theile  an.  Zu  den  lezteren  rechnet  man  die  An  gina  paro- 
t  i  d  e  a ,  von  welcher  bei  den  Krankheiten  der  Speicheldrüsen  die  Rede 
sein  wird.  —  Die  Entzündung  der  Mund-  und  Rachenhöhle,  Angina 
f  aucium  s.  Infi  amm  atio  f  aucium  s.  Isthmitis  hat  ihren  Siz 
in  der  Schleimhaut,  die  den  Isthmus  faucium,  das  Gaumensegel,  das 
Zäpfchen  und  die  Mandeln  (Ang.  palatina,  uvularis  und  ton- 
sillaris), so  wie  die  Zungenwurzel  überzieht.  Diese  Krankheit  gibt 
sich,  wenn  die  Geschwulst  bedeutend  ist ,  durch  Athmungs-  und  Schling- 
beschwerden ,  eine  näselnde  Stimme  ,  so  wie  zuweilen  durch  Sausen  und 
Schmerz  in  den  Ohren  in  Folge  der  Verschliessung  der  Eustachischen 
Röhren  zu  erkennen.  Bei  der  Untersuchung ,  wobei  man  die  Zunge 
niederdrückt,  findet  man  die  leidenden  Theile  roth,  geschwollen,  schmerz- 
haft ,  mit  einem  zähen  Schleime  überzogen ;  zuweilen  ist  das  Zäpfchen 
vorzugsweise  entzündet  (Ang.  uvularis),  welches  dann  besonders  ange- 
schwollen, verlängert  ist  und  auf  der  Zunge  aufliegt,  wodurch  ein  bestän- 
diges beschwerliches  Schlingen  und  Ekel  verursacht  wird ;  bisweilen  sind 
die  Mandeln  fast  aliein  entzündet  (Ang.  tonsillaris);  sie  können 
dann  so  angeschwollen  sein  ,  dass  sie  sich  berühren  und  den  Eingang  des 
Halses  verschliessen  ;  nicht  selten  ist  nur  eine  Mandel  entzündet.  Man 
fühlt  die  angeschwollenen  Mandeln  ausserhalb  unter  der  Kinnlade ,  wo  sie 
bei  der  Berührung  schmerzen.  Mit  diesen  örtlichen  Leiden  verbinden 
sich  Fieber  und  selbst  bei  Nacht  gelinde  Delirien.  —  Die  gewöhnliche 
Gelegenheitsursache  der  Bräune  ist  Erkältung  bei  erhiztem  Kör- 
per, anhaltendes  Sprechen,  Schreien  etc. ;  zuweilen  entsteht  sie  im  Gefolge 
anderer  Affectionen,  z.  B.  des  Scharlachfiebers  ,  der  Syphilis,  der  Merku- 
rialkrankheit ;  zuweilen  durch  mechanische  Ursachen ,  wie  durch  Ver- 
schlucken von  Knochenstücken ,  Fischgräten  u.  dgl.  —  Die  Krankheit 
wird  leicht  habituell.  —  Man  unterscheidet  eine  gutartige  und  eine  bös- 
artige Bräune.  Die  gutartige  (A.  benigna,  inflamm  atoria) 
zeigt  die  eben  angegebenen  Symptome,  die  in  der  Regel  massig  und  ohne 


134  BRAEÜNE. 

Gefahr  sind  und  sich  in  kurzer  Zeit  von  selbst  oder  durch  die  Kunst 
unterstüzt  entscheiden.  —  Die  bösartige  oder  brandige  Bräune 
(A.  maligna,  gangraenosa,  putrida,  ulcerosa)  beginnt  mit 
den  gewöhnlichen  Zeichen  der  Angina  faucium,  die  oft  nicht  bedeu- 
tend sind ,  wobei  aber  die  Röthe  des  entzündeten  Theiles  ins  Bläuliche 
oder  Violette  spielt.  Auf  dieser  Röthe  bilden  sich  graue  aschfarbene 
Flecken,  die  sich  bald  mit  Borken  bedecken,  welche  nach  ihrem  Abstossen 
tiefe,  Jauche  absondernde  Geschwüre  hinterlassen.  Dabei  zeigt  die  Zunge 
einen  dicken  graulichen  oder  schwärzlichen  Ueberzug  und  der  Athem 
riecht  faulig.  Die  Jauche  aus  den  Geschwüren  entzündet  die  Theile, 
welche  sie  berührt ,  bringt  Kolik  und  Durchfall ,  so  wie  Husten  und  Ge- 
schwüre in  der  Luftröhre  hervor ;  in  die  Eustachische  Röhre  gelangt,  kann 
sie  das  Gehörorgan  zerstören.  Mit  dem  Eintritte  des  Brandes  lassen  die 
Schmerzen. nach  oder  verschwinden  wohl  ganz,  die  Geschwulst  vermindert 
sich  und  der  Kranke  kann  leichter  schlucken.  Mit  diesen  örtlichen  Er- 
scheinungen ist  ein  entsprechendes  Allgemeinleiden  verbunden,  das  Fieber 
hat  den  nervösen  und  faulichten  Charakter.  —  Ausgänge.  Die  Krank- 
heit endet  meist  mit  Zertheilung,  nicht  selten  mit  Eiterung,  beson- 
ders bei  der  Mandelbräune  ,  welcher  Ausgang  sich  aus  der  Fortdauer  der 
Erscheinungen ,  der  Zunahme  des  Gefühles  von  Druck  im  Halse ,  dem 
Ueberziehen  der  Zunge  mit  einem  dicken  graugelben  Pelze  und  einem 
Frösteln  vermuthen lässt ;  mit  Verhärtung  oder  Auflockerung  der 
Mandeln ,  was  gern  bei  einem  mehr  schleichenden  Verlaufe  und  Öfterer 
Wiederkehr  der  Krankheit,  namentlich  bei  scrophulösen  Personen  der  Fall 
ist,  und  mit  Brand,  entweder  nach  sehr  heftigen  entzündlichen  Zufällen 
oder  als  Begleiter  epidemischer  bösartiger  Krankheiten ,  wobei  Erleichte- 
rung eintritt ,  die  Kräfte  aber  schnell  sinken ,  die  Extremitäten  kalt  und 
mit  einem  klebrigen  Schweisse  bedeckt  werden,  der  Puls  schnell,  klein  und 
aussezend  wird  und  der  Tod  bald  erfolgt.  —  Die  Prognose  richtet 
sich  theils  nach  der  Örtlichen  Affection,  theils  nach  dem  sie  begleitenden 
Fieber.  Die  gewöhnliche  Angina  faucium  ist  in  der  Regel  ganz 
ohne  Gefahr.  Die  Bräunen  dagegen,  welche  sich  zu  einem  typhösen  Fie- 
ber gesellen  oder  die  brandige  Form  lassen  nur  eine  ungünstige  Pro- 
gnose zu. 

Behandlung.  Die  leichteren  Grade  der  gewöhnlichen  Angina 
faucium  zertheilt  die  Natur  durch  eine  reichliche  Schleim- und  Speichel- 
absonderung in  der  Mundhöhle ,  was  man  durch  den  Aufenthalt  im  Bette, 
Umwickeln  des  Halses  mit  Flanell,  warme  Getränke ,  welche  auf  die  Haut 
wirken,  wie  Flieder-  und  Lindenblüthenthee  unterstüzt.  Bei  einem  höhe- 
ren Grade  machen  sich  Aderlässe ,  Blutegel  am  Halse ,  erweichende  Um- 
schläge, Einreibungen  der  grauen  Salbe  nothwendig  ;  innerlich  gibt  man 
Nitrum  in  Emulsion,  Salmiak,  Spirit.  Minder  er  i,  kleine  Dosen  T  a  r  t. 
emetic,  Calomel ,  kühlende  Abführmittel  aus  Manna,  Tamarinden  und 
Salzen.      Zur  Bähung   der  entzündeten  Theile  wendet  man  Abkochungen 


BRAND.  135 

von  Malva,  Flieder,  Eibisch  mit  einem  Zusaze  von  Nitrum  und  Honig  als 
Gurgelwasser  oder  Einsprizung  an.  Ist  die  Geschwulst  bedeutend ,  die 
Respirationsbeschwerde  gross ,  so  erweisen  sich  Scarificationen  hülfreich. 
Man  führt  diese  mit  einem  geraden  ,  spizigen,  bis  zur  Spize  mit  Pflaster- 
streifen  umwickelten  Bistouri  aus  und  unterstüzt  die  Blutung  durch  Gurgel- 
wasser von  Malvenabkochung  oder  lauer  Milch.  Später  und  bei  verminder- 
ter Entzündung  sind  die  schleimig-balsamischen  Aufgüsse  aus  Salbei,  Me- 
lisse und  Malve ,  Einreibungen  von  flüchtiger  Salbe  mit  Kampher  und 
Quecksilber  angezeigt ;  innerlich  passt  hier  besonders  der  Salmiak.  — 
Kommt  es  zur  Eiterbildung,  so  befördert  man  diese  durch  warme  Dampfe 
und  erweichende  Gurgelwasser,  Breiumschläge  um  den  Hals,  und  hat  sich 
der  Abscess  gebildet,  so  sucht  man  sein  Bersten  durch  Reizung  des 
Rachens  mit  einem  Federbarte,  durch  ein  Brechmittel ,  durch  Einsprizun- 
gen  herbeizuführen  oder  öffnet  ihn  mittels  eines  umwickelten  Bistouri's. 
—  Ueber  die  chronische  Anschwellung  der  Mandeln  s.  Krankheiten 
der  Mandeln.  —  Geht  die  Bräune  in  Brand  über,  so  ist  dies  entweder 
die  Folge  einer  sehr  heftigen  Entzündung  oder  sie  ist  die  Begleiterin 
eines  typhösen  Fiebers.  Im  ersten  Falle  ist  die  antiphlogistische  Heil- 
methode angezeigt,  im  zweiten  muss  das  Fieber  seinem  Charakter  gemäss 
behandelt  werden.  Man  reicht  zu  diesem  Behufe  je  nach  Umständen 
Brechmittel,  Kampheremulsionen,  Baldrian-,  Arnicaaufgüsse,  Opium  mit 
Quecksilber,  Capsicum,  Serpentaria,  China  mit  Säuren  etc.  Oertlich  wen- 
det man  reizende  und  fäulnisswidrige  Mittel  an,  wie  Aufgüsse  von  Münze, 
Melisse  ,  Raute ,  Scordium  mit  Alaun  ,  China  ,  Kampheressig ,  Holzessig, 
Chlorwasser  etc.  als  Gurgelwasser  und  Einsprizungen.  Die  brandigen 
Stellen  bestreicht  man  mittels  eines  Charpiepinsels  mit  Salzsäure .  z.  B. 
Rp.  Spirit.  sal.  aeidi  gtt.  xxx,  Mel.  ro  s  ar.  ^iv.  M.  Ueber  die 
Verlängerung  des  Zäpfchens  s.  Krankheiten  des  Zäpfchens. 

Brand.  Unter  Brand ,  Mortificatio,  versteht  man  im  Allge- 
meinen das  Absterben  irgend  eines  mit  dem  lebenden  Körper  noch  zu- 
sammenhängenden Theiles.  Ist  in  einem  solchen  Theile  noch  nicht  alle 
Lebensthätigkeit  erloschen ,  circulirt  das  Blut  noch  in  den  grossen  Gefäs- 
sen  und  haben  die  Nerven  ihre  Sensibilität  nicht  verloren ,  so  bezeichnet 
man  diesen  Zustand  mit  dem  Namen  heisser  Brand,  Gangraena 
(von  ygeupoo,  ich  verzehre).  Hat  dagegen  der  Kreislauf  in  dem  ergriffe- 
nen Gebilde  ganz  aufgehört ,  sind  die  Lebenskräfte  völlig  erloschen,  so 
nennt  man  dies  kalten  Brand,  Sphacelus  (von  öcjxxttw,  ich  tödte)  ; 
ist  dieser  Process  in  den  Knochen  vor  sich  gegangen  ,  so  bezeichnet  man 
dies  mit  dem  Namen  Necrosis.  —  Die  Unterscheidung  des  Brandes  in 
einen  feuchten  und  trockenen  ist  unwesentlich ,  da  diese  Verschiedenheit 
theils  von  der  zufällig  angehäuften  Säftemasse  ,  theils  von  der  Structur 
des  erkrankten  Organs  abhängig  ist.  —  Verlauf  und  Symptome. 
Der  Verlauf  des  durch  eine  mehr  oder  weniger  deutlich  vorausgegangene 


136  BHAND. 

Entzündung  bedingten  Brandes  gestaltet  sich  in  der  Regel  auf  folgende 
Weise  :  1)  Stadium  prodromor  um.  Die  Entzündung  ist  sehr  hef- 
tig und  hat  schnell  ihre  Höhe  erreicht ,  Schmerz  und  Hize  sind  unerträg- 
lich brennend,  spannend,  stechend,  die  Röthe  wird  dunkel,  purpurfarben, 
manchmal  grüngelb  ,  violett ,  die  Geschwulst  sehr  hart  und  gespannt,  die 
Function  des  Theiles  bedeutend  gestört  und  das  Fieber  heftig.  —  2) 
Stadium  gangraenosum.  Der  Schmerz  nimmt  ab,  und  zwar 
manchmal  ganz  plözlich ,  ist  mehr  drückend  und  dumpf,  die  Geschwulst 
wird  weich,  teigig,  ödematös,  die  dunkle  Röthe  geht  ins  Bläuliche,  Bräun- 
liche über  und  breitet  sich  mehr  aus,  die  Wärme  vermindert  sich  mehr 
und  mehr  und  die  Oberhaut  erhebt  sich  in  Blasen  ,  welche  mit  blutigem 
Serum  gefüllt  sind.  Der  Kranke  hat  mehr  das  Gefühl  von  Taubheit  in 
dem  ergriffenen  Theile.  Das  bisher  entzündliche  Fieber  verwandelt  sich 
in  einen  Synochus,  der  Puls  ist  schneller,  weniger  voll  und  hart,  der 
Urin  noch  röthlich  und  trüb ,  das  Nervensystem  nimmt  mehr  Antheil  und 
die  allgemeine  und  örtliche  Schwäche  ist  auffallender.  —  3 )  S  t  a  d  i  u  m 
sphacelosum.  Der  früher  drückende  Schmerz  geht  in  ein  Gefühl 
von  Taubheit  und  Schwere  über  und  hört  endlich,  und  oft  plözlich,  ganz 
auf,  Gefühl  und  Warme  verlieren  sich  allmälig,  so  dass  endlich  Stechen 
und  Schneiden  nicht  mehr  empfunden  werden  ,  der  Theil  wird  kalt  oder 
nimmt  die  Temperatur  des  Zimmers  an.  Die  dunkle  Röthe  wird  noch 
missfarbiger  ,  marmorirt ,  mit  erweiterten  Venen  durchzogen  ;  der  Theil 
wird  endlich  aschgrau,  schwärzlich  und  zulezt  ganz  schwarz.  Der  sphace- 
löse  Theil  schwillt  noch  mehr  auf,  ist  welk ,  weich ,  teigig  anzufühlen  und 
beim  Drucke  entsteht  in  Folge  der  beginnenden  Zersezung  nicht  selten 
ein  knisterndes  Geräusch  (Emphysemagangraenosum)  und  die  Ober- 
haut erhebt  sich  in  einzelnen  hohen  Blasen ,  die  aber  bald  zusammenmes- 
sen und  ein  schmuzig  gelbes,  grünliches,  graues,  blutiges,  scharfes  Wasser 
enthalten  und  spät  bersten  ;  die  unterliegende  Haut  ist  braunroth ,  sammt- 
artig,  weich,  breiig,  später  grau,  bleifarben,  unempfindlich  und  leicht  zer- 
reiblich.  Der  brandige  Theil  zerfliesst  in  Jauche ,  mit  der  alle  Gewebe 
infiltrirt  sind  und  die  durch  alle  Zwischenräume  dringt ;  es  lösen  sich  ein- 
zelne Fezen  Haut ,  Zellgewebe ,  Sehnenscheiden ,  Muskeln,  Gelenkbänder 
ab;  es  entwickelt  sich  ein  specifischer ,  scharfer,  ammoniakalisch- fauliger, 
stinkender  Geruch.  Den  Brand ,  welcher  mit  dieser  reichlichen  Bildung 
von  Brandjauche  auftritt,  nennt  man  den  feuchten  Brand  (Gan- 
graena  humida),  im  Gegensaze  von  einer  andern  Form,  wobei  die  ab- 
gestorbenen Theile  zusammenschrumpfen  und  trocken  werden ,  dem  tro- 
ckenen Brande  (Gangraena  sicca,  M  um  i  f  i  ca  tio).  Der 
feuchte  Brand  entsteht  leichter  bei  rasch  verlaufenden  Processen,  bei  Jün- 
gern, blutreichen  Individuen  und  an  dem  Herzen  näher  gelegenen  Theilen, 
der  trockene  Brand  mehr  unter  den  gegentheiligen  Verhältnissen.  —  In 
der  Nachbarschaft  des  sphacelösen  Theiles  findet  noch  Gangrän  und  etwas 
weiter  entfernt  Entzündung   statt.       So  lange  sich  diese  Symptome  kund 


BRAND.  137 

geben,  nennt  man  den  Brand  forts  chrei  tend  (Gangr.  progr  e- 
diens).  Zu  diesen  örtlichen  Veränderungen  gesellen  sich  alsbald  all- 
gemeine Erscheinungen  als  Rückwirkung  des  Brandes  auf  den  Körper  be- 
sonders in  Folge  der  Aufsaugung  der  Brandjauche,  und  zwar  um  so  mehr, 
wenn  die  brandige  Zerstörung  von  einiger  Ausdehnung  ist  und  der  Brand 
von  einer  innern  Ursache  abhangt.  Es  entsteht  das  Brandfieber  mit 
schnellem,  kleinem,  zitterndem  Pulse,  erschwerter,  röchelnder  Respiration, 
Durst ,  Brechneigung  ,  Ohnmächten  ,  Sehnenhüpfen  ,  Flockenlesen  ,  Auf- 
treibung des  Unterleibes ,  stinkenden  Durchfällen  ,  trübem,  zuweilen  sehr 
dunklem  Urine ,  icterischer  Färbung  der  Haut ,  erdfahlem  eingefallenem 
Gesichte ,  kalten  klebrigen  Schweissen.  —  Ausgang  e.  Der  Brand 
kann  mit  Genesung  oder  Tod  endigen.  Die  Genesung  erfolgt  entweder 
durch  Zertheilung  der  Entzündung  oder  aber  durch  Abstossung 
des  sphacelösen  Theiles.  Dieser  Ausgang  erfolgt  am  häufigsten 
beim  Brande  des  Zellgewebes,  der  Knochen,  der  Haut,  der  Schleimhäute 
Der  Brandschorf  wirkt  dabei  als  fremder  Körper ,  Entzündung  erregend, 
welche  sich  an  der  Grenze  des  Brandigen  in  der  Gestalt  einer  blass- ,  sel- 
•  ten  hochrothen  Linie,  Demarkationslinie,  entwickelt.  Auf  diesem 
Entzündungshofe  erheben  sich  längliche  Blasen ,  unter  denen  Eiter  ist, 
wodurch  später  an  der  Stelle  der  genannten  Linie  eine  eiternde  Spalte 
entsteht,  welche  sich  allmälig  durch  die  Haut,  das  subcutane  Zellgewebe, 
die  Fascien  ,  Muskeln  ,  Nerven ,  Gefässe  ,  Sehnen  und  Knochen  erstreckt. 
Solcher  Gestalt  wird  also  das  Brandige  an  allen  Seiten  vom  Lebenden  ge- 
sondert, der  Brandschorf  schwimmt  zulezt  in  Eiter  oder  Jauche  und  fällt 
daher  endlich  entweder  von  selbst  ab  oder  kann  doch  ohne  alle  Schwierig- 
keit entfernt  werden.  Während  die  Entzündung  in  der  nächsten  Um- 
gebung des  brandigen  Theiles  in  Eiterung  übergeht,  bewirkt  sie  im  weite- 
ren Umkreise  Verwachsung  der  Theile  untereinander ,  die  gewöhnlich  so 
vollständig  ist ,  dass  auch  die  Gefässe  durch  dieselbe  verschlossen  werden, 
wodurch  einer  Seits  oft  arterielle  Blutungen  verhütet ,  anderer  Seits  die 
Resorption  der  Brandjauche  verhindert  wird ;  nicht  selten  werden  durch 
diese  adhäsive  Entzündung  aber  auch  Seeretionsbehälter  verschlossen  und 
dadurch  bedenkliche  Folgen  herbeigerührt.  —  Der  Tod  erfolgt  beim 
Brande:  1)  durch  aufgehobene  Function  des  brandig  gewordenen  Theiles, 
wenn  derselbe  zum  Leben  unentbehrlich  oder  mit  dem  Nervensystem  in 
einem  bedeutenden  Consens  steht ;  2)  durch  die  Fortschritte  des  typhö- 
sen Fiebers ,  welche  der  Einsaugung  der  Brandjauche  zuzuschreiben 
sind ;  3)  durch  hectisches  Fieber  in  Folge  zu  starker  Eiterung  oder 
durch  Verblutungen ;  4)  durch  Affection  der  Nerven ,  Nervenschlag ; 
Hier  erfolgt  der  Tod  plözlich.  —  Ursachen.  Diese  sind  prädisponi- 
rende  und  Gelegenheitsursachen.  Erstere  zerfallen  in  allgemeine  und  ört- 
liche. Allgemeine  Prädispositionen  sind:  allgemeine  Schwäche  des 
Körpers  ,  sei  sie  nun  angeboren  oder  natürliche  Folge  des  Alters  oder 
durch     vorausgegangene     oder    vorhandene     Krankheiten ,     Säfteverlust, 


138  BRAND. 

grosse  Anstrengungen  des  Körpers  und  Geistes  ,  durch  Mangel  an  Nah- 
rung, Aufenthalt  in  feuchter,  dumpfer  Luft  etc.  entstanden;  ferner  Dys- 
krasien  ,  Scorbut ,  Syphilis  etc.  Zu  den  örtlichen  prädisponirenden  Ur- 
sachen rechnet  man  :  die  locale  Schwache  eines  Theiles ,  die  Organisation 
eines  Theiles  selbst;  am  leichtesten  wird  das  Zellgewebe  vom  Brande  er- 
griffen ,  dann  Sehnen  und  Knochen  ;  Blutgefässe ,  besonders  Arterien, 
widerstehen  am  längsten  ;  die  Lage  der  Theile  :  je  entfernter  ein  Organ 
vom  Herzen  ist ,  desto  leichter  entsteht  Brand  :  ferner  disponirt  ein,  nie- 
derer Grad  von  Lebensenergie  zum  Brand;  deshalb  werden  schwache,  ge- 
lähmte Theile  sehr  leicht  brandig.  —  Zu  den  Gelgen  h  ei  tsursachen 
gehören:  die  Einwirkung  von  Contagien  und  Miasmen,  die  Uebertragung 
eines  animalischen  Giftes ,  der  Genuss  des  Mutterkornes  ,  die  Einwirkung 
eines  hohen  Grades  von  Wärme  oder  Kälte  ,  von  äzenden  Stoffen ,  länge- 
res Verweilen  extravasirter  Flüssigkeiten  in  einem  Theile,  wie  Koth,  Urin, 
Galle  ,  andauernder  Druck ,  heftige  Quetschung  eines  Theiles  ,  Einklem- 
mungen, Einschnürungen,  Verknöcherungen,  Entzündungen,  Verwachsun- 
gen und  Unterbindungen  von  Gefässen,  Erschütterungen  und  Trennungen 
von  Gef ässstämmen  und  Nerven,  Erschütterungen  und  Verwundungen  des 
Rückenmarkes  etc.  —  Nicht  jeder  Brand  ist  die  Folge  einer  Entzündung ; 
wenn  das  Nerven-  und  Gefässleben  in  einem  Theile  plözlich  unterdrückt 
wird ,  so  erfolgt  ein  directes  Absterben  desselben  ;  ein  solcher  Theil  fällt 
alsdann  entweder  der  Fäulniss  oder  dem  mumienartigen  Vertrocknen  an- 
heim  und  ruft  erst  an  seiner  Grenze  im  Lebenden  Entzündung  hervor. 
Die  Ursachen,  die  diese  Art  von  Brand  herbeiführen,  sind  :  Unterbindung 
grosser  Arterien ,  Durchschneidung  wichtiger  Nerven ,  heftige  Kälte-  und 
Wärmegrade  etc.  —  Die  Prognose  beim  Brande  ist  im  Allgemeinen 
immer  schlecht ;  nur  selten  kann  die  Zerstörung  einen  günstigen  Einfluss 
auf  den  Organismus  ausüben ,  indem  sie  den  Körper  von  einem  kranken 
oder  abnormen  Theile  befreit  ( Zerstörung  eines  Aneurysma ,  Absterben 
eines  Polypen  etc.).  Der  Brand  aus  äusserer  Veranlassung  lässt  eine  gün- 
stigere Prognose  stellen ,  als  der  Brand  aus  inneren  Ursachen,  und  sie  ist 
um  so  günstiger,  je  leichter  die  Ursachen  zu  entfernen  sind.  Die  Prog- 
nose richtet  sich  ferner  nach  der  Wichtigkeit  des  ergriffenen  Organes, 
nach  dem  Stadium  und  der  Ausbreitung  des  Brandes  ,  ob  er  noch  fort- 
schreitet oder  sich  begrenzt  hat ;  mit  der  Begrenzung  ist  aber  noch  nicht 
alle  Gefahr  beseitigt,  denn  der  Brand  kann  wiederkehren,  oder  der  Kranke 
an  der  Eiterung,  Resorption  der  Brandjauche,  den  arteriellen  Blutungen 
zu  Grunde  gehen.  Der  trockene  Brand  gibt  eine  günstigere  Prognose, 
als  der  feuchte  ;  auch  ist  sie  um  so  günstiger ,  je  weniger  der  Gesammt- 
organismus  an  dem  Processe  Theil  nimmt  und  je  besser  der  Kräftezustand 
des  Kranken  ist. 

Behandlung.  Diese  hat  die  Aufgabe  :  1)  den  Brand  zu  ver- 
hüten,  2)  wenn  er  eingetreten,  die  üblen  Zufälle  desselben  zu  verhüten 
und  zu  behandeln  und  3)  die  Abstossung  des  Brandigen  zu  befördern  und 


BRAND.  139 

die  Vernarbung  herbeizuführen.  —  Droht  der  Brand  in  Folge  eines  ach- 
ten Entzündungsprocesses  einzutreten ,  so  ist  ein  dreistes  antiphlogisti- 
sches Verfahren  einzuleiten.  Man  lasse  demgemäss  zur  Ader ,  reiche 
innerlich  kühlende  Mittel  und  unterstüze  dieselben  durch  eine  antiphlogi- 
stische Diät.  Oertlich  empfehlen  sich  Blutegel,  Scarificationen  und  Eis- 
umschläge.  Wenn  auch  in  Folge  dieser  Mittel  keine  wirkliche  Zerthei- 
lung  eintreten  sollte ,  so  gelingt  es  doch  zuweilen,  einen  andern  Ausgang 
als  Brand ,  z.  B.  Eiterung ,  herbeizuführen ,  welche  man  ,  wenn  die  Sym- 
ptome dieser  eintreten,  befördert.  Bei  grossen  Schmerzen  und  mehr  ere- 
thischer Entzündung  sind  Narcotica ,  besonders  das  Opium ,  angezeigt. 
Bei  erysipelatösen  Entzündungen  ist  die  Anwendung  von  Brech-  und  Ab- 
führmitteln am  Plaze.  Hat  die  Entzündung ,  welche  den  Brand  herbei- 
zuführen droht ,  den  asthenischen  Charakter  und  neigt  sich  das  Fieber 
zum  Synochus,  so  sind  selten  mehr  allgemeine  Blutentleerungen  gut ;  man 
beschränkt  sich  auf  die  Application  von  Blutegeln  oder  auf  Scarificatio- 
nen und  macht  dann  kalte  oder  lauwarme  Umschläge  von  Essig  mit  Salz, 
Salmiak ,  Bleiessig  etc.  ;  innerlich  gebe  man  Mineralsäuren ,  namentlich 
Salz-  und  Phosphorsäure.  Dabei  ist  nicht  zu  versäumen ,  etwa  noch  fort- 
bestehende Ursachen,  wie  einen  Druck,  Einklemmungen,  Einschnürungen 
u.  dgl.  zu  beseitigen  oder  unwirksam  zu  machen  ;  namentlich  erweisen 
sich  Einschnitte  bei  spannenden  Fascien  etc.  äusserst  heilsam.  —  Hat 
sich  der  .Brand  entwickelt,  so  sucht  man  das  Fortschreiten  desselben  so- 
wohl durch  allgemeine  ,  dem  Grade  und  Charakter  des  Fiebers  angemes- 
sene, als  durch  örtliche  Mittel  zu  verhindern.  Gegen  das  beginnende  ty- 
phöse Fieber  verordne  man  Wein  und  Selterser  Wasser ,  Hühnerbrühe, 
Sago-  und  Weinsuppen,  Mineralsäuren,  Naphthen  u.  dgl.  Ist  das  Nerven- 
system sehr  geschwächt  und  schlagen  die  nervösen  Symptome  vor ,  so 
können  Valeriana ,  Arnica ,  Moschus  etc.  heilsam  sein.  Aeusserlich  zieht 
man  angemessene  Reizmittel  in  Gebrauch ,  als  verdünnten  Essig ,  Wein, 
Branntwein,  ätherisch-ölige  und  tanninhaltige  Substanzen,  ferner  Kampher, 
Chamillen,  Rosmarin,  Thymian,  Quendel,  China,  Eichenrinde  etc.  für  sich 
oder  in  Verbindung,  als  abgezogene  Geister,  Aufgüsse,  Decocte,  trockene 
Species  etc. ,  wie  es  die  speciellen  Gebräuche  erheischen.  Etwa  vorhan- 
dene Complicationen ,  wie  Digestionsstörungen,  müssen  auf  angemessene 
Weise ,  z.  B.  durch  Brech-  und  Abführmittel ,  beseitigt  werden.  —  Ist 
wirkliches  Absterben  erfolgt  und  hat  der  Zersezungsprocess  begonnen,  so 
ist  zunächst  zu  berücksichtigen ,  ob  der  Absterbungsprocess  stille  steht 
oder  fortschreitet.  Im  leztern  Falle  wirkt  die  Ursache  noch  fort  und  rnuss 
die  Behandlung  gegen  diese  bis  zum  Stillstande  des  Brandes  fortgesezt 
werden.  Alsdann  hat  man  dafür  zu  sorgen ,  dass  der  abgestorbene  Theil 
keine  schädliche  Rückwirkung  auf  den  übrigen  Körper  äussert  und  mög- 
lichst bald  ausser  Verbindung  mit  demselben  gesezt  wird.  Bei  fortdauern- 
der Schmerzhaftigkeit  macht  man  narkotische  Fomentationen  oder  Brei- 
umschläge ;    innerlich  gibt  man  Opium  oder  Morphium.     Die  Einsäugung 


140  BRAND  DURCH  AUFLIEGEN. 

der  Brandjauehe  verhindert  man  durch  freie  Einschnitte,  welche  aber  nicht 
bis  ins  Gesunde  dringen  dürfen ,  und  darauf  folgende  Waschungen  und 
Umschläge  von  Chlorkalksolution  oder  Einstreuen  von  China-Kohlenpulver 
etc.  Völlig  abgestorbene  Theile  entfernt  man  auf  eine  schonende  Weise 
mit  dem  Messer  oder  der  Scheere.  Innerlich  reicht  man,  um  der  Einsau- 
gung entgegenzuwirken  ,  Mineralsäuren  ,  den  Kampher  ;  dabei  müssen  die 
Kräfte  durch  flüchtige  Reizmittel  gehoben  werden  ;  solche  sind  Naphtha, 
Moschus  ,  Valeriana ,  Arnica ,  Serpentaria ,  allein  oder  in  Verbindung  mit 
antiseptischen  Mitteln,  sodann  Wein,  Terpenthin,  Assa  foetida,  China. 
Daneben  gibt  man  leichte ,  später  nahrhaftere  Kost.  Die  Luft  hält  man 
durch  fleissige  Lüftung  und  Käucherungen  mit  aromatischem  Essig,  Chlor- 
kalk etc.  rein.  —  Die  Abstossung  des  Brandigen  überlässt  man  entweder 
der  Natur  und  hilft  nur  durch  pharmaceutische  Mittel  nach ,  oder  man 
schreitet  unmittelbar  ein  und  entfernt  die  der  Trennung  lange  wiederste- 
henden Gebilde,  als  Sehnen,  Bänder,  Knochen,  künstlich,  oder  man  nimmt 
endlich  den  brandigen  Theil  in  seiner  Totalität  mittels  Amputation  weg ; 
lezteres  darf  aber  erst  geschehen ,  wenn  die  Demarkation  des  Brandes  in 
vollem  Gange  ist.  Hat  der  Brand  ein  Glied  abgestossen,  so  wird  nicht 
selten  eine  künstliche  Nachamputation  nöthig ,  da  die  übrig  gebliebenen 
Weichtheile  den  Knochenstumpf  nicht  immer  zu  decken  vermögen.  — 
Ueberlässt  man  die  Abstossung  der  Natur ,  so  sucht  man  die  Kräfte  des 
Kranken  während  dieses  Processes  gehörig  zu  erhalten,  schüzt  ihn  vor  der 
Einwirkung  des  örtlichen  Zersezungsprocesses  und  befördert  die  Bildung 
der  Demarkationslinie  durch  warme  Bleifomente ,  erweichende  Kataplas- 
men,  wenn  die  Entzündung  zu  heftig,  oder  durch  weinige  aromatische  Um- 
schläge ,  wenn  sie  zu  schwach  ist.  Die  Vernarbung  begünstigt  man  nach 
Umständen  durch  milde  ölige  oder  zusammenziehende  Mittel  unter  fort- 
währendem Gebrauche  guter  Nahrung ,  frischer  Luft  und  stärkender  Arz- 
neien. 

Brand  durch  Aufliegen  oder  von  Druck,  Gangranaex 
decubitu,  Decubitus  gangraenosus,  entsteht  durch  anhaltendes 
Stillliegen  im  Bette  oder  durch  chirurgische  Bandagen  und  Maschinen, 
besonders  an  den  Stellen  ,  wo  Knochenvorsprünge  dicht  unter  der  Haut 
liegen.  Man  beobachtet  ihn  daher  (in  Folge  langen  Liegens  am  häufig- 
sten an  dem  Kreuzbeine,  den  Schulterblättern,  den  grossen  Trochanteren, 
den  Fersen  und  Ellbogen.  —  Der  Brand  tritt  nicht  allein  in  Folge  des 
Druckes  auf,  sondern  meistens  auf  Grund  eines  Allgemeinleidens.  Bei 
Kranken,  welche  an  typhösem  oder  fauligem  Fieber,  an  bedeutenden  Eite- 
rungen etc.  leiden,  überhaupt  nach  Krankheiten,  durch  welche  die  Ernäh- 
rung stark  beeinträchtigt  wird ,  ebenso  bei  Lähmungen  sehen  wir  ihn  mit 
auffallender  Schnelligkeit  und  in  Folge  eines  unbedeutenden  Druckes  zu 
Stande  kommen.  Unreinlichke.it  und  ein  ungeeignetes  Lager,  Federbetten, 
begünstigen  das  brandige  Aufliegen.  —  Der  Decubitus  tritt  unter  zwei 
Formen   auf:   bei   der  einen  zeigt  sich  an  der  gedrückten  Stelle  eine  leb- 


BRAND  DER   ALTEN.  141 

hafte  ,  brennende  Entzündungsröthe  ,  aus  welcher  allmälig  Verschwörung 
und,  wenn  die  Ursachen  fortbestehen,  Brand  hervorgeht.  Bei  der  andern 
entwickeln  sich  ohne  deutlich  wahrnehmbare  Entzündungserscheinungen 
blutrothe  oder  blaugrüne  Flecken ,  auf  welchen  sich  unter  gleichzeitigem 
Oedem  der  Umgegend  entweder  Binsen  erheben,  die  mit  blutigem  Serum 
gefüllt  sind  ,  oder  aber  sogleich  Brandschorfe  sich  entwickeln.  Leztere 
Form  tritt  namentlich  bei  ausgebreiteten  Rüekenmarkslähmungen  nach 
Verlezungen  auf.  —  Wird  die  Ursache  des  Decubitus  nicht  entfernt ,  so 
breitet  er  sich  immer  weiter  aus  und  zerstört  nicht  blos  die  Haut  und 
das  subcutane  Zellgewebe  ,  sondern  auch  die  Fascien  ,  Muskeln  ,  ja  sogar 
das  Periost  und  den  Knochen  selbst.  —  Die  erste  Form ,  die  häufig  auf 
örtlichen  Veranlassungen  beruht,  gibt  eine  bessere  Prognose,  als  die  zweite. 
—  Behandlung.  Vor  Allem  muss  der  Decubitus  zu  verhüten  gesucht 
werden.  Zu  diesem  Behufe  muss  man  für  ein  reinlich  gehaltenes,  ebenes 
und  elastisches  Lager  sorgen,  wozu  sich  am  besten  eine  Rosshaarmatraze 
eignet ;  unter  das  Betttuch,  welches  faltenlos  erhalten  werden  muss,  bringt 
man  ein  Rehfell  mit  nach  oben  gekehrten  Haaren  oder  ein  mit  Oel  be- 
strichenes Wachstuch  ;  unter  das  Bette  stellt  man  ein  grosses  mit  Wasser 
gefülltes  Gefäss  und  lässt  den  fast  horizontal  liegenden  Kranken  seine 
Lage  häufig  verändern.  Dabei  wäscht  man  die  dem  Drucke  ausgesezten 
Stellen  mit  frischem  Wasser ,  mit  Essig  und  Wasser ,  Franzbranntwein, 
Kirschwasser,  Branntwein  oder  Bleiwasser  mit  Kampfergeist.  —  Zeigt  sich 
an  einer  Druckstelle  Entzündung ,  so  wäscht  oder  fomentirt  man  dieselbe 
mit  Bleiwasser  und  legt  Baumwolle  unter  oder  man  legt  denselben  auf 
eine  eingeölte,  eingeweichte ,  theilweise  mit  Luft  gefüllte  Rindsblase  oder 
ein  Luftkissen.  —  Ist  die  Oberhaut  entfernt  und  die  Stelle  geschwürig, 
so  bestreiche  man  sie  mit  Collodium ,  bedecke  sie  mit  einem  Bleiweiss- 
oder  Seifenpflaster ,  oder  verbinde  sie  mit  C  e-r  a  t  u  m  s  a  t  u  r  n  i ,  s  p  e  r  - 
maceti  oder  folgender  Salbe:  Rp.  Album,  ovi  I,  Spirit.  vin. 
camp  h.  ^ß  ,  S  a  c  c  h.  saturni  5  ß  ,  M.  (W  e  i  c  k  a r  d)  ,  oder  endlich 
mit  Tanninsalbe.  Bildet  sich  ein  Brandschorf,  so  befeuchtet  man  unter 
fortwährender  Anwendung  der  genannten  Mittel  die  brandige  Stelle  mit 
einer  aromatischen  Flüssigkeit  beim  Verbandwechsel.  Hat  sich  der  Brand- 
schorf gelöst  und  ein  grosses  stinkendes  Geschwür  hinterlassen  ,  so  ver- 
binde man  mit :  Rp.  Ungt.  d  i  g  e  s  t.  ,  B  a  1  s.  A  r  c  a  e  i  ana  5j  ,  Ol.  t  e  - 
r  e  b  i  n  t  h.  ^  ß  ,  C  a ■  m  p  h  o  r  a  5j  ,  M.,  oder  mit  einer  Mischung  von  glei- 
chen Theilen  Gummi  elemi  und  OL  ricini.  Wollen  sich  Granula- 
tionen bilden,  so  bepinselt  man  das  Geschwür  mit  Höllensteinsolution.  — 
Sehr  wohlthätig  für  Kranke  dieser  Art  sind  die  sogenannten  hydrostati- 
schen Betten,  d.  h.  Matrazen  aus  undurchdringlichem  Gummizeug,  welche 
mit  Wasser  gefüllt  sind. 

Brand  der  Alten,  Gangraena  senilis.  Dieser  Brand 
kommt  als  schmerzhafter  und  unschmerzhafter  vor.  1)  Der  schmerz- 
hafte Altersbrand,   Pott 's  ehe  Brand,    Gans,,    senilis   in- 


142  BRAND  DER  ALTEN. 

flammatoria  s.  acuta,  Brand  der  Reichen,  Fusszehenbrand,  kündigt 
sich  meistens  durch  heftige  brennende  Schmerzen  im  ganzen  Fusse  an, 
welche  Nachts  in  der  Bettwärme  zunehmen  und  sich  endlich  an  einer 
Stelle ,  z.  B.  an  einer  oder  mehreren  Zehen  ,  der  Ferse ,  einem  Knöchel 
fixiren  ,  wobei  das  ganze  Glied  oder  der  afficirte  Theil  kalt  und  taub 
ist.  Nach  einiger  Zeit  entsteht  unter  fieberhaften  Erscheinungen  an  den 
genannten  Punkten  und  deren  Umgebung  eine  erysipelatöse  Röthe  der 
Haut ,  auf  der  sich  allmälig  blaue  oder  schwarze  Flecken,  seltener  Blasen 
bilden ,  worauf  sich  die  Oberhaut  ablöst ,  die  Umgegend  öclematös  an- 
schwillt und  die  von  der  Oberhaut  entblössten  Stellen  schwarz  werden 
und  eintrocknen.  Zuweilen  trocknet  die  Haut  nicht  ein ,  sondern  wird 
feucht ,  violett ,  weich  ,  gräulich  und  übelriechend.  Der  Brand  schreitet 
meist  bis  zu  dem  Zehen-  oder  Fussgelenke ,  zuweilen  weiter  und  dies  in 
3  —  4  Tagen  fort;  oft  beschränkt  er  sich  nur  auf  die  Haut.  —  Die  An- 
lage zu  diesem  Brande  findet  sich  vorzugsweise  bei  Männern ,  die  durch 
Ausschweifungen  der  verschiedensten  Art  oder  durch  Kummer,  Hunger 
und  Kälte  sehr  herunter  gekommen  sind  ,  oder  an  Gicht ,  Klappenfehlern 
des  Herzens  oder  Verknöcherungen  der  Arterien  leiden.  —  Gelegen- 
heitsursachen sind  :  Erkältungen  ,  Diätfehler  ,  Gemüthsbewegungen, 
und  leichte  äussere  Verlezungen  ,  wie  der  Druck  der  Fussbekleidung,  das 
Beschneiden  der  Hühneraugen  etc.  Mit  dem  Eintritte  des  Brandes  stockt 
die  Circulation  und  die  Arterien  füllen  sich  nicht  selten  bis  in  die  grossen 
Stämme  "hinauf  mit  coagulirtem  Blute ,  wodurch  dieselben  unwegsam  wer- 
den. —  Meistens  sterben  die  Kranken  unter  Fieber,  Delirien  und  kaltem 
Schweisse  ;  seltener  erfolgt  Heilung  durch  Abstossung  des  Brandigen  ;  am 
seltensten  durch  Zertheilung  der  brandigen  Entzündung  und  Wiederbe- 
lebung der  gangränösen  Partie  ;  Recidive  sind  dann  aber  nicht  selten.  — 
Behandlung.  Aderlässe  sind  nur  bei  hartem,  vollen  Pulse,  bei  Con- 
gestionen  nach  dem  Kopfe  angezeigt.  China  und  nach  Pott  grosse 
Gaben  von  Opium  lassen  oft  im  Stiche  ;  lezteres  passt  nur  bei  wirklich 
eingetretenem  Brande.  Eine  Hauptrücksicht  fordern  die  dem  Uebel  zu 
Grunde  liegenden  Schädlichkeiten.  Ist  es  Gicht ,  so  reicht  man  kühlende 
Abführmittel,  Colchicum  mit  Extract.  aconiti  oder  Opium  nebst 
passender  Diät;  bei  rheumatischen  Leiden  dienen  Tart.  emeticus, 
leichte  Abführungen ,  Salmiak,  Colchicum,  unter  Umständen  Blutent- 
ziehungen. Beginnt  die  Entzündung  als  Erysipelas ,  so  gibt  man  Brech- 
und  Abführmittel.  Hat  sich  der  Brand  begrenzt ,  so  hat  man  auf  die  Er- 
haltung der  Kräfte  und  wo  möglich  auf  die  Entfernung  der  die  grösseren 
Arterien  verstopfenden  Coagula  zu  sehen.  Man  gibt  demgemäss  als  stär- 
kende Mittel  bittere  Extracte  ,  Eisenmittel ,  China  ,  Wein ,  gute  Nahrung. 
Längs  der  verstopften  Gefässe  sezt  man  Blutegel  an ,  welchen  man  später 
Einreibungen  von  Quecksilber-  oder  Jodsalbe  mit  Kampher  folgen  lässt. 
Oertlich  wendet  man  erweichende,  erschlaffende  Mittel  an,  und  zwar  wäh- 
rend der  Entzündungsperiode  in  trockener  Form  (Kräutersäckchen) ,  nach 


KORNBRAND.  143 

Entwicklung  des  Brandes  in  feuchter  (Breiumschläge).  Zusäze  von  Opium 
mindern  oft  die  Schmerzen.  —  Einschnitte  in  die  brandigen  Theile ,  so 
wie  die  Amputation  sind  zu  verwerfen. 

2)  Der  schmerzlose  Brand  der  Alten,  M  umifi  catio  , 
Necrosis  senum,  unterscheidet  sich  von  dem  schmerzhaften  Brande 
durch  den  langsamen  Verlauf,  das  gänzliche  Fehlen  der  Schmerzen  und 
der  entzündlichen  Erscheinungen.  Der  Kranke  befindet  sich  entweder  vor 
dem  Anfalle  ganz  wohl ,  oder  er  klagt  über  verminderten  Appetit ,  trägen 
Stuhlgang,  Frösteln,  Hinfälligkeit,  Schläfrigkeit,  ein  Gefühl  von  Schwere, 
Kälte,  Ameisenkriechen  in  den  Füssen,  besonders  in  der  grossen  Zehe  oder 
in  den  Händen  ;  der  Puls  ist  langsam  und  schwach.  Eine  Hautstelle  wird 
dunkelroth,  blau,  dann  grau  und  zulezt  schwarz  und  schrumpft  zusammen; 
später  entstehen  mehrere  Flecken,  die  sich  nach  und  nach  vereinigen.  Der 
Brand  kriecht  meistens  langsam  weiter  und  der  abgestorbene  Theil  wird 
fest,  mumieriartig.  Die  allgemeine  Schwäche  nimmt  immer  mehr  zu  ,  der 
Puls  wird  schwächer,  aussezend ,  uud  unter  kalten  Schweissen  .  Irrereden, 
Sehnenhüpfen  etc.  tritt  der  Tod  ein.  Höchst  selten  kommt  es  zur  Bil- 
dung einer  Demarkationslinie  und  Abstossung  des  Brandigen.  —  Diese 
Art  von  Brand  ist  die  Folge  des  allmäligen  Sinkens  der  Lebenskräfte  im 
ganzen  Organismus  durch  das  natürliche  Alter  und  organische  Fehler. 
Als  Gelegenheitsursache  bezeichnet  man  Erkältung.  —  Behandlung. 
Sie  besteht  nur  in  der  Erhaltung  der  Kräfte. 

Kornbrand,  Gangraena  cerealis.  Diese  Art  von  Brand 
tritt  im  Gefolge  der  Kriebelk rankheit  (Morbus  s.  Convulsio 
cerealis,  Raphania)  auf,  welche  durch  den  Genuss  des  Mutterkorns 
(Seeale  cornutum)  herbeigeführt  wird.  —  Der  Verlauf  der  Krankheit  ist 
bald  acut ,  bald  chronisch.  Bei  der  acuten  Form  entstehen  gastrische 
Symptome  ,  Brechreiz  ,  Magenkrampf,  Betäubung,  Schwindel,  Zittern  der 
Glieder  mit  knebelnden  Empfindungen.  Nach  einigen  Tagen  tritt  unter 
heftigem  Froste  Fieber  ein ,  mit  bald  darauf  folgender  brennender  Hize 
und  heftigem  Durste.  Es  treten  Convulsionen  hinzu,  die  Kräfte  des  Kran- 
ken nehmen  ab  und  es  stellt  sich  ein  typhöser  Zustand  mit  Taubheit, 
Betäubung,  Ohnmächten  und  Sinken  des  Pulses  ein.  Die  von  den  Con- 
vulsionen befallenen  Theile ,  am  öftersten  die  Füsse  ,  werden  blass  ,  kühl, 
schrumpfen  zusammen ,  es  tritt  blaue  ,  zulezt  schwarze  Färbung  und  mu- 
mienartige Vertrocknung  ein.  Der  Brand  schreitet  entweder  gegen  den 
Rumpf  fort  und  der  Tod  erfolgt  gegen  den  7.  oder  S.Tag,  oder  derselbe 
begrenzt  sich  frühzeitig ,  häufig  an  Gelenken  ,  und  es  gehen  nur  einzelne 
Phalangen  verloren.  Im  Falle  der  Heilung  bleibt  ein  lebenslängliches 
Siechthum  zurück.  —  Die  chronische  verläuft  langsamer  und  zeigt 
deutliche  Paroxysmen  und  Remissionen.  Die  Erscheinungen  dieser  Form 
gleichen  denen  der  vorigen ,  doch  gibt  sie  mehr  Hoffnung  zur  Genesung 
als  diese.  —  Die  Krankheit  entscheidet  sich  ,  wenn  es  zur  Heilung  geht, 
durch   frieselartige  Ausschläge    und  Abscesse  so  wie  durch  Ausleerungen 


144  MILZBRANDKAKBUNKEL. 

von  Schleim  und  Würmern.  —  Bei  der  Leichenöffnung  findet  man  die 
Gefässe  des  Gehirns  mit  Blut  und  die  Gehirnhöhle ,  so  wie  die  Rucken- 
marks- und  Unterleibshöhle  mit  blutig-serösen  Exsudaten  erfüllt.  —  Als 
nächste  Veranlassung  des  örtlichen  Absterbens  bei  der  Kriebelkrankheit 
nehmen  die  Franzosen  eine  Arterienobliteration  durch  Arteriitis,  die  Deut- 
scheu eine  durch  das  Mutterkorn  bewirkte  Nervenüberreizung  und  daraus 
hervorgehende  Lähmung  an. —  Behandlung.  Sie  ist  bei  beiden  For- 
men gleich  und  besteht  in  der  Darreichung  von  Brech-  und  Abführmit- 
teln in  starken  Dosen,  denen  man  unmittelbar  Nervina  folgen  lässt,  unter 
welchen  besonders  die  Valeriana,  Assa  foetida,  der  L  i  q.  c.  c.  suc- 
c  i  n  a  t.,  das  Ammonium,  Castoreum,  der  Kampher,  Moschus,  das  C  u  p  r  u  m 
s  u  1  p  h.  a  m  m  o  n.  ,  das  Ol.  a  n  i  m  a  1  e  a  e  t  h  e  r.  zu  nennen  sind  ;  später 
passt  neben  diesen  Mitteln  die  China.  —  Aeusserlich  zeigen  sich  beson- 
ders die  Einreibungen  flüchtiger  Linimente  ins  Rückgrat ,  in  den  Unter- 
leib und  die  Extremitäten ,  so  wie  laue  Bäder  wirksam.  Bei  drohendem 
Brande  wirken  am  besten  narkotische  Kataplasmen ,  Fomente  und  Bäder. 
Die  Amputation  darf,  wenn  sie  überhaupt  nöthig  erscheint,  erst  nach  voll- 
kommener Begrenzung  des  Brandes  vorgenommen  werden. 

M  i  1  z  b  r  a  n  d  k  a  r  b  u  n  k  e  1 ,  Milzbrandblatter,  schwarze 
Blatter  oder  Pocke,  bösartige  Pustel,  Carbunculus  con- 
t  a  g  i  o  s  u  s  ,  p  o  1  o  n  i  c  u  s  ,  g  a  1 1  i  c  u  s  ,  h  u  n  g  a  r  i  c  u  s  ,  Anthrax  c  o  n- 
t  a  g  i  o  s  u  s  ,  Pustula  nigra,  m  a  1  i  g  n  a.  Hierunter  versteht  man  eine 
brandige  Hautentzündung ,  welche  durch  einen  contagiösen  thierischen 
Krankheitsstoff ,  das  sogenannte  Milzbrandgift,  hervorgerufen  wird. 
—  Dieses  Gift  findet  sich  in  Thieren  (Rindern,  Schafen,  Schweinen,  Pfer- 
den etc.),  welche  am  Milzbrande  (einer  fauligen  Blutseuche)  leiden,  oder 
daran  zu  Grunde  gegangen  sind  ,  und  zwar  in  allen  Theilen  derselben, 
dem  Blute,  dem  Fleische,  der  Haut,  den  Hörnern,  Haaren,  selbst  in  den 
Excrementen.  Es  ist  äusserst  schwer  zu  vertilgen  ,  so  dass  Felle ,  welche 
schon  längere  Zeit  im  Kalke  gelegen  haben ,  noch  anstecken  können. 
Dieses  Gift,  seiner  Natur  nach  ein  septisches,  scheint  verschiedene  Grade 
von  Intensität  zu  besizen  und  nicht  so  flüchtig  zu  sein,  dass  es  sich  durch 
die  Luft  fortpflanzt ,  wenn  es  nicht  von  Thierdunst  getragen  ist.  Der 
Genuss  des  Fleisches  solcher  Thiere  wird  manchmal  ohne  schlimme  Fol- 
gen ertragen,  zuweilen  bringt  derselbe  gastrische,  fieberhafte  Erscheinun- 
gen zu  Wege,  und  bisweilen  erfolgt  dann  auf  diese  Zufälle  der  Ausbruch 
eines  Milzbrandkarbunkels.  Am  häufigsten  erfolgt  die  Ansteckung,  indem 
man  unmittelbar  mit  einzelnen  thierischen  Theilen  in  Berührung  kommt, 
beim  Behandeln ,  Schlachten  der  Thiere,  beim  Bearbeiten  der  Felle  etc.  ; 
daher  findet  sich  der  Karbunkel  am  häufigsten  an  den  unbekleideten  Kör- 
perstellen, an  den  Händen,  Armen,  dem  Gesichte  und  dem  Halse,  und 
zwar  solcher  Personen  ,  die  mit  Thieren  viel  umgehen ,  wie  Thierärzte, 
Mezger,  Abdecker,  Gerber,  Hirten  etc.  Dabei  muss  nicht  nothwendig  die 
Oberhaut   verlezt   oder  eine  Wunde  zugegen  sein  ;    es  dringt  auch  durch 


BRAND.     MILZBRANDKARBUNKEL.  145 

die  unverlezte  Epidermis.  Zuweilen  wird  die  Uebertragung  des  An- 
steckungsstoffes durch  Insecten  vermittelt ;  es  mögen  dies  die  Fälle  sein, 
wo  man  die  schwarze  Blatter  scheinbar  spontan  entstehen  sieht.  Es 
soll  sich  nämlich  diese  Krankheit  auch  in  Folge  einer  Veränderung  des 
Bluts  durch  schlechte  Nahrungsmittel,  unreines  Wasser,  Mangel  an  Wein, 
angestrengte  Arbeit  in  der  Sonnenhize  etc.  selbstständig  entwickeln  kön- 
nen. Das  Contagium  einer  Milzbrandpustel  kann  auch  von  einem  Men- 
schen auf  den  andern  übertragen  werden.  —  Symptome  und  Verlauf. 
Zuerst  entsteht  an  irgend  einer  Hautstelle  oft  nach  Empfindung  von  flüch- 
tigen Stichen ,  von  Pricken  und  Brennen,  die  den  Kranken  zu  dem  Glau- 
ben veranlassen ,  von  einem  Insect  gestochen  worden  zu  sein ,  ein  rother 
erhabener  Punkt  auf  der  Haut  von  der  Grösse  eines  Hirsenkorns  oder 
einer  kleinen  Linse.  Nach  Verlauf  von  8  —  2  4  Stunden  erhebt  sich  auf 
diesem  Flecke  die  Oberhaut  in  Form  eines  gelblichweissen ,  bläulichen 
oder  schwärzlichen  Bläschens  ,  dessen  Umfang  etwas  hart  erscheint ,  das 
sich  nach  und  nach  vergrössert  und  dann,  wenn  es  nicht  früher  aufgekrazt 
wird ,  plazt  oder  vertrocknet ,  und  sich  in  einen  trockenen,  harten  Schorf 
von  schwarzbrauner  Farbe  verwandelt.  Die  Haut  und  das  Zellgewebe  im 
Umfange  des  Schorfes  sind  verhärtet ,  und  erstere  ist  entweder  glänzend 
weiss  oder  roth  gefärbt  oder  gefleckt.  Die  Lymphgefässe  und  Lymph- 
drüsen in  der  Nachbarschaft  entzünden  sich  in  der  Regel  und  der  Theil, 
auf  welchem  der  Carbunbel  sizt ,  schwillt  oft  ausserordentlich  ödematös 
an,  wodurch  beim  Gesichte  und  Halse  Erstickungsanfälle  veranlasst  werden 
können.  Sich  selbst  überlassen ,  breitet  sich  der  Brandschorf  weiter  ans, 
indem  rings  um  ihn  herum  neue  Bläschen  aufschiessen ,  die  sich  auf  die 
oben  angegebene  Weise  verändern.  Diese  Vergrösserung  des  Schorfes 
geht  zuweilen  bis  zu  dem  Umfange  eines  Handtellers  und  darüber ,  greift 
aber  nicht  leicht  tiefer,  als  durch  Haut  und  Zellgewebe.  Hört  das  Fort- 
schreiten des  Brandes  auf,  so  vertrocknen  die  Blasen,  ohne  schwarz  zu 
werden ,  und  die  Epidermis  schuppt  sich  ab.  An  der  Grenze  der  schwar- 
zen Kruste  bildet  sich  gegen  den  8.  oder  11.  Tag  eine  massige  Eiterung, 
unter  deren  Einfluss  der  Brandschorf  abgestossen  wird.  —  Kommt  das 
Contagium  mit  einer  Wundfläche  in  Berührung,  so  erfolgt  die  Resorption 
des  Giftes  und  die  allgemeine  Infection  schneller ,  was  eine  grössere  Ge- 
fährlichkeit bedingt.  —  Nach  Carganico,  Stromeyeru.  A.  kom- 
men zuweilen  in  Folge  des  Milzbrandkarbunkels  erysipelatöse  Entzündun- 
gen der  Haut  und  des  Zellgewebes  vor,  welche  schnell  in  einen  feuchten 
Brand  übergehen .  Stromeyer  nennt  diese  Form  den  feuchten 
Milzbrandkarbunkel.  —  Mit  den  örtlichen  Leiden  verbinden  sich 
allgemeine  Krankheitserscheinungen ,  die  in  den  einzelnen  Epidimien  und 
Individuen  sehr  verschieden  sind.  DieReaction  ist  manchmal  bei  grossen 
Karbunkeln  sehr  gering.  Viel  hängt  dabei  von  dem  Size  des  Karbunkels 
ab.  In  der  Regel  entsteht  einige  Tage  nach  der  Bildung  des  Bläschens 
ein  Frostschauer ,  dem  Hize  folgt ,  mit  Verlust  dss  Appetits  ,  Schwindel, 
Bürger,  Chirurgie.  10 


146  BRAND.     MILZBRANDKARBUNKEL. 

Kopfschmerzen ,  Unruhe ,  Schlaflosigkeit ,  Angst,  Ziehen  in  den  Gliedern, 
Mattigkeit  und  Zerschlagenheit ,  zuweilen  Betäubung.  Die  Haut  ist  mei- 
stens mit  klebrigen  Schweissen  bedeckt,  der  Puls  selten  voll ;  gewöhnlich 
wird  er  bald  klein  und  schnell  und  die  Zunge  ist  trocken.  Bald  treten 
Erscheinungen  eines  typhösen  Fiebers  ein  und  dann  geht  es  in  der  Regel 
mit  dem  Leben  bald  zu  Ende.  —  Die  pathologisch-anatomische 
Untersuchung  weist  ähnliche  Veränderungen  wie  bei  den  milzbran- 
digen Thieren  nach.  Das  Blut  ist  theerartig  ;  die  blutreichen  Eingeweide, 
wie  die  Leber ,  die  Lungen ,  besonders  die  Milz ,  sind  mit  Blut  überfüllt, 
weich  und  brüchig.  In  den  verschiedenen  Körperhöhlen  finden  sich  mehr 
oder  weniger  blutige  ,  bald  wässrrige ,  bald  salzige  Ablagerungen  ,  eben 
solche  in  den  häutigen  Gebilden  und  im  Zellgewebe ,  besonders  in  der 
Nachbarschaft  des  Karbunkels.  Die  Muskeln  und  Schleimhäute  haben 
eine  dunkle  livide  Färbung.  Die  angeschwollenen  Lymphdrüsen  sind  blu- 
tig infiltrirt.  Die  Leichen  gehen  sehr  schnell  in  Fäulniss  über  und  werden 
emphysematös  aufgetrieben.  —  Die  Erkenntniss  dieser  Krankheit 
bietet  bei  genauer  Berücksichtigung  der  angegebenen  Erscheinungen  keine 
Schwierigkeit  dar ;  nur  im  Entstehen  könnte  man  darüber  im  Zweifel  sein, 
doch  kann  hier  die  Beschäftigung  des  Kranken  und  etwa  vorgekommene 
weitere  ähnliche  Fälle  auf  die  Spur  leiten.  —  Der  Verlauf  des  Milzbrand- 
karbunkels ist  stets  acut;  er  tödtet  oft  schon  in  3 — 4  ,  häufiger  in  5,  7, 
9  Tagen.  —  Die  Prognose  richtet  sich  nach  dem  Size  des  Uebels  ; 
besser  ist  sie ,  wenn  der  Karbunkel  an  den  Extremitäten ,  ungünstiger, 
wenn  er  am  Kopfe,  im  Gesichte  oder  an  der  Brust  sizt,  am  ungünstigsten, 
wenn  er  seinen  Siz  am  Halse  hat ,  wo  er  durch  die  enorme  Geschwulst 
Strangulationen  oder  Apoplexie  herbeiführen  kann.  In  der  Nähe  des 
Auges  kann  er  Ectropium ,  Thränenfluss  zur  Folge  haben ,  ja  das  Auge 
gänzlich  zerstören.  Immer  hinterlässt  der  Karbunkel  entstellende  Narben. 
—  Behandlung.  Die  Hauptaufgabe  der  Kunst  ist ,  das  Milzbrandgift 
an  der  Infectionsstelle  gründlich  zu  zerstören,  und  je  frühzeitiger  dies  ge- 
schieht, um  so  sicherer  ist  der  Erfolg.  Kommt  man  dazu,  so  lange  noch 
die  erste  Blase  besteht ,  so  schneidet  man  dieselbe  heraus  und  äzt  die 
Wunde  nachdrücklich  mit  Höllenstein.  Hat  sich  bereits  ein  Brandschorf 
gebildet,  so  ist  das  Ausschneiden  unnüz  ;  ist  er  noch  auf  eine  kleine  Stelle 
beschränkt,  so  genügt  die  nachdrückliche  Application  mit  Aezkali,  Mine- 
ralsäuren, kaustischem  Ammoniak,  Spiessglanzbutter,  und  zwar  nicht  allein 
auf  den  Schorf,  sondern  auch  den  ihn  umgebenden  Blasenkranz.  Ist  der 
Brandschorf  bereits  umfänglicher,  so  muss  derselbe  in  mehreren  Richtun- 
gen dreist  bis  auf  das  Gesunde  eingeschnitten  und  dann  die  eben  genann- 
ten Caustica,  namentlich  Salpetersäure  und  selbst  das  weissglühende  Eisen 
angewendet  werden.  Bei  lebhafter  Reaction  thun  einige  Blutegel ,  auch 
Schröpf  köpfe,  in  einiger  Entfernung  von  der  Blatter  applicirt,  gute  Dienste. 
Dabei  lässt  man  Umschläge  von  Bleiwasser  oder  erweichende  narkotische 
Kataplasmen  von  Leinmehl,  Hyoscyomus-  und  Belladonnablättern  mit  Blei- 


BREIUMSCHLAEGE.  147 

wasser  machen.  Bei  geringer  örtlicher  Reaction  wendet  man  ätherische 
Fomentationen  und  Kataplasmen  mit  Zusäzen  von  Kampher  an.  Sobald 
sich  die  Demarkationslinie  gebildet  hat,  verbindet  man  mit  Ungt.  basi- 
1  i  c  u  m  und  behandelt  nach  Abstossung  der  Borke  das  Geschwür  seinem 
Charakter  gemäss.  —  Die  allgemeine  Behandlung  muss  sich  nach  den 
sich  ergebenden  Erscheinungen  richten.  Bei  gastrischen  Zufällen  reicht 
man  Brech-  und  Abführmittel ;  bei  Congestionen  nach  dem  Kopfe  und 
Erstickungsgefahr  durch  einen  Karbunkel  am  Halse  applicirt  man  Blut- 
egel und  macht  kleine  Aderlässe.  Leztere  machen  sich ,  jedoch  mit  gros- 
ser Vorsicht,  zuweilen  auch  bei  einem  vollen  Pulse  nothwendig.  Zum  Ge- 
tränke gibt  man  anfangs  säuerliche  Getränke  und  Chlorwasser ;  Ham- 
mer empfiehlt  den  Liquor  ammon.  caustic.  stündlich  zu  5  —  1 0 
Tropfen  in  Zuckerwasser;  später,  wenn  die  Zeichen  eines  putrid-typhösen 
Zustandes  sich  einstellen  ,  reicht  man  Antiseptica ,  namentlich  China  und 
Säuren  in  Verbindung  mit  ätherisch-öligen  Mitteln  und  Aether arten,  unter- 
stüzt  von  einer  passenden  Diät. 

Breiumschlag*,  Cataplasma  (xarctTTkaGGa) ,  ich  lege  einen 
Brei  auf)  ,  ist  diejenige  Form  von  Arzneimitteln ,  welche  die  Consistenz 
eines  Breies  haben  und  äusserlich  kalt  oder  warm  aufgelegt  werden.  Man 
nimmt  gewöhnlich  trockene,  gepulverte  oder  zerschnittene  Substanzen  zur 
Basis  eines  Breiumschlages,  welche  entweder  mit  einer  heissen  Flüssigkeit 
zur  Consistenz  eines  Breies  angerührt  werden ,  oder  welche  man  darin 
kocht ,  gekochter  Breiumschlag,  Cataplasma  coct  um;  be- 
reitet man  den  Breiumschlag  durch  Zerreiben  ,  Zerstossen ,  z.  B.  frischer 
Wurzeln  oder  Kräuter ,  oder  hat  die  zu  verwendende  Substanz  an  sich 
schon  die  Breiconsistenz,  z.  B.  der  -Schlamm  der  Mineralquellen,  so  heisst 
er  roher  Breiumschlag,  Cataplasma  er  u  dum,  und  wenn  die- 
ser Brei  eine  etwas  dickere  Consistenz  hat ,  so  heisst  er  Teig,  Pasta. 
—  Man  wählt  zu  den  Breiumschlägen  Substanzen,  welche  mit  einer  Flüs- 
sigkeit zu  einem  Brei  gemacht  werden  können  ;  solchen,  welche  sich  nicht 
zur  Breiform  eignen,  sezt  man  Brod- oder  Semmelkrume,  Mehl,  Leinsamen- 
mehl u.  dgl.  bei.  Stoffe  ,  welche  durch  Kochen  ihre  Wirkung  verlieren, 
z.  B.  Wein,  Kampher,  Spiritus,  Ammonium  etc.  sezt  man  den  Umschlägen 
erst  im  Augenblicke  der  Anwendung  bei.  Der  Brei  darf  weder  zu  dick, 
noch  zu  dünn  sein ;  er  hat  die  gehörige  Consistenz,  wenn  er  so  durch  das 
einhüllende  Tuch  durchschlägt,  dass  die  Oberfläche  von  diesem  mit  Schleim 
überzogen  erscheint.  Der  Brei  wird  entweder  unmittelbar  auf  den  kran- 
ken Theil  gebracht ,  oder  zwischen  Leinwand  oder  Tücher  geschlagen. 
Die  Grösse  des  Umschlages  richtet  sich  nach  dem  Umfange  des  kranken 
Theiles  ;  in  der  Kegel  muss  er  diesen  noch  überragen.  Er  darf  nicht  zu 
dünn  aufgetragen  sein ,  dass  er  sowohl  die  Temperatur  als  die  Feuchtig- 
keit hinreichend  lange  in  sich  erhält ;  er  darf  indessen  auch  durch  seine 
Schwere  nicht  belästigen.      Man  hat  darauf  zu  achten ,   dass  der  Kranke 

10* 


148 


BREIUMSCHLAG. 


nicht  gebrannt  wird;  der  Umschlag  hat  die  richtige  Wärme,  wenn  man 
ihn ,  ohne  Schmerz  zu  fühlen ,  einige  Zeit  auf  dem  Handrücken  liegen 
lassen  kann.  Er  darf  nicht  zu  lange  liegen  bleiben,  weil  er  sonst  zu  sehr 
abkühlt  und  weit  mehr  schadet,  als  nüzt ;  die  längste  Zeit  ist  1/2  Stunde, 
dann  muss  er  mit  einem ,  der  schon  fertig  da  liegt ,  vertauscht  werden. 
So  oft  der  Breiumschlag  gewechselt  wird ,  muss  die  Applicationsstelle 
schnell  abgetrocknet  und  dann  erst  darf  der  frische  Umschlag  aufgelegt 
werden.  Den  Brei,  der  von  dem  kranken  Theile  abgenommen  wird,  streift 
man  von  dem  Tuche ,  in  welches  er  eingeschlagen  ist ,  in  das  Gef  äss  zu 
der  übrigen  Masse  und  giesst  wieder  ein  wenig  Wasser  hinzu ,  damit  er 
nicht  zu  dick  und  trocken  wird.  Er  darf  nicht  auf  hellem  Feuer,  sondern 
muss  auf  Kohlen  oder  in  glühender  Asche  warm  erhalten  und  alle  2  4 
Stunden  muss  ein  frischer  gekocht  werden.  Kann  der  Breiumschlag  die 
Nacht  durch  nicht  sorgfältig  fortgesezt  werden ,  so  thut  man  wohl ,  ihn 
zur  Nachtzeit  auszusezen  und  den  leidenden  Theil  mit  einem  mit  grauer 
Quecksilbersalbe  bestrichenen  Leinwandstück  oder  mit  einem  geeigneten 
Pflaster  zu  bedecken.  —  Man  kann  die  Breiumschläge  nach  ihrer  Wir- 
kung oder  nach  den  in  ihnen  enthaltenen  Arzneistoffen  eintheilen ;  daher 
hat  man  erweichende  Umschläge,  C.emollientia,  zeitigende,  C.  ma- 


t  u  r  a  n  t  i  a , 
C.  acria  s. 


schmerzstillende , 
irritantia  etc. 


C.  anodyna  s.  sopientia,   reizende, 


Rp.  Flor,  chamomill. 

—    sambuci  ana  ^j  ; 
Herb,  hyoscyami 
Capit.  papav.  ana  ^jß, 
Farm,  sem.  lini  ^vj. 
M.  f.  pulv.  gross.,  coq.  ad  con- 
sist.  catapl.  —  Cataplasma  ano- 
dynum. 

(S  ob  er  nheim.) 


Rp.    Cepar.  sub  einer,  tost. 
Farin.  sinap.  ana  5ij  ; 
Sapon.  nigr.  X ß, 
Aq.  q.  s. 
Coq.  ad  consist.  cataplasm.   — 
Cataplasma  resolvens. 

(Nie  mann.) 


Rp.   Rad.  altheae 
Herb.  alth. 

—  malv.  ana  part.  jv. 
Flor,  chamom. 

—  sambuc.  ana  part.  ij. 
M.  f.  pulv.  gross.,  coq.  ad  con- 
sist. cataplasm.  —  Cataplasma 
emolliens. 

(Pharmacop.  Würt.) 


Rp.    Herb.  con.  macul. 

—  hyoseyam.  ana  5-13; 
Flor,  chamom. 

—  sambuc.  ana  =jj, 
Farin.  sem.  lini  5Jß. 

M.  f.  pulv.  S.  Mit  kochendem 
Wasser  zum  Umschlag  anzurüh- 
ren. —  Erweichender ,  zeitigen- 
der und  schmerzstillender  Um- 
schlag. 

(C  arus.) 


BRUCH.  149 

Rp.    Farin.  tritic. 

Spumae  cerevis.  ana  ^viij, 
M.  leni  calore  f.  catapl.  S. 

Warm  aufzulegen. 
Fäulnisswidriger  Umschlag 
gegen  unreine  ,  faulige  Ge- 
schwüre. 

Bnich,  Hernia  (von  EQi'og ,  der  Zweig,  daher  auch)  Ramex, 
Euptura.  Mit  diesem  Worte  bezeichnet  man  das  Austreten  eines  Ein- 
geweides aus  seiner  Höhle  unter  die  allgemeinen  Bedeckungen  oder  in 
eine  andere  Höhle  ,  wodurch  eine  mehr  oder  weniger  hervorspringende 
und  meistentheils  äusserlich  wahrnehmbare  Geschwulst  gebildet  wird. 
Solche  Austretungen  beobachtet  man  am  Kopfe ,  der  Brust  und  dem  Un- 
terleibe, daher  unterscheidet  man  Kopf-,  Brust-  und  Unterleibs- 
brüche. Von  den  lezteren  als  den  am  häufigsten  vorkommenden  soll 
zuerst  die  Rede  sein. 

I.  Brüche  des  Unterleibes.  A.  Von  den  Brüchen  des 
Unterleibes  im  Allgemeinen.  —  Die  Unterleibsbrüche ,  H e r - 
niae  abdominales,  können  sich  im  ganzen  Umfange  der  Bauch- 
wand bilden ,  weun  diese  nachgibt  oder  zum  Theil  zerreisst.  Am  häufig- 
sten enstehen  sie  an  denjenigen  Stellen  des  Unterleibes ,  wo  schon  OefF- 
nungen  zum  Durchgange  von  Gef  ässen,  Nerven  etc.  bestehen.  Man  theilt 
die  Brüche  ein:  l)  nach  der  Stelle,  wo  sie  sich  bilden,  in  Leisten-, 
Schenkel-,  Nabel-,  Sizbeinbrüche  etc.  ;  2)  nach  den  in  dem  Bruche  ent- 
haltenen T  h  e  i  1  e  n ,  in  Darm-  ,  Nez- ,  Darmnez-  ,  Magen- ,  Harhblasen- 
brüche  etc.;  3)  nach  der  Zeit  der  Entstehung  in  angeborene  (H. 
congenitae)  nnd  in  erworbene  Brüche  (H.  acquisitae).  —  Die 
Spalte  ,  Oeffnung  oder  Vertiefung ,  durch  welche  das  Eingeweide  hervor- 
tritt, nennt  man  die  Bruchpforte,  welche  in  eine  innere  und  äussere 
zerfällt ;  wenn  zwischen  beiden  ein  Kanal  sich  befindet ,  so  heisst  er 
Bruchkanal.  Der  in  diesem  Kanäle  oder  in  Ermangelung  dessen  in 
der  Bruchpforte  befindliche  Theil  des  Eingeweides  heisst  Bruchhals, 
der  nach  aussen  getretene  Bruchkörper.  Die  meisten  Brüche  drän- 
gen bei  ihrer  Bildung  das  Bauchfell  vor  sich  her ,  wo  es  ihnen  dann  als 
Bruchsack  (Saccus  herniosus)  zur  Umhüllung  dient.  An  diesem 
unterscheidet  man  wieder  den  Hals,  Körper  und  den  Boden.  In  sel- 
tenen Fällen  kann  der  Bruchsack  ganz  oder  theilweise  fehlen  und  zwar 
wenn  das  Bauchfell  einen  Spalt  hatte  oder  wenn  sich  ein  Theil  vorlagert, 
der  in  der  Bauchhöhle  ausserhalb  des  Bauchfellsackes  liegt ,  z.  B.  der 
untere  Theil  der  Harnblase,  oder  des  Blinddarmes  ,  oder  die  Nieren.  Der 
Bruchsack  kann  sich  verdicken,  verdünnen,  Einschnürungen  erleiden  etc. 
—  Die  Grösse  der  Brüche  ist  sehr  verschieden  ,  indem  sie  bald  nur  eine 
Darmwand,  bald   eine  Darmschlinge  ,   bald  endlich  einen  grösseren. oder 


150  BRUCH. 

kleineren  Theil  aller  Unterleibseingeweide  enthalten.  —  Die  Brüche  sind 
entweder  frei,  beweglich,  wenn  sie  in  die  Unterleibshöhle  zurückge- 
bracht werden  können,  oder  unbeweglich,  wenn  dies  nicht  möglich 
ist,  wovon  der  Grund  in  den  Eingeweiden,  oder  in  dem  Bruchsacke,  oder 
in  beiden  zugleich  liegen  kann.  —  In  praktischer  Hinsicht  unterscheidet 
man  nicht  eingeklemmte  und  eingeklemmte  Brüche.  — 
Diagnose  des  nicht  eingeklemmten  Bruches.  Sie  ist  in  der 
Regel  leicht.  Man  bemerkt  eine  schnell  oder  langsam  entstandene,  un- 
schmerzhafte ,  elastische,  kugel-  oder  birnförmige  Geschwulst  mit  unver- 
änderter Haut ,  die  auf  einen  Druck  oder  in  der  Rückenlage  von  selbst 
zurückgeht,  bei  jeder  Anstrengung,  beim  Husten,  Niesen  etc.  wieder  vor- 
fällt oder  sich  vergrössert.  Die  aufgelegte  Hand  fühlt  beim  Husten  ein 
deutliches  Andrängen  des  Eingeweides.  Hierzu  kommen  noch  Functions- 
störungen  der  Unterleibseingeweide,  träger  Stuhlgang,  Kollern,  kolikartige 
Schmerzen  ,  Aufstossen  etc.  Das  vorliegende  Eingeweide  gibt  sich  theils 
durch  das  Gefühl,  theils  durch  die  Functionsstörung  zu  erkennen.  —  Der 
Darmbruch  (Enterocele)  bildet  eine  gleichförmige,  elastische  Ge- 
schwulst, welche  sich  bei  Anfüllung  der  Därme  vergrössert  und  mit  einem 
gurrenden  Geräusche  zurücktritt.  —  Der  Nezbruch  (Epiplocele) 
fühlt  sich  teigig,  ungleich  knotig,  manchmal  strangartig  an,  hat  eine  brei- 
tere Basis ,  entwickelt  sich  langsamer ,  lässt  sich  schwer  und  nur  partien- 
weise reponiren  ,  wobei  kein  Gurren  zu  vernehmen  ist,  und  verursacht  oft 
ein  lästiges  Ziehen  am  Magen.  Der  Darmnezbruch  (Entero -epi- 
plocele) bietet  die  Zeichen  beider  vorhergehender  Arten  mit  einander 
in  Verbindung  dar.  Der  Blasenbruch  (CystoceleJ  fluctuirt ,  ist 
grösser  bei  angesammeltem  Urin,  wird  kleiner  nach  dem  Wasserlassen  und 
ein  Druck  auf  die  Geschwulst  veranlasst  Drang  zum  Uriniren.  Nieren-, 
Magen- ,  Leber-  und  Gebärmutterbrüche  werden  oft  aus  dem  Orte  des 
Vorkommens,  aus  der  Störung  der  Function  des  vorgelagerten  Theiles  etc. 
erkannt.  —  Ursachen.  Diese  sind  prädisponirende  und  Gelegenheits- 
Ursachen.  Die  Anlage  zu  Brüchen,  welche  angeboren  und  erworben 
sein  kann ,  besteht  in  einer  Erschlaffung  der  Bauchdecken  und  deren  na- 
türlichen Oeffnungen,  bedingt  durch  Dickleibigkeit,  Wassersucht,  Schwan- 
gerschaft ,  schnelles  Magerwerden ,  durch  Ueberf  üllung  der  Eingeweide. 
Die  Gelegenheitsursachen  sind  starke  Zusammenziehungen  der 
Bauchwand  beim  Aufheben  schwerer  Gegenstände,  Husten,  Erbrechen  etc.; 
ferner  äussere  Gewaltthätigkeiten ,  wie  Stoss ,  Schlag  etc.  —  Brüche  ent- 
stehen häufiger  bei  Männern  als  bei  Weibern  und  häufiger  auf  der  rechten 
als  auf  der  linken  Seite.  —  Die  Prognose  nicht  zu  grosser,  reponirter 
und  durch  ein  Bruchband  zurückgehaltener  Darmbrüche  ist  keine  ungün- 
stige ,  indem  sie  in  der  Kindheit  beinahe  immer  heilen  und  Erwachsenen 
wenig  Unbequemlichkeit  bereiten.  Darmbrüche  sind  gefährlicher  als  Nez- 
brüche.  Ein  sich  selbst  überlassener  Bruch  verursacht  am  Ende  grosse 
Beschwerden  und  wird  zulezt  irreponibel.  —  Behandlung.    Die  erste 


BRUCH.  151 

Indication  bei  einem  beweglichen  Bruch  ist ,  ihn  zurückzubringen ,  die 
zweite  besteht  darin  ,  sein  Wiedervorfallen  zu  verhüten.  Dies  geschieht 
entweder  durch  das  Tragen  eines  Bruchbandes  oder  durch  eine  organische 
Verschliessung  der  Bauchöffnung.  —  Die  Zurückbringung  eines 
Bruches,  Taxis,  Repositio  herniae,  wird  in  einer  Lage  vor- 
genommen ,  in  welcher  die  Bauchwand  möglichst  erschlafft  ist.  Der 
Kranke  liegt  daher  auf  dem  Bücken  mit  massig  erhobenem  Kopfe  und 
Brust  und  angezogenen  Schenkeln.  Der  Wundarzt  steht  auf  der  Seite 
des  Bauches,  erfasst  die  Geschwulst  mit  einer  Hand,  drückt  sie  sanft  und 
gleichmässig  mit  den  Fingern  zusammen  und  drängt  die  Theile  allmälig 
nach  der  Oeffnung ,  aus  der  sie  hervorgetreten  sind.  Dieses  Zurückdrän- 
gen muss  in  der  Richtung  geschehen ,  in  der  die  Theile  hervorgetreten 
sind.  Während  der  Taxis  hat  sich  der  Kranke  jeder  Zusammenziehung 
zu  enthalten.  Die  vollkommene  Reposition  ergibt  sich  aus  dem  gänzlichen 
Verschwinden  der  Geschwulst  und  der  frei  gewordenen  Bauchöffnung.  — 
Das  Wiedervorfallen  der  Eingeweide  verhindert  man  durch  eine  fort- 
dauernde ,  gleichmässige  Compression ,  welche  gegen  die  Bauchöffnung 
durch  besondere  Bandagen  (Bruchbänder,  Bracheria)  angebracht 
wird .  Man  hat  unelastische  und  elastische  Bruchbänder.  Die 
ersteren  taugen  nichts  ,  da  sie  den  Bewegungen  des  Bauches  nicht  nach- 
geben ,  sich  daher  leicht  verrücken  und  bei  fester  Anlage  die  Haut  wund 
machen.  Die  elastischen  Bruchbänder  bestehen  aus  einer  mit  Leder  über- 
zogenen und  gefütterten  Feder  und  einer  an  dem  einen  Ende  dieser  be- 
festigten ,  die  Bruchstelle  bedeckenden  gewölbten  Pelotte,  an  welcher  der 
von  dem  andern  Ende  der  Feder  ausgehende  Ergänzungs-,  so  wie  der  das 
Aufsteigen  der  Bandage  verhindernde  Schenkelriemen  befestigt  wird.  Die 
verschiedenen  Brüche  bedürfen  verschieden  construirter  Bruchbänder.  — 
Beim  Anlegen  eines  Bruchbandes  liegt  der  Kranke  auf  dem  Rücken ;  die 
Eingeweide  hält  man  so  lange  mit  den  Fingern  zurück ,  bis  die  PeloUe 
gehörig  auf  die  Bauchöffnung  angelegt  und  der  Riemen  befestigt  ist ; 
dann  lässt  man  den  Kranken  aufstehen ,  herumgehen  ,  husten ,  um  sich  zu 
überzeugen ,  ob  das  Band  gut  liegt.  Vergl.  den  Art.  Bruchband.  — 
Bei  irreponiblen  Brüchen  sucht  man  nur  das  Grösserwerden  zu  ver- 
hindern ,  was  mit  einem  Bruchbande  mit  ausgehöhlter  Pelotte  oder  bei 
grossen  Brüchen  mittels  eines  gut  anschliessenden  Suspensorium  geschieht. 
Durch  fortgesezte  Rückenlage ,  sparsame  Kost ,  Abführmittel  und  täglich 
wiederholte  Repositionsversuche  gelingt  es  zuweilen,  ein  allmäsiges  Zurück- 
treten zu  bewirken.  —  Dies  ist  die  Palliativkur  der  Hernien.  Indessen 
wird  durch  das  anhaltende  Tragen  eines  guten  Bruchbandes  zuweilen  eine 
radicale  Heilung  herbeigeführt.  Man  kann  diese  Wirkung  durch  die  An- 
wendung adstringirender  Substanzen  unterstüzen.  Die  eigentliche  Radi- 
calheilung  der  Brüche  wurde  auf  verschiedene  Weise  versucht.  Die 
neueren  ,  weniger  gefährlichen  Methoden  sind  folgende  :  G  e  r  d  y  stülpt 
nach  reponirtem  Leistenbruche  einen  Theil   des  Hodensackes   mit  einem 


152  BRUCH. 

Finger  möglichst  tief  in  den  Leistenkanal,  führt  eine  mit  einem  doppelten 
Fadenbändchen  versehene  Nadel  bis  zum  Grunde  der  Umstülpung  und 
stösst  sie  vorn  über  dem  Leistenringe  aus.  Nachdem  er  hierauf  das  eine 
Ende  des  Fadens  ausgezogen  und  das  andere  wieder  in  die  Nadel  ge- 
fädelt hat,  führt  er  auch  lezteres  mit  der  Nadel  einige  Linien  neben  dem 
ersten  Stiche  nach  vorn  und  aussen  durch ,  die  Fadenbändchen  bindet  er 
über  einem  Pflastercylinder  zusammen,  wodurch  die  eingestülpte  Haut  in 
ihrer  Lage  erhalten  wird.  Hierauf  wird  der  durch  die  Einstülpung  ge- 
bildete Sack  mit  Liquor  ammonii  causticus  bepinselt ,  um  Ent- 
zündung, Eiterung  und  Adhäsion  herbeizuführen.  Die  Fäden  werden  am 
3.  ,  5.  bis  8.  Tag  herausgenommen,  und  der  Kranke  beobachtet  noch  4 
Wochen  lang  eine  Rückenlage.  Lehmann  führt  einen  beölten  Charpie- 
kegel  in  die  Einstülpung  ein.  Signorini  stösst  drei  lange  Hasen- 
schartennadeln durch  die  Invagination  nach  aussen  und  umschlingt  sie  ach- 
terf örmig.  W u z e r  hat  ein  eigenes  Invaginatorium  angegeben.  Mayor 
bildet  eine  Längenfalte  auf  dem  Bruche  ,  sticht  an  dem  Grunde  dieser 
mehrere  mit  doppelten  Fäden  versehene  Nadeln  durch ,  theilt  die  Faden- 
enden und  bindet  sie  über  Baumwoll-  oder  Schwammcylindern  zusammen. 
Darüber  bringt  er  einen  leichten  Druck  mit  einem  Bruchbande  an.  Die 
Fäden  nimmt  man  am  9 .  Tage  weg.  B  o  n  n  e  t  sticht  Stecknadeln  durch 
die  Hautfalte  und  sucht  auf  diesen  die  Hautfalte  zusammenzudrücken. 
B  e  1  m  a  s  schiebt  mittels  feiner  Troicartröhren  mit  Goldschlägerhäutchen 
überzogene  Gallertcylinder  ein  und  lässt  daüber  ein  Bruchband  tragen. 
Da  diese  verschiedenen  Verfahrungsweisen  eines  Theiles  nicht  immer  ohne 
Gefahr  sind ,  anderntheils  häufig  versagen ,  so  beschränkt  man  sich  lieber 
auf  den  Gebrauch  eines  gut  gearbeiteten  Bruchbandes.  — =  Tritt  ein  Miss- 
verhältniss  zwischen  den  vorgefallenen  Theilen  und  der  Bruchpforte  ein, 
wodurch  die  freie  Communication  zwischen  der  Bauchhöhle  und  dem 
Bruche  unterbrochen  und  die  Zusammenschnürung  des  vorgefallenen  Thei- 
les hervorgebracht  wird ,  so  hat  man  es  mit  einer  Brucheinklem- 
mung, Incarceratio  herniae,  zu  thun.  Ein  solches  Missverhält- 
niss  kann  veranlasst  werden  beim  Entstehen  eines  Bruches,  wenn  die  Ein- 
geweide gewaltsam  den  engen  Bauchring  durchdringen  ;  ferner  durch  das 
Hinzutreten  weiterer  Eingeweidetheile  zu  einem  schon  länger  bestehenden 
Bruche,  durch  eine  Anhäufung  von  Koth,  Darmgas  oder  durch  fremde  Kör- 
per in  den  vorliegenden  Darmschlingen,  durch  entzündliche  Anschwellung 
oder  Entartung  des  Nezes ,  durch  Verwickelung  oder  allmälige  Verenge- 
rung der  Darmpartien  und  durch  krampfhafte  AfFection  des  Darmkanales. 
—  Die  Stelle  der  Einklemmung  ist  entweder  in  der  Bruchpforte ,  dem 
Bruchkanale  oder  in  dem  Bruchsacke  und  zwar  hier  entweder  an  dem 
Bruch  sackhalse  oder  an  seinem  Körper,  wenn  sich  Verengerungen  daran 
gebildet  haben  oder  wenn  er  zerreisst  und  Eingeweide  sich  einklemmten. 
Auch  können  sich  Darmschlingen  durch  bandartige  Massen  verbinden, 
sich  mit    dem  Neze  verwickeln ,    oder   Därme   durch   das   Nez  brechen. 


BRUCH.  153 

Häufig  ist  der  durch  langes  Tragen  eines  Bruchbandes  verdickte  und  ver- 
engte Bruchsackhals  der  Siz  der  Einklemmung ;  am  häufigsten  sind  es 
jedoch  die  Bruchpforten,  welche  einschnüren,  sie  sind  aber  dabei  nicht 
activ  thätig,  sondern  nur  relativ  zu  eng,  um  dem  vorgefallenen  oder  durch 
die  angeführten  Umstände  vergrößerten  Eingeweide  den  Rücktritt  zu  ge- 
statten. —  Die  Symptome  der  Einklemmung  finden  ihre  Erklärung 
theils  in  der  Einschnürung  der  den  Bruch  bildenden  Theile,  theils  in  der 
hierdurch  entstehenden  Entzündung  und  ihren  Folgen ;  sie  sind :  Ver- 
stopfung, Auftreibung  des  Unterleibs,  Appetitlosigkeit,  Uebelkeit,  Er- 
brechen;  später  wird  der  Bruch  heiss  und  zuweilen  auch  roth,  der  Kranke 
bekommt  Angst  und  Unruhe ,  unlöschbaren  Durst  und  der  Puls  wird 
hart  und  häufig.  Im  weiteren  Verlaufe  stellt  sich  nicht  selten  Er- 
brechen von  Koth  ein ,  die  rothe  Farbe  der  Bruchgeschwulst  geht  ins 
Bläuliche  über ,  diese  wird  mehr  teigig ,  die  bis  dahin  heftigen  Schmer- 
zen im  Unterleibe  lassen  nach ,  der  Kranke  wird  ruhiger ,  ist  aber 
noch  von  Schluchzen  geplagt ,  der  Puls  wird  weich ,  dann  klein, 
aussezend ,  das  Gesicht  fällt  ein ,  es  stellt  sich  kalter  Schweiss ,  Kälte 
der  Extremitäten  ein ,  der  Athem  wird  leiser ,  kurz  es  ist  Brand  ein- 
getreten ,  in  Folge  dessen  der  Kranke  entweder ,  und  zwar  in  den  mei- 
sten Fällen ,  bald  darauf  stirbt ,  oder  es  kommt  zum  Aufbruche  der  Ge- 
schwulst ,  in  welchem  Falle  der  Kranke  unter  der  Bildung  eines  wider- 
natürlichen Afters  noch  gerettet  werden  kann.  —  Man  unterscheidet  meh- 
rere Arten  von  Einklemm ungen.  1)  Die  entzündliche  oder 
acute.  Bei  ihr  treten  die  Symptome  rasch  auf,  steigen  zu  einer  grossen 
Höhe  und  die  Bauchgeschwulst  verändert  sich  in  kurzer  Zeit  beträchtlich. 
Sie  tritt  meistens  bei  jugendlichen  kräftigen  Subjecten  und  in  kleinen 
frisch  entstandenen  oder  längere  Zeit  durch  ein  Bruchband  zurückgehal- 
tenen Brüchen  auf.  2)  Die  chronische  Einklemmung.  Hier 
kann  oft  geraume  Zeit  verfiiessen  ,  bis  die  Symptome  einen  beunruhigen- 
den Charakter  annehmen.  Sie  kommt  gewöhnlich  bei  alten  und  sehr 
grossen  Brüchen  vor ,  und  wenn  sie  durch  eine  allmälig  verstärkte  An- 
häufung von  Darmgas  oder  Excrementen  veranlasst  wird ,  so  heisst  man 
sie  auch  Koth  einklemmung  (In  c  ar  ceratio  s  t  er  cor  a  cea). 
Zuweilen  herrscht  in  den'  Symptomen  eine  Veränderlichkeit ,  der  Zustand 
nähert  sich  der  Kolik,  die  Bruchgeschwulst  wird  rasch  gespannt ,  ist  aber 
nicht  sehr  schmerzhaft ,  wechselt  oft  ihre  Grösse ,  zuweilen  ist  gar  kein 
Erbrechen  zugegen  ,  der  Puls  ist  klein ,  der  Urin  blass  ,  alle  Symptome 
steigern  sich  zuweilen  rasch ,  es  treten  aber  auch  wieder  längere  Inter- 
missionen  ein.  Eine  solche  Einklemmung ,  welche  man  besonders  bei 
sensiblen  Subjecten  und  häufig  nach  einer  Erkältung  beobachtet,  nennt 
man  die  krampfhafte.  —  Die  nicht  acuten  Einklemmungen  gehen, 
wenn  keine  Aufhebung  derselben  stattfindet ,  früher  oder  später  in  die 
entzündliche  über.  —  Bei  den  Nezbrüchen  ist  der  Verlauf  nicht  so  stür- 
misch ,   wie   bei   den  Darmbrüchen ,   es   kann  selbst  die  Stuhlverstopfung 


154  BRUCH. 

fehlen.  Lezteres  kann  auch  der  Fall  sein  bei  Brüchen ,  wo  nur  eine 
Wand  des  Darmes  eingeklemmt  ist  (L  i  1 1  r  e  '  sehe  oder  Lateral- 
b  r  ii  c  h  e),  wo  übrigens  die  -Zeichen  der  Einklemmung  rasch  einen  hohen 
Grad  erreichen.  —  Die  Prognose  der  eingeklemmten  Brüche  ist  im 
Allgemeinen  ungünstig.  Etwas  besser  stellt  sie  sich,  wenn  die  Einklem- 
mung das  Nez  betrifft,  oder  wenn  sich  bei  einem  Darme  die  Gangrän  auf 
das  eingeklemmte  Stück  beschrankt  und  sich  ein  widernatürlicher  After 
ausbilden  kann,  oder  wenn  der  früh  zu  dem  Kranken  gerufene  Wundarzt 
den  Bruchschnitt  zeitig  genug  anwenden  kann.  Die  chronische  Einklem- 
mung ist  im  Allgemeinen  weniger  gefährlich  als  die . acute.  —  Die  Be- 
handlung der  eingeklemmten  Brüche  muss  die  Art  der  Einklemmung 
genau  berücksichtigen.  Ist  die  Einklemmung  eine  acute  und  hat  die 
Taxis  versagt,  so  lasse  man  dem  Kranken  zur  Ader ,  seze  Blutegel  in  die 
Umgebung  des  Bruches  ,  mache  kalte  Umschläge  auf  diese ,  applicire  ein 
mildes  Klystier ,  höchstens  mit  einem  Zusaze  von  Ricinusöl  oder  ein  sol- 
ches von  Bleiwasser  und  warte  dann  erst  einige  Stunden,  bevor  man  die 
Taxis  wiederum  versucht.  Gelingt  die  Reposition  des  Bruches  auch  jezt, 
selbst  nach  vorgenommener  Anästhesirung  des  Kranken  nicht ,  so  fahre 
man  mit  den  angegebenen  Mitteln  fort,  denen  man  bei  verminderter  Ent- 
zündung Tabaksklystiere  (5ß — j  Tabak  auf  5xij  —  xvj  Wasser),  lauwarme 
Bleiumschläge,  Einreibungen  aus  Althäasalbe  mit  Opium,  Extr.  bella- 
donnae  oder  hyoseyarni  beifügt,  und  lässt  den  Kranken  andauernd 
in  der  Lage  zur  Taxis.  Alle  innern  Mittel,  besonders  Abführmittel,  sind 
bei  dieser  Form  von  Einklemmung  schädlich ;  höchstens  erlaube  man 
Mandelmilch  u.  dgl.  zum  Getränke.  Jezt  versuche  man  die  Taxis  noch- 
mals, aber  immer  nur  kurze  Zeit  und  mit  Vorsicht,  damit  man  den  Bruch 
nicht  noch  mehr  reize  und  entzünde.  —  Hat  die  Einklemmung  einen 
mehr  chronischen  Charakter,  ist  sie  mehr  eine Kotheinklemmung  und 
ist  noch  keine  Entzündung  zugegen,  so  wende  man  gleich  anfangs  Essig-, 
Seifen  -  oder  Tabaksklystiere ,  kalte  Umschläge  auf  den  Bruch  ,  die  von 
S  a  1 1  m  a  n  n  bei  der  Einklemmung  überhaupt  gerühmte  Tinctura  n  u  - 
cis  vomicae  (gutt.  v  —  x  auf  5ij  Wasser  und  davon  1/4  stündlich  einen 
Theelöffel  voll)  und  Abführmittel  aus  Salzen  mit  Ricinusöl,  z.  B.  Rp. 
Ol.  ri  ci  n  i  5j,  Vi  t  el  1.  o  v.  N.  ij,  A  q.  f  o  n  t.  5vij,  fiat  emuls.,  adde 
Magnes.  sulphur.  ^ß,  Syr.  mannae  jj.  M.  S.  Stündlich  2  Ess- 
löffel voll ,  in  sehr  chronischen  Fällen  Calomel  mit  Jalappe  und  versuche 
die  Taxis ,  aber  eindringlicher  und  länger ,  wobei  man  durch  Zusammen- 
drücken des  Bruches  einen  Theil  des  angehäuften  Darmgases  oder  Kothes 
in  den  Unterleib  zurückzudrängen  sucht.  Treten  später  entzündliche 
Zufälle  auf,  so  verfahre  man  wie  bei  der  acuten  Einklemmung.  —  Ist  die 
Einklemmung  mit  Krampf  complicirt,  so  sind  warme  Bäder,  narkotische 
Einreibungen ,  warme  Umschläge ,  Tabaksklystiere  und  innerlich  eine 
Emulsio  amygdalarum  mit  Aqualaurocerasi,  kleine  Dosen 
Ipecacuanha   mit   Tart.    emeticus,    z.   B.    Rad.  ipec  ac.  gr.  ij, 


BRUCH.  155 

Tart.  e  ra e  t i  c.  gr.  j  ,  S a c  c h.  a  1  b  i  ^iv  ;  M.  f.  p.  ,  divid.  in  viij  p.  S. 
Alle  l/4  — 1/2  Stunde  1  P.  ,  auch  die  oben  angegebene  Tinct.  nucis 
v  o  m  i  c  a  e  ,  so  wie  die  Anwendung  von  Chloroform  angezeigt.  Auftretende 
entzündliche  Erscheinungen  müssen  entsprechend  behandelt  werden.  — 
Gelingt  es  unter  dieser  Behandlung  den  Bruch  zurückzubringen,  so  hören 
die  Zufälle  gewöhnlich  schnell  auf  und  es  tritt  Stuhlausleerung  ein.  Zögert 
diese  zu  lange  ,  so  hilft  man  mit  einem  milden  Abführmittel  nach ,  z.  B. 
Rp.  Ol.  lini  rec.  ^j  ,  G  i.  arab.  q.  s.  A  q.  fontan.  ^v,  f.  emuls. 
adde  Sal.  Glaub.  ,  Syr.  mannae  ana  J.  M.  S.  Stündlich  2  Essl. 
voll.  Nach  dem  Zurücktritt  eines  eingeklemmt  gewesenen  Bruches  ver- 
säume man  nie,  sich  zu  überzeugen,  ob  der  Bruch  auch  ganz  reponirt  ist, 
weil  zuweilen,  besonders  bei  äusseren  Leistenbrüchen ,  die  Eingeweide  im 
Bruchkanale  zurückbleiben.  —  Gelingt  aber  die  Reposition  des  Bruches 
nicht ,  wird  er  im  Gegentheile  gespannter  und  schmerzhafter ,  dauert  das 
Erbrechen  fort  etc.,  so  muss  man  von  allen  weiteren  Repositionsversuchen 
abstehen  und  sofort  zur  Operation  schreiten ,  von  der  unter  solchen  Um- 
ständen allein  noch  Hülfe  zu  erwarten  ist.  Zwar  will  Seutin  in  der 
neuesten  Zeit  durch  gewaltsame  Ausdehnung  der  einschnürenden  Stelle  mit 
dem  Finger  die  Operation  häufig  umgangen  haben  ;  wenn  man  aber  bedenkt, 
dass  es  schon  meist  sehr  schwer  fällt,  bei  der  Operation  eine  dünne  Sonde 
unter  die  Einschnürung  zu  bringen ,  so  wird  man  diesem  neuen  Hülfs- 
mittel  kein  zu  grosses  Vertrauen  schenken  dürfen ,  abgesehen  davon,  dass 
ein  solches  Verfahren  nicht  ohne  Beleidigung  der  vorliegenden  Theile  aus-v 
zuführen  sein  dürfte.  —  Je  kleiner  der  Bruch  und  je  jünger  und  robuster 
das  Subject  ist ,  um  so  weniger  darf  man  mit  der  Operation  zögern  ;  bei 
acuten  Einklemmungen  wird  sie  oft  schon  nach  8  —  ]  2  Stunden  noth- 
wendig. 

Die  Operation  der  eingeklemmten  Brüche,  der  Bruchschnitt, 
Herniotomia,  besteht  in  der  Blosslegung  des  Bruches ,  um  durch 
Hebung  der  Einklemmung  die  Eingeweide  in  den  Unterleib  zurückzufüh- 
ren. Behufs  der  Operation  lässt  man  den  Kranken ,  nachdem  er  urinirt 
hat,  so  auf  den  Rand  eines  Tisches  liegen,  dass  er  seine  Füsse  auf  Stühle 
sezen  kann.  Nach  dem  Abrasiren  der  Haare  in  der  Gegend  des  Bruches 
erheben  der  Operateur  und  ein  Gehülfe  über  diesem  die  Haut  in  eine 
Querfalte  ,  welche  in  der  Weise  mit  einem  bauchigem  Bistouri  durch- 
schnitten wird ,  dass  die  dadurch  entstehende  Wunde  unten  und  oben 
über  die  Bruchgeschwulst  hinausreicht ;  fällt  der  Schnitt  zu  klein  aus,  so 
vergrössert  man  ihn  auf  der  Hohlsonde.  Lässt  sich  keine  Falte  bilden, 
so  macht  man  den  Schnitt  vorsichtig  aus  freier  Hand.  Nun  präparirt 
man  die  zu  Tage  getretenen  Zeilgewebschichten  behutsam  mit  Pincette 
und  flach  gehaltenem  Messer  ab  ,  bis  man  auf  den  Bruchsack  kommt, 
welcher  sich  durch  seine  glänzende  Oberfläche  bemerklich  macht  und 
wenn  er  nicht  verdickt  ist  und  kein  Wasser  enthält,  das  Adergeflecht  des 
Darmes   durchscheinen  lässt.       Den    so  blossgelegten  Bruchsack   erhebt 


156  BRUCH. 

man  an  der  fluctuirendsten  Stelle  mittels  der  Pincette  hügelförmig  und 
schneidet  ihn  mit  flach  gehaltenem  Messer  ein  ,  worauf  gewöhnlich  ein 
wenig  hellrothliches  Wasser  ausfliesst ;  in  die  kleine  Oeffnung  bringt  man 
das  stumpfe  Blatt  einer  Scheere,  erweitert  sie  damit  etwas,  geht  in  die  so 
erweiterte  Oeffnung  mit  dem  Finger  ein  und  schneidet  den  Bruchsack 
seiner  ganzen  Länge  nach  auf-  und  abwärts  ein.  Das  hellröthliche  Was- 
ser kann  oft  fehlen,  man  überzeugt  sich  aber  davon,  dass  man  im  Bruch- 
sack ist ,  leicht  durch  die  Glätte  und  die  Gefässverzweigung  des  Darmes 
oder  das  besondere  Aussehen  des  Nezes.  Dass  der  Bruchsack  ganz  feh- 
len könne,  wurde  schon  erwähnt.  Die  Methode,  den  Bruchsack  gar  nicht 
zu  öffnen  und  nach  Erweiterung  der  Bruchöffnung  den  Bruch  sammt  den 
Bruchsacke  zu  reponiren ,  hat  den  Nachtheil ,  dass  man  keine  Einsicht  in 
den  Zustand  und  die  Beschaffenheit  der  Theile  bekommt,  und  dabei  etwa 
bestehende  Einschnürungen  im  Bruchsacke  selbst  verborgen  bleiben  ;  sie 
ist  deshalb  nur  bei  kleinen  und  frischen  Brüchen  anzurathen.  —  Nach 
Eröffnung  des  Bruchsackes  dehnen  sich  die  Därme  gewöhnlich  aus  und 
treten  selbst  aus  ihm  hervor.  Man  entfaltet  sie ,  löst  etwa  vorhandene 
Verschlingungen  und  zieht  den  Darm  von  der  Stelle  der  Einklemmung 
etwas  nach  aussen ,  worauf  er  zuweilen  unter  leichter  Nachhülfe  oder  von 
selbst  in  die  Bauchhöhle  zurückweicht.  Hindert  die  Ueberfüllung  des 
Darmes  mit  Koth  oder  Luft  dessen  Reposition  und  lassen  sich  diese  durch 
Weigern  nicht  vermindern ,  so  hat  man  die  Punktion  des  Darmes  mit 
Stecknadeln,  der  Lancette  oder  einem  kleinen  Troicart  ausgeübt ,  um  das 
Volumen  der  Därme  zu  vermindern.  Leichte  Verwachsungen  der  vorge- 
fallenen Theile  mit  dem  Bruchsacke  trenne  man  mit  dem  Finger ,  feste 
mit  der  Scheere,  bedeutende  und  totale  lasse  man  unberührt.  Einschnü- 
rungen durch  Stricturen  des  Bruchsackes  oder  durch  Bänder  oder  die 
Eingeweide  und  das  Nez  selbst  löse  man.  Gelingt  troz  allem  Diesem  die 
Reposition  der  vorgelagerten  Theile  nicht ,  so  muss  die  Stelle  der  Ein- 
klemmung erweitert  werden  und  zwar  entweder  unblutig  mittels  eines 
Fingers  oder  durch  kleine  Arnaud'sche  Haken,  wenn  die  Bruchpforte 
nicht  sehr  eng  ist ,  oder  blutig  mit  dem  Messer ,  was  unbedingt  den 
Verzug  verdient.  Bei  der  blutigen  Erweiterung  lässt  man  die  Eingeweide 
von  einem  Gehülfen  auf  schonende  Weise  von  dem  zu  erweiternden  Wund- 
winkel abziehen ,  führt  dann  auf  der  Spize  des  linken  Zeigefingers  oder, 
wenn  der  Raum  zu  eng  ist  oder  mehr  in  der  Tiefe  geschnitten  werden 
muss,  auf  einer  Hohlsonde  ein  concaves,  schmales  geköpftes  Bistouri ,  so- 
genanntes Herniotom ,  zuerst  flach  ein ,  und  trennt  nach  aufgerichteter 
Schneide  die  Stelle  der  Einklemmung ,  indem  man  den  Griff  des  Messers 
hebt  oder  mit  der  Spize  des  Fingers  die  Schneide  desselben  andrückt. 
Die  Richtung  des  Schnittes  wird  durch  die  Oertlichkeit  bestimmt.  Die 
Bruchpforte  muss  so  viel  erweitert  werden,  dass  man  den  Zeigefinger  über 
die  Stelle  der  Einklemmung  wegführen  kann.  —  Nach  gehobenem  Hinder- 
nisse  zieht  man  den  Darm  etwas  vor ,   um   seine  Beschaffenheit  zu  unter- 


BRUCH.  157 

suchen ,  worauf  man  die  vorgelagerten  Theile  mit  beöltem  Finger  behut- 
sam in  der  umgekehrten  Ordnung ,  in  der  sie  ausgetreten  sind,  zurück- 
schiebt und  zwar  zuerst  das  Mesenterium  ,  dann  die  Därme  und  endlich 
das  Nez  ;  schliesslich  überzeugt  man  sich  durch  Einführung  eines  Fingers 
von  der  vollständigen  Reposition  aller  Theile.  Nicht  selten  ist  die  Repo- 
sition indessen  durch  Umstände  erschwert  oder  unmöglich.  Dahin  ge- 
hören umfassende  Verwachsungen ,  Desorganisationen  und  brandige  Zer- 
störung. —  Verwachsungen,  die  sich  nicht  lösen  lassen,  bedeckt  man  mit 
Compressen,  die  man  öfters  mit  einem  Althäadecoct  benezt,  und  überlässt 
es  der  Natur ,  die  Theile  selbst  in  die  Bauchhöhle  zurückzuziehen  oder 
sie  mit  Granulationen  zu  bedecken.  Desorganisationen ,  die  meist  nur 
amNeze  vorkommen  und  in  Verdickungen  bestehen,  bindet  man  entweder 
ab  und  schneidet  das  Entartete  unterhalb  der  Ligatur  weg,  oder  man 
schneidet  das  Kranke  kurzweg  ab  und  bringt  das  Gesunde  nach  etwa 
nöthig  gewordenem  Unterbinden  oder  Torquiren  blutender  Gefässe  in 
den  Unterleib  zurück.  Brandige  Zerstörung  kann  sowohl  den 
Darm  treffen ,  als  das  Nez.  Von  lezterem  trennt  man  den  brandigen 
Theil  ab  und  bringt  das  übrige  nach  Stillung  der  Blutung  zurück.  Was 
den  Brand  der  Därme  betrifft ,  so  darf  man  sich  durch  eine  dunkle ,  vio- 
lette, selbst  schwärzliche  Färbung  an  denselben  von  ihrer  Reposition  nicht 
abhalten  lassen,  nur  gebietet  die  Vorsicht,  den  betreffenden  Darm  mitteis 
einer  Gekrösschlinge  in  der  Nähe  der  Bauchöffnung  zu  erhalten.  Nur 
wenn  der  Darm  glanzlos  ist ,  schwarz  oder  grau  aussieht  und  sich  mürbe 
und  weich  anfühlen  lässt ,  ist  er  wirklich  brandig  und  darf  nicht  zurück- 
gebracht werden,  ohne  dass  der  brandige  Theil  an  der  Bruchpforte  durch 
eine  Schlinge  erhalten  wird ;  vorher  schneidet  man  den  kranken  Theil 
des  Darmes  an;  erstreckt  sich  der  Brand  weit,  ist  namentlich  eine  ganze 
Darmschlinge  brandig ,  so  überlässt  man  sie  lieber  unreponirt  der  Natur. 
— -  Nach  vollbrachter  Reposition  zieht  man  die  Hautwundränder  durch 
Heftpflaster  massig  fest  zusammen  ,  bedeckt  sie  mit  Charpie  und  Com- 
pressen und  hält  das  Ganze  mit  einer  T  Binde  fest.  Will  man  die  Bruch- 
pforte durch  Granulation  schliessen,  so  füllt  man  den  Grund  der  Wunde 
mit  Charpie  aus.  Der  Kranke  behält  bis  zur  Heilung  eine  Lage  bei ,  in 
der  die  Bauchdecken  erschlafft  sind.  Er  geniesse  nur  milde  Getränke 
und  wenn  nach  1 2  Stunden  nicht  Stuhlgang  erfolgt ,  so  befördere  man 
diesen  durch  Klystiere  oder  milde  Abführmittel.  Bestehen  noch  Zeichen 
von  Entzündung ,  so  behandle  man  diese  antiphlogistisch  ,  sind  sie  aber 
noch  Folgen  einer  Einklemmung ,  so  soll  man  die  reponirten  Eingeweide 
nöthigenfalls  durch  Husten  wieder  herauszubringen  suchen.  Konnten 
die  Eingeweide  wegen  Brand  etc.  nicht  zurückgebracht  werden ,  so  be- 
deckt man  sie  so  lange  mit  einer  Eibischabkochung  oder  mit  milden  Sal- 
ben ,  bis  sie  sich  überhäuten.  Nach  der  Heilung  der  Operationswunde 
muss   ein  Bruchband  getragen   werden  ,   weil  sonst  wieder  ein  Bruch  sich 


158  BRUCH.      LEISTENBRUCH. 

bildet.  —  Lieber  die  Behandlung  des  widernatürlichen  Afters  s.  diesen 
Artikel. 

B.    Von  den  Unterleibsbrüchen  im  Besondern. 

1)  Leistenbruch,  Hernia  inguinalis,  Bubonocele, 
ist  derjenige  Bruch,  bei  welchem  die  Eingeweide  durch  den  Bauchring  vor- 
treten, und  der  sich  anfangs  in  der  Weiche  zeigt,  nach  längerem  Bestände 
aber,  und  wenn  Hülfe  versäumt  wird,  bei  Männern  sich  in  den  Hodensack 
(Hernia  scrotalis),  bei  Weibern  in  die  äussern  Schamlippen  senkt 
(H.  labii  pudendi  extern i).  In  praktischer  Hinsicht  von  der 
grössten  Wichtigkeit  ist  die  Eintheilung  in  den  äussern  und  innern 
Leistenbruch.  Der  äussere  Leistenbruch,  welcher  durch  den 
schon  bis  auf  eine  leichte  Grube  verschlossenen  hintern  Leistenring  ein- 
tritt, durch  den  Leistenkanal  herabsteigt  und  aus  dem  vorderen  Leisten- 
ringe hervorkommt ,  liegt  über  dem  Poupart'  sehen  Bande  ,  hat,  wenn 
er  ganz  hervorgetreten  ist  (vollkommener  Leistenbruch)  eine  birn- 
förmige  Gestalt,  einen  länglichen,  durch  den  Leistenkanal  sich  erstrecken- 
den Hals  ,  geht  von  oben  und  aussen  nach  innen  und  unten  in  der  Rich- 
tung des  Samenstranges  ,  auf  welchem  er  mit  seiner  inneren  Seite  ruht, 
hat  die  Art.  epigastrica  an  seiner  untern  und  innern  Seite  und  lässt 
ein  Gurren  vernehmen ,  wenn  man  ihn  reponirt.  Vergrössert  sich  der 
Bruch,  so  verliert  er  seine  cylindrische  Gestalt  und  seinen  langen  schiefen 
Hals  und  tritt  mehr  breit  und  gerade  nach  aussen.  Gelangt  er  in  den 
Hodensack ,  so  liegt  er  in  der  zur  Tunica  vaginalis  communis 
gewordenen  Fascia  transversalis  vor  den  Hoden.  Die  Bedeckun- 
gen dieses  Bruches  sind  :  die  äussere  Haut,  die  Fascia  superficialis, 
die  Fascia  transversalis  (Tunica  vaginalis  communis), 
auf  welcher  sich  die  Fasern  des  Cremaster  verbreiten,  und  der  Bruch- 
sack. —  Wenn  bei  Kindern  der  durch  das  Herabsteigen  des  Hodens  aus 
dem  Bauchfelle  gebildete  Scheidenhautkanal  des  Hodens  offen  blieb  und 
sich  Eingeweide  in  denselben  senken,  so  entsteht  der  angeborene  Leisten- 
bruch (Hernia  inguinalis  congenita).  Er  verhält  sich  vollkom- 
men wie  der  äussere  erworbene  Leistenbruch ,  nur  weicht  er  darin  von 
diesem  ab,  dass  die  Eingeweide  in  der  Tunica  vaginalis  propria, 
und  also  unmittelbar  auf  und  neben  dem  Hoden  liegen.  Auch  seine  Be- 
deckungen sind  dieselben  ,  nur  ist  der  Bruchsack  durch  die  Tunica  vagi- 
nalis propria  gebildet.  —  Der  innere  Leistenbruch,  welcher  von 
der  Leistengrube  aus  unmittelbar  durch  den  vordem  Leistenring  nach 
aussen  hervortritt  (daher  auch  der  gerade  Leistenbruch  genannt),  liegt 
der  Mittellinie  des  Körpers  näher,  über  dem  Po  upart'  sehen  Bande,  hat 
eine  kugelförmige  Gestalt ,  einen  kurzen  Hals ,  die  Art.  epigastrica 
und  den  Samenstrang  an  seiner  äussern  Seite  und  veranlasst  beim  Repo- 
niren  kein  Gurren.  Er  erreicht  nie  die  Grösse  des  äussern  Leistenbruches, 
selbst  wenn  er  tiefer  hinab  in  den  Hodensack  tritt ,  wo  er  ausserhalb  der 
Tunica  vaginalis  communis   liegt  und  der  Hoden  nach  vorn  und 


BRUCH.      LEISTENBRUCH.  159 

aussen  neben  ihm  sich  befindet.  Seine  Bedeckungen  sind :  die  äussere 
Haut ,  die  Fascia  superficialis,  die  Fascia  transversalis, 
welche  aber ,  gleich  den  Fasern  des  Cremaster ,  durchbrochen  sein  kann, 
und  der  Bruchsack.  —  Bei  längerem  Bestände  verändert  sich  der  äussere 
Leistenbruch,  so  dass  er  von  dem  innern  nicht  mehr  zu  unterscheiden  ist  ; 
er  dehnt  mit  zunehmender  Grösse  die  beiden  Leistenringe  so  aus  ,  dass 
sie  hinter  einander  zu  liegen  kommen ,  so  dass  er  dann  wie  der  innere 
gerade  von  innen  nach  aussen  hervortritt ;  in  diesem  Zustande  nennt  man 
ihn  den  kurzhalsigen  äussern  Leistenbruch.  —  Der  Inhalt 
der  Leistenbrüche  besteht  in  den  meisten  Fällen  aus  dem  Krummdarme 
und  dem  Neze ,  seltener  aus  dem  Blinddärme  und  dem  Wurmfortsaze, 
noch  seltener  treten  die  Dünndärme  ein.  Bei  inneren  Leistenbrüchen 
kann  auch  die  Blase  theilweise  vorfallen ,  seltener  enthalten  sie  die  inne- 
ren Geschlechtstheile.  —  Die  Leistenbrüche  kommen  bei  weitem  am  häu- 
figsten bei  Männern  vor.  Innere  und  äussere  Leistenbrüche  können  auch 
gleichzeitig  vorhanden  sein.  —  Verschiedene  in  der  Leistengegend  er- 
scheinende Geschwülste  können  mit  Brüchen  verwechselt  werden.  So 
namentlich  die  Hydrocele  mit  dem  Hodensackbruche.  Sie  unter- 
scheidet sich  von  diesem  aber  durch  ihre  Consistenz  und  Durchsichtig- 
keit, wenn  sie  nicht  zu  lange  bestanden ,  ferner  dadurch ,  dass  der  Darm- 
kanal keine  Störungen  dabei  erleidet,  dass  Rückenlage  und  Husten  keinen 
Einfluss  auf  die  Geschwulst  haben,  dass  der  Hoden  nur  undeutlich  an  der 
hintern  Seite  gefühlt  wird  und  dass  die  Reposition  nicht  möglich  ist.  Bei 
der  angeborenen  Hydrocele  lässt  sich  das  Wasser  zwar  zuweilen  zurück- 
drängen ,  doch  ist  die  Geschwulst  durchscheinend.  Die  Hydrocele  des 
Samenstranges ,  die  sich  bisweilen  bis  in  den  Leistenkanal  erstreckt  und 
mit  einem  Nezbruche  verwechselt  werden  könnte,  lässt  sich  nicht  so  kno- 
tig anfühlen  wie  ein  solcher ,  ist  an  ihrer  Basis  breiter  und  beim  Druck 
darauf  weicht  das  Wasser  leicht  nach  oben  und  dehnt  den  Leistenring 
aus ,  tritt  aber  ebenso  leicht  wieder  nach  unten.  Der  im  Leistenkanale 
oder  Bauchringe  zurückgebliebene  Hod,en  könnte  mit  einem  unvollkom- 
menen Bruche  verwechselt  werden  ;  man  findet  dann  aber  den  Hodensack 
leer  und  beim  Druck  auf  die  Geschwulst  den  dem  Hoden  eigenthümlichen 
Schmerz  ;  leidet  dagegen  der  im  Hodensacke  befindliche  Hoden  an  einer 
Entzündung ,  so  hat  die  Geschwulst  Aehnlichkeit  mit  einem  Hodensack- 
bruche, von  welchem  er  übrigens  durch  seine  Härte.,  Schwere ,  den  eigen- 
thümlichen Schmerz,  die  veranlassende  Ursache  leicht  unterschieden  wer- 
den kann.  Eine  entzündliche  Geschwulst  des  Samen- 
stranges kann,  da  sie  durch  den  Bauchring  dringt  und  bis  zum  Hoden 
herunter  steigt,  eine  zweifelhafte  Diagnose  geben,  besonders  wenn  sie  die 
Folge  einer  heftigen  Anstrengung,  eines  Stosses  etc.  und  mit  Störungen 
des  Darmkanals  etc.  verbunden  ist ;  nur  die  unmittelbare  Fortsezung  in 
den  Hoden  kann  ein  Unterscheidungsmerkmal  abgeben.  F  e  1 1  a  n  - 
Sammlungen   am   Samenstrange  können  eine  Geschwulst  bilden, 


160  BRUCH.   SCHENKELBRUCH. 

die  mit  einem  Bruche  Aelmlichkeit  hat ;  da  diese  aber  mit  gar  keiner 
Beschwerde  verbunden  ist ,  so  ist  die  Unterscheidung  leicht.  Dagegen 
können  Ansammlungen  von  Fett  auf  der  vordern  oder  hintern  Fläche  des 
Bauchfelles  entstehen ,  die  bei  ihrer  Vergrösserung  durch  den  Bauchring 
in  den  Hodensack  herabsteigen  (Fettbrüche)  und  Nezbrüche  fingiren  kön- 
nen. Ihre  allmälige  Vergrösserung  und  die  Schmerzlosigkeit  beim  Drucke 
geben  schwache  Unterscheidungsmerkmale  ab.  Eine  starke  V  ari  c  o  - 
c  e  1  e  unterscheidet  sich  von  einem  Bruche  durch  die  einzelnen  ange- 
schwollenen Venenstämme,  die  sich  wie  ein  Haufen  Würmer  anfühlen  las- 
sen und  dadurch ,  dass  die  Geschwulst  beim  Zusammendrücken  zwischen 
den  Fingern  beinahe  völlig  verschwindet ,  ohne  dass  man  sie  gegen  den 
Unterleib  zurückschiebt.  —  Behandlung.  Der  bewegliche  äussere 
Leistenbruch  wird  in  der  Richtung  nach  aussen  und  oben ,  der  innere 
mehr  gerade  nach  hinten  zurückgeschoben.  Das  Bruchband  zur  Zurück- 
haltung des  Leistenbruches  muss  für  den  äussern  und  innern  etwas  ver- 
schieden construirt  sein.  S.  Bruchbänder.  —  Bei  der  Operation 
des  eingeklemmten  Leistenbruches  fängt  man  den  Hautschnitt  über  dem 
Leistenringe  an  und  sezt  ihn  bis  zum  Grunde  des  Bruches  fort  und  zwar 
bei  dem  äussern  Leistenbruche  schräg  nach  innen  und  unten  und  bei  dem 
innern  ,  so  wie  bei  dem  kurzhalsigen  äussern  gerade  nach  unten  ,  mit  der 
Vorsicht  bei  alten  Brüchen  ,  dass  man  den  vielleicht  auf  dem  Bruche  lie- 
genden Samenstrang  nicht  verlezt  und  in  der  Erinnerung,  dass  es  Brüche 
ohne  Bruchsack  gibt,  Der  Bruchsack  darf  nicht  bis  zum  Hoden  herab 
aufgeschnitten  werden.  Die  einschnürende  Stelle  werde  bei  dem  deut- 
lich ausgesprochenen  äussern  Leistenbruche  in  der  Richtung  nach  aus- 
sen, bei  dem  innern  nach  innen  und  oben,  in  zweifelhaften  Fällen 
gerade  nach  oben  eingeschnitten.  Wird  dennoch  die  Art.  epi- 
gastrica  verlezt,  so  stille  man  die  Blutung  durch  einen  Pfropf  von 
Feuerschwamm  oder  Leinwand,  durch  das  Hesselbach'sche  Compressorium 
oder  nach  Ei-weiterung  der  Wunde  durch  Unterbindung.  —  Verband, 
Lagerung  des  Kranken  und  Nachbehandlung  geschieht  nach  den  ange- 
gebenen Vorschriften. 

2)  Schenkelbruch,  H  e  r  n  i  a  c  r  u  r  a  1  i  s  s.  f  e  m  o  r  a  1  i  s,  heisst 
derjenige  Bruch  ,  bei  welchem  die  Eingeweide  durch  den  Schenkelring, 
und  zwar  entweder  an  der  innern  Seite  der  Schenkelgefässe ,  innerer 
Schenkelbruch,  oder  an  der  äussern  Seite  derselben ,  äusserer 
Schenkelbruch,  vortreten  und  unterhalb  des  Poupart'schen  Bandes 
eine  Geschwulst  bilden.  —  Der  innere  Schenkelbruch  tritt  durch 
den  Schenkelring  in  die  Fovea  ovalis  (Schenkelkanal)  unter  dem 
Processus  falciformis  (der  obere  äussere  Rand  einer  Oeffnung  in 
der  Portio  i  1  i  a  c  a  der  Fas'cia  lata),  und  zwar  immer  neben  der 
innern  Seite  der  Schenkelgefässe  verlaufend,  so  dass  die  zunächst  liegende 
Vena  cruralis  aussen  neben  dem  Bruche  liegt,  Kommt  der  Bruch 
nicht  bis  in  die  Fovea  ovalis,  so  heisst  er  ein  unvollkommener,  gelangt  er 


BRUCH.      SCHENKELBRUCH.  161 

bis  dahin ,  ein  vollkommener.  Der  vollkommene  innere  Schenkelbruch 
wird  unter  dem  Poupart'schen  Bande  als  eine  kleine,  rundliche  oder  ovale, 
quer  verlaufende  ,  meist  gespannte  Geschwulst  gefühlt ,  die  vom  Scham- 
beine in  einem  rechten  oder  etwas  stumpfen  Winkel  absteht.  Die  Art. 
epigastrica  steigt  gewöhnlich  3  —  4  Linien  nach  aussen  vom  Bruche 
in  die  Höhe ,  die  Art.  obturatoria  zieht  sich  direct  nach  hinten  und 
innen  hinter  dem  Eingange  des  Schenkelkanales  am  Schambeine  hin ; 
ausnahmsweise  läuft  sie  in  einem  Bogen  über  den  Bruchsackhals  nach 
innen  und  unten ;  der  Samen  sträng  verläuft  nach  einwärts  und  oben  etwa 
3 — 4  Linien  vom  Bruche  entfernt.  —  Die  Bedeckungen  dieses  Bruches 
sind  :  die  äussere  Haut,  eine  Zellgewebeschichte  mit  Drüsen  ,  das  äussere 
Blatt  der  Fascia  lata  und  der  Bruchsack.  Bei  grosser  Ausdehnung 
der  halbmondförmigen  Oeffnung  der  äussern  Platte  der  Fascia  lata 
kann  der  Bruch  aus  dieser  hervortreten ,  in  welchem  Falle  dann  dieser 
Theil  der  Bedeckungen  fehlt. —  Der  sehr  seltene  äussere  Schenkel- 
bruch macht  denselben  Weg,  aber  immer  neben  der  äussern  Seite  der 
Schenkelgefässe  ,  so  dass  die  zunächst  liegende  Art.  cruralis  nach  in- 
nen neben  dem  Bruche  gefühlt  wird.  Die  gleichfalls  unter  dem  Pou- 
part'schen Bande  liegende  massige  Geschwulst  steigt  schmäler  werdend 
nach  innen  und  unten,  steht  aber  nicht  vom  Körper  ab,  so  dass  man  nicht 
unter  ihre  Ränder  gelangen  kann.  Die  Art.  epigastrica  steigt  an 
seiner  innern  Seite  in  die  Höhe  und  die  Art.  circumflexa  ilei  liegt 
auf  der  vordem  Wand  des  Bruchsackes.  —  Seine  Bedeckungen  sind : 
die  äussere  Haut ,  die  beiden  Platten  der  Fascia  lata,  die  durch 
den  Bruch  nach  aussen  getriebene  Fascia  iliaca  und  der  Bruch- 
sack. —  Der  Inhalt  der  Schenkelbrüche  besteht  am  häufigsten  aus  einem 
Theile  des  Krummdarmes,  seltener  demNeze,  äusserst  selten  einem  Theile 
der  Blase.  Sie  kommen  am  häufigsten  bei  Weibern  vor.  —  Verwechs- 
lungen können  stattfinden  mit  Leistendrüsengeschwülsten; 
diese  lassen  sich  zwar  hin  -  und  herschieben  ,  aber  nicht  wie  der  Bruch 
reponiren  ;  mit  E  i  t  e  r  a  n  s  a  m  m  1  u  n  g  e  n  ;  hier  leiten  die  vorausgegan- 
genen Erscheinungen ,  so  wie  die  Fluctuation  ;  mit  Varices  an  der 
Stelle  der  Saphena  magna,  wo  sie  in  die  F  o  v  e  a  o  v  a  1  i  s  und  die 
Vena  cruralis  tritt ;  man  erkennt  den  Varix  daran ,  dass ,  wenn  man 
ihn  wie  einen  Schenkelbruch  zu  reponiren  sucht ,  er  durch  Zufluss  von 
unten  sich  rasch  wieder  füllt.  Von  einem  Leistenbruche  unter- 
scheidet sich  der  Schenkelbruch  dadurch ,  dass  dieser  unter  dem  Pou- 
part'schen Bande,  jener  über  diesem  liegt,  und  dass  der  Leistenbruch 
genau  der  Richtung  des  Samenstranges  folgt ;  bei  Weibern  ist  die  Unter- 
scheidung oft  schwieriger,  weil  der  Samenstrang  fehlt  und  der  Bauchring 
dem  Schenkelring  näher  liegt.  —  Behandlung.  Den  beweglichen 
Bruch  sucht  man,  wenn  er  klein  ist,  bei  angezogenem  und  etwas  einwärts 
gekehrten  Schenkel  gerade  von  vorn  nach  hinten  zu  drücken ;  ist  der 
Bruch  gross ,  so  muss  die  Geschwulst  erst  abwärts  gezogen  und  dann  in 
Bürger,  Chirurgie.  11 


162  BRUCH.     NABELBRUCH. 

der  angegebenen  Richtung  nach  hinten  gedrückt  werden.  Der  reponirte 
Bruch  wird  mit  einem  kurzhalsigen  Bruchbande  (s.  diesen  Art.)  zurück- 
gehalten. Ist  der  Bruch  eingeklemmt ,  so  ist  die  Einklemmung  meist 
sehr  heftig,  es  tritt  leicht  Brand  ein,  weshalb  mit  der  Operation  nicht  zu 
zögern  ist.  Bei  dieser  fängt  man  den  Hautschnitt  !/2 — 1  Zoll  über 
dem  Schenkelringe  an  und  führt  ihn  nach  dem  Laufe  des  Poupart'- 
schen  Bandes  über  die  Bruchgeschwulst,  trennt  dann  in  derselben  Rich- 
tung das  Zellgewebe  und  die  zuweilen  vorhandenen  Fettmassen  mit  Scho- 
nung der  Drüsen,  durchschneidet  nun  das  obere  Blatt  der  Fascia  lata 
(Proc.  falciformis)  und  öffnet  schliesslich  den  Bruchsack,  welcher 
meist  nur  wenig  Feuchtigkeit  enthält.  Dabei  sei  man  auf  den  Fall  ge- 
fasst,  dass  der  Bruch  durch  die  OefFnung  des  obern  Blattes  der  F  a  s  c  i  a 
lata  hervorgetreten  sein  kann,  in  welchem  Falle  man  sogleich  nach  dem 
Hautschnitte  auf  den  Bruchsack  kommt.  Nach  der  Eröffnung  des  Bruch- 
sackes und  Durchschneidung  des  Processus  falciformis  ist  zuwei- 
len die  von  lezterem  herrührende  Einklemmung  gehoben ,  und  man  kann 
dann  den  Bruch  reponiren.  Ist  dies  nicht  der  Fall  und  besteht  die  Stelle 
der  Einklemmung  an  dem  innern  Schenkelringe,  wo  der  Druck  hauptsäch- 
lich von  dem  Rande  des  stark  angespannten  Gimbernat'  sehen  Bandes 
ausgeht ,  so  muss  man  dieses  unblutig  durch  den  Finger  oder  mit  einem 
stumpfen  Haken  oder  besser  mit  dem  Bruchmesser  trennen.  Diese  Tren- 
nung geschieht,  indem  man  die  Spize  des  linken  Zeigefingers  so  einführt, 
dass  der  Nagel  hinter  den  scharfen  Rand  des  Gimbernat'  sehen  Ban- 
des zu  liegen  kommt ,  worauf  man  das  Herniotom  flach  auf  dem  Finger 
bis  hinter  den  Rand  des  genannten  Bandes  bringt,  das  Messer  gegen  die 
innere  Seite,  also  gerade  nach  einwärts  richtet  und  dann  mit  dem  Finger 
gegen  dessen  Rücken  drückt,  bis  das  Band  1  —  2  Linien  tief  durch  Druck 
und  nicht  durch  Zug  getrennt  wird ,  was  meist  unter  Krachen  geschieht. 
Wäre  bei  einem  äussern  Schenkelbruche  die  Operation  nöthig ,  so  müsste 
man  wegen  der  über  ihn  weggehenden  Art.  c  ir  c  u  m  f  1  e  x  a  i  1  e  i  die 
Operation  sehr  vorsichtig  machen  und  die  Einschneidung  des  Schenkel- 
ringes nach  auf-  und  auswärts  durch  Schnitte  von  vorn  nach  hinten  be- 
werkstelligen. Etwa  vorkommende  Blutungen  stillt  man  wie  bei  der 
Operation  der  Leistenbrüche.  —  Ein  selten  vorkommender  Bruch  ist  die 
Hernia  ligamenti  Gimbernati,  welcher  nicht  durch  den  Schenkel- 
kanal,  sondern  durch  eine  Oeffnung  des  G  imb  ernat 'sehen  Bandes 
tritt  und  eine  rundliche  Bruchgeschwulst  mit  kurzem  Halse  darstellt.  In 
einem  von  N  u  h  n  beschriebenen  Falle  enthielt  der  Bruch  das  Nez. 

3)  Nabelbruch,  Hernia  umbilicalis,  Omphalocele, 
nennt  man  den  Bruch  ,  bei  welchem  die  Eingeweide  durch  den  Nabelring 
nach  aussen  unter  die  Hautdecken  treten.  Man  unterscheidet  einen  an- 
gebornen  oder  Nabelschnurbruch  und  einen  nach  der  Ge- 
burtentstandenen oder  Nabelringbruch.  Der  Nabelschnur- 
bruch ist  eine  Bildungshemmung ,   in  deren  Folge  die  Bauchwand  an  der 


BRUCH.      NABELBRUCH.  163 

Stelle  des  Nabels  offen  blieb  und  die  Eingeweide  noch  zwischen  den  Nabel- 
schnurgefässen  liegen  ;  bei  dem  Nabelringbruche  dagegen  wurden  die  Ein- 
geweide nach  der  Geburt  durch  den  Nabelring  vorgetrieben.  —  Der 
Nabelschnurbruch  bildet  gleichsam  eine  kegelförmige  Ausdehnung 
der  Nabelschnur  mit  der  Basis  nach  dem  Unterleibe ,  ist  an  seiner  Ober- 
fläche durchsichtig ,  an  seiner  Basis  mit  einem  Hautwulste  umgeben  und 
von  den  Nabelschnurgefässen  überzogen,  von  denen  die  Vene  in  der  Mitte, 
die  beiden  Arterien  auf  den  Seiten  des  Bruches  liegen.  Bedeckt  ist  die- 
ser Bruch  von  einem  äusserst  feinen  Oberhäutchen  der  Nabelschnur,  wei- 
chem Zellstoff  und  dem  vom  Bauchfell  gebildeten  Bruchsacke.  —  Der 
Nabelringbruch  bildet  mehr  eine  halbkugelige  oder  walzenförmige, 
an  der  Basis  runde  Geschwulst,  die  nur  selten  etwas  durchsichtig  ist  und 
sich  leicht  reponiren  lässt.  Die  Narbe  des  Nabels  ist  dabei  verstrichen. 
Seine  Bedeckungen  sind:  die  äussere  Haut,  die  Fascia  superficia- 
lis, die  Fascia  transversalis,  wenn  ihre  Fasern  nicht  auseinander 
gewichen  sind  und  der  aus  dem  Bauchfell  bestehende  Bruchsack.  —  Der 
Inhalt  der  Nabelschnurbrüche  besteht  gewöhnlich  aus  einem  Theile  des 
Dünndarmes  ;  manchmal  enthalten  diese  auch  dicke  Därme ,  das  Nez,  den 
Magen  ,  die  Leber  und  die  Milz.  In  den  Nabelringbrüchen  der  Kinder 
liegt  meist  nur  ein  Theil  des  Dünndarmes  ;  in  denen  der  Erwachsenen 
auch  das  Nez ,  welches  dann  die  andern  Eingeweide  gewöhnlich  einhüllt, 
oder  auch  wenn  sie  voluminös  sind ,  zuweilen  der  Magen,  die  Milz  und 
ein  Theil  der  Leber.  —  Ursachen.  Bei  Kindern  Schreien,  Drängen 
etc. ;  bei  Erwachsenen ,  besonders  bei  Frauen  häufig  in  Folge  öfterer 
Schwangerschaft ,  dann  bei  fetten  Personen  oder  nach  Wassersuchten  ; 
wahrscheinlich  war  hier  der  Nabelring  nie  vollkommen  geschlossen.  — 
Prognose.  Kinder  mit  Nabelschnurbrüchen  sterben  gewöhnlich  in  den 
ersten  acht  Tagen.  Die  Nabelringbrüche  der  Kinder  geben  hingegen 
eine  gute  Prognose,  indem  sie  bei  passendem  Heilverfahren,  und  oft  auch 
ohne  ein  solches,  leicht  verwachsen.  Nabelringbrüche  Erwachsener  ver- 
wachsen schwer  und  veranlassen  Koliken  etc.  Zur  Einklemmung  kommt 
es  selten ;  tritt  eine  solche  aber  doch  ein,  so  erfolgt  bald  Brand.  —  Be- 
handlung. Bei  den  Nabelschnurbrüchen  legt  man  ,  wenn  sie  reponirt 
werden  können ,  graduirte  Compressen  auf  und  befestigt  sie  mit  Heft- 
pflasterstreifen und  einer  Leibbinde.  Zuweilen  tritt  eine  Abstossung  der 
äussern  Bedeckungen  und  Heilung  durch  Granulationsbildung  ein.  — 
Nabelringbrüche  bei  kleinen  Kindern  reponirt  man ,  legt  eine  convexe 
Platte  von  Holz,  Wachs  etc.  oder  eine  Muskatnuss  auf,  welche  man  mit 
Heftpflasterstreifen  und  einer  breiten  Leibbinde  befestigt.  Bei  grössern 
Kindern  und  Erwachsenen  bedient  man  sich  eines  Nabelbruchbandes. 
S.  Bruchband.  —  Bei  Einklemmungen  schneidet  man  die  Haut  der 
Länge  nach  vorsichtig  ein  und  öffnet  den  Bruchsack.  Gelingt  jezt  die 
Reposition  nicht,  so  führt  man  ausserhalb  des  Bruchsackes  in  der  Rich- 
tung nach  unten  eine  Hohlsonde  ein  und  erweitert  auf  dieser  den  Nabel- 

11* 


164  BRUCH.     HUEFTBEINBRUCH. 

ring  mit  einem  Bruchmesser.  Geht  dies  wegen  Verwachsung  etc.  voraus- 
sichtlich nicht  an,  so  macht  man  an  der  Basis  der  Geschwulst  einen  halb- 
mondförmigen Hautschnitt  und  schneidet  von  da  auf  dem  Nagel  des  Fin- 
gers mit  einem  Knopfbistouri  den  Nabelring  vorsichtig  ein ,  wodurch  we- 
nigstens die  Einklemmung  gehoben  wird.  Die  Operationswunden  ver- 
einigt man  durch  lange  und  breite  Heftpflaster.  Die  Umlegung  einer 
Ligatur  um  die  Integumente  des  Bruches  nach  der  Reposition  desselben 
ist  als  unzuverlässig,  schmerzhaft,  selbst  gefährlich  zu  verwerfen.  —  Die 
im  Umfange  des  Nabelringes  vorkommenden  als  un  ächte  Nabelbrüche 
bezeichneten  Brüche  zählt  man  zweckmässiger  den  Bauchbrüchen  zu. 
Noch  gibt  es  einen  sogenannten  falschen  Nabelbruch,  der  aber  keine 
Eingeweide,  sondern  nur  Luft  oder  Wasser  enthält. 

4)  Bauchbruch,  Hernia  ventralis,  heisst  derjenige  Bruch, 
bei  welchem  die-  Eingeweide  durch  eine  widernatürliche  Oeffnung  der 
Vorder-  oder  einer  Seitenfläche  des  Unterleibes  hervortreten.  Am  häu- 
figsten kommen  sie  in  der  weissen  Linie ,  besonders  oberhalb  des  Nabels 
vor  (Hernia  lineae  albae),  weniger  häufig  auf  der  linken  Seite  des 
Schwerdtknorpels  (H.  ventriculi),  am  seltensten  in  der  Lendengegend 
(H.  lumbalis).  Die  in  der  weissen  Linie  vortretenden  Brüche  sind 
oval,  die  an  den  Seiten  des  Unterleibes  mehr  rund.  Von  den  Nabei- 
brüchen sind  sie  dadurch  zu  unterscheiden,  dass  man  bei  den  in  der  Nähe  des 
Nabels  erscheinenden  diesen  daneben  bemerken  kann ,  sie  auch  oval  sind. 
Der  sogenannte  meist  kleine  Magenbruch  hat  häufig  Magenbeschwerden, 
Uebelkeit,  Erbrechen,  Schluchzen,  besonders  nach  dem  Essen  im  Gefolge. 
Der  Inhalt  solcher  Brüche  ist  aber  seltener  ein  Theil  des  Magens  als  ein 
solcher  des  Colon  transversum;  in  den  andern  Bauchbrüchen  kön- 
nen je  nach  dem  Orte  des  Vorkommens  sehr  verschiedene  Eingeweide 
enthalten  sein.  Die  Bedeckungen  dieser  Brüche  sind  dieselben ,  wie  bei 
den  Nabelringbrüchen ;  bei  Verlezungen  des  Bauchfelles  fehlt  aber  der 
Bruchsack.  Man  darf  sie  nicht  mit  jenen  Geschwülsten  verwechseln,  die 
aus  einer  durch  eine  Spalte  der  weissen  Linie  hervorgetretenen  Portion 
Fett  bestehen  (sog.  Fettbrüche) ,  aber  unempfindlich  sind ,  gar  keine  Be- 
schwerde verursachen ,  sich  hart  anfühlen  und  nicht  reponirt  werden  kön- 
nen. Die  Veranlassungen  sind  die  der  Nabelbrüche ,  ausserdem 
Bauchwunden.  —  Behandlung.  Man  reponirt  sie  und  legt  ein  Bruch- 
band oder  einen  mit  einer  Pelotte  versehenen  Schnürleib  an.  Ist  wegen 
einer  Einklemmung  eine  Operation  nöthig ,  so  erweitert  man  die  Bauch- 
öffnung  nach  einer  Seite  hin,  wo  keine  bedeutenden  Gefässe  liegen. 

5)  Hüftbein-  oder  Rückenbruch,  Hernia  ischiadica 
s.  dorsalis,  Ischiocele,  heisst  derjenige  Bruch,  bei  welchem  die 
Eingeweide  über  dem  Ligamentum  sacro-ischiadicum  und  dem 
M.  pyriformis  und  unter  dem  M.  glutaeus  durch  den  Sizbeinaus- 
schnitt  treten  und  am  Rande  des  Kreuz-  und  Schwanzbeines  zum  Vor- 
schein kommen.      Dieser  sehr  seltene  Bruch,  welcher  angeboren  oder  erst 


BRUCH.     SCHEIDENBRUCH.  165 

später  entstanden  sein  kann  ,  erreicht  zuweilen  eine  bedeutende  Grösse 
und  enthält  ausser  Därmen  auch  die  Harnblase,  den  Uterus  etc.  So  lange 
er  unter  dem  grossen  Gesässmuskel  verborgen  liegt,  ist  seine  Einklemmung 
nicht  wohl  möglich.  Die  Unterscheidung  von  einer  Fett-  oder  Balgge- 
schwulst kann  schwierig  sein.  —  Die  Bedeckungen  dieses  Bruches  be- 
stehen, da  die  Beckenaponeurose  wohl  in  der  Regel  zerreisst,  nur  aus  der 
Haut  und  den  Fasern  des  M.  levator  ani.  Die  Mündung  des  Bruch- 
sackes liegt  vor  der  Art.  und  Ven.  hypogastrica,  unterhalb  der 
Art.  obturatoria  und  oberhalb  der  gleichnamigen  Vene.  —  Be- 
handlung. Man  sucht  den  Bruch  nach  seiner  Reposition  durch  ein 
geeignetes  Bruchband  oder  Suspensorium  zurückzuhalten ,  und  sollte  er 
sich  einklemmen  und  eine  Operation  nöthig  werden,  so  muss  man  die  Er- 
weiterung erst  mit  stumpfen  Haken  versuchen  und  wenn  diese  erfolglos 
bleibt ,  den  Schnitt  nach  A.  C  o  o  p  e  r  nach  vorwärts  machen  und  etwa 
verlezte  Arterien  unterbinden. 

6)  Bruch  des  eirunden  Loches,  Hernia  foraminis 
ovalis,  nennt  man  denjenigen  Bruch,  bei  dem  die  Eingeweide  durch 
die  für  die  Vasa  obturatoria  und  den  Nervus  obturatorius 
bestimmte  Oeffnung  des  Ligamentum  obturatorium  treten.  Un- 
vollkommen ist  dieser  Bruch ,  so  lange  er  zwischen  den  Muskeln  liegt, 
vollkommen,  wenn  er  an  dem  obern  innern  Theile  des  Schenkels  sichtbar 
wird.  Ist  lezteres  der  Fall ,  dann  erkennt  man  ihn  durch  die  elastische 
Spannung,  durch  das  Gurren  bei  der  leichten  Reposition  und  durch  seine 
Lage  unter  dem  Schambeine  ,  gewöhnlich  zwischen  den  M.  M.  p  e  c  t  i  - 
n a e u s  und  adductor  brevis,  oder  zwischen  den  vordem  Köpfen 
der  Adductoren,  also  zwischen  dem  Hodensacke  (der  SchamlippeJ  und  der 
Pfanne  oder  etwas  tiefer.  Er  durchläuft  einen  langen  Kanal ,  der  von 
den  M.  M.  obturator  internus  und  externus,  der  Membrana 
obturatoria  und  dem  M.  pectinaeus  gebildet  ist.  Die  Vasa  ob- 
turatoria liegen  an  seiner  äussern  und  hintern  Seite,  Aeste  des  Ner v. 
obturatorius  vor  ihm  ;  doch  können  hierin  Verschiedenheiten  statt- 
finden,  besonders  wenn  die  A.  obturatoria  gemeinschaftlich  mit  der 
A.  epigastrica  entspringt ,  wo  sie  dann  zuerst  auf  der  innern  und 
hierauf  an  der  vordem  Seite  des  nie  fehlenden  Bruchsackes  verläuft.- 
Dieser  Bruch  wird  häufiger  bei  Frauen  als  bei  Männern  beobachtet ,  und 
kann  Därme,  Nez  und  selbst  die  Urinblase  enthalten.  Er  kann  sich  auch 
einklemmen.  —  Behandlung.  Man  reponirt  ihn  und  hält  ihn  durch 
ein  modificirtes  Leistenbruchband  zurück.  Bei  einer  Einklemmung  hebt 
man  diese  wo  möglich  durch  stumpfe  Haken :  wo  dies  nicht  angeht,  macht 
man  nach  A.  C  o  o  p  e  r  den  Schnitt  in  der  Richtung  nach  innen. 

7)  Scheidenbruch,  Hernia  vaginalis,  Colpocele, 
heisst  man  denjenigen  Bruch ,  bei  welchem  die  Eingeweide  zwischen  Ute- 
rus und  Blase  oder  Uterus  und  Mastdarm  die  vordere  oder  hintere  Scheide- 
wand der  Vagina  nach  unten,  zuweilen  selbst  durch  die  Geschlechtstheile 


166  BRUCH.     MITTELFLEISCHBRUCH. 

nach  aussen  treiben.  Die  dadurch  gebildete  Geschwulst  ist  elastisch, 
unschmerzhaft,  leicht  reponirbar.  Liegt  die  Urinblase  vor  ,  was  gewöhn- 
lich nur  an  der  vordem  Scheidewand  der  Fall  ist(Cystocele  vagi- 
nal i  s),  so  hat  die  Kranke  Urinbeschwerden  und  ein  Druck  auf  die  Bruch- 
geschwulst veranlasst  Drängen  zum  Urinlassen.  Zwischen  die  hintere 
Wand  der  Scheide  und  den  Mastdarm  senken  sich  dagegen  häufiger  Därme 
und  Neztheile ,  und  zuweilen  ist  ein  Mastdarmvorfall  damit  verbunden. 
Auch  kanu  die  Bruchgeschwulst  zwischen  der  Scheide  und  dem  Mastdarme 
zum  Vorschein  kommen,  welche  Varietät  man  auch  zu  den  Mittelfleisch- 
brüehen  rechnet,  und  Schambruch  (A.  Cooper)  oder  hintern 
Schamlefzenbruch  (Seiler)  genannt  hat.  Der  Muttermund  ist 
bei  diesen  Brüchen  ganz  frei,  was  sie  von  P  ro  lap  s  us  uteri  unter- 
scheidet. —  Ursachen.  Diese  Brüche  entstehen  durch  Anstrengungen 
bei  Erschlaffung  der  Scheide  in  Folge  häufiger  Geburten ,  des  weissen 
Flusses,  laxer  Körperbeschaffenheit  etc.  —  Behandlung.  Man  repo- 
nirt  den  Bruch,  was  gewöhnlich  leicht  geschieht,  und  hält  ihn  durch  ein 
walzen-  oder  kugelförmiges  Pessarium  zurück.  Ist  der  Fall  neu,  so  kann 
mittels  Adstringentia,  z.  B.  Eichenrindendecoct  mit  Alaun,  in  Schwämmen 
eingebracht,  Einsprizungen  damit  nebst  einem  Pessarium ,  verbunden  mit 
anhaltender  Rückenlage  manchmal  radicale  Heilung  erlangt  werden.  Tritt 
er  während  der  Geburt  vor ,  so  hält  man  ihn  mit  den  Fingern  so  lange 
zurück,  bis  der  Kopf  vorliegt,  worauf  man  die  Geburt  mit  der  Zange  be- 
schleunigt. Bei  mit  vielen  Beschwerden  verbundenen  Brüchen  an  der 
vordem  Wand  der  Scheide  hat  man  ,  wenn  das  Pessarium  nicht  e/tragen 
wird ,  die  Ausschneidung  eines  verticalen  Stückes  aus  dieser  Wand  mit 
glücklichem  Erfolg  ausgeführt  (South).  Eine  Einklemmung  ist  selten 
und  wohl  immer  unter  Anwendung  von  Abführmitteln ,  Rückenlage  und 
kalten  Umschlägen  durch  die  Taxis  zu  heben. 

8)  Mittelfleischbruch,  Hernia  perinaei,  ist  der  Bruch, 
bei  welchem  die  Eingeweide  bei  Männern  zwischen  Blase  und  Mastdarm, 
bei  Weibern  zwischen  Blase  und  Scheide  so  heruntertreten,  dass  sie  beim 
Damme  eine  Geschwulst  bilden.  Beim  Manne  liegt  diese  am  Mittel- 
fleische, an  der  einen  Seite  des  Afters,  so  dass  die  Raphe  etwas  zur  Seite 
gedrängt  ist ,  und  zeigt  eine  runde  oder  birnförmige  Gestalt.  Zuweilen 
sind  Urinbeschwerden  damit  verbunden.  Bei  Weibern  kann  der  Bruch 
am  Mittelfleische  seinen  Siz  haben,  oder  sich  in  die  Schamlefze  verbreiten. 
Im  ersten  Falle  ist  die  Geschwulst  rundlich,  stumpfkegelspizig,  im  zweiten 
länglich,  eiförmig.  —  Die  Mittelfleischbrüche  sind  meistens  klein,  bis  zur 
Grösse  eines  Hühnereies  ;  zuweilen  erreichen  sie  aber  auch  eine  beträcht- 
liche Grösse.  Sie  können  Därme ,  Nez  oder  Theile  der  Harnblase  ent- 
halten. —  Behandlung.  Bei  der  leicht  auszuführenden  Reposition 
dieses  Bruches  legt  man  bei  Weibern  ein  walzenförmiges  gekrümmtes, 
vorn  und  hinten  abgeflachtes  Pessarium  ein ;  bei  Männern  bedient  man 
sich   eines    besonders    construirten   Bruchbandes   (s.    diesen   Art.).       Bei 


BRUCH.      HIRNBRUCH.  167 

einer  vorkommenden  Einklemmung  würde  man  nach  geöffnetem  Bruch- 
sacke die  einschnürende  Stelle  durch  Schnitte  von  vorn  nach  hinten  und 
zwar  in  der  Richtung  nach  oben  und  auswärts  beseitigen. 

9)  Mastdarmbruch,  Hernia  intestinirecti,  heisst  der 
Bruch,  bei  welchem  sich  die  Eingeweide  in  eine  umgestülpte  und  meistens 
zugleich  vorgefallene  Partie  des  Mastdarmes  gesenkt  haben.  Er  gibt 
sich  durch  eine  grössere  Ausdehnung  des  Mastdarmvorfalles  nach  einer 
Seite  hin  und  dadurch  zu  erkennen  ,  dass  bei  dem  Zurückdrücken  dieser 
seitlichen  Erhabenheit  des  Vorfalles  lezterer  sich  verkleinert ,  wobei  ein 
Kollern  gehört  wird.  Personen  mit  geringer  Neigung  des  Beckens ,  ge- 
ringem Vorsprung  des  Promontoriums  und  geringer  Krümmung  des  Heilig- 
beins haben  die  grösste  Anlage  dazu.  —  Behandlung.  Man  reponirt 
den  Bruch  und  bedient  sich  zur  Retention  der  bei  dem  Mastdarmvorfall 
(s.  diesen  Art.)  angegebenen  Vorrichtungen.  Ist  die  Reposition  nicht 
möglich ,  so  schüzt  man  die  vorgefallenen  Theile  durch  ein  geeignetes 
Suspensorium. 

10)  Zwerchfellbruch,  Hernia  diaphragmatica,  phre- 
n  i  c  a ,  ist  ein  solcher ,  bei  welchem  die  Unterleibseingeweide  entweder 
durch  die  natürlichen  Oeffnungen  des  Zwerchfells  oder  durch  abnorme 
(bei  Fehlern  der  ersten  Bildung,  bei  Verwundungen)  in  die  Brusthöhle 
treten.  Er  wird  meistens  durch  den  Magen ,  Dickdarm ,  das  Nez ,  die 
Milz ,  den  linken  Leberlappen  gebildet ,  und  nach  dieser  Verschiedenheit 
der  dislocirten  Theile  sind  die  dadurch  gesezten  Beschwerden  verschieden. 
Die  Diagnose  ist  immer  sehr  schwierig. 

II.  Brustbrüche. 

Brustbrüche,  Herniae  thoracicae,  sind  solche,  bei  denen 
die  Lungen  oder  das  Herz  durch  eine  widernatürliche  Oeffnung  des  Tho- 
rax nach  aussen  unter  die  Hautbedeckungen  treten.  Sie  sind  sehr  selten 
und  entweder  Folge  einer  Hemmungsbildung  in  der* Thoraxwandung  oder 
Folge  einer  bedeutenden  Fractur  oder  Caries  der  Rippen,  Zerreissung  der 
Zwischenrippenmuskeln  etc.  bei  gesund  gebliebener  oder  wieder  verheilter 
Haut.  —  Liegt  das  Herz  vor,  was  nur  als  angebornes  Uebel  stattfinden 
kann  ,  so  ist  die  Erkennung  leicht ;  Lungenbrüche  erkennt  man  daran, 
dass  die  weiche  elastische  Geschwulst  bei  der  Respiration  anschwillt  und 
bei  der  Exspiration  sich  vermindert  und  dass  sie  ein  schmerzhaftes  Ziehen 
veranlasst.  —  Behandlung.  Bei  vorliegenden  Lungentheilen  legt  man 
einen  passenden  Compressivverband  oder  das  Hesselbach'  sehe  Lungen- 
bruchband, s.  Bruchband,  an.      Das  Herz  lässt  man  unberührt. 

III.  Hirnbruch. 

Hirnbruch,  Hernia  cerebri,  Encephalocele,  heisst 
derjenige  Bruch,  bei  welchem  ein  Theil  des  Gehirnes  mit  seinen  Häuten 
durch  eine  Oeffnung  im  Schädel  unter  die  Kopfbedeckungen  tritt.  Am 
häufigsten  ist  er  angeboren ,  und  das  Gehirn  drangt  sich  durch  die  offen 
gebliebenen  Suturen,  zumal  in  der  Mittellinie  des  Hinterhauptes ;  seltener 


168  BRUCHBAND. 

ist  er  erworben  in  Folge  einer  Verlezung,  wodurch  ein  Substanzverlust  am 
Schädel  gesezt  wurde.  —  Der  Hirnbruch  charakterisirt  sich  durch  eine 
kleine  ,  selten  mehr  als  hühnereigrosse ,  weiche ,  gewöhnlich  fluctuirende 
Geschwulst ,  die  schwach  pulsirt  und  bei  der  Exspiration  sich  hebt ,  mei- 
stens an  der  Spize  verdünnt  und  der  Haare  beraubt  ist,  durch  Druck  sich 
etwas  verkleinern  lässt  und  dabei  Schlafsucht ,  Krämpfe  etc.  veranlassen 
kann ,  welche  Zufälle  aber  auch  ohne  angebrachten  Druck  vorkommen 
können.  Kinder  mit  grossen  Hirnbrüchen  sterben  in  der  Regel  bald  ;  sie 
liegen  in  Betäubung ,  erbrechen  sich  häufig  und  der  Tod  erfolgt  unter 
Convulsionen  und  Lähmungen.  —  Verwechslungen  können  stattfinden : 
a)  mit  der  Blutgeschwulst  neugeborner  Kinder.  Bei  dieser  fehlen 
aber  die  Gehirnzufälle  und  sie  sizt  mehr  auf  den  Seitenwandbeinen  als 
auf  den  Suturen ;  b)  mit  den  Wasserbeuteln  am  Kopfe  Neugeborner. 
Diese  stimmen  hinsichtlich  des  Sizes  und  der  Cerebralzufälle  mit  dem  Hirn- 
bruche überein,  unterscheiden  sich  aber  von  diesem  durch  den  Mangel  an 
Fulsation  und  die  geringere  Consistenz ;  c)  mit  dem  Fungus  durae 
matris;  diese  unterscheiden  sich  durch  ihre  Entstehung,  ferner  da- 
durch, dass  sie  gewöhnlich  nur  im  höhern  Alter  entstehen  und  Schmerzen, 
Stupor  etc.  vorausgehen.  —  Behandlung.  Angeborne  kleine  Hirn- 
brüche kann  man  durch  allmälig  verstärkte  Compression  mittels  Binden 
oder  besonderer  Vorrichtungen  von  Leder  u.  dgl.  zur  Heilung  zu  bringen 
versuchen ;  grössere  sichert  man  durch  geeignete  Verbände  vor  äusseren 
Einwirkungen.  Fluctuirt  die  Geschwulst  deutlich,  so  räth  man  die  Punk- 
tion derselben  mittels  einer  Nadel  oder  eines  feinen  Troicarts  an,  wodurch 
aber  in  der  Regel  nur  ein  schnellerer  Tod  herbeigeführt  wird. 

SniCrLDandj  Bracherium  s.  Hamma,  ist  eine  mechanische 
Vorrichtung,  mittels  welcher  wir  durch  eiueu  gleichmässigen  äussern  Druck 
auf  die  Bruchöffnung  einen  reponiblen  Eingeweidebruch  in  seiner  natür- 
lichen Höhle  zurückhalten  oder  einen  nicht  reponiblen  nicht  eingeklemm- 
ten an  seiner  weiteren  Vergrösserung  hindern.  —  Man  theilt  die  Bruch- 
bänder in  elastische  und  in  nicht  elastische.  Die  lezteren  be- 
stehen aus  einem  Riemen  von  Leder,  Barchent,  Leinwand  u.  dgl.  und  aus 
einer  Pelotte,  die  mit  Wolle  oder  Haaren  ausgefüllt  ist  und  zuweilen  eine 
Grundlage  von  Eisenblech  hat.  Da  sie  den  Bewegungen  und  Ausdehnun- 
gen der  Körpertheile ,  um  die  sie  angelegt  werden  ,  nicht  folgen  können, 
so  liegen  sie  bald  zu  fest ,  bald  zu  locker  und  entsprechen  daher  ihrem 
Zweck  nur  sehr  unvollständig.  Man  wendet  sie  deswegen  nur  unter  be- 
sondern Umständen  an.  —  Die  e  1  a  s  t  i  s  c  h  e  n  Bruchbänder  haben  eine 
Feder  zur  Grundlage,  die  vermöge  ihrer  Elasticität  allen  Bewegungen  des 
Körpers  folgt  und  dabei  doch  einen  gelinden ,  gleichförmigen ,  constanten 
Druck  auf  die  Bruchöffnung  ausübt.  Diese  Feder ,  welche  den  Körper- 
theil,  an  dem  sich  der  Bruch  befindet ,  in  der  Regel  zur  Hälfte  umkreist, 
wird   am  besten   aus   reinem  hartem  elastischem  Stahl  bereitet ;   nachdem 


BRUCHBAND.  169 

sie  in  die  nöthige  Form  geschmiedet  ist,  wird  sie  im  Kohlenfeuer  gehärtet 
und  dann  in  Oel  abgekühlt.  Diese  Bruchbänder  bestehen  aus  dem  Kopfe, 
dem  Halse,  dem  Körper  und  den  Extremitäten.  Der  Kopf  oder  die 
Pelotte  ist  derjenige  Theil  des  Bruchbandes,  welcher  bestimmt  ist,  die 
Bruchöffnung  zu  verschliessen.  Seine  Grundlage  bildet  ein  abgerundetes 
Stück  Eisenblech,  Pelottenschild,  dessen  Form  sich  nach  der  Form 
der  Bruchöffnung  richtet  und  dessen  Grösse  und  Stellung  von  der  Art 
sein  muss ,  dass  es  sich  etwas  über  die  Bruchpforte  und  den  Bruchsack- 
hals hinaus  erstreckt.  Er  ist  mit  Leder  überzogen  und  mit  Haaren  ge- 
polstert. Der  Hals  ist  derjenige  Theil  des  Bruchbandes,  welcher  zu- 
nächst am  Kopfe  liegt  und  in  den  Körper  übergeht.  Der  Körper  ist 
der  Theil ,  der  den  Leib  umgibt ;  er  besteht  zum  Theil  aus  der  Feder, 
zum  Theil  aus  dem  Ueberzuge  der  Feder  mit  einer  Endigung  in  einen 
Riemen,  der  den  vollen  Kreis  um  den  Körper  schliesst.  Die  Extremi- 
täten dienen  zur  bessern  Befestigung  des  Bruchbandes ,  werden  aber 
diesem  nur  dann  angefügt,  wenn  dasselbe  nicht  für  sich  allein  sicher  liegt. 
Man  versteht  darunter  Schenkel-  und  Schulterriemen.  —  Die  Länge  der 
Bruchbandfeder  richtet  sich  nach  dem  Umfange  des  Körpertheiles  ,  den 
sie  umgeben  soll :  ihre  Dicke  und  Breite  muss  gleichfalls  nach  Umständen 
verschieden  sein  ;  wo  ein  starker  Druck  angebracht  werden  soll ,  z.  B.  bei 
grossen  alten  Brüchen  und  bei  Personen,  die  sich  viel  bewegen  oder  hart 
arbeiten  ,  muss  die  Feder  dicker  und  breiter  sein  ,  als  bei  Kindern  und 
Leuten,  die  eine  ruhige  mehr  sizende  Lebensart  führen.  Die  ganze  stäh- 
lerne Grundlage  eines  Bruchbandes  wird  sowohl  zum  Schuze  derselben 
gegen  die  Einwirkung  des  Schweisses ,  als  auch  um  ihren  Druck  auf  den 
Körper  zu  mildern,  sorgfältig  gefüttert  und  überzogen.  In  neuester  Zeit 
werden  die  Bruchbandfedern  galvanisirt ,  wodurch  das  Rosten  verhütet 
wird  ;  auch  überzieht  man  das  ganze  Bruchband  mit  Kautschuk ,  wodurch 
sie  eine  grosse  Dauer  erhalten.  —  Um  ein  genau  passendes  Bruchband 
anfertigen  lassen  zu  können,  ist  es  nöthig,  in  jedem  einzelnen  Falle  ein 
genaues  Mass  zu  nehmen.  Am  geeignetsten  bedient  man  sich  hierzu  eines 
doppelten  biegsamen  Drahtes  oder  auch  einer  bandförmigen  Bleiplatte, 
welche  beide  sich  genau  an  alle  Punkte  des  Körpers  anlegen  und  einen 
getreuen  -Abdruck  der  Feder  geben ,  wie  man  sie  bedarf.  Immer  muss 
dem  genommenen  Masse  ungefähr  ein  Zoll  zugegeben  werden ,  weil  die 
Fütterung  und  der  Ueberzug  der  Feder  um  so  viel  aufträgt.  —  Die  An- 
legung des  Bruchbandes  muss  immer  in  der  Rückenlage  geschehen.  Man 
fixirt  den  Bruch  mit  der  einen  Hand,  bringt  mit  der  andern  das  Band  um 
den  Leib ,  sezt  die  Pelotte  auf  die  Bruchöffnung  und  befestigt  dann  das 
Band ,  indem  man  den  Ergänzungsriemen  in  ein  an  der  Pelotte  befind- 
liches Knöpfchen  in  der  Art  einhängt,  dass  das  Bruchband  weder  zu  fest 
noch  zu  lose  ist.  Sobald  dies  geschehen,  lässt  man  den  Kranken  husten, 
dann  aufstehen  und  wieder  husten ,  einige  Gänge  machen ,  um  sich  zu 
überzeugen  ,    ob   das  Bruchband  recht  sizt  und  ob  die  Theile  gehörig  zu- 


170 


BRUCHBAND. 


rückgehalten  werden.  —  Es  ist  dem  Kranken  dringend  zu  empfehlen,  das 
Bruchband  fortwährend  bei  Tag  und  bei  Nacht  zu  tragen  ;  wenn  es  gut 
angepasst  ist ,  so  wird  er  sich  auch  bald  an  die  kleine  Unbequemlichkeit 
gewöhnen.  Glaubt  man  auch  durch  das  längere  Tragen  eines  Bruchban- 
des eine  Radicalheilung  erzielt  zu  haben ,  so  beeile  man  sich  doch  nicht 
zu  sehr  mit  der  gänzlichen  Entfernung  desselben ;  man  lasse  es  zuerst 
blos  bei  Nacht  weg ,  später  kann  es  auch  bei  Tage  bei  nicht  anstrengen- 
der Arbeit  und  zulezt,  wenn  keine  Spur  von  Wiederhervortreten  des  Bru- 
ches bemerkt  wurde  ,  ganz  abgelegt  werden.  Die  verschiedenen  Bruch- 
bänder sind  : 

1)  Das  Leistenbruchband.  Dieses  ist  für  Brüche  bestimmt, 
welche  durch  den  Bauchring  hervortreten  ;  es  zeigt  bezüglich  der  Pelotte 
einige  Verschiedenheit,  je  nachdem  es  einen  äussern  oder  innern  Leisten- 
bruch zurückzuhalten  bestimmt  ist.  Bei  den  äussern,  frisch  entstandenen 
Brüchen  dieser  Kategorie  muss,  da  diese  Brüche  einen  langen  Hals  haben, 
die  Pelotte  stärker  convex  und  so  lang  sein ,  dass  sie  über  den  vordem 
und  hintern  Leistenring  hinausreicht ;  in  dem  Verhältnisse  der  grösseren 
Länge  der  Pelotte  wird  der  Hals  der  Feder  kürzer  sein.  Bei  dem  alten 
und  grossen  äussern  und  beim  innern  Leistenbruche ,  welche  beide  einen 
kurzen  Hals  haben  und  rundlich  sind ,  muss  der  Hals  der  Feder  länger, 
die  Pelotte  mehr  dreieckig  rund,  weniger  stark  convex  und  mit  ihrem  un- 
tern Rande  gegen  das  Becken  gerichtet  sein ,  so  dass  dieser  den  horizon- 
talen Ast  des  Schambeines  berührt.  —  Die  Feder  des  Leistenbruchbandes 
bildet  in  der  Regel  einen  Halbzirkel,  der  diejenige  Hälfte  der  Beckenpe- 
ripherie, an  welcher  sich  der  Bruch  befindet,  umgibt  und  mit  seinem  vor- 
dem Ende,  welches  den  Hals  bildet,  gegen  den  Bauchring  hin,  mit  seinem 
hintern  oder  Schwanzende  auf  die  Wirbelsäule  zu  liegen  kommt.  Durch 
diese  Einrichtung  und  Lagerung  erhält  die  Feder  zwei  Wirkungspunkte, 
die  einander  gegenüber  liegen.  Auf  diese  Weise  ist  die  Feder  in  dem 
Richter  'sehen  Bruchbande  beschaffen ,  welches  das  am  häufigsten  ge- 
brauchte ist.  Weniger  zweckmässig  sind  die  Bruchbänder  mit  mehr  oder 
weniger  langen,  meist  das  ganze  Becken  umgebenden  Federn,  wie  sie  sich 
in  den  Bruchbändern  von  Camper,  Cooper,  Squire,  Chase  u.  A. 
finden.  Sie  sind  nicht  allein  für  den  Kranken  sehr  beschwerlich,  sondern 
sie  liegen  auch  nicht  so  sicher,  als  die  halbzirkelförmigen.  Eigenthümlich 
und  complicirt  ist  das  Bruchband  von  Lafond;  es  besteht  aus  zwei 
Federn ,  die  in  einander  geschoben  und  durch  ein  Gewinde  und  eine 
Schraube  geschlossen  werden  können  ;  es  wird  ,  wie  auch  das  Salmon- 
sche  Band  auf  der  gesunden  Seite  angelegt.  Noch  sei  angeführt ,  dass 
Einige  zur  Verstärkung  der  Federkraft  mehrere  aufeinander  liegende  Fe- 
dern anwenden  (Salmon,  Lukas).  —  Künstliche  oder  von  der  ge- 
wöhnlichen Form  abweichende  Pelotten  sind  folgende  :  die  Windenpelotte 
mit  dem  Stellrade  der  alten  Bruchbänder;  die  Pelotte  von  Salmon:  sie 
ist  mittels  eines  Kugelgelenkes  nach  allen  Seiten  beweglich  ;    die  lezterer 


BRUCHBAND.  171 

nachgebildete  Pelotte  von  Lafond;  die  Pelotte  von  Squire:  sie  kann 
am  Halse  der  Feder  hin  und  her  geschoben  und  daher  verkürzt  oder  ver- 
längert werden  ;  Aehnlichkeit  mit  dieser  hat  die  Pelotte  von  Chase:  sie 
ist  von  Holz  und  ruht  auf  einer  metallenen  Unterlage ,  auf  der  sie  hin,- 
und  herbewegt  werden  kann  ;  die  (birnf  örmige)  Pelotte  von  Weissen- 
born:  sie  hängt  mit  dem  schmalen  Halse  der  Feder  durch  eine  gewun- 
dene Feder  zusammen  ;  die  Pelotte  des  (doppeltelastischen)  Bruchbandes 
von  He  s  selb  ach:  sie  besteht  aus  zwei  Pelottenschilden,  zwischen  wel- 
chen eine  Kniefeder  angebracht  ist ;  R  e  i  c  h  e  1  's  Modifikation  dieser  Pe- 
lotte ,  darin  bestehend  ,  dass  an  die  Stelle  der  Kniefeder  zwei  ins  Kreuz 
gestellte  Federn  gesezt  sind  und  die  beiden  Schilde  mittels  einer  Schraube, 
deren  Kopfüber  dem  obern  Schilde  zu  Tage  tritt,  auseinander  geschraubt 
werden  können.  Die  (aus  Buchsbaumholz  bestehende)  Pelotte  von  Lukas 
hat  eine  konische  Form,  und  die  von  Malgaigne  eine  pilzähnliche  von 
solcher  Grösse ,  dass  sie  (beim  innern  Leistenbruche)  in  die  Bruchpforte 
einzudringen  im  Stande  ist.  Zu  erwähnen  sind  endlich  noch  die  Kaut- 
schukpelotten,  die  theils  voll,  ganz  aus  elastischem  Harze  bestehend,  theils 
hohl  und  mit  Luft  oder  Wasser  gefüllt  sind.  —  Zur  Zurückhaltung  zweier 
zu  gleicher  Zeit  bestehender  Leistenbrüche  bedient  man  sich  entweder 
eines  einzigen,  mit  zwei  Pelotten  versehenen  Bruchbandes  oder  aber  zweier 
passender  Bruchbänder,  die  hinten  und  vorn  durch  Schnallen,  Riemen  und 
Knöpfe  vereinigt  werden.  Leztere  Art  ist  die  gegenwärtig  allein  ange- 
wendete. —  Bei  irreponiblen  Brüchen  bedient  man  sich  eines  Bruchban- 
des mit  ausgehöhlter  Pelotte  ;  bei  grossen  Scrotalbrüchen  sind  aber  eigent- 
liche Bruchbänder  nicht  mehr  anwendbar;  bei  diesen  besteht  das  einzige 
Schuzmittel  gegen  Vergrösserung  und  Einklemmung  in  einem  Suspenso- 
rium ,  welches  den  Bruch  trägt,  und  welches  je  nach  dem  Umfange  des 
Bruches  an  einem  Leibgürtel  oder  an  den  Schultern  aufgehängt  wird. 

2)  Das  Schenkelbruchband  ist  gegen  den  Austritt  der  Ein- 
geweide durch  den  Schenkelring  bestimmt.  Es  hat  mit  dem  Leistenbruch- 
band gleiche  Gestalt,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  sein  Hals  kürzer 
und  in  einem  schärferen  Winkel  von  dem  Körper  des  Bandes  abgeht,  weil 
der  Schenkelbruch  näher  am  Hüftbein  liegt  als  der  Leistenbruch,  und  dass 
der  lange  Durchmesser  der  Pelotte  nicht  senkrecht ,  sondern  mehr  in  die 
Quere,  nur  wenig  schief  herabwärts  laufen  muss.  Beim  äussern  Schenkel- 
bruch muss  der  Hals  der  Feder  etwas  kürzer  sein  als  beim  innern ,  weil 
jener  mehr  nach  aussen  liegt  als  dieser.  Der  Schenkelriemen  ist  bei  den 
Schenkelbruchbändern  nicht  zu  entbehren. 

3)  Nabelbruchband.  Bei  kleinen  Kindern  bedarf  man  zur 
Zurückhaltung  der  Nabelbrüche  keiner  eigentlichen  Bruchbänder.  Das 
Einsezen  eines  rundlichen  festen  Körpers  ,  wie  einer  halben  Wachskugel 
oder  Muskatnuss  oder  einer  hölzernen  Halbkugel  etc.  in  den  Nabelring 
und  Befestigen  desselben  mittels  sternförmig  über  die  Pelotte  geführter 
Heftpflasterstreifen   und   nötigenfalls  Unterstüzen   des  Ganzen  mit  einer 


172 


BRUCHBAND. 


Binde  reicht  in  den  meisten  Fällen  nicht  nur  zur  Zurückhaltung,  sondern 
bei  der  grossen  Neigung  des  Nabelringes  zur  Obliteration,  selbst  zur  Ra- 
dicalheilung  solcher  Brüche  hin.  Bei  unruhigen  und  mehr  herangewach- 
senen Kindern  kann  man  sich  des  Bandes  von  Stark  bedienen ,  welches 
die  Pelotte  mit  einem  Gürtel  von  Barchent  u.  dgl.  befestigt,  von  dem  aus 
ein  senkrechtes  Stück  desselben  Stoffes  über  die  Brust  weg  zum  Rücken 
und  abwärts  zwischen  den  Beinen  hindurch  eben  dahin  geht ,  wo  beide 
mit  einander  verknüpft  werden  ;  das  aufwärts  gehende  Stück  hat  einen 
Spalt,  durch  welchen  der  Kopf  gesteckt  wird.  T  h  u  n  versah  das  horizon- 
tale wie  das  verticale  Stück  dieser  Bandage  in  der  Nähe  der  Pelotte  mit 
einem  Stücke  Kautschuk,  um  ihr  mehr  Elasticität  zu  geben.  Hahn  stülpt 
die  Hautdecken  von  beiden  Seiten  gegen  den  Nabelring  einwärts  ,  sie  ge- 
wissermassen  als  Pelotte  benüzend ,  und  erhält  die  dadurch  gebildete 
senkrechte  Hautfalte  durch  Heftpflasterstreifen  mit  einander  in  Berührung. 
Dieser  Verband  hält  bei  täglichem  Baden  der  Kinder  10  — 12  Tage,  ohne 
dieses  2  0 — 2  8  Tage.  Man  fährt  mit  diesem  Verbände  so  lange  fort,  bis 
der  Nabelring  vollkommen  geschlossen  ist;  6  — 12  Wochen  genügen  zur 
Kur.  —  Burow  legt  ein  3  Zoll  breites  und  4  Zoll  langes  Stück  Gutta- 
percha erweicht  mit  seiner  Mitte  auf  den  reponirten  Nabelbruch ,  drückt 
auf  die  Stelle  der  Bruchpforte  einen  entsprechend  grossen  Charpieballen 
auf  und  wickelt  mittels  einer  flanellenen  Rollbinde  die  noch  nicht  erkal- 
tete Gutta  percha  mit  Zirkeltouren  um  den  Bauch  gegen  denselben  an. 
Ist  Tags  darauf  die  Gutta  percha  erkaltet,  so  lässt  man  an  derselben  einen 
Bauchgürtel  von  entsprechender  Breite  befestigen,  der  auf  der  einen  Seite 
mit  einer  Schnalle,  auf  der  andern  mit  einem  Riemen  endigt ;  die  Schnalle 
kommt  beim  Schliessen  des  Gürtels  auf  die  äussere  Seite  der  Gutta  percha- 
Platte  zu  liegen  ;  die  dem  Leibe  zugekehrte  Seite  dieser  bleibt  ohne  allen 
Ueberzug.  —  Nabelbruchbänder  für  Erwachsene  gibt  es  eine  grosse  An- 
zahl. Sie  wirken  entweder  auf  den  Nabelring  und  schliessen  diesen,  oder 
auf  beide  Seiten  des  Unterleibes  und  drücken  so  die  Spalte  in  der  Linea 
alba  zusammen  oder  sie  vereinigen  beide  Wirkungen.  Bei  der  ersten 
Art  drückt  eine  halbkreisförmige,  etwas  breite  Feder,  die  nur  die  Längen- 
biegung hat ,  mit  einer  runden,  convexen  Pelotte  auf  den  Nabelring  und 
wird  durch  den  Ergänzungsriemen  befestigt.  Hierher  gehören  die  Bänder 
von  Plattner,  deLaunay,  Camper,  Richter.  Da  die  einfache 
Feder  sich  leicht  verschiebt  und  der  Ergänzungsriemen  den  Leib  zusam- 
menschnürt ,  so  nahm  man  zwei  Federn,  die  an  der  Pelotte  befestigt  sind 
und  am  Rücken  durch  Schnallen  befestigt  werden ;  solche  Bruchbänder 
sind  die  von  Squire  undEagland.  Ersteres  besteht  aus  einem  ovalen 
convexen  Pelottenschild  ,  auf  dem  eine  kleine  Pelotte  angeschraubt  ist, 
und  aus  zwei  mit  ihm  durch  Charniere  verbundenen  Federn.  Beim  Bruch- 
bande von  E  a  g  1  a  n  d  ist  eine  leicht  convexe  Pelotte  aus  Zinn  zu  beiden 
Seiten  durch  Charniere  mit  den  Federn  verbunden  ,  welche  mit  kleinen 
tellerförmigen  Pelotten   auf  einem  Rückenkissen  liegen.    Zu  der  zweiten 


BRUCHBAND.  173 

Art  gehören  die  Nabelbruchbänder  mit  dem  Federkasten.  Durch  die 
Feder  in  oder  auf  der  Pelotte  lässt  sich  der  Bauchriemen  erweitern  oder 
verengern  und  passt  sich  so  der  Ausdehnung  des  Unterleibes  an,  wodurch 
ein  gleichmässiger  Druck  sowohl  auf  die  Oeffnung  in  der  Linea  alba  als 
auch  auf  die  Seiten  wände  des  Unterleibes  ausgeübt  wird.  Ein  solches 
Bruchband  ist  das  von  Suret,  in  dessen  hohler  Pelotte  sich  eine  Feder 
befindet,  die  durch  einen  Schlüssel  gespannt  wird.  Modificationen  dieses 
Bruchbandes  sind  die  Bandagen  von  Richter,  Juville  und  H  arten- 
keil. Verdier  construirte  einen  ähnlich  wirkenden  Verband  mit  Ho- 
senträgerfedern. Die  dritte  Art  umfasst  Bruchbänder  mit  einfachen  oder 
elastischen  Pelotten  und  elastischen  Bauchriemen.  Hierher  gehören  die 
Bandagen  von  Brünnig hausen,  Pelotte  mit  Spiralfeder  und  Bauch- 
gurt aus  Hosenträgerfedern,  Hesselbach  (Moditication  dieser,  2  Knie- 
federn statt  einer  Spiralfeder  in  der  Pelotte),  Scarpa  (wie  Brünnig- 
hausen),  Oken,  einfache  Pelotte  mit  Hosenträgerfedergurt ,  Witt- 
stock,  ebenso.  Unzweckmässig  ist  das  Bruchband  von  Morrison,  das 
eine  fast  zirkeiförmige  Feder  hat ,  die  vorn  einen  grossen  ovalen  Bing 
bildet ,  von  dessen  einer  Seite  eine  Feder  ausgeht ,  die  eine  Pelotte  trägt, 
und  das  von  Lafond,  das  nach  denselben  Grundsäzen ,  wie  das  für  die 
Leisten-  und  Schenkelbrüche  gebildet  ist.  Eothmund  gibt  ein  ziemlich 
complicirtes  Compressorium  an ,  mittels  dessen  die  Radicalheilung  des 
Nabelbruches  herbeigeführt  werden  soll.  Es  besteht  aus  einer  runden 
Platte,  die  nach  Einschiebung  des  Bruches  sammt  der  äussern  Bedeckun- 
gen und  dem  Bruchsacke  in  die  dadurch  gebildete  Tasche  eingebracht 
wird.  Ein  allmälig  verstärkter  Druck  soll  den  invaginirten  Bruchsaek 
durch  adhäsive  Entzündung  innerhalb  3 — 5  Tagen  an  dem  hintern  Um- 
fange der  Bruchpforte  zur  Verwachsung  bringen.  —  Für  angewachsene 
Nabelbrüche  muss  die  Pelotte  hohl  sein.  Uebermässig  grosse  unterstüzt 
man  durch  einen  an  einem  Leibchen  aufgehängten  Tragbeutel. 

4)  Bauchbruchbänder  werden  ähnlich  wie  die  vorigen  gebil- 
det. Das  von  Trecourt  besteht  aus  einer  zirkeiförmigen  Feder  mit 
zwei  Pelotten,  welche  zur  Seite  der  Spalte  zu  liegen  kommen  und  zusam- 
mengeschnürt werden.  Scarpa  gab  für  Brüche  in  der  Nähe  des  Schwert- 
knorpels ein  Leibchen  mit  Pelotte  an  ,  das  aber  durch  ein  zweckmässiges 
Nabelbruchband  ersezt  wird. 

5)  Das  Hüft  beinbruchband  besteht  aus  einem  Leibgürtel,  von 
dem  eine  Feder  herabsteigt ,  die  eine  Pelotte  trägt. 

5)  Band  für  den  Bruch  des  eiförmigen  L  o  che  s.  Es 
stimmt  im  Wesentlichen  mit  dem  Schenkelbruchband  überein ,  nur  muss 
der  Hals  etwas  länger  sein  und  in  einem  stärkeren  Winkel  von  dem 
Körper  des  Bandes  abgehen ;  auch  muss  die  Pelotte  stärker  gewölbt 
sein. 

7)  Scheidenbruchband.  Gewöhnlich  bedient  man  sich  zur 
Zurückhaltung  der  Scheidenbrüche  der  Pessarien  ;  werden  diese  aber  nicht 


174  BRUCHBETTEN. 

ertragen,  so  erweist  sich  ein  von  Eagland  angegebenes  Bruchband  sehr 
nüzlich.  Dieses  besteht  aus  einem  elastischen  Gürtel,  an  dessen  Mitte  ein 
senkrecht  stehender,  mit  Leder  überzogener  Metallstab  befestigt  ist.  An 
dem  nach  unten  stehenden  Ende  des  lezteren  befindet  sich  eine  Spiral- 
feder, welche  mit  einer  Pelotte  in  Verbindung  steht. 

S)  Das  Band  für  den  Mittelfleischbruch  ist  ähnlich  con- 
struirt,  wie  das  vorige.  Scarpa,  Kosch  und  Jacobson  haben  solche 
Bruchbänder  angegeben. 

9)  Das  Lungenbruchband  besteht  aus  einem  mit  Spiralfedern 
elastisch  gemachten  Gürtel  und  aus  einer  Pelotte ,  die  ein  viereckiges 
Stück  Sohlleder  zur  Grundlage  hat,  welches  auf  jeder  Ecke  einen  Mes- 
singknopf zur  Befestigung  des  Gürtels  trägt ;  auf  diesem  Pelottenschilde 
in  der  Mitte  befindet  sich  ein  mit  Haaren  gefülltes  Lederkissen  von  der 
Grösse,  dass  es  einige  Linien  über  die  Bruchpforte  hinausreicht.  Sehulter- 
und  Schenkelriemen ,  welche  in  die  Messingknöpfe  eingehängt  werden, 
verhindern  das  Verschieben  der  Bandage. 

10.  Herzbruchband.  Wollte  man  sich  eines  solchen  bedienen, 
so  könnte  man  das  vorhergehende  benüzen,  nur  müsste,  da  das  Herz  kei- 
nen Druk  erleiden  darf,  die  Pelotte  hohl  sein. 

Bruchbetten.  Bei  Fracturen  des  Rumpfes  und  der  unteren  Ex- 
tremitäten ist  vor  Allem  ein  zweckmässiges  Bett  nothwendig.  Für  die 
Spitalpraxis  hat  die  Herstellung  passender  Lagerstätten  keine  Schwierig- 
keit ,  man  findet  in  den  Krankenhäusern  meistens  Vorrichtungen ,  welche 
theils  die  willkürliche  Erhöhung  und  Erniedrigung  des  Kopf-  und  Fuss- 
theiles  (und  die  Bildung  von  doppeltgeneigten  Flächen  für  die  unteren 
Extremitäten) ,  theils  die  Erleichterung  bei  den  Stuhlausleerungen ,  theils 
die  Bequemlichkeit  des  Kranken  zum  Lesen  und  Schreiben  bezwecken. 
Wir  besizen  solche  sogenannte  mechanische  Betten  von  S  t  ö  c  k  e  1 , 
Braun,  Böttcher,  Earle,  W^eikert,  Amesbury^  Hager, 
Mayor,  Schindler  u.  A.  Bruchstühle  haben  angegeben  :  Unger, 
Hofer,  Theden.  In  der  Privatpraxis  stehen  aber  solche  Hülfsmittel 
gewöhnlich  nicht  zu  Gebote,  man  ist  hier  in  den  meisten  Fällen  genöthigt, 
die  gewöhnlichen  Lagerstätten  beizubehalten ,  und  es  bleibt  in  diesem 
Falle  nichts  übrig,  als  diese  so  herzurichten ,  wie  es  die  Umstände  gestat- 
ten.—  Geht  es  an,  so  wähle  man  eine  Bettstelle,  die  nicht  zu  breit  (nicht 
über  drei  Fuss)  und  der  Körperlänge  des  Kranken  angemessen  ist.  Gut 
ist  es,  wenn  das  Fussende  nicht  über  das  Bett  herausragt.  Auf  den  Boden 
der  Bettstelle  kommt  ein  gleichförmig  gefüllter  Strohsack  und  auf  diesen 
eine  feste ,  mit  Seegras ,  Heu ,  Moos  oder  am  besten  mit  Rosshaaren  ge- 
füllte Matraze.  Um  die  Gleichförmigkeit  des  Lagers  zu  sichern,  bringen 
Einige  eine  hölzerne  Platte  zwischen  Strohsack  und  Matraze ;  wenigstens 
wird  dies  bei  Brüchen  des  Oberschenkels  für  nothwendig  gehalten.  Nur 
wenn  keine  Matraze  zur  Hand  ist,  kann  ein  Federbett  benuzt  werden ;  ein 


BRÜSTBINDEN.  175 

solches  erhizt  zu  sehr,  gibt  zum  Durchliegen  Veranlassung  und  gefährdet 
durch  Auseinanderweichen  der  Federn  die  Gleichförmigkeit  des  Lagers. 
Besser  bedient  man  sich  eines  die  ganze  Bettlade  ausfüllenden ,  prall  ge- 
füllten Spreusacks,  wozu  man  einen  überall  zu  habenden  Bettüberzug  be- 
nüzen  kann,  den  man  nach  dem  Füllen  zunäht ;  damit  die  Spreu  aber  nicht 
durch  das  Gewicht  des  Körpers  auseinander  getrieben  und  dadurch  Ver- 
anlassung zu  Unebenheiten  gegeben  wird,  ist  es  nothwendig,  dass  zwischen 
den  Spreu-  und  Strohsack  eine  hölzerne  Platte  gelegt  werde  und  dass  die 
Seitentheile  der  Bettlade  etwas  über  den  Spreusack  heraufragen  ;  bei  nie- 
dern  Seitentheilen  muss  der  Strohsack  fortbleiben.  Tn  der  Gegend  des 
Bettes ,  wohin  das  Becken  des  Kranken  zu  liegen  kommt ,  wird  ein  mehr- 
fach zusammengelegtes  Leintuch  quer  herüber  gelegt ,  um  ihn  leicht  auf- 
heben zu  können  ;  unter  den  Kopf  bringt  man  ein  massig  hohes  Polster, 
und  zum  Zudecken  bringt  man  eine  in  ein  Leintuch  eingeschlagene  wol- 
lene Decke  oder  ein  leichtes  Federbett ,  dessen  Druck  man  durch  eine 
über  das  Glied  gestellte  Reifenbahre  oder  in  Ermangelung  dieser  durch 
eingesteckte  Küferreife  abhält.  Das  Bett  wird  so  gestellt ,  dass  man  von 
allen  Seiten  leicht  beikommen  kann,  und  über  der  Mitte  desselben  an  der 
Decke  des  Zimmers  oder  an  einem  Querbalken  ein  Strick  befestigt ,  der 
an  seinem  untern  Ende  ein  Querholz  trägt,  mittels  dessen  sich  der  Kranke 
etwas  in  die  Höhe  ziehen  kann  ,  um  dadurch  die  Stuhlausleerung  zu  er- 
leichtern. —  Wird  eine  Erneuerung  des  Lagers  nothwendig,  so  geschieht 
dieses  am  leichtesten  dadurch ,  dass  man  ein  zweites  Bett  wie  das  erste 
vorrichtet ,  es  neben  dieses  stellt  und  dann  den  Kranken  behutsam  von 
dem  einen  in  das  andere  hinüber  hebt.  Ist  dies  nicht  ausführbar ,  so  be- 
reitet man  entweder  ein  Lager  auf  einer  auf  einen  Tisch  gelegten  Platte, 
etwa  einer  Thür ,  oder  man  bringt  den  Kranken  auf  ein  auf  dem  Fuss- 
boden  hergestelltes  Lager,  auf  welchem  einen  oder  dem  andern  der  Kranke 
so  lange  bleibt ,  bis  das  Bett  wieder  erneuert  ist.  Behufs  der  Verlegung 
des  Kranken  wird  derselbe  von  einem  Gehülfen  unter  den  Armen  gefässt, 
andere  ergreifen  das  quer  über  das  Bett  gelegte  Leintuch  ,  ein  weiterer 
Gehülfe  hält  den  gesunden  Fuss  ,  der  Wundarzt  selbst  aber  übernimmt 
das  gebrochene  Glied ,  worauf  der  Kranke  unter  gleichmässigem  Erheben 
ohne  Zerren  und  Reissen  auf  das  zubereitete  Lager ,  gebracht  wird. 

BrUStbilldeil.  Es  gibt  eine  ziemliche  Anzahl  solcher,  die  sich 
aber  auf  folgende  wenige ,  meist  mit  Tüchern  ausgeführte  zurückführen 
lassen.  1)  Die  s  e  ch  s  köp  f  i  g  eBr  us  tb  i  n  d  e  von  B  e  n  e  d  i  ckt.  Diese 
Binde  ist  zur  Befestigung  anderer  Verbandstücke  bei  Operations-  und  an- 
dern Wunden  in  der  Brust-  und  Achselhöhlengegend  bestimmt.  An  ein 
länglich  viereckiges  Stück  Leinwand  werden  6  Bänder  genäht  und  zwar 
je  eines  auf  jede  Ecke  und  zwei  in  die  Mitte  des  obern  Randes.  Die  2 
lezten  Bänder  werden  auf  der  kranken  Achsel  gekreuzt,  von  da  nach  der 
gesunden  Achselhöhle,  dann  um  die  Brust  geführt  und  auf  der  die  Wunde 


176  BRUSTBINDEN. 

deckenden  Compresse  zusammengeknüpft.  Die  2  von  den  obern  Ecken 
ausgehenden  Bänder  kreuzt  man  auf  der  gesunden  Schulterhöhe ,  dann  in 
der  gesunden  Achselhöhle  und  geht  über  die  Brust  herüber,  um  sie  gleich- 
falls auf  der  Compresse  zusammenzuknüpfen.  Das  dritte  von  den  unteren 
•Ecken  abgehende  Paar  Bänder  wird  in  Zirkeltouren  um  die  Brust  geführt 
und  ebenfalls  auf  der  Compresse  geknüpft.  —  2)  Die  dreieckige 
B  r  u  s  t  b  i  n  d  e  von  M  a  y  o  r.  Um  irgend  einen  Verband  an  dem  vordem 
oder  hintern  Theile  des  Brustkastens  festzuhalten ,  wird  ein  dreieckiges 
Stück  Leinwand  so  angelegt,  dass  das  Mittelstück  nach  unten,  die  beiden 
Enden  um  .die  Brust  herumgeführt  werden  und  die  Spize  des  Dreieckes 
aufwärts  auf  eine  Schulter  zu  liegen  kommt.  An  diese  wird  ein  Band 
angebracht  und  an  den  um  den  Leib  herumgeführten  und  vereinigten,  die 
Leibbinde  bildenden  Enden  befestigt.  Je  nach  dem  Size  des  Uebels  wird 
das  Dreieck  auf  der  Brust  oder  auf  dem  Rücken  angelegt.  —  3)  Die 
vierköpfige  oder  zusammengesezte  aufhebende  Binde 
der  Brüste.  Man  nimmt  ein  viereckiges  Stück  Leinwand  von  entspre- 
chender Grösse,  welches  man  an  jeder  Ecke  mit  einem  2  Ellen  langen  und 
2  Querfinger  breiten  Bande  versieht ,  so  dass  zwei  davon  an  dem  äussern 
Rande  horizontal  und  zwei  an  dem  untern  Ende  perpendiculär  befestigt 
-werden.  Bei  der  Anlegung  lässt  man  die  kranke  Brust  in  die  Höhe 
heben  und  legt  den  Theil  der  Binde ,  an  dem  sich  die  horizontalen 
Bänder  befinden,  ganz  nahe  unter  der  Brust  an,  führt  die  Bänder  um  den 
Leib  auf  den  Rücken ,  wechselt  sie  dort ,  führt  sie  wieder  nach  vorn  und 
vereinigt  sie  unter  den  Brüsten.  Nun  schlägt  man  das  Stück  Leinwand 
über  die  leidende  Brust  hinauf,  führt  die  senkrechten  Bänder  über  die 
Schultern,  wechselt  sie  auf  dem  Rücken,  geht  unter  den  Achseln  mit  ihnen 
vor  und  befestigt  sie  auf  der  Mitte  der  Brüste.  Sind  beide  Brüste  krank, 
so  muss  das  Stück  Leinwand  so  gross  sein,  dass  es  beide  Brüste  bedeckt. 
—  Diese  Binde  dient  nicht  allein  zur  Unterstüzung  der  Brüste ,  sondern 
auch  zur  Befestigung  von  Verbandstücken  und  Kataplasmen  an  densel- 
ben. —  4)  Kreuzbrustbinde,  Viergespann,  Quadriga. 
Diese  Binde  hat  ihren  Namen  von  den  kreuzweise  laufenden  Touren, 
welche  die  Zügel  von  4  Pferden  an  einem  Wagen  vorstellen  sollen.  Man 
nimmt  dazu  Bänder  von  2  4  —  3  6  Zoll  Länge  und  2  l/2  Z.  Breite  auf  2  Köpfe 
gerollt.  Der  Grund  der  Binde  wird  unter  die  Achsel  gelegt,  beide  Köpfe 
über  die  Schulter  derselben  Seite  geführt,  daselbst  gekreuzt,  der  eine  über 
den  Rücken ,  der  andere  über  die  Brust  nach  der  andern  Achselhöhle  ge- 
zogen. Hier  kreuzt  man  die  Köpfe,  führt  sie  auf  die  Schulter,  kreuzt  sie 
abermals  und  geht  nach  hinten  und  nach  vorn  unter  die  andere  Achsel, 
wo  man  angefangen  hatte.  Nun  steigt  man  mit  Hobelgängen ,  die  dicht 
unter  den  Achseln  anfangen ,  um  den  Brustkasten  herum,  so  dass  sie  sich 
stets  einander  ein  wenig  decken.  Die  Kreuzung  der  Köpfe  geschieht  in 
absteigender  Linie  ;  der  Kopf,  welcher  nach  hinten  geht ,  wird  stets  bei 
der  Kreuzung   der  untere ,   und   wird   an  dieser  Stelle  umgeschlagen.  — 


BRUSTDRUESENENTZUENDUNG.  177 

Diese  Binde  ist  für  Brüche  des  Brustbeins  und  der  Rippen  bestimmt,  übt 
aber  einen  lästigen  Druck  aus. 

BrastdrÜSenentzÜndung,  Inflammatio  mammarum, 
Mastitis.  Sie  hat  ihren  Siz  entweder  in  dem  die  Drüse  umgebenden' 
Fettgewebe ,  oder  in  der  Drüse  selbst  oder  in  dem  hinter  der  Drüse  gele- 
genen Zellgewebe.  —  Die  Entzündung  des  subcutanen  Fett- 
gew e  b  e  s  tritt  mit  dem  Charakter  der  Phlegmone  auf  und  zwar  bald  als 
Phlegmone  diffusa,  bald  als  Phlegmone  circumscripta, 
und  verläuft  bald  acut,  bald  chronisch.  —  Ursachen.  In  manchen 
Fällen  ist  es  eine  Quetschung,  Verbrennung  oder  anderweitige  Reizung 
der  äussern  Haut,  namentlich  ein  Vesicans  etc.,  welche  diese  Entzündung 
herbeiführt ;  andere  Male  wird  das  gesammte  Fettpolster  ohne  nachweis- 
bare Veranlassung  plözlich  von  Phlegmone  befallen.  Diese  zwei  Gattun- 
gen von  Entzündungen  können  während  der  Lactation  auftreten  wie  aus- 
serhalb dieser.  Nicht  so  ist  es  bei  einer  dritten,  wo  die  Entzündung  ihren 
Ausgang  von  der  Drüse  selbst  nimmt ,  indem  zu  einer  schon  bestehenden 
Drüsenentzündung  die  Phlegmone  des  umgebenden  Bindegewebes  sich 
hinzugesellt ;  solche  Fälle  kommen  ausschliesslich  nur  während  der  Lacta- 
tion vor.  Endlich  kommt  noch  eine  chronisch  verlaufende  Entzündung  in 
Folge  von  Neubildungen  in  der  Brustdrüse  vor.  —  Symptome.  Diese 
sind  die  der  phlegmonösen  Entzündung  überhaupt;  umfangreiche,  harte, 
tief  geröthete  Geschwulst,  in  welcher  die  Brustwarze  versenkt  (eingezogen) 
ist,  stechende,  lancinirende  Schmerzen  und  eine  eigenthümlich  brennende 
Hize.  —  Behandlung.  Bei  dieser  ist  zunächst  auf  die  Aetiologie 
Rücksicht  zu  nehmen ;  dadurch  kann  es  gelingen,  eine  weitere  Ausbreitung 
der  Entzündung  zu  verhüten  ,  den  regelmässigen  Ausgang  in  Eiterung 
wird  man  aber  bei  der  acuten  Form  niemals  abwenden  können.  Blutent- 
ziehungen und  Kataplasmen  dienen  dazu ,  die  Heftigkeit  der  Entzündung 
und  namentlich  auch  der  Schmerzen  zu  mindern  und  eine  Verbreitung 
nach  der  Tiefe  zu  verhüten.  Sobald  Fluctuation  entdeckt  werden  kann, 
was  am  häufigsten  nach  unten  und  aussen  geschieht ,  so  macht  man  eine 
tiefe  Incision,  wodurch  meist  eine  grosse  Menge  Eiter  entleert  wird.  In 
der  Regel  findet  sich  nur  ein  grosser  Eiterheerd ,  doch  trifft  man  auch 
deren  mehrere  ganz  abgesondert ,  die  dann  einzeln  eröffnet  werden  müs- 
sen. Sich  selbst  überlassen,  durchbrechen  solche  Abscesse  gegen  den  10. 
Tag  die  Haut,  indem  sie  die  Gewebe  in  ihrer  Umgegend  nach  aussen  und 
innen  hin  zerstören.  Auf  solche  Weise  kann  die  Drüse  secundär  ergriffen 
werden.  Eitersenkungen  hat  man  zuweilen  gegen  die  Achselhöhle  hin, 
ferner  zur  Regio  hypochondriaca  und  epigastrica  beobachtet, 
den  Eiter  sich  selbst  hinter  die  Drüse  begeben  sehen.  Eine  beschränktere 
Phlegmone  unterbricht  die  Lactation  nicht.  —  Die  Entzündung  des 
Drüsengewebes  selbst  kommt  in  der  bei  weitem  grössten  Mehrzahl 
der  Fälle  in  der  Säugungsperiode  vor.  —  Ursachen  sind :  Erkältung, 
Barger,  Chirurgie.  12 


178  BRUSTDRUESENENTZUENDUNG. 

Gemiithsaffecte,  Unterlassen  des  Säugens,  schnelles  Abgewöhnen  des  Kin- 
des;  ferner  äussere  Gewalttätigkeiten,  dyskrasische  Leiden.  Zu  den  Ent- 
zündungen rechnet  man  das  zuweilen  plözlich  auftretende  Schwellen  der 
Mamma ,  welche  in  einer  wirklichen  Retentio  lactis  besteht  und 
in  Folge  einer  plözlichen  Erkältung,  einer  Gemüthsbewegung,  bei  zu  stür- 
mischer Absonderung  der  Milch  (Einschiessen),  nach  zu  heftigem  Saugen 
des  Kindes  nicht  selten  entsteht.  Die  Drüse  schwillt  dabei  an,  wird  hart, 
uneben,  höckerig  (Milchknoten).  Die  Farbe  der  Haut  ist  aber  un- 
verändert ,  zuweilen  ist  sie  sogar  etwas  blässer  als  auf  der  andern  Seite. 
Heftige  Schmerzen  und  zuweilen  auch  Fieberbewegungen  stellen  sich  ein. 
Diese  Schwellung  kann  ohne  üble  Folgen  vorübergehen ,  aber  auch  Ver- 
anlassung zu  einer  wirklichen  Entzündung  werden.  Die  eigentliche  Ent- 
zündung der  Milchdrüse,  welche  ihren  Siz  in  den  Milchkanälen  und  in  den 
Drüsenbläschen  hat,  charakterisirt  sich  durch  Schmerz  und  Schwellung  an 
einzelnen  Stellen  der  Drüse ;  der  Schmerz  ist  dumpf,  drückend  ,  hier  und 
da  lancinirend ,  aber  nicht  brennend  und  stechend,  wie  bei  der  oberfläch- 
lichen Entzündung.  Gewöhnlich  bilden  sich  in  der  Umgegend  des  War- 
zenhofes einzelne  deutlich  fühlbare  Höcker  aus  ,  die  sich  allmälig  auch 
stärker  röthen.  Im  weiteren  Verlaufe  greift  diese  ursprünglich  vom  Drü- 
sengewebe ausgehende  Entzündung  auch  auf  das  interlobuläre  Bindege- 
webe, später  auf  das  subcutane  Fettgewebe,  zuweilen  sogar  auf  das  hinter 
der  Brustdrüse  gelegene  Bindegewebe  über.  Dabei  ist  heftiges  Fieber 
zugegen.  —  Ausgänge.  Das  nicht  sehr  schnell  verlaufende  Leiden 
endet  in  der  Regel  mit  Eiterung,  häufig  bleiben  auch  Verhärtungen,  per- 
manente Milchknoten  zurück  ;  höchst  selten  erfolgt  Zertheilung ,  Gangrän 
nur  bei  ganz  unzweckmässiger  Behandlung.  —  Behandlung.  Handelt 
es  sich  von  Milchknoten  ohne  Entzündung,  so  legt  man  das  Kind  fleissig 
an  oder  entfernt  die  Milch  mittels  eines  Milchglases  ;  daneben  legt  man 
Baumwolle  auf,  die  mit  Zuckerdampf  durchräuchert  oder  mit  Kampher 
bestrichen  ist ,  reibe  Spirit.  Mindereri,  Spirit.  camphoratus, 
Linimentum  volatile  camphoratum  ein,  übe  eine.leichte  Com- 
pression  aus  und  unterstüze  die  Mamma  mit  einem  Suspensorium.  Besteht 
wirkliche  Entzündung,  so  kann  man  den  Inhalt  der  Milehkanäle  mit  Milch- 
pumpen vorsichtig  absäugen ,  worauf  man ,  wenn  man  das  Säugen  unter- 
brechen will,  dünne  Wassersuppen,  kräftige  Purganzen  gibt,  Quecksilber- 
salbe einreiben  lässt,  und  entweder  eine  durch  einen  Kleisterverband,  oder 
nach  Spengler  durch  Ueberstreichen  der  ganzen  Brust  mit  Ausnahme 
der  Warze  mit  einer  dicken  Lage  Coliodium  auszuübende  gleichmässige , 
Compression  oder  die  Application  zahlreicher  Blutegel  in  Gebrauch  zieht, 
wodurch  man,  wenn  auch  nicht  Zertheilung,  doch  Beschränkung  der  Eite- 
rung zu  erzielen  vermag.  Soll  das  Säugen  aber  fortgesezt  werden ,  so 
dürfen  weder  Blutegel  noch  Abführmittel,  kaum  eine  schmälere  Diät  ver- 
ordnet werden ,  sondern  man  befördert  geradezu  den  Ausgang  der  Eite- 
rung durch  die  Anwendung  von  Kataplasmen  ;   nur  bei  hoch  gesteigerten 


BRUSTDRUESENENTZUENDUNG.  1 79 

Entzündungen  können  bei  kräftigen  Personen  einige  Blutegel  angelegt 
werden.  —  Kommt  es  zur  Eiterung,  so  bilden  sich  in  der  Regel  mehrere 
Abscesse ,  deren  Zahl  von  den  von  der  Entzündung  ergriffenen  Drüsen- 
läppehen  abhängt.  Diese  Abscesse  erscheinen  meistens  hinter  der  Warze 
oder  in  ihrer  Umgebung ;  hat  die  Entzündung  ihren  Siz  nur  im  Drüsen- 
gewebe ,  so  braucht  der  Abscess  10  —  1 4  Tage  zu  seiner  vollständigen 
Entwicklung ,  hat  jene  aber  auch  das  umgebende  Bindegewebe  ergriffen, 
so  ist  der  Verlauf  stets  viel  schneller.  Sobald  es  zur  Bildung  von  Ab- 
scessen  kommt ,  muss  das  bis  dahin  fortgesezte  Säugen  aufgegeben  wer- 
den. Zur  Beschleunigung  dieses  Ausganges  wendet  man  erweichende, 
schmerzstillende ,  am  besten  mit  einem  Zusaze  von  Hyoscyanius  oder  Co- 
nium  versehene  warme  Breiumschläge  an ,  die  man  die  Nacht  über  durch 
ein  Cicuta-  oder  Mercurialpflaster  ersezt.  Wie  bei  allen  Drüsenabscessen, 
so  ist  auch  hier  eine  frühzeitige  Eröffnung  des  Abscesses  nicht  vorteil- 
haft ,  man  muss  diese  aber  auch  nicht  zu  lange  hinausschieben ;  sobald 
man  Schwappung  von  irgend  einigem  Umfange  fühlt,  sie  nicht  gar  zu  tief 
liegt  und  die  Schmerzen  heftig  sind ,  thut  man  gut ,  den  Abscess  durch 
einen  Lancettenstich  zu  öffnen.  Man  erspart  dadurch  der  Kranken  viel 
Schmerzen  und  führt  das  Uebel  oft  wochenlang  eher ,  als  es  sonst  ge- 
schehen wäre  ,  der  Heilung  zu.  Nach  der  Eröffnung  des  Abscesses  fährt 
man  mit  den  feuchtwarmen  Umschlägen  fort,  die  man  aber  bald  kräftiger 
und  reizender  machen  darf,  da  der  nun  eintretende  chronische  und  tor- 
pide Entzündungszustand  einer  Bethätigung  bedarf.  Am  besten  eignen 
sich  Zusäze  von  bittern  gewürzhaften  Kräutern:  Raute,  Absynthium,  Me- 
lisse etc.  Die  Abscessöffnung  bedeckt  man  nur  mit  einer  Lage  Charpie. 
Eine  geringe  zurückbleibende  Härte  verschwindet  unter  der  Anwendung 
zertheilender  Pflaster  und  Salben.  Die  Heftigkeit  des  Fiebers  macht  bis- 
weilen eine  innerliche  kühlende  Behandlung  mit  Salpeter,  Emulsionen  etc. 
nöthig.  —  Entzündung  desBindegewebes  hinter  derBrust- 
drüse,  Phlegmone  profunda  mammae.  Sie  kann  einen  drei- 
fachen Ursprung  haben.  Sie  geht  bald  von  der  Brustdrüse  aus,  oder  die 
Entzündung  kommt  vom  Thorax  her,  woselbst  ihr  eine  Vomica,  ein  pleu- 
ritisches  Exsudat ,  Caries  ,  Necrose  der  Rippen  zu  Grunde  liegen  kann, 
oder  sie  kann  endlich  ohne  nachweisbare  Veranlassung  bei  sehr  geschwäch- 
ten Subjecten  entstehen.  —  Symptome.  Sie  sind  :  bedeutende  An- 
schwellung ,  durch  welche  die  an  sich  unveränderte  Brustdrüse  nach  vorn 
geschoben  wird;  die  Haut  ist  gespannt,  glatt,  heiss,  auch  wohl  etwas  ge- 
röthet  und  immer  von  aufgelaufenen  Venen  durchzogen  ;  die  Schmerzen 
sizen  tief ,  sind  drückend  ,  bohrend ,  und  werden  durch  Druck  auf  die 
Mamma  nur  wenig  vermehrt ;  dabei  ein  heftiges  Entzündungsfieber.  Der 
Verlauf  ist  schnell.  In  48  Stunden  kann  die  Brust  schon  das  Dreifache 
ihres  ursprünglichen  Volumens  erreicht  haben.  In  der  Regel  erfolgt  schon 
vor  dem  5.  Tage  der  Uebergang  in  Eiterung,  seltener  in  Gangrän,  noch 
seltener   in  Verhärtung.  —  Behandlung.  —  Diese  muss  streng  anti- 

12* 


180  BRUSTDRUESENEXSTIRPATION. 

phlogistisch  sein :  Application  zahlreicher  Blutegel ,  Einreibungen  von 
Mercurialsalbe ,  daneben  Ableitungen  auf  den  Darmkanal  durch  antiphlo- 
gistische Abführmittel.  Meistens  kommt  es  zur  Bildung  eines  grossen 
Abscesses  hinter  der  Mamma ,  die  gleichsam  auf  einer  mit  Flüssigkeit  ge- 
füllten Blase  zu  sizen  scheint.  Bei  acut  verlaufenden  Fällen  ist  die  Diag- 
nose dieses  Abscesses  mit  keinen  Schwierigkeiten  verbunden,  anders  ist 
es,  wenn  er  sich  als  chronischer  entwickelt  hat ;  hier  kann  nur  die  Berück- 
sichtigung aller  anamnetischer  Momente  einiges  Licht  verbreiten  ;  im  Noth- 
falle  greife  man  zum  Probetroicart.  Besteht  kein  Zweifel  über  das  Vor- 
handensein von  Eiter ,  so  verschafft  man  diesem  möglichst  frühzeitig  Ab- 
fluss ,  indem  man  den  Abscess  an  dem  abhängigsten  oder  am  deutlichsten 
hervorragenden  und  fluctuirenden  Punkte  durch  einen  tiefen  Einschnitt 
öffnet.  Wenn  sich  die  Entzündung  und  Eiterung  auf  die  Brustdrüse  fort- 
gepflanzt hat ,  so  können  die  Krankheitserscheinungen  den  hier  zu  Stande 
gekommenen  Abscessen  zugeschrieben  und  der  grosse  Abscess  hinter  der 
Mamma  kann  übersehen  werden.  Einige  Aufklärung  kann  der  Umstand 
geben  ,  dass  die  Eröffnung  dieser  oberflächlicher  gelegenen  Abscesse  die 
Zufälle  nicht  ganz  mindert.  Nach  dem  Rathe  von  C  1  o  q  u  e  t  soll  man 
durch  einen  dieser  Drüsenabscesse  einen  elastischen  Katheter  bis  in  die 
hinter  der  Drüse  befindliche  Eiterhöhle  einschieben  und  damit  allmälig  die 
Entleerung  des  Eiters  bewirken;  Hey  und  Velpeau  rathen ,  durch  die 
ganze  Dicke  der  Brustdrüse  direct  auf  den  Abscess  einzuschneiden. 

BrUStdrÜSeneXStirpation.  Man  versteht  hierunter  die  Tren- 
nung der  Brustdrüse  vom  Thorax  mittels  des  Messers ,  wobei  ihre  Haut- 
decke erhalten  wird  oder  nicht.  Die  Indicationen  zur  Exstirpation  der 
Brustdrüse  sind  einfache  Verhärtungen  der  ganzen  Drüse  oder  einzelner 
Theile,  welche  andern  Mitteln  widerstehen  und  in  Scirrhus  überzugehen 
drohen,  Hypertrophie,  welche  durch  Grösse  und  Schwere  im  hohen  Grade 
belästigt,  Scirrhus  und  Carcinom.  Je  nach  der  Ausdehnung  dieser  Krank- 
heiten wird  bald  die  partielle ,  bald  die  totale  Exstirpation,  bald  die  gänz- 
liche Abtragung  der  Brust  (Amputatio  s.  Ablatio  mammae)  not- 
wendig. Bei  grossen,  offenen  Krebsen,  besonders  wenn  sie  tief  gehen  und 
die  Rippen  angegriffen  sind ,  operirt  man  nicht.  Die  liegende  Stellung 
bietet  sowohl  für  die  Kranke  als  für  den  Operateur  grössere  Bequemlich- 
keit dar  als  die  sizende,  wie  sie  auch  für  die  Anwendung  des  Chloroforms 
besser  taugt;  der  Operateur  steht  auf  der  Seite  der  zu  operirenden Brust. 
—  Behufs  der  Entfernung  eines  kleineren  Knotens  genügt  ein  Längen- 
schnitt aus  freier  Hand  oder  mittels  einer  Hautfalte ,  worauf  man  die  Ge- 
schwulst mit  einem  Haken  oder  einer  Pincette  fasst  und  ausschält.  Die 
Vereinigung  der  Wunde  geschieht  mit  Heftpflaster.  —  Handelt  es  sich 
von  der  Entfernung  einer  grösseren  Geschwulst  oder  der  ganzen  Brust- 
drüse ,  sq  wird  der  Arm  der  kranken  Seite  emporgehoben  und  fixirt ,  die 
Haut  theils  durch  die  linke  Hand  des  Operateurs ,  theils  durch  einen  Ge- 


BRUSTDRUESENEXSTIRPATION.  181 

hülfen  gespannt,  welcher  leztere  zugleich  mit  der  Compression  der  wahrend 
der  Operation  sprizenden  Gefässe  beauftragt  wird.  Die  zu  entfernende 
Geschwulst  wird  mit  zwei  ovalen  Schnitten  umgangen,  welche  schräg,  etwa 
der  Richtung  des  unteren  Randes  des  grossen  Brustmuskels  entsprechend, 
verlaufen,  so  dass  also  der  Wundwinkel  nach  innen  und  unten,  der  andere 
gegen  die  Achselhöhle  hinsieht ,  von  welchem  lezteren  aus  die  Wunde 
durch  einen  einfachen  Schnitt  leicht  zu  erweitern  ist ,  um  kranke  Achsel- 
drüsen zu  entfernen.  Die  Grösse  des  Ovals,  welches  von  den  beiden  ellip- 
tischen Schnitten  eingeschlossen  wird,  ist  einerseits  von  der  Ausdehnung 
der  Erkrankung ,  besonders  der  Verwachsung  mit  der  Haut ,  andererseits 
von  der  Grösse  der  Geschwulst  abhängig.  Bei  grossen  Geschwülsten  muss 
genug  Haut  fortgenommen  werden,  um  eine  genaue  Vereinigung  bewirken 
zu  können.  Von  den  beiden  Schnitten,  welche  dreist  bis  durch  den  Pa- 
niculus  adiposus  mit  einem  Zuge  geführt  werden  können ,  wird  der 
untere  zuerst  gemacht ,  da  man  durch  das  ausströmende  Blut  gestört  wer- 
den würde ,  wenn  man  ihn  erst  nach  dem  obern  machen  würde.  Wurden 
die  Schnitte  an  der  Grenze  der  Brustdrüse  geführt ,  so  zieht  man  diese 
mit  einer  Hakenzange  hervor  und  löst  sie  in  grossen  Zügen  vom  P  e  c  t  o  - 
ralis  major  ab.  Sind  aber  die  beiden  Incisionen  näher  aneinander  ge- 
rückt worden ,  könnte  also  mehr  Haut  erhalten  werden ,  so  muss  diese, 
indem  man  sie  mit  dem  Finger  oder  einer  Pincette  aufhebt ,  von  der 
Mamma  rings  herum  frei  gemacht  werden,  worauf  dann  erst  die  Ablösung 
der  lezteren  in  der  eben  angegebenen  Weise  geschieht.  Bei  dieser  Ab- 
lösung kommt  alles  darauf  an ,  dass  alles  Krankhafte  aufs  Sorgfältigste 
entfernt  wird.  Man  fühlt  mit  dem  Finger  nach  und  schneidet  nachträg- 
lich noch  alles,  was  krankhaft  erscheint  und  sich  durch  grössere  Härte  zu 
erkennen  gibt,  aus  ;  man  darf  sich  dabei  nicht  scheuen,  kleinere  und  grös- 
sere Stücke  des  Pectoralis  major  fortzunehmen.  Nach  Beendigung 
der  Operation  werden  alle  vorher  comprimirten  oder  noch  blutenden  Ge- 
fässe sorgfältig  unterbunden.  Sind  die  Ach  s  el  drüse  n  geseh  wollen, 
so  müssen  sie  jezt  gleichfalls  entfernt  werden.  Man  verlängert  zu  diesem 
Behufe  den  obern  Winkel  des  elliptischen  Schnittes  nach  oben  und  aus- 
sen bis  in  die  Achselhöhle  ;  bei  zu  beträchtlicher  Entfernung  der  Wunde 
von  der  Achsel ,  oder  wenn  die  Achseldrüsen  für  sich  allein  exstirpirt 
werden  sollen,  macht  man  in  der  Richtung  des  Randes  des  Pectoralis 
major  einen  besondern  Schnitt,  wobei  der  Arm  noch  stärker  als  vorher 
erhoben  werden  muss.  Man  schneidet  zunächst  gerade  auf  die  zu  entfer- 
nenden Geschwülste  ein ,  spaltet  die  sie  bedeckende  Fascie  in  grosser 
Ausdehnung,  löst  die  Verbindungen  zwischen  ihnen  und  dem  Thorax  zuerst 
und  schält  sie,  während  sie  mit  einem  Haken  vorgezogen  werden,  allmälig 
weiter  aus  dem  sie  umgebenden  Bindegewebe  heraus.  Alle  sprizenden 
Gefässe  werden  sogleich  hervorgezogen  und  unterbunden.  Erkennt  man 
eine  Arterie  vor  ihrer  Durchschneidung,  so  umsticht  oder  unterbindet  man 
sie  vorher.    Kommt  man  in  die  Nähe  der  Achselgef  ässe,  so  muss  die  Ver- 


182  BRUSTDRUESENFI§TEL. 

lezung  der  Vene  ebensosehr  wie  die  der  Art.  axillaris  vermieden  werden. 
Am  besten  thut  man ,  wenn  man  so  weit  vorgedrungen  ist ,  die  zu  den 
angeschwollenen  Drüsen  tretenden  Gefässe  im  Ganzen  zu  unterbinden 
und  die  Drüsen  selbst  von  der  Ligatur  abzuschneiden.  Zur  Losschälung 
der  Drüsen  bedient  man  sich  am  besten  stumpfer  Instrumente,  selbst  der 
Fingernägel.  Wenn  die  Hautränder  der  Brustwunde  sich  ohne  Zerrung 
aneinander  legen  lassen,  so  muss  man  stets  die  Vereinigung  durch  Prima 
intentio  versuchen,  was  man  mit  Nähten ,  Heftpflaster  oder  mit  dem 
Wundzängelchen  ins  Werk  sezt.  War  der  Hautverlust  zu  bedeutend ,  um 
die  Hautränder  ohne  Zwang  zu  vereinigen  ,  oder  wurde  die  Brust  ampu- 
tirt ,  so  lässt  man  die  Wundränder  einander  so  viel  als  möglich  nähern, 
bedeckt  den  dazwischen  liegenden  Theil  der  Wunde  mit  einer  dünnen 
Lage  Charpie ,  legt  darüber  hinreichend  lange  und  breite  Heftpflaster- 
streifen, bedeckt  die  Gegend  der  Wunde  mit  Charpie  und  Compresse  und 
hält  das  Ganze  mit  einer  Brustbinde  fest.  Die  Unregelmässigkeit  der 
Wunde  in  der  Achselhöhle  gestattet  nur  selten  die  erste  Vereinigung. 
Man  füllt  die  Achselhöhle ,  aber  nicht  die  Wunde  ,  mit  loser  Charpie  aus 
und  legt  den  Arm  hier,  wie  auch  bei  der  einfachen  Exstirpation  mit  einer 
Mitella  dicht  an  den  Leib.  Die  spätere  Behandlung  ist  die  der  eiternden 
Wunden.  Eitersenkungen,  die  sich  nicht  selten  nach  der  Exstirpation  der 
Achseldrüsen  gegen  den  Arm  bilden  und  sich  durch  eine  auf  den  Ober- 
arm übergreifende  Phlegmone  kund  geben ,  erfordern  eine  oder  mehrere 
Incisionen. 


BrUStdrÜSenfistel,  Milchfistel,  Fistula  mammae, 
nennt  man  mehr  oder  weniger  tief  in  die  Mamma  eindringende  Fistel- 
gänge, durch  welche  Eiter  und  Milch  oder  auch  Milch  allein  entleert  wird. 
Mit  Eiter  fliesst  die  Milch  aus  ,  wenn  durch  die  Eiterung  Milchgänge  ge- 
öffnet oder  Drüsenläppchen  zerstört  worden  sind  ;  nur  Milch  ergiesst  sich 
(Milchfistel  im  engeren  Sinne),  wenn  nach  dem  Erlöschen  des  Eiterungs- 
processes  die  Auskleidung  eines  Milchganges  mit  der  äussern  Haut  an 
der  Stelle  der  ehemaligen  Abscessöffnung  verwächst ,  oder  ein  enger ,  mit 
schleimhautähnlichem  Gewebe  überzogener  Gang  permanent  bleibt ;  selten 
mögen  solche  Fisteln  in  Folge  von  Verwundung  der  mit  Milch  gefüllten 
Drüse  oder  durch  Plazen  eines  strozenden  Milchganges  entstehen.  —  B  e- 
handlung.  Die  Heilung  der  ersten  Art  von  Milchfisteln  bietet  keine 
Schwierigkeit  dar ;  Unterstüzung  der  Mamma ,  die  Anwendung  von  Kata- 
plasmen,  Gegenöffnungen  bringen  sie  in  kurzer  Zeit  zum  Schluss.  Schwe- 
rer hält  die  Heilung  bei  den  eigentlichen  Milchfisteln ,  doch  wird  diese 
durch  die  Aufhebung  der  Function  der  Brustdrüse  sehr  unterstüzt ,  ja  sie 
können  in  diesem  Fall  von  selbst  oder  unter  Anwendung  einer  leichten 
Compression  und  Betupfen  mit  Höllenstein  heilen.  In  hartnäckigen  Fäl- 
len,    namentlich   wenn   ein   langer   enger  Fistelgang  besteht,   muss  man 


BRUSTDRUESENGESCHWUELSTE.  183 

diesen  spalten,  oder  mit  einem  dünnen  Stückchen  Höllenstein  oder  einem 
glühenden  Drahte  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  berühren. 

BrUStdrÜSengeSChwiÜSte.  Die  Brustdrüse  kann  nicht  allein 
der  Siz  der  verschiedenartigsten  Geschwülste  sein,  sondern  diese  kommen 
auch  sehr  häufig  in  ihr  vor.  Der  Grund  dieser  Häufigkeit  ist  ohne  Zwei- 
fel in  der  unregelmässigen ,  oft  unterbrochenen  oder  gar  nicht  zur  Ent- 
wicklung gekommenen  Function  der  Mamma ,  zum  Theil  wohl  auch  in 
ihrer  exponirten  Lage  zu  suchen.  Die  hauptsächlichsten  Geschwülste  der 
Brustdrüse  sind  :  l)  Hypertrophie  der  Brüste.  Diese  kann  eine 
partielle  oder  totale  sein  ,  und  bald  mehr  das  umhüllende  Bindegewebe, 
oder  die  Drüsensubstanz  oder  beide  Gewebe  zugleich  betreffen  und  da- 
durch verschiedene  Vergrösserungszustände  der  Brüste  zur  Folge  haben. 
Die  Hypertrophie  des  Bindegewebes  der  Brustdrüse,  wel- 
che die  sogenannten  chronischen  Geschwülste  der  Mamma  bildet ,  wird 
häufig  mit  dem  Scirrhus  verwechselt ,  indem  sie  auch  harte  Knoten  dar- 
stellt ;  indessen  zeigen  diese  nicht  ganz  die  Härte  des  Scirrhus ,  die  Haut 
über  ihnen  ist  beweglich ,  sie  sind  deutlich  gelappt ,  lassen  sich  von  der 
Brustdrüse  ein  wenig  erheben  und  sind  ganz  schmerzlos.  Diese  partielle 
Hypertrophie  kommt  vorzugsweise  bei  jungen  Frauen  vor  und  bleibt  nicht 
selten  nach  einer  Entzündung  der  Mamma  zurück  oder  bildet  sich  auf 
Grund  einer  schleichenden  Exsudation.  Unter  gehöriger  Regelung  der 
Diät  und  der  Menstrualfunctionen  und  der  Anwendung  von  Blutegeln, 
zertheilenden  Salben ,  der  Compression  werden  diese  Geschwülste  nicht 
selten ,  wenn  gleich  oft  erst  nach  längerer  Anwendung  zur  Heilung  ge- 
bracht. —  Die  Hypertrophie  des  Drüsengewebes  betrifft  ent- 
weder die  ganze  Drüse ,  und  diese  kann  eine  Grösse  erreichen ,  dass  sie 
bis  auf  den  Bauch  oder  noch  tiefer  herabhängt ,  oder  sie  macht  sich  nur 
an  einzelnen  Lappen  oder  Läppchen  der  Drüse  geltend,  in  welchem  Falle 
sie  verschiedene  Metamorphosen  durchlaufen  kann.  Leztere  Form  von 
Hypertrophie  erscheint  bald  als  eine  einfache  Vermehrung  der  Drüsen- 
substanz und  des  interstitiellen  Bindegewebes,  bald  macht  sich  eine  cysten- 
artige  Formation  bemerklich,  indem  eine  Erweiterung  der  Drüsenbläschen 
und  Milchkanäle  stattfindet,  wobei  eine  schleimige  oder  colloidartige  Masse 
mit  Epithelialzellen  ,  Cholestearinplättchen  etc. ,  oder  polypenähnlichen 
Wucherungen  in  ihrem  Innern  enthalten  sind.  Nach  dieser  verschiedenen 
Bildung  können  diese  Geschwülste  eine  sehr  verschiedene  Grösse ,  Form 
und  Consistenz  darbieten  ;  die  Grösse  kann  wechseln  von  der  einer  Hasel- 
nuss  bis  zu  der  eines  Menschenkopfes  ;  die  Form  eine  einfache,  mehr  oder 
weniger  rundliche,  glatte  oder  höckerige,  die  Consistenz  eine  feste,  selbst 
harte  ,  oder  eine  weiche ,  fluctuirende,  ähnlich  einer  Balggeschwulst,  sein. 
Dieses  verschiedene  Verhalten  der  in  Rede  stehenden  Geschwülste  hat 
ihnen  verschiedene  Namen  verschafft:  J.  Müller  nennt  sie  Cystosar- 
coma   mammae,    Chelius   Carcinoma  hydatides,   Birkett 


184  BRUSTDRUESENGESCHWUELSTE. 

varicöse  Erweiterung  der  Milchgänge  etc.  —  Diese  Ge- 
schwülste unterscheiden  sich  vom  Krebse  durch  ihre  gelappte  Gestalt,  die 
geringere  Harte,  ihre  Beweglichkeit,  ihr  Vorkommen  zur  Zeit  der  Puber- 
tätsentwicklung, ihre  glatte  scharfe  Begrenzung,  das  Fehlen  der  der  krebs- 
haften Entartung  eigenthümlichen  Schmerzen,  so  wie  überhaupt  eines  tie- 
feren Leidens.  —  Eine  wesentliche  Disposition  zur  Entstehung  dieser 
immer  gutartigen  hypertrophischen  Zustände  liegt  in  dem  sympathischen 
Verhältnisse  der  Brüste  zum  Uterus,  so  dass  Störungen  in  den  Functionen 
dieses  Organes  häufig  zu  Brustdrüsenhypertrophie  Anlass  geben ,  wohin 
die  Fälle  gehören ,  wo  nach  Unterdrückung  der  Menstruation  oder  nach 
dem  Aufhören  derselben  in  späteren  Jahren  der  hypertrophische  Zustand 
sich  entwickelt.  Zuweilen  geben  Verlezungen,  namentlich  Quetschungen, 
oder  Reizungen  der  Brüste  durch  geschlechtliche  Aufregung  zur  Hyper- 
trophirung  Anlass.  —  Behandlung.  Diese  muss  sich  vor  allem  die 
Entfernung  der  veranlassenden  Ursache  zur  Aufgabe  machen ;  es  muss 
daher  die  unterdrückte  Menstruation  wieder  hergestellt ,  abnorme  Reiz- 
zustände der  Geschlechtsorgane  müssen  beseitigt  werden  etc.  Nächstdem 
zieht  man  bei  entzündlichem  Zustande  Blutentziehungen ,  kalte  Fomen- 
tationen  ,  kühlende  Abführmittel ,  die  methodische  Compression  ,  bei  ab- 
normer Fettbildung  Jod  innerlich  und  äusserlich,  bei  geschlechtlicher  Auf- 
regung Kampher  in  Gebrauch.  Kommt  man  mit  diesen  Mitteln  nicht  zum 
Ziele  ,  so  bleibt  die  Exstirpation  der  erkrankten  Theile ,  bei  sehr  grosser 
Ausdehnung  aber  der  ganzen  Mamma  als  leztes  Mittel  übrig.  Bei  Hyper- 
trophie der  ganzen  Brust  umkreist  man  nach  Dieffenbach  die  Brust- 
drüse mit  einem  am  untern  Rande  geführten  halbkreisförmigen  Schnitte, 
löst  die  Drüse,  schneidet  eine  dicke  Lage  ab  und  lässt  erstere  wieder  an- 
heilen. —  2)  Fettgeschwüls t.e.  Diese  finden  sich  bald  im  ganzen 
Umfange  der  Brustdrüse  und  zwischen  den  einzelnen  Lappen  derselben, 
so  dass  sich  dieser  Zustand  der  Fetthypertrophie  nähert  ,  bald  in  dem 
unter  der  Drüse  befindlichen  Bindegewebe  ,  bald  im  Umfange  der  Brust 
und  erreichen  zuweilen  eine  bedeutende  Grösse.  Die  Exstirpation  ist  hier 
das  einzige  Mittel,  wobei  man  nach  Dieffenbach  bei  unter  der  Drüse 
gelegenen  Lipomen  auf  die  oben  angegebene  Weise  verfährt.  —  3)  F  a- 
sergeschwülste  kommen  äuserst  selten  in  der  Brustdrüse  vor.  — 
4)  Knorpel-  und  Knochengeschwülste  werden  gleichfalls  selten 
beobachtet.  Sie  charakterisiren  sich  durch  eine  grössere  Consistenz  und 
scharfe  Begrenzung  und  ihre  Exstirpation  bietet  deshalb  keine  Schwierig- 
keit dar.  —  5)  Balggeschwülste.  Es  finden  sich  die  verschieden- 
artigsten Formen  dieser  Geschwülste  (s.  Cysten),  welche  oft  eine  sehr 
bedeutende  Grösse  erreichen.  Ihre  Behandlung  geschieht  nach  allgemei- 
nen Regeln  und  ihre  Exstirpation  ist  leicht  auszuführen.  —  6)  Krebs. 
Unter  allen  Geschwülsten  der  Brustdrüse  ist  der  Krebs  am  häufigsten,  wie 
er  auch  in  keinem  Organe  häufiger  als  in  der  Brustdrüse  vorkommt.  Er 
befällt  vorzugsweise  die  weibliche  Brust,   doch  kommt  er  auch  bei  Man- 


BRUSTWARZENDECKEL. 


185 


nern  vor.  Er  tritt  als  harter  und  weicher  Krebs  mit  mannichfaltigen  Zwi- 
schenstufen und  zwar  bald  in  der  Drüse  selbst,  bald  im  Umhüllungsgewebe, 
seltener  an  der  Brustwarze  auf  und  zeigt  alle  charakteristischen  Eigen- 
schaften des  Krebses  im  Allgemeinen  (s.  Krebs).  Der  harte  Krebs  wird 
häufiger  als  der  weiche  beobachtet ;  nicht  selten  combiniren  sich  beide 
Formen  mit  einander  oder  gehen  in  einander  über,  so  dass  .sie  nicht  scharf 
von  einander  getrennt  sind ;  auch  combiniren  sich  mitunter  gutartige  Ge- 
schwülste mit  Krebs.  —  Eines  der  constantesten  Symptome  des  Brust- 
krebses ist  die  Anschwellung  der  Achseldrüsen;  diese  tritt  ge- 
wöhnlich ein,  sobald  der  Erweichungsprocess  in  der  Geschwulst  beginmt; 
demnächst  erfolgt  die  Verwachsung  der  Geschwulst  mit  ihren  Um- 
gebungen und  die  Anwesenheit  lancinirenderSchmerzen  in  der- 
selben. —  Der  Brustkrebs  befällt  häufiger  ältere  als  jüngere  Frauen, 
zeigt  sich  namentlich  in  der  Periode  der  Decrepidität  und  bei  unfrucht- 
baren Frauen.  Nicht  selten  findet  Erblichkeit  statt.  —  Das  einzige 
Hülfsmittel  beim  Brustkrebse  ist  die  Operation ,  nur  muss  sie  nicht  zu 
spät  vorgenommen  werden.  So  lange  die  Krebsgeschwulst  noch  streng 
abgegrenzt ,  auf  dem  Brustmuskel  noch  beweglich  ist  und  die  Achseldrü- 
sen noch  nicht  in  Mitleidenschaft  gezogen  sind  ,  so  dass  die  Möglichkeit 
gegeben  ist ,  dass  alles  Kranke  entfernt  werden  kann ,  so  lange  darf  man 
sich  der  Hoffnung  hingeben,  eine  radicale  Heilung  herbeizuführen.  Man 
sollte  daher  mit  der  Operation  nicht  zögern,  sobald  man  eine  Brustge- 
schwulst  als  krebsartig  erkannt  hat.  Bei  weiter  vorgeschrittenem  Krebse 
muss  man  sich  fast  immer  auf  Recidive  gefasst  machen.  Gleichwohl 
können  unter  solchen  Umständen  heftige  Schmerzen,  Blutungen  aus  einem 
aufgebrochenen  Carcinom  ,  schwammige  Wucherungen  desselben  etc.  die 
Operation  noch  erheischen  ;  es  gelingt  dadurch  nicht  selten ,  solche  Pa- 
tienten noch  eine  Reihe  von  Jahren  bei  einem  erträglichen  Wohlbefinden 
zu  erhalten.  Nehmen  während  der  Wundheilung  einzelne  Wundstellen 
ein  verdächtiges  Aussehen  an ,  so  wendet  man  die  beim  Krebs  angegebe- 
nen Aezmittel  an.  Erkranken  die  Narben  ,  so  schneidet  man  sie  alsbald 
aus.  —  Ist  wegen  zu  grosser  Ausbreitung  des  Brustkrebses  oder  tiefer 
körperlicher  Zerrüttung  keine  Operation  mehr  möglich ,  so  kann  es  sich 
nur  davon  handeln  ,  die  oft  unerträglichen  Schmerzen  durch  eine  grosse 
Reinlichkeit  und  geeignete  Mittel  zu  mildern;  unter  lezteren  sind  na- 
mentlich Kataplasmen ,  denen  man  narkotische  Substanzen  beisezt ,  zu 
nennen  ;  folgender  Umschlag  von  Halle  wird  besonders  gerühmt :  man 
kocht  Leinsamenmehl ,  Karottenbrei  und  Karottensaft ,  sezt  nach  dem 
Kochen  ^ß  Schweinefett  hinzu  und  streut  auf  jeden  warmen  Umschlag 
^j  Pulv.  herb,  cicutae.  Dieser  Umschlag  wird  alle  6  Stunden  er- 
neuert. 

BrUStwarzendeckel,    Brusthütchen,   sind  Fingerhutähn- 
liche Instrumente ,    welche   zum   Schuze  entzündeter  oder  wunder  Brust- 


186  BRUSTWARZE. 

warzen  benuzt  werden  und  aus  Holz,  Hörn,  Elfenbein,  Glas,  Blei,  Blech, 
Silber ,  Kautschuk  und  Gutta  percha  gefertigt  werden.  Die  besten  sind 
die  aus  decalcinirtem  Elfenbein  und  aus  Gutta  percha. 

Brustwarze,  Krankheiten  derselben.  Die  Brustwarze 
mit  dem  Warzenhofe  ist  nicht  selten  der  Siz  von  Entzündungen,  von  Ex- 
coriationen und  Schrunden,  so  wie,  jedoch  höchst  selten,  eines  Epithelial- 
krebses. 

Die  Entzündung  der  Warze  und  des  Warzenhofes  kommt  nur 
bei  säugenden  Frauen  vor  und  ist  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  die  Folge 
von  Excoriationen ,  die  sich  gern  beim  Säugungsgeschäft  entwickeln. 
Häufig  geht  diese  Entzündung  in  die  der  Brustdrüse  über.  Die  Behand- 
lung besteht  in  der  der  genannten  Excoriationen.  Kommt  man  zeitig 
dazu,  so  wendet  man  einige  Blutegel  an,  welche  jedoch  nicht  auf  den  ent- 
zündeten Warzenhof  selbst,  sondern  in  dessen  Nähe  zu  sezen  sind.  Tritt 
Eiterung  ein,  so  bilden  die  Abscesse  deutliche  Hervorragungen,  welche 
in  der  Regel  die  Grösse  einer  Nuss  nicht  überschreiten,  die  Haut  darüber 
ist  glatt ,  ein  wenig  gespannt ,  bläulich  gefärbt.  Comprimirt  man  die 
Mamma ,  so  tritt  eine  solche  Hervorragung  noch  stärker  hervor  und  der 
Finger  entdeckt  Fluctuation.  Diese  Abscesse  können  in  der  Drüse  sizen, 
aber  auch  von  einer  Phlegmone  circumscripta  zwischen  den  gegen 
die  Warze  convergirenden  grösseren  Milchgängen  herrühren.  Im  lezteren 
Fall  wird  der  Schmerz  durch  das  Säugen  des  Kindes  nicht  gesteigert, 
auch  kann  das  Säugen  fortgesezt  werden ,  da  sich  der  Eiter  der  Milch 
nicht  beimischt.  Die  Entwicklung  dieser  Abscesse  geht  in  der  Regel  so 
schnell  von  statten ,  dass  sie  kaum  bemerkt  wird.  Man  begünstigt  ihre 
Zeitigung  durch  die  Anwendung  erweichender  Kataplasmen  und  öffnet 
sie ,  sobald  Fluctuation  wahrgenommen  wird.  Der  Natur  überlassen, 
unterminirt  der  Eiter  die  Haut  in  grösserem  Umkreise  ,  wodurch  die  Hei- 
lung bedeutend  verzögert  wird. 

Das  W  u  n  d  s  e  i  n  der  Brustwarze  besteht  entweder  in  einfachen  Ex- 
coriationen oder  in  mehr  oder  minder  tiefen  Rissen  oder  Schrunden, 
welche  sich  meist  in  der  ersten  Zeit  des  Säugens  bei  jungen  Frauen  mit 
zarter  Haut  und  hellem  Teint  entwickeln.  Der  Grund  ihrer  Entstehung 
liegt  in  dem  wiederholten  Anlegen  der  Kinder,  in  mangelhafter  Reinlich- 
keit, und  eine  zu  geringe  Warze  begünstigt  ihr  Auftreten.  Der  Siz  die- 
ser Schrunden  ist  vorzugsweise  die  Grenze  zwischen  der  Warze  und  dem 
Warzenhofe ,  seltener  der  vordere  Theil  der  Warze ,  noch  seltener  der 
Warzenhof  allein.  Sie  gewinnen  sehr  schnell  eine  bedeutende  Tiefe, 
namentlich  wenn  der  Säugling  sehr  gierig  ist :  dann  bluten  sie  auch ,  be- 
sonders während  des  Säugens  sehr  reichlich  ;  sie  verursachen  ausserordent- 
liche Schmerzen  ,  so  dass  die  Frauen  beim  Beginne  des  Säugens  oft  laut 
aufschreien.  Man  sucht  das  Wundwerden  durch  Waschungen  mit  Salz- 
wasser ,  Rothwein  ,  verdünntem  Branntwein ,  Tanninlösungen  und  anderen 


BUBO.  •  187 

Adstringentien  zu  verhüten.  Sind  die  Warzen  aufgesprungen,  so  leisten 
Perubalsam,  Alaun,  eine  Auf  losung  von  Borax  0j  aufAq.  rosarum  5j), 
namentlich  aber  eine  starke  Höllensteinlösung  (gr.  x  auf  ^j  Aq.)  oder  das 
Betupfen  mit  Höllenstein  (2  —  3  Mal  täglich)  gute  Dienste;  auch  das 
Bestreichen  mit  Collodium  ,  das  Aufkleben  eines  Goldschlägerhäutchens 
mittels  Collodium  (nach  Reclam),  so  wie  die  Salbe  von  Huf  el  an  d 
(Rp.  Gummi  arabici  5ij  ,  B  a  ls.  per  u  vi  an.  5j  ,  O  1.  amy  gdal. 
dulc.  5jß,  A  q.  rosar.  ^j  M.)  erweisen  sich  nüzlich. 

Der  Krebs  der  Brustwarze  wird  nach  allgemeinen  Regeln  behan- 
delt. 

Bub 0  (ßovßcov ,  die  Leisten) ,  Panochia,  Leistenbeule, 
Drüsenbeule  in  den  Leisten,  Pauke.  Bubo  bezeichnet  im 
Allgemeinen  eine  jede  entzündliche  Anschwellung  der  lymphatischen  Drü- 
sen, im  Besondern  eine  Drüsenanschwellung  in  der  Leistengegend.  Be- 
züglich der  Symptome,  des  Verlaufes,  der  Ausgänge  und  Behandlung  die- 
ses Uebels  siehe  den  Art.  Lymphdrüsenkrankheiten.  —  Am 
häufigsten  kann  der  Bubo  mit  einem  Leisten  -  oder  Schenkelbruche  ver- 
wechselt werden ,  besonders  wenn  dieser  alt ,  verwachsen  und  irreponibel 
ist.  Die  diagnostischen  Merkmale  sind  :  der  Bruch  entsteht  meist  plöz- 
lich  nach  einer  gewaltsamen  Anstrengung  des  Körpers  ,  vergrössert  sich 
beim  Husten ,  Niesen  ,  Brechen  etc. ,  ist  nicht  selten  mit  Verdauungsbe- 
schwerden,  Kollern  und  ziehenden  Schmerzen  im  Leibe  verbunden  und 
steht  durch  Darm ,  Nez  oder  ein  anderes  Eingeweide  mit  der  Unterleibs- 
höhle in  einer  sichtbaren  Verbindung ;  seine  Geschwulst  ist  gewöhnlich 
glatt,  rund ,  elastisch ,  vermindert  sich ,  wenn  er  nicht  entzündet  und  ver- 
wachsen ist ,  durch  horizontale  Lage.  Ein  Bubo  entsteht  dagegen  ge- 
wöhnlich langsam,  wächst  nur  allmälig,  ist  hart,  uneben ,  lässt  sich  etwas 
verschieben  und  steht  mit  den  nahegelegenen  Lymphgefässen  in  einer 
sichtbaren  Verbindung.  Beim  Leistenhoden  findet  man  den  entsprechen- 
den Hodensack  leer.  —  In  Betreff  ursächlicher  Verhältnisse  unterscheidet 
man  den  Bubo  insons  s.  benignus  von  dem  Bubo  venereu  s. 
Dieser  ist  ein  Symptom  der  Syphilis  (s.  diesen  Artikel)  ,  jener  tritt  als 
Symptom  verschiedener  anderer  Krankheiten,  welche  nicht  allein  seine 
Entstehung  bedingen ,  sondern  auch  seinem  ferneren  Verlauf  eine  be- 
stimmte Richtung  geben,  auf.  Man  nimmt  folgende  Formen  an:  1) 
Bubo  crescentium,  Wachsbeule,  eine  wenig  schmerzhafte  be- 
wegliche Leistendrüsenanschwellung  zur  Zeit  der  Pubertät  bei  schnell- 
wachsenden jungen  Leuten ;  verschwindet  bei  ruhigem  Verhalten  von 
selbst.  2)  Bubo  scrophulosus,  Symptom  der  Scrophelkrankheit, 
wonach  sich  die  Behandlung  richtet.  3)  Bubo  catarrhalis  et 
rheumaticus  entsteht  gewöhnlich  nach  Erkältung  der  Füsse ,  verläuft 
als  ein  entzündliches  Leiden,  seltener  als  ein  chronisches,  zur  Drüsenver- 
härtung dann  hinneigend.      Antiphlogistische  Diät,  ruhiges ,  warmes  Ver- 


188  •  CARBUNKEL. 

halten  reicht  oft  zur  Heilung  dieses  Uebels  hin ;  zuweilen  fordert  es  auch 
eine  allgemeine  und  örtliche  antiphlogistische  Behandlung.  4)  B  u  b  o 
metastaticus  et  criticus  kommt  als  solcher  oft  nach  exan thema- 
tischen Fiebern,  z.  B.  Pocken,  Scharlach  vor,  und  ist  dann  häufig  kritisch, 
aber  auch  nach  nervösen ,  typhösen ,  z.  B.  der  Pest.  Man  muss  in  der 
Regel  diesen  Bubo  frühzeitig  in  Eiterung  zu  sezen  suchen  und  bald  öff- 
nen. 5)  Bubo  sympathicus;  durch  Fortpflanzung  einer  krankhaften 
Reizbarkeit  der  Lymphgefässe  erscheint  diese  Anschwellung  in  den  Leisten- 
drüsen sehr  häufig  beim  Tripper ,  bei  Geschwüren  an  den  Unterschenkeln, 
in  den  Achseldrüsen  nach  Einimpfung  der  Pocken.  Nur  durch  Vernach- 
lässigung ,  Erkältung ,  Anstrengungen  entzünden  sich  die  Drüsen  heftig 
und  erfordern  dann  eine  antiphlogistische  Behandlung ,  durch  Blutegel, 
Mercureinreibungen  ,  Bleiwasserumschläge  etc.  ;  in  der  Regel  erfolgt  die 
Zertheilung  bei  ruhigem  Verhalten.  6)  B  üb  o  gangraen  o  sus  ent- 
steht entweder  in  einem  dyscrasischen  Subjecte ,  nach  Missbrauch  des 
Quecksilbers ,  bei  epidemisch  herrschendem  Hospitalbrande ,  oder  nach 
einer  sehr  heftigen ,  namentlich  erysipelatösen  Entzündung  der  Leisten- 
drüsen, und  nimmt  dann  schnell  einen  grossen  Umfang  ein,  wobei  die  be- 
nachbarten Theile  mit  zerstört  werden.  Die  Behandlung  ist  wie  beim 
Brand;  namentlich  haben  sich  Boraxiösungen  (5j — ij  auf  ^j  Wasser) 
als  Umschlag  sehr  hülfreich  erwiesen ;  vor  Allem  sind  frühzeitige  Ein- 
schnitte angezeigt. 


c. 


CARBUNKEL,  Brand  schwär,  Carbunculus  benig- 
nus, Anthrax.  Dieser  besteht  in  einer  Entzündung  der  in  die  Maschen 
der  Lederhaut  eindringenden  Fortsäze  des  Unterhautbindegewebes  ,  wo- 
wodurch  diese  anschwellen,  bald  aber ,  von  der  widerstehenden  Lederhaut 
eingeschnürt,  absterben.  Er  stellt  sich  anfangs  als  eine  kleine  Geschwulst, 
als  eine  Art  Knoten  in  der  Haut  dar,  die  sehr  hart,  rund,  oft  wenig  er- 
haben ist ,  bald  aber  zu  dem  Umfange  eines  Kronenthalers  bis  zu  dem 
eines  Tellers  anwächst.  Die  Haut  darüber  ist  anfangs  dunkelroth ,  geht 
aber  bald  ins  Blaue  oder  Bräunliche ,  bei  Greisen  selbst  ins  Schwarze 
über ;  die  anfangs  gelinden  Schmerzen  werden  später  unerträglich  bren- 
nend ,  wie  eine  glühende  Kohle ,  woher  der  Name  des  Uebels.  Die  Ge- 
schwulst bleibt  lange  hart ,  ihre  Erweichung  zeigt  an  ,  dass  in  der  Tiefe 
Brand  eingetreten  ist.  Gegen  den  6. — 8.  Tag  erscheinen  auf  den  am 
meisten  gespannten  Punkten  gelbe  Bläschen,  welche  plazen  und  eine  dünne 
Flüssigkeit  ergiessen ;  durch  das  Plazen  dieser  Bläschen  entstehen  nun 
mehrere   Löcher  auf  der  Spize  der  Geschwulst ,  durch  welche  man  Fezen 


CARBUNKEL.  189 

abgestorbenen  Bindegewebes  erblickt.  Aus  diesen  Löchern  ,  welche  all- 
mälig  grösser  und  zahlreicher  werden ,  ergiesst  sich  ein  schlechter  Eiter, 
ohne  dass  die  Geschwulst  im  Geringsten  zusammenfiele  oder  die  Schmer- 
zen nachliessen  ;  die  Haut  kann  aber  auch  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung, 
so  weit  sie  die  Geschwulst  bedeckt,  brandig  werden  ;  tritt  dieser  Fall  ein, 
so  stirbt  auch  das  Unterhautbindegewebe  unter  ekelhaftem  Gestank  ab. 
Mit  diesen  örtlichen  Zufällen  geht  meistens  eine  allgemeine  Reaction 
Hand  in  Hand,  welche  sich  nach  der  Empfindlichkeit  des  Individuums  und 
nach  dem  Size  und  der  Grösse  des  Carbunkels  richtet.  Sizt  er  am  Kopfe 
oder  am  Halse,  so  sind  die  allgemeinen  Zufälle  am  heftigsten ;  am  häufig- 
sten zeigt  er  sich  am  Rücken  in  der  Gegend  der  Schulterblätter.  Bleibt 
der  Carbunkel  sich  selbst  überlassen ,  so  vergrössern  sich  die  Oeffnungen 
immer  mehr,  so  däss  die  abgestorbenen  Gewebetheile  austreten  können, 
die  Eiterung  wird  besser  und  am  Ende  tritt  Heilung  ein.  Zuweilen  geht 
aber  auch  die  Umgebung  des  Carbunkels  in  Verjauchung  über,  es  findet 
Resorption  der  Jauche  statt  und  diese,  so  wie  die  anhaltenden  Schmerzen, 
Appetit-  und  Schlaflosigkeit  führen  den  Tod  unter  colliquativen  oder  ty- 
phösen Erscheinungen  herbei.  —  Der  Carbunkel  zeigt  sich  besonders  im 
Sommer  und  Frühjahr,  meistens  bei  Erwachsenen  und  bei  solchen  Per- 
sonen, die  durch  Alter,  Schwäche  und  Elend  gebeugt  sind.  Reizende 
Salben ,  Unredlichkeit ,  Blasenpflaster  etc.  können  die  Entwicklung  der 
Carbunkel  begünstigen ;  ausserdem  entstehen  diese  zuweilen  im  Gefolge 
von  Ausschlagskrankheiten,  der  Masern,  Blattern,  im  Typhus.  —  Die 
Prognose  ist  günstig  bei  guter  Constitution  ,  bei  Carbunkeln  von  mas- 
sigem Umfange,  welche  nicht  am  Kopfe  oder  Halse  sizen,  denn  bei  diesen 
ist  die  Prognose  immer  zweifelhaft.  —  Behandlung.  Der  Versuch, 
den  beginnenden  Carbunkel  gleich  einer  phlegmonösen  Entzündung  durch 
reichliche  Blutegel,  Schröpfköpfe  im  Umkreise  der  Geschwulst,  kalte  Um- 
schläge zu  zertheilen,  wird  wohl  selten  gelingen.  Bei  dem  ausgebildeten 
Carbunkel  handelt  es  sich  davon ,  eine  gutartige  Entzündung  herbeizu- 
führen, der  Einschnürung  der  Theile  Schranken  zu  sezen  und  der  Jauche 
und  den  abgestorbenen  Geweben  einen  freien  Austritt  zu  verschaffen ; 
dies  geschieht  am  zweckmässigsten  durch  einen  gehörig  tiefen ,  über  die 
Circumferenz  und  den  Boden  der  Geschwulst  hinausreichenden  Kreuz- 
schnitt. In  den  ersten  Tagen  nach  der  Spaltung  macht  man  einfache 
Breiumschläge ,  später  legt  man  in  die  Einschnitte  Charpie ,  welche  mit 
Terpentinöl  befeuchtet  oder  mit  Digestivsalbe  bestrichen  ist,  und  darüber 
einen  Umschlag  von  Leinmehl  oder  ätherischen  Kräutern.  Bei  bedeuten- 
der brandiger  Zerstörung  wendet  man ,  um  den  Abstossungsprocess  des 
Brandigen  zu  befördern  und  die  Weiterverbreitung  des  Brandes  zu  hin- 
dern, Kalkwasser,  Holzessig,  Chlorkalklösung,  Kreosot ,  Cauterisation  mit 
Säuren  oder  dem  Glüheisen  an.  —  Die  allgemeine  Behandlung  ist  nach 
Umständen  leicht  antiphlogistisch  und  antigastrisch ,  die  Kräfte  unter- 
stüzend  während  der  eiterigen  Abstossung  des  Brandigen. 


190  CASTRATION. 

CälieS  s.  Knochenschwärung. 

Gastratl021,  Exstirpation  des  Hodens,  Entmannung. 
Man  versteht  hierunter  diejenige  chirurgische  Operation,  mittels  welcher 
einer  oder  beide  Hoden  aus  dem  organischen  Zusammenhange  getrennt 
werden.  Diese  sehr  schmerzhafte  Operation  ist,  wenn  sie  bei  krebshafter 
Degeneration  gemacht  ist ,  von  sehr  zweifelhaftem  Erfolge  ,  indem  nicht 
selten  Recidive  folgen.  Nur  wenn  das  Uebel  noch  nicht  lange  besteht, 
die  Folge  einer  äussern  Gewaltthätigkeit  ist,  mit  keinem  Allgemeinleiden 
in  Verbindung  steht,  und  alles  Entartete  entfernt  werden  kann,  ist  der 
günstige  Erfolg  wahrscheinlicher.  Geradezu  contraindicirt  ist  die  Ope- 
ration bei  fortbestehendem  Allgemeinleiden ,  von  dem  die  Krankheit  des 
Hodens  abhängt ,  wenn  die  nahe  gelegenen  Drüsen  angeschwollen  sind, 
wenn  bei  gleichzeitigem  Erkranktsein  des  Samenstranges  die  Verhärtung 
desselben  sich  so  hoch  hinauf  erstreckt ,  dass  die  Excision  im  Gesunden 
nicht  möglich  ist.  Man  muss  aber  wohl  prüfen  ,  ob  der  Samenstrang 
selbstständig  oder  sympathisch  erkrankt  ist,  im  lezten  Fall  ist  er  überall 
gleichmässig  dick ,  aufgewulstet ,  nicht  hart ,  wird  gegen  den  Bauchring 
allmälig  dünner,  und  wenn  an  ihm. Ungleichheiten  und  Höcker  sind,  so 
rühren  diese  von  aufgetriebenen  Samenstranggefässen  her  ;  er  ist  frei  von 
den  eigenthümlichen  stechenden  Schmerzen  und  die  Schmerzen  desselben 
werden  durch  Unterstüzung  des  Hodens  gemindert.  Der  so  sympathisch 
erkrankte  Hoden  contraindicirt  die  Operation  nicht.  Bei  sarkomatöser 
Entartung  des  Hodens ,  copiöser  Absezung  plastischer  Lymphe  in  dem 
Gewebe  des  Hodens  und  bei  abnormer  Gefässentwicklung  soll  die  Art. 
spermatica  interna  unterbunden  werden  (s.  den  Art.  Unterbin- 
dung der  Ge fasse);  in  Beziehung  zu  diesem  Verfahren  steht  auch 
die  Durchschneidung  des  Samenstranges  mit  Zurücklassung  des  Hodens, 
welcher  sodann  zusammenschrumpft ;  das  Gleiche  geschieht ,  wenn  das 
Vas  deferens  unterbunden  und  durchschnitten  oder  ein  Stück  von 
ihm  ausgeschnitten  wird.  — -  Die  Exstirpation  des  Hodens  geschieht  fol- 
gendermassen :  Die  Haare  der  betreffenden  Theile  werden  abrasirt ,  der 
Kranke  horizontal  auf  einen  Tisch  gelegt,  eine  Querfalte  über  den  Samen- 
strang in  der  Richtung  desselben  wird  eingeschnitten  und  dieser  Schnitt 
auf  der  Hohlsonde  über  den  Bauchring  und  bis  in  den  Grund  des  Hoden- 
sackes erweitert.  Das  den  Samenstrang  umgebende  Zellgewebe  wird 
durch  einige  an  den  Seiten  desselben  verlaufende  Langenschnitte  ge- 
trennt, der  Samenstrang  in  die  Höhe  gehoben  und  dadurch  das  an  seiner 
untern  Fläche  noch  festsizende  Zellgewebe  gespannt.  Dieses  durchsticht 
der  Operateur  mit  dem  flachgehaltenen  Bistouri ,  bringt  den  Zeigefinger 
der  linken  Hand  in  diese  Oeffnung  und  trennt  den  Samenstrang  bis  zum 
Bauchringe  von  dem  Zellgewebe  los.  Indem  man  nun  den  Hoden  in  die 
Höhe  hebt,  um  die  Spannung  des  Samenstranges  zu  vermindern,  fasst  ein 
Gehülfe  den  Samenstrang  oberhalb  der  Stelle,  wo  er  abgeschnitten  werden 


CATHETER.  191 

soll,  der  Operateur  unterhalb  dieser  Stelle  und  schneidet  ihn  quer  auf  2/3 
seiner  Dicke  durch ,  worauf  man  die  Art.  spermatica  und  den  Ast 
der  Art.  epigastrica,  welcher  im  Samenstrange  verläuft,  unterbindet, 
und  nun  die  völlige  Trennung  des  Samenstranges  vollendet.  Der  Hoden 
wird  aus  seinem  Sacke  ausgeschält ,  wobei  man  die  Verlezung  der  Harn- 
röhre und  der  Scheidewand  des  Scrotums  zu  vermeiden  hat.  Alle  bluten- 
den Gefässe  unterbindet  man  sogleich.  Ist  der  Samenstrang  soweit  gegen 
den  Bauchring  entartet ,  dass  ihn  der  Gehülfe  nicht  mehr  festhalten 
kann  ,  so  lege  man  nach  Isolirung  des  Samenstranges  um  denselben  eine 
Ligatur,  welche  man  auf  einem  Holzplättchen  zusammenbindet,  halte  da- 
mit den  Samenstrang,  bis  die  Arterie  isolirt  unterbunden  ist  und  entferne 
dann  die  erste  Ligatur,  indem  man  sie  auf  dem  Holzplättchen  durchschnei- 
det;  eine  totale  Unterbindung  wird  gleichfalls  vorgenommen,  wenn  man 
beim  Einschneiden  des  Samenstrangs  viele  kleine  Arterienzweige  vorfindet, 
die  man  nicht  alle  einzeln  unterbinden  kann.  Nur  schnüre  man  hierbei 
die  Ligatur  möglichst  fest  zusammen ,  weil  dadurch  allein  den  heftigen 
Zufällen,  welche  die  Unterbindung  der  Nerven  bedingt ,  vorgebeugt  wer- 
den kann.  Erstreckt  sich  die  Entartung  des  Samenstranges  so  hoch,  dass 
er  diesseits  des  Bauchringes  nicht  im  Gesunden  abgeschnitten  werden 
kann ,  so  werde  der  Leistenkanal  eingeschnitten  und  der  gesunde  Theil 
des  Samenstranges  getrennt.  Nach  verrichteter  Exstirpation  reinigt 
man  die  Wunde  ,  legt  das  Ende  des  Samenstranges  der  Länge  nach  in 
dieselbe  und  befestigt  die  Ligaturen  mit  einem  Heftpflasterstreifen.  Die 
Wunde  wird  mit  3 — 4  blutigen  Heften  und  Heftpflasterstreifen  vereinigt, 
mit  zarter  Charpie  und  Compresse  bedeckt  und  mit  einer  T  Binde  fest- 
gehalten. Entdeckt  man  nach  dem  Verbände  blutende  Gefässe,  so  müs- 
sen sie  unterbunden  werden.  Stellt  sich  Trismus  und  Tetanus  ein  ,  so 
muss  man  die  Ligatur  losschneiden.  —  Eine  weitere  Operationsmethode 
ist ,  den  Hoden  sammt  seiner  Hodensackhälfte  mit  einem  Schnitt  wegzu- 
nehmen. —  Auch  mit  der  galvanocaustischen  Schneideschlinge  (s.  E  1  e  c- 
trotherapie)  ist  der  Hoden  weggenommen  worden. 

CataplaSHia,  s.  Breiumschlag. 

Catlieter  (von  xa&tqfiiSj  hinablassen).  Vor  Alters  bezeichnete 
man  damit  jedes  Instrument,  welches  bestimmt  war,  in  irgend  einen  zu- 
fälligen oder  natürlichen  Kanal  eingeführt  zu  werden.  Gegenwärtig  ver- 
steht man  nur  Instrumente  darunter ,  welche  in  verschiedener  Absicht  in 
die  Tuba  Eustachii  und  durch  die  Harnröhre  in  die  Blase  eingeführt 
werden.  Sie  stellen  cylinderförmige,  verschiedentlich  dicke,  gerade  oder 
gekrümmte  Röhren  dar ,  welche  entweder  unbiegsam  oder  elastisch ,  und 
im  ersten  Falle  am  besten  von  Silber,  im  zweiten  aus  Kautschuk  oder 
Gutta  percha  bereitet  sind.  —  Der  Catheter  der  Eustachischen 
Trompete  ist  eine  Röhre  von  6  Zoll  Länge,  von  der  Dicke  einer  Raben- 
feder bis  zu  der  einer  Gänsefeder ,   von   durchgängig   gleichem  Kaliber; 


192 


CATHETER. 


hinten  ist  die  Röhre  trichterförmig  ausgeweitet ,  um  das  Rohr  einer  In- 
jectionssprize  aufzunehmen ,  und  mit  einem  oder  zwei  Ringen  versehen, 
um  die  Richtung  der  gebogenen  Spize  wahrzunehmen.  Er  ist  verschieden 
gekrümmt :  an  dem  vordem  abgerundeten  Ende  ist  1 1  a  r  d '  s  Catheter  in 
der  Ausdehnung  von  5  Linien  in  einem  Winkel  von  144  °  gebogen, 
Boy  er 's  in  einem  von  13  6°,  Delau's  in  einem  von  100 — 105°. 
Kuh 's  Catheter  ist  6  —  8  Linien  lang  im  Winkel  von  130  — 135°  ge- 
bogen, Gairal's  2  Zoll  im  Winkel  von  145°.  Mo  eil  er' s  Catheter 
sind  von  4  —  5V2  Zoll  lang,  3/i — 1  V4  Linien  dick  und  5  —  7  Linien 
lang  im  Winkel  von  135  —  140°  gebogen.  Saissy's  Catheter  ist 
S  förmig  gekrümmt ,  der  von  W  a  t  h  e  n  wird  nach  vorn  allmälig  dünner 
und  endigt  mit  einem  durchbohrten  Knopfe  ,  C  1  e  1  a  n  d  dagegen  empfahl 
flexible  silberne  Catheter.  D  e  1  e  a  u  bediente  sich  Kautschukröhren  mit 
einem  silbernen  Ansazstücke  und  Kuh  wendet  entweder  ein  feines  Me- 
tallröhrchen ,  über  welches  eine  Gummiröhre  verschiebbar  ist ,  oder  einen 
gewöhnlichen  silbernen  Catheter  als  Conductor  an,  in  welchem  eine  Kaut- 
schukröhre vorgeschoben  werden  kann ,  Wolf  verfährt  umgekehrt  und 
D  e  1  e  a  u  nahm  einen  silbernen  Stift  zum  Leiter.  L  i  n  c  k  e  hat  einen 
halb  silbernen ,  halb  aus  Kautschuk  gefertigten  Catheter ,  der  mit  Hülfe 
eines  eisernen  Conductors  eingeführt  wird.  Der  Schnabel  des  Catheters 
darf  weder  zu  kurz  noch  zu  lang  sein  ;  die  Weite  des  Catheters  braucht 
1 1/.2  Linien  nicht  zu  übersteigen ;  doch  ist  es  gut ,  wenn  man  mehre  Ca- 
theter von  verschiedener  Stärke  und  Biegung  zur  Hand  hat.  Der  feste 
silberne  Catheter  verdient  vor  dem  flexiblen  den  Vorzug.  —  Der  Ca- 
theter der  Harnwege  richtet  sich  in  seiner  Grösse  und  Form 
nach  Geschlecht ,  Alter  und  Grösse  der  Person ,  für  welche  er  bestimmt 
ist.  Für  erwachsene  Personen  weiblichen  Geschlechts  betrage  die  Länge 
6,  für  Mädchen  4 — 5  Zoll;  für  erwachsene  Männer  10  — 11  Zoll,  für 
die  verschiedenen  Alter  der  Kindheit  5  —  7  Zoll.  Die  Dicke  ist  eben- 
falls verschieden;  für  Weiber  2  Linien,  für  Mädchen  l1/^  Linien,  für 
Männer  2^/3,  für  jüngere  Personen  l1/^  Linien.  Der  gewöhnliche  männ- 
liche Catheter  ist  zu  zwei  Dritttheilen  seiner  Länge  gerade  und  zu  einem 
Dritttheile  gekrümmf.  Diese  Krümmung,  welche  das  vordere  oder  Blasen- 
ende einnimmt ,  entspricht  dem  Abschnitte  eines  Kreises ,  dessen  Durch- 
messer 6  Zoll  beträgt ;  für  Abweichungen  der  Harnröhre ,  wie  sie  häufig 
bei  Greisen  vorkommt ,  bedient  man  sich  (nach  M  e  r  c  i  e  r)  mit  Vortheil 
ein-  und  zweifach  kreisförmig  gebogener  Catheter ,  d.  h.  Catheter ,  von 
denen  der  einfach  gebogene  ganz  gerade  und  nur  5 3/4  Linien  von  seinem 
Blasenende  in  einen  stumpfen  Winkel  von  110°  umgebogen  ist ,  während 
der  zweifach  gebogene  eine  erste  Knickung  wie  der  vorige,  aber  nur  39/10 
von  seinem  Ende ,  dann  aber  noch  eine  zweite ,  etwas  stumpfwinkligere 
von  110°,  lO1/^  Linien  von  der  ersten  Biegung  entfernt,  hat;  eine  andere 
Art  von  männlichem  Catheter  ist  ganz  gerade  ,  oder  nach  B  e  r  t  o  n  an 
seinem  vordem  Ende  sehr  wenig  gebogen.     Die  weiblichen  Catheter  sind 


CATHETEßISMÜS.  193 

gerade  und  nur  vorn  1  —  1V2"  ^ang  schwach  gebogen.  Das  hintere  Ende 
der  metallenen  Catheter  ist  zu  beiden  Seiten  mit  Ringen  versehen ,  an 
dem  vordem  Ende,  welches  in  der  Regel  conisch  abgerundet  ist,  befindet 
sich  an  der  einen  Seite  eine  gehörig  grosse  und  sorgfältig  abgerundete 
Oeffnung.  Die  AVandungen  des  Catheters  dürfen  nicht  zu  dünn ,  seine 
äussere  Oberfläche  muss  gehörig  glatt  und  polirt  und  jeder  Catheter  mit 
einem  in  seine  Höhle  passenden  silbernen  oder  eisernen  Drahte  (D  o  k  e, 
Mandrin)  versehen  sein.  —  Cloquet  hat  einen  doppelläufigen  Ca- 
theter angegeben  ,  welcher  bei  Einsprizungen  in  die  Blase  benuzt  wird. 
Zur  Ueberwindung  von  Hindernissen  in  der  Harnröhre  (Verengerungen) 
bedient  man  sich  silberner  (Boy  er)  oder  zinnerner  (Mayor),  mit  einem 
conischen  oder  spizen  Ende  versehener  Catheter,  dessen  Wandungen  sehr 
dick  und  deren  Spize  solid  ist. 

CatheterismUS,  Catheter  isiren,  bezeichnet  die  kunstge- 
mässe  Einführung  des  Catheters  in  eine  natürliche  Oeffnung  des  Körpers, 
eine  Operation ,  welche  je  nach  der  Stelle  der  Einführung  wesentliche 
Verschiedenheiten  zeigt.  —  Der  Catheterismus  der  Eustachi- 
schen Trompete  wird  vorgenommen  zur  Diagnose  der  Krankheiten 
dieser  Röhre  so  wie  des  mittleren  Ohres,  zur  Ausführung  von  Injectionen 
von  Wasser,  Luft  oder  Dämpfen  in  dasselbe  und  zur  Application  der  che- 
mischen oder  dynamischen  Mittel  zur  Heilung  der  Stricturen  der  Tuba. 
Die  Einführung  des  Catheters  kann  durch  das  Nasenloch  der  entsprechen- 
den Seite,  durch  das  Nasenloch  der  gegenüberliegenden  Seite  und  durch 
den  Mund  geschehen.  Der  Kranke  sizt  dabei  dem  Lichte  gegenüber, 
mit  etwas  zurückgebeugtem  Kopfe,  der  im  Nothfalle  von  einem  Gehülfen 
fixirt  wird.  Bei  der  Einführung  des  Catheters  durch  das 
Nasenloch  der  entsprechenden  Seite  ergreift  der  Operateur 
den  vorher  eingeölten  oder  in  warmes  Wasser  getauchten  Catheter  mit 
seiner  Rechten  an  seinem  hintern  Ende  wie  eine  Schreibfeder  so,  dass  die 
Concavität  des  Instrumentes  abwärts  gekehrt  ist ,  führt  den  Schnabel  in 
das  bestimmte  Nasenloch  ein ,  wobei  er  die  Sonde  schräg  nach  oben 
richtet ,  und  schiebt  diese  parallel  mit  der  Nasenscheidewand  unter  fort- 
währendem Senken  ihrer  Spize  fort ,  bis  dieselbe  den  Boden  der  Nasen- 
hohle  berührt  und  hinter  das  Velum  p a  1  a t i n u m  hinabgleitet ,  was 
man  deutlich  fühlt.  Jezt  liegt  die  Sonde  parallel  mit  dem  Boden  der 
Nasenhöhle  und  wird  ohne  Schwierigkeit  bis  an  die  hintere  Rachenwand 
vorgeschoben ,  wo  man ,  bei  Erwachsenen  etwa  in  der  Entfernung  von 
3  Zoll  von  der  äusseren  Nasenöffnung,  den  Widerstand  dieser  Wand  fühlt. 
Nun  gibt  man  dem  Schnabel  eine  kleine  seitliche  Drehung  nach  aussen, 
legt  die  hintere  Partie  der  Sonde  an  die  Nasenscheidewand  an  und  zieht 
sie  V2  —  3/4  Linie  weit  zurück ,  während  die  Spize  die  seitliche  Rachen- 
wand nicht  verlässt,  worauf  diese  von  der  hintern  Wand  des  Gaumen- 
segels (in  Folge  einer  durch  die  Berührung  mit  der  Sonde  erzeugten 
Bürger,  Chirurgie.  13 


194  CATHETERISMUS. 

Schlingbewegung)  über  den  hintern  rundlichen  Wulst  der  Mündung  der 
Eustachischen  Trompete  weggedrängt  und  während  einer  in  diesem  Augen- 
blicke der  Sonde  mitgetheilten  Drehung  nach  aussen  oft  mit  einer  ziem- 
lichen Gewalt  in  die  Mündung  dieser  Röhre  eingeführt  wird.  Verfehlt 
man  diese ,  so  muss  das  Manöver  wiederholt  werden.  Die  elastischen 
Catheter  werden  auf  die  gleiche  Weise  eingeführt,  und  wenn  sie  in  die 
Tuba  eingedrungen  sind,  zieht  man  den  Leitungsdraht  zurück.  Mehrere, 
wie  Itard,  Gairal,  Lincke  u.  A.  messen  vor  der  Einbringung  der 
Catheter  die  Entfernung  der  Zähne  vom  weichen  Gaumen,  um  danach  die 
Entfernung  der  Tubamündung  von  der  vordem  Nasenöffnung  zu  bestim- 
men. —  Ist  das  Instrument  eingeführt ,  so  hält  man  es  auf  den  Fingern 
der  linken  Hand  zugleich  mit  dem  Nasenflügel  fest  und  legt  den  kleinen 
Finger  auf  die  Stirn  des  Kranken  ;  auf  diese  Weise  folgt  die  Hand  jeder 
Bewegung  des  Kopfes.  Soll  der  Catheter  längere  Zeit  liegen  bleiben, 
so  kann  ihn  der  Kranke  halten  oder  man  hält  ihn  mit  eigends  dazu  er- 
fundenen Vorrichtungen  (Klammern  u.  dgl.)  *  fest.  —  Einführung 
des  Catheters  durch  das  Nasenloch  der  entgegengesez- 
t  e  n  Seite.  Dies  geschieht  nur ,  wenn  Verengerungen  u.  dgl.  des  an- 
dern Nasenloches  die  Einführung  des  Catheters  durch  dieses  nicht  erlau- 
ben. Die  Operation  geschieht  mit  Deleau's  Catheter,  dessen  äusserste 
Spize  3  Linien  lang  etwas  zurückgebogen  ist ,  so  dass  der  dadurch  gebil- 
dete Winkel  gegen  die  convexe  Seite  des  Schnabels  zu  liegt.  Sobald 
der  Catheter  2  Zoll  und  einige  Linien  vorgedrungen  ist ,  gibt  man  ihm 
eine  Richtung  nach  der  zu  untersuchenden  Tuba.  Wenn  er  eine  horizon- 
tale Richtung  angenommen  hat ,  nähert  man  das  Instrument  dem  hintern 
untern  Rande  der  Nasenscheidewand  und  macht  verschiedene  Bewegungen, 
um  in  die  Oeffnung  der  Tuba  einzudringen.  K  u  h  catheterisirt  vorher 
die  Tuba  der  permeablen  Seite ,  unl  die  Entfernung  derselben  von  der 
äussern  Nasenöffnung  kennen  zu  lernen.  —  Einführung  des  Ca- 
theters durch  den  Mund.  Sie  ist  nur,  möglich  bei  Menschen, 
welche  es  in  ihrer  Gewalt  haben ,  das  Gaumensegel  sehr  zusammenzuzie- 
hen ;  bei  ihnen  ist  die  Tubamündung  sichtbar ;  die  genannte  Eigenschaft 
dürfte  indessen  nur  sehr  wenigen  Menschen  zukommen.  —  Das  Eindrin- 
gen des  Catheters  in  die  Tuba  erkennt  man  an  dem  Festhalten  desselben, 
indem  er  weder  vor  -  noch  zurückbewegt  werden  kann  ,  an  dem  Gefühle 
des  Kranken,  der  den  Catheter  im  Ohre  fühlt,  an  der  Möglichkeit,  eine 
durch  den  Catheter  geführte  Sonde  weiter  vorschieben  zu  können,  an  dem 
Gefühle ,  wenn  man  Luft  durch  den  Catheter  bläst ,  dass  dieselbe  in  das 
Ohr  eindringt  und  ein  Geräusch  in  diesem  verursacht. 

Der  Catheterismus  der  Harnwege,  welcher  besonders  zur 
Entfernung  der  in  der  Blase  zurückgehaltenen  Flüssigkeiten ,  aber  auch 
um  Flüssigkeiten  einzusprizen  und  den  innern  Zustand  der  Blase  zu  unter- 
suchen, unternommen  wird,  ist  verschieden,  je  nachdem  man  beim  Manne 
oder  Weibe,  mit  dem  gebogenen  oder  geraden  Catheter  operirt,  —  Wenn 


CATHETERISMUS.  195 

man  beim  Manne  und  mit  g,e  bogenem  Catheter  operirt ,  so  fasst 
man  den  Penis  des  in  der  Nähe  des  Bettrandes  mit  fiectirten  Schenkeln 
liegenden  oder  auch  sizenden  oder  stehenden  Kranken  mit  dem  Daumen 
und  Zeigefinger  der  linken  Hand  hinter  der  Eichel,  ohne  die  Harnröhre 
zu  drücken.  Mit  der  rechten  Hand  fasst  man  den  beölten  Catheter  am 
Griffe  so,  dass  der  Daumen  an  der  der  Convexität  entsprechenden,  Zeige- 
und  Mittelfinger  an  der  andern  Seite  liegen,  lässt  diese  Hand  in  der  Nähe 
des  Nabels,  oder  bei  beleibten  Kranken  seitlich  am  Bauche  ruhen ,  senkt 
die  abwärts  gerichtete  Spize  des  Catheters  in  die  gerade  aufwärts  gerich- 
tete Harnröhrenmündung  und  schiebt  diesen  weiter  gegen  den  Damm 
hin ,  während  man  den  Penis  ihm  entgegen-  und  gleichsam  auf  ihn  her- 
aufzieht ,  so  dass  also  beide  Hände  in  entgegengesezter  Richtung  bewegt 
werden.  Ist  so  die  Spize  des  Instrumentes  bis  unter  den  Schambogen 
(an  den  Bulbus)  gebracht,  so  entfernt  man  den  Griff  so  viel  vom  Bauche, 
dass  der  vordere  Theil  des  Catheters  mit  der  Achse  des  Körpers  einen 
Rechtwinkel  bildet ,  schiebt  den  Catheter ,  indem  man  ihn  leicht  an  den 
Schambogen  heraufhebt  und  nun  den  Penis  nicht  mehr  vorzieht,  noch 
etwas  weiter,  bis  man  unter  dem  Schambogen  durch  ist ,  und  senkt  unter 
beständigem  behutsamen  Weiterschieben  den  Griff  immer  mehr ,  bis  man 
ihn  ganz  nach  den  Schenkeln  herabbringen  kann.  Nimmt  er  diese  Rich- 
tung leicht  an,  hat  sich  vor  ihm  der  Widerstand  vermindert,  ist  er  freier 
beweglich ,  so  kann  man  annehmen ,  dass  er  sich  in  der  Blase  befindet, 
und  man  lässt  den  Urin  ab  ,  nachdem  man  den  im  Catheter  befindlichen 
Draht  herausgezogen  hat.  Man  bringe  die  Spize  des  Catheters  nicht  zu 
tief  in  die  Blase ,  um  diese  nicht  zu  reizen.  —  Wie  man  den  Catheter 
überhaupt  nur  sehr  sanft  einführen  und  fast  nur  durch  seine  eigene 
Schwere  vorwärts  dringen  lassen  muss ,  so  darf  man  ihn  auch  namentlich, 
wenn  die  Einführung  stockt ,  nie  mit  Gewalt  vorwärts  drängen ,  sondern 
man  ziehe  ihn  vielmehr  etwas  zurück  und  ändere  je  nach  Hindernissen 
die  Einführung.  Entfernt  man  den  Griff  zu  früh  vom  Bauche  ,  so  stösst 
die  Spize  gegen  die  Schambeine,  was  an  dem  festen  Widerstände  erkannt 
wird  ;  man  muss  hier  den  Griff  wieder  senken  und  erst  nach  tieferer  Ein- 
senkung  wieder  heben ;  ist  man  ungewiss,  ob  die  Spize  unter  dem  Scham- 
bogen sei ,  so  untersuche  man  dies  mit  dem  an  den  Damm  gebrachten 
Finger.  Senkt  man  den  Catheter ,  ehe  man  den  Griff  hebt ,  zu  tief  ein, 
oder  ist  seine  Spize  nach  einer  Seite  hin  gerichtet ,  so  dehnt  er  die  Harn- 
röhre vor  ihrem  membranösen  Theile  sackartig  aus  ,  und  man  muss  ihn 
etwas  zurückziehen,  genau  in  die  Richtung  der  Achse  des  Körpers  brin- 
gen und  seinen  Griff  mehr  vom  Bauche  aufheben  ;  hilft  dies  aber  nicht, 
so  bringt  man  den  Finger  an  den  Damm  oder  selbst  in  den  Mastdarm, 
um  die  falsche  Richtung  zu  fühlen  und  zu  ändern.  Zieht  man  den  Penis, 
wenn  das  Instrument  an  den  membranösen  Theil  gelangt  ist ,  ferner  an, 
so  wird  dieser  gegen  den  Schambegen  gedrückt  und  der  Eintritt  in  ihn 
verhindert.      In  der  membranösen  Portion   wird   der  Catheter  oft  durch 

13* 


196  CATHETERISMUS. 

eine  Falte  an  der  untern  Wand  aufgehalten,  man  inuss  ihn  etwas  zurück- 
ziehen ,  mehr  vom  Bauche  entfernen ,  auch  stärker  an  den  Schambogen 
heranheben  ;  bisweilen  hilft  es,  wenn  man  einen  etwas  stärker  gekrümmten 
Catheter  nimmt ,  oder  das  Scrotum  nach  vorn  zieht ,  um  die  Harnröhre 
anzuspannen ;  sehr  nüzlich  ist  es  ,  den  Catheter  durch  den  in  den  Mast- 
darm gebrachten  Finger  zu  leiten.  In  schwierigen  Fällen  gelingt  auch 
oft  ein  mit  einem  gelinden  Drucke  verbundenes  Drehen  des  Catheters  um 
seine  Achse.  Der  Eintritt  des  Catheters  in  den  Blasenhals  wird  oft  durch 
eine  Anschwellung  der  Prostata  oder  durch  Krampf  verhindert ;  im  ersten 
Falle  benuzt  man  den  M  e  r  c  i  e  r  '  sehen  Catheter  und  verfährt,  wie  es  bei 
den  Krankheiten  dieser  Drüse  angegeben  ist ,  im  zweiten  hält  man  den 
Catheter  etwas  ruhig ,  reibt  das  Mittelfleisch  und  schiebt  dann  denselben 
in  gehöriger  Richtung  fort.  Nicht  selten  erweist  sich  hier  auch  das  Be- 
streichen der  Catheterspize  mit  einem  narkotischen  Extracte  von  Nuzen. 
Elastische  Catheter,  wenn  sie  von  einem  Hindernisse  aufgehalten  werden, 
dringen  oft  ein ,  wenn  man  den  Draht  ungefähr  1  Zoll  zurückzieht  und 
dann  den  Catheter  vorschiebt.  Hat  man  einen  falschen  Weg  gebahnt, 
was  sich  durch  den  Abfluss  von  Blut  zeigt ,  so  kann  man  versuchen  ,  mit 
einem  möglichst  dicken  Catheter  über  die  verlezte  Stelle  wegzukommen. 
—  Manchmal  fliesst  durch  den  Catheter  kein  Urin ,  obgleich  er  in  die 
Blase  gelangt  ist ,  der  Grund  hiervon  kann  darin  liegen ,  dass  gar  kein 
Urin  in  der  Blase  ist  (bei  Lähmung  dieser)  oder  in  der  Verstopfung  der 
Oeffnung  des  Catheters  durch  einen  Blut-  oder  Schleimpfropf;  man  be- 
seitigt diesen  durch  Einführung  des  Drahtes  oder  durch  Einsprizen  von 
lauem  Wasser,  oder  auch  mittels  einer  in  die  Cathetermündung  eingesez- 
ten  Saugsprize.  Bei  der  paralytischen  Urinverhaltung  muss  man,  um  die 
Blase  ganz  zu  entleeren ,  einen  Druck  auf  die  Unterbauchgegend  aus- 
üben. —  Bei  der  Einführung  des  geraden  Catheters ,  bei  welcher  der 
Kranke  auf  dem  Bettrande  sizt ,  bringt  man  den  Penis  aufwärts  in  einen 
Winkel  von  40°  zur  vordem  Fläche  der  Schambeine  und  schiebt  den 
Catheter  leicht  bis  an  den  Schambogen,  senkt  nun  den  Penis  ,  bis  er  mit 
der  vordem  Fläche  etwas  mehr  als  einen  rechten  Winkel  bildet,  und  führt 
den  Catheter  bis  zur  Prostata,  senkt  den  Penis  noch  mehr,  etwa  um  40°, 
hebt  die  Spize  des  Catheters  und  schiebt  diesen  drehend  in  die  Blase. 
M  o  u  1  i  n  zieht  den  Penis  ,  während  der  Kranke  halb  nach  vorn  gebeugt 
steht  oder  sizt,  anfangs  in  horizontaler  Richtung  stark  nach  vorn ,  bringt 
den  Catheter  rotirend  bis  zum  Schambogen ,  zieht  den  Penis  immer  mehr 
auf  den  Catheter  und  bewegt  ihn  mit  diesem  allmälig  gegen  den  Boden. 
Ist  der  Catheter  in  die  Blase  eingedrungen ,  so  erhebt  man  ihn  allmälig 
wieder.  —  Soll  der  Catheterismus  wiederholt  werden  und  sind  bedeutende 
Schwierigkeiten  damit  verbunden ,  so  lässt  man  den  Catheter  liegen ,  be- 
festigt ihn  aber  sorgfältig ,  damit  er  nicht  zu  tief  eindringen  und  die 
Blase  beschädigen  kann.  Die  Befestigung  geschieht  an  einer  über  den 
Penis  gezogenen,  vorn  offenen  leinenen  Seheide,  welche  an  ihrem  vorderen 


CAUTERISATION.  197 

Rande  zwei  Bänder  hat,  die  man  durch  die  Ringe  des  Catheters  schlingt; 
die  Scheide  selbst  befestigt  man  am  Unterleibe.  Man  verstopft  den  Ca- 
theter  und  öffnet  ihn  alle  3 — 4  Stunden,  um  den  Urin  zu  entleeren;  alle 
6  —  7  Tage  legt  man  einen  frischen  ein ,  damit  er  sich  nicht  zu  sehr  er- 
weicht und  incrustirt.  Erträgt  der  Kranke  das  Liegenbleiben  des  Ca- 
theters nicht ,  so  muss  dieser ,  so  oft  es  nothwendig  ist,  von  Neuem  ein- 
geführt werden.  —  Die  Einführung  des  Catheters  beim  Weibe  ist, 
wenn  man  das  Gesicht  dazu  benuzen  kann,  leicht;  dies  geht  jedoch  in 
der  Regel  nicht  an ,  man  nauss  daher  den  Tastsinn  zur  Auffindung  der 
Harnröhrenmündung  zu  Hülfe  nehmen ,  wozu  Uebung  gehört.  Die  Per- 
son liegt  mit  etwas  von  einander  entfernten  Schenkeln  auf  dem  Rücken  ; 
der  Wundarzt  bringt  die  Spize  des  Zeigefingers  der  einen  Hand  mit  nach 
oben  gerichteter  Volarseite  vom  Damme  aus  an  die  vordere  Wand  des 
Scheideneinganges  ,  geht  dann  langsam  und  sorgfältig  tastend  nach  vorn, 
um  das  Orificium  urethrae  aufzusuchen,  welches  an  dem  dasselbe 
umgebenden  Ring  erkannt  wird ,  worauf  er ,  nachdem  er  es  aufgefunden, 
wieder  etwas  zurückgeht  und  nun  die  Fingerspize  hinter  dem  wulstigen 
Ringe  ruhen  lässt.  Jezt  wird  die  Spize  des  mit  der  Concavität  nach  oben 
gerichteten  in  der  andern  Hand  gehaltenen  Catheters  auf  die  am  wulsti- 
gen Ringe  ruhende  Fingerspize  gebracht ,  mit  dieser  in  die  Urethra  ge- 
leitet und  das  Instrument  dann  gerade  fort  in  die  Blase  geschoben. 

CautGriSatlOD..  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man  die  mehr 
oder  minder  nachdrückliche  Anwendung  der  Aezmittel  oder  des  Feuers 
auf  irgend  eine  Stelle  unseres  Körpers.  Von  der  potentiellen  Cauteri- 
sation  oder  der  Anwendung  der  Aezmittel  war  schon  in  dem  Artikel  Aez- 
mittel die  Rede  ;  hier  wird  nur  von  der  actuellen  Cauterisation 
oder  der  Anwendung  der  Brennmittel  oder  dem  Brennen  gespro- 
chen ^werden.  —  Der  Zweck  des  Brennens  ist  theils  die  örtliche  Tödtung 
selbst,  theils  die  Reaction,  welche  dadurch  in  der  Umgebung  des  Ertödte- 
ten  hervorgerufen  wird.  Die  Wirkung  der  Brennmittel  oder  des  Feuers 
unterscheidet  sich  wesentlich  von  der  der  Aezmittel ;  während  diese  lang- 
sam und  nur  auf  den  Ort  der  Anwendung  wirken,  einen  weichen,  sulzigen, 
langsam  sich  abstossenden  Brandschorf  bilden ,  eine  asthenische  Entzün- 
dung erregen  und  eine  anfangs  destructive  Eiterung  und  entstellende 
Narben  hinterlassen  ,  ist  die  Wirkung  des  Feuers  eine  plözliche  und  er- 
schütternde, weithin  sich  erstreckende,  mit  weit  verbreiteter  Entzündung 
hypersthenischer  Art,  hartem ,  trockenen  ,  unempfindlichen  ,  sich  bald  lö- 
senden Brandschorfe  ,  nachfolgender  gutartiger  Eiterung  und  nicht  ent- 
stellender Narbe.  —  Das  Brennen  geschieht  entweder  dadurch ,  dass 
man  einen  brennbaren  Gegenstand ,  wie  Watte  (Moxa) ,  Schiesspulver, 
Phosphor  etc.  auf  der  Oberfläche  des  Körpers  abbrennt ,  oder  dass  man 
ein  glühendes  Eisen  auf  denselben  einwirken  lässt.  —  Das  glühende 
Eisen  (Ferrum  candens)    wird  in  verschiedenen  Formen  nach  Ver- 


198  CAUTERISATION. 

schiedenheit  des  zu  brennenden  Theiles  und  des  Zweckes  der  Operation 
angewendet ;  am  häufigsten  findet  die  beilförmige  oder  p  r  i  s  m  a  t  i  - . 
sehe  Form  Anwendung,  ausserdem  wird  die  conische  und  knopf- 
förmige  nicht  selten  in  Gebrauch  gezogen.  Die  prismatischen  Eisen 
gebraucht  man  besonders  bei  dem  flüchtigen  Ueberfahren  eines  Theiles, 
die  conischen  ,  wo  man  auf  eine  bestimmte  kleinere  Stelle  einwirken  will, 
z.  B.  bei  Blutungen,  die  knopff  örmigen,  wo  man  nachdrücklich  einwirken 
und  eine  bleibende  Fontanelle  bilden  will.  Zum  Brennen  in  Höhlen  be- 
dient man  sich  entweder  eines  conischen  Eisens  und  einer  Röhre  zum 
Schuze  für  die  nächsten  Theile,  oder  eines  glühenden  Troicarts,  den  man 
durch  seine  Scheide  bis  zur  bestimmten  Stelle  führt.  Zum  Brennen  wird 
das  Eisen  in  einem  Kohlenbecken  weissglühend  gemacht.  Der  Kranke 
wird  so  gelagert ,  dass  der  zu  brennende  Theil  gehörig  fixirt  und  das  In- 
strument frei  aufgesezt  werden  kann.  Bei  der  Schmerzhaftigkeit  der 
Operation  ist  die  Anwendung  des  Chloroforms  sehr  zu  empfehlen.  Das 
Eisen  wird  mit  einer  Hand  fest  gehalten ,  während  die  andere  zur  Fixi- 
rung  oder  zum  Schuze  nebenliegender  Theile  verwendet  wird.  Man 
wirkt  mit  dem  Glüheisen  entweder  durch  unmittelbare  Berührung ,  Cau- 
terisatio  per  contactum  oder  in  der  Entfernung ,  objeetive 
Cauterisation,  C.  indistans.  Im  leztern  Falle  hält  man  es  in 
einer  Entfernung  von  einigen  Zollen  gegen  den  Theil  und  nähert  es  die- 
sem allmälig,  "bis  der  gewünschte  Grad  von  Reizung  eingetreten  ist.  Wird 
das  Gliiheisen  unmittelbar  auf  die  Haut  applicirt ,  so  geschieht  dies  ent- 
weder ,  indem  man  es  unter  stetem  Drucke  strichweise  darüber  hinzieht, 
transcurrente  Cauterisation,  oder  indem  man  es  längere  Zeit  fest 
auf  eine  Stelle  aufsezt  ,  i  n  h  ä  r  i  r  e  n  d  e  Cauterisation.  Zu  dem 
erstem  Zwecke  bedient  man  sich  am  besten  des  prismatischen  Eisens  ; 
man  kann  damit  schnell  die  erforderliche  Anzahl  von  Strichen  machen, 
welche  man  in  einer  Entfernung  von  1J-/2 — 3  Zoll  von  einander  zieht. 
Diese  Application  geschieht  gewöhnlich  in  der  Absicht ,  einen  heftigen 
Reiz  auf  die  äussere  Haut  auszuüben  oder  eine  Ableitung  nach  derselben 
hin  zu  etabliren.  Bei  dem  nachdrücklichen  und  längern  Aufsezen  des 
Glüheisens ,  wozu  man  sich  des  conischen  oder  knopfförmigen  bedient, 
muss  es  leicht  um  seine  Längenachse  gedreht  werden  ,  damit  es  nicht  an- 
klebe ;  man  wendet  es  an,  um  einen  Theil  zu  zerstören,  um  eine  Blutung 
zu  stillen  oder  um  eine  Fontanelle  zu  sezen.  Mit  der  gehörigen  Vorsicht 
kann  man  die  verschiedensten  Körpertheile  brennen ,  doch  meidet  man 
gerne  sehr  nervenreiche  und  von  dünner  Haut  bedeckte  Stellen  mit  unter- 
liegenden Knochen  und  Sehnen.  Benachbarte  edle  und  zarte  Theile 
schüzt  man  durch  nasse  Compressen.  —  Nach  der  Anwendung  des  glü- 
henden Eisens  bedeckt  man  die  Brandstelle  mit  Baumwolle  ,  womit  man 
fortfährt,  wenn  die  Verbrennung  rasch  heilen  soll,  während,  wenn  längere 
Zeit  Eiterung  unterhalten  werden  soll ,  die  Abstossung  des  Brandschorfes 
durch   erweichende   Kataplasmen   oder   Salben  befördert  wird  und  wenn 


CHARPIE.  199 

diese  erfolgt  ist ,  behufs  der  Fontanellbildung  Erbsen  eingelegt  werden. 
Hat  man  wegen  Blutung  cauterisirt ,  so  verhüte  man  sorgfältig  den  zu 
frühen  Abfall  des  Schorfes.  —  Eine  langsame  und  andauernde  Cauteri- 
sation  bewirkt  man  durch  die  Moxa  oder  den  Brenncylinder. 
Man  benüzt  dazu  eine  leicht  entzündliche  Substanz ,  durch  deren  Ver- 
brennung ein  oberflächlicher  Brandschorf  hervorgebracht  wird.  Zu  die- 
sem Zweck  hat  man  bald  ein  Stück  Lunte ,  bald  Werg ,  bald  Sonnen- 
blumenmark ,  bald  Phosphor ,  Kalium ,  Schiesspulver ,  Löschpapier  mit 
Weingeist,  Oblaten  mit  Schwefeläther  getränkt  etc.  in  Gebrauch  gezogen. 
Im  Allgemeinen  versteht  man  aber  unter  Moxa  einen  Cylinder  aus  Baum- 
wolle ,  um  welchen  ein  Stück  Leinwand  durch  eine  Naht  befestigt  ist ; 
seine  Höhe  betragt  ungefähr  1  Zoll,  seine  Dicke  1/2 — 1  Zoll.  Diesen 
Cylinder  zündet  man  an  seinem  einen  Ende  an ,  während  er  mit  dem  an- 
dern Ende  auf  der  betreffenden  Hautstelle  mittels  einer  Kornzange,  eines 
Drahtes  oder  mittels  eines  Moxaträgers  festgehalten  wird.  Das  Abbrenen 
der  Moxa  (M oxibustio)  wird  durch  Blasen  mit  dem  Munde  oder  mit 
Hülfe  einer  Röhre  befördert.  Das  Tränken  der  Baumwolle  mit  einer 
Auflösung  von  Salpeter  macht  das  Blasen  überflüssig.  M  a  y  o  r  applicirt 
statt  der  Moxa  einen  eisernen ,  in  heissem  Wasser  erhizten  Hammer 
(Moxahammer).  —  Die  nächste  Wirkung  der  Moxa  ist  die  der  actuellen 
Cauterien.  Auf  das  Gefühl  der  Wärme  folgt  schnell  ein  lebhafter  stufen- 
weise zunehmender  Schmerz  und  endlich  Zerstörung  der  Cutis ,  worauf 
der  Schmerz  etwas  nachlässt.  Vermöge  dieser  allmäligen  Steigerung  des 
Schmerzes  wird  eine  gradweise  Aufregung  "und  Reizung  herbeigeführt, 
die  sich  nach  und  nach  von  der  Oberfläche  bis  auf  die  tiefgelegenen  Ge- 
bilde erstreckt,  weshalb  die  Moxa,  besonders  bei  Affectionen  tiefer  liegen- 
der Organe ,  bei  welchem  sich  die  Erregung  eines  starken  Gegenreizes 
nöthig  macht,  ihre  Anwendung  findet,  und  hier  selbst  vor  dem  glühenden 
Eisen  den  Vorzug  verdient. 

Cephalaematoma,  s.  Kopfblutgeschwulst  derNeu- 
gebornen. 

Cnarpie,  Linteum  carptum,  ist  in  ihre  Fäden  zerlegte 
Leinwand  ,  zu  welchem  Behufe  diese  in  quadratische  Stücke  von  3  —  4 
Zoll  geschnitten  werden  muss.  Die  zu  Charpie  benuzte  Leinwand  darf 
nicht  neu,  aber  auch  nicht  zu  sehr  abgenuzt,  weder  zu  fein,  noch  zu  grob, 
nicht  gestärkt ,  muss  aber  rein  und  weiss  sein.  Bei  der  Bereitung  der 
Charpie  hält  man  das  Leinwandstückchen  zwischen  den  Fingern  der  lin- 
ken Hand  ausgespannt ,  und  zieht  mit  den  Nägeln  des  Daumens  und 
Zeigefingers  der  rechten  Hand  die  einzelnen  Fasern  aus,  wobei  man  aber 
im  Ausziehen  derselben  mit  den  vier  Seiten  des  Läppchens  wechseln 
muss  ,  weil  sich  dieses  sonst  zusammenranzelt.  Die  auf  diese  Art  ge- 
wonnene Charpie  nennt  man   gezupfte,    Linteum  carptum;    lässt 


200 


CHARP1E. 


man  dabei  die  Faden  ohne  Ordnung  auf  einander  fallen  ,  so  erhält  man 
rohe  Charpie;  legt  man  aber  die  Fäden  in  Ordnung  auf  oder  neben 
einander ,  so  erhält  man  glatte,  geordnete  Charpie.  Aus  der 
rohen  Charpie  lässt  sich  auch  durch  Ausziehen  mit  den  Fingern  oder 
durch  Kämmen  glatte  Charpie  darstellen.  Durch  Schaben  der  Leinwand 
mit  einem  Messer  erhält  man  die  geschabte  Charpie,  Linteum 
ras  um.  Die  sogenannte  englische  Charpie  oder  Charpie- 
w  a  1 1  e  wird  in  Fabriken  bereitet ;  eine  dieser  nachgebildete  Charpie  ist 
die  gekrämpelte  von  Eichheimer;  sie  wird  durch  Behandeln  der 
rohen  Charpie  auf  der  Krazmaschine  hergestellt.  Statt  der  Charpie  hat 
man  sich  auch  der  Baumwolle,  des  Werges,  der  Wolle  etc.  bedient,  doch 
eignen  sich  diese  Substanzen  mehr  zum  Ausfüllen  mit  untergelegter  Char- 
pie. —  Im  Allgemeinen  beniizt  man  die  Charpie ,  um  fremde  Körper, 
Luft  von  einer  kranken  Stelle  abzuhalten,  Arzneistoffe  aufzunehmen,  Un- 
gleichheiten beim  Verbände  auszufüllen ,  Druck  der  Verbandstücke  zu 
verhüten,  Flüssigkeiten  aufzusaugen,  Oeffnungen  zu  erweitern  oder  zu  ver- 
stopfen etc.  Die  rohe  Charpie  benuzt  man  vorzüglich  znm  Ausfüllen  von  Un- 
gleichheiten etc.,  die  geordnete  zum  Verbände  von  Wunden  und  Geschwüren, 
zu  welchem  Behufe  man  sie  in  verschiedene  Formen  bringt.  1)  Das  Char- 
piebäuschchen,  Pulvillus,Plumasseau,  ist  diejenige  Form, 
welche  am  häufigsten  gebraucht  wird  ;  man  macht  sie  bald  rund ,  bald 
oval,  bald  viereckig  und  von  verschiedener  Grösse.  Das  viereckige 
bereitet  man  ,  indem  man  eine  erforderliche  Quantität  Charpie  oben  und 
unten  gerade  abschneidet,  oder  man  biegt  diese  Charpie  in  der  Mitte  um 
und  schneidet  die  ungleichen  Enden  ab.  Ein  halbovales  Bäuschchen 
erhält  man ,  wenn  man  geordnete  Charpie  in  der  Mitte  mit  einem  Faden 
locker  umschlingt,  beide  Hälften  zusammenlegt  und  die  Spizen  abschnei- 
det. Das  ovale  Bäuschchen  bildet  man  ,  indem  man  beide  Enden  von 
der  geordneten  Charpie  halb  um  ihre  Achse  dreht,  oder  besser  mit  einem 
Faden  umschlingt  und  umschlägt.  Das  runde  Charpiebäuschchen  wird 
dargestellt,  indem  man  geordnete  Charpie  in  der  Mitte  mit  einem  Faden 
umschlingt,  die  Charpiefäden  strahlenförmig  ausbreitet  und  die  Spizen 
derselben  rund  herum  abschneidet.  Man  bedeckte  früher  die  Trepan- 
öffnungen  damit.  —  2)  Der  Charpiekuchen  wird  zur  Bedeckung 
grosser  eiternder  Flächen  benüzt.  Man  bereitet  ihn,  indem  man  eine 
grössere  Partie  geordneter  Charpie  mit  der  rechten  Hand  fasst ,  die  läng- 
sten Fäden  zwischen  den  Zeigefinger  der  linken  Hand  und  den  Tisch 
bringt  und  diese  Fäden  durch  Zurückziehen  der  rechten  Hand  auf  dem 
Tische  in  paralleler  Richtung  liegen  lässt ;  man  fährt  damit  so  lange  von 
rechts  nach  links  fort ,  bis  man  die  nÖthige  Breite  hat ;  muss  die  Länge 
des  Kuchens  grösser  sein  als  die  Charpie  lang  ist,  so  fängt  man  mit  einer 
neuen  Lage  an,  die  man,  die  erste  Lage  zu  einem  Dritttheile  bedeckend, 
auf  diese  in  der  angegebenen  Weise  aufträgt.  Den  so  gebildeten  Kuchen 
kehrt  man  um,  und  beschneidet  ihn  oben  und  unten  ;   er  kann  mit  Salbe 


COLLODIUM.  201 

bestrichen  werden.  Statt  dieses  Kuchens  kann  man  sich  auch  mehrerer 
unbeschnittener  kleiner  Plumasseaux  bedienen.  —  3)  Der  Charpie- 
ballen  oder  Knaul,  Ciamus  linteus,  fr.  Tampon,  Pelotte, 
wird  auf  verschiedene  Art  bereitet.  Die  einfachste  ist ,  man  nimmt  eine 
Partie  rohe  Charpie  und  rollt  sie  in  der  Hand  zu  einer  Kugel.  Oder 
man  legt  zwei  Lagen  platt  gedrückter  geordneter  kreuzweise  über  ein- 
einander ,  bringt  auf  die  Kreuzungstelle  eine  Leinwand  -  oder  Charpie- 
kugel ,  führt  über  diese  die  Charpie  herüber  und  bindet  sie  zusammen ; 
über  der  Unterbindungsstelle  schneidet  man  die  Charpie  ab  und  schlägt 
sie  aus  einander.  Oder  man  legt  eine  Charpiekugel  auf  ein  Stück  Lein- 
wand ,  schlägt  diese  über  die  Kugel ,  bindet  sie  darüber  zusammen  und 
schneidet  die  überflüssige  Leinwand  weg.  Man  benüzt  die  Charpieballen 
theils  zur  Ausfüllung  blutender  Höhlen ,  in  welche  man  so  viele  einzelne 
Kugeln  bringt ,  bis  die  Höhle  ausgefüllt  ist ,  theils  um  einen  Druck  auf 
einen  Arterienstamm  auszuüben.  —  5)  Die  Charpiewieken,  Za- 
pfenmeissel,  Turundae,  fr.  Bourdonnets,  sind  bestimmt,  in 
Höhlen,  wie  in  Wunden,  Abscesse  und  Fisteln  eingebracht  zu  werden,  sei 
es,  um  diese  offen  zu  erhalten  oder  um  Blutungen  zu  stillen  (lezteres  na- 
mentlich bei  natürlichen  Höhlen).  Sie  werden  auf  verschiedene  Weise 
bereitet :  man  nimmt  eine  erforderliche  Menge  geordneter  Charpie ,  um- 
bindet diese  in  der  Mitte  mit  einem  Faden,  beugt  sie  an  dieser  Stelle  um 
und  schneidet  die  ungleichen  Spizen  ab  ;  oder  man  schlingt  um  das  obere 
Ende  des  eben  angegebenen  Bourdonnets  einen  Faden  herum,  so  dass  ein 
runder  Kopf  gebildet  wird ,  man  nennt  dies  einen  Docht  (Meche)  ;  lez- 
teres Bourdonnet  kann  man  auch  in  einer  grösseren  Strecke  mit  einem 
Faden  umwinden,  wodurch  es  an  Festigkeit  gewinnt;  oder  mar,  i •  inbindet 
einen  Bündel  umgeschlagener  und  unten  gleichgeschnittener  Charpie  in 
der  Mitte  mit  einem  langen  Faden  ,  den  man,  um  die  Wieke  daran  aus- 
ziehen zu  können ,  aus  der  Wunde  heraushängen  lässt.  Zum  Einbringen 
der  Wieken  bedient  man  sich  der  Finger,  mit  denen  man  sie  einfach  ein- 
schiebt oder  drehend  einbringt ,  ferner  der  geknöpften  Sonden ,  der  Pin- 
cette,  der  Kornzange,  für  tiefere  Höhlen  der  Meschenträger,  bei  der  Nase 
der  Bellocq' sehen  Röhre.  —  3)  Der  Charpiepinsel,  Wund- 
pinsel, Penicillus,  wird  auf  verschiedene  Weise  gemacht.  Man 
nimmt  eine  Partie  glatte  Charpie ,  umwickelt  sie  spiralförmig  mit  einem 
Faden  nicht  ganz  bis  an  die  Enden ,  die  man  gleichschneidet ;  oder  man 
legt  in  der  Mitte  zusammengeschlagene  Charpie  um  ein  Stäbchen  von 
Holz ,  Fischbein  oder  um  eine  Sonde  und  befestigt  sie  daran  mit  einem 
Faden.  Diese  Pinsel  dienen  zur  Reinigung  tiefer  Abscesse  etc.,  nament- 
lich in  der  Nase ,  dem  Rachen  ,  wie  auch  zum  Einbringen  von  Arznei- 
stoffen  in  solche.  Sie  werden  durch  die  gewöhnlichen  Malerpinsel  er- 
sezt. 

COilOulUIH ,     die    gallertartige   Lösung   der   Schiesbaumwölle   in 


202  COLLODIITM. 

Aether ,  hat  sich  zunächst  als  Deckungsmittel  wunder  Flächen  nüzlich 
gemacht.  Vor  den  bisher  gebräuchlichen  Mitteln  zur  unblutigen  Vereini- 
gung getrennter  Körpertheile  zeichnet  es  sich  dadurch  aus,  dass  es  der 
Haut  fester  anhängt ,  dieselbe  auf  keine  Weise  reizt ,  eine  gegen  atmos- 
phärische Luft  und  äussere  Schädlichkeiten  sicher  schüzende  Decke  bildet, 
welche  weder  von  Wasser  noch  von  Alkohol  aufgelöst  wird  und  durch- 
scheinend ist ,  dass  es  bei  seiner  Anwendung  keine  erhöhte  Temperatur 
fordert  und  keinen  unangenehmen  Geruch  verbreitet.  Dagegen  verursacht 
der  Aether,  bis  er  verdunstet  ist,  was  10  — 16  Secunden  Zeit  erfordert, 
in  der  wunden  Stelle  einen  Schmerz,  der  jedoch  flüchtig  ist  und  keinen 
dauernden  Nachtheil  hinterlässt.  Behufs  der  Vereinigung  einer  Wund- 
spalte hält  man  diese  mit  den  Fingern  zusammen  und  überpinselt  sie  mit 
Collodium ,  oder  man  bringt  mit  Collodium  getränkte  Leinwandstreifen 
hinzu.  —  Diese  Art  von  Vereinigung  gewährt  den  Vortheil ,  dass  man 
nasse  Umschläge  machen  kann ,  ohne  dass  dabei  die  Verklebung  aufgeht 
oder  nachlässt ;  nur  Essig  löst  das  angetrocknete  Collodium  wieder  ab  ; 
erst  nach  4  Tagen  lockert  es  sich  von  selbst.  Eine  Schwierigkeit  des 
Gebrauches  liegt  darin  ,  dass  dieses  Klebemittel  nur  auf  ganz  trockenen 
Flächen  haftet.  Man  ist  daher  genöthigt ,  das  völlige  Aufhören  der  Blu- 
tung bei  Wunden  abzuwarten.  Hat  sich  ein  Collodiumstreifen  über  einer 
Wunde  auf  der  Lederhaut  einmal  gesezt ,  so  wäscht  ihn  nachfliessendes 
Blut  oder  Eiter,  oder  abgesonderter  Harn,  Thränen  etc.  nicht  fort.  Des- 
wegen muss  man  Rücksicht  darauf  nehmen ,  dass  die  zu  erwartenden  Se- 
crete  abfliessen  können.  —  Ausser  bei  Wunden  ist  das  Collodium  noch 
ferner  mit  Nuzen  in  Gebrauch  gezogen  worden :  bei  Krankheiten  der 
Haut,  wo  es  wegen  seiner  Eigenschaft,  durch  Contraction  einen  Druck  auf 
die  betreffenden  Hautpartien  auszuüben,  zur  Beschränkung  der  Circulation 
in  denselben  beiträgt;  wirksam  erwies  es  sich  beim  Rothlauf,  Ekzem, 
Zoster,  Intertrigo,  Lupus  exedens,  Acne,  Herpes  labia- 
lis; ferner  bei  Brust  -  und  Hodenentzündungen  ,  Lymphangioitis, 
Angiectasien,  Oedema  pedis,  Fussgeschwliren,  Frostbeulen,  entzünde- 
ten Hämorrhoidalknoten,  wunden  Brustwarzen,  Verbrennungen  1.  und  2. 
Grades  ,  eingewachsenem  Nagel ,  Prosopalgie  etc.  - —  Um  das  Collodium 
für  die  verschiedenen  Zwecke  brauchbarer  zu  machen ,  hat  man  ihm  ver- 
schiedene Substanzen  beigemischt.  Das  von  Lauras  angegebene  Col- 
lodium elasticum  hat  J.  E.  Richter  folgendermassen  abgeändert : 
1)  Collodium  terebinthina  tum:  ^j  Terpenthin  in  ^j  Collodium 
aufgelöst,  klebt  und  haftet  gut  und  dauernd,  ist  zähe  und  passt  besonders 
zu  Verbänden,  zur  Vereinigung  von  Wunden  u.  dgl.  2)  Collodium 
r  i  c  i  n  a  t  u  m  ,  aus  *)j  Ol.  r  i  c  i  n  i  in  ^j  Collodium  aufgelöst ,  ist  sehr 
dehnbar ,  weich ,  elastisch  ,  angenehm  für  die  Haut  und  eignet  sich  treff- 
lich zum  Bestreichen  von  Hautentzündungen  und  Ausschlägen.  —  Von 
dem  Collodium  cantharidale  war  bei  den  ableitenden  Mitteln  die 
Rede. 


COLLOID.  203 

ColiOld,  Colloidsubstanz  ist  eine  gallertartige,  leimige  (col- 
loide),  mehr  oder  weniger  durchsichtige,  wasserhelle  oder  gelbliche,  selbst 
bräunliche  Materie ,  welche  sich  namentlich  in  drüsigen  Organen  (Schild- 
drüse, Milz,  Leber,  Niere,  Eierstock)  nicht  selten  findet  und  ihrem  Wesen 
nach  noch  wenig  gekannt  ist.  Nach  V  i  r  c  h  o  w  ist  diese  Substanz  viel- 
leicht ganz  analog  derjenigen  des  Gallertkrebses  und  liegt  möglicher  Weise 
dem  Tuberkel  zu  Grunde  ;  H  e  n  1  e  glaubt ,  dass  sie  Faserstoff  enthalte 
und  der  Boden  für  die  Bildung  bösartiger  Geschwülste  (der  Krebse  und 
Tuberkel)  sei ;  nach  F  r  e  r  i  c  h  s  ist  sie  der  Synovia  ähnlich  und  soll  das 
sogenannte  Pyin  nebst  Albumin  und  besonders  Natron-Albuminat  darin 
enthalten  sein,  während  M  u  1  d  e  r  und  V  i  r  c  h  o  w  die  gänzliche  Verschie- 
denheit dieser  Substanz  von  den  Proteinstoffen  ,  also  auch  dem  Albumin 
behaupten ,  und  Lezterer  sie  nur  entfernt  mit  dem  Schleim  vergleichen 
zu  können  glaubt ,  von  dem  sie  sich  indessen  durch  ihre  Löslichkeit  in 
Essigsäure  unterscheidet.  Da  nicht  nachgewiesen  ist ,  dass  die  Colloid- 
substanz als  solche  aus  dem  Blute  ausgeschieden  wird,  dagegen  ihrüeber- 
gang  in  Tuberkel  -  und  Krebsmasse  nicht  ganz  unwahrscheinlich  ist ,  so 
könnte  dieselbe  vielleicht  als  eine  in  mannigfacher  Verwandlung  begrif- 
fene Materie  angesehen  werden.  Unter  dem  Mikroskop  findet  man  das 
Colloid  bald  vollkommen  amorph ,  bald  Zellen  und  Kerne ,  sogar  Fasern 
in  verschiedener  Menge  und  auf  verschiedenen  Stufen  ihrer  Entwicklung, 
zuweilen  auf  dem  Stadium  der  Fettmetamorphose,  enthaltend.  ■ —  Die  Col- 
loidsubstanz findet  sich  bald  in  untergeordneter  Menge ,  in  andern  Ge- 
schwülsten, wie  inFibroiden,  Enchondromen  etc.,  bald  tritt  sie  als  wesent- 
licher Bestandtheil  hervor ,  indem  sie  entweder  mehr  oder  weniger  dick- 
wandige zellige  Räume  erfüllt ,  oder  in  wirklichen  geschlossenen  Cysten 
sich  befindet ,  oder  in  ein  neugebildetes  ,  noch  in  seiner  Entwicklung  be- 
griffenes Gewebe  infiltrirt  ist.  Nach  diesem  verschiedenen  Verhalten  stellt 
Frerichs  drei  Formen  von  Colloidgeschwülsten  auf,  nämlich:  die  alveo- 
lare Gallertgeschwulst,  die  Colloidcysten  und  das  infiltrirte  Colloid.  — 
Die  alveolare  Gallertgeschwulst  unterscheidet  sich,  wo  sie  rein 
ausgeprägt  auftritt ,  von-  den  Gallertcysten  nur  durch  geringeren  Umfang 
der  Gallertmassen  und  ein  derberes  Bindegewebstroma.  Ihre  Grundlage 
bildet  ein  faseriges  Gerüste,  bald  von  sehr  zarter,  bald  von  derber,  schein- 
bar faserknorpeliger  Beschaffenheit,  welches  mehr  oder  weniger  deutliche, 
theils  abgeschlossene  ,  theils  communicirende ,  zellige  Hohlräume  von  der 
Grösse  eines  Stecknadelkopfes  bis  zu  der  einer  Wallnuss  einschliesst ,  die 
mit  der  Gallertmasse  gefüllt  sind.  Ihr  Siz  ist  fast  ausschliesslich  der 
Magen ,  der  Darmkanal  und  das  Bauchfell.  Der  ihnen  weiter  beigelegte 
Namen  Gallertkrebs,  Alveolarkrebs  bezeichnet  sie  als  Krebs- 
geschwülste,  was  sie  aber  nach  Frerichs  und  Bruch  nicht  sind. 
Die  Colloidcysten  wachsen  schnell  zu  einer  bedeutenden  Grösse, 
wobei  ihr  Inhalt  allmälig  dünnflüssiger  wird.     Zuweilen  finden  Blutergüsse 


204  COMPÄESSE. 

und  Entzündungen  in  ihnen  statt,  von  denen  die  erstem,  wenn  sie  in  eine 
grosse  Cyste  erfolgen,  eine  innere  Blutung  zur  Folge  haben  können,  wäh- 
rend die  Entzündung  zuweilen  fibrinöse  Exsudate  an  der  innern  Seite  der 
Cystenwand  bedingt.  Gruveilhier  beobachtete  als  Rückbildungspro- 
duct  solcher  Exsudate  mörtelartige  Concretionen.  Die  Entzündung  gros- 
ser Geschwülste  der  Art  führt  schnell  zum  Tode  durch  Erschöpfung.  Zu- 
weilen plazen  die  aufs  äusserste  gefüllten  Cysten ,  was  je  nach  der  Loca- 
lität  Heilung  oder  doch  Besserung ,  oder  aber  den  Tod  zur  Folge  haben 
kann.  Sie  bedingen  sehr  bald  beträchtliche  Störungen  des  Allgemeinbe- 
findens ,  welche  mit  der  beim  Krebse  auftretenden  Kachexie  grosse  Aehn- 
lichkeit  haben  ,  welche  F  r  e  r  i  c  h  s  aber  von  dem  Säfteverluste  ,  C  r  u  - 
veilhier  von  mechanischer  Störung  abzuleiten  geneigt  ist,  welche  diese 
voluminösen  und  rasch  wachsenden  Neubildungen  veranlassen.  Am  häu- 
figsten kommen  diese  Cysten  im  Ovarium  vor,  doch  trifft  man  sie  auch  in 
der  Schilddrüse  ,  im  Unterhautzellgewebe  ,  im  Neze  ,  in  Lymphdrüsen  an  ; 
Schuh  fand  eine  solche  einmal  an  der  Zunge.  —  Die  i  n  fil  tr  irte 
Co  1 1  oi  d  ges  ch  wuls  t  (Mülle  r's  Collonema,  Rokitansky 's 
gallertartiges  Sarkom)  ist  eine  auf  einer  niederen  Entwicklungsstufe  ste- 
hende Geschwulstform  ,  deren  Inhalt  sich  von  dem  in  andern  Colloidge- 
schwülsten  vorgefundenen  durch  seine  Gerinnung  in  Weingeist  unter- 
scheidet. —  Die  Colloidgeschwülte  bilden  eine  zusammenhängende  Gruppe 
von  Neubildungen  ,  die  darin  von  den  Krebsgeschwülsten  abweichen,  dass 
sie  nach  der  Ausrottung  nicht  wiederkehren,  nicht  die  dem  Krebse  eigen- 
thümlichen  Schmerzen  zeigen ,  .nicht  erweichen  und  verschwären  und  die 
gallertartige  Masse  keine  Zellengebilde  enthält ,  welche  für  Krebszellen 
genommen  werden  könnten.  Thatsache  ist  es  indessen  ,  dass  sie  häufig 
mit  Krebs  combinirt  auftreten. 

Colotomia,  s.  After,  künstlicher. 

COÜipreSSe  ,  Drucktuch,  Bausch,  Compressa,  Splenia, 
PI  agul  a,  nennt  man  Stücke  weicher,  gebrauchter  reinerLeinwand  ohne  Saum 
und  Naht,  welche  in  eine  bestimmte  Form  zwei-,  drei-,  vier-  und  mehrfach 
zusammengelegt  werden.  Unter  gewissen  Umständen  bereitet  man  auch 
Compressen  aus  Flanell,  Papier,  Filz  etc.  Die  Gestalt,  Grösse  und  Dicke 
derselben  richtet  sich  nach  dem  kranken  Theile  und  dem  Zwecke  ,  den 
man  im  Auge  hat.  Bei  ihrer  Anlegung  ist  es  nöthig,  dass  die  Ränder  der 
Leinwand  eingeschlagen  werden,  damit  sie  nicht  ausfranzen,  diese  gleich- 
massig  zusammengelegt  wird  und  ohne  Falten  ist.  —  Man  theilt  die  Com- 
pressen in  einfache  und  vielfache.  Die  einfache  Com  presse  (C. 
simplex)  ist  ein  einfaches  Stück  Leinwand,  mit  welchem  man  in  der 
Regel  eine  Wundfläche  bedeckt.  Will  man  dem  Wundsecret  einen  leich- 
ten Ausgang  verschaffen,  so  macht  man  mehrere  kleine  Oeffhungen  in  die 
Leinwand  und  dies  nennt  man  eine  gefensterte  Compresse  (C.  fene- 
strata).     Schneidet  man  ein  viereckiges  Stück  Leinwand  von  seinen  vier 


CONDYLOMA.  205 

Ecken  gegen  die  Mitte  hin  ein,  so  erhält  man  ein  Maltheserkreuz, 
verfährt  man  auf  diese  Art  mit  einem  länglich-viereckigen  Stück  Lein- 
wand,  so  hat  man  ein  Andreaskreuz.  Spaltet  man  ein  Stück  Lein- 
wand von  einem  Seitenrande  bis  in  die  Mitte,  so  erhält  man  die  gespal- 
tene Compresse.  Man  gibt  den  Compressen  auch  sonst  noch  ver- 
schiedene Formen  ,  man  macht  sie  dreieckig ,  viereckig ,  länglich  ,  leztere 
nennt  man  auch  Lönguetten.  —  Die  vielfache  Compresse 
besteht  aus  einem  mehrfach  zusammengelegten  Stücke  Leinwand.  Sie 
ist  entweder  gleichförmig,  eben,  und  dient  in  dieser  Form  zur 
Decke  über  den  Charpieverband  bei  Wunden  etc.  ,  zur  Unterlage  fester 
Verbandstücke  und  zur  Ausfüllung  von  Unebenheiten  oder  endlich  zur 
Anwendung  von  Umschlägen  oder  die  Compresse  ist  ungleichförmig 
(ge  stuf  t ,  graduirt  ),  d.h.  es  werden  mehrere  Compressen,  von  denen 
immer  die  folgende  kleiner  ist  als  die  vorhergehende  auf  einander  gelegt. 
Diese  Abnahme  in  der  Grösse  der  Compressen  kann  entweder  nach  allen 
Seiten  hin  ,  oder  nur  nach  zwei  oder  auch  nur  nach  einer  Seite  hin  statt- 
finden. Damit  sich  die  einzelnen  Theile  einer  solchen  Compresse  nicht 
verschieben,  ist  es  nöthig,  dass  man  sie  mit  einigen  Nadelstichen  auf  ein- 
ander befestigt.  Man  gebraucht  die  gestuften  Compressen,  um  einen  Druck 
auf  blutende  Gef  ässe  ,  auf  Fistelgänge  oder  auf  den  Grund  tiefer  Wund- 
flächen auszuüben. 

Condyloma,  Feig  warze,  nennt  man  einen  Auswuchs ,  der 
sich  hauptsächlich  an  den  Verbindungsstellen  zwischen  den  Schleimhäu- 
ten und  der  äussern  Haut  an  der  Vorhaut ,  den  Schamlefzen  ,  am  After, 
findet ,  doch  auch  an  andern  Körperstellen  angetroffen  wird.  Das  Innere 
derselben  besteht  aus  Bindegewebe.  Sie  haben  einen  kräftigen  Vegeta- 
tionstrieb ,  sind  sehr  gef  ässreich ,  empfindlich  und  sondern  eine  serös- 
schleimige ,  übelriechende  Flüssigkeit  ab.  Ihr  Wachsthum  ist  unbe- 
grenzt und  sie  können  einen  sehr  grossen  Umfang  erreichen.  Sie  haben 
theils  Neigung  zum  Schwinden,  theils  zur  fibrösen  Verhärtung,  theils  zum 
Ulceriren.  Beim  Verschwinden  hinterlassen  sie  keine  Narben.  —  Man 
unterscheidet  breite  und  spize  Condylome.  Diebreiten,  Condylo- 
ma t  a  lata,  sind  mehr  oder  weniger  gestielt ,  stehen  einzeln  oder  in 
Gruppen  und  sind  auf  ihrer  Oberfläche  abgrundet.  Die  spizen  Condy- 
lome ,  Cond.  acuminata,  sind  zugespizt  und  sizen  auf  einer  breiten 
Basis  auf.  Bei  fernerem  Wachsthum  jedoch  theilt  sich  die  Spize  baum- 
f örmig ,  wodurch  diese  Auswüchse  Aehnlichkeit  mit  Hahnenkämmen  oder 
Blumenkohl  bekommen. — Die  Condylome  treten  meistens  im  Gefolge  der 
Syphilis  auf,  doch  kommen  sie  auch  unabhängig  von  dieser  durch  Unrein- 
lichkeit,  durch  den  Reiz  blenorrhoischer  Ausflüsse  und  öftere  Reibung  vor. 
—  Behandlung.  Breite  Condylome  verschwinden  oft  schön  während 
der  allgemeinen  antisyphilitischen  Behandlung ;  geschieht  dies  nicht ,  so 
kann  man  dieselben,   weun  sie  einzeln  stehen,  mit  der  C o o p e r 'sehen 


206 


CYSTEN. 


Scheere  abtragen  und  ihren  Boden  mit  Höllenstein  äzen  ;  stehen  ihrer 
viele  beisammen  ,  so  fomentirt  man  sie  mit  Bleiwasser ,  oder  bestreut  sie 
mit  Sabinapulver ,  oder  äzt  sie  mit  Kali  c  a  u  s  t  i  c  u  m ,  Butyrum  a  n  - 
timonii,  Aq.  regia  oder  Schwefelsäure  oder  legt  folgende  Salbe  auf 
Charpie  gestrichen  auf:  Rp.  Butyr.  antimon.  ,  Hydrargyr.  mu- 
ri a  t.  corros.  ana5j,  Pulv.  herb,  sabinae  5ij,  Ungt.  rosati  5vj. 
M.  f.  Ungt  (Neumann).  Die  spizen  Condylome  weichen  einer  allge- 
meinen Behandlung  nicht  so  leicht  und  fordern  daher  häufiger  zerstörende 
Mittel ,  die  man  der  Reihe  nach  und  abwechselnd  anwenden  muss.  Die 
Zerstörung  derselben  muss  beharrlich  fortgesezt  werden,  bis  die  stets  wie- 
derkehrenden Wucherungen  ausbleiben. 

Contractu!*,  s.  Verbrennung. 

CoxarthrOCace ,  s.  Hüftsgelenksentzündung. 

Cysten ,  Balg  g  esc  h  wülste,  Sackgeschwülste,  T  u  - 
mores  cystici,  tunicati,  saccati,Cystides,Lupiae,  sind 
solche  Geschwülste,  welche  aus  einem  geschlossenen  Sacke  (Balge)  be- 
stehen ,  in  dessen  Höhle  sich  ein  Stoff  von  verschiedener  Consistenz  be- 
findet. Diese  Bälge  sind  entweder  wirkliche  Neugebilde ,  oder  sind  von 
einer  schon  bestehenden  Wand  einer  Höhle  oder  eines  Kanales  gebildet. 
Die  ersteren  bezeichnet  man  als  ächte,  die  lezteren  als  u  nacht  e  Balg- 
geschwülste. Nach  Bruch  kommen  die  wahren  Cysten  zu  Stande,  indem 
in  irgend  ein  normales  oder  pathologisches  Gewebe  ein  Erguss  irgend 
einer  Flüssigkeit ,  Serum ,  Blut,  eiterbildendes  Exsudat,  Colloidmasse  etc. 
statt  findest,  und  das  umgebende  Parenchym  sich  im  Umkreise  durch  Druck 
und  Spannung  oder  mit  Hülfe  der  gerinnbaren  Bestandtheile  des  Ergus- 
ses und  weiterhin  durch  W7achsthum  oder  neue  entzündliche  Exsudation 
verdichtet.  Der  Inhalt  der  Cyste  ist  diesemnach  das  Primäre,  die  Cysten- 
wand  das  Secundäre.  Die  unächten  Balggeschwülste  entstehen  gewöhnlich 
in  Folge  von  Erweiterung,  Hypertrophie  der  Wand  eines  schon  vorhandenen 
Hohlgebildes  oder  Anhäufung  des  Inhaltes  in  demselben  ;  hierher  gehören 
die  blasigen  Ausdehnungen  zelliger  Räume  ,  die  H  y  d  a  t  i  d  e  n  ,  die  Aus- 
dehnungen der  Haut-  und  Schleimhautfollikel,  die  F  o  1 1  i  c  u  1  a  r  c  y  s  t  e  n  ; 
die  Ausdehnungen  der  Schleimbeutel ,  dieHygrome;  die  wassersüch- 
tigen Ausdehnungen  der  bindegewebigen  Scheiden  der  Sehnen,  die  Gang- 
lien ;  endlich  rechnet  man  noch  hierher  die  Blasenwürmer.  -> —  Rück- 
sichtlich der  Beschaffenheit  und  Consistenz  der  in  der  Höhle  der  Cysten 
enthaltenen  Materie  unterscheidet  man  die  seröse  oder  W  as  s  erb  alg- 
ge  schwulst  (Cystis  serosa),  wenn  der  Inhalt  in  einer  dünnen,  dem 
Serum  ähnlichen  Flüssigkeit  besteht ;  die  Honiggeschwulst  (Me- 
li c  er  is),  wenn  die  Materie  die  Consistenz  von  eingedicktem  Honig  hat; 
Breigeschwulst  (Atheroma),  wenn  sie  breiartig  und  mit  einzel- 
nen festeren  Körpern   untermischt   ist   (daher  auch  der  Name  Grüzge- 


CYSTEN.  207 

schwulst).  —  1)  Aechte  Balggeschwtilste.  a)  Die  ein- 
fache seröse  Balggeschwulst,  Cystis  serosa  simple  x, 
stellt  gewöhnlich  einen  runden  ,  elastisch  gespannten ,  von  einer  ringsum 
geschlossenen  ,  verschieden  dicken  Bindegewebskapsel  umgebenen  Raum 
mit  meist  klarem ,  farblosem  oder  gelblichem  Inhalte  dar ,  welcher  aus 
einer  eiweisshaltigen ,  dem  Brustserum  ähnlichen  Flüssigkeit  besteht ,  in 
der  freie  Kerne,  junge  Zellen,  Epithelialzellen,  Elementarkörner  und  freies 
Fett  suspendirt  sind.  Die  Innenwand  der  Cyste  ist  mit  einer  einfachen 
oder  mehrfachen  Zellenlage  bedeckt.  Die  in  der  Wand  der  Cyste  sich 
verbreitenden  Gefässe  gehören  meist  dem  befallenen  Organe  an.  Diese 
Cyste  bildet  die  Grundform  der  ächten  Balggeschwülste  und  aus  ihnen 
entwickeln  sich  die  verschiedenen  Cystengeschwülste ,  welche  darin  über- 
einkommen ,  dass  sie  in  ihren  Wandungen  und  in  ihrem  Inhalte  die  Or- 
gane der  äussern  Haut  und  ihre  Absonderungen  enthalten.  —  Diese  Ge- 
schwülste kommen  am  häufigsten  da  vor,  wo  Zellgewebe  in  grösserer  Menge 
gehäuft  ist ,  wie  unter  der  Haut ,  zwischen  Muskeln ,  in  der  Achselgrube, 
seltener  im  Parenchym  von  Organen  und  in  Knochen  (Osteocy- 
s  t  e  n  )  ;  bei  lezteren  kommen  sie  an  und  in  den  Knochen  vor  ,  in  welch 
lezterem  Falle  diese  blasenförmig  aufgetrieben  sind.  —  Ursachen. 
Manchmal  sind  diese  Cysten  angeboren,  andere  Male"  entstehen  sie  in 
Folge  äusserer  Gewaltthätigkeiten,  wie  von  anhaltendem  Druck,  Stoss  etc. ; 
zuweilen  ist  ihr  Zusammenhang  mit  dyskrasischen  Zuständen  ,  mit  Skro- 
pheln,  Rheumatismus,  Gicht,  Syphilis  etc.  nicht  zu  verkennen.  Nicht  sel- 
ten entstehen  diese  Geschwülste  in  Mehrzahl.  —  Die  seröse  Cyste  nimmt 
in  der  Regel  langsam  an  Grösse  zu ;  zuweilen  bleibt  sie  stehen  ;  andere 
Male  wächst  sie  immer  fort  und  kann  eine  bedeutende  Grösse  erreichen. 
—  Der  Balg  kann  sich  entzünden  und  durch  die  eintretende  Eiterung 
zur  Verwachsung  kommen  ;  dasselbe  kann  in  Folge  von  Verschwörung  ge- 
schehen :  gewöhnlicher  schliesst  sich  die  OerTnung  wieder  und  der  Balg  füllt 
sich  von  Neuem ,  oder  es  bleibt  diese  Stelle  geschwürig  ,  es  entleert  sich 
fortwährend  ein  schlechter  Eiter,  es  entstehen  fungöse  Auswüchse  und  die 
Oeffhung  widersteht  hartnäckig  der  Heilung ;  bei  heftiger  Entzündung 
kann  der  Balg  ganz  auseitern.  In  seltenen  Fällen  berstet  der  Balg  spon- 
tan. —  Die  Balggeschwulst  kann  durch  Druck  nachtheilig  wirken.  — 
Behandlung.  Diese  bezweckt  entweder  die  Zertheilung  der  Ge- 
schwulst oder  man  sucht  sie  durch  Ausschneiden  ,  Abbinden ,  Herbeifüh- 
rung einer  Verwachsung  mittels  Entleerung  ihres  Inhaltes  oder  durch  Zer- 
störung ihres  Balges  nach  Eiterung  zu  beseitigen.  Nicht  selten  werden 
mehrere  dieser  Verfahren  mit  einander  verbunden.  Die  Zertheilung 
der  Cysten,  wozu  Einreibungen  von  Quecksilber-  und  Jodsalbe,  von  flüch- 
tigen Mitteln,  zertheilende  Pflaster,  Blasenpflaster  etc.,  sowie  ein  metho- 
discher Druck  empfohlen  sind,  wird  nicht  allein  meist  vergebens  versucht, 
da  damit  der  Balg  nicht  beseitigt  werden  kann ,  sondern  die  genannten 
Mittel  schaden  auch  zuweilen ,    da  die  Geschwulst  durch  die  fortgesezte 


208  CYSTEN. 

Reizung  in  ihrem  Wachsthum  gefördert  oder  in  Entzündung  versezt  wer- 
den kann.  Die  Exstirpation  ist  das  beste  Verfahren,  wenn  sie  an- 
wendbar ist  (s.  den  Artikel  Exstirpation).  Bei  der  Ausschälung  die- 
ser Geschwülste  hat  man  sich  sehr  zu  hüten  ,  dass  man  den  Balg  nicht 
öffnet.  Gelingt  es  nicht ,  den  Balg  ganz  auszuschneiden ,  sei  es ,  weil  er 
im  Anfange  der  Operation  verlezt  wurde,  oder  weil  derselbe  zu  tief  dringt, 
oder  fest  mit  wichtigen  Gebilden  verwachsen  ist ,  so  muss  zu  seiner  gänz- 
lichen Entfernung  ein  gemischtes  Verfahren  in  Anwendung  gebracht  wer- 
den, indem  man  den  Rest  des  Balges  unterbindet,  oder  durch  Aezung  und 
Vereiterung  zu  zerstören  sucht.  Nach  der  gänzlichen  Ausrottung  der  Ge- 
schwulst sucht  man  die  Wunde  durch  erste  Vereinigung  zu  heilen.  Das 
Abbinden  der  Geschwulst  ist  nur  angezeigt,  wenn  die  Geschwulst  sehr 
gross  ,  gestielt  und  an  der  Basis  mit  zahlreichen ,  ausgedehnten  Blutge- 
fässen versehen  ist;  über  das  Verfahren  dabei  s.  den  Art.  Abbinden. 
Eine  Verwachsung  des  Balges  bewirkt  man  nach  Entleerung  des 
Inhaltes  durch  Erregung  einer  adhäsiven  Entzündung.  Diese  Heilmethode 
passt  nur  für  kleine  Cysten ,  deren  Exstirpation  nicht  ausführbar  ist. 
Das  mildeste  Verfahren  zur  Erregung  einer  Entzündung  ist,  die  Geschwulst 
zu  punktiren,  den  Inhalt  zu  entleeren  und  dann  einen  Compressivverband 
anzulegen.  Füllt  sich  der  Balg  von  Neuem  wieder,  so  öffnet  man  die 
Geschwulst  mit  dem  Troicart ,  lässt  den  Inhalt  durch  die  Canüle  ausflies- 
sen  und  sprizt  dann  durch  diese  eine  reizende  Flüssigkeit ,  wie  warmes 
Wasser ,  Wasser  mit  Wein  oder  Essig  oder  verdünnte  Jodtinctur  ein, 
welche  man  nach  einiger  Zeit  wieder  abfliessen  lässt  und  dann  einen 
drückenden  Verband  anlegt.  Wird  hierdurch  der  gehörige  Grad  der  Ent- 
zündung erzielt ,  so  erfolgt  plastische  Ausschwizung  und  Verwachsung ; 
tritt  eine  sehr  heftige  Entzündung  ein,  so  ist  Abscessbildung  die  Folge, 
welche  zur  Vereiterung  und  Losstossung  des  Balges  führt.  Um  den  Balg 
durch  Vereiterung  zu  entleeren ,  spaltet  man  die  Geschwulst  und 
füllt  die  Höhle  derselben  nach  Entleerung  des  Inhaltes  mit  Charpie  aus. 
Die.  eintretende  Eiterung  löst  entweder  den  Balg,  so  dass  er  nach  wenigen 
Tagen  ausgezogen  werden  kann ,  oder  derselbe  wird  allmälig  durch  den 
Eiterungsprocess  zerstört  und  stückweise  ausgestossen.  Bei  mangelnder 
Thätigkeit  reizt  man  die  innere  Fläche  des  Balges  durch  Bestreichen  mit 
Schwefelsäure  ,  Spiessglanzbutter  etc.  Die  Vereiterung  kann  auch  durch 
die  Einsprizung  einer  sehr  reizenden  Flüssigkeit  nach  vorausgegangener 
Punction  der  Geschwulst  herbeigeführt  werden.  Nach  dem  Eintritte  der 
Entzündung  macht  man  erweichende  Umschläge  und  öffnet  den  Sack, 
wenn  er  weich  und  schwappend  ist.  Wo  eine  grössere  Narbe  und  die 
Ausbreitung  der  Entzündung  vermieden  werden  soll,  zieht  man  ein  Haar- 
seil durch  die  Geschwulst,  das  man  je  nach  dem  erforderlichen  Grade  der 
Entzündung  mit  milden  oder  scharfen  Salben  bestreicht.  —  b)  Die  ge- 
häuften Balggeschwülste,  T-u  mores  cystici  conglome- 
rati,  sind  nicht  ganz  selten  angeboren  und  erhalten  alsdann  den  Namen 


CYSTEN.  209 

angeborenes  Cyste  nhygrom,  Hygroma  celluloso-cysti- 
cum  congenitum.  Diese  Geschwülste  haben  eine  glatte,  rundliche 
Oberfläche  und  werden  nur  da,  wo  sie  über  die  Medianlinie  hinübergehen, 
durch  eine  Längenfnrche  in  zwei  Hälften  getheilt ;  in  andern  Fällen  sind 
sie  höckerig.  Gewöhnlich  flnctuiren  sie  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung 
gleichmässig ,  andere  Male  ,  wenn  sie  durch  eine  Scheidewand  abgetheilt 
sind,  kann  die  eine  Cyste  fluctuiren,  die  andere  nicht,  indem  in  der  einen 
ein  flüssiger,  in  der  andern  ein  gelatinöser  oder  breiiger  Inhalt  sein  kann ; 
die  Fluctuation  ist  auch  sehr  undeutlich,  wenn  die  Cystenwandungen  eine 
sarkomatöse  Beschaffenheit  haben.  Gewöhnlich  ist  die  Haut  über  diesen 
Cysten  ,  wie  über  allen  anderen  ,  leicht  verschiebbar  und  unverändert,  zu- 
weilen braunröthlich  gefärbt ,  selbst  brandig  und  geschwürig.  Diese  Ge- 
schwülste ,  welche  man  bisweilen  bis  zu  mehreren  Hunderten  beobachtet 
hat ,  zeigen  sich  erbsen-  bis  wallnussgross  ,  können  aber  auch  die  Grösse 
eines  Kindskopfes  erreichen.  Am  häufigsten  kommen  sie  am  vordem  und 
hintern  Theile  des  Halses ,  in  der  Brust-  und  Achselgegend ,  sowie  in  der 
Sacral-  und  Perinäalgegend  vor.  Sie  liegen  bald  reihenweise ,  den  Zügen 
des  atmosphärischen  Bindegewebes  folgend,  bald  an  einzelnen  Stellen  ge- 
häuft. Nach  der  Geburt  wachsen  sie  bald  rasch  ,  bald  langsam ,  bleiben 
auch  unverändert,  zuweilen  entzünden  sie  sich  und  vereitern.  —  Die  Ent- 
stehungsweise dieser  Geschwülste  ist  unbekannt.  —  Behandlung.  Am 
zweckmässigsten  erweist  sich  die  wiederholte  Punction  dieser  Cysten  oder 
das  Durchziehen  eines  Fadens  durch  dieselben ,  um  die  Wiederansamm- 
lung zu  verhüten  und  Adhäsiventzündung  oder  Vereiterung  herbeizufüh- 
ren. Die  Eröffnung  grosser  Geschwülste ,  welche  am  Halse  sizen,  ist  in 
einzelnen  Fällen  zur  Ausrottung  durchaus  nothwendig.  Mit  der  operati- 
ven Behandlung  verbindet  man  zertheilende  Einreibungen  in  der  Ge- 
schwulstgegend und  bei  älteren  Kindern  eine  entsprechende  allgemeine 
Behandlung.  —  c)  Zusammengesezte  Balggeschwülste,  Tu- 
mores  cystici  compositi,  Cystoide  (Müller).  Diese  treten 
unter  zwei  Formen  auf:  aa)  in  der  Wandung  einer  für  immer  vor- 
herrschend bleibenden  Muttercyste  entstehen  Cysten  zweiter  Ordnung, 
und  diese  können  sofort  Muttercysten  für  eine  tertiäre  Formation  werden. 
Zuweilen  findet  man  durch  Schwinden  der  Zwischenwände  die  einzelnen 
Cysten  mit  einander  in  Verbindung  und  die  ganze  Geschwulst  stellt  eine 
vielkammerige  Cyste  dar.  bb)  Es  entstehen  die  Cysten  zweiter  Forma- 
tion auf  der  Innenfläche  einer  Muttercyste  und  wachsen  in  deren 
Höhle  hinein ,  so  dass  sie  zuweilen  die  Muttercyste  vollständig  ausfüllen  ; 
in  den  secundären  Cysten  finden  sich  wieder  neue  blumenkohlartige  Aus- 
wüchse. Der  leere  Raum  in  der  ursprünglichen  Muttercyste  ist  mit  einer 
serösen  oder  mehr  schleimigen  Flüssigkeit  ausgefüllt.  —  Diese  Gewächse 
finden  sich  am  häufigsten  in  der  Nähe  der  Eierstöcke.  Sie  erreichen  mit- 
unter eine  ungeheure  Grösse  und  sind  entzündungsfähig ,  wodurch  sie 
mit  ihren  Umgebungen  verwachsen,  in  ihren  Wandungen  verdickt  und  mit 
Bürger,  Chirurgie.  14 


210  CYSTEN. 

eiterähnlicher  Flüssigkeit  gefüllt  werden  können.  Der  Entstehung  mag 
in  einzelnen  Fällen  die  Entartung  einer  Graafschen  Follikel  zum 
Grunde  liegen.  —  Die  Behandlung  besteht  hauptsächich  in  dem  Aus- 
schneiden oder  Abbinden  der  Geschwulst.  —  d)  Höher  organisirte 
Balggeschwülste.  Es  gibt  Cysten,  deren  Balg  höher  organisirt  ist, 
als  derjenige  der  serösen  Cysten  und  auch  ihr  Inhalt  erscheint  weniger 
gleichförmig  und  formlos,  sondern  enthält  verschiedenartige,  theils  form- 
lose, theils  organisirte  Bestandtheile.  Der  überall  geschlossene  Balg  die- 
ser Geschwülste  ist  gewöhnlich  dick  und  gleicht  in  seiner  Structur  bald 
mehr  einer  Schleimhaut,  bald  mehr  der  äussern  Haut,  ohne  jedoch  mit 
diesen  Gebilden  auf  irgend  eine  Weise  zusammenzuhängen ,  weshalb  sie 
als  wahre  Neugebilde  zu  betrachten  sind.  Man  findet  sie  im  Unterhaut- 
zellgewebe, zuweilen  zwischen  den  Muskeln,  besonders  häufig  aber  in  den 
Ovarien.  —  Die  der  Haut  ähnlichen  Balggeschwülste  zeigen 
im  Innern  ein  mehrfach  geschichtetes  Pflasterepithelium  ,  das  sich  in  den 
einzelnen  Lagen  wie  die  normale  Epidermis  verhält ;  dann  folgt  ein  der 
Cutis  ganz  ähnliches  Gewebe ,  und  noch  tiefer  ein  dem  Unterhautzellge- 
webe entsprechendes  lockeres  Bindegewebe.  Ebenso  fehlen  in  diesem 
Hautgewebe  die  Haarbälge  mit  Haarwurzelscheiden  und  Haaren  nicht ; 
selbst  Schweisdrüsen  finden  sich  vor.  Im  Innern  enthalten  diese  Bälge 
mehr  oder  weniger  seröse  oder  schleimige  Substanzen,  Epithelialblättchen 
und  Kernzellen,  ausgefallene  Haare,  sowie  fettige  Substanzen,  welche  aus 
Elain  und  Margarin,  seltener  aus  Cholestearin  bestehen.  Zuweilen  kom- 
men in  Eierstockscysten  auch  Knochenstücke  und  Zähne  vor,  die  meist  in 
den  Schichten  der  hautartigen  Cystenwandungen  liegen ;  beide  kommen 
mit  den  normalen  Knochen  und  Zähnen  überein.  In  seltenen  Fällen  bil- 
det sich  als  örtliche  Wucherung  der  Epidermis  ein  Hörn.  Die  schleim- 
ha u tähn liehen  Cysten  haben  auf  der  Innenfläche  gleichfalls  ein  Epi- 
thelium  und  unter  demselben  ein  lockeres ,  gef  ässreiches  Bindegewebe. 
Die  Innenfläche  ist  gewöhnlich  uneben,  wie  granulirt,  oder  zottig.  Der 
Inhalt  ist  wässrig  ,  schleimig ,  zuweilen  gallertartig  und  es  sind  ihm  Epi- 
thelialzellen  beigemischt.  —  Die  höher  organisirten  Cysten  bilden  häufig 
die  Honig  -  und  Breigeschwulst.  Ihre  Entwicklungsgeschichte  ist  noch 
dunkel.  —  Die  Behandlung  besteht  in  der  Exstirpation ,  seltener  im 
Abbinden  und  in  der  Vereiterung. 

2)  Unächte  B  algge  s  chwüls  te.  a)Hydatiden.  Darunter 
versteht  man  sehr  dünnhäutige  Cysten  mit  einem  wässerigen  Inhalte  ,  so 
dass  das  Ganze  eine  durchsichtige  Wasserblase  (vdaTiq ,  Wasserblase) 
darstellt.  Je  nachdem  diese  Bälge  blos  mit  Flüssigkeit  gefüllt  oder  auch 
von  Thieren  bewohnt  sind  ,  nnterscheidet  man  wahre  und  falsche  Hyda- 
tiden.  —  Die  falschen  Hydatiden  sind  in  den  meisten  Fällen  als 
Producte  einer  örtlichen  Wassersucht  im  atmosphärischen  Bindegewebe 
zu  betrachten,  wodurch  zellige  Räume  desselben  blasig  aufgetrieben  wer- 
den.     In  drüsigen    Gebilden  beruht-  die  Hydatidenbildung   auf  enormer 


CYSTEN.  211 

Ausdehnung  der  feinsten  Drüsenbläschen  und  Drüsenkanälchen.  Diese 
Hydatiden  finden  sich  am  häufigsten  da ,  wo  zartes  Bindegewebe  ist ,  am 
Samenstrang,  Adergeflecht  etc.,  unter  serösen  Häuten  und  Schleimhäuten, 
auch  im  Innern  von  Röhrenknochen.  Meistens  kommen  sie  gehäuft  und 
traubenförmig  beisammen  liegend  vor  und  variiren  von  der  Grösse  eines 
Stecknadelkopfes  bis  zu  der  einer  Faust ,  selbst  eines  Kindskopfes.  Sie 
können  lange  bestehen ,  ohne  sich  zu  verändern ;  zuweilen  berstet  der 
Balg  und  der  ergossene  Inhalt  wird  resorbirt  oder  erregt  Entzündung. 
In  edleren  Organen,  wie  im  Gehirn,  können  sie  lebensf  ährlich  werden.  — 
Die  Behandlung  der  zugänglichen  Hydatiden  besteht  in  der  Punction 
oder  in  dem  Ausschneiden  derselben.  - —  Die  wahren  Hydatiden, 
Blasenwürmer,  blasigenEntozoen,  stellen  blasenähnliche,  mit 
einer  wasserhellen  Flüssigkeit  gefüllte  Bälge  dar.  Die  einfachen  Blasen- 
würmer ohne  Kopf  und  Saugapparat  nennt  man  Acephalocysten; 
die  vollkommener  organisirten  sind  der  Blasenschwanz  und  der 
Hülsenwurm,  —  Die  Acephalocysten  sind  gleichförmige  Blasen 
mit  einem  festen  zelligen  Balge  und  einer  klaren  Flüssigkeit ,  welche  zu- 
weilen einzeln,  häufig  aber  in  grosser  Anzahl  in  einem  Sacke  vorkommen ; 
sie  finden  sich  am  häufigsten  in  der  Leber.  Die  Zufälle,  welche  sie  erre- 
gen, hängen  von  ihrem  Size  ab.  Sie  können  absterben  und  resorbirt  wer- 
den, wobei  der  Balg  ve'rkalkt  oder  sich  mit  einer  fettwachsähnlichen  Masse 
anfüllt.  Absterbende  Acephalocysten  können  Eiterung  in  ihrem  Balge 
erregen.  —  Der  Blasenschwanz,  Cysticercus  cellulosae, 
besteht  aus  einer  zarten ,  elliptischen ,  mit  Serum  gefüllten  Blase ;  der 
etwas  dunklere  Kopf  ist  rundlich  und  endigt  mit  einem  stumpfen  Bussel, 
an  welchem  4  Papillen  oder  Saugwarzen  sizen ,  die  mit  einem  doppelten 
Hakenkranze  umgeben  sind.  Der  Kopf  ist  durch  einen  dünnen  Hals  mit 
dem  blasenf  orangen  Körper  verbunden  und  kann  vorgestreckt  und  zurück- 
gezogen werden.  Er  kommt  im  Unterhautzellgewebe,  zwischen  Muskeln, 
im  Gehirn  und  in  den  Augenkammern  vor.  —  Der  Hülsenwurm,  Ec- 
hinococcus, unterscheidet  sich  von  dem  vorigen  durch  seinen  gros- 
sen Umfang,  indem  er  selbst  die  Grösse  einer  Faust  erreichen  kann,  durch 
einen  einfachen  Hakenkranz  und  dadurch,  dass  er  auf  seiner  innern  Fläche 
zahllose  sand  -  oder  hirsenkorngrosse  Individuen  von  derselben  Familie 
enthält.  Er  kommt  vorzugsweise  in  den  Unterleibsorganen  vor.  —  Ueber 
die  Entstehung  dieser  Hydatiden  ist  nichts  Näheres  bekannt.  —  Die  Be- 
handlung besteht  in  ihrer  Entfernung  durch  einen  Einschnitt ,  durch 
welchen  man  sie  herausdrückt,  oder  wenn  dies  nicht  vollständig  geschehen 
kann,  durch  Zerreissung  der  zarten  Blasen  mittels  einer  Sonde.  Zuweilen 
kann  es  nöthig  werden,  den  Sack  durch  Einlegen  von  Charpie  in  Entzün- 
dung und  Eiterung  zu  versezen.  —  b)Follicularcysten.  Sie  be- 
ruhen auf  einer  abnormen  Ausdehnung  der  Haut-  und  Schleimhautfollikel 
mit  Ansammlung  ihres  Absonderungsproductes .  Man  unterscheidet  dem- 
nach Hautfollicularcysten  und  Schleimhautfollicularcysten. —  Die  Haut- 

14* 


212  CYSTEN. 

follicularcysten  werden  wegen  ihres  dicklichen  Inhaltes  häufig  als 
( follikuläre )  Brei-  oder  Honiggeschwülste  (Atheromata  s. 
Meliceres)  bezeichnet.  Sie  sizen  in  der  Haut  und  kommen  bald  ein- 
zeln, bald  in  Mehrzahl  vor.  Ihre  Grösse  variirt  zwischen  der  einer  Erbse 
bis  zu  der  einer  grossen  Nuss.  Sie  haben  eine  rundliche  Form  ,  fühlen 
sich  fest,  zuweilen  fluctuirend  an  und  sind  etwas  beweglich.  Nicht  selten 
kann  man  den  Ausführungsgang  der  Drüse  als  einen  dunkeln  Fleck  er- 
kennen und  den  Inhalt  der  Geschwulst  durch  Druck  entleeren.  Der  Balg 
dieser  Cysten  ist  verschieden  dick,  hängt  mit  den  Umgebungen  mehr  oder 
weniger  fest  zusammen,  und  ist  auf  seiner  Innenfläche  mit  einem  Epithe- 
lium  überzogen.  Der  Inhalt  ist  verschieden ,  jedoch  fast  immer  grössten- 
teils aus  Fett  bestehend  ;  er  kann  festweich ,  talgartig,  käseartig ,  flüssig 
oder  ölartig  sein  ;  mitunter  findet  man  ihn  trocken  ,  grumös  ;  öfters  trifft 
man  auch  kalkartige  Massen  an.  Ferner  sind  es  diese  Cysten,  aus  welchen 
sich  am  häufigsten  hornartige  Excrescenzen  erheben.  Sie  kommen  am 
häufigsten  auf  dem  Kopfe  ,  im  Gesichte ,  am  Halse ,  am  Rücken  vor.  Die 
Ursachen  sind  Unreinlichkeit  der  Haut,  äusserer  Druck,  unterdrückte 
Hautausschläge  etc.  ;  die  nächste  Veranlassung  ist  eine  mechanische,  krampf- 
hafte oder  organische  Verschliessung  des  Ausführungsganges  einer  Haut- 
follikel ,  eine  zu  dickliche  Beschaffenheit  des  Inhalts  oder  endlich  Läh- 
mung des  Drüsenbalges  •  es  gibt  auch  eine  erbliche  Disposition.  Sie  kön- 
nen Jahre  lang  unverändert  bleiben,  zuweilen  entleeren  sie  sich  von  selbst. 
Bei  rascher  Vergrösserung  oder  äusserem  Drucke  entzünden  sie  sich,  kön- 
nen eitern  und  fistulöse  Geschwüre  veranlassen.  —  Behandlung.  Ist 
der  Ausführungsgang  der  Drüse  zu  entdecken,  so  kann  man  ihn  durch  eine 
Sonde  zu  erweitern  und  den  Inhalt  auszudrücken  versuchen.  Sicherer  ist 
es,  die  Geschwulst  zu  exstirpiren.  —  Die  Schleimhaut  follicular- 
cysten kommen  vorzüglich  in  der  Mutterseheide  ,  in  und  an  der  Gebär- 
mutter vor,  wo  sie  häufig  für  polypöse  Excrescenzen  gehalten  werden; 
in  den  Acinis  der  Schilddrüse  bilden  sie  den  Balgkropf.  Diese  Cysten  be- 
stehen aus  einem  zarthäutigen  Balge  von  Zellgewebe ,  zeigen  im  Innern 
ein  mehr  oder  weniger  deutliches  Epithelium  und  zuweilen  Abtheilungen. 
Der  Inhalt  ist  bald  wässrig,  schleimig,  bald  dickflüssig,  gallertartig,  auch 
eiterig.  Im  schleimigen  Inhalte  findet  man  Elementarkörner ,  Kerne  und 
Zellen  von  epithelialem  Charakter.  Diese  Cysten  kommen  bald  einzeln, 
bald  in  Mehrzahl  vor  und  haben  die  Grösse  einer  Erbse  oder  Nuss.  Sie 
liegen  bald  sehr  oberflächlich  und  sind  dann  zuweilen  gestielt ,  bald  sind 
sie  im  submucösen  Zellgewebe  eingebettet  und  ragen  nur  theilweise  her- 
vor. Es  scheint  diesen  Geschwülsten  ein  chronischer  entzündlicher  Zu- 
stand zu  Grunde  zu  liegen.  Grössere  Geschwülste  fluctuiren  deutlich.  — 
Behandlung.  Kleinere  hervorragende  Cysten  nimmt  man  mit  der 
Scheere  weg  oder  entfernt  sie  durch  Abbinden.  Grössere  tiefliegende 
spaltet  man ,  legt  Charpie  in  die  Höhle  und  lässt  die  Wunde  durch  Eite- 
rung heilen.  —  c)  Synovialcysten.    Diese   werden  durch  die  Wan- 


CYSTEN.  213 

düngen  der  Sehnenscheiden  oder  Schleimbeutel  gebildet  und  enthalten 
eine  der  Synovia  mehr  oder  weniger  ähnliche  Flüssigkeit.  Je  nach  ihrem 
Vorkommen  in  dem  einen  oder  dem  andern  der  genannten  Organe  unter- 
scheidet man  Sehnenscheiden-  und  Schleimbeutelcysten.  —  Die  Sehnen- 
scheidencysten,  Tendovaginalcysten,  Ganglien,  Ueber- 
beine  sind  partielle  Ausdehnungen  der  Sehnenscheiden,  und  stellen  rund- 
liche, abgegrenzte,  elastisch  gespannte,  fluctuirende  Geschwülste  von  der 
Grösse  einer  Haselnuss  bis  zu  der  eines  Taubeneies  oder  einer  Wallnuss 
dar,  über  welchen  die  Haut  unverändert  ist  und  welche  gegen  Druck  nicht 
empfindlich  sind.  Sie  zeigen  sich  am  häufigsten  an  langen  Sehnen ,  be- 
sonders wo  mehrere  beisammen  liegen,  in  der  Nähe  von  Gelenken,  nament- 
lich am  Handgelenke ,  aber  auch  am  Fussgelenke.  Selten  sind  sie  in 
Mehrzahl  vorhanden.  Grössere  Ueberbeine  hindern  mehr  oder  weniger 
die  Bewegungen  der  benachbarten  Sehnen.  Der  Balg  ist  gebildet  durch 
partielle  Ausdehnung  einer  oder  mehrerer  Sehnenscheiden,  deren  äusseres 
fibröses  Blatt  mehr  oder  weniger  verdickt  ist ,  während  eine  Umstülpung 
des  innern  serösen  Blattes  die  Sehnen  umgibt.  Zwischen  den  Blättern 
befindet  sich  eine  der  Synovia  ähnliche  wasserhelle  oder  gelbliche  dick- 
liche Flüssigkeit.  Die  Sehnen  sieht  man  daher  im  Innern  des  Balges  ; 
zuweilen  findet  man  sie  verdünnt ,  verändert ,  auch  mit  einander  verwach- 
sen. Manchmal  ist  der  Balg  in  mehrere  Abtheilungen  geschieden.  In  der 
Flüssigkeit  schwimmen  bisweilen ,  namentlich  bei  Ueberbeinen  an  der 
Hand,  neben  FaserstofTflocken,  epithelialen  Kernen,  Zellen,  Blättchen,  ein- 
zelne oder  viele,  glatte,  verschieden  geformte,  dem  äussern  Ansehen  nach 
knorpelige  Körperchen  von  der  Grösse  eines  Stecknadelkopfes  bis  zu  der 
einer  Bohne.  Diese  Körperchen  scheinen  einen  mehrfachen  Ursprung  zu 
haben  und  theils  durch  partielle  Einstülpungen  der  innersten  Haut  des 
Sackes  zu  entstehen,  theils  intracapsuläre  Gerinnungsproducte  zu  sein.  — 
Ursachen.  Aeussere  Gewalttätigkeiten  oder  starke  Anspannung  der 
Sehne  und  damit  Entzündung  und  Ausschwizung.  Selten  liegen  innere 
Ursachen  ,  wie  Rheumatismus  ,  Gicht  etc.  zum  Grunde.  Die  Ueberbeine 
treten  oft  rasch  auf,  andere  Male  entstehen  sie  langsam.  Meist  bleiben 
sie ,  bei  einer  gewissen  Grösse  angekommen ,  stehen ,  selten  verschwinden 
sie  von  selbst.  Entzünden  sie  sich  und  brechen  sie  auf,  so  hinterlassen 
sie  hartnäckige  Geschwüre.  —  Behandlung.  Frische  Ueberbeine  kann 
man  zu  zertheilen  versuchen  ;  in  dieser  Absicht  macht  man  Einreibungen 
von  Jod-  und  Quecksilbersalbe ,  von  Ochsengalle  mit  Hirschhornsalz ,  von 
Ol.  origani,  von  Kampher  mit  Terpenthinöl,  z.B.  Rp.  Camp  hör.  5j 
solve  in  Ol.  terebinth.  ^ß,  M.  ;  legt  Charpiebäuschchen  mit  folgen- 
der Mischung  auf:  Rp.  Tint.  jodinae  5üj  ,  Aq.  destill,  5ÜJ  ,  M., 
gebraucht  reizende  Bäder ,  legt  zertheilende  und  blasenziehende  Pflaster 
auf,  bringt  einen  Druck  mittels  Bleiplatten  u.  dgl.  auf  die  Geschwulst  an 
etc.  Gelingt  die  Zertheilung  nicht ,  so  kann  man  ein  Aezmittel  appli- 
ciren   oder    die  Geschwulst  durch   eine  Incision  öffnen  ,   ihren  Inhalt  aus- 


214  CYSTEN. 

drücken  und  durch  Compression  das  fernere  Wachsen  verhindern.  Ein- 
greifender ist  das  Verfahren  von  V  e  1  p  e  a  u  ,  der  nach  der  Punction  der 
Geschwulst  eine  reizende  Flüssigkeit,  wie  heisses  Wasser,  verdünnte  Jod- 
tinctur  etc.  einsprizt  und  durch  nachfolgende  Compression  den  Balg  zur 
Verwachsung  zu  bringen  sucht.  Dieses  Verfahren  kann  durch  Ausbreitung 
der  Entzündung  höchst  gefahrlich  werden.  Dasselbe  gilt  von  dem  Ein- 
ziehen eines  Haarseiles.  Die  sichersten  Behandlungsmethoden  der  Ueber- 
beine  bestehen  in  der  partiellen  Exstirpation  und  in  der  subcutanen  Zer- 
schneidung derselben.  Die  erstere  ist  nur  da  rathsam,  wo  die  Geschwulst 
frei  sizt,  daher  bis  zu  ihrer  Basis  zugänglich  ist.  Nach  der  Operation  wird 
die  Wunde  genau  vereinigt  und  ein  leichter  Druckverband  angelegt.  Bei 
Individuen,  bei  denen  sich  Rheumatismus,  Gicht,  Scropheln  n.  dgl.  nach- 
weisen lassen ,  unterlässt  man  die  Operation  besser  ,  da  hier  gern  ausge- 
breitete Entzündung,  schlechte  Eiterung,  hartnäckige  Fisteln  etc.  entste- 
hen. Die  weniger  gefährliche  ,  aber  auch  weniger  sichere  subcutane  Zer- 
schneidung des  Balges  wird  mit  dem  D  i  e  ff  e  nb  ach 'sehen  Tenotom 
oder  mit  dem  Kystotom  vonEmmert  ausgeführt.  Hauptsache  bei  dieser 
Operation  ist,  dass  der  Balg  nach  verschiedenen  Richtungen  durchschnit- 
ten und  so  alle  abgesonderten  Räume  geöffnet  werden  ,  damit  eine  gehö- 
rige Reaction  entsteht  und  keine  geschlossenen  Säcke  zurückbleiben. 
Nachdem  der  Inhalt  des  Balges  ausgedrückt  ist ,  wird  die  Wunde  wie  bei 
der  einfachen  Incision  behandelt.  Hennemann  unterhält  durch  ein  in 
die  Stichwunde  eingeschobenes  Fischbeinstäbchen  den  Ausfluss  >  einige 
Tage  hindurch.  —  Die  Schi  ei  m  beutele  ysten,  Hygrome,  stellen 
mehr  oder  minder  umfangreiche  Geschwülste  dar  und  entstehen  in  Folge 
einer  krankhaften  flüssigen  Ansammlung  in  den  Schleimbeuteln  (Bursae 
mueosa  e).  Man  findet  sie  daher  an  Stellen,  wo  Schleimbeutel  zu  liegen 
pflegen,  unter  der  Haut,  unter  Sehnen  und  Muskeln,  über  Knochenvor- 
sprüngen ,  also  meistens  in  der  Nähe  von  Gelenken ,  am  häufigsten  an  der 
Kniescheibe  und  am  Ellbogengelenke.  Mitunter  kommen  dieselben  auch 
an  ungewöhnlichen  Orten  vor  und  sind  dann  neugebildete  Schleimbeutel. 
Der  Balg  der  Hygrome  ist  verschieden  dick  und  auf  der  Innenfläche  bald 
glatt ,  bald  mit  unorganisirten ,  geronnenen  oder  mit  organisirten  Exsuda- 
ten in  den  verschiedensten  Formen  bedeckt ;  zuweilen  ist  derselbe  auch 
abgetheilt.  Der  Inhalt  ist  bald  wässerig ,  hydropischem  Exsudate  ganz 
ähnlich  ,  oder  schleimig ,  eiweissartig ,  der  Synovia  gleichend  ,  oder  blutig 
von  ergossenem  Blute,  auch  fibrinös  oder  eiterig;  selten  findet  man  die 
oben  beschriebenen  Körperchen.  Die  Form  der  subcutanen  Hygrome  ist 
gewöhnlich  rundlich  ,  diejenige  der  subtendinösen  verschieden  und  unbe- 
stimmt. Der  Grund  der  krankhaften  Ansammlung  ist  in  den  meisten  Fäl- 
len in  einer  chronischen  oder  acuten  Entzündung ,  hervorgerufen  durch 
örtliche  Einwirkungen ,  namentlich  Quetschungen  in  Folge  eines  Falles, 
Stosses  etc. ,  oder  durch  allgemeine  Ursachen ,  wie  Rheumatismus  ,  Gicht, 
Scropheln  etc.,  oder  durch  Uebergang  einer  Entzündung  von  benachbarten 


DAMMRISS.  215 

Gebilden  aus  zu  suchen.  Auch  ein  erbliches  Vorkommen  der  Hygrome 
ist  beobachtet  worden.  Grössere  Geschwülste  beeinträchtigen  die  Bewe- 
gungen, besonders  wenn  der  Balg  entzündet  ist.  Kalte  Hygrome  entzün- 
den sich  häufig  durch  Misshandlung  und  die  Entzündung  kann  sehr  heftig 
werden ,  Abscessbildung  und  hartnäckige  fistulöse  Geschwüre  zur  Folge 
haben.  Schlimm  ist  es,  wenn  das  subtendinöse  Hygroma  mit  einer  Gelenk- 
höhle communicirt.  —  Behandlung.  Man  sucht  die  Geschwulst  zu 
zertheilen ,  was  man  bei  bestehender  Entzündung  durch  Blutegel ,  kalte 
Umschläge  ,  Quecksilbereinreibungen  ,  bei  chronischem  ,  kaltem  Zustande 
durch  Jodsalbe  ,  Jodtinctur ,  Zugpflaster ,  Moxen  u.  dgl.  und  Druck  ins 
Werk  sezt.  Damit  muss ,  wenn  innere  Ursachen  zu  Grunde  liegen ,  eine 
entsprechende  innere  Behandlung  verbunden  werden.  Schlägt  die  Zerthei- 
lung  fehl,  so  geht  man  zur  Punction  mit  Druckverband,  oder  zurPunction 
mit  Injection,  zum  Ziehen  eines  Haarseiles,  zur  subcutanen  Zerschneidung 
oder  der  Exstirpation  des  Balges  über  (s.  die  Ueberbeine),  oder  man 
schneidet  diesen  auf  und  bewirkt  die  Heilung  durch  Eiterung.  Die  ein- 
greifenden Kurverfahren  sind  nur  bei  subcutan  gelegenen  Hygromen  rath- 
sam.    S.  auch  Wassergeschwulst  aufder  Kniescheibe. 


D. 


D AMMHISb ,  Ruptura  perinaei,  entsteht  meistens  wäh- 
rend der  Geburt  und  er  beschränkt  sich  entweder  auf  die  Trennung  der 
hintern  Schamlefzencommissur ,  oder  der  Riss  geht,  bis  zum  Mastdarme, 
wobei  selbst  der  Sphincter  mit  getrennt  sein  kann.  Leichte  Dammrisse 
heilen  gewöhnlich  von  selbst  bei  fortgesezter,  Seitenlage  mit  einander  ge- 
näherten Schenkeln  ;  seltener  ist  dies  der  Fall  bei  grösseren  Rissen  wegen 
des  Lochialflusses  und  der  bei  der  Stuhlausleerung  eintretenden  Ausdeh- 
nung;  nie  geschieht  dies  bei  totaler,  bis  in  den  Mastdarm  dringender 
Durchreissung  (s.  Wunden  des  Dammes),  und  in  allen  Fällen,  wo 
jene  Heilung  ausbleibt,  ist  sowohl  für  die  Kranke,  wie  für  ihre  Umgebung 
ein  höchst  lästiges  Uebel  gegeben.  Kommt  die  Vereinigung  eines  Damm- 
risses nicht  zu  Stande ,  so  überhäuten  sich  die  beiden  Wundränder  und 
die  Heilung  ist  nur  durch  Abtragung  dieser  Wundränder  und  Vereinigung 
derselben  durch  die  Nacht  möglich.  Diese  Abtragung  sezt  man  ins  Werk, 
indem  man  die  Spaltenränder  nach  einander  mit  einer  Pineette  oder  der 
Ectropiumzange  fasst  und  sie  mit  einem  geraden  Messer ,  weniger  zweck- 
mässig mit  einer  Scheere  abträgt.  Nach  der  Stillung  der  Blutung  mit- 
tels kalten  Wassers  vereinigt  man  die  Spalte  durch  die  Knopfnaht ,  indem 
man  eine  gehörig  starke,  gekrümmte ,  mit  einem  gewichsten  Fadenbänd- 
chen  versehene  Wundnadel,  1 1/2  Linie  vom  hintern  Wundwinkel  entfernt, 


216  DARMABSCESSE. 

durch  die  beiden  Ränder  nach  ihrer  ganzen  Tiefe  ein-  und  durchsticht, 
den  Faden  nachzieht,  und  auf  dieselbe  Weise  vier  Linien  näher  gegen  die 
Scheide  eine  zweites  ,  und  wenn  die  Grösse  des  Risses  es  erfordert ,  eine 
dritte  Ligatur  einführt.  Nach  der  Reinigung  der  Wunde  knüpft  man  die 
Hefte,  zuerst  das  hinterste,  mit  zwei  einfachen  Knoten  so  fest,  dass  sich 
die  Wundlefzen  derb  berühren  ,  zusammen ,  worauf  man  die  Fadenenden 
dicht  am  Knoten  abschneidet.  Bei  messerscheuen  Kranken  soll  man  nach 
Nevermann  die  überhäuteten  Wundlippen  mit  ungelöschtem  Kalke  auf- 
frischen und  dann  eine  ruhige  Lage  beobachten  lassen.  Wie  man  auch 
verfährt ,  so  muss  eine  solche  auf  der  Seite  mit  angezogenen  und  zusam- 
mengebundenen Schenkeln  eingehalten  werden  ;  auf  den  Damm  legt  man 
eine  Compresse  oder  einen  Schwamm  mit  kaltem  Wasser.  Nach  Danyau 
und  N  e  1  a  t  o  n  erfolgt  die  Vereinigung  der  WTundränder  ,  selbst  bei  älte- 
ren Fällen  ohne  Auffrischung  bei  ruhiger  Lagerung  mit  oder  ohne  Sutur. 
Dabei  lässt  man  eine  leichte  Diät  führen  und  sorgt  durch  Oelemulsionen 
und  erweichende  Klystiere  für  eine  leichte  breiige  Oeffnung ,  wobei  die 
Kranke  aber  nicht  drängen  oder  ihre  Lage  verändern  darf ;  den  Harn  lasse 
dieselbe  in  eine  vorgehaltene  blecherne  Muschel,  von  welcher  ein  Schlauch 
in  ein  Gefäss  führt,  oder  man  entleere  ihn  mittels  des  Catheters.  Die 
Hefte  entfernt  man  nach  dem  5.  Tage  vorsichtig;  das  am  After  bleibt  am 
längsten  liegen.  Bei  ununterbrochener  Ruhe  verbindet  man  die  Wunde 
täglich  mit  Bleiwasser ,  und  wenn  einzelne  Stellen  eitern ,  so  fördert  man 
ihre  Vernarbung  durch  Höllenstein.  Ist  die  Vereinigung  ganz  oder  gröss- 
tentheils  misslungen ,  so  wiederholt  man  die  Operation  sogleich  oder 
später. 

JJärnitlüSCeSSe«  Hierunter  versteht  man  Bauchabscesse,  welche 
durch  eine  oder  mehrere  fistulöse  Oeffnungen  mit  der  Höhle  eines  Darms 
in  Verbindung  stehen.  Die  Perforation  des  Darms  geht  entweder  von 
einem  Abscess  der  Bauchdecken  aus,  oder  sie  tritt  in  Folge  einer  von  den 
Darmhäuten  ausgehenden  Verschwärung  ein  mit  nachfolgender  Abscess- 
bildung  in  der  Umgebung  des  Darms.  Nur  von  diesen  lezteren  ist  hier 
die  Rede.  Die  Veranlassung  zu  solchen  Darmabscessen  können  geben : 
Einklemmung  einzelner  Darmpartien,  Anhäufungen  von  Kothmassen, 
fremde  steckengebliebene  Körper,  Würmer,  typhöse,  dysenterische  Ulcera- 
tionen  der  innern  Darmfläche  etc.  Es  kommt  indessen  bei  solchen  Darm- 
perforationen nur  dann  zu  Abscessen  in  der  Umgebung,  wenn  Anheftun- 
gen des  kranken  Darmstücks  an  seine  Nachbartheile  stattgefunden  haben, 
andernfalls  folgt  eine  tödtliche  Ergiessung  in  die  Bauchhöhle.  DieDarm- 
abscesse  haben  bald  eine  mehr  oberflächliche ,  bald  eine  tiefere  Lage  und 
können  sich  diesemnach  bald  durch  die  Bauchdecken  nach  aussen  ent- 
leeren ,  was  eine  Kothfistel  zur  Folge  hat ,  bald  ergiesst  sich  der  Eiter  in 
den  Darm ,  wo  er  dann  mit  der  Oeffnung  entleert  wird  ;  endlich  kann  der 
Eiter  bei   tief  unten  im   kleinen  Becken  liegenden  Abscessen  durch  Sen- 


DARMABSCESSE.  217 

kung  an  der  Mutterscheide,  am  Mastdarm,  am  Oberschenkel  etc.  zu  Tage 
treten.  S.  die  Art.  B  auch  ab  s  c  es  s  e  und  B  e  ck  e  n  ab  s  c  e  s  s  e.  — 
Am  häufigsten  kommen  Darmabscesse  am  Blinddarm  und  seinem 
wurmförmigen  Fortsaze  vor.  Der  Grund  davon  ist  darin  zu 
suchen ,  dass  diese  Darmpartie  durch  ihre  Lage  und  Form  am  meisten 
Kothanhäufungen  und  dem  Steckenbleiben  fremder  Körper  ausgesezt  ist, 
wodurch  nicht  selten  zu  Entzündung  (T  y  p  h  1  i  t  i  s)  ,  Verschwärung  und 
Brand ,  und  weiterhin  zur  Perforation  derselben  Veranlassung  gegeben 
wird.  Zuweilen  geht  die  Entzündung  von  dem  Zellgewebe  aus  ,  welches 
den  Blinddarm  in  der  Darmbeingrube  anheftet  (Perityphlitis);  die 
Perforation  des  Darms  geschieht  in  diesem  Fall  von  aussen  nach  innen. 
Die  Perforation  kann  an  einer  oder  mehreren  Stellen  und  an  der  hintern 
oder  vordem  Darmwand  geschehen  und  den  Darminhalt  in  den  Bauch- 
fellsack mit  meist  tödtlicher  Peritonitis  ,  oder  ausserhalb  desselben  sich 
ergiessen  ,  in  welchem  Falle  es  zu  Bildungen  von  Abscessen  und  je  nach 
der  Lage  dieser  zur  Entstehung  von  Kothfisteln  oder  zu  Eitersenkungen 
nach  entfernteren  Punkten  konimt  (s.  oben  und  B  e  ck  e  n  a  b  s  ce  s  s  e  ). 
Die  Abscesse ,  welche  in  Folge  einer  Perityphlitis  auftreten ,  zeigen 
an  einer  gewissen  Stelle  einen  entzündlichen  Schmerz,  der  sich  auf  Be- 
tasten vermehrt ,  es  ist  Fieber  zugegen  und  es  machen  sich  Functionsstö- 
rungen  bemerklich.  Den  Abscessen  ,  welche  sich  aus  einer  Entzündung 
und  Verschwärung  in  Folge  einer  Kothanhäufung  (Typhlitis  sterco- 
rea)  entwickeln,  gehen  in  der  Regel  längere  Zeit  Störungen  in  der  Stuhl- 
auslerung ,  Verstopfung  oder  auch  Durchfall  vorher ,  mit  kolikartigen 
Schmerzen  in  der  -rechten  Darmbeingrube.  Mit  der  Steigerung  der  Ent- 
zündung und  dem  Eintritt  des  Ulcerationsprocesses  werden  diese  Schmer- 
zen anhaltender  und  heftiger  und  breiten  sich  mehr  über  den  Unterleib 
aus.  Die  Perforation  mit  dem  Austritt  der  Kothmassen  kündigt  sich  bis- 
weilen durch  plözlich  eintretende  heftige  Schmerzen  in  der  Coecalgegend 
an.  Es  entwickelt  sich  nun  ein  entzündliches  Fieber  mit  Uebelkeit  ,•  Er- 
brechen ,  Spannung  und  Auftreibung  des  Unterleibes  und  in  der  Coecal- 
gegend macht  sich  eine  Geschwulst  bemerklich ,  welche  mehr  oder  weni- 
ger empfindlich  ist  und  auf  Anschlagen  einen  matten  Ton  gibt.  Im  gün- 
stigen Falle  bleiben  die  Entzündung  und  der  Abscess  auf  die  Umgebung 
der  Perforationsstelle  beschränkt ,  Fieber  und  peritonitische  Symptome 
massigen  sich  und  es  verbleibt  nur  die  Entzündungsgeschwulst  in  der 
Darmbeingrube.  Der  Durchbruch  des  sich  bildenden  Abscesses  erfolgt 
entweder  durch  die  Bauchdecken,  oder  der  Eiter  senkt  sich  in  das  kleine 
Becken  und  kommt  am  Mastdarm  etc.  zum  Vorschein  oder  er  bricht  sich 
in  einen  Darm  Bahn,  wo  er  dann  mit  dem  Stuhl  ausgeleert  wird.  —  Be- 
handlung. Bei  bestehender  Verstopfung  mit  fühlbarer  Anhäufung  von 
Fäcalmassen  in  der  Coecalgegend  kann  man  versuchen,  durch  die  fortge- 
sezte  Anwendung  auflösender  und  abführender  Mittel  nebst  Klystieren 
der  Perforation   vorzubeugen.      Sind   einmal  peritonitische  Erscheinungen 


218  DARMSCHNITT. 

eingetreten,  so  sind  Stuhl  {inhaltende  Mittel,  besonders  Opium,  angezeigt, 
bis  diese  Erscheinungen  verschwunden  sind.  Daneben  Aderlässe,  Blut- 
egel, kalte  Umschläge  auf  die  leidende  Inguinalgegend.  Ist  Aussicht  auf 
Zertheilung  der  Entzündungs-  und  Eitergeschwulst  vorhanden  ,  so  wendet 
man  die  geeigneten  Mittel  an.  Bereitet  sich  der  Durchbruch  des  Eiters 
nach  aussen  vor ,  so  befördere  man  diesen  und  eröffne  den  Abscess  früh- 
zeitig. 

Darms Chnitt,  Enterotomia,  Laparo  -  enterotomia, 
nennt  man  die  Eröffnung  irgend  eines  Darmstückes  nach  vorhergegange- 
ner Einschneidung  der  Bauchwandungen.  Man  unternimmt  diese  Ope- 
ration, um  aus  einem  Darmtheile  einen  fremden  Körper,  welcher  auf  dem 
gewöhnlichen  Weg  nicht  entfernt  werden  kann  ,  durch  seine  Gegenwart 
lebensgefahrliche  Zufälle  hervorbringt  und  sich  deutlich  durch  das  Ge- 
fühl entdecken  lässt,  zu  entnehmen,  oder  den  auf  natürlichem  Wege  nicht 
zu  entleerenden  Excrementen  einen  Ausweg  zu  verschaffen  (s.  über  Lez- 
teres  den  Art.  künstlicher  After).  Der  Ort  des  Einschnittes  wird 
durch  den  Siz  des  fremden  Körpers  bestimmt.  Der  Operateur  macht, 
an  der  rechten  Seite  des  in  der  Nähe  des  Bettrandes  liegenden  Kranken 
stehend  ,  vorsichtig  einen  etwa  2  Zoll  betragenden  Längenschnitt  durch 
Haut  und  Muskeln  bis  auf  das  Bauchfell,  die  Art.  epigastrica  und 
andere  Arterien  vermeidend ,  erhebt  das  Bauchfell  mit  einer  Pincette 
hügelfönnig  und  schneidet  es  so  weit  ein  ,  dass  er  eine  Hohlsonde  ein- 
schieben kann ;  auf  dieser  erweitert  er  den  Schnitt ,  bis  er  einen  Finger 
einführen  kann  und  sezt  auf  lezterem  die  Dilation  mit  dem  Pott'  sehen 
Bistouri  bis  zur  Grösse  der  Hautwunde  fort.  Nun  lässt  er  die  Wund- 
ränder auseinanderhalten ,  führt  den  beölten  linken  Zeigefinger  in  die 
Bauchhöhle,  um  die  Lage  des  fremden  Körpers  zu  untersuchen  und  wenn 
der  Darm  nicht  mit  dem  Bauchfell  verwachsen  ist ,  so  zieht  er  den  be- 
treffenden Theil  in  die  Bauch  wunde ,  sticht  ihn  mit  einem  bis  zur  Spize 
mit  Leinwand  umwickelten  Bistouri  an  und  erweitert  die  Oeffnung  bis 
zur  nöthigen  Grösse  und  zwar  nach  der  Längen  -  oder  Querachse  des 
Darmes  ,  je  nachdem  dadurch  die  Verwachsung  am  sichersten  geschont 
werden  kann.  Ist  der  Darm  angewachsen,  so  hebt  er  seine  vordere  Wand 
mit  der  Pincette  in  eine  Falte ,  schneidet  diese  ein  und  erweitert  den 
Schnitt  mit  dem  Pott'schen  Bistouri  auf  der  Hohlsonde  oder  dem  Finger, 
und  zwar  in  die  Quere,  wenn  er  nicht  gross  werden  muss,  sonst  nach  der 
Länge  des  Darmes.  An  dem  in  der  Darmwunde  gelassenen  Finger  führt 
man  eine  passende  Zange  ein  und  entfernt  damit  den  fremden  Körper. 
Ist  die  Darmwunde  über  1/2  Zoll  lang,  so  muss  man  sie,  um  Kotherguss 
in  die  Bauchhöhle  zu  verhüten ,  durch  eine  Gekrösschlinge  dicht  hinter 
der  Bauchwunde  erhalten.  In  den  unteren  Winkel  der  Wunde  legt  man 
ein  Leinwandstreifchen ,  um  einem  Extravasate ,  das  sich  bilden  könnte, 
den  Ausweg  offen  zu  erhalten,  vereinigt  die  übrige  Wunde  durch  die  blu- 


DRUCK.  219 

tige  Naht  und  Heftpflaster,  legt  eine  Compresse  über  die  Wunde  und 
hält  das  Ganze  durch  eine  Bauchbinde  fest.  Man  lässt  strenge  Ruhe, 
Rückenlage  und  eine  antiphlogistische  Lebensweise  beobachten  und  hält 
den  Leib  durch  Klystiere  offen.  Entwickelt  sich  eine  Bauchfellentzün- 
dung ,  so  behandelt  man  sie  nach  bekannten  Regeln.  Wenn  die  Hefte 
locker  werden,  was  gewöhnlich  gegen  den  6.  Tag  geschieht,  so  entfernt 
man  sie  ;  die  noch  nicht  feste  Vernarbung  unterstüzt  man  durch  Heft- 
pflasterstreifen und  lässt  später  zur  Verhütung  eines  Bauchbruches  längere 
Zeit  einen  Bauchgurt  tragen. 

Druck,  Compressio.  Hierunter  begreift  man  die  Anwendung 
jedes  Verfahrens  ,  wo  durch  äussere  Mittel  eine  Zusammendrückung  der 
thierischen  Substanz  erzielt  wird.  —  Die  Wirkung  des  Drucks  ist  sowohl 
nach  seiner  Dauer  und  Heftigkeit,  wie  nach  seiner  Ausbreitung,  nach  den 
dazu  verwendeten  Hülfsmitteln  und  nach  der  comprimirten  thierischen 
Substanz  verschieden.  Sie  ist  zum  Theil  eine  rein  physische  ,  zum  Theil 
eine  vitale.  Alles  Leben  gedeiht  nur  in  einem  ihm  angewiesenen  Räume, 
wird  dieser  Raum  von  aussen  beschränkt ,  so  folgt  eine  Behinderung  des 
Lebensprocesses ,  der  sich  nicht  mehr  so  frei  entfalten  kann  und  mit  die- 
ser Behinderung  alle.Reactionen  des  Organismus  ,  das  Hinderniss  zu  be- 
wältigen und  ist  es  zu  mächtig ,  es  unschädlich  zu  machen.  Ein  plöz- 
licher  heftiger  Druck,  ein  Druck ,  dem  die  organische  Faser  nicht  Wider- 
stand zu  leisten  vermag,  bewirkt  Trennung,  Zerreissung,  plözlich  eintre- 
tende Stockung  der  Functionen  und  nach  der  Wichtigkeit  des  comprimir- 
ten Theils  Örtlichen  oder  allgemeinen  Tod.  Ein  schnell  vorübergehender, 
leichter  Druck  wird  dagegen  von  der  Elasticität  der  Gewebe  leicht  er- 
tragen, der  Theil  erhebt  sich  nach  Aufhören  des  Druckes  sogleich  wieder 
und  auf  den  Reiz  folgt  vermehrter  Turgor  und  Säftezufluss.  Zwischen 
beiden  äussersten  Heftigkeitsgraden  des  Drucks  liegen  unendliche  Mittel- 
stufen ,  die  bei  der  Mannigfaltigkeit  der  Wirkung  ihrer  Anwendung  ein 
weites  Feld  eröffnen.  Ein  Druck,  stark  genug,  um  das  Lumen  der  Ge- 
fässe  zu  comprimiren ,  hindert  die  Circulation  der  Flüssigkeiten  in  den- 
selben, ein  Druck  auf  die  Nerven  ihre  Leitungsfähigkeit ,  wird  er  längere 
Zeit  fortgesezt,  so  wird  der  jenseits  des  Drucks  von  den  Centralorganen 
entfernt  liegende  Theil  seiner  Zufuhr  beraubt ,  er  wird  weiss,  kalt,  stirbt 
ab,  mumificirt  und  wird  durch  Eiterung  abgestossen.  Ist  der  Druck  nur 
so  stark,  die  Circulation  in  den  Herzgefässen  zu  behindern,  so  sucht  sich 
das  Leben  dem  beschränkten  Räume  zu  accomodiren,  die  Resorption  stei- 
gert sich,  Flüssigkeiten,  Fett,  die  Weichtheile,  ja  endlich  sogar  die  Kno- 
chen werden  aufgesaugt  und  es  erfolgt  ein  atrophischer  Zustand,  der  sich 
mit  dem  Aufhören  des  Drucks  wieder  auszugleichen  strebt.  Oft  bedarf 
man  der  Reactionsbestrebungen  des  Organismus  zum  Heilzweck  und  die 
erhöhte  Resorption,  die  Adhäsionen ,  welche  sich  bei  fortgeseztem  Drucke 
bilden  ,   die  durch  ihn  hervorgerufene  Entzündung  sind  der  Zweck ,   wes- 


220  DRUCK. 

halb  man  einen  Druck  auf  den  Körper  einwirken  lässt.  —  Wir  wenden 
den  Druck  an  :  1 )  um  die  Circulation  in  einem  Theile  zu  beschränken, 
daher  bei  Entzündungen  ,  zur  Unterbrechung  der  Circulation  in  Arterien 
und  Venen;  2)  um  die  Nervenleitung  aufzuheben,  daher  bei  mehreren 
schmerzhaften  Nervenaffectionen  ;  3)  um  die  Resorption  zu  befördern,  da- 
her bei  Pseudoplasmen,  bei  Ausschwizungen  und  Extravasaten,  Stricturen 
etc.  ;  4)  um  die  Adhäsion  einander  genäherter  Flächen  zu  befördern,  da- 
her bei  Fisteln,  bei  der  Heilung  der  Blutaderknoten  und  Brüche;  5)  um 
die  Lebensthätigkeit  in  dem  comprimirten  Theile  zu  vermindern ;  6)  um 
die  Lebensthätigkeit  in  dem  comprimirten  Theile  zu  vernichten  ,  die  Li- 
gatur;  7)  um  die  organische  Faser  gewaltsam  zu  trennen.  —  Der  Druck 
wird  entweder  von  aussen  nach  innen  angewendet  (Compression  im  engern 
Sinne)  oder  von  innen  nach  aussen  (Dilatation;  s.  Erweiterungs- 
mittel); er  ist  entweder  momentan  oder  andauernd ,  mittelbar  oder  un- 
mittelbar. —  Es  kann  hier  nur  von  den  verschiedenen  Arten  von  Druck 
die  Rede  sein.  Weiteres  ist  bei  denjenigen  Krankheitsformen  nachzulesen, 
bei  denen  der  Druck  als  Heilmittel  angezeigt  ist.  —  1)  Kreisförmige 
Compression  auf  einer  schmalen  Fläche  mittels  eines  Ban- 
des, einer  Halsbinde  ,  eines  Sacktuchs  u.  dgl. ,  welche  im  Nothfall  durch 
einen  Knebel  fester  angezogen  werden.  Sie  kann  nur  an  einer  Extremität 
in  Anwendung  kommen ,  und  darf  nicht  zu  lange  am  Plaze  bleiben ,  wenn 
das  Leben  des  comprimirten  Theils  nicht  gefährdet  werden  soll.  Man 
gebraucht  sie ,  um  die  Einsaugung  eines  Gifts  unmittelbar  nach  seiner 
Einimpfung  zu  verhindern ,  um  Krämpfe  zu  verhüten  oder  zu  stillen  ,  um 
die  ^Entwicklung  eines  epileptischen  Anfalls  (wenn  dieser  unter  Vorboten 
eintritt)  oder  eines  intermittirenden  Fiebers  zu  verhindern.  —  2)  Kreis- 
förmige gleich  massige  Compression  auf  eine  ausge- 
dehnte Fläche.  Diese ,  massig  stark  und  eine  Zeit  lang  angewendet, 
steigert  die  Contractilität  der  Gewebe ,  befördert  den  Lauf  des  venösen 
Blutes  und  der  Lymphe ,  beschränkt  den  Lauf  des  arteriellen  Bluts ,  ver- 
hindert und  mässigt  somit  den  Blutandrang  in  den  comprimirten  Theilen 
und  die  ödematöse  Anschwellung ,  befördert  die  Resorption  ergossener 
Flüssigkeiten,  vermindert  das  Volumen  der  Theile  und  wirkt  der  excessiven 
Thätigkeit  der  Muskeln  entgegen.  Zu  stark  und  zu  lange  angewendet, 
kann  sie  Einschnürung  der  Theile ,  oder  Atrophie ,  Lähmung  und  unvoll- 
kommene Ankylose  herbeiführen.  Die  Mittel ,  durch  welche  diese  Com- 
pression ins  Werk  gesezt  wird,  sind  die  Rollbinden,  breite  Gürtel,  Schnür- 
strümpfe ,  Suspensorien ,  Heftpflasterstreifen.  Um  einen  stärkeren  seit- 
lichen Druck  damit  zu  verbinden  (bei  Pulsadergeschwülsten,  sinuösen  Ab- 
scessen,  Fisteln,  blutenden  Gefässen  etc.),  legt  man  graduirte  Compressen 
oder  Longuetten  unter.  —  3)  Seitliche,  umschriebene  (mittel- 
bare oder  unmittelbare)  Compression.  Hierher  gehört  die 
Compression  der  Kopf  blutgeschwulst  der  Neugeborenen  mit  Bleiplatten, 
die  Zurückhaltung  von  Gehirn-  uud  andern  Brüchen,  so  wie  von  Vorfällen, 


ECCHYMOMA.      ECCHYMOSIS.  221 

die  Compression  der  Speichel-,  Koth-  und  anderer  Fisteln,  die  Compres- 
sion  der  Pulsadergeschwülste  ,  die  Compression  der  Harnröhre ,  bei  dem 
Unvermögen ,  den  Harn  zu  halten  etc.  ,  wozu  meistens  besondere  mecha- 
nische Vorrichtungen  beniizt  werden. 


E. 


ECCHYMOMA  (von  fx  und  /v/üt.og ,  Saft),  Haematoma, 
Blutgeschwulst,  nennt  man  eine  Blutergiessung  in  das  Zellgewebe, 
wobei  das  Blut  eine  umschriebene  ,  weiche  und  fluctuirende  Geschwulst 
bildet,  über  welcher  die  Haut  meistens  bläulich  erscheint.  Beule, 
Blutbeule  nennt  man  die  Geschwulst ,  wenn  sie  auf  einem  Knochen 
aufsizt  und  eine  in  der  Regel  harte  Beschaffenheit  hat.  Die  Blutgeschwulst 
ist  die  Folge  von  äussern  Gewaltthätigkeiten,  meist  verübt  durch  stumpfe 
Körper  ,  wie  Prügel ,  Steine  etc.  —  Ecchymosis,  Blut  unterlau- 
fung, ist  nur  dem  Grade  nach  vom  Ecchymoma  verschieden.  Hier 
ist  das  Blut  ebenfalls  ins  Zellgewebe  ergossen,  aber  in  geringerer  Menge, 
flach  und  in  grösserer  Ausbreitung.  Das  ergossene  Blut  theilt  den  Haut- 
bedeckungen eine  violett  rothe  ,  livide  oder  selbst  schwarze  Fäi-bung  mit. 
Die  Blutunterlaufung  wird  auch  mit  dem  Namen  Suggillatio  bezeich- 
net ;  darunter  verstehen  Einige  aber  die  Blutunterlaufungen  in  Folge  äus- 
serer Gewaltthätigkeiten  ,  wie  Quetschungen  etc. ,  während  sie  die  Blut- 
ergiessungen  in  das  Zellgewebe  in  Folge  von  Entzündungen ,  Fiebern, 
Blutzersezung  etc.  mit  dem  Namen  Ecchymose  bezeichnen;  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  werden  indessen  Ecchymose  und  Suggillation  zur  Be- 
zeichnung eines  und  desselben  Zustandes  gebraucht.  —  In  gerichtlich- 
medicinischer  Hinsicht  von  Wichtigkeit  ist  die  Unterscheidung  der  Ec- 
chymose von  den  Todtenflecken,  d.  h.  die  Entscheidung,  ob  die  an  einem 
Leichname  vorgefundenen  Flecken  während  des  Lebens  oder  erst  nach 
dem  Tode  entstanden  sind.  Bei  der  Ecchymose  findet  eine  Zerreis- 
sung  der  Gefässe  statt,  daher  tritt  das  Blut  in  seiner  Totalität,  d.  h.  Flüs- 
sigkeit und  Körperchen ,  aus ,  und  drängt  sich  in  die  Zwischenräume  der 
Fasern  und  übrigen  Gewebe  hinein ;  hier  gerinnt  das  Blut ,  bildet  eine 
feste  Masse ,  in  welcher  die  Blutkörperchen  mit  ihrem  Farbestoffe  einge- 
schlossen sind  und  dem  Ganzen  die  Farbe  geben.  Wenn  man  daher 
einen  solchen  Fleck  einschneidet,  so  findet  man  eine  Menge  von  kleinen 
Partikeln  geronnenen  Blutes.  —  Die  Todtenflecke  bilden  sich  unter 
dem  Einflüsse  der  Schwere  und  finden  sich  daher  immer  an  denjenigen 
Stellen ,  zu  welchen  das  Blut  durch  seine  Schwere  hingetrieben  wird. 
Schon  der  Umstand,  dass  sie  nicht  vereinzelt,  sondern  in  mehr  oder  weni- 
ger verbreitetem  Umfange  vorkommen,  erleichtert  ihre  Erkenntniss.     Ein 


222  EIERSTOCKKRANKHEITEN. 

Einschnitt  in  die  Haut  offenbart  aber  ihre  Natur  vollständig.  Man  sieht 
dann ,  dass  keine  Zerreissung  von  Blutgefässen ,  sondern  allein  eine  An- 
füllung  des  Capillargef  ässnezes  besteht ;  die  Lederhaut  erscheint  weiss 
und  mit  einem  schwarzrothen  Gef  ässneze  bedeckt.  Ausser  den  Todten- 
flecken  bilden  sich  an  blutreichen  Körpern  gern  rothe  Flecken  und  Strei- 
fen der  Haut  wie  von  Blutaustritt  und  folglich  von  Quetschungen  her- 
rührend ,  an  Stellen  ,  wo  irgend  ein  anderer  Körper ,  wie  Kleidungsstücke 
oder  Unterlagen,  drückend  einwirkte.  Auch  bei  ihnen  zeigt  die  nähere 
Untersuchung,  dass  das  Blut  sich  innerhalb  der  Gefässe  befindet.  —  Das 
in  das  Zellgewebe  extravasirte  Blut  wird  bald  von  den  aufsaugenden  Ge- 
fässen  wieder  aufgenommen,  wobei  der  Fleck  unmerklich  verschwindet. 
Diese  Zertheilung  kündigt  sich  durch  die  Veränderung  in  der  Farbe  der 
Haut  an.  Die  schwarze  oder  bläuliche  Färbung  wird  von  Tag  zu  Tag 
heller ,  geht  ins  Rothe ,  ins  Gelbliche  über  ,  welch  lezteres  immer  lichter 
wird,  bis  es  am  Ende  vollständig  verschwindet.  In  dem  Masse  ,  als  die 
Ecchvmose  sich  zertheilt ,  breitet  sie  sich  immer  mehr  aus  ,  was  von  dem 
Dünnerwerden  des  Blutes  herrührt.  Aus  diesem  Grunde  sieht  man  tief- 
sizende  Ecchymosen  oft  erst  mehrere  Tage  nach  dem  Zufalle  erscheinen. 
Die  Aufsaugung  des  Blutes  kann  mit  unglaublicher  Schnelligkeit  und 
ohne  ein  Zeichen  der  Entzündung  vor  sich  gehen ,  das  Blut  kann  aber 
auch  an  Ort  und  Stelle  Entzündung  und  in  Folge  deren  Abscesse,  Brand 
veranlassen*  oder  es  kann  sich  einkapseln.  —  Behandlung.  Der  Blut- 
erguss  muss  wo  möglich  zur  Resorption  gebracht  werden  ;  zu  diesem  Be- 
hufe  wendet  man  sogenannte  zertheilende  (resolvirende)  Umschläge  an, 
anfangs  von  kaltem  Wasser ,  von  Salzwasser,  Bleiwasser ,  Wasser  mit  Es- 
sig ,  Branntwein ,  Kampherspiritus ,  Acetum  Scillae,  Arnicatinktur, 
Jodtinktur,  örtliche  Blutentziehungen,  später  Auflösungen  von  Salmiak  in 
rothemWein,  Arnicainfus.  etc.,  methodischer  Druck  begünstigt  die  Resorp- 
tion sehr  ;  hierher  gehört  die  volksthümliche  Behandlung  der  Beulen  am 
Kopf  durch  das  Aufbinden  eines  Geldstückes.  Um  das  ergossene  Blut 
auf  eine  grössere  Fläche  zu  verbreiten  ,  dient  das  Zerdrücken  der  Blut- 
geschwulst. Gelingt  es  nicht,  die  Aufsaugung  und  Zertheilung  herbei- 
zuführen, so  macht  man  einen  Einschnitt,  worauf  man  es  mit  einer  eitern- 
den Wunde  zu  thun  bekommt,  die  ihrer  Beschaffenheit  gemäss  behandelt 
werden  muss. 

Eierstock,  Krankheiten  desselben.  Der  Eierstock,  des- 
sen von  einer  serösen  und  fibrösen  Kapsel  (Albuginea)  umschlossenes 
Parenchym  aus  einem  sehr  dichten,  weichen,  bräunlichrothen,  sehr  gefäss- 
reichen  Zellgewebe  (Keim-  oder  Eierlager,  Stroma)  und  aus  12  —  2  0  voll- 
kommen geschlossenen ,  von  einem  Capillargef  ässnez  umsponnenen  Säck- 
chen (Graafsche  Bläschen),  welche  das  Ei  (Keim)  enthalten,  besteht, 
unterliegt  vorzüglich  in  den  mittlem  und  höhern  Lebensjahren  wie  es 
scheint ,   in   Folge   öfterer  Congestionen ,  bei  unbefriedigter  Geschlechts- 


EIERSTOCKKRANKHEITEN.      BNTZÜENDUBfG.  223 

neigung  oder  zu  häufiger  geschlechtlicher  Erregung,  einigen  Krankheiten, 
deren  Existenz,  sobald  sie  nicht  eine  bedeutendere  und  durch  die  Bauch- 
decke ,  Scheide  oder  After  wahrnehmbare  Geschwulst  bilden ,  dunkel 
bleibt.  Da  in  der  Regel  nur  ein  Eierstock  erkrankt,  so  besteht  dabei  oft 
das  Empfängnissvermögen,  so  wie  die  Menstruation  fort.  Doch  stört  das 
kranke  Ovarium  bisweilen  die  Function  benachbarter  Theile  ,  wie  Darm, 
Harnblase,  Schenkeigefasse  und  Nerven  und  erregt  auch  wohl  hysterische 
Nervenzufälle.  —  Am  häufigsten  beobachtet  man  die  hydropischen  An- 
schwellungen des  Eierstocks  ,  seltener  kommt  die  Entzündung  desselben 
vor;  bisweilen  unterliegt  das  Organ  einer  entzündlichen  oder  scirrhösen  Ver- 
härtung und  als  Afterbildung  beobachtet  man  Cysten  ,  fibroides  Gewebe, 
Krebs,  aber  nie  Tuberkel. 

Eierstocksentzündung,  Oophoritis.  Sie  kann  entweder 
eine  oder  mehrere  Follikel  oder  das  Stroma  betreffen.  Die  erste  Form 
kommt  ausser  dem  Puerperium  vor,  die  Stromaentzündung  dagegen,  welche 
den  ganzen  Eierstock  erfasst ,  ist  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  eine  puer- 
perale, wo  sie  dann  meist  unter  den  übrigen  Puerperalprocessen  verschwin- 
det. —  Symptome  und  Verlauf.  So  lange  das  Bauchfell  nicht  in 
grösserer  Ausdehnung  durch  Entzündung  in  Mitleidenschaft  gezogen  ist, 
ist  keine  auffallende  Schmerzempfindung  zugegen  ,  da  dies  aber  bei  den 
intensiveren  Entzündungen  selten  ausbleibt ,  so  fehlt  auch  der  Schmerz 
selten.  Dabei  stellen  sich  Affectionen  der  Gebärmutter ,  so  wie  Blasen- 
reizung mit  brennendem  Schmerz  beim  Harnen ,  Schmerz  bei  der  Stuhl- 
entleerung ,  ein  Gefühl  von  Taubheit  oder  acute  Neuralgie  in  der  ent- 
sprechenden Extremität  und  anderweitige  Erscheinungen  von  Hyperämie 
in  den  Beckenorganen  ein.  Die  Menses  cessiren  oder  zeigen  sich  nur 
momentan  ;  manchmal  gesellt  sich  eine  Hämorrhagie  aus  dem  Uterus 
hinzu.  In  den  höheren  Graden  von  Entzündung  tritt  sehr  schnell  Tym- 
panitis,  sehr  hartnäckige  Verstopfung  ein,  und  es  macht  sich  ein  entwickel- 
ter Puls  bemerkbar ,  dessen  Frequenz  mit  der  sichtbaren  Heftigkeit  der 
übrigen  Symptome  in  keinem  Verhältnisse  steht.  Das  wichtigste  dieser 
Symptome  ist  der  Schmerz  in  der  Weichengegend  ,  daher  der  Siz  dessel- 
ben mit  Genauigkeit  zu  ermitteln  ist.  Die  äussere  Untersuchung  gibt 
darüber  sehr  wenige  verlässliche  Aufschlüsse ,  sofern  man  bei  dem  tiefen 
Siz  desselben  im  Becken  nur  bei  dünnen  Bauchwandungen  und  durch 
starkes  Hinabdrücken  dieser  den  Herd  des  Schmerzes  zu  erreichen  ver- 
mag. Wichtigere  Ergebnisse  liefert  die  Exploration  durch  die  Vagina 
und  das  Rectum,  wobei  man  sich  aber  zu  hüten  hat ,  eine  Uterus aflfeetion 
für  eine  Eierstockkrankheit  zu  nehmen.  x4.uf  diesen  Wegen  entdeckt  man 
auch  am  leichtesteu  die  von  dem  Eierstock  gebildete  Geschwulst.  —  Diese 
Entzündung  bildet ,  ohne  Zweifel  weun  sie  auch  auf  einer  niedern  Inten- 
sitätsstufe stehen  bleibt ,  häufig  den  Ausgangspunkt  zu  sehr  bedeutenden 
nachträglichen  Desorganisationen  und  namentlich  zur  Bildung  mancher 
Cystenarten ,   insbesondere  von  Eiter-  und   serösen  Bälgen  ,   welch  leztere 


224  EIERSTOCKKRANKHEITEN.      ABSCESSE. 

wohl  nicht  selten  zum  Hydrops  ovarii  heranwachsen.  Im  günstigsten 
Falle  kommt  es  zur  Verödung  der  ergriffenen  Gr  a  a  P  sehen  Bläschen 
mit  nachträglicher  Resorption  der  ergossenen  Exsudate.  —  Die  Stroma- 
entziindung  führt  häufig  zur  Vereiterung  des  Ovariums.  —  Ursachen. 
Diese  sind  oft  dunkel.  In  vielen  Fällen  leitet  eine  gewaltsame  Störung 
der  Menstruation  das  locale  Uebel  ein  und  nicht  selten  beebachtet  man 
es  im  Gefolge  intensiverer  Metritiden  traumatischen  Ursprungs ,  so  wie 
häufiger  geschlechtlicher  Erregungen.  —  Prognose.  Sie  ist  in  allen 
Fällen,  wo  sich  anhaltende  allgemeine  und  örtliche  Reactionserscheinun- 
gen  vorfinden  (und  wo  eine  grössere  Intumescenz  des  Ovariums  sich  er- 
kennen lässt,  insoweit  ungünstig,  als  sich  eine  nicht  bestimmbare,  manch- 
mal unheilbare  Metamorphose  des  ergriffenen  Organs  hervorbilden  kann. 
Lethal  wird  das  Leiden  bei  acutem  Verlauf  nur  in  den  höchst  seltenen 
Fällen,  wo  durch  jauchiges  oder  eiteriges  Zerfliessen  des  ergriffenen  Eier- 
stocks eine  weit  verbreitete  Peritonitis  hervorgerufen  wird.  Viel  häufiger 
führen  die  chronischen  Entartungen  zu  Tode.  Nicht  heftig  und  topisch 
auftretende  Uebel  lassen  einen  günstigen  Verlauf  hoffen  ,  so  lange  man 
keine  beträchtlichere  Geschwulst  findet.  — —  Behandlung.  Bei  acutem 
Auftreten  des  Uebels  empfiehlt  sieh  der  sogenannte  antiphlogistische  Ap- 
parat und  zwar  na^ch  Massgabe  der  Zufälle  die  allgemeine  oder  nur  die 
örtliche  Antiphlogose.  Die  örtliche  besteht  in  der  Application  von  Blut- 
egeln in  die  Leistengegend,  an  das  Perinäum  oder  an  die  Vaginalportion. 
Bei  Neigung  zur  Verstopfung  hebt  man  diese  zunächst  durch  Klystiere 
mit  Ricinusöl ,  geht  später  zu  gelinden  Abführmitteln  über  und  zieht  in 
dringenden  Fällen  das  Calomel  in  grösseren  Gaben  ,  bei  zunehmender  In- 
tumescenz des  Eierstocks  in  Verbindung  mit  Jalappa  in  Gebrauch.  Da- 
neben lässt  man  Bäder  gebrauchen  und  wendet  anhaltend  Kataplasmen 
und  Fomentationen  auf  den  Unterleib  an.  Bei  chronischem  Verlaufe  er- 
weisen sich  neben  Körper-  und  Gemüthsruhe  ,  entsprechender  Diät ,  Ent- 
haltsamkeit vom  Coitus,  kräftige  äussere  Ableitungsmittel,  die  Einreibung 
der  grauen  Salbe  und  die  innere  Anwendung  des  Calomels  allein  oder 
mit  Kampher  und  Opium  oder  des  jodinsauren  Quecksilbers,  z.  B.  Hy- 
dra r  g.  j  o  d  i  c  i  gr.  j ,  Succ.  juniperi  i  n  s  p  i  s  s.  gr.  xij  ,  P  u  1  v.  r  a  d. 
liquirit.  q.  s.  f.  pilul.  No.  8.  S.  Früh  und  Abends  2  —  4  Stück, 
nüzlich.  Den  Beschluss  bildet  zweckmässig  der  geregelte  Gebrauch  sa- 
linischer Mineralwasser ,  der  Molkenkur ,  der  Soolenbäder  und  bei  vor- 
handenen Anschwellungen  der  Gebrauch  jodhaltiger  Mittel  und  des  See- 
bades. 

Eierstocksabscesse,  Abscessus  ovarii.  Abscesse  des 
Eierstocks  kommen  am  häufigsten  im  puerperalen  Zustande  vor,  doch  be- 
obachtet man  sie  auch  bei  jungfräulichen  Individuen  in  Folge  heftiger 
Oophoritiden  und  zwar  hier  nur  als  Follicularaffection  ,  während  die  in 
Folge  puerperaler  Entzündung  entstehenden  sowohl  folliculär  als  paren- 
chymatös  sein   können.       Die   folliculären   Abscesse   können  bei  längerer 


EIERSTOCKKRANKHEITKN.      ABSCESSE.  225 

Dauer  eine  sehr  beträchtliche  Grösse  erleiden  und  die  Cystenwand  sehr 
lange ,  oft  eine  lange  Reihe  von  Jahren  der  Perforation  widerstehen. 
Weniger  umfangreich  pflegen  die  parenchymatösen  Ab'scesse  zu  sein ,  sie 
wachsen  aber  viel  schneller  als  die  folliculären.  Häufig  gehen  sie  von 
mehreren  kleinen  Eiterherden  aus  ,  die  im  weiteren  Verlaufe  zusammen- 
tfiessen.  Dieser  Abscess  eignet  sich  meist  sehr  bald ,  oft  nach  wenigen 
lagen  oder  Wochen,  zur  Perforation.  In  sehr  acuten  Fällen  erfolgt  die 
Perforation  oft  früher  als  es  durch  hinzutretende  Peritonitis  zu  Verwach- 
sungen mit  den  Nachbartheilen  gekommen  ist,  in  welchem  Falle  es  zum 
Erguss  in  den  Peritonäalsack  mit  nachfolgender  tödtlicher  Bauchfeilent- 
zündung kommt.  In  den  weniger  acut  auftretenden  Fällen  dagegen  findet 
eine  solche  Verlöthung  statt  und  der  Erguss  des  Eiters  erfolgt  durch  all- 
mälige  Anfressung  und  Perforation  des  angelötheten  Gebildes  in  dieses. 
Am  häufigsten  trifft  diese  Perforation  den  dicken  Darm,  insbesondere  den 
Mastdarm  ,  äusserst  selten  die  dünnen  Därme.  Nebst  dem  Darme  wird 
die  vordere  Darmwand  und  am  häufigsten  die  entsprechende  Inguinal- 
gegend  oder  die  Nabelgegend  durchbohrt.  Selten  brechen  die  Ovarien- 
abscesse  durch  die  Blase ,  die  Gebärmutter ,  dem  Scheidengrund  oder  in 
der  Perinäalgegend  nach  aussen.  —  Ein  acut  entstandener  Abscess 
.•«•-••hliesst  sich  oft  nach  der  Entleerung  des  Eiters  bald,  namentlich  ist  dies 
bei  den  parenchymatösen  Abscessen  der  Fall ;  dagegen  pflegen  die  lang- 
sam entstandenen  und  lange  bestandenen  Abscesse  sich  immer  aufs  Neue 
wieder  zu  füllen  und  entweder  durch  Erschöpfung  oder  durch  Pyämie  zum 
Tode  zu  führen  —  Symptome  und  Verlauf.  Troz  der  Heftigkeit 
der  Erscheinungen  ,  namentlich  der  allgemeinen ,  beim  acuten  Auftreten 
der  Abscesse  wird  die  Eiterablagerung  im  Eierstock  in  der  Regel  erst  er- 
kannt, wenn  sich  in  der  Eierstockgegend  eine  scharf  umschriebene ,  mehr 
oder  weniger  rasch  wachsende  Geschwulst  entdecken  lässt,  die  fieberhaf- 
ten Erscheinungen  und  die  eintretende  Fluctuation  lassen  dann  mit  ziem- 
licher Sicherheit  auf  das  fragliche  Uebel  schliessen.  Von  nun  an  belästigt 
die  Geschwulst  nur  noch  durch  seine  Schwere  ,  da  mit  dem  eintretenden 
Stillstand  des  örtlichen  Fortschritts  alle  bisher  bestandenen  Zufälle  ver- 
schwinden ;  die  Kranken  können  sich  dabei  oft  Jahre  lang  ziemlich  wohl  befin- 
den, doch  kommen  auch  Fälle  vor,  wo  sie  unter  reeidivirenden  Fieberzufällen 
abmagern,  ein  kachektisches  Aussehen  bekommen  und  noch  vor  dem  Ein- 
tritt der  Perforation  oder  bald  nach  derselben  sterben.  Der  Eintritt  der 
Perforation  gibt  sich  im  Allgemeinen  durch  das  Oberfiächlichwerden  der 
Entzündungszufäile ,  durch  Zunahme  der  Anschwellung  und  deutlicheres 
Hervertreten  der  Fluctuation  kund.  Die  allgemeine  und  örtliche  Reaction 
ist  mehr  oder  weniger  bedeutend,  je  nach  dem  Widerstände,  der  sich  dem 
Durchbrach  entgegenstellt.  Nach  erfolgtem  Ergüsse  nach  aussen  tritt 
ein  um  so  beträchtlicherer  Nachlass  der  Erscheinungen  ein ,  je  vollstän- 
diger die  Entleerung,  je  gutartiger  der  Eiter  und  je  acuter  der  ganze  Ver- 
lauf gewesen ;  Im  entgegengesezten  Falle  dagegen  stellen  sich.  Erschei- 
Burger,  Chirurgie,  15 


226  EIERSTOCKKRANKHEITEN.     WASSERSUCHT. 

nungen  erneuerter  Eiteranhäufung ,  jauchiger  Zersezung  oder  pyämischer 
Processe  mit  ihren  Folgen  ein.  —  Behandlung.  Im  Entwicklungs- 
stadium der  Abscessbildung  fällt  die  Behandlung  mit  der  gegen  die  Ent- 
zündung zusammen ;  später  sucht  man  durch  den  Gebrauch  von  Mercuria- 
lien  und  ableitenden  Mitteln  auf  den  Darmkanal  das  Stationärwerden  der 
Abscesse  zu  begünstigen.  Bei  offenbarer  Tendenz  zur  Perforation  be- 
günstigt man  die  Entleerung  des  Eiters  auf  dem  kürzesten  Wege  nach 
aussen,  was,  wenn  der  Eiterherd  zugänglich  ist,  am  besten  mit  dem  Mes- 
ser geschieht.  Am  leichtesten  ist  dies  in  der  Leisten-  und  vordem 
Bauchgegend  ausführbar,  wo  man  aber  die  Verlezung  von  Gedärmen  und 
Gefässen  zu  vermeiden  hat.  Man  schneidet  da  ein ,  wo  sich  die  Fluctua- 
tion  am  frühesten  gezeigt  hat.  Im  Nothfall  kann  man  am  Scheiden- 
gewölbe einschneiden.  Bei  rasch  sich  bildenden  Abscessen  genügt  eine 
baldigst  vorgenommene  massig  grosse  Oeffnung  ;  bei  chronischen  Absces- 
sen eilt  man  in  der  Regel  mit  der  Eröffnung  nicht  sehr ,  weil  die  Cysten- 
wand  nicht ,  wie  beim  acuten  Abscess ,  zur  Heilung  geneigt  ist  und  das 
Secret  gern  jauchig  wird  ;  hat  man  sie  aber  durch  die  Punktion  entleert 
und  tritt  Jaucheanhäufung  ein ,  so  kann  man  weiteren  Zerstörungen  nur 
durch  eine  ergiebige  Erweiterung  der  Punktionsöffnung  vorbeugen.  Bei 
Eintritt  von  Zeichen  der  Erschöpfung  vor  und  nach  dem  Durchbruche  des 
Abscesses  gibt  man  roborirende  Mittel,  bei  colliquativen  Zufällen  und 
Resorptionserscheinungen  erweisen  sich  Opium  und  die  antiseptischen 
Mittel  nüzlich. 

Eierstockwassersucht,  Hydrops  ovarii,  Hydro  varion, 
Hydroophoria.  Man  pflegt  jede  Ansammlung  von  Flüssigkeit  im 
Ovarium  als  Hydrops  desselben  zu  bezeichnen,  auch  wenn  der  fluctuirende 
Inhalt  kein  Wasser,  sondern  irgend  ein  flüssiges  Entzündungsproduct  ist. 
Gewöhnlich  werden  folgende  drei  Arten  von  Eierstockwassersuchten  an- 
genommen :  1)  Eierstockhydatidenwassersucht,  Hydrops 
ovarii  hydatidosus,  wo  eine  verschiedene  Menge  unter  sich  nicht 
verbundener,  lose  neben  einander  liegender  Wasserblasen  (einfache  Cysten) 
von  der  Grösse  einer  Erbse  bis  zu  der  eines  Taubeneies,  einzelne  selbst 
bis  zu  der  eines  Mamiskopfs,  während  die  andern  klein  bleiben),  die  sich 
höchst  wahrscheinlich  aus  den  Graafschen  Follikeln  hervorgebildet 
haben  (theils  auch  Neubildung  sind) ,  frei  in  dem  mehr  oder  weniger  ent- 
arteten und  zu  einem  häutigen  Sacke  gewordenen  Ovarium  sich  befinden 
und  einen  verschiedenen  Inhalt  (eine  dünne  lichtgelbe  Serosität,  die  nicht 
selten  durch  Blutt.heile  röthlich ,  bräunlich  oder  braunschwarz  gefärbt  ist, 
andere  Male  eine  gelatinöse  Flüssigkeit  (s.  Colloid),  auch  Eiter-  und 
Jaucheergüsse  etc.)  zeigt.  —  2)  Sackwassersucht  des  Eier- 
stocks, Hydrops  ovarii  saccatus,  wo  die  Wasseransammlung 
zwischen  der  serösen  und  fibrösen  Haut  des  Ovariums  statthatte  und  lez- 
teres  oft  nur  durch  die  davon  abhängige  Compression  schwindet ,  oder 
wohl  auch  durch  Entzündung  und  Verhärtung  die  Veranlassung  zur  Was- 


EIERSTOCKKRANKHEITEN.      WASSERSUCHT.  227 

sersucht  gab.  Das  dem  reinen  Serum  ähnliche  Wasser  ist  in  einem  ein- 
zigen oder  auch  in  mehreren  Sticken  enthalten ,  welche  nicht  communi- 
ciren,  aber  auch  nicht  lose  neben  einander  liegen  ,  sondern  adhäriren  und 
eine  Art  von  falscher  Zellenbildung  zeigen.  —  3)  Zellenwasser- 
sucht des  Eierstocks,  Hydrops  ovarii  cellulosus  s.  cysti- 
c  u  s ,  der  häufigste  Hydrops,  wo  der  entartete,  knotige  Eierstock  eine  un- 
bestimmte Anzahl  grösserer  oder  kleinerer,  zum  Theil  mit  einander  com- 
municirender,  nicht  mit  reinem  Serum ,  sondern  mit  den  verschiedenartig- 
sten Flüssigkeiten  angefüllte  Cysten  (zusammengesezte  Cystoiden ,  s. 
Cysten)  enthält.  Auch  eine  alveolare  Entartung  des  Eierstecks  kommt 
vor  (s.  Colloid).  —  Gewöhnlich  erkrankt  nur  ein  Eierstock,  bisweilen 
jedoch  beide  nach  einander ,  wo  alsdann  der  eine  stets  hinsichtlich  der 
Grössenzunahme  und  Lage  Veränderung  hinter  dem  andern  zurückbleibt. 
—  Symptome.  Das  Leiden  tritt  entweder  mit  einer  Reihe  von  Ent- 
zündungs  -  und  Congestionszufällen  ,  oder  ohne  diese ,  als  einfache  Vege- 
tationsanomalie schleichend  auf.  Hat  die  Geschwulst  einige  Grösse  er- 
reicht ,  so  macht  sich  in  der  Gegend  des  Eierstocks  anfangs  nur  ein  Ge- 
fühl von  Druck  und  Schwere  bemerklich  ,  später  erscheinen  eine  Reihe 
von  Zufällen,  welche  von  dem  mechanischen  Einfluss  der  Geschwulst  her- 
rühren. Dieselben  gehen  vorzugsweise  von  der  Compression  des  Ree- 
tums,  der  Blase,  der  Gebärmutter,  von  der  Zerrung  der  Uterusbänder  und 
von  dem  Drucke  der  Beckengefässe  aus  und  äussern  sich  diesem  nach  als 
Verstopfung,  Blähungen,  Harnbeschwerden,  wehenartige  Schmerzen,  Taub- 
heit im  Schenkel  der  entsprechenden  Seite  etc.  Mit  dem  Grösser- 
werden  der  Cyste  vermindern  sich  diese  Zufälle ,  weil  sie  sich  aus  dem 
Becken  erhebt ,  dagegen  treten  aber  andere  auf,  welche  von  der  Com- 
pression der  Bauch-  und  Brustorgane  herrühren.  Diese  bestehen  in  Ver- 
dauungsbeschwerden, Athmungs  und  Circulationsbeschwerden.  Hand  in 
Hand  mit  diesen  Erscheinungen  geht  die  eigentümliche  Ausdehnung  des 
Leibes  und  die  Beschwerde ,  welche  das  Gewicht  der  Geschwulst  verur- 
sacht. Die  Form  des  Leibes  ist  gewöhnlich  eine  kugel-  oder  fassförmige; 
bei  kleinen,  seitlich  gelagerten  Cysten  springt  dagegen  eine  Seite  über 
die  andere  vor ;  bei  Vorhandensein  mehrerer  Cysten  zeigt  der  Bauch  ein 
höckeriges  Aussehen.  So  lange  die  Geschwulst  durch  consecutive  Ent- 
zündungen noch  keine  Verwachsungen  mit  ihrer  Umgebung  eingegangen 
hat,  ist  sie  beweglich  und  verschiebbar ;  durch  das  Scheidengewölbe  und 
den  Mastdarm  fühlt  man  Fluctuation.  —  Viele  Cysten  erreichen  nur  eine 
massige  Grösse,  bleiben  dann  unverändert  und  beeinträchtigen  das  Leben 
und  die  Gesundheit  auf  keine  auffallende  Weise ;  auch  eine  Verkleinerung 
der  Cysten  kommt  vor  und  zwar  entweder  unter  Abnahme  des  Inhalts  oder 
indem  die  Wandungen  derselben  eine  Metamorphose  erleiden ,  unter  wel- 
chen namentlich  die  Verknöcherung  zu  nennen  ist.  In  andern  Fällen 
sind  dagegen  die  Cysten  in  einem  beständigen  Wachsthum  begriffen,  wel- 
ches meist  stossweise  erfolgt  und  ohne  Grenzen  ist.      Hier  treten  mit  der 

15* 


228  EIERSTOCKKHANKHEITKN.      WASSEKSUCHT. 

Zeit  heftige  Zufälle  von  entzündlicher  Heizung  und  von  Bluterschöpfung 
hinzu  und  es  gehen  dann  die  Individuen,  wenn  die  Kunst  nicht  einschrei- 
tet, unter  den  Erscheinungen  der  Peritonitis  oder  unter  den  Zufällen  der 
Hydrämie  bei  Hinzutritt  hydropischer  Ergüsse  zu  Grunde.  —  Der  Durch- 
bruch der  Cyste  erfolgt  mit  oder  ohne  vorbereitende  Entzündung  auf  ver- 
schiedenen Wegen  ,  am  häufigsten  durch  das  Rectum  und  mit  oder  ohne 
nachfolgende  Verödung  des  Cavums.  Seltener  erfolgt  die  Entleerung  des 
Inhalts  einer  Cyste  in  die  Bauchhöhle.  —  Behandlung.  Im  Beginne 
des  Uebels,  wo  die  Diagnose  noch  nicht  festgestellt  ist,  kann  die  Behand- 
lung begreiflicher  Weise  nur  eine  symptomatische  sein.  Am  häufigsten 
hat  man  es  hier  mit  Entzündungszufällen  zu  thun  und  es  kommt  dann 
dieselbe  Behandlung  zur  Anwendung,  wie  sie  gegen  Oophoritis  empfohlen 
wurde.  Später  zieht  man  unter  einem  gehörigen  diätetischen  Regime 
Abführmittel ,  Diuretica  ,  Mercurial  -  und  Jodmittel ,  die  Entziehungskur, 
«alinische  Mineralwasser  in  Gebrauch  und  wenn  dieses  Heilverfahren  ohne 
Erfolg  bleibt  und  dringendere  Zufälle  eintreten ,  so  hat  eine  chirurgische 
Behandlung  einzutreten.  Diese  zerfällt  in  eine  palliative  und  eine  radi- 
cale  ;  die  erste  sezt  sich  bloss  die  einfache  Entleerung  des  Inhalts  des 
Cystovariums  zur  Aufgabe,  die  radicale  strebt  eine  Verwachsung  oder  die 
völlige  Entfernung  desselben  an.  Die  Punktion  der  Cyste  wird  ent- 
weder durch  die  Bauchdecken,  oder  durch  den  Scheidengrund  oder  durch 
das  Rectum  vorgenommen.  Ueber  das  Verfahren  dabei  s.  den  Art.  Punk- 
tion. Das  Palliativverfahren  ist  wegen  seiner  Gefährlichkeit  (bedingt 
hauptsächlich  durch  die  nachfolgende  Bluterschöpfung)  und  wegen  der 
Unsicherheit  der  beabsichtigten  Erleichterung  nur  auf  die  Fälle  zu  be- 
schränken, wo  gefahrdrohende  oder  sehr  lästige  Zufälle  zugegen  sind.  — 
Die  Radicalverfahren  haben  alle  mit  Ausnahme  der  Exstirpation 
die  Erregung  einer  Entzündung  und  damit  eine  Verwachsung  der  Cysten- 
wände  durch  plastisches  Exsudat  oder  Granulationsbildung  zum  Zwecke. 
Die  Verfahren  sind  folgende :  1 )  Punktion  der  Cysten  und  Offenhalten 
derselben  durch  Einlegen  von  Röhren.  Dieses  Verfahren  verspricht  mehr 
Erfolg ,  wenn  die  Punktion  von  der  Scheide  aus ,  als  wenn  sie  an  der 
Bauchwand  vorgenommen  wird,  weil  sich  im  ersteren  Falle  die  sich  bildende 
Jauche  vollständiger  entleeren  kann  ;  2)  Reizung  der  Cysten  wand 
durch  Injectionen;  dieses  Verfahren  ist  nicht  zu  empfehlen,  da  sich 
die  eintretende  Reaction  nicht  zum  Voraus  bestimmen  lässt ;  3)  Inci- 
sion  der  Cyste.  Zur  Ausführung  dieser  Operation  sah  man  sich  bei 
der  einfachen  Parazentese  durch  die  ungewöhnliche  Zähflüssigkeit  des 
Cystenmhalts ,  so  wie  bei  vergebens  versuchten  Exstirpationen  veranlasst 
und  da  sie  dabei  manchmal  ohne  Lebensgefahr  geübt  wurde,  so  Führte 
man  sie  auch  selbständig  aus.  Um  einen  Erguss  des  Inhalts  in  die  Bauch- 
höhle bei  dem  Zusammensinken  der  Cyste  zu  verhüten ,  suchte  man  eine 
Verwachsung  der  Punktiorisstellen  hervorzurufen  und  wandte  zu  diesem 
Zwecke  Aezmittel  auf  die  betreffende  Stelle ,   das  wiederholte  Einstechen 


EIERSTO0KKKANKHE1TEN.      WASSERSUCHT.  229 

mehrerer  langen  Nadeln  etc.  an  ,  legte  auch  die  Cyste  bloss  und  liess  sie 
so  lange  ollen  liegen,  bis  sich  im  Umfange  der  Wunde  Adhäsionen  gebil- 
det hatten,  worauf  man  zur  Incision  schritt.  Dieses  Operationsverfahren 
weist  mehrere  gelungene  Fälle  auf.  4)  Verbindung  therapeuti- 
scher Mittel  mit  der  Punktion.  Brown  wandte  längere  Zeit 
innerlich  und  äusserlich  Mercurialien  an,  gab  daneben  diuretische  Mittel, 
welche  er  später  mit  tonischen  verband  und  legte  eine  drückende  Bauch- 
bandage an ,  um  das  Wachsthum  der  Cyste  zu  hemmen ,  worauf  er  zur 
Punktion  und  Entleerung  derselben  schritt.  Die  Nachbehandlung  be- 
stand in  der  mehrwöchentlichen  Anwendung  eines- gutgepolsterten  Druck- 
verbandes und  in  dem  längere  Zeit  fortgesezten  Gebrauche  obiger  Medi- 
camente. Andere  wandten  nach  geschehener  Paracentese  Antihydropica 
und  innerlich  und  äusserlich  Jod  an.  Dieses  Verfahren  soll  einige  gün- 
stige Erfolge  gehabt  haben  ;  es  empfiehlt  sich  durch  seine  geringere  Ge- 
fährlichkeit. —  Von  allen  diesen  Verfahren  ist  indessen  nur  bei  einfachen 
Cysten  etwas  zu  erwarten.  Sobald  mehrere  Cysten  neben  einander  liegen 
oder  sich  secundäre  Cysten  in  einer  Muttercyste  entwickeln,  so  wie  bei  der 
alveolaren  und  einer  sarcomatösen  Entartung  (Cystosarcom)  können  sie 
nichts  leisten.  Hier  hat  man  ein  eingreifenderes ,  das  Uebel  vollständig 
beseitigendes  Verfahren,  d.  h.  die  Exstirpation  der  Ovariencyste  oder  des 
ganzen  Eierstocks  in  Vorschlag  gebracht  und  auch  wiederholt  ausgeführt. 
—  Die  Exstirpation  des  Ovariums  ist  ein  Eingriff  von  grösster  Be- 
deutung. Nach  den  statistischen  Nachrichten  über  diese  Operation  ver- 
lor mehr  als  die  Hälfte  der  Operirten  das  Leben  ;  es  ist  deshalb  gewiss 
gerechtfertigt ,  wenn  diese  Operation  nur  dann  gemacht  wird ,  wenn  die 
Krankheit  bedeutend  beschwert  oder  das  Leben  des  Individuums  gefähr- 
det ist.  Ausserdem  ist,  um  über  die  Zulässigkeit  der  Operation  urtheilen 
zu  können,  Folgendes  zu  berücksichtigen.  1)  Die  Ovariencysten  besizen 
fast  immer  Adhärenzen  ;  das  Vorhandensein  und  die  Ausdehnung  derselben 
ist  niemals  im  Voraus  mit  Sicherheit  zu  bestimmen;  2)  ob  die  Grundlage 
der  Cystenbildung  ein  bösartiges  Neugebilde,  ist  ebenfalls  bisweilen  nicht 
zu  diagnosticiren ;  3)  es  stellt  sich  somit  öfters  erst  bei  der  Operation 
heraus,  dass  dieselbe  nicht  zu  vollenden  ist,  und  zwar  wegen  zu  bedeuten- 
der Adhärenzen ,  oder  wegen  des  Vorhandenseins  einer  nicht  ganz  ent- 
fernbaren bösartigen  Neubildung ,  welche  die  Grundlage  der  Cystenbil- 
dung ist.  Man  hat  somit  in  allen  Fällen  die  Kranke  allen  Gefahren  der 
Operation  ausgesezt ,  ohne  irgend  etwas  erreicht  zu  haben.  Auf  der  an- 
dern Seite  kann  aber  auch  nicht  unerwähnt  bleiben ,  dass  die  Krankheit 
manchmal  so  qualvoll  ist,  dass  von  Seiten  der  Leidenden  der  dringendste 
Wunsch  erwacht,  selbst  mit  offenbarer  Lebensgefahr  von  ihrem  Uebel  be- 
freit zu  werden.  Auch  ist  in  vielen  Fällen  beim  Fortbestande  der  Krank- 
heit an  eine  längere  Lebensfristung  nicht  zu  denken,  wogegen  in  solchen 
Fällen  die  Operation  noch  immer  einen  befriedigenden  Erfolg  haben  kann. 
Dieselbe  ist  deshalb  nicht  unbedingt   zu  verwerfen.  Hat  man  sich  für 


230  EIERSTOCKKRANKHEITEN.      GESCHWUELSTE. 

die  Operation  entschieden  ,  so  kann  diese  auf  zwei  ziemlich  verschiedene 
Arten  ausgeführt  werden  ,  und  zwar  mit  dem  kurzen  oder  langen  Schnitt. 
Vor  der  Operation  sorgt  man  für  Stuhl-  und  Harnentleerung  ;  die  Kranke 
liegt  auf  dem  Rücken  auf  einem  schmalen  Tische  und  3 — 4  Gehülfen 
sind  zur  Unterstüzung  des  Operateurs  und  der  Kranken  bereit.  1)  Kur- 
zer Schnitt.  Man  macht  einen  Schnitt  von  etwa  2  Zoll  Lange  bis 
auf  die  Cyste  ,  punktirt  dieselbe  ,  zieht  hierauf  den  zusammengehaltenen 
Sack  durch  die  Wunde  heraus  und  trennt  seine  Basis  nach  der  Unterbin- 
dung des  Stiels  mit  dem  Messer.  Bei  diesem  Verfahren  wird  die  Exstir- 
pation  bisweilen  durch  vorhandene  Adhäsionen  ,  bei  deren  Durchtrennung 
der  kleine  Schnitt  zu  wenig  Zugänglichkeit  gewährt,  sehr  erschwert,  man 
empfiehlt  daher  2)  einen  grossen  Einschnitt  von  4 — 5  Zoll  in  der 
weissen  Linie  zwischen  dem  Nabel  und  der  Schambeinsymphyse  durch  die 
Haut  zu  machen,  das  Bauchfell  in  der  Ausdehnung  von  3  —  4  Zoll  zu 
spalten  und  dann  die  Hand  in  die  Bauchhöle  einzuführen,  um  sich  eine 
nähere  Kenntniss  von  dem  Verhalten  der  Geschwulst  zu  den  Nachbar- 
organen zu  verschaffen.  Erweist  sich  der  Schnitt  als  zu  klein ,  so  ver- 
größert man  ihn  nach  Bedürfniss.  Sollten  sich  bedenkliche  Hindernisse 
für  die  Fortsezung  der  Operation  ergeben,  so  kann  sie  häufig  ohne  Lebens- 
gefahr für  die  Kranke  abgebrochen  werden.  Andernfalls  spaltet  man  nun 
den  Balg ,  hebt  die  Geschwulst  durch  die  Wunde  allmälig  hervor ,  löst 
leichtere  Adhäsionen  schonend  mit  der  Hand  und  durchschneidet  derbere, 
worauf  man  an  die  Trennung  des  Stiels  geht,  nachdem  man  ihn  mit  einer 
Nadel  durchstochen  und  die  damit  eingeführte  Ligatur  um  beide  Hälften 
des  Stiels  gebunden  hat.  —  Nach  Vollendung  der  Operation  bringt  man, 
wenn  es  nöthig  ist ,  die  Bauch  -  und  Beckeneingeweide  in  ihre  natürliche 
Lage ,  taucht  etwa  in  die  Beckenhöhle  ergossenes  Blut  oder  andere  Flüs- 
sigkeiten mit  einem  zarten  Schwämme  auf  und  heftet  die  Bauchwunde 
nach  bekannten  Regeln,  nachdem  man  die  Ligatur  nach  aussen  geleitet 
hat.  Meistens  reicht  man  nach  der  Operation  ein  Opiat ,  ist  auch  wohl 
genöthigt,  bei  erschöpften  Operirten  zu  analeptischen  Mitteln  zu  greifen ; 
gegen  das  häufig  auftretende  Erbrechen  erweist  sich  das  Morphium ,  wie- 
auch  ein  Opiumklystier  von  Nuzen.  Später  muss  der  eintretenden  Peri- 
tonitis kräftig  entgegengewirkt  werden.  Wenn  der  Tod  nicht  eintritt, 
was  meistens  zwischen  dem  2.  und  6.  Tage  nach  der  Operation  geschieht, 
so  erfolgt  die  Heilung  meist  in  auffallend  kurzer  Zeit ;  nur  die  Abstos- 
sung  der  Ligatur  verzögert  sich. 

Feste  Eierstockgeschwülste.  Solche  sind:  1)  die  ein- 
fache Hypertrophie  mit  mehr  oder  weniger  beträchtlicher  Gewebs- 
veränderung ;  2)  die  Fette ysten  mit  oder  ohne  Haar-  und  Kno- 
chenbildung; 3)  die  Apoplexien;  4)  das  Fibroid;  5)  das 
E  n  Chondrom  und  die  Verknöcherung  und  6  )  die  verschiedenen 
Krebsbildungen.  —  1)  Die  einfache  Hypertrophie  mit 
Gewebs Verdichtung   ist   meistens    das    Resultat  einer  acuten  oder 


EIERSTOCKKRANKHEITEN.     GESCHWUELSTE.  231 

chronischen  Entzündung  und  geht  aus  einer  mehr  oder  weniger  reich- 
lichen Exsudation  fibrinöser  Flüssigkeit  in  das  Parenchym  des  Eierstocks 
hervor,  welche  mit  der  Zeit  starre  Producte  sezt.  Diese  Affection  erreicht 
nie  einen  bedeutenden  Umfang.  —  2)  die  Fettcysten  gehen  in  den 
meisten  Fällen  aus  den  Graafschen  Follikeln  hervor,  enthalten  eine 
homogene,  gelblich  weisse  Talgmasse,  zuweilen  mit  andern  Beimengungen 
und  erreichen  oft  die  Grösse  eines  Kindskopfs.  Selten  sind  sie  eine  Neu- 
bildung. Sehr  häufig  finden  sich  in  ihnen  Haare,  Zähne  und  Knochen- 
concremente.  —  3)  die  Apoplexien  bestehen  in  einem  Bluterguss  in 
einen  Graafschen  Follikel,  welcher  dadurch  zu  einem  bedeutenden  Um- 
fang anwachsen  kann.  Der  Bluterguss  kann  spontan  oder  in  Folge  von 
Punktionen  entstehen.  —  4)  die  fibrös  en  Geschwülste  kommen 
für  sich  bestehend  als  rundliche  solide  Massen,  oder  als  fibröse  Zwischen- 
substanz bei  den  fibrösen  Cystoiden  vor.  Lezteres  ist  der  häufigere  Fall. 
Sie  können  die  Grösse  eines  Kindskopfs  erreichen.  Zuweilen  sind  sie  mit 
Krebs,  Fettcysten  etc.  combinirt.  —  5)  das  En  Chondrom  kommt  sel- 
ten vor  ;  die  Knochenbildung  besteht  in  partieller  oder  totaler  Ver- 
knöcherung anderer  Neubildungen  oder  auch  einer  Cystenwand.  —  6)  der 
Krebs  der  Ovarien  kommt  als  fibröser  und  medullärer  vor. 
Der  erstere  ist  die  bei  weitem  seltenere  Form,  die  gewöhnlich  keinen  be- 
deutenden Umfang  erreicht.  Der  Medullarkrebs  kann  ursprünglich  als 
solcher  auftreten  oder  in  einem  anderweitig  erkrankten  Ovarium  entstehen, 
oder  von  einem  andern  Organe,  am  häufigsten  dem  Uterus  auf  das  Ovarium 
übertreten ;  häufig  combinirt  er  sich  mit  der  alveolaren  Entartung  des 
Eierstocks ,  weshalb  Einige  diese  Krebsform  als  alveolaren  Krebs 
bezeichnen  (s.  Colloid  und  Krebs).  Der  Krebs  kann  lange  Zeit  auf 
das  Ovarium  beschränkt  bleiben  und  eine  ungeheure  Grösse  erreichen ;  in 
einzelnen  Fällen  pflanzt  er  sich  auf  die  Nachbargebilde  fort.  Wenn  der 
anfangs  harte  Krebs  sich  erweicht  r  so  kann  er  zu  diagnostischen  Miss- 
griffen Veranlassung  geben.  —  Erscheinungen  und  Diagnose. 
Die  Erscheinungen  der  vorstehend  aufgeführten  Eierstockgeschwülste  be- 
ziehen sich  beinahe  sämmtlich  nur  auf  die  mechanischen  Verhältnisse. 
Das  Auftreten  derselben  ist  meist  an  keine  auffallenden  Symptome  ge- 
knüpft. Die  meisten  geben  bei  der  Untersuchung  das  Gefühl  einer  ela- 
stischen Derbheit  und  einer  glatten  Oberfläche  und  zeigen  sich  unem- 
pfindlich ;  nur  die  Apoplexien  und  der  erweichte  Krebs  ergeben  nicht  sel- 
ten eine  dunkle  Fluctuation.  —  Behandlung.  Die  Hypertrophien 
und  die  geringeren  Apoplexien  können  durch  ein  die  Resorption  betäti- 
gendes Verfahren  rückgängig  gemacht  werden.  Zu  diesem  Behufe  zieht 
man  gelind  ausleerende  Mittel ,  die  Merkurialien ,  das  Jod  innerlich  und 
ausserlich,  lösende  Mineralwasser,  die  Soolen-  und  Seebäder,  örtliche  Ab- 
leitungen, eine  gemässigte  Antiphlogose  in  Gebrauch.  Die  schlaffen  Fi- 
broide  können  derselben  Behandlung  unterworfen  werden  ,  wodurch  zum 
wenigsten   ihr  Fortschritt   gehemmt  werden  kann.       Gegen   die.  übrigen 


232  EITERUNG. 

Geschwülste  sind  alle  therapeutischen  Eingriffe  erfolglos  ;  bei  ihnen  kann 
daher  nur  von  einer  symptomatischen  Behandlung  die  Rede  sein ,  nament- 
lich sind  es  die  hin  und  wieder  auftretenden  Entzündungszufälle ,  Stuhl- 
verstopfung ,  Harnbeschwerden  etc.  ,  gegen  die  man  einschreiten  muss. 
Bei  den  einfachen  Formen  dieser  Geschwülste,  mit  Ausnahme  des  medul- 
lären Krebses ,  kann  die  Rede  davon  sein ,  sie  durch  die  Exstirpation  zu 
entfernen. 

Eiterung,  Suppuratio,  Pyosis.  Hierunter  versteht  man 
die  Umwandlung  des  bei  der  Entzündung  gesezten  Exsudats  in  Eiter.  — 
Die  Eiterbildung,  Pyogenesis,  erfolgt  nach  den  allgemeinen  Ge- 
sezen  der  organischen  Entwicklung,  wie  die  Bildung  von  Körnchenzellen, 
und  zwar  beobachtet  man  dabei  folgenden  Vorgang :  in  dem  anfangs 
durchaus  flüssigen ,  formlosen  Exsudate  entwickelt  sich  da ,  wo  dasselbe 
sich  in  Eiter  umzuwandeln  im  Begriffe  ist ,  zuerst  wahrscheinlich  durch 
Aggregation  der  Moleküle,  Kerne  und  demnächst  um  diese  Kerne  Zellen- 
membranen, welche  Productionen  sich  mit  dem  ursprünglichen,  wahrschein- 
lich etwas  veränderten  Serum  des  exsudirten  Plasmas  mischen  und  so  den 
vollständigen  Eiter  darstellen.  Wahrscheinlich  ist  der  Vorgang  der  Bil- 
dung ganz  derselbe ,  wenn  der  Eiter  aus  festem  Exsudat  besteht ,  indem 
hier  stets  eine  Verflüssigung  des  Exsudats  vorausgeht.  Aus  extra- 
vasirtem  Blute  kann  sich  ,  nachdem  dasselbe  wieder  erweicht  ist ,  Eiter, 
und  zwar  wahrscheinlich  auf  demselben  Wege  entwickeln.  Immer  ist  in 
allen  diesen  Fällen  eine  dem  Liquor  sanguinis  ähnliche  Flüssigkeit 
das  Plasma  des  Eiters ,  aus  welchem  durch  die  Entwicklung  der  Eiter- 
körperchen  der  Faserstoff  verschwindet,  so  dass  die  zurückbleibende  Eiter- 
flüssigkeit sich  dem  Blutserum  analog  verhält.  Die  Körnchenzellen  schei- 
nen auf  doppelte  Weise  entstehen  zu  können  :  entweder  nämlich  in  der 
Art ,  dass  fertig  gebildete  Eiterzellen  sich  allmälig  mit  einem  körnigen 
Inhalte  füllen,  oder  dadurch,  dass  Körnchen  sich  zu  Kugeln  an  einander 
legen,  um  welche  sich  nachträglich  Zellenmembranen  entwickeln.  —  Die 
ausgebildeten  Eiterkörperchen  bestehen  also  nach  dem  Vorhergehenden 
aus  zwei  Substanzen ,  einer  Kern-  und  einer  Hüllensubstanz,  die 
sich  chemisch  verschieden  verhalten.  Der  einfache  Eiterkern  entsteht 
durch  das  Verschmelzen  von  2 — 3  Elementarkörperchen.  —  Das  Eiter- 
körperchen  ist  keiner  weiteren  Entwicklung  fähig. 

Der  Eiter,  P  u  s ,  ist  aus  zwei  Bestandtheilen  zusammengesezt, 
aus  den  Eiterkörperchen,  und  aus  einer  Flüssigkeit,  Eiterserum, 
in  welcher  diese  suspendirt  sind.  —  Das  Eiterserum  kommt  in  seinem 
Verhalten  ganz  mit  dem  Blutserum  überein,  nur  dass  es  keinen  Faserstoff* 
enthält  wie  dieses ;  sein  Hauptbestandtheil  ist  aufgelöstes  Eiweiss.  — 
Die  Eiterkörperchen  sind  in  gutem  Eiter  ziemlich  gleichförmig, 
sphärisch,  an  der  Oberfläche  körnig,  derb,  gewöhnlich  undurchsichtig ;  ihr 
Durchmesser  betragt    0,00  5  Linien   und   darüber:    in  Haufen  erscheinen 


>ic  gelblich  weiss  ;  wegen  ihrer  specitischen  Schwere  sinken  sie  im  Eiter- 
serum zu  Bodeir;  ihre  Hüllensubstanz  ist  eiweissig,  der  Kern  faserstoffig. 
Ausser  den  Eiterkörperchen  finden  sieh  im  Eiter  bisweilen  noch  andere 
rundliche  Mölecule  (Körnchenzellen),  Kry stalle  und  FaserstoffgerinnseK 
—  Die  Consistenz  des  Eiters  hängt  von  der  Menge  der  darin  suspendir- 
ten  Eiterkörperchen  ab.  Enthalt  er  dieselben  in  grosser  Menge,  ist  er 
von  milder  rahmartiger  Beschaffenheit,  von  fadem  Geruch  und  süssliehem 
Geschniack,  so  nennt  man  ihn  guten  Eiter  (P  u  s  bona  m  et  1  a  u  d  a- 
b  i  1  e)  ;  enthalt  er  wenig  Eiterkörperchen  in  vielem  Serum  —  serösen 
Eiter;  ist  derselbe  stinkend,  grünlich,  bräunlich,  und  corrodirt  derselbe 
gesunde  Hautstellen,  so  nennt  man  ihn  Jauche  (I  c  hör,  Sanies). 
Diese  Verschiedenheit  des  Eiters  hängt  theils  von  der  Constitution  des 
Kranken,  theils  von  örtlichen  Umständen  ab.  So  erzeugen  cachectische 
Individuen  meistens  jauchigen  Eiter,  und  ein  guter  Eiter  verdirbt,  wenn 
er  nach  Eröffnung  eines  Abscesses  nicht  frei  abfliessen  kann.  Andere 
Verschiedenheiten  des  Eiters  hängen  oft  von  fremden  Beimischungen  ab, 
wie  Blut,  Schleim,  Milch  etc.;  auch  Gemüthsbewegungen ,  Erkältungen 
etc.  üben  einen  Einfluss  auf  die  Beschaffenheit  des  Eiters.  —  Der  Eiter 
kann  mit  Schleim ,  Blut ,  Milch ,  besonders  aber  mit  ersterem  verwechselt 
werden  ;  man  hat  sich  deshalb  von  jeher  viele  Mühe  gegeben,  beide  Flüs- 
sigkeiten auf  chemischem  Wege  zu  unterscheiden  (Eiterprobe n). 
Eine  der  neuesten  und  besten  Methoden  ist  die  von  Scher  er.  Der- 
selbe sezt  zu  der  zu  untersuchenden  Flüssigkeit  so  lange  Alkohol  hinzu, 
bis  ein  Niederschlag  entsteht,  und  digerirt  diesen  in  gelinder  Wärme  mit 
destillirtem  Wasser.  Bleibt  ein  im  Wasser  unlöslicher  Rückstand ,  so 
enthielt  die  Flüssigkeit  Albumin  und  folglich  Eiter.  Löst  sich  der  ganze 
Niederschlag  wieder  auf,  so  war  es  nur  Schleim,  der  ja  auch  durch  Alko- 
hol ,  jedoch  in  einem  im  Wasser  wieder  löslichen  Zustande,  gefällt  wird. 
Hat  sich  ein  Theil  des  Niederschlags  im  Wasser  gelöst ,  während  ein  an- 
derer ungelöst  blieb,  so  handelt  es  sich  um  ein  Gemenge  von  Schleim  und 
Eiter.  Man  kann  alsdann  durch  Filtriren  den  aufgelösten  Schleim  von 
dem  präeipitirten  Albumin  trennen,  und  nachdem  man  durch  abermaligen 
Zusaz  von  Alkohol  zu  dem  Filtrat  aufs  Neue  den  Schleim  niedergeschlagen 
hat,  beide  Stoffe  sogar  quantitativ  bestimmen.  Weniger  sicher  ist  die 
mikroskopische  Untersuchung ,  weil  auch  im  normalen  Schleime  Zellen 
vorkommen,  die  den  Eiterkörperchen  durchaus  gleichen.  Eine  grosse  An- 
zahl solcher  Zellen  lässt  indessen  ziemlich  sicher  auf  eine  Eiterung  schlies- 
sen.  —  Die  Unterscheidung  des  Eiters  von  der  Milch  ist  leicht,  indem  die 
Milchkügelchen  viel  kleiner  als  die  Eiterkörperchen  sind,  keinen  Kern  und 
eine  glatte  Oberfläche  haben.  —  Die  Unterscheidung  des  Eiters  vom  Blut 
ist  an  und  für  sich  leicht ,  da  sich  die  Eiterkörperchen  von  den  scheiben- 
förmigen ,  kernlosen ,  farbigen  Blutkügelchen  wesentlich  unterscheiden ; 
schwieriger  ist  es  aber,  darzuthun,  ob  sich  Eiter  im  Blut  befindet,  weil  sich 
im  Blute  ausser  den   farbigen  Blutkörperchen  auch  farblose  ,   sogenannte 


234 


EITERUNG. 


Lymphkörperchen  finden,  die  mit  den  Eiterkörperchen  übereinstimmen.  — 
Bedingungen  zur  Eiterbildung.  Je  reicher  ein  Theil  an  blut- 
führenden Haargefässen  ist  und  je  laxer  seine  Gewebe  sind,  desto  geneig- 
ter ist  er  zur  Eiterbildung  ;  daher  ist  diese  im  Zellgewebe  und  auf  Schleim- 
häuten am  häufigsten  anzutreffen.  Soll  aber  Eiterung  zu  Stande  kommen, 
so  ist  es  nothwendig ,  dass  das  Blut  eine  quantitativ  und  qualitativ  ver- 
änderte Flüssigkeit  absondert  und  die  Haargef  ässe  in  eine  solche  Erschlaf- 
fung versezt  werden  ,  dass  sie  diese  Flüssigkeit  durchlassen.  Beide  Be- 
dingungen sind  bei  der  Entzündung  und  zwar  bei  den  höhern  Graden  der- 
selben gegeben.  Obgleich  aber  in  der  Regel  dem  Entstehen  von  Eiter 
Entzündung  vorhergeht,  so  gibt  es  doch  auch  Fälle,  in  welchen  sich  Eiter 
bildet  ohne  irgend  eine  bemerkbare  Spur  von  Entzündung ,  namentlich 
sieht  man  erschlaffte  Schleimhäute  Eiter  ohne  Entzündung  abscheiden ; 
ebenso  sieht  man  die  kalten  Abscesse  ohne  bemerkbare  Spuren  von  Ent- 
zündung zu  Stande  kommen ;  in  gleicher  Weise  sieht  man  Blutextravasate 
unter  Schmelzung  sich  in  Eiter  verwandeln ,  wie  man  auch  zuweilen  in 
dem  Faserstoffgerinnsel  des  Herzens  und  der  grossen  Gefässe,  welches  in 
gar  keinem  organischen  Zusammenhange  mit  dem  Körper  steht ,  Eiter- 
körperchen  antrifft.  Es  müssen  also  noch  andere  Momente  Theil  haben, 
die  wir  nicht  kennen.  Einigen  Aufschluss  hierüber  gibt  die  Thatsache, 
dass  dies  vorzugsweise  bei  scrophulösen,  cachektischen  Subjecten  vorkommt 
und  dass  oft  an  mehreren  Stellen  zugleich  eiterige  Absonderungen  ent- 
stehen, ohne  dass  äussere  locale  Ursachen  mit  gewirkt  hätten.  Der  leztere 
Umstand  weist  auf  eine  wesentliche  Betheiligung  der  Blutmasse  bei  diesem 
Vorgange  hin  ,  was  zu  der  Annahme  einer  eigenen  purulenten  Dia- 
these geführt  hat.  —  Die  Nerven  sind  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  Eiter- 
bildung ;  die  Durchschneidung  des  Hauptnervens  eines  Gliedes  lässt  diese 
nicht  zu  Stande  kommen.  —  Wirkung  der  Eiterung  aufden 
Körper.  Diese  ist  eine  örtliche  und  allgemeine.  Mit  der  Bildung  von 
Eiter  lassen  die  auf  eine  beträchtliche  Höhe  gesteigerten  Entzündungs- 
symptome etwas  nach,  der  Schmerz  wird  dumpfer,  mehr  klopfend  ,  Röthe 
und  Geschwulst  nehmen  etwas  ab  ,  leztere  wird  weicher ,  fluctuirend,  die 
Umgegend  ödematös.  Ist  die  Eiterung  bis  zu  einem  gewissen  Grade  ge- 
diehen ,  so  wird  der  ganze  Organismus  in  Mitleidenschaft  gezogen ,  es 
treten  Fieberbewegungen  hinzu ,  welche  mit  einem  stärkeren  oder  schwä- 
cheren Frostanfalle  beginnen,  nach  kürzerer  oder  längerer  Dauer  des  lez- 
tern  in  Hize  übergehen,  wobei  der  Puls  sehr  beschleunigt  wird  ,  Wangen 
und  Hände  heiss  werden ,  und  mit  starkem  Schweisse  und  Bodensaz  im 
Urin  endigen.  Man  nennt  dieses  Fieber  Eiter ungsfieber,  Febris 
suppurativa.  Ein  solcher  Anfall  erscheint  entweder  nur  einmal,  oder 
er  wiederholt  sich  öfter  (Mat  ur  ations  fie  b  er),  in  der  Regel  so  lange, 
bis  die  Entleerung  des  Eiters  zu  Stande  gekommen  ist.  —  Wird  eine 
copiöse  Eiterung  durch  längere  Dauer  allzu  sehr  erschöpfend ,  so  nimmt 
das  Eiterungsfieber  zu  und  es  stellt  sich  Abzehrung  ein.    Man  nennt  dann 


ELECTROTHERAPIE.  235 

das  Fieber  hektisches  oder  Zehrfieber,  Febris  hectica  s. 
consumtiva.  Seiner  Natur  nach  ist  es  vom  Eiterungsfieber  nicht  ver- 
schieden. Es  macht  meistens  gegen  Abend  einen  Anfall ;  später  werden 
die  Anfalle  häufiger ,  stellen  sich  Mittags  und  Abends  ein.  Der  Kranke 
geht  endlich  unter  erschöpfenden  Schweissen  und  Diarrhöen  zu  Grunde. 
—  Das  Zehrfieber  und  wahrscheinlich  auch  schon  das  Eiterungsfieber  ist 
unzweifelhaft  einer  Eiterresorption  zuzuschreiben.  Dass  Eiter  in  die  Blut- 
masse gelangen  kann,  steht  fest  (s.  Pyämie).  Auch  gewisse  flüchtige 
Bestandtheile  des  Eiters  können  eine  Eiterinfection  bewirken.  In  Spi- 
tälern, wo  viele  Kranke  mit  eiternden  Wunden  liegen,  entwickelt  sich  eine 
eigentliche  Diathesis  purulenta,  so  dass  fast  alle  frischen  Wunden 
mit  Eiterung  heilen.  —  Die  Eiterung  tritt  entweder  in  neugebildeten  ge- 
schlossenen Höhlen  oder  auf  freien  Flächen  auf.  Die  Eiterbildung  in 
geschlossenen  Höhlen ,  nennt  man  Eiterbeule,  Eitergeschwulst. 
S.  Abscess  und  Wunden,  —  B.e handlung.  Diese  bezweckt  im 
Allgemeinen  Beförderung  der  Eiterung.  Handelt  es  sich  um  eine  offene 
Eiterung,  so  besteht  die  Behandlung  gewöhnlich  in  einem  der  Vitalität 
der  Eiterfläche  angemessenen  Salbenverbande.  Bei  profuser  Eiterbildung 
macht  sich  die  Anwendung  stärkender  Mittel  örtlich  und  innerlich  noth- 
wendig ;  namentlich  erweist  sich  bei  sinkenden  Kräften  eine  leicht  ver- 
dauliche nährende  Kost ,  guter  Wein ,  ein  Infusum  oder  Decoctum 
chinae  mit  Säuren  nüzlich.  Bei  zu  geringer  Eiterung  liegt  der  Grund 
entweder  in  einem  zu  gereizten  Zustande  oder  in  einer  Schlaffheit  oder  in 
Torpor  des  Theiles.  Im  ersten  Falle  ist  ein  antiphlogistisches  Verfahren, 
der  Gebrauch  lauwarmer  Umschläge ,  im  zweiten  ein  trockener  Verband 
oder  reizende  Salben  und  Tinkturen  in  Anwendung  zu  bringen.  Bei  ge- 
schlossenen Eiterungen  befördert  man  die  Eiteransammlung  durch  er- 
weichende, oder  bei  torpidem  Zustande  durch  reizende  Breiumschläge  und 
sorgt  dann  für  die  Entleerung  des  Eiters  (s.  Abscess). 

Electrotherapie.  Man  verteilt  hierunter  die  Heilmethode, 
wo  man  dem  Körper  electrisches  Fluidum,  welches  man  ausser  demselben 
zu  polarer  Thätigkeit  erregt  hat ,  zuströmen  lässt.  Das  electrische  Agens 
im  Allgemeinen  erregt  die  organischen  Bewegungen ,  beschleunigt  den 
Kreislauf ,  die  Respiration ,  die  Ab-  und  Aussonderungen ,  erhöht  die  Ge- 
hirn- und  Nerventhätigkeit.  Der  positive  Pol  der  Electricität  ergreift  aber 
vorherrschend  das  Muskel-  und  Gef  ässsystem ,  der  negative  Pol  das  Ner- 
vensystem ,  und  durch  die  vereinte  Wirkung  beider  wird  also  das  gegen- 
seitige Verhalten  des  irritablen  und  sensiblen  Lebens  im  Totalorganismus 
stärker  hervorgerufen.  Ihre  Anwendung  passt  daher  überhaupt  bei  ver- 
minderter Thätigkeit  der  organischen  Verrichtungen ,  vorzugsweise  jedoch 
bei  verminderter  Thätigkeit  des  Nervensystems  sowohl  an  sich,  als  im  Ein- 
flüsse auf  andere  Verrichtungen.  —  Unter  den  vielen  Krankheiten  ,  bei 
welchen  die  Electricität  angewendet  wurde ,   sind   es   nur  die  nachfolgen- 


2'3€  BLECTROTHERAPIE. ELKCTRIC1TAET. 

den,  bei  denen  sieh  eine  Hülfe  von  ihr  erwarten  lässt :  1)  Asphyxien;  hier 
dient  sie  als  Erweekungsmittel ,  aber  nur  bei  solchen ,  wo  die  kurz  vorher 
noch  volle  Lebenskraft  schnell  unterdrückt  wurde  ,  wie  durch  Ertrinken, 
Erhängen,  Ersticken;  2)  örtliche  Lähmungen  und  zwar  hauptsächlich  bei 
solchen,  welche  durch  Verlezung  der  Nerven  entstanden  sind,  z.  B.  Läh- 
mung der  Augenmuskeln  nach  Quetschverlezungen ,  Amaurosen  ,  welche 
durch  Erschütterung  des  Augapfels,  durch  Einwirkung  eines  grellen  Lich- 
tes oder  betäubende  Mittel ;  Taubheit ,  Lähmung  der  Zunge  und  Verlust 
des  Geruches  ,  welche  in  Folge  von  starken  Erschütterungen  ,  Convulsio- 
nen  und  apoplectischen  Anfällen ,  Lähmungen  der  Harnblase ,  des  Mast- 
darmes und  der  Extremitäten,  welche  in  Folge  von  Rückenmarkserschüt- 
terungen  entstanden  sind.  Doch  hat  man  auch  solche  örtliche  Lähmun- 
gen ,  welche  durch  Metastasen  hervorgerufen  wurden ,  hie  und  da  mit 
Erfolg  mit  der  Electricität  behandelt ;  3)  gegen  rheumatische  und  gich- 
tische Beschwerden  ,  gegen  Ausschlagskrankheiten  ,  welche  nicht  gehörig 
ausbrechen,  gegen  Verhaltung  der  Menstruation  aus  Erschlaffung,  gegen 
Bleichsucht,  Rhachitis,  Drüsenverhärtungen,  kalte  Geschwülste,  Geschwüre, 
Varicositäten  der  Beine,  Angiectasien  und  gegen  Warzen,  welche  in  gros- 
ser Anzahl  vorhanden  sind ,  wurde  die  Electricität  mit  verschiedenem  Er- 
folge angewendet.  —  Man  hat  sich  bis  jezt  folgender  Hauptverfahrungs- 
weisen  bedient:  der  Reibungselectricität,  der  Berührungselectricität  oder 
des  Galvanismus ,  der  Electropunctur  und  der  electro-magnetischen  und* 
magneto-electrischen  Apparate ;  noch  ist  die  in  neuester  Zeit  in  Anwen- 
dung gekommene  mehr  chemisch-physikalisch  wirkende  Art  von  Electri- 
cität, die  Electrolysis  und  die  Galvanocaustik  zu  erwähnen. 

Anwendung  der  Reibungselectricität.  Zu  dieser  bedient 
man  sich  der  Electrisirmaschinen  mit  dem  nöthigen  Isolirungsapparat, 
Ketten,  der  Kleist'schen  oder  Leidner-Flasche,  Entlader  etc.  Man  hat  Cy- 
linder  -  und  Scheibenmaschinen  ;  bei  beiden  wird  die  Elektricität  durch 
Reiben  des  Glases  am  Reibkissen  hervorgebracht ,  die  durch  Saugspizen 
aufgesaugt  und  dem  Conductor  zugeführt  wird.  Die  Kleist'sche  oder 
Leidner-Flasche  besteht  aus  einem  gläsernen  Gef  ässe  ,  welches  auswendig 
und  inwendig  mit  Metallplättchen  überzogen  ist,  während  der  freigelassene 
Saum  der  Oeffnung  des  Glases  die  beiden  Metallflächen  isolirt.  Die  po- 
sitive Electricität ,  der  innern  Fläche  durch  einen  Metallstab  zugeleitet, 
zersezt  durch  vertheilenden  Einfluss  die  natürlichen  Electricitäten  an  der 
äussern  Fläche ,  treibt  die  positive  zurück  und  bindet  die  negative ,  die 
vermöge  ihrer  gegenseitigen  Anziehung  umgekehrt  von  jener  einen  Theil 
bindet.  Bringt  man  nach  der  Ladung  zwischen  beiden  Flächen  eine  lei- 
tende Verbindung  zu  Wege  ,  so  stürzen  die  beiden  darauf  angesammelten 
Electricitäten  mit  grosser  Schnelligkeit  gegen  einander  und  bringen  ver- 
möge ihres  schnellen  Durchganges  durch  die  in  die  Leitung  aufgenomme- 
nen Organe  eine  heftige  Erschütterung  hervor.  Mit  mehreren  solcher 
Flaschen  bildet  man  eine  Batterie.  —  Die  Anwendungsarten  dieser  Elec- 


ELKCTROTHEHAPIE.  —    iCLECTRTCITAET.  237 

tricität  sind  :  a)  Das  electrisehe  Bad.  Hierunter  versteht  man  die 
einfache  Mittheilung  der  Electrität ,  welche  zwischen  dem  Kranken  und 
Conducfcor  der  in  Bewegung  gesezten  Maschine  mittels  metallener  mit  iso- 
lirenden  Handhaben  versehener  Stäbe  hergestellt  wird.,  der  Kranke  mag 
isolirt  sein  oder  nicht ,  wobei  man  die  Electricität  am  Centialende  oder 
am  peripherischen  Ende  des  leidenden  Theiles  einströmen  lässt.  Das  elek- 
trische Bad  ist  die  mildeste  Art  und  Weise,  die  Electricität  anzuwenden; 
man  kann  von  ihm  zu  den  kräftigeren  Methoden  übergehen.  —  b)  Die 
Durchströmung.  Hierbei  bringt  man  das  eine  ( peripherische  oder 
Central-)  Ende  des  leidenden  Theiles  mit  dem  Conductor  der  Maschine 
und  das  andere.  Ende  mit  einem  festen  metallenen,  auf  den  Boden  reichen- 
den Leiter  oder  mit  dem  Reibzeug  der  Maschine  in  Verbindung ,  wobei 
der  Kranke  isolirt  sein  kann  oder  nicht.  Diese  Art  wirkt  ebenfalls  nicht 
stark  und  kann  Stunden  lang  fortgesezt  werden.  —  e)  Electrisiren 
durch  den  electrischen  Hauch  (Wind),  die  elektrische 
D  o  u  a  h  e.  Man  lässt  das  elektrische  Fluidum  aus  dem  Conductor  der 
Maschine  oder  aus  einer  Leidner  Flasche  durch  Metallspizen  oder  durch 
Halbleiter  in  den  leidenden  Thejl  strömen,  wobei  man  eine  Menge  Fünk- 
chen  und  bei  Nacht  einen  leuchtenden  Büchel  wahrnimmt.  Diese  Art 
wirkt  stärker  und  ist  besonders  da  anwendbar,  wo  die  der  Haut  nahe  ge- 
legenen Nerven  und  sonstige  Theile  oder  die  Hautnerven  selbst  gereizt 
werden  sollen.  Man  beniizt  es  namentlich  bei  Augen-  und  Ohrenkrank- 
heiten.  —  d)  Electrisiren  durch  Funkenziehen.  Der  Kranke 
ist  auf  dem  Isolirschemel .,  steht  mittels  einer  Kette  mit  dem  Conductor 
in  leitender  Verbindung ,  und  wird  so  mit  einer  gewissen  Quantität  Elec- 
tricität geladen ,  welcher  er  sich  auf  die  benachbarten  Körper  zu  entledi- 
gen sucht ;  nähert  man  dem  so  geladenen  Körper  (gewöhnlich  dem  leiden- 
den Theile)  einen  in  eine  Kugel  sich  endigenden  und  mit  dem  Boden 
durch  eine  Kette  in  leitender.  Verbindung  stehenden  Draht  oder  andere 
nicht  elektrische  Körper,  so  entweicht  die  Electricität  in  Form  eines  Fun- 
kens .;  oder  man  lässt,  statt  die  Electricität  dem  Körper  in  Funkenform  zu 
entziehen ,  die  Electricität  in  Funkenform  in  den  nicht  geladenen  Körper 
des  Kranken  überspringen,  indem  man  den  in  eine  Kugel  sich  endigenden 
Draht  mitteis  einer  Kette  mit  dem  Conductor  in  Verbindung  sezt ,  und 
dem  leidenden  Theile  des  nicht  isolirten  Körpers  nähert.  Um  die  Wirkung 
zu  erhöhen  ,  bedeckt  man  auch  den  leidenden  Theil  öder  die  Kugel  des 
Drahtes  mit  einem  Nichtleiter ,  z.  B.  Flanell,  Tafifet,  oder  bestreicht  ihn 
mit  Oel.  Diese  Anwendungsart  ist  die  gewöhnlichste  und  für  die  meisten 
Fälle  passendste ,  indem  man  den  Grad  der  Stärke  beliebig  modificiren 
kann.  —  e)  Electrisiren  durch  Schläge.  Dieses  geschieht  mit 
der  Leidner  Flasche.  Der  leidende  Theil  des  Kranken  wird  mit  dem  äus- 
sern,  und  ein  anderer  Theil  seines  Körpers  mit  dem  innern  Belege  der 
geladenen  Flasche,  oder  umgekehrt,  in  unmittelbare  Berührung  gebracht, 
wodurch  im  Augenblicke   der  doppelten  Berührung  eine  mehr  oder  weni- 


238  ELECTROTHERAPIE. ELECTRICITAET. 

ger  heftige  Erschütterung  hervorgebracht  wird.  Mittels  Lane's  Aus- 
ladeelectrometers  kann  man  gleichmassige,  nach  der  Entfernung  der  zwei 
demselben  eigentümlichen  Messingkugeln ,  stärkere  oder  schwächere 
Schläge  ertheilen. 

Anwendung  der  Berührungs-  (Contact-)  Electricität 
oder  des  Galvanismus.  Zur  medicinischen  Anwendung  des  Galvanis- 
mus  bedarf  man  einer  galvanischen  Batterie  ,  Leitungsschnüre  und  ver- 
schiedene Vorkehrungen  zur  Leitung  des  Stromes  durch  verschiedene 
Körpergegenden  und  besondere  Apparate  zum  schnellen  Schliessen  und 
Oeffnen  der  Ketten.  Meistens  bedient  man  sich  der  Volta 'sehen  Säule, 
seltener  eines  Trog-  oder  Beckerapparates.  Zur  Construction  einer  Vol- 
ta'sehen  Batterie  wählt  man  in  der  Regel  Platten  von  Kupfer  und  Zink 
von  Thalergrösse ,  welche  man  auf  einer  Glasunterlage  in  der  Weise  auf- 
baut, dass  man  mit  einer  Zinkplatte  beginnt,  dann  eine  solche  von  Kupfer 
folgen  lässt ,  dann  eine  mit  Salzwasser  oder  verdünnter  Säure  getränkte 
Scheibe  von  Tuch,  Filz,  Flanell  oder  Pappe  auflegt  und  nun  wieder  Zink, 
Kupfer,  Leiter  und  so  fort  folgen  lässt,  bis  man  mit  einer  geöhrten  Kupfer- 
platte schliesst.  Auf  diese  Weise  nach  Volta  geschichtet,  ist  an  der  er- 
sten Zinkplatte  der  positive ,  an  der  obersten  Kupferplatte  der  negative 
Pol ;  legt  man  dagegen  mit  Ritter  erst  eine  Kupferplatte ,  dann  den 
feuchten  Leiter,  dann  Zink,  Kupfer,  Leiter,  so  ist  der  positive  Pol  an  der 
ersten  Kupfer- ,  der  negative  an  der  lezten  Zinkpiatte.  Von  den  Becher- 
und  Trogapparaten  ist  der  Daniel l'sche  der  bekannteste.  Er  besteht 
aus  einem  cylinderförmigen  Gefäss  von  Kupfer,  welches  mit  einer  Kupfer- 
vitriollösung zur  Hälfte  gefüllt ,  und  in  welches  ein  gleich  hohes  ,  spiral- 
förmig gewundenes,  mit  einer  Blase  umgebenes  Zinkblech  hineingesteckt 
und  lezteres  dann  mit  einer  Salmiak-  oder  Kochsalzlösung  vollgefüllt 
wird.  Ausser  dem  D  a  n  i  e  1 1  'sehen  Apparate  ist  noch  der  hydroelectrische 
Apparat  von  G  r  o  v  e  ,  der  Apparat  von  Bimsen,  die  Kette  von  Roberts 
zu  erwähnen.  —  Man  benuzt  den  Galvanismus  als  galvanische  Strömung 
oder  man  erzeugt  Schläge  und  Erschütterungen,  indem  man  die  Kette  ab- 
wechselnd schliesst  und  öffnet.  Die  Anwendungsarten  sind:  a)  Das  gal- 
vanische Bad.  Der  leidende  Theil  wird  in  ein  Gefäss  voll  Salzwasser 
untergetaucht ,  sodann  bringt  man  den  Leitungsdraht  des  einen  Pols  der 
Säule  in  die  Flüssigkeit,  und  den  des  andern  Pols  mittels  einer  Armatur 
an  eine  ausserhalb  des  Salzwassers  befindliche  Stelle  des  leidenden  Thei- 
les  ;  oder  beide  Hände  oder  Füsse  werden  je  in  ein  Gefäss  mit  Salzwasser 
getaucht  und  in  jedes  derselben  ein  Pol  der  Säule  geleitet.  —  b)  Die 
Armaturen.  Man  versteht  hierunter  Metallplatten  und  Stäbe,  welche 
so  geformt  sind,  dass  sie  dem  leidenden  Theile  genau  anpassen,  mit  einem 
Häkchen  zur  Aufnahme  des  Leitungtdrahtes  versehen  sind  und  mittels  ge- 
eigneter Bänder  oder  Heftpflaster  an  die  Körpertheile  befestigt  werden. 
Die  Hautstellen ,  welche  diese  Armaturen  bedecken  ,  befeuchtet  man  mit 
Salzwasser.    Will  man  die  Wirkung  verstärken ,  so  beraubt  man  die  Stel- 


ELECTR0THERAP1E. ELECTRICITAET.  239 

len  durch  vorher  aufgelegte  Blasenpflaster  ihrer  Oberhaut  und  bedeckt  sie 
mit  einem  feuchten  Schwämme  oder  mit  einem  Stücke  frischen  Fleisches, 
über  welche  erst  die  Armatur  angelegt  wird.  So  verfährt  man  z.  B.  bei 
der  Epilepsie ,  hartnäckiger  Gelenkwassersucht ;  bei  lezterer  braucht  man 
auch  blosse  Platten ,  welche  auf  zwei  der  Oberhaut  beraubte  Hautstellen 
(auf  die  eine  eine  Kupferplatte,  auf  die  andere  eine  Zinkplatte,  oder  je  ein 
Plattenpaar,  das  eine  mit  der  Kupferseite,  das  andere  mit  der  Zinkseite) 
gelegt  und  mit  Draht  oder'  mit  einer  Kette  verbunden  werden.  —  c)  Die 
Metallbürsten.  Man  lässt  die  Electricität  durch  ein  hechelartig  mit 
Drahtspizen  versehenes  Metallblech,  die  Spizen  gegen  die  Haut  gerichtet, 
auf  den  leidenden  Theil  einwirken ,  und  drückt ,  um  die  Wirkung  zu  er- 
höhen, die  Spizen  etwas  in  die  Haut  ein.  —  d)  Der  feuchteSchwamm. 
Man  befestigt  auf  die  Spize  des  Leitungsdrahtes  einen  feuchten  Schwamm 
und  bringt  ihn  so  an  den  leidenden  Theil,  —  Bei  jeder  dieser  Anwen- 
dungsarten wird  der  Grad  der  Wirkung  durch  Stärke  und  Zahl  der  Plat- 
tenpaare bestimmt.  Zu  beobachten  ist ,  dass ,  wenn  man  zwei  an  dem 
gleichen  Uebel  leidende  Organe,  z.B.  beide  Augen,  Ohren  etc.,  galvanisch 
zu  behandeln  hat,  man  nicht  den  einen  Pol  auf  das  eine  und  den  andern 
Pol  auf  das  andere  Organ  einwirken  lasse  ,  sondern  dass  man  beide  Or- 
gane mit  dem  angezeigten  Pole  nach  einander  oder  beide  zugleich  mittels 
eines  gabelförmig  getheilten  Leiters  behandle. 

Anwendung  der  Electropunctur.  S.  den  Art.  Acupunctur. 
Die  Einwirkungsarten  sind  :  a)  der  galvanische  Schlag;  dieser  wird 
erzeugt,  wenn  man,  nachdem  eine  Nadel  mit  dem  einen  Draht  verbunden 
ist,  die  andere  mit  dem  andern  Poldrahte  berührt,  oder  nachdem  die  Nadel 
mit  dem  Zinkpole  verbunden  ist ,  den  Draht  des  Kupferpoles  an  eine  Haut- 
stelle bringt,  unter  der  ein  Nervenstamm  liegt ;  b)  das  Funkenziehen; 
hier  verbindet  man  den  Zinkpol  mit  einer  eingestochenen  Nadel  und  be- 
rührt mit  der  Spize  des  Leitungsdrahtes  vom  Kupferpole  Hautstellen,  die 
keine  verdickte  Epidermis  haben  ;  c)  das  Brennen  wird  .ebenso  erzeugt, 
nur  dass  man  nicht  mit  der  Spize,  sondern  mit  der  Seite  des  Drahtes  den 
Theil  anhaltend  und  fest  berührt ;  d)  das  sanfte  Durchströmen; 
dies  wird  erlangt,  wenn  man  mit  dem  einen  Pole  der  Säule  die  Nadel  in 
Verbindung  bringt  und  mit  dem  andern  eine  dauernde  Verbindung  mit 
einer  Körperstelle  einleitet. 

Anwendung  der  electrolytischen  und  galvanocausti- 
schen  Methode.  Bei  der  ersten  wird  meistens  die  D  a  n  i  e  1 1  'sehe 
galvanische  Zink-Kupfer-Kette  benüzt ,  in  welcher  der  Zinkpol  der  posi- 
tive, der  Kupferpol  der  negative  ist.  Die  speeifische  Kraft,  welche  einem 
jeden  dieser  galvanischen  Ströme  inne  wohnt,  ist  nach  Crusell  im  Zink- 
pole die  saure ,  befestigende,  zusammenziehende,  im  Kupferpole  die  alka- 
lische, verflüssigende,  nachlassende.  Diese  Wirkung  äussert  sich  nun  der- 
gestalt,  dass,  wenn  ein  Geschwür,  eine  offene  Krebsgeschwulst  u.  dgl., 
mit  der  Zinkplatte  bedeckt  oder  mit  dem  Zinkpole  der  Kette  in  Verbin- 


240  KT.ECTnnTFiKüAPib;.  —  klkctiucjtaet. 

<lung  gesezt  und  <ler  galvanisch«1  Strom  eingeleitet  wird,  mich  einiger  Zeit 
ein  dicker  Schorf,  eine  Coagulntionssehieht  oontrahirten  ,  vortrockneten. 
verbrannten  Gewebes  sieh  vorfindet.  Auf  gleiche  Weise  können  dicke 
Lagen  schwammiger  Wucherungen,  krrbsiger  fimgösor  Excresernzcn,  Con- 
dylome, Gefässe  und  eroetile  Geschwülste  etc.  ohne  Blutung,  ohne  üblen 
Geruch  und  fast  schmerzlos  abgetragen  werden.  Selbst  grossere  Opera- 
tionen werden  auf  eleetrolytisehe  Weise  vollzogen  ;  so  eine  ganze  link- 
<eitige  weibliche  Brust ,  welche  scirrhös  war  ,  ohne  Blutung  und  Messer 
abgenommen  ;  ein  Fuss.  der  brandig  geworden  war.  wurde  gerettet,  indem 
dem  Brande  electrolytisch  Grenzen  gesezt  wurden.  — -  Am  Kupferpole 
geht  ebenfalls  eine  chemische  Gewebsverwandlung  aber  mehr  verflüssi- 
gender Natur  vor  sich  ;  wenn  es  sich  daher  um  eine  Auflösung,  z.  B.  von 
Exsudaten .  Geschwülsten  ,  von  Callusmassen  im  Umkreise  von  Geschwü- 
ren u.  dgl.  handelt ,  so  wird  der  Kupferpol  mit  der  kranken  Stelle  in 
Verbindung  gebracht.  Tn  der  neuesten  Zeit  ist  namentlich  der  galvano- 
caustischen  Methode  (von  Middeldorpf  u.  A.)  grosse  Ausdehnung 
gegeben  worden .  indem  besondern  Instrumenten  die  elektrische  Glühhize 
mitgetheilt  wurde ,  mit  Hülfe  deren  man  unter  Mitwirkung  von  Druck. 
Zug ,  Schnitt  oder  Zusamnievisehnürung  schnell  und  scharf  begrenzt  auf 
die  zu  operirenden  Theile  einwirken  kann  :  auf  diese  Weise  werden  mit- 
tels der  Schneideschlinge  verschiedenartige  Fistelgänge  .  wie  Mastdarin- 
fisteln ,  Thranenfisteln  ,  durchschnitten  ,  gestielte  blutreiche  Geschwülste 
(Polypen  etc.),  selbst  Körper-theile  ,  wie  das  Zäpfchen,  die  Mandeln,  der 
Penis  etc.  abgetrennt :  mittels  verschiedener  Arten  sogenannter  Brenner 
Knochenfisteln  ,  cariöse  Zähne .  telangiectatische  Geschwülste  ,  Harn- 
röhrenverengerungen etc.  eauterisirt.  Ferner  findet  die  Galvanocaustik 
noch  Anwendung :  bei  Neuralgie  ,  zur  Blutstillung  bei  Blutern  .  Varicen, 
vergifteten  Wunden  ,  Abscessen  ,  Cysten  ,  der  Kanula ,  Pseudarthrose  und 
wie  schon  oben  angegeben  wurde  .  bei  Brand  .  Geschwüren  ,  Carcinom. 
M  id  d  el  d  orp  f 's  Batterie  ist  aus  4  einfachen  G  r  o  v  e  'schon  eonstanten 
Ketten  in  der  Art  zusaramengesezt .  dass  mittels  eines  geschickt  ange- 
brachten Commutators  schnell  die  Combination  zur  einfachen  Kette ,  zur 
Säule  aus  zwei  Paaren  hergestellt  werden  kann.  Zu  den  Leitungen,  die, 
wie  natürlich ,  mit  den  Polen  der  Batterie  communiciren  ,  gehören  seiden- 
übersponnene ,  mit  kurzen  Unterbrechungen  in  Kautschukhülsen  gefasste 
Kupferdrähte,  welche  den  galvanischen  Strom  zu  den  Operationsinstru- 
menten führen  ,  an  welchen  die  Schliessung  durch  Platindraht  vermittelt 
wird.  Dieser  durch  den  galvanischen  Strom  zum  Weissglühen  erhizte 
Platinschliessungsdraht  ist  eigentlich  die  Seele  des  Instrumentes.  Die 
Instrumente  sind  mit  Schliessknöpfen  oder  Schliesschiebern  versehen, 
welche  dem  Operateur  durch  leichten  Fingerdruck  gestatten ,  den  galva- 
nischen Strom  und  somit  auch  das  Glühen  des  Platins  augenblicklich  zu 
unterbrechen.  Der  Patient  wird  sizend  oder  liegend  vor  oder  zur  Seite 
iler  Batterie   postirt ,   so   dass  ihn  die  Leitungsdrähte  umgeben  ;    und  die 


ELYTRORHAPHIE.  241 

Instrumente  kommen  kalt  mit  der  Applicationsselle  in  Berührung,  wo  man 
dann  erst  durch  einen  Fingerdruck  die  intensivste  Hize  zu  beliebigen  End- 
zwecken des  Brennens ,  Zerstörens  ,  Schneidens  etc.  sich  entwickeln  lässt. 
Noch  sei  kurz  der  electrischen  Moxe  oder  des  galvanischen 
Brenn  kegeis  gedacht,  der  von  Hall,  Br.  Cooper,  Bird  in  engem 
Anschlüsse  an  die  C  r  u  s  e  1 1  'sehe  Methode  bei  Geschwüren  und  Gelenk- 
geschwülsten in  Anwendung  gebracht  worden  ist.  Der  positive  Pol 
einer  galvanischen  Säule  oder  Batterie  wird  von  Hall  irgendwo  am  Kör- 
per des  Kranken  ,  der  negative  auf  das  zu  äzende  Geschwür  etc.  ap- 
plicirt. 

Anwendung  des  Electro-Magnetismus  und  der  Magneto- 
Electricität.  Man  gebraucht  einen  magneto-eleetrischen  oder  electro- 
magnetischen  Apparat,  die  nöthigen  Leitungsdrähte  und  Armaturen.  Die 
electro-magnetischen  Apparate  sind  einfacher  und  deshalb  minderen  Stö- 
rungen unterworfen ,  als  die  magneto-eleetrischen ,  und  wenn  man  sich 
eines  Zellenelementes  bedient ,  in  ihrer  Wirkung  gleichmässig.  Behufs 
der  Anwendung  bringt  man  die  Pole  auf  dieselbe  Weise  an ,  wie  beim 
Galvanismus  ,  so  dass  der  Strom  durch  derf  Theil  geht ,  auf  welchen  man 
zu  wirken  beabsichtigt ;  man  lässt  beide  Erschütterungsbecher  mit  den 
Händen  fassen  ,  wenn  man  Arme  und  Beine  durchströmen  lassen  will ;  an 
Rücken  und  Glied  befestigt  man  sie ,  wenn  man  auf  das  Rückenmark  zu 
wirken  strebt ;  auch  kann  man  den  einen  Theil  mit  dem  einen  Pole  fest 
armiren  und  mit  dem  andern,  den  man  mit  der  Hand  wie  einen  Conductor 
führt ,  die  Stelle  mannigfach  wechseln.  Bei  Leiden  des  ganzen  Körpers 
oder  der  Extremitäten  ist  es  oft  zweckmässig ,  den  ganzen  Körper  oder 
das  betheiligte  Glied  im  Bade  zu  electrisiren  ;  zu  diesem  Behufe  bedient 
man  sich  längerer  Leitungsdrähte  aus  übersponnenem  Kupferdrahte ,  an 
welchem  grössere  Metallplatten  angelöthet  sind ,  und  senkt  dieselben  ent- 
weder beide  in  das  nicht  metallene  Wassergef  äss  zu  beiden  Seiten  des 
Gliedes  ein ,  oder  man  stellt  jedes  Glied  in  ein  besonderes  Gefäss  und 
bringt  in  jedes  einen  Leitungsdraht ,  doch  darf  die  Wassermenge  nicht 
allzu  gross  sein,  oder  man  muss  sich  bei  derselben  eines  verhältnissmässig 
starken  Stromes  bedienen.  —  Man  kann  den  Strom  massigen,  wenn  man 
sich  in  die  Strömung  einschiebt  und  den  einen  Pol  nur  durch  die  be- 
feuchteten Finger  auf  den  kranken  Theil  wirken  lässt ;  man  kann  sich 
hierzu  auch  eines  Moderators,  bestehend  in  einer  Glasröhre,  bedienen.  — 
Man  wendet  den  Electromagnetismus  besonders  bei  Neuralgien,  Lähmun- 
gen, chronischen  Rheumatismen  etc.  an. 

Elytrorhaphie  (von  iXvzQov,  die  Scheide,  und  QU(pf],  die  Naht)» 
Scheidennaht.  Man  versteht  hierunter  eine  Operation,  durch  welche» 
behufs  der  Beseitigung  eines  Gebärmuttervorfalles ,  die  Mutterscheide 
mittels  Wegnahme  eines  Theiles  ihrer  Schleimhaut  verengt  wird.  —  Die 
Kranke  liegt  horizontal  mit  etwas  erhöhtem  Kopfe  so  am  Rande  eines 
Burger,  Chirurgie.  16 


242  ELYTRORHAPIE. 

Tisches  ,  dass  die  Sizknorren  noch  etwas  hervorragen  ;  die  Oberschenkel 
werden  stark  von  einander  entfernt ,  in  einen  Rechtwinkel  zum  Stamme 
gebracht ,  die  Knie  möglichst  flectirt ,  und  so  lässt  man  die  Kranke  ihre 
Füsse  mit  den  Händen  fassen.  Während  zwei  Gehülfen  die  Schenkel  der 
Frau  fixiren,  schneidet  der  Operateur  bei  vorliegendem  Uterus,  der  nöthi- 
genfalls  mittels  der  Muzeux'schen  Hakenzange  hervorgezogen  wird  ,  zuerst 
auf  der  rechten  Seite  ein  elliptisches  Stück  aus  der  Schleimhaut  der 
Scheide  heraus,  welches  2 —  3  Zoll  lang;  1  —  2  Zoll  breit  ist  und  sich  mit 
dem  einen  Ende  bis  in  die  Nähe  des  Mutterhalses  erstreckt.  Man  um- 
gränzt  es  mit  zwei  gebogenen  Schnitten  ,  fasst  es  oben  mit  der  Pincette 
und  trennt  es  gegen  die  Scheidenmündung  mit  einem  convexen  Messer 
von  dem  unterliegenden  Gewebe  ab.  Eine  gleiche  Excision  macht  man 
auf  der  linken  Seite  ,  und  wenn  der  Vorfall  alt ,  die  Scheide  sehr  schlaff 
und  weit  ist ,  so  schneidet  man  ein  drittes  Stück  aus  der  vordem  Wand 
aus.  Bei  dem  Abtrennen  der  Schleimhaut  muss  man  sich  vor  der  Ver- 
lezung  der  Blase  und  des  Mastdarmes  hüten  ;  man  bringt  daher  einen 
silbernen  Catheter  in  die  Blase ,  der  als  Leiter  dient ,  während  der  in  den 
Mastdarm  eingeführte  Finger  eines  Gehülfen  die  Nähe  des  leztern  anzeigt. 
Nach  gestillter  Blutung  vereinigt  man  die  Wunden ,  wenn  die  Scheide 
schlaff  und  weit  ist,  durch  Knopf  hefte ,  und  zwar  führt  man  8  —  5  lange 
Fäden  durch  die  Lefzen  einer  Wunde  hindurch ,  knüpft  von  ihnen  aber 
jezt  nur  so  viele  und  zwar  dem  Mutterhalse  zunächst  zu,  als  ohneHinder- 
niss  für  die  Reposition  des  Vorfalls  geschehen  kann.  Alsdann  reponirt 
man  den  Uterus  und  knüpft  die  noch  offenen  Hefte  in  der  Scheide  zu. 
Hat  man  drei  Stücke  excidirt ,  so  heftet  man  nur  die  WTunde  an  der  vor- 
dem Wand,  die  Ränder  der  beiden  seitlichen  Wunden  legen  sich  nach  der 
Reposition  von  selbst  aneinander.  In  den  meisten  Fällen  kann  man  die 
Heftung  ganz  unterlassen  ;  die  Eiterung  bildet  eine  stärker  contrahirte 
Narbe,  als  die  durch  die  schnelle  Vereinigung  gebildete  ist.  Manche  ope- 
riren  auch  auf  die  Weise  ,  dass  sie  die  Schleimhaut  der  Scheide  in  eine 
Falte  erheben  und  diese  dann  wegschneiden  ;  noch  Andere  legen  zuerst 
die  Heftfäden  ein  und  schneiden  dann  die  erhobene  Falte  aus.  Nach  der 
Operation  beobachtet  die  Kranke  eine  Rückenlage  mit  erhöhtem  Becken 
und  aneinandergeschiossenen  Schenkeln  ;  Verband  ist  keiner  nöthig  ;  nur 
wenn  der  reponirte  Uterus  nicht  in  seiner  Lage  bleiben  sollte,  bringt  man 
einen  in  kaltes  Wasser  getauchten  Schwamm  in  die  Scheide  und  erhält 
eine  vor  die  Genitalien  gelegte  Compresse  mit  einer  T  Binde  fest.  Man 
macht  öfters  Injectionen  von  kaltem  Wasser  in  die  Scheide  und  bei  hef- 
tigen Schmerzen  legt  man  kalte  Umschläge  auf  die  Scham-  und  Damm- 
gegend, denen  man  nach  Bedürfniss  noch  weitere  antiphlogistische  Mittel 
beifügt.  Mit  dem  Eintritt  der  Eiterung  sprizt  man  lauwarme  schleimige 
Decocte ,  später  leichte  aromatische  Abkochungen  ein.  Die  Hefte  lässt 
man  auseitern.  Tritt  nach  der  Heilung  keine  hinreichende  Zusammen- 
ziehung der  Scheide  ein ,   so  wendet  man  adstringirende  und  balsamische 


EMPYEM  A.  243 

Mittel  an,  welche  man  in  Einsprizungen  oder  mittels  Schwämme,  die  z.  B. 
mit  einem  Decoct.  quere  u  s  c.  Tinct.  myrrhae  getränkt  werden, 
oder  in  Salbenform  mittels  Charpieballen  in  die  Scheide  bringt.  Die 
Operirte  muss  bis  zur  Heilung  der  Wunden  in  der  horizontalen  Lage  ver- 
harren. 

jSHipiiysenia,  (von  iv  und  cpvGaoo,  ich  blase  auf),  Pneuma- 
t  o  s  i  s  ,  das  Emphysem,  die  Windgeschwulst.  Man  versteht  hier- 
unter die  Ansammlung  gasartiger  Stoffe  im  ganzen  Körper  oder  in  ein- 
zelnen Theilen  desselben.  Die  Gasarten  entstehen  im  Innern  des  Körpers, 
meistens  in  Folge  fauliger  Zersezung  (spontanes  Emphysem),  oder 
es  tritt  atmosphärische  Luft  in  Folge  einer  Trennung  an  irgend  einem 
Punkte  der  Respirationsorgane  in  das  Zellgewebe  (traumatisches 
Emphysem).  Der  hauptsächlichste  Siz  des  Emphysems  ist  das  subcu- 
tane «Zellgewebe,  doch  findet  es  sich  auch  in  allen  übrigen  zelligen  Orga- 
nen. Es  gibt  sich  durch  eine  weiche ,  elastische ,  färb-  und  schmerzlose 
Geschwulst  zu  erkennen ,  welche  beim  Drücken  ein  knisterndes  Geräusch 
vernehmen  lässt.  Vom  Oedem  unterscheidet  es  sich  durch  das  genannte 
Geräusch ,  so  wie  dadurch  ,  dass  die  Haut  den  Fingereindruck  nicht  be- 
hält. Es  tritt  zuerst  an  einer  einzelnen  Stelle  auf,  verbreitet  sich  über 
den  ganzen  Körper  und  bewirkt  eine  ausserordentliche  Ausdehnung  der 
Haut ;  besonders  schnelle  Fortschritte  macht  es  ,  wo  viel  schlaffes  Binde- 
gewebe angehäuft  ist,  z.  B.  am  Halse,  den  Augenlidern,  dem  Hodensacke, 
den  Brustwandungen.  —  Behandlung,  Das  s  p  o  nt  an  e  Emphysem 
erfordert  die  Wiederaufrichtung  der  deprimirten  Lebenskraft  und  die  Be- 
seitigung des  dem  Uebel  zum  Grunde  liegenden  krankhaften  Zustandes 
der  örtlichen  wie  der  allgemeinen  Circulation.  Günstig  wirken  auch  Ein- 
reibungen von  gelind  reizenden  und  adstringirenden  Stoffen  bei  gleich- 
zeitigem innerem  Gebrauche  kräftiger  Stimulantia,  Tonica  und 
Antiseptica.  —  Beim  traumatischen  Emphysem  muss  die  Natur 
der  mechanischen  Verlezung,  so  wie  der  Zustand  der  Respiration  berück- 
richtigt  werden.  Ist  es  durch  eine  penetrirende  Wunde  an  irgend  einem 
Theile  des  Respirationsapparates  veranlasst  worden  ,  so  muss  die  äussere 
Wundöffnung  in  dem  Grade  erweitert  werden,  dass  die  Luft  frei  austreten 
kann,  und  je  so  lange  offen  erhalten  werden,  bis  die  Oeffnung  in  den 
Luftwegen,  geschlossen  ist.  Wirkt  das  Emphysem  durch  seine  ungeheure 
Ausdehnung  lähmend  auf  die  Respirationsfunktionen ,  so  macht  man  Ein- 
schnitte und  sezt  Schröpf  köpfe  auf.  Hat  der  Kranke  nicht  durch  die  Ver- 
lezung selbst  einen  starken  Blutverlust  erlitten ,  so  ist  in  vielen  Fällen 
eine  Blutentleerung  nöthig. 

Empyema  (von  iv,  in  und  itvov,  Eiter),  Pyothorax,  Eiter- 
brust. Hierunter  versteht  man  die  Ansammlung  von  Eiter  in  der  Pleura- 
höhle ,   wobei   der  Eiter  entweder  in  dieser  selbst  gebildet  wird  oder  von 

16* 


244  EMPYEM  A. 

einer  andern  Bildungsstätte  aus  in  diese  dringt.  —  Symptome.  Der 
Kranke  fühlt  eine  Angst  und  Beengung  des  Athmens  ,  insonderheit  beim 
Liegen  auf  der  gesunden  Seite.  Die  kranke  Seite  des  Thorax  ist  ausge- 
dehnt, die  Rippen  sind  von  einander  gedrängt  und  ihre  Beweglichkeit  ist 
gehindert ;  daselbst  macht  sich  eine  ödematöse  Anschwellung  bemerklich, 
welche  sich  oft  weit  verbreitet.  Mit  der  Compression  der  Lunge  findet 
nicht  selten  eine  Verdrängung  des  Herzens  auf  die  entgegengesezte  Seite, 
sowie  ein  Abwärtsdrücken  des  Zwerchfelles  statt ,  was  dem  Kranken  ein 
Gefühl  von  Vollsein  und  Schwere  in  der  Gegend  des  leztern  verursacht. 
Bei  der  Auscultation  macht  sich  Mangel  des  respiratorischen  Geräusches, 
bei  der  Percussion  matter  Ton ,  beim  Sprechen  verminderte  oder  aufge- 
hobene Vibration  des  Thorax  bemerklich.  Mit  diesen  Erscheinungen  sind 
in  höherem  oder  geringerem  Grade  die  Zufälle  des  hektischen  Fiebers, 
trockener  oder  feuchter  Husten  ,  kleiner  häufiger  Puls  ,  Aufgetriebenheit 
des  Gesichtes,  Hize  in  den  Handflächen,  Durst  etc.  verbunden.  —  Ur- 
sachen. Abscesse  in  den  Lungen  und  der  Leber,  weiche  sich  in  die 
Brushöhle  öffnen,  Entzündungen  der  Lungen  und  der  Pleura  nach  äussern 
Verlezungen  und  penetrirenden  Wunden ,  Rippenbrüche  etc.  —  Pro- 
gnose. Diese  ist  entschieden  ungünstig  bei  grösseren  Ansammlungen 
und  bejahrten  Subjecten ;  bei  diesen  kann  sich  nach  Entleerung  des  Eiters 
die  zusammengedrückte  Lunge  nicht  mehr  ausdehnen,  die  Höhle  füllt  sich 
mit  schlechtem  Eiter  und  der  Kranke  geht  hectisch  zu  Grunde.  —  In 
glücklichen,  aber  sehr  seltenen  Fällen  erfolgt  Resorption  des  Eiters  unter 
starken  Schweissen ,  reichlicher  Absonderung  eines  stark  sedimentirenden 
Harnes ,  reichlicher  Stuhlentleerung  bei  steigendem  Appetit ,  allmäliger 
Zunahme  der  Kräfte  und  leichterer,  freierer  Respiration.  In  anderen  Fäl- 
len tritt  Verschwärung  der  Lungen  ein  und  der  Eiter  wird  durch  dieselben 
ausgehustet.  Dieser  Vorgang  ist  aber  nur  möglich ,  wenn  die  Lunge  vor- 
her durch  pleuritische  Adhäsionen  ringsum  befestigt  wurde.  Lezteres 
muss  auch  der  Fall  sein,  wenn  das  Empyem  nach  aussen  durchbricht,  was 
zuweilen  geschieht ;  wäre  es  nicht ,  so  würde  der  Pyothorax  in  einen  Pyo- 
pneumothorax  verwandelt.  Nach  Entfernung  des  Eiters  durch  die  Thorax- 
wand bleibt  lange  Zeit  ein  fistulöses  Geschwür  zurück.  —  In  jugendlichen 
Körpern  dehnt  sich  nach  der  Entleerung  des  Eiters  theils  die  Lunge  wie- 
der aus ,  theils  schliesst  sich  die  Höhle  durch  Entwicklung  von  Fleisch- 
wärzchen, und  die  Heilung  kommt  zu  Stande,  indem  unter  gleichzeitigem 
Zusammensinken  des  Thorax  die  Pleura  mit  der  Oberfläche  der  Lunge 
verwächst.  —  Behandlung.  Ist  der  spontane  Aufbruch  nicht  zu  er- 
warten ,  auch  keine  Aussicht  vorhanden ,  durch  eine  innere  Behandlung 
etwas  zu  erzwecken  und  droht  dem  Leben  von  der  Compression  der  Lunge 
und  des  Herzens  Gefahr ,  so  ist  die  Eröffnung  der  Brusthöhle  (Opera- 
tio  empyematis)  angezeigt.  S.  den  Art.  P  un  c  tion.  Diese  Ope- 
ration kann  indessen  nur  dann  einen  günstigen  Erfolg  haben ,  wenn  die 
Ansammlung  nicht  mit   andern  unheilbaren  Brustkrankheiten  verbunden, 


ENCHONDROMA.  245 

der  Kranke  nicht  schon  durch  die  lange  Dauer  des  Uebels  oder  durch 
colliquative  Zufälle  in  hohem  Grade  entkräftet  und  im  Alter  noch  nicht 
sehr  vorgerückt  ist.  Die  Eitersammlungen ,  welche  die  Folge  äusserer 
Verlezungen  sind ,  geben  für  den  günstigen  Erfolg  der  Operation  noch 
die  meiste  Hoffnung.  Je  früher  diese  unternommen  wird,  um  so  mehr  ist 
von  ihr  zu  erwarten. 

EüChondrOma  (von  ip  und  / opSqoc,  Knorpel)  ,  Knorpelge- 
schwulst ist  eine  gutartige  Geschwulst,  die  sich  im  Ganzen,  je  nach 
der  Lage  ,  mehr  oder  weniger  schmerzlos  und  meist  langsam  entwickelt, 
ohne  irgend  ein  Allgemeinleiden  vorauszusezen  oder  zu  bedingen.  Sie 
kann  10 — 20  Jahre  hindurch  als  durchaus  unschädliche  Geschwulst  fort- 
bestehen ;  sie  kommt  sowohl  in  Knochen  als  in  Weichtheilen  vor ,  in 
lezteren  aber  seltener.  Bei  den  Knochen  erscheint  sie  bald  im  Innern 
(centrales  Enchondrom),  bald  an  der  Oberfläche  derselben  (pe- 
ripherisches Enchondrom).  Das  centrale  Enchondrom 
ist  die  häufigste  Form  und  kommt  gewöhnlich  an  den  kleinen  Röhren- 
knochen der  Hand  und  des  Fusses,  seltener  an  den  Knöcheln,  an  den  Ge- 
lenkenden des  Knies,  den  Rollhügeln  des  Schenkels  und  den  Höckern  des 
Oberarms  vor.  Es  beginnt  mit  einer  Erweichung  der  spongiösen  Knochen- 
substanz im  Innern  des  Knochens ,  an  deren  Stelle  die  weiche  Masse  des 
Enchondroms  auftritt,  welche  während  ihres  Wachsthums  die  den  erkrank- 
ten Knochen  umhüllende  Corticalsubstanz  vor  sich  hertreibt  und  blasig 
ausdehnt.  Die  hierdurch  gebildete  Schale  schwindet  weiterhin  manchmal 
bis  auf  einzelne  inselartige  Stückchen  auf  der  Oberfläche  der  immer  glat- 
ten sphäroidischen  Geschwulst.  Befinden  sich  solche  schalige  Auftreibun- 
gen über  Hohlräumen  des  Enchondroms,  so  entsteht  beim  Druck  mit  dem 
Finger  das  Gefühl ,  als  ob  Pergament  zusammengedrückt  würde.  Ueber 
Gelenkenden  schreitet  die  Geschwulst  gewöhnlich  nicht  fort.  Die  Haut 
übe*  dem  Enchondrom  bleibt  unverändert.  Auf  dem  Durchschnitte  zeigt 
die  innere  Masse  einen  bindegewebigen  Bestandtheil  und  eine  gallert-  oder 
knorpelartige ,  gelbliche  oder  graulichweisse  durchscheinende  Substanz. 
Der  bindegewebige  Theil  durchsezt  in  Form  scheidenartiger  Fortsäze  von 
der  äussern  Umhüllung  her  die  ganze  Geschwulst  und  theilt  dieselbe  in 
zellige  Räume  der  verschiedensten  Form  und  Grösse ,  innerhalb  welcher 
die  ebengenannte  knorpelige  Masse  liegt,  die  sich  ausschälen  und  leicht  aus- 
drücken lässt.  Mikroskopisch  untersacht,  zeigt  sich  das  trennende  Binde- 
gewebe vollkommen  übereinstimmend  mit  anderem  dichten  Bindegewebe 
und  mit  reichlichen  Blutgefässen  durchzogen  ;  die  eingebettete  Masse  kommt 
mit  dem  Knorpel  überein  und  besteht  aus  halbdurchsichtigen  Knorpelkör- 
perchen.  Durch  Kochen  dieser  Masse  wird  eine  ansehnliche  Menge  Knor- 
pelleim (C  h  o  n  d  r  i  n)  erzielt ,  den  J.  Müller  vom  gewöhnlichen  Leim 
unterscheidet.  Manchmal  findet  man  auch  Knochenkörperchen  in  dieser 
Masse.    —    Das   peripherische  Enchondrom  entwickelt   sich  an 


246  ENCHONDROMA. 

Knochen,  die  vorzugsweise  reich  an  spongiöser  Substanz  sind,  als  Beeken- 
knochen,  Basis  cranii,  spongiöse  Gelenkenden  des  Femur,  der  Tibia, 
den  Rippen.  Es  tritt  an  dem  äussern  Umfange  des  Knochens  auf  und  ist 
mit  keiner  Knochenrinde  ,  sondern  von  der  oft  verdickten  Beinhaut  um- 
geben, dagegen  finden  sich  im  Innern  knochige  Neze  mit  grösseren  Hohl- 
räumen. In  der  Structur  und  dem  chemischen  Verhalten  kommt  dieses 
Enchondrom  mit  dem  centralen  überein.  Die  Geschwulst  ist  weniger  sphä- 
roidisch ,  mehr  buckelig,  lappig,  was  davon  herrührt,  dass  die  ganze  Ge- 
schwulst aus  einem  Conglomerat  rundlicher  Körper  von  der  Grösse  einer 
Erbse  bis  zu  der  einer  Wallnuss  besteht.  —  Das  Enchondrom  der 
weichen  Theile  ist  viel  seltener  als  die  beiden  ersteren.  Die  rund- 
liche Geschwulst  ist  hier  von  einem  dünnhäutigen  Balg  umgeben  ;  mehrere 
Beobachter  haben  in  diesem  Enchondrom  deutliche  Verknöcherimg  mit 
feinstrahlichen  Knochenkörperchen  beobachtet,  und  die  durch  feines  Faser- 
nez  getrennten  Hohlräume  sind  mit  gruppenartig  neben  einander  gelager- 
ten Knorpelzellen  ausgefüllt.  Das  Kochen  des  Inhalts  ergibt  nur  den 
gewöhnlichen  Leim  (Colla).  Das  Enchondrom  der  Weichtheile  tritt  na- 
mentlich in  drüsigen  Organen  auf  und  wurde  bis  jezt  wiederholt  in  der 
Umgegend  der  Unterkiefergegend  ,  in  der  Parotis  und  deren  Nachbar- 
schaft und  in  der  Mamma  und  ihrer  Umgebung ,  sowie  im  Hoden  beob- 
achtet. —  Ursachen.  Die  Enchondrome  entstehen  meistens  in  Folge 
mechanischer  Verlezungen ,  wie  Quetschungen  u.  dgl.  ;  es  scheinen  aber 
die  örtlichen  Ursachen  nicht  immer  allein  zu  wirken ;  dafür  spricht ,  dass 
Enchondrome  zuweilen  an  mehreren  Körperstellen  zugleich  auftreten,  z.B. 
an  beiden  Händen  oder  an  Händen  und  Füssen.  Doch  lässt  sich  bis  jezt 
eine  Abhängigheit  der  Knorpelgeschwülste  von  einer  bestimmten  Dyskra- 
sie  nicht  nachweisen.  Die  Entstehung  derselben  fällt  meistens  in  die  Pe- 
riode der  Kindheit  und  J.  Müller  glaubt,  dass  mechanische  Beeinträch- 
tigungen des  Lebens  und  des  Bildungsprocesses  der  Knochen  in  dieser 
Zeit  die  erste  Veranlassung  zur  Entstehung  dieser  Geschwülste  an  lezteren 
gebe.  —  Sie  können  in  eine  spröde  elfenbeinartige  Masse  umgewandelt 
werden  oder  auch  verjauchen.  —  Die  Diagnose  der  Enchondrome  ist 
nicht  immer  leicht.  Selbst  wenn  sie  an  der  Peripherie  durchweg  knorpe- 
lig sind,  haben  sie  doch  eine  den  Knochen  gleiche  Resistenz,  fühlen  sich 
steinhart,  elfenbeinartig  an,  wie  der  Scirrhus  der  Brustdrüse  oder  wie  ein 
wahrer  Knochenauswuchs.  Gewöhnlich  haben  sie  aber  eine  grosswarzige 
Oberfläche  und  die  an  der  Peripherie  liegenden  Knollen  scheinen  sich 
nach  innen  umzurollen  und  nicht  unmittelbar  in  die  Oberfläche  des  Mut- 
terbodens überzugehen.  Exostosen  dagegen  haben  eine  glatte  oder  zackige 
Oberfläche,  sezen  sich  nach  allen  Seiten  gleichmässig  in  die  normale  Kno- 
chensubstanz fort  und  haben  meist  einen  mehr  oder  weniger  schmerzhaf- 
ten Verlauf  und  ein  schnelleres  Wachsthum.  Schwieriger  möchte  unter 
Umständen  die  Unterscheidung  von  einer  Fasergeschwulst  sein.  —  Be- 
handlung.     Die  Entfernung   des  Enchondroms   ist  nur  auf  operativem 


ENTZUENDUNG.  247 

Wege  möglich  ;  es  versteht  sich  übrigens,  dass  man  zu  diesem  erst  greift, 
wenn  die  Geschwulst  durch  ihren  Siz  und  ihre  Grosse  die  Function  wich- 
tiger Theile  beeinträchtigt  oder  durch  bald  zu  erwartenden  Aufbruch  dem 
Leben  Gefahr  droht.  Sizt  es  in  Weichtheilen ,  so  wird  es  exstirpirt ;  bei 
dem  peripherischen  Knochenenchondrom  thut  man,  wo  es  angeht,  dasselbe, 
wozu  man  sich  eines  Knorpelmessers,  des  Meisseis  und  Hammers  oder  der 
Säge  bedient.  Nach  Dieffenbach  kann  auch  nach  partieller  Exstir- 
pation  Vernarbung  erfolgen.  Das  centrale  Enchondrom  erfordert  die  Am- 
putation oder  Exarticulation  des  ergriffenen  Knochens. 


Entzündung,  Inflammatio,  Phlogosis  (von  ylsyw, 
(pXoyooo ,  ich  brenne)  ,  bezeichnet  den  Zustand  von  grösserer  Anf  üllung 
der  Haargef  ässe  mit  Blut ,  verbunden  mit  Stockung  desselben ,  sowie  mit 
stärkerem  Drucke  der  Blutsäule  auf  die  Gef ässwand  und  mit  vermehrter 
Permeabilität  derselben ,  in  Folge  welcher ,  so  wie  einer  eigenthümlichen 
Umwandlung  des  Blutes ,  zu  einer  plastischen  Ausschwizung  Veranlassung 
gegeben  wird.  Ein  auf  diese  Weise  erkrankter  Theil  wird  geröthet,  heiss, 
schmerzhaft  und  schwillt  auf,  daher  betrachtet  man  Röthe,  Hize,  Schmerz 
und  Geschwulst  als  die  Cardinalsymptome  der  Entzündung.  —  Der 
Schmerz  fehlt  bei  der  Entzündung  nur  selten.  Er  steht  gewöhnlich  in 
geradem  Verhältniss  mit  der  Heftigkeit  der  Entzündung ;  er  wird  indessen 
nach  dem  ergriffenen  Gewebe,  dem  Verlaufe  der  Entzündung  und  beson- 
ders nach  der  Empfindlichkeit  des  Kranken  mannigfach  modificirt ;  er 
kann  daher  gelind  oder  heftig  auftreten ,  drückend ,  spannend  ,  stechend, 
dumpf,  klopfend,  brennend  etc.  sein.  Man  schreibt  den  Entzündungs- 
schmerz der  Spannung  und  Compression  zu ,  welche  die  Nerven  durch  die 
Anschwellung  des  entzündeten  Theiles  erleiden ;  er  mag  aber  auch  wohl 
in  die  Nerven  selbst  betreffenden  Veränderungen  begründet  sein.  Der 
entzündliche  Schmerz  ist  fix  und  wird  durch  äussern  Druck  vermehrt.  — 
Die  Röthe  ist  das  constanteste  Symptom  der  Entzündung  und  wechselt 
vom  Rosenrothen  bis  Braunrothen ,  was  von  der  Heftigkeit  der  Entzün- 
dung ,  von  der  Beschaffenheit  des  entzündeten  Organes ,  wie  auch  von 
der  Ursache  der  Entzündung  abhängen  kann.  Die  Röthung  ist  die  Folge 
der  vermehrten  Anfüllung  der  Capillargefässe  mit  Blut  und  des  Eindrin- 
gens von  Blutkügelchen  in  solche  Gefässe,  welche  im  normalen  Zustande 
nur  Blutserum  führen.  Später  wird  die  Röthe  auch  bedingt  durch  die 
Färbung  des  Gewebes  in  Folge  von  Ausschwizung  von  Blutfarbestoff,  in 
welchem  Falle  sie  dann  dunkler  als  im  Anfange  ist.  Gewöhnlich  ist  die 
Röthe  in  der  Mitte  dunkler  und  nimmt  allmälig  gegen  die  Peripherie  ab 
(diffus),  selten  ist  sie  scharf  abgegrenzt.  —  Hize.  Die  Vermehrung  der 
Wärme  ist  in  vielen  Fällen  blos  subjectiv ,  andere  Male  wird  sie  auch 
durch  die  aufgelegte  Hand  empfunden  und  durch  das  Thermometer  ange- 
zeigt.     Der  Grad  der  Hize  steht  gewöhnlich  im  Verhältniss  mit  der  Hef- 


248  ENTZUENDUNG. 

tigkeit  der  Entzündung  und  ist  nach  den  Entzündungsursachen  verschie- 
den ,  z.  B.  beim  Rothlauf  brennend  ,  stechend  ,  bei  der  Phlegmone  mild. 
Der  Grund  der  Wärmevermehrung  liegt  wahrscheinlich  in  dem  regeren 
Stoffwechsel  in  den  entzündeten  Theilen.  —  Die  Ges  ch  wulst  findet 
ihre  Erklärung  anfangs  in  der  vermehrten  Anhäufung  des  Blutes  in  den 
entzündeten  Theilen  und  später  in  dem  Erguss  der  plastischen  Lymphe 
oder  anderweitigen  Exsudationen  ;  noch  später  in  der  neuen  Zellen  -  und 
Gefässbildung  in  dem  entzündlichen  Exsudate.  Ihr  Umfang  hängt  von 
der  Heftigheit  der  Fntzündung  und  dem  mehr  oder  minder  lockern  Ge- 
webe des  ergriffenen  Theiles  ab.  —  Zu  den  vier  genannten  Symptomen 
gesellt  sich  eine  mehr  oder  minder  bedeutende  Functionsstörung  des 
entzündeten  Theiles,  die  sich  je  nach  der  functionellen  Eigenthümlichkeit 
desselben  verschieden  äussert.  —  Wenn  die  Entzündung  gef  ässreiche, 
sehr  empfindliche  Theile  befällt  und  einen  bedeutenden  Umfang  einnimmt, 
so  erfolgt  eine  fieberhafte  Reaction,  welche  man  Entzündungsfieber 
(Febris  inflammatoria)  nennt.  Die  Heftigkeit  dieses  Fiebers  steht 
im  Verhältniss  zu  der  Heftigkeit  der  Entzündung  und  der  Wichtigkeit  des 
entzündeten  Organs.  —  Chemisches  und  physikalisches  Ver- 
halten des  Blutes  in  der  Entzündung.  Es  ist  chemisch  nach- 
gewiesen, dass  in  dem  entzündeten  Blute  der  Faserstoff  vermehrt  und  die 
Blutkügelchen  in  geringerer  Anzahl  vorhanden  sind.  In  Folge  der  Ver- 
änderung in  der  Blutmischung  gerinnt  das  Blut  in  der  Entzündung  lang- 
samer ,  aber  fester ,  als  bei  normalem  Blute,  was  besonders  dem  grösseren 
Faserstoffgehalte  zuzuschreiben  ist.  Hierauf  beruht  die  Bildung  der  soge- 
nannten Entzün  d  un  gs  haut  (Crusta  inflammatoria).  Diese 
kommt  auf  folgende  Weise  zu  Stande.  In  Folge  der  langsameren  Gerin- 
nung des  entzündeten  Blutes  bekommen  die  Blutkörperchen  Zeit ,  sich, 
ehe  die  Gerinnung  des  Faserstoffes  erfolgt,  unter  das  Niveau  des  Liquor 
sanguinis  zu  senken;  dieser  ist  deshalb  seiner  Blutkörperchen  beraubt, 
erscheint  daher  nicht  roth ,  sondern  bietet  das  Aussehen  des  geronnenen 
Faserstoffes,  d.  h.  ein  derbes,  zähes,  gräulich  weisses  Gerinnsel  dar.  Die 
Bildung  der  Crusta  inflammatoria  beruht  indessen  nicht  immer 
auf  einer  örtlichen  Vermehrung  des  Faserstoffes,  sondern  kann  auch  ihren 
Grund  in  einer  Verminderung  der  Blutkörperchen  haben ,  wie  es  bei  der 
Chlorose,  bei  Anämie,  so  wie  auch  endlich  nach  schnell  wiederholten  Ader- 
lässen angetroffen  wird.  —  Mikroskopische  Entzündungser- 
scheinungen. Diese  lernt  man  an  der  künstlich  in  Entzündung  ver- 
sezten  Schwimmhaut  des  Frosches  kennen.  Auf  einen  angebrachten  Reiz 
tritt  eine  Verengerung  der  Haargefässe  unter  gleichzeitiger  Beschleuni- 
gung des  Blutlaufes  in  denselben  ein  ;  auf  diese  folgt  früher  oder  später 
eine  Erweiterung  der  Haargefässe  nebst  Verlangsamung  des  Blutstromes. 
Mit  dieser  Verlangsamung  der  Blutbewegnng  tritt  früher  oder  später  eine 
Unregelmässigkeit  in  dieser  ein ,  das  Blut  stockt  in  einzelnen  Theilen, 
während   es   in   andern   benachbarten   noch  vorwärts  dringt ;    es  wogt  hin 


ENTZUENIHNG.  249 

und  her  und  stockt  zulezt  gänzlich  an  der  am  meisten  gereizten  Stelle. 
Dabei  nimmt ,  theils  in  Folge  von  Ausschwizung ,  theils  durch  Abführen 
des  Blutplasmas  nach  den  Venen  hin ,  das  leztere  ab  ;  es  wird  concentrir- 
ter  und  verklebt  die  Blutkörperchen  miteinander.  Häufig  zerreissen  einige 
der  vollgefüllten  Haargefässe  und  es  finden  sich  dann  in  dem  entzünde- 
ten Parenchvm  kleinere  oder  grössere  Extravasate  vor.  In  Folge  der 
Stase,  so  wie  mittels  der  durch  diese  erzeugten  Verdünnung  und  grösseren 
Permeabilität  der  Gef  ässwand  kommt  es  endlich  zur  Ausscheidung  von 
plastischen  Bestandteilen  aus  dem  stockenden  Blute ,  welche  man  nach 
ihrer  Zusammensezung  als  fibrinöses  ,  seröses  und  hämorrhagisches  Exsu- 
dat zu  bezeichnen  pflegt.  —  Ueber  die  vorstehenden  Thatsachen  findet 
unter  den  verschiedenen  Beobachtern  eine  ziemlich  grosse  Uebereinstim- 
mung  statt ;  nicht  so  ist  es  mit  der  Erklärung  derselben,  und  es  sind  hier- 
über die  verschiedensten  Ansichten  geltend  gemacht  worden  ,  von  denen 
wir  nur  die  von  Brücke  als  die  wahrscheinlichste  und  von  andern  Beob- 
achtern bestätigte  anführen  wollen,  und  nach  welcher  die  Verlangsamung 
und  endliche  Stockung  des  Blutstromes  auf  einer  krankhaften  Zusammen- 
ziehung der  kleinsten  Arterien  beruht.  —  Diagnose  der  Entzün- 
dung. Oberflächliche  Entzündungen  sind  leicht  zu  erkennen  ;  bei  tiefern 
bietet  die  Diagnose  dagegen  oft  grosse  Schwierigkeiten  dar.  Hier  muss 
die  Functionsstörung  des  entzündeten  Theiles,  das  Fieber,  die  Beschaffen- 
heit des  gelassenen  Blutes  und  sehr  oft  der  Schmerz  leiten,  der  sehr  häufig 
den  Umfang  und  den  Siz  der  Entzündung  andeutet.  Oertliche  Hyperämie 
unterscheidet  sich  von  der  Entzündung  durch  die  geringere  Intensität  der 
Erscheinungen.  —  Ursachen.  Diese  zerfallen  in  prädisponirende  und 
Gelegenheitsursachen.  Zu  den  ersteren  rechnet  man:  eineUeberfülle  von 
Blut  mit  sehr  plastischer  Beschaffenheit  desselben  ,  wie  dies  bei  jungen 
und  kräftigen  Individuen  der  Fall  ist ;  Dyskrasien ,  wie  Scropheln ,  Syphi- 
lis etc.  ;  endlich,  hinterlässt  die  Entzündung  eines  bestimmten  Organs  eine 
Prädisposition  zu  späteren  abermaligen  Entzündungen.  Gelegenheitsur- 
sachen sind  :  thierische  Ansteckungen  ,  Unterdrückung  gewohnter  Auslee- 
rungen ,  rauhe  Luft ,  Hize ,  Kälte,  äzende  Substanzen,  Stoss,  Schlag,  Ver- 
wundung etc.  —  Verschiedenheiten  der  Entzündung.  Man 
unterscheidet:  1)  nach  der  Dauer  des  Verlaufes  —  acute,  chro- 
nische und  intermittirende  Entzündungen.  Acut  heisst  eine 
Entzündung,  wenn  sie  in  wenigen  Tagen  verläuft;  chronisch,  wenn  die 
Entzündungssymptome  Wochen  ,  Monate  ,  selbst  Jahre  lang  dauern  ;  i  n  - 
termittirend,  wenn  streng  von  einander  geschiedene  Anfälle  eintre- 
ten und  in  bestimmten  Zeiträumen  auf  einander  folgen;  2)  nach  dem 
Zustande  der  Lebensthätigkeit  —  active,  passive,  erethi- 
sche und  torpide  Entzündungen  ;  die  active  Entzündung  zeigt  im 
Allgemeinen  die  oben  angegebenen  Erscheinungen  ;  die  passive  ent- 
wickelt sich  weniger  rasch  und  mit  weniger  Energie;  die  erethische 
Entzündung   tritt  rasch  unter  lebhaften  Schmerzen  und  mit  mehr  blasser 


250  ENTZUENDUNG. 

Röthe  auf;  die  torpide  Entzündung  entwickelt  sich  langsam,  ist  wenig 
schmerzhaft  und  hat  einen  schleichenden  Verlauf;  3)  nach  den  exsu- 
dativen Producten  —  seröse,  fibrinöse,  suppurative  und 
gangränöse  Entzündungen  ;  die  seröse  Entzündung  hat  eine  ent- 
schiedene Neigung  zu  seröser  Ausschwizung ,  die  fibrinöse  zur  Faser- 
stoffexsudation ;  die  suppurative  zeigt  eine  entschiedene  Tendenz  zur 
Eiterbildung  und  die  gangränöse  zum  Uebergang  in  Brand;  4)  nach 
dem  Einflüsse  des  Witterungscharakters  —  katarrhalische 
und  rheumatische  Entzündungen  ;  erstere  befällt  die  Schleimhäute, 
leztere  die  fibrösen  und  serösen  Gebilde  ;  5)  nach  den  Modifikationen, 
welche  die  Entzündung  durch  allgemeineK  rankheiten  erleidet  — 
gichtische,  syphilitische,  scrophulöse,  scorbutische 
Entzündungen;  6)  nach  dem  Eindringen  der  Entzündung  in  das  er- 
griffene Organ  —  oberflächliche,  erysipelatöse  und  phleg- 
monöse oder  tief  eindringende  Entzündungen  ;  7 )  nach  den  nä- 
hern Ursachen  —  idiopathische  und  symptomatische;  die 
ideopathische  Entzündung  bildet  sich  in  Folge  äusserer  schädlicher 
Einwirkungen  auf  das  afficirte  Organ,  z.  B.  Verlezungen  ;  die  sympto- 
matische ist  das  Symptom  eines  weitausstrahlenden  Krankheitsproces- 
ses ,  wie  z.  B.  die  Augenentzündung  bei  den  Masern.  —  Ausgänge. 
Die  Entzündung  endigt  sich  entweder  mit  Zertheilung ,  oder  sie  geht  in 
örtlichen  Tod  (s.  Brand)  über,  oder  die  von  der  Entzündung  gesezten 
Producte  (s.  Exsudationen)  erleiden  verschiedene  Umwandlungen  (s. 
Eiterbildung,  Verhärtung).  —  Die  Zertheilung,  Reso- 
lut i  o ,  ist  gänzliche  Rückkehr  des  entzündeten  Theiles  zum  Normalzu- 
stande ,  unmittelbar  und  ohne  Dazwischenkunft  einer  neuen  Krankheit, 
indem  die  Krankheitssymptome  allmälig  gelinder  werden  und  zulezt  ver- 
schwinden. Dieser  Ausgang  ist  zu  hoffen,  wenn  der  Entzündungsreiz  früh- 
zeitig entfernt  werden  kann ,  wenn  die  Entzündung  nicht  zu  schnell  zu 
einem  hohen  Grade  sich  steigert,  der  Schmerz  nicht  besonders  heftig  und 
nicht  klopfend  ist  und  wenn  sich  das  die  Entzündung  begleitende  Fie- 
ber durch  Schweiss  und  Bodensaz  im  Urin  entscheidet.  —  Behand- 
lung. Die  erste  Indication  ist  die  Entfernung  der  Ursache ,  wenn  sie 
noch  fortwirkt.  Damit  kann  oft  schon  allein  eine  Zertheilung  herbeige- 
führt werden.  Man  entfernt  demgemäss  fremde  Körper  aus  der  Wunde, 
sucht  Gifte  zu  neutralisiren  oder  zu  zerstören  ;  nicht  entfernbare  Entzün- 
dungsreize sucht  man  durch  einhüllende ,  bef  änftigende  Mittel  weniger 
schädlich  zu  machen  etc.  Kann  die  Ursache  nicht  entfernt  werden ,  oder 
hat  die  Entzündung  schon  eine  bedeutende  Höhe  erreicht,  so  tritt  die 
eigentliche  therapeutische  Indication  ein.  Diese  verlangt  die  Anwendung 
der  antiphlogistischen  Heilmethode.  Zu  den  wichtigsten  hierher 
gehörigen  Mitteln  rechnet  man  die  Blutentziehungen,  die  Kälte,  die  Com- 
pression,  die  feuchte  und  trockene  Wärme,  die  antiphlogistischen  Neutral- 
und  Mittelsalze,  einige  Quecksilber-  und  Spiessglanzpräparate,  kalte  Nar- 


ENTZUENDUNG.  251 

cotica  und  Ableitungen.  Von  höchster  Wichtigkeit  ist  die  Diät  und  Le- 
bensweise des  Kranken.  Alle  erhizenden  Speisen  und  Getränke  müssen 
vermieden  und  mehr  wässerige  und  flüssige  Nahrungsmittel  (Wassersup- 
pen, gekochtes  Obst,  Reis,  Gerste  etc.),  so  wie  kühlende,  süsse  oder  säuer- 
liche Getränke  (Wasser ,  Zuckerwasser ,  Brodwasser,  Limonade,  Himbeer- 
saft ,  Weinstein  in  Wasser  etc.)  gereicht  werden.  Dabei  muss  sich  der 
Kranke  körperlich  und  geistig  ruhig  verhalten  und  dem  entzündeten  Theile 
eine  solche  Lage  gegeben  werden,  dass  der  Abfluss  des  venösen  Blutes 
von  demselben  begünstigt  ist.  —  Die  Blutentziehungen  wendet 
man  je  nach  der  Heftigkeit  und  Ausdehnung  der  Entzündung  so  wie  nach 
der  Wichtigkeit  des  erkrankten  Organes  entweder  allgemein  durch  Ader- 
lassen, oder  örtlich  durch  Ansezen  von  Blutegeln,  blutiges  Schröpfen  und 
Scarificationen  an.  Die  allgemeinen  Blutentziehungen  schwächen 
rasch ,  vermindern  die  Blutkügelchen ,  beschränken  die  Faserstoffbildung 
und  machen  die  Circulation  freier ;  soll  ein  Aderlass  aber  diese  Bedingun- 
gen erfüllen,  so  muss  das  Blut  rasch  und  in  grosser  Menge  entzogen  wer- 
den. Der  Aderlass  ist  angezeigt ,  wenn  die  Entzündung  rein ,  heftig  und 
von  entzündlichem  Fieber  begleitet  ist.  Die  örtlichen  Blutentziehun- 
gen passen  mehr  im  Anfange  der  Entzündung,  besonders  wenn  diese  gering 
ist,  wo  kein  Fieber  zugegen  oder  dieses  durch  allgemeine  Blutentziehungen 
bereits  gemässigt  oder  gebrochen  ist.  Am  häufigsten  gebraucht  man  Blut- 
egel, welche  man  in  der  Regel  nicht  auf  die  entzündete  Stelle  selbst,  son- 
dern an  die  Grenze  davon  ansezt.  Das  blutige  "Schröpfen  verdient  den 
Vorzug,  wenn  man  auf  tiefer  liegende  Entzündungen  wirken  und  zugleich 
kräftig  ableiten  will.  Scarificationen  wendet  man  da  an,  wo  Blutegel  nicht 
leicht  anzubringen  sind,  wie  z.  B.  im  Munde,  an  den  Augen  etc.,  oder  wo 
eine  bedeutende  Spannung  gehoben  werden  muss.  —  Die  Kälte  wirkt 
durch  Verminderung  der  Aufregung  der  sensiblen  Nerven  und  durch  Be- 
förderung der  Contraction  der  erweiterten  Haargefässe.  Sie  entzieht 
dem  entzündeten  Theile  die  übermässige  Wärme  so  sehr,  dass  sie,  zu  lange 
angewendet ,  sogar  das  Leben  in  demselben  ganz  zerstören  kann.  Ihre 
Anwendung  passt  besonders  bei  idiopathischen ,  namentlich  traumatischen 
Entzündungen ,  in  deren  Beginne ,  wenn  sich  noch  keine  bedeutende  Ge- 
schwulst eingestellt  hat,  oder  wenn  sie  mit  Blutextravasaten  verbunden  oder 
zu  Exsudationen  besonders  geneigt  sind.  Man  sezt  sie  so  lange  fort ,  als 
die  Erkältung  dem  Gefühle  des  Kranken  wohlthuend  ist.  Je  nach  dem 
beabsichtigten  Kältegrad  gebraucht  man  Wasser,  Schnee,  Eis  oder  erkäl- 
tende Mittel ,  wie  Essig ,  Weingeist ,  Schwefeläther  ,  Kochsalz  etc.  ;  eine 
häufige  Anwendung  finden  die  Schmucker  'sehen  Fomente  (Essig,  Sal- 
peter, Salmiak  und  Wasser).  Auch  die  Auflösung  des  essigsauren  Bleies 
in  Wasser  (als  Aqua  saturnin a),  von  Zincum  sulphuricum, 
Borax  etc.  erweist  sich  besonders  bei  traumatischen  Entzündungen  nüz- 
lich.  Man  wendet  die  Kälte  mittels  zusammengelegter  Tücher  (kalte  Um- 
schläge)   oder  in  der  Form  von  Begiessungen  (Irrigationen)  an ;    Eis  und 


252  ENTZUENDUNG. 

Schnee  legt  man  am  besten  in  Thierblasen  auf.  —  Wenn  die  Kälte  nicht 
mehr  passt  oder  nicht  mehr  ertragen  wird,  so  geht  man  zur  feuchten 
War  rat  e  über.  Man  macht  von  ihr  Gebrauch  bei  sehr  heftigen,  sehr  schmerz- 
haften ,  mit  grosser  Spannung  und  Trockenheit  verbundenen  Entzündun- 
gen ,  bei  bereits  begonnener  Ausschwizung ,  besonders  wenn  Eiterung  er- 
wartet werden  muss.  Nicht  selten  führt  sie  aber  auch  die  Zertheilung 
herbei.  Man  wendet  die  feuchte  Wärme  in  Form  von  Bähungen  (Fo- 
mentationen)  oder  Breiumschlägen  (Kataplasmen)  an.  S.  diese  Ar- 
tikel. Zu  den  ersteren  dient  lauwarmes  Wasser ,  der  Absud  schleimiger 
Kräuter ,  Wurzeln  ,  Blüthen  und  Samen  ,  der  Herba  malvae,  Flore  s 
verbasci,  sambuci,  Radix  althaeae,  der  officinellen  S  p  e  c  i  e  s 
emollientes  etc.  ;  auch  die  Anwendung  von  lauem  Bleiwasser  passt 
hier.  Zu  den  Kataplasmen  gebraucht  man  Weizenkleie ,  Hafergrüze, 
Roggen- ,  Leinsamenmehl ,  Semmel  etc.  ,  welchen  man  bei  sehr  schmerz- 
haften Entzündungen  Narcotica,  wie  zerstossene  Mohnköpfe,  Bilsenkraut, 
Belladonna,  Schierling  etc.  zusezt ;  die  gleichen  beruhigenden  Mittel  kann 
man  auch  den  Bähungen  beisezen.  Manche  Entzündung ,  z.  B.  die  soge- 
nannten kritischen,  die  gichtischen,  rheumatischen,  erysipelatösen  ertragen 
die  Anwendung  nasser  Mittel  gewöhnlich  nicht.  In  solchen  Fällen  wendet 
man  mit  Nuzen  die  trockene  Wärme  an,  indem  man  den  Theil  mit 
Flanell ,  Watte  oder  warmen  Säckchen  ,  die  mit  Kräutern,  Kleie,  Bohnen- 
mehl etc.  gefüllt  sind,  bedeckt.  —  Die  Compression  des  entzündeten 
Theiles,  welche  besonders  bei  Entzündungen  der  Drüsen  (namentlich  des 
Hodens ,  der  Brustdrüse ,  der  Lymphdrüsen)  in  Anwendung  kommt,  wirkt 
direct  der  Gefässerweiterung  und  der  weiteren  Blutüberfüllung  des  com- 
primirten  Organes  entgegen. —  Zu  den  antiphlogistischen  innern  Mit- 
teln rechnet  man  die  Neutral-  und  Mittelsalze,  welche  die  Eigen- 
schaft besizen ,  die  Plasticität  des  Blutes  zu  vermindern.  Unter  diesen 
Salzen  steht  der  Salpeter  oben  an  ;  er  eignet  sich  besonders  bei  reinen 
Entzündungen  ohne  gastrische  Complication ;  sind  leztere  zugegen,  so  gibt 
man  dem  schwefelsauren  Natron,  der  schwefelsauren  Magnesia,  dem  phos- 
phorsauren Natron  etc.  den  Vorzug.  Bei  katarrhalisch-rheumatischen  Ent- 
zündungen leistet  der  Salmiak,  bei  rheumatischen  der  Brechweinstein  gute 
Dienste.  —  In  einem  mehr  vorgerückten  Stadium  der  Entzündung,  wenn 
der  entzündliche  Ausschwizungsprocess  bereits  begonnen  hat ,  zieht  man 
Mittel  in  Gebrauch,  welche  die  Aufsaugung  der  Entzündungsproducte  be- 
fördern. Hier  eignet  sich  besonders  das  Quecksilber ;  es  vermindert  die 
Plasticität  des  Blutes ,  befördert  die  Secretionen  und  stimmt  die  Reizbar- 
keit des  Nervensystems  herab.  Bei  acuten  Entzündungen  gibt  man  das 
Calomel ,  bei  chronischen  den  Mercurius  sublimatus  corrosi- 
v u s  und  Merc.  praecipitatus  ruber.  Bei  gewissen  dyskrasisch- 
chronischen  Entzündungen  ist  das  Jodkali  ein  kräftiges  ,  die  Resorption 
beförderndes  Mittel.  —  Bei  Entzündungnn  mit  besonderer  Aufgeregtheit 
passen   die  Narcotica   frigida,    wie   die   blausäurehaltigen  (Aqua 


ENTZUENDUNG  DER  ARTERIEN.  258 

laurocerasi,  Aq.  cerasorum  acidorum  etc.)  ,  das  Bilsenkraut, 
Morphium.  Auch  die  Digitalis  zeigt  sich  von  grossem  Nuzen  ,  indem  sie 
nicht  allein  durch  Beschränkung  der  Herzthätigkeit  die  Heftigkeit  des 
Blutandranges  zu  dem  entzündeten  Theile  mässigt,  sondern  auch  durch  Be- 
tätigung der  Nierenthätigkeit  vortheilhaft  wirkt.  Die  narkotischen  Mittel 
erfordern  aber  immer  grosse  Vorsicht  in  Bezug  auf  die  Zeit  ihrer  Anwen- 
dung. —  Die  Ableitungen  dürfen  erst  in  Anwendung  kommen,  wenn 
die  Heftigkeit  der  Entzündung  schon  gebrochen  ist.  Im  Allgemeinen  leitet 
man  Entzündungen  edler  Organe  auf  minder  wichtige ,  besonders  excer- 
nirende  ab  ,  wie  auf  die  äussere  Haut ,  den  Darmkanal.  Hierzu  dienen 
Aderlässe  an  entfernt  gelegenen  Orten,  reizende  Klystiere,  Abführmittel, 
Brechmittel,  Halbbäder,  hautröthende  Mittel  (Senf,  Meerrettig,  Jodtinctur 
etc.)  ,  blasenziehende  (Cantharidenpflaster,  Crotonöl  etc.),  oder  tiefergrei- 
fende ,  Eiterung  bewirkende  Mittel  (Seidelbastrinde,  Brechweinsteinsalbe, 
Fontanellen ,  Haarseil,  Moxe,  Glüheisen).  Der  Grad  der  Ableitung  hängt 
von  der  Heftigkeit  der  Entzündung,  der  Dignität  des  befallenen  Organes, 
der  Constitution  des  Kranken,  dem  Genius  epide  m  i  c  u  s  ab.  —  Gegen 
die  zurückbleibende  Erweiterung  und  Erschlaffung  der  Gef  ässe  und  gegen 
Auflockerungen  der  Gewebe  sind  tonisirende  und  resolvirende  Mittel  an- 
zuwenden ;  in  erster  Hinsicht  dienen  :  das  kalte  Wasser,  Bleiwasser,  Kalk- 
wasser ,  Alaun ,  Kupfer-  und  Zinksalze ,  kalte ,  adstringirende  Pflanzenab- 
kochungen etc.  ;  zur  Förderung  der  Einsaugung  eignen  sich  Ammonium-, 
Quecksilber-  und  Jodsalbe.  Diese  Mittel  dürfen  aber  erst  zur  Anwendung 
kommen,  wenn  jede  krankhafte  Reizung  verschwunden  ist 

Es  folgt  nun  hier  die  Betrachtung  der  Entzündung  einiger  Gewebe, 
die  sich  der  Entzündung  im  Allgemeinen  am  ungezwungensten  anschliesst, 
wogegen  einigen  anderen  Entzündungen  ,  wie  der  der  Gelenke ,  der  Kno- 
chen ,  des  Zellgewebes ,  der  Nerven  besondere  Artikel  gewidmet  werden 
sollen. 

Entzündung  der  Arterien,  Inflam  matio  arteriarum, 
Arteriitis.  Sie  beschränkt  sich  entweder  auf  eine  bestimmte  Stelle  der 
Arterie  (circumscripte  Arteriitis),  oder  sie  verbreitet  sich  über 
grössere  Gef ässstrecken  (diffuse  Arteriitis),  und  kann  acut  oder 
chronisch  verlaufen.  Die  begrenzte  Arterienentzündung  ensteht  ge- 
wöhnlich in  Folge  einer  mechanischen  Einwirkung  auf  die  Arterie ,  wie 
Verwundung ,  Quetschungen  etc. ,  und  ist  meist  von  keinen  üblen  Folgen 
begleitet;  wenn  durch  sie  ein  Gefäss  obliterirt,  so  geschieht  dies  nur  auf 
eine  kleine  Strecke ,  und  mit  Hülfe  der  Collateraläste  stellt  sich  die  Cir- 
culation  bald  wieder  her.  Die  diff  us  e  Arteriitis  kann  durch  Missbrauch 
geistiger  Getränke,  Fortpflanzung  der  Entzündung  von  benachbarten  Thei- 
len  aus ,  mechanische  Reizung  durch  von  den  Arterienwandungen  abge- 
löste Concretionen ,  selten  durch  Ausbreitung  der  begrenzten  traumati- 
«chen  Arteriitis  auf  grössere  Strecken  entstehen.  Der  Kranke  hat  dabei 
längs  des  entzündeten  Gefasses  ein  Gefühl  von  Brennen:  die  Pulsationen 


254  ENTZUENDUNG  DER  LYMPHGEFAESSE. 

sind  gewöhnlich  stärker  als  im  gesunden  Zustande ,  das  Glied  ist  ange- 
schwollen, schwer ,  die  Beweglichkeit  vermindert ,  worauf  bald  Kälte  oder 
sehr  lebhafte  Schmerzen  folgen.  In  Folge  der  Entzündung  kann  sich  ein 
Exsudat  absezen  und  zwar  sowohl  in  und  zwischen  die  Arterienhäute,  wie 
auf  ihre  innere  Seite.  Dieses  Exsudat ,  das  gewöhnlich  ein  faserstoffiges 
ist ,  bedingt  seröse  und  eiterige  Infiltration  der  Zellscheide ,  Lockerung, 
Mürbigkeit,  Erbleichung  und  Lähmung  der  Ringfaserhaut,  Trübung,  Wul- 
stung ,  Zerreisslichkeit  und  leichte  Äblöslichkeit  der  innern  Gef  ässhaut, 
Blutpfropf  im  Arterienrohre.  Organisirt  sich  das  Exsudat ,  so  kommt  es 
zur  Obliteration  der  Arterie  oder  es  zieht  auch  seine  eiterige  Zerschmel- 
zung,  und  wenn  dieser  Eiter  nicht  verkreidet,  Pyämie  nach  sich.  Zuwei- 
len kommt  es  zur  Bildung  des  atheromatösen  Processes  (s.  den  Art.  Ar- 
terien). —  Die  Arterienentzündung  kann  sich  zertheilen,  gewöhnlicher 
aber  ist  die  vollständige  oder  unvollständige  Verschliessung  der  Arterie  ; 
Vereiterung  führt  zur  Ruptur  und  Blutung;  Verdickung,  so  wie  der  athe- 
romatöse  Process  legen  den  Grund  zur  Erweiterung  (Aneurysma)  und  Zer- 
reissung  der  Arterie.  Störung  des  Blutlaufes  iann  zu  Gangrän  oder  zu 
Stase  und  Oedem,  oder  zur  Atrophie  des  Theiles,  welcher  sein  Blut  durch 
die  kranke  Arterie  erhält,  führen.  —  Behandlung.  Diese  Entzün- 
dung fordert  reichliche  und  wiederholte  Blutentziehungen  ,  innerlich  Sal- 
peter oder  kühlende  Abführmittel  mit  Bilsenkrautextract ,  Lactuca- 
r  i  u  m  oder  Blausäure  ;  später  sezt  man  dem  Nitrum  Digitalis  bei ,  dazu 
antiphlogistische  Diät.  Exsudative  Processe  fordern  die  Anwendung  des 
Quecksilbers 

Entzündung  des  fibrösen  Gewebes.  Sie  kommt  im  Ali- 
gemeinen selten  vor  und  ist  in  ihrem  Verlaufe  und  in  ihrer  Ausbreitung 
weit  langsamer  als  die  anderer  Gewebe.  Nur  die  gefässreicheren  sehni- 
gen Gebilde  ,  wie  das  Periosteum  und  Perichondrium ,  sind  leichter  der 
Entzündung  unterworfen.  Diese  Entzündungen  zeichnen  sich  durch  harte 
Geschwulst  und  grosse  Schmerzhaftigkeit,  welche  durch  Bewegungen  ver- 
mehrt wird,  aus  ;  sie  sind  meistens  rheumatischer  oder  gichtischer  Natur. 
Das  entzündete  fibröse  Gewebe  ist  der  Vereiterung  und  Verschwärung, 
der  Verhärtung  mit  Verdickung  und  Verknöcherung  des  sehnigen  Gebil- 
des, der  Verwachsung  derselben  mit  den  Nachbartheilen  oder  Aufhebung 
des  Zusammenhanges  mit  denselben  und  Atrophie  des  lezteren  fähig. 
Ausgang  in  Brand  und  Umwandlung  des  Exsudates  in  Krebs  ist  selten, 
dagegen  findet  sich  die  Metamorphose  in  Tuberkel  bei  Entzündungen  der 
Beinhaut  häufig.  —  Behandlung.  Oertliche  Blutentziehungen,  Queck- 
silber innerlich  und  äusserlich,  erweichende  Umschläge  und  Kataplasmen, 
Bäder  mit  Seife,  später  mit  Lauge,  auch  wohl  trockene  aromatische  Ein- 
hüllungen ;  bei  heftiger  Spannung  Einschnitte.  Bei  chronisch  gewordener 
Entzündung  sind  mehr  oder  minder  kräftige  Hautreize  am  Plaze. 

Entzündung  der  Lymphgefässe,  Lymphangitis.  Sie 
entsteht  vorzüglich   durch   Verwundungen   und  durch  Eindringen  scharfer 


ENTZUENDUNG  DER  LYMPHGEFAESSE.  255 

Stoffe  in  dieselben  ;  gewöhnlich  ist  die  nächste  Drüse  mit  entzündet.  Der 
Verlauf  der  Lymphgefässentzündung  ist  entweder  acut  oder  chronisch. 
Bei  der  acuten  Lymphgefässentzündung  zeigt  sich  ,  wenn  das 
Gefäss  oberflächlich  liegt,  nach  dem  Laufe  des  entzündeten  Gefässes  eine 
zarte  rosenrothe  Hautfärbung,  welche  von  der  verlezten,  entzündeten  oder 
in  Eiterung  stehenden  Stelle  aus  sich  bis  zur  nächsten  Lymphdrüse  hin- 
zieht ;  zuweilen  fühlt  man  die  kranken  Saugadern  als  gespannte  ,  knotige 
Stränge  ;  in  der  ganzen  Ausdehnung ,  in  welcher  die  Röthung  bemerkt 
wird,  besteht  ein  heftiger  brennender  Schmerz,  welcher  schon  durch  einen 
leichten  Druck  gesteigert  wird.  Betrifft  die  Entzündung  eine  tiefe  Schicht 
von  Lymphgef  ässen,  welche  entweder  auf  Grund  unbekannter  allgemeiner 
Ursachen  oder  nach  tiefen  Verlezungen  und  Eiterungen  (z.  B.  bei  com- 
plicirten  Knochenbrüchen)  entsteht,  so  ist  der  Schmerz  tief,  stechend  und 
fix  ;  es  bilden  sich  harte  Knoten  in  der  Tiefe,  das  Glied  schwillt  allmälig 
an  und  erst  später  stellt  sich  Röthung  der  Haut  ein  und  zwar  in  Gestalt 
von  unregelmässigen  Flecken.  Damit  ist  Fieber,  Durst,  Uebelkeit,  Er- 
brechen ,  selten  Delirien  verbunden.  Wenn  sich  die  Entzündung  nicht 
zertheilt,  so  folgt  entweder  Verschliessung  oder  abscessartige  umschriebene 
Vereiterung  der  kranken  Saugader ;  auch  kann  die  acute  Form  in  die 
chronische  übergehen.  In  Folge  der  Verschliessung  von  Saugadern  be- 
obachtet man  Oedem  ;  wenn  der  Eiter  aus  den  Lymphgetässen  in  das  Blut 
übergeht ,  so  kann  Pyämie  eintreten.  Die  Behandlung  der  acuten 
Lymphdrüsenentzündung  erfordert  je  nach  Umständen  einen  Aclerlass  oder 
die  Application  zahlreicher  Blutegel  längs  der  rothen  Streifen,  kalte  Fo- 
mentationen,  reichliche  Einreibungen  von  grauer  Salbe,  die  Compression, 
Bäder;  bei  vorhandenem  Fieber  gibt  man  die  innerlichen  Antiphlogistica; 
später  passt  Calomel.  Kommt  es  zur  Bildung  eines  Abscesses  ,  so  legt 
man  Kataplasmen  auf  und  öffnet  ihn  bei  Zeiten.  —  Die  chronische 
Entzündung  derLymphge  fasse,  Lymphangitis  chronica, 
Elephantiasis  Arabum,  geht  gewöhnlich  aus  der  acuten  hervor, 
und  hat  daher  oft  dieselben  Ursachen,  pflegt  indessen  selten  in  Folge  von 
Verlezungen  aufzutreten.  Häufig  beruht  sie  auf  miasmatischen  oder  kli- 
matischen Verhältnissen  und  zeigt  sich  daher  epidemisch  oder  endemisch. 
Meistens  tritt  sie  nach  wiederholten  Anfällen  der  acuten  Form  auf.  Sie 
beginnt  mit  einer  erysipelatösen  Röthung  mit  schmerzhaften  Streifen  nach 
dem  Verlaufe  der  Lymphgefässe  ;  damit  sind  nicht  selten  gastrische  Be- 
schwerden verbunden.  Bald  stellt  sich  Anschwellung  des  befallenen 
Tkeiles  ein ,  der  mit  der  Zeit  einen  ausserordentlichen  Umfang  erreicht. 
Auch  die  Lymphdrüsen  schwellen  an,  vereitern  zuweilen  sogar.  Die  Epi- 
dermis verdickt  sich  stellenweise ,  wird  rissig ,  rauh  ;  an  andern  Stellen 
fehlt  die  Oberhaut  und  die  Cutis  ist  mit  Krusten  bedeckt,  die  durch  Aus- 
schwizungen  entstehen  ;  auch  durch  die  Risse  der  Epidermis  dringt  eine 
solche  gerinnende  Flüssigkeit :  andere  Male  bildet  diese  Flüssigkeit  unter 
der  unversehrten  Oberhaut  helle  Blasen  ,    die  weisse  Narbenflecke  hinter- 


25G  ENTZUENDUNG  DER  MUSKELN. 

lassen.  Die  Farbe  der  Haut  wird  dunkler,  schrnuzig  und  nicht  selten 
entstehen  Geschwüre  an  den  verdickten  Theilen.  Der  gewöhnlichste  Siz 
dieser  Krankheit  ist  der  Unterschenkel ;  doch  beobachtet  man  sie  auch  am 
Sero  tum ,  an  der  Vorhaut  des  Penis ,  den  Brüsten.  Sie  beruht  auf  einer 
Verschliessung  der  Lymphgef  ässe,  deren  Inhalt  in  das  Bindegewebe  trans- 
sudirt  und  zu  Neubildungen  von  Bindegewebe  Veranlassung  gibt.  —  Die 
Behandlung  muss  darauf  hinwirken  ,  die  Aufsaugung  der  ergossenen 
Flüssigkeit  zu  befördern  und  das  Auftreten  der  gern  reeidivirenden  Ent- 
zündung zu  verhüten.  Hierzu  dient  der  antiphlogistische  Apparat  und 
eine  methodische  Compression  nebst  Jod  und  fortwährenden  Irrigationen. 
Scarificationen  sind  zu  vermeiden,  da  sie  gewöhnlich  zum  Brande  führen. 
Bei  unheilbarem  Uebel  hat  man  die  Amputation  mit  Erfolg  unternommen. 

Entzündung  der  Lymphdrüsen,  s.  den  Art.  Lymph- 
drüsen. 

Entzündung  der  Muskeln,  Myositis.  Bei  dieser  ist  zu- 
nächst nur  das  die  Muskelbündel  umgebende  Zellgewebe  ergriffen  und  die 
Muskelsubstanz  wird  nur  seeundär  verändert.  Gewöhnlich  befällt  die 
Entzündung  nur  einzelne,  zerstreute,  kleinere  Stellen  des  Muskels  in  Form 
von  Heerden ,  seltener  einen  ganzen  Muskel  auf  einmal ;  dagegen  pflanzt 
sie  sich  sehr  leicht  durch  seine  ganze  Masse  fort.  Man  beobachtet  eine 
acute  und  chronische  Form.  Erstere  entsteht  meistens  in  Folge 
traumatischer  Einwirkungen  oder  durch  heftige  Erkältungen  (sogenannter 
acuter  Muskelrheumatismus)  und  ist  mit  heftigen  Schmerzen,  Hize,  Kräm- 
pfen ,  die  bei  jedem  Versuch  einer  Bewegung  hervortreten ,  und  starker 
Gesehwulst  verbunden ,  deren  Folgen  um  so  gefährlicher  sind ,  weil  die 
umschliessenden  Fascien  der  Anschwellung  entgegentreten  ;  die  anfäng- 
lich bestehende  Contraction  der  Muskeln  wird  am  Ende  zur  Contractur. 
Die  chronische  Muskelentzündung  geht  entweder  aus  der  acuten  hervor 
oder  entsteht  durch  Fortpflanzung  von  nahe  gelegenen  Theilen ,  oder 
durch  rheumatische  ,  gichtische  oder  syphilitische  Ursachen  ;  sie  äussert 
sich  mehr  durch  Steifigkeit  als  Schmerz.  —  Die  Veränderungen ,  welche 
in  dem  entzündeten  Muskel  hervorgebracht  werden  können ,  sind  Verhär- 
tung ,  fibröse  Umwandlung ,  Vereiterung  und  Verschwörung  des  intersti- 
tiellen Zellgewebes,  zuweilen  Brand.  Die  anatomische  Untersuchung 
zeigt  Röthung  und  je  nach  der  Heftigkeit  der  Entzündung  bald  ein  wäs- 
seriges, albuminöses,  fibrinöses ,  bald  eiteriges  Exsudat.  Bei  wässeriger 
Infiltration  wird  das  Muskelgewebe  erweicht ,  blassröthlich ,  die  Muskel- 
faser büsst  mehr  oder  weniger  ihre  Contractilität  ein  und  das  Gewebe 
zerfällt  endlich  in  eine  breiige  Masse.  —  Behandlung.  Sie  muss  in 
einer  energischen  Antiphlogose  bestehen ,  wobei  man  der  schmerzhaften 
Muskelspannung  und  der  Krämpfe  wegen  den  betroffenen  Theil  ruhig  und 
in  einer  den  Muskel  erschlaffenden  Lage  halten  muss.  Beim  Befallen- 
sein von  organischen  Muskeln  zieht  man  zur  Herabstimmung  der  motori- 
schen Nerventhätigkeit  narkotische    Mittel    in    Gebrauch.       Später   muss 


ENTZUENDUNG   DER  VENEN.  257 

einer  bleibenden  Verkürzung  des  muskulösen  Gebildes  durch  einen  ge- 
hörigen Grad  von  Ausdehnung  vorgebeugt  werden. 

Entzündung  der  Schleimhäute.  Sie  spricht  sich  haupt- 
sächlich durch  Veränderung  der  Secretion  aus ,  die  im  Anfange  vermehrt 
ist ,  auf  der  Höhe  der  Entzündung  fast  ganz  aufhört  und  nicht  selten 
Wutige  Exsudate  zur  Folge  hat.  Später  wird  wieder  Schleim  erzeugt, 
welchem  Eiterkörperchen  beigemischt  sind.  Eine  mehr  oberflächliche 
Entzündung  (die  catarrhalische)  liefert  ein  albuminös-seröses ,  eiteriges 
Exsudat,  eine  intensivere  erzeugt  ein  faserstoffiges.  Lezteres  kann  nach 
der  Art  seiner  Umwandlung  zur  Vereiterung  oder  Schmelzung,  Verdickung 
oder  Verhärtung  der  Schleimhaut  Veranlassung  geben.  —  Behand- 
lung. Bei  heftigen  Entzündungen  kann  eine  sehr  energische  antiphlo- 
gistische Behandlung  nöthig  werden  ;  bei  massigen  Entzündungen  genügen 
anfänglich  einhüllende  besänftigende  ,  später  zusammenziehende  und  bal- 
samische Mittel. 

Entzündung  der  serösen  Häute.  Diese  Entzündung  kommt 
sehr  häufig  vor  und  geht  entweder  von  dem  subserösen  Zellstoffe  ursprüng- 
lich aus  oder  es  wird  dieser  durch  Weiterverbreitung  von  benachbarten 
Geweben  aus  ergriffen,  wie  dies  auch  in  umgekehrter  Richtung  stattfinden 
kann.  Die  Entzündung  ist  meist  acut,  von  heftigen,  stechenden  Schmer- 
zen und  Fieber  begleitet  und  erreicht  leicht  höhere  Grade.  Sie  zieht 
Verdickung  und  Trübung  der  Membran  nach  sich  und  kann  alle  Arten 
von  Exsudaten  und  deren  Metamorphosen  mit  sich  führen.  Sie  geht  in 
Zertheilung,  Verwachsung,.  Eiterbildung,  Brand,  selten  inülceration  über. 
Die  chronische  Entzündung  tritt  unter  der  Form  der  hydropischen  Affec- 
tionen  auf.  —  Behandlung.  Sie  besteht  in  einer  kräftigen  Anti- 
phlogose,  namentlich  in  Blutentziehungen ,  dann  in  die  Resorption  beför- 
dernden Mitteln  und  kräftigen  allgemeinen  und  localen  Gegenreizen ,  wie 
Darmentleerungen,  Vesicatorien  etc. 

Entzündung  der  Venen,  Phlebitis,  kommt  ziemlich  häufig 
vor.  Sie  ist  mit  mehr  oder  weniger  heftigen  Schmerzen  und  rothen 
Streifen  in  der  Haut  nach  dem  Laufe  der  Venen ,  so  wie  mit  Fieberbe- 
wegungen verbunden.  Verengerung  und  Verstopfung  des  Venenrohres 
und  damit  ödematöse  Anschwellung  des  betreffenden  Theiles  ist  eine  häu- 
fige Folge  der  Venenentzündung.  Ist  Coagulation  des  Blutes  in  den 
Venen  eingetreten ,  so  fühlt  man  diese  als  feste,  knotige  Stränge.  Bei 
fortschreitender  Entzündung  bilden  sich  Eiterinfiltrationen  .  Abscesse  und 
Empyeme  in  inneren  Organen  und  Höhlen.  Selten  kommen  Kalkablage- 
rungen auf  der  innern  Gefässhaut  vor.  —  Phlebitis  erfolgt  gewöhnlich 
durch  Verlezung  beim  Aderlassen ,  bei  complicirten  Beinbrüchen ,  nach 
Amputationen  etc. ;  ferner  durch  Erkältungen,  im  Verlaufe  erysipelatöser 
und  typhöser  Krankheitsprocesse,  nach  zurückgetretenen  Hautausschlägen 
etc.  Häufig  tritt  im  Gefolge  der  Venenentzündung  Pyämie  ein.  —  Be- 
handlung. Sie  sei  streng  antiphlogistisch,  Blutegel,  graue  Salbe  etc. 
Burger,  Chirurgie.  17 


258  epulis. 


Eplsiorrh.aph.ie  (von  £tugloi> ,  die  äussere  Scham  und  QUtprj,  die 
Naht)  ,  Schamlefzen  naht.  Diese  Operation  hat  die  theilweise  Ver- 
schliessung  des  Scheideneinganges  zum  Zweck ,  um  den  Gebärmuttervor- 
fall zu  verhindern.  Man  macht  von  dieser  Operation  Gebrauch  ,  wenn 
die  Elytrorrhaphie  (s.  diesen  Art.)  sich  nicht  eignet,  sie  verdient  auch  wohl 
bei  sehr  weiter  und  schlaffer  Scheide  den  Vorzug.  Die  Lagerung  der 
Kranken  ist  wie  bei  der  Elytrorrhaphie.  Nach  Abscheerung  der  Haare  der 
Schamlefzen  und  Reposition  des  Uterus  fasst  der  Wundarzt  (nach  F  r  i  c  k  e) 
die  eine  grosse  Schamlefze  mit  der  linken  Hand ,  stösst  mit  der  rechten 
ein  spizes  Bistouri  zwei  Finger  von  ihrer  obern  Commissur  mit  abwärts 
gerichteter  Schneide  hindurch,  führt  das  Messer  in  einem  Zuge  bis  hinter 
die  hintere  Commissur  bogenförmig  herab  und  schneidet  durch  einen 
zweiten  schräg  nach  oben  geführten  Messerzug  den  abgetrennten  Rand 
der  Schamlefze  vollends  ab.  In  derselben  Weise  wird  auf  der  andern 
Seite  verfahren,  so  dass  die  Schnitte  etwa  1  Zoll  vor  dem  After  sich  ver- 
einigen. Nach  Stillung  der  Blutung  durch  kaltes  Wasser  oder  Torsion 
werden  die  Wundränder  der  beiden  Schamlefzen  durch  10  — 12  in  Ent- 
fernungen von  4  Linien  einzulegende  Knopfnähte  in  der  Weise  ver- 
einigt, dass  nach  hinten  zu  etwa  l/2  Zoll  frei  bleibt ,  um  dem  Menstrual- 
blute  und  Schleim  einen  Abfluss  zu  gewähren.  War  der  Vorfall  bei  der 
Operation  hinderlich ,  so  legt  man  vor  derselben  einen  kleinen  beölten 
und  mit  einem  Faden  versehenen  Schwamm  ein  ,  den  man  dann  nach  der 
Heilung  aus  der  frei  gebliebenen  Oeffnung  auszieht.  —  Verband  ist  nicht 
erforderlich.  Die  Operirte  beobachtet  nur  eine  Seiten-  oder  Rückenlage 
mit  zusammengebundenen  Knieen.  Auf  die  Schamlefzen  macht  man  kalte 
Umschläge ;  den  Urin  entleert  man  mit  dem  Catheter  und  den  Stuhlgang 
befördert  man  durch  Klystiere.  In  die  Scheide  macht  man  durch  die 
freigelassene  Oeffnung  Einsprizungen  in  den  ersten  Tagen  von  kaltem 
Wasser,  später  von  Chamillenabsud.  Die  Hefte  entfernt  man  nach  4  8 
Stunden.  Bei  einer  später  eintretenden  Geburt  trennt  man  die  Verwach- 
sung oder  macht  seitliche  Einschnitte. 

Epillis  (von  irvL  auf  und  ovlov ,  Zahnfleisch),  Zahnfleisch- 
gewächs,  Zahn  fleisch  ge  schwulst.  Mit  diesem  Namen  belegt 
man  schwammige  Wucherungen  am  Zahnfleische  von  sehr  verschiedener 
Beschaffenheit,  indem  sie  sich  bald  fest,  hart  und  unempfindlich,  bald 
weich,  schwammig,  leicht  blutend  und  empfindlich  zeigen,  bald  mit  breiter 
Basis ,  bald  gestielt  aufsizen.  Nach  der  verschiedenen  Natur  dieser  Ge- 
schwülste hat  man  eine  Epulis  ossea,  fungosa,  sarco  m.a  t  o  s  a , 
fibrosa,  carcinomatosa  unterschieden.  Sie  gehen  gewöhnlich  von 
der  Beinhaut  aus  ;  ist  die  Beinhaut  des  Kieferrandes  der  Ausgangspunkt, 
so  wölben  sie  das  Zahnfleisch  unter  allmäliger  Verdünnung  desselben  vor 
sich  her  ;    ist  es  das  Periost  eines  Alveolus ,   so  verdrängen  sie  einen  oder 


ERFRIERUNG. 


259 


mehrere  Zähne.  Sie  kommen  häufiger  an  der  unteren  als  an  der  oberen 
Kinnlade  vor.  Beim  Sprechen ,  Kauen,  Schlucken  erregen  sie  beträcht- 
liche Beschwerden  ;  durch  die  fortwährende  Insultation  der  gegenüber- 
stehenden Zähne  werden  sie  in  Ulceration  versezt,  was  das  Leiden  bedeu- 
tend vermehrt;  sie  können  eine  beträchtliche  Grösse  erreichen.  —  Be- 
handlung. Diese  besteht  in  der  frühzeitigen  Wegnahme  der  Ge- 
schwulst. Die  Natur  so  wie  die  Form  des  Uebels  bestimmen  die  Art 
und  Weise  des  chirurgischen  Verfahrens.  In  den  meisten  Fällen  wird  es 
nothwendig,  zuvor  die  Wurzeln  oder  die  cariösen  oder  locker  gewordenen 
Zähne  auszuziehen;  zuweilen  verschwindet  dadurch  nach  kurzer  Zeit  die 
Geschwulst  von  selbst.  Gewöhnlich  wird  es  aber  nothwendig ,  die  Ge- 
schwülste wegzunehmen.  Bei  oberflächlichen  oder  gestielten  geschieht 
dies  durch  Abbinden  oder  Abschneiden  derselben  mit  Scheere  oder  Mes- 
ser, mit  nachfolgender  nachdrücklicher  Anwendung  des  Glüheisens.  Oft 
gibt  erst  eine  vorläufig  an  der  Basis  der  Geschwulst  bis  auf  den  Knochen 
geführte  Incision  über  den  Siz  des  Uebels  Aufschluss.  Nach  Befund 
wird  dann  die  Afterproduction  mit  der  Beinhaut  oder  selbst  mit  dem  be- 
treffenden Knochen  weggenommen,  oder  diese  auch  nur  mit  dem  Glüheisen 
berührt.  Bei  tiefem  Siz  in  einer  Alveole  kann  selbst  die  Resection  des 
Alveolarfortsazes  nothwendig  werden.  S.  Resection.  Nach  der  Ope- 
ration zieht  man  anfangs  milde  schleimige  ,  später  leicht  adstringirende 
Mundwasser  in  Gebrauch. 

Erbgrind,  s.  Kopfgrind. 

Eririenillg,  Congelatio,  tritt  ein ,  wenn  durch  hohe  Kälte- 
grade dem  Körper  oder  einzelnen  Theilen  die  Wärme  bis  zur  völligen 
Erstarrung  entzogen  wird.  Dieser  Zustand  tritt  um  so  leichter  ein  ,  je 
schwächer  der  Körper  ist  und  je  weniger  respiratorische  Thätigkeit  und 
Bewegung  während  der  Einwirkung  der  Kälte  stattfindet.  Wird  der  Kör- 
per oder  ein  einzelner  Theil  anhaltend  einer  heftigen  Kälte  ausgesezt,  so 
ist  die  nächste  Wirkung  die,  dass  sich  die  Haargefässe  an  der  Oberfläche 
zusammenziehen  ;  hierdurch  häuft  sich  das  Blut  in  den  innern  Theilen 
an ;  die  Folge  davon  ist,  wenn  die  Kälte  auf  den  ganzen  Körper  einwirkt, 
dass  sich  eine  grosse  Ermüdung  und  eine  unüberwindliche  Neigung  zum 
Schlafe  einstellt ,  und  wenn  sich  der  Mensch  dieser  Neigung  hingibt ,  so 
ist  er  meistens  verloren  ;  die  Glieder ,  von  deren  Oberfläche  alle  Blutkör- 
perchen zurückgedrängt  sind,  sind  blass,  die  Bewegungsfähigkeit  und  Em- 
pfindung vermindert  sich,  es  tritt  ein  Zustand  von  Erstarrung  ein,  endlich 
gefrieren  die  Säfte  und  der  Tod  ist  unvermeidlich ,  wenn  nicht  schnelle 
Hülfe  eintritt.  —  Auf  ähnliche  Weise  äussert  eine  starke  Kälte  ihre  Wir- 
kung auf  einzelne  Theile.  Die  Erscheinungen  sind  nach  der  Dauer  der 
Einwirkung  und  dem  Grade  der  Kälte  verschieden.  Bei  dem  leichtesten 
Grade  werden  Theile,  wie  die  Wange,  die  Nase,  das  Ohr  blass,  steif  und 
starr ;    Schmerz   entwickelt  sich   entweder  sogleich  oder  er  tritt  erst  auf, 

17* 


260  ERFRIERUNG. 

wenn  der  Theil  einem  schnellen  Temperaturwechsel  ausgesezt  wird  ;  es 
macht  sich  dann  ein  unerträgliches  Brennen  fühlbar.  Bei  einem  höheren 
Grade  entwickeln  sich  entweder  sogleich,  namentlich  wenn  man  den  Theil 
auch  nur  einer  massigen  Wärme  aussezt ,  oder  auch  erst  nach  einigen 
Tagen  Blasen ,  beträchtliche  Geschwulst  und  ein  spannender ,  stechender 
Schmerz.  Bei  geringerer  Entzündung  erneuert  sich  die  Epidermis  unter 
den  Blasen,  bei  heftigerer  folgt  Verschwärung  mit  jauchiger  Secretion. 
Im  höchsten  Grade  ist  alle  Lebensthätigkeit  aufgehoben.  Diese  Morti- 
fication  tritt  entweder  sogleich  ein,  oder  es  geht  eine  kurze  Entzündung, 
welche  man  als  gangränöse  bezeichnet,  vorher.  Die  hier  sich  erhebenden 
Blasen  enthalten  weisse  oder  graue  Flecken ,  welche  von  einer  brandigen 
Zerstörung  des  Papillarkörpers  der  Haut  herrühren.  Bei  noch  heftigerer 
Einwirkung  der  Kälte  ist  die  ganze  Haut  brandig,  und  beim  höchsten 
Grade  ist  die  ganze  Dicke  des  Gliedes  ergriffen.  —  Behandlung. 
Erfrorene  bringt  man  zunächst  in  ein  kaltes  Zimmer ,  bedeckt  sie,  nach 
vorsichtiger  Entkleidung,  um  die  gefrorenen  Glieder  nicht  zu  zerbrechen, 
mit  Schnee  oder  mit  in  eiskaltes  Wasser  getauchten  Tüchern ,  oder  legt 
sie  in  eine  Wanne  mit  kaltem  Wasser  ;  bei  Allem  diesem  muss  der  Kopf 
frei  bleiben.  Sind  hierdurch  die  Glieder  wieder  biegsam  geworden ,  so 
legt  man  den  Körper  in  ein  kaltes  Bett  in  einem  kalten  Zimmer,  reibt  ihn 
mit  kalten  Spirituosen  Flüssigkeiten ,  sezt  kalte  reizende  Klystiere ,  hält 
Riech-  und  Niesemittel  vor  die  Nase,  bläst  mit  Vorsicht  Luft  in  die  Lun- 
gen ,  wenn  sich  das  Athemholen  nicht  einstellen  will ,  und  sprizt  kaltes 
Wasser  auf  die  Herzgrube.  Erst  nach  und  nach  bringt  man  den  Verun- 
glückten in  etwas  wärmere  Luft,  gibt  ihm  gelinde  schweisstreibende  Mit- 
tel, Flieder-,  Melissenthee  mit  Minderer 's  Geist,  warmen  Wein  etc., 
um  eine  gelinde  Ausdünstung  zu  bewirken.  Alles  dieses  muss  aber  mit 
grosser  Vorsicht  geschehen,  da  das  Blut  oft  mit  Ungestüm  in  die  Lungen 
eindringt  und  den  Kranken  durch  Lungenschlagfluss  oder  Lungenentzün- 
dung tödten  kann.  —  Bei  erfrorenen  einzelnen  Theilen  muss  man  mit 
gleicher  Vorsicht  zu  Werke  gehen.  Man  reibt  sie  zuerst  mit  Schnee 
oder  taucht  sie  in  kaltes  Wasser ;  innerlich  gibt  man  Wasser  mit  etwas 
Wein.  Ist  die  Circulation  wieder  etwas  im  Gange ,  so  macht  man  noch 
einige  Tage  Umschläge  von  kaltem  Wasser  oder  Bleiwasser,  und  vom  3. 
oder  4.  Tage  an  nimmt  man  hierzu  verdünnten  Essig,  Branntwein,  Kam- 
phergeist etc.  ,  um  die  Haargefässe  zur  Contraction  zu  bringen.  Nach 
und  nach  bringt  man  den  Kranken  in  eine  höhere  Temperatur  und  reicht 
ihm  innerlich  warmes  Getränk.  Man  fährt  auf  diese  Weise  fort ,  bis  die 
Geschwulst  verschwunden  und  brandige  Theile  sich  abgestossen  haben. 
Zögert  der  Wiedereintritt  der  Circulation  und  der  Empfindung ,  nachdem 
der  Theil  vollständig  aufgethaut  ist ,  so  wendet  man  warme  aromatische, 
weinige  Fomentationen  an.  Ist  hingegen  in  Folge  zu  rascher  Erwärmung 
eine  bedeutende  Blutüberfüllung  eingetreten,  so  muss  man  alsbald  zu  kal- 
tem Wasser  mit  Bleiessig  versezt  zurückkehren.   Hat  der  Theil  eine  blaue 


ERFRIERUNG.      FROSTBEULEN.  261 

Färbung  und  ist  er  sehr  geschwollen ,  so  sezt  man  Blutegel  in  die  Um- 
gebung. Die  Amputation  oder  Exarticulation,  welche  sich  sehr  oft  durch 
Hervorstehen  der  Knochen  und  durch  Hautmangel  nothwendig  machen, 
dürfen  erst  vorgenommen  werden ,  wenn  der  Brand  sich  vollständig  be- 
grenzt hat.  In  einzelnen  Fällen  hat  man  nur  nöthig,  die  hervorstehenden 
Knochen  mit  der  Knochenzange  abzukneipen. 

Bei  schwächlichen ,  leucophlegmatischen  Personen ,  Kindern  und 
Weibern  bringt  die  Kälte,  besonders  feuchte  Kälte  und  häufige  Abwechs- 
lung von  Wärme  und  Kälte  an  den  dieser  am  meisten  ausgesezten  Theilen, 
wie  den  Händen  und  Füssen ,  den  Ohren ,  der  Nase  die  sogenannten 
Frostbeulen,  Winterbeulen,  Perniones,  hervor.  Je  nach 
der  verschiedenen  Einwirkung  nimmt  man  gewöhnlich  vier  verschiedene 
Grade  oder  Arten  von  Frostbeulen  an.  Den  ersten  Grad  bildet  die 
sogenannte  erythematöse  Frostbeule.  Das  Wesen  derselben  besteht 
in  einer  passiven  Hyperämie  der  Haut ;  leztere  erscheint  oft  glänzend 
roth ,  dabei  findet  sich  geringe  Geschwulst ,  dagegen  ein  lästiges  Jucken, 
Priekeln  und  Brennen  ,  welche  Erscheinungen  Abends ,  besonders  wenn 
auf  Kälte  Thauwetter  folgt,  heftiger  sind.  Den  zweiten  Grad  stellt 
die  phlegmonöse  Frostbeule  dar.  Bei  dieser  durchdringt  die  Affec- 
tion  nicht  nur  die  ganze  Haut,  sondern  breitet  sich  auch  auf  das  darunter 
liegende  Zellgewebe  aus.  Die  Röthe  ist  dunkler ,  zuweilen  violett,  die 
Geschwülst  bedeutender,  der  Schmerz  heftig.  Beim  dritten  Grade, 
der  geschwürigen  Frostbeule ,  findet  sich  eine  heftige  Entzündung, 
Geschwulst  und  Schmerz,  und  es  bilden  sich  Blasen,  welche  leicht  in  hart- 
näckige Geschwüre  sich  umwandeln,  die  viel  Jauche  absondern.  Bei  dem 
vi  e rten  Grade,  der  brandigen  Frostbeule,  entsteht  Brand  in  dem 
erfrorenen  Theile ,  der  sich  ausbreitet ,  bis  er  an  gesunden  Theilen  an- 
kommt ,  wo  er  eine  Demarkationslinie  bildet.  —  Die  Frostbeulen  sind 
meist  heilbar ,  kehren  aber  gern  wieder.  —  Behandlung.  Sie  muss 
sich  nach  dem  Vitalitätszustande  richten ;  bei  mehr  passiver  Hyperämie 
muss  sie  reizend  und  adstringirend,  bei  mehr  gereiztem  und  entzündlichem 
Zustande  reizmildernd  und  antiphlogistisch  sein.  Unter  den  Reizmitteln, 
welche  für  die  zwei  ersten  Grade  passen,  sind  zu  nennen  :  das  öftere  Rei- 
ben mit  Schnee,  Waschungen  mit  eiskaltem  Wasser,  Wasser  und  Brannt- 
wein, Citronensaft,  Kamphergeist ,  Salmiakgeist  mit  Weingeist,  verdünnte 
Salz-  oder  Schwefelsäure  (Rp.  Acid.  nitric.  dilut. ,  Aq.  cinna- 
m  o  m  i  ana  ^ß.  M.  S.  Mit  einem  Federbarte  aufzustreichen.  R  u  s  t), 
Steinöl,  Terpentinöl  (Rp.  Ol.  petrae  5j,  Ol.  terebinth.  3Ü3,  Li- 
nimt.  volat.  camph.  ^iß ,  Spirit.  sal.  ammon.  caust.  ^ß 
M.  S.  Morgens  und  Abends  einzureiben)  ,  Jodtinktur  und  Seifenliniment, 
Kampher  mit  Perubalsam  (Rp.  Camphor.  tritae,  Bals.  indici 
nigr.  ana  •) j  ,  Ungt.  pomadin.  ^ß.  M.  f.  Ungt.  S.  Abends  ein- 
zureiben. L  o  c  k  s  t  ä  d  t),  Capsicumtinktur,  heisse  Kataplasmen  mit  Alaun, 
das  Bestreichen  mit  Höllenstein,  Bäder  von  Chlorkalklösungen  (Jj  Chlor- 


622  ERSCHUETTERUNG. 

kalk  auf  2  Pfd.  kaltes  Wasser),  Eichenrindenbäder  etc.  Bei  mehr  ent- 
zündetem Zustande  werden  zuweilen  Blutegel  und  Abführungen ,  Um- 
schlage von  Bleiwasser  und  Opiumtinktur  etc.  nöthig.  Nach  gehobener 
Entzündung  geht  man  zu  den  Reizmitteln  über.  Die  geschwürigen  Frost- 
beulen erfordern  trocknende  Salben,  die  je  nach  Umständen  mild  oder 
reizend  sein  müssen ;  am  gebräuchlichsten  ist  Ceratum  saturni, 
Ungt.  Zinci  mit  Myrrhe,  Kampher,  Opium  oder  Perubalsam  (Rp. 
O  p  i  i  p  u  r  i ,  Camplior.  ana  3j  ,  B  a  1  s.  i  n  d  i  c  i  n  i  g  r.  ^)iv ,  Ungt. 
nigri  5J.  M.  S.  Frostsalbe.  Kopp),  mit  Chlorkalk  (Rp.  Calcar. 
chlorat.  5j,  Ungt.  cerei  Jj.  M.  D.  S.  Frostsalbe.  Trusen),  und 
wenn  schwammiges  Fleisch  entsteht,  Betupfen  mit  Höllenstein.  Sehr  ge- 
rühmt wird  ein  Liniment  aus  Collodium  3  0  Th.  ,  venetianischem  Terpen- 
tin 12  Th.,  Ricinusöl  6  Th.,  mit  welchem  die  Frostbeule,  mag  sie  aufge- 
brochen sein  oder  nicht ,  mittels  eines  Pinsels  überstrichen  wird.  Dieses 
Ueberstreichen  wird  mehrmals  wiederholt,  bis  sich  eine  luftdichte  Decke 
gebildet  hat ,  unter  welcher  die  Heilung  rasch  vor  sich  geht.  Bei  alten 
Geschwüren  müssen  vor  ihrer  Heilung  Fontanellen  eingelegt  werden.  — 
Durch  kalte  Waschungen  und  warme  Bekleidung ,  so  wie  Einreibungen 
von  Kamphergeist ,  Seifenliniment ,  Salmiakgeist  mit  AVeingeist ,  so  wie 
Vermeidung  zu  enger  Fussbekleidung  sucht  man  die  Wiederkehr  der 
Frostbeulen  zu  verhindern.  —  Gegen  Schrunden  aus  Kälte  an  den 
Händen  empfiehlt  Heine  eine  Mischung  von  Schwefelalkohol  3j  mit 
Ol.  papav.  5j,  mit  welcher  die  Hände  früh  und  Abends  bestrichen  werden. 

Erschütterung,  Commotio,  heisst  die  durch  eine  stumpf 
wirkende  mechanische  Gewalt  in  einem  Körpertheile  hervorgebrachte  vor- 
übergehende Verschiebung  oder  geringfügige  Trennung  seiner  feinsten 
Partikelchen,  wobei  die  Vitalität  des  Theils  mehr  oder  weniger  bedeutend 
leidet.  —  Die  mechanische  Gewalt  versezt  nämlich  die  getroffenen  Theile 
in  eine  schwingende  zitternde  Bewegung  und  verursacht  dadurch  eine 
wenn  auch  manchmal  nur  momentane  Verrückung  der  feinsten  organi- 
schen Fibern,  und  ohne  Zweifel  auch  die  Zerreissung  einiger  derselben. 
Wegen  der  Elasticität  der  festen  und  festweichen  organischen  Theile  kön- 
nen jene  Schwingungen  auch  auf  einen  ganz  andern,  als  den  getroffenen 
Theil,  fortgeleitet  werden  und  dort  erschütternd  einwirken.  Dabei  kann 
der  Erschütterungszustand  nur  beschränkt  oder  allgemein  verbreitet  sein. 
—  Erscheinungen.  Ein  erschütterter  Theil  zeigt  wenig  sichtbare 
materielle  Veränderungen ,  die  dynamischen  sind  Folge  der  durch  die 
Schwingungen  hervorgerufenen  Erschlaffung  der  Faser :  bei  geringen  Gra- 
den der  Erschütterung  tritt  eine  rasch  vorübergehende  Erregung  der 
Nervenfunction,  bei  höhern  Graden  eine  plözliche  Unterdrückung  oder 
Schwächung  der  Vitalität,  Abnahme  der  Empfindung  und  Bewegung,  und 
wegen  der  verringerten  Gefässresistenz  erhöhter  Zufluss  der  Säfte  mit  den 
nachfolgenden  Zeichen  der  Congestion  oder  Entzündung  ein ;  die  höchsten 


ERWEICHENDE   MITTEL.  263 

Grade  können  durch  gänzliche  Vernichtung  der  Nerventhätigkeit  plöz- 
lichen  Tod  zur  Folge  haben.  Immer  ist  die  Functionsstörung  unmittel- 
bar nach  stattgehabter  Verlezung  am  stärksten  und  nimmt ,  wenn  das 
Leben  nicht  vollständig  vernichtet  wurde,  allmälig  wieder  ab.  —  Pro- 
gnose. Sie  richtet  sich  hauptsächlich  nach  der  Stärke  und  Art  der  ein- 
wirkenden Gewalt  und  nach  der  Wichtigkeit  des  getroffenen  Theils.  ■ — 
Behandlung.  Unmittelbar  nach  einer  heftigeren  Commotion ,  wenn 
ein  hoher  Grad  von  Schwäche  vorhanden  ist,  sind  belebende  Mittel  inner- 
lich und  äusserlich  angezeigt ;  solche  Mittel  sind  :  Riechmittel,  Hautreize, 
Wein,  NajDhthen,  Valeriana,  warme  aromatische  Umschlage,  geistige  Ein- 
reibungen etc.  ;  doch  sind  solche  Mittel  immer  mit  Vorsicht  anzuwenden 
wegen  der  sich  später  entwickelnden  entzündlichen  Reaction ;  häufig  sind 
diese  Mittel  gar  nicht  erforderlich ,  dagegen  ist  prophylactisch  Kälte  an- 
zuwenden ,  die  man  nöthigenfalls  durch  örtliche  und  allgemeine  Blutent- 
leerungen unterstüzt ,  mit  welchen  Mitteln  man  aber  auch  nicht  zu  weit 
gehen  darf,  um  den  geschwächten  Theil  nicht  noch  mehr  zu  schwächen. 
Zurückbleibende  Nervenschwäche  mit  passiver  Gef  ässüberfüllung  behan- 
delt man  mit  reizenden,  namentlich  ätherisch-öligen  Mitteln,  unter  welchen 
die  Arnica  die  erste  Stelle  einnimmt. 

Erweichende,  erschlaffende  Mittel,    Emoiiientia, 

Relaxantia,  Malactica  (von  /uaXaxevitxog ,  erweichend).  Man 
versteht  darunter  alle  Substanzen ,  welche  im  Allgemeinen  die  lebenden 
Organe  zu  erschlaffen  oder  zu  erweichen  streben ,  indem  sie  in  die  Poren 
der  Haut  und  die  Zwischenräume  anderer  fester  Theile  eindringen ,  die 
Cohäsion  derselben  vermindern  und  ihr  Gewebe  auftreiben.  Insofern  sie 
dadurch  Reizungen  beseitigen  oder  vermindern  ,  Schmerzen  heben  oder 
vermindern  können,  heissen sie  lindernde  Mittel,  Demulcentia; 
insofern  sie  die  trockenen,  rauhen  und  spröden  Theile  anfeuchten,  schlüpf- 
rig und  geschmeidig  machen,  heissen  sie  anfeuchtende,  Humec- 
t  a  n  t  i  a  ,  und  geschmeidig  machende,  Lubricantia,  und  in- 
sofern sie  bei  heftigen  Hautreizen  und  Schmerzen  ,  z.  B.  Verbrennungen, 
Insectenstichen  etc.  ,  der  Haut  einen  milden,  deckenden  Ueberzug  geben 
und  durch  Abhaltung  der  atmosphärischen  Luft  und  anderer  schädlicher 
Stoffe ,  oder  durch  Einhüllung  und  Zersezung  scharfer  Stoffe  den  Reiz 
vermindern,  heissen  sie  einhüllende  Mittel,  Obvolventia,  I  n  - 
volventia.  Deshalb  erweisen  sie  sich  nüzlich  bei  phlegmonösen  Ent- 
zündungen, schmerzhaften  Drüsenverhärtungen  ,  Entblössungen  der  Haut- 
papillen,  schmerzhaften  chronischen  Hautausschlägen;  als  eiterungsbeför- 
dernde  Mittel  bei  Wunden,  Abscessen  und  Geschwüren ,  wo  die  entzünd- 
liche Spannung  die  Ursache  des  Mangels  an  Absonderung  eines  guten 
Eiters  ist,  oder  die  Theile  sonst  sehr  gereizt  sind  ;  bei  falschen  Ankylosen 
und  Muskelcontracturen ,  in  Verbindung  mit  activer  und  passiver  Bewe- 
gung ,    weil  sie   die   Biegsamkeit   der   Theile   vermehren   und  wiederher- 


264  ,  ERWEICHUNG. 

stellen  ,  wenn  dieselbe  durch  zu  lange  Ruhe  verloren  gegangen  ist.  Zu 
anhaltend  angewendet,  wirken  sie  nachtheilig,  weil  sie  die  Fasern  zu  sehr 
erschlaffen,  die  Reizbarkeit  zu  sehr  abstumpfen ,  die  Anhäufung  von  Blut 
und  Serum  in  den  Theilen  befördern  und  auf  eiternden  Flächen  die  Wu- 
cherung der  Granulationen  befördern.  —  Es  gehören  hierher :  die  feuchte 
Wärme  (von  +  2  6  —  3  4°  R.),  welche  in  der  Form  von  Bähungen,  Kata- 
plasmen,  Bädern,  Douchen  in  Anwendung  kommt ;  die  Mucilaginosa, 
namentlich  das  arabische  und  Traganthgummi ,  die  Wurzeln ,  Blätter  und 
Blüthen  einer  grossen  Menge  von  Pflanzen  aus  der  Familie  der  M  a  1  - 
va  c  e  a  e  ,  besonders  die  Malven,  Althäen  etc.;  die  Wurzeln  von  Sym- 
phytum  officinale,  die  Stengel,  Blätter  und  Blüthen  von  Verba- 
s  c  u  m,  der  Samen  von  Linum  usitatissimum,  die  Blüthen  von  S  a  m- 
bucus  niger  etc.;  die  S  az  m  ehl  arten  und  die  sazmehlh  alti- 
gen Samen  und  Wurzeln,  z.  B.  das  Mehl  aus  den  Getreidearten,  die 
Bohnen  ,  Erbsen  ,  Linsen  ,  die  Kartoffeln  ,  die  schleimigen,  süss- 
säuerlichen  Früchte  und  säuerliche  Blätter,  der  Apfel ,  die 
Quitten,  die  schwarzen  Maulbeeren,  der  Hauslauch  etc. ;  die  schleimi- 
gen Mittel  mit  einiger  Schärfe,  die  Blätter  und  die  innere  grüne 
Rinde  von  Sambucus  niger,  die  Kohlblätter,  die  weissen  Rüben;  die 
schleimigen,  zuckerhaltigen  Mittel ,  der  Honig,  die  Manna,  die 
Blätter  und  Wurzeln  des  Mangolds ;  dieeiweissstoffigen  Mittel, 
das  Eiweiss,  Eigelb,  die  Milch;  die  Fette,  Wachs,  WTallrath,  Talg,  Ca- 
caobutter,  Knochenmark,  Butter,  Milchrahm,  die  verschiedenen  thierischen 
Fette,  wie  Schweinsfett,  Hundsschmalz  etc.  ;  dieOele,  Knochenöl,  EierÖl, 
Leberthran,  Oliven-,  Mohn-,  Reps-,  Leinöl  etc. 

Erweichung,  M  a  1  a  c  i  a.  Mit  diesem  Ausdrucke  bezeichnet 
man  die  verminderte  organische  Cohäsion  und  Consistenz  eines  Theiles  in 
Folge  einer  vorausgegangenen  mehr  oder  weniger  nachweisbaren  Entzün- 
dung und  Congestion.  In  Folge  der  Blutstockung,  Ansammlung  der 
Säftemasse  überhaupt  und  Austritt  von  Blutbestandtheilen  in  das  nahe- 
liegende Zellgewebe  bei  der  Entzündung  wird  die  Ernährung  und  die 
Lebensthätigkeit  verschiedenartig  verändert,  wobei  es  zu  einem  Erlöschen 
der  Vegetation  kommen  kann ,  was  sich  durch  eine  geringere  Spannkraft, 
eine  grössere  Weichheit  und  Auflockerung  der  Gewebe  ausspricht.  Ein 
solcher  Zustand  tritt  häufig  bei  Schleimhäuten  ein ,  denen  alle  fibrösen 
Bestandtheile  fehlen.  Leucophlegmatische  Individuen  sind  ihm  besonders 
ausgesezt.  —  Die  Z  eichen  der  nach  Entzündungen  zurückbleibenden 
Erweichung  sind  die  der  passiven  Hyperämie ,  der  Blutüberfüllung  ohne 
Schmerz  und  Hize ,  Neigung  zu  serösen  Ausschwizungen,  geringere  Con- 
sistenz des  Organs  und  Störung  seiner  Funktion.  Die  Erweichung  kann 
aber  auch  ohne  Entzündung  durch  Blutcachexie  entstehen.  Es  beginnt 
der  Krankheitsprocess  hier  von  einer  Lähmung  der  Haargefässe  aus  ;  das 
wenig  belebte   und  zur  festen  Bildung  nicht  geeignete  Blut,   welches  in 


ERWEITERUNGSMITTEL. 


265 


dem  Gewebe  stockt ,  wandelt  sich  in  eine  gleichartige ,  eiweissstoffartige, 
aufgelöste  Masse  um  und  zieht  das  von  dieser  Masse  durchdrungene  Ge- 
webe in  den  Kreis  der  Schmelzung  mit  hinein.  Meistens  beginnt  aber 
auch  hier  dieser  Process  mit  einem  Stadium  der  activen  Reizung.  — 
Prognose.  Bei  weit  vorgeschrittener  Zerstörung  der  Gewebe  ist  auf 
eine  Rückbildung  nicht  zu  hoffen,  bei  niederen  Graden  dagegen ,  wo  das 
eigentümliche  Gewebe  nicht  gelitten  hat ,  kehrt  dieses  nicht  selten  zum 
normalen  Zustande  zurück ,  oder  greift  doch  das  Uebel  nicht  weiter  um 
sich.  —  Behandlung.  Die  Erweichung  als  solche  erfordert  die  Er- 
hebung der  gesunkenen  Lebensthätigkeit  in  der  organischen  Substanz  und 
in  der  Sphäre  der  reproductiven  Nerven ,  Beseitigung  der  passiven  Sto- 
ckung der  Säfte  und  eine  auf  den  Verfall  der  Plastik  gerichtete  kräftige 
Gegenwirkung.  Im  Allgemeinen  ist  daher  eine  excitirende,  roborirende, 
tonisirende ,  den  Zusammenhang  des  organischen  Gewebes  befördernde 
Behandlung  in  Anwendung  zu  bringen.  Bestehende  Dyscrasien  müssen 
getilgt,  schlechte  Kost,  ungesunde  Wohnung  etc.  beseitigt  werden.  Con- 
gestive  oder  entzündliche  Erscheinungen  erfordern  zuweilen  massige  ört- 
liche Blutentziehungen.  Gegen  erweichte  Schleimhäute  zieht  man ,  so 
weit  sie  von  aussen  zugänglich  sind,  Auflösungen  von  Alaun,  Zinkvitriol, 
Höllenstein  mit  Opiumtinktur  in  Gebrauch.  Die  Erweichung  des  fibrösen 
Apparates,  besonders  der  Gelenkbänder,  sucht  man  durch  tonische  Bäder, 
Einreibungen  und  Blasenpflaster  zu  heben,  und  wo  diese  Mittel  fehlschla- 
gen, wendet  man  Bandagen  und  Apparate  an,  um  die  fehlende  Festigkeit 
zu  ersezen. 

Erweiterungsmittel,  D  i  1  a  t  a  n  t  i  a.  Man  bedient  sich  dieser 
zur  Erweiterung  natürlicher,  krankhaft  verengter  oder  krankhafter  Kanäle 
und  Oeffnungen  und  zu  einfacher  Offenhaltung  künstlich  gemachter  Oeff- 
nungen ,  z.  B.  bei  der  Thränenfistel ,  Speichelfistel  etc.,  oder  natürlicher 
Oeffnungen,  wenn  sie  eine  Neigung  haben  sich  zu  verengen.  Sie  wirken 
durch  Compression  von  innen  nach  aussen,  drücken  somit  die  Wandungen, 
mit  denen  sie  in  Berührung  kommen,  auseinander ,  treiben  die  in  densel- 
ben stockenden  Säfte  zurück  und  befördern  die  Resorption.  Dies  ge- 
schieht entweder  auf  rein  mechanische  Weise  ,  wie  es  die  verschie- 
denen Arten  von  Mund- ,  Mutter- ,  Ohrenspiegel  etc. ,  die  verschiedenen 
Dilatatorien  der  Bruchpforte  und  ähnliche  Werkzeuge  thun  ;  —  oder  dy- 
namisch, indem  sie  als  reizende  Körper  die  Schleimhaut  der  Kanäle  zu 
grösserer  Thätigkeit  anreizen ,  somit  eine  vermehrte  Absonderung  des 
Schleims  erregen ,  welcher  bald  eiterartig  wird  und  dadurch  die  Schmel- 
zung und  Aufsaugung  des  im  Gewebe  der  Schleimhaut  und  der  nächsten 
Umgebung  abgelagerten  Faserstoffes  und  der  stockenden  Säfte  befördern  ; 
—  oder  dynamisch  und  mechanisch  zugleich ,  indem  sie  die  in 
dem  Kanäle  abgesonderte  Flüssigkeit  aufsaugen,  dadurch  aufquellen  und 
somit  die  Wandungen   der  Kanäle   und  Ränder  der  Oeffnungen  auch  me- 


266  ERWEITERUNGSMITTEL. 

chanisch  auseinander  treiben.  —  Die  Erweiterungsmittel  zerfallen  in  die 
eigentlichen  Erweiterungsmittel ,  Dilatantiaactiva,  und  in  Mittel, 
welche  einen  Kanal  oder  eine  Oeffnung  bloss  offen  zu  halten  bestimmt 
sind,  Dilatantia  passiv a.  —  Die  activen  Erweiterungsmit- 
tel gebraucht  man  bei  Verengerungen  des  Thränen-,  Nasen-  und  Ohren- 
kanals, der  Speiseröhre,  Harnröhre,  des  Mastdarmes  und  zur  Erweiterung 
der  Fisteln  und  anderer  krankhafter  Kanäle  und  Oeffhungen,  wenn  sie  zu 
dem  beabsichtigten  Zwecke  zu  enge  sind  und  die  Erweiterung  mit  dem 
Messer  nicht  zulässig  ist.  Ihre  Dicke  wird  allmälig  vermehrt.  Während 
eines  Entzündungszustandes  dürfen  sie  nicht  angewendet  und  wenn  ihre 
Anwendung  eine  zu  starke  Entzündung  erregt ,  müssen  sie  bis  nach  der 
Beseitigung  dieser  ausgesezt  werden.  Wenn  man  mit  dem  Gebrauche 
derselben  aufhört,  ehe  die  Ursache  der  Verengerung  gehoben  ist,  so  kehrt 
diese  wieder  zurück.  Die  hierher  gehörigen  Mittel  sind  l)  aufquel- 
lende, auch  Quellmeissel,  Turundae  intu. mescentes,  ge- 
nannt. Zu  diesen  zählt  man  a)  den  Pressschwamm,  Spongia 
marina  compressa;  es  ist  dies  ein  in  Wachs  oder  in  arabischen 
Gummischleim  getauchter  und  dann  bis  zur  Trocknung  gepresster  Bade- 
schwamm. Bei  seiner  Anwendung  schneidet  man  entsprechend  lange  und 
dicke  Stücke  ab,  rundet  die  Kanten,  befestigt  einen  Faden  daran  und  bestreicht 
siemitOel,  Schleim  oder  Eiweiss.  Oder  man  umwickelt  ein  Stück  feuchten 
Schwammes  in  kegel-  oder  cylinderf  örmiger  Form  mit  Bindfaden  und  taucht 
ihn  dann  in  geschmolzenesWachs  oder  Gummischleim,  worauf  man  den  Bind- 
faden entfernt  und  den  Schwamm  glättet ;  b)  die  Darmsaiten,  Chordae 
s.  Cereoli  crassescentes;  sie  werden  zum  Gebrauche  in  warmem 
Wasser  eingeweicht ,  bis  zur  Trocknung  ausgespannt ,  polirt ,  in  entspre- 
chend lange  Stücke  geschnitten ,  an  dem  einen  Ende  mit  der  Feile  und 
mit  Bimsstein  abgerundet ,  an  dem  andern  umgebogen  oder  mit  einem 
Knöpfchen  von  Siegellack  oder  Bein  versehen  und  vor  der  Einführung  mit 
Oel,  Butter,  Wachssalbe  oder  Eiweiss  bestrichen.  Sie  finden  hauptsächlich 
bei  Verengerungen  des  Thränenkanals  und  der  Harnröhre  Anwendung ; 
c)  die  p  o  r  ö  s  e  n  W  u  r  z  e  1  n  oder  andere  Pflanzentheile,  wie  die 
Eibisch- ,  Enzian- ,  Wallwurzel ,  das  Hollunder-  und  Sonnenblumenmark, 
die  Ulmenrinde,  die  Feigen.  Man  gebraucht  sie  bei  Fisteln  und  Verenge- 
rungen der  Nasenöffnungen.  —  2)  Nicht  aufquellende;  dahin  ge- 
hören a)  die  Kerzen  oder  Bougies,  Candelae  s.  Candelulae; 
es  sind  dies  biegsame,  glatte,  gemeinlich  10  — 12  Zoll  lange  Körper  von 
verschiedenem  Kaliber  und  Material,  welche  bald  cylindrisch,  bald  konisch, 
bald  an  ihrem  unteren  Ende  bauchig  sind  und  hauptsächlich  bei  Verenge- 
rungen langer  Kanäle  ,  wie  der  Speiseröhre ,  Harnröhre  ,  des  Mastdarmes, 
Anwendung  finden ;  man  hat  folgende  Arten  von  Kerzen  :  «)  Wachs- 
kerzen, Wachsbougies,  Candelae  cereae,  Cereoli;  man 
entnimmt  sie  dem  gewöhnlichen  Wachsstocke  ;  ß)  Pflasterbougies, 
Cereoli   simplices;    in  geschmolzenes  Wachs  oder  heilkräftige  Pfla- 


ERYTHEMA.  267 

stermasse  getauchte  und  nach  dem  Erkalten  aufgerollte  und  geglättete 
Leinwandstreifen  ;  y)  elastische  Bougies;  aus  Fäden  gewobene,  mit 
Leinöl  oder  elastischem  Harzfirniss  überzogene  polirte  Körper,  welche  ent- 
weder hohl  oder  voll  (massiv),  gerade  oder  gebogen  sind  ;  man  fertigt  sie 
auch  aus  Gutta  percha;  S)  Metallbougies,  Röhren  oder  Drähte 
von  Blei  oder  Zinn  ,  oder  einer  Mischung  von  Blei ,  Zinn  und  Wismuth, 
welchen  man  die  erforderliche  Krümmung  gibt ;  f)Knochenbougies, 
aus  Elfenbein  und  Knochen  gefertigte  Körper,  denen  man  durch  Behand- 
lung mit  Salpeter-  oder  Salzsäure  die  phosphor-  und  kohlensauren  Kalk- 
salze entzieht,  wodurch  sie,  in  warmes  Wasser  gelegt,  weich  und  biegsam 
werden ;  £)  Fischbeinbougies;  rf)  Pergamentbougies,  ge- 
rollte Pergamentstreifen  ;  &)  H  e  c  k  e  r  'sehe  (medicamentöse)  Bougies, 
Fäden,  welche  in  äzkali-  oder  quecksilbersublimathaltige  Masse  mehrmals 
getaucht ,  getrocknet  und  gerollt  sind  und  sowohl  bei  hartnäckigem  chro- 
nischen Tripper ,  als  auch  bei  callosen  Stricturen  der  Harnröhre  mit  Vor- 
theil  gebraucht  werden  ;  b)  die  Därme  von  kleinen  Thieren,  als 
Kazen,  Kaninchen,  Schafen  ;  diese  werden  mittels  geeigneter  Vorrichtungen 
in  die  verengerte  Stelle  des  Kanals  (Speiseröhre ,  Harnröhre ,  Mastdarm) 
gebracht  und  sodann  mit  Luft ,  Wasser  oder  Charpie  gefüllt.  c)  Die 
Charpiewieken  und  Dochte  (s.  Charpie).  —  Die  Dilatantia 
passiva  sezen  sich  nur  der  Schliessung  von  Oeffnungen  entgegen;  es 
gehören  hierher  :  die  Charpiewieken  und  Dochte,  die  Kerzen, 
die  Röhren  von  gestrichenem  Heftpflaster  oder  von  Kaut- 
schukplatten oder  Stücke  elastischerCatheter;  leztere  die- 
nen hauptsächlich  zur  Herausbeförderung  von  Flüssigkeiten  aus  Körper- 
höhlen, wie  Brust- und  Bauchhöhle,  der  Höhle  der  Tunica  vaginalis; 
ferner  die  silbernen  und  goldenen  Röhren,  welche  man  zur  Hei- 
lung der  Thränen-  und  Speichelfistel  gebraucht;  die  Bell 'sehen  Röhr- 
en e  n  für  die  NasenöfFnungen ,  Dupuytren 's  Scheibe  ncy  linder, 
Reisinger's  Scheibenröhre,  Hennemann 's  Knopf  von  Kaut- 
schuk ,  welche  leztere  drei  zur  Offenhaltung  der  geöffneten  Froschge- 
schwulst dienen. 

Erysipelas ,  s.  R  o  t  h  l  a  u  f. 

Erythema  (vou  iovfraivw ,  ich  mache  roth)  ,  R  ö  t  h  u  n  g.  'Mit 
diesem  Namen  bezeichnet  man  die  oberflächliche  Entzündung  der  Haut, 
welcher  immer  äussere  Ursachen  zu  Grunde  liegen.  Jeder  äussere  Reiz 
kann  sie  erzeugen ,  Hize  ,  Frost,  chemische  scharfe  Stoffe,  Insectenstiche, 
ein  scharfes  Wund-  oder  Geschwürsecret ,  scharfer  Vaginalschleim ,  Koth 
oder  Urin,  mechanische  Verlezungen.  Je  empfindlicher  das  Hautorgan 
ist ,  um  so  leichter  entsteht  sie  ,  daher  leichter  bei  Kindern  und  Frauen, 
als  bei  Männern ;  ebenso  bei  fetten  Personen  leichter  als  bei  magern  ; 
erstere  leiden  besonders  im  Sommer  an  solchen  Stellen  häufig  daran ,    wo 


268  EXSTIRPATION. 

zwei  Hautflachen  sich  gegenseitig  reiben  oder  drücken,  wie  zwischen  den 
Hinterbacken  etc.  &»  Wundsein.  Es  gesellt  sich  Erythem  sehr  oft  zu 
Wunden ,  welche  man  auf  rohe  Weise  durch  Drücken  und  Waschen  rei- 
nigte und  durch  Nähte  und  reizende  Klebepflaster  zu  fest  vereinigte. 
Pflaster  und  Salben  bringen  dasselbe  auch  bei  unverlezter  Haut  nicht  sel- 
ten hervor.  Unreinlichkeit  und  zu  reichliche  oder  unzweckmässige  scharfe 
und  gesalzene  Kost  begünstigt  seine  Entstehung ;  ebenso  die  Retentionen 
gewohnter  Ausleerungen,  des  Monatflusses,  der  Hämorrhoiden  etc.  —  Das 
Erythema  charakterisirt  sich  durch  eine  oberflächliche,  nach  der  Peripherie 
abnehmende  Röthe,  die  beim  Fingerdruck  erbleicht,  aber  sogleich  wieder  er- 
scheint, geringen  Schmerz  und  unbedeutende  Anschwellung,  so  wie  durch 
das  Fehlen  jeglicher  Störung  des  Allgemeinbefindens,  wenn  diese  nicht 
durch  seine  Ausdehnung  bedingt  wird.  —  Der  Verlauf  des  Erythems 
ist  meist  ein  schneller,  immer  gutartig ;  nur  wo  die  Ursachen  nicht  zu  ent- 
fernen sind,  kann  es  lange  dauern  und  sich  mit  oberflächlicher  Verschwä- 
rung,  Schrunden  u.  dgl.  verbinden.  —  Behandlung.  Sie  ist  einfach, 
wenn  die  Haut  der  Wirkung  schädlicher  Einflüsse  entzogen  werden  kann  ; 
meist  reichen  dann  kalte  Umschläge  aus  ;  ist  dies  nicht  möglich,  wird  das 
Erythem  z.  B.  durch  das  scharfe  Secret  eines  Geschwürs  etc.  unterhalten, 
so  schüzt  man  die  Umgegend  durch  fleissiges  Baden  und  Waschen  mit  fri- 
schem Wasser  oder  Bleiwasser,  Auflegen  von  Bleiwasser,  Blei-  oder  Zink- 
salbe ,  Bleiweiss  ,  Bestreichen  mit  Collodium.  Sehr  oft  muss  man  Abfüh- 
rungsmittel geben  und  die  Diät  verändern.  Bei  scrophulösen  Kindern 
muss  man  sich  hüten ,  Erytheme  durch  austrocknende  Mittel  zu  heilen, 
selbst  häufiges  Waschen  solcher  leicht  entzündeten  oder  verschwärten 
Stellen  vermeiden ,  weil  sich  nicht  selten  die  Entzündung  auf  ein  edles 
Organ  wirft.  Man  muss  sich  mit  der  Reinlichkeit  begnügen  und  entspre- 
chende innere  Mittel  in  Gebrauch  ziehen. 

Exstirpation ,  Ausschneiden,  Ausschälen,  Exstir- 
p  a  t  i  o  ,  ist  die  zur  Beseitigung  von  Pseudoplasmen  mittels  des  Messers 
unternommene  Operation.  Die  Operation  differirt  nach  der  Grösse,  Gestalt 
und  Lage  der  Geschwulst,  immer  aber  muss  man  suchen,  von  der  die  Ge- 
schwulst bedeckenden  Haut  so  viel  zu  erhalten,  dass  die  Wunde  sich  nach 
der  Exstirpation  vollkommen  und  genau  schliessen  lässt.  —  Ist  die  Haut 
über  einer  Geschwulst  gesund  und  beweglich,  liegt  diese  oberflächlich  und 
hat  sie  nicht  über  1  —  l1/^  Zoll  im  Durchmesser,  so  führt  man  einen  ein- 
fachen, geraden  Schnitt  mit  oder  ohne  Faltenbildung  durch  die  Haut,  der 
die  Geschwulst  auf  beiden  Seiten  */4 — */2  Zoll  überragt.  Bei  grösseren 
Geschwülsten  macht  man ,  um  mehr  Raum  zur  Ausschälung  zu  gewinnen, 
zwei  Schnitte,  welche  sich  auf  dem  Gipfel  jener  unter  einem  Rechtwinkel 
kreuzen  und  sie  ebenfalls  überragen.  Ist  die  Geschwulst  noch  grösser, 
oder  ist  die  Haut  auf  derselben  unbeweglich,  exulcerirt  oder  sonst  krank, 
so  macht  man  zwei  bogenförmige  Schnitte ,    welche  über  die  Seiten  der 


EXSTIRPATION.  269 

Geschwulst  laufen  und  eine  Ellipse  bildend  an  ihren  Enden  in  einander 
fallen.  Ist  die  Haut  krank ,  so  müssen  diese  Bogenschnitte  alles  Krank- 
hafte einschliessen  ;  werden  sie  wegen  der  Grösse  der  Geschwulst  gemacht, 
so  muss  man  sie  so  führen,  dass  die  an  den  Seiten  stehenbleibende  Haut 
nach  der  Exstirpation  der  Geschwulst  gerade  die  Wunde  deckt.  Unter  Um- 
ständen kann  auch  ein  T  oder  Vf  örmiger  Schnitt  nöthig  werden.  Auf  welche 
Weise  man  auch  die  Haut  durchschneidet,  immer  müssen  die  Schnitte  die 
Grenze  der  Geschwulst  überschreiten,  damit  die  Ablösung  der  Haut  von 
der  Geschwulst  leicht  und  vollkommen  erfolgen  kann.  Behufs  der  Ausfüh- 
rung dieser  Operation  zieht  man  die  Hautränder  auseinander  oder  fasst 
einen  Wundrand  nach  dem  andern  mit  der  Pincette  und  sobald  es  angeht 
mit  den  Fingern  und  trennt  die  Haut  mit  dem  Messer  in  grossen  Zügen 
von  der  Geschwulst  bis  zu  deren  Basis  los,  wobei  man  sich,  wenn  die  Ge- 
schwulst mit  Flüssigkeit  gefüllt  ist ,  vor  der  Verlezung  des  Balges  zu 
hüten  hat.  Ist  dieser  sehr  dünn  und  das  Zellgewebe  zwischen  ihm  und 
der  Haut  sehr  locker,  so  kann  man  sich  zur  Trennung  des  Scalpellstieles 
oder  Fingers  bedienen ,  doch  verdient  die  Klinge  den  Vorzug ,  deren 
Schneide  man  aber  mehr  der  Haut  als  dem  Balge  zuwenden  muss.  Hat 
man  zwei  Bogenschnitte  gemacht,  so  bleibt  der  von  ihnen  eingeschlossene 
Hauttheil  unberührt  auf  der  Geschwulst.  Ist  diese  bis  zu  ihrer  Basis  hin 
blossgelegt ,  so  lässt  man  die  Haut  zu  beiden  Seiten  nötigenfalls  mit 
stumpfen  Haken  zurückhalten ,  zieht  die  Geschwulst  mit  einem  spizen 
Haken  oder  der  linken  Hand  gegen  sich  und  trennt  sie  von  den  unter- 
liegenden Theilen  vollends  ab.  Man  schneidet  hierbei  womöglich  von 
unten  nach  oben,  damit  das  abfliessende  Blut  nicht  die  Schnittfläche  decke ; 
erstreckt  sich  aber  die  Geschwulst  in  die  Tiefe  zwischen  Muskeln  und  an- 
dere Theile,  so  trennt  man  dort  zuerst,  wo  es  am  leichtesten  ist,  um  Raum 
zu  gewinnen.  Stellen,  an  denen  grössere  Gef  ässe  in  die  Geschwulst  gehen, 
trennt  man  so  spät  als  möglich.  Während  der  Ausschälung  lässt  man  mit 
einem  Schwämme  fortwährend  kaltes  Wasser  auf  die  Schnittfläche  auf- 
träufeln ,  damit  man  sieht ,  was  man  zerschneidet ;  dadurch  wird  zugleich 
die  Blutung  aus  kleinen  Gef  ässen  gehemmt.  Sprizen  Arterien  ,  so  lässt 
man  die  blutenden  Stellen  mit  dem  Finger  comprimiren  oder  man  unter- 
bindet ,  bevor  man  weiter  operirt.  Ist  durch  die  Grösse  einer  Balgge- 
schwulst der  Raum  für  die  Lostrennung  ihrer  Basis  sehr  behindert ,  so 
kann  man  nötigenfalls  den  Balg,  wenn  er  bis  an  jene  schon  ausgelöst  ist, 
eröffnen  und  entleeren.  —  Nach  geschehener  Exstirpation  untersucht  man 
nochmals  mit  Auge  und  Finger  die  ganze  Wundfläche,  ob  nichts  Krankes 
z  urückgeblieben  ist,  was  man  mit  der  Pincette  fassen  und  mit  Messer  oder 
Scheere  exstirpiren  muss.  —  Die  Wunde  heilt  man  wo  möglich  durch 
schnelle  Vereinigung,  legt  deshalb  die  Wundränder  an  einander,  vereinigt 
sie  mit  Heftpflastern  oder  mittels  der  ^blutigen  Naht ,  legt  darüber  eine 
Compresse ,  welche  man  mit  einer  Binde  festhält.    Konnte  ein  Theil  eines 


270 


EXSUDATION. 


Balges  nicht  entfernt  werden ,  so  muss  Eiterung  eingeleitet  werden  (siehe. 
Cysten,  Fettgeschwülste). 

ExSUdatlOIl,  Ausschwizung.  Man  versteht  hierunter  das 
Austreten  von  Blutbestandtheilen  durch  die  Haargefässwände.  Dieses 
Austreten  kann  zu  Stande  kommen ,  wenn  das  durch  die  Capillaren  strö- 
mende Blut  eine  Abänderung  seiner  Bestandtheile  erlitten  hat ,  wie  dies 
bei  den  Dyskrasien  statt  hat ,  und  wenn  die  Haargefässwände  durch  ver- 
mehrten Druck  der  Blutsäule  und  Verdünnung  oder  Erschlaffung  für  die- 
sen oder  jenen  Bestandtheil  des  normalen  oder  kranken  Blutes  mehr  oder 
weniger  permeabel  geworden  sind ,  auch  sich  die  Attraction  der  innerhalb 
und  ausserhalb  der  Capillaren  befindlichen  Flüssigkeiten  auf  einander 
geändert  hat.  Es  kann  sonach  ein  Exsudat  eben  sowohl  eine  allgemeine, 
auf  den  Blutzustand  sich  beziehende,  als  eine  rein  locale  Bedeutung  haben. 
Im  ersten  Falle  findet  die  Ausscheidung  das  eine  Mal ,  wie  die  des  Bla- 
stems, unmerklich  statt  (z.  B.  bei  Krebs,  Tuberkeln),  das  andere  Mal,  wie 
dies  auch  bei  der  rein  örtlichen  Exsudation  der  Fall  ist,  unter  mehr  oder 
minder  auffälligen  pathologischen  Erscheinungen.  Das  leztere  zeigt  sich 
am  deutlichsten  bei  der  entzündlichen  Exsudation,  welche  übrigens  ebenso 
gut  rein  örtlich  sein,  als  aus  rein  dyskrasischen  Producten  bestehen  kann. 
Nicht  unmöglich  ist  es ,  dass  bisweilen  pathologische  Ablagerungen ,  die 
man  einer  veränderten  Secretion  zuschreilbt,  durch  gehemmte  Resorption, 
gestörte  Lymphgefässthätigkeit,  zu  Stande  gekommen  sind. Jedes  Ex- 
sudat tritt  bei  seiner  Bildung  in  flüssiger  Form  auf  und  besteht  aus  den- 
selben Materien ,  welche  das  Blut  zusammensezen.  Je  nachdem  nun  die 
eine  oder  die  andere  derselben  vorwiegend  ist ,  denn  in  jedem  Exsudate 
finden  sich  so  ziemlich  alle  Blutbestandtheile  vor,  erhalten  die  Exsudate 
verschiedene  Namen  ,  nämlich  1)  das  f  as  e  r  s  t  o  f  f  i  g  e  (  f  ibr  in  ö  s  e  ) 
Exsudat  zeichnet  sich  durch  seine  freiwillige  Coagulation  aus  und  be- 
steht hauptsächlich  aus  Fibrin ,  dem  in  verschiedenem  Verhältniss  (doch 
nie  in  grosser  Menge)  gelbliches  Serum  beigemischt  ist.  Nach  der  ver- 
schiedenen Zusammensezung  unterscheidet  man  mehrere  Arten  von  Faser- 
stoffexsudaten ;  a)  das  einfache  oder  plas  t  is  ch-  f  a  s  er  s  t  o  f  f  ige 
Exsudat;  dieses  hat  eine  graue,  grauröthliche  oder  gelbliche  Färbung, 
bildet  membranöse  Ausbreitungen,  Pfropfe,  oder  es  schwimmt  in  Flocken, 
die  sich  aus  dem  flüssigen  Theile  ausscheiden ;  es  ist  sehr  klebend,  durch- 
scheinend ,  mit  vielen  Kernen  und  kernhaltigen  Zellen.  Dieses  Exsudat 
kommt  besonders  bei  Wunden  vor ,  welche  per  primam  intentio- 
n  e  m  heilen  ;  ferner  bei  Entzündungen  seröser  und  zellstoffiger  Gewebe, 
der  innern  Gefässhaut,  der  Knochen;  seine  Umwandlung  besteht  in  Ver- 
schrumpfung  und  Organisirung  ;  b)  das  croupöse  Exsudat  (eiterig 
zerfliessender  Faserstoff)  ist  gelb  oder  grünlich  gelb  ,  sehr  gerinnfähig, 
weniger  klebend,  mit  ansehnlichem  Fettgehalte,  bildet  Flocken  und  Mem- 
branen ,   ist   aber  keiner  weiteren  Organisation  fähig.      Es  zerfliesst  sehr 


EXSUDATION.  271 

bald  zu  eiteriger  Flüssigkeit  und  hat  dann  häufig  eine  corrodirende ,  die 
Gewebe  schmelzende  Eigenschaft.  Dieses  Exsudat  wird  gewöhnlich  in 
sehr  grosser,  erschöpfender  Menge  abgesezt;  es  liegt  ihm  eine  qualitative 
Erkrankung  des  Faserstoffes  zum  Grunde.  Es  kommt  bei  Schleimhaut- 
entzündungen ,  besonders  in  den  Luftwegen  und  im  Darmkanale  vor. 
c)  Das  tu  bereu  löse  Exsudat;  es  bildet,  wenn  es  rein  ist,  eine  graue 
oder  gelbliche  Masse  ;  gewöhnlich  ist  es  aber  mit  Salzen  vermischt  und 
stellt  dann  eine  feste  gelbe  Masse  dar.  —  2)  Das  eiweissstoffige 
(albuminöse)  Exsudat.  Es  enthält  viel  Eiweiss ,  aber  auch  noch 
Faserstoff  und  manchmal  viel  Serum  ,  Blutfarbestoff"  und  Fett ;  man  be- 
zeichnet es  darnach  als  rein  albuininöses,  faserstoff-  oder  se- 
rös-alb  um  inö  s  es.  Es  ist  flüssig,  klebrig,  bisweilen  fast  ölartig,  ent- 
weder farblos  und  durchsichtig,  oder  röthlich  gelb,  opak  und  milchweiss  ; 
meistens  gerinnt  das  Eiweiss  später,  wenn  sich  das  Serum  vermindert  hat. 
Dieses  Exsudat  macerirt  alle  Gewebe,  mit  denen  es  in  Berührung  kommt, 
verwandelt  sich  leicht  in  Eiter  und  verjaucht  schneller,  als  das  faserstof- 
fige Exsudat ;  bisweilen  organisirt  es  sich  auch.  Es  kann  sich  in  Krebs- 
masse umwandeln,  tuberculisiren,  eine  Fettumwandlung,  sowie  eine  Speck- 
entartung erleiden.  —  3)  Das  wässerige  (seröse)  Exsudat  ist  als 
rein  seröses  ( hydropisches  ,  den  Hydrops  serosus  constituirendes) 
dünnflüssig ,  wässrig ,  klar ,  farblos  oder  blassgelblich ,  und  nicht  als  Ent- 
zündungsproduet  anzusehen  ;  es  ist  daher  auch  nicht  organisationsfähig. 
Dagegen  kommt  seröses  Exsudat  mit  Eiweiss  oder  Faserstoff  in  Folge  von 
Entzündung  vor  und  bildet  den  Hydrops  fibrinosus.  Das  albu- 
minös-seröse  Exsudat  ist  klebrig,  einer  dünnen  Synovia  ähnlich  oder 
trübe  ;  in  faserstoffig-serösen  finden  sich  Fibringerinnungen  als  Flöekchen, 
weiche  salzar.tige  Klumpen  ;  diese  beiden  Arten  sind  organisationsfähig. 
Das  seröse  Exsudat  macerirt  die  Gewebe.  —  4)  Das  hämorrhagi- 
sche Exsudat.  Wenn  eines  der  vorgenannten  Exsudate  eine  grössere 
Menge  Blutfarbestoff  enthält,  so  stellt  es  das  hämorrhagische  Exsu- 
dat dar,  welches  also  ein  fibrös-,  albuminös-  oder  serös-hämorrhagisches 
und  darnach  mehr  oder  weniger  gerinnend  sein  kann.  Diese  Exsudate 
sind  immer  roth  und  kommen  hauptsächlich  auf  serösen  Häuten,  nament- 
lich bei  Leuten  vor ,  die  sehr  herunter  gekommen  sind  und  wo  das  Blut 
der  Zersezung  nahe  ist  (wie  beim  Scorbut  u.  dgl.).  —  In  Betreff  der  Ver- 
breitung und  Anordnung  der  Exsudate  finden  Verschiedenheiten  statt.  In 
parenchymatösen  Organen  sind  sie  durch  das  ganze  Gewebe  verbreitet ; 
die  Vertheilung  erfolgt  hinter  die  Fasern  und  Gefässe  und  scheidet  sich  da- 
durch in  Streifen  ab.  Bei  membranösen  Organen  ergiesst  sich  das  Exsu- 
dat auf  die  freie  Fläche  ;  ist  es  ein  faserstoffiges,  so  bildet  es  eine  Pseudo- 
membran ;  ist  es  nicht  gerinnbar,  so  bleibt  es  flüssig,  verharrt  in  geschlos- 
senen Säcken  und  wird ,  wenn  es  möglich  ist ,  nach  aussen  entleert.  Auf 
die  Beschaffenheit  des  Exsudates  ist  die  Menge  und  Beschaffenheit  des 
Körper-  und  Organenblutes,  die  Beschaffenheit  der  Haargef ässwandungen, 


272  EXTRAVASAT. 

der  Siz  der  Entzündung  (mehr  im  arteriellen  oder  venösen  Theile  des 
Haargefässnezes)  und  die  Ursache  derselben  von  Einfluss.  —  Jedes  der 
oben  genannten  Exsudate  geht,  wenn  es  nicht  bald  aus  dem  Körper  aus- 
gestossen  oder  resorbirt  wird ,  Umwandlungen  ein ,  welche  theils  von  zu- 
fälligen (mechanischen  ,  chemischen  oder  organischen)  Momenten  ,  theils 
von  einer  eigentümlichen ,  ihnen  von  vorn  herein  innewohnenden  Quali- 
tät abhängig  zu  sein  scheinen.  Wenn  sich  in  einem  Exsudate  die  Bedin- 
gungen der  Zellen-  und  Faserbildung  (Proteinverbindungen,  Fett,  Säuren) 
befinden,  dann  entstehen  in  demselben  nach  den  Gesezen  der  Zellentheo- 
rie, Elementarkörperchen ,  Zellenkerne,  Zellen  und  Fasern,  welche  unter 
günstigen  Verhältnissen  den  physiologischen  gleichen ,  und  sich  zu  nor- 
malen Geweben  fortbilden  können  ;  im  entgegengesezten  Falle  wird  durch 
abnorm  gestaltete,  mikroskopische  Körperchen  (z.  B.  Exsudatkörperchen, 
Entzündungskugeln,  Körnchenzellen,  Eiterkörperchen ,  Exsudatzellen)  ein 
pathologisches  Gewebe  erzeugt.  —  Folgen  der  Exsudation.  Zu- 
nächst wird  in  dem  entzündeten  Organe  die  Function  gestört;  das  Organ 
kann  anfangs  durch  die  grössere  Blutmenge  und  das  Exsudat  eine  ächte 
oder  unächte  Hypertrophie  erleiden ,  später  aber  durch  Schrumpfung  des 
Exsudats  etc.  an  Volumen  abnehmen.  In  hohlen  Organen  kann  Verenge- 
rung und  Erweiterung ,  in  Röhren  Verstopfung  und  Verschliessung  zu 
Stande  kommen.  In  der  Nachbarschaft  des  Exsudats  tritt  Blutarmuth  ein  ; 
auch  wird  sie  nach  der  verschiedenen  Natur  desselben  imbibirt,  macerirt, 
arrodirt  und  corrodirt,  verjaucht  oder  in  Schmelzung  versezt ,  oder  nahe 
Organe  erleiden  Verschiebungen.  Endlich  erleidet  das  Blut  mannigfache 
Veränderungen,  und  wenn  Exsudate ,  zumal  wenn  sie  durch  Metamorpho- 
sen den  Blutbestandtheilen  differenter  geworden  sind ,  in  das  Blut  wieder 
aufgenommen  und  mit  demselben  fortgeführt  werden,  so  erzeugen  sie  eine 
Art  Gährung  in  demselben  ,  welche  in  höherem  Grade  zur  raschen  Zer- 
sezung  desselben  wird  (s.  Pyämie). 

Extravasat ,  Erguss,  Extravasaten,  bedeutet  im  Allge- 
meinen den  Austritt  von  Flüssigkeiten  oder  halbflüssigen  Stoffen  (Blut, 
Lymphe  ,  Synovia  ,  Chylus  ,  Galle  ,  Fäcalmaterie ,  Harn)  aus  ihren  natür- 
lichen Behältern  in  andere  Höhlen  (Extravasat,  Erguss),  oder  in 
das  freie  Zellgewebe  und  in  die  Substanz  anderer  Organe,  z.B.  des  Hirns, 
der  Lunge  (I  n  f  i  1 1  r  a  t  i  o).  Unter  Extravasat  schlechthin  versteht  man 
gewöhnlich  blos  den  Austritt  von  Blut  und  sezt  bei  dem  der  andern  Flüs- 
sigkeiten deren  Namen  bei,  z.  B.  Harnextravasat.  Am  häufigsten  erfolgt 
der  Erguss  in  Folge  traumatischer  Einwirkungen  (Quetschungen ,  Risse, 
Wunden),  doch  auch  manchmal  durch  Ausdehnung,  Eiterung,  Brand.  — 
S.  auch  den  Art.  Ecchymoma. 


FASERGESCHWULST.  273 


F. 


FasergeSChwulst,  Tumor  fibrosus  (auch  F  le  i  s  ch  g  e  - 
schwulst,  Sarkoni  genannt) ,  ist  eine  Neubildung,  welche  der  Haupt- 
masse nach  aus  Fasergewebe  besteht.  Die  Fasern ,  welche  diese  Ge- 
schwülste zusammensezen ,  sind  meist  Bindegewebsfasern ,  seltener  glatte 
oder  einfache  Muskelfasern  und  zuweilen  auch  elastische  Fasern.  Je  nach 
dieser  Zusammensezung  unterscheidet  man Bindegewebsgeschwül- 
ste  und  Muskelfa sergeschwülste.  —  Die  Consistenz  der  Faser- 
geschwülste ist  eine  sehr  verschiedene ;  sie  sind  bald  weich ,  elastisch  und 
dann  meist  auch  blutreich  ;  hierher  gehören  die  weichen  Polypen  ;  bald 
sind  sie  fest,  derb,  wenig  elastisch,  gleichen  auf  Durchschnitten  dem  fibrö- 
sen, sehnigen  Gewebe  ;  solcher  Art  sind  die  festen,  fibrösen  Polypen ;  man 
bezeichnet  diese  Gebilde  näher  als  fibröse  Gebilde  (Fibroide, 
Desmoide).  Eine  mittlere  Consistenz  bilden  die  Muskelfa  serge- 
schwülste (Myoide).  Verneuil  schlägt  für  alle  Geschwülste, 
welche  hauptsächlich  aus  Bindegewebe  bestehen ,  als  Allgemeinbezeich- 
nung den  Namen  Fibrom  vor.  —  Der  Verlauf  der  Fasern ,  welche  die 
Fasergeschwulst  bilden  ,  ist  ein  sehr  mannichfaltiger :  bald  laufen  sie  pa- 
rallel ,  bald  stellen  sie  verschiedenartige  Neze  dar ,  bald  sind  sie  unregel- 
mässig unter  einander  gemischt ;  in  die  Zwischenräume  der  Fasern  sind 
zellige  Elemente  eingestreut.  —  Eine  Modifikation  der  Fasergeschwülste 
bildet  die  Balgfasergeschwulst,  Cystosarcoma.  Es  ist  dies 
eine  Geschwulst ,  welche  aus  einer  faserigen  Masse  besteht ,  in  welcher 
Bälge  enthalten  sind.  J.  Müller  unterscheidet  drei  Formen:  1)  Cy- 
stosarcoma simplex,  bei  welcher  die  Cysten  ihre  besondere  Haut 
haben  und  im  Innern  glatt  sind.  Diese  Form  kommt  am  häufigsten  vor 
und  ist  zuweilen  angeboren.  2)  Cystosarcoma  proliferum;  die 
Cysten  enthalten  in  ihrem  Innern  jüngere  gestielte  Cysten.  3)  Cysto- 
sarcomaphyllodes;  die  Geschwulst  bildet  eine  feste  unebene  Masse 
von  der  Consistenz  des  Faserknorpels,  enthält  in  ihrem  Innern  Höhlen  und 
Spalten ,  welche  nur  wenig  Flüssigkeit  enthalten ,  keine  deutliche  eigene 
Haut  besizen ,  sondern  grösstentheils  mit  warzenähnlichen ,  oder  Blätter- 
und  blumenkohlartigen  Gewächsen  angefüllt  sind.  Eine  weitere  Moclifi- 
cation  der  Sarcome  ist  eine  schwarze  Färbung  —  melanotische  Fa- 
sergeschwulst (Sarcoma  melanodes).  Am  häufigsten  findet  man 
solche  Pigmentablagerungen  in  lockern  Bindegewebsgeschwülsten.  —  Die 
Fasergeschwülste  kommen  besonders  unter  zwei  Hauptformen  vor ,  einer 
rundlichen  und  einer  länglich  gestielten.  Die  erste  Form  haben  meistens 
die  festen ,  überall  gleichmässig  eingeschlossenen  Fasergeschwülste ,  wäh- 
rend die  zweite  denjenigen  zukommt ,  die  sich  auf  freien  Flächen  ent- 
Burger,  Chirurgie.  -[g 


274  FAEULNISSWIDRIGE  MITTEL. 

wickeln.  Die  Balgfasergeschwülste  haben  gewöhnlich  eine  rundliche, 
höckerige  Gestalt  und  zeigen  Fluctuation.  —  Die  Sarcome  kommen  an 
den  verschiedensten  Körperstellen  vor  und  zeigen  meistens  eine  dem  um- 
gebenden Gewebe  analoge  Bildung ;  so  findet  man  die  lockern  Bindege- 
websgeschwülste  am  häufigsten  auf  Schleimhäuten  (als  Polypen)  ,  auf  der 
äussern  Haut  (als  Condylome. ,  Warzen) ,  am  Zahnfleisch  (als  Epulis) ,  die 
Myoide  in  der  Gebärmuttersubstanz  etc. ,  die  Fibroide  mit  fibrösen  Häu- 
ten ,  der  Beinhaut ,  den  Bändern  zusammenhängend.  Die  Balgfaserge- 
schwülste sind  am  häufigsten  an  den  Ovarien  oder  in  ihrer  Nähe ,  an  den 
Hoden  und  in  der  weiblichen  Brust  anzutreffen.  Auch  in  und  an  den 
Knochen  kommen  die  Sarkome  vor  und  heissen  dann  Osteosarkome. 
Haben  sie  ihren  Siz  innerhalb  des  Knochens,  so  treiben  sie  in  ihrer  weite- 
ren Entwickelung  den  umgebenden  Knochen  blasig  auf.  Am  häufigsten 
findet  man  die  Osteosarkome  im  Unterkiefer ,«  in  der  Highmorshöhle ,  an 
den  Becken-  und  Schädelknochen  und  in  der  Nähe  der  Gelenkenden  grös- 
serer Röhrenknochen.  —  Die  Sarkome  bilden  sich  aus  Blastem  heraus, 
welches  durch  Erguss  aus  zerrissenen  Gefässen  oder  durch  Ausschwizung 
aus  hyperämischen  und  entzündeten  Gefässen  geliefert  wird.  Daher  sieht 
man  diese  Geschwülste  in  Folge  mechanischer  Verlezungen  oder  bestehen- 
der Dyskrasien  ,  vorzüglich  der  Scropheln  und  Syphilis  entstehen.  —  Die 
Geschwülste  wachsen  bald  rasch,  bald  langsam,  je  nachdem  sie  locker  und 
gefässreich,  oder  fest  und  blutarm,  frei  gelegen  oder  eingeschlossen  sind. 
Sie  können  eine  bedeutende  Grösse  erreichen ,  die  benachbarten  Theile 
verdrängen  und  dadurch  bedeutende  Beschwerden  erregen.  Die  Osteosar- 
kome durchbrechen  manchmal  die  Knochen.  —  Die  Sarkome  sind  völlig 
unschmerzhaft,  durch  äussere  Reizung  können  sie  aber  in  Entzündung  und 
Verschwärung  versezt  werden.  Die  Fibroide  sind  ausserdem  einer  Ver- 
knöcherung und  krebsigen  Entartung  fähig.  —  Behandlung.  Im  An- 
fange kann  man  versuchen  ,  das  Wachsthum  dieser  Aftergebilde  durch 
wiederholtes  Ansezen  von  Blutegeln ,  durch  fortgesezte  kalte  Umschläge, 
Ableitungsmittel ,  durch  die  innerliche  und  äusserliche  Anwendung  des 
Jod  etc.  zu  hindern.  Gelingt  dies  nicht,  so  müssen  sie  entfernt  werden, 
was  man  je  nach  ihrer  Beschaffenheit  durch  Ausschneiden,  Ausreissen,  Ab- 
binden ,  Aezen  oder  Brennen ,  oder  durch  Einziehen  eines  Haarseiles  be- 
werkstelligt. Osteosarkome  können  dieResection,  Exarticulation  oder  die 
Amputation  nöthig  machen. 

FäullÜSSWidrige  Mittel,  Antiseptica,  Antiputredi- 
n  o  s  a.  Man  versteht  hierunter  Mittel ,  welche  entweder  dem  Zersezungs- 
process  organischer  Substanzen  entgegenwirken  ,  oder  die  nachtheiligen 
Einwirkungen  eines  todten,  inFäulniss  übergegangen,  noch  am  Leben  haf- 
tenden Theiles  vermindern.  Zu  den  Mitteln ,  die  der  Fäulniss  Einhalt 
thun  und  die  Lebenskraft  im  leidenden  Theile  und  in  dessen  Peripherie 
erwecken,  rechnen  wir  folgende  :  rein  scharfe  Mittel,  wie  Senfmehl,  spani- 


FAEULNISSWIDRIGE  MITTEL.  275 

scher  Pfeffer ,  Knoblauch  ,  Meerrettig  ,  der  gemeine  Rettig  (bei  geringer 
Entzündung);  das  Löffelkraut,  Brunnenkresse,  Gartenkresse  etc.  (bei  scor- 
butischen  Geschwüren  u.  dgl.)  ;  die  Folia  sennae,  sabinae,  Flor, 
arnicae,  Euphorbium  (bei  Caries  ,  Necrose).  Zu  den  Mitteln,  welche 
den  nachtheiligen  Einfluss  auf  den  Organismus  hemmen,  gehören  alle  Sub- 
stanzen ,  welche  Flüssigkeiten ,  also  auch  die  faule  Jauche  begierig  ein- 
saugen, mithin  alle  Pulver  poröser  Körper,  der  Badeschwamm  etc.,  haupt- 
sächlich aber  solche ,  welche  zugleich  die  weitere  Zersezung  des  Todten 
aufhalten ,  und  diese  Eigenschaft  hat  hauptsächlich  die  Kohle.  Man 
wendet  sie  als  Einstreupulver  allein  oder  in  Verbindung  mit  Kampher, 
Kalmuswurzel ,  Harzen  auf  Jauche  absondernde  Flächen ,  oder  als  Zusaz 
zu  Breiumschlägen  bei  Brand,  oder  endlich  unter  Salben  gemengt  als  Ver- 
bandmittel bei  brandigen  etc.  Geschwüren  an.  Endlich  gibt  es  fäulniss- 
widrige Mittel,  welche  die  Eigenschaften  der  beiden  vorgenannten  Abthei- 
lungen von  Mitteln  in  sieh  vereinigen.  Dahin  gehören:  1)  die  rein  ad- 
stringiren  d  en  Mittel,  wie  namentlich  Galläpfel,  die  Eichenrinde,  Wei- 
denrinde ,  Tormentill- ,  Ratanhiawurzel ,  die  Wallnussschalen,  welche  man 
entweder  in  Abkochung  für  sich  allein  oder  in  Verbindung  mit  aromati- 
schen und  Spirituosen  Mitteln  zu  Umschlägen  und  Verbandwasser ,  oder 
das  Pulver  für  sich  allein  oder  in  Verbindung  mit  Kohle ,  Kampher ,  har 
zigen  und  aromatischen  Substanzen  zum  Einstreuen  anwendet.  Ferner 
gehört  hierher  der  Alaun.  2 )  Die  adstringirenden  bittern  und 
gewürzhaften  oder  tonischen  Mittel ,  wie  die  Chinaarten ,  die 
Radix  cascarillae,  Herba  scordii,  rutae,  salviae,  roris- 
marini,  absynthii,  "marubii,  Flores  tanaceti,  chamomil- 
lae,  Radix  calami  aromatici,  rubiae  tinctorum,  rhei, 
welche  man  entweder  in  der  Abkochung  zu  Umschlägen ,  Verband wasser 
und  Einsprizungen  oder  als  trockenes  Pulver  zum  Einstreuen  und  in  Sal- 
benform für  sich  allein  oder  in  Verbindung  mit  andern  antiseptischen  Mit- 
teln, wie  Kampher,  Myrrhe,  Kohle,  Alaun  etc.  anwendet.  3)  Die  aroma- 
tischen, nicht  adstringirenden  Pflanzen,  wie  die  Herba 
menthae,  melissae,  mari,  thymi,  serpylli,  majoranae, 
Radix  dauci,  valerianae,  imperatoriae  albae,  iridis  flo- 
r e n t i n a e.  4)  Die  ätherischen  Oele,  namentlich  das  Oleum  c  a  - 
ryophyllorum,  cajeputi,  anthos,  menthae  piperitae, 
rutae,  calami  aromatici  (besonders  bei Beinfrass)  ;  auch  der  Kam- 
pher und  seine  Präparate  werden  häufig  gebraucht.  5)  Das  Kreosot, 
bei  brandigen,  unreinen  und  Krebsgeschwüren,  Caries  etc.  6)  Die  wein- 
geistigen Mittel,  besonders  die  edlen  rothen Weine.  7)  Schleim- 
harze, Harze  und  Balsame  ,  wie  die  Asa  foet  ida,  Myrrhe,  Aloe, 
Storax,  Mastix,  Perubalsam,  Theer,  Copaivabalsam  etc.  8)  Die  Säuren, 
wie  die  Salpeter- ,  Salz- ,  Schwefel-  und  Phosphorsäure ,  die  Kohlensäure, 
welche  man  in  der  Form  von  gährenden  Umschlägen ,  aus  Bierhefe  etc., 
in  Anwendung  bringt),  der  Holzessig,  Citronensaft  etc.     9)  Das.  Chlor 

18* 


276  FETTGESCHWULST. 

und  seine  Verbindungen  mit  Salzbasen,  wie  Chlorkalk ,  Chlor- 
wasser etc.  Endlich  10)  Neutralsalze,  wie  der  Salmiak,  Salpeter,  Koch- 
salz, Borax  etc. 

FettgeSChWIllst,  Lipoma  (von  linoc ,  das  Fett)  nennt  man 
eine  Neubildung ,  deren  Hauptbestandteil  in  Fettgewebe  besteht.  Diese 
häufig  vorkommenden  Geschwülste  bieten  mancherlei  Verschiedenheiten 
dar,  welche  man  als  Eintheilungsmomente  benüzt  hat.  Diese  Verschieden- 
heiten ergeben  sich  einerseits  aus  der  chemischen  Zusammensezung  der 
in  der  Geschwulst  befindlichen  Fettart,  andererseits  daraus,  ob  die  Fett- 
geschwulst hauptsächlich  nur  aus  Fettgewebe ,  oder  noch  aus  andern  Ge- 
weben und  Gebilden  zusammengesezt  ist. 

1)  Die  einfacheFettgeschwulst,  Lipoma  simplex,  be- 
steht in  einer  Fettanhäufung  im  Unterhautzellgewebe  und  erscheint  bald 
unter  der  Form  einer  mehr  oder  weniger  abgegrenzten  Geschwulst  (Li- 
poma circumscriptum),  bald  verliert  sich  jene  unmerklich  in  das 
umgebende  Fettgewebe  (Lip.  diffusum).  Das  Fett  der  Lipome  ist 
dem  normalen  Fette  ganz  ähnlich.  —  Die  Lipome  sind  unschmerzhaft, 
fühlen  sich  elastisch  an  ,  sind  verschiebbar  und  die  sie  bedeckende  Haut 
ist  unverändet.  Man  findet  sie  öfter  in  Mehrzahl,  zuweilen  selbst  in  gros- 
ser Menge  bei  demselben  Kranken;  sie  erreichen  nicht  selten  einen  gros- 
sen Umfang.  —  Man  unterscheidet  bei  der  Zergliederung  leicht  das  Binde- 
gewebe ,  welches  die  Geschwulst,  rings  umhüllt ,  nach  innen  eine  Menge 
in  verschiedenen  Richtungen  sich  kreuzender  Verlängerungen  schickt  und 
ziemlich  lockere  ,  mehr  oder  weniger  grosse ,  unvollständig  geschlossene 
Maschenräume  bildet,  die  das  Fett  in  sich  schliessen.  Stärkere  Durch- 
züge theilen  die  Geschwulst  manchmal  in  mehrere  Lappen ,  so  dass  die- 
selbe aus  einem  Conglomerat  mehrerer  Fettanhäufungen  zu  bestehen 
scheint.  Andere  Male  ist  auch  eine  stärkere  Gesammtumhüllung  vorhan- 
den, das  Fettgewebe  daher  wie  in  einen  Balg  eingeschlossen  und  von  den 
Umgebungen  abgegrenzt  (B  al  g  -  F  et t  g  e  s  chwul  s  t).  Die  Hülle  der 
Fettzellen  ist  meistens  zart,  andere  Male  ist  sie  dick  und  zeigt  dann  einen 
Zellenkern ,  bisweilen  findet  sich  in  den  Zellen  Margarin  und  Margarin- 
säure (sternförmige ,  strahlige  Krystallisationen).  Die  Zellenmembran 
scheint  aus  einer  Proteinverbindung  zu  bestehen  ,  der  Inhalt  aus  den  ge- 
wöhnlichan  Fettbestandtheilen :  Margarin,  Elain  und  Stearin  in  wechseln- 
den Verhältnissen.  —  Die  Lipome  wachsen  gewöhnlich  langsam,  bleiben 
auch  manchmal  im  Wachsthum  stehen  ;  haben  sie  aber  einmal  eine  ge- 
wisse Grösse  erreicht,  so  wachsen  sie  oft  schnell  und  erreichen  dann  einen 
bedeutenden  Umfang.  Das  Gewicht  ist ,  mit  dem  Volumen  verglichen, 
gering ,  doch  zerren  sie  manchmal  die  sie  bedeckende  Haut  so  hervor, 
dass  sie  nur  noch  an  einem  von  der  Haut  gebildeten  Stiele  sizen.  —  Die 
Fettgeschwülste  sind  meist  gutartig ;  durch  beständige  Reizung  können 
sie   sich   entzünden  und  in  Verschwärung  übergehen  ;     auch  kann  sich  im 


FETTGESCHWULST.  277 

Innern  ein  Abscess  entwickeln.  —  Die  Ursachen  der  Lipome  sind 
dunkel.  Meistens  beginnen  sie  ohne  äussere  Veranlassung,  zuweilen  in 
Folge  einer  Quetschung  oder  eines  Druckes.  Mit  Ausnahme  des  Hand- 
tellers und  der  Fusssohle  können  fast  alle  Theile  der  Siz  von  Lipomen 
werden ;  am  häufigsten  findet  man  sie  am  Halse ,  auf  den  Schultern  und 
am  Rumpfe.  Zuweilen  sind  sie  angeboren.  Mit  der  allgemeinen  Fett- 
sucht steht  die  partielle  Fettanhäufung  nicht  in  noth wendigem  Zusammen- 
hange, denn  diese  kommt  bei  magern  und  fetten  Personen  vor.  Wo  viele 
Lipome  zugleich  erscheinen ,  muss  eine  allgemeine  Ursache,  eine  eigen- 
thümliche  Blutentmischung  wirken.  —  Eine  eigenthümliche  Modifikation 
des  diffusen  Lipoms  ist  das  Fettmuttermal,  Naevus  maternus 
lipomatodes  nach  v.  W a  1 1 ,h e r  oder  Telangiektasia  lipoma- 
todes  nach  Chelius.  Es  ist  hier  das  Lipom  mit  einer  Masse  erwei- 
terter Capillargef ässe  durchzogen  ,  bildet  beuteiförmige  Hervorragungen, 
und  ist  zuweilen  stark  behaart.  S.  Gefässgeschwulst.  —  Be- 
handlung. Kleinere  Fettgeschwülste  kann  man  durch  Druck ,  magere 
Diät ,  Einreibungen  von  Jod-  und  Quecksilbersalbe ,  Ochsengalle ,  Nussöl 
und  Minderer 's  Geist,  durch  Auflegen  von  Empl.  mercuriale  oder 
Gummi  ammoniac.  cum  acet.  squill.  zu  zertheilen  suchen.  Mei- 
stens wird  aber  ihre  Entfernung  durch  das  Messer  nöthig.  Man  hat  bei 
der  Operation  darauf  zu  sehen ,  dass  von  der  lipomatösen  Masse  nichts 
zurückbleibt,  widrigenfalls  entweder  die  Wiederkehr  des  Uebels  oder  eine 
langwierige,  schlechte  Eiterung,  welche  den  Kranken  aufreiben  kann,  oder 
hartnäckige  Fisteln  zu  erwarten  sind.  Andererseits  kann  eine  starke  Blu- 
tung die  Operation  sehr  erschweren.  In  einzelnen  Fällen  entstehen  nach 
der  Exstirpation  neue  Lipome  an  andern  Körperstellen. 

2)  Die  Faserfettgeschwulst  (Speckgeschwulst,  Stea- 
toma,  Lipoma  mixtum  nach  J.  M üll er).  Bei  dieser  Form  des 
Lipoms  überwiegt  das  Bindegewebe  die  Menge  des  Fettgewebes,  so  dass 
breite ,  weissbläuliche ,  sehnenartige  Streifen  die  Geschwulst  durchziehen  ; 
dadurch  werden  die  Räume  für  das  Fett  enger,  die  Consistenz  der  ganzen 
Geschwulst  mithin  derber  ,  fester.  Das  Fett  selbst  hat  einen  grösseren 
Antheil  von  Stearin ,  wodurch  es  von  festerer  Consistenz  und  mehr  kör- 
niger Beschaffenheit  ist.  —  Die  Speckgeschwulst  hat  ihren  Siz  selten  im 
Unterhautzellgewebe  ,  sondern  mehr  in  der  Tiefe  unter  den  Fascien ,  in 
den  Zwischenräumen  der  Muskeln ,  in  der  Nähe  der  Knochen,  an  den  Ex- 
tremitäten ,  im  Becken ,  in  der  Highmorshöhle  etc.  und  hängt  fast  immer 
mit  einem  fibrösen  Gewebe  zusammen.  —  Die  Form  dieser  Geschwülste 
ist  im  Allgemeinen  rundlich ,  doch  fühlt  man  gewöhnlich  mehrere  zusam- 
menhängende kugelige  Massen  durch ,  die  an  den  vorspringenden  Punk- 
ten eine  grössere  Consistenz  zeigen ,  als  an  den  Vertiefungen.  Die 
Haut  über  der  Geschwulst  bleibt  lange  unverändert  und  verschiebbar,  und 
diese  selbst  ist  unschmerzhaft  und  selbst  gegen  stärkeren  Druck  unem- 
pfindlich. —  Das  Steatom   entwickelt  sich  bald  spontan  ,   bald  nach  vor- 


278  FETTGESCHWULST. 

ausgegangenen  mechanischen  Verlezungen  durch  stumpfe  Körper.  Eine 
besondere  Dyskrasie  lässt  sich  nicht  nachweisen ;  die  Scropheln  sollen 
dazu  disponiren.  Die  Steatome  wachsen  meist  langsam  ,  doch  erreichen 
sie  manchmal  eine  bedeutende  Grösse.  Sie  sind  anfangs  beweglich,  ver- 
wachsen aber  später  mit  ihren  Umgebungen.  Sie  können  Jahre  lang  un- 
verändert bleiben  und  nur  durch  ihre  Masse  beschweren  ;  andere  Male 
entzünden  sie  sich ,  eitern ,  schwären  oder  gehen  in  krebshafte  Degenera- 
tion über.  —  Entwickelt  sich  die  Speckgeschwulst  in  einem  Knochen,  so 
nennt  man  sie  Knochenspeckgeschwulst,  Osteosteatoma. 
Das  Osteosteatom  kann  entweder  von  der  Beinhaut  ausgehen  oder  sich  im 
Innnern  der  Knochen  entwickeln.  Im  erstem ,  häufigsten  Falle  kann  bei 
Röhrenknochen  das  Gewächs  den  ganzen  Knochen  umfassen.  Seine  Wur- 
zeln dringen  später  in  die  Knochenmasse  ein ,  welche  durch  Absorption 
schwindet ,  so  dass  es  scheint ,  als  sei  die  Afterbildung  aus  dem  Knochen 
gewuchert.  Liegt  das  Gewächs  in  einer  knöchernen  Höhle  ,  so  füllt  es 
diese  nach  und  nach  aus ,  erweicht  die  knöcherne  Schale ,  dehnt  sie  aus 
und  durchbricht  sie  endlich.  Im  lezteren  Falle  geht  die  Afterbildung  von 
der  Markhöhle  oder  einzelnen  Markzellen  aus  ,  die  umgebende  Knochen- 
masse wird  erweicht,  verdrängt,  der  Knochen  nach  und  nach  blasig  aufge- 
trieben und  an  einzelnen  Stellen  zerbrochen.  Die  blasige  Auftreibung 
des  Knochens ,  welche  sich  manchmal  findet ,  ist  Veranlassung  gewesen, 
die  Krankheit  mit  dem  Namen  Winddorn,  Spina  ventosa,  zu  be- 
legen. —  Die  grössere  oder  geringere  Festigkeit  der  Steatome  hängt  von 
dem  Vorwalten  des  Faser-  oder  Fettgewebes  ab.  Ist  das  Steatom  in  Er- 
weichung übergegangen ,  so  findet  man  in  demselben  bald  nur  an  einzel- 
nen,-bald  an  mehreren  Stellen,  je  nachdem  Entzündung  oder  bösartige 
Degeneration  Ursache  der  Erweichung  ist,  entweder  verschiedene  Entzün- 
dungsproducte,  theils  infiltrirt,  theils  in  Höhlen  gesammelt,  oder  es  zeigen 
sich  entzündungslose ,  mit  Krebsjauche  infiltrirte  Stellen  oder  Höhlen  mit 
verschieden  gefärbter,  dicklicher,  milchiger,  käsiger  oder  sülziger  Flüssig- 
keit ,  in  welcher  sich  viele  Fetttropfen ,  Elementarkörner,  körnige  Zellen- 
gebilde etc.  befinden.  —  Behandlung.  Sie  besteht  allein  in  der  Ex- 
stirpation  des  Afterproducts.  Hängt  dieses  mit  einem  Knochen  zusammen, 
so  muss  dieser  zugleich  entfernt  werden ;  an  Gliedmaassen  kann  die  Am- 
putation nöthig  werden. 

2)  Die  geschichtete  Fettgeschwulst,  Gallen fettge- 
schwulst,  Cholesteatoma,  ist  ein  Gebilde  ,  dessen  Hauptbestand- 
teil Fett  ist ,  und  das  bis  jezt  am  häufigsten  im  Gehirn  und  in  Knochen 
(Schädelknochen,  Unterkiefer)  beobachtet  wurde.  Die  Cholestearinmasse, 
welche  diese  Geschwülste  ausfüllt ,  ist  weich ,  leicht  durchscheinend ,  von 
der  Farbe  des  weissen  Wachses,  aber  perlmutterglänzend.  Ausser  Gallen- 
fett findet  sich  noch  Stearin  und  Eiweiss.  Die  Form  der  Geschwulst  ist 
im  Allgemeinen  rundlich  ,  doch  auch  oval ;  manchmal  zeigen  sich  kleine 
Hervorragungen   auf  der  Oberfläche  derselben.      Die  Cholestearinmassen 


FINGERKRAMPF.  279 

sind  entweder  von  einer  besonderen  dickeren  oder  dünneren  Membran 
umschlossen  (Cholesteatoma  cysticu  m),  oder  liegen  auf  der  Ober- 
fläche von  Geschwüren.  —  Das  Innere  der  Gallenfettgeschwulst  besteht 
aus  dünnblätterigen ,  meist  concentrisch  liegenden  Schichten ,  welche  für 
sich  wieder  aus  polyedrischen ,  den  Pflanzenzellen  analogen  Zellen  beste- 
hen ;  zwischen  den  Schichten  sind  krystallinische  Fette  abgelagert,  welche 
theils  tafel- ,  theils  blättchenf  örmig  erscheinen ;  die  ersteren  bestehen 
wahrscheinlich  aus  Cholestearin ,  die  lezteren  aus  Stearin.  —  Das  Chole- 
steatom ist  ein  gutartiges  Gebilde  und  wird  nur  durch  seinen  Siz  innerhalb 
der  Schädelhöhle  und  in  den  Knochen  gefährlich.  Ueber  die  Ursachen 
dieser  Neubildung  ist  nichts  bekannt.  Die  Behandlung  besteht  in  der 
Exstirpation,  wenn  dem  Gewächse  beizukommen  ist. 

Das  Lipoma  colloides  (Gluge)  entsteht  durch  Erweichung 
der  gewöhnlichen  Fettgeschwulst. 

Fingerkrampf,  Schreibekrampf,  Spasmus  s  cript  o- 
rius,  das  Zittern  der  Hände.  Dieser  Zustand  darf  nicht  mit  den 
convulsivischen  Bewegungen  verwechselt  werden  ;  es  ist  eine  Reihe  schwan- 
kender unvollständiger  Zuckungen,  unfreiwilliger,  häufig  wiederholter  oder 
unausgesezter  Bewegungen ,  und  ist  als  eine  Schwächung  der  Muskelcon- 
traction  anzusehen.  Er  tritt  ein,  sobald  die  Hand  die  Stellung  zum  Schrei- 
ben einnimmt  und  zwar  ziehen  sich  zuerst  die  Flexoren  des  Daumens  und 
Zeigefingers,  welche  die  Feder  anhaltend  und  fest  halten  müssen,  weniger 
die  drei  übrigen  Finger,  unwillkürlich  und  so  heftig  zusammen,  dass  diese 
Muskeln  schmerzhaft  werden ;  dann  geht  die  Zuckung  auf  das  Handge- 
lenk über,  wobei  die  Hand  mehr  oder  weniger  schnell  von  einer  Seite  zur 
andern  schwankt ,  so  dass  der  Kranke  fast  immer  seine  Arbeit  aufgeben 
muss.  Anfänglich  pflegt  der  Krampf  bald  vorüber  zu  gehen ,  wenn  man 
die  Feder  sogleich  niederlegt ,  kehrt  aber  nach  und  nach  leichter  wieder 
und  dauert  länger  an.  —  Die  meisten  Kranken  zeigen  die  nervöse  Con- 
stitution ,  sie  sind  sehr  reizbar.  —  Gelegenheitsursachen  sind  : 
moralische  Einflüsse  ,  heftige  Aufregung  ,  Schreck  ,  Kummer ,  Sorge ,  Un- 
glück ,  Nachtwachen  etc.  Die  Erfahrung  lehrt ,  dass  die  Krankheit  viel 
häufiger  geworden  ist ,  seitdem  die  Stahlfeder  so  häufig  an  die  Stelle  der 
Federpose  getreten  ist ;  die  erstere  ist  viel  härter  und  gibt  weniger  nach 
als  die  Federpose ,  es  gehört  daher  zum  Schreiben  mehr  Druck  auf  die 
Finger.  Meistens  werden  Männer  befallen.  —  Das  Leiden  ist  das  Zeichen 
der  Reizung,  die  auf  irgend  einen  Theil  des  Nervensystems  ausgeübt  wird, 
mit  grösserer  oder  geringerer  Betheiligung  der  Nervencentren.  —  Be- 
handlung. Sie  ist  allgemein  und  örtlich.  Landluft ,  freie  Wohnung, 
Beschäftigung  im  Garten  und  Feld ,  Reisen,  diätetisches  Verhalten,  leicht 
verdauliche  Kost ;  zuweilen  Antispasmodica ,  Bäder ,  kühlende  Getränke. 
Rückkehr  zur  Federpose.  Besserer  Erfolg  ist  von  den  orthopädischen 
Maschinen  zu  erwarten.    Cazenave  gibt  zwei  Vorrichtungen  an :   einen 


280  FINGERVERKRUEMMUNG. 

Contentivverband ,  der  aus  einem  Federhalter,  der  mit  zwei  Druckschrau- 
ben versehen  ist,  und  aus  zwei  Kautschukringen  besteht,  deren  jeder  eine 
Druckschraube  trägt ;  —  dieser  Apparat  schmiegt  sich  den  drei  ersten  Fin- 
gern an  und  vereinigt  sie  und  die  Feder  zu  einem  Stücke,  —  und  eine  neuere 
Vorrichtung ,  die  aus  einer  Platte  von  Mahagonyholz  besteht ,  an  deren 
unterer  Flache  in  den  vier  Ecken  Elfenbeinkiigelchen  spielen,  welche  Rä- 
derchen  vertreten.  Auf  der  Handfläche  dieser  Platte  erheben  sich  zwei 
Polster,  die  man  zusammendrücken  oder  entfernen  kann,  je  nach  der 
Breite  der  Hand.  Zwischen  beiden  Polstern  etwas  nach  vorn  findet  sich 
eine  Stüze ,  die  mittels  einer  Druckschraube  niedriger  oder  höher  ge- 
schraubt werden  kann.  Sie  dient  besonders  zur  Fixirung  und  Unterstü- 
zung  des  Daumens.  Bei  der  Anwendung  bringt  man  die  mit  der  Feder 
versehene  rechte  Hand  zwischen  beide  Polster,  fixirt  den  Daumen  auf  der 
Stüze  und  schreibt ,  wobei  die  Hand  ohne  Schwierigkeit  mit  Hülfe  der 
Elfenbeinkiigelchen  sich  bewegt. 

Filiger,  überzählige.  Diese  Deformität  kommt  unter  zwei 
Formen  vor.  Entweder  articulirt  der  überzählige  Finger  mit  dem  Mittel- 
handknochen des  Daumens,  des  Zeige-  oder  kleinen  Fingers  ,  gleicht  den 
übrigen  Fingern  an  Gestalt,  ist  aber  nicht  mit  den  gehörigen  Bewegungs- 
organen versehen  und  hindert  bei  -seinem  ferneren  Wachsthum  die  Be- 
wegungen des  nebenstehenden  Fingers.  Oder  es  ist  nicht  nur  ein  über- 
zähliger Finger,  sondern  auch  ein  überzähliges  Os  metacarpi  vorhan- 
den, der  Finger  hat  seine  vollkommene  Organisation  und  freie  Beweglich- 
keit. —  Bei  den  Zehen  können  dieselben  Verhältnisse  stattfinden.  —  In 
dem  ersten  Falle  ist  die  Hinwegnahme  des  überzähligen  Fingers  durch 
Exarticulation  aus  seiner  Verbindung  mit  dem  Mittelhandknochen  indi- 
cirt.  Im  zweiten  Falle  wird  man  keine  Veranlassung  haben,  den  Finger 
zu  entfernen,  da  er  bei  seiner  Beweglichkeit  nüzlich  sein  kann  ;  müsste  er 
aber  dennoch  der  Deformität  wegen  beseitigt  werden,  so  hätte  man  zu- 
gleich auch  das  Os  metacarpi  mit  hinwegzunehmen. 

Fingerverkrümmung,  Contractu radigitorum.  Schon 
in  dem  Vorwiegen  des  Flexionsapparates  der  Hand  über  deren  Extensions- 
apparat  liegt  eine  grosse  Disposition  zur  krankhaften  Beugung.  Alles, 
was  nun  diese  beiden  Factoren  beeinträchtigen  kann ,  wie  entzündliche 
Zustände ,  Narben  auf  der  Haut  etc.  ,  so  wie  Lähmung  der  Beuger  oder 
Strecker,  können  eine  permanente  Fingerverkrümmung  herbeiführen;  eine 
sehr  häufige  Veranlassung  zur  Contractur  der  Finger  gibt  eine  eigenthüm- 
liche  Krankheit ,  deren  Grund  Dupuytren  in  einem  Zurückziehen  der 
Palmaraponeurose,  G  o  y  r  a  n  d  und  V  e  1  p  e  a  u  in  der  Bildung  neuer  fibrö- 
ser Streifen  suchten ,  J  o  b  e  r  t  aber  in  der  neuesten  Zeit  in  einem  sub- 
inflammatorischen Zustande  des  Zellgewebes  ,  welches  sich  verhärtet  und 
retrahirt  und  sich  dann  an  die  fibrösen  Gewebe,  an  die  Palmaraponeurose. 


FINGERVERWACHSUNG.  281 

an  die  Haut  selbst  und  an  die  Knochen  festsezt,  gefunden  zu  haben  glaubt. 
Dieser  Zustand  findet  sich  besonders  bei  Leuten  ,  die  harte  Arbeiten  ver- 
richten müssen,  wobei  die  Palmarfläche  der  Hand  starken  Druck  ausüben 
muss,  z.  B.  bei  Hufschmieden,  Maurern  u.  dgl.  Die  Krankheit  beginnt  ge- 
wöhnlich am  kleinen  Finger,  ergreift  dann  den  Ringfinger,  selten  geht  sie 
auf  den  mittlem  und  noch  seltener  auf  die  übrigen  Finger  über.  —  Be- 
handlung. Diese  muss  nach  den  bedingenden  Ursachen  verschieden 
sein.  Bei  wahren  Contracturen  hilft  der  Sehnenschnitt;  bei. Verkrüm- 
mungen in  Folge  von  Narben  zeigen  sich  Maschinen  wirksam.  Solche 
sind  der  Apparat  von  Fabriz  von  Hilden,  das  Brett  von  E  v  e  r  s  , 
die  Wundlade  von  Bass,  die  Blechschienen  von  Arnaud  und  Schre- 
ger,  der  Apparat  von  Duterre.  Vergl.  Wunden  der  Extremi- 
tät e  n.  —  Anlangend  die  retrahirten  Streifen  ,  so  macht  Dupuytren 
einen  oder  mehrere  Ausschnitte  in  dieselben ,  bis  der  Finger  vollständig 
gestreckt  werden  kann  ;  Goyrand  legt  den  Streifen  durch  einen  Längen- 
schnitt bloss  und  nimmt  ihn  dann  ganz  weg ,  worauf  er  die  Wunde  durch 
erste  Vereinigung  zu  heilen  sucht ;  J  o  b  e  r  t  endlich  durchschneidet  den 
Streifen ,  indem  er  zwischen  diesem  und  der  Phalanx  seitlich  am  Finger 
mit  derLancette  einen  Einschnitt  macht,  dann  ein  nur  an  der  Spize  schnei- 
dendes geknöpftes  Bistouri  flach  einbringt,  dieses  auf-  und  abwärts  schiebt, 
und  den  Streifen  zulezt  mit  der  aufgerichteten  Schneide  trennt.  Nach 
der  Operation  wird  bei  allen  diesen  Methoden  die  Hand  auf  ein  Finger- 
brett befestigt. 

FingerverwaellSUng.  Diese  Abnormität  ist  entweder  ange- 
boren oder  zufälliger  Weise,  am  häufigsten  durch  Verbrennung,  entstan- 
den und  kann  verschiedene  Grade,  zeigen.  —  Bei  der  angeborenen  Ver- 
wachsung ist  die  Verbindung  entweder  durch  eine  häutige,  oder  eine  flei- 
schige oder  eine  knöcherne  Zwischensubstanz  vermittelt.  Die  erste  Art 
der  Verbindung  ist  die  häufigste.  Die  normale  Bildung  der  Finger  kann 
bei  diesen  Verwachsungen  überdies  auf  mannigfaltige  Weise  beeinträch- 
tigt sein.  —  Behandlung.  Diese  kann  nur  in  der  Trennung  der 
Verwachsung  bestehen,  welche  indessen  darin  eine  Contraindication  findet, 
wenn  die  Finger  zu  einer  unförmlichen  Masse  ,  in  der  jene  nicht  einmal 
einzeln  angedeutet  sind  ,  verschmolzen  sind  ,  oder  wenn  in  ihrer  ganzen 
Länge  eine  knöcherne  Verwachsung  besteht  und  dabei  die  Gelenke  man- 
geln. Aufgeschoben  muss  die  Operation  werden  während  des  Bestehens 
der  Scrophulosis  oder  von  örtlichen  Krankheiten  des  verbildeten  Theils, 
und  so  lange  der  Krankheitsprocess  ,  welcher  die  Verwachsung  erzeugte, 
z.  B.  eine  Entzündung  nach  Verbrennung,  nicht  völlig  verschwunden  ist. 
—  In  der  Regel  operirt  man  bei  Kindern  nicht  vor  dem  Ende  des  ersten 
Lebensjahres  nnd  wenn  die  Finger  an  beiden  Händen  verwachsen  sind, 
nicht  an  beiden  Händen  unmittelbar  nach  einander ,  sondern  in  einem 
Zwischenraum  von  2  bis  3  Monaten.  —   Häufig  tritt  nach  der  Operation 


282  FINGERVERWACHSUNG. 

troz  der  grössten  Sorgfalt  in  der  Nachbehandlung ,  Wiederverwachsung 
ein ;  diese  ist  besonders  in  dem  Zeitpunkte  zu  fürchten,  wo  sich  die  Gra- 
nulationen von  dem  hintern  Winkel  der  Wunde  erheben  und  die  Wund- 
ränder von  beiden  Seiten  zusammentreten.  —  Die  Operation  ist  je  nach 
der  Art  der  Verwachsung  verschieden  und  besteht:  1)  in  der  einfachen 
Trennung  derselben  ;  2)  in  der  Trennung  nach  vorgängiger  Bildung  und 
Ueberhäutung  des  obern  Spaltenwinkels  mittels  eines  eingelegten  Blei- 
drahts ;  3)  in  der  Trennung  der  Verwachsung,  Heranziehen  der  Haut  und 
seitlichen  Einschnitten;  4)  in  der  Trennung  mit  nachfolgender  Transplan- 
tation ;  5)  in  gleichzeitiger  Trennung  der  Knochen.  —  Bei  der  ein- 
fachen Trennung  sticht  man,  nach  gehöriger  Fixirung  der  in  Pro- 
nation gesezten  Hand  und  während  die  zu  trennenden  Finger  von  einander 
abgezogen  werden,  ein  spizes  Bistouri  mit  der  Schneide  gegen  sich  gerich- 
tet ,  von  der  Dorsalseite  her  senkrecht  durch  die  verbindende  Substanz 
und  zieht  es  längs  der  Mittellinie  dieser  unter  Schonung  der  Gelenkvor- 
ragungen  gegen  sich.  Man  kann  auch  in  umgekehrter  Richtung  von  den 
Fingerspizen  aus  trennen.  Bleiben  an  den  Hautwunden  stärker  hervor- 
ragende Lefzen ,  so  trägt  man  sie  mit  der  Scheere  ab ;  die  Blutung  stillt 
man ,  wenn  es  nöthig  ist ,  durch  Unterbindung.  —  Sind  mehr  als  zwei 
Finger  verwachsen ,  so  trennt  man  sie  nach  einander  auf  dieselbe  Weise. 
—  Als  Verband  legt  man  einen  an  seinem  mittleren  Theile  unbestriche- 
nen  Heftpflasterstreifen  mit  dem  unbestrichenen  Theile  in  den  obern 
Spaltenwinkel,  klebt  ihn  auf  dem  Rücken  und  der  Fläche  der  Hand  straff 
gegen  den  Vorderarm  hin  an,  legt  darüber  eine  schmale  Longuette,  hüllt 
dann  jeden  verwundeten  Finger  in  ein  mit  lauem  Wasser  befeuchtetes 
Läppchen ,  welches  man  mit  Heftpflasterstreifen  befestigt  und  wickelt  die 
Finger  nebst  der  Hand  mit  schmalen  Binden  ein.  Zulezt  befestigt  man 
die  Hand  mit  gestreckten  und  auseinander  gespreizten  Fingern  auf  ein 
Brettchen  und  legt  sie  in  eine  Schlinge.  —  Nach  eingetretener  Eiterung 
wird  dieser  Verband  1  bis  2  Mal  genau  auf  die  angegebene  Weise ,  be- 
sonders am  obern  Spaltenwinkel ,  von  wo  aus  die  Verwachsung  gern  wie- 
der beginnt,  erneuert,  mit  dem  Unterschied,  dass  man,  um  die  Ueberhäu- 
tung zu  beschleunigen,  die  Finger  mit  in  Bleiwasser  getauchten  Läppchen 
umgibt ,  und  so  bis  ans  Ende  der  Heilung  fortgefahren ,  wobei  man  zu 
üppige  Granulationen  mit  Höllenstein  niederhält.  —  Bei  der  Trennung 
nach  Bildung  des  obern  Spaltenwinkels,  welches  Verfahren 
besonders  bei  festerer  Verwachsung  Anwendung  findet ,  sticht  man  nach 
Rudtorffer  an  der  Stelle  des  obern  Spaltenwinkels  eine  Nadel,  deren 
Spize  lancettförmig  und  deren  hinteres  Ende  mit  einer  Höhle  versehen 
ist,  um  einen  2  Zoll  langen  Bleidraht  aufzunehmen,  senkrecht  durch  und 
zieht  den  Bleidraht  ein,  welcher  gegen  die  Volar-  und  Dorsalseite  haken- 
förmig umgebogen  und  in  dieser  Lage  mit  Heftpflaster  und  einer  Binde 
befestigt  ist.  Den  Draht ,  den  man  bisweilen  bewegt ,  lässt  man  in  der 
Wunde  liegen,  bis  sie  in  allen  Punkten  übernarbt  ist,  wozu  oft  3 — 4  Mo- 


FINGER  VERWACHSUNG.  283 

nate  erforderlich  sind.  Ist  der  Stichkanal  übernarbt,  so  entfernt  man  den 
Draht,  trennt  von  jenem  aus  mit  einem  schmalen  Bistouri  die  Finger  auf 
die  oben  angegebene  Weise,  und  verfährt  auch  ferner ,  wie  es  dort  ange- 
führt wurde.  Beck  legt  statt  des  Drahts  eine  breite  Bleiplatte  ein.  — 
Nicht  selten  tritt  auch  hier  Wiederverwachsung  unaufhaltsam  ein  ;  nach 
Dieffenbach  gelingt  es  sogar  nicht  einmal,  den  Kanal  zum  Ueber- 
häuten  zu  bringen ,  indem  üppige ,  den  Draht  umringende  Granulation, 
entzündliche  Anschwellung  der  Finger  etc.  den  Draht  vor  erreichtem 
Zwecke  zu  entfernen  nöthigen.  —  Hält  man  die  einfache  Trennung  der 
Verwachsung  nicht  für  ausreichend  und  andererseits  die  Verpflanzung 
eines  Hautlappens  für  zu  weit  gehend ,  so  kann  man  sich  durch  Heran- 
ziehen der  Haut  und  seitliche  Einschnitte  helfen.  Man 
spannt  zu  diesem  Behufe  die  Zwischenhaut  stark  an ,  macht,  vom  vorder- 
sten Punkte  des  Zusammenhangs  anfangend,  mit  der  Spize  eines  Scalpells 
eine  Incision  längs  der  Mitte  der  ganzen  Verwachsung ,  ohne  dieselbe 
ganz  durch  zu  trennen.  Hierauf  dreht  man  die  Hand  um  und  verfährt 
auf  der  Volarseite  der  Finger  auf  gleiche  Weise ,  worauf  man  die  übrige 
Zellgewebsverbindung  von  vorn  nach  hinten  durchschneidet.  Nun  löst 
man  die  Hautränder  am  hintern  Dritttheil  der  Wunde  und  macht  an  der 
äussern  Seite  jedes  Fingers  eine  Incision  durch  die  Haut  von  der  Länge 
der  hintern  Phalanx ,  dann  vereinigt  man  die  Hautränder  im  Trennungs- 
winkel mit  einer  Anzahl  feiner  Knopfnähte  inwendig  so  weit  hinauf,  als 
auswendig  die  Incisionen  gemacht  wurden  und  nähert  auch  die  Ränder 
des  vordem  Theils  der  Wunde  durch  spiralförmig  angelegte  Pflaster- 
streifen. Weiter  hinten  werden  ebenfalls  zur  Unterstüznng  der  Knopf- 
naht mit  Unterbrechung  schmale  Streifen  um  die  Finger  geführt ,  nach- 
dem man  vorher  die  Incisionswunden  mit  etwas  Charpie  ausgefüllt  hat. 
Die  Hand  wird  auf  einem  Brettchen  befestigt  und  unter  Umständen  kalt 
fomentirt.  Nach  einigen  Tagen  ersezt  man  die  Nähte  durch  spiralförmige 
Pflasterstreifen  und  macht  Umschläge  von  Bleiwasser.  —  Die  Trans- 
plantation eines  Hautstücks  zwischen  die  getrennten  Finger  ist 
bei  einer  Verwachsung,  welche  die  Breite  der  Finger  hat ,  die  einzig 
sichere  Operationsart.  Die  Lappen  können  entweder  aus  der  Zwischen- 
haut oder  aus  einem  angrenzenden  Theile  der  Hand  gebildet  werden.  — 
Dieffenbach  macht  behufs  der  Bildung  des  Lappens  aus  der  Zwischen- 
haut auf  der  Rückseite  der  Hand  an  der  Grenze  der  Verwachsung  und 
eines  Fingers  mit  einem  kleinen  und  spizigen  Scalpell  einen  Längenschnitt, 
welcher  bis  zur  Hälfte  der  hintern  Phalanx  reicht.  Ein  gleicher,  mit  dem 
ersten  paralleler  Schnitt  wird  an  dem  hintern  Theile  des  Fingers  entlang 
gemacht ,  worauf  man  beide  Incisionen  durch  einen  Querschnitt  vereinigt. 
Alsdann  präparirt  man  den  umschnittenen  Hautstreifen  mit  einer  möglichst 
grossen  Menge  Zellgewebe  bis  zu  dem  Normalpunkte  der  Trennung  der 
Finger  los  ;  seine  Breite  beträgt  bei  Erwachsenen  1/i  Zoll ,  bei  Kindern 
weniger.       Dann   lässt  man   die   Finger   auseinander  spannen  und  macht 


284 


FINGERVERWACIISÜNG. 


zuerst  auf  der  Rückseite  eine  Längenincision  zwischen  den  Fingern  durch 
die  Haut  und  dann  an  der  untern  Seite  eine  zweite  längere  bis  zur  Hand 
reichende,  worauf  man  die  übrigen  Verbindungen  trennt.  An  der  Volar- 
seite  der  Finger  führt  man  quer  vor  dem  Endpunkte  der  Incision  einen 
Schnitt  von  etwas  über  l/i  Zoll  Länge.  Hierauf  schlägt  man  den  Lappen 
zwischen  die  getrennten  Finger  hindurch  und  befestigt  das  vordere  schmale 
Ende  des  länglich  viereckigen  Lappens  mittels  dreier  Knopfnähte  an  den 
Wundrand  der  queren  Tncisionswunde  an  der  Volarseite.  Die  übrigen 
Wundränder  der  Finger  werden  durch  Pflastersireilen  einander  genähert 
und  dann  der  Raum  zwischen  den  Fingern  mit  weicher  Charpie  ausge- 
füllt, und  zwar  gegen  die  Spizen  hin  mit  einer  dickern  Lage,  so  dass  die 
Finger  aus  einander  gesperrt  werden,  damit  der  Lappen  nicht  den  minde- 
sten Druck  erfahre,  worauf  man  die  Finger  mit  einer  schmalen  Binde  um- 
gibt, um  die  Lage  der  Charpie  zu  sichern,  und  schliesslich  die  Hand  auf 
einem  Brettchen  befestigt.  Die  Gegend  des  Lappens  ,  welche  vom  Ver- 
bände frei  bleiben  muss,  wird  bei  eintretender  Entzündung  mit  Bleiwasser 
fomentirt  und  die  Suturen  nach  der  festen  Vereinigung  desselben  ent- 
fernt ,  der  Lappen  aber  noch  längere  Zeit  durch  einen  zwischen  den  Fin- 
gern hindurch  geführten  und  auf  der  Dorsal-  und  Volarseite  der  Hand 
angeklebten  Pflasterstreiien  angedrückt ;  die  Heilung  der  übrigen  Wunden 
der  Finger  erfolgt  ohne  Schwierigkeit.  Sind  mehrere  Finger  verwachsen, 
so  wird  eine  weitere  Operation  später  gemacht.  —  Bei  der  Bildung 
eines  Lappens  aus  der  Umgebung  der  Finger  macht  man ,  nach 
Zell  er,  während  die  Haut  am  Rücken  der  Mittelhand  retrahirt  wird, 
einen  Vförmigen  Schnitt  auf  der  Dorsalseite  der  Finger  in  die  Haut ,  so 
dass  die  Spize  des  Schnitts  in  die  Mitte  der  die  Finger  verbindenden 
Substanz  fällt.  Der  Lappen  wird  mit  möglichst  vielem  Zellstoff  abge- 
trennt, zurückgehalten  und,  nachdem  die  Finger  auf  die  oben  angegebene 
Weise  gespalten  sind,  zwischen  die  zwei  Finger  gegen  die  Handfläche  her- 
abgeschlagen. Daselbst  wird  er  mit  blutigen  Heften  oder  einem  Klebe- 
pflaster befestigt,  die  Wunde  auf  dem  Rücken  der  Hand  mit  Heftpflaster- 
streifen zusammengezogen  und  des  Weitern  wie  oben  verfahren.  Stirbt 
der  Lappen  ab,  was  gern  geschieht,  so  verfährt  man ,  als  wäre  keiner  ge- 
bildet worden.  - —  B  1  a  s  i  u  s  bildet  zwei  kürzere  Lappen  ,  nämlich  einen 
Dorsal-  und  Volarlappen.  —  Bei  knöcherner  Verwachsung  kann, 
wenn  die  Finger  förmlich  unter  einander  verschmolzen  sind  ,  von  keiner 
Operation  die  Rede  sein  ,  ist  dagegen  nur  eine  dünne  knöcherne  Verbin- 
dung an  dem  hintern  Theile  der  Finger  vorhanden,  so  kann  .eine  solche 
versucht  werden.  Man  trennt  zuerst  die  weichen  Theile  auf  der  Dorsal- 
und  Volarseite ,  sägt  hierauf  die  knöcherne  Verbindung  mit  einer  feinen 
Säge  entweder  einfach  durch  oder  nach  Bedürfniss  einen  Theil  derselben 
aus,  zieht  die  Seitenlappen  zusammen  und  vereinigt  sie  durch  Nähte.  In 
ähnlicher  Weise  wäre  zu  verfahren,  wenn  es  sich  von  einer  Verwachsung 
der  Zehen  handelte. 


FISTEL.  285 

FlStGl ,  F  i  s  t  u  1  a.  Hierunter  versteht  man  Im  weiteren  Sinne  ein 
enges,  sehr  tief  eindringendes  Geschwür,  welches  zwischen  einem  tief  lie- 
genden Gewebe  ,  einem  Organe  oder  einer  Höhle  und  der  Oberfläche  der 
äussern  Haut  oder  einer  Schleimhaut  eine  abnorme  Verbindung  herstellt ; 
im  engern  und  eigentlichen  Sinne  nennt  man  Fisteln  solche  abnorme  Ka- 
näle, welche  von  der  äussern  Haut  zu  irgend  einem  normalen  oder  krank- 
haften Secretionsorgane  oder  zu  dessen  Ausführungsgange  hinführen  und 
aus  welchem  daher  fortwährend  ein  Theil  des  Secretes  jener  nach  aussen 
oder  in  eine  andere  Höhle  entleert  wird.  Diese  Fisteln  nennt  man  auch 
vollkommene  oder  wahre,  im  Gegensaze  zu  den  erstgenannten, 
welche  man  als  unvollkommene  oder  falscheFisteln,  röhren- 
förmige Geschwüre,  Hohlgeschwüre  bezeichnet.  Die  lezteren 
haben  immer  nur  eine  Oeffnung;  befindet  sich  diese  in  der  äussern  Haut, 
so  heisst  die  Fistel  eine  unvollkommene  äussere;  befindet  sie  sich 
in  einer  Schleimhaut ,  so  heisst  sie  eine  unvollkommene  innere. 
Die  vollkommenen  Fisteln  besizen  stets  zwei  Oeffnungen,  zwischen  welchen 
der  Fistelgang  verläuft.  Die  innere ,  meist  auf  einer  Schleimhaut  sizende 
Oeffnung  befindet  sich  entweder  in  der  Mitte  eines  etwas  erhabenen  Ringes 
oder  auf  der  Spize  eines  kleinen  Hügels,  zuweilen  auch  zwischen  Schleim- 
hautfalten versteckt ,  die  äussere  meist  sehr  kleine  und  enge  ist  oft  von 
schwammigen  Auswüchsen  umgeben ,  sizt  zuweilen  auch  auf  einem  rothen 
Höckerchen  oder  erscheint  eingezogen.  —  Die  fistulösen  Gänge  sind  bald 
einzeln,  bald  in  Mehrzahl  vorhanden,  bald  sind  sie  kurz,  bald  lang,  bald 
laufen  sie  gerade  oder  in  verschiedenen  Richtungen  und  sind  weit  oder 
eng.  Das  Innere  der  Fisteln  ist  von  einer  schleimhautähnlichen  Membran 
(der  Fistel membran)  ausgekleidet ,  die  lebhaft  roth  gefärbt  ist  und 
Schleim  oder  Eiter  secernirt ,  aber  weder  Zoten  noch  ein  eigenes  Epithe- 
lium  besizt.  In  der  nächsten  Umgebung  der  Fistelgänge  findet  sich  ge- 
wöhnlich eine  bedeutende  Härte  ,  die  Folge  einer  erloschenen  oder  noch 
bestehenden  chronischen  Entzündung  in  der  Umgebung  der  Fistel ,  was 
man  mit  dem  Namen  Callosität  bezeichnet.  —  Die  mit  Eitergängen  in 
Verbindung  stehenden  Fistelgänge  erkennt  man  daran,  dass  sie  eine  grös- 
sere Menge  Eiter  ausscheiden  ,  als  ihre  Grösse  vermuthen  lässt,  ferner  an 
dem  vermehrten  Abfliessen  des  Eiters,  wenn  man  von  einer  gewissen  Seite 
her  einen  Druck  anbringt.  Am  sichersten  ermittelt  man  ihre  Anwesenheit 
und  Richtung  durch  die  Einführung  einer  Sonde.  Man  benuzt  am  besten 
hierzu  eine  silberne ,  der  man  nach  Erforderniss  eine  entsprechende  Bie- 
gung geben  kann.  Die  Sonde  wird  leicht  zwischen  Daumen  und  Zeige- 
finger gehalten  und  ohne  Gewalt  zu  gebrauchen  eingeführt.  Manchmal 
ist  es  nöthig,  den  Fistelgang  vorher  mit  dem  Messer  oder  mit  Darmsai- 
ten oder  Pressschwamm  zu  erweitern.  Zuweilen  machen  Einsprizungen 
von  lauem  Wasser  den  Eiterherd  bemerkbarer.  —  Solche  fistulöse  Gänge 
bilden  sich   am  häufigsten  bei  Abscessen  und  Geschwüren   in  laxen  Ge- 


286  FISTEL. 

weben ,  wenn  Aponeurosen  darüber  gespannt  sind ,  wodurch  der  Eiter  zu- 
rückgehalten wird ,  dessgleichen  wenn  die  Eröffnung  von  Abscessen  zu 
lange  verschoben  oder  die  Oeffhung  zu  klein  gemacht  oder  diese  durch 
einen  unzweckmässigen  Verband  wieder  verstopft  wurde ,  endlich  wenn 
fremde  Körper,  Kugeln,  Knochensplitter  etc.  zurückgehalten  sind.  Stich- 
und  Schusswunden  bedingen  schon  durch  ihre  Natur  die  fistulöse  Form. 
—  Die  Fisteln,  welche  mit  einem  secernirenden  Organe  oder  dessen  Aus- 
führungsgange in  Verbindung  stehen ,  entstehen  bald  durch  Verwundung, 
bald  durch  Zerreissung  des  Behälters  in  Folge  von  Unwegsamkeit  des  nor- 
malen Ausführungsganges  ,  bald  durch  Eröffnung  eines  in  der  Nähe  be- 
findlichen Abscesses  in  denselben.  —  Das  Schliessen  der  leztgenann- 
ten  Fisteln  bewirkt  man  entweder  durch  Hervorrufung  eines  kräftigen 
Granulations  -  und  Vernarbungsprocesses ,  oder  durch  Vernichtung  des 
secernirenden  Organes  ;  fistulöse  Ausführungsgänge  sucht  man  durch  Ein- 
legen von  Röhren  zur  Heilung  zu  bringen,  oder  nach  Umständen  legt  man 
einen  neuen  Ausführungsgang  an  und  sucht  dann  den  fistulösen  zur  Ver- 
narbung zu  bringen.  —  Die  Heilung  der  Eiterfisteln  ist  nur  möglich 
durch  Beseitigung  der  Ursachen,  welche  sie  unterhalten.  Bei  vorhandener 
Caries  oder  Nekrose  müssen  diese  gehoben  werden ;  inliegende  fremde 
Körper  sucht  man  auszuziehen.  Liegt  der  Grund  in  einem  gehinderten 
Abflüsse  ,  so  vergrössert  man  die  Mündung  mit  dem  Messer  oder  durch 
quellende  Körper,  sprizt  laues  Wasser  ein,  badet  den  Theil  und  gibt  ihm 
eine  passende  Lage.  Viele  Fisteln  können  auf  diese  Weise  zur  Hei- 
lung gebracht  werden  ;  versagen  diese  Mittel  aber  ihren  Dienst ,  so  gibt 
es  drei  Wege,  auf  welchen  die  Heilung  zu  Stande  gebracht  werden  kann, 
nämlich  die  Aezung,  die  Unterbindung  und  die  Spaltung.  —  Die  A  e  z  u  n  g 
zieht  man  in  der  Absicht  in  Gebrauch,  die  Wandungen  der  Fistel  in  eine 
adhäsive  oder  suppurative  Entzündung  zu  versezen.  Zu  diesem  Behufe 
sprizt  man  entweder  scharfe  Flüssigkeiten  ein,  z.  B.  Sublimat-,  Höllenstein-, 
Aezkalisolution,  verdünnte  Mineralsäuren,  Jodtinctur,  heisses  Wasser,  und 
wiederholt  dieseEinsprizungen  je  nach  der  Intensität  des  Schmerzes  alle  2  —  3 
Tage ,  oder  man  führt  Wieken  oder  Bougies  ein ,  welche  mit  Aezmitteln 
bestreut  oder  befeuchtet  sind  ;  solche  Aezmittel  sind :  gepulverter  Höllen- 
stein, rother  Präcipitat,  Spiessglanzbutter,  Cantharidentinktur,  Pasten  von 
Sublimat,  Chlorzink  etc.  :  auch  eine  mit  äzenden  Substanzen  bestrichene 
baumwollene  Schnur ,  die  den  ganzen  Kanal  ausfüllt  und  deren  Fäden 
man  mit  der  Verengerung  des  Ganges  vermindert,  erweist  sich  zweckmäs- 
sig ;  weniger  wirksam  ist  die  Einführung  einer  erhizten  Sonde.  —  Die 
Unterbindung  unternimmt  man  in  der  Absicht ,  sowohl  um  den  Ein- 
und  Ausgang  der  Fistel  zu  erweitern,  damit  der  Eiter  frei  abfliessen  kaun, 
als  auch ,  um  in  dem  Kanäle  selbst  einen  neuen  Entzündungs-  und  Eite- 
rungszustand zu  erregen  und  dadurch  diesen  zur  Schliessung  zu  bringen. 
Die  Anwendung  der  Unterbindung  ist  nur  möglich ,  wenn  der  Fistelgang 
zwei   Mündungen  hat.       Ist   daher   nur   eine   einzige   zugegen ,   so   muss 


FONTANELLE.  287 

die  zweite  erst  angebracht  werden.  Eine  solche  Gegenöffnung  legt 
man  entweder  durch  einen  freien  Einschnitt  oder  Einstich  gegen  das 
Ende  einer  eingeführten  Sonde ,  oder  durch  Ausstich  vom  Eiterherde  aus 
an ,  bis  zu  welchem  man  durch  den  Gang  eine  Nadel  oder  einen  Troicart 
führt ,  worauf  man  die  Schnur  hindurchführt.  Die  eingezogene  Schnur 
bindet  man  leicht  zusammen  und  zieht  dieselbe  alle  2- —  3  Tage  fester  zu- 
sammen. Dieses  Verfahren  sezt  man  fort,  bis  die  ganze  Dicke  der  Fistel 
durchschnitten  ist ,  oder  bis  sich  gesunde  Granulationen  und  guter  Eiter 
zeigen ,  so  dass  hierdurch  die  Schliessung  des  Kanales  erwartet  werden 
kann.  —  Die  Spaltung  der  Fistel ,  Syringototnia,  ist,  wenn  sie 
anwendbar  ist,  dasjenige  Verfahren,  welches  am  schnellsten  und  sichersten 
zum  Ziele  führt.  Man  nimmt  die  Spaltung  entweder  auf  der  Hohlsonde 
mit  einem  geraden  Messer  vor,  oder  man  führt  ein  geknöpftes  Fistelmesser 
in  den  Kanal  ein  und  spaltet  damit  die  Decke.  Ist  nur  eine  Oeffnung 
vorhanden ,  so  leitet  man  auf  der  Hohlsonde  ein  spizes  Fistelmesser  ein, 
durchsticht  mit  diesem  am  Endpunkte  die  Weichtheile  und  durchschneidet 
die  Brücke ,  indem  man  das  Messer  gegen  sich  anzieht.  Liegt  die  Fistel 
unter  Theilen,  die  geschont  werden  müssen,  so  nimmt  man  nur  eine  theil- 
weise  Spaltung  vor,  indem  man  entweder  nur  den  Eingang  erweitert,  oder 
auch  noch  eine  Gegenöffhung  anlegt.  In  den  Spalt  legt  man  Charpie  ein 
und  heilt  die  Fistel  durch  Eiterung.  Mit  Nuzen  zieht  man  in  neuester 
Zeit  zur  Spaltung  der  Fisteln  die  galvanocaustische  Schneideschlinge  (s 
Electrotherapie)  in  Gebrauch.  —  Die  Compression  der  Fisteln 
mittels  gestufter  Longuetten  und  Binden  hindert  den  Abfiuss  des  Eiters. 
Sie  passt  nur ,  wenn  der  Fistelgang  nach  der  Anwendung  von  Aezmitteln 
mit  gesunden  Granulationen  ausgefüllt  ist. 

Fontanelle,  Fonticulus,  Exutorium.  Man  versteht  hier- 
unter eine  eiternde ,  künstlich  erzeugte  und  durch  die  Anwesenheit  frem- 
der Körper  unterhaltene  Continuitätstrennung,  welche  man  in  der  Absicht 
anlegt,  sowohl  um  Säfte  von  wichtigeren  Organen  ab-  und  nach  der  Haut 
hinzuleiten  und  zugleich  durch  die  in  lezterer  stattfindende  Secretion 
auf  antagonistischem  Wege  die  Resorption  in  andern  Theilen  zu  erhöhen, 
als  auch,  um  Säfte  aus  dem  Organismus  fortzuschaffen  und  die  Säftemasse 
umzuwandeln.  Die  Stelle,  wo  man  eine  Fontanelle  sezt,  soll  wo  möglich 
immer  eine  solche  sein ,  wo  unter  der  Haut  sich  weiches  Zellgewebe  und 
Fettpolster  befindet  und  keine  bedeutenden  Blutgefässe  und  Nerven  vor- 
handen sind;  dagegen  vermeidet  man  die  Nähe  der  Knochen,  die  Bäuche 
der  Muskeln,  die  Sehnen  und  überhaupt  alle  Stellen,  welche  einer  starken 
Bewegung  oder  einem  Drucke  ausgesezt  sind.  Man  wählt  daher  am  Arme 
die  Vertiefung  an  der  Spize  des  Deltamuskels  ;  am  Oberschenkel  die  Ge- 
gend hinter  dem  grossen  Trochanter  oder  die  Vertiefung  am  untern  Theile 
seiner  innern  Fläche  (zwischen  dem  Muse,  vastus  internus  und  dem 
Muse,   sartorius);    am  Unterschenkel   die   Vertiefung   zwischen  dem 


288  FONTANELLE. 

innern  Kopfe  des  M.  gastrocnemius  und  den  Sehnen  des  S  a  r  t  o  - 
r  i  u  s  ,  G  r  a  c  i  1  i  s  und  Semitendinosus;  im  Nacken  zwischen  den 
beiden  Muse,  trapezii  oder  zwischen  dem  S  p  1  e  n  i  u  s  und  Complexus; 
ferner  applicirt  mau  Fontanellen  am  Kopfe  auf  dem  Scheitel  oder  zwischen 
dem  Zitzenfortsaze  und  dem  Winkel  des  Unterkiefers  ;  längs  der  Wirbel- 
säule zu  den  beiden  Seiten  der  Dornfortsäze ,  endlich  in  den  Zwischen- 
rippenräumen. Man  kann  natürlich  nach  Bedürfniss  auch  an  andern 
Stellen  Fontanellen  appliciren.  —  Man  unterscheidet  oberflächliche 
und  tiefere  Fontanellen.  Die  oberflächlichen,  welche  ihren  Geschwürs- 
grund nur  in  den  obersten  Schichten  des  Corions  haben  und  daher  auch 
Hautfontanellen  heissen ,  werden  durch  Vesication  gebildet  und, 
nachdem  man  die  zur  Blase  erhobene  Epidermis  abgezogen  hat,  mit  schar- 
fen Mitteln,  z.  B.  Ungt.  digest.  ,  basilicum,  terebinth.  je  mit 
einer  Beimischung  von  Cantharidenpulver ,  rothem  Präcipitat,  das  Ungt. 
sabinae,  euphorbii;  Einstreupulver  von  rothem  Präcipitat ,  Zucker, 
Euphorbium-  oder  Seidelbastpulver;  Seidelbastrinde,  Epheu  etc.  unter- 
halten. Diese  Art  von  Fontanellen  erregen  einen  lebhaften  Reiz ,  son- 
dern in  reichlicher  Menge  eine  seröse  Flüssigkeit  oder  dünnflüssigen  Eiter 
ab,  bewirken  oft  ein  lästiges  Jucken  und  unterhalten  nicht  selten  in  ihrem 
Umfange  ein  Erythem  und  Anschwellung  der  benachbarten  Drüsen.  Statt 
ihrer  bedient  man  sich  in  manchen  Fällen  des  durch  Pustelsalben  (z.  B. 
Ungt.  tartari  stibiati  etc.)  erzeugten  künstlichen  Ausschlages.  Die 
Hautfontanelle  wird  vorzugsweise  gegen  chronische  Entzündungen  der 
Schleim-  und  serösen  Häute  und  der  Haut  empfohlen,  z.  B.  gegen  Schleim- 
schwindsucht, veraltete  rheumatische  Beschwerden,  Neigung  zu  Rheuma- 
tismen ,  Brustbräune ,  scrophulöse  Hautausschläge ,  Augenentzündungen, 
Drüsenanschwellungen  und  gegen  verschiedene  Leiden,  die  nach  Blattern, 
Masern  und  Scharlach  zurückbleiben.  —  Die  tieferen  Fontanellen  haben 
ihren  Geschwürsgrund  in  dem  der  Haut  zunächst  gelegenen  Zellgewebe, 
zuweilen  noch  tiefer  und  heissen  deshalb  Zellgewebsfontanellen. 
Sie  werden  mit  dem  Messer,  dem  potentiellen  oder  dem  actuellen  Caute- 
rium  gebildet  und  durch  Digestivsalben  oder  fremde  Körper ,  wie  Erbsen, 
Bohnen ,  kleine  unreife  Orangen  ,  Pfefferkörner ,  Kügelchen  von  Epheu- 
holz,  Veilchenwurzel,  Enzianwurzel,  Hörn,  Knochen,  Elfenbein  etc.  ,  oder 
durch  beide  Mittel  zugleich  unterhalten.  Das  Verfahren  mit  dem  Messer 
(über  das  mit  den  Cauterien  s.  die  Art.  Aez  mittel  und  Cauterisa- 
tion)  ist  folgendes:  man  erhebt  die  Haut  in  eine  Falte,  durchschneidet 
sie  mit  einem  Bistouri  der  Länge  nach  auf  V2 — 1  Zoll,  füllt  die  Wunde 
mit  einer  festen  Charpiekugel  aus  und  hält  diese  mit  einer  Compresse  und 
Binde  fest.  Nach  eingetretener  Eiterung  ersezt  man  die  Charpiekugel 
durch  eine  oder  mehrere  Erbsen,  welche  man  täglich  wechselt.  Bei  sehr 
ängstlichen  Personen  kann  man  die  Fontanelle  mittels  eines  Vesicans  bil- 
den ,  indem '  man  nach  Wegnahme  des  Oberhäutchens  eine  kleine  Kugel 
von  Cantharidenpflaster   fest   aufbindet,   bis  sich  eine  Durchbohrung  der 


FREMDE  KOERPER.  289 

Haut  gebildet  hat  und  die  Oeffnung  ein  Fontanellkügelchen  aufnehmen 
kann.  Dieses  Verfahren  ist  indessen  das  schmerzhafteste  und  langwie- 
rigste. —  Entstehen  in  der  Fontanelle  heftige  Schmerzen ,  so  vermindert 
man  die  Anzahl  der  Erbsen  und  legt  zeitweise  Breiumschläge  auf.  Ent- 
wickelt sich  eine  zu  heftige  Entzündung  in  der  Umgegend,  so  müssen  die 
eingelegten  fremden  Körper  entfernt  und  Umschläge  von  Bleiwasser  ge- 
macht werden.  Ueppige  Granulationen  am  Rande  der  Fontanelle  besei- 
tigt man  durch  Betupfen  mit  Höllenstein.  Reizen  dagegen  die  fremden 
Körper  nicht  genug,  so  hüllt  man  sie  in  scharfe  Salben  oder  streut  reizende 
Pulver  ein.  —  Die  Zellgewebsfontanellen  veranlassen  einen  tieferen  ört- 
lichen Zufluss  der  Säfte,  eine  reichliche  Eiterung,  reizen  aber  gewöhnlich 
weniger  als  die  Hautfontanellen  und  sind ,  wenn  die  Eiterung  im  Gange 
ist ,  gewöhnlich  wenig  oder  gar  nicht  «chmerzhaft.  Man  empfiehlt  sie 
vorzugsweise  gegen  enronische  Entzündungen  der  Faserhäute  ,  Synovial- 
häute ,  der  Gelenke,  der  tiefer  liegenden  edlen  Organe,  als  Gehirn  und 
Rückenmark  und  ihrer  Hüllen,  Herz,  Lungen  etc.  und  der  tieferen  Gebilde 
des  Auges.  —  Will  man  eine  Fontanelle  zuheilen  lassen,  so  vermindert 
man  allmälig  die  Zahl  der  eingelegten  Erbsen  und  lässt  diese  zulezt 
ganz  fort. 

Fremde  Körper,  Corpora  aliena;  Fremdkörper- 
krankheiten, Allentheses.  Unter  fremden  Körpern  versteht  man 
-alle  diejenigen,  welche  von  aussen  in  den  Körper  eingedrungen  sind  oder 
an  demselben  haften ,  ohne  in  den  Säften ,  mit  denen  sie  in  Berührung 
kommen,  auflöslich  zu  sein.  Im  weiteren  Sinne  rechnet  man  auch  manche 
natürliche  oder  krankhafte  Producte  des  Organismus  ,  welche  aufgehört 
haben,  an  dem  Stoffwechsel  Theil  zu  nehmen  und  durch  mechanische  Ver- 
hältnisse in  ihm  zurückgehalten  werden,  zu  den  fremden  Körpern.  Hier 
wird  nur  von  der  ersten  Art  von  fremden  Körpern  die  Rede  sein ;  fremde 
durch  widernatürliche  Oeffnungen ,  wie  Wunden ,  eingedrungene  Körper 
werden  bei  diesen  besprochen  werden.  Ueber  die  fremden  Körper  der 
.zweiten  Art  s.  den  Art.  Neubildungen.  —  Unter  Fremdkörperkrank- 
heiten werden  die  krankhaften  Zustände  verstanden ,  welche  durch  die 
Einwirkung  fremder  Körper  hervorgerufen  werden. 

A.  Von  den  fremden  Körpern  im  Allgemeinen.  — Die 
Zufälle,  welche  fremde,  absichtlich  oder  zufällig  in  natürliche  Körper- 
öffnungen gelangte  Körper  veranlassen  können,  hängen  ab  von  der  Grösse 
und  Form  der  fremden  Körper ,  so  wie  von  der  Körperstelle,  wo  sich  die- 
selben befinden.  Körper ,  die  Flüssigkeiten  einsaugen  ,  vergrössern  sich 
nach  einiger  Zeit,  werden  dadurch  oft  eingeklemmt  und  dehnen  die  um- 
gebenden Theile  aus.  Unebene  ,  scharfe  und  spizige  Körper  verwunden 
die  Umgebungen  und  bleiben  leicht  irgendwo  stecken,  oder  gelangen  auch 
ganz  in  die  Continuität  der  Theile,  und  machen,  indem  sie  durch  die  Be- 
wegungen der  Theile  im  Zellgewebe  weiter  geschoben  werden ,  bisweilen 
Burger,  Chirurgie.  1  9 


290  FREMDE  KOERPER. 

merkwürdige  Wege ,  wie  dies  besonders  von  Nadeln  beobachtet  worden 
ist.  Am  gefährlichsten  sind  die  in  die  Luftwege  gelangten  Körper ,  in- 
dem darnach  Erstickungszufälle  eintreten.  Befinden  sich  fremde  Körper 
in  Ausfuhrungsgängen,  so  können  sie  diese  verstopfen  und  zu  Retentionen 
Veranlassung  geben.  —  Wo  fremde  Körper  stecken  bleiben ,  wirken  sie 
reizend  auf  ihre  Umgebungen,  erregen  Krampfzufälle,  Entzündung,  Eite- 
rung ,  Verschwörung  oder  Brand.  Es  kommt  aber  auch  nicht  selten  vor, 
dass  fremde  Körper  selbst  von  bedeutendem  Umfange  nur  eine  gelinde 
oder  vorübergehende  Wirkung  äussern,  indem  sich  das  Organ  schnell  an 
die  Gegenwart  derselben  gewöhnt.  —  Die  fremden  Körper ,  welche  vor- 
ragende Körpertheile  umschliessen ,  behindern  den  Rückfluss  des  Blutes 
und  verursachen  daher  mehr  oder  weniger  bedeutende  Anschwellung,  Ent- 
zündung, Verschwärung,  selbst  Brand.  —  Die  Entfernung  der  frem- 
den Körper  geschieht  zuweilen  durch  die  Natur  selbst ,  oder  sie  werden 
eingehüllt,  so  dass  sie  weniger  belästigen.  Ersteres  kann  durch  Husten, 
Niesen ,  Erbrechen  oder  durch  Fortbewegen  in  kanalförmigen  Behältern 
geschehen,  wie  z.  B.  verschluckte  Körper  durch  den  After  abgehen.  Um- 
ständlicher ist  der  Process  der  Natur,  wenn  die  Körper  spizig,  scharf  sind. 
Hier  kann  es  geschehen,  dass  sie  in  die  Wandung  des  Kanales  einbohren, 
daselbst  ein  Geschwür  veranlassen  und  durch  dasselbe  in  benachbarte 
Höhlen  oder  in  das  Zellgewebe  gelangen ,  wo  sie  dann  zuweilen  beträcht- 
liche Strecken,  theils  ihrer  Schwere,  theils  der  Muskelbewegung  folgend, 
zurücklegen  und  endlich  an  sehr  entfernten  Punkten  für  sich  allein  oder 
unter  Bildung  eines  Abscesses  durch  die  Haut  zum  Vorschein  kommen. 
Selten  werden  feste  Körper  aufgelöst  und  eingesogen.  Oefter  werden  sie 
eingekapselt  oder  bilden  in  häutigen  Behältern  sackförmige  Erweite- 
rungen oder  Divertikel  (wie  im  Darmkanale ,  in  der  Harnblase)  ,  wo  sie 
dann  oft  Jahre  lang  unschädlich  liegen  bleiben  können.  —  AVerden  die 
fremden  Körper  nicht  von  der  Natur  ausgestossen ,  so  müssen  sie ,  wenn 
sie  Beschwerden  verursachen,  mit  Hülfe  der  Kunst  entfernt  werden. 
Hierzu  bedient  man  sich  entweder  zangen-  oder  löffelartiger  Instrumente, 
mit  welchen  man  sie  auszieht ,  wenn  sie  sich  an  zugänglichen  Stellen  be- 
finden ,  oder  aber  man  bahnt  sich  einen  Weg  zu  ihnen ,  indem  man  den 
Kanal  oder  die  Höhle,  in  welchen  sie  sich  befinden,  blutig  eröffnet.  Dies 
kann  z.  B.  bei  fremden  Körpern  in  dem  Kehlkopfe,  der  Luftröhre,  Speise- 
röhre etc.  nothwendig  werden.  Wenn  der  Kanal,  in  welchem  der  fremde 
Körper  steckt,  durchgängig  ist,  so  kann  man  bei  unschädlicher  Beschaffen- 
heit des  Körpers  diesen  weiter  stossen ,  dass  er  frei  und  dann  von  selbst 
ausgestossen  wird.  Dies  geschieht  z.  B.  bei  fremden,  im  Schlünde  stecken 
gebliebenen  Körpern. 

B.  Von  den  fremdenKörpern  imBesondern.  I.  Von 
den  fremden,  von  aussen  in  den  Organis  mus  gelangten 
Körpern.  l)  Fremde  Körper  in  den  Augen.  Sie  können 
zwischen  die  Augenlider  und  den  Augapfel  eindringen,  am  Augapfel  haf- 


FREMDE  KOERPER.  291 

ten  oder  in  dessen  Höhle  gelangen.  Ihre  Gegenwart  verursacht  gewöhn- 
lich einen  lebhaften  Schmerz  ,  Thränenfluss ,  Lichtscheu  und  Augenlid- 
krampf; später  tritt  Entzündung  des  Auges  ein.  Unter  die  Augenlider 
gerathene  fremde  Körper ,  wie  Staub ,  Asche,  Sand,  ausgefallene  Augen- 
wimpern, Getreidegrannen  etc.  sucht  man  durch  Streichen  des  Auges  gegen 
den  innern  Augenwinkel  hin  unter  Beihülfe  der  Thränen  zu  entfernen. 
Reicht  dieses  Verfahren  nicht  aus,  so  geht  man  mit  einem  feinen  Maler- 
pinsel unter  das  obere  Augenlid  und  streicht  über  den  Bulbus  hin ,  oder 
man  benüzt  unter  Aufhebung  des  obern  Augenlides  einen  kleinen  Papier- 
cylinder  oder  die  Pincette  zu  seiner  Wegnahme.  Hat  der  fremde  Körper 
sich  in  den  Membranen  des  Auges  festgesezt ,  wie  dies  häufig  mit  Glas- 
splittern, Metallstückchen ,  Stahlfunken,  Stückchen  von  Zündhütchen  etc. 
geschieht ,  so  sucht  man  sie  mit  einer  Pincette ,  dem  Daviel'schen  Löffel, 
einer  Sonde,  einem  schlingenartig  zusammengelegten  Rosshaare  oder  auch 
mit  einer  gekrümmten  Staarnadel  wegzunehmen.  Stahlfunken  etc.  räth 
man  mit  einem  Magnet  auszuziehen.  Körper,  die  in  das  Innere  des  Auges 
eingedrungen  sind,  entfernt  man,  wenn  eine  Wunde  der  Hornhaut  zugegen 
ist,  mit  einer  geeigneten  Pincette  (z.  B.  der  A  m  m  o  n '  sehen),  andernfalls 
macht  man  vorher  den  Hornhautschnitt.  —  2)  Fremde  Körper  in 
der  Nasenhöhle.  Solche  sind  Erbsen  ,  Bohnen  ,  Kirschkerne  ,  Holz- 
splitter ,  abgebrochene  Pfeifenspizen  etc.  ,  die  absichtlich  oder  zufällig  in 
die  Nasengänge  gerathen.  Sind  diese  Körper  klein  und  glatt,  so  verur- 
sachen sie  nur  einen  Reiz  zum  Niesen  ;  grössere,  besonders  wenn  sie  auf- 
quellen oder  uneben  sind ,  veranlassen  Anschwellung  der  Nasenschleim- 
haut oder  selbst  der  Nase ,  thränende  und  geröthete  Augen ,  Schmerz, 
Athmungsbeschwerden,  Blutungen,  einen  acuten  oder  chronischen  Schnu- 
pfen, selbst  Verschwärung  der  Schleimhaut  und  Caries  der  Nasenknochen  ; 
wenn  der  Körper  lange  Zeit  stecken  bleibt ,  so  werden  zuweilen  Zufälle 
von  Gehirnreizung  beobachtet.  —  Behandlung.  Lassen  sich  die 
fremden  Körper  nicht  durch  Schnäuzen  oder  durch  Niesmittel  entfernen, 
so  muss  es  vermittels  Instrumenten  geschehen.  Die  passendsten  sind : 
der  Daviel'sche  Löffel,  die  Pincette,  die  Korn-  oder  eine  kleine  Polypen- 
zange. Mit  diesen  geht  man,  nachdem  man  mit  einer  Sonde  den  Ort  des 
fremden  Körpers  ausfindig  gemacht  hat ,  um  den  Körper  und  wirft  oder 
zieht  ihn  nach  unten.  Der  Kranke,  besonders  wenn  es  ein  Kind  ist,  darf 
dabei  nicht  liegen ,  weil  der  leicht  durch  die  Choanen  fallende  Körper  in 
die  Luftröhre  gleiten  könnte.  Bei  Erwachsenen  kann  man  zuweilen  den 
fremden  Körper  nach  hinten  in  den  Schlund  stossen,  oder  mittels  eines 
durch  die  B  e  1 1  o  c  q '  sehe  Röhre  von  hinten  nach  vorn  eingeführten  Char- 
pietampons  gegen  das  vordere  Nasenloch  stossen.  Ist  der  Körper  gross 
und  uneben,  derselbe  auf  keine  Weise  zu  entfernen  und  schon  starke  Ge- 
schwulst zugegen,  so  spalte  man  die  Nasenöffnung  nach  oben  und  vereinige 
die  Wunde  nach  der  Extraction  des  fremden  Körpers  wieder  durch  die 
Naht.       In   die  Nasenhöhle   gekrochene  Thierchen    entfernt   man   durch 

19* 


292 


FREMDE   KOERPER. 


Niesmittel  und  Einsprizungen  oder  Dämpfe  von  Tabaksabsud.  —  3) 
Fremde  Körper  im  äussern  Gehörgang.  Diese  kommen  meist 
bei  Kindern  vor,  die  sich  Bohnen,  Erbsen,  Kirschkerne,  Glasperlen  etc.  in 
die  Ohren  stecken ,  ausserdem  sind  es  Insecten ,  welche  hineinkriechen, 
wie  Flöhe,  Ohrwürmer,  Schnaken,  oder  die  darin  ausgebrütet  werden,  end- 
lich verhärtetes  Ohrenschmalz.  Die  dadurch  erzeugten  Beschwerden  sind  : 
ein  dumpfer  Schmerz  ,  Druck  im  Ohre ,  Ohrensausen  ,  Schwerhörigkeit, 
Kopfschmerz  ,  Blutung  ,  Ohrenfluss  ,  selbst  Zerstörung  des  Trommelfells, 
Caries,  Gehirnreizung  und  völlige  Taubheit.  —  Hat  man  durch  eine  Sonde 
den  fremden  Körper,  seine  Grösse  etc.  möglichst  ermittelt ,  so  sucht  man 
ihn ,  während  man  den  Gehörgang  durch  Auf-  und  Auswärtsziehen  der 
Ohrmuschel  gerade  streckt ,  mittels  eines  Ohrlöffels,  des  D  a  v  i  e  1 '  sehen 
Löffels ,  einer  Haarnadel ,  oder  einer  feinen  Zange  oder  Pincette  heraus- 
zuheben oder  zu  ziehen.  Gequollene  Erbsen  oder  Bohnen  kann  man  mit 
gehöriger  Vorsicht  durch  eine  krumme  Staarnadel  einstechen  oder  zer- 
stückeln. Lose  Körper  lassen  sich  zuweilen  durch  einen  an  beiden  Enden 
offenen  und  bis  zur  Weite  "des  Gehörganges  umwickelten  Federkiel  an- 
saugen und  während  des  Saugens  ausziehen.  Kleine,  bewegliche  Körper 
lassen  sich  schon  durch  Einsprizungen  entfernen ;  das  Gleiche  gilt  bei 
Insecten.  Verhärtetes  Ohrenschmalz  erweicht  man  erst  durch  Einspri- 
zungen von  warmem  Oel ,  Seifenwasser  und  befördert  es  dann ,  wenn  es 
durch  die  Einsprizungen  nicht  schon  entfernt  wurde ,  mit  einem  Ohrlöffel 
aus  dem  Gehörgange.  —  4)  Fremde  Körper  in  der  Mund- und 
Rachenhöhle.  Solche  Körper  sind  meistens  Knochensplitter,  Fisch- 
gräten etc. ,  welche  sich  beim  Genüsse  der  Nahrungsmittel  in  die  Zunge, 
Mandeln,  Gaumensegel  etc.  einspiessen.  Die  Entfernung  solcher  Körper 
ist  mit  keinen  Schwierigkeiten  verbunden.  Man  bedient  sich  dazu  der 
Pincette.  Zuweilen  bleiben  hastig  verschlungene  Speisemassen  in  der 
Schlundhöhle  stecken ,  welche  Erstickungsgefahr  verursachen  können. 
Man  holt  sie  mit  den  Fingern  vorsichtig  heraus.  —  5)  Fremde  Kör- 
per im  Kehlkopfe  und  in  der  Luftröhre.  Diese  bestehen 
meistens  in  Speisetheilen ,  welche,  wenn  durch  Lachen,  Schreien,  Gähnen 
während  des  Niederschluckens  der  Kehldeckel  erhoben  wird,  in  die  Stimm- 
rize  und  von  da  in  den  Kehlkopf  oder  die  Luftröhre  gelangen ,  wenn  sie 
nicht  anders  durch  den  eintretenden  Husten  sogleich  wieder  zurückge- 
worfen werden.  Nicht  selten  sind  es  auch  andere  Körper ,  wie  Bohnen, 
Steinchen  u.  dgl.  ,  welche  namentlich  Kindern  in  den  Kehlkopf  gerathen. 
Die  Zufälle,  welche  hierdurch  erregt  werden,  sind  äusserst  stürmisch  ;  hef- 
tiger convulsivischer  Husten ,  Veränderung  der  Stimme ,  Unruhe,  Erstik- 
kungsgefahr ,  convulsivisches  hörbares  Athmen ,  wechselt  mit  freien  Pe- 
rioden, wo  grosse  Erschöpfung  und  scheinbare  Ruhe  eintritt ;  die  Zufälle 
steigern  sich  in  neuen  Anfällen  und  unter  den  fürchterlichsten  Erschei- 
nungen der  Erstickung  sterben  die  Kranken  plözlich  oder  alle  Stadien 
des  Erstickungstodes  langsam  durchlaufend.     In  andern  Fällen  lassen  die 


FREMDE  KOERPER.  293 

Erscheinungen  nach ,  obschon  der  Körper  noch  in  der  Luftröhre  verweilt. 
Am  heftigsten  sind  die  Zufälle,  wenn  der  fremde  Körper  in  der  Stimmrize 
haftet.  Im  Allgemeinen  sind  die  Zufälle  geringer ,  wenn  der  fremde 
Körper  in  der  Luftröhre  als  wenn  er  im  Kehlkopfe  ist ;  nur  wenn  er  in  die 
Ventrikeln  des  Larynx  sich  eingebettet  hat,  sind  die  Erscheinungen  zu- 
weilen minder  stürmisch.  —  Sollte  der  fremde  Körper  noch  aus  der 
Stimmrize  hervorragen,  so  kann  man  ihn  mit  einer  Zange  entfernen.  Hat 
er  aber  eine  tiefere  Lage  und  ist  er  durch  Erregung  von  Vomituritionen 
nicht  zu  beseitigen ,  so  schreite  man  ungesäumt  zur  Eröffnung  der  Luft- 
röhre (siehe  den  Art.  L  u  ftr  Öhr  e  n  -  und  K e hlko p  f  s  chnitt).  — 
6)  Fremde  Körper  im  Schlünde.  Die  fremden  Körper  sind  theils 
Nahrungsmittel ,  die  wegen  ihrer  Grösse  den  engen  Kanal  nicht  passiren 
können  ,  theils  sind  es  Substanzen ,  welche  mit  den  Nahrungsmitteln  zu- 
fällig verschluckt  wurden,  z.  B.  Knochenfragmente,  Nadeln,  Holzsplitter, 
oder  die  zufällig  oder  absichtlich  verschluckt  wurden  :  Glas,  Steine,  Knö- 
pfe, Münzen,  Messer,  Nadeln,  theils  sind  es  Körper ,  die  bei  Operationen 
in  den  Schlund  geriethen  ,  exstirpirte  Polypen  oder  Tonsillen.  Die  Zu- 
fälle ,  welche  fremde  Körper  im  Schlünde  erregen ,  sind  nach  der  Form 
derselben  und  nach  ihrem  Size  sehr  verschieden.  Ein  grosser  hinter  dem 
Kehlkopfe  sizender  Körper  drückt  diesen  zusammen  und  erregt  dadurch 
Erstickungszufälle ,  was  zu  der  Täuschung  Veranlassung  geben  könnte, 
der  fremde  Körper  stecke  in  der  Luftröhre  ;  doch  fehlt  der  röchelnde  Ton 
beim  Athmen  und  es  ist  unmöglich,  auch  nur  Flüssigkeiten  zu  schlucken ; 
auch  gibt  die  Sondirung  des  Schlundes  Aufschluss.  Ist  der  Körper  klein, 
so  erregt  er  lebhaften  örtlichen  Schmerz ,  krampfhaftes  Würgen,  Vomitu- 
ritionen, erschwertes  Schlingen,  Angst,  Klopfen  der  Carotiden.  —  Bleibt 
ein  fremder  Körper  im  Schlünde  ,  so  erregt  er  Entzündung  und  Eiterbil- 
dung ,  Durchbohrung  des  Schlundes  ,  der  Luftröhre ,  der  Aorta  und  den 
Tod ;  es  bleibt  somit  keine  Wahl ,  und  die  Entfernung  jeden  fremden 
Körpers  im  Schlünde  ist  auf  das  Schleunigste  angezeigt.  Gelingt  die 
Entfernung  nicht  den  Bestrebungen  der  Natur  durch  Schlingbewegung 
oder  Erbrechen  ,  nach  unten  oder  nach  oben ,  bleiben  Brechanregungen, 
Klopfen  auf  den  Rücken ,  Verschlingen  grosser  fetter  Brodbissen  etc. 
fruchtlos  ,  so  muss  man  entweder  versuchen ,  den  Körper  mit  einem  an 
einer  Fischbeinsonde  befestigten  Schwamm  nach  oben  zu  bringen ,  oder 
ihn  mit  der  Schwammsonde  in  den  Magen  zu  stossen.  Kann  man  dem 
Körper  mit  Zangen  beikommen  ,  so  zieht  man  ihn  selbstverständlich  mit 
diesen  aus.  Für  die  Ausziehung  der  in  den  schifff  örmigen  Gruben  hängen 
gebliebenen  Körper  hat  Betz  eine  fast  rechtwinklig  gebogene,  sich  seit- 
wärts öffnende  Zange  angegeben.  Schlägt  alles  fehl,  so  muss  die  Speise- 
röhre geöffnet  werden  (s.  Speiseröhrenschnitt).  —  7)  Fremde 
Körper  im  Magen  und  Darmkanal e.  Fremde  Körper  können 
mit  den  Speisen,  durch  absichtliches  oder  unabsichtliches  Niederschlucken 
oder    durch   Hinabstossen    vom   Schlünde    aus  in   den  Magen  gelangen. 


294  FREMDE  KOERPER. 

Häufig  sieht  man  sie  ohne  grosse  Beschwerden  zu  erregen  durch  den  Mast- 
darm wieder  abgehen,  z.  B.  Kugeln,  Münzen,  Steine,  Obstkerne,  zuweilen 
bewirken  sie  aber  nachtheilige  Folgen ,  besonders  wenn  die  Körper  spiz 
und  scharf  sind.  In  diesem  Falle  können  sie  sich  in  die  Magen-  oder 
Darmwand  einbohren,  chronische  Entzündung,  Verhärtung  oder  Versch wä- 
rung hervorrufen  und  so  durch  ein  langwieriges  Unterleibsleiden  den  Tod 
bringen.  In  seltenen,  Fällen  durchbohren  sie  Magen  -  und  Darmwand 
ganz  und  gelangen  auf  längerem  oder  kürzerem  Wege  aus  dem  Organis- 
mus, namentlich  wenn  die  Stelle  der  Durchbohrung  mit  den  Bauchdecken 
verwächst,  hier  ein  Abscess  sich  bildet  und  nach  dessen  Aufbruch  der 
fremde  Körper  ausgestossen  wird.  Andere  Folgen  der  fremden  Körper 
beruhen  auf  der  durch  sie  bewirkten  Unwegsamkeit  des  Darmkanales,  wie 
Verstopfung,  Ileus,  Darmentzündung  etc.  Am  häufigsten  beobachtet  man 
das  Verweilen  der  fremden  Körper  an  dem  Pylorus  und  der  V  a  1  v  u  1  a 
coli;  zuweilen  sezen  sie  sich  in  Brüchen  fest.  —  Behandlung.  Man 
sucht  das  Abgehen  des  fremden  Körpers  durch  den  Mastdarm  mittels  Ab- 
führmitteln zu  befördern,  reicht  zugleich  schleimige  Getränke,  und  treten 
entzündliche  Erscheinungen  ein ,  so  verfährt  man  antiphlogistisch.  Be- 
reitet sich  ein  Durchbruch  des  fremden  Körpers  vor,  so  legt  man  erwei- 
chende Umschläge  über,  öffnet  aber  den  sich  bildenden  Abscess  erst,  wenn 
man  versichert  ist,  dass  der  Darm  mit  den  Bauchdecken  gehörig  fest  ver- 
wachsen ist.  Erfolgt  von  allem  Diesen  nichts  und  dauern  die  Zufälle 
fort,  so  bleibt  nur  die  künstliche  Eröffnung  des  Magens  oder  Darmkanals 
übrig  (s.  Magenschnitt  und  Darmschnitt).  —  Wenn  ein  fremder 
Körper  sich  in  einem  Bruche  festsezt  und  Einklemmung  eintritt ,  so  ver- 
sucht man  die  Reposition  des  Bruches,  und  wenn  diese  erfolglos  bleibt,  so 
öffnet  man  den  Bruchsack,  hebt  die  Einklemmung  und  schiebt  die  Darm- 
schlinge in  die  Bauchhöhle  zurück.  Wäre  der  Darm  stark  entzündet  oder 
von  dem  fremden  Körper  schon  durchbohrt ,  oder  wäre  die  Reduction  un- 
möglich ,  so  spaltet  man  den  Darm ,  zieht  den  fremden  Körper  aus  und 
verfährt  im  Uebrigen  wie  bei  den  brandigen  Darmbrüchen.  S.  Bruch. 
—  Einen  in  den  Magen  gerathenen  Blutegel  tödtet  man  durch  Salzwas- 
ser ,  welches  man  den  Kranken  trinken  lässt ,  gibt  dann  ein  Brechmittel 
und  stillt  eine  etwaige  Magenblutung  durch  Eispillen  etc.  —  8)  Fremde 
Körper  im  Mastdarme.  In  den  Mastdarm  gelangen  fremde  Körper, 
indem  sie  entweder  absichtlich  oder  zufällig  durch  den  After  hineinge- 
bracht werden  (Messer,  Feilen,  Zangen,  Stücke  Holz,  Metall),  oder  indem 
sie  ,  den  Weg  durch  den  Darmkanal  durchlaufend ,  hinter  dem  Sphincter 
sich  festsezen  (Gräten,  Knochen,  Nadeln,  Kirschkerne  etc.).  Sie  veran- 
lassen Verstopfung ,  Krampf,  Entzündung  des  Mastdarmes,  welche  leztere 
durch  die  Ausbreitung  auf  die  übrigen  Eingeweide  gefährlich  werden  oder 
Eiterung  und  Fistelbildung  im  Mastdarme  veranlassen  kann.  —  Man 
untersucht  den  Siz  und  die  Gestalt  des  fremden  Körpers  mit  dem  beölten 
Zeigefinger ,   worauf  man  ihn  mit  einer  auf  dem  Finger  eingeleiteten  Po- 


FREMDE   KOERPER.  295 

lypen-  oder  Steinzange  auszieht.  Uni  die  Ausziehung  zu  erleichtern,  kann 
man  vorher  Einsprizungen  von  Oel  machen.  Die  besondere  Beschaffenheit 
der  Körper  machen  nicht  selten  die  eigenthümlichsten  Mechanismen  noth- 
wendig ,  worüber  sich  aber  keine  speciellen  Vorschriften  geben  lassen ; 
Marchetti  entfernte  einen  Schweinsschwanz,  indem  er  ein  ausgehöhltes 
Stück  Schilf  über  denselben  schob,  um  den  Mastdarm  vorVerlezung  durch 
die  Borsten  zu  schüzen ,  und  durch  dieses  den  Schwanz  auszog ;  eine 
Glasflasche  liess  man  durch  die  kleine  Hand  eines  Knaben  herausholen  etc. 
Zuweilen  zeigt  sich  die  Notwendigkeit ,  dem  Kranken  vorher  zur  Ader 
zu  lassen,  oder  zur  Beseitigung  des  Krampfes  einige  Zeit  eine  mit  E  x  t  r. 
belladonnae  oder  hyoscyami  bestrichene  Wieke  in  den  Mastdarm 
zu  schieben.  Nach  Ausziehung  des  fremden  Körpers  können  Sizbäder, 
schleimige  Klystiere  und  selbst  ein  entzündungswidriges  Verfahren  nöthig 
werden.  —  9)  Fremde  Körper  in  der  Harnröhre  und  den 
weiblichen  Geschlechtstheilen.  In  die  Harnröhre  und  Blase 
gelangen  durch  Ungeschicklichkeit ,  Leichtsinn  oder  Muthwillen  Stücke 
von  Cathetern,  Nadeln  ,  Holzstückchen  etc.  und  veranlassen  hier  ähnliche 
Zufälle,  wie  Harnblasen-  und  Nierensteine,  und  ausserdem  Blutung  aus  den 
Theilen,  Fisteln,  Stricturen.  Zuweilen  entsteht  auch  Harnverhaltung.  — 
Fremde  Körper  in  der  Scheide  oder  im  Uterus  veranlassen  Blutungen, 
Geschwüre  ,  eiterige  ,  übelriechende  Ergüsse ,  Fisteln  und  zuweilen  auch 
Beschwerden  bei  der  Stuhl-  und  Urinausleerung.  —  In  der  Scheide  sind 
es  meistens  Pessarien ,  vorzüglich  wenn  sie  sich  incrustirt  haben,  welche 
die  genannten  Zufälle  hervorbringen ;  doch  hat  man  auch  die  seltsamsten 
Gegenstände  angetroffen,  wie  Nadelbüchsen,  Wachslichte,  Möhren,  Tannen- 
zapfen etc.  —  Aus  der  Blase  lassen  sich  fremde  Körper  in  den  meisten 
Fällen  wohl  nur  nach  vorher  gemachtem  Blasenschnitte  entfernen.  Zum 
Ausziehen  derselben  aus  der  Harnröhre  bedient  man  sich  einer  langen 
schmalen  Pincette,  des  D  a  v  i  e  1 '  sehen  Löffels,  der  H  u  n  t  e  r '  sehen  Harn- 
röhrenzange, der  Drahtschlingen  oder  kleiner  mittels  einer  Kanüle  einge- 
führter Bohrer.  Hat  sich  schon  örtliche  Entzündung  ausgebildet ,  so 
macht  man  warme  Umschläge  und  nach  dem  Durchbruche  des  Abscesses 
Chamillenumschläge.  Zuweilen  rnuss  man  wohl  die  Harnröhrenmündung 
erweitern ,  wenn  ein  Steinchen  in  der  Fossa  navicularis  steckt ,  in 
andern  Fällen  kann  es  nöthig  werden,  auf  einen  in  der  Harnröhre  befind- 
lichen Körper  einzuschneiden  ,  um  ihn  entfernen  zu  können  ;  die  Behand- 
lung der  hierdurch  gesezten  Wunde  geschieht  nach  den  bei  den  Wunden 
des  Penis  angegebenen  Regeln.  ■ —  Die  fremden  Körper  in  der  Mutter- 
scheide lassen  sich  gewöhnlich  leicht  mit  einer  Zange  ausziehen ;  nur  die 
mit  Incrustationen  überzogenen  Pessarien  machen  hiervon  eine  Ausnahme ; 
nicht  selten  müssen  diese  erst  zerbrochen  werden ,  ehe  ihre  Ausziehung 
ins  Werk  gesezt  werden  kann. 

II.   Von   den   fremden,   äusserlich  am  Körper  haften- 
den Körpern.       Die  Körpertheile ,    welche  hier  in  Betracht  kommen, 


296  FROSCHGESCHWULST. 

sind  die  Finger,  Zehen,  der  Penis  etc.,  und  die  fremden  Körper  bestehen 
meistens  in  angesteckten  metallenen  Ringen  oder  in  umgelegten  Schlin- 
gen von  Fäden ,  Schnüren  ,  Bändern  etc.  Diese  liegen  zuweilen  so  fest 
an ,  dass  sie  von  dem  Betreffenden  nicht  nur  nicht  entfernt  werden  kön- 
nen ,  sondern  auch  den  Rückfluss  des  Blutes  behindern  und  damit  An- 
schwellung, Schmerz ,  Entzündung  und  Brand  verursachen,  ferner  an  der 
Berührungsstelle  einschneiden  und  Schwärung  herbeiführen.  —  Die  Ent- 
fernung solcher  Körper  hat  manchmal  grosse  Schwierigkeiten ,  indem  der 
Ring  oder  die  Schlinge  von  den  angeschwollenen  Umgebungen  so  über- 
deckt sind ,  dass  man  sie  kaum  sehen  und  ihnen  nur  mit  Mühe  beikom- 
men kann.  Die  Art  der  Entfernung  richtet  sich  nach  der  Beschaffen- 
heit des  umschliessenden  Körpers  und  nach  der  Zugänglichkeit  desselben. 
Metallene  Ringe  gelingt  es  zuweilen  dadurch  zu  entfernen,  dass  man  den 
angeschwollenen  Theil  mit  einem  glatten  seidenen  Bande  oder  Faden 
dicht  umwickelt  und  deren  freies  Ende  unter  den  Ring  zu  bringen  sucht ; 
indem  man  nun  das  Band  etc.  von  hinten  vor. wieder  abwickelt,  wird  der 
Ring  damit  vorgeschoben.  Glückt  es  auf  diese  Weise  nicht ,  so  müssen 
solche  Ringe  durchgekneipt ,  durchgesägt ,  durchgefeilt  oder ,  wenn  sie 
von  sprödem  Stahl  sind ,  mit  Feilkloben  entzweigebrochen  werden ,  wo- 
bei man  vorerst  suchen  muss ,  einen  schüzenden  Gegenstand  unterzubrin- 
gen. Schlingen  von  weichem  Stoffe  durchschneidet  man  mit  Scheere 
oder  Messer.  Das  Durchschneiden  einer  tief  liegenden  Fadenschlinge 
kann  zuweilen  dadurch  erleichtert  werden ,  dass  man  dieselbe  mit  einer 
Pincette  fasst,  anzieht  und  dann  hier  durchschneidet ;  kann  man  eine  ge- 
bogene Hohlsonde  unterschieben,  so  durchschneidet  man  auf  dieser.  Lässt 
sich  der  fremde  Körper  wegen  zu  bedeutender  Aufwulstung  der  Haut  nicht 
sehen,  was  sich  besonders  beim  Penis  ereignet,  so  muss  man  vor  und  hin- 
ter der  Einschnürung  so  tief  gegen  dieselbe  einschneiden ,  dass  die  Hohl- 
sonde oder  ein  Haken  untergeschoben  werden  kann ,  auf  welchem  man 
durchschneidet. 

FrOSChgeSChwillst,  Fröschleingeschwulst,  ßanula. 
Man  belegt  mit  diesem  Namen  (wegen  der  Nähe  der  Art.  ran  in  a)  Ge- 
schwülste von  verschiedener  Form ,  Grösse  und  Beschaffenheit ,  welche 
ihren  Siz  unter  der  Zunge  zu  den  Seiten  des  Frenulum  haben.  —  Die 
Froschgeschwulst  stellt  sich  unter  der  Form  einer  abgeplatteten  ,  rund- 
lichen oder  ovalen,  bläulich  schimmernden  und  deutlich  fluctuirenden  Ge- 
schwulst dar.  So  lange  die  Ranula  klein  ist,  macht  sie  keine  Beschwer- 
den ,  mit  der  Zeit  aber  nimmt  sie  an  Grösse  zu  und  hindert  dann  das 
Kauen  und  besonders  die  Sprache  in  bedeutendem  Grade.  Sich  selbst 
überlassen,  erreicht  die  Geschwulst  oft  eine  bedeutende  Grösse,  verdrängt 
die  Zunge ,  treibt  die  Zähne  oft  nach  aussen  und  bildet  einen  Vorsprung 
unter  dem  Kinn.  In  diesem  Zustande  kann  sie  selbst  Erstickungszufälle 
veranlassen.    Zuweilen  plazt  sie ,   füllt  sich  aber  sehr  schnell  wieder ,  was 


FURUNKEL.  2^7 

sich  oft  wiederholen  kann  ;  auch  kann  sie  sich  entzünden  und  eitern.  Der 
anfangs  dünne  Balg  verdickt  sich  bei  längerem  Bestehen,  namentlich  wenn 
die  Geschwulst  schon  mehrmals  geplazt  ist.  Auch  der  zuerst  helle,  klare, 
klebrige  Inhalt  wird  mit  der  Zeit  trübe ,  flockig ,  eiterig.  —  Ueber  das 
Wesen  der  Ranula  sind  verschiedene  Ansichten  geltend  gemacht  worden  : 
nach  den  Einen  besteht  die  Geschwulst  in  einer  Ausdehnung  des  Wharton'- 
schen  Ganges  durch  angehäuften  Speichel  in  Folge  von  Verschliessung  der 
Mundöffnung  des  Speichelganges  ;  die  chemische  Untersuchung  des  Inhaltes 
lässt  aber  nicht  die  mindeste  Uebereinstimmung  mit  dem  Speichel  erken- 
nen ;  andere  sehen  in  ihr  eine  ganz  neu  gebildete  Cyste  ,  analog  anderen 
Balggeschwülsten  mit  epithelialem  Inhalte  ;  noch  Andere  halten  sie  für 
eine  entartete  Schleimdrüse ,  wieder  Andere  endlich  für  eine  wassersüch- 
tige Anschwellung  eines  hier  gelegenen  Schleimbeutels ,  welche  leztere 
Ansicht  die  meisten  Anhänger  gefunden  hat.  —  Behandlung.  Sie  be- 
steht in  der  Punction  oder  der  einfachen  Incision  der  Geschwulst ,  der 
Incision  derselben  mit  nachfolgender  Cauterisation  der  ganzen  Höhle ,  in 
der  Ausschneidung  eines  Theiles  der  äussern  Wand ,  der  Einlegung  von 
Charpiewieken,  eines  Bleidrahtes,  von  Röhrchen  (Dupuytren).  Schuh 
schlägt  die  Exstirpation  der  ganzen  vorher  entleerten  Cyste  vor.  Ragt  die 
Geschwulst  unter  dem  Unterkiefer  hervor,  so  öffnet  man  sie  von  hier  und 
von  der  Mundhöhle  aus  und  zieht  ein  Haarseil  durch. 

Frostbeule,  s.  Erfrierung. 

Furunkel ,  Blutschwär,  Furunculus  ist  eine  Entzündung 
der  in,  die  Maschen  der  Lederhaut  sich  einsenkenden  Fortsäze  des  Unter- 
hautbindegewebes ,  welche ,  von  der  Lederhaut  an  ihrer  Ausdehnung  ge- 
hindert, absterben.  Nach  Rokitansky  unterscheidet  sich  der  Furun- 
kel vomCarbunkel  nur  dadurch,  dass  bei  ersterem  nur  ein  einziger  Binde- 
gewebskegel  entzündet,  beim  Carbunkel  aber  eine  ganze  Gruppe  ergriffen 
ist.  —  Diagnose.  Die  Affection  beginnt  mit  einer  kleinen  harten  Ge- 
schwulst ,  die  tief  unter  dem  Niveau  der  Haut  liegt  und  meistens  an  den 
Hüften,  den  Hinterbacken,  den  Schenkeln,  im  Nacken  oder  in  der  Achsel- 
höhle erscheint.  Die  Geschwulst  wird  allmälig  konisch,  ohne  sich  aber 
sehr  über  die  Haut  zu  erheben,  schmerzhaft,  dunkel-  oder  violettroth  und 
erreicht  in  einigen  Tagen  die  Grösse  einer  Wallnuss  oder  darüber.  Zwi- 
schen dem  5.  und  8.  Tage  spizt  sie  sich  mehr  und  mehr  zu  und  wird  an 
ihrem  höchsten  Punkte  weiss  und  weich.  Bald  nachher  bricht  sie  auf  und 
entleert  eine  serös-blutige  Feuchtigkeit ,  nach  deren  Entleerung  in  der 
kleinen  Oeffnung  ein  fester  gelber  Pfropf  sichtbar  wird.  Dieser  Pfropf, 
welcher  aus  Exsudatmasse  und  aus  nekrotischem  Bindegewebe  besteht, 
wird  meistens  nach  2  oder  3  Tagen  ausgestossen ,  worauf  eine  klaffende 
Oeffnung  zurück  bleibt,  der  Schmerz  verschwindet,  die  Geschwulst  zusam- 
mensinkt ,    die  Höhle  sich   ausfüllt  und  die  Oeffnung  mit  Hinterlassung 


GALLENBLASENFISTEL. 

einer  Narbe  nach  einigen  Tagen  sich  schliesst.  —  Nicht  selten  erscheinen 
mehrere  Furunkel  gleichzeitig  oder  nach  einander.  —  Bei  empfindlichen 
Subjecten ,  bei  Kindern ,  oder  wenn  der  Furunkel  an  empfindlichen  Thei- 
len  sizt,  entstehen  nicht  selten  Fieberbewegungen ,  Schlaflosigkeit ,  Man- 
gel an  Esslust,  Delirien  etc.  und  benachbarte  Lymphdrüsen  schwellen 
au>  —  Ursachen.  Die  Prädisposition  zum  Furunkel  ist  derjenigen  zur 
eryripelatösen  Entzündung  analog.  Störungen  in  den  ersten  Wegen,  wie 
sie  durch  schlechte  Nahrungsmittel  verursacht  und  unterhalten  werden  ; 
äussere  Hautreize ,  Blasenpflaster,  reizende  Salben,  Unreinlichkeit,  schwe- 
felhaltige Bäder,  das  Haarseil,  gewisse  Ausschläge,  z.B.  Blattern,  können 
die  Entwickelung  der  Furunkel  begünstigen.  Häufig  sieht  man  sie  wäh- 
rend der  Reconvalescenz  von  Fiebern  und  entzündlichen  Krankheiten  der 
Haut  entstehen.  Oft  erscheinen  sie,  ohne  dass  die  geringste  Ursache  für 
ihr  Entstehen  aufzufinden  wäre ;  sie  zeigen  sich  dann  gewöhnlich  bei  ple- 
thorischen Individuen  und  im  Frühjahr.  —  Behandlung.  Sie  besteht 
in  der  Beförderung  der  Eiterung ,  zu  welchem  Ende  man  kleine ,  wenig 
schmerzende  Furunkel  mit  einem  Empl.  diachyl.  composit.,  galb. 
croc.  u.  dgl.  bedeckt;  bei  schmerzhaften  Furunkeln  wendet  man  erwei- 
chende Breiumschläge  mit  einem  Zusaze  von  narkotischen  Kräutern  an. 
Bei  sehr  schmerzhafter  Spannung,  Fieber  etc.  schneidet  man  ihn  seiner  gan- 
zen Länge  nach  ein  und  wendet  dann  erweichende  Breiumschläge  an.  In 
den  meisten  Fällen  öffnet  sich  der  Furunkel  von  selbst  oder  man  öffnet 
ihn  mit  der  Lancette  ;  der  Pfropf  stösst  sich  beim  Fortgebrauche  erwei- 
chender Breiumschläge  los.  Bilden  sich  viele  Furunkel  bei  demselben  In- 
dividuum ,  so  sucht  man  die  Ursache  zu  beseitigen ,  wendet  Schwefel-, 
Kleien-  oder  Malzbäder  an,  oder  reibt  den  ganzen  Körper  mit  feingepul- 
vertem Lehm  ein,  den  man  am  nächsten  Morgen  abwäscht ;  innerlich  gibt 
man  von  Zeit  zu  Zeit  ein  leichtes  Abführmittel,  reicht  Mineralsäuren 
(nach  Fosbzoke  grosse  Dosen  A c i d.  sulphur.  d i  1  u t.  und  zwar  bis 
zu  5vj  p  die),  Quecksilber,  Antimon,  den  Arsenik  in  der  Form  der  So- 
lutio  Fowleri  und  regulirt  die  Lebensweise.  Masse  wendet  mit 
grossem  Nuzen  Bierhefe  (dreimal  täglich  einen  Esslöffel  mit  Wasser  ver- 
dünnt) an.  Nach  Nelaton  wird  durch  Umschläge  mit  concentrirtem 
Alkohol  die  Abtreibung  der  Furunkel  immer  erlangt. 

Fussverkrümmung,  s.  Klump füsse. 


G. 


GALLENBLASENFISTEL,    Fistula    biliosa    s.  bi- 
liar is,  entsteht  durch  Trennung  der  Gallenblase  oder  des  Gallenganges, 


GALLENBLASENFISTEL.  299 

nachdem  diese  vorher  eine  Verwachsung  mit  dem  Peritonäum  eingegangen 
haben.  —  Diagnose.  Man  erkennt  die  Gallenblasenfistel  viel  mehr  an 
der  Natur  der  Flüssigkeit,  die  sie  ergiessen,  als  an  ihrer  Lage.  Denn  sie 
haben  ihren  Siz  nicht  immer  in  der  Lebergegend,  sondern  öffnen  sich  auch 
manchmal  an  entfernteren  Stellen ,  als  am  Nabel ,  Rücken ,  in  der  rechten 
Weiche ,  am  Oberschenkel  etc.  Sie  ergiessen  bald  reine  Galle ,  bald  ein 
Gemenge  von  Galle ,  Schleim  und  Eiter.  Manchmal  wird  die  Gesundheit 
durch  solche  Fisteln  wenig  beeinträchtigt  und  behalten  die  Excremente 
ihre  natürliche  Färbung  ;  in  anderen  Fällen  treten  wesentliche  Verdauungs- 
störungen ein  mit  folgender  Auszehrung,  was  hauptsächlich  davon  abhängt, 
ob  alle  Galle  nach  aussen  entleert  oder  theilweise  noch  durch  den  Duc- 
tus choledochus  in  das  Duodenum  geführt  wird.  Die  Unterbrechung 
des  Ausflusses  durch  einen  Gallenstein  kann  sehr  gefährliche  Zufälle  her- 
vorbringen. Nicht  selten  verschliesst  sich  die  Fistelöffnimg  von  selbst,  ge- 
wöhnlich nachdem  ein  Gallenstein  abgegangen  ist.  Die  Ursache  der  Gal- 
lenblasenfistel ist  gewöhnlich  eine  Anhäufung  der  Galle  in  der  Gallenblase 
(Hydrops  vesicae  felleae),  wodurch  sich  unter  den  kurzen  Rippen 
eine  gleich  anfangs  umgrenzte ,  gleichförmige,  schwappende  Geschwulst 
bildet ,  welche  sich  langsam  unter  nicht  sehr  heftigen  Schmerzen  vergrös- 
sert,  und  sich  oft  auf  einen  Druck,  oder  auch,  wenn  die  Gallenblase  stark 
angefüllt  ist,  von  selbst  vermindert,  indem  sich  ein  Theil  der  Galle  in  den 
Darmkanal  ergiesst,  worauf  unter  Kolikschmerzen  gallige  Stühle  erfolgen. 
Diese  Erscheinungen  unterscheiden  die  Anfüllung  der  Gallenblase  von 
dem  Leberabscesse.  Mit  der  Zunahme  der  Anschwellung  der  Gallenblase 
kommt  es  zur  Entzündung ,  damit  zur  Anheftung  an  das  Bauchfell  und 
indem  sich  durch  Verschwärung  eine  Oeffnung  bildet ,  zur  Entstehung 
einer  Gallenblasenfistel.  Die  Ursachen  dieser  Gallenanhäufungen  sind  ge- 
wöhnlich Gallensteine.  Seltener  erfolgt  ein  Durchbruch  in  Folge  eines 
Abscesses.  —  Behandlung.  Die  Heilung  der  Gallenblasenfistel  ist 
nur  möglich ,  wenn  der  gemeinschaftliche  Gallengang  noch  wegsam  öder 
der  Ductus  cysticus  für  bleibend  geschlossen  ist.  Zunächst  hat  man 
sich  mittels  behutsamen  Einbringens  einer  Sonde  in  die  Gallenblase  über 
die  Anwesenheit  von  Gallensteinen  Gewissheit  zu  verschaffen ,  und  diese, 
wenn  solche  vorgefunden  werden ,  zu  entfernen.  Hierzu  ist  gewöhnlich 
Erweiterung  der  Abscessöffnung  und  später  des  fistulösen  Ganges  noth- 
wendig.  Die  Erweiterung  geschieht  am  gefahrlosesten  durch  Einbringen 
vonBougies,  Darmsaiten,  Pressschwamm.  Eine  für  zweckmässig  erachtete 
blutige  Erweiterung  darf  nie  eine  zu  grosse  Ausdehnung  haben ,  um  die 
Verwachsungen  der  Gallenblase  mit  der  Bauchwand  nicht  zu  überschrei- 
ten, was  eine  Gallenergiessung  in  die  Bauchhöhle  zur  Folge  haben  würde. 
Die  Fistel  werde  bis  zu  dem  Grade  erweitert ,  dass  man  eine  Kornzange 
unter  Führung  des  linken  Zeigefingers  einbringen,  damit  den  Stein  fassen 
und  ausziehen  kann ,  wobei  man  sich  durch  Umdrehen  der  Zange  über- 
zeugt ,  dass  man  die  Gallenblase  nicht  mit  gefasst  hat.      Grössere  Steine 


300  GAUMEN,   DEFORMITAET  DESS. 

könnte  man  vorher  zertrümmern.  Man  erhält  die  äussere  Fistelöffnung 
offen,  so  lange  man  noch  Gallensteine  vermuthet,  da  man  sonst  das  Wie- 
deraufbrechen derselben  zu  erwarten  hat.  Sind  alle  Steine  entfernt ,  so 
schliesst  sich  die  Fistel  gewöhnlich  von  selbst  bei  einem  blos  deckenden 
Verband. 

Gaumen ,  Deformität  desselben.  Die  bedeutendste  und 
häufigste  Missbildung  des  Gaumens  ist  die  angeborene  Spaltung  dessel- 
ben, welche,  sofern  sie  sich  blos  auf  das  Gaumensegel  bezieht,  Gaumen- 
spalte, sofern  sie  aber  den  knöchernen  Gaumen  betrifft ,  Wolfsra- 
chen genannt  wird.  —  Die  Spaltung  des  Gaumens  kommt  als  Fehler  der 
ersten  Bildung  nicht  sehr  selten  vor ,  beschränkt  sich  oft  blos  auf  das 
Zäpfchen  (Uvula  bifida),  oder  betrifft  das  ganze  Gaumensegel ,  oder 
es  ist  gleichzeitige  Spaltung  des  Gaumensegels  und  des  knöchernen  Gau- 
mens zugegen.  —  Die  blose  Spaltung  des  Zäpfchens  macht  gar  keine 
Beschwerden  oder  bedingt  höchstens  unbedeutende  Schwierigkeiten  beim 
Sprechen  und  Schlingen.  Bei  der  eigentlichen  Gaumenspalte  dagegen 
sind  grosse  Beschwerden  zugegen  ,  die  sich  in  den  ersten  Tagen  des  Le- 
bens bemerklich  machen ,  indem  das  Kind  gar  nicht  oder  nur  höchst  un- 
vollkommen saugen  kann,  besonders  in  horizontaler  Lage.  In  der  spätem 
Lebenszeit  macht  sich  vorzüglich  eine  Störung  der  Sprache  bemerklich, 
indem  diese  mehr  oder  weniger  unverständlich  und  unangenehm  ist.  Zu- 
gleich können  an  diesem  Uebel  leidende  Personen  die  Luft  nicht  mit  Ge- 
walt aus  dem  Munde  ausstossen  und  in  horizontaler  Lage  nicht  ohne  Be- 
schwerden trinken.  Die  Untersuchung  zeigt  einen  dreieckigen  Raum  mit 
aufwärts  gerichteter  Spize ,  der  sich  bei  der  Exspiration  verkleinert.  — 
Ist  mit  dem  Gaumensegel  zugleich  auch  der  knöcherne  Gaumen  gespalten, 
so  hängen  die  Ränder  des  ersteren  parallel  mit  einander  herab  ,  ohne  wie 
bei  der  alleinigen  Spaltung  des  Gaumensegels  ,  im  Augenblicke  der  Ex- 
spiration einander  näher  zu  rücken.  Die  bei  der  Spaltung  des  weichen 
Gaumens  bestehenden  Beschwerden  und  Störungen  finden  sich  hier  in 
noch  höherem  Maasse.  —  Ausser  diesen  angeborenen  kommen  auch  er- 
worbene Spaltungen  und  Substanzdefecte  des  Gaumens  vor.  Sie  können 
die  Folgen  von  Verlezungen  ,  namentlich  Schusswunden ,  besonders  bei 
Selbstmordversuchen,  oder  von  Ulceration  und  Necrose,  hauptsächlich  sy- 
philitischer Natur  sein.  —  Behandlung.  Die  einzige  Hülfe  bei  allen 
diesen  Missbildungen  und  Formfehlern  besteht  in  der  Vereinigung  der 
Spalte  nach  vorläufiger  Auffrischung  ihrer  Ränder.  Man  nennt  die  Ope- 
ration Gaumennaht,  St  aphylorrhaphie,  wenn  es  sich  blos  um  die 
Vereinigung  einer  angeborenen  Gaumenspalte  handelt;  dagegen  Palato- 
plastik,  Staphyloplastik,  wenn  ein  Substanzverlust  ausgeglichen 
werden  soll.  Diese  Operationen  sind  weniger  hinsichtlich  des  dadurch 
gesezten  Eingriffes ,  als  vielmehr  der  Schwierigkeiten  wegen  ,  welche  ihre 
Ausführung  bietet,  von  Bedeutung. 


GAUMEN,  DEFORMITAET  DESS.  301 

l)Gaumennaht,  Staphylorrhaphia  (von  aiucpvXf],  Zäpfchen, 
und  Qucpr],  Naht).  Diese  Operation,  welche  von  Graefe  im  Jahre  1817 
zuerst  ausgeführt,  von  Roux  1819  vereinfacht  wurde,  ist  nur  bei  Er- 
wachsenen ausführbar  und  zerfällt  in  zwei  Acte  :  die  Auffrischung  und 
die  Anlegung  der  Nähte.  Die  Auf  f  ris  ch  un  g  geschieht  entweder  mit 
Aezmitteln  (Salzsäure,  Schwefelsäure,  Cantharidentinctur  etc.)  oder  durch 
Abtragen  der  Spaltränder.  Das  erstere  Verfahren  eignet  sich  nur  bei  sehr 
kleinen  Spalten  oder  blosen  Durchlöcherungen  des  Gaumens.  Behufs  der 
blutigen  Abtragung  fasst  man  den  einen  Spaltenrand  mit  einer  langschenk- 
ligen,  in  den  Schenkeln  gekrümmten  Hakenpincette  (Gr  ae  fe  ,  Ebel), 
einem  scharfen  Häkchen,  einer  Kornzange  (Roux,  Dieffenbach)  oder 
H  r  u  b  y  's  Gaumenhalter  an  seinem  unteren  Ende,  stösst  oberhalb  der  ge- 
fassten  Stelle  ein  schmales ,  spiziges  Messer  ein  und  trägt  mit  sägenden 
Zügen  einen  Streifen  in  der  Breite  eines  halben  Strohhalmes  ab.  Nach- 
dem man  diesen  Schnitt  gerade  aufwärts  bis  über  den  obern  Winkel  der 
Spalte  hinausgeführt  hat,  wendet  man  das  Messer  und  durchschneidet  den 
untersten  Theil  des  Randes  gleichfalls.  Ebenso  verfährt  man  auf  der  an- 
dern Seite.  Weniger  zweckmässig  ist  hierzu  eine  von  Roux  und  A 1  - 
cok  empfohlene  Winkelscheere.  —  Nach  gestillter  Blutung  durch  Gur- 
geln mit  kaltem  AVasser  geht  man  an  die  Anlegung  der  Nähte,  den 
schwierigsten  Act  der  Operation ,  für  welchen  zahlreiche  Verfahren  und 
Instrumente  erfunden  worden  sind.  Zu  den  Nähten  bedient  man  sich 
nach  von  Gräfe  und  Roux,  gewöhnlicher  Ligaturfäden  oder  nach 
Dieffenbach  eines  Bleidrahtes.  Zur  Einführung  der  Fäden  b'enuzte 
Gräfe  zuerst  kleine  krumme  Nadeln,  die  er  mit  Hülfe  eines  geraden 
Nadelhalters ,  2  —  3  Linien  vom  Spaltenrande  entfernt ,  von  hinten  nach 
vorn  einführte.  An  die  Stelle  dieser  krummen  Nadeln  sezte  Ebel  zwei- 
schneidige ,  lancettförmige,  gerade,  und  im  grössten  Durchmesser  1  Linie 
breite  Nadeln ,  die  er  mit  einem  knief  örmig  gebogenen  Nadelhalter  ein- 
führte. Aehnlich  sind  die  später  von  Gräfe  und  Dieffenbach  ange- 
gegebenen feinen  lanzenf  örmigen  Nadeln ,  wie  auch  ihr  Nadelhalter  dem 
E  b  e  l'schen  ähnlich  ist.  Nur  sind  die  Dieffenbach  'sehen  Nadeln  an 
ihrem  hinteren  Ende  rund  und  hohl  zur  Aufnahme  des  Bleidrahtes.  Zur 
leichteren  Durchführung  der  Nadel  durch  das  Gaumensegel  von  hinten 
nach  vorn ,  drückt  man  das  leztere  mit  dem  Finger  oder  Kornzange  der 
Nadelspize  entgegen ,  die  man ,  hat  sie  den  Gaumen  durchdrungen ,  mit 
derselben  Zange  fasst  und  so  die  Nadel  sammt  dem  Fadenende  vollends 
durchzieht.  Ebenso  führt  man  das  andere  Ende  des  Fadens  durch  die 
entsprechende  Stelle  des  entgegengesezten  Spaltenrandes,  worauf  man  die 
beiden  Fadenenden  durch  den  Mund  nach  aussen  leitet.  —  D  o  n  i  g  e  s  , 
Smith,  Lesenberg  u.  A.  bedienen  sich  gestielter  Nadeln  in  der  Form 
eines  scharfen  Hakens ,  an  welchen  sich  dicht  hinter  der  Spize  ein  Oehr 
befindet.  Nachdem  man  das  vorher  mit  der  Hakenpincette  fixirte  Gau- 
mensegel von  hinten  nach  vorn  durchbohrt  hat ,  zieht  man  den  Faden  aus 


302  GAUMEN,  DEFORMITAET  DESS. 

dem  Oehr  mit  einer  Pincette  hervor  und  verfährt  auf  der  andern  Seite 
ebenso.  Um  die  Losmachung  des  Fadens  zu  erleichtern ,  hat  F  o  r  a  y  - 
stier  ein  Instrument  erfunden,  an  dem  vorn  eine  kleine  Nadel  angesteckt 
ist ,  die  man  ,  nachdem  man  die  Vorrichtung  wie  eine  gestielte  Nadel  ge- 
handhabt hat,  mit  einer  Kornzange  sammt  dem  durch  ein  Oehr  derselben 
laufenden  Faden  fasst  und  herauszieht.  Ein  von  Depierris  angegebe- 
nes ,  von  Blandie  modificirtes,  höchst  sinnreiches,  aber  auch  complicir- 
tes  Instrument  erleichtert  die  Anlegung  der  Naht  sehr.  —  Hat  man  auf  die 
eine  oder  die  andere  Weise  3,  5,  7  Ligaturen,  der  Spaltlänge  entsprechend, 
die  erste  etwa  3  Linien  unter  dem  obern  Winkel  der  Spalte  eingelegt  und 
hierauf  eine  nochmalige  Reinigung  der  Wundränder  vorgenommen,  so  geht 
man  an  das  Schliessen  der  Nähte,  was  am  besten  in  der  Reihenfolge  von 
oben  nach  unten  geschieht.  Zu  diesem  Behufe  schlingt  man  jede  Ligatur 
vor  dem  Munde  in  einen  chirurgischen  Knoten,  den  man  mit  den  Fingern 
oder  mit  Hülfe  des  von  D  o  n  i  g  e  s  angegebenen  Knotenschliessers  so  lange 
gegen  den  Gaumen  hindrängt,  bis  dessen  Wundränder  in  genauer  Berüh- 
rung sind.  Auf  diesen  Knoten  sezt  man  noch  einen  einfachen  zweiten, 
den  man  auf  die  Seite  der  Wunde  hinzieht  und  schneidet  an  ihm  die  En- 
den kurz  ab.  Dieffenbach  dreht  die  Enden  seiner  Bleiligatur  zu- 
sammen ,  geht  aber ,  ehe  er  die  oberste  ganz  schliesst ,  auch  zur  Drehung 
der  übrigen  über ;  die  Enden  schneidet  er  ebenfalls  kurz  ab.  —  Kann 
man  die  Spaltenränder  wegen  Spannung  nicht  an  einander  bringen ,  so 
macht  man  nach  Dieffenbach  auf  jeder  Seite  der  Spalte  einen  Schnitt 
durch  das  Gaumensegel ,  wodurch  zwei  klaffende ,  ovale  Oeffnungen  ent- 
stehen, die  sich  durch  Granulation  bald  wieder  schliessen.  —  Nicht  selten 
muss  die  Gaumennaht  öfter  wiederholt  werden ,  bis  eine  Vereinigung  er- 
zielt wird. 

2)  Operation  des  Wolfsrachens.  Der  Wolfsrachen  schliesst 
sich  nicht  selten  nach  frühzeitig  ausgeführter  Operation  einer  oft  gleich- 
zeitig bestehenden  Hasenscharte  von  selbst,  was  man  durch  häufig  wieder- 
holtes Zusammendrücken  der  beiden  Oberkieferhälften  ,  sowie  durch  Be- 
streichen der  Spaltenränder  mit  Cantharidentinctur  unterstüzen  kann.  Er- 
folgt die  Schliessung  der  Spalte  hierdurch  nicht ,  so  muss  diese  auf 
operativem  Wege  zu  bewirken  gesucht  werden ,  was  man  entweder  blos 
durch  eine  Verschiebung  der  Schleimbaut  des  weichen  Gaumens  oder  aber 
durch  eine  wirkliche  knöcherne  Vereinigung  ins  Werk  sezt.  Der  Ver- 
schluss durch  die  Schleimhaut  allein ,  welchen  man  entweder  durch  eine 
plastische  Operation  oder  durch  bloses  Herbeiziehen  aus  der  Nachbar- 
schaft bewirken  kann ,  blieb  meist  ohne  Erfolg.  Betreffs  der  knöchernen 
Vereinigung  hat  Dieffenbach  vorgeschlagen,  nach  vorheriger  Durch- 
schneidung des  Schleimhautüberzuges  den  knöchernen  Gaumen  in  paral- 
leler Richtung  mit  dem  Alveolarfortsaz,  3  —  4  Linien  von  diesem  entfernt 
der  ganzen  Länge  nach  von  hinten  nach  vorn  mit  einer  feinen  Stichsäge 
zu  durchsägen   und   nach  Auffrischung  der  Spaltränder  die  beweglich  ge- 


GAUMEN,  DEFORMITAET  DESS.  303 

machten  Hälften  des  knöchernen  Gaumens  mit  Golddraht  zusammenzu- 
ziehen. Dieses  Verfahren  wurde  von  Wutzer  und  B  ü  h  r  i  n  g  modifi- 
cirt.  Lezterer  stiess  ein  spiziges  ,  meisselartiges  Messer  vom  Munde  aus 
mit  einiger  Gewalt  durch  das  knöcherne  Gaumengewölbe ,  trieb  die  hier- 
durch entstandenen  Lücken  durch  kleine  Holzkeile  auseinander  und  be- 
wirkte hierdurch ,  sowie  durch  einen  von  einer  Lücke  zur  andern  geführ- 
ten und  in  der  Mundhöhle  zusammengedrehten  Draht  die  Annäherung  der 
Spaltränder.  Bardeleben  schlägt  zur  unblutigen  Durchschneidung  des 
Gaumengewölbes  den  galvanokaustischen  Apparat  vor. 

3)  Operation  erworbener  Gaumendefecte.  Kleine  und 
frische  Substanzverluste  können  durch  Cauterisation  mit  Aezmitteln  zum 
Verschlusse  gebracht  werden.  Sind  diese  aber  nur  von  einer  einigermas- 
sen  grossen  Ausdehnung ,  so  sind  sie  nur  auf  operativem  Wege  zu  besei- 
tigen ,  die  bei  solchen  im  Gaumensegel  entweder  in  der  oben  beschriebe- 
nen Gaumennaht  mit  ausgiebigen  Seitenschnitten,  oder  aber  in  einer  Ueber- 
pflanzung  von  Nachbartheilen  auf  die  Oeffnnng  (Palatoplastik)  besteht. 
Bei  lezterer  von  Sedillot  zu  verschiedenen  Malen  ausgeführten  Opera- 
tion wurde  das  Gaumensegel  zur  Verschliessung  des  Defectes  benuzt, 
indem  dieses  in  grösserer  oder  geringerer  Ausdehnung  eingeschnitten  oder 
an  seinen  Seitentheilen  abgelöst  wird.  —  Löcher  im  harten  Gaumen  kön- 
nen nur  durch  die  von  Bühring  angegebene  Knochennaht  zum  Ver- 
schlusse gebracht  werden.  OefFnungen  ,  deren  Verschliessung  gar  nicht 
zu  bewirken  ist  ,  verstopft  man  durch  Obturatoren,  z.  B.  den 
D  ie  ff  e  nb  a  ch 'sehen  ,  der  aus  elastischem  Gummi  besteht  und  zwei 
Doppelscheiben,  wie  ein  Hemdknopf,  darstellt;  besser  sind  die  aus  vulca- 
nisirtem  Gummi  gefertigten  ,  unter  welchen  besonders  ein  von  C  h  a  r  - 
riere  angegebener  Apparat  zu  nennen  ist.  Er  besteht  aus  einer  runden 
Gaumenplatte  und  einem  auf  dieser  befestigten  viereckigen  Kästchen,  wel- 
ches zwei  bewegliche  Seitenflügel  und  eine  Achse  hat ,  die  in  der  Mitte 
der  Gaumenplatte  etwas  hervorspringt ;  wird  nun  diese  Achse  mit  einem 
besonderen  Schlüssel  gedreht ,  so  bewegen  sich  die  genannten  Flügel  ab- 
wärts und  das  Gaumengewölbe  befindet  sich  zwischen  der  Gaumenplatte 
und  diesen  Flügeln,  damit  die  Vorrichtung  befestigend. 

Nach  den  Operationen  am  Gaumen  ist  die  grösste  Ruhe  des  operir- 
ten  Theiles  nöthig  ;  deshalb  ist  alles  Sprechen  und  Lachen ,  wo  möglich 
auch  Husten,  Niessen  etc.  zu  vermeiden.  Der  Kopf  muss  vorwärts  gebeugt 
gehalten  werden  oder  auf  der  Seite  liegen ,  damit  der  Speichel  aus  dem 
Munde  abfliessen  kann.  Von  Zeit  zu  Zeit  wird  der  Mund  vorsichtig  mit 
Wasser  ausgespült;  bei  heftigem  Durst  lässt  man  kleine  Stückchen  Eis  in 
demselben  zergehen.  Hat  man  die  Naht  angewendet ,  so  nimmt  man  die 
Ligaturen  zwischen  dem  3 .  und  5 .  Tage,  in  welcher  Zeit  sie  sich  gewöhn- 
lich locker  zeigen,  weg,  indem  man  den  Knoten  derselben  fasst,  anzieht, 
die  Schleife  mit   der  Hohlscheere   durchschneidet   und   das  Heft  mit  der 


304  GEBAERMUTTERBEUGUNGEN. 

Pincette  sanft  entfernt.  Zur  Befestigung  der  Narbe  bepinselt  man  sie  mit 
Borax  und  Honig  und  lässt  langsam  Rothwein  verschlucken.  Kleine  un- 
vereinigt gebliebene  Stellen  sucht  man  durch  Betupfen  mit  Höllenstein 
etc.  zur  Vernarbung  zu  bringen  ;  nöthigenfalls  legt  man  von  Neuem  ein 
Heft  an. 


GrebärmutterbeUgUngen ,  Versiones  uteri.  Hierunter 
versteht  man  Abweichungen  dieses  Organes  von  seiner  normalen  Stellung 
in  Bezug  auf  seine  Achse.  —  Diese  Abweichung  kann  entweder  darin 
bestehen ,  dass  der  Grund  des  Uterus  nach  der  einen  oder  der  anderen 
Seite  geneigt  ist  (S  chie  f  1  age)  ,  oder  derselbe  sich  dem  Kreuzbein 
nähert  (Rückwärtsbeugung),  oder  aber  gegen  die  Schambeine  sich 
richtet  (Vorwärtsbeugung).  Die  erste  der  genannten  Lageverände- 
rungen erregt  keine  bedeutenden  Zufälle  und  wird  deshalb  selten  Gegen- 
stand einer  chirurgischen  Behandlung ;  von  den  beiden  andern  ist  die  erste 
häufiger  als  die  zweite  und  beide  können  in  höherem  oder  geringerem 
Grade  bestehen.  Von  diesen  eigentlichen  Umkehrungen  des  Uterus  ist 
die  Unibeugung  dieses  Organes,  wobei  die  vordere  oder  hintere  Wand 
desselben  eingebogen  oder  eingeknickt  ist ,  die  entgegengesezte  aber  im- 
mer gewölbt  erscheint,  zu  unterscheiden.  Diese  Abnormität,  welche  man, 
je  nachdem  die  vordere  oder  hintere  Wand  eingebogen  ist,  als  Prona- 
tio  s.  Antroflexio  oder  Supinatio  s.  Retroflexio  uteri  be- 
zeichnet ,  kann  angeboren  oder  erworben  sein  und  entsteht  im  lezteren 
Fall  gewöhnlich  im  Wochenbette,  nach  Erschütterungen  des  Uterus  durch 
Niessen  und  Husten ,  nach  dem  Aufheben  schwerer  Lasten  etc.  Im 
Uebrigen  fällt  sie  in  ihren  Erscheinungen  wie  in  der  Behandlung  mit  der 
Umkehrung  zusammen,  weshalb  nur  die  leztere  hier  abgehandelt  wird. 

Bei  der  häufiger  vorkommenden  Rückwärtsbeugung,  Retro- 
ver s  i  o  ,  weicht  die  Längenachse  der  Gebärmutter  so  von  der  Central- 
linie  des  Beckens  ab,  dass  sich  der  Grund  der  ersteren  nach  der  Aushöh- 
lung des  Kreuzbeins  senkt ,  während  der  Mutterhals  nach  vorn  gegen  die 
Schambeinverbindung  in  die  Höhe  steigt.  Die  dadurch  hervorgebrachten 
Beschwerden  sind  nach  dem  Grade  der  Dislocation  verschieden.  Ist  das 
Uebel  angeboren ,  so  macht  es  sehr  oft ,  ausser  der  Unfähigkeit  zu  em- 
pfangen ,  gar  keine  Zufälle  und  wird  daher  im  Leben  auch  nur  selten  er- 
kannt ;  ist  es  hingegen  erworben ,  welches  der  Fall  ebenso  gut  im  nicht- 
schwangern,  wie  im  schwangeren  Zustande  der  Gebärmutter  sein  kann,  so 
ist  die  Stuhl  -  und  Urinausleerung  in  hohem  Grade  gehindert ,  manchmal 
völlig  unterdrückt;  es  entsteht  heftiges,  äusserst  schmerzhaftes  Drängen, 
eine  Schwere  und  Völle  im  Unterleibe,  Aufgetriebenheit  und  Schmerzhaf- 
tigkeit  desselben ,  Neigung  zum  Erbrechen  und  wirkliches  Erbrechen, 
Kopfschmerzen  ,  Schwindel ,  Fieber  ,  grosse  Unruhe  ,  Anwandlungen  von 
Ohnmächten   und   selbst  der  Tod ,    wenn   der  Uterus  nicht  in  seine  Lage 


GEBAERMUTTEREXSTIRI'ATTON.  305 

reponirt  wird.  Bei  menstruirten  Frauen  tritt  an  die  Stelle  der  unregel- 
niässigen  Menstruation  ein  immer  mehr  überhand  nehmender  weisser  Fluss, 
welcher  zulezt  organische  Veränderungen  im  Parenchym  der  Gebärmutter 
hervorruft.  Ist  die  Kranke  zugleich  schwanger ,  so  treten  vorher  Kreuz- 
schmerzen ,  Blutfluss  und  Abortus  ein.  Die  Untersuchung  durch  die 
Scheide  lässt  das  Uebel  leicht  erkennen.  —  Bei  der  Vorwärtsbeu- 
gung, Antroversio,  ist  derselbe  Drang  zum  Urinlassen ,  ohne  viel 
Urin  zu  lassen  :  dabei  Uebelkeit ,  starker  Drang  zum  Stuhlgange  ;  später 
stellt  sich  heftige  Fieberaufregung ,  Neigung  zum  Erbrechen  ein  und  die 
Regio  hypogastrica  wird  sehr  empfindlich ,  die  Regio  pubis  ist 
bei  Nichts ch wangern  voller,  bei  Schwangern  besteht  ein  Hängebauch.  Bei 
der  Untersuchung  findet  man  den  Muttermund  so  hoch  nach  hinten  aufge- 
stiegen ,  dass  er  kaum  zu  erreichen  ist.  —  Ursachen.  Die  p r ä d i s - 
ponirenden  sind  vorzüglich  ein  weites ,  zu  wenig  oder  zu  stark  incli- 
nirtes  Becken  und  grosse  Schlaffheit  der  Theile ,  namentlich  der  Mutter- 
bänder. Gelegenheitsursachen  sind :  die  üble  Gewohnheit ,  Koth 
und  Urin  zu  lange  anzuhalten ,  Heben  und  Tragen  zu  schwerer  Lasten, 
Erschütterungen  der  Beckeneingeweide  und  das  zu  feste  Binden  des  Un- 
terleibes während  der  Schwangerschaft.  In  seltenen  Fällen  führen  Dege- 
nerationen des  Uterus  und  seiner  Umgebungen  die  Umkehrung  herbei.  — 
Die  Prognose  richtet  sich  nach  der  Möglichkeit,  die  Ursachen  zu  ent- 
fernen. —  Behandlung.  Vor  Allem  ist  Blase  und  Mastdarm  zu  ent- 
leeren. Ist  dies  geschehen ,  so  tritt  der  Uterus  bei  der  Retroversio 
in  der  Seitenlage  mit  vorgebeugtem  Oberleibe  beinahe  immer  von  selbst 
allmälig  in  seine  natürliche  Lage  zurück.  Geschieht  dies  nicht ,  so  geht 
man  mit  zwei  Fingern  in  die  Scheide  ein  und  drückt  damit  den  Fundus 
uteri  auf  sanfte  Weise  langsam  in  die  Höhe.  Ist  der  Uterus  in  seine 
normale  Lage  getreten ,  so  bringt  man  einen  konisch  geschnittenen 
Schwamm  nach  hinten  ein  und  lässt  die  Kranke  unter  Beibehaltung  der 
Seitenlage  die  grösste  Ruhe  beobachten.  —  Bei  der  Antroversio  ver- 
sucht man  die  Reposition  in  der  Rückenlage  der  Kranken  mit  gehö- 
rig erhöhtem  Becken,  indem  man  mit  zwei  Fingern  der  einen  Hand  in  die 
Scheide  eingeht ,  und  gleichzeitig  mit  der  andern  Hand  den  Fundus 
uteri  von  den  Schambeinen  aus  in  die  Höhe  drückt.  Nach  erfolgter 
Reposition  muss  die  Kranke  noch  längere  Zeit  eine  Rückenlage  beobach- 
ten. Entzündliche  Zufälle  werden  mit  Blutegeln,  Emulsionen  etc.  behan- 
delt ,  und  erst  wenn  diese  beseitigt  sind ,  kann  an  die  Reposition  gedacht 
werden.  —  Zuweilen  muss  diese  durch  Einlegen  eines  ringförmigen  Mut- 
terkranzes erhalten  werden. 

G-ebärmutterexstirpation ,  Exstirpatio   uteri.    Bei 

dieser  äusserst   eingreifenden  Operation  wird   der  Uterus  theilweise  oder 
gänzlich   exstirpirt,    und   zwar  geschieht   dies   bei  einem  zufälligen  oder 
künstlich  bewirkten  Vorfall   desselben ,    oder  ohne   dass  ein  solcher  vor- 
Burger,  Chirurgie.  20 


306 


GEBAERMUTTEREXST1RPATION. 


handen  ist.  Die  Operation  wurde  wegen  Krebs ,  Brand  und  wegen  veral- 
teter Vorfälle  und  Umkehrungen  gemacht.  —  Die  partielle  Ausrottung 
wurde  besonders  von  Dupuytren  und  Lisfranc  cultivirt ;  die  Resul- 
tate waren  indessen  von  der  Art ,  dass  die  Operation  von  dem  Ersteren 
wieder  verlassen  wurde ,  welche  überhaupt  nur  einen  sehr  beschränkten 
Eingang  in  die  Praxis  fand.  Was  nun  vollends  die  Totalexstirpation"  be- 
trifft, so  steht  die  Grösse  ihrer  Gefahren  mit  der  Wahrscheinlichkeit  ihrer 
Heilsamkeit  in  einem  allzu  ungünstigen  Verhältnisse.  Es  wird  bei  ihr  das 
Bauchfell  verlezt  und  anderweitig  insultirt ;  leicht  verwundet  man  Blase 
und  Rectum,  die  in  Folge  der  Krankheit  fester  mit  dem  Uterus  verbunden 
sind ;  es  wird  jedesmal  die  Bauchhöhle  geöffnet,  so  dass  in  sie  Luft  ein- 
tritt und  die  Därme  prolabiren  können  ;  ferner  kommen  starke,  schwer  zu 
stillende  Blutungen  vor,  sowohl  aus  Arterien,  wie  aus  Venen,  die  gewöhn- 
lich sehr  erweitert  und  dadurch  überdies  zu  gefahrvoller  Entzündung  dis- 
ponirt  sind ;  endlich  ist  die  Operation  sehr  schwierig  auszuführen ,  wenn 
nicht  ein  künstlicher  Vorfall  des  Uterus  bewirkt  wird ,  der  aber  für  sich 
wieder  mit  Nachtheilen  verbunden  ist.  So  entstehen  gewöhnlich  nach  der 
Operation  sehr  rasch  heftige  Entzündung,  Brand  und  andere  Zufälle,  die 
schnell  zum  Tode  führen  ;  manche  Operirte  sterben  in  wenig  Stunden, 
aufgerieben  von  dem  heftigen  Eingriff  der  Operation.  Andererseits  lässt 
die  Operation  wegen  der  Natur  des  Gebärmutterkrebses  fast  noch  weniger 
als  die  Rrustamputation  eine  radicale  Heilung  hoffen,  da  das  Uebel  höchst 
selten  ein  locales  ist ,  auch  die  Entartung  oft  weiter  sich  erstreckt  (auf 
Blase,  Mastdarm,  Scheide),  als  man  denkt.  Dies  beweisen  die  drei  Fälle, 
die  zu  Gunsten  der  Operation  angeführt  werden  ;  die  betreffenden  Frauen 
überlebten  zwar  die  Operation ,  starben  aber  sämmtlich  noch  vor  Ablauf 
eines  Jahres  unter  Leiden,  die  denen  des  Krebses  wenig  nachstanden.  Und 
bei  Prolapsus  und  Umstülpung  des  Uterus  ist  bis  auf  seltene  Ausnahmen 
dieses  zu  gefahrvolle  Heilmittel  nichts  weniger  als  dringend  nöthig,  indem 
die  dadurch  entstehenden  Leiden  durch  ein  zweckmässiges  Verfahren  oft 
erträglich  zu  machen  sind. 

I.  Partielle  E  x  s  tirpart  ion.  l.Act.  Fixirung  oder 
Herabziehung  der  Vaginalportion.  Oslander  bewirkte  ein 
Herabsteigen  der  Vaginalportion  mittels  zweier  Fadenschlingen ,  die  er 
mit  krummen  Nadeln  durch  diese  zog ,  oder  wenn  sie  gross tentheils  zer- 
stört war,  so  Hess  er  den  Grund  des  Uterus  durch  die  Hand  eines  Gehül- 
fen herab  drücken ,  fixirte  den  Muttermund  mit  dem  linken  Zeigefinger  in 
die  Aushöhlung  des  Os.  sacrum  und  steckte  den  Mittel-  und  Ringfinger 
in  die  Gebärmutter.  Die  Franzosen  bedienen  sich  zur  Herabziehung  und 
Fixirung  der  Muzeux 'sehen  oder  R e  c  a m  i  e r  'sehen  Hakenzange  oder 
mehrerer  gerader  oder  krummer  scharfer  Haken ,  die  durch  ein  zweiblät- 
teriges Scheidenspeculum  eingebracht  werden.  Ein  starkes  Herabziehen 
des  Uterus  ist  nicht  räthlich.  —  2.  Act.  Die  Abschneidung  der 
Vaginalportion  oder  die  Ausschneidung  des  Halses  des  Uterus  kann 


GEBAERMUTTEREXSTIRPATION.  307 

mit  dem  gewöhnlichen,  concaven,  geknöpften  Scalpell, oder  mit  einer  lang- 
griffigen C  o  o  p  e  r  'sehen  Scheere  oder  mit  O  s  i  a  n  d  e  r  's  oder  S  a  u  t  e  r's 
Scheere  geschehen.  Man  übergibt  das  Fassungsinstrument  einem  Gehül- 
fen ,  versichert  sich  mit  dem  linken  Zeigefinger  seiner  Insertion  an  der 
Vaginalportion ,  lässt  es  erheben  und  so  den  Uterus  nach  unten  einen 
Vorsprung  bilden,  bringt  auf  dem  schon  in  der  Scheide  befindlichen  Zeige- 
finger das  Messer  an  die  Vaginalportion  und  drückt  es  von  unten  nach 
oben  durch  dieselbe.  Dies  muss  so  hoch  als  möglich  und  in  einem  oder 
zwei  Zügen  geschehen ;  auch  mit  der  Scheere  wird  von  unten  nach  oben 
geschnitten.  Erstreckte  sich  die  Krankheit  hoch  ,  so  höhlte  L  i  s  f  r  a  n  c 
mittels  eines  geraden ,  spizen  Messers  durch  einen  vordem  und  hintern 
halbmondförmigen  Schnitt  einen  Conus  bis  in  den  Uterus  aus.  Es  wurden 
zu  dieser  Operation  eine  Menge  besonderer  Instrumente  erfunden  (Hy- 
sterotome  oder  Metrotome),  die  theils  einfache ,  theils  mit  einem 
Fassungsinstrumente  verbundene  Messer  sind.  Zu  den  ersteren  gehört 
Oslander 's,  Palet  ta 's,  Dupuytren 's,  Bellini 's  Metrotom ,  zu 
den  lezteren  (schnäpperartigen)  C  a  r  e  1 1  a  's  Metrotom  ,  H  a  t  i  n  's  Utero- 
tom,  Colombat's,  Mille's,  Aronsohn's  Hysterotom.  Bei  allen  die- 
sen Instrumenten  wird  eine  schmerzhafte  Erweiterung  der  Scheide  erfor- 
dert und  sie  nehmen  entweder  zu  viel  oder  zu  wenig  weg.  C  h  a  s  s  a  i  g- 
nac  will  hier  auch  einen  E  er  as  e  ur  (s.  Abbinden)  anwenden,  wie 
auch  die  galvano-kaustische  Schneideschlinge  (s.  Electrotherapie) 
wiederholt  mit  Nuzen  hier  angewendet  wurde.  —  3.  Act.  Stillung 
der  Blutung.  Bei  massiger  Blutung  bringt  man  einen  mit  Pulvis 
stypticus  bestreuten  Badeschwamm  ein  oder  man  führt  das  einfache 
Speculum  von  Eecamier  an  die  blutende  Stelle  und  drückt  die  in  ihm 
sich  befindende  Charpie  durch  den  Stempel  fest  an  die  Wundfläche.  Fin- 
det eine  arterielle  Blutung  statt,  die  sich  durch  den  Tampon  nicht  stillen 
lässt ,  so  muss  das  Glüheisen  durch  das  Speculum  applicirt  werden.  — 
Gegen  etwa  sich  einstellende  starke  Nachblutungen  tamponirt  man  in  Ver- 
bindung mit  kalten  Fomentationen.  Der  meist  gefährlich  werdenden  Ent- 
zündung der  Gebärmutter  und  des  Bauchfelles  kommt  man  durch  Ader- 
lässe, Blutegel  etc.  zuvor.  Nach  eingetretener  Eiterung  macht  man  täglich 
4 — 6  laue  Wasserinjectionen  und  lässt  täglich  ein  Bad  nehmen  ;  später 
sprizt  man  schwache  Chlorkalksolutionen  ein ;  die  Vernarbung  erfolgt 
dabei  schnell,  der  Stumpf  gestaltet  sich  zu  einer  Art  von  Muttermund,  die 
Menses  erfolgen  regelmässig  und  es  können  Schwangerschaft  und  Geburt 
ohne  Störung  vor  sich  gehen. 

II.  Totale  Exstirpation.  a)  Durch  die  Vagina  und  bei 
nicht  vorgefallenem  Uterus.  Mehrere  haben  als Voract  das  Mit- 
telfleisch eingeschnitten ,  um  die  Hand  leichter  in  die  Scheide  führen  zu 
können.  l.Act.  Fixirung  oder  Herabziehung  der  Gebär- 
mutter. Um  die  Operation  zu  erleichtern,  haben  Struve  u.  A.  zuerst 
einen   künstlichen  Vorfall   zu  bewirken  empfohlen ,   was  aber  nicht  immer 

20* 


308  GEBAERMUTTEREXSTIRPATION. 

möglich  ist ;  meistens  muss  man  sich  auf  die  Fixirung  und  Anziehung  des 
Uterus  bei  der  Operation  selbst  beschränken.  Dies  kann  entweder  durch 
Abwärts  drücken  des  Uterus  durch  die  Hand  eines  Gehülfen  geschehen, 
oder  man  benüzt  dazu  kreuzweis  eingeführte  Ligaturen  oder  verschiedene 
Zangen,  wie  starke  Polypen-,  Knochen-  oder  Steinzangen,  die  besonders 
hierzu  construirte  zerlegbare  Zange  von  S  t  r  u  v  e  oder  endlich  scharfe 
Haken  oder  Hakenzangen.  —  2.  Act.  Trennung  des  Scheiden- 
gewölbes von  der  Gebärmutter.  Sauter  schnitt  mit  einem 
kurzschneidigen,  langgestielten  Scalpell  den  Scheidengrund  2  —  3  Linien 
tief  rund  um  die  Vaginalportion  ein  und  trennte  dann  längs  zweier  bis 
zum  Scheidengrund  eingeführten  Finger  die  Blase  dicht  vom  Uterus  mit 
einer  nach  der  Schneide  gebogenen  Scheere.  Das  Zellgewebe  um  den 
Hals  des  Uterus  kann  auch  mit  den  Fingern  zerrissen  werden. —  3.  Act, 
Trennung  des  Uterus  von  seinen  Anhängen  und  dem 
Bauchfelle.  Sauter  schnitt  die  vordere  Bauchfellfalte  mit  der  seit- 
lich gekrümmten  Scheere  so  ein ,  dass  er  zwei  Finger  in  die  Bauchhöhle 
bringen  konnte ,  trennte  die  Verbindung  zwischen  Uterus  und  Rectum, 
hakte  die  Finger  über  die  hinten  noch  anhängende  Bauchfellfalte ,  zog 
sie  herab  und  trennte  sie.  Dann  wurden  die  Finger  hakenförmig  auf  die 
eine  Seitenverbindung  gelegt  und  herabgezogen ,  das  concave ,  stumpf- 
spizige  Messer  an  die  Seite  des  Fundus  angelegt  und  so  die  Seitenver- 
bindung von  oben  nach  unten  bis  gegen  die  Scheide  hin  getrennt  und 
dasselbe  auf  der  andern  Seite  wiederholt.  Zulezt  wurde  die  an  den  beiden 
unteren  Seitentheilen  noch  am  Uterus  hängende  Scheide  vollends  hart  am 
Uterus  getrennt.  Recamier  u.  A.  schnürten  vor  der  völligen  Auslösung 
des  Uterus  das  runde  Mutterband  mit  der  Art.  uterina  mit  einer  Liga- 
tur zusammen.  D  u  b  1  e  d  will  den  Gebärmuttergrund  schonen,  weil  er  nie 
krank  sei,  und  durch  seine  Zurücklassung  der  Blutung  aus  den  Eierstocks- 
arterien, sowie  dem  Vorfall  der  Därme  vorgebeugt  werde.  Er  schnitt  dem- 
gemäss  das  Bauchfell  vor  und  hinter  dem  Uterus  ein ,  legte  an  die  den 
Fingern  hinten  und  vorn  zugänglichen  breiten  Bänder  und  zwar  an  das 
untere  Drittheil  derselben  eine ,  die  Art.  uterina  einschliessende  Ligatur, 
trennte  dann  mit  einer  geraden  Scheere  diese  Bänder  am  Uterus  durch, 
zog  den  Körper  desselben  nach  aussen,  schnitt  den  kranken  Theil  ab  und 
Hess  den  Grund  mit  den  Trompeten  zurück. — •  4.  Act.  Stillung  der 
Blutung  und  Vereinigung  der  Bauchwunde.  Einige  beschrän- 
ken sich  auf  die  Tamponade ,  Andere  unterbinden  die  Mutterbänder  mit 
den  Gefässen.  —  Bei  dem  vorgefallenen  und  umgestülpten 
Uterus  legte  man  uca  den  Hals  desselben  eine  Ligatur  und  schnitt  ihn 
darunter  mit  einem  Kreisschnitte  weg.  Man  hat  den  Uterus  auch  abge- 
bunden ;  doch  ist  dies  sehr  schmerzhaft  und  kann  leicht  eine  gefahrvolle 
Entzündung  zur  Folge  haben.  —  Bei  blos  vor  ge  f  allenemUterus  prä- 
parirte  Langenbeck  die  vorgetriebene  Scheide  von  ihrer  Verbindung 
mit  dem  Uterus  ab,  trennte  dann  das  Bauchfell  von  dem  Uterus  und  löste 


GEBAERMUTTERFIBROIDE.  309 

diesen  auf  solche  Weise  bis  an  den  Rand  seines  Grundes  aus  der  Hülle 
des  Bauchfells ,  wo  er  ihn  von  diesem  so  abschnitt ,  dass  noch  ein  kleines 
Stück  seiner  Substanz  hängen  blieb.  Den  Beutel ,  welchen  das  Bauchfell 
hernach  bildete ,  füllte  er  nach  Uinstechung  der  Gef ässe  mit  Charpie. 
Recamier  wendete  mit  Glück  die  Unterbindung  an  ,  nach  welcher  er 
jedoch  den  Schnitt  zur  Ablösung  des  Uterus  zu  Hülfe  nahm.  Ohne  Zwei- 
fel Hesse  sich  hier  mit  Vortheil  der  Ecraseur  von  Chassaignac 
anwenden.  —  b)  Exstirpation  von  der  Bauchhöhle  aus.  Diese 
von  Gutberiet  vorgeschlagene ,  allgemein  getadelte  Operation  wurde 
von  Langenbeck  und  D  e  1  p  e  c  h  ausgeführt.  Langenbeck  durch- 
schnitt die  weisse  Linie  von  der  Schambeinfuge  bis  2  Zoll  unter  dem 
Nabel ,  Hess  die  Wundränder  möglichst  von  einander  ziehen ,  mit  dem  in 
die  Blase  geführten  Catheter  deren  Grund  hervorheben,  erhob  das  Bauch- 
fell mit  der  Pincette  hügelf örmig ,  schnitt  es  ein  und  erweiterte  den 
Schnitt  auf  der  Hohlsonde  und  dann  auf  dem  Finger.  Nachdem  er  die 
Därme  aufwärts,  die  Blase  abwärts  hatte  drücken  lassen,  zog  er  den  Gebär- 
muttergrund möglichst  hervor,  schnitt  das  rechte  breite  Mutterband  durch, 
zog  diesen  noch  mehr  hervor ,  schnitt  die  Scheide  im  Gesunden  mit  der 
Scheere  durch  und  trennte  endlich  das  linke  breite  Mutterband.  Die 
Bauchwunde  wurde  vereinigt  und  in  die  Scheide  ein  Schwamm  gelegt ; 
der  Ausgang  war  rasch  tödtlich  ;  auch  der  Fall  von  D  e  1  p  e  c  h  endete 
unglücklich. 

Gebärmutterfibroid  (auch  Steatom  und  Sarkom  genannt) 
kommt  häufig  vor.  Es  ist  eine  Fremdbildung  von  mehr  oder  weniger 
rundlicher  Form  und  faserig-elastischer,  meist  sehr  fester  Textur,  die  be- 
sonders im  Körper  und  Grunde  des  Uterus  in  der  Substanz  eingebettet  ist. 
Es  ist  gutartig  und  seine  Nachtheile  beschränken  sich  mit  wenig  Ausnah- 
men auf  die  von  demselben  bewirkten  mechanischen  Einflüsse.  Sie  finden 
sich  in  der  Tiefe  vom  Peritonäalüberzug  bis  zur  Schleimhaut.  Die  im 
Innern  sizenden  zeigen  Polypenform.  Sie  kommen  von  der  Grösse  eines 
Stecknadelkopfes  bis  zu  der  eines  Mannskopfes  und  darüber  vor ,  so  dass 
sie  ein  Gewicht  von  2  0  —  3  0  Pfund  haben  können;  sie  sind  bald  einzeln, 
bald  in  Mehrzahl  vorhanden:  Nach  dem  Siz  in  der  Substanz  des  Uterus 
ragt  diese  Neubildung  bald  mehr  in  die  Uterushöhle ,  bald  mehr  in  das 
Becken  oder  in  die  Bauchhöhle  hinein.  Diese  oberflächlichen  werden  am 
grössten.  Wo  sie  liegen,  bilden  sie  eine  Höhle  in  der  Substanz  der  Gebär- 
mutter. Die  grösseren  Fibroide  erheben  den  Uterus,  die  kleineren  senken 
ihn  herab  ;  auch  können  sie  denselben  auf  die  eine  oder  die  andere  Seite 
treiben ,  selbst  eine  Antro-  oder  Retroversio  oder  Knickung  verursachen. 
Die  auswärts  wachsenden  können  heftige  Zufälle  durch  Zerrung  und  Com- 
pression  der  Beckenorgane  herbeiführen.  Auf  der  Innenfläche  bewirken 
sie  eine  seröse  oder  eiterige  Secretion  und  bei  tiefem  Size  Blutungen.  Sie 
erweichen  sich  zuweilen  ;  andere  Male  findet  in  ihrem  Innern  eine  Ablage- 


310 


GEBAEKMUTTEKKREBS. 


rung  von  Kalk  -  oder  Knochenplatten  statt.  Die  inneren  zerren  zuweilen 
die  Schleimhaut  des  Uterus  nach  und  bilden  daraus  einen  dünnen  Stiel, 
an  dem  sie  hängen.  Auch  die  subperitonäalen  können  sich  abschnüren. 
Der  erstere  reisst  zuweilen  los  und  es  findet  so  Naturheilung  statt.  — 
Selten  verjauchen  oder  vereitern  sie  spontan.  In  sehr  seltenen  Fällen  ent- 
halten sie  im  Innern  Cysten.  —  Die  Ursachen  sind  völlig  unbekannt. 
—  Symptome.  Die  innern  geben  sich  bei  vorgeschrittenem  Wachs- 
thum  durch  wehenartige  Schmerzen ,  Brennen  in  der  Uterusgegend ,  Stö- 
rungen der  Catamenialfunction  und  eiterförmige  Blenorrhoe  der  Gebär- 
mutter zu  erkennen.  Liegt  das  Fibroid  im  Halse  des  Uterus  ,  so  bedingt 
es  Sterilität ;  ausserdem  ist  die  Conception  nicht  gehindert ,  doch  erfolgt 
meist  vorzeitige  Niederkunft ,  zuweilen  Berstung  der  Gebärmutter.  Dazu 
kommen  Störungen  der  Stuhlausleerung  und  der  Harnsecretion  ,  durch 
Druck  auf  die  Nerven  Empfindungs  -  und  Bewegungsstörungen  der  einen 
oder  der  andern  Extremität ;  endlich  gesellen  sich  zuweilen  Peritonitis, 
sowie  Entzündung  der  Zellgewebslagen  in  der  Beckenhöhle  mit  Abscess- 
bildung  hinzu.  —  Unterscheidung  von  fibrösen  Polypen.  Es  ist 
rund  und  überschreitet  nie  den  Muttermund  ;  der  Krebs  sizt  meist  am 
Cervicaltheile ,  die  Umgegend  ist  krank ;  Krankheiten  der  Ovarien  klärt 
eine  genaue  Untersuchung,  die  Anwendung  der Utevussonde  auf.  —  Pro- 
gnose. Sie  können  lange  Jahre  ohne  Nachtheile  als  nur  die  mechani- 
schen bestehen ,  die  aber  zuweilen  sehr  beschwerlich  und  auch  lebensge- 
fährlich sind.  —  Behandlung.  Eine  Radier. lheilung  gewährt  nur  ein 
operatives  Verfahren.  Die  Operation  ist  aber  viel  seltener  anwendbar,  als 
z.  B.  bei  den  fibrösen  Polypen  ;  sie  ist  nur  bei  nicht  grossen  ausführbar. 
Man  zieht  es  mit  einem  spizen  Doppelhaken  hervor ,  während  Mastdarm 
und  Blase  entleert  und  die  Kranke  in  die  Steinschnitfclage  gebracht  wird. 
Der  Muttermund  muss  gespalten  werden,  worauf  man  das  Fibroid  mit  den 
Fingern  auslöst.  Nach  Umständen  muss  das  untere  Gebärmutversegment 
in  verschiedenen  Richtungen  eingeschnitten  werden.  Während  des  Vor- 
ziehens des  Tumors  vollendet  man  seine  Ausschälung  mit  den  Fingern  und 
dem  Messer.  Die  Blutung  ist  meist  unbedeutend  ;  sie  wird  durch  kalte 
Injectionen  gestillt.  Die  Operation  ist  immer  sehr  verlezend  ,  langwierig 
und  schwierig.  — Man  hat  auch  die  Entfernung  derselben  von  der  Becken- 
höhle aus  versucht,  aber  mit  unglücklichem  Erfolg.  —  Ist  die  Entfernung 
nicht  möglich ,  so  ist  man  auf  eine  symptomatische  Behandlung  angewie- 
sen. Das  lästigste  und  gefährlichste  Symptom  ist  die  Metrorrhagie. 
Tannin,  essigsaures  Blei,  Opium,  kalte  Douche  sind  die  Mittel  dagegen. 
Bei  Anämie  gibt  man  Eisenmittel,  China,  Ratanhia  etc.  Bei  Dysmenorrhoe 
zieht  man  allgemeine  und  örtliche  Blutentziehungen ,  bei  nervösem  Zu- 
stande Kataplasmen,  Morphium  in  Gebrauch. 

Gebärmutterkrebs,     Scirrhus    et   Carcinoma   uteri, 
tritt   fast   stets  an  dem  Halse  dieses  Organes  ,   namentlich  an  der  hintern 


GEBAERMUTTERKREBS.  311 

Lippe  des  Muttermundes  und  meistens  als  medullärer,  selten  als  Faser- 
krebs auf. —  Symptome.  Die  Krankheit  beginnt  meistens  mit  Unregel- 
mässigkeit der  Menstruation,  die  Kranke  fühlt  eine  lästige  Schwere  in  der 
Tiefe  der  Scheide,  Druck  im  Kreuze,  Drängen  nach  dem  Damme,  Ziehen 
nach  dem  Verlaufe  der  Mutterbänder ,  dumpfe  stechende  Schmerzen  im 
Halse  des  Uterus  ,  die  sich  allmälig  steigern  und  auf  die  Weichen ,  den 
Magen  und  bis  in  die  Brüste  erstrecken  ;  nicht  selten  zeigt  sich  Brennen 
beim  Urinlassen,  Stuhlzwang;  die  Brüste  werden  voller,  härter.  Es  stellt 
sich  ein  saniöser  oder  blutiger  Ausfluss  ein ,  der  sich  allmälig  in  einen 
scharfen,  übelriechenden  weissen  Fluss  mit  Abgang  dicker  Schleimpfröpfe 
verwandelt ,  auf  den  nicht  selten  Blutungen  folgen.  Dabei  finden  Ver- 
dauungsstörungen ,  Unruhe  ,  Schlaflosigkeit ,  Melancholie  ,  Hysterie  statt. 
Bei  der  Untersuchung  der  Scheide  findet  man  diese  heiss  ,  den  Mutter- 
mund tiefer  stehend,  geschwollen,  höckerig,  hart  oder  weich,  gegen  Druck 
empfindlich ,  den  Muttermund  weiter  und  unregelmässig.  Endlich  wird 
der  Ausfluss  anhaltend  und  bedeutender ,  er  nimmt  einen  specifischen, 
höchst  stinkenden  Geruch  an ;  die  Jauche  ist  dünn ,  gräulichgelb  oder 
lederfarbig ,  und  mit  fauligen  Flocken  oder  Blutklumpen  vermischt ;  an- 
dere Male  ist  sie  dick  und  grünlich  gelb  ,  immer  aber  sehr  scharf,  alle 
Theile,  mit  denen  sie  in  Berührung  kommt,  corrodirend.  'Die  stechenden 
und  brennenden  Kreuzschmerzen  erreichen  nun  den  höchsten  Grad  und 
verlassen  die  Kranke  nie,  verhindern  das  Aufrechtstehen  und  Gehen.  Die 
Blutungen  sind  oft  ausserordentlich  profus.  Das  allgemeine  Befinden 
leidet  in  hohem  Grade  ;  alle  Erscheinungen  der  hektischen  Consumtion 
mit  der  charakteristischen  bleifarbenen  Gesichtsfarbe  treten  auf,  und  der 
Tod  erfolgt  entweder  in  Folge  der  Blutungen,  der  Säfteentmischung  oder 
durch  Wassersucht.  —  Bei  der  Untersuchung  während  des  Lebens  in  den 
späteren  Perioden  des  Leidens  findet  man  die  Vaginalportion  in  einen 
harten  oder  spongiösen,  blumenkohl-  oder  morchelartigen  Auswuchs  ver- 
wandelt ,  oder  statt  derselben  fühlt  man  eine  schwammige  Excavation, 
welche  mit  verschiedenartigen  Auswüchsen  be&ezt  ist.  Manchmal  dringt 
der  Finger  durch  Oeffnungen  in  der  vordem  Wand  der  Scheide  in  die 
Blase.  —  Bei  der  Section  zeigt  sich  der  Gebärmutterhals  in  einen 
"blumenkohl ähnlichen  ,  gef  ausreichen  ,  bläulich-grünlichen  ,  halb  faulenden 
Auswuchs  verwandelt  oder  ganz  zerstört ,  und  seine  Stelle  von  einem 
schwammigen  Geschwüre  eingenommen,  das  sich  auf  das  Scheidengewölbe 
erstreckt  und  manchmal  auf  den  Mastdarm  und.  die  Blase  übergreift. 
Die  scirrhöse  Degeneration  erstreckt  sich  in  der  Regel  nur  2 — 4  Linien 
über  die  Geschwürsfläche  und  geht  als  schmuziggraue  Infiltration  in  das 
Gesunde  über;  der  Grund  der  Gebärmutter  ist  meistens  normal.  —  Ur- 
sachen. Die  grösste  Disposition  zu  Gebärmutterkrebs  findet  sich  zwi- 
schen dem  40.  und  50.  Jahre,  als  der  Zeit  des  Aufhörens  der  Menstrua- 
tion; er  kann  sich  indessen  vom  2  0. — 7  0.  Lebensjahre  entwickeln.  Ge- 
legenheitsursachen sind  :  häufig  und  ungestüm  ausgeübter  Beischlaf,  Abor- 


312  GEBAERMUTTERKREBS. 

tivmittel ,  Abortus  ,  Nichtbefriedigung  des  aufgeregten  Geschlechtstriebes, 
Unterlassen  des  Selbststillens,  stark  nährende,  erhizende  Speisen  und  Ge- 
tränke, Erkältungen,  Gicht,  Unterdrückung  der  Menstruation,  des  Trippers, 
deprimirende  Leidenschaften  ,  mechanische  Schädlichkeiten  ,  wie  schwere 
Zangenentbindungen  etc.  —  Die  Dauer  der  Krankheit  wechselt  von  eini- 
gen Monaten  bis  3 — 6  Jahren.  —  Behandlung.  Von  einer  erfolg- 
reichen pharmaceutischen  Behandlung  des  Uebels  kann  nur  die  Rede  sein, 
so  lange  es  sich  noch  nicht  als  krebsiges  ausweist ,  sondern  in  gutartiger 
Anschwellung ,  Verhärtung  und  Ulceration  besteht.  In  diesen  Fällen  er- 
weisen sich  nüzlich  :  wiederholte  Application  von  Blutegeln  an  die  Scham-, 
Damm-,  After-  und  Kreuzgegend,  blutige  Schröpf  köpfe  an  die  Oberschen- 
kel ,  Aderlass ,  Salzbäder ,  die  aufsteigende  Douche  von  kaltem  und  lauem 
Wasser  oder  Alaunsolution,  Molken,  Abführmittel  aus  Tamarinden,  Manna, 
Tart.  tartaris.,  Haller 's  Sauer,  Cicuta,  Digitalis,  Belladonna,  Calen- 
dula innerlich  und  äusserlich ,  z.  B.  Herb,  calendul.  pulv.  ,  Ferri 
oxydat.  fusci,  Ext.  calend.  ana  3j-  M.  f.  cum  mucil.  gi  ar  ab. 
q.  s.  pil.  Nr.  CX;  co  n  sp.  c.  pu  1  v.  cinn  am.  D.  s.  tägl.  3mal  3 — 6 
Stück  (Rust);  Thierkohle,  Jod,  Merc.  solub.  Hahne  m.,  Gold,  Eisen, 
daneben  künstliche  Geschwüre  am  Austritte  des  Nervus  ischiadicus, 
das  Adelheids-  und  Kreuznacher  Wasser  und  Behandlung  einzelner  Sym- 
ptome. Ist  es  zur  eigentlichen  krebsigen  Degeneration  gekommen ,  so 
besteht  die  Behandlung  blos  in  der  Entfernung  des  Entarteten  durch  das 
Aezmittel  oder  das  Messer,  welchem  Vorgehen  aber  sowohl  die  tiefe  Lage 
des  Uterus  als  die  Unmöglichkeit ,  die  Grenzen  der  Degeneration  zu  be- 
stimmen ,  viele  Hindernisse  bereiten.  Wo  auf  die  Operation  verzichtet 
wird,  hat  eine  palliative  Behandlung  einzutreten.  -  Die  Aezmittel  passen 
nur  im  Anfange  der  Krankheit  oder  bei  oberflächlicher  Ulceration.  Re- 
c a m i e r  bediente  sich  des  Höllensteins,  Dupuytren  des Aezsteins  oder 
des  Mercur.  nitrosus  zum  Aezen.  Die  Aezmittel  werden  mittels 
Träger  durch  einen  hohlen  Mutterspiegel  an  die  Vaginalportion  1  —  2 
Minuten  lang  applicirt  und  alles  Entartete  in  einen  Brandschorf  verwan- 
delt ,  dann  ein  Bad  und  täglich  einige  Injectionen  von  lauem  Wasser  ge- 
braucht, und  nach  5,  8 — 12  Tagen  wird  die  Aezung  wiederholt.  Reca- 
mier,  Lisfranc  u.  A.  haben  glückliche  Erfolge  mit  der  Aezung  erzielt. 
—  Die  Exstirpation  des  Uterus  ist  entweder  partiell  oder  total.  S.  den 
Art.  Gebärmutter  exstirpation.  Die  partielle  Exstirpation  soll 
nur  im  Anfange  der  Krankheit ,  so  lange  der  Krebs  noch  auf  einen  Theil 
des  Uterus  beschränkt  ist  und  keine  Zeichen  eines  krebsigen  Allgemein- 
leidens vorhanden  sind ,  gemacht  werden.  Die  totale  Exstirpation  des 
Uterus  sezt  eine  so  bedeutende  Verwundung  und  gibt  eine  so  geringe 
Wahrscheinlichkeit  ihrer  Heilsamkeit,  dass  sie  von  der  bei  Weitem  gröss- 
ten  Mehrzahl  der  Aerzte  als  unthunlich  angesehen  wird.  —  Die  pallia- 
tive Behandlung  hat  vorzüglich  die  Schmerzen  zu  lindern,  den  Gestank 
zu  vermindern  und  die  Blutungen  zu  verhüten.    In  ersterer  Absicht  macht 


GEBAERMUTTERPOLYPEN.  313 

man  Injectionen  mit  narkotischen  Substanzen  ,  von  lauem  Wasser,  Blei- 
wasser, Phosphorsäure  (einige  Tropfen  auf  dielnjection) ;  innerlich  dienen 
Extr.  belladonnae,  Opium ,  besonders  Morphium  mit  Arsenik  oder 
Blei ,  ferner  Spirit.  Minderer  i.  Zur  Verminderung  des  Gestankes 
lässt  man  Kalkwasser ,  Chlorkalksolution  (5j  auf  giv  Wasser)  oder  Holz- 
essig (5j  auf  ^vj  A  q.  s  a  1  v  i  a  e)  einsprizen.  Bei  profusen  Blutungen 
gibt  man  innerlich  Alaun ,  Alaunmolken  ,  Schwefelsäure,  phosphorsaures 
Eisen  mit  Ratanhiaextract,  und  sprizt  Bleiwasser  ein. 

Gebärmutterpolypen  entwickeln  sich  entweder  am  Grunde 
des  Körpers  oder  an  den  Wandungen  des  Halses  des  Uterus.  Sie  können 
als  Schleim-,  Fleisch-  und  fibröse  Polypen  auftreten ,  haben  in  der  Regel 
eine  birnförmige  Gestalt,  einen  dünnen  langen  Stiel  und  sind  mit  einer 
glatten  glänzenden  Haut  überzogen.  Andere  Male  zeigen  sie  sich  rund, 
mit  einer  breiten  Basis  aufsizend,  haben  eine  ungleiche,  warzenartige,  ge- 
furchte Oberfläche,  eine  bald  mehr  weiche ,  schwammige,  bald  mehr  feste 
Structur  und  sind  mit  Höhlen  versehen ,  welche  verschiedene  Massen  ent- 
halten. Sie  können  eine  sehr  bedeutende  Grösse  erreichen.  —  Die 
Symptome,  welche  die  Entwicklung  eines  Polypen  in  der  Gebärmutter- 
höhle andeuten,  sind  im,  Anfange  der  Krankheit  sehr  zweideutig;  so  lange 
das  Gewächs  sehr  klein  ist,  verursacht  es  keine  merkliche  Störung  in  dem 
Organe.  In  dem  Masse  aber ,  als  der  Polyp  an  Umfang  zunimmt ,  be- 
wirkt er  üebelkeit,  Neigung  zum  Erbrechen ,  Schwere  und  Ziehen  in  der 
Lenden-  und  Kreuzgegend,  Prickeln  und  Stechen  in  den  Brüsten.  Nach 
und  nach  dehnt  der  Polyp  die  Wandungen  des  Uterus  aus  ,  die  Vaginal- 
portion fängt  an  sich  zu  verstreichen ,  wird  dicker  und  härter  und  der 
untere  Abschnitt  der  Gebärmutter  erscheint  umfänglicher.  Endlich  öffnet 
sich  der  Muttermund,  es  stellt  sich  ein  einer  Quittenabkochung  ähnlicher 
Ausfluss,  manchmal  eine  heftige  Blutung  ein  und  der  Polyp  tritt  entweder 
allmälig  oder  plözlich  unter  wehenartigen  Schmerzen  und  Drängen  auf 
die  Geburtstheile  durch  den  Muttermund  heraus.  Mit  dem  Eintritt  des 
Polypen  in  die  Scheide  nimmt  er  schneller  an  Umfang  zu ,  verursacht 
Druck  auf  die  Blase  und  den  Mastdarm ,  und  daher  Beschwerden  bei  der 
Urin-  und  Stuhlausleerung ,  es  stellen  sich  häufige  und  reichliche  Ergüsse 
eines  verschiedentlich  gefärbten,  zuweilen  sehr  übelriechenden  Blutes  oder 
auch  einer  schleimigen  Flüssigkeit  ein ,  wodurch  die  Kranke  sehr  entkräf- 
tet wird.  Endlich  tritt  der  Polyp,  indem  er  immer  grösser  wird,  aus  der 
Scheide  hervor  und  zeigt  sich  an  der  äussern  Scham,  zieht  die  Gebärmut- 
ter nach  sich  und  zerrt  sie  fortwährend,  daher  die  Schmerzen  in  den  Len- 
den und  dem  Kreuze  sich  immer  mehr  steigern  und  sich  ein  anhaltendes 
schmerzhaftes  Ziehen  und  Spannen  im  Unterleibe  einstellt ;  zuweilen 
kommt  es  zur  Umstülpung  des  Uterus  ;  der  Harn  geht  entweder  unwill- 
kürlich ab ,  oder  wird  mit  grosser  Schwierigkeit  entleert.  Die  immer 
häufiger  sich  einstellenden  Blutungen  bringen  die  Kranke  herab,  das  Aus- 


314  GEBAERMUTTERPOLYPEN. 

sehen  wird  gelblich,  die  Respiration  beschwerlich,  es  tritt  Husten,  Fieber 
ein  und  der  Tod  erfolgt  allmälig  durch  Schwächung  der  Kräfte  oder  plÖz- 
lich  durch  Hämorrhagie.  —  So  wie  der  aus  der  Scheide  hervorgetretene 
Polyp  der  Luft  ausgesezt  ist  und  von  dem  Harn  bespült  wird  ,  entzündet 
er  sich  und  ulcerirt.  —  Entwickelte  sich  der  Polyp  auf  dem  Halse,  näher 
oder  entfernter  vom  Muttermunde ,  so  kann  er  früher  entdeckt  werden, 
weil  er  sehr  bald  in  die  Scheide  gelangt.  In  diesem  Falle  erregt  er  früher 
Zufälle  des  Druckes  auf  die  Blase  und  den  Mastdarm  ,  aber  seltener  Blu- 
tungen. Das  Gewicht  des  Polypen  kann  auch  die  Gebärmutter  nach  un- 
ten ziehen  ,  die  Anschwellung  ihrer  Mündung  und  ihres  Halses  bewirken, 
führt  aber  keine  Umstülpung  dieses  Organes  herbei.  Die  starke,  anhal- 
tende Reizung,  welche  der  Uterus  erleidet,  kann  eine  krebsige  Entartung 
herbeiführen.  —  Diagnose.  Schwangerschaft  unterscheidet 
sich  von  den  Polypen  durch  ihren  regelmässigen  Verlauf,  durch  die  Weich- 
heit und  Elasticität  der  Gebärmutter,  durch  die  gewöhnliche  Abwesenheit 
der  monatlichen  Reinigung ,  die  grössere  und  regelmässigere  Ausdehnung 
des  Unterleibs,  endlich  durch  die  Kindsbewegungen.  —  Die  Umstül- 
pung der  Gebärmutter  zeigt ,  wenn  sie  unvollständig  ist,  die  um- 
gekehrte Form  des  Polypen ,  eine  grössere  Eröffnung  des  Muttermundes, 
und  eine  bleibende  Reposition  ist  möglich.  Bei  der  vollkommenen  Um- 
stülpung zeigt  der  Uterus  zwar  dieselbe  Form  ,  wie  der  Polyp  ,  allein  den 
umgestülpten  Uterus  umgibt  oben  der  Muttermund  in  der  Form  einer 
Falte  ,  unter  welcher  man  nicht  eindringen  kann  ;  auch  ist  dieser  Theil 
weich  und  die  Umstülpung  erfolgt  gewöhnlich  nach  einer  kurz  vorher  ge- 
gangenen Geburt.  —  Der  vorgefallene  Uterus  ist  härter  und  em- 
pfindlicher als  ein  Polyp,  hat  an  seinem  untern  Theile  eine  tief  eindrin- 
gende Oeffhung ,  ist  reponibel ,  zwischen  Scheide  und  Uterus  kann  man 
nicht  tief  eindringen  und  es  fehlen  die  Blutungen.  —  Fungöse  Aus- 
wüchse sind  die  Folgen  eines  noch  anderweitig  erkrankten  Uterus,  was 
sich  durch  Härte  und  Schmerzhaftigkeit  bei  der  Berührung,  so  wie  durch 
unregelmässige  Gestaltung  des  Muttermundes  und  Blutung  bei  der  Be- 
rührung zu  erkennen  gibt.  —  Scirrhöse  Geschwülste  charakteri- 
siren  sich  durch  grosse  Härte  und  Ungleichheit  der  Geschwulst,  durch  ein 
Gefühl  von  Brennen  und  Beissen,  durch  stechende  und  bohrende  Schmer- 
zen ,  durch  einen  copiösen ,  scharfen  weissen  Fluss  und  durch  Abgang 
schwarzer  Blutcoagula.  —  Ursachen.  Diese  sind  häufig  unbekannt ; 
man  glaubt  jedoch,  dass  sie  durch  Reizungen  der  Gebärmutter,  schwierige 
Geburten,  zu  häufigen  Beischlaf,  Onanie,  Blenorrhagien  etc.  entstehen 
können  ;  oft  aber  sieht  man  sie  ohne  alle  erkennbaren  Ursachen  auftreten. 
Gewöhnlich  entwickeln  sie  sich  zur  Zeit  des  Aufhörens  der  Menstruation  ; 
jedoch  beobachtet  man  sie  auch  bei  jungen  Personen,  sehr  selten  bei  al- 
ten Weibern.  —  Prognose.  Sie  muss  sich  richten  nach  der  Dauer 
des  Uebels  und  nach  dem  Grade ,  welchen  dasselbe  erreicht  hat ;  ferner 
nach    dem  Size  des  Polypen ,   in  wiefern  dieser  für  die  Operation  leichter 


GEBAERMUTTERPOLYPEN.  315 

oder  schwerer  zugänglich  ist,  dann  nach  den  übrigen,  durch  den  Polypen 
bereits  veranlassten  örtlichen  Leiden,  als  Vorfälle  der  Gebärmutter ,  scir- 
rhöse  Entartungen  derselben  etc.  ,  endlich  nach  dem  allgemeinen  Kräfte- 
zustand.  —  Mutterpolypen  hindern  zwar  nicht  die  Empf  ängniss  ,  verur- 
sachen aber  gewöhnlich  Abortus  ;  doch  kann  die  Schwangerschaft  auch 
ihr  natürliches  Ende  erreichen.  Operirte  Uteruspolypen  kehren  nicht 
leicht  wieder.  —  Behandlung.  Diese  kann  nur  in  der  Entfernung 
der  Polypen  durch  eine  Operation  bestehen.  Nur  in  seltenen  Fällen  hat 
man  in  Folge  der  Zusammenschnürung  des  Polypen  durch  den  Mutter- 
mund ein  Absterben  und  Abfallen  desselben  beobachtet.  Die  Entfernung 
der  Gebärmutterpolypen  wird  durch  Abbinden  und  Abschneiden  ins  Werk 
gesezt.  Das  Abreissen  und  die  Zerstörung  durch  Aezmittel  sind  theils 
wegen  der  nachgiebigen  Beschaffenheit  der  Theile ,  in  welchen  der  Polyp 
wurzelt ,  theils  wegen  der  Raumverhältnisse  nicht  wohl  anwendbar.  In- 
dessen hat  O'Grady  die  Aezung  in  der  neuesten  Zeit  mittels  einer 
eigends  hierzu  construirten  Zange ,  welche  an  ihren  vorderen  Enden  in 
einer  Aushöhlung  Höllen  stein  trägt,  durch  welchen  der  zwischen  die  Zan- 
genlöffel gefasste  Polyp  zerstört  wird ,  ausgeführt.  Nach  Abgang  des 
Polypen  wird,  um  die  Einwirkung  des  Aezmittels  auf  den  Mund  und  Hals 
der  Gebärmutter  zu  verhindern  ,  eine  Lösung  des  kohlensauren  oder  Jod- 
wasserstoffkali eingesprizt.  —  An  die  Operation  der  Gebärmutterpolypen 
kann  nur  gedacht  werden,  wenn  sie  durch  den  Mutiermund  in  die  Scheide 
herabgetreten  sind.  Sollte  der  Muttermund  nicht  hinlänglich  erweitert 
sein,  um  die  Instrumente  zur  Polypenwurzel  führen  zu  können  ,  so  erwei- 
tert man  ihn  mit  Pressschwamm,  und  wenn  Gefahr  auf  dem  Verzug  stünde, 
so  müsste  man  zur  blutigen  Erweiterung  greifen.  Sizt  der  Polyp  hoch, 
so  kann  man  ihn  mit  einer  passenden  stumpfen  oder  Hakenzange  sanft 
und  vorsichtig  herabziehen.  —  Vor  der  Operation  müssen  wo  möglich 
Ursachen  und  Complicationen ,  z.  B.  Syphilis,  so  wie  eine  durch  Blutver- 
lust etc.  entstandene  Schwäche  bekämpft ,  oder  ein  subinflammatorischer 
Zustand  des  Uterus  beseitigt  werden.  —  1)  Unterbindung.  Die 
hauptsächlichsten  Verfahrungsweisen  bei  dieser  sind  :  a)  man  kann  die 
Ligatur  um  den  Fuss  des  Polypen  vermittels  eines  doppelten  oder  zweier 
auf  eine  bewegliche  Weise  miteinander  verbundener  Cylinder  legen  und 
sodann  den  Knoten  mit  diesen  Cylindern  zusammenziehen.  Man  kann 
auf  diese  Verfahrungsweise  den  doppelten  Cylinder  und  die  Pincette  von 
L  e  b  r  e  t ,  so  wie  alle  an  diesen  Instrumenten  von  Keck,  Lau  gier, 
Bullet,  Contigli,  Clarke  angebrachten  Modificationen  beziehen  ; 
in  die  nämliche  Kategorie  kann  man  auch  die  Instrumente  von  David, 
Klett,  Löffler,  Cullerier,  Görz,  Nissen  und  die  von  Jörg 
und  Meissner  eingeführten  Modificationen  bringen ;  b)  die  Faden- 
schlinge kann  um  den  Polypen  mittels  eines  Schiingenträgers  gelegt  und 
die  Zusammenschnürung  mit  Hülfe  eines  einzigen  Cylinders  oder  eines 
Schlingenschnürers  verrichtet   werden.       Diesem   Verfahren   gehören   die 


316  GEBAERMUTTERPOLYPEN. 

Instrumente  von  Herbina ux,  Stark,  Desault  und  die  von  B i - 
chat,  Hunter,  Gräfe  u.  A.  angegebenen  Modificationen  an;  c)  die 
Ligatur  kann  mittels  Schiingenträger  um  die  Wurzel  des  Polypen  ange- 
legt und  durch  Vorschieben  kleiner  Kugeln,  durch  welche  die  beiden  En- 
den der  Ligatur  gehen,  zusammengeschnürt  werden.  Dieser  Methode  ge- 
hören die  (Rosenkranz-)  Instrumente  von  Bouchet,  Löffler  und  ihre 
Modificationen  durch  Saut  er,  Ribke  an.  —  Es  genügt,  von  jeder  die- 
ser drei  Verfahrungsarten  nur  eine  näher  anzugeben,  zu  welchem  Zwecke 
die  erprobtesten  ausgewählt  werden;  diese  sind  die  Verfahren  von  Nis- 
sen, Bichat-Desault  und  Ribke.  —  Vor  der  Operation  entleert 
man  Blase  und  Mastdarm.  Die  Kranke  wird  auf  ein  Querbett  oder  einen 
Tisch  so  gelagert ,  dass  der  Körper  zwischen  Sizen  und  Liegen  die  Mitte 
hält,  Schenkel  und  Beine  seien  massig  gebogen,  Damm  und  Kreuzgegend 
frei.  Man  untersuche  noch  einmal  genau,  um  sich  von  der  Beschaffenheit 
und  dem  Size  des  Polypen  zu  überzeugen ;  die  Anwendung  eines  Scheiden- 
spiegels erweist  sich  hierbei  von  grossem  Nuzen.  —  Nissen  bediente 
sich  eines  Instruments,  welches  aus  zwei  12  Zoll  langen,  vorn  gebogenen 
Röhren  besteht ,  deren  eine  an  der  Innenseite  eine  Rinne  hat ,  in  welche 
die  andere  gelegt  werden  kann  ;  beide  Rinnen  werden  durch  2  verschieb- 
bare Doppelröhrchen ,  deren  eines  mit  einem  Stäbchen  über  die  anein- 
ander gelegten  Röhren  hinaufgeschoben,  und  deren  zweites  mit  der  Hand 
angesteckt  wird  ,  vereinigt.  Nachdem  die  Fadenenden  in  beide  Röhren 
eingebracht  sind,  legt  man  diese  mit  Fett  bestrichen  aneinander  und  führt 
sie  (ohne  die  Doppelröhrchen)  behutsam  auf  2  Fingern  der  einen  Hand 
wie  ein  Zangenblatt  bis  an  die  Polypenwurzel.  Dann  hält  man  die  eine 
Röhre  fest  und  bewegt  die  andere  um  den  Polypen  herum ,  worauf  man 
sie  wieder  zusammenlegt  und  sie  mit  den  Röhrchen  schliesst.  Hierauf 
wird  die  Ligatur  gehörig  stark  angezogen  und  verknüpft.  Den  Apparat 
befestigt  man  an  den  Oberschenkel.  —  Zu  dem  B  i  c  h  at-D  e  s  ault'- 
schen  Verfahren  gebraucht  man  als  Schiingenträger  eine  gebogene ,  sil- 
berne, vorn  offene,  unten  mit  2  Ringen  versehene  Röhre ,  und  als  Schlin- 
genschnürer ein  an  seinem  obern  Ende  geöhrtes  Stäbchen,  welches  an 
seiner  Mitte  auseinander  schraubbar  ist ,  damit  statt  der  unteren  Hälfte 
ein  kürzeres,  mit  einer  Gabel  versehenes  Stück  angeschraubt  werden  kann. 
Man  führt  das  eine  Ende  der  Ligatur  durch  die  Röhre  und  wickelt  es  um 
ihren  Ring,  steckt  das  andere  durch  das  Oehr  des  Schlingenschnürers, 
wickelt  es  um  dessen  Gabel ,  zieht  einen  zweiten ,  anders  als  die  Ligatur 
gefärbten ,  zu  einer  Schlinge  zusammengelegten  Faden  ebenfalls  durch 
den  Schlingenschuürer ,  befestigt  die  freien  Enden  an  dessen  Gabel  und 
lässt  die  Schlinge  in  gleicher  Länge  mit  ihm  herabhängen.  Nun  fasst 
man  beide  Instrumente  zusammen ,  führt  sie  auf  die  angegebene  Weise 
zum  Stiele  des  Polypen,  löst  dann  die  Ligatur  vom  Ringe  der  Röhre,  hält 
den  Schlingenschnürer  mit  der  linken  Hand  fest  und  geht  mit  der  Röhre 
rund  um  den  Polypenstiel  herum  bis  wieder  zum  Schlingenschnürer.  Jezt 


GEBAERMTJTTERPOLYPEN.  31 7 

übergibt  der  Operateur  den  leztern  einem  Gehülfen  ,  steckt  das  hintere 
Ende  der  Röhre  durch  die  Schlinge  des  farbigen  Fadens ,  löst  dessen 
Enden  am  Schlingenschnürer ,  zieht  sie  an  und  lässt  so  die  Schlinge  an 
der  Röhre  hinaufgleiten  ,  die ,  an  ihrem  obern  Ende  angekommen ,  den 
Faden  in  sich  fasst  und  durch  das  Oehr  des  Schlingenschnürers  hindurch- 
gleitet. Man  entfernt  nun  die  Röhre  ,  zieht  die  beiden  Enden  der  Liga- 
tur gehörig  an  ,  drängt  den  Schlingenschnürer  gegen  die  Polypenwurzel, 
schraubt,  wenn  er  zu  sehr  hervorragt,  das  kürzere  Endstück  an,  befestigt 
die  Enden  an  die  Gabel  und  schraubt ,  um  die  Schlinge  zu  schnüren,  den 
Schlingenschnürer  so  weit  auseinander,  bis  die  Schlinge  gehörig  festliegt, 
worauf  man  diesen  über  einer  Compresse  an  den  Oberschenkel  befestigt. 
—  Ribke  bedient  sich  zweier  silberner,  S  förmig  gebogener  Röhren,  die 
an  ihrem  untern  Ende  durch  ein  Charnier  und  einen  Stift  vereinigt  wer- 
den können ,  am  obern  Ende  gefenstert  sind  und  daselbst  einen  vor-  und 
rückwärts  schiebbaren  Draht  enthalten.  Als  Schlingenschnürer  dient  eine 
Reihe  elfenbeinerner  Kugeln ,  die  auf  Schnurenden  gereiht  sind.  Die 
Enden  werden  an  eine  stählerne  Stellwinde  befestigt ,  auf  der  sie  durch 
das  Umdrehen  der  Welle  aufgerollt  werden.  Man  führt  die  Schnur  durch 
das  Fenster  eines  Schiingenführers  doppelt  ein  und  befestigt  die  Schlinge 
durch  Vorschieben  des  Drahtes  in  der  Röhre,  verfährt  dann  mit  dem  zwei- 
ten Schiingenführer  auf  dieselbe  Weise  ,  zieht  darauf  die  Schlinge  zu, 
schliesst  das  Instrument ,  fädelt  die  Kugeln  auf  die  Fadenenden  und  be- 
festigt ihr  Ende  um  die  Welle.  Hierauf  führt  man  auf  dem  beölten  lin- 
ken Zeigefinger  die  vorher  beölten  Schiingenführer,  wie  den  Löffel  einer 
Geburtszange,  bis  zur  Wurzel  des  Polypen,  zieht  alsdann  den ,  beide  Ge- 
linder zusammenhaltenden  Stift  heraus  ,  führt  einen  jeden  derselben  in 
einem  Halbzirkel  um  den  Polypen  herum,  worauf  man  beide  wieder  anein- 
ander legt  und  mittels  des  Stifts  vereinigt.  Man  hält  die  Schiingenführer, 
lässt  von  einem  Gehülfen  die  Kugelreihe  bis  zur  Wurzel  des  Polypen  hin- 
aufstreifen und  die  Ligatur  auf  die  Welle  winden ,  löst  jeden  Schiingen- 
führer einzeln ,  indem  man  den  Draht  zurückzieht ,  so  dass  die  Schlinge 
frei  wird  und  entfernt  ihn  und  schnürt  nun  die  Ligatur  fest  zu ,  bis  ein 
Gefühl  von  Druck,  aber  kein  Schmerz  entsteht.  Die  Stellwinde  legt  man 
auf  eine  dicke  Compresse  auf  den  Schambug  und  befestigt  sie  mit  einem 
breiten  Tuche.  —  Nach  Anlegung  der  Ligatur  bringt  man  die  Kranke  zu 
Bette,  lässt  sie  Ruhe  beobachten  und  magere  Kost  führen.  Jeden  zwei- 
ten Tag  schnürt  man  die  Ligatur  fester  zu.  Fängt  der  Polyp  an  zu  ver- 
jauchen,  so  macht  man  Einsprizungen  von  aromatischen  Aufgüssen  und 
Chlorkalklösung.  Hat  die  Ligatur  durchschnitten  und  der  Polyp  geht 
nicht  freiwillig  ab,  so  zieht  man  ihn  mit  einer  Polypen-  oder  Geburtszange 
oder  mit  einem  scharfen  Haken  hervor.  —  Chassaignac  bedient  sich 
seines  Ecraseur  zur  Abschnürung  der  Uteruspolypen  (s.  den  Art. 
Abbinden),  Middeldorpf  der  Galvanocaustik  (s.  Electrothe- 
rapie).    —  Entsteht    nach    der  Unterbindung   heftiger    Schmerz    oder 


318  GEBAERMUTTERUM8TUELPUNG. 

Krampf,  so  wendet  man  narkotische  Mittel,  besänftigende  Klystiere  etc. 
an,  und  wenn  dies  nicht  bald  hilft,  so  lasst  man  die  Ligatur  nach.  Ent- 
zündungen des  Uterus  und  der  Unterleibsorgane  fordern  neben  der  An- 
wendung antiphlogistischer  Mittel  die  Lüftung  oder  Entfernung  der  Liga- 
tur ;  bei  eintretender  Blutung  schnüre  man  die  Ligatur  fester.  Urinver- 
haltung beseitigt  der  Catheter.  Löst  sich  der  Polyp  nicht,  stirbt  er  nicht 
ab  ,  so  schliesst  die  Ligatur  nicht ,  oder  der  Stiel  ist  sehnig  ;  in  diesem 
Falle  zieht  man  ihn  vor  und  schneidet  ihn  ab.  —  2)  Abschneiden. 
Dies  verdient  im  Allgemeinen  den  Vorzug  und  ist  nur  contraindicirt  a) 
wenn  der  Polyp  mit  einer  breiten  Basis  aufsizt ;  b)  wenn  seine  Wurzel 
weder  zu  erreichen,  noch  zugänglich  zu  machen  ist;  c)  wenn  frühere  Blu- 
tungen die  Kranke  schon  sehr  geschwächt  haben  und  besondere  Umstände 
eine  stärkere  Blutung  beim  Schnitte  befürchten  lassen.  Zum  Abschneiden 
bedient  man  sich  einer  S  förmig  gebogenen  Scheere  mit  langen  Griffen 
mit  abgerundeten  Spizen  oder  auch  einer  über  die  Fläche  gebogenen 
Scheere,  welche  man  an  zwei  beölten  Fingern  an  die  Wurzel  des  Polypen 
leitet  und  diese  damit  abschneidet.  Langgestielte  Polypen  kann  man  an 
ihrem  Stiele  unterbinden  und  dann  vor  der  Ligatur  abschneiden.  Bei 
einem  vorhandenen  Prolapsus  oder  einer  Inversion  des  Uterus  schneidet 
man  den  Polypen  ohne  Weiteres  mit  einer  Scheere*oder  einem  Messer  ab, 
worauf  man  den  Uterus  reponirt.  Bei  entstehender  heftiger  Blutung 
bringt  man ,  wenn  der  Polyp  an  der  Vaginalportion  sass ,  Charpiebäusche 
mit  styptischen  Mitteln,  beim  Size  in  der  Gebärmutterhöhle  Einsprizungen 
von  kaltem  Wasser  oder  einer  styptischen  Flüssigkeit ,  kalte  Umschläge 
auf  den  Bauch  etc.  an. 

GebärmutterrheumatismUS  gibt  sich  durch  reissende ,  zie- 
hende Schmerzen  im  Becken,  die  nicht  vom  Kreuzbeine  ausgehen,  sondern 
dem  Laufe  der  runden  Mutterbänder  folgen ,  öftere  Schmerzen  im  Ober- 
schenkel, wiederholte  Blutungen,  die  stossweise  erfolgen  und  durch  Säuren 
nicht  gemässigt ,  von  Kälte  vermehrt  werden ,  zu  erkennen.  Fieber  ist 
selten  damit  verbunden.  —  Behandlung.  Warme  Fomentationen 
auf  den  Unterleib,  warme  Bäder,  innerlich  P  u  1  v.  D  o  w  e  r  i.  Bei  länge- 
rer Dauer  der  Krankheit  Einreibungen  mit  Liniment,  volat. ,  Ungt. 
Autenrieth.,  Sinapismen,  warme  Bekleidung. 

GebärmutterumstÜlpung,  Inversio  uteri.  Man  ver- 
steht hierunter  ein  Herabsinken  des  Grundes  und  Körpers  des  Uterus 
durch  den  geöffneten  Muttermund  ,  so  dass  in  den  höheren  Graden  die 
innere  Fläche  dieses  Organs  zur  äussern  wird.  Je  nach  dem  Grade  die- 
ser Umkehrung  unterscheidet  man  eine  unvollkommene  und  vollkommene 
Umstülpung.  Bei  der  unvollkommenen,  Inversio  uteri  in- 
completa,  findet  man  den  Muttermund  rund  geöffnet  und  aus  dem- 
selben einen  elastischen  ,  glatten  ,  gewölbten  Körper  hervorragen ,  neben 
welchem   die   Fingerspize   in   den   Mutterhals  gelangt ,   ringsum  aber  nur 


GEBAERMUTTERUMSTUELPUNG.  319 

eine  ringförmige  Vertiefung  entdeckt.  Dabei  fühlt  die  Kranke  aber 
wehenartige  Schmerzen  und  hat  einen  ungewöhnlichen  Blutabgang.  Bei 
der  vollständigen  Uinstiilpung,  Inversio  uteri  completa, 
ist  die  Gebärmutter  völlig  umgekehrt ,  und  zeigt  sich  als  ein  glatter,  ela- 
stischer ,  birnförmiger  Körper ,  der  in  seiner  Mitte  keine  Oeffnung  hat, 
zwischen  oder  vor  den  Schamlefzen.  Die  Blutungen  sind  dabei  sehr 
stark,  die  Kranke  fühlt  ein  lästiges  Ziehen  in  den  Leisten ,  Schmerzen  in 
der  Kreuz-  und  Lendengegeml.  Diese  Symptome  sind  von  Uebelkeit, 
Ohnmächten,  Convulsionen  besätet,  die  gewöhnlich  abnehmen ,  wenn 
man  die  Gebärmutter  in  die  Sein  i de  zurückdrückt.  Durch  den  Zutritt 
der  Luft,  die  Berührung  der  Kleidungsstücke  und  die  Benezung  mit  Urin 
tritt  gern  Entzündung ,  Ulceration  der  Oberfläche  des  Uterus  und  selbst 
Brand  ein:  —  Diagnose.  Die  Unterscheidung  der  Umstülpung  von 
einem  Polypen  ist  schwierig.  Man  beachte  hier  folgende  Umstände.  Bei 
der  Umkehrung  kann  man  an  ihrem  obern  Ende  nur  eine  rinnen- 
f  örmige  Vertiefung  entdecken  ,  bei  dem  Polypen  aber  mit  dem  Finger 
oder  einer  Sonde  in  die  Höhle  des  Uterus  gelangen ;  der  umgekehrte 
Uterus  fühlt  sich  an  seinem  oberen  Theile ,  weil  er  hohl  ist,  weicher  und 
nachgiebiger  an ,  als  ein  Polyp  ;  ist  die  Umstülpung  unvollständig,  so  ist 
das  prolabirte  Stück  unten  schmäler  als  oben ,  was  sich  bei  dem  Polypen 
umgekehrt  verhält ;  endlich  wächst  der  Polyp ,  einmal  durch  den  Mutter- 
mund hindurchgetreten,  auffallend  schnell.  —  Ursachen.  Sie  sind  bei 
vorhandener  Laxität  des  Uterus  oder  bei  übermässiger  Ausdehnung  des- 
selben übereilte  Geburten  bei  weitem  Becken ,  besonders  in  aufrechter 
Stellung  der  Kreissenden  ,  zu  kurze  Nabelschnur,  bedeutende  Umschlin- 
gung derselben ,  während  die  Frucht  schnell  ausgestossen  wird ,  und  be- 
sonders unvorsichtiges  Anziehen  der  Nabelschnur  bei  noch  nicht  gehörig- 
gelöster  Placenta.  —  Behandlung.  Die  frische  Umkehrung  reponirt 
man  ungesäumt ,  um  der  schnell  eintretenden  Entzündung  zu  begegnen. 
In  horizontaler  Lage  und  bei  erhöhtem  Becken  schiebt  man  bei  unvoll- 
kommener Umstülpung  den  Grund  der  Gebärmutter  mit  den  conisch  zu- 
sammengelegten Fingern  wieder  durch  den  Muttermund  zurück,  bei  voll- 
ständiger Umkehrung  drückt  man  den  Grund  der  Gebärmutter  mit  der 
ganzen  Hand  zusammen  und  schiebt  ihn  nach  der  Führungslinie  des 
Beckens  in  die  Höhe.  In  schwierigen  Fällen  kann  man  den  Uterus  zu- 
nächst am  Muttermunde  und  dann  erst  den  Fundus  zurückzudrücken  ver- 
suchen. Hindert  eine  krampfhafte  Zusammenschnürung  des  Muttermun- 
des die  Reposition ,  so  bestreicht  man  den  Vorfall  mit  erwärmtem  Hyos- 
cyamusöl ,  legt  einen  in  Hyoscyamusabkochung  oder  Chamilleninfus  ge- 
tauchten Schwamm  auf  denselben ,  was  man  Öfters  wiederholt,  und  gibt 
innerlich  starke  Gaben  Opiumtinktur.  Lässt  dann  der  Krampf  nach  ,  so 
macht  man  die  Reposition.  Sizt  der  Mutterkuchen  noch  an  der  umge- 
stülpten Partie ,  so  reponirt  man  ihn  der  entstehenden ,  oft  gefährlichen 
Blutungen  wegen  mit  und  entfernt  ihn  nur  dann  vorher,  wenn  er  nur  noch 


320  GEBAERMUTTERVERSCHLIESSUNG. 

wenig  anhängt.  Geschah  die  Umkehrung  durch  einen  Polypen ,  so  ent- 
fernt man  denselben  vor  der  Reposition.  Sollte  Entzündung  einen  Auf- 
schub der  Reposition  nöthig  machen,  so  verfahre  man  erst  antiphlogistisch. 
Die  Repositionsversuche  dürfen  nie  zu  gewaltsam  sein  und  zu  lange  fort- 
gesezt  werden  ;  man  wiederhole  sie  lieber  in  angemessenen  Pausen.  Ist 
die  Reposition  gelungen,  so  lasse  man  die  Hand  noch  einige  Augenblicke 
in  der  Höhle  des  Uterus  liegen,  um  Contractionen  hervorzurufen,  und  bis 
die  etwa  noch  nicht  abgegangene  Nachgeburt  sich  ablöst.  Dann  beob- 
achte die  Kranke  eine  ruhige  Rückenlage  und  vermeide  jede  Anstrengung. 
Ist  die  Reposition  aber  in  keiner  Weise  möglich,  so  verhüte  man  die  Ent- 
zündung und  versuche  später  die  Einlegung  eines  Mutterkranzes.  Ist 
der  Uterus  in  einem  Zustande  von  krebshafter  Entartung ,  so  wird  dessen 
Entfernung  durch  die  Ligatur  allein  oder  mit  nachfolgender  Ablösung 
durch  das  Messer  angezeigt. 

Gebärmutterverengerung  u  n  d  v  e  r  s  c  h  1  i  e  s  s  u  n  g.    Die 

Verschliessung  der  Gebärmutter  ,  A  t  r  e  s  i  a  u  t  e  r  i ,  welche  immer 
im  Muttermund  sizt,  kann  angeboren,  oder  nach  Verlezungen,  besonders 
bei  schweren  Entbindungen  entstanden  sein  ,  und  sie  besteht  dann  ent- 
weder in  einer  wirklichen  parenchymatösen  Verwachsung  des  Muttermun- 
des ,  oder  blos  in  einer  häutigen  Verschliessung  desselben.  Im  unge- 
schwängerten  Zustande  gibt  sich  der  krankhafte  Zustand  durch  die  Er- 
scheinungen der  Zurückhaltung  des  Menstrualbluts  zu  erkennen ,  ist  aber 
Schwangerschaft  zugegen ,  so  bedingt  er  Zufälle ,  welche  auf  eine  durch 
mechanische  Veranlassungen  zurückgehaltene  Geburt  schliessen  lassen. 
—  Im  ersten  Falle  treten  allmonatlich  die  Beschwerden  der  Menstruation 
ein,  ohne  dass  Blutabgang  erfolgt,  der  Unterleib  dehnt  sich  allmälig  aus, 
der  Leib  schwillt  an.  Bei  der  Untersuchung  findet  man  die  Scheide 
ganz  frei ,  dagegen  hat  sich  die  ausgedehnte  Gebärmutter  in  die  Becken- 
höhle herabgesenkt.  Ist  der  Muttermund  durch  eine  Membran  verschlos- 
sen, so  dehnt  sich  diese  oft  sackförmig  aus  und  drängt  sich  hervor.  Die 
Verschliessung  des  äussern  Muttermundes  erkennt  man  mit  dem  Finger, 
die  des  innern  durch  eine  Sonde.  —  Zur  Beseitigung  dieses  Uebels  ist 
eine  Operation  nöthig ,  die  je  nach  dem  Size  der  Verschliessung  etwas 
verschieden  sein  muss.  Ist  die  äussere  Oeffnung  des  Muttermundes  ver- 
schlossen, so  bringt  man  den  linken  Zeigefinger  an  die  Stelle,  welche  ge- 
öffnet werden  soll,  und  führt  auf  demselben  einen  gekrümmten  Troicart, 
das  Pharyngotom  oder  Osiander's  Hysterotom ,  nach  Dieffenbach 
auch  eine  Scheere  ein  und  durchstösst  die  Membran,  die  den  Muttermund 
verschliesst.  Ist  aber  der  Kanal  des  Mutterhalses  oder  der  innere  Mutter- 
mund verwachsen  ,  so  sticht  man  mit  dem  Pharyngotom  oder  Hysterotom 
an  der  zu  eröffnenden  Stelle  vorsichtig  ein ,  und  erweitert ,  wenn  man  in 
die  Gebärmutterhöhle  eingedrungen  ist,  die  Oeffnung  mit  einem  geknöpf- 
ten Bistouri   nach   der  Richtung  des   Kanals.       Die  Wiederverwachsung 


GEBAERMUTTERVORFALL.  321 

hindert  man  durch  eingelegte  Charpiewieken ,  biegsame  Bougies  oder 
Darmsaiten.  Die  in  der  Regel  eintretenden  heftigen  entzündlichen  Zu- 
fälle müssen  durch  streng  antiphlogistisches  Verfahren  bekämpft  werden. 
—  Ist  der  Muttermund  während  der  Schwangerschaft  verwachsen  oder 
durch  Verhärtung  oder  scirrhöse  Entartung  so  verändert ,  dass  er  durch 
die  Wehen  nicht  eröffnet  werden  kann ,  vielmehr  der  ganze  untere  Ab- 
schnitt der  Gebärmutter  so  herabgetrieben ,  dass  eine  Zerreissung  zu  be- 
fürchten steht ,  so  schneidet  man  die  vorliegende  Wandung  nach  beliebi- 
ger Richtung  ein  (Scheidenkaiserschnitt,  Hysterotomia 
vaginalis).  —  Die  Verengerung  der  Gebärmutter  kommt  eben- 
falls angeboren  wie  erworben  vor.  Der  gewöhnliche  Siz  der  Verengerung 
ist  der  Vaginaltheil  des  Uterus  und  die  nächste  Veranlassung  derselben 
ein  hier  stattgefundener  Entzündungsprocess,  hervorgerufen  durch  schwere 
Entbindungen,  Störungen  in  der  Menstruation,  geschlechtliche  Ausschwei- 
fungen, unzeitig  gebrauchte  Emmenagoga  etc.  Ist  die  Verengerung  nicht 
bedeutend ,  so  erzeugt  sie  ausser  einigen  schmerzhaften  Empfindungen 
während  der  Menstruation  keine  Symptome  ,  im  entgegengesezten  Falle 
aber  die  oben  bei  der  Verschliessung  der  Gebärmutter  angegebenen  Be- 
schwerden. Findet  Schwangerschaft  statt ,  so  macht  die  Verengerung 
sich  hauptsächlich  zu  Ende  derselben ,  wo  sich  der  Gebärmutterhals  ver- 
streichen und  erweitern  soll ,  in  ihren  Folgen  geltend.  Bei  der  Unter- 
suchung findet  man  dann  lezteren  oftmals  so  verengt ,  dass  er  kaum  eine 
gewöhnliche  Knopfsonde  durchlässt  und  dabei  die  Schleimhaut  von  cal- 
löser,  cartilaginöser  Beschaffenheit.  Vor  einer  Verwechslung  der  Ver- 
engerung mit  scirrhöser  Entartung  des  Vaginaltheils  wird  den  vorsichtigen 
Arzt  die  grössere  Empfindlichkeit  des  lezteren  und  die  ihn  bisweilen 
durchfahrenden  stechenden  Schmerzen  auch  ausser  der  Menstruations- 
und Schwangerschaftszeit  schüzen.  Wo  leztgenannte  Verhältnisse  nicht 
bestehen,  erregt  die  Verengerung  gar  keine  Zufälle,  deshalb  ist  aber  auch 
ihr  Dasein  nach  bereits  erloschenem  Uterinleben  eine  ganz  gleichgültige 
Erscheinung.  —  Zur  Beseitigung  der  Verengerung  trägt  nicht  selten  eine 
entstandene  Schwangerschaft  vermöge  des  reger  gewordenen  Uterinlebens 
das  Meiste  bei ;  wo  dies  aber  nicht  der  Fall  war ,  und  die  Geburtswehen 
nicht  im  Stande  sind,  die  zum  Durchgang  des  Kindes  nöthige  Erweiterung 
des  Muttermundes  zu  bewerkstelligen,  reicht  auch  ebenso  oft  die  Anwen- 
dung eines  Dilatators  nicht  aus,  sondern  man  muss  die  Verengerung  nach 
mehreren  Seiten  hin  behutsam  einschneiden,  um  bei  kräftiger  werdenden 
Wehen  einer  Ruptur  des  Uterus  vorzubeugen.  Erkennt  man  ausser  der 
Zeit  des  Gebarens  die  Verengerung ,  so  sind  Bougies  ,  Darmsaiten ,  der 
Pressschwamm ,  elastische  mit  Wasser  oder  Luft  anzufüllende  Röhren  die 
gewöhnlichen  Erweiterungsmittel. 

GebärmutterVOrfall,  Prolapsus  uteri,  heisst  das  Herab- 
sinken  der    Gebärmutter  in  die  Scheide  bei  unveränderter  Richtung  ihrer 
Burger,  Chirurgie.  21 


322  GEBAERMUTTERVORFALL. 

Längenachse.  —  Man  unterscheidet  einen  unvollkommenen  oder 
vollkommenen  Vorfall ,  je  nachdem  der  Uterus  nur  bis  an  den  Ein- 
gang der  Scheide  oder  bis  zwischen  oder  vor  die  Schamlefzen  tritt.  Mit 
dem  Vorfall  kann  zugleich  eine  Umstülpung  der  Gebärmutter  verbunden 
sein  (Prolapsus  uteri  cum  inversione).  —  Bei  dem  unvoll- 
kommenen Vorfalle  ist  die  Scheide  verkürzt,  die  Scheidenportion 
des  Uterus  erscheint  länger  und  'wird  als  eine  birnförmige  Geschwulst 
leicht  gefühlt  und  mit  dem  untersuchenden  Finger  umgangen  ;  an  dem 
untersten  Theil  dieser  Geschwulst  fühlt  man  den  querlaufenden  Mutter- 
mund. Dabei  klagt  die  Kranke  über  Kreuz-  und  Lendenschmerzen, 
Druck  in  der  Scheide,  Drang  zum  Stuhlgang  und  Uriniren,  oder  aber  ge- 
hinderten Urinabfluss.  Zugleich  leidet  sie  gewöhnlich  an  Leucorrhoe 
und  zuweilen  an  Blutflüssen.  Während  der  Menstruation  und  im  Stehen 
sind  die  Beschwerden  stärker,  als  im  Liegen  und  ausser  der  Menstruation. 

—  Beim  vollkommenen  Vorfalle  liegt  der  untere  Theil  des  Ute- 
rus zwischen  den  Schamlefzen  oder  vor  denselben  als  eine  halbkugelför- 
mige oder  cylindrische ,  unten  schmälere ,  mit  Schleimhaut  überzogene 
Geschwulst,  an  welcher  man  den  Muttermund  wahrnimmt.  Rings  um  die 
Geschwulst  fühlt  man  eine  Falte  als  Eingang  in  die  mit  nach  unten  ge- 
zogene und  umgestülpte  Scheide  ,  in  welche  Umstülpung  sich  Unterleibs- 
eingeweide senken  können,  so  dass  der  Bauch  dünner  erscheint.  Durch 
den  Zutritt  der  Luft ,  die  Einwirkung  des  Druckes  beim  Sizen  und  die 
Benezung  mit  Urin  wird  die  Oberfläche  der  vorgefallenen  Theile  entzün- 
det ,  ulcerirt ,  selbst  brandig  oder  auch  mit  derber  Haut  überzogen.  Zu 
diesen  örtlichen  Veränderungen  treten  ausser  den  bei  dem  unvoll- 
kommenen Vorfalle  angegebenen  Erscheinungen  oft  Uebelkeit,  Krämpfe 
und  Ohnmächten.  —  Die  Muttermundöffnung  lässt  die  Art  des  Leidens 
zur  Genüge  erkennen.  —  Ursachen.  Eine  Prädisposition  geben  Er- 
schlaffung der  Befestigungen  des  Uterus  durch  öftere  Schwangerschaften, 
Schleim-  und  Blutflüsse  und  andere  schwächende  Krankheiten.  Gelegen- 
heitsursachen sind:  heftige  Anstrengungen  beim  Heben,  Drängen,  Husten, 
zu  frühes  Aufstehen  aus  dem  Wochenbette  etc.  Ausserdem  können 
Krankheiten  der  Eingeweide  mit  Ansammlung  der  Fäces  etc.  und  Ge- 
schwülste im  Unterleibe  oder  an  der  Gebärmutter  durch  Druck  oder 
Schwere  die  Vorfälle  bedingen.  Die  Prognose  ist  nicht  schlecht,  wenn 
die  Ursachen  des  Vorfalls  beseitigt  werden  können  und  das  Uebel  noch 
keinen   bedeutenden   Grad   erreicht  hat ,  andernfalls  ist  sie  nicht  günstig. 

—  Behandlung.  Ein  noch  nicht  weit  gediehener  Vorfall  tritt  ge- 
wöhnlich bei  horizontaler  Rückenlage  der  Kranken  von  selbst  zurück. 
Geschieht  dieses  nicht ,  so  schiebt  man  ihn  nach  vorausgeschickter  Ent- 
leerung der  Blase  und  des  Mastdarms  mit  den  Fingern  nach  der  Achse 
des  Beckens  zurück ,  was  am  besten  Morgens  früh  gelingt.  Man  lässt 
hierauf  die  Kranke  mehrere  Wochen  eine  Rückenlage  beobachten  und 
verbietet  ihr  alles   Drängen   u.    dgl.       Zugleich   wendet  man  örtlich  und 


GEBAERMUTTERVOEFALL.  323 

nilgemein  stärkende  Mittel  an  ,  wie  flüchtige  Einreibungen  in  den  Unter- 
leib ,  bringt  Schwämme  mit  zusammenziehenden  Mitteln  ,  wie  D  e  c  o  c  t. 
quere  us,  tormentillae,  ratanhiae,  gallarum  turcicarum 
etc.  mit  Zusaz  von  Alaun ,  Rothwein  angefeuchtet  in  die  Scheide ,  macht 
Einsprizungen  damit,  lässt  Lohbäder  gebrauchen  etc.  ;  innerlich  gibt  man 
Gentiana,  Quassia,  Trifolium,  China,  Eisenmittel.  —  Ist  der 
Uterus  vollständig  vorgefallen ,  so  lässt  man  der  Reposition  eine  Vorkur 
vorangehen,  wenn  sie  nicht  leicht  ausgeführt  werden  kann  und  die  Theile 
ausserdem  geschwollen  und  entzündet  sind.  Man  wende  warme  Bäder, 
erweichende  Umschläge,  innerlich  kühlende  Mittel  bei  schmaler  Kost  und 
Rückenlage  mehrere  Tage  oder  Wochen  an,  nehme  örtliche  und  selbst  all- 
gemeine Blutentleerungen  vor ,  ehe  man  die  Reposition  wieder  versucht, 
die  nun  aber  gewöhnlich  leicht  zu  bewerkstelligen  ist.  Zur  Retention 
wendet  man  dann ,  da  in  den  meisten  Fällen  eine  radicale  Heilung  nicht 
zu  hoffen  ist ,  entweder  walzenförmig  zugeschnittene  Schwämme,  die  mit 
einer  T  Binde  zurückgehalten  werden  oder  noch  besser  die  Mutterkränze 
( s.  diesen  Art.)  an.  P  a  u  1  y  bedient  sich  zweier  kleinen  runden  Kaut- 
sekukpessarien  von  2- — 2^/2  Zoll  im  Durchmesser,  die  nach  einander  ein- 
gelegt werden,  so  dass  eines  das  andere  trägt :  das  obere  Pessarium  hält 
den  Uterus  in  seiner  normalen  Lage  fest,  das  untere  fixirt  sich  gegen  den 
Scheideneingang  hin,  da  es  hier  als  dem  engsten  Theil  der  Scheide  ,  troz 
seines  kleinen  Umfanges,  Widerhalt  findet.  Nach  3 — 5  Wochen  soll  sich 
in  der  Regel  keine  Spur  mehr  von  dem  Vorfall  zeigen ,  wenn  man  die 
Pessarien  wegnimmt.  Dies  soll  seinen  Grund  darin  haben,  dass  die  Scheide 
durch  die  fremden  Körper  in  ihrem  ganzen  Umfange  in  einen  leichten 
Grad  von  Entzündung  versezt ,  hierdurch  die  Contractilität  der  Scheide 
eines  Theils  gesteigert,  dann  aber  auch  die  Spannkraft  aller  den  Uterus 
umgebenden  Theile  vermehrt  werde.  Ein  längeres  Liegenlassen  der  Pes- 
sarien würde  nachtheilig  wirken.  —  Vermögen  die  Mutterkränze  den 
Vorfall  nicht  zurückzuhalten  oder  werden  sie  nicht  ertragen ,  so  besteht 
die  einzige  Hülfe  in  der  Herbeiführung  einer  organischen  Verengerung 
der  Scheide  mit  oder  ohne  Excision  ihrer  Wandung  mittels  der  Naht, 
E  1  y  t  r  o  r  1-  ha  p  h  i  a  (s.  diesen  Artikel),  Colpodesmorrhaphia,  oder 
mittels  Zängelchen  ,  oder  durch  Vereinigung  der  Schamlefzen  mittels  der 
Naht,  Episiorrhaphia  (s.  diesen  Artikel)  oder  durch  einen  eingeheilten 
Ring.  —  Die  Colpodesmorrhaphie  wurde  von  B  e  1 1  i  n  i  bei  einem 
Scheidenvorfall  ausgeführt  und  zur  Verengerung  der  Scheide  bei  Mutter- 
vorfall empfohlen  ;  er  fasste  das  obere  Segment  der  nach  aussen  getrie- 
benen Scheide  mit  einer  Hakenzange ,  umstach  diesen  Theil  in  Hufeisen- 
form mit  einer  krummen  Nadel  und  schnürte  ihn  durch  Anziehen  der 
Fadenenden  zusammen ;  nach  1 0  Tagen  fiel  der  brandiggewordene  Theil 
der  Scheidenschleimhaut  ab  und  als  die  danach  zurückgebliebene  eiternde 
Stelle  vernarbt  war,  war  der  Vorfall  geheilt.  —  Desgranges  empfiehlt 
die  Einsezung  möglichst  vieler  Klemmerchen  in  die  Falten  der  Sch'eiden- 

21* 


324 


GEBAERMÜTTERWASSERSUCHT. 


wandung ,  wodurch  diese  comprimirt  und  in  Entzündung  und  Verschwä- 
rung  versezt  werden,  worauf  die  Instrumente  (in  5  — 10  Tagen)  abfallen. 
Die  Application  derselben  niuss  8 — 10  Male  wiederholt  werden;  die  Be- 
handlung dauert  2  —  3  Monate.  —  Zum  Zusammenhalten  der  Schamlefzen 
durch  einen  Ring  bedient  man  sich  eines  solchen  mit  einem  Charnier, 
ähnlich  einem  Ohrring ,  der  durch  den  untern  Theil  der  Schamlefzen  ein- 
gezogen und  geschlossen  wird. —  Ausser  den  genannten  Verfahren  wurde 
ferner  die  Scarification  und  die  Cauterisation  der  Scheidenschleimhaut 
(mit  dem  Glüheisen),  jedoch  ohne  wesentlichen  Erfolg,  in  Anwendung  ge- 
bracht. —  Wird  die  Operation  versagt  oder  ist  der  Prolapsus  nicht  zu- 
rückzubringen ,  so  bleibt  nichts  übrig ,  als  einen  Tragbeutel  anzulegen. 
Wird  der  vorgefallene  Uterus  krebsig  ,  so  soll  man  ihn  durch  die  Ligatur 
oder  den  Schnitt  wegnehmen. 

GebärmutterwaSSerSUCht,  Hydrometra  (von  vSooq, 
Wasser  und  fjrjTQa ,  Gebärmutter) ,  Hydrops  uteri,  uterinus,  ist 
eine  Ansammlung  hydropischer  Flüssigkeit  im  Uterus  und  kommt  in  der 
Schwangerschaft  und  ausser  dieser  vor.  Hier  wird  nur  von  der  lezteren 
die  Rede  sein.  Das  Wasser  befindet  sich  entweder  frei  in  der  Höhle 
der  Gebärmutter  (Hydrometra  ascitica,  Ascites  uterinus) 
oder  es  sind  Hydatiden  im  Uterus  (Hydrometra  cystica,  vesicu- 
laris,  hydatica).  Symptome;  Ausbleiben  der  Menstruation, 
statt  derselben  tritt  Leucorrhoe  ein ;  dieses  Zeichen  fehlt  fast  nie  bei 
Hydrometra  ascitica,  häufig  aber  bei  H.  cystica.  Späterhin 
bildet  sich  über  den  Schambeinen  eine  Geschwulst ,  ganz  in  der  Gestalt 
des  Uterus,  die  allmälig  zunimmt,  gegen  den  Nabel  hinaufsteigt  und  sich 
oft  über  den  ganzen  Unterleib  verbreitet.  Bei  Hydrometra  asci- 
tica, nicht  aber  bei  H.  cystica  zeigt  diese  Geschwulst  bei  genauer 
Untersuchung  oft  deutliche  Fluctuation,  welche  auch  die  Exploration  kund 
gibt ,  wo  sie  hinter  der  fast  ganz  verstrichenen  Vaginalportion  des  ge- 
schlossenen, nicht  in  die  Höhe  gestiegenen  Muttermundes  am  deutlichsten 
wahrzunehmen  ist.  Die  Vagina  ist  kalt,  die  Portio  vaginalis  weich, 
teigig.  Dabei  zeigt  sich  ein  Gefühl  von  Druck ,  Schwere  im  Unterleib, 
eine  Empfindung,  als  wolle  der  Uterus  vorfallen,  bei  Hydrops  asciti- 
c  u  s  stellt  sich  ein  periodischer  Ausfluss  des  angesammelten  Wassers  mit 
Erleichterung  der  Beschwerden  ein ,  dem  indessen  spasmodische  Zufälle 
und  wehenartige  Schmerzen  vorhergehen.  Dazu  ödematöses  Anschwellen 
der  untern  Extremitäten ,  verminderte  Harnsecretion.  Später  gesellen 
sich  secundäre  Zufälle  hinzu,  wie  Spannung  im  Unterleibe,  in  der  Kreuz- 
und  Lendengegend,  Dispnoe,  Asthma,  Mangel  an  Appetit,  Verstopfung, 
Tympanitis,  zuweilen  stinkende  Durchfälle,  Strangurie ,  Dysurie ,  kachec- 
tisches  Aussehen  ,  allgemeine  Abmagerung  ,  hectisches  Fieber,  colliquati- 
sche  Schweisse  undzulezt  der  Tod  durch  Erschöpfung.  —  Die  Diagnose 
ist  nicht  leicht,  da  sowohl  Schwangerschaft  als  Hydrops  abdominis 


GEBAERMUTTERWASSERSUCHT.  325 

ähnliche  Zeichen  haben.  Von  der  8  chwang  er  s  ch  aft  unterscheidet 
sich  das  Uebel  durch  folgende  Merkmale:  1)  die  Krankheit  kommt  nicht 
selten  in  Lebensperioden  vor ,  wo  keine  Conceptionsthätigkeit  mehr  statt- 
findet; 2)  die  Geschwulst  des  Unterleibs  wachst  schneller  als  in  der 
Schwangerschaft ;  sie  ist  weniger  hart ,  weniger  warm,  mehr  elastisch  als 
der  schwangere  Uterus  ;  3)  es  fehlen  die  gewöhnlichen  Erscheinungen, 
welche  in  den  ersten  Schwangerschaftmonaten  sich  einzustellen  pflegen ; 
dieses  Zeichen  gilt  aber  nichts  bei  Hydrometra  cystica;  4)  die 
Scheide  fühlt  sich  kalt  an,  die  Vaginalportion  ist  weicher,  matschiger  und 
verstreicht  sich  früher  als  in  der  Schwangerschaft ;  das  untere  Segment 
des  Uterus  ist  gespannt,  gewölbt,  man  fühlt  hinter  demselben  keinen  har- 
ten Körper  (Kindstheile),  keinen  Fötalherzschlag,  wohl  aber  Fluctuation  ; 
5)  das  Uebel  hat  häufig  schon  im  6.  Monate  seine  Höhe  erreicht  und  es 
tritt  allgemeine  Wassersucht  hinzu,  in  andern  Fällen  dauert  es  weit  über 
den  gewöhnlichen  Termin  der  Schwangerschaft;  6)  nicht  selten  erscheint 
bei  Hydrometra  in  den  ersten  Monaten  noch  die  Menstruation,  und  mit 
ihr  zugleich  oder  ohne  sie  geht  die  hydropische  Flüssigkeit  ab.  Von  der 
freien  Bauchwassersucht  unterscheidet  sich  der  Hydrops  uteri 
durch  die  Bildung  der  circumscripten  Geschwulst  über  dem  Schambogen, 
die  der  Form  des  Uterus  entspricht  und  sich  bei  veränderten  Lagen  und 
Stellungen  des  Körpers  ziemlich  gleich  bleibt ,  ferner  durch  den  später 
erfolgenden  Hinzutritt  von  Oedem  der  Füsse  und  Genitalien  ,  durch  die 
später  eintretende  Functionsstörung  der  Unterleibseingeweide  und  durch 
den  periodischen  wässerigen  Ausfluss  aus  den  Genitalien. —  Ursachen. 
Prädisposition  gibt  eine  reizlose ,  torpide  Körperconstitution.  Oft  sind 
organische  Fehler  des  Uterus,  schnell  aufeinanderfolgende ,  besonders  un- 
zeitige Geburten  ,  Fluor  albus,  Molenschwangerschaften  etc.  die  Ur- 
sache. —  Prognose.  Sie  ist  um  so  ungünstiger,  je  Öftersich  das 
Wasser  nach  der  Entleerung  wieder  ansammelte ,  was  beweist ,  dass  eine 
fortwirkende  innere  Ursache  vorhanden  ist.  Ist  das  Uebel  noch  local, 
der  Uterus  gesund,  die  Constitution  gut,  so  ist  die  Prognose  nicht  so  übel. 
—  Behandlung.  Man  entleert  das  Wasser  durch  den  zu  eröffnenden 
Muttermund  mittels  einer  stumpfen  Sonde  oder  einer  zangenartigen  Vor- 
richtung nicht  auf  einmal,  sondern  in  Absäzen.  In  Fällen,  wo  das  Leben 
der  Kranken  bedroht  wäre ,  müsste  man  zu  der  Paracentese  des  Uterus 
(siehe  Function)  seine  Zuflucht  nehmen.  Innerlich  gibt  man  die  Con- 
traction  des  Uterus  bewirkende  Mittel,  Cinnamom.,  Seeale  cornu- 
t  u  m  ;  dabei  Diaphoretica  und  Diuretica.  Der  Wiederkehr  der  Hydro- 
metra beugt  man  hauptsächlich  durch  Anordnung  einer  zweckmässigen 
Lebensweise,  tonische  Mittel,  bittere  Extracte,  China,  eisenhaltige  Mineral- 
wasser, stärkende  Bäder  etc.  vor.  Ist  sie  Folge  einer  vorausgegangenen 
Metritis,  so  wird  der  Gebrauch  der  Antimonialia,  Mercurialia  und  der  Di- 
gitalis, so  wie  die  Einreibung  der  Quecksilbersalbe  empfohlen. 


326  GEFAESSGESCHWULST. 

GefäSSgeSChwulst,  Telangiectasia  (von  iskoc ,  Ende, 
ayyeiov,  Gef  äss  und  ixiaOig,  Erweiterung)  ,  e  r  e  c  t  i  1  e  Geschwulst, 
farbiges  Muttermal,  Naevus  vasculosus.  Man  bezeichnet 
damit  eine  Erweiterung  der  Haargefässe  der  Haut  und  des  Unterhautzell- 
gewebes ,  so  wie  des  Anfanges  der  Schleimhäute,  höchst  selten  der  Kno- 
chen. Diese  Erweiterung  kann  entweder  das  arterielle  oder  das  venöse 
Capillargefässnez  betreffen  und  ist  meistens  angeboren  ;  selten  tritt  sie  in 
spätem  Lebensperioden  spontan  oder  nach  einer  äussern  Einwirkung,  einem 
Stosse  etc.  auf,  wobei  es  aber  in  vielen  Fällen  zweifelhaft  bleibt,  ob  nicht 
ein  kleiner  unbemerkter  Keim  vorhanden  gewesen  ist.  Es  ist  nicht  er- 
wiesen ,  ob  nicht  bei  der  Entwicklung  der  Telangiectasia  neben  der  Er- 
weiterung der  Haargefässe  auch  eine  Neubildung  von  Gef ässen  ,  welche 
sich  mit  den  Capillaren  in  Verbindung  sezen,  stattfindet;  da  wo  sich  diese 
Geschwülste  über  die  Haut  erheben  ,  scheint  eine  solche  Neubildung  von 
Gefässen  ausser  Zweifel.  —  Die  Haargef ässerweiterung  tritt  unter  ver- 
schiedenen Formen  auf,  bald  in  flächenhafter  Ausbreitung,  bald  als  Ex- 
crescenz  oder  als  Geschwulst.  Die  erste  Form  zeigt  sich  als  eine  geröthete. 
wenig  oder  gar  nicht  über  die  Haut  erhabene  Stelle ,  auf  welcher  man 
bald  nur  einzelne  erweiterte  Gef  ässverästelungen,  bald  eine  intensive  Röthe 
bemerkt.  Der  Umfang  der  gerötheten  Stelle  ist  häufig  rundlich,  zuweilen 
verschiedenartig  gestaltet ,  scharf  abgegrenzt  oder  verwischt.  Die  Röthe 
ist  bald  mehr  roth  ,  bald  mehr  bläulich ,  manchmal  von  helleren  Stellen 
unterbrochen.  Die  angiectasischen  Excrescenzen  stellen  bald  einen  dün- 
nen ,  gestielten  Auswuchs  ,  bald  ein  rundliches  Gewächs  mit  breiter  oder 
dünner  Basis,  glatter  oder  mehr  oder  weniger  tief  getheilter,  eingekerbter 
Oberfläche  dar.  Andere  Male  sizen  eine  Menge  kleiner,  rundlicher  Aus- 
wüchse neben  einander,  oder  die  Excrescenz  ist  mehr  flach  ausgebreitet. 
Die  Excrescenzen  sind  mit  einer  dünnen ,  oder  aber  auch  mit  einer  viel- 
schichtigen Epidermis  bedeckt,  und  haben  eine  bald  hellere  bald  dunklere 
Färbung.  Die  Geschwulstform  tritt  am  häufigsten  im  subcutanen  Zell- 
gewebe auf,  wo  die  rundlichen  und  verflachten  Geschwülste  ein  täuschen- 
des Gefühl  von  Fluctuation  geben ,  sich  elastisch  anfühlen  und  eine  röth- 
liche  oder  bläuliche  Färbung  zeigen.  Bei  jeder  Anstrengung,  wodurch 
der  Umlauf  des  Blutes  beschleunigt  wird,  schwellen  diese  Geschwülste  an, 
der  Kranke  findet  in  ihnen  ein  Kribeln  oder  Klopfen,  welches  leztere  man 
auch  bisweilen  sehen  und  fühlen  kann.  Compression  verkleinert  die  Ge- 
schwulst ,  Druck  auf  die  zuführenden  Gef ässe  vermindert  ihre  Spannung. 
—  Das  Innere  der  Gefässgeschwülste  zeigt  ein  von  lockerem  Zellgewebe 
zusammengehaltenes  Convolut  von  erweiterten  Gefässen ,  welches  ein  Ge- 
webe darstellt,  das  leicht  mit  Blut  erfüllt  werden  und  gleich  dem  normalen 
erectilen  oder  cavernösen  Gewebe  aufschwellen  kann.  Bisweilen  trifft  man 
in  grösseren  Geschwülsten  dieser  Art  mit  Blut  gefüllte  Höhlen  an  (s.  den 
Art.  Venen).     Findet  sich  in  diesen  Geschwülsten  eine  grössere  Menge 


GEFAESSGESCHWULST.  327 

Fett,  so  stellen  sie  das  F  e  tt  m  u  1 1  e  r  in  a  1 ,  Naevus  maternus  1  i  p  o- 
matodes  s.  Telangiectasia  lipomatodes  dar.  —  Der  S i z  der 
Gefässgeschwülste  kann  überall  am  Körper  sein,  am  häufigsten  findet  man 
sie  aber  am  Kopf,  Hals  und  Rumpf;  die  nach  der  Geburt  entstandenen 
sizen  häufiger  an  den  Extremitäten.  Zuweilen  sind  sie  in  Mehrzahl  vor- 
handen. —  Die  angeborenen  Telangiectasien  bleiben  nicht  selten  bei 
ihrem  ursprünglichen  Umfange  stehen,  zuweilen  vergrössem  sie  sich  etwas 
nach  der  Geburt  und  bleiben  dann  stationär  oder  bilden  sich  auch  spon- 
tan zurück,  indem  die  Gefässe  sich  verengen  oder  auch  ganz  obliteriren, 
oder  die  krankhafte  Stelle  sich  entzündet  und  ausschwärt.  In  andern 
Fällen  wächst  die  angiectasische  Stelle  stetig  fort ,  ihre  Consistenz  wird 
grösser  und  ihre  Temperatur  höher ,  als  die  ihrer  Umgebungen  ;  die  bis 
dahin  glatte  Oberfläche  wird  höckerig  wie  ein  Hahnenkamm ,  oder  einer 
Maulbeere,  Erdbeere  etc.  ähnlich.  Diese  Entwicklungsstufe  kann  indessen 
schon  bei  der  Geburt  bestehen.  Zuweilen  können  diese  Geschwülste  eine 
ausserordentliche  Grösse  erreichen.  —  Die  Zufälle ,  welche  diese  krank- 
haften Bildungen  nach  sich  ziehen  können,  bestehen  hauptsächlich  in  hart- 
näckigen oft  lebensgefährlichen  Blutungen,  die  spontan  oder  in  Folge  von 
Verlezungen  auftreten  können  ;  auch  Wucherungen,  die  sich  bisweilen  aus 
solchen  Gefässen  entwickeln ,  können  zu  erschöpfenden  Blutungen  Anlass 
geben.  —  Diagnose.  Verwechslungen  mit  Aneurysmen,  Varicositäten, 
Abscessen  und  Markschwamm  sind  möglich.  Die  zwei  ersten  Krankheits- 
formen kommen  aber  nur  fast  bei  Erwachsenen  vor  und  sind  durch  Druck 
vorübergehend  gänzlich  zu  beseitigen.  Die  genaue  Beachtung  des  Ver- 
laufes eines  Abscesses  kann  vor  Verwechslung  schüzen.  Der  Markschwamm 
kommt  nie  als  angeborene  Krankheit  vor,  ist  fast  immer  von  bedeutenden 
Schmerzen  begleitet ,  die  ihn  bedeckende  Haut  wird  erst  gegen  die  Zeit 
des  Aufbruchs  hin  missfarbig  und  die  Geschwulst  lässt  sich  durch  Druck 
nicht  verkleinern.  —  Die  Prognose  dieser  Geschwülste  ist  im  Allge- 
meinen günstig,  wird  indessen  durch  ihren  Siz,  so  wie  nach  dem  Ueber- 
wiegen  der  arteriellen  oder  venösen  Gefässe  modificirt ;  am  schlechtesten 
ist  die  Prognose ,  wenn  sie  ihren  Siz  in  den  Knochen  haben.  —  Be- 
handlung. Kleine  stehenbleibende  Capillarerweiterungen  lässt  man 
am  besten  unbelästigt.  Ausserdem  muss  man  suchen ,  die  erweiterten 
Capillargefässe  zur  Verengerung  oder  Verschliessung  zu  bringen  oder 
ganze  Gebilde  hinwegzunehmen  oder  zu  zerstören.  Den  ersten  Zweck 
erreicht  man  durch  Behinderung  des  Blutzuflusses  oder  durch  die  Er- 
regung einer  obliterirenden  Entzündung  ;  den  zweiten  durch  Cauterisation, 
Exstirpation  oder  Abbinden.  Durch  Behinderung  des  Blutzu- 
flusses wirkende  Mittel  sind  :  1)  die  K ä  1 1 e  und  adstringirende 
Mittel,  wie  Fomentationen  mit  Bleiwasser ,  Alaunlösung,  Betupfen  mit 
Höllenstein  oder  einer  concentrirten  Lösung  desselben ;  passt  nur  bei 
kleinen  flachen  Telangiectasien.  2)  Die  C  ompres  s  ion  ;  sie  richtet 
nicht  viel  aus  und  eignet  sich  nur  bei  kleinen  oberflächlichen ,  über  Kno- 


328  GEHIRNHAUTKREBS. 

chen  liegenden  Malern  ;  hierher  gehört  auch  das  öftere  Bestreichen  der- 
selben mit  Collodium.  3)  Unterbindung  der  zuführenden 
Arterien,  ist  unsicher.  —  Entzündung  erregende  Mittel  sind : 
1)  das  Durchstechen  der  Geschwulst  mit  z  ahlreich  en  Ins  ec- 
tennadeln;  unsicher.  2)  Das  Durchführen  eines  Haarseils 
kann  leicht  eine  beunruhigende  Blutung  veranlassen  ;  besser  ist  das  Durch- 
führen mehrerer  baumwollener  Faden,  welche  man  zugleich  zum  Abschnü- 
ren der  Geschwulst  benuzt.  3)  Subcutane  Zerreissung  der  Ge- 
schwulst mit  einer  Staarnadel.  4)  Einimpfung  der  Kuhpocken 
in  die  Geschwulst.  5)  Tätowiren  der  Geschwulst  mit  Blei-  oderZink- 
weiss  ,  dem  man  etwas  Karmin  beimischt ,  um  die  richtige  Hautfarbe  zu 
erhalten ;  ist  nur  bei  kleinen  oberflächlichen  Muttermälern  anwendbar 
und  nicht  ganz  sicher.  —  Die  Zerstörung  oder  Hin  wegnähme 
der  Geschwulst  geschieht :  1 )  durch  Cauterisation  mit  dem  Glüh- 
eisen oder  dem  Aezmittel ,  wie  dem  Aezsteine  oder  besser  dem  Chlorzink 
und  der  Wiener  Aezpaste;  die  Aezmittel  zerstören  die  Geschwulst  sicher, 
wenn  sie  nicht  zu  tief  eindringt ;  die  Einwirkung  des  Glüheisens  ist  eine 
zu  heftige  ;  2)  durch  Exstirpation;  man  wendet  sie  hauptsächlich  bei 
Telangiectasien  von  massiger  Ausbreitung  und  beiExcrescenzen  mit  brei- 
ter Basis  an  ;  die  Schnitte  müssen  dabei  aber  im  Gesunden  geführt  wer- 
den ,  um  eine  bedeutende  Blutung  zu  verhüten.  Ausgebreitete  Gefäss- 
geschwülste  greift  man  stellenweise  an,  indem  man  aus  dem  hervorragend- 
sten Punkte  elliptische  Incisionen  macht ,  nachdem  man  unter  der  zu  ex- 
cidirenden  Stelle  Nadeln  durchgeführt  hat,  damit  man  nach  der  Excision 
gleich  die  umwundene  Naht  anlegen  kann.  Bei  gefahrdrohenden  Blutun- 
gen zieht  man  das  Glüheisen  in  Gebrauch;  3)  durch  Abbinden;  es 
eignet  sich  dieses  besonders  bei  gestielten  Excrescenzen  ;  bei  herorragen- 
den  Geschwülsten  mit  breiter  Basis  kann  man  nach  Durchstechung  der- 
selben mit  einer  oder  zwei  mit  doppelten  Fäden  versehenen  Nadeln  nach 
mehreren  Seiten  hin  unterbinden,  s.  den  Art.  Abbinden.  Auch  die 
galvanocaustische  Schneideschlinge  ist  anwendbar.  S.  den  Art.  E 1  e  c  - 
trotherapie.  Endlich  kann  bei  grossen  Telangiectasien  der  Glied- 
massen ,  besonders  wenn  das  Leben  durch  Blutungen  gefährdet  ist ,  die 
Amputation  nothwendig  werden. 

Gehirnentzündung,  s.  Wunden. 
Gehirnerschütterung,  s.  Wunden. 

Gehirnhautkrebs,  Fungus  durae  m  a  t  r  i  s  ,  entwickelt  sich 
entweder  auf  der  äussern  oder  auf  der  innern  Fläche  der  harten  HirnhautT 
kann  aber  auch  von  der  Diploe  seinen  Ursprung  nehmen ,  zerstört  im 
erstem  Falle  bei  weiterem  Wachsthum  den  Knochen,  tritt  damit  unter 
die  äussern  Schädeldecken  und  erhebt  diese  halbkugelförmig ;  im  zweiten 
Falle  wuchert  es  gegen  die  Hirnsubstanz.  Dieses  Aftergebilde  gehört 
seiner   Structur  nach   meistens  zum  Zellenkrebs  (s.  Krebs).    —   Sym- 


GEHIRNHAUTKREBS.  329 

ptome.  Diese  sind  im  Anfange  dunkel.  Es  stellen  sich  mehr  oder 
weniger  heftige ,  anhaltende  oder  periodische  ,  oft  über  den  ganzen  Kopf 
verbreitete ,  oft  nur  auf  die  leidende  Stelle  beschränkte  Schmerzen,  Ein- 
genommenheit des  Kopfes,  Schwindel,  Erbrechen,  Betäubung,  Convulsio- 
nen ,  Lähmungen  einzelner  Körpertheile  etc.  ein.  Im  weiteren  Verlaufe 
drängt  das  von  der  äussern  Girnhautfläehe  ausgehende  Carcinom  den 
Knochen  vor  sich  her,  verdünnt  ihn  dergestalt,  dass  nur  ein  dünnes  leicht 
gehobenes  Blatt  der  äussern  Tafel  übrig  bleibt ,  welches  beim  Drucke  ein 
knatterndes  Geräusch  (Pergamentknittern)  wahrnehmen  lässt.  Endlich 
kommt  es  zum  Durchbruche  des  Knochens  ,  wobei  eine  meist  runde,  mit 
zackigen  Rändern  versehene  OefFnung  gebildet  wird ,  durch  welche  der 
Schwamm  nach  aussen  tritt  und  eine  Geschwulst  bildet,  die  zuweilen  an 
einer  Stelle  weich  und  fluetuirend  ,  an  der  andern  hart  ist ,  pulsirt  und 
rasch  an  Grösse  zunehmend ,  den  Knochenrand  bald  überragt ,  wodurch 
dieser  dem  Gefühle  entzogen  wird.  Die  Reibung  der  Geschwulst  an  dem 
scharfen  Knochenrande  verursacht  Schmerzen.  Mit  dem  Hervortreten  des 
Schwammes  aus  der  Schädelöffnung  lassen  die  Zufälle  von  Hirndruck  zu- 
weilen nach,  stellen  sich  aber  sogleich  wieder  ein,  wenn  man  einen  Drnck 
auf  die  Geschwulst  ausübt.  —  Andere  Male  zieht  der  Schwamm  den 
Knochen  in  den  Degenerationsprocess  mit  hinein  ,  dieser  erweicht,  wird 
fleischig  und  bildet  mit  dem  Schwammgewächse  eine  Masse  ;  in  diesem 
Falle  besteht  weder  ein  Knochenrand  noch  eine  Knochenöffnung  und  die 
mit  den  Schädelknochen  organisch  zusammenhängende  Geschwulst  zeigt 
keine  Pulsation.  —  In  den  seltenen  Fällen,  wo  das  Schwammgewächs  von 
der  innern  Fläche  der  Dura  mater  ausgeht ,  tödtet  es,  ohne  dass  es 
nach  aussen  kommt,  meistens  durch  Hirndruck. —  Ursachen.  Sie  sind 
meist  dunkel.  Zuweilen  geht  der  Entwicklung  des  Leidens  eine  mecha- 
nische Einwirkung ,  eine  Quetschung ,  Erschütterung  etc.  voraus,  andere 
Male  entsteht  es  ohne  erkennbare  Veranlassung.  Meistens  befällt  es  dys- 
crasische,  cachectische  Subjecte.  —  Diagnose.  Verwechslung  ist  be- 
sonders möglich  mit  Hirnbruch  und  erectilen  Geschwülsten. 
Der  Hirnbruch  ist  aber  angeboren  und  bildet  eine  gleichmässig  weiche 
und  begrenzte  Geschwulst,  die  leicht  und  ohne  Schmerzen  in  die  Schädel- 
höhle zurückzuführen  ist ,  was  bei  dem  Schwammgewächse  sich  anders 
verhält.  Die  erectilen  Geschwülste  erreichen  nie  einen  so  grossen 
Umfang,  ohne  die  Haut  zu  verändern  und  Pulsationen  dieser  Geschwülste 
hören  nach  Compression  des  entsprechenden  Astes  der  Carotis  externa 
auf.  —  Prognose.  Sie  ist  ungünstig.  Auf  operativem  Wege  gelingt 
die  gänzliche  Entfernung  des  Gewächses  selten  und  überlässt  man  das 
Uebel  sich  selbst,  so  kommt  es  zur  Erweichung  und  zum  Aufbruch  der  Ge- 
schwulst und  der  Kranke  erliegt  der  nachfolgenden  profusen  Absonderung, 
den  Blutungen,  Schmerzen  etc.  —  Behandlung.  Wenn  man  das  Leiden 
frühzeitig  erkennt ,  so  kann  man  versuchen ,  durch  Anwendung  von  Kälte, 
durch  wiederholte  Blutentziehungen,  ableitende  Mittel  etc.  eine  Rückbildung 


330  GELENKENTZUENDUNG. 

desselben  herbeizuführen.  Ist  die  Geschwulst  einmal  äusserlich  zum  Vor- 
schein gekommen,  so  ist  nur  von  der  Hinwegnahme  des  Schwammes  noch 
etwas  zu  erwarten ,  welche  man  entweder  durch  Ausschneiden  oder 
Abbinden  ins  Werk  sezt.  Behufs  der  Exstirpation  spaltet  man 
die  Haut  über  der  Geschwulst  durch  zwei  halbmond-  oder  kreuzförmige 
Schnitte  über  die  Grenzen  derselben  hinaus  und  präpanrt  die  Lappen  bis 
zur  Basis  der  Geschwulst  und  bis  auf  den  Knochen  ab.  Findet  sich  die 
Knochenlücke  zu  klein  ,  um  zur  Basis  des.  Gewächses  frei  zu  gelangen, 
oder  ist  gar  keine  OefTnung  zugegen ,  was  bei  der  mit  Erweichung  des 
des  Knochens  auftretenden  Form  immer  der  Fall  ist ,  so  durchsägt  man 
den  Knochen  mittels  des  Osteotoms ,  oder  des  Trepans  und  der  Brücken- 
säge. Ist  die  Basis  der  Geschwulst  auf  diese  Weise  zugängig  gemacht, 
so  löst  man  sie  mit  dem  Scalpellstiei ,  oder  wo  dies  nicht  ausreicht ,  mit 
einem  convexen  Messer  von  der  Hirnhaut  ab,  worauf  man  die  Wurzelstelle 
äzt.  Zeigt  sich  die  Hirnhaut  entartet ,  so  muss  diese  mit  weggenommen 
werden.  Während  der  ganzen  Operation  muss  man  auf  starke  Blutung 
gefasst  sein,  weshalb  man  fortwährend  kaltes  Wasser  aufträufeln  lässt,  und 
sobald  eine  stärkere  Blutung  eintritt ,  ihr  durch  Unterbindung ,  Finger- 
druck etc.  begegnet.  Der  Verband  der  Wunde  ist  wie  nach  der  Trepa- 
nation zu  bestellen.  —  Zur  Abbind  ung  des  Schwammgewächses  wird 
dasselbe  auf  die  eben  angegebene  Weise  blossgelegt ,  worauf  man  die 
Basis  desselben  mit  einer  Ligatur  umgibt  und  mittels  eines  Schiingen- 
schnürers  massig  fest  zusammenschnürt ;  bei  bedeutender  Grösse  des  Ge- 
wächses legt  man  mittels  Durchstechung  der  Basis  mehrere  Ligaturen  an. 
Entstehen  nach  der  Schnürung  bedeutende  Hirnzufälle ,  Erbrechen ,  Con- 
vulsionen  etc.,  so  muss  die  Schlinge  sogleich  locker  gemacht  werden.  Die 
Nachbehandlung  ist  wie  bei  den  Abbindungen  überhaupt.  Der  gern  er- 
folgenden Hirnreizung  wegen  ist  die  Exstirpation  dem  Abbinden  vorzu- 
ziehen. —  Uebermässig  grosse  Geschwülste  unterstüzt  und  schüzt  man 
durch  einen  geeigneten  Verband. 

CyenirnkxefoSj  Carcinoma  cerebri.  Die  Erscheinungen  die- 
ses Leidens  fallen  mit  denen  des  Hirnhautschwammes  zusammen.  Selten 
kommt  es  vor,  dass  solche' Krebse  die  harte  Hirnhaut  und  die  Schädel- 
knochen durchbrechen  und  unter  den  äussern  Schädelbedeckungen  zum 
Vorschein  kommen,  da  sie  in  der  Regel  längst  vorher  tödtlich  werden. 
Von  einer  Behandlung  kann  keine  Hede  sein. 

Gehörgang,  Krankheiten  desselben,  s.  Ohrkrank- 
heiten. 

Gelenkentzündung  ,  Arthrophlogosis.  Diese  kann  ih- 
ren Siz  haben  in  den  fibrösen  Gelenkbändern,  in  der  Syno- 
via 1  h  a  u  t ,  in  der  Oberfläche  der  articulirenden  Knochen- 
enden und  in  der  spongiösen  Substanz  derselben.    Häufig  treten 


GELENKENTZUENDUNG.  331 

die  Entzündungszufälle  in  diesen  das  Gelenk  zusammensetzenden  Organen 
isolirt  auf  und  es  bleibt  die  Entzündung  auf  sie  beschränkt ,  viel  häufiger 
schreitet  dieselbe  aber  allmälig  von  einem  auf  das  andere  über  und  hat 
dann ,  wenn  die  Zertheilung  nicht  gelingt ,  meist  verschiedene  organische 
Veränderungen,  wie  den  Gliedschwamm  (Tumor  albus,  Arthro- 
cace),  Verrenkungen  aus  innern  Bedingungen  (Luxatio- 
nes  spontaneae),  Gele nkwasse rsmcht  (Hydarthros),  Ge- 
lenkeiterung (A  r  t  h  r  o  p  y  o  s  i  sj  ,  Gelenksteifigkeit  (Anky- 
losis)  zur  Folge.  —  Die  Gelenkknorpel  werden  immer  nur  secundär 
ergriffen.  —  Die  Gelenkentzündung  ist  entweder  idiopatisch  oder 
symptomatisch  und  ihr  Verlauf  acut  oder  chronisch.  —  Die 
Ursachen  sind  äussere  Gewaitthätigkeiten ,  Erkältung  und  allgemeine 
Krankheiten  ,  wie  Scropheln  ,  Gicht ,  Rheumatismus ,  Syphilis,  Hautkrank- 
heiten, Metastasen,  Unterdrückung  gewohnter  Secretionen  etc. 

I.  Entzündung  der  Gelenkbänder,  Arthrophlogo- 
sis  fibrosa,  Inflammatio  ligamentorum.  Sie  kann  acut  oder 
chronisch  sein.  —  Symptome  a)  der  a  c  u  t  e  n  G  e  1  e  n  k  b  ä  n  d  e  r  e  n  t- 
zündung.  Als  Vorboten  gehen  ihr  nicht  selten  Ziehen  in  den  Gliedern, 
Fieber  etc.  voraus.  Dann  stellen  sich  stechende  oder  reissende  Schmer- 
zen in  dem  Gelenke  ein ,  welche  durch  Druck  und  Bewegung  vermehrt 
werden ;  bald  tritt  eine  elastisch  feste ,  glänzende ,  bei  heftiger  Entzün- 
dung geröthete  und  beim  Befühlen  äusserst  empfindliche  Geschwulst  hinzu, 
welche  die  Form  der  Gelenkenden  verbirgt.  Das  Gelenk  hat  eine  vor- 
wiegende Tendenz  ,  eine  bestimmte  Lage  ,  und  zwar  eine  solche ,  welche 
die  um  das  Gelenk  herum  liegenden  Bänder  und  Muskeln  ins  Gleichge- 
wicht bringt  und  jede  Spannung  derselben  aufhebt,  einzunehmen.  Nicht  sel- 
ten strahlen  die  Schmerzen  weit  über  das  Gelenk  hinaus.  Die  fieberhaften  Er- 
scheinungen stehen  in  genauem  Verhältniss  zu  den  örtlichen  Erscheinungen  ; 
je  stärker  Geschwulst  und  Schmerz,  desto  lebhafter  das  Fieber.  —  b)  S.  der 
chronischen  Entzündung.  Diese  entsteht,  wenn  sie  nicht  aus  der 
acuten  hervorgeht,  ohne  Fieber,  zuweilen  unter  heftigen,  meist  aber  unter 
geringen  Schmerzen,  die  nur  beim  Druck  und  Bewegungen  zunehmen  und 
bei  ruhigem  Verhalten  oft  wieder  ganz  verschwinden.  Es  bildet  sich  eine 
mehr  oder  weniger  feste,  elastische,  ungefärbte  Geschwulst,  die  manchmal 
nur  partiell  ist  und  häufig  nur  die  innere  Seite  des  Gelenkes  einnimmt. 
Mit  der  Zunahme  der  Geschwulst  magert  das  Glied  ab  ,  wird  im  Gelenke 
gebogen  und  jede  Streckung  wegen  Verdickung  der  Bänder  und  des  Zell- 
gewebes unmöglich.  - — •  Das  Wesen  der  Gelenkbänderentzündung  ist 
eine  entzündliche  Exsudation  zwischen  den  Fasern  und  an  der  Aussen- 
fläche  der  Gelenkbänder,  die  bei  kräftigen  Individuen  und  acuter  Entzün- 
dung ein  fibrinöses.  Product  liefert ,  welches  sich  an  grossen  Massen  um 
das  Gelenk  lagert,  dasselbe  steif  und  dick  erscheinen  lässt  und  nur  schwer 
zur  Resorption  gebracht  werden  kann.  Bei  weniger  kräftigen  Subjecten 
und  chronischer  Entzündung  ist  das  Exsudat  oft  mehr  seröser  Natur  und 


332 


GELENKENTZUENDUNG. 


es  zeigt  das  Gelenk  eine  mehr  teigige  Geschwulst.  In  einem  späteren 
Zeiträume  wird  das  Exsudat  in  eine  sülzige  oder  speckartige ,  weissgraue, 
gelbliche  oder  bräunliche  Masse  verwandelt,  in  welcher  man  Sehnen,  Ge- 
fässe  und  Nerven  verlaufen  sieht.  In  weit  vorgeschrittenen  Fällen  nehmen 
auch  die  andern  Gebilde  des  Gelenkes  an  der  Zerstörung  Antheil ;  die 
Synovialhaut  verwandelt  sich  in  eine  speckige  Masse,  die  Knorpel  werden 
resorbirt  und  die  Gelenkenden  cariös.  —  Bei  den  fibrinösen  Exsudationen 
der  Gelenkbänder  kommt  es  durch  die  tonischen  Muskelkrämpfe  anfangs 
häufig  zu  Verschiebungen  der  Gelenkenden  (spontane  Luxationen).  Bei 
den  serösen  Infiltrationen  kommen  sie  erst  später  zu  Stande ,  wenn  der 
Gebrauch  der  Glieder  wieder  möglich  geworden  ist. —  Ursachen.  Sie 
sind  die  oben  angegebenen,  hauptsächlich  aber  traumatische  und  rheuma- 
tische. —  Die  Gelenkbänderentzündung  kann  in  allen  Gelenken  entste- 
hen ,  kommt  aber  am  häufigsten  im  Knie  -  und  Ellbogengelenk  vor.  — 
Ausgänge.  Die  acute  Entzündung  kann  sich  endigen  in  Zertheilung, 
in  oberflächliche  Eiterung  und  in  Vereiterung  des  Gelenkes  ;  die  chroni- 
sche Verdickung  der  Gelenkbänder  und  Vereiterung  des  Gelenkes,  welche 
leztere  im  glücklichsten  Falle  Ankylose,  in  der  Regel  aber  hectische  Con- 
sumtion  herbeiführt.  —  Prognose.  Sie  ist  in  acuten  Fällen  nicht  un- 
günstig, da  es  einer  energischen  Behandlung  fast  immer  gelingt,  Zerthei- 
lung  herbeizuführen.  Ist  die  Entzündung  aber  chronisch  geworden ,  so 
ist  die  Prognose  immer  ungünstig.  —  Behandlung.  Sie  besteht  in 
den  acuten  Fällen  und  bei  traumatischer  Ursache  in  Blutentziehungen,  bei 
Plethorischen  in  einem  Aderlasse  ,  sonst  aber  in  der  wiederholten  Appli- 
cation von  Blutegeln  oder  blutigen  Schröpf  köpfen  und  kalten  Umschlägen. 
Dabei  die  erforderliche  innere  Behandlung  und  strenge  Ruhe  des  leiden- 
den Theiles.  Bei  rheumatischer  und  gichtischer  Entzündung  zeigt  sich 
neben  massigen  örtlichen  Blutentziehungen  der  Brechweinstein,  das  Col- 
chicum ,  zuweilen  auch  das  Opium  und  das  Quecksilber  von  Nuzen ;  bei 
zum  Grunde  liegender  scrophulöser  Ursache  gibt  man  Leberthran  und 
Jodkali  und  lässt  warme  Bäder  gebrauchen.  Ist  hierdurch  die  Entzündung* 
gemildert,  oder  hat  diese  gleich  anfangs  einen  schleichenden  Verlauf,  so 
lässt  man  die  graue  Quecksilbersalbe  einreiben  und  wendet  fliegende  Blasen- 
pflaster an.  Ist  aller  entzündliche  Reiz  beseitigt,  und  bleibt  noch  Verdickung 
und  Anschwellung  der  Bänder  und  des  Zellgewebes  zurück,  so  dienen  be- 
hufs der  Beförderung  der  Resorption  Einreibungen  der  Mercurialsalbe  für 
sich  oder  mit  Liquor  ammonii  caustici  und  Kampher,  von  Jodsalbe, 
das  Auflegen  eines  camphorirten  Mercurialpflasters,  ein  Druckverband,  in 
Eiterung  erhaltene  Biasenpflaster,  Moxen  und  das  glühende  Eisen.  Geht 
die  Entzündung  in  oberflächliche  Eiterung  über ,  so  öffnet  man  den  Ab- 
scess  und  behandelt  ihn  nach  allgemeinen  Regeln.  Kommt  es  zur  Ver- 
eiterung im  Gelenke,  so  sorge  man  für  gehörigen  Abfluss  des  Eiters,  halte 
das  Glied  ruhig  und  unterstüze  die  Kräfte  ;  droht  Erschöpfung,  so  ist  die 
Absezung  des  Gliedes  angezeigt.    S.  Gelenkeiterung. 


GELENKENTZUENDUNG.  833 

IL  Entzündung  der  Synovialmembran,  Arthrophlo- 
gosis  synovialis,  Inflainm  atio  membranae  synovialis, 
Synovitis.  Sie  tritt  entweder  als  primäres  Leiden  auf  oder  hat  sich 
von  andern  Gebilden  auf  die  Synovialhaut  fortgepflanzt.  Sie  ist  entweder 
acut  oder  chronisch  ;  am  häufigsten  das  erstere,  mit  entschiedener  Neigung, 
chronisch  zu  werden.  —  Symptome  a)  der  acutenForm:  das  ganze 
Glied  ist  schmerzhaft ,  doch  wird  der  Schmerz  meistens  mehr  an  einer 
Stelle  empfunden  ;  er  ist  nie  reissend  oder  ziehend ,  sondern  besteht  in 
einem  Gefühle  von  Schwere,  dumpfem  Drucke,  Brennen.  Je  heftiger  der 
Schmerz,  desto  lebhafter  pflegen  auch  die  begleitenden  Fiebererscheinun- 
gen zu  sein.  Bald  stellt  sich  eine  fluctuirende  Geschwulst  ein,  die  an  den- 
jenigen Stellen  am  deutlichsten  wahrgenommen  wird ,  welche  am  wenig- 
sten von  weichen  Theilen  bedeckt  sind  und  welche  8  — 10  Tage  zu-,  und 
von  da  sammt  dem  Schmerz  allmälig  wieder  abnimmt. —  b)  S.  der  chro- 
nischen Entzündung.  Bei  dieser  fehlen  anfangs  die  fieberhaften 
Erscheinungen  und  die  lebhaften  Schmerzen ,  nur  nach  Anstrengungen 
und  auf  Druck  wird  der  Schmerz  empfunden ;  sie  macht  sich  oft  erst 
durch  ihre  Producte  bemerklich  ;  die  Zufälle  steigern  sich  nur  allmälig.  — 
Nach  dem  Grade  und  der  Dauer  des  Leidens  zeigen  sich  verschiedene 
Veränderungen  in  dem  Gelenke.  Bei  leichteren  Graden  von  Entzündung 
ist  die  Synovialhaut  geröthet  und  die  Gelenkhöhle  mit  einer  etwas  trüben, 
dünnen ,  oft  röthlichen  Flüssigkeit  angefüllt.  Bei  höheren  Graden  von 
Entzündung  ist  das  seröse  Exsudat  mit  plastischen  Stoffen  vermischt ,  die 
Synovialhaut  aufgewulstet ,  mit  Granulationen  bedeckt  und  endlich  bildet 
sich  eine  gef  ässreiche  Pseudomembran  auf  ihr ,  welche  ein  schwammiges 
Aussehen  darbietet.  Bei  chronischem  Gange  und  längerer  Dauer  des  Lei- 
dens ist  die  Verdickung  der  Gelenkbänder  und  der  äussern  Seite  der  Sy- 
novialhaut in  Folge  von  Exsudaten  bedeutender ,  die  leztere  im  Innern 
mehr  aufgewulstet,  mit  weissen  Streifen  durchzogen  und  mit  zottigen  oder 
lappenartigen  Auswüchsen  besezt.  Das  Exsudat  in  der  Gelenkhöhle  ist 
trüber ,  schmuziggrau  und  selbst  flockig.  Bei  eiterigem  oder  jauchigem 
Exsudate  ist  die  Synovialhaut  mit  festeren ,  villosen  oder  franzenartigen 
Hervorragungen  versehen,  der  Gelenkknorpel  mit  einem  Niederschlag  be- 
deckt, der  Knorpel  selbst  matt ,  glanzlos  und ,  wie  auch  die  spongiösen 
Enden  der  Knochen,  verschiedentlich  zerstört.  Zuweilen  wandeln  sich  die 
Exsudate  in  Tuberkel  um,  durch  deren  Schmelzung  Vereiterung  und  Ver- 
jauchung herbeigeführt  wird.  Auch  hämorrhagische  Exsudate  kommen 
vor.  —  Ursachen.  Sie  sind  mechanische  Schädlichkeiten ,  Erkältung, 
Rheumatismus,  Gicht,  Tripper,  Syphilis,  Missbrauch  des  Quecksilbers.  — 
Diese  Entzündung  befällt  vorzugsweise  oberflächlich  gelegene  Gelenke, 
besonders  das  Kniegelenk  und  kommt  mehr  im  erwachsenen  als  kindlichen 
Alter  vor.  Zuweilen  werden  mehrere  Gelenke  zugleich  befallen.  —  Aus- 
gänge. Die  acute  Form  kann  in  Zertheilung,  bei  rascher  Steigerung  in 
Eiterung  übergehen.      Die   chronische  Entzündung  kann  mit  Vereiterung 


334 


GELEXKENTZIENDUNG. 


und  Verjauchung  der  Kapsel  und  auch  der  Nachbartheile  oder  mit  Ver- 
dickung und  Verwachsung  der  Kapsel  oder  bei  sehr  schleichendem  Ver- 
laufe mit  Gelenkwassersucht  und  Erschlaffung  der  Bänder  endigen.  — 
Prognose.  Sie  ist  bei  der  traumatischen  und  rheumatischen  Form  nicht 
ungünstig ,  so  lange  die  Entzündung  nicht  chronisch  geworden  ist ,  denn 
diese  ist  immer  schwer  mit  Gründlichkeit  zu  heilen ,  da  sie  leicht  Rück- 
fälle macht.  Die  aus  innern  Ursachen  entstandenen  Entzündungen  lassen 
immer  nur  eine  zweifelhafte  Prognose  zu.  Hat  das  Gelenk  in  seinen  ver- 
schiedenen Theilen  schon  organische  Veränderungen  erlitten,  ist  der  Auf- 
bruch erfolgt ,  so  ist  der  glücklichste  Ausgang  Ankylose  ,  meist  tritt  aber 
die  Notwendigkeit  ein,  das  Glied  abzunehmen.  —  Behandlung.  Die 
acute  Synovialhautentzündung  erfordert  immer  eine  entschiedene  antiphlo- 
gistische Behandlung ;  bei  hohem  Grade  derselben  allgemeine ,  bei  gerin- 
geren Graden  wiederholte  örtliche  Blutentziehungen  durch  Schröpfköpfe 
oder  Blutegel  ;  bei  heftigem  Fieber  innerlich  Nitrum.  Bei  der  rheumati- 
schen und  gichtischen  Form  geht  man  dann  zum  Brechweinstein  und  Col- 
chicum ,  bei  der  scrophulösen  zum  Leberthran ,  bei  bestehendem  Tripper 
und  Syphilis  zum  Decoctum  Zittmanni  über.  Bei  der  traumati- 
schen Synovialhautentzündung  kann  man  anfangs  kalte  Umschläge  an- 
wenden ,  doch  dürfen  sie  nicht  zu  lange  fortgesezt  werden.  Hat  sich  bei 
dieser  Behandlung  der  Schmerz ,  selbst  beim  Drucke  völlig  verloren ,  ist 
aber  Fluctuation  im  Gelenke  zugegen,  dann  müssen  äussere  Hautreize  an- 
gewendet werden ,  unter  denen  sich  anfangs  die  fliegenden  Blasenpflaster 
am  wirksamsten  erweisen  ;  daneben  zieht  man  Einreibungen  von  Quecksil- 
bersalbe mit  Kampher  und  Liquor  ammonii  caustici,  Ueb  erschlage 
von  Spiritus  Mindere ri,  reizende  und  zertheilende  Pflaster ,  das 
Empl.  de  ammoniaco  c.  acet.  s  quill,  etc.  in  Gebrauch.  Während 
der  ganzen  Kur  muss  das  leidende  Glied  durchaus  ruhig  gehalten  werden. 
Gegen  die  zurückbleibende  Steifigkeit  wendet  man  flüchtige  Einreibungen 
mit  Liniment,  v  o  1  a  t  i  1  e  ,  Dampf-  und  Douchebäder,  locale  Bäder  mit 
Salz ,  Soole  ,  Schwefel ,  thierische  Bäder  und  vorsichtige  Bewegung  des 
Gelenkes  an.  —  Ist  die  Entzündung  chronisch  geworden  und  besteht  Ver- 
dickung der  Synovialhaut ,  so  sezt  man  wiederholt  wenige  Blutegel  an, 
und  wenn  die  Geschwulst  weicher  wird,  so  wendet  man  eine  leichte  Com- 
pression ,  Einreibungen  der  flüchtigen  und  Quecksilber-  oder  Jodsalbe,  in 
Eiterung  erhaltene  Blasenpflaster,  Fontanellen,  Moxen,  das  glühende  Eisen 
an.  Entsteht  Eiterung  im  Gelenke  ,  so  verfährt  man  ,  wie  es  bei  der  Ge- 
lenkeiterung angegeben  ist. 

III.  Entzündung  der  Gelenkenden  der  Knochen,  A  r  - 
throphlogosis  ossium,  Ostitis  articularis.  Diese  Entzün- 
dung tritt  entweder  in  den  articulirenden  Flächen  (Ostitis  articula- 
ris peripherica),  oder  in  der  spongiösen  Substanz  der  Gelenkenden 
(Ostitis  articularis  centralis)  auf.  —  1)  Peripherische 
Entzündung   der  Gelenkenden.       Dieses  von   Einigen   als  Ulce- 


GELENKENTZUENDUNG.  385 

ration,  von  Anderen  als  Entzündung  der  Knorpel  bezeichnete  Leiden  tritt 
entweder  idiopathisch  ,  ursprünglich  in  den  Gelenkenden  wurzelnd  ,  oder 
auf  sie  von  den  Nachbartheilen ,  der  Synovialhaut  oder  dem  spongiösen 
Theile  des  Knochens  fortgepflanzt ,  auf.  —  Symptome  a)  der  idio- 
pathischen oberflächlichen  Entzündung.  Es  stellen  sich  im 
Anfange  nur  geringe  und  vorübergehende  Schmerzen  ein ,  welche  sich 
besonders  Nachts  in  der  Bettwärme  ,  wie  auch  bei  Bewegungen  des  Ge- 
lenkes vermehren  und  nicht  selten  bei  Ruhe  desselben  verschwinden. 
Später  wird  der  Schmerz  anhaltender  und  auf  eine  bestimmte  Stelle  fixirt 
und  das  Glied  wird  stärker  als  bei  irgend  einer  andern  Form  von  Gelenk- 
entzündung verkrümmt.  Mit  diesem  treten  sympathische  Schmerzen  ein, 
die  in  entfernter  liegenden  Theilen  des  Gliedes  ihren  Siz  haben  und  ihren 
Grund  in  den  statthabenden  tonischen  Muskelkrämpfen  finden.  Erst  nach 
mehreren  Wochen  oder  Monaten  stellt  sich  Geschwulst  des  Gelenkes  mit 
einer  leichten  äusserlichen  Entzündung  ein.  Diese  Geschwulst  ist  nicht 
bedeutend ,  nicht  fluctuirend ,  entspricht  dem  hauptsächlichsten  Size  des 
Schmerzes  und  hat  die  Form  der  Gelenkenden.  Nach  kürzerer  oder  län- 
gerer Zeit  kommt  es  mit  oder  ohne  Dislocation  des  Gelenkes  (zu  welch 
lezterer  namentlich  die  Muskelcontractionen  beitragen)  zur  Eiterung  und 
endlich  zum  Aufbruche  und  der  Kranke  geht  entweder  hectisch  zu  Grunde 
oder  er  erholt  sich  wieder  und  die  Heilung  erfolgt  durch  Ankylose.  — 
In  seltenen  Fällen  kann,  besonders  bei  reizbaren  Personen,  die  Krankheit 
acut  verlaufen  und  in  Zeit  von  wenigen  Wochen  tödtlich  werden.  — 
b)  S.  der  secundären  peripherischen  Gelenkentzündung. 
Die  bestehenden  Schmerzen  steigern  sich  von  Neuem ,  werden  bohrend 
und  stechend  und  es  stellt  sich  Fieber  ein.  Das  Gelenk  fängt  an  sich  zu 
beugen  und  ist  bei  Bewegungen  und  Druck  sehr  empfindlich.  Später 
nimmt  auch  die  Geschwulst  zu ,  es  bildet  sich  Fluctuation  und  endlich 
erfolgt  der  Aufbruch  ,  der  in  der  Regel  zur  Verjauchung  des  Gelenkes 
und  zum  Verluste  des  Gliedes  oder  des  Lebens  und  nur  in  sehr  glück- 
lichen Fällen  zur  Verwachsung  der  Gelenkenden  führt. —  2)  Centrale 
Gelenkentzündung.  Symptome.  Diese  meist  schleichend  ver- 
laufende Entzündung  beginnt  unter  sehr  unbedeutenden  Schmerzen  mit 
einer  elastischen,  ungleich  sich  ausbreitenden  Geschwulst  der  äusserlichen 
Gelenktheile,  welche  der  Form  nach  von  den  ausgedehnten  Gelenkköpfen 
herzurühren  scheint ,  in  Wirklichkeit  aber  zum  grössten  Theile  in  dem 
Periost,  den  Bändern  und  dem  Zellgewebe  ihren  Siz  hat.  In  vielen  Fällen 
ist  dabei  die  Function  des  Gliedes  nicht  wesentlich  gestört.  Nach  kür- 
zerer oder  längerer  Zeit  kommt  es  in  den  entzündeten  Knochenenden  zur 
Eiterbildung ,  und  der  Eiter  bahnt  sich  seinen  Weg  entweder  in  die  Ge- 
lenkhöhle hinein  durch  Ulceration  der  Knorpel,  oder  er  gelangt  ausserhalb 
der  Gelenkhöhle  nach  aussen.  Im  ersten  Fall  tritt  der  Eiter  durch  meh- 
rere OefFnungen  zu  Tage ,  im  zweiten  kommt  es  zur  Bildung  von  Ge- 
schwülsten, welche  aufbrechen  und  einen  käsigen  Eiter  entleeren  ;  in  bei- 


336  GELENKENTZUENDL'NG. 

den  Fällen  zeigt  die  eingeführte  Sonde  Caries.  Diese  Form  der  Krank- 
heit ist  es,  welche  Rust  mit  dem  Namen  Arthrocace  bezeichnet  hat. 
—  Der  Verlauf  dieser  Entzündung  ist  aber  auch  manchmal  acut ,  der 
Schmerz  gleich  von  Anfang  an  bedeutend ,  beim  Drucke  sich  vermehrend 
und  die  ganze  Constitution  bedeutend  angegriffen.  —  Die  pathologi- 
schen Veränderungen,  welche  sich  bei  der  peripherischen 
Knochenentzündung  finden ,  betreffen  hauptsächlich  den  überkleidenden 
Knorpel.  Dieser  ist  zwar  nicht  fähig ,  entzündet  zu  werden ,  erleidet 
aber  dennoch  Veränderungen,  die  sich  nur  von  einer  eigenthümlichen  Er- 
nährungsstörung ableiten  lassen.  Die  Knorpel  büssen  ihre  blauweisse 
Farbe  ein ,  werden  mehr  gelblich ,  erweicht  und  zerfallen  in  ihre  Fasern. 
Späterhin  findet  man  sie  durch  Ulceration  zerstört,  durch  Eiter  oder 
schwammige  Granulationen  vom  Knochen  emporgehoben.  Da  wo  der 
Knorpel  fehlt ,  ist  der  Knochen  entweder  rauh  oder  mit  schwammigen 
Granulationen  besezt ;  die  darunter  liegende  Knochenpartie  zeigt  ver- 
mehrte Vascularität ,  oder  blutige  Infiltration ,  oder  ein  schwammiges  Ge- 
webe. Hat  die  Synovialhaut  an  der  Entzündung  Theil  genommen ,  so 
findet  man  die  oben  angegebenen  Veränderungen  an  derselben.  —  Bei 
der  centralen  Entzündung  der  Gelenkenden  findet  man  in  noch  wenig 
vorgeschrittenen  Fällen  das  spongiöse  Gewebe  erweicht,  aufgelockert,  dun- 
kelroth ,  weitmaschig ,  sehr  gef  ässreich  und  seine  Räume  nicht  selten  mit 
röthlicher  Lymphe  angefüllt.  Die  Knorpel  erscheinen  äusserlich  noch  un- 
versehrt, aber  von  dem  Knochen  abgelöst.  In  weiter  vorgerückten  Fällen 
sind  die  Knorpel  und  Knochen  zerstört,  die  Synovialhaut  und  Gelenkbän- 
der desorganisirt ,  die  Gelenkhöhle  mit  ichorösem  Eiter  angefüllt.  Nach 
einer  mehr  acuten  Entzündung  findet  man  die  Gelenkenden  von  natür- 
licher Textur  und  beim  Durchsägen  nur  eine  oder  mehrere  Höhlen ,  die 
abgestorbene  Knochenstücke  enthalten  und  durch  eine  oft  feine  Fistel- 
öffnung mit  dem  Gelenke  communiciren.  Im  Umfange  dieser  Höhlen 
finden  sich  meist  vasculöse  Granulationen  ;  an  einzelnen  Stellen  ist  der 
Knorpel  zerstört ,  an  andern  unverändert ;  die  Synovialhaut  zeigt  die  Ver- 
änderungen, wie  nach  acuter  Entzündung.  Oft  findet  man  in  den  Gelenk- 
köpfen Höhlen ,  die  mit  käsigem  Eiter  (Tuberkelmasse)  gefüllt  sind.  — 
Ursachen.  Bei  der  p  e  r  i  p  h  e  r  i  s  c  h  e  n  Entzündung  ist  die  Ursache 
oft  nicht  nachzuweisen ;  nicht  selten  geben  Rheumatismus,  Gicht,  zurück- 
getretene Ausschläge  und  unterdrückte  Menses  die  Veranlassung  ;  zuwei- 
len gibt  eine  Verlegung ,  ein  Fall  oder  Schlag  die  nächste  Veranlassung. 
—  Der  centralen  Entzündung  liegen  immer  dyskrasische  Leiden  ,  na- 
mentlich Scropheln  zum  Grunde,  und  es  kann  dieselbe  durch  eine  leichte 
Gelegenheitsursache ,  durch  einen  Fall ,  eine  grössere  Anstrengung ,  eine 
Erkältung  etc.  hervorgerufen  werden.  Sie  kommt  besonders  gern  am 
Knie-,  Fuss- ,  Hand-  und  Ellbogengelenke  vor,  kann  indessen  auch  jedes 
andere  Gelenk  befallen.  Das  jugendliche  Alter  ist  ihr  am  meisten  aus- 
gesezt ,    während   die   peripherische  Entzündung   mehr  nach  der  Zeit  der 


GELENKENTZUENDUNG.  337 

Pubertät  bis  zum  Alter  von  3  0 — 3  5  Jahren  vorkommt.  —  Prognose 
und  Ausgänge.  Die  peripherische  Entzündung  gibt  immer  eine 
ungünstige  Prognose,  da  "das  Uebel  oft  im  Anfange  vorkommt  und  baldige 
Zerstörung  der  Gelenktheile  hervorgebracht  wird.  Auch  bei  der  cen- 
tralen Entzündung  ist  die  Prognose  immer  höchst  vorsichtig  zu  stellen, 
besonders  bei  den  Entzündungen  grösserer  Gelenke  und  ungünstigen  Ge- 
sundheits-  und  Lebensverhältnissen  des  Kranken.  Der  Erguss  des  Eiters 
in  die  Gelenkhöhle  kann  durch  die  nachfolgenden  Zerstörungen  zum  Ver- 
lust des  Gliedes  oder  des  Lebens  führen.  Nimmt  der  Eiter  seinen  Weg 
nicht  durch  die  Gelenkhöhle,  so  kann  man  sich  bei  guten  constitutionellen 
Verhältnissen  der  Hoffnung  hingeben ,  das  Uebel  mit  falscher  Ankylose 
und  Verkrümmung  zur  Heilung  kommen  zu  sehen.  —  Behandlung. 
Sie  besteht  zunächst  in  der  Anwendung  von  örtlichen  Blutentziehungen, 
die  man  in  angemessenen  Zeiträumen  wiederholt ,  und  bei  fieberhaften 
Aufregungen  in  der  Darreichung  von  salinischen  Abführmitteln  ;  später 
geht  man  zum  innerlichen  oder  äusserlichen  Gebrauch  des  Quecksilbers 
über ,  wobei  es  aber  nicht  bis  zum  Speichelfluss  kommen  darf.  Bei  scro- 
phulöser  Entzündung  gibt  man  den  Leberthran  in  grossen  Gaben.  Ist 
jede  Schmerzhaftigkeit  beim  Drucke  geschwunden,  so  kommen  die  Ablei- 
tungsmittel an  die  Reihe,  Vesicatore  oder  Fontanellen ,  Moxen  und  Glüh- 
eisen. Kommt  es  zur  Bildung  von  Abscessen,  so  muss  man  dieselben  nach 
den  Regeln  behandeln ,  welche  bei  der  Gelenkeiterung  angegeben  sind. 
Befinden  sich  die  Beugemuskeln  in  grosser  Spannung ,  so  hat  man  gera- 
then,  sie  subcutan  zu  durchschneiden. 

IV.  Entzündung  des  ganzen  Gelenkes,  Arthrophlo- 
gosis  totalis.  Diese  Entzündung ,  welche  alle  das  Gelenk  zusammen- 
sezenden  Theile  ergreift,  kann,  wie  schon  erwähnt,  bald  acut,  bald  chro- 
nisch sein.  —  1)  Acute  Gelenkentzündung.  Sie  hat  fast  immer 
die  Synovialhaut  oder  die  knöchernen  Gelenkenden  und  die  Synovialmem- 
bran  zugleich  zum  Ausgangspunkte.  - —  Symptome.  Zuerst  zeigt  sich 
eine  schmerzhafte  Behinderung  der  Bewegungen  mit  nachfolgender  fluctui- 
render  Geschwulst ;  bald  stellt  sich  auch  Fieber  ein ,  nicht  selten  mit  ga- 
strischen Störungen.  Zuweilen  treten  früher  als  die  Localerscheinungen 
der  Entzündung  sympathische  Symptome ,  wie  Schauer ,  Unbehaglichkeit, 
Apetitlosigkeit  auf.  Sehr  bald  ist  die  Functionsstörung  des  Gelenkes  aus- 
gesprochener, es  tritt  Schmerz  hinzu,  welcher  sich  über  das  ganze  Gelenk 
und  oft  sogar  darüber  hinaus  verbreitet ,  gewöhnlich  aber  an  einer  Stelle 
besonders  heftig  ist ;  Druck  und  Bewegung  vermehrt  denselben.  Die  Haut 
über  der  Geschwulst  ist  nicht  immer  verändert,  sie  ist  gespannt  und  glän- 
zend. Die  Geschwulst  ist  von  wechselnder  Grösse ,  indem  sie  oft  theil- 
weise  verschwindet  und  in  derselben  oder  in  grösserer  Ausdehnung  wie- 
derkehrt. Sie  wird  theils  durch  Exsudationen  in  die  Umhüllungen  des 
Gelenkes,  theils  in  die  Synovialhöhle ,  in  den  meisten  Fällen  durch  beide 
zugleich  bedingt.  Sie  zeigt  an  verschiedenen  Stellen  eine  verschiedene 
Bürger,  Chirurgie.  22 


338  GELENKENTZUENDUNG. 

Consistenz ,  ist  fester ,  wo  Knochen  und  fibröses  Gewebe  liegen ,  weicher, 
selbst  fluctuirend,  wo  die  Synovialhaut  nur  schwach  bedeckt  ist.  DieHize 
in  dem  entzündeten  Gliede  richtet  sich  nach  der  Intensität  der  Entzün- 
dung. Die  Stellung  des  Gliedes  ist  eine  solche ,  wo  die  geringste  Span- 
nung stattfindet ;  sie  wird  vom  Kranken  instinctmässig  gesucht.  Bei  der 
Bewegung  des  Gelenkes  oder  auf  Druck  macht  sich  zuweilen  eine  Art 
von  Knarren  bemerklich.  —  Die  acute  Gelenkentzündung  geht  entweder 
in  Zertheilung  über ,  was  unter  Verminderung  der  Erscheinungen,  oder  in 
Eiterung ,  was  unter  Steigerung  derselben  geschieht ;  sie  kann  auch  mit 
Brand  endigen  oder  endlich  chronisch  werden. —  2)  Chronisch  eGe- 
lenkentzündung.  Die  selbstständig  auftretende  chronische  Entzün- 
dung nimmt  ihren  Ausgang ,  wie  die  acute ,  von  den  Gelenkenden ,  oder 
von  der  Synovialhaut.  —  Sympto  m  e.  Bei  der  aus  der  acuten  hervorge- 
gangenen chronischen  Entzündung  bleibt  die  Verdickung  der  Synovial- 
haut und  die  Ansammlung  einer  grösseren  Menge  auch  qualitativ  verän- 
derter Synovia  bestehen,  und  die  Bewegungen  des  Gelenkes  werden  durch 
beide  sehr  beeinträchtigt.  Die  selbstständig  auftretende  chronische  Ent- 
zündung beginnt  ohne  Fieber  und  mit  geringen  Schmerzen ,  welche  nur 
durch  Bewegungen  oder  durch  Druck  auf  das  Gelenk  hervorgerufen  wer- 
den. Ist  sie  rheumatischen  Ursprunges,  so  hat  sie  meist  den  Erguss  einer 
grossen  Menge  wässeriger  Flüssigkeit  im  Gelenke  zur  Folge ,  welche 
Krankheit  man  als  Gelenkwassersucht  bezeichnet.  Bei  scrophu- 
lösen  Individuen  entwickelt  sich  aus  dem  Exsudat,  welches  in  der  äussern 
Umgebung  der  Synovialmembran  abgelagert  ist,  ein  sarkomatöses  Gewebe, 
in  welchem  zulezt  Eiterung  und  in  weiterer  Folge  Verschwärung  auftritt. 
Diesen  Ausgang,  welcher  bei  der  in  Rede  stehenden,  wie  bei  der  aus  der 
acuten  Entzündung  hervorgegangenen  chronischen  Entzündung  eintreten 
kann ,  bezeichnet  man  als  Gliedschwamm,  Fungus  articuli, 
Tumor  albus.  Werden  durch  Verschwärung  die  Gelenkbänder  zerstört, 
so  entsteht,  zumal  bei  der  häufig  auftretenden  sympathischen  Muskelcontra 
ctur,  eine  Verschiebung  der  Gelenkenden  gegen  einander,  eine  Verren- 
kung aus  innern  Bedingungen,  Luxatio  spontane  a.  Im 
weiterem  Verlaufe  kommt  es  zu  Zerstörungen  der  spongiösen  Gelenkenden, 
welche  mit  der  bei  der  Gelenkendenentzündung  angegebenen  überein- 
kommen und  die  mit  dem  Namen  Arthrocace  belegte  Art  von  A r - 
throphlogosis  begründen.  Der  in  den  Gelenken  angesammelte  Eiter 
kann,  nachdem  er  die  Gelenkkapsel  durchbrochen  hat,  in  den  Zwischen- 
räumen der  Muskeln  weithin  sich  verbreiten  und  zu  consecutiven  Absces- 
sen  (Congestionsabscessen)  Veranlassung  geben.  —  Als  eine  besondere 
Art  der  chronischen  Gelenkentzündung  ist  die  entzündliche  Ver- 
schrumpfung  der  Gelenkenden  anzuführen,  welche  zuerst  am 
Hüftgelenk  erkannt  wurde,  wo  sie  R.  W.  Smith  mit  dem  Namen  Malum 
coxae  senile  belegte.  Später  wurde  sie  auch  an  den  meisten  übrigen 
Gelenken   als    chronisch   rheumatische  Entzündung  beschrieben.      Diese 


GELENKENTZUENDUNG.  339 

Gelenkentzündung  zeichnet  sich  durch  bedeutende  Missgestaltung  aus, 
welche  die  Gelenkenden  durch  Abflachung  und  Verbiegung,  die  Umge- 
bungen des  Gelenkes  durch  Entwicklung  von  stalactitenförmigen  Osteo- 
phyten ,  sowie  endlich  die  articulir  enden  Flächen  durch  Eburnation  und 
Abschleifung  erleiden.  Dabei  verdickt  sich  die  Synovialhaut ,  nimmt  eine 
braune  oder  graue  Farbe  an ,  bedeckt  sich  mit  Pseudomembranen  oder 
zottigen  Wucherungen.  Die  Synovia  ist  trüb,  dünn ,  von  schmuziggrauer 
Farbe ,  niemals  bildet  sich  aber  Eiter  im  Gelenk  oder  seiner  Umgebung. 
Dem  Uebel  geht  längere  Zeit  ein  dumpfer  Schmerz  und  eine  Kraftlosig- 
keit des  betreffenden  Gliedes  voraus.  Bei  Bewegungen  des  Gliedes  macht 
sich  ein  rauhes  Knarren  in  dem  Gelenke  bemerklich,  sowie  eine  Schmerz- 
haftigkeit ,  die  gerade  nicht  besonders  heftig  ist ,  aber  oft  weit  über  den 
Umfang  des  Gelenkes  sich  hinaus  erstreckt.  Dabei  magern  die  das  Ge- 
lenk umgebenden  Muskeln  in  Folge  der  Unthätigkeit ,  zu  welcher  das 
Glied  verdammt  ist ,  in  auffallendem  Grade  ab.  —  Der  Verlauf  des 
Leidens  ist  immer  sehr  schleichend.  Es  befällt  jugendliche  wie  hoch- 
bejahrte Individuen  beiderlei  Geschlechts  ,  jedoch  nie  vor  den  Jah- 
ren der  Pubertät.  —  Die  Ursachen,  Ausgänge  und  die  Pro- 
gnose der  Gelenkentzündung  sind  die  oben  angegebenen ;  hinsichtlich 
der  Ursachen  der  entzündlichen  Verschrumpfung  der  Gelenkenden  ist  an- 
zuführen ,  dass  directe  Veranlassungen  oft  gar  nicht  nachzuweisen  sind, 
manchmal  Erkältungen  die  Schuld  zu  tragen  schienen  und  das  Leiden  zu- 
weilen nach  übermässigen  Anstrengungen  oder  nach  einer  Quetschung  des 
Gelenkes  entstand.  —  Behandlung.  Das  Glied  muss  in  einer  abso- 
luten Ruhe  gehalten  und  der  zu  befürchtenden  Ankylose  wegen  in  einer 
passenden  Lage  fixirt  werden,  wozu  sich  am  besten  eine  rinnenartige  Vor- 
richtung eignet.  Bei  der  acuten  Gelenkentzündung  verfährt  man  streng 
antiphlogistisch ,  nimmt  reichliche  örtliche  und  bei  jungen  kräftigen  Sub- 
jecten  allgemeine  Blutentziehungen  vor,  macht  kalte  Umschläge  oder  Irri- 
gationen, so  lange  sie  kein  Unbehagen  erregen,  und  lässt  Quecksilbersalbe 
in  starken  Dosen  einreiben.  Nach  Abnahme  der  Erscheinungen  legt  man 
ein  grosses  Vesicator  auf  das  Gelenk  und  wendet  eine  Compression  mit- 
tels des  Kleisterverbandes  an.  —  Bei  der  chronischen  Entzündung 
zieht  man  wiederholte  Blutentziehungen  durch  Blutegel  oder  Schröpf- 
kröpfe in  Gebrauch,  denen  man  nach  einiger  Zeit  Ableitungen,  besonders 
Fontanellen,  Moxen,  das  Glüheisen  folgen  lässt.  Von  grossem  Nuzen  sind 
die  Einwicklungen  mittels  Pflasterstreifen ,  Flanellbinden  oder  mit  dem 
Kleisterverbande.  Daneben  muss  die  dem  Leiden  zu  Grunde  liegende 
Dyskrasie  berücksichtigt  und  bei  langer  Dauer  desselben  darf  die  Unter- 
stüzung  der  Kräfte  nicht  versäumt  werden.  —  Bei  der  entzündlichen 
Schrumpfung  der  Gelenkenden  empfiehlt  man  Blasenpflaster,  reizende  Sal- 
ben, Douche-  und  Dampfbäder. 

Gelenkeiterung,  Arthropyosis,  Pyarthros,  Absces- 

22* 


340  GELENKEITERUNG. 

s  u  s  articuli  bezeichnet  im  engeren  Sinne  eine  Ansammlung  von  Eiter 
innerhalb  einer  Gelenkhöhle.  Im  weiteren  Sinne  gebraucht  man  diesen 
Ausdruck  auch  uneigentlich  für  Abscesse ,  die  ausserhalb  der  Kapsel  in 
der  Nähe  eines  Gelenkes  auftreten.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  ist  die 
Gelenkeiterung  die  Folge  einer  vorausgegangenen  Gelenkentzündung  und 
jene  zu  erwarten  ,  wenn  diese  lange  mit  steigender  Heftigkeit  und  mit 
beträchtlichem  Fieber  andauert.  Die  schon  bestehende  Geschwulst  nimmt 
an  Umfang  zu  ,  es  stellt  sich  Fluctuation ,  Oedem  in  der  Umgegend  und 
bald  auch  Röthung  der  das  Gelenk  bedeckenden  Haut  ein.  Diese  Eiter- 
bildungen treten  manchmal  sehr  rasch  ein,  namentlich  nach  acuten  Exan- 
themen ,  beim  acuten  Rheumatismus  und  nach  Quetschungen  und  Ver- 
stauchungen der  Gelenke.  Im  weiteren  Verlaufe  kommt  es  zur  Verschwö- 
rung der  Gelenkenden  und  der  Gelenkkapsel  zugleich  oder  lezterer  allein, 
und  somit  zum  Aufbruche  des  Gelenkes.  In  vielen  Fällen  tritt  der  Eiter 
nicht  unmittelbar  zu  Tage ,  sondern  erst  nachdem  er  Senkungsabscesse 
gebildet  hat ,  also  mehr  oder  weniger  entfernt  vom  Gelenke.  Die  Menge 
des  Eiters  ist  gross,  nimmt  täglich  zu,  statt  wie  bei  andern  Abscessen  täg- 
lich weniger  zu  werden,  und  unter  dem  Zutritte  der  Luft  nimmt  derselbe 
schnell  eine  schlechte  Beschaffenheit  an.  In  Folge  der  Zerstörung  der 
Gelenkenden  und  der  Erweichung  oder  Zerstörung  der  Bänder  verlieren 
die  ersten  ihren  Halt,  folgen  dem  Muskelzuge,  wodurch  die  sogenannten 
spontanen  Luxationen  zu  Stande  kommen.  —  Ein  seltener  Ausgang  dieser 
gefährlichen  Eiterungen  ist  der  durch  Ankylose.  Man  darf  ihn  erwarten, 
wenn  der  Eiter  sich  allmälig  bessert ,  an  Menge  abnimmt,  die  Geschwulst 
und  die  Beweglichkeit  sich  vermindert,  auch  die  Kräfte  des  Kranken  sich 
wieder  heben.  Bei  Weitem  häufiger  stellt  sich  aber  eine  schnell  um  sich 
greifende  Verjauchung  ein  ,  in  Folge  welcher  der  Kranke  früher  oder  spä- 
ter unter  den  Erscheinungen  der  Pyämie  oder  des  hectischen  Fiebers  zu 
Grunde  geht,  wenn  die  Amputation  oder  Resection  ihn  nicht  noch  zu  ret- 
ten vermögen.  —  Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich,  dass  die  Prognose 
immer  nur  eine  höchst  zweifelhafte  sein  kann.  —  Behandlung.  Bei 
geschlossenen ,  nicht  acuten  Eiteransammlungen  in  Gelenken  kann  man 
versuchen ,  die  Resorption  des  Eiters  zu  befördern.  Zu  diesem  Behufe 
zieht  manCalomel,  Salmiak,  Senega,  Digitalis,  Phellandrium  aqua- 
ticum,  Einreibungen  der  Quecksilbersalbe  in  Gebrauch  ,  gibt  von  Zeit 
zu  Zeit  Abführmittel  und  wendet  die  Compression  an.  Mitunter  sind  Ab- 
leitungen von  den  Blasenpflastern  bis  zu  Haarseilen  und  Fontanellen  in- 
dicirt ,  jedoch  nie,  wenn  das  ganze  Kapselband  vom  Eiter  ausgedehnt  ist. 
Gelingt  es  auf  diese  Weise  nicht ,  den  Eiter  zu  beseitigen ,  so  muss  er 
künstlich  entleert  werden.  Dies  muss  jedoch  in  einer  solchen  Weise  ge- 
schehen ,  dass  jedweder  Eintritt  von  Luft  in  das  Gelenk  unmöglich  ist. 
Weniger  sicher  wird  dies  durch  die  subcutane  Eröffnung  des  Gelenkes 
mit  einem  Tenotom  erreicht ;  besser  eignet  sich  der  Schuh  'sehe  ,  R  e  y  - 
bard'sche   oder  G  u  e  r  i  n 'sehe  Apparat  hierzu;    bei   lezterem  wird   der 


GELENKSTEIFIGKEIT.  341 

Eiter  durch  eine  der  Troicartkanüle  genau  angepasste  Sprize  ausgepumpt ; 
über  die  Anwendung  der  beiden  andern  Instrumente  s.  den  Art.  Punk- 
tion. Nach  der  möglichst  vollständigen  Entleerung  des  Eiters  wird  die 
kleine  Wunde  zugeklebt  und  das  ganze  Glied  mit  einer  weichen  Binde 
eingewickelt.  —  Bei  schon  geöffneten  Gelenkabscessen  sucht  man  den 
Abfluss  des  Eiters  durch  die  mildesten  Mittel  zu  befördern.  In  dieser 
Absicht  zieht  man  Fomentationen  oder  noch  besser,  wo  es  angeht,  Bäder 
von  reinem  Wasser,  schwacher  Lauge,  Chamillenaufguss  in  Gebrauch  ;  aus- 
serdem bedeckt  man  die  Oeffnungen  mit  trockener  oder  mit  milder  Salbe 
bestrichener  Charpie,  ohne  sie  indessen  zu  verstopfen.  Lässt  die  Eiterung 
beträchtlich  nach ,  so  kann  man  sich  auf  einen  comprimirenden  Verband 
beschränken,  der  die  Fistelöffnung  frei  lässt.  Die  allgemeine  Behandlung 
richtet  sich  nach  dem  Grade  und  Charakter  des  Eiterungsfiebers  und  dem- 
gemäss  können  sich  bald  kühlende  Mittel,  Potio  River  i,  Elix.  acid. 
Hall.,  bald  stärkende,  besonders  kräftige  nährende  Kost,  wie  Eier,  Bier, 
Wein,  Chocolade,  und  Infus,  und  Decoct.  chinae,  Chinin  etc.  nöthig 
machen.  Man  darf  nie  versuchen,  die  Gelenkfisteln  durch  zusammenzie- 
hende Mittel  zur  Heilung  bringen  zu  wollen ;  sie  müssen  von  selbst  zu- 
heilen. —  Ist  die  Eiterung  sehr  profus  ,  bedroht  die  Consumption  der 
Kräfte  und  das  hectische  Fieber  das  Gesammtleben  ,  dann  bleiben  die 
Resection  der  Gelenkenden  oder  die  Amputation  des  leidenden  Gliedes 
die  einzigen  Mittel  zur  Erhaltung  des  Lebens. 

Gelenksteifigkeit ,  A  n  k  y  1  o  s  i  s  ,  (von  uvxvkooi,  ich  krümme, 
mache  unbiegsam),  nennt  man  denjenigen  Zustand  eines  Gelenkes,  wobei 
dieses  in  Folge  von  organischen  Veränderungen  seine  Beweglichkeit  ver- 
loren hat.  Man  unterscheidet  vollkommene  und  unvollkommene 
Ankylose,  je  nachdem  die  zwei  sich  entsprechenden  Knochenflächen  eines 
Gelenkes  völlig  mit  einander  verschmolzen  sind,  so  dass  sie  nur  ein  Stück 
darstellen ,  oder  die  Gelenkflächen  mit  dem  knorpeligen  Ueberzuge  mehr 
oder  weniger  erhalten  sind  ,  die  Beweglichkeit  aber  durch  Knochenneu- 
bildung im  Umfange  des  Gelenkes,  Verdickung  oder  Verknöcherung  der 
Gelenkbänder ,  oder  durch  anderweitige  neugebildete  Massen  in  der  Um- 
gegend des  Gelenkes  zu  Grunde  gegangen  ist.  Die  auf  Verkürzung,  Ver- 
dickung der  das  Gelenk  umgebenden  Weichtheile  beruhende  Gelenk- 
steifigkeit (falsche  Ankylose)  gehört  zu  den  Contracturen  (siehe  den 
Art.  Verkrümmung).  —  Die  häufigste  Veranlassung  zur  Anky- 
lose geben  Entzündungsprocesse  ,  besonders  dyskrasischer  Art ,  in  den 
Gelenken  mit  folgender  Zerstörung  der  Gelenktheile ,  in  welchem  Falle 
die  Ankylose  als  günstiger  Ausgang  dieser  Krankheitsprocesse  zu  betrach- 
ten ist.  Seltnere  Ursachen  sind  Concretionsbildung  im  Umfange  des 
Gelenkes  und  Verknöcherungsprocess  in  den  Gelenkbändern.  —  Be- 
handlung. Ist  die  Ankylose  einmal  nicht  zu  verhüten ,  so  muss  man 
bestrebt  sein,  das  Gelenk  in  derjenigen  Richtung  zu  erhalten,  welche  spä- 


342  GELENKVERRENKUNG,  SPONTANE. 

terhin  für  den  Kranken  die  vorteilhafteste  ist.  Betrifft  die  Ankylose 
z.  B.  das  Unterkiefergelenk ,  so  muss  man ,  um  später  die  Einbringung 
von  Speisen  in  den  Mund  zu  ermöglichen  ,  den  Unterkiefer  in  leichter 
Senkung  erhalten.  Ober-  und  Unterschenkel  müssen  gestreckt,  der  Fuss 
im  rechten  Winkel  zum  Unterschenkel,  der  Arm  gestreckt  und  ein  wenig 
vom  Thorax  entfernt  gehalten  werden.  Der  Vorderarm  muss  gegen  den 
Oberarm  in  mittlerer  Beugung  und  in  einer  Mittelstellung  zwischen  Pro- 
und  Supination  sich  befinden.  Die  Hand  muss  gerade  ausgestreckt  und 
die  Finger  halb  gebeugt  erhalten  werden.  —  Die  Behandlung  der  be- 
stehenden Ankylose  hat  sich  nach  der  Art  und  nach,  dem  Grade  derselben, 
sowie  nach  der  Gelenkstellung  zu  richten.  Bei  knöcherner  Verwachsung 
sezt  man  sich  entweder  vor ,  ein  neues  Gelenk  zu  bilden ,  oder  den  ver- 
wachsenen Knochen  nur  eine  dem  Gebrauche  des  Gliedes  besser  entspre- 
chende Stellung  zu  geben.  Zur  Erreichung  dieser  Zwecke  sind  verschie- 
dene Wege  eingeschlagen  worden:  1)  die  Durchsägung  in  der  Nähe  der 
Verwachsung;  2)  die  Aussägimg  eines  keilförmigen  Knochenstückes; 
beide  Operat  ionen  wurden  von  Rhea  Barton  ohne  Erfolg  ausgeführt ; 
3)  die  gewaltsame  Brechung;  sie  wurde  von  Louvrier  mittels  einer 
Maschine,  von  B.  Langenbeck  mit  den  Händen  in  Ausführung  ge- 
bracht ;  der  Erstere  war  nicht  glücklich ,  dagegen  hatte  das  Langen- 
beck 'sehe  Verfahren  Erfolge  aufzuweisen ,  welche  zur  Nachahmung  auf- 
fordern. Der  Kranke  wird  durch  Chloroform  in  eine  tiefe  Betäubung 
versezt,  damit  eine  vollständige  Erschlaffung  der  Muskeln  herbeigeführt 
und  diese  werden  durch  nachfolgende  gewaltsame  Bewegung  nur  gedehnt, 
nicht  zerrissen.  Die  fibröse  oder  auch  knöcherne  Zwischensubstanz,  welche 
die  Gelenkenden  in  dieser  oder  jener  Stellung  unbeweglich  fixirt ,  wird 
hierauf  zerrissen  und  zerbrochen.  Das  Glied  wird  nun  mit  Schienen  in 
der  geeigneten  Stellung  erhalten  und  die  Entzündung  durch  die  Anwen- 
dung der  Kälte  niedergehalten.  War  die  Ankylose  nicht  die  Folge  einer 
cariösen  Zerstörung ,  so  kann  man  durch  diese  Methode  nicht  nur  eine 
günstigere  Stellung,  sondern  auch  (nach  Erlöschen  der  Entzündung)  eine 
nicht  unbeträchtliche  Beweglichkeit  des  Gelenkes  durch  anfangs  passive, 
späterhin  active  Bewegungen  zu  erreichen  hoffen.  Sind  die  ein  Gelenk 
unbeweglich  machenden  Producte  nicht  zu  starr ,  so  kann  man  in  einzel- 
nen Fällen  auf  milderem  Wege  Erfolge  erzielen.  In  dieser  Absicht  wen- 
det man  erweichende  Mittel ,  wie  Wasserdämpfe,  Bäder,  Einreibungen  er- 
weichender Salben ,  Althäasalbe  ,  Schweine-  oder  Gänsefett  an ,  lässt  das 
Glied  in  die  Eingeweide  frisch  geschlachteter  Thiere  stecken,  täglich  ge- 
linde, allmälig  verstärkte  Bewegungen  des  Gliedes  vornehmen  etc. 

Verrenkung  entzündeter  Gelenke,  Luxatio  spon- 
tan e  a.  Wie  in  Vorstehendem  schon  mehrfach  erwähnt  wurde,  tritt  wäh- 
rend des  Verlaufes  der  Gelenkentzündungen  nicht  selten  eine  Ausrenkung 
eines  der   das  betreffende  Gelenk  zusammensezenden  Knochen  ein.   Diese 


GELENKVERRENKUNG,  SPONTANE.  843 

Dislocation ,  welcher  man  den  Namen  Verrenkung  aus  innern  Be- 
dingungen beigelegt  hat,  wird  durch  die  üblen  Stellungen,  welche  ent- 
zündete Gelenke  einzunehmen  pflegen,  wesentlich  begünstigt.  Das  Haupt- 
agens aber ,  welches  bei  diesen  Verrenkungen  thätig  ist ,  sind  die  krank- 
haft contrahirten  Muskeln.  Diese  haben  um  so  weniger  Widerstand  zu 
überwinden,  als  bei  den  in  den  Gelenken  vor  sich  gegangenen  Zerstörun- 
gen der  Gelenkkopf  von  seinen  Bändern  nicht  mehr  gehalten  wird.  Da 
gewöhnlich  die  Beugemuskeln  contrahirt  sind  ,  so  erfolgt  die  Verrenkung 
auch  in  der  von  ihnen  dem  Gelenkkopfe  angegebenen  Richtung.  Da, 
wohin  der  Gelenkkopf  vorzüglich  drückt ,  erfolgt  auch  zuerst  die  ulceröse 
Zerstörung.  Die  Ansammlung  von  Eiter  im  Gelenke  kann  in  einzelnen 
Fällen  das  Austreten  des  Gelenkkopfes  befördern.  Dieses  Austreten  geht 
sehr  oft  ganz  allmälig ,  in  vielen  Fällen  aber  ganz  plözlich  ,  bei  irgend 
einer  Bewegung  oder  auf  ein  angewendetes  äusseres  Reizmittel  vor  sich. 
Der  ausgetretene  Kopf  bildet  an  der  Stelle ,  wohin  er  sich  begibt ,  ein 
neues  Gelenk ,  wodurch  die  Bewegungen  des  Gliedes  sehr  eingeschränkt 
werden.  Nicht  selten  erfährt  der  Kranke  damit  eine  grosse  Erleichte- 
rung, indem  die  Muskelspannung  mit  der  Ausrenkung  zum  grossen  Theile 
nachlässt ,  wie  auch  dadurch,  dass  zwei"  einander  berührende  ulceröse 
Knochenflächen  von  einander  entfernt  werden ,  sehr  häufig  die  Hei- 
lung des  Leidens  angebahnt  wird.  —  Ausser  diesen  ulcerösen  Dislocatio- 
nen  kommen  solche  auch  in  Folge  von  Verlängerungen  der  Gelenkbänder 
vor ,  wie  man  sie  häufig  bei  rheumatischen  Gelenkentzündungen  beobach- 
tet. Diese  Entzündungen  hinterlassen  nicht  selten  eine  Erschlaffung  und 
Erweichung  des  fibrösen  Apparats,  und  indem  nun  bei  Anstrengungen  der 
Muskeln  und  bei  den  Unterextremitäten  der  Druck  der  Schwere  des  Ober- 
körpers auf  ein  solches  seiner  Festigkeit  beraubtes  Gelenk  wirkt ,  findet, 
ohne  irgend  eine  Zerstörung  oder  sonstige  Veränderung  ausser  etwa  einer 
vermehrten  Synoviasecretion ,  ein  allmäliges  Austreten  des  Gelenkkopfes 
aus  seiner  Höhle  statt.  Dieses  Ausrenken  erfolgt  mitunter  so  ganz  ohne 
Schmerzen,  dass  der  Kranke  es  oft  erst  bemerkt,  wenn  es  schon  zu  einem 
bedeutenden  Grade  gediehen  ist. —  Diese  atonischen  Dislocationen  haben 
vor  den  ulcerösen  das  voraus  ,  dass  ihre  Reduction  lange  Zeit  möglich 
bleibt ,  wenn  es  auch  in  vielen  Fällen  nicht  gelingt ,  den  Gelenkkopf  an 
seiner  normalen  Stelle  zu  fixiren.  —  In  vielen  Fällen  kann  man  durch 
eine  zweckmässige  Stellung  des  Gliedes  bei  Gelenkentzündungen  den  ge- 
nannten Nachtheilen  vorbeugen.  Dies  geschieht  durch  gut  gepolsterte 
Schienen  oder  Drahtrinnen  ,  die  aber  dem  Gliede  möglichst  viele  Berüh- 
rungspunkte darbieten  müssen.  Auch  wenn  sich  die  Muskeln  schon  be- 
deutend contrahirt  haben,  können  diese  Mittel  noch  mitNuzen  zur  allmä- 
ligen  Verbesserung  der  Stellung  in  Gebrauch  gezogen  werden ;  auch  be- 
sonderer leichter  Extensionsmaschinen  hat  man  sich  zu  diesem  Zwecke 
bedient ;  doch  erheischt  die  Anwendung  dieser  grosse  Vorsicht. 


344  GELENKMAEUSE. 

GelenkmäUSe,  Mures  articulares,  bewegliche  Kör- 
per in  den  Gelenken,  Corpora  mobilia  in  articulis,  Co  r  - 
pora  interarticularia,  sind  feste  Körper ,  welche  man  bald  frei  in 
der  Gelenkkapsel,  bald  durch  einen  Stiel  an  die  Synovialhaut  angeheftet 
findet.  Man  hat  sie  in  verschiedenen  Gelenken,  namentlich  aber  in  Char- 
niergelenken  und  am  häufigsten  unter  diesen  im  Kniegelenke  beobachtet. 
Sie  zeigen  eine  verschiedene  Form  ,  sind  rundlich  ,  oval ,  länglich  ,  platt 
oder  unregelmässig  ;  ihre  Oberfläche  ist  meistens  glatt ,  abgerieben,  glän- 
zend, bisweilen  auch  uneben  und  rauh.  Ihre  Grösse  variirt  von  der  einer 
Linse  bis  zu  der  einer  Mandel  und  darüber.  Sie  sind  von  verschiedener 
Beschaffenheit,  bald  fibrös  gallertartig,  bald  knorpelartig,  bald  knöchern  ; 
zuweilen  sind  sie  nur  im  Innern  knöchern.  Der  Ansaz ,  mit  dem  sie  an 
der  Synovialhaut  anhängen ,  ist  entweder  breit  oder  gestielt ,  mitunter 
fadenförmig,  so  dass  eine  leichte  Gewalt  hinreicht,  sie  vollends  abzulösen. 
Die  Zahl  dieser  Körper  ist  sehr  wechselnd,  bald  findet  man  sie  vereinzelt, 
bald  in  grosser  Zahl  beisammen.  —  Die  Entstehungsweise  der 
Gelenkkörper  ist  eine  dreifache:  1)  die  Körper  entstehen  ausserhalb  der 
Gelenkkapsel ,  indem  sich  eine  beschränkte  Einstülpung  der  Synovialhaut 
bildet,  die  wie  ein  Beutel  in  die  Gelenkhöhle  ragt  und  sich  nach  und  nach 
zu  einem  dünnen  Stiele  oder  auch  ganz  abschnürt.  Solche  Körper  haben 
einen  serösen  Ueberzug  und  im  Innern  Zellgewebsfasern  mit  Fettzellen, 
auch  Knochensubstanz.  Erschlaffung  der  Gelenkkapsel,  die  Bildung  von 
Osteophyten ,  von  kleinen  Knötchen  aus  Zellgewebe  oder  Fettgewebe  auf 
der  subserösen  Seite  der  Synovialhaut  können  zu  deren  Einstülpung  An- 
lass  geben.  2)  Die  Körper  entstehen  innerhalb  der  Gelenkkapsel  durch 
eigenthümliche  Entwicklung  der  Gelenkzotten,  ferner  aus  fibrinösen,  albu- 
minösen  Gerinnungen ,  Niederschlägen ,  nach  Entzündungen  der  Kapsel, 
nach  Blutergüssen  in  die  Gelenkkapsel  oder  auch  spontan.  Im  ersten 
Falle  hängen  sie  bisweilen  noch  an  der  Innenwand  an.  Dieser  Körper 
erscheint  formlos  oder  unbestimmt  körnig ,  hat  mitunter  einen  geschich- 
teten Bau  und  zeigt  im  Innern  Fett,  Kalkdeposita,  Knorpel-  und  Knochen- 
substanz ;  die  beiden  lezteren  Substanzen  finden  sich  besonders  in  den 
aus  den  Gelenkzotten  hervorgegangenen  Körpern.  3)  In  seltenen  Fällen 
mag  die  Gelenkmaus ,  wie  einige  angenommen  haben ,  ein  abgesprengtes 
Stückchen  Knorpel  oder  Knochen  sein,  dessen  Form  und  sonstige  äussere 
Beschaffenheit  durch  Abreibung  und  Einwirkung  der  Synovialflüssigkeit 
mehr  oder  weniger  verändert  wurde.  Ob  die  Gelenkkörper ,  wenn  sie 
einmal  getrennt  sind,  durch  Imbibition  oder  peripherische  Umlagerung  an 
Grösse  zunehmen,  wird  von  Einigen  angenommen,  von  Andern  in  Zweifel 
gezogen.  —  Die  fremden  Körper  in  den  Gelenken  treten  bald  unvermerkt 
auf,  bald  gehen  ihnen  entzündliche  Erscheinungen  ,  Wassersucht  der  Ge- 
lenkkapsel oder  eine  Gelenkverlezung  vorher.  —  Symptome.  Die 
Gelenkkörper  können  ohne  Zweifel  lange  bestehen  ,    ohne  dass  man  eine 


GELENKMAEUSE.  -  345 

Ahnung  von  ihnen  hat.  Plözlich  empfindet  der  Kranke  aber  ohne  be- 
kannte Veranlassung  einen  äusserst  heftigen  Schmerz  in  dem  Gelenke, 
welcher  ihn  des  Gebrauchs  des  betreffenden  Gliedes  beraubt.  Dieser 
Schmerz  ist  zuweilen  so  heftig,  dass  der  Kranke  ohnmächtig  wird.  Dies 
ist  in  der  Regel  das  erste  Symptom  der  Krankheit  und  zugleich  ein  patho- 
gnomonisches.  Zuweilen  fehlt  es  aber  auch  und  die  Kranken  haben  das 
Gefühl  eines  in  dem  Gelenke  sich  bewegenden  Körpers  oder  fühlen  den- 
selben auch  mit  den  Fingern  an  irgend  einer  Oberfläche  des  Gelenkes. 
Sehr  oft  besteht  dabei  eine  Entzündung  der  Synovialhaut  mit  wässerigem 
Erguss  in  die  Gelenkhöhle  ;  in  andern  Fällen  erscheint  das  leidende  Ge- 
lenk durchaus  unverändert.  Gewöhnlich  erklärt  man  den  Schmerz  aus 
der  gelegentlichen  Interposition  des  Körpers  zwischen  die  Gelenkflächen 
der  Knochen.  Rieh  et  stimmt  dieser  Ansicht  nicht  bei;  nach  ihm  pas- 
sen die  Gelenkflächen  so  genau  aufeinander  und  werden  durch  die  Mus- 
keln etc.  so  fest  zusammengehalten ,  dass  die  Einschiebung  eines  Körpers 
von  der  Grösse  ,  wie  solche  vorkommen  ,  nicht  wahrscheinlich  sei ;  dazu 
kommt  noch,  dass  die  Gelenkknorpel  absolut  unempfindlich  sind.  Hier- 
nach bliebe  nur  die  Annahme ,  dass  der  Schmerz  auf  einer  Zerrung  oder 
Quetschung  eines  Theiles  der  Synovialmembran  in  Folge  einer  plözlichen 
oder  heftigen  Bewegung  beruhe.  —  Prognose.  Sie  ist  nicht  schlecht, 
sofern  das  Gelenk  nicht  anderweitig  erkrankt  ist ;  hingegen  verursachen 
sie  viele  Beschwerden  und  die  zur  Beseitigung  dieser  Körper  üblichen 
Operationen  sind  meist  lebensgefährliche  Verwundungen.  —  Behand- 
lung. Man  kann  zunächst  versuchen ,  durch  geeignete  Mittel  und  län- 
gere Ruhe  des  Gliedes  den  Reizzustand  des  Gelenkes  zu  beseitigen ,  wo- 
rauf es  zuweilen  gelingt ,  durch  längeres  Tragen  einer  passenden  Leder- 
bandage den  beweglichen  Körper  so  zu  fixiren ,  dass  er  das  Gelenk  nicht 
mehr  beeinträchtigt.  Bleibt  diese  Behandlung  ohne  Erfolg ,  so  bleibt 
nichts  Anderes  übrig ,  als  den  fremden  Körper  auf  operativem  Wege  un- 
schädlich zu  machen.  Bevor  an  eine  Operation  gedacht  werden  kann, 
muss  jede  entzündliche  Reizung  in  dem  zu  operirenden  Gelenke  getilgt 
und  demgemäss  eine  ruhige  Lage ,  Einwicklung ,  nötigenfalls  örtliche 
Blutentziehungen  und  antidyscrasische  Mittel  in  Gebrauch  gezogen  wer- 
den. —  Es  giebt  drei  Operationsmethoden ,  mittels  deren  der  fremde 
Körper  theils  entfernt ,  theils  unschädlich  gemacht  wird ,  nämlich :  das 
dire  cte  Au  s  s  chnei  den  desselben  ,  die  s  üb  c  ut  an  e  E  r  Öffnung 
der  Gelenkkapsel  und  die  anhaltende  Fixirung  des  Körpers 
an  einer  Stelle,  wo  er  das  Gelenk  nicht  reizt.  —  Das  Ausschneiden 
des  fremden  Körpers  wird  auf  folgende  Weise  in's  Werk  gesezt :  Nach- 
dem der  Körper  an  eine  Stelle  gedrückt  ist ,  wo  er  am  oberflächlichsten 
liegt  und  am  besten  fixirt  werden  kann  (am  Kniegelenk  die  innere  Seite); 
lässt  man  durch  einen  Gehülfen  die  Haut  über  dem  Körper  verziehen, 
um  den  Paralellismus  zwischen  Haut-  und  Kapselwunde  aufzuheben,  fasst 
dann  denselben  mit  den  Fingern  der  linken  Hand  und  macht  auf  demsel- 


346  GELENKMAEUSE. 

ben  einen  der  Grösse  des  Körpers  entsprechenden  Einschnitt.  Sobald 
der  Körper  entblösst  ist  und  nicht  sogleich  von  selbst  heraustritt,  fasst 
man  ihn  mit  einer  Pincette  oder  einem  spizen  Haken ,  um  sein  Zurück- 
treten oder  Verschwinden  unmöglich  zu  machen,  und  zieht  ihn  aus.  Sizt 
der  Körper  auf  einem  Stiele,  so  durchschneidet  man  diesen  mit  dem  Mes- 
ser oder  der  Scheere.  Ist  der  Körper  entfernt ,  so  wird  die  abgezogene 
Haut  losgelassen  und  die  Wunde  rasch  und  genau  mit  Heftpflaster  ge- 
schlossen ,  um  den  Zutritt  der  Luft  in  das  Gelenk  zu  verhüten ,  worauf 
man  zur  Verhinderung  jeder  Bewegung  des  Gelenkes  einen  leichten  Ver- 
band anlegt.  Sollten  mehrere  Körper  in  einem  Gelenke  sich  befinden, 
so  sucht  man  sie  vor  der  Operation  an  dieselbe  Stelle  zu  bringen  und 
schneidet  sie  gemeinschaftlich  aus  ;  gelingt  dies  nicht,  so  muss  jeder  ein- 
zeln in  Zwischenräumen  ausgeschnitten  werden.  Treten  keine  Entzün- 
dungserscheinungen ein,  so  heilt  die  Wunde  in  einigen  Tagen  durch 
schnelle  Vereinigung.  Entsteht  Entzündung,  so  muss  ihr  durch  strenges 
antiphlogistisches  Verfahren,  namentlich  Blutegel  und  kalte  Umschläge, 
entgegengewirkt  werden.  Diese  Operation  hat  manche  glückliche  Er- 
folge aufzuweisen;  sie  hat  aber  auch  nicht  selten  heftige  Entzündung  und 
Eiterung  hervorgerufen  und  Ankylose,  den  Verlust  des  Gliedes,  selbst  den 
Tod  zur  Folge  gehabt.  —  Bei  Weitem  weniger  gefährlich  ist  die  von 
G  o  y  r  a  n  d  geübte  subcutane  Eröffnung  der  Gelenkkapsel.  Derselbe 
stösst ,  nachdem  der  fremde  Körper  gegen  eine  vorspringende  Stelle  der 
Kapsel  angedrängt  ist,  an  der  Basis  einer  Hautfalte  ein  schmales  Bistouri 
unter  die  Haut ,  führt  es  subcutan  gegen  den  Körper  und  öffnet  die  Kap- 
sel, worauf  derselbe  unter  dem  Drucke  der  Finger  der  linken  Hand  in  das 
subcutane  Bindegewebe  tritt.  Ist  dies  geschehen,  so  wird  ein  geeigneter 
Verband  angelegt,  um  den  Rücktritt  des  Körpers  zu  verhindern.  Die 
weit  von  der  Kapselwunde  entfernt  liegende  Hautwunde  wird  mit  Charpie 
und  einem  Pflasterstreifen  bedeckt.  Nach  geheilter  Kapselwunde ,  also 
etwa  nach  6 — 8  Tagen,  wird  der  fremde  Körper  ohne  alle  Gefahr  durch 
eine  einfache  Incision  exstirpirt.  Diese  Operation  wurde  zu  wiederholten 
Malen  mit  glücklichem  Erfolge  ausgeführt,  doch  sind  auch  einige  Fälle 
bekannt,  die  nicht  so  glücklich  endigten.  —  Auch  zeigten  sich  Schwie- 
rigkeiten, die  Kapsel  so  zu  öffnen,  dass  der  Körper  frei  austreten  konnte; 
gestielte  Körper  würden  nur  durch  einen  glücklichen  Zufall  herausbeför- 
dert werden  können.  B  o  n  n  e  t  und  L  i  s  t  o  n  modificirten  das  Verfahren 
von  G  o  y  r  a  n  d  dahin ,  dass  sie  an  der  Basis  einer  Hautfalte  einen  vor- 
läufigen Einschnitt  in  der  Nähe  des  fixirten  fremden  Körpers  in  das  Zell- 
gewebe machten ,  um  ihm  daselbst  einen  Plaz  zubereiten  und  hierauf 
von  diesem  Einschnitte  aus  mit  dem  Tenotom  in  das  Gelenk  eindrangen, 
worauf  B  o  n  n  e  t  nach  ergiebiger  Eröffnung  der  Kapsel  den  Körper  im 
Zurückziehen  des  Tenotoms  in  zwei  Theile  trennte,  während  ihn  L  i  s  t  o  n 
mit  dem  gekrümmten  Tenotom  an  den  für  ihn  zubereiteten  Ort  hinzog  ; 
bei  beiden  Operationsarten  trat  der  fremde  Körper  mit  Leichtigkeit  aus. 


GELENKWASSERSUCHT.  347 

Der  ausgetretene  Körper  kann  nun  entweder  der  Aufsaugung  überlassen 
oder  spater  ausgeschnitten  werden.  Unter  1 1  auf  diese  Weise  operirten 
Fällen  endigte  nur  ein  einziger  unglücklich.  —  Das  Verfahren  von  Vel- 
p  e  a  u ,  den  fremden  Körper  im  Gelenke  zu  zerstücken,  verdient,  der  mög- 
lichen Insultation  des  Gelenkes  wegen ,  keine  Nachahmung ;  das  Gleiche 
gilt  von  dem  Verfahren  von  Dumoulin,  welcher  den  fremden  Körper 
mit  Nadeln  subcutan  umstach  und  denselben  dann  sammt  der  ihn  umge- 
benden Synovialmembran  mit  den  eingezogenen  Fäden  abschnürte.  — 
Behufs  der  anhaltenden  Fixirung  des  fremden  Körpers  drängte 
Dieffenbach  denselben  an  eine  passende  Stelle  gegen  einen  Knochen, 
schlug  einen  Stahlnagel  durch  den  Körper  bis  in  den  Knochen  und  Hess 
den  Nagel  zur  Erregung  von  Entzündung  4  —  6  Tage  am  Plaze ,  in  der 
Absicht,  eine  Verwachsung  des  Körpers  an  einer  Stelle  herbeizuführen, 
wo  er  kein  Hinderniss  bereitet.  Zwei  auf  diese  Weise  behandelte  Fälle 
verliefen  glücklich,  bei  einem  dritten  traten  Entzündung  und  Eiterung  ein. 
J  o  b  e  r  t  fixirte  den  fremden  Körper  durch  Nadeln.  In  der  neuesten  Zeit 
legt  Wolf  um  den  Körper  eine  Serre-fine  und  fixirt  dieses  durch  ein 
Drahtgitter. 

GelenkwaSSerSUCht,  Gliedwasser,  Hydrops  arti- 
culi,  Hydarthrus,  Hydarthrosis  (von  vdwg ,  Wasser ,  und  aq- 
S-qov  ,  Gelenk).  Man  versteht  hierunter  die  Ansammlung  einer  mehr 
oder  weniger  wässerigen  Flüssigkeit  in  einer  Gelenkhöhle.  —  Alle  Ge- 
lenke sind  der  Wassersucht  unterworfen ;  am  häufigsten  wird  das  Knie- 
gelenk davon  befallen ,  doch  kommt  diese  Krankheit  nicht  selten  auch  im 
Ellbogen-,  Hand-,  Fuss-  und  Schultergelenk  vor.  —  Ursachen.  Prä- 
disponirt  für  diese  Krankheit  sind  lymphatische,  mit  schlaffen  Gelenken 
behaftete  Personen  ,  zumal  bei  schlechter  Nahrung  und  Wohnung.  Die 
nächsten  Ursachen  sind :  äussere  Gewalttätigkeiten ,  Verstauchungen, 
Verrenkungen ,  Wunden ,  fremde  Körper,  oder  Erkältungen  und  dyscrasi- 
sche  Krankheiten,  in  deren  Folge  bald  acute,  bald  schleichende  Entzün- 
dung der  serösen  Gelenksäcke  auftritt  •  endlich  die  Unterdrückung  des 
Schweisses  ,  eines  Exanthems  oder  der  Menstruation.  Bisweilen  fehlen 
alle  Entzündungserscheinungen  und  die  Wassersucht  ist  die  Folge  von 
Atonie  der  Haar-  und  der  aufsaugenden  Gefässe  oder  von  seröser  Blut- 
beschaffenheit. —  Je  nach  dieser  verschiedenen  Entstehungsweise  ist  dann 
fmch  die  hy dropische  Flüssigkeit  bald  rein  serös  ,  gelblich ,  auch  röthlich 
gefärbt,  bald  albuminös  oder  fibrinös,  und  die  Synovialmembran  entweder 
nicht  organisch  verändert ,  nur  schlaff  ausgedehnt ,  oder  verdünnt  oder 
verdickt ,  und  auf  der  Innenfläche  mit  plastischen  Exsudaten  bedeckt  etc. 
—  Symptome.  Dem  Wasserergusse  gehen  oft  vage  Schmerzen  vorher 
und  die  Beweglichkeit  des  Gelenkes  ist  behindert.  Die  Geschwulst  ent- 
steht ohne  Veränderung  der  Hautfarbe  ;  sie  ist  weich ,  fluctuirend  und 
durch  die  Insertionen  der  Gelenkkapsel  begrenzt,  weshalb  sie  nicht  überall 


348  GELENKWASSERSUCHT. 

gleichmässig,  sondern  da  am  stärksten  hervortritt,  wo  das  Kapselband  am 
nachgiebigsten  und  am  wenigsten  von  Muskeln ,  Sehnen  etc.  bedeckt  ist. 
So  zeigt  sich  z.  B.  die  Geschwulst  am  stärksten  am  Handgelenke  an  der 
Volar-  und  Dorsalseite  ;  am  Ellbogengelenke  an  den  Seiten  des  Olecra- 
non  ;  am  Schultergelenke  vorn  zwischen  dem  Delta-  und  grossen  Brust- 
muskel ;  am  Kniegelenke  an  den  Seiten ,  hauptsächlich  der  innern ,  und 
vorn ,  wobei  die  Kniescheibe  emporgehoben  ist ;  am  Fussgelenke  an  der 
Vorderseite  der  Knöchel  etc.  Bei  der  Beugung  des  Gelenkes  wird  die 
Geschwulst  grösser  und  gespannter ,  bei  der  Streckung  wird  die  Fluctua- 
tion  deutlicher.  Die  Geschwulst  giebt  dem  drückenden  Finger  nacL, 
ohne  eine  Grube  zu  behalten .  was  bei  dem  Oedem  der  Gelenke  nicht  der 
Fall  ist ,  und  der  Druck  erregt  wenig  oder  gar  keine  Schmerzen.  Diese 
Erscheinungen  sind  die  der  atonischen  Form.  Bei  der  entzündlichen 
Gelenkwassersucht  zeigt  das  Gelenk  eine  höhere  Temperatur,  eine  grossere 
Empfindlichkeit  als  das  gesunde,  und  ist  zuweilen  leicht  geröthet. —  Die 
Wasseransammlung  bildet  sich  bald  schnell ,  bald ,  und  zwar  gewöhnlich, 
sehr  langsam ,  erreicht  entweder  nur  einen  geringen  Grad  oder  wird  sehr 
bedeutend.  Die  Quantität  der  ergossenen  Flüssigkeit  kann  sich  ver- 
ändern, oft  sogar  ohne  bemerkbare  Ursache.  Häufig  wird  diese  Flüssig- 
keit allmälig  wieder  resorbirt  und  die  Gelenkwassersucht  geht  in  Genesung 
über.  Zuweilen  mehrt  sich  auch  die  Ansammlung  so  ,  dass  Zerreissung 
der  Synovialhaut  eintritt,  die  Flüssigkeit  in  das  umgebende  Bindegewebe 
sich  ergiesst ,  wo  dann  schliesslich  Resorption  derselben  erfolgt.  —  Ge- 
ringere Ansammlungen  beeinträchtigen  die  Bewegungen  der  Gelenke, 
wenn  entzündliche  Schmerzen  fehlen ,  nicht  sonderlich  ,  grössere  dagegen 
erschweren  die  Beugung  und  das  Gelenk  verliert  an  Festigkeit,  selbst 
spontane  Luxationen  können  daraus  entstehen. —  Prognose.  Der  idio- 
pathische Hydarthrus  wird  nur  langsam  und  durch  eingreifende  Mittel  zum 
Verschwinden  gebracht  und  kehrt  selten  wieder ;  der  symptomatische 
erscheint  oft  schnell  und  verschwindet  schnell  von  selbst  oder  unter  dem 
Einflüsse  milder  Mittel ,  macht  aber  häufig  Recidive.  —  Behandlung. 
Diese  muss  sich  nach  den  Ursachen ,  der  Dauer  und  dem  Grade  der  An- 
sammlung richten.  Ist  die  Wassersucht  von  entzündlichen  Erscheinungen 
begleitet,  so  verfährt  man  antiphlogistisch,  macht  örtliche  Blutentziehun- 
gen mittels  Blutegeln  oder  Schröpf  köpfen ,  applicirt  Fomente  von  Blei- 
wasser, erweichende  Kataplasmen  etc.  in  Verbindung  mit  absoluter  Ruhe 
des  Gliedes.  Zunächst  müssen  Allgemeinleiden  ,  welche  mit  der  Gelenk- 
wassersucht in  Causalnexus  stehen,  beseitigt  werden.  Bei  zu  Grunde  lie- 
gendem Rheumatismus  reicht  man  das  Colchicum  und  die  diuretischen 
Salze,  namentlich  N  atr  um  carb  o  ni  cu  m  und  Nitrum;  bei  seröser 
Blutbeschaffenheit  passen  die  Eisenpräparate.  Im  Allgemeinen  sollen 
sich  nach  Gimelle  und  Biechy  bei  der  Gelenkwassersucht  grosse 
Gaben  von  Tartarus  stibiatus  nüzlich  erweisen  ,  nach  B  o  n  n  e  t  ist 
aber  nur  bei  frischen  und  acuten  Hvdarthrosen   von    diesem  Mittel   etwas 


GELENKWASSERSUCHT.  349 

zu  erwarten ,  bei  den  chronischen  Gelenkwassersuchten  sei  es  so  unmäch- 
tig, als  es  bei  der  Hydroeele  sein  würde.  —  Neben  der  innerlichen  Be- 
handlung muss  man  eine  örtliche  in  Gebrauch  ziehen,  welche  die  Aufsau- 
gung der  ergossenen  Flüssigkeit  und  die  Verhütung  der  Wiederkehr  dersel- 
ben zum  Zweck  hat.  Hat  man  es  mit  der  atonischen  Form  von  Wassersucht 
zu  thun  und  ist  die  Ansammlung  nicht  eine  sehr  veraltete  und  bedeutende, 
so  ist  eine  reizende,  belebende  und  stärkende  Heilmethode  am  Plaze.  Die 
Mittel  zur  Erreichung  dieses  Zweckes  sind:  öftere  Reibungen,  Einreibungen 
mit  Linimentum  saponato-camphoratum,  von  Quecksilbersalbe 
mit  Kampher ,  von  Kamphergeist  mit  Cantharidentinktur,  von  flüchtigem 
Liniment ,  Salmiakgeist ,  die  Schmucker'  sehen  Fomentationen  ,  Räu- 
cherungen von  Wachholder,  Zucker,  Harzen  etc.  ,  reizende  Pflaster,  z.  B. 
das  Gummi  ammoniac.  c.  acet.  s  quill.  ,  Douchen,  Bepinselungen 
mit  Jodtinktur ,  die  endermatische  Anwendung  des  Jods ,  Senfpflaster, 
grosse  das  ganze  Gelenk  einhüllende ,  häufig  wiederholte  fliegende  oder 
lange  Zeit  unterhaltene  Blasenpflaster ,  Fontanellen ,  Haarseile  ,  Moxen, 
das  glühende  Eisen ,  die  Acupunctur  und  endlich  die  Anwendung  einer 
Compression  mit  Binden,  Pflastern  oder  mittels  des  Kleisterverbandes.  — 
Wenn  durch  diese  Behandlung  die  Resorption  der  ergossenen  Flüssigkeit 
nicht  gelingt,  und  die  Ansammlung  so  bedeutend  ist,  dass  die  Function 
des  Gelenks  wesentlich  gestört  ist ,  so  kann  bei  gänzlicher  Abwesenheit 
von  entzündlicher  Reizung  und  jedweder  Desorganisation  die  Entleerung 
des  Wassers  unter  Vermeidung  von  Lufteintritt  in  die  Gelenkhöhle  vor- 
genommen werden.  Zu  dem  Ende  macht  man  entweder  die  Punktion 
subcutan  mit  dem  Trocart ,  oder  man  macht ,  wenn  es  sich  zugleich  von 
der  Entfernung  eines  Gelenkkörpers  aus  der  Gelenkhöhle  handelt ,  einen 
Einschnitt  mit  dem  Bistouri.  Nach  geschehener  Punktion  und  nach  Ab- 
fluss  der  Flüssigkeit  kann  man  sich  entweder  begnügen,  die  Wiedererzeu- 
gung des  Exsudats  durch  einen  zweckmässig  angelegten  Compressivver- 
band  mechanisch  zu  verhindern  oder  aber  durch  Aussaugen  der  Flüssig- 
keit mittels  der  Vorrichtung  von  G  u  e  r  i  n  (s.  Punktion)  oder  durch 
Jodinjectionen  eine  adhäsive  Entzündung  in  dem  Gelenke  zu  erregen. 
Lezteres  Verfahren  wurde  namentlich  von  V  e  1  p  e  a  u  und  B  o  n  n  e  t  geübt 
und  von  Ersterem  dazu  1  Theil  T  i  n  c  t.  j  o  d  i  und  1  —  2  Theil  Wasser, 
von  Bonnet  16  Gram.  Wasser,  2  Gram.  Jod  und  4  Gram.  Jodkali  be- 
nüzt.  Beide  Practiker  wollen  nie  üble  Folgen  von  diesen  Einsprizungen 
gesehen  haben ,  und  wenn  sie  je  Gelenkvereiterungen  zur  Folge  hatten, 
wovon  Berard  Fälle  anführt ,  so  liegt  nach  B  o  n  n  e  t  der  Grund  darin, 
dass  dieses  Mittel  bei  Subjecten  mit  tief  zerrütteter  Constitution  und  bei 
mit  Fungositäten-und  Luxatio  spontanea  complicirten  Hydarthrosen 
in  Anwendung  gebracht  worden  sei.  —  Die  eingesprizte  Flüssigkeit  wird 
1 — 2  Minuten  in  der  Gelenkhöhle  zurückgehalten  und  durch  Kneten  des 
Gelenkes  mit  allen  Punkten  der  Synovialhaut  in  Berührung  gebracht, 
worauf  man  sie  ohne  Nachhülfe  wieder  ausfliessen  lässt.      Das  in  der  Ge- 


350  GESCHWUELSTE. 

lenkhöhle  zurückbleibende  wird  ohne  Nachtheil  resorbirt.  Nach  der  In- 
jection  ist  grosse  Ruhe  des  Gelenkes  und  genaue  Aufmerksamkeit  auf 
die  Erscheinungen  der  Gelenkentzündung  nothwendig,  welche  sich  in  der 
Anschwellung,  der  Röthe  und  Schmerzhaftigkeit  des  Gelenkes  und  in  dem 
begleitenden  Fieber  aussprechen.  Mit  Hülfe  topisch  erweichender  und 
narkotischer  Mittel  oder  selbst  der  örtlichen  Blutentziehungen  verliert 
sich  die  Entzündung  und  tritt  Zertheilung  ein.  Jedenfalls  ist  es  räthlich, 
ehe  man  zu  diesem  immerhin  eingreifenden  Mittel  greift,  vorher  die  mil- 
deren Mittel  zu  versuchen. 

GeSClrWÜlstC ,  T  u  m  o  r  e  s  ,  nennt  man  im  Speciellen  patholo- 
gische Neubildungen ,  welche  von  den  umgebenden  Theilen  abgegrenzt 
sind  und  sich  durch  das  anatomische  Messer  von  denselben  abtrennen,  als 
isolirte  Gebilde  darstellen  lassen.  Diese  pathologischen  Neugebilde  sind 
zwar  dem  Organismus  fremdartige  oder  zu  seinem  Typus  nicht  gehörige 
Gebilde  ,  sie  kommen  aber  in  ihrer  Organisation  ganz  mit  den  normalen 
Organen  des  Körpers  überein,  indem  sie  durch  den  Zellenbildungsprocess 
(Entwicklung  von  Kernen ,  Zellen  ,  Faserzellen  etc.)  entstehen  ,  wachsen 
und  ernährt  werden  (organisirte  Neubildungen).  Die  nächste 
Ursache  ist  eine  örtliche  Ernährungsanomalie ,  welche  andauernd  besteht, 
ein  permanent  perverser  Ernährungsprocess.  Wahrscheinlich  entstehen 
die  Neubildungen  in  den  Interstitien  der  normalen  Gewebe  aus  dem  da- 
selbst befindlichen  Plasma  sanguinis,  ohne  dass  hierbei  Entzün- 
dungserscheinungen stattfinden.  Ueber  die  späteren  Entwicklungsvor- 
gänge (nämlich  Zellen-,  Faser-,  Gef ässbildung ,  Zerfallen  etc.)  herrschen 
verschiedene  Ansichten.  Nach  Rokitansky  wären  sie  von  einer  dem 
Blastem  an  und  für  sich  von  vorn  herein  innewohnenden  differenten  Quan- 
tität abhängig,  so  dass  in  einer  ursprünglichen  Anomalie  der  Blasteme  die 
Basis  der  Verschiedenheiten  der  Neubildungen  zu  suchen  wäre.  Nach 
J.  Vogel  sind  dagegen  die  Formelemente  ,  welche  sich  aus  einem  Bla- 
stem entwickeln,  in  ihrer  Qualität  von  der  Qualität  der  Gebilde  abhängig, 
welche  das  Blastem  liefern.  —  Bei  weiterem  Wachsthum  drängt  das 
Pseudoplasma  die  Gewebe  seines  Mutterorgans  oder  diejenigen  der  be- 
nachbarten Organe  auseinander,  bedingt  durch  Druck  Atrophie  derselben 
und  wird  endlich,  stetig  fortschreitend,  als  eine  Geschwulst  sinnlich  wahr- 
nehmbar. —  Unter  allen  Eintheilungsarten  der  Geschwülste  ist  die  Ein- 
theilung  nach  den  Elementen,  aus  welchen  sie  bestehen  und  wornach  sie 
in  zwei  grosse  Gruppen  zerfallen,  in  gutartige  und  bösartige,  die  in  prac- 
tischer  Hinsicht  wichtigste.  Solche ,  deren  histologische  Elemente  mit 
denen  des  normalen  Körpers  übereinstimmen ,  die ,  einmal  entstanden ,  zu 
bleibenden  Theilen  des  Körpers  geworden  sind  und  ebenso  wie  die  nor- 
malen Gewebe  ihr  Bestehen  behaupten,  an  dem  allgemeinen  Stoffwechsel 
Antheil  nehmen  und  wachsen,  nennt  man  homologe,  gutartige  Ge- 
schwülste (Tu  mores  benigni);  solche  hingegen,  die,  auf  der  höchsten 


GESCHWUER.  351 

Stufe  ihrer  Entwicklung  angekommen ,  sich  nicht  langer  unverändert 
erhalten  können,  sondern  ihrer  Natur  nach  zerfallen,  in  Erweichung  über- 
gehen und  die  sie  umgebenden  und  von  ihnen  umschlossenen  Gewebe  in 
diesen  Zerstörungsprocess  mit  hineinziehen ,  nennt  man  heterologe  bös- 
artige (krebsige)  Geschwülste  (Tu mores  maligni,  carcinoma- 
t  o  s  i).  Die  gutartigen  Geschwülste  beruhen  auf  rein  localen  Vorgängen, 
wirken  nur  durch  Verdrängung ,  Verschiebung  oder  Druck  nachtheilig, 
üben  keinen  besondern  Einfluss  auf  die  Zusammensezung  des  Blutes  aus, 
wie  sie  auch  nicht  aus  einer  abnormen  Mischung  desselben  hervorgehen 
und  entstehen  endlich  nach  der  Exstirpation  nicht  wieder.  Die  bösartigen 
beruhen  wesentlich  auf  einem  bestimmten  Allgemeinleiden ,  kehren  nach 
der  Exstirpation  an  derselben  oder  an  einer  andern  Stelle  wieder  und 
führen  fast  immer  den  Tod  des  davon  befallenen  Individuum  herbei.  — 
Die  Diagnose  der  Geschwülste  gehört  zu  den  schwierigsten  Aufgaben 
der  Chirurgie  und  ist  nur  durch  die  Auffassung  ihrer  gesammten  Merk- 
male möglich ,  wobei  dennoch  nicht  selten  noch  Täuschungen  mit  unter- 
laufen. Zunächst  ist  die  Grösse  einer  Geschwulst  von  Bedeutung,  inso- 
fern gewisse  Neubildungen  nur  einen  gewissen  Umfang  erreichen ,  wie 
Atherome  ,  Ganglien  ,  Neurome ,  während  andere  ,  wie  Krebse  ,  Lipome, 
Enchondrome,  ein  fast  unbegrenztes  Wachsthum  besizen.  Die  Oberfläche 
ist  bald  kugelig ,  rund  oder  oval  (Balggeschwülste ,  Ganglien)  ,  drüsig- 
höckerig (Enchondrome  ,  Markschwämme ,  Steatome  ,  Cystosarcome)  oder 
birnförmig  (Polypen).  Zu  bemerken  ist  indessen ,  dass  die  Oberfläche 
nach  dem  Bau  und  den  normalen  Umhüllungen  des  befallenen  Organs 
wechseln ,  die  eine  oder  die  andere  der  zuerst  angegebenen  Geschwülste 
daher  uneben ,  höckerig ,  eine  Krebsgeschwulst  dagegen  glatt  und  rund 
sein  kann.  Das  Gleiche  gilt  von  der  Consistenz  und  Elasticität  der  Ge- 
schwülste, indem  eine  Geschwulst,  welche  Flüssigkeit  enthält,  wegen  gros- 
ser Dicke  ihrer  Wandungen  und  gleichzeitiger  strozender  Anfüllungen 
nicht  blos  nicht  fluetuiren ,  sondern  sogar  recht  hart  erscheinen  kann. 
Andererseits  kann  eine  Fett-  oder  Colloidmasse  ein  der  Fluctuation  sehr 
ähnliches  Gefühl  erzeugen.  Hier  giebt  der  Probetrocart  den  sichersten 
Aufschluss.  Noch  sei  bemerkt ,  dass  die  bösartigen  Geschwülste  in  der 
Regel  sehr  schmerzhaft  sind ,  besonders  bei  Nacht ,  die  Schmerzen  sich 
als  durchschiessende,  blizähnliche,  weithin  ausstrahlende  manifestiren,  die 
über  der  Geschwulst  befindliche  Haut  mit  dieser  verwächst  und  dieerstere 
ihre  Wurzeln  mehr  oder  weniger  tief  in  das  umgebende  Gewebe  hinein- 
treibt. —  Die  Geschwülste  sind  meist  nur  auf  operativem  Wege  zu  be- 
seitigen ;  die  Art  und  Weise ,  wie  dies  geschieht ,  wird  bei  den  einzelnen 
Geschwülsten  des  Nähern  erörtert  werden. 

CyeSCJlWÜr,  Ulcus,  ist  eine  langsam  entstandene  Trennung  or- 
ganischer Theile,  bedingt  durch  Abnormität  des  Vegetationsprocesses  und 
verbunden  mit  der  Absonderung  einer  ichorösen  und  saniösen  Flüssigkeit 


352  geschwuer. 

und  einer  fortdauernden  Zerstörung  der  Theile ,  in  welchen  es  seinen  Siz 
hat.  Die  eiternde  Wunde  ist  ein  fortschreitender  Reproductionsprocess 
mit  Absonderung  eines  guten  Eiters  und  Neigung  zur  Heilung.  —  Die 
Geschwüre  bilden  sich  entweder  aus  einer  schon  bestehenden  eiternden 
Fläche  heraus ,  oder  sie  entstehen  in  Folge  einer  Entzündung  an  einer 
bis  dahin  unversehrten  Stelle.  Im  lezteren  Falle  der  Geschwürsbildung 
geht  immer  eine  Entzündung  eigentümlicher  Art  (ulceröse  Entzün- 
dung) voraus ,  gemeiniglich  ist  sie  erysipelatöser  Natur ,  die  Haut  von 
missfarbenem  lividen  Aussehen ,  und  der  Kranke  empfindet  darin  ein 
schmerzhaftes  Jucken  und  Beissen.  Unter  entzündlicher  Resorption  und 
Verdünnung  der  Haut  oder  blasenförmiger  Erhebung  der  Oberhaut  oder 
des  Epitheliums ,  die  sich  mit  einer  missfarbigen  Flüssigkeit  füllt,  bricht 
die  entzündete  Stelle  auf  und  es  verwandelt  sich  das  blossliegende  Haut- 
stück in  eine  absondernde  Fläche.  Der  Process  der  Geschwürsbildung 
wird  als  Verschwärung,  Ulce  ratio,  Exulce  ratio,  bezeichnet. 

—  Ursachen.  Diese  sind  innere  oder  äussere.  Zu  den  ersten  gehört 
jede  krankhafte  oder  abnorme  Mischungsveränderung  im  ganzen  Organis- 
mus oder  in  einzelnen  Theilen  desselben ,  wodurch  entweder  schon  allein 
oder  durch  den  Beitritt  einer  äussern  Gelegenheitsursache  der  Zusammen- 
hang an  einzelnen  Organtheilen  aufgehoben  wird.  Es  sind  allgemeine 
in  der  Constitution  begründete  Krankheiten  ,  denen  eine  Abnormität  in 
den  Assimilationswerkzeugen ,  in  der  Haut ,  den  Drüsen  etc.  zu  Grunde 
liegt ,  wie  Scropheln  ,  Gicht ,  Scorbut  etc.  Zu  den  äussern  Ursachen  ge- 
hören alle  Schädlichkeiten,  welche  Entzündung  und  Eiterung  hervorrufen, 
den  Zusammenhang  der  Theile  aufheben  ;  Wunden  und  Abscesse,  welche 
entweder  durch  eine  bestehende  Krankheitsanlage  oder  durch  unzweck- 
mässige  Behandlung  an  der  Heilung  gehindert  werden.  —  Die  Dauer 
der  Geschwüre  ist  sehr  verschieden  :  einfache  örtliche  Geschwüre  heilen 
meist  leicht,  die  complicirten  oder  von  einem  Allgemeinleiden  abhängigen 
erst  nach  Beseitigung  der  veranlassenden  Ursache.  Manche  Geschwüre 
werden  indessen  selbstständig,  habituell,  der  Organismus  gewöhnt  sich  an 
sie  ,   so  dass  sie  nicht  heilen ,   wenn  auch  die  Grundursache  beseitigt   ist. 

—  Eintheilung  der  Geschwüre.  Man  theilt  die  Geschwüre  ein  nach 
der  Dauer,  der  Form,  der  Beschaffenheit  der  Absonderung,  nach  dem  Vi- 
talitätszustande der  Geschwürsfläche ,  nach  den  Ursachen  und  dem  Size. 
Diesem  nach  unterscheidet  man  frische  und  veraltete,  runde,  ovale ,  unre- 
gelmässig gestaltete  ,  buchtige  ,  fistulöse  ,  callöse  ,  ödematöse  ,  varicöse, 
entzündliche  ,  erethische  ,  atonische  ,  idiopathische  ,  symptomatische  etc. 
Geschwüre.  —  Diagnose.  Diese  gründet  sich  zum  Theil  auf  die  äus- 
seren Erscheinungen  des  Geschwürs  ,  wie  seine  Form ,  Absonderung ,  auf 
die  Vitalität  und  organische  Structur  der  nachbarlichen  Gebilde ,  zum 
Theil  auf  die  Constitution,  die  Lebensweise,  das  Alter  und  das  Allgemein- 
befinden des  Kranken.  —  Prognose.  Sie  richtet  sich  nach  der  eigen- 
tümlichen Natur  und  Ursache,  welche  der  Entstehung  und  Fortdauer  des 


GESCHWUER.  353 

Geschwürs  zu  Grunde  liegt ,  nach  seiner  Dauer  und  Form ,  nach  seinem 
Size  und  der  Lage  des  geschwürigen  Theiles ,  nach  der  Verschiedenheit 
des  Subjects  und  der  körperlichen  Constitution  und  dem  Alter  desselben. 
So  heilen  einfache ,  blos  örtliche  Geschwüre  leichter  als  solche ,  welche 
mit  constitutionellen  Leiden  zusammenhängen ;  kreisrunde  langsamer ,  als 
ovale  oder  längliche  :  sinuöse  oder  fistulöse  schwerer  als  flache ,  offene. 
Geschwüre  an  der  untern  Körperhälfte  heilen  ungerner  als  an  der  obern  ; 
Knochen-  und  Drüsengeschwüre  sind  hartnäckiger  als  Haut-  und  Muskel- 
geschwüre etc.  —  Ausgänge.  Die  Geschwüre  durchlaufen,  wenn  sie 
heilen,  eine  Reihe  von  Entwicklungsstufen :  1)  Stadium  detersio- 
nis  s.  mundificationis;  das  Geschwür  reinigt  sich,  indem  sich  die 
missfarbigen  verdorbenen  Theile  von  der  Oberfläche  desselben  abstossen, 
wodurch  es  ein  besseres  Aussehen  bekommt  und  die  Absonderung  mehr 
eiterartig  wird  ;  2)  Stadium  granulationis;  es  schiessen  gesunde 
Granulationen  auf,  wodurch  der  Substanzverlust  mehr  oder  weniger  ersezt 
wird ;  3)  Stadium  cicatrisationis;  die  Granulationen  ziehen  sich 
zusammen,  bedecken  sich  mit  einem  dünnen  Häutchen,  und  das  Geschwür 
vernarbt  endlich ,  und  zwar  von  den  Rändern  aus  gegen  die  Mitte.  — 
Behandlung  im  Allgemeinen.  Diese  ist  entweder  palliativ  oder 
radical.  Die  palliative  Behandlung  hat  einzutreten ,  wenn  das  Ge- 
schwür von  Dyscrasien  abhängt ,  die  nicht  beseitigt  werden  können ,  oder 
wenn  dasselbe  als  vicarirende  Secretionsfläche  für  ein  nicht  fungirendes 
Secretionsorgan  zur  Erhaltung  des  relativen  Wohlbefindens  nothwendig 
ist.  In  diesem  Falle  lässt  man  das  Geschwür  entweder  bestehen  und 
sorgt  nur  dafür,  dass  dasselbe  möglichst  wenig  Beschwerden  und  Schaden 
verursacht ,  verbindet  es  täglich  mit  milden  Pflastern  (Empl.  nigrum, 
diachylon,  saponatum  etc.) ,  wäscht  oder  badet  es  fleissig,  so  dass 
es  rein  gehalten  und  vor  äussern  schädlichen  Einwirkungen  bewahrt  wird; 
oder  man  bringt  das  Geschwür  zur  Heilung ,  legt  aber  dafür  ein  künst- 
liches an  einer  andern ,  bequemeren  oder  passenderen  Stelle  an.  —  Die 
radicale  Behandlung  bezweckt  einerseits  Tilgung  der  dem  Schwä- 
rungsprocesse  zu  Grunde  liegenden  Ursachen,  andererseits  Erregung  einer 
normalen  Reproductionsfähigkeit  auf  der  Geschwürsfläche ,  so  dass  die 
Störung  des  Zusammenhanges  ausgeglichen  wird.  Ein  Haupterforder- 
niss  bei  der  Behandlung  jeder  Art  von  Geschwür  ist  Sorge  für  Reinlich- 
keit und  sorgfältiges  Verbinden  ,  um  das  Geschwür  vor  dem  Zutritt  der 
Luft  zu  schüzen.  Die  Reinigung  sezt  man  durch  Baden  in  lauwarmem 
Wasser  oder  Abspülen  mit  Wasser  in's  Werk,  worauf  man  die  Umgebung 
sorgfältig  abtrocknet.  Der  Verband  besteht  gewöhnlich  in  Umschlägen, 
Salben,  Oelen  oder  anderen  Flüssigkeiten,  die  man  mit  Leinwandläppchen 
oder  Charpie  auf  das  Geschwür  bringt.  Die  Wahl  der  örtlichen  Mittel 
richtet  sich  nach  der  Verschiedenheit  der  Geschwüre. 

I.     Idiopathische   Geschwüre.       Diese   sind  entweder  ein- 
fach oder  complicirt.    1)  Einfaches  Geschwür,  Ulcus  simple x. 
Burger,  Chirurgie.  23 


354  ÜESCHWUER. 

Es  zeigt  gleichförmige  ebene  Ränder 
und  eine  normale  Umgebung.  —  Behandlung.  Sie  besteht  in  dem 
Bedecken  des  Geschwürs  mit  milden  Salben  oder  Pflastern.  Wachsen 
die  Granulationen  zu  üppig ,  so  beschrankt  man  sie  durch  Auflegen  von 
trockener  Charpie  und  einen  gelinden  Druckverband.  Ist  dies  nicht  aus- 
reichend ,  so  hält  man  sie  durch  Betupfen  mit  Höllenstein  oder  Kupfer- 
vitriol nieder.  Bleibt  die  Vernarbung  auf  einem  gewissen  Punkte  stehen, 
so  bedeckt  man  die  Geschwürsfläche  mit  Emplast.  saponatum, 
Empl.  lythargyri  s  im  p  1.  oder  E  m  p  1.  c  er  us  s  ae.  Dabei  unter- 
sage man  den  Genuss  gesalzener,  geräucherter,  fetter  Fleischspeisen,  blä- 
hender Hülsenfrüchte ,  erhizender  Getränke.  —  Sind  die  Granulationen 
blass  ,  wachsen  sie  zu  langsam ,  so  sind  tonisirende  oder  adstringirende 
Mittel  angezeigt ;  besonders  wird  das  Opium  in  geistiger  oder  wässeriger 
Auflösung  empfohlen  oder  auch  schwache  Höllensteinlösungen  0j  Höllen- 
stein auf  ^j  Wasser).  Rust  bedient  sich  folgender  Verbindung:  Rp. 
L  a  p  i  d.  i  n  f  e  r  n  a  1.  513,  solv.  in  Aq.  destill,  ^vj — ix,  a  d  d  e  T  i  n  c  t. 
opii  simpl.  5j — jß.  M.  D.  S.  Zum  Verband;  auch  schwefelsaures 
Zinkoxyd  (gr.  ij  auf  ^j  Wasser)  und  schwefelsaures  Kupferoxyd  (gr.  j  auf 
5j  Wasser)  erweisen  sich  nüzlich.  Salbenverbände,  selbst  mit  reizenden 
Arzneistoffen ,  sind  nicht  zu  empfehlen.  —  2)  Das  entzündliche 
Geschwür  hat  eine  empfindliche,  lebhaft  rothe ,  leicht  blutende  Ober- 
fläche ,  wulstige ,  aufgetriebene ,  empfindliche  Ränder  und  geschwollene, 
harte,  geröthete,  heisse  und  schmerzhafte  Umgebungen.  Die  Absonderung 
ist  sparsam  ,  schleimig ,  oft  blutig.  Eine  unzweckmässige  Lebensweise, 
Diätfehler,  Erkältung,  Mangel  an  Reinlichkeit,  verdorbene  Verbandmittel, 
fremde  Körper  etc.  können  jedes  Geschwür  in  einen  entzündlichen  Zu- 
stand versezen.  —  Behandlung.-  Man  ordnet  eine  zweckmässige 
Lebensweise  an ,  reicht  kühlende  Getränke  etc.  und  gibt  dem  Theile  eine 
erhöhte  Lage.  Das  Geschwür  selbst  bedeckt  man  mit  einem  mit  milder 
Salbe  bestrichenen  Leinwandläppchen  und  macht  darüber  Umschläge  von 
Bleiwasser ,  warme  Fomente  oder  Breiumschläge  ,  denen  man  unter  Um- 
ständen etwas  Hb.  hyoscyami,  bellad.,  conii  macul.  etc.  beifügen 
kann.  Bei  heftigen  Graden  von  Entzündung  kann  das  Ansezen  von  Blut- 
egeln nöthig  werden.  Ist  die  Entzündung  mehr  erysipelatöser  Natur,  so 
eignen  sich  oft  trockene  warme  Kräutersäckchen  besser  ;  daneben  gibt  man 
Brech-  und  Abführmittel.  —  3)  Das  reiz  bar  e  ,  er  ethis  ch  e  oder 
schmerzhafte  Geschwür  ist  eine  Varietät  des  entzündlichen  und 
wird  von  Rust  unter  dem  gemeinschaftlichen  Namen  hypersthenisches 
Geschwür  abgehandelt.  Es  hat  ungleiche,  blasse  Granulationen,  gezackte, 
scharfe  unterminirte  Ränder,  schmuzig  rothe  Absonderung  und  ist  in  allen 
seinen  Theilen  äusserst  schmerzhaft  und  empfindlich.  —  Behandlung. 
Hängt  der  erethische  Zustand  von  allgemeiner  zu  grosser  Nervenreizbar- 
keit ab,  so  sind  innerlich  und  äusserlich  narkotische  Mittel  am  Plaze ,  in- 
nerlich namentlich  Blausäure,  Bilsenkraut  und  Opium,  äusserlich  dieselben 


GESCHWUER.  355 

Mittel  nebst  Belladonna ,  Cicuta  und  Lactucarium  in  Form  von  Kataplas- 
men,  Fomentationen  oder  Salben,  z.  B.  Rp.  Opiipuripulv.  3ß,  Vi- 
tell.  ovij,  Cerati  simpl.  §ij.  M.  S.  Zum  Verband ;  ferner  Lein- 
und  Mandelöl ,  Salben  von  Wallrath  mit  einem  Zusaz  von  Opium ,  z.  B. 
Rp.  Ungt.  cetacei,  Ungt.  hydrarg.  einer,  ana  ^ß ,  Opii 
pulv.  5ß-  M.  f.  Ungt.  Liegen  dem  Erethismus  gastrische  Unreinig- 
keiten  zu  Grunde,  so  reicht  man  Brech-  und  Abführmittel.  Ist  die  über- 
grosse  Empfindlichkeit  rein  örtlich,  so  sucht  man  den  erethischen  Charak- 
ter des  Geschwürs  umzuändern ,  indem  man  die  ganze  Geschwürsfläche 
zerstört ,  zu  welchem  Behufe  man  rothen  Präcipitat  aufstreut,  mit  Höllen- 
stein betupft,  mit  Sublimat  -  oder  Chlorzinksolution  fomentirt.  T  y  r  r  e  1 
fand  folgende  Solution  wirksam :  Rp.  Aq.  calcariae  ^j,  E  x  t  r.  opii 
aquos.  5j,  Mucilag.  gi.  arab.  ^ij.  M.  Mit  Charpie  oder  feiner 
Leinand  anzuwenden.  —  4)  Das  asthenische,  torpide  oder  indo- 
lente Geschwür.  Es  bildet  den  Gegensaz  des  vorhergehenden  Ge- 
schwüres. Es  zeigt  glatte ,  blasse,  zusammengefallene  oder  auch  ödema- 
töse  Ränder ,  einen  schlaffen  ,  zottigen  lividen  Grund  ohne  Granulationen, 
eine  dünne ,  wässerige  Absonderung  und  eine  grosse  Unempfindlichkeit. 
— -  Behandlung.  Diese  muss  auf  Erhöhung  der  Lebensthätigkeit, 
sowohl  im  ganzen  Organismus ,  als  örtlich  im  Geschwüre  selbst  gerichtet 
sein.  Man  lässt  daher  bei  allgemeiner  Schwäche  eine  nährende  Diät, 
Wein,  Bier  geniessen  und  gibt  China,  Cascarille  etc.  Aeusserlich  wendet 
man  dem  Grade  der  Torpidität  angemessene  Reizmittel  an.  Am  allge- 
meinsten anwendbar  sind  aromatisch-ätherische  Umschläge  von  Chamillen- 
infus  und  zwischen  hinein  leichte  Cauterisationen  mit  Höllenstein.  Bei 
vermehrter  Secretion  eines  schlaffen  Geschwürs  dienen  adstringirende  Sub- 
stanzen, als  Cortex  Salicis,  quercus,  putaminumnucumjug- 
landum  u.  dgl.  im  Decoct  oder  in  Pulverform,  ferner  Höllenstein-  oder 
Sublimatlösung  mit  oder  ohne  Opium ,  die  Chlorzinksolution  ,  Bleiwasser 
mit  Opium,  eine  Auflösung  von  Lapis  divinus,  Campherwein,  Myrrhen- 
tinktur, eine  Salbe  von  China  mit  Wallrath  und  Mandelöl,  oft  ganz  einfach 
ein  Verband  mit  trockener  Charpie.  Bei  verminderter  Eiterung  in  einem 
reizlosen  Geschwür  macht  man  von  reizenden  Salben  Gebrauch ;  solche 
sind :  Ungt.  praeeipit.  rubr.  ,  Ungt.  digestiv.  ,basilicum, 
elemi,  Bals.  per  u  vi  an.  ;  flache  reizlose  Geschwüre ,  welche  wenig 
secerniren,  kann  man  mit  einem  Pflaster :  Empl  degalban.  crocat., 
ammoniaci,  citrinum  bedecken.  Hat  man  in  dem  Geschwüre  die 
gehörige  vegetative  Thätigkeit  hervorgerufen,  so  ist  die  weitere  Behand- 
lung wie  bei  einer  eiternden  Wunde.  —  5)  Das  unreine,  faulige 
oder  brandige  Geschwür.  Es  charakterisirt  sich  durch  faule,  selbst 
brandige  Beschaffenheit  der  festen  Theile  auf  seiner  Oberfläche  und  in 
seinem  Umfange.  Die  Geschwürsfläche  hat  ein  faules,  missfarbiges,  asch- 
graues Ansehen  und  ist  unempfindlich  ;  die  Absonderung  besteht  in  einer 
stinkenden  Jauche  ;  die  Ränder  sind  in  der  Regel  schlaff,  welk,  dünn  ;  die 

23;* 


356  GESCHWUER. 

Umgegend  ist  häufig  Ödematös.  So  verhält  es  sich ,  wenn  das  Geschwür 
auf  einem  allgemeinen  Schwächezustand  beruht.  Andere  Male  beruht  es 
auf  einer  sehr  gesteigerten  Entzündung  und  dann  ist  die  Umgegend  hef- 
tig entzündet ,  daher  dunkelroth  und  äusserst  schmerzhaft ,  während  das 
Geschwür  selbst  sich  in  einen  Brandschorf  umwandelt.  Zu  den  brandi- 
gen Geschwüren  sind  die  sogenannten  fressenden  oder  p  h  a  g  e  d  ä  n  i- 
schen  Geschwüre  zu  zählen,  welche  gleichzeitig  durch  ulceröse  Auf- 
saugung und  brandige  Zerstörung  in  die  Breite  und  Tiefe  um  sich  grei- 
fen. —  Der  faulige  und  unreine  Zustand  der  Geschwüre  entwickelt  sich 
in  den  Geschwüren  und  eiternden  Wunden  besonders  in  Folge  solcher 
Verhältnisse,  welche  die  Jauche  lange  im  Geschwüre  zurückhalten  und  so 
zu  ihrer  Verderbniss  Anlass  geben ;  also  am  meisten  durch  Unreinlichkeit, 
seltenen  und  unordentlichen  Verband,  sehr  heisse  und  feuchte  Luft.  Solche 
Geschwüre  kommen  häufig  bei  Leuten  vor ,  welche  lange  in  Elend  und 
Armuth  gelebt  haben  und  in  einem  entkräfteten  abgezehrten  Zustande 
sich  befinden.  —  Behandlung.  Sie  muss  auf  eine  vorsichtige  Stei- 
gerung der  Lebensthätigkeit  in  dem  Geschwüre  gerichtet  sein,  wenn  diese 
auf  einer  niedern  Stufe  steht ;  bei  übermässiger  Erhöhung  derselben  muss 
sie  herabgestimmt  und  jeder  Reiz  vermieden  werden.  Neben  einem  fleis- 
sigen  Wechsel  des  Verbandes  wird  man  im  ersten  Falle  eine  allgemein 
stärkende  sogenannte  antiseptische  Behandlung  einleiten,  daher  innerlich 
China,  Mineralsäuren ,  Kampherwein  etc.  geben  und  eine  nahrhafte  mehr 
reizende  und  gewürzhafte  Diät  vorschreiben.  Die  äusseren  Mittel  müssen 
gleichfalls  kräftig  erregend  sein  und  werden  bei  reichlicher  Absonderung 
in  trockener,  bei  mehr  trockenem  Verhalten  in  flüssiger  Form  angewendet. 
Solche  Mittel  sind  :  die  Eichen- ,  Weiden-  und  Kastanienrinde ,  die  Wall- 
nussschalen ,  das  Scordium,  Chinarinde,  Weingeist,  Essig,  Citronensäure, 
Alaun,  Terpentinöl ,  Chlornatron,  Salmiak,  Salpeter,  Kampher,  besonders 
aber  der  Holzessig ,  das  Kreosot ,  eine  concentrirte  Chlorkalklösung,  der 
Kampherwein  ,  die  verdünnte  Salpetersäure  (gutt.  5  0  auf  1  Quart  A  q. 
destill.).  Folgende  Verbindungen  haben  sich  sehr  wirksam  gezeigt: 
Rp.  Bals.  arcaei  3|j ,  Pulv.  chinae  alcohol.  5j-  M.  S.  Zum 
Verband  ;  Rp.  Ferrijodati  5ß ,  U  n  g  t.  c  e  t  a  c  e  i  ^j .  M.  f.  U  n  g  t. 
S.  Zum  Verband  ;  R  p.  P  h  o  s  p  h  a  t  i  f  e  r  r  i  3ij ,  U  n  g  t.  s  i  m  p  1  i  c.  ^j . 
M.  exact.  f.  u n g t,  S.  Zum  Verband;  Rp.  Cort.  chin.  alcohol., 
Pulv.  rad.  rhei  ana  ^ß,  Camphor.  5i-  M.  f.  pulv.  S.  Zum  Ein- 
streuen; Rp.  Pulv.  cort.  chinae,  —  carbon.  tiliae  ana5ij, 
Gummi  myrrh.  5j,  Camphor.  ^j.  M.  S.  Zum  Einstreuen ;  Rp. 
Fuligin.  splendent.  pulv.,  Adip.  suill.  ana^ij,  coq.  leni 
i  g  n  e  per  vj  h  o  r  a  s.  S.  Zum  Verband.  —  Bei  den  entzündeten  Ge- 
schwüren muss  die  Behandlung  antiphlogistisch  sein.  Die  phagedänischen 
Geschwüre,  wenn  sie  keinen  specifischen  Charakter  haben,  werden  auf  die 
oben  angegebene  Weise  und  besonders  durch  alterirende  Mittel ,  Aezmit- 
tel,  Sublimatlösung,  Aq.  phagedaenica,  und  selbst  durch  das  Glüh- 


GESCHWTER.  357 

eisen  an  ihrem  Fortschreiten  gehindert.  —  6)  Das  schwammige  oder 
fungöse  Geschwür.  Aus  demselben  schiessen  schwammige  Aus- 
wüchse hervor,  oder  sein  Grund  ist  damit  besezt.  Diese  sind  entweder 
weich,  schlaff,  bleich,  blaulich  oder  dunkel  gefärbt,  unempfindlich  und 
leicht  blutend  oder  auch  fester,  roth  und  höchst  empfindlich.  Das  Secret 
ist  diesem  nach  bald  wässerig  oder  jauchig,  bald  eiterförmig.  Diesen 
Wucherungen  liegt  theils  ein  örtlicher ,  theils  ein  allgemeiner  Schwäche- 
zustand zu  Grunde  ;  ersterer  wird  gewöhnlich  durch  die  Anwesenheit  frem- 
der Körper,  Knochensplitter  etc.,  so  wie  erschlaffende  und  reizende  Salben 
herbeigeführt.  —  Behandlung.  Vor  Allem  sind  diese  Ursachen  zu 
entfernen ,  eine  etwa  vorhandene  Schwäche ,  Dyscrasien  etc.  nach  allge- 
meinen therapeutischen  Regeln  zu  behandeln.  Verschwindet  nun  dieFun- 
gosität  nicht  von  selbst ,  so  verbinde  man  entweder  bloss  mit  trockener 
Charpie  oder  mit  einer  Auflösung  von  Höllenstein  und  wende  einen  ge- 
linden Druckverband  an.  Wirksam  zeigen  sich  auch  zusammenziehende 
Wundwasser  von  Decoct.  cort.  Salicis,  cort.  chinae,  cort. 
q  u  e  r  c  u  s  ,  wässerige  Auflösungen  von  Blei ,  Zink  mit  Opium  oder  ad- 
stringirende  Streupulver ,  Zucker ,  Alaun,  blauer  und  weisser  Vitriol,  das 
Betupfen  mit  Höllenstein  oder  das  Belegen  der  Geschwürsfläche  mit  Chlor- 
zinksolution.  Um  bedeutende  schwammige  Wucherungen  zu  zerstören, 
zieht  man  den  rothen  Präcipitat,  Kreosot,  Spiessglanzbutter ,  concentrirte 
Mineralsäuren ,  die  Sublimat  -  oder  Chlorzinkpaste  oder  endlich  das  glü- 
hende Eisen  in  Substanz ,  das  Abbinden  oder  Abschneiden  mit  Messer 
oder  Scheere  in  Gebrauch.  —  7 )  Das  schwielige  oder  callöse  Ge- 
schwür. Es  zeigt  dicke ,  knorpelartig  harte,  meist  glatte,  trockene, 
weissliche  oder  bläuliche ,  unempfindliche  Ränder  und  einen  meist  tor- 
piden missfarbigen  Grund  ohne  Granulationen ,  der  eine  dünne  Jauche 
absondert.  Am  häufigsten  trifft  man  den  callösen  Zustand  bei  alten  Ge- 
schwüren älterer  Subjecte ,  namentlich  am  untern  Theile  des  Unterschen- 
kels an.  Er  entsteht  von  innern  oder  äussern  heizen,  welche  wiederholte 
entzündliche  Anfälle  herbeiführen  ,  die  mit  plastischer  Ausschwizung  ver- 
bunden sind.  Solche  Reize  sind  Dyscrasien ,  wie  Syphilis  ,  Gicht,  ferner 
Unreinlichkeit ,  zu  reizende  Behandlung ,  der  Missbrauch  der  Bleimittel, 
Mangel  an  Ruhe ,  Spannung  der  Haut  über  Knochenvorsprüngen  etc.  — 
Die  Behandlung  erheischt  anhaltende  Ruhe,  zweckmässige  Lage,  pas- 
sende Diät,  leichte  Abführmittel  neben  Berücksichtigung^  der  bestehenden 
Dyscrasie.  Kommt  es  unter  der  Anwendung  dieser  Behandlung  nicht  zur 
Schmelzung  der  Callositäten ,  so  sucht  man  diese  durch  örtliche  Mittel 
herbeizuführen.  So  lange  sie  noch  frisch  sind,  vermag  man  sie  bisweilen 
durch  erweichende  Breiumschläge  neben  Scarificationen  oder  folgende 
Lösung:  Rp.  Alcal.  fix.  5ij,  Camp  hör.  ^ij,  Sacch.  a  Ib.  ^ij,  tere 
c.  aq.  fönt.  ^ij.  M.  S.  Das  Geschwür  damit  zu  befeuchten  —  aufzuloc- 
kern. Sind  die  Callositäten  sehr  bedeutend  und  hartnäckig ,  so  wendet 
man  einen  methodischen  Druck  an,  wo  derselbe  sich  gut  anbringen  lässt, 


358  GESCHWUEK. 

wie  an  den  untern  Extremitäten.  Am  geeignetsten  ist  hierzu  der  Bayn- 
ton'sche  Pflasterverband.  Man  nimmt  hierzu  Emplast.  diachyl. 
simple  x  oder  adhaesivum,  bei  reizbarer  Haut  Empl.  album 
coctum  oder  saponatum,  welches  man  auf  starke  Leinwand  streicht 
und  dann  in  zollbreite  Streifen  schneidet ,  die  man  gleich  einer  Binde  in 
Zirkel-  oder  Hobelturen  um  das  Glied  führt,  wobei  jede  Tour  die  vorher- 
gehende zur  Hälfte  decken  muss.  Der  Verband  wird  alle  3  —  4  Tage 
erneuert.  S  e  u  t  i  n  wendet  den  Kleisterverband  an  ;  andere  ziehen  Blei- 
platten und  Schnürstrümpfe  in  Gebrauch.  Sollte  die  Anwendung  des 
Druckes  seinen  Dienst  versagen,  so  muss  man  zu  dem  Aezmittel  oder  dem 
Messer  greifen.  In  ersterer  Hinsicht  streut  man  rothen  Präcipitat  in  das 
Geschwür  oder  bestreicht  die  callösen  Ränder  mit  Kali  causticum, 
Brechweinsteinlösung,  Butyrum  antimonii  oder  legt  eine  Sublimat- 
oder Chlorzinkpaste  auf.  Die  Abstossung  des  Brandschorfes  befördert 
man  durch  Umschläge.  An  minder  wichtigen  Theilen  und  wo  es  die  Lo- 
calität  gestattet,  kann  man  den  Callus  mit  dem  Messer  wegnehmen.  Um 
die  Wiederkehr  des  Callus  zu  verhindern,  muss  man  die  ursächlichen  Mo- 
mente entfernt  halten.  —  8)  Das  ödematöse  Geschwür.  Es  ge- 
sellt sich  entweder  zu  einem  bereits  bestehenden  Geschwüre  Oedem  oder 
es  entsteht  ein  Geschwür  in  einem  schon  vorher  wassersüchtigen  Theile. 
Die  Ränder  solcher  Geschwüre  sind  aufgedunsen,  bleich  oder  ervsipelatös 
geröthet,  der  Grund  glatt,  blass,  unempfindlich,  die  Absonderung  ist  wäs- 
serig, geruchlos.  Oedematose  Geschwüre  haben  Neigung  brandig  zu  wer- 
den, zumal  wenn  die  Wassersucht  in  höherem  Grade  vorhanden ,  mit  all- 
gemeiner Körperschwäche  verbunden  und  der  schwärende  Theil  von  laxer 
Beschaffenheit  ist.  Sie  kommen  besonders  an  den  untern  Extremitäten, 
den  Geschlechtstheilen  und  den  Augenlidern  vor.  —  Behandlung. 
Erhöhte  Lage ,  methodischer  Druck  durch  gut  angelegte  Binden  und 
Schnürstrümpfe  und  Reiz-  und  Stärkungsmittel,  unter  denen  die  trockene 
aromatische  Wärme  in  Form  von  Kräuterkissen ,  balsamischen  Räucherun- 
gen (Bernstein ,  Mastix ,  Benzoe  etc.) ,  sanfte  Frictionen  mit  weichen  er- 
wärmten Tüchern  etc.  obenan  stehen.  Das  Geschwür  wird  entweder 
trocken  oder  mit  belebenden  und  adstringirenden  Mitteln  behandelt. 
Kälte  und  Nässe  ertragen  diese  Geschwüre  niemals. —  9)  Das  varicöse 
Geschwür.  Es  entsteht  entweder  aus  einem  Blutaderknoten,  der  sich 
entzündet  und  in  Ulceration  übergeht ,  oder  es  ist  durch  andere  zufällige 
Umstände  entstanden  und  wird  durch  die  Varicosität  des  Umkreises  unter- 
halten. Diese  Geschwüre  haben  meist  eine  rundliche  Form ,  scharf  ab- 
gegrenzte, häufig  callöse  Ränder,  einen  flachen,  speckigen  oder  braunröth- 
lichen  Grund ,  manchmal  blutig  gefärbtes  Secret.  Die  Umgegend  ist 
braun  oder  blau  gefärbt ,  mehr  oder  weniger  im  Zustande  chronischer 
Entzündung.  Die  varicosen  Geschwüre  kommen  nur  an  den  untern  Ex- 
tremitäten, hauptsächlich  den  Unterschenkeln  vor ,  wo  so  häufig  Varicosi- 
tät angetroffen   wird.       Die   veranlassende   Ursache   ist  meist  ein  Druck, 


GESCHWUER.  359 

Stoss,  Krazen  etc.  —  Behandlung.  Hauptbedingung  ist  eine  längere 
Zeit  beobachtete  horizontale  Lage.  Dabei  Umschläge  von  reinem  oder 
Bleiwasser  über  das  Geschwür,  geeignete  Diät  und  öfters  kühlende  Ab- 
führmittel. Zur  Beförderung  der  Vernarbung  dienen  leichte  Cauterisa- 
tionen  mit  Höllenstein  ,  Fomentationen  mit  Auflösungen  von  Zink-  und 
Kupfervitriol  etc.  Kann  der  Kranke  keine  Ruhe  beobachten,  so  wendet 
man  die  methodische  Compression  mit  dem  B  a  y  n  t  o  n  '  sehen  Pflaster- 
verband an.  Später  lässt  man  einen  Schnürstrumpf  tragen.  S.  Venen. 
—  1 0)  Das  buchtige  oder  sinn  Öse  Geschwür.  Es  zeigt  unter- 
minirte  ,  dünne  ,  unregelmässige  ,  dunkelrothe  ,  bläuliche  oder  bräunliche 
Ränder,  einen  unreinen,  schmuzigen  Grund  und  ein  wässeriges  oder  käse- 
artiges Secret.  Die  sinuösen  Geschwüre  kommen  am  häufigsten  an  sol- 
chen Körperstellen  vor ,  wo  eine  dünne  Haut  über  vielem  laxem  Fett  und 
Zellgewebe  liegt,  z.  B.  am  After,  Halse,  unter  den  Achsein  ,  in  den  Wei- 
chen und  entstehen  besonders  bei  zu  später  oder  unzweckmässiger  Eröff- 
nung von  Abscessen.  Scrophulöse  und  syphilitische  Abscesse  gehen  be- 
sonders häufig  in  diese  Form  von  Geschwüren  über.  —  Behandlung. 
Die  Aufgabe  der  Kunst  besteht  darin ,  die  unterminirten ,  leblosen  ,  die 
Eiterung  unterhaltenden  Ränder  entweder  wieder  zu  beleben  oder  zu  ent- 
fernen. Besteht  die  Loslösung  in  geringerem  Grade,  so  können  recht- 
winklige Einschnitte  in  die  Ränder  in  der  Hoffnung  versucht  werden,  dass 
sich  diese  zurückziehen ,  verdicken  und  anlegen  werden.  Sind  dieselben 
aber  sehr  verdünnt,  dunkelblau  oder  braun,  so  fasst  man  sie  mit  der  Pin- 
cette  und  trägt  sie  an  der  Grenze  ihrer  Anheftung  mit  dem  Messer  oder 
der  Scheere  ab.  Soll  das  Geschwür  gleichzeitig  gereizt  werden  ,  so  zer- 
stört man  die  Ränder  durch  Cauterisation  mit  Höllenstein ,  Aezstein  oder 
Spiessglanzbutter.  —  11)  Das  fistulöse  Geschwürs.  Fistel. 

IL  Symptomatische  Geschwüre.  Diese  Geschwüre  ent- 
stehen aus  allgemeinen  Krankheiten ,  Dyscrasien,  Retentionen  etc.  allein 
oder  unter  Mitwirkung  äusserer  Schädlichkeiten.  Sie  sind  verschieden 
nach  der  Natur  des  ihnen  zu  Grunde  liegenden  Allgemeinleidens ,  also 
scorbutische,  scrophulöse,  syphilitische,  carcinoma- 
töse,  merkurielle,  herpetische,  abdominelle  etc.  ;  hier 
wird  nur  von  den  lezten  die  Rede  sein  ;  betreffs  der  übrigen  wird  auf  die 
Art.  Syphilis,  Krebs,  Mercurialkrankheit  etc.  verwiesen.  — 
Das  abdominelle,  physkoniöse  oder  venöse  Geschwür  sizt 
fast  ausschiesslich  an  den  untern  Extremitäten  und  charakterisirt  sich 
hauptsächlich  durch  die  Kennzeichen  einer  erhöhten  Venosität,  d.  h.  einer 
gestörten  Circulation  im  Venensystem ,  welche  als  Folge  einer  mangelhaf- 
ten Thätigkeit  der  Unterleibsorgane,  der  Unterdrückung  oder  des  Mangels 
natürlicher  und  gewohnter  Blutaussonderungen  etc.  betrachtet  wird.  Aus 
diesem  Grunde  hat  man  ihnen  den  Namen  venöse  Geschwüre  gegeben  ; 
v.  Walther  nennt  sie  Visceralgeschwüre,  weil  sie  mit  krankhaf- 
ten Zuständen  oder  Anlagen  der  Eingeweide  in  ursächlichem  Zusammen- 


360  GESCHWUER. 

hange  stehen.  —  Man  kann  nach  R  u  s  t  drei  verschiedene  Arten  von  Ab- 
dominalgeschwüren unterscheiden  ,  nämlich  :  das  eigentliche  Abdo- 
minalgeschwür,   Ulcus    physconiosum  s.    abdominale   im 
engern  Sinne,  das  Hämorrhoidal-  und  das  Menstrualgeschwür. 
Die  äussern  Unterschiede   dieser  Geschwüre  unter  sich  sind  unbemerkbar 
und  unwesentlich ,   nur  die  Anamnese ,   das  Geschlecht  der  Kranken  etc. 
können  eine  specielle  Diagnose   derselben  begründen.    —    Als  charakteri- 
stisches  Merkmal  kommt   allen   drei   Formen   zu  :    ihre  Entstehung  ohne 
Localursache ,   ihre   gewöhnlich   stationäre   Beschaffenheit   und  ihre  unter 
allen  Umständen   gleichmässige    Eiterung ,    die    eher    Erleichterung    als 
Schwächung  mit  sich  führt.     Die  Form  dieser  Geschwüre  ist  ursprünglich 
rund  ,   wird  aber  beim  Zusammenfliessen  mehrerer  kleiner  Geschwüre  un- 
regelmässig ;  der  Grund  ist  karnös  ,  mit  vielen  Fleischwärzchen  und  Blut- 
punkten besäet ;  die  Ränder  sind  anliegend,  glatt  und  scharf,  als  wären  sie 
mit   dem   Messer   abgeschnitten ,    und  haben  eine  schmuzig  weisse  Farbe. 
Die  Absonderung  ist  dem  Fleischwasser  ähnlich ,   dünnflüssig ,  blutig  und 
jauchig,  so  dass  sie  die  Umgegend  corrodirt.    Sind  sie  Folge  eines  unter- 
drückten Hämorrhoidal-  oder  Menstrualflusses ,   so  treten  zu  der  Zeit,  wo 
diese  Blutaussonderungen  hätten  erscheinen  müssen ,  stärkere  oder  gerin- 
gere  Blutungen   aus   diesen    Geschwüren   ein.      Diese  Periodicität  ist  bei 
den  Menstrualgeschwüren  bei  weitem  auffallender  als  bei  den  Hämorrhoi- 
dalgeschwüren.      Diese  Geschwüre   können  sich  übrigens  aus  allen  zufäl- 
ligen Verlezungen,  namentlich  aber  aus  den  Excoriationen,  die  durch  vie- 
les Krazen  enstehen,  herausbilden,  wozu  das  durch  Abdominalplethora  und 
Hämorrhoidalzustände    herbeigeführte    lästige  Hautjucken    Veranlassung 
gibt.  —  Wenn  die  Secretion  dieser  Geschwüre  die  Stelle  natürlicher  oder 
krankhaft   angewöhnter  Absonderungen  vertritt,    so  nennt  man  sie  vica- 
rirende   Geschwüre.     Dies  gilt  namentlich  von  den  Menstrual-  und 
Hämorrhoidalgeschwüren.     Auch  Geschwüre  mit  reichlicher  Absonderung 
in  Folge  von  mangelhafter Urinsecretion  (Ulcus  urinosu m),  von  unter- 
drückten  Fussschweissen   etc.    gehören   hierher.    —   Die  Menstrual-  und 
Hämorrhoidalgeschwüre   zeigen   zur   Zeit  der  Molimina  eine  entzündliche 
Reizung  und  vergrössern  sich ;  ausser  dieser  Zeit  haben  sie  einen  torpiden 
Charakter,  schliessen  sich  auch  wohl  temporär.  —  Diese  Geschwüre  erfor- 
dern die  angemessene  Behandlung  der  Grundkrankheit,  Regulirung  und  Re- 
tablirung  der  zu  Grund  liegenden  Absonderungen.   Heilen  sie  dabei  nicht 
von   selbst ,   so   muss  eine  entsprechende  Localbehandlung  zu  Hülfe  kom- 
men.     Zur  Zeit   des  Reizzustandes  zieht  man  milde  Mittel ,  ausser  dieser 
mehr  oder  weniger  reizende  Mittel  in  Gebrauch.   Bei  den  Menstrual-  und 
Hämorrhoidalgeschwüren   empfiehlt  A.  C  o  o  p  e  r  die  örtliche  Anwendung 
der  Aqua  phagedaenica,    innerlich    Calomelpillen   und  später  das 
Eisen  mit  Myrrhe.    —   Bei  Geschwüren  ,    welche  habituell  geworden  sind 
und  nach  erfolgter  Heilung  des  Grundleidens  noch  fortdauern,  ist  es  rath- 
sam,  besonders   bei  bejahrten   und  abgelebten  Individuen  erst  ein  künst- 


GESICHTSKRAMPF.  361 

liches  Geschwür  an  einer  passenden  Hautstelle  anzulegen  und  in  hinrei- 
chender Eiterung  zu  erhalten ,  ehe  man  den  ernstlichen  Versuch  macht, 
sie  zur  Heilung  zu  bringen. 

Gesichtskrampf,  Spasmus  musculorum  faciei.  Dieser 
Krampf  kann  ein  tonischer  oder  klonischer  sein  und  sich  durch  krampf- 
haftes Zusammenziehen  einzelner  wie  mehrerer  Gesichtsmuskeln  ausspre- 
chen. Prädisposition  und  Ursachen  sind  :  reizbare  und  sensible 
Constitution,  Erkältungen,  Verlezungen  der  Nerven,  fehlerhafter  Bau  des 
Schädels ,  Desorganisationen  in  der  Nähe  von  Nerven,  Druck  auf  die  Ner- 
ven, übermässige  Ausleerungen  aller  Art ,  Unterdrückung  gewohnter  Aus- 
leerungen ,  heftige  Geistesanstrengungen ,  Gemütsbewegungen  etc.  — 
Behandlung.  Man  beseitige  wo  möglich  die  Ursachen.  Vermuthet 
man  eine  entzündliche  Reizung,  so  entsprechen  Antiphlogistica,  ein  be- 
sänftigendes, ableitendes  Verfahren.  Wenn  wichtige  Crisen  unterbrochen 
wurden,  so  befördere  man  die  Crisen,  besonders  der  Haut,  die  Nieren- 
secretion.  Bei  grosser  Herabstimmung  der  Vitalität  des  sensiblen  Systems 
dienen  Analeptica,  Moschus,  Aether,  Wein,  kleine  Gaben  Opium.  Direct 
krampfwidrige  Mittel  sind:  Chamillen,  Melisse,  Campher,  Asa  foe- 
tida,  Naphtha,  Aether,  Moschus,  Castoreum,  Chloroform,  Opium,  Hyos- 
cyamus,  Digitalis,  Blausäure  etc.  ;  Fomentationen,  Einreibungen  von  L  i  - 
niment.  volatile,  Opium ,  Aether,  Ol.  hyoscyami,  Chloroform  ; 
Sinapismen,  Vesicantien,  Einreibungen  der  Autenrieth'schen  Salbe,  ender^ 
matische  Anwendung  des  Morphium  aceticum  etc.,  —  Luftverände- 
rung, Vermeidung  von  Gemüthsbewegungen,  leichte  Nahrungsmittel,  Bäder. 
—  Bleibt  diese  Behandlung  fruchtlos ,  so  kann  als  leztes  Hülfsmittel  die 
Durchschneid ung  der  verschiedenen  Gesichtsmuskeln  versucht  wer- 
den;  weniger  verspricht  die  Durchschneidung  des  Nervus  facialis. 
Es  ist  besonders  Dieffenbach,  welcher  die  subcutane  Myotomie  im 
Gesichte  geübt  hat.  Den  Orbicularis  palpebrarum  durchschnitt 
er  am  obern ,  am  untern  Lide  und  an  der  äussern  Augenwinkelgegend. 
Am  obern  Lide  wurde  ein  feines  sichelförmiges  Messer  unter  der  Augen- 
braue eingestochen,  unter  der  Haut  bis  an  den  Tarsalrand  geführt,  und 
der  Muskel  auf  einem  unter  das  Lid  geschobenen  Holzplättchen  im  Zurück- 
ziehen des  Messers  durchschnitten.  Ebenso  verfuhr  er  am  untern  Lide, 
wo  er  das  Messer  an  den  äussersten Fasern  des  Orbicularis  einführte 
Für  den  dritten  Schnitt  wurde  das  Messer  von  der  Schläfengegend  aus 
bis  in  die  Nähe  des  äussern  Augenwinkels  gebracht.  Die  Wangen-  und 
Oberlippenmuskeln  trennte  er  in  der  Richtung  zwischen  Nasenflügel  und 
Ohrläppchen,  von  ersterem  bis  zum  vordem  Masseterrande ,  indem  hier 
das  Messer  eingestochen  und  dann  gegen  die  Schleimhaut  zu  schneidend 
zurückgezogen  wurde.  Den  Depressor  anguli  oris  durchschneidet 
man  am  besten  von  innen  nach  aussen ,  indem  unter-  und  ausserhalb  des 
Mundwinkels  an  der  äussern  Grenze  des  Orbicularis  oris  ein  Messer 


362  GESICHTSSCHMERZ.  ♦ 

bis  gegen  die  Schleimhaut  eingestochen,  dann  parallel  mit  der  Kieferbasis 
bis  in  die  Nabe  des  Kinns  fortgeführt  und  im  Zurückziehen  nach  aussen 
gegen  die  Haut  zu  gedrückt  wird.  Bei  der  krampfhaften  Contractur  des 
Mundes  ,  in  Folge  deren  die  Mundspalte  verengt  und  rundlich  ist,  durch- 
schneidet Dieffenbach  den  Kreismuskel  von  aussen  nach  innen  an 
drei  Stellen ,  nach  oben,  nach  unten  und  nach  aussen.  —  Um  die  subcu- 
tane Blutergiessung  an  den  Schnittstellen  zu  beschränken ,  bedeckt  man 
diese  mit  Charpiebäuschen  und  drückt  sie  durch  Heftpflasterstreifen 
fest  an. 

Gesichtslähmung,  Paralysis  musculorumfaciei.  Die 
Gesichtsmuskeln  der  untern  Gesichtshälfte  bekommen  ihre  motorische  In- 
nervation vom  Antliznerven.  Wenn  dieser  auf  einer  Seite  gelähmt  ist, 
so  sind  Mund  und  Nase  nach  der  entgegengesezten  Seite  verzogen ,  der 
Mundwinkel  steht  hier  höher  wie  dort;  beim  Kauen  fallen  auf  der  gelähm- 
ten Seite  die  Speisen  in  den  Zwischenraum  zwischen  die  Mahlzähne  und 
Backen  und  müssen  öfter  mit  den  Fingern  wieder  über  die  Zähne  zurück- 
gebracht werden  ;  die  Kranken  beissen  sich  auch  wohl  beim  Kauen  auf 
die  Backe ;  beim  starken  Ausathmen  schlottert  dieselbe.  Wenn  die  Läh- 
mung des  Facialnervens  nicht  vollständig  ist,  so  zeigen  sich  diese  Verzie- 
hungen des  Mundes  nur  bei  Bewegungen ,  wenn  sie  vollständig  ist ,  auch 
in  der  Ruhe  auf  eine  entstellende  Weise.  —  Die  Ursachen  dieser  Läh- 
mung sind  die  der  Muskellähmung  überhaupt;  am  häufigsten  beobachtet 
man  sie  in  Folge  von  Apoplexie.  —  B  e  h  a  nd  1  u  n  g.  Schlagen  die 
pharmaceutischen  Mittel  fehl  (s.  den  Artikel  Lähmung),  so  kann  man 
versuchen  ,  die  Deformität  durch  Excisionen  von  Haut  an  der  Seite  der 
Lähmung  und  durch  subcutane  Myotomie ,  welche  leztere  indessen  nur 
bei  unvollständiger  Lähmung  etwas  verspricht ,  zu  heben.  Uetner  die 
Durchschneidung  der  verschiedenen  Gesichtsmuskeln  s.  den  Art.  Ge- 
sichtskrampf. 

GesichtSSChmerz,  Neuralgia  facialis.  Derselbe  hat 
seinen  Siz  in  den  Aesten  des  Nervus  trigeminus  und  zwar  kann  er 
in  einem  einzigen  oder  in  mehreren  derselben  auftreten.  Diesem  nach 
unterscheidet  man  eine  Neuralgia  frontalis,  infraorbitalis 
und  m axillaris.  —  1)  Neuralgia  frontalis.  Sie  geht  vom 
Nerv,  supraorbitalis  aus  und  der  Schmerz  schiesst  bei  ihr  vom 
Kande  der  Augenhöhle  nach  aufwärts  über  die  Stirne  gegen  den  behaar- 
ten Theil  des  Schädels  zu,  strahlt  auch  gegen  die  Orbita,  die  Augenwin- 
kel und  die  Schläfengegend  aus.  Während  des  Anfalles  bemerkt  man 
eine  Senkung  des  Augenlides  ,  Klopfen  der  Arterien  ,  Thränenfluss  ,  Rö- 
thung  des  Auges  ,  zuweilen  auch  Trockenheit  der  entsprechenden  Nasen- 
höhle. —  Behandlung.  Nach  fruchtlosem  Gebrauche  pharmaceuti- 
scher  Mittel  (s.  den  Art.  Neuralgie)  durchschneidet  man  den  Nerv. 
supraorbitali  s  dicht  über  dem  F  or  amen   supraorbitale.      Zu 


GESICHTSSCHMERZ.  363 

diesem  Behufe  zieht  man  die  Augenbraue  über  den  Orbitalrand  herab, 
um  die  Haut  zu  spannen ,  und  macht  über  der  Mitte  der  Orbita  etwas 
mehr  gegen  die  Nase  hin  einen  etwa  4/2  Zoll  langen  Querschnitt  bis  auf 
den  Knochen.  Die  sprizende  Art.  supraorbitalis  zeigt  die  Lage 
des  Nervens  genau  an.  Um  die  Wiedervereinigung  des  Nervens  zu  ver- 
hindern, fasst  man  das  peripherische  Ende  des  durchschnittenen  Nervens 
mit  der  Pincette  und  schneidet  ein  Stück  von  4 — 5  Linien  Länge  davon 
ab.  —  2)  Neuralgia  infraorbitalis  (F o th er gill 'scher  Ge- 
sichtsschmerz). Sie  hat  ihren  Siz  in  den  Verästelungen  des  gleichnami- 
gen Nervens  und  erreicht  oft  eine  unausstehliche  Höhe.  Der  Schmerz 
verbreitet  sich  vom  Foramen  infraorbitale  aus  über  die  Wange, 
das  untere  Augenlid ,  die  entsprechende  Nasenseite  ,  die  Oberlippe ,  zu- 
weilen in  die  obern  vordem  Zähne ,  den  Sinus  maxillaris,  den  Gau- 
men. —  Behandlung.  Als  leztes  Hülfsmittel  hat  man  die  Durch- 
schneidung des  Nerv,  infraorbitalis  vorgenommen  und  hierbei  zwei 
verschiedene  Verfahren  befolgt,  nämlich  von  der  Mundhöhle  aus  und  von 
aussen  durch  die  Haut.  Bei  dem  erstem  Verfahren ,  welches  sehr  un- 
sicher ist ,  erhebt  man  die  Lippe ,  sticht  oben  und  hinter  dem  zweiten 
Backenzahn  in  der  Richtung  des  Jochbeins  bis  zur  Höhe  des  untern  Au- 
genhöhlenrandes ein  und  durchschneidet  damit  in  der  Richtung  nach  vorn 
hart  am  Knochen  sämmtliche  Weichtheile.  Schliesslich  sucht  man  das 
peripherische  Ende  des  Nervens  auf,  fasst  es  mit  der  Pincette  und  schnei- 
det ein  Stück  davon  mit  der  Scheere  ab.  —  Um  den  Nerven  von  aussen 
her  zu  trennen,  macht  man  an  der  Stelle,  wo  er  in  das  Gesicht  tritt ,  also 
etwa  2  Linien  unterhalb  des  untern  Augenhöhlenrandes  parallel  mit  die- 
sem eine  1/2 — */4  Zoll  lange  Incision  bis  auf  den  Knochen  so  ,  dass  die 
Mitte  des  Schnittes  über  dem  zweiten  Backzahne  sich  befindet.  Hierauf 
macht  man  über  die  Knochenöffnung  hin  noch  mehrere  Querschnitte,  um 
den  Nerven  noch  besonders  zu  durchschneiden ,  worauf  man  Charpie  in 
die  Wunde  legt  und  diese  durch  Granulation  heilen  lässt,  um  ein  Zusam- 
menwachsen der  Nervenenden  zu  verhindern.  Andere  führen  die  Opera- 
tion subcutan  aus ,  d.  h.  sie  stechen  ein  Tenotom  etwa  1/2  Zoll  von  dem 
Foramen  infraorbitale  nach  aussen  in  die  Haut  und  dringen  unter 
dieser  bis  über  die  genannte  Knochenöffnung  hinaus  ,  worauf  sie  wieder- 
holte Schnitte  über  diese  Oeffnung  machen.  —  3)  Neuralgia  maxil- 
laris. Diese  hat  ihren  Siz  im  dritten  Ast  des  Trigeminus,  ergreift 
diesen  aber  nicht  immer  ganz ,  sondern  beschränkt  sich  oft  nur  auf  ein- 
zelne Aeste  desselben ,  wie  den  Nerv,  temporalis  superficialis, 
den  Nerv,  alveolar is  inferior,  besonders  dessen  R a m u  s  men- 
talis, und  die  Verbindungsäste  ,  welche  der  Nerv,  maxillaris  in- 
ferior hinter  den  Unterkiefer  zum  Facialis  schickt.  —  Ist  der  N. 
temporalis  superficialis  (s.  auriculari  s  an  t  er  io  r)  vorzüg- 
lich der  Siz  der  Neuralgie,  so  verbreitet  sich  der  Schmerz  von  der  Schläfe 
aus   nach    dem  Laufe   der   Art.   temporalis   gegen   den  Scheitel ,   die 


364  GLIEDMASSEN,    KUENSTLICHE. 

Stirn-  und  Hinterhauptsgegend ,  zuweilen  auch  hauptsächlich  gegen  die 
Wangen-  und  Infraorbitalgegend ,  und  macht  sich  zugleich  im  vordem 
Theile  des  Ohrs  und  im  äussern  Gehörgang  fühlbar.  —  Die  Durchschnei- 
dung dieses  Nervens  geschieht  am  besten  über  dem  hintern  Theil  des 
Jochbogens ,  indem  man  da ,  wo  die  Pulsationen  der  Schläfenarterie  ge- 
fühlt werden ,  die  in  einer  Längenfalte  erhobene  Haut  einschneidet ,  die 
Temporalarterie  aufsucht ,  nach  vorwärts  schiebt  und  nun  den  hinterwärts 
liegenden  Nerven  durch  einen  Schnitt  bis  auf  den  Jochbogen  trennt,  oder 
noch  besser  resecirt.  —  Bei  neuralgischer  Affection  des  Nerv,  alveo- 
laris  inferior  verbreiten  sich  die  Schmerzen  in  den  untern  Zähnen, 
in  dem  Zahnfleische ,  in  der  Kinnhaut  und  in  der  Unterlippe.  —  Die 
Durchscheidung  dieses  Nervens  wurde  in  verschiedener  Weise  ausgeführt. 
Warren  machte  einen  Hautschnitt  von  der  Incisura  sigmoidca 
herab,  legte  die  Parotis  bloss  und  schob  sie  nach  hinten,  durchschnitt  den 
Masseter  und  entblösste  den  Knochen.  Nun  wurde  der  Ast  des  Unter- 
kiefers in  seiner  Mitte  trepanirt  und  aus  dem  so  zugänglich  gemachten 
Nerven  ein  '/2  Zoll  langes  Stück  ausgeschnitten.  Lizars  durchschnitt 
den  Nerven  vom  Munde  aus.  Er  machte  mit  einem  Scalpell  einen  per- 
pendiculären  Schnitt  nahe  am  Kronenforts az  ;  dann  führte  er  eine  Gau- 
menlancette  zwischen  dem  Fortsaze  und  Flügelmuskel  ein  und  scarificirte 
den  Knochen  um  das  Foramen  m  a  x  i  1 1  a  r  e  p  o  s  t.  herum  bis  der  Nerv 
durchschnitten  war ,  was  sich  durch  einen  äusserst  heftigen  Schmerz  zu 
erkennen  gab.  —  Bei  der  Neuralgie  des  Nerv,  mentalis  gehen  die 
Schmerzen  von  dem  Foramen  mentale  aus  und  verbreiten  sich  über 
die  Haut  des  Kinns  und  der  Unterlippe.  —  Um  diesen  Nerven  zu  durch- 
schneiden, trennen  Einige  die  Unterlippe  in  der  Gegend  des  zweiten  Back- 
zahns bis  zum  Foramen  mentale  vom  Knochen  ab  und  durchschnit- 
ten dadurch  den  Nerven ,  schnitten  auch  wohl  ein  Stück  von  ihm  aus ; 
Andere  suchten  subcutan  zu  dem  Nerven  zu  gelangen,  Berard  endlich 
schnitt  direct  auf  ihn  ein. 

GliedmaaSSen ,  künstliche.  Um  den  Verlust  der  obern  oder 
untern  Gliedmaassen  nach  Amputationen  oder  durch  andere  Umstände 
durch  mechanische  Vorrichtungen  zu  ersezen ,  hat  man  sich  zu  verschie- 
denen Zeiten  verschiedener  Mittel  bedient,  welche  entweder  blos  die  Ver- 
stümmelung fremden  Augen  entziehen  sollen,  oder  zugleich  gewisse  Func- 
tionen des  Gliedes  nachahmen.  Dem  ersteren  Zwecke  zu  entsprechen, 
suchte  man  die  Form  des  verloren  gegangenen  Theils  durch  Fantome  von 
Blech ,  Holz ,  Leder,  Pappe,  Tuch,  Leinwand  etc.  mit  Wolle  oder  Haaren 
ausgestopft  nachzubilden.  Complicirte  Vorrichtungen  wurden  schon  in 
sehr  früher  Zeit  verfertigt,  die  jedoch  zu  schwer  waren.  —  1)  Künst- 
liche obere  Gliedmaassen.  Viele  Individuen  begnügen  sich ,  den 
Aermel  des  Kleides  mit  Baumwolle  oder  irgend  einer  andern  Substanz, 
wodurch  er  eine  dem  Arme  ähnliche  Form  erhält,    auszufüllen.      Dief- 


GLIEDMASSEN,    KUENSTLICHE. 


365 


fenbach  lässt  einen  langen  Handschuh  von  Leder  fertigen  und  diesen 
auspolstern.  Andere  dagegen,  denen  jede  Verstümmelung  empfindlich  ist, 
haben  sich  mit  diesen  einfachen  Vorrichtungen  nicht  begnügt ,  sondern 
vielfach  versucht ,  auch  die  Bewegungen  des  Gliedes  bis  auf  einen  gewis- 
sen Grad  herzustellen.  Diese  Versuche  haben  zum  Theil  auf  ziemlich 
sinnreiche  Erfindungen  geführt.  —  Wilson  liess  einen  Arm  von  Leder 
fertigen ,  an  welchem  die  ersten  Finger  der  Phalangen ,  das  Hand-  und 
Ellbogengelenk  Nuss-,  die  übrigen  Gelenke  der  Finger  Gynglimusgelenke 
waren.  —  Für  die  verloren  gegangene  Hand  hatBaillif  zumErsaz  die- 
ser einen  sehr  sinnreichen  Mechanismus  erfunden.  Diese  künstliche  Hand 
ist  von  Blech  gearbeitet ,  durch  Gelenke  biegsam  und  wird ,  wenn  sie  der 
Verstümmelte  trägt,  mit  einem  Handschuh  bekleidet.  Sie  wird  von  einer 
blechernen  Armschiene  gehalten,  die  in  Form  eines  Cylinders  mit  Riemen, 
welche  bis  zum  Oberarm,  hinauflaufen ,  um  den  Stumpf  befestigt  wird. 
Ein  Gelenk  befindet  sich  zwischen  Hand  und  Schiene  nicht.  Die  Finger 
dagegen  haben  drei  nach  der  Vorlarfläche  hin  zu  beugende  Gelenke,  und 
ebenso  viele  sind  am  Daumen.  Diese  Fingergelenke  werden  durch  Darm- 
saiten oder  Kettchen ,  welche  innerhalb  der  Finger  über  Rollen  laufen, 
und  in  der  Hand  selbst  von  eben  so  vielen,  an  einem  Gestelle  befestigten, 
messingenen  Spiralfedern  angezogen  werden ,  in  Flexion  erhalten.  Die 
Extension  der  Finger  geschieht  durch  Darmsaiten ,  welche  an  einem  be- 
weglichen ,  innerhalb  der  Hand  verborgenen  Gestelle  festgeknüpft  sind. 
Dieses  bewegliche  Gestelle  wird  von  einer  Schnur  oder  Darmsaite  mittels 
gewisser  Bewegungen  des  Vorderarms  gegen  die  Armschiene  angezogen, 
so  dass  der,  welcher  die  Hand  trägt ,  sie  nach  Belieben  öffnen  kann ,  wel- 
ches er  durch  das  Strecken  des  Vorderarmes  bewirkt.  Es  wird  zu  dem 
Ende  ein  Gürtel  um  die  Brust  geschnallt ,  von  dessen  vorderer  Seite  ein 
verticaler  Riemen  über  die  Schulter  der  betheiligten  Seite  fortgeht.  An 
diesem  Schulterriemen  ist  ein  elastisches  Gürtelstück  angebracht,  von  des- 
sen vorderem  Ende  die  Schnur  oder  die  Darmsaite  ausgeht,  welche  durch 
eine  trichterförmige  Röhre  in  der  Armschiene  läuft  und  das  Gestell  der 
Extensoren  bewegt.  Der  elastische  Gurt  wird  bei  flectirtem  Ellbogen  an 
den  Schulterriemen  geschnallt,  so  dass  er  sich  spannt,  sobald  der  Vorder- 
arm gestreckt  wird.  Für  die  Extension  des  Daumens  wird  eine  eigene 
Schnur  an  dem  Brustgürtel  befestigt ;  je  mehr  der  Oberarm  alsdann  von 
der  Brust  entfernt  wird  ,  desto  stärker  wird  der  Daumen  allein  extendirt. 
—  v.  Graefe  schlägt  folgenden  künstlichen  Arm  zu  der  künstlichen 
Hand  von  B  a  i  1 1  i  f  vor  :  der  Oberarm  wird  mit  einer  Scheide  umgeben, 
von  welcher  Spiralfedern  zum  Vorderarm  gehen ,  welche  die  Flexion  des 
Ulnargelenkes  bewirken.  An  der  entgegensezten  Seite  sind  Darmsaiten 
befestigt,  welche  von  dem  obern  und  hintern  Rande  des  Vorderarms  nach 
vorn  und  oben  zum  Achselstücke  des  Brustriemens  laufen.  Würde  der  Vor- 
derarm durch  Beugung  des  Stumpfs  nach  der  Brust  hin  vermöge  der  Spi- 
ralfedern flectirt ,  so  blieben  es  auch  die  Finger.     Würde  der  Stumpf  von 


366  GLIEDMASSEN,    KUENSTLICHE. 

der  Brust  entfernt,  so  geschähe,  vermöge  der  Anspannung  der  Saiten,  Ex- 
tension im  Ulnargelenk  und  dadurch  Ausstreckung  der  Finger.  —  Zum 
Ersaz  eines  in  der  Mitte  des  Oberarms  amputirten  Arms  liess  Stark 
einen  künstlichen  Arm  anfertigen  ,  der  nicht  nur  die  Form  möglichst  ge- 
treu gab,  sondern  auch  die  nöthigsten  Bewegungen  durch  einen  einfachen 
und  wohlfeilen  Mechanismus  gestattete.  Derselbe  besteht  mit  Einschluss 
der  Hand  aus  vier  Theilen.  Die  drei  obern  sind  aus  dünnem  Eissenblech 
gearbeitet  und  bilden  Röhren  ,  die  von  oben  nach  unten  an  Dicke  abneh- 
men ,  und  von  denen  das  obere  Ende  des  untern  jedes  Mal  in  das  untere 
des  obern  eingeschoben  ist.  Mit  dem  untersten  ist  die  Hand,  die  von  Holz 
gefertigt  ist,  auf  gleiche  Weise  in  Verbindung  gesezt.  —  Der  dem  Ober- 
arm entsprechende  Theil  hat  ungefähr  in  der  Mitte  einen  hölzernen  Boden, 
auf  welchem  der  Stumpf  ruht.  An  der  hintern  Seite  greift  er  über  die 
Achsel  weg ,  an  der  vordem  ist  er  für  die  Aufnahme  der  Achselhöhle  bo- 
genförmig ausgeschnitten.  Die  zweite  Röhre  entspricht  dem  obern  Theil 
des  Vorderarms  und  stellt  genau  die  Form  des  Ellbogens  dar.  Sie  ragt 
in  den  Oberarmtheil  hinein  und  articulirt  mit  demselben  durch  einen  die 
Röhren  quer  durchsezenden  beweglichen  Bolzen.  Ein  bogenförmiger,  ge- 
zähnter Eisenstab  im  Innern  des  Oberarmtheils  fixirt  den  Arm  sowohl  in 
der  Beugung  wie  in  der  Streckung ,  indem  ein  gezähnter ,  im  Vorderarm- 
theil  befindlicher  Stellhaken  in  die  Zähne  desselben  eingreift.  Das  obere 
Ende  des  genannten  Hakens  steht  mit  einem  dünnen  Eisenstabe  in  Ver- 
bindung, welcher  an  seinem  untern  Ende  mit  einem  Knopfe  versehen  ist, 
der  durch  eine  Oeffnung  in  der  Wand  des  Vorderarmtheiles  nach  aussen 
ragt.  Wird  dieser  Knopf  von  oben  nach  unten  gezogen,  so  wird  der  Haken 
aus  den  Zähnen  gehoben  und  der  Vorderarm  kann,  wenn  er  gebeugt  war, 
gestreckt  werden ,  indem  er ,  sich  um  den  Gelenkbolzen  drehend,  mit  sei- 
nem vordem  schwerern  Theile  hebelartig  nach  unten  sinkt.  Soll  der  Arm 
gebeugt  werden,  so  wird  er  mit  der  andern  Hand  nach  oben  bewegt,  wor- 
auf, wenn  die  Beugung  einen  rechten  Winkel  (bis  zu  welchem  Grade  sie 
nur  möglich  ist)  erreicht  hat ,  der  Haken  in  die  Zähne  der  Stange  sich 
einstemmt  und  den  Arm  in  der  gegebenen  Stellung  hält.  Auch  die  Pro- 
und  Supination  ist  einigermaasen  möglich,  und  zwar  dadurch,  dass  in  das 
untere  Ende  der  Vorderarmröhre  eine  andere  bis  zur  Hälfte  ihrer  Länge 
eingeschoben  ist ,  die  sich  in  ersterer  leicht  herumdrehen  lässt.  Durch 
einen  Haken  und  eine  Feder ,  die  mit  einem  Knopfe  nach  aussen  tritt, 
lässt  sich  die  Hand  drehen  und  in  der  gegebenen  Stellung  fixiren.  —  Die 
von  leichtem  Holz  gearbeitete  und  hohle  Hand  ragt  in  die  Vorderarmhöhle 
hinein  und  wird  durch  einen  Bolzen  gehalten.  Ein  Ausschnitt  an  der 
Beugeseite  der  Vorderarmröhre  lässt  Beugung  und  Streckung  der  Hand  zu. 
Eine  mit  einem  Knopfe  auf  der  Rückenfläche  der  Vorderarmröhre  nach 
aussen  tretende  Feder  lässt  die  Hand  in  der  gegebenen  Richtung  fest- 
stellen und  diese  wieder  aufheben.  Die  gleichfalls  hölzernen  Finger  sind 
nicht  hohl   und   die   ersten  Glieder  derselben  aus  einem  Stücke ,   welches 


GLIEDMASSEN,    KUENSTLICHE.  367 

auf  einer  Walze  sizt,  welche  durch  einen  Bolzen  mit  zwei  seitlichen  Fort- 
säzen  der  Hand  articulirt.  Eine  Zahnung  von  Eisen ,  in  welche  eine  im 
Innern  der  Hand  befestigte  und  mit  einem  Knopfe  nach  aussen  tretende 
Stahlfeder  eingreift ,  stellt  das  Gelenk  der  vier  Finger  in  der  gegebenen 
Richtung  fest,  welche  man  ihm  entweder  mit  der  andern  Hand  oder  durch 
Aufstüzen  gibt.  Das  zweite  Gelenk  der  Finger  wird  durch  ein  ganz  ein- 
faches Charnier  gebildet.  Die  lezten  Glieder  sind  blosse  Fortsäze  der 
zweiten.  Der  nur  aus  einem  Stücke  bestehende  Daumen  hat  ein  besonde- 
res Gelenk ,  welches  dem  eines  Zirkels  gleicht ,  und  ebenfalls  mit  einer 
eisernen  Zahnung  und  einem  Stelib.iken  versehen  ist,  welche  Einrichtung 
den  Daumen  unter  Beihülfe  einer  Stellfeder  festzustellen  und  zu  bewegen 
erlaubt.  —  Die  ganze  Vorrichtung  wird  durch  vier  Riemen  an  der  Schul- 
ter und  um  den  Körper  befestigt.  Ueber  den  Arm  kommt  der  Aermel 
des  Rocks ,  über  die  Hand  ein  Handschuh.  Durch  das  Kleid  hindurch 
wird  derjenige  Knopf  angezogen  oder  gedrückt ,  der  dem  zu  bewegenden 
Gliedtheile  entspricht.  —  Noch  ist  die  künstliche  Hand  des  Göz  von 
Berlichingen  zu  erwähnen.  —  2)  Künstliche  untere  Glied- 
maas s  e  n.  Der  gewöhnlichste  und  einfachste  Ersaz  für  den  Verlust  des 
Ober-  oder  Unterschenkels  ist  die  Stelze,  auf  welcher  der  Verstümmelte 
entweder  mit  dem  Knie ,  oder  mit  dem  Stumpfe  des  Oberschenkels  ruht, 
und  welche ,  wenn  sie  gleich  die  Deformität  nicht  deckt ,  doch  die  Orts- 
veränderung gestattet.  Ein  bedeutender  Uebelstand  der  Stelzfüsse  ist, 
dass  sie  den  Verstümmelten  durch  ihre  Unbeweglichkeit  belästigen  ,  wenn 
er  sich  sezen  will ;  man  hat  diesem  Uebelstande  dadurch  abzuhelfen  ge- 
sucht ,  dass  man  an  der  äussern  Seite  der  aus  zwei  Stücken  bestehenden 
Stelze  unter  dem  Kniestücke  eine  Feder  angebracht  hat ,  mittels  welcher 
der  Theil  derselben ,  welcher  den  Unterschenkel  darstellt ,  gebeugt  und 
gestreckt  werden  kann. —  Ruht  der  Kranke  mit  dem  Knie  auf  der  Stelze, 
so  muss  die  Stelle ,  auf  welche  sich  das  Knie  stüzt ,  gut  gepolstert  sein  ; 
zu  beiden  Seiten  steigen  zwei  eiserne  oder  hölzerne  Schienen  in  die  Höhe, 
wovon  die  äussere  bis  zum  grossen  Trochanter  sich  erstreckt ,  und  welche 
bei  untergelegten  Compressen  mittels  Riemen  festgeschnallt  wird.  Die 
innere  ist  kürzer  und  wird  ebenfalls  durch  zwei  Riemen  befestigt.  Stüzt 
sich  der  Verstümmelte  mit  dem  Rumpfe  auf,  so  geschieht  dies  in  dem 
obern  ausgehöhlten  und  gut  ausgepolsterten  Theile  der  Stelze ,  von  wel- 
chem an  der  äussern  Seite  gleichfalls  eine  Verlängerung  in  die  Höhe 
steigt,  welche  zur  Befestigung  dient.  Nicht  selten  erfährt  dabei  die  Narbe 
einen  solchen  schmerzhaften  Druck ,  dass  der  Kranke  ihn  nicht  zu  ertra- 
gen vermag.  Um  diesem  Uebelstande  zu  begegnen ,  hat  Wagner  für 
den  amputirten  Oberschenkel  einen  Stelzfuss  angegeben,  auf  welchem  der 
Amputirte  gleichsam  sizt.  Er  besteht  aus  einer  ovalen  Schiene  von  Eisen- 
blech ,  welche ,  ausgepolstert ,  der  untern  Fläche  des  gebeugten  Stumpfes 
zur  Unterlage  dient.  Die  Befestigung  geschieht  durch  zwei  Riemen ,  die 
von  einer  Seite   der  Schiene  zur  andern  laufen.    An  der  untern  convexen 


368  GLIEDMASSEN,    KUENSTLICHE. 

Seite  der  Schiene  ist  eine  ziemlich  dicke  eiserne  Schraubenmutter  ange- 
bracht ,  die  etwas  schräg  nach  unten  vorsteht  nnd  mit  der  Schiene  etwa 
einen  Winkel  von  8  5°  bildet.  Am  hintern  Rande  der  Schiene  ist  ein 
dritter  Riemen  befestigt ,  welcher  über  das  Gesäss  heraufsteigt  und  mit 
einem  Beckengürtel  in  Verbindung  gesezt  wird.  Der  eigentliche  Stelz- 
fuss  ist  von  starkem  Holze ,  dem  gesunden  Fusse  der  Länge  nach  ent- 
sprechend und  gehörig  stark ;  an  seinem  obern  Ende  befindet  sich  ein 
eiserner  Ring  mit  Schraubengängen  ,  zur  Verbindung  mit  der  Schiene. 
Dieser  Stelzfuss  gewährt  unter  Anderm  den  Vortheil,  dass  ihn  sein  Träger 
beim  Sizen  und  Liegen  zur  Bequemlichkeit  abschrauben  kann.  —  Da  die 
Stelzen  bei  aller  Vollkommenheit  doch  manche  Unbequemlichkeiten  dar- 
bieten ,  so  hat  man  sich  bemüht ,  mechanische  Vorrichtungen  aufzufinden, 
die  nicht  nur  die  Gestalt  des  verloren  gegangenen  Gliedes  wiedergeben, 
sondern  auch  die  meisten  Bewegungen  desselben  nachahmen  sollten.  Hier- 
her gehören  die  Erfindungen  von  Addison,  Wilson,  White,  Pott, 
Brünninghausen,  Stark,  Behrend,  Kühl  u.  A.  Brünning- 
h  a  u  s  e  n  's  Fuss  ,  welcher  von  Stark,  Baillif  und  Dornblüth  ver- 
schiedentlich verändert  wurde  ,  besteht  aus  vier  Stücken ,  aus  einem  Wa- 
denstücke von  Kupfer ,  aus  einem  Fersenstücke  ,  einem  Mittelfussstücke 
und  einem  Zehenstücke ,  sämmtlich  aus  Lindenholz  genau  nach  dem  ge- 
sunden Fusse  gearbeitet.  Das  Fersenstück  ist  mit  dem  Wadenstück  un- 
beweglich verbunden,  mit  dem  Mittelfussstücke  aber  ist  es  durch  ein  star- 
kes Charnier  vereinigt ,  welches  vermöge  des  keilförmigen  Ausschnitts, 
der  sowohl  vom  Fussrücken  als  von  der  Sohle  her  zwischen  beide  Stücke 
verläuft,  die  Bewegungen  des  Mittelfusses  nach  oben  und  unten  zulässt. 
Eine  zungenf  örmige  Feder  drückt  vom  Fersenstücke  aus  im  obern  Aus- 
schnitt gegen  das  Mittelfussstück  und  hält  den  Fuss ,  wenn  er  ruht ,  in 
Depression.  Das  Zehenstück  ist  an  der  Sohle  mit  dem  Mittelfussstücke 
durch  zwei  starke  Federn  vereinigt ,  die  es  in  der  Depression  erhalten. 
Vom  Fussrücken  verläuft  ein  keilförmiger  Ausschnitt  zwischen  Zehenstück 
und  Mittelfussstück ,  so  dass  sich  das  erstere  nur  beim  Auftreten  auf  die 
Fussspize  gegen  das  leztere  anschmiegt.  Stark  hat  diesem  Apparate 
ein  Kniegelenk  hinzugefügt  und  denselben  für  den  Gebrauch  nach 
Amputationen  im  Oberschenkel  eingerichtet.  Der  Stumpf  wird  nämlich 
in  einen  bequemen  blechernen  Schaft  gesenkt ,  der  vorn  höher  ist  als 
hinten.  Von  der  äussern  Seite  dieses  Schaftes  geht  ein  eiserner  Stab  in  die 
Höhe ,  der  bis  zu  dem  Hüftbeine  reicht  und  mit  einem  breiten ,  star- 
ken Gürtel  um  das  Becken  dergestalt  befestigt  wird ,  dass  es  bei  jeder 
Bewegung  des  Fusses  etwas  rück  -  und  vorwärts  rücken  kann.  Knie- 
und  Wadenstück  werden  durch  ein  Charnier  vereinigt.  Zur  Verhü- 
tung einer  zu  starken  Streckung  und  Beugung  ist  hinten  ein  Haken 
und  vorn  eine  Platte  angebracht.  Der  Haken  greift  in  einen  in  der  Höhle 
des  Kniestücks  angebrachten  Stab  ,  die  Platte  ist  gespalten ,  am  Waden- 
stücke befestigt  und  greift  über  einen  am  Kniestücke  befindlichen  Knopf. 


GLIEDMAASSEN,  KUENSTLICHE.  369 

—  Der  künstliche  Fuss  von  B  a  i  1 1  i  f  ist  complicirter  als  der  von  Brün- 
ninghausen  und  weniger  brauchbar,  weil  man  beim  jedesmaligen  Vor- 
schreiten mit  der  Hand  eine  Schnur  anziehen  muss ,  um  mit  dem  steifen 
Fusse  zu  schreiten.  Dagegen  zeichnet  sich  der  künstliche  Fuss  von  Palm 
durch  grosse  Einfachheit  aus.  Derselbe  besteht  aus  einem  ausgehöhlten 
hölzernen  Wadenstücke ,  in  welchem  der  Stumpf  aufgenommen  wird. 
Dieses  endigt  nach  unten  mit  einer  abgerundeten  Fläche ,  die  einer  con- 
caven  Fläche  am  Fussstüeke  entspricht ,  welche  jedoch  einer  grösseren 
Kreislinie  angehört,  so  dass  die  runde  Endigung  des  Wadenstückes  in  der 
Aushöhlung  des  Fussstücks  einigen  Spielraum  hat.  Die  Vereinigung  ge- 
schieht mittels  einer  in  die  Höhe  ragenden  und  in  das  Wadenstück  einge- 
passten  Scheibe,  welche  durch  einen  eisernen  Stift  festgehalten  wird  (die 
Einrichtung  gleicht  ungefähr  den  bei  den  Gliederpuppen  befolgten  Grund- 
säzen).  Die  Befestigung  vermittelt  ein  Beckengürtel  mit  einem  Tragbande 
und  mit  Seitenriemen,  zu  deren  Sicherung  noch  ein  Schenkelgürtel  ange- 
bracht ist.  Die  Bewegung  des  Unterfusses  wird  durch  Riemen  bewerk- 
stelligt, welche,  von  dem  Beckengürtel  ausgehend,  über  die  vordere 
und  hintere  Fläche  bis  zu  dem  beweglichen  Unterfuss  gehen,  wo  sie  befe- 
stigt sind.  Wenn  das  Knie  gebogen  wird ,  so  wird  der  hintere  Riemen 
erschlafft,  der  vordere  gespannt.  Es  wird  also  beim  Biegen  des  Knies  die 
Fussspize  in  die  Höhe  gehoben  ,  beim  Strecken  des  Knies  wird  sie  dage- 
gen wieder  nach  unten  gerichtet.  —  Eine  ähnliche  Vorrichtung  wie  am 
Fusse  ist  für  das  Knie  angegeben ,  wenn  durch  Amputation  des  Ober- 
schenkels das  Kniegelenk  verloren  gegangen  ist.  —  Die  künstlichen  Füsse 
von  Heine  und  Behrens  sind  ihres  complicirten  Mechanismus  wegen 
wenig  in  Gebrauch  gekommen.  —  Der  künstliche  Fuss  von  Miles  ist 
vorzugsweise  dazu  bestimmt ,  nach  der  Amputation  unmittelbar  über  den 
Knöcheln  das  Gehen  zu  erleichtern.  Der  Apparat  besteht  aus  einem  künst- 
lichen Fuss  und  einem  hohlen,  durch  Schnüren  geschlossenen  Unterschen- 
kel zur  Aufnahme  des  Stumpfs.  Der  obere  Theil  des  Apparats  dient  zur 
Aufnahme  des  Oberschenkels  und  bietet  zwei  Stüzpunkte  für  den  Hüft- 
beinkamm und  Sizbeinknörren.  Beide  Theile  des  Apparats  sind  am  Knie- 
gelenke durch  articulirende  Hebel  verbunden ,  welche  durch  Federkraft 
die  Beugung  und  Streckung  ausführen.  Charriere  und  Martin  haben 
einige  Veränderungen  an  diesem  Apparat  angebracht.  S  e  r  r  e  hält  die 
Vergrösserung  des  Stüzungsapparats  über  den  ganzen  Oberschenkel  und 
selbst  bis  zum  Becken  für  überflüssig  und  findet  ein  Bewegungsgelenk  an 
den  Zehen  unnöthig.  Der  künstliche  Fuss  der  Marg.  Carol.  Eichler 
ist  im  Wesentlichen  wieder ,  was  die  Gelenke  betrifft ,  in  der  Art  wie  die 
Gliederpuppen ,  nämlich  mittels  Zapfen  und  Fugen  gebaut.  Zur  Herstel- 
lung der  Bewegung  dienen  starke ,  mit  Darmsaiten  in  Verbindung  ste- 
hende Spiralfedern.  —  Dornblüth,  der  sich  um  diesen  Theil  der 
Mechanik  sehr  verdient  gemacht  hat ,  stellt  folgende  aus  der  Erfahrung 
entnommene  Säze  für  die  Verfertigung  eines  künstlichen  Beines  auf: 
Burger,  Chirurgie.  24 


370  GURGELWASSER. 

1)  das  künstliche  Glied  muss  der  Forin  nach  dem  natürlichen  gleich  sein, 
besonders    soll    der   Schaft    dem  Rumpfe  angemessen   geformt  werden ; 

2)  es  muss  zugleich  dauerhaft  und  dem  Körper,  der  es  tragen  soll,  ge- 
mäss leicht  sein  ;  beim  Gehen  und  Stehen  dürfen  weder  Sicherheit  noch 
Bequemlichkeit  vermisst  werden ,  und  besonders  muss  die  elastische  Ver- 
bindung des  Fussgelenks  haltbar  sein ;  übrigens  findet  sich  der  sichere 
und   bequeme   Gang   erst  nach   einiger  Uebung  mit  Krücke   und  Stock; 

3)  die  Apparate  müssen  möglichst  einfach  und  wohlfeil  sein ;  4)  die  Be- 
festigung des  künstlichen  Gliedes  an  dem  Stumpfe  muss  sicher  sein  und  der 
Druck  möglichst  zertheilt  werden.  Der  freie  Gebrauch  des  noch  vorhandenen 
Kniegelenks  darf  nicht  beschränkt ,  die  Haut  durch  Aufwärtsgleiten  nicht 
sehr  angespannt  und  auf  Kosten  der  Amputationsfläche  gezerrt  werden. 
Leztere  muss  einen  oder  mehrere  Zolle  vom  Boden  des  Cylinders  entfernt 
bleiben  und  darf  nicht  auf  einem  Kissen  ruhen.  Von  der  Schamgegend, 
dem  Gesässknorren ,  dem  Trochanter  und  der  Gräte  des  Schenkels  ,  dem 
Kopfe  des  Wadenbeins,  den  Beugesehnen  in  der  Kniekehle  bei  rechtwin- 
keliger Gelenkbiegung  ist  vorzüglich  jeder  Druck  abzuhalten.  Die  Schafte 
dürfen  nicht  gepolstert  sein  ;  das  Polster  vermehrt  das  Gewicht  des  Appa- 
rates, zerrt  die  Haut,  schmiegt  sich  der  eigenthümlichen  Form  des  Rum- 
pfes nicht  an  ,  drückt  auf  die  Beckenknochen ,  wird  vom  Schweisse  hart, 
die  Weichtheile  werden  von  der  Narbe  und  dem  Knochenende  abgezogen 
etc.  Das  Blech  des  Schafts  wird  daher  nur  mit  Leder  überzogen ,  und 
dieser  ist  von  der  Art ,  dass  er  auf  den  Stumpf  geschoben  werden  kann, 
nachdem  der  leztere  mit  einem  Tuche  und  einer  Zirkelbinde  mehr  und  so, 
dass  die  Weichtheile  nach  unten  getrieben  werden,  umwickelt  worden  ist. 
—  Bei  der  Amputation  des  Unterschenkels  berücksichtige  man ,  ob  der 
Kranke  sich  später  einer  Stelze  oder  eines  künstlichen  Fusses  bedienen 
will.  Im  erstem  Falle  muss  der  Unterschenkel  hoch  oben  unter  dem  Knie 
abgenommen  werden ,  damit  der  Stumpf  nicht  weit  nach  hinten  hinaus- 
reicht ;  im  zweiten  Falle  amputire  man  so  tief  als  möglich  am  Unterschen- 
kel. —  Nach  der  Amputation  der  Fusswurzelknochen  stopft  man  nach  der 
Heilung  und  der  festen  Vernarbung  den  Stiefel  mit  Wolle  aus.  —  Die 
Zeit  der  Anlegung  eines  künstlichen  Gliedes  betreffend,  so  darf  diese  erst 
dann  erfolgen ,  wenn  sich  der  Knochen  fest  geschlossen  und  abgerundet 
hat,  und  der  Druck  daselbst  gar  keine  Schmerzen  verursacht,  was  meistens 
bis  6  Monate  nach  der  Operation  der  Fall  ist.  Stelzen  ,  welche  die  ver- 
wundete Seite  des  Stumpfs  nicht  drücken,  können  früher  angelegt  werden. 

GlirgelwaSSer,  Gargarisma(vony«^a^w,  ich  gurgle). 
Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man  ein  flüssiges  Arzneimittel ,  welches  in 
verschiedenen  Krankheiten  der  Mund-  nnd  Rachenhöhle  angewendet  wird. 
Es  wird ,  während  der  Kopf  zurückgebeugt  ist ,  durch  den  aus  der  Luft- 
röhre kommenden  Luftstrom  in  Bewegung  gesezt  und  damit  längere  Zeit 
mit    dem    hintern   Theile    der  Mundhöhle   in   Berührung    erhalten ;    die 


GUERTEL.  371 

Schlund-  und  Gaumensegelmuskeln  wiedersezen  sich  dabei  dem  Ver- 
schlucken und  dem  Eindringen  der  Flüssigkeit  in  die  Nasenhöhle.  Da 
zu  dem  Gurgeln  eine  bestimmte  Kraft  und  Gewandtheit  gehört ,  so  ist  es 
bei  kleinen  Kindern  nicht  anwendbar.  Man  kann  sich  zu  Gurgelwässern 
aller  im  Wasser  auf  löslichen  arzneilichen  Substanzen  bedienen ,  und  sie 
nach  ihrer  Wirkung  in  erweichende  ,  zusammenziehende  etc.  eintheilen. 
Am  häufigsten  wendet  man  Abkochungen  oder  Aufgüsse  von  Vegetabilien 
an  und  bestimmt  den  Grad  der  Temperatur  bei  ihrer  Anwendung. 

Rp.    Flor,  sambuc.  Rp.    Alum.  crudi  5j, 

Herb,  malvae  ana  5üj,  solv.  in 

inf.  c.  aq.  ferv.  q.  s.  Aq.  salviae  ^vj 

Col.  5viij  adde.  adde 

Meli,  crudi  5J  Tinct.  pimpinell.  JJ3, 

M.  S.    Erweichendes  Gurgel-  Syr.  moror.  3vj. 

wasser,  lau  anzuwenden.  M  S.   Zusammenziehendes  Gurgel- 
wasser, bei  erschlafftem  Zäpfchen. 

Rp.    Aq.  chlorinic.  ^13, 
Dect.  sem.  hord.  ^x, 
Syr.  moror.  ^jß. 

M.  S.     Antiseptisches  Gurgel- 
wasser, bei  brandiger  Angina. 

Gürtel ,  C  i  n  g  u  1  u  m  ,  nennt  man  eine  mehr  oder  weniger  breite, 
aus  Leinwand ,  Barchent ,  Leder  oder  andern  Stoffen  verfertigte  Binde, 
welche  die  Brust  oder  den  Unterleib  umgibt. —  1)  Der  Brustgürtel, 
Cingulum  pectorale,  wird  aus  Leinwand,  Barchent,  Leder  etc.  ver- 
fertigt ,  umgibt  den  Brustkasten  von  den  falschen  Rippen  bis  zur  Achsel- 
höhle kreisförmig  und  wird  durch  Bänder  oder  Riemen  und  Schnallen  an 
einander  befestigt ;  vor  dem  Herabgleiten  von  den  Schultern  sichert  man 
ihn  durch  Tragriemen.  Mayor  fertigt  den  Gürtel  aus  doppelter  Lein- 
wand und  füttert  ihn  mit  einer  Lage  Watte  ,  Wolle  oder  Charpie.  Die 
Befestigung  geschieht  durch  Bänder  und  Bandschleifen,  Um  das  Abglei- 
ten zu  verhindern,  wird  ein  Leinwanddreieck  mit  seiner  Mitte  im  Nacken 
angelegt,  die  Enden  über  die  Schultern  nach  der  Brust  geführt  und  hier 
an  die  Brustbinde  befestigt ;  das  Gleiche  geschieht  mit  der  Spize  des 
Dreiecks  hinten.  —  Die  S  ch  ult  e  r  - ,  Trag-  oder  Jo  chbinde  ,  die 
Serviette  mit  dem  Scapulier,  Fascia  scapularis,  besteht  aus 
einem  mehrfach  zusammengelegten  Stück  Leinwand  (Handtuch,  Serviette), 
welches  so  lang  sein  muss ,  dass  es  den  Leib  1V2  Mal  umgibt.  Dieses 
wird  auf  2  Köpfe  gerollt,  die  Binde  dann  um  den  Oberleib  herumgeführt, 
und  das  freie  Ende  mit  Stecknadeln  oder  einigen  Nadelstichen  befestigt. 
Zur  Sicherung  der  Lage  dieser  Binde  dient  das  Scapulier  oder  der  Trä- 
ger.     Dieser  besteht   aus   einem  gehörig  langen  ,    6  —  8  Finger  breiten 

24* 


372  GUTTA  PERCHA. 

Streifen  Leinwand,  in  welchen  in  der  Mitte  seiner  Länge  nach  eine  Spalte 
geschnitten  ist.  Diese  Spalte  wird  über  den  Kopf  des  Kranken  herein- 
gestreift und  die  beiden  Enden  dieses  Scalpuliers  vorn  und  hinten  an  die 
Brustbinde  befestigt'.  Man  kann  den  Träger  auch  von  einem  Ende  bis 
zur  Mitte  spalten ,  und  die  gespaltenen  Enden ,  indem  man  sie  vorn  oder 
hinten  kreuzt,  an  die  Brustbinde  befestigen.  Einfache  Bänder  thun  den 
nämlichen  Dienst.  —  Das  Brusttuch  von  Hofer  besteht  aus  einem 
Stück  Leinwand  oder  Barchent  von  4 —  5  Fuss  Länge  und  1  Fuss  Breite, 
welches  an  dem  einen  Ende  in  gleicher  Entfernung  vier  länglich-viereckige 
Einschnitte  (Knopflöcher),  an  dem  andern  Ende  vier  Knöpfe  hat.  In  der 
Mitte  der  Leinwand ,  4  Zoll  vom  obern  Rande  entfernt ,  befindet  sich  ein 
weiterer  5  Zoll  langer  Einschnitt ,  durch  welchen  man  bei  der  Anlegung 
den  Arm  der  leidenden  Seite  führt ,  während  man  auf  der  andern  Seite 
die  4  Knöpfe  durch  die  vier  Einschnitte  steckt,  sie  fest  anzieht  und  je  2 
und  2  zusammenbindet.  —  Sämmtliche  vorgenannte  Verbände  dienen  zur 
Befestigung  von  Verbandstücken  an  der  Brust  nach  Verwundungen,  nach 
der  Operation  des  Empyems ,  sowie  bei  Rippenbrüchen.  —  2)  Der 
Leibgürtel,  Cingulum  abdominale,  ist  vom  weichem  Leder 
oder  Barchent  verfertigt  und  zuweilen  mit  Leinwand  oder  Flanell  gefüt- 
tert. Dieser  Gürtel ,  welcher  den  ganzen  Unterleib  umschliesst ,  hat  ent- 
weder an  einem  Ende  Riemen  und  an  dem  andern  Schnallen ,  wodurch 
man  ihn  fester  schnallen  kannj,  oder  es  sind  an  beiden  Enden  Bänder  an- 
gebracht ;  über  die  Schultern  laufen  bisweilen  zwei  Tragriemen ,  welche 
an  dem  Rückentheile  des  Gürtels  angebracht  sind  und  sich  auf  der  Brust 
kreuzen.  Ein  billigerer  Gürtel  kann  von  Leinwand  in  der  Art,  wie  ihn 
M  a  y  o  r  für  die  Brust  (s.  oben)  angegeben  hat,  hergestellt  werden.  Statt 
des  Dreiecks  versieht  man  diesen  mit  Tragbändern.  —  Diese  Verbände 
dienen  zur  Befestigung  anderer  Verbandstücke ,  sowie  zur  Unterstüzung 
während  der  Schwangerschaft ,  bei  der  Wassersucht ,  bei  Brüchen  des 
Darmbeines  etc.  —  Einige  besondere  Gürtel  für  den  Bauchstich ,  wie  sie 
von  Brunn  inghausen  und  M  o  n  r  o  angegeben  wurden  ,  werden  auf 
das  Genügendste  durch  zwei  Handtücher  ersezt ,  welche  man  so  um  den 
Leib  legt ,  dass  sie  die  Punctionsstelle  zwischen  sich  frei  lassen  und  ihre 
Enden  sich  auf  dem  Rücken  kreuzen ;  zwei  zu  den  Seiten  des  Kranken 
stehende  Gehülfen  ziehen  sie  in  entgegengesezter  Richtung  massig  fest 
an,  zuerst  in  der  Absicht,  um  diese  Stelle  zu  spannen  und  dann  nach  voll- 
zogener Operation  das  Wasser  allmälig  auszutreiben,  nach  dessen  Entlee- 
rung sie  liegen  bleiben ,  indem  man  sie  mit  Stecknadeln  befestigt.  — 
Eine  Reihe  weiterer  Leibbinden,  wie  die  von  Stark  für  Schwangere  und 
Entbundene,  die  vereinigenden  Leibbinden  von  Hof  er  und  v.  Siebold 
(zum  Verband  nach  dem  Kaiserschnitt  bestimmt),  der  geschnürte  Leibgür- 
tel, werden  durch  ein  mit  Tragbändern  versehenes  Handtuch  ersezt. 

Gutta  Percha,  s.  Gummi  Geltania,  ist  der  erhärtete  Milch- 


GUTTA  PERCHA.  373 

saft  eines  auf  Malaeca,  Borneo  und  andern  malayisehen  Inseln  wachsenden, 
zur  Familie  der  Sapoteen  gehörigen  Baumes  ,  nämlich  der  Isonandra 
Gutta,  Hook.  Man  unterscheidet  drei  Arten  des  Milchsaftes:  Gutta 
girek.  Gutta  tuban  und  Gutta  percha.  Die  Gutta  percha  hält 
gewissermassen  die  Mitte  zwischen  Kautschuk  und  Leder ,  fühlt  sich 
speckig  an,  hat  blätteriges  Gefüge,  Chocoladenfarbe ,  die  Consistenz 
und  Zähigkeit  des  Sohlleders ,  aber  weniger  Elasticität  als  Kautschuk. 
Der  Geruch  erinnert  an  Leder  und  Bast ;  Geschmack  besizt  sie  nicht ; 
durch  Aether  wird  sie  weiss.  —  Die  Gutta  percha  lässt  sich  vielfach  an- 
wenden. Diese  ihre  vielseitige  Anwendbarkeit  beruht  vorzüglich  auf  fol- 
genden Eigenschaften  :  1)  auf  ihrer  grossen  Formbarkeit,  wodurch 
die  genaueste  Anpassung  des  betreffenden  Verbandstückes  erzielt  werden 
kann.  Sie  eignet  sich  daher  zu  Pelotten  für  Bruchbänder  und  Turnikets, 
zu  Deckplatten  des  Schädels  nach  der  Trepanation,  zu  Obturatoren  für 
den  perforirten  Gaumen ,  zu  Verbänden  bei  Knochenbrüchen  und  Klump- 
f  üssen  etc.  ;  nach  plastischen  Operationen ,  besonders  zur  Formung  der 
Nase;  zur  Bedeckung  der  Nagelmutter  nach  Verlust  des  Nagels  u.  dgl.m. ; 
2)  auf  ihrer  grossen  Widerstandsfähigkeit  gegen  Zersezung  durch 
thierische  Flüssigkeiten,  während  sie  bei  einer  massigen  Elasticität  eine 
hinreichende  Steifheit  besizt ,  die  einmal  erhaltene  Form  auch  fernerhin 
zu  behalten ,  wodurch  ihr  entschiedener  Vorzug  vor  dem  Kautschuk  ge- 
sichert wird.  Sie  ist  daher  vor  diesem  geeignet  zur  Verfertigung  von 
Pessarien,  Cathetern  ,  Bougies ,  Röhren  aller  Art  etc.  ;  3)  auf  der  grossen 
Leichtigkeit  ihrer  Bearbeitung,  wodurch  der  Wundarzt  in 
Stand  gesezt  wird ,  sich  ein  fehlendes  Instrument  selbst  zu  verfertigen 
oder  ein  vorhandenes  auf  eine  passende  Weise  zu  verändern ;  4)  auf  ihrer 
Unverwüstlichkeit,  indem  sie  immer  wieder  zu  andern  Zwecken 
verwendet  werden  kann;  sie  erweicht  sich  nämlich  in  heissem  Wasser 
gleich  einem  Teige ,  in  welchem  Zustande  ihr  jede  beliebige  Form  gege- 
ben werden  kann ,  die  sie ,  wieder  erkaltet ,  behält,  was  durch  Eintauchen 
in  kaltes  Wasser,  oder  weich  angelegt,  durch  Fomentationen  mit  kaltem 
Wasser  beschleunigt  wird.  Selbst  Abfälle ,  wie  man  sie  z.  B.  beim  Zu- 
schneiden der  Platten  zu  Schienen  erhält,  lassen  sich  durch  Kneten  in 
heissem  Wasser  zu  einer  zusammenhängenden  Masse  vereinigen,  die  dann 
wieder  zu  irgend  einem  andern  Zwecke  verwendet  werden  kann.  —  Hat 
man  Gutta  percha  zu  Schienen  benüzt,  so  werden  diese  behufs  ihrer  Ent- 
fernung mit  in  heisses  Wasser  getauchten  Flanelllappen  umwickelt ,  wo- 
durch sie  sich  erweichen.  —  Gutta  percha  ist  ein  sehr  guter  Electrici- 
täts-Isolator  ;  in  der  Gestalt  dünner  Bänder  und  Fäden  gibt  es  vortreffliche 
isolirende  Auf  hängebänder,  in  Plattenform  die  ausgezeichnetste  isolirende 
Basis  ab  etc.  —  Um  die  Gutta  percha  zu  Cathetern  zu  verwenden,  muss 
sie  vorher  aufgelöst  und  die  Lösung  auf  die  Gewebegrundlage  ,  wie  bei 
den  Cathetern  aus  Gummi  elasticum ,  aufgetragen  werden.  Sie  ist  in 
Schwefelalcohol ,   in  Chloroform   und   in   den  rectificirten  Oelen  von  Ter- 


374 


GYPS  VERBAND. 


pentin ,  Harz  ,  Theer  lösbar ;  das  beste  Lösungsmittel  ist  der  Schwefel- 
alcohol ,  da  nach  dessen  sehr  schneller  Verdunstung  die  darin  gelöste 
Gutta  percha  vollkommen  gereinigt  mit  allen  ihren  früheren  Eigenschaften 
zurückbleibt.  Mit  dieser  Auflösung  lassen  sich  alle  Stoffe  durch  Auf- 
streichen vollkommen  wasserdicht  machen ;  diese  Flüssigkeit  lässt  sich 
aber  auch  noch  anderweitig  verwenden  ,  z.  B.  bei  penetrirenden  Brust- 
wunden, offenen  Gelenkwunden,  welche  man,  nachdem  sie  mit  Heftpflaster 
bedeckt  worden  sind,  mit  der  Guttaperchalösung  überzieht,  ferner  als 
Schuzmittel  bei  Sectionen,  Geschwüren  u.  dgl. ,  deren  Secret  die  Umge- 
gend leicht  corrodirt ;  endlich  hat  es  sich  bei  Eczema  und  andern  Haut- 
krankheiten nüzlich  erwiesen.  A  c  t  o  n  verband  zu  diesem  Zwecke  Gutta 
percha  und  Kautschuk  mit  einander.  Er  löst  5j  Gutta  percha  in  5j 
Benzol  (flüchtiges  Princip  der  Kohlennaphtha)  und  gr.  x  Kautschuk  in 
derselben  Menge  Benzol  bei  gelinder  Wärme  auf,  mischt  dann  beide  in 
gleichen  Verhältnissen  zusammen  und  trägt  die  Masse  mit  einem  Pinsel 
auf.  —  Gutta  percha  wird  weder  durch  Aezkalilauge ,  verdünnte  Säuren, 
noch  von  Harnsäure  oder  irgend  einer  thierischen  Flüssigkeit  angegriffen. 
Nur  concentrirten  Säuren  widersteht  sie  nicht.  —  In  neuerer  Zeit  wird 
auch  Guttaperchapapier  in  Gebrauch  gezogen,  welches  sich  durch  Hervor- 
rufung einer  stark  vermehrten  Hautausdünstimg  auszeichnet ,  in  welcher 
Eigenschaft  es  sich  hauptsächlich  bei  acutem  und  chronischem  Rheuma- 
tismus und  bei  der  Gicht  nüzlich  erweist. 

Gipsverband.  Dieser  schon  in  den  ältesten  Zeiten  bekannte 
Verband  wurde  ausschliesslich  bei  Fracturen  des  Unterschenkels  und  zwar 
vorzüglich  bei  schiefen  Brüchen  in  der  Nähe  des  Fussgelenkes  angewen- 
det, wo  eine  stete  Ausdehnung  schwer  zu  bewerkstelligen  ist.  —  Um  den 
Gypsguss  zu  machen,  ist  ein  entsprechend  langer  und  breiter  Kasten,  des- 
sen Wände  zum  Herabklappen  und  Wegnehmen  eingerichtet  sind,  nöthig. 
Das  Innere  des  Kastens  sowie  den  Unterschenkel ,  der  eingehüllt  werden 
soll ,  bepinselt  man  zuvor  mit  Oel.  Wickelt  man  das  Glied  mit  Binden 
ein ,  so  beölt  man ,  statt  des  Unterschenkels ,  diese.  Man  mischt  eine 
Meze  ganz  weissen ,  nicht  frisch  gebrannten  pulverisirten  Gyps  unter  ste- 
tem Umrühren  mit  ungefähr  8  Quart  Wasser,  so  dass  die  Masse  die  Con- 
sistenz  der  Buttermilch  hat.  Mehr  Gyps  würde  zu  viel  Hize  entwickeln 
und  zur  Verbrennung  des  Gliedes  Anlass  geben.  Diese  Mischung  wird 
über  den  schwebend  und  in  der  gehörigen  Ausdehnung  in  dem  Kasten 
gehaltenen  Unterschenkel  gegossen  nnd  lezterer  nach  Erkaltung  der  Masse 
entfernt ,  worauf  man  die  Gypshülse  auf  eine  Schwebe  stellt.  Will  man 
eine  Stelle  des  kranken  Gliedes  frei  ma'chen ,  um  sie  beschauen  zu  kön- 
nen, so  schneidet  oder  bohrt  man  daselbst  ein  Loch  ein.  Man  kann  auch 
einen  Guss  bereiten ,  der  sich  jederzeit  bequem  abheben  lässt  und  mit 
dessen  Hülfe  man  auf  den  obern  Theil  des  Unterschenkels  kalte  Um- 
schläge  machen   oder  eine   daselbst  befindliche  Wunde   verbinden  kann. 


GYPSVERBAND.  375 

Man  giesst  zu  diesem  Behufe  den  Kasten  nur  so  weit  voll ,  dass  das 
Schienbein  über  die  Fläche  des  Gypses  hervorragt ,  drückt  in  die  leztere, 
ehe  sie  ganz  erhärtet ,  mehrere  Gruben  mit  dem  Finger  ein ,  überstreicht 
sie  dann  überall  mit  Oel ,  giesst  darauf  den  Kasten  voll  und  erhält  so 
einen  Deckel ,  welcher  in  jene  Gruben  der  ersten  Schicht  mit  ebenso  vie- 
len Zapfen  eingreift  und  daher  hinlänglich  fest  liegt.  Die  scharfen  Rän- 
der des  ersten  Gusses  kantet  man  ab.  —  Auch  beim  Klumpfusse  wurde 
der  Gypsverband  angewendet.  —  In  neuester  Zeit  hat  der  Gyps  bei  der 
Behandlung  der  Knochenbrüche  eine  von  der  frühern  ganz  verschiedene 
Anwendungsweise  gefunden.  Seitdem  nämlich  die  unbeweglichen  Bruch- 
verbände eine  grössere  Verbreitung  gefunden  haben,  ging  das  Bestreben 
der  AVundärzte  dahin,  eine  schnell  trocknende  Substanz  aufzufinden.  So 
kam  man  auch  wieder  auf  den  Gyps,  welcher  zu  dem  angegebenen  Zwecke 
in  ziemlich  übereinstimmender  Weise  von  Mathie  s  e  n,  van  deLoo 
und  P  i  r  o  g  o  f  f  verwendet  wurde.  Der  Leztere  bediente  sich  einer  Mi- 
schung von  gleichen  Theilen  gepulverten  Gyps  und  Wasser ,  mit  welcher 
die  Verbandstücke  getränkt  werden.  Ein  mit  dieser  Mischung  herge- 
stellter Verband  ist  schon  in  8  Minuten  vollkommen  steif  und  für  Feuch- 
tigkeit und  Nässe  undurchdringlich.  Bei  einfachen  Brüchen  sind  bei 
diesem  Verbände  keine  Schienen  nöthig.  Nach  Einhüllung  des  gebro- 
chenen Gliedes  mit  trockener  Leinwand  und  Belegung  der  Ungleichheiten 
mit  Baumwolle ,  Werg  oder  Charpie  werden  (an  die  Stelle  der  Schienen) 
längliche  ,3  —  6  Zoll  breite  und  mit  der  Mischung  getränkte  dicke  Com- 
pressen  von  grober  Leinwand  der  Länge  des  Gliedes  nach  angelegt  und 
diese  hierauf  mit  andern  gleichfalls  getränkten  (zum  Unterschiede  von 
jenen  Streifen  genannten)  ähnlich  zubereiteten  Verbandstücken  1 4/2 — 2 
Mal  kreisförmig  umgeben.  Händelt  es  sich  von  einem  Verbände ,  der 
längere  Zeit  zu  seiner  Anlegung  erfordert ,  so  kann  man  das  rasche  Er- 
härten des  Gypses  willkürlich  durch  Zusaz  von  ein  wenig  dünn  gekochtem 
Tischlerleim  verlangsamen.  Um  diesen  unbeweglichen  Verband,  von  dem 
Erfinder  Gypsklebeverband  genannt ,  wenn  es  nöthig  ist ,  enger 
machen  zu  können  ,  legt  P  i  r  o  g  o  f  f  die  der  Länge  des  Glieds  nach  an- 
gelegten Verbandstücke  (von  ihm  Schienen  genannt)  nach  vorn  so  an, 
dass  sie  sich  nicht  ganz  berühren,  und  bringt  ein  langes  in  Oel  getränk- 
tes Band  in  die  Lücke ,  ebenso  tränkt  er  die  der  Lücke  entsprechenden 
Stellen  der  Streifen  mit  Oel ,  welches  leztere  die  Verbindung  der  Gyps- 
lösung  hindert  und  gestattet ,  dass  man  späterhin  die  ganze  Kapsel  auf- 
schneiden kann.  Auch  Fenster  lassen  sich  bei  complicirten  Brüchen  ganz 
leicht  anbringen.  Bei  Schiefbrüchen  kann  man  Schienen  von  Pappe  und 
Holz  anwenden. 


376  HAARSEIL. 


H. 


HciaXSeil,  Eiter  band,  Setaceum,  Seton  nennt  man  einen 
an  beiden  Rändern  ausgefranzten  Leinwandstreifen  oder  eine  aus  meh- 
reren Fäden  bestehende  Schnur  von  Baumwolle  oder  Seide,  welche  in  die 
Haut  oder  in  irgend  eine  Geschwulst  eingezogen  werden ,  um  eine  fort- 
dauernde Ableitung,  einen  gehörigen  Grad  von  Entzündung,  die  Verklei- 
nerung irgend  einer  Geschwulst  durch  anhaltende  Eiterung,  oder  die 
Durchgängigmachung  irgend  eines  Ganges  zu  bezwecken.  —  Man  kann 
das  Haarseil  überall  anwenden ,  wo  die  Haut  sich  in  eine  Falte  erheben 
lässt.  Gewöhnlich  wird  es  bei  Krankheiten  des  Kopfes  im  Nacken ,  bei 
denen  der  Brust  an  dem  vordem  und  seitlichen  Theil  derselben  zwischen 
zwei  Rippen ,  bei  Krankheiten  des  Unterleibes  am  Oberschenkel  oder 
Oberarme ,  bei  Krankheiten  der  Gelenke  in  der  Nähe  dieser  in  Anwen- 
dung gebracht.  Im  Allgemeinen  sind  auch  hier ,  wie  beim  Fontanell? 
Stellen,  unter  denen  unmittelbar  Knochen,  starke  Muskeln  etc.  liegen,  zu 
vermeiden.  —  Soll  das  Haarseil  durch  die  Haut  gezogen  werden,  so  ge- 
schieht dies  am  besten  mit  der  Haarseilnadel ,  in  deren  breites  Queröhr 
der  ausgefranzte  V2 — 3/4  Zoll  breite  und  1  —  2  Ellen  lange  Leinwand- 
streif oder  die  Schnur  glatt  eingefädelt  ist.  Der  Wundarzt  erhebt  mit 
dem  Daumen  und  Zeigefinger  der  linken  Hand  mit  Unterstüzung  eines 
Gehülfen  die  Haut  in  eine  horizontale,  im  Nacken  aber  in  eine  senkrechte 
Falte ,  durchsticht  diese  etwas  über  ihrer  Basis  mit  der  geölten  Seton- 
nadel  in  die  Quere ,  und  zieht  das  Haarseil  so  weit  nach ,  dass  sein  ein- 
gefädeltes Ende  frei  zur  zweiten  Wundöffnung  hervorsieht.  Hat  man 
keine  Setonnadel  zur  Hand,  so  durchstösst  man  die  aufgehobene  Hautfalte 
mit  einer  Lancette  oder  einem  zweischneidigen  Bistouri ,  und  zwar  von 
unten  nach  oben,  und  führt  nun  unter  der  mit  der  Falte  etwas  erhobenen 
Klinge  das  Haarseil  entweder  mit  Hülfe  einer  geöhrten  Sonde,  oder  nach- 
dem das  Ende  desselben  durch  Aufträufeln  von  Siegellack  unbiegsam  und 
spizig  gemacht  worden  ist,  durch  den  Wundkanal.  Nachdem  die  NadelT 
die  Sonde  oder  das  belackte  Haarseilende  beseitigt  ist,  werden  die  Wund- 
öffnungen mit  besalbten  oder  beölten  Charpiebäuschen  bedeckt,  das  kür- 
zere Ende  des  Eiterbandes  mit  einem  Heftpflasterstreifen  befestigt ,  das 
längere  aber  in  ein  flaches  Päckchen  zusammengefaltet ,  in  Wachspapier 
und  Leinwand  eingewickelt  und  mit  Heftpflaster ,  Compresse  und  Binde 
so  befestigt ,  dass  es  von  der  Absonderung  nicht  verunreinigt  werden 
kann.  —  Bei  der  Einziehung  der  Eiterschnur  in  eine  Höhle,  welche  Flüs- 
sigkeit enthält ,  z.  B.  in  einen  Abscess ,  verfährt  man  wie  es  bei  den  Ab- 
scessen  angegeben  ist.  Soll  eine  Eiterschnur  durch  eine  Geschwulst  ge- 
zogen werden,  die  keine  Flüssigkeit  enthält,  so  bedient  man  sich  entweder 
einer  Setonnadel  oder  eines  Stilets  mit  einer  Trocartspize,  und  führt  die- 


HAEMORRHOID  ALKNOTEN.  377 

selben  nur  in  einer  solchen  Richtung  und  so  tief  durch  die  Masse  der 
Geschwulst,  dass  man  nicht  Gefahr  läuft,  bedeutende  Gefässe  oder  Ner- 
ven zu  verlezen.  —  Das  eingezogene  Eiterband  lässt  man  liegen,  bis 
Eiterung  eingetreten  ist,  was  in  3  — 4  Tagen  der  Fall  ist;  dann  nimmt 
man  den  Verband  ab,  weicht  die  in  den  Hautwunden  befindlichen  Krusten 
mit  warmem  Wasser  los  und  zieht  einen  frischen  Theil  des  Eiterbandes, 
nachdem  man  ihn  zuvor  mit  Oel  oder  einer  milden  Salbe  bestrichen  hat, 
in  den  Wundkanal  nach.  Das  alte  mit  Eiter  getränkte  Stück  wird  ab- 
geschnitten und  der  Verband  wie  früher  bestellt.  So  fährt  man  täglich 
ein  bis  zwei  Mal  fort ,  und  wenn  das  Haarseil  beinahe  verbraucht  ist ,  so 
näht  man  an  den  Rest  ein  neues  an,  welches  man  mit  dem  alten  einzieht. 
—  Verursacht  das  Haarseil  heftigen  Schmerz  und  Entzündung,  so  macht 
man  es  dünner,  bestreicht  es  mit  milden  Salben  und  bedeckt  die  Wunden 
mit  Breiumschlägen.  Ist  die  Eiterung  nicht  reichlich  genug,  so  verstärkt 
man  entweder  die  Dicke  des  Eiterbandes  oder  bestreicht  es  mit  reizenden 
Salben ,  z.  B.  Digestiv-  oder  Cantharidensalbe.  Wird  die  Eiterung  zu 
profus ,  so  wendet  man  innerlich  und  äusserlich  stärkende  Mittel  an.  — 
Man  hüte  sich,  die  Hautbrücke  zu  schmal  zu  machen  und  das  Haarseil  zu 
flach  unter  der  Haut  fortzuführen ;  in  beiden  Fällen  wird  die  Haut  blau- 
roth,  dünn,  stirbt  ab  und  das  Haarseil  fällt  aus,  was  die  Herstellung  eines 
neuen  an  einer  andern  Stelle  nöthig  macht.  —  Entsteht  beim  Durch- 
stechen der  Setonnadel  bedeutende  Blutung ,  so  suche  man  sie  durch 
Druck  oder  kalte  Umschläge  zu  stillen;  gelingt  dies  nicht,  so  mus  man 
die  Hautbrücke  spalten  und  das  blutende  Gefäss  unterbinden.  —  Das 
Haarseil  ist  eines  der  durchgreifendsten  und  wirksamsten  Ableitungsmittel. 
Man  wendet  es  besonders  bei  Krankheiten  des  Gehirns  ,  der  Sinnorgane, 
des  Kehlkopfes ,  bei  Ansammlungen  von  Eiter  oder  Wasser  in  der  Brust- 
und  Unterleibshöhle,  in  den  Gelenkhöhlen,  bei  chronischen  Entzündungen 
dieser  Organe,  bei  kalten  und  tiefsizenden  Abscessen  etc.  an. 

HämatOCele,    s.  Hydrocele. 

Hämorrhoidalknoten,  Goldaderknoten,  Varices  hae- 
morrhoidales  sind  varicöse  Ausdehnungen  der  Venen  im  untern 
Theile  des  Mastdarms,  indem  sich  durch  die  Anhäufung  des  Blutes  in 
diesen  Gef  ässen  und  in  ihrer  Umgebung  widernatürliche  Beutel  und  Säcke 
von  verschiedener  Gestalt  und  von  der  Grösse  einer  Erbse  bis  zu  der 
einer  welschen  Nuss  bilden.  Sind  diese  Säcke  geschlossen  und  trocken, 
so  nennt  man  sie  blinde  Hämorrhoiden  (Haemorrhoides 
c  o  e  c  a  e)  ,  sind  sie  offen  und  ergiessen  sie  Blut ,  so  bezeichnet  man  sie 
mit  dem  Namen  fliessendeHämorrhoiden  (H.  fluentes,  aper- 
tae).  Haben  die  Geschwülste  eine  bedeutende  Grösse,  so  nennt  man  sie 
Sackhämorrhoiden  (H.  saccatae),  wenn  sie  klein  sind,  Zacken 
(Tubercula  haemorrhoidalia).  —  Sind  die  Knoten  von  einiger 
Grösse ,  so  sind  sie  nur  selten  noch  reine  varicöse  Erweiterungen  der  Ve- 


378  HAEMORRHOIDALKNOTEN. 

nen ,  sondern  Erweiterungen  des  Zellgewebes  in  Folge  von  Austritt  und 
Coagulation  von  Blut  in  dasselbe.  Durch  diese  verschiedene  Structur  der 
Hämorrhoidalknoten  wird  der  Unterschied  inVarices  haemorrhoi- 
d  a  1  e  s  und  eigentliche  Hämorrhoidalknoten  begründet ,  welche  leztere 
auch  Mariscae  genannt  werden.  —  Die  erste  Wirkung  einer  Hämor- 
rhoidalgeschwulst  ist ,  was  auch  die  primäre  Entstehungsweise  gewesen 
sein  mag ,  Loslösung  der  Schleimhaut  von  der  Muskelhaut  und  dadurch 
Verengerung  des  Kanales.  Nach  und  nach  wird  durch  die  schleichende 
Entzündung  Serum  und  Exsudat  in  den  Geschwülsten  erzeugt ,  und  die 
wiederholten  Anstrengungen  während  des  Stuhlganges  treiben  dieselben 
immer  tiefer  herab  und  bringen  sie  endlich  zum  Austritte  aus  dem  Darm- 
rohre. Durch  die  Contractionen  des  Sphincter  ani  wird  auf  die  pa- 
thologischen Producte  ein  Druck  ausgeübt ,  was  bedeutende  Schmerzen, 
zeitweise  erhöhten  Entzündungszustand  etc.  zur  Folge  hat.  —  Sym- 
ptome. Die  Hämorrhoidalknoten ,  welche  an  dem  äussern  Rande  des 
Afters,  an  der  innern  Seite  des  Mastdarms,  in  der  Gegend  des  Sphincters 
oder  oberhalb  desselben  sizen  können,  stellen  sich  als  bläulich  rothe,  ela- 
stische ,  zuweilen  aber  auch  (wenn  das  Blut  in  ihnen  geronnen  ist)  als 
harte,  glatte  Geschwülste  dar,  welche  unter  ziehenden,  drückenden,  reis- 
senden Schmerzen  im  Kreuze  periodisch  anschwellen  und  dann  wieder 
schlaff  werden ,  so  dass  nur  die  leeren  Beutel  zurückbleiben.  Sind  sie 
fliessend,  so  stellt  sich  ein  periodischer  Blutfluss  ein ,  der  oft  mit  grosser 
Erleichterung  für  den  Kranken  verbunden  ist,  nicht  selten  aber  auch  den- 
selben sehr  schwächt  und  selbst  in  Lebensgefahr  sezt.  —  Wenn  die  Hä- 
morrhoidalknoten eine  bedeutende  Grösse  erreichen,  und  wenn  die  hinter 
dem  Sphincter  gelegenen  Geschwülste  beim  Stuhlgange  hervorgetrieben 
werden ,  so  werden  sie  öfters  durch  die  Afteröffnung  eingeklemmt ,  wo  sie 
dann  bedeutend  anschwellen,  ausserordentlich  schmerzhaft,  in  Entzündung 
versezt  und  selbst  brandig  werden  können.  Dabei  stellt  sich  ein  höchst 
schmerzhafter  Zwang  ein,  dieLIoden  werden  krampfhaft  gegen  den  Bauch- 
ring gezogen  und  der  Schmerz  verbreitet  sich  oft  über  den  ganzen  Unter- 
leib. —  Manchmal  gehen  die  Hämorrhoidalknoten  in  Eiterung  über ,  in 
welchem  Falle  durch  die  Verbreitung  des  Eiters  in  dem  leeren  Zellgewebe 
bedeutende  Zerstörungen  und  Fisteln  veranlasst  werden  können.  Zuwei- 
len kommt  es  auch  zur  Degeneration  der  Mastdarmschleimhaut.  —  Ur- 
sachen. Diese  sind  ausser  der  Prädisposition ,  welche  schon  in  dem 
aufrechten  Gange ,  dem  ohnedies  beschwerlichen  Rückflusse  des  Blutes  in 
dem  Pfortadersystem ,  welches  keine  Klappen  besizt ,  in  erblicher  Anlage 
und  dem  vermehrten  Zuflüsse  des  Blutes  zu  den  Organen  der  Unterleibs- 
höhle im  vorgerückten  Alter  gegeben  ist ,  der  häufige  Genuss  reizender 
Speisen  und  Getränke ,  Wein ,  Kaffee ,  Druck  des  schwangeren  Uterus, 
örtliche  Reizungen  des  Mastdarms  durch  harten  Koth ,  häufiges  Reiten, 
oder  der  nahegelegenen  Theile,  z.  B.  der  Blase  beim  Blasensteine  etc.  — 
Behandlung.      Diese  hat  sich  nach  dem  Zustande  zu  richten ,  in  wel- 


HAEMORR.HOIDALKNOTEN.  379 

chem  sich  die  Häniorrhoidalgeschwülste  befinden.  —  Sind  sie  entzündet, 
so  wendet  man  neben  der  Anordnung  einer  kühlenden  Diät,  grösster 
Ruhe  und  horizontaler  Lage ,  Ricinusemulsionen  mit  Nitrum ,  spater  den 
Cremor  tartari  mit  Schwefel ,  Blutegel  an  das  Mittelfleisch ,  Ueber- 
schläge  von  Bleiwasser ,  Bestreichen  mit  Ungt.  althaeae,  Leinöl,  fri- 
scher Butter,  Fomente  von  Chamillen,  Flieder  mit  Milch ,  lauwarme  Was- 
ser- und  Dampfbäder  an.  Ist  die  Entzündung  Folge  der  Einklemmung 
der  Knoten ,  so  sucht  man  sie  mit  den  beölten  Fingern  zurückzubringen, 
wobei  der  Kranke  mit  dem  Steisse  hoch  liegen  und  sich  alles  Drängens 
enthalten  muss  ,  und  wenn  dies  nicht  leicht  geht ,  so  entleert  man  sie  mit 
einem  einfachen  Lancettstich.  Ist  die  Entleerung  mehr  krampfhafter 
Art ,  so  verbindet  man  die  antiphlogistischen  Mittel  mit  Antispasmodicis 
und  sezt  an  die  Stelle  der  kalten  Umschläge  milde  Oeleinreibungen,  milde 
Salben  mit  Opium ,  Hyoscyamus  ,  Belladonna ,  narkotische  Fomentationen 
und  Dampfbäder.  Bei  zurückbleibendem  Torpor  der  Knoten  nach  ge- 
hobener Entzündung  passt  Rust's  Mischung:  Rp.  Ungt.  saturn.  ^ß, 
AI  um.  crud.  5jj  ,  Opii  puri  513.  M.  S.  Mittels  Leinwandläppchen 
aufzulegen.  - —  Geht  die  Entzündung  in  Eiterung  über ,  so  muss  diese 
durch  die  Anwendung  feuchter  Wärme  befördert  und  der  Abscess  zeitig 
geöffnet  werden.  —  Droht  die  Blutung  erschöpfend  zu  werden ,  so  gebe 
man  innerlich  neben  strenger  Ruhe  Schafgarbe,  Mineralsäuren,  Eisensalze, 
z.  B.  Rp.  Extr.  millefol.  ^j  Limat.  mart.  alcohol.  5jj  ,  Pulv. 
c  o  r  t.  c  i  n  n  a  m.  q.  s.  u  t  f.  p  i  1 1.  g  r.  jj  ,  c  o  n  s  p.  c.  pulv.  c  i  n  n  a  m. 
D.  S.  Dreimal  täglich  3  —  5  Pillen;  äusserlich  dienen  kalte  Sizbäder, 
kaltes  Wasser  mit  Essig ,  mit  Weingeist ,  kalte  Decocte  von  zusammen- 
ziehenden Kräutern  oder  Auflösungen  von  Alaun  etc.  als  Einsprizungen 
in  den  Mastdarm  oder  als  Fomentationen  mit  einem  Schwamm ,  Tampo- 
nade. —  Wenn  die  Knoten  wegen  ihrer  Grösse  oder  ihrer  Verhärtung  etc. 
andauernde  Beschwerden  verursachen ,  ausserhalb  des  Mastdarms  liegen 
oder  bei  jedem  Stuhlgange  vorfallen  und  die  Kothausleerung  hindern ,  so 
müssen  sie  durch  ein  operatives  Verfahren  entfernt  werden.  Hängen  die 
Hämorrhoidalknoten  von  einem  innern  Leiden  ab ,  so  entferne  man  nicht 
alle,  sondern  nur  die  grösseren,  härteren  und  schmerzhafteren ,  weil  sonst 
nachtheilige  Zufälle  für  den  Gesammtorganismus  entstehen  könnten.  — 
Die  Entfernung  der  Hämorrhoidalknoten  geschieht  entweder  durch  Ex- 
stirpation  oder  Unterbindung  oder  Cauterisation.  Vor  der  Operation 
wird  der  Darmkanal  durch  ein  Klystier  entleert ,  der  Kranke  auf  den 
Bauch  gelegt  mit  erhöhtem  Steisse,  ein  Gehülfe  zieht  die  Hinterbacken 
auseinander  und  der  Kranke  presse  wie  beim  Stuhlgange  die  Knoten  her- 
vor. —  Die  Exstirpation  ist  angezeigt ,  wo  äussere  Hämorrhoidal- 
knoten weggenommen  werden  sollen.  Man  fasst  den  Knoten  mit  einer 
Pincette ,  einem  spizen  Haken  oder  mit  einer  dnrchgezogenen  Faden- 
schlinge, zieht  ihn  an  und  schneidet  ihn  mit  der  C  o  o  p  e  r '  sehen  Scheere 
so  ab  ,  dass  noch  etwas  an  der  Basis  desselben  zurückbleibt ,  wodurch  die 


380 


HALFTER. 


Wunde  zum  Theil  bedeckt,  die  Nachblutung  und  eine  zu  knappe  Ver- 
narbung verhindert  wird.  Die  Blutung  ist  selten  bedeutend  und  wird 
gewöhnlich  durch  Zusammendrängung  der  Wunde  durch  den  Sphincter 
gestillt ;  im  Nothfalle  tamponirt  man  oder  applicirt  ein  bohnenf  örmiges 
glühendes  Eisen  auf  die  Wunde.  —  Die  Unterbindung  passt  beson- 
ders bei  inneren  Hämorrhoidalknoten.  Der  vorgedrängte  Knoten  wird 
mit  einer  Pincette  oder  einem  Haken  fixirt,  seine  Basis  mit  einer  starken 
Ligatur  umgeben,  diese  fest  zugezogen,  der  Knoten  dann  mit  einer  Lan- 
cette  angestochen ,  um  ihn  zu  entleeren ,  und  hierauf  die  Ligatur  noch- 
mals so  fest  als  möglich  zusammengezogen.  Ist  der  Knoten  gross ,  hat 
man  zu  besorgen,  dass  die  Ligatur  abgleite,  so  sticht  man  eine  Nadel  mit 
doppeltem  Faden  durch  die  Basis  des  Knotens ,  theilt  die  Ligatur  und 
bindet  den  Knoten  nach  zwei  Seiten  hin  ab  (s.  den  Art.  Abbinden), 
worauf  man  wieder  die  Eröffnung  vornimmt.  Nachdem  die  Fadenenden 
dicht  am  Knoten  abgeschnitten  worden  sind ,  bringt  man  den  Hämorrhoi- 
dalsack  in  den  Mastdarm  zurück.  Die  Ligatur  fällt  in  wenigen  Tagen 
ab.  C  h  a  s  s  a  i  g  n  a  c  bedient  sich  hier  auch  seines  Ecraseurs  (s. 
Abbinden),  zu  welchem  Behufe  er  die  Hämorrhoidalgeschwülste  vor- 
her stielt.  Bei  breiter  Basis,  halb  innen,  halb  aussen  liegend,  sticht  man 
eine  krumme  Nadel  durch  und  bildet  einen  Stiel.  Es  fliesst  kein  Blut, 
in  1 0  Minuten  ist  Alles  vorbei  und  die  Wunde  heilt  rasch.  —  Die  C  a  u  - 
terisation  wird  besonders  von  französischen  und  englischen  Aerzten 
geübt.  Houston  touchirt  die  nach  aussen  gezogenen  Knoten  mit  einem 
in  Salzsäure  getauchten  Holzstäbchen  überall  und  schiebt  sie  darauf  mit 
diesem  Stäbchen  in  den  Mastdarm  zurück.  Die  Folge  davon  soll  reich- 
liche Eiterung  aus  dem  After  und  baldige  Heilung  sein.  H  u  t  i  n  benüzte 
mit  demselben  Erfolge  die  Wiener  Aezpaste  bis  zur  Mortification  der 
Knoten ,  während  Amussat  mit  demselben  Mittel  (und  zwar  in  festem 
Zustande)  den  Stiel  der  Geschwulst  bis  zur  völligen  Mortification  caute- 
risirt ,  dann  das  Contentum  der  Geschwulst  durch  einen  Lancettstich  ent- 
leert, kaltes  Wasser  einsprizt  und  hierauf  alles  in  das  Rectum  zurück- 
gleiten lässt.  H.Lee  wendet  die  concentrirte  Salpetersäure  an ,  aber 
nicht  auf  die  Knoten  selbst,  sondern  auf  die  umgebende  Schleimhaut,  und 
rechnet  dabei  nach  Erzielung  der  Narbenbildung  auf  allmälige  spontane 
Verödung  der  Knoten.  L  i  s  f  r  a  n  c  touchirt  die  Knoten  leicht  mit  Höl- 
lenstein. Velpeau  wandte  in  einem  mit  Fissuren  verbundenen  Falle 
ein  Glüheisen  in  Gestalt  eines  Flaschenstöpsels  auf  die  ganze  Masse  an 
und  reponirte  diese  mit  dem  Glüheisen  ,  um  auch  die  innen  gelegenen 
Theile  zu  treffen. 

HämOSpasie,  s.  Schröpfen. 

Xialrter,  C  a  p  i  s  1 t  u  m ,  ist  ein  Verband,  welcher  bei  Verlezungen 
des  Unterkiefers  zur  Anwendung  kommt.  Man  hat  eine  einfache  und 
doppelte  Halfter.  —  Zur  Herstellung  der  einfachen  Halfter,  Ca- 


HALFTER.  381 

p  i  s  t  r  u  m  s  im  p  1  e  x  ,  nimmt  man  eine  (>  —  7  Ellen  lange  ,  2  Daumen 
breite  und  auf  einen  Kopf  gerollte  Binde.  Ist  die  Verlezung  auf  der 
linken  Seite  des  Unterkiefers,  so  fängt  man  mit  der  Binde  im  Nacken  an, 
führt  die  Rolle  über  dem  rechten  Ohre  zweimal  um  den  Kopf,  um  das 
Ende  der  Binde  zu  befestigen.  Ist  man  mit  der  Binde  wieder  im  Nacken 
angekommen,  so  führt  man  sie  unter  dem  rechten  Ohre  vorwärts  über  den 
vordem  Theil  des  Halses  bis  zum  Ort  der  Verlezung ,  steigt  dann  über 
den  kranken  Kiefer  neben  dem  äussern  Augenwinkel  in  die  Höhe ,  geht 
schräg  über  den  Scheitel ,  hinter  dem  rechtem  Ohre  herunter  und  unter 
dem  Kinn  vorwärts  bis  wieder  zur  verlezten  Stelle.  Ueber  diese  steigt 
man  auf  dieselbe  Art,  wie  bei  der  vorigen  Tour,  und  zwar  so,  dass  diese 
nach  hinten  zur  Hälfte  bedeckt  wird ,  in  die  Höhe.  Auf  dem  Scheitel 
führt  man  die  Tour  etwas  nach  vorwärts  und  geht  hinter  dem  rechten 
Ohre  bis  in  den  Nacken  hinab ,  über  die  kranke  linke  Seite ,  und  macht 
zwei  Zirkelgänge  um  das  Kinn.  Dann  läuft  man  nach  der  kranken  Seite 
um  den  Hals  und  steigt  über  den  rechten  Kiefer  und  die  Wange  neben 
dem  äussern  Augenwinkel  in  die  Höhe  schräg  über  den  Scheitel  weg  und 
hinter  dem  linken  Ohre  nach  dem  Nacken  hinab  bis  wieder  zur  gesunden 
Seite.  Von  hier  geht  man  unter  dem  Kinn  weg  und  zum  dritten  Male 
über  die  kranke  Seite ,  allein  hier  noch  etwas  weiter  vorwärts  als  beim 
zweiten  Gang ,  dann  wieder  hinter  dem  rechten  Ohr  in  den  Nacken  nach 
der  kranken  Seite  zu  und  über  das  Ohr  derselben  Seite  nach  der  Stirne 
hin  in  die  Höhe ,   und   endigt   die  Binde   in  Zirkelgängen  um   den  Kopf. 

—  Dieser  Verband  dient  bei  Schiefbrüchen  des  Unterkiefers  ;  ist  dieser 
in  die  Quere  gebrochen,  so  fängt  man  gleich  nach  den  Zirkelgängen  um 
den  Kopf  mit  den  Gängen  schief  über  das  Kinn  und  das  Hinterhaupt   an. 

—  An  den  Kreuzungsstellen  heftet  man  die  Touren  aneinander.  —  Die 
doppelte  Halfter,  Capistrum  duplex,  erfordert  eine  etwas 
längere  Binde ,  als  die  vorige ,  sonst  ist  sie  ihr  gleich.  Man  rollt  zuerst 
ein  Stück  von  einer  Elle  Länge  ab,  legt  die  Mitte  dieses  Stücks  unter  das 
Kiun,  leitet  das.  Ende  über  die  rechte  Wange  zum  Scheitel  und  führt  den 
Bindenkopf  den  gleichen  Weg  auf  der  linken  Seite  zum  Scheitel ,  so  dass 
er  sich  mit  dem  Ende  der  andern  Seite  hier  kreuzt.  Nun  geht  man  mit 
dem  Kopfe  hinter  dem  rechten  Ohre  hinab  ,  über  den  Nacken  und  die 
linke  Seite  des  Halses  weg  bis  unter  das  Kinn.  Hierauf  steigt  man  wie- 
der über  die  rechte  in  die  Höhe ,  so  dass  die  zweite  Tour  die  erste  zur 
Hälfte  bedeckt,  und  geht  schräg  über  den  Scheitel  und  hinter  dem  linken 
Ohre  über  den  Nacken  hinab  ,  unter  dem  rechten  Ohre  vor  bis  wieder 
unter  das  Kinn.  Von  hier  steigt  man  wieder  über  die  linke  Wange  in 
die  Höhe ,  schräg  über  den  Scheitel ,  wo  die  Touren  sich  kreuzen ,  dann 
hinter  dem  rechten  Ohre  hinab,  über  den  Nacken  weg,  unter  dem  linken 
Ohre  vor,  über  das  Kinn  und  wieder  nach  dem  Nacken.  Diese  lezte 
Tour  um  das  Kinn  wiederholt  man  noch  einmal ,  und  nachdem  die  Binde 
unter  dem  linken  Ohre  vorwärts   bis   unter   das-  Kinn   geführt  ist ,  macht 


382  HALSFISTELN. 

man  eine  dritte  Hobeltour  über  die  rechte  WaDge ,  den  Scheitel  und 
Nacken  und  auf  gleiche  Weise  über  die  linke  Wange  bis  zum  Nacken, 
worauf  man  die  Binde  in  Zirkelgängen  um  den  Kopf  endigt.  —  Einige 
legen  die  doppelte  Halfter  mit  einer  zweiköpfigen  Binde  an.  Der  Grund 
der  Binde  wird  unter  dem  Kinn  angelegt ,  dann  führt  man  beide  Köpfe 
über  die  Wange  zum  Scheitel,  kreuzt  sie  da,  geht  hinter  den  Ohren  zum 
Nacken  hinab ,  kreuzt  sie  nochmals ,  steigt  mit  den  Köpfen  hinter  den 
Ohren  wieder  zum  Scheitel  empor  und  nach  geschehener  Kreuzung  über 
die  Wangen  hinab  unter  das  Kinn.  Hier  werden  die  Köpfe  nochmals  ge- 
wechselt ,  ein  dritter  Hobelgang  wie  zuerst  gemacht  und  die  Binde  in 
Zirkelgängen  um  den  Kopf  geendigt.  —  Wie  die  einfache  Halfter  für  den 
einfachen  Bruch ,  so  ist  die  doppelte  für  den  auf  beiden  Seiten  gebroche- 
nen Unterkiefer  bestimmt ;  auch  bei  Luxationen  dieses  Knochens  finden 
beide  ihre  Anwendung. 

Halsflstelll,  Fistulae  colli.  An  der  vordem  Halsfläche 
kommen  Fisteln  vor ,  die  angeboren  oder  erworben  sein  können.  Die 
angeborene  Halsfistel  (Fistula  colli  congenita)  ist  als 
Bildungshemmung  zu  betrachten  und  mündet  entweder  in  den  Pharynx 
(Pharyngeal fistel)  oder  endet  blind.  Leztere  gehören  ihrer  Lage 
und  Beschaffenheit  nach  in  der  Mehrzahl  zu  den  Pharyngealfisteln.  Diese 
angebornen  Fisteln  kommen  höchst  selten  vor ,  scheinen  zuweilen  erblich 
zu  sein  und  wurden  in  manchen  Fällen  erst  zur  Zeit  der  Pubertät  bemerkt, 
indem  alsdann  die  Absonderung  ihrer  Wandungen  sich  vermehrte.  Bis 
jezt  wurden  sie  häufiger  bei  weiblichen  als  bei  männlichen  Individuen  be- 
obachtet. —  Die  Pharyngealfisteln  sind  als  Folge  nicht  vollstän- 
diger Verwachsung  der  im  Fötalzustande  am  Halse  befindlichen  Kiemen- 
oder Visceralspalten  zu  betrachten.  Die  davon  zurückbleibende  in  der 
Regel  kleine  Fistel  ist  meistens  einfach,  häufiger  auf  der  rechten  als  linken 
Seite,  und  wenn  zwei  Fisteln  da  sind,  so  ist  die  rechte  in  der  Regel  wei- 
ter als  die  linke.  Bisweilen  sieht  man  mehrere  Oeffnungen  übereinander. 
Die  äussere  Mündung  der  Fistel  findet  sich  entweder  zwischen  den  beiden 
Köpfen  des  Sternocleidomastoideus  oder  am  innern  Rande  des- 
selben mehr  oder  weniger  vom  Schlüsselbein  entfernt.  Die  Oeffnung  ist 
gewöhnlich  so  eng,  dass  selbst  die  feinsten  Sonden  nicht  eingeführt  wer- 
den können.  Die  Haut  in  der  Umgebung  ist  zuweilen  etwas  geröthet 
und  aufgewulstet,  meist  aber  nur  leicht  eingezogen.  Die  geringe  Abson- 
derung aus  der  Fistel  ist  bald  dünn  und  wässerig ,  bald  klebrig  eiweiss- 
artig,  selten  purulent  und  findet  zuweilen  nur  periodisch  statt.  Gewöhn- 
lich kann  die  Sonde  nur  eine  Strecke  weit  eingeführt  werden ;  in  andern 
Fällen  lässt  sich  durch  die  Haut  ein  härtlicher  Strang  fühlen,  der  gegen 
den  Schlundkopf  hin  verläuft.  Meistens  zeigt  der  Gang  am  Ende  oder 
hinter  der  äussern  Mündung  eine  sackartige  Erweiterung.  Selten  gelingt 
es   wegen   der  Enge   und   der  Biegungen   des   Ganges ,   eine  Sonde  ganz 


HALS,   SCHIEFER.  383 

durchzuführen.  —  Behandlung.  Da  das  Uebel  keine  Beschwerden 
verursacht ,  so  überlässt  man  es  am  besten  sich  selbst.  Heilversuche  mit 
reizenden  Injectionen  hatten  sogar  den  Tod  zur  Folge.  Neuhofer 
schlägt  vor,  den  Kanal  mit  einem  in  concentrirte  Salpetersäure  getauchten 
Silberdraht  zu  cauterisiren.  —  Die  Trachealfi stein  beruhen  auf 
medianer  Spaltung  in  Folge  von  unvollständiger  Vereinigung  derVisceral- 
wülste.  Man  findet  sie  daher  in  der  Mittellinie  des  Halses  in  der  Form 
einer  mehr  oder  weniger  langen  und  tiefen  Spalte  ,  welche  in  einen  meist 
blind  endigenden  Fistelgang  führt.  Ist  die  Fistel  penetrirend,  so  gelingt 
es  bisweilen,  die  Sonde  bis  in  das  Luftrohr  zu  führen  oder  es  dringt  Luft 
aus  der  Fistel.'  Die  Heilung  kann  durch  Wundmachung  der  Fistelränder 
versucht  werden.  —  Erworbene  Hals  fisteln.  Diese  können  die 
Folgen  von  Schuss-,  Stich-  etc.  Wunden,  Abscessen  u.  dgl.  sein,  bald 
nur  einen ,  bald  mehrere  oberflächliche  und  tiefe  Fistelgänge  zeigen  und 
mit  dem  Kehlkopfe  oder  der  Luftröhre  in  Verbindung  stehen.  Wenn 
diese  Fisteln  vollkommen  sind ,  so  dringt  je  nach  ihrer  Weite  mehr  oder 
weniger  Luft  hervor.  Bei  grossen  Oeffhungen  respirirt  der  Verlezte  allein 
durch  die  Fistel  und  die  Stimme  ist  verloren ,  doch  stellt  sich  diese  so- 
gleich wieder  ein,  wenn  die  Oeffnung  zugehalten  wird.  Unvollkommene 
Fisteln  des  Kehlkopfs  und  der  Luftröhre ,  wie  solche  durch  Abscesse  in 
deren  nächster  Nähe  bisweilen  hervorgebracht  werden  ,  veranlassen  mehr 
oder  weniger  Emphysem  der  vordem  Halsgegend  (Luftkropf).  Bei  Fisteln 
zwischen  Zungenbein  und  Schildknorpel  strömt  nicht  viel  Luft  durch  die 
Fistel,  dagegen  ergiessen  sich  durch  dieselbe  noch  Mundschleim,  Speichel, 
Getränke.  —  Man  kann  die  Schliessung  der  Luftfisteln  durch  Wund- 
machen derFistelränder  und  Heftung  der  Wunde,  durch  Cauterisation 
oder  Einheilung  eines  Hautlappens  versuchen.  Schlägt  dies  fehl,  so  lässt 
man  eine  gut  anliegende  Deckplatte  von  Metall,  Hörn,  Gutta  percha  etc. 
tragen.  —  Communicationen  zwischen  dem  Luft-  und 
Speiserohr  am  Halse  sind  selten.  Abscesse  und  penetrirende Wunden 
dieser  Gebilde  können  sie  herbeiführen.  Von  der  Weite  und  Richtung 
des  Fistelganges  hängt  es  ab,  dass  mehr  oder  weniger  leicht  flüssige  Nah- 
rungsmittel in  das  Luftrohr  gelangen  und  Hustenanfälle  bewirken.  Von 
einer  Behandlung  kann  keine  Rede  sein ,  nur  palliative  Hülfe  durch  An- 
wendung der  Schlundsonde  ist  möglich. 

Hals,  Schiefer,  Caput  obstipum,  Cervix  obstipa, 
Torticollis,  Obstipitas  capitis,  bezeichnet  eine  Deformität, 
deren  Ursache  am  Halse  zu  suchen  ist,  deren  Wirkung  aber  sich  am  Kopfe 
äussert.  Dieser  ist  nämlich  nach  rechts  oder  links  oder  auf  das  Brustbein 
gebeugt.  In  den  einfachsten  Graden  ist  der  Kopf  bloss  auf  die  Seite  ge- 
zogen, bildet  gleichsam  eine  geringe  permanente  Seitenbewegung,  welche 
nicht  sehr  belästigt.  Ist  indessen  die  Schiefheit  bedeutender,  wirkten 
die  sie  erzeugenden  Ursachen  mit  grösserer  Kraft,  so  steht  das  Kinn  nach 


384  HALS,   SCHIEFER. 

oben,  der  Scheitel  des  Kopfes  ist  bis  zur  Schulter  herabgesenkt,  der  ganze 
Kopf  hat  sich  um  seine  Achse  gedreht,  so  dass  das  Gesicht  nach  der  ent- 
gegengesezten  Seite  hinsieht.  Der  Hals  erscheint  auf  der  Seite ,  welcher 
das  Gesicht  zugewandt  ist  und  auf  welcher  das  Ohr  höher  steht ,  länger 
und  breiter  als  auf  der  andern  Seite ,  die  Haut  ist  gespannt  und  die  Mus- 
keln springen  nur  wenig  vor ;  auf  derjenigen  dagegen,  nach  welcher  der 
Kopf  geneigt  ist ,  sind  die  Muskelvorsprünge ,  namentlich  die  Sternalpor- 
tion des  Kopfnickers  ,  sehr  deutlich  zu  erkennen.  Der  Hals  scheint  hier 
kaum  zu  bestehen  und  die  entsprechende  Gesichtshälfte  ist  verkürzt, 
gleichsam  eingeschrumpft,  so  dass  das  Antliz  unsymmetrisch  erscheint,  wo- 
durch in  Verbindung  mit  der  Schiefstellung  des  Mundes  und  der  Augen 
eine  höchst  eigenthümliche  ,  gewissermassen  traurige  und  melancholische 
Physiognomie  bedingt  wird.  Die  Deformität  des  Gesichts  entwickelt  sich 
jedoch  erst  bei  längerem  Bestehen  des  Uebels.  Mit  dieser  Verkrümmung 
ist  Schmerz  auf  der  kranken  Seite  und  zuweilen  ein  Ziehen  im  Halse  ver- 
bunden. Die  Schulter  der  schiefen  Seite  steht  höher  als  die  andere.  — 
Ursachen.  Diese  liegen  entweder  in  den  weichen  Theilen,  in  der  Haut 
und  den  Muskeln  (O  b  s  t  i  p  i  t  a  s  muscularis),  seltener  in  dem  Knochen- 
system (O  b  s  t.  o  s  s  a  r  i  a)  ,  wo  entweder  Verschwärung  oder  Erweichung 
der  Halswirbel  oder  eine  Verwachsung  derselben  unter  einander ,  oder 
endlich  eine  allmälige  Krümmung  stattfindet,  wie  es  bei  Lastträgern  oder 
im  Greisenalter  beobachtet  wird.  Am  häufigsten  liegt  die  Ursache  des 
schiefen  Halses  in  den  den  M.  sternocleidomastoideus  betreffen- 
den krankhaften  Zuständen.  Die  abnorme  Contractilität  desselben  kann 
durch  Lähmung  des  entgegengesezten  Muskels  oder  durch  anhaltendes 
Zusammengezogensein  in  Folge  von  Gewohnheit,  oder  durch  anhaltenden 
Krampf,  oder  durch  Rheumatismus  und  Entzündung,  oft  durch  Druck  und 
Zerrung  bei  künstlichen  Geburten ,  durch  Verwachsung  desselben  mit  an- 
liegenden Theilen,  z.  B.  nach  grössern  Abscessen  am  Halse ,  Verkürzung 
der  Haut  durch  Narben  nach  Verbrennungen  und  Wunden  mit  Substanz- 
verlust bedingt  werden.  - —  Am  häufigsten  ist  der  schiefe  Hals  erworben, 
seltener  angeboren.  Im  leztern  Falle  beruht  er  meist  auf  unvollkommener 
Bildung  der  obern  Halswirbel  oder  auf  unvollkommener  Entwicklung  des 
M.  sternocleidomastoideus.  —  Prognose.  Sie  richtet  sich 
nach  den  Ursachen  und  der  Dauer  des  Uebels.  Fast  alle  veralteten  Fälle 
dieser  Art  sind  unheilbar ,  namentlich  wenn  sie  von  Verbildung  oder  ca- 
riöser  Zerstörung  der  Halswirbel  ausgehen ,  oder  wenn  die  verkürzten 
Muskeln  und  die  verkürzte  Haut  bedeutend  desorganisirt  sind  ;  im  ent- 
gegengesezten Falle  ist  die  Prognose,  besonders  bei. jungen  Subjecten, 
günstig.  —  Behandlung.  Die  Anwendung  dynamischer  Mittel  führt 
nur  selten  allein  und  höchstens  bei  beginnender  Verkrümmung  zum  Ziele. 
Die  Mittel,  die  man  anwendet,  sind :  erweichende,  zertheilende  Einreibun- 
gen ,  Kataplasmen  und  Dämpfe ,  womit  man  die  contrahirten  Muskeln  zu 
erschlaffen  sucht,  und  reizende  Einreibungen,  die  Electricität,  der  Galva- 


HALS,   SCHfEFER.  385 

nisnius,  vorzugsweise  wo  Lähmung  stattfindet,  um  die  erschlafften  Muskeln 
der  andern  Seite  zur  Contraction  zu  bringen.  Neben  diesen  Mitteln  müs- 
sen die  contrahirten  Muskeln  durch  Streichen  und  Kneten  zu  verlängern 
gesucht  werden ,  wohin  auch  die  allmälige  Dehnung  der  Muskeln  in  der 
Chloroformnarkose  gehört.  Ist  Krampf  oder  Entzündung  die  Ursache  der 
Verkrümmung,  so  wendet  man  die  entsprechenden  krampf-  und  entzün- 
dungswidrigen innern  und  äussern  Heilmittel  an.  Gegen  den  aus  einer 
Erkrankung  der  Wirbelsäule  hervorgegangenen  schiefen  Hals  darf  nur 
höchst  selten  und  immer  erst,  wenn  die  Entzündung  der  Wirbel  ganz  auf- 
gehört hat,  eine  Behandlung  eingeleitet  werden.  —  Um  den  Kopf  in  der 
geraden  Richtung  zu  erhalten  und  ihn  selbst  auf  die  entgegengesezte  Seite 
zu  ziehen ,  hat  man  verschiedene  Verbände  und  Maschinen  angegeben. 
Solche  sind  :  S  t  a  r  k  s  Gurtenverband,  R  i  c  h  t  e  r '  s  lederner  Kranz,  K  ö  h  - 
1  e  r  '  s  Müze  mit  Brustgürtel,  B  o  y  e  r  s  Maschine,  Jörgs,  LeVache  r's, 
Delacroix's  Vorrichtungen  etc.  Alle  diese  Verbände  für  sich  allein 
angewendet,  führen  nur  langsam  und  oft  höchst  unvollkommen  zur  Heilung 
und  stehen  dem  operativen  Verfahren  nach.  —  Der  Zweck  dieses  leztern 
ist  Trennung  der  contrahirten  Haut  oder  des  contrahirten  Muskels.  Wird 
die  Deformität  durch  Narben  bedingt ,  so  kann  durch  subcutane  Ab- 
lösung oder  Excision  derselben  in  einer  solchen  Richtung  und  Ausdeh- 
nung, dass  dadurch  einer  abermaligen  Verkürzung  vorgebeugt  wird,  Hülfe 
geleistet  werden.  Während  der  Heilung  muss  der  Kopf  durch  eine  der 
oben  angegebenen  Vorrichtungen  in  gerader  Richtung  erhalten  werden, 
um  eine  breitere  Narbe  zu  erzielen.  —  Die  Durchschneidung  de? 
contrahirten  M.  sternocleidomastoideus  verrichtet  man  nach 
Dieffenbach  auf  folgende  Weise:  der  Kranke  sizt  oder  liegt,  ein  hin- 
ter ihm  stehender  Gehülfe  neigt  den  Kopf  des  Patienten  nach  der  Seite 
des  verkürzten  Muskels,  um  ihn  möglichst  zu  erschlaffen,  ein  anderer  Ge- 
hülfe fixirt  die  Hände  und  den  Rumpf.  Der  Operateur  umfasst  mit  Dau- 
men und  Mittelfinger  der  linken  Hand  die  zu  durchschneidende  Portion 
des  Muskels  nahe  über  der  Clavicula,  zieht  sie  an  sich,  sticht  die  flach 
gehaltene  Klinge  eines  kleinen ,  gekrümmten  federmesserf  örmigen  Teno- 
toms  neben  dem  Daumen  und  dicht  hinter  dem  Muskel  ein ,  bis  er  mit 
dem  Mittelfinger  die  Messerspize  fühlt,  ohne  jedoch  die  Haut  auf  der  an- 
dern Seite  zu  durchbohren.  Der  gefasste  Muskel  wird  nun  losgelassen, 
die  Schneide  des  Tenotoms  dem  zu  durchschneidenden  Muskel  zugewendet, 
der  Kopf  möglichst  stark  nach  der  entgegengesezten  Seite  gewendet,  um 
den  verkürzten  Muskel  straff  zu  spannen  und  dieser  in  demselben  Augen- 
blicke ,  indem  der  Operateur  das  Tenotom  mit  einer  hebeiförmigen  Be- 
wegung aus  der  Wunde  zurückzieht ,  durchschnitten ,  was  unter  einem 
krachenden  Geräusche  geschieht.  Der  Klinge  folgt  der  Daumen  des  Ope- 
rateurs .  indem  er  das  in  die  Wunde  sich  ergiessende  Blut  herausdrückt 
und  einer  weitern  Ansammlung  desselben  vorbeugt.  Der  Verband  besteht 
in  einem  Charpiebausch ,  welcher  mit  einem  Heftpflaster  befestigt  wird  ; 
Bürger,  Chirurgie.  25 


386  HALSZELLGEWEBSENTZUENDUNG. 

der  Kopf  aber  wird  durch  eine  Halsbinde ,  welcher  man  durch  Einlegen 
eines  Stückes  Pappe  die  nöthige  Festigkeit  gibt,  in  der  Weise  befestigt, 
dass  er  in  der  früheren  fehlerhaften  Stellung  verharrt.  Nach  Vernarbung 
der  kleinen  Stichwunde  fängt  man  an,  die  sich  bildende  Sehnennarbe  all- 
mälig  auszudehnen,  indem  man  entweder  eine  der  oben  angegebenen  Vor- 
richtungen in  Gebrauch  zieht ,  oder  auch  nur  die  Halsbinde  auf  der  Seite 
der  Verkürzung  steifer  und  fester  macht ,  als  auf  der  entgegengesezten 
Seite ,  womit  man  in  der  Regel  auch  ausreicht.  — :  Bei  einem  etwa  ein- 
tretenden grösseren  Blutergusse  wendet  man  einen  conpriinirenden  Ver- 
band an.  Bildet  sich  eine  heisse ,  schmerzhafte  Entzündungsgeschwulst, 
so  zieht  man  kalte  Umschläge  und  Blutegel  in  Gebrauch.  Kommt  es  zur 
Eiterung,  so  schneidet  man  von  der  Stichwunde  an  ein.  —  Sind  noch  an- 
dere Muskeln  contrahirt ,  wie  der  C  u  c  u  1 1  a  r  i  s  ,  der  Platysma  myo- 
ides, so  müssen  auch  diese  durchschnitten  werden. 

HalszellgewebsentzÜXldung,  brandigeZellgewebs- 
verhärtung  des  Halses,  Cynanche  subungualis,  Pseudo- 
erysipelassubtendinosum  colli,  Angina  typhodes,  ex- 
terna. Diese  zuerst  von  Ludwig  beschriebene  Krankheit  gibt  sich 
zunächst  durch  die  Entstehung  einer  harten ,  wenig  schmerzhaften  Ge- 
schwulst in  dem  die  Submaxillardrüsen  und  zuweilen  auch  in  dem  die 
Parotiden  umgebenden  Zellgewebe  zu  erkennen.  Diese  Geschwulst  brei- 
tet sich  sodann  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  aus  bis  zum  Manu- 
brium  sterni  und  zur  Zunge,  welche  nunmehr  nach  oben  und  hinten 
gedrängt  wird ,  und  auf  einem  hochrothen ,  harten  Grunde  ruht ,  dabei 
wird  die  Bewegung  der  Kiefer ,  so  wie  auch  das  Sprechen  und  Schlingen 
beschwerlich.  Es  entzündet  sich  nun  auch  die  Haut  rothlaufartig  und 
das  Gesicht  schwillt  ödematös  auf  und  allmälig  wird  auch  die  bisher  harte 
Geschwulst  an  einer  Stelle  weich.  Endlich  bricht  die  Geschwulst  nach 
aussen  oder  in  der  Mundhöhle  auf  und  ergiesst  eine  dünne,  grauliche  oder 
röthlich  braune ,  sehr  übel  riechende  Jauche.  Das  Allgemeinbefinden, 
welches  im  Anfange  der  Krankheit  wenig  gestört  war,  wird  im  Verlaufe 
derselben  immer  mehr  ergriffen  ;  es  stellen  sich  gastrische  Zufälle ,  Be- 
engungen und  ein  Fieber  mit  nervösem  und  putridem  Charakter  ein.  — 
Die  Krankheit  tödtet  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  und  zwar  meistens  nach 
dem  10.  bis  14.  Tage  ihres  Verlaufs.  —  Als  Ursachen  dieser  Krank- 
heit werden  vorzüglich  metastatische  und  dyscrasische  Ablagerungen  nach 
nicht  vollständig  kritisirtem  Typhus  und  exanthematischen  Fiebern  be- 
schuldigt. Oft  ist  auch  die  Ursache  nicht  aufzufinden.  Die  Krankheit  befällt 
jugendliche  und  Subjecte  im  ersten  Mannesalter.  —  Behandlung.  Im 
Anfange  sind  Blutegel,  Calomel,  erweichende  Umschläge  in  Anwendung  zu 
bringen ;  Rösch  macht  eine  Ableitung  mit  Ungt.  acre;  sobald  aber  ein 
Abscess  entdeckt  werden  kann,  ist  ein  Einschnitt  in  denselben  vorzunehmen. 

Handverkrümmung,  s.  K  l  u  m  p  -F  u  s  s  und  h a n  d. 


HARNABSCESS.  387 


.us- 


HarnabsceSS,  Abscessus  nrinbsus,  ist  eine  durch  Ai 
tretung  des  Harns  aus  einem  krankhaften  Harnbehälter  entstandene  Eiter- 
geschwulst. Alles  was  daher  die  natürliche  Aussonderung  des  Harns  ver- 
hindert ,  Verwundungen ,  zufällige  oder  absichtliche  durch  Operationen, 
Quetschungen ,  Steine ,  Verengerungen ,  Vereiterungen  der  Harnorgane 
kann  mittelbar  oder  unmittelbar  eine  Extravasation  des  Harns  und  somit 
einen  Harnabscess  hervorbringen.  Nach  der  Stelle,  wo  der  Harn  ausge- 
treten ist  und  wohin  er  sich  ergossen  hat ,  besonders  aber  ob  dabei  der 
natürliche  Ausführungsgang  des  Harns  frei  ist  oder  nicht ,  darnach  ent- 
stehen die  verschiedenen  Zufälle  der  Ergiessung  und  Infiltration  und  dar- 
nach richtet  sich  die  Prognose  und  Behandlung.  Beim  Austritt  des  Harns 
am  obern  Theile  des  Harnleiters  dringt  derselbe  meistens  in  das  Zell- 
gewebe zwischen  dem  Bauchfell  und  den  benachbarten  Theilen ;  geschieht 
dies  am  untern  Theile  des  Harnleiters  ,  so  dringt  er  in  die  Beckenhöhle  ; 
am  vordem  Theile  der  Harnblase  ergiesst  er  sich  in  den  Hodensack  oder 
in  die  Scham  -  oder  Leistengegend  oder  ins  Mittelfleisch  ,  ebenso  beim 
Austritt  längs  der  Harnröhre,  Ergiesst  sich  der  Harn  in  die  Unterleibs- 
höhle, so  erfolgt  gewöhnlich  der  Tod  ;  nimmt  der  Harn  aber  seinen  Weg 
nach  aussen ,  so  erscheint  unter  verschiedenen  Beschwerden  an  irgend 
einem  Theile  des  Unterleibs,  des  Mittelfleisches,  des  Hodensacks  etc.  eine 
Geschwulst,  die  schnell  wächst ,  über  welcher  die  Haut  glänzend  und  ge- 
spannt ,  die  Umgebung ,  namentlich  das  Zellgewebe  ,  von  einer  rothlauf- 
artigen  Entzündung  ergriffen  und  bald  brandig  wird ,  und  welche  endlich 
aufbricht  und  eine  deutlich  nach  Harn  riechende  Jauche  entleert.  Mit 
dem  Wachsen  der  Geschwulst  lassen  die  Harnbeschwerden  nach.  Kann 
sich  aber  der  Harn  durch  die  widernatürlichen  Oeffhungen  nur  tropfen- 
weise entleeren,  so  entsteht  eine  sogenannte  unvollkommene  innere  Harn- 
fistel (s.  diesen  Artikel)  ,  welche  keine  Geschwulst,  sondern  vielmehr  eine 
chronische  Entzündung  und  Verhärtung  des  Zellgewebes  und  mit  harten 
callösen  Wandungen  versehene  Gänge  bildet,  die  man  bis  zum  Herde  des 
Uebels  verfolgen  kann.  —  Die  Behandlung  der  Harnabscesse  richtet 
sich  nach  dem  Orte  und  ihrer  Form  ;  innere  Abscesse  und  Ergiessungen 
von  Harn  sind  unheilbar.  Die  äusserlich  wahrnehmbaren  Abscesse  muss 
man  so  zeitig  als  möglich  Öffnen,  ehe  sie  grössere  Zerstörungen  anrichten ; 
insbesondere  aber  sucht  man  die  Ursachen  des  Austretens  des  Harns, 
z.  B.  einen  Stein  im  Harnleiter  zu  entfernen  etc.  Vor  Allem  aber  ist  es 
nöthig ,  den  etwa  verschlossenen  natürlichen  Weg  für  den  Harn  frei  zu 
machen  und  offen  zu  erhalten ,  was  durch  den  Catheter  geschieht.  Die 
Callositäten  des  Zellgewebes  erfordern  die  Anwendung  erweichender  Um- 
schläge ,  den  Abscess  selbst  behandelt  man  nach  allgemeinen  Regeln  und 
unterstüzt  nebenbei  die  Kräfte  des  Kranken  durch  angemessene  innere  Mittel. 

HamblasenabsceSS,   Abscessus     vesicae    urinariae. 
Er   entsteht  nach  Entzündung   der  Häute   der  Blase  durch  Verlezungen, 

25* 


388  HARNBLASENGESCHWUELSTE. 

Blasensteine  ,  Hämorrhoiden  ,  schwere  Geburten,  durch  Abscesse  benach- 
barter Theile  etc.  Die  Zeichen  sind  die  des  Bauchabscesses  und  die  ge- 
störte Funktion  der  Blase ;  es  zeigt  sich  eine  Geschwulst  am  Mittelfleische  od. 
am  Unterleibe,  in  der  Leistengegend,  bisweilen  in  der  Schamgegend  etc.  Die 
Geschwulst  entleert  sich  entweder  in  die  Blase,  wobei  der  Eiter  durch  die  Harn- 
röhre ausfliegst  und  im  Harn  Eiter  mit  Blutstreifen  sichtbar  wird,  oder  nach 
aussen  in  das  Zellgewebe,  wodurch  ein  Harnabscess  entsteht,  oder  durch  den 
Mastdarm  oder  einen  andern  Darm,  oder  durch  die  Scheide  oder  endlich  in 
die  Unterleibshöhle.  Im  lezteren  Falle  erfolgt  der  Tod  sehr  bald.  Da 
stets  mit  dem  Eiter  Harn  ausfliesst ,  so  werden  die  benachbarten  Theile 
dadurch  gereizt  und  entzündet ;  bei  der  Communication  des  Abscesses 
mit  dem  Darmkanal  fliesst  Harn  in  denselben  und  Koth  in  die  Blase. 
Das  Allgemeinbefinden  leidet  meist  sehr  und  es  entsteht  abzehrendes  Fie- 
ber. Die  Prognose  ist  daher  in  den  meisten  Fällen  sehr  ungünstig.  Die 
Behandlung  besteht  in  zeitiger  Eröffnung  eines  äusserlichen  Absces- 
ses, in  möglichster  Entfernung  der  Ursachen,  z.  B.  Steine  etc.  und  in  der 
Offenhaltung  des  natürlichen  Weges  für  die  Harnausleerung  durch  den 
Catheter.  Dabei  muss  die  allgemeine  Behandlung  dem  Kräftezustand 
des  Kranken  und  etwaigen  Complicationen  angemessen  sein.  Laue  Halb- 
bäder ,  Einsprizungen-  in  die  Blase ,  Umschläge  und  grosse  Reinlichkeit 
sind  wegen  des  durch  den  Ausfluss  entstandenen  gereizten  Zustandes  der 
benachbarten  Theile  nothwendig. 

Hamblase,  Geschwülste  und  Afterbildungen  in  der- 
selben. Die  Afterproducte  der  Harnblase  bilden  die  unheilbarsten 
Blasenkrankheiten.  Sie  treten  entweder  als  Tuberkel  oder  als  polypöse, 
scirrhöse,  markschwammige ,  seltener  nielanotische  Bildungen,  am  häufig- 
sten unter  der  fungösen  Form ,  bald  gestielt ,  bald  mit  breiter  Basis  auf- 
sizend  ,  bald  lappig ,  knollig ,  bald  glatt,  bald  ungleich,  bald  weich,  bald 
knorpelhart,  von  der  Grösse  einer  Erbse  bis  zu  der  eines  Hühnereies  oder 
einer  Mannsfaust,  manchmal  mit  Steinmassen  incrustirt  auf;  haben  bald 
in  den  Geweben  der  Harnblase ,  insbesondere  der  Schleimhaut  und  dem 
Zellgewebe ,  zwischen  Mucosa  und  Muscularis  und  hier  besonders  am 
Corpus  trigonum  und  der  hintern  Wand ,  bald  in  den  Nachbarorga- 
nen, Prostata,  Scheide,  Uterus,  Mastdarm ,  ihren  Ausgangspunkt.  —  Im 
Allgemeinen  gehören  sie  dem  höhern  Alter  an ;  meist  werden  sie  bei  alten 
Säufern  und  ausschweifenden  Leuten  nach  chronischen  Blasenentzündun- 
gen gesehen  und  durch  Blasenkatarrh,  so  wie  durch  Steine  veranlasst.  — 
Symptome.  Diese  Blasengeschwülste  haben  in  ihren  Symptomen  viel 
mit  denen  der  Steinkrankheit,  chronischer  Blasenentzündung,  Blasenka- 
tarrh und  Prostataleiden  gemein,  Sie  sind  örtliche  und  allgemeine.  Die 
örtlichen  Erscheinungen  sind  :  häufiger  Drang  zum  Urinlassen ,  unan- 
genehme Empfindungen  am  Blasenhalse,  die  sich  oft  zu  heftigen  stechen- 
den Schmerzen  steigern  und  sich  zum  Damme,  der  Harnröhre  entlang  bis 


HARNBLASENLAEHMUNC.  389 

bot  Eichel  erstrecken  und  hier  ein  juckendes  Gefühl  verursachen  ,  auch 
zu  den  Schambeinen ,  den  Weichen  und  dem  Kreuzbeine  ausstrahlen. 
Diese  Schmerzen  vermehren  sich  nach  dem  Urinlassen,  so  wie  beim  Gehen, 
Reiten ,  Fahren  und  Genuss  erhizender  Dinge.  Umänderung  im  Urin, 
veränderte  Secretion  der  Blasenschleimhaut,  daher  Abgang  von  scharfem 
Schleim,  Eiter,  Eiweiss,  ammoniakalischem  Urin,  Abgang  von  reinem  oder 
zerseztem,  schwärzlichen  ,  Öligten  Blute  ,  von  Lymphflocken ,  Zellgewebs- 
fezen,  fungöser,  faseriger  und  medullarsarcomatöser  Masse.  Veränderun- 
gen in  der  Harnexcretion ,  plözliches  Anhalten  des  Urins  ,  gänzliche  Auf- 
hebung, aber  auch  Incontinenz.  Anschwellung  der  umliegenden  Drüsen, 
Schmerzen  nach  dem  Samenstrange.  Endlich  Gefühl  einer  weichen 
schwammigen  Masse  mit  dem  Catheter.  —  Die  allgemeinen  Symptome 
sind  meist  die  der  Krebsdyskrasie,  gelbliches  Aussehen,  hectisches  Fieber, 
Marasmus. —  Diagnose.  Sie  ist  immer  schwierig  und  namentlich  tritt 
leicht  Verwechslung  mit  Lithiasis  ein ,  weil  die  Symptome  ähnlich  sind, 
der  Catheter  oft  eine  dem  Stein  ähnliche  Resistenz  fühlen  lässt  und  end- 
lich die  Geschwülste  manchmal  damit  incrustirt  sind.  —  Diese  Geschwülste 
sind-,  da  sie  der  Mehrzahl  nach  der  Krebsdyskrasie  ihren  Ursprung  ver- 
danken j  obgleich  man  sie  nach  vollf ührtem  Steinschnitte  schon  amputirt, 
resecirt ,  abgebunden  und  mittels  Cauterisation  zerstört  hat,  im  Allgemei- 
nen a4s  ein  Noli  me  tangere  zu  betrachten  und  die  Behandlung  daher 
am  besten  nur  eine  symptomatische,  bestehend  in  milder  Kost,  Milchkuren, 
Anwendung  des  Catheters,  leichten  erweichenden  Einsprizungen ,  Bädern, 
Dämpfen,  Fomentationen  aus  Schierling  und  schmerzmildernden  Mitteln, 
besonders  dem  Lactucarium.  Blutungen  stillt  man  durch  kalte  Clysmata, 
kalte  Umschläge  und  Säuren.  Nur  wenn  man  die  Excrescenz  als  eine 
gutartige  erkennt,  kann  man  deren  Entfernung  versuchen  (s._  Polypen). 

Harnblasenlähmung,  Paralysis  vesicae  urinariae. 
Dieselbe  kann  zwei  verschiedene ,  in  ihren  Erscheinungen  einander  ganz 
entgegengesezte  Krankheitszustände  der  Harnblase  darstellen,  je  nachdem 
die  Lähmung  den  Blasenkörper  oder  den  Blasenhals  betrifft ;  im 
ersten  Falle  erscheint  die  Blasenlähmung  als  Harnverhaltung ,  im  andern 
als  Harnfluss.  —  Die  paralytische  Harnverhaltung  (Ischu- 
ria  s.  Retentio  urinae  paralytica)  oder  Lähmung  des  Blasen- 
körpers besteht  darin,  dass  die  Harnblase  in  Folge  von  Lähmung  des  M. 
detrusor  urinae  ihr  Contractionsvermögen  und  mit  diesem  die  Fähig- 
keit, den  Harn  auszutreiben,  verloren  hat ;  es  entsteht  dadurch  Anhäufung 
des  Harns  in  der  Blase ,  übermässige  Ausdehnung  dieses  Behälters ,  ohne 
dass  der  Kranke  irgend  einen  Reiz  zum  Harnen  empfindet.  Die  ausge- 
dehnte Blase  bildet  eine  unschmerzhafte  Geschwulst  über  der  Schoosfuge, 
welche  oft  so  gross  wird ,  dass  sie ,  zumal  bei  nicht  völlig  unterdrückter 
Harnsecretion,  mit  Schwangerschaft  oder  Wassersucht  verwechselt  werden 
kann.    Beim  Drucke  auf  sie  fliesst  der  Harn  durch  die  Harnröhre  ab,   ja 


390 


HARNBLASEN  LAEHMUNG. 


auch  schon  der  Druck  der  Bauchmuskeln  und  des  Zwerchfells  vermag  bei 
grosser  Anfüllung  der  Blase  ein  Auströpfeln  des  Harns  zu  bewirken,  das- 
selbe findet  bei  Husten  und  Niesen  statt  und  bisweilen  ist  es  dem  Kranken 
unter  Anstrengung  noch  möglich ,  den  Harn  nach  Willkür  auszupressen. 
Die  Einführung  des  Catheters  kann  bei  der  paralytischen  Harnverhaltung 
immer  ohne  Schwierigkeit  bewirkt  werden ;  der  Harn  fliesst  durch  ihn  ab, 
ohne  einen  Strahl  zu  bilden.  Eine  solche  Harnverhaltung  kommt  sehr 
langsam  zu  Stande  und  sie  kann  lange  bestehen,  ohne  gefährliche  Zufälle 
herbeizuführen  ,  da  diesen  ,  namentlich  dem  Brande  ,  der  Berstung  der 
Blase  und  ihren  Folgen  durch  das  von  Zeit  zu  Zeit  erfolgende  Abtröpfeln 
des  Harns  vorgebeugt  wird.  —  Ursachen.  Dieses  Leiden  ist  vorzüg- 
lich alten  Leuten  eigen  und  bedingt  durch  den  Verlust,  des  Contractions- 
vermögens  der  Blase  bei  der  im  hohen  Alter  allgemein  abnehmenden  Mus- 
kelthätigkeit.  Sie  kann  aber  auch  bei  jüngeren  Personen  vorkommen,  die 
ein  ausschweifendes  Leben  geführt  haben  ,  ferner  bei  solchen ,  welche  in 
Folge  ihrer  sizenden  Lebensart  an  Plethora  abdominalis  leiden, 
und  endlich  ist  sie  nicht  selten  Folge  der  üblen  Gewohnheit ,  den  Harn 
lange  an  sich  zu  halten.  Als  secundäres  Uebel  kommt  sie  vor  bei  Krank- 
heiten des  untern  Theiles  des  Rückenmarkes ,  Druck  auf  die  Sacralnerven 
etc.  ;  apoplectische  Zustände  des  Gehirns  haben  ebenfalls  Blasenlähmung 
zur  Folge.  Bei  durch  heftige  Contusionen  der  Kreuzbein-  und  Lenden- 
gegend und  Commotionen  herbeigeführten  Rückenmarkslähmungen  kommt 
sie  gemeiniglich  gleichzeitig  mit  Lähmung  der  unteren  Extremitäten  vor. 
—  Die  Prognose  richtet  sich  nach  den  Ursachen,  dem  Grade  und  der 
Dauer  der  Krankheit ,  so  wie  nach  dem  Alter  des  damit  behafteten  Indi- 
viduums. Bei  alten  Leuten  ist  sie  gewöhnlich  unheilbar ,  bei  jüngeren 
Personen  ist  die  Prognose  günstiger ;  die  Heilbarkeit  hängt  hier  von  der 
Möglichkeit  ab,  die  Ursachen  zu  entfernen.  Das  Hinzutreten  krampfhaf- 
ter oder  entzündlicher  Zufälle  trübt  die  Prognose  sehr,  da  leztere  gewöhn- 
lich zu  Degenerationen  der  Blase  führen.  —  Behandlung.  Sie  hat 
zwei  Zwecke  zu  erfüllen :  den  Harn  aus  der  Blase  zu  entfernen  und  die 
Contraction  der  Blase  wieder  herzustellen.  Das  sicherste  und  zweckmäs- 
sigste  Mittel ,  den  Harn  auszuleeren  ,  ist  die  Einbringung  des  Catheters, 
die  man  wiederholt,  so  oft  sich  die  Blase  auch  nur  einigermaassen  gefüllt 
zeigt ,  wenn  man  es  nicht  vorzieht ,  den  Catheter  liegen  zu  lassen ;  der 
Kranke  lernt  ihn  indessen  bald  selbst  appliciren.  Die  Entleerung  des 
Harns  sezt  man  so  lange  fort ,  bis  der  Harn  beim  Ausfliessen  aus  dem 
Catheter  wieder  einen  stärkeren  Strahl  bildet,  was  ein  Beweis  des  wieder 
erlangten  Contractionsvermögens  der  Blase  ist.  —  Der  zweiten  Indication 
genügt  man  durch  die  Anwendung  solcher  Mittel ,  welche  als  specifische 
Reize  für  die  Harnwerkzeuge  bekannt  sind,  nämlich  :  Wachholder,  Bären- 
traube, die  natürlichen  Balsame,  Oleum  animale  Dippelii,  Arnica, 
Sabina,  Moschus,  Ipecacuanha  in  kleinen  Dosen,  der  Kampher,  die  spani- 
schen Fliegen  etc.,    welche  Mittel   man  später  mit  tonisch  -  aromatischen 


HARNBLASENLAEHMUNG.  391 

vertauscht.  Aeusserlich  wendet  man  die  Kälte  an  in  Form  von  Umschlä- 
gen und  Waschungen  auf  die  Schamgegend  und  das  Mittelfleisch,  in  Form 
der  Klystiere ,  der  Douche  auf  die  Blasengegend  und  das  Kreuzbein ,  in 
Form  von  Injectionen  in  die  Blase ;  man  macht  Einreibungen  von  erre- 
genden flüchtigen  Salben,  Linimentum  volatile,  Cantharidentinctur, 
Salmiakgeist,  Spiritus  serpylli,  Terpentinöl,  Steinöl  und  ätherischen 
Oelen  in  die  genannten  Gegenden,  legt  Blasenpflaster  auf  die  Blasen-  und 
Kreuzgegend ,  wendet  allgemeine  stärkende  Bäder ,  den  Galvanismus ,  die 
Electricität  an.  —  Entzündliche  Zustände  des  Rückenmarkes  in  Folge  von 
Quetschung  etc.  erfordern  ein  streng  antiphlogistisches  Verfahren ;  zurück- 
bleibende Extravasate  sucht  man  durch  kalte  Umschläge,  flüchtige  Salben, 
ein  grosses  Vesicator,  Fontanell  auf  das  Kreuzbein  zu  beseitigen. 

Der  paralytische  Harnfluss  oder  das  Unvermögen,  den  Harn 
zurückzuhalten  (Incontinentia  urinae  s.  Enuresis  paraly- 
t  i  c  a)  besteht  bald  in  dem  beständigen  unwillkürlichen  tropfenweisen  Ab- 
gange des  Harns  ohne  alle  Empfindung ,  bald  nur  in  einem  so  heftigen 
und  plözlichen  Drange  zum  Harnen ,  dass  der  Kranke  ihn  wider  Willen 
gehen  lassen  muss ;  oft  besteht  er  auch  darin ,  dass  er  nur  des  Nachts  un- 
willkürlich abgeht.  Der  Grund  dieser  Erscheinung  liegt  im  ersten  Falle 
in  einer  gänzlichen  Lähmung,  im  andern  in  einer  Schwäche  des  Schliess- 
muskels  der  Blase.  Dieses  Uebel  hat  nicht  nur  die  Verbreitung  eines 
üblen  urinösen  Geruches  zur  Folge,  sondern  verursacht  auch  ein  schmerz- 
haftes Wundsein  der  Nachbartheile  der  Geschlechtsorgane.  Von  der  pa- 
ralytischen Harnverhaltung  mit  Abtröpfeln  des  Harns  unterscheidet  sich 
der  Harnfluss  dadurch ,  dass  der  Catheter  bei  dem  leztern  wenig  oder  gar 
keinen  Urin  in  der  Blase  vorfindet,  weil  derselbe  abfliesst,  sowie  er  in  die 
Blase  gelangt  und  dadurch ,  dass  die  Blase  keine  Geschwulst  und  An- 
schwellung des  Unterleibes  bildet.  —  Ursachen.  Sie  sind:  übermäs- 
sige Ausdehnung  oder  Quetschung  des  Blasenhalses  bei  der  Operation  des 
Steinschnittes,  Quetschung  desselben  bei  schweren  Entbindungen,  Ulcera- 
tion  des  Blasenhalses  und  dadurch  bedingte  Zerstörung  des  Schliessmus- 
kels  ;  oft  ist  dieses  Leiden  auch  die  Folge  hohen  Alters  ,  ein  Symptom 
von  Apoplexie,  Rückenmarksleiden  etc.  —  Die  Prognose  ist  insofern 
ungünstig ,  als  das  Uebel  sehr  oft  ungeheilt  bleibt.  —  Behandlung. 
Zunächst  sind ,  wenn  es  möglich  ist ,  die  Ursachen  hinwegzuräumen  und 
dann  ist  die  Wiederherstellung  des  Contractionsvermögens  des  Sphin- 
ctervesicae  zu  versuchen ;  die  Mittel ,  welche  hier  ihre  Anwendung 
finden  müssen ,  sind  die  bei  der  Ischuria  paralytica  angegebenen. 
Um  das  höchst  lästige  Uebel  in  Fällen ,  wo  es  unheilbar  ist ,  erträglicher 
zu  machen,  bedient  man  sich  beim  männlichen  Geschlecht  entweder  be- 
sonderer Druckwerkzeuge,  welche  die  Harnröhre  comprimiren,  oder  besser 
eigener  Vorrichtungen,  welche  den  abfliessenden  Harn  aufnehmen  (s. 
Harnrecipienten);  es  gibt  solche  auch  für  das  weibliche  Geschlecht, 
wo  sie  aber  ihren  Zweck  weniger  gut  erfüllen ;  zweckmässiger  zieht  man 


392  HARNFISTELN. 

hier  einen  elastischen  Mutterkranz  in  Gebrauch ,  der  nach  den  Schambei- 
nen hin  convex  ist  und  durch  Zusammendrücken  der  Harnröhre  diese 
möglichst  schliesst.  —  Bei  Kindern  verliert  sich  der  nächtliche  Harnab- 
gang meist  mit  dem  Alter ;  beiAtonie  gibt  manTonica,  China,  Eisen  etc., 
verhindert  die  Kinder  vor  dem  Bettegehen  am  Trinken  und  sieht  darauf, 
dass  sie  vor  dem  Schlafengehen  das  Wasser  lassen  ;  bei  Lahmung  des 
Blasensphincters  dient  P  u  1  v.  D  o  v  e  r  i  gr.  jv  ,  alle  Abend  8  Tage  lang 
fortgesezt ,  Aconit  in  der  torpiden  Form.  Gegen  den  nächtlichen  Harn- 
abgang Erwachsener  haben  sich  Sabina,  die  Canthariden  niizlich  erwiesen ; 
z.  B.  Rp.  Pulv.  cantharid.  gr.  iij  —  x,  Camp  hör.  gr.  x,  Sapon. 
venet.  3j.   M.  f.  pil.    Nr.  40.  S.   1  —  3  Pillen  3  Mal  täglich. 

Hamfisteln ,  Fistulae  u  r  i  n  a  r  i  a  e ,  sind  mehr  oder  minder 
lange  enge  Gänge ,  welche  mit  ihrer  innern  Oeffnung  an  irgend  einem 
Punkte  des  uropoetischen  Systems  münden,  also  entweder  von  der  Niere, 
den  Ureteren ,  der  Blase  oder  der  Urethra  ausgehen  und  sich  oft  an  sehr 
entfernten  Orten,  am  Damme,  Hodensacke,  an  der  Ruthe,  an  den  Hinter- 
backen, an  den  Schenkeln,  an  den  Lenden,  am  Unterleibe,  in  der  Vagina, 
dem  Mastdarm  endigen.  Diesemnach  unterscheidet  man  nach  dem  Size 
der  innern  Mündung  eine  Fistula  renalis,  vesicalis,  urethra- 
1  i  s ,  oder  nach  der  Ausmündung  der  Fistel  eine  Fist.  perinaei, 
penis,  umbilicalis,  oder  endlich  nach  beiden OefFnungen  eine  B  1  a- 
senmastdarm-,  Harnröhren  mastdarm-  und  Blasen sehei- 
denfistel.  Indessen  münden  nicht  alle  Harnfisteln  nach  aussen,  son- 
dern es  gibt  solche,  welche  blind  endigen,  und  diese  bezeichnet  man  zum 
Unterschiede  von  den  mit  zwei  Mündungen  versehenen,  welche  man  voll- 
ständige nennt.,  als  unvollständige  innere  Harnfisteln.  Unrichtigerweise 
nennt  man  auch  solche  fistulöse  Geschwüre  ,  welche  sich  in  der  Nachbar- 
schaft der  Harnwege  befinden,  ohne  sich  aber  in  diese  einzumünden,  Harn- 
fisteln und  bezeichnet  sie  zum  Unterschied  von  den  leztgenannten  als  un- 
vollständige äussere  Fisteln.  —  Die  Richtung  der  fistulösen  Gänge  ist 
meistens  gekrümmt ;  oft  führen  mehrere  Gänge  zu  einer  und  derselben 
innern  Oeffnung ;  selten  führen  mehrere  äussere  OefFnungen  zu  ebenso 
vielen  innern.  Gewöhnlich  sind  die  Wandungen  der  Fistelgänge  sehr  hart 
und  die  Callositäten  breiten  sich  weit  aus.  —  Diagnose  und  Sym- 
ptome a)  der  unvollständigen  äussern  oder  falschen  Harn- 
fistel(Fist.  urinariaincompleta  externa  s.  spuria).  Diese 
in  Folge  von  Abscessen  oder  Geschwüren  meistens  in  der  Nähe  des  Harn- 
röhrenkanals vorkommende  Fistel  characterisirt  sich  dadurch,  dass  aus  ihr 
nie  Urin  und  aus  der  Harnröhre  nie  Eiter  fliesst ,  und  dass  die  in  den 
fistulösen  Kanal  eingeführte  Sonde  nicht  in  die  Harnröhre  oder  Blase  ein- 
dringt oder  mit  dem  eingebrachten  Catheter  in  Berührung  kommt.  Sie 
kann  mit  Caries  der  Beckenknochen  etc.  complicirt  sein.  —  b)  Der  un- 
vollkommenen innern  Harnfistel  (Fist.  urinaria  incom- 


HARNFISTELN.  393 

pleta  interna).  Diese  gibt  sich  durch  ein  Gefühl  von  Schmerz  wäh- 
rend oder  nach  dem  Uriniren  ,  durch  einen  blutigen  oder  eiterigen  Aus- 
üuss  aus  der  Harnröhre,  vorzüglich  aber  durch  eine  Geschwulst  zu  erken- 
nen ,  welche  sich  wahrend  des  Hamens  vergrössert ,  durch  einen  Druck 
vermindert  oder  ganz  verschwindet ,  worauf  Urin  mit  Eiter  vermischt  aus 
der  Harnröhre  fliesst ;  zuweilen  finden  sich  die  Zeichen  einer  nicht  be- 
grenzten Harnergiessung  ins  Zellgewebe.  Diese  Fistel  entsteht  gewöhn- 
lich an  der  Urethra ,  selten  an  den  Harnleitern  oder  an  der  Blase.  — 
c)  Der  vollständigen  Harnfistel  (F.  urinaria  com  pleta). 
Diese  Fistel ,  welche  von  der  Niere ,  den  Harnleitern,  der  Blase  oder  der 
Harnröhre  entspringen  und  nach  aussen  in  der  Lendengegend,  der  Weiche, 
am  Damme  etc.  ausmünden ,  oder  mit  dem  Mastdarme ,  dem  Colon ,  der 
Scheide,  oder  mit  der  Höhle  des  Unterleibes  communiciren  kann,  charakte- 
risirt  sich  durch  den  Ausfluss  von  Urin,  welcher  beständig  andauert,  wenn 
die  Fistel  von  der  Blase,  aber  nur  während  des  Hamens  zugegen  ist,  wenn 
sie  von  der  Harnröhre  entspringt ;  indessen  fliesst  der  Harn  auch  bei  sehr 
engen  Fistelgängen  und  freier  Harnröhre  zuweilen  allein  durch  leztere, 
und  bei  Blasenfisteln  mit  engem  und  gekrümmtem  Kanäle  oft  nur  bei 
Anstrengungen  zum  Harnen  durch  diesen  aus.  Steht  die  Fistel  mit  der 
Scheide  oder  dem  Mastdarme  in  Verbindung ,  so  fliesst  der  Urin  aus  die- 
sen Kanälen  ;  auch  kann  man  mit  dem  in  dieselben  eingeführten  Finger 
oder  die  in  die  Blase  gebrachte  Sonde  die  Fistelmündung  blos  fühlen. 
Communicirt  die  Fistel  mit  dem  Mastdarme,  so  kann  der  Urin  mit  Fäcal- 
materie  gemischt  sein.  Zuweilen  zeigt  sich  Verhärtung  nach  dem  Laufe 
des  fistulösen  Kanales  oder  im  ganzen  Umfange  des  Dammes  Entzündung, 
schlechte  Eiterung ,  Fleischwucherung  an  der  Fistelöffnung ,  und  es  kann 
Abmagerung,  hectisches  Fieber  etc.  mit  dem  Uebel  vergesellschaftet  sein. 
— -  Ursachen.  Die  der  falschen  Harnfistel  sind  Abscesse  oder  Ge- 
schwüre, die  der  unvollkommenen  innern  äussere  Gewalttätigkeiten,  Zu- 
rückhaltung des  Harns ,  rohes  Catheterisiren ,  ein  eingezwängter  Stein, 
Abscesse.  Die  completen  Fisteln  entstehen  meistens  in  Folge  von  Harn- 
verhaltung ,  Zerreissung ,  Verlezung  der  Blase ,  oder  aus  den  incompleten 
Fisteln.  Die  Fisteln ,  welche  sich  bei  Männern  in  den  Mastdarm  öffnen, 
sind  meist  die  Folge  der  Operation  des  Steinschnittes  ,  sowie  die  mit  der 
Vagina  in  Verbindung  stehenden  die  Folge  schwerer  Geburten  oder  von 
Ulceration  der  Scheide.  Auch  Krebs  des  Mastdarms  und  der  Mutter- 
scheide können  zu  Harnfisteln  Veranlassung  geben.  —  Prognose.  Sie 
richtet  sich  nach  den  Verschiedenheiten  der  Harnfisteln ,  sowie  der  Con- 
stitution des  Subjects.  Am  schwierigsten  zu  heilen  sind  solche ,  welche 
von  einem  grossen  Substanzverluste  in  der  Harnröhre,  von  einer  beträcht- 
lichen und  ausgedehnten  Verengerung  dieses  Kanales  begleitet  werden. 
Fisteln ,  welche  mit  dem  Mastdarm  oder  der  Scheide  communiciren  ,  sind 
sehr  schwierig ,  oft  gar  nicht  zu  heilen.  Schlechter  Kräftezustand  trübt 
die  Prognose  sehr.  —  Behandlung  a)  der  incompleten  äussern 


394  HARNFISTELN. 

Fistel.  Man  sucht  sie  durch  Druck  zu  heilen,  und  wenn  dies  nicht  aus- 
reicht ,  so  erweitert  man  den  Gang  trichterförmig ,  sorgt  für  gehörigen 
Abfluss  des  Eiters  und  bringt  die  Callositäten  durch  zertheilende  Brei- 
umschläge etc.  zur  Zertheilung.  Allgemeine  Leiden  müssen  einer  ent- 
sprechenden Behandlung  unterworfen  werden.  —  b)  Der  incomple- 
ten  in  nern  Fistel.  Bei  frischen  Fisteln  genügt  oft  das  Einlegen  eines 
Catheters  in  die  Harnröhre  zur  Heilung.  Verengerungen  dieser  müssen 
vorher  durch  Kerzen  beseitigt  werden.  Schlägt  diese  Behandlung  fehl, 
und  ist  die  Fistel  schon  alt ,  so  muss  die  incomplete  Fistel  durch  Incision 
in  eine  complete  verwandelt  werden  ;  sind  weit  verbreitete  Gänge  und 
Sinuositäten  zugegen,  so  müssen  diese  gespalten  werden.  —  c)  Der  com- 
pleten  Fistel.  Wenn  sie  mit  den  Nieren  oder  den  Harnleitern  com- 
municiren,  so  sind  sie  unheilbar,  es  wäre,  denn,  dass  ihnen  fremde  Körper 
oder  Verengerungen  der  Harnröhre  zu  Grunde  lägen  ,  durch  deren  Besei- 
tigung möglicher  Weise  noch  Hülfe  geschafft  werden  könnte.  —  Bei  den 
completen  Harnröhrenfisteln,  welchen  meistens  Verengerung  der  Harnröhre 
zu  Grunde  liegt ,  besteht  die  erste  Tndication  in  der  allmäligen  Erweite- 
rung dieses  Kanales  durch  Bougies  und  elastische  Catheter  zu  seinem  na- 
türlichen Lumen.  Durch  den  eingelegten  Catheter ,  welcher  vermittels 
einer  T  Binde  gehörig  befestigt  wird ,  entleert  man  den  Urin  ,  so  oft  er 
sich  in  der  Blase  angesammelt  hat.  Schliesst  sich  die  Fistel  unter  dieser 
Behandlung  nicht ,  was  seinen  Grund  in  der  callösen  oder  schleimhaut- 
ähnlichen Beschaffenheit  der  Fistel  haben  kann ,  so  bringt  man  eine  ge- 
rinnte  Sonde  (eine  seitlich  gefurchte ,  wenn  die  Fistel  an  der  Seite  der 
Harnröhre  einmündet )  in  die  Urethra  ,  und  eine  vorn  offene  Hohlsonde 
durch  die  Fistel  ein  und  erweitert  leztere  in  der  Weise  mit  einem  Bi- 
stouri, dass  die  Wunde  einen  Trichter  bildet,  dessen  Spize  in  der  Urethra 
liegt.  Auf  dieselbe  Weise  schneidet  man  sämmtliche  Fistelgänge  ein. 
Ist  die  innere  Fistelmündung  sehr  schwielig ,  so  scarificirt  man  sie  oder 
trägt  den  Mündungsrand  mit  der  Cooper'schen  Scheere  ab  und  vereinigt 
die  Wunde  entweder  blutig  oder  man  leitet  die  Heilung  derselben  durch 
Granulation  ein.  A.  Cooper  empfiehlt ,  die  innere  Mündung  mit  Sal- 
petersäure zu  betupfen  und  deren  Contraction  zu  befördern;  Dieffen- 
b  a  c  h  benuzt  dazu  concentrirte  Cantharidentinctur.  Die  Schliessung  der 
Harnröhrenfisteln  ist  ferner  durch  die  blutige  Naht  versucht  und  dazu  die 
Knopfnaht,  die  umwundene  Naht  und  D  ie  f  fenbach's  Schnürnaht  be- 
nuzt worden  ;  sie  eignet  sich  nur  bei  Fisteln  in  der  Nähe  des  Hodensacks, 
wird  aber  gewöhnlich  durch  die  sich  zu  hoch  steigernde  Entzündung  ver- 
eitelt. Auch  hat  man  die  Schliessung  der  Fistel  durch  Transplantation  eines 
Hautstückes  (A.  Cooper  u.  A. )  und  durch  Hautverschiebung  (Dief- 
fenbach)  ausgeführt.  Die  erstere  misslang  häufig  durch  die  Heftigkeit 
der  eintretenden  Reaction,  leztere  deckt  die  Fistel  nur  äusserlich  und  lässt 
sie  innen.  Bei  kurzen  und  nicht  weiten  Fisteln  kann  man  die  Schliessung 
durch  Cauterisation  versuchen.    Es  versteht  sich  ,   dass  man  bei  allen  die- 


HARNFISTELN.  395 

sen  Verfahren  durch  Einlegen  eines  Catheters  in  die  Harnröhre  den  Urin 
von  der  Fistel  abhalten  niuss.  —  Muss  man  bei  noch  verhandener,  sehr 
hartnäckiger  Strictur  operiren  ,  so  führt  man  durch  die  Urethra  eine  ge- 
rinnte  Sonde  bis  an  die  Strictur,  durch  die  Fistel  und  ihre  innere  Mün- 
dung eine  Hohlsonde  und  schneidet  auf  lezterer  die  Fistel  bis  zur  Strictur 
und  diese  selbst  gegen  die  Leitungssonde  ein.  Führt  die  Fistel  nicht  zur 
Strictur,  so  muss  man  gerade  auf  diese  hin  alle  sie  bedeckenden  Theile 
in  der  Richtung  gegen  die  Spize  der  Leitungssonde  hin  einschneiden.  Ist 
die  Harnröhre  an  der  Stelle  der  Strictur  ganz  verschlossen  ,  so  führt  man 
eine  Leitungssonde  bis  an  die  Strictur  und  eine  gebogene  Hohlsonde  durch 
die  Fistel ,  ebenfalls  wo  möglich  bis  zur  Strictur ,  und  macht  dann  einen 
gehörig  tiefen  Längenschnitt,  der  alle  bedeckenden  Theile  und  die  Strictur, 
wenn  sie  nur  dünn  ist ,  spaltet ;  nimmt  die  leztere  aber  eine  grössere 
Strecke  der  Harnröhre  ein  ,  so  fasst  man  den  verwachsenen  Theil  mit  der 
Pincette  und  schneidet  ihn  mit  dem  Messer  oder  der  Scheere  aus,  worauf 
man  in  dem  ersten  Falle  einen  die  Harnröhre  gerade  ausfüllenden  elasti- 
schen Catheter  durch  diese  bis  in  die  Blase,  im  zweiten  Falle  eine  elasti- 
sche Bougie  durch  die  Wunde  in  die  Blase,  eine  zweite  durch  die  Harnröh- 
renmündung bis  zur  Wunde  einführt  und  sie  dann  auf  dem  Wege  der  Eite- 
rung zur  Heilung  bringt.  Sobald  sich  Granulationen  in  dem  Grunde  der 
Wunde  zeigen ,  entfernt  man  die  Bougie  und  führt  einen  elastischen  Ca- 
theter bis  in  die  Blase,  der  bis  zur  völligen  Heilung  liegen  bleibt.  —  Die 
Excision  eines  Stücks  aus  der  Harnröhre  ist  immer  eine  schwierige  und 
gefährliche  Operation ;  es  kann  bedeutende  Blutung,  heftige  Entzündung, 
erschöpfende  Eiterung  etc.  die  Folge  sein. 

Die  Blasenmastdarm fistel  (Fistula  vesico-rectalis) 
kann  man  zur  Schliessung  zu  bringen  versuchen ,  indem  man  durch  Ein- 
legung eines  biegsamen ,  immer  offen  erhaltenen  Catheters  in  die  Blase 
unter  Beobachtung  einer  ruhigen  Seitenlage  eine  fortdauernde  Ableitung 
des  Urins  von  der  Fistel  unterhält ;  dabei  muss  der  Mastdarm  durch  Kly- 
stiere  leer  erhalten  werden.  Wenn  diese  Fistel  die  Folge  der  Verlezung 
des  Mastdarms  beim  Steinschnitt  ist,  wurde  von  D  e  s  a  u  1 1  und  Dupuy- 
tren die  Spaltung  des  Mastdarms  von  der  verlezten  Stelle  ab  bis  an  sein 
Ende  mit  glücklichem  Erfolge  ausgeführt.  Dupuytren  hat  bei  diesen 
Fisteln ,  wenn  auch  nicht  völlige  Heilung ,  so  doch  bedeutende  Besserung 
durch  die  Anwendung  des  glühenden  Eisens  und  der  Aezmittel  bewirkt, 
indem  er  seinen  Mastdarmspiegel  stark  beölt  in  den  Mastdarm  einbringt, 
die  Stelle  der  Fistel  genau  untersucht  und  dann  das  glühende  Eisen  in 
die  Fistel  und  bis  in  die  Blase  einführt.  Auf  ähnliche  Weise  verfährt 
man  mit  dem  Höllenstein.  Nach  4  Stunden  wird  die  Cauterisation  wieder- 
holt und  während  dessen  durch  vorsichtig  applicirte  erweichende  Klystiere, 
Einlegung  eines  elastischen  Catheters  und  eine  Bauchlage  Koth  und  Urin 
von  den  Fistelmündungen  abzuleiten  gesucht.  Fünf  bis  sechs  Cauterisa- 
tionen  reichen  oft  hin ,   das  Uebel  bedeutend  zu  verbessern.  — -  Bei  einer 


396  HARNFISTELN. 

Harnröhrenmastdarmfistel  (Fist.  urethro  -  rectalis  ) 
schnitt  A.  C  o  o  p  e  r  auf  einer  in  die  Blase  gebrachten  Steinsonde  links 
an  der  Rhaphe  ein,  drang  dann  zwischen  Prostata  und  Mastdarm,  um  die 
zwischen  diesem  und  der  Harnröhre  befindliche  Fistelcommunication  zu 
trennen ,  legte  einen  Catheter  in  die  Harnröhre  und  Blase  und  füllte  die 
Dammwunde  mit  Charpie ,  worauf  sich  diese  und  die  Fistel  im  Mastdarm 
bald  schlössen.  Man  kann  auch ,  wie  beim  vorigen  Falle ,  die  Cauterisa- 
tion  und  zwar  entweder  mit  einem  glühenden  Drahte  oder  mit  einem  Höl- 
lensteinstifte vornehmen. 

Die  Blasenscheidenfistel  (Fist.  vesico- vaginalis) 
hat  bedeutende  Beschwerden  in  ihrem  Gefolge  ;  der  in  der  Scheide  flies- 
sende Urin  entzündet  und  excoriirt  nicht  allein  diese  ,  sondern  auch  die 
Schamlefzen ,  den  Damm,  das  Gesäss,  die  Schenkel  ,  und  erzeugt  dadurch 
nicht  allein  ein  unerträgliches  Jucken  und  Brennen ,  sondern  auch  einen 
höchst  üblen  Geruch  ;  nicht  selten  kommt  es  zur  Ablagerung  steiniger 
Massen  zwischen  den  Schamlippen ,  die  Blase  verliert  nach  und  nach  ihre 
Capacität  und  die  Harnröhre  kann  sich  verengen.  —  Höchst  selten  ge- 
lingt es  ,  diese  Fistel  auf  unblutigem  Wege  zur  Schliessung  zu  bringen ; 
ist  dieselbe  schon  alt,  callös  ,  mit  Substanzverlust  verbunden ,  so  sind  die 
Aussichten  auf  einen  glücklichen  Erfolg  auch  bei  blutigen  Eingriffen  sehr 
gering.  —  Nach  D  e  s  a  u  1 1  soll ,  behufs  der  Schliessung  der  Fistel  auf 
unblutigem  Wege ,  ein  gehörig  dicker ,  biegsamer  Catheter  in  die  Blase 
gebracht ,  an  einer  Maschine ,  die  einem  Bruchbande  ähnlich  ist ,  mittejs 
eines  verschiebbaren  und  mit  einer  Oeffnung  zur  Aufnahme  des  Catheters 
versehenen  silbernen  Stabes  befestigt  und ,  um  die  Ränder  der  Fistel  zu 
nähern  ,  eine  Wieke  von  Leinwand  oder  eine  Art  von  Handschuh finger, 
der  mit  Charpie  ausgestopft,  mit  elastischem  Harz  oder  Wachs  überzogen 
ist  (nach  Barnes  eine  Flasche  von  elastischem  Harze)  in  die  Mutter- 
scheide eingebracht  werden,  welcher  diese  ausfüllt,  aber  nicht  ausdehnt. 
Dabei  Vermeidung  der  Rückenlage.  Selten  kommt  die  Heilung  vor  einem 
halben  oder  ganzen  Jahre  zu  Stande.  —  Gelingt  die  Schliessung  der 
Fistel  auf  diesem  Wege  nicht ,  so  hat  man  verschiedene  Behandlungsme- 
thoden angegeben,  und  zwar  1)  die  Vereinigung  der  wundgemachten 
Ränder  durch  eine  Naht;  2)  die  Cauterisation  mit  Anlegung  der  Naht; 
3)  die  Cauterisation  ohne  Naht;  4)  die  Schliessung  der  Fistel  durch 
Transplantation ;  die  Verschliessung  der  Scheide.  —  Der  Operation  lässt 
man  den  Tag  vorher  ein  Abführmittel  aus  Ol.  r  i  c  i  n  i  und  kurz  vor  der- 
selben ein  Klystier  vorhergehen  ;  Scheide  und  Blase  werden  durch  Ein- 
sprizen  von  kaltem  Wasser  gereinigt.  Die  Kranke  liegt  am  besten  auf 
dem  Rücken  auf  dem  vordem  Rande  eines  Operationstisches  mit  weit  ge- 
öffneten, im  Knie-  und  Hüftgelenke  flectirten  und  von  zwei  Gehülfen  fixir- 
ten  Schenkeln.  Der  Operateur  sizt  zwischen  den  Beinen  der  Kranken.  — 
1)  Operation  durch  die  Naht.  a)  Durch  die  Knopfnaht. 
Man  bringt  vor  der  Operation  einen  Catheter  in  die  Blase,  durch  den  man 


HARNFISTELN, 


397 


kaltes  Wasser  einsprizt  und  wieder  ablaufen  lässt ,  zieht  die  Gesehlechts- 
theile  durch  stumpfe  Haken  auseinander ,  sezt  dann  einen  scharfen  Dop- 
pelhaken in  das  Scheidengewölbe  ,  ebnet  dadurch  die  Runzeln  und  zieht 
den  Theil  der  Scheide ,  in  welchem  sich  die  OefFnung  befindet ,  so  weit 
vor,  dass  man  sie  sehen  kann.  Nun  häkelt  man  den  Rand  mit  einem  Con- 
junctivahäkchen  an ,  durchsticht  ihn  mit  der  Spize  eines  feinen  Scalpells 
eine  halbe  Linie  breit  und  umschneidet  ihn  in  der  Weise,  dass  die  Wunde 
eine  weitere  äussere  und  engere  innere  Oeffnung  bekommt  und  nach  vorn 
und  unten  hin  etwas  spizig  ausläuft ;  dann  sezt  man  das  Häkchen  an  einen 
andern  Theil  und  vollendet  die  Umschneidung,  so  dass  man  den  ganzen 
Saum  als  einen  Hautring  herausbringt.  Nun  sprizt  man  kaltes  Wasser  in 
die  Scheide  und  trocknet  sie  durch  Schwammstücke.  Behufs  der  Anle- 
gung der  Naht  fasst  man  die  kurze,  krumme,  an  den  Seiten  wenig  schnei- 
dende ,  mit  starkem  gewichsten  seidenen  Faden  versehene  Nadel  mit  einer 
Nadelzange  quer  über  dem  Oehr  und  durchsticht  zuerst  vorn  den  breiten 
Wundrand  in  einer  Breite  von  2 — 3  Linien,  kommt  mit  der  Nadel  am 
Rande  der  Blasenschleimhaut  heraus ,  bis  die  Mitte  des  Fadens  in  der 
Oeffnung  angekommen  ist.  Dann  geht  man  durch  das  Loch  mit  der  Nadel 
ein ,  durchsticht  die  andere  Lefze  an  der  Grenze  der  Blasenhaut ,  führt 
die  Nadel  wieder  heraus  und  zieht  den  Faden  so  weit  nach ,  bis  beide 
Enden  gleich  lang  aus  den  Geschlechtstheilen  heraushängen.  Dann  spült 
man  die  Wunde  ab ,  trocknet  sie  und  bestreicht  sie  leicht  mit  verdünnter 
Cantharidentinctur,  um  die  Einwirkung  des  Urins  aufzuheben,  worauf  man 
den  Faden  mit  einem  Doppelhaken  ziemlich  fest  zusammenknüpft.  Auf 
diese  mittlere  Naht  lässt  man  eine  hintere  und  dann  eine  vordere  folgen. 
Unmittelbar  nach  der  Operation  reinigt  man  die  Scheide  durch  Einspri- 
zungen  von  kaltem  Wasser,  trocknet  sie  mit  einem  Schwämme  und  stopft 
sie  mit  Charpie  aus,  in  welche  man  Wein  einsprizt.  Durch  die  Harnröhre 
bringt  man  einen  dicken  langen  Catheter ,  lagert  die  Kranke  auf  den 
Rücken  und  leitet  den  Catheter  in  ein  Uringlas ,  um  die  Blase  leer  zu  er- 
halten. Durch  den  Catheter  sprizt  man  täglich  mehrmals  kaltes  Wasser 
in  die  Blase.  Nach  3  Tagen  zieht  man  bei  hoher  Steisslage  die  Charpie 
mit  einer  Kornzange  aus  ,  sprizt  die  Scheide  mit  lauem  Wasser  aus  und 
bringt  wieder  Charpie  in  diese.  —  Am  andern  Tage  ziehe  man  die  bei- 
den hintern  Nähte  mit  der  Pincette  an ,  durchschneide  sie  und  ziehe  sie 
aus.  Die  vordere  Naht  entfernt  man  erst  am  folgenden  Tage,  bringt  dann 
Charpie  in  die  Scheide  und  besprizt  diese  mit  Chamillenthee ,  den  Urin 
leitet  man  noch  einige  Tage  durch  den  Catheter  ab  und  lässt  erst  gegen 
den  8.  Tag  die  willkürliche  Entleerung  vornehmen.  Die  Operation  kann 
misslingen  ,  indem  alle  oder  mehrere  Suturen  durchschneiden.  Ist  eine 
theilweise  Vereinigung  zu  Stande  gekommen,  so  nimmt  man  für  den  Rest 
die  Hülfe  der  Cauterisation  in  Anspruch.  Gelingt  die  völlige  Schliessung 
der  Fistel  damit  nicht,  so  kann  die  Operation  später  wiederholt  werden.  — 
Hat  die  Fistel  mehr  die  Gestalt  einer  Querspalte,  so  bringt  man  eine  Quer- 


398  HARNFISTELN. 

naht  an ,  weil  diese  die  geringste  Spannung  verursacht.  —  Bei  weit  zu- 
rückliegenden Fisteln  rauss  man  entweder  einen  Mutterspiegel  zu  Hülfe 
nehmen  oder  die  Anlegung  der  Naht  muss  nach  dem  Gefühl  geschehen. 
Zum  Abtragen  der  Fistelränder  bedient  man  sich  im  ersten  Fall  eines  nur 
an  der  Spize  schneidenden,  sichelförmigen  Messers,  im  zweiten  Falle  einer 
geraden  Scheere ,  deren  eines  Blatt  spizig,  das  andere  abgerundet  ist.  — 
b)  Vereinigung  der  Fistel  durch  die  Schnürnaht.  Die 
Schnürnaht  wurde  von  Dieffenbach  für  kleine  Fisteln  mit  dünnen 
schlaffen  Rändern  im  vordem  und  mittlem  Theile  des  Scheidengewölbes 
angegeben.  Die  Lagerung  ist  die  oben  angegebene.  Der  Rand  der  Oeff- 
nung  wird  entweder  mit  einem  Schiebhäkchen  gefasst  und  in  Papierdicke 
oberflächlich  abgeschält  oder  Tags  vorher  durch  Cauterisation  mit  concen- 
trirter  Cantharidentinctur  in  Entzündung  versezt.  Zur  Heftung  führt  man 
zwischen  Blasen-  und  Scheidenhaut  eine  kleine,  stark  gekrümmte  Nadel 
mit  einem  seidenen  gewichsten  Faden  etwa  2  Linien  vom  Rande  entfernt 
um  die  Oeffnung  herum ,  indem  man  einsticht ,  aussticht ,  durch  die  Aus- 
stichspunkte wieder  einsticht ,  bis  man  wieder  aus  dem  ersten  Ausstichs- 
punkte herauskommt.  Den  Rand  bestreicht  man  mit  Tinct.  cantha- 
r  i  d  u  m  und  knüpft  dann  den  Faden  zusammen.  Ein  Ende  wird  kurz  ab- 
geschnitten, das  andere  zur  Scheide  herausgeleitet.  Die  Nachbehandlung 
ist  wie  bei  der  Knopfnaht.  Diese  Naht  verschliesst  die  Fistel  gut  und 
hinterlässt  diese ,  auch  wenn  sie  misslingt ,  kleiner.  —  c)  Umschlun- 
gene Naht.  Sie  passt  für  Fisteln  im  vordem  Theile  der  Scheide  sehr 
gut.  Man  trägt  die  Ränder  mit  dem  Scalpell  ab,  nachdem  man  die  Schei- 
denwand mit  einem  scharfen  Haken  vorgezogen  hat,  und  sticht  eine  starke 
Insectennadel  mit  der  Nadelzange  quer  über  durch  beide  Wundränder  des 
vordem  Mundwinkels  3 — 4  Linien  breit  hindurch.  Dann  umschlingt  man 
die  Nadel  mit  einem  dicken  gewichsten  doppelten  Faden  einige  Male, 
biegt  die  Nadel  etwas  aufwärts,  wiederholt  die  Verschlingung  noch  einige 
Male  und  kneipt  dann  die  Enden  der  Nadel  einige  Linien  vom  Faden 
entfernt  ab.  Ein  Gehülfe  zieht  an  den  Fadenenden  etwas  hervor ,  worauf 
man  in  Entfernungen  von  3  Linien  so  viele  weitere  Nadeln  einlegt,  als  er- 
forderlich sind.  Schliesslich  führt  man  um  sämmtliche  Nadeln  einen  Faden 
herum,  um  den  genähten  Theil  etwas  von  der  Oberfläche  abzuheben  und 
die  Wunde  der  Einwirkung  des  Urins  zu  entziehen.  Die  Scheide  füllt 
man  mit  Charpie  aus  und  legt  einen  Catheter  in  die  Blase.  Die  Nadeln 
entfernt  man,  sobald  sie  locker  sind.  —  d)  Falznaht.  Diese  rührt  von 
Blasius  her.  Er  trägt  die  Ränder  bei  einer  Längenfistel  ab,  trennt  Blase 
und  Scheide  4  Linien  im  Umkreise  von  einander, 'sticht  von  zwei  an  einen 
Faden  gefädelten  krummen  Nadeln  die  eine  von  der  Blasenseite  her  erst 
durch  den  linken  Blasenrand  an  dessen  freier  Seite,  dann  durch  den  rech- 
ten Blasenrand  an  dessen  adhärenter  Seite,  ferner  durch  den  linken  Schei- 
denrand, an  der  freien  Seite  zulezt  durch  den  rechten  Scheidenrand  wieder 
an  seiner  adhärenten  Seite  und  führt  ganz   ebenso    2  —  3  Linien  weiter 


HARNFISTELN.  399 

nach  vorn  die  andere  Nadel  durch  die  Wundränder.  Auf  diese  Weise 
werden  mehrere  Hefte  angelegt,  deren  Enden  durch  ein  Heftstäbchen 
geführt  werden ,  um  die  Naht  später  entfernen  zu  können.  Die  Fistel 
wird  dadurch  so  geschlossen ,  dass  der  rechtseitige  Blasenrand  zwischen 
den  beiden  Lamellen  des  linken  Fistelrandes  und  der  linksseitige  Schei- 
denrand zwischen  den  beiden  Platten  des  rechten  Fistelrandes  zu  liegen 
kommt.  Das  Verfahren  hat  sich  bewährt.  —  Ausser  den  genannten 
Nähten  wurden  auch  die  Kürschner-  und  die  Zapfennaht  zur  Vereinigung 
der  Blasenscheidelfistel  angewendet ;  die  erstere  vereinigt  aber  nicht  genau 
genug  und  über  die  leztere  liegen  zu  wenig  Erfahrungen  vor.  —  Ebenso 
wurde  die  Naht  von  der  Blase  aus  angelegt ;  die  Schwierigkeit  dieses 
Verfahrens  hat  indessen  nicht  sehr  zur  Nachfolge  aufgemuntert.  —  An- 
statt der  Nähte  hat  man  versucht ,  die  Fistelränder  durch  zangen-  oder 
klauenartige  Werkzeuge  nach  vorangegangener  Verwundung  und  Caute- 
risation  zur  dauernden  Vereinigung  zu  bringen,  sie  haben  jedoch  den  von 
ihnen  gehegten  Erwartungen  nicht  entsprochen.  —  1)  Vereinigung 
der  Ränder  nach  vorausgegangener  Cauterisation. 
a)  Mit  Anlegung  der  Naht.  Die  Aezung  der  Ränder  verdient  bei 
grosser  Laxität  der  Scheidenhaut,  sowie  bei  den  kleinen  Fisteln  den  Vor- 
zug vor  dem  Schnitte.  Als  Aezmittel  bedient  man  sich  des  Höllensteins, 
des  Aezsteins,  des  Liquor  hydrarg.  nitr.,  der  concentrirten  Cantha- 
ridentinktur ,  des  Kreosot ;  im  Allgemeinen  gibt  man  aber  dem  Glüheisen 
den  Vorzug  vor  dem  Aezmittel.  Die  Aezung  muss  immer  zwei  Tage 
vor  der  Anlegung  der  Naht  unternommen  werden ,  damit  die  gehörige 
Reaction  erwacht,  die  Oberfläche  sich  abstösst  und  rothe  Entzündung  zu- 
gegen ist.  Am  besten  passt  die  Cantharidentinktur ,  mit  welcher  man 
die  gehörig  getrocknete  Oeffnung  auswendig  und  inwendig  wiederholt 
bepinselt.  Die  Wahl  der  Naht  richtet  sich  nach  den  Umständen  und 
wird  nach  den  angegebenen  Regeln  vollführt.  —  Die  Cauterisation  mit 
dem  Glüheisen  geschieht  durch  den  R  i  c  o  r  d '  sehen  Mutterspiegel,  durch 
welchen  man  das  rothglühende  hakenförmige ,  der  Grösse  der  Fistel  an- 
gemessene Zapfeneisen  nach  vorheriger  Verstopfung  der  Oeffnung  der 
Fistel  durch  ein  Schwammstückchen  einführt  und  auf  diese  einige  Linien 
weit  auf  den  Umkreis  einwirken  lässt.  Am  dritten  Tage,  oder  wenn  sich 
der  Brandschorf  löst,  legt  man  die  geeignete  Naht,  aber  nicht  zu  fest  an. 
Die  Scheide  stopft  man  nach  der  Operation  mit  Charpie  aus.  —  b)  Ohne 
nachfolgende  Naht.  Soll  eine  Fistel  allein  -durch  Brennen  zur 
Schliessung  gebracht  werden ,  so  muss  man  das  Glüheisen  kräftig  einwir- 
ken lassen.  Dieses  Verfahren  passt  besonders  bei  kleinen  Fisteln ;  grös- 
sere werden  damit  allmälig  verkleinert  und  dadurch  ihre  Vereinigung 
erleichtert.  Bei  der  Ausführung  dieser  Operation  bringt  man  einen 
geölten  Mutterspiegel  so  in  die  Scheide ,  dass  die  Oeffnung  der  Fistel 
genau  in  der  Mitte  der  Oeffnung  des  Spiegels  liegt.  Das  Glüheisen  muss 
ein  kleines  Knie  bilden  und  eine  Kugelform  haben.   Man  richtet  es  gegen 


400  HAHNFLUSS. 

die  Fistel,  deckt  diese  zu  und  dreht  es.  Mau  stopft  durch  das  Speculum 
Charpie  ein  und  legt  einen  Catheter  in  die  Harnblase ,  der  liegen  bleibt. 
Man  wiederholt  die  Application  des  Glüheisens  in  Zwischenräumen  von 
3  —  7  Tagen.  Während  der  Kur  muss  die  Kranke  die  Rückenlage  ver- 
meiden. —  Dieffenbach  räth  besonders,  kleine  versteckte  Fisteln  in 
der  Nähe  des  Muttermundes  zu  brennen  und  auch  diesen  lezteren  mit  zu 
cauterisiren ,  damit  er  mit  den  Fistelrändern  verwachse  und  so  die  Oeff- 
nung  schliesse.  —  3)  S  ch  li  es  s  u  n  g  der  Fistel  durch  Trans- 
plantation. Man  hat  den  Lappen  aus  der  Scheidenhaut,  aus  dem 
Collum  uteri,  aus  der  Blase,  aus  der  Schamlefze  und  aus  der  äussern 
Haut  genommen.  Diese  Verfahren  schlugen  fast  alle  fehl.  —  Der  Haupt- 
grund des  häufigen  Misslingens  der  vorgenannten  Operationen  zur  Schlies- 
sung dieser  Fisteln  ist  in  der  Wirkung  des  Urins  auf  die  Wunde  zu  su- 
chen. Henke  glaubt  in  der  neuesten  Zeit  ein  Verfahren  angeben  zu 
können ,  durch  welches  man  den  Urin  von  der  Wunde  ableiten  kann. 
Man  legt  in  die  Blase  einen  starken  weiblichen  Catheter ,  welcher  inwen- 
dig durch  eine  Längenscheidewand  in  zwei  getrennte  Röhren  getheilt  ist. 
An  dem  aus  der  Harnröhre  hervorstehenden  Ende  sind  an  beide  Röhren 
elastische  Schläuche  befestigt.  Durch  den  einen  Schlauch  wird  ein  Strom 
lauwarmen  Wassers  in  die  Blase  hineingeleitet,  durch  den  andern  fliesst 
derselbe  wieder  ab.  Auf  diese  Weise  wird  die  innere  Wand  der  Blase 
stets  von  Wasser  überrieselt  und  dadurch  der  aus  deu  Ureteren  in  die 
Blase  fliessende  Urin  so  sehr  mit  Wasser  verdünnt,  dass  seine  nachtheilige 
Wirkung  ganz  aufgehoben  wird.  —  Die  Erfahrung  muss  erst  noch  lehren, 
ob  die  Voraussezungen  des  Erfinders  sich  bestätigen.  —  Verschlies- 
s u n g  der  Scheidenmündung.  Diese  Operation  wurde  von  V i d a  1 
bei  sehr  grossen  unheilbaren  Blasenscheidenfisteln  vorgeschlagen  und 
ausgeführt,  passt  jedoch  nur  bei  Personen,  deren  Menses  bereits  aufgehört 
haben.  Man  nimmt  sie  in  der  oben  angegebenen  Lage  vor,  fasst  mit 
einer  langen  Balkenzange  den  Rand  der  einen  grossen  Schamlefze  und 
schneidet  ihn  von  hinten  nach  vorn  mit  einer  scharfen  Scheere  J/4  Zoll 
breit  ab.  Dasselbe  geschieht  auf  der  andern  Seite.  Die  einander  gegen- 
überliegenden Wundränder  werden  nun  durch  Kopfnähte  vereinigt.  Nach 
der  Operation  sprizt  man  wiederholt  kaltes  Wasser  in  die  Urethra  ein, 
macht  kalte  Umschläge  und  legt  einen  Catheter  in  die  Blase.  Die  Nähte 
entfernt  man ,  sowie  sie  sich  lösen.  Eine  unvollständige  Verschliessung 
der  Scheide  sucht  man  durch  Höllenstein,  Cantharidentinktur ,  reizende 
Salben,  das  Glüheisen  zu  ergänzen. 

IiarnnUSS,  un  willkürlicher,  Incontinentia  nrinae. 
Dieses  Leiden  äussert  sich  auf  doppelte  Weise  :  entweder  der  Urin  geht 
tropfenweis  (H  a  r  n  t  r  ö  p  f  e  1  n  ,  S  t  i  1 1  i  c  i  d  i  u  m  nrinae),  ohne  allen 
Drang  ,  bisweilen  sogar  ohne  alle  Empfindung ,  immerwährend  ab  ,  oder 
der  Kranke   wird ,    wenn  sich  die  Blase  bis  auf  einen  gewissen  Punkt  ge- 


HARNFLUSS.  401 

füllt  hat ,  plözlich  von  einem  so  heftigen  Reize  zur  Entleerung  befallen, 
dass  er  ganz  gegen  seinen  Willen  den  Harn  fliessen  lassen  muss.  Der 
Krankheit  liegt  entweder  eine  erhöhte  Reizbarkeit  der  Muskeln  der  Blase, 
oder  eine  Lähmung  derselben ,  namentlich  des  Sphincters  zu  Grunde. 
Hieraus  ergeben  sich  zwei  Formen  der  Enuresis,  die  Enuresis  ere- 
thistica  und  die  Enuresis  paralytica.  Von  der  leztern  war  bei 
der  Harnblasenlähmung  die  Rede,  es  wird  deshalb  hier  nur  die  Enure- 
sis erethistica  zur  Sprache  kommen.  Bei  dieser  empfindet  der 
Kranke  vor  dem  wirklichen  Harnabgänge  einen  Trieb  zum  Uriniren,  den 
er  nicht  zu  überwinden  vermag  und  der  um  so  heftiger  ist ,  ja  sogar 
schmerzhaft  sein  kann ,  wenn  der  Krankheit  ein  congestiver  oder  wirk- 
lich entzündlicher  Zustand  der  Blase  zu  Grunde  liegt.  Ist  der  Zustand 
ein  mehr  krampfhafter  (Enuresis  spastica),  so  treten  die  Schmerzen 
nur  periodisch  auf,  schiessen  vorwärts  gegen  die  Harnröhre  und  erzeugen 
an  der  Eichel  nicht  selten  ein  unbehagliches  Jucken ,  wogegen  die  Bla- 
sengegend beim  Drucke  sich  nur  wenig  empfindlich  zeigt.  Dabei  wird 
der  Harn  mit  Heftigkeit,  fast  stossweise  ausgetrieben.  Eine  Spielart  der 
erethistischen  Enurese  ist  die  Enuresis  nocturna,  das  sog.  Bett- 
pissen ,  welche  häufig  bei  Kindern  und  nur  selten  bei  Erwachsenen  beob- 
achtet wird  und  wo  das  die  Contraction  der  Blase  veranlassende  Moment 
häufig  der  Urin  selbst  ist.  —  Ursachen.  Alles  was  eine  erhöhte  Em- 
pfindlichkeit der  Blase  oder  einen  vorübergehenden  Reiz  ihrer  Muskelhaut 
hervorruft ,  kann  die  erethistische  und  spasmodische  Enurese  bedingen, 
daher  Congestions-  oder  chronische  Entzündungszustände  der  Blase, 
Wurm-,  Hämorrhoidal-,  Menstrualreiz  etc.  Die  Enuresis  nocturna 
findet  ihren  Grund  am  häufigsten  in  einer  üblen  Angewohnheit  und  wird 
begünstigt  durch  vieles  Trinken  am  Abend ,  durch  eine  unbequeme  Lage 
im  Bette,  zu  tiefen  Schlaf,  Erschlaffung  der  Blase,  Schärfe  des  Harns  durch 
zu  viel  Harnsäure.  —  Prognose.  Sie  ist  nicht  ungünstig,  da  dasüebel 
meist  auf  zu  beseitigenden  dynamischen  Missverhältnissen  beruht.  — 
Behandlung.  Man  entferne  die  Ursachen  durch  angemessene  Mittel 
und  wirke  dann  dem  Charakter  der  Krankheit  gemäss  dieser  entgegen. 
Diesem  nach  werden  sich  daher  bald  Antiphlogistica ,  bald  Demulcentia 
und  Antispasmodica  nöthig  machen,  welche  man  sowohl  innerlich  als  äus- 
serlich  unter  der  Form  von  Bähungen ,  Bädern ,  Einreibungen ,  Umschlä- 
gen, Klystieren  anwendet.  Bei  Kindern  entsteht  die  Enurese  häufig  aus 
einer  Unlust  zum  Aufstehen,  wenn  sie  das  Bedürfniss  des  Urinirens  be- 
fällt. Das  zweckmässigste  ist  hier,  sie  mehrmals  des  Nachts  zu  erwecken, 
sie  am  Tage  den  Urin  möglichst  lange  zurückhalten  zu  lassen ,  um  so  die 
Blase  an  den  Reiz  desselben  zu  gewöhnen,  Abends  alle  erhizenden  Speisen 
und  Getränke ,  sowie  vieles  Trinken  zu  vermeiden.  Empirisch  nüzte  oft 
Rp.  Tinct.  opiicroc.  5ß,  Tinct.  nuc.  vomic.  5 j  ,  Tinct.  se- 
cal.  cornut.  5j  S.  Morgens  und  Abends  10  —  2  0  Tropfen  je  nach 
dem  Alter  der  Kinder.  Erwachsenen  gibt  man  bei  einer  besondern 
Burger,  Chirurgie.  26 


402  HARNRECIPIENTEN. 

Schwäche  oder  Reizbarkeit  der  Blase  alle  Abend  ein  Cantharidenpulver, 
ein  Opiat  oder  nach  Art  au  d  das  Strychnin  in  folgender  Form:  Rp. 
Strychnini  Decigramm.  j,  Conserv.  rosar.  Gramm,  ij.  M. 
f.  pil.  2  4.  D.  S.  Morgens  und  Abends  anfangs  1  ,  später  2  Stück  zu 
nehmen.  —  In  Fällen ,  wo  der  Harn  sehr  scharf  ist ,  viel  Harnsäure  oder 
deren  Salze  enthält,  wird  Benzoe  empfohlen.  —  Bei  unheilbaren  Fällen 
muss  der  Kranke  sich  eines  Harnrecipienten  bedienen. 

Harnrecipient,  ßeceptaculum  urinae,  ist  eine  Vorrich- 
tung ,  welche  bestimmt  ist ,  den  in  Folge  gewisser  krankhafter  Zustände 
des  uropoetischen  Systems  unwillkürlich  abgehenden  Harn  aufzunehmen. 
Der  verschiedene  Bau  der  Harnorgane  bei  den  Männern  und  Weibern 
erfordert  verschiedene  Apparate.  Für  die  erstem  reicht  man  mit  Flaschen 
von  verschiedenen  Stoifen  aus ,  in  deren  Hals  der  Penis  gesteckt  und  die 
Flasche  durch  Riemen ,  die  an  ihren  Hals  befestigt  sind ,  um  das  Becken 
angelegt  wird.  Solcher  Art  sind  die  von  F a b r i z  von  Hilden,  Hei- 
ster, Bell  und  Oslander  angegebenen  Vorrichtungen.  Zu  den 
brauchbarsten  Apparaten  dieser  Art  gehört  der  von  J  u  v  i  1 1  e  ,  der  in 
der  Schambeingegend  mit  einer  elfenbeinernen,  durchbohrten  und  zum 
Anschrauben  einer  Kautschukröhre  mit  einem  silbernen  Schraubenringe 
eingefasst,  versehen  ist.  In  dieser  Röhre  ruht  der  Penis,  und  an  das  vor- 
dere Ende  derselben  wird  eine  silberne  Kapsel  angeschraubt ,  an  deren 
Oeffnung  sich  ein  Schwamm  befindet ,  durch  welchen  der  Urin  durch- 
sickert. Dieser  Schwamm  sowohl,  sowie  ein  Trichter,  welcher  an  seinem 
untern  Ende  eine  Klappe  hat,  verhindert  das  Zurückfliessen  desselben  beim 
Gehen.  Die  silberne  Kapsel  wird  entweder  an  einen  Schenkel  angelegt 
oder  in  eine  in  den  Beinkleidern  angebrachte  Tasche  gesteckt,  und  um  sie 
zu  entleeren ,  braucht  man  sie  nur  abzuschrauben.  —  Der  Harnrecipient 
von  Köhler  besteht  aus  einer  zur  Aufnahme  des  Penis  bestimmten  elfen- 
beinernen Röhre  und  einer  mit  Firniss  überzogenen  Pferdeblase.  Diese 
Vorrichtung  trifft  nur  der  Vorwurf,  dass  die  Blase  einer  baldigen  Zerstö- 
rung unterworfen  ist,  sonst  empfiehlt  sie  sich  durch  ihre  Wohlfeilheit  und 
Bequemlichkeit.  —  Feburier's  von  Verdier  verbesserter  Harnreci- 
pient beruht  auf  ähnlichen  Grundsäzen ,  wie  der  Juville'sche,  doch 
macht  sein  complicirter  Mechanismus  das  Instrument  zu  theuer  und  zu 
zerbrechlich.  —  Bei  dem  weiblichen  Geschlechte  erfüllen  die 
Harnrecipienten  den  von  ihnen  geforderten  Zweck  weniger,  indem  sie  sich 
nicht  allein  leicht  verschieben,  sondern  die  Kranken  auch  am  Gehen  und 
Sizen  hindern.  Es  ist  dies  um  so  übler,  als  der  unwillkürliche  Abgang 
des  Urins  bei  Frauen  (in  Folge  schwerer  Geburten)  viel  häufiger  als  bei 
Männern  vorkommt.  Die  gerügten  Mängel  haben  besonders  die  Harn- 
recipienten, welche  die  Schamtheile  in  der  Gestalt  einer  metallenen  Mu- 
schel, an  welche  eine  Blase  u.  dgl.  für  die  Aufnahme  des  Urins  befestigt 
ist,  umfassen.      Solche  Vorrichtungen  haben  Fried   d.  A. ,  Köhler, 


HARNROEHRENENTZUENDUNG.  403 

G  e  r  d  y  angegeben ;  ähnlich  sind  auch  die  Apparate  von  Böttcher, 
Bonn  und  Stark  beschaffen.  Zweckmassiger  ist  der  Harnrecipient  von 
V  e  r  d  i  e  r.  Er  besteht  aus  einem  elliptischen  Zinkdraht ,  der  mit  Lein- 
wand und  darüber  mit  Leder  überzogen  ist.  An  diesem  Ringe  ist  ein 
Beutel  von  Wachstaffent  mit  einer  Zugschnur  befestigt ,  in  welchem  ein 
Schwamm  liegt.  An  dem  obern  Theile  des  Ringes  ist  ein  elastisches 
Tragband  angebracht,  welches  an  einen  Beckengürtel  geknöpft  wird ;  nach 
hinten  wird  der  Apparat  durch  Schenkelbänder  festgehalten.  Bequem 
aber  nur  bei  geringer  Harnentleerung  brauchbar  ist  die  Vorrichtung  von 
Fried  d.  J.,  welche  aus  einer  T  Binde  besteht,  die  in  der  Gegend  der  Vulva 
mit  einem  Schwämme  versehen  ist.  Reinlichkeit,  namentlich  ein  häufiger 
Wechsel  des  Schwammes  ist  bei  allen  Apparaten,  die  mit  einem  Schwämme 
versehen  sind,  eine  unerlässliche  Bedingung. 

Harnröhre,  Krankheiten  derselben.  Unter  diesen  ist 
Entzündung  die  häufigste  und  diese  gibt  hinwiederum  zu  den  meisten 
andern  Erkrankungen  dieses  Körpertheils ,  wie  Abscessen ,  Geschwüren, 
Blutungen,  Verengerungen,  polypösen  Excrescenzen,  Veranlassung. 

HamrÖhrenabsceSS,  Abscessus  mr  e  t  h  r  a  e  ,  entsteht  zu- 
weilen nach  einer  acuten  Entzündung  der  Harnröhre ,  weit  öfter  durch 
Stricturen  derselben,  unvorsichtiges  Catheterisiren  oder  rohe  Anwendung 
von  Bougies,  namentlicher  äzender,  Harnröhrensteine  oder  auch  traumati- 
sche Ursachen.  Am  häufigsten  ist  der  Siz  derselben  in  der  Nähe  des 
Bulbus  :  zuweilen  öffnet  sich  der  Abscess  daselbst ,  zuweilen  entfernt  am 
Hodensacke,  Mittelfleisch  etc.  —  Man  muss  diese  Abscesse  durch  erwei- 
chende Umschläge  rasch  zeitigen  und  frühzeitig  öffnen ;  Steine  etc.  sucht 
man  zu  entfernen.     S.  Harnabscesse. 

Harnröhrenentzündung,  Tripper,  Gonorrhoe  a  (von 
yovr\ ,  Samen,  und  qorj ,  Fluss).  Die  Entzündung  der  innern  Haut  der 
Harnröhre  hat  beim  Beginne  ihren  Siz  immer  in  der  Fossa  navicu- 
1  a  r  i  s  ,  breitet  sich  aber  von  da  nicht  selten  längs  der  ganzen  Urethra, 
zuweilen  selbst  über  die  Schleimhaut  der  Blase  aus.  —  Symptome. 
Die  Entzündung  gibt  sich  beim  Manne  zuerst  durch  ein  juckendes  Ge- 
fühl an  der  Mündung  der  Urethra  zu  erkennen ,  was  sich  zuweilen  über 
die  ganze  Eichel  ausbreitet ;  dabei  sind  die  Ränder  der  Mündung  etwas 
angeschwollen  und  entzündet  und  die  Harnausleerung  ist  schmerzhaft. 
Dieser  Schmerz ,  gewöhnlich  ein  Brennen ,  ist  zuweilen  gering ,  oft  aber 
heftig  und  verbreitet  sich  bis  an  die  Wurzel  des  Gliedes ,  das  selbst  an- 
schwillt ;  verbreitet  sich  diese  Geschwulst  in  das  Parenchym  der  Cor- 
pora cavernosa,  so  entstehen  schmerzhafte  Krümmungen  des  Penis 
(Chorda),  weil  nun  bei  der  Erection,  die  sich  häufig  einstellt,  die  schwam- 
migen Körper  sich  nicht  ausdehnen  können.  Dabei  finden  nicht  selten 
Blutergüsse  aus  der  Harnröhre  statt.  Durch  die  Anschwellung  ist  der 
Urethrakanal  verengert ,  deswegen  auch  der  Strahl  des  Urins  vermindert, 

26* 


404  HARNROEHRENENTZUENDUNG. 

manchmal  ganz  unterbrochen.  Nach  einiger  Zeit  stellt  sich  der  Ausfluss 
einer  erst  serösen,  dann  dickeren  gelblichen,  eiterf örmigen  Materie  ein; 
dieser  ist  bei  heftiger  Entzündung  nur  gering ,  missfarbig ,  grünlich, 
schwärzlich  (von  beigemischtem  Blute) ,  oft  ganz  fehlend  (t rocken re 
Tripper);  es  stellen  sich  unter  solchen  Umständen  Fieberbewegnngen, 
Hoden-,  Augenentzündungen  etc.,  oder  auch  gefährliche  Urinverhaltungen 
ein  (synochalerTripper).  Bei  minderen  Reizungsgraden  fehlen  jene 
Erscheinungen ,  dagegen  fühlt  der  Kranke  Schwere  im  Becken,  Empfind- 
lichkeit der  Testikel ,  der  Iguinaldrüsen  ,  der  Prostata  ,  wobei  die  beiden 
leztern  angeschwollen  sind.  Zuweilen  wird  die  Oberfläche  der  Eichel 
von  einer  Entzündung  befallen,  in  deren  Folge  es  zur  Absonderung  einer 
puriformen  Flüssigkeit  kommt  (Eicheltripper,  Balanitis).  Manch- 
mal entzündet  sich  die  Vorhaut  und  schwillt  so  bedeutend  an ,  dass  sie 
nicht  über  die  Eichel  zurückgebracht  werden  kann  (P  h  i  m  o  s  i  s)  ,  oder 
wenn  dieses  gewaltsam  geschieht ,  so  schnürt  sie  sich  hinter  der  Eichel 
zusammen  (Paraphimosis).  Manchmal  complicirt  sich  der  Tripper 
mit  Rothlauf  (erysipelatöser  Tripper),  in  welchem  Falle  die  Röthe 
der  Eichel  etc.  rosig ,  dem  Fingerdrucke  weichend  ,  die  Vorhaut  meist 
ödematös  angeschwollen,  der  Ausfluss  dünner  ist  und  gastrische  Symptome 
zugegen  sind.  —  Beim  Weibe  hat  die  Entzündung  ihren  Siz  in  der 
Mutterscheide,  von  wo  aus  sie  sich  über  die  Schamlippen,  die  Urethra  und 
die  Clitoris  verbreitet.  In  diesen  Theilen  entsteht  ein  schmerzhaftes 
Jucken  und  Brennen  und  es  stellt  sich  bald  ein  copiöser  Ausfluss  ein, 
dessen  Schärfe  zuweilen  so  gross  ist ,  dass  die  Theile ,  mit  denen  er  in 
Berührung  kommt,  excoriirt  werden.  —  Ursachen.  Sie  sind :  Stösse 
auf  die  Harnröhre  ,  starkes  Reiten  ,  Onanie  ,  häufiger  Coitus  ,  Einbringen 
fremder  Körper  in  die  Harnröhre ,  ungegohrne  Getränke ,  gichtische ,  her- 
petische Schärfen ,  zurückgetriebene  Hautausschläge  etc. ,  am  häufigsten 
aber  Ansteckung  beim  Beischlafe.  —  Ein  eigentlicher  syphilitischer  (vi- 
rulenter) Tripper  entsteht  nur  in  den  seltenen  Fällen ,  wenn  Chanker- 
^gift  beim  Coitus  in  die  Harnröhre  gelangt.  Der  von  einem  solchen 
Tripper  genommene,  auf  die  äussere  Haut  übergeimpfte  Eiter  erzeugt  da- 
selbst Chanker.  —  Ausgänge.  Die  Harnröhrenentzündung  kann  sich 
endigen :  invollkommeneGenesung,  in  den  chronischen  oder 
sogenannten  Nachtripper,  in  örtliche  oder  allgemeine  Folge- 
krankheiten, wie  Auflockerung  und  Verdickung  der  Schleimhaut, 
Vergrösserung  und  Verhärtung  der  Drüsen,  Verengerungen,  Stricturen  der 
Harnröhre  (durch  Callöswerden  eines  durch  die  Entzündung  gesezten 
Faserstoffexsudates) ,  Geschwüre ,  Anschwellung  und  Verhärtung  der  Pro- 
stata und  verschiedenartige  Hautausschläge ;  in  verschiedene  Metasta- 
sen auf  andere  Schleimhäute  (wie  der  Augen ,  der  Nase ,  des  Mastdarms, 
der  Blase),  selten  auf  seröse  und  fibröse  Häute,  dann  auf  Drüsen  (nament- 
lich die  Inguinaldrüsen),  endlich  auf  die  Hoden.  —  Prognose.  Sie  ist 
im  Allgemeinen  günstig,  besonders  wenn  der  Kranke  sonst  gesund  ist  und 


HARNROEHRENENTZUENDUNG.  405 

die  diätetischen  und  arzneilichen  Vorschriften  befolgt.  —  Der  Nachtripper 
widersteht,  wenn  er  lange  gedauert  hat,  oft  allen  Mitteln.  —  Behand- 
lung. Sie  richtet  sich  nach  seinen  ursächlichen  Momenten  und  nach 
der  Heftigkeit  der  begleitenden  Symptome.  Bei  gelinderer  Entzündung 
lässt  man  den  Kranken  Milch  ,  Molken  ,  Mohnsamen-  ,  Mandelmilchemul- 
sionen u.  dgl.  zu  sich  nehmen  oder  verordne  Rp.  Emuls.  amygdal. 
gvj,  Aq.  lauroceras.  5j  Syr.  simpl.  gfi.  M.  S.  2stündlich  1  Ess- 
löffel voll ;  dabei  Beobachtung  von  Ruhe ,  Vermeidung  aller  scharfen  und 
hizigen  Dinge  und  Tragen  eines  Suspensoriums.  Wenn  Stuhlverstopfung 
zugegen  ist,  so  verordnet  man  ein  leichtes  Abführmittel  von  Tama- 
rinden ,  Manna  ,  Ricinusöl  oder  Electuariumlenitivum.  Ist  aber 
die  Urethritis  heftig,  sind  Krümmungen  des  Gliedes  da,  so  wende  man 
neben  der  genannten  Behandlung  nach  Massgabe  der  Umstände  Ader- 
lässe, Blutegel  an  den  Damm ,  Sizbäder ,  erweichende  Umschläge  und 
Klystiere  an  und  gebe  innerlich  Calomel.  Ist  der  Kranke  nicht  pletho- 
risch, so  kann  man  vorsichtig  narkotische  Mittel  reichen ,  Emulsionen  mit 
Aqua  laurocerasi,  Extr.  hyoscyami,  Opium ,  Kampfer  und  be- 
sänftigende Klystiere  sezen.  Dieselbe  Behandlung  erfordert  die  Stran- 
gurie.  Bedenkliche  Hämorrhagien  aus  der  Harnröhre  bekämpft  man 
durch  Compression  des  Gliedes ,  durch  Einsprizung  einer  Auflösung  des 
arabischen  Gummi  oder  des  essigsauren  Bleies.  Wenn  die  entzündlichen 
Erscheinungen  verschwunden  sind  und  der  Ausfluss  sich  vermindert ,  so 
wendet  man  Mittel  an,  welche  die  noch  bestehende  krankhafte  Reizbarkeit 
der  Schleimhaut  beseitigen ,  wie  Opium  und  die  Mineralsäuren.  Bleibt 
noch  längere  Zeit  ein  sparsamer  Ausfluss  einer  serösen  Flüssigkeit  zurück, 
so  dienen  leicht  adstringirende  Flüssigkeiten  von  essigsaurem  Blei,  schwe- 
felsaurem Zink ,  Sublimat ,  Höllenstein  etc.  für  sich  oder  mit  Opium ,  so- 
wie die  verschiedenen  balsamischen  und  tonischen  Mittel,  wie  Copaivabal- 
sam ,  Terpentin  ,  Myrrhe  ,  Catechu  ,  Cubeben  etc.  Unter  diesen  sind  es 
besonders  der  Cubebenpfeffer  und  der  Copaivabalsam ,  welche  sich  einen 
grossen  Ruf  erworben  haben.  Beide  Mittel  müssen  aber,  wenn  sie  etwas 
nüzen  sollena  in  grosser  Gabe  gereicht  werden,  z.  B.  Rp.  Balsam,  co- 
paiv.  5 j  ,  Vit  eil.  ov.  q.  s. ,  Syr.  emuls.  3ij  ,  Aq.  foenic.  ^vj, 
Tinct.  opii  simpl.  gtt.  XX.  M.  S.  Gut  umgeschüttelt  alle  3  Stun- 
den 1  Esslöffel  voll;  Rp.  Piper,  cubebar.  3ß — j,  Sal.  ammon. 
dep. ,  Rad.  liquirit.  pulv.  ana  gr.  X.  M.  f.  pulv.  dent.  dos. 
aeq.  Nr.  vj.  S.  "Alle  3  Stunden  ein  Pulver;  Rp.  Bals.  copaiv. , 
Gum.  arab.  ana  5ij,  Aq.  flor.  naph.  ^jj  terendo  bene  mixtis 
a  d  d  e  :  Pulv.  cubebar.  ^ij  M.  f.  b  o  1  i  N  r.  vj  ;  c  o  n  s  p.  Pulv.  c  i  n  - 
nam.  D.  S.  Dreimal  täglich  ein  Stück.  Bei  geschwächten  Verdauungs- 
kräften sprizt  man  entweder  folgende  Mischung  mehrmals  täglich  ein : 
R p.  Bals.  copaiv.  3ij  —  5vj  ,  V i t e  1 1.  ov.  N r.  j  ,  Extr.  opii  g r.  j 
Aq.  destill.  5vjj.  M. ,  oder  wendet  die  folgende  als  Klystier  an:  Rp. 
Bals.    copaiv.    c.  Vitell.    ov.   subact.   5$ ,    Camphor.   gr.  jv., 


406  HARNROEIIRENENTZUENDUNG. 

Ext.  opii  aquos.  gr.j,  A q.  gummös,  ^iv.  M.  Diese  Mittel  erregen 
zuweilen  Leibschmerzen  und  starke  Durchfälle  ;  in  diesem  Falle  hilft  ein 
Beisaz  von  Opium  oder  eine  Verminderung  der  Gabe ,  oder  ein  völliges 
Aussezen  derselben  auf  einige  Zeit.  —  In  neuerer  Zeit  ist  die  abortive 
Behandlung  des  Trippers  empfohlen  worden.  Zu  diesem  Behufe  wendet 
man  den  Cubebenpfeffer  und  den  Copaivabalsam  in  den  oben  angegebenen 
und  selbst  in  noch  stärkeren  Dosen  in  allen  Stadien  der  Krankheit  an 
oder  lässt  äzende  oder  adstringirende  Flüssigkeiten  in  die  Harnröhre  ein- 
sprizen.  Besonders  wurden  Höllensteinsolutionen  wirksam  gefunden, 
welche  R i c  o r  d  in  der  Mischung  von  gr.  ij  Argent.  n i t r  i  c.  auf  §viij 
Aq.  destill,  in  viertelstündigen  Pausen  einsprizt.  Einige  stiegen  sogar 
bis  zu  gr.  x,  auf  5j  Wasser,  was  aber  offenbar  zu  stark  ist,  da  schon  nach 
schwächeren  Lösungen  die  heftigsten  Schmerzen  und  Blutharnen  ent- 
stehen. Während  dieser  Einsprizungen  muss  das  Glied  einige  Zoll  hin- 
ter seiner  Oeffnung  fest  zusammengedrückt  werden ,  um  das  zu  tiefe  Ein- 
dringen der  Flüssigkeit  zu  verhindern.  Die  Injectionssprize  muss  von 
Glas  sein.  —  Wird  der  Ausfluss  chronisch,  wobei  sich  nur  ein  sparsamer 
Abgang  eines  zähen  Schleimes  und  sehr  selten ,  meist  nur  in  Folge  von 
Diätfehlern,  ein  Brennen  zeigt ,  so  muss  die  Behandlung  gegen  die  ver- 
anlassende Ursache  gerichtet  werden.  Diese  kann  sein :  krankhafte  er- 
höhte Reizbarkeit ,  Erschlaffung  der  organischen  Veränderung  der  Harn- 
röhrenschleimhaut. Im  ersten  Falle  erweisen  sich  Narcotica  mit  Adstrin- 
gentien  innerlich,  wie  das  Opium  mit  Bleisalzen,  oder  ähnliche  Einspri- 
zungen nüzlich,  z.  B.  Rp.  Extr.  opii  aquos.  gr.  viij,  s.  in  Aq.  de- 
still. 5iv  ad  de:  Mucilag.  gi.  arab.  §ß ,  Acet.  lythargyr. 
gutt.  viij.  M.  S.  2  Mal  täglich  in  die  Urethra  einzusprizen.  Bei  auf 
Atonie  beruhendem  Nachtripper  sind  balsamische,  tonische,  austrocknende 
Arzneien  in  verschiedenen  Formen  und  Verbindungen  erforderlich ,  unter 
denen  sich  besonders  Copaivabalsam  (Rp.  Bals.  copaiv.  5ij  ,  Ext. 
stipit.  dulcam.  5 j  *  Pulv.  rad.  rhei  3ß  ,  Gumm.  arab.  q.  s.  ut 
f.  pill.  gr.  ij  consp.  pulv.  ein  n  am.  D.  S.  4  Mal  täglich  8  Pillen  zu 
nehmen),  Terpenthin  (Rp.  Bals.  copaiv.  5üj  s.  in  spirit.  vini 
r  e  c  t  i  f.  ,  Ol.  t  e  r  e  b  i  n  t  h.  a  n  a  5ij  ,  Ol.  menth.  p  i  p.  gtt.  viij .  M.  S. 
Zu  40  —  5  0  Tropfen  4  Mal  des  Tags  mit  Zuckerwasser  zu  nehmen), 
Myrrhe  ,  Alaun  ,  Catechusaft ,  Gummi ,  Ammoniak,  Chinin,  Eisenpräparate 
(Rp.  Sulp  hat.  Chinin,  gr.  iij,  Carbonati  ferri  gr.  x,  Pulv. 
rad.  liquir.  gr.  xij,  Ol.  menth.  er.  gtt.  j,  m.  f.  pulv.  d.  tal.  dos. 
Nr.  xij  D.  in  Chart,  cerat.  S.  3  Mal  täglich  1  Pulver),  Chlorkalk 
(Rp.  Calcar.  chlorinic.  5j  ,  E  m  u  1  s.  amygdal.  Jvij  ,  Tinct. 
opii  simpl.  5j,  Syr.  emulsiv.  §j.  M.  S.  Alle  3  Stunden  1  Esslöffel 
voll),  in  sehr  torpiden  Fällen  selbst  Canthariden  (Rp.  Tinct.  cantha- 
rid.  Bals.  peruv.  ana  5ij-  M.  S.  Wohl  umgeschüttelt  zu  2  4  Tropfen 
in  einem  halben  Glase  Wein  4  Mal  zu  nehmen)  als  heilsam  bewährt.  Mit 
diesen  innerlichen   Mitteln  verbindet  man  Einsprizungen  von  Argent. 


HARNROEHRENPOLYPEN.  407 

11  i  t  r  i  c.  (gr.  jj  —  x  auf  ^viij  Aq.)  ,  Plumb.  acetic. ,  Zincumsul- 
phur. ,  Cuprum  sulph. ,  Ferrum  j  od  at.  ,  Alaun,  Chlorkalk,  Ab- 
kochungen von  China,  Eichenrinde,  Galläpfeln,  Ratanhia  etc.,  indem  man 
von  den  schwächeren  zu  den  stärkeren  übergeht.  In  hartnäckigen  Fällen 
bringt  man  trockene  oder  in  die  eben  genannten  Lösungen  oder  Abko- 
chungen getauchte  Meschen  in  die  Harnröhre  ein  oder  äzt  mit  Höllen- 
stein. —  Krankhafte  Veränderungen  der  Schleimhaut  geben  sich  durch 
Schmerz  an  einer  bestimmten  Stelle  und  beim  Urinlassen  kund  und  die 
Behandlung  muss  eine  verschiedene  sein ,  je  nachdem  Geschwüre ,  Ver- 
engerungen der  Harnröhre  oder  krankhafte  Veränderungen  der  Prostata 
zugegen  sind.  Ein  mit  Blutstreifen  vermischter  Ausäuss  weist  auf  die 
Gegenwart  von  Geschwüren  hin  und  hier  dienen  Sublimateinsprizungen 
und  der  Gebrauch  der  Bougies.  Ein  verminderter  und  oft  auch  verän- 
derter (gedrehter  oder  getheilter)  Urinstrahl  und  die  Untersuchung  lassen 
eine  Strictur  erkennen,  welche  durch  Bougies  etc.  beseitigt  werden  muss. 
Ein  copiöser  Schleimfluss ,  besonders  nach  Urin-  und  Stuhlausleerungen, 
lässt  auf  eine  Anschwellung  der  Prostata  schliessen ,  und  hier  sind  nach 
dem  verschiedenen  Beizungszustande  der  Drüse  Blutegel ,  Einreibungen 
der  Quecksilber-  und  Jodsalbe,  Cauterisationen  mit  Höllenstein  und  inner- 
lich Salmiak ,  Jod  ,  Jodquecksilber ,  Jodeisen  ,  balsamische  und  stärkende 
Mittel  angezeigt. —  Der  Eicheltripper  fordert,  wenn  er  nicht  syphi- 
litischen Ursprungs  ist ,  nur  strenge  Reinlichkeit ,  öfteres  Waschen  der 
Eichel  mit  lauem  Wasser,  Milch,  Bleiwasser.  —  Die  Behandlung  des 
Trippers  beim  Weibe  besteht  während  der  Entzündungsperiode 
hauptsächlich  in  dem  Gebrauche  allgemeiner  Bäder  und  erweichender 
Einsprizungen  und  Dämpfe ;  später  geht  man  zu  adstringinenden  Ein- 
sprizungen  über  und  gibt  innerlich  den  Copaivabalsam.  Bei  vorhandenen 
Geschwüren  macht  man  Einsprizungen  von  Höllensteinsolution,  von  Chlor- 
wasser oder  verdünntem  Creosot.  —  Der  virulente  Tripper  macht  bei 
beiden  Geschlechtern  eine  specifische  Behandlung  nöthig. 

HamrÖhrenpolypen  finden  sich  beim  Mann  im  Verlaufe  des 
ganzen  Harnkanals ,  sehr  häufig  aber  in  der  Fossa  navicularis,  wo 
sie  die  Festigkeit  der  Feigwarzen  haben  ;  bei  Alten  haben  sie  besonders 
ihren  Siz  in  der  Pars  membranacea  und  prostatica  und  nahe  beim  Bla- 
senhalse. Bei  Frauen,  bei  denen  sie  häufiger  vorkommen,  sizen  sie  haupt- 
sächlich an  der  äussern  Oeffnung  der  Urethra ,  bedecken  die  leztere  und 
verlängern  sich  mehr  oder  weniger  in  den  Kanal  der  Urethra. —  Symp- 
tome. Sie  verursachen  schmerzhafte  Störungen  beim  Harnen,  ein  Drän- 
gen dazu ;  der  Urin  ist  nicht  selten  bluthaltig ;  die  Schmerzen  steigern 
sich  oft  sehr,  es  stellt  sich  ein  Gefühl  von  Schwere  und  bei  Männern  nicht 
selten  vollkommene  Harnverhaltung  ein.  Ursachen  sind  Syphilis, 
Tripper,  Unreinlichkeit ,  beständige  Aufregung  der  Geschlechtstheile, 
weisser  Fluss.  —  Behandlung.   Bei  Männern  zieht  man  sie,  wenn  sie 


408  HARNROEHRENVERENGERUNG. 

in  der  Nähe  des  Orificiums  sizen,  mit  einer  Pincette  vor  und  schneidet  sie 
mit  einer  schmalarmigen  stumpfspizigen  Scheere  an  ihrer  Basis  ab.  Sizen 
sie  zu  tief,  so  zieht  man  sie  erst  mit  einer  Schlinge  von  Silberdraht  her- 
vor. Die  Blutung  stillt  man  durch  Injection  von  kaltem  Wasser.  Bei 
sehr  weit  hinten  sizenden  Polypen  schneidet  man  an  der  entsprechenden 
Stelle  der  Harnröhre  ein,  zieht  den  Polypen  vor  und  schneidet  ihn  an  sei- 
ner Basis  mit  der  C  o  o  p  e  r '  sehen  Scheere  oder  mit  dem  Knopfmesser  weg. 
Die  blutende  Stelle  berührt  man  mit  Höllenstein,  legt  einen  flexiblen  Ca- 
theter  in  die  Blase  und  vereinigt  darüber  die  Wunde.  —  Bei  Weibern 
kann  der  Polyp  durch  Abbinden ,  Cauterisation  oder  Excision  entfernt 
werden.  Gestielte  zieht  man  vor ,  schneidet  sie  ab  und  stillt  die  nach- 
folgende Blutung  mit  kaltem  Wasser.  Breitaufsizende  bindet  man  am 
besten  ab,  da  sie,  abgeschnitten,  nicht  selten  lebensgefährliche  Blutungen 
verursachen.  Kann  der  Urin  nicht  frei  entleert  werden ,  so  bringt  man 
einen  dünnen  elastischen  männlichen  Catheter  geölt  neben  dem  unterbun- 
denen Polypen  in  die  Blase.  Der  Polyp  fällt  nach  einigen  Tagen  ab  oder 
kann  mit  der  Scheere  im  Todten  abgeschnitten  werden.  Nach  dem  Ab- 
gange des  Polypen  macht  man  Umschläge  von  Eibischabkochung  mit 
Bleiwasser  und  betupft  den  zurückgebliebenen  Rest  desselben  mit  Höl- 
lenstein. —  Zur  Zerstörung  der  Auswüchse  hat  Garru  immer  das  Auf- 
streuen eines  Pulvers  aus  Alaun  und  Herba  sabinae  auslänglich  ge- 
funden. Bei  tiefsizenden  Polypen  wendet  Garru  eine  mit  obigem  Pul- 
ver bestreute  Wachsbougie  an. 

HamrÖhrenverengerung,  Strictura  Urethra.  Hier- 
unter versteht  man  eine  Beeinträchtigung  des  Harnröhrenkanales  an  einer 
oder  mehreren  Stellen ,  wodurch  der  Abfluss  des  Harns  in  höherem  oder 
geringerem  Grade  gehindert  ist.  Das  Wesen  der  Harnröhrenstricturen 
besteht  in  einer  fibrös  schwieligen  Verdichtung  und  Verdickung  der  Harn- 
röhrenwand, welche  krankhafte  Veränderung  vorzüglich  beim  Uebergreifen 
einer  Schleimhautentzündung  in  das  Corpus  cavernosum,  mit 
Sezung  eines  callös  werdenden  Faserstoffexsudats  oder  durch  constringi- 
rende  Vernarbung  eines  tiefern  Geschwürs  zu  Stande  kommt.  Es  findet 
sich  hierbei  in  den  höhern  Graden  die  Schleimhaut ,  das  submueöse  Zell- 
gewebe und  auch  das  Corpus  cavernosum  urethrae  zu  einem  weis- 
sen ,  festen,  narbigen  Gewebe,  fibroidem  Callus,  verwandelt  und  verödet. 
Dieser  organischen  Verengerung  steht  gegenüber  die  sogenannte  krampf- 
hafte Strictur  der  Harnröhre  ,  ein  vital- dynamischer  Vorgang ,  welcher  in 
Folge  von  Reizen  verschiedener  Art  plözlich  entsteht  und  ebenso  schnell 
wieder  verschwindet.  —  Die  organischen  Verengerungen  stellen  sich 
unter  verschiedenen  Formen  dar :  als  Strang,  Klappe,  Ring,  der  mehr  oder 
weniger  Dicke  haben ,  callös  sein  kann ,  varicöse ,  polypöse  und  condylo- 
matöse  Wulstung  oder  Wucherung;  endlich  als  Narben  von  Geschwüren 
etc.  —   Der  zur  Entzündung  am  meisten  disponirte  Theil  der  Harnröhre 


HARNROEHRENVERENGERUNG.  409 

ist  der  gefäss-  und  zellgewebreichere  Bulbus,  daher  auch  in  seiner  Nähe, 
4,  5  —  5^2  Zoll  vom  äusssern  Orificium  urethrae  entfernt,  der  ge- 
wöhnliche Siz  der  Stricturen  ist ,  deren  Ausdehnung  oft  kaum  eine  Linie 
beträgt, ,  zuweilen  aber  auch  die  eines  Zolles  und  selbst  darüber  erreicht. 
Gewöhnlich  ist  nur  eine  Strictur  vorhanden ,  doch  beobachtet  man  auch 
deren  mehrere  bei  demselben  Individuum.  —  Symptome  und  Ver- 
la u  f.  Die  Verengerung  gibt  sich  anfangs  nur  durch  unbedeutende  Be- 
schwerden beim  Harnlassen,  ein  leichtes  Jucken  in  der  kranken  Stelle  der 
Harnröhre ,  verbunden  mit  dem  Abflüsse  eines  klebrigen  Schleims  kund. 
Nach  und  nach  wird  der  Abfluss  des  Urins  erschwerter ,  er  fliesst  nicht 
mehr  in  einem  kräftigen  dicken  Strahle  bogenförmig  zur  Erde ,  sondern 
derselbe  wird  dünner ,  oft  getheilt  oder  gedreht  und  fällt  troz  der  kräf- 
tigsten Contraction  der  Blase  senkrecht  zu  Boden.  In  einem  noch  höhe- 
ren Grade  des  Uebels  fliesst  der  Urin ,  während  die  Eichel  des  Penis  oft 
dunkelblau  anschwillt,  .nur  tropfenweise  ab,  und  jeder,  selbst  der  geringste 
Diätfehler ,  die  geringste  körperliche  Anstrengung ,  jede  geschlechtliche 
Aufregung  reicht  hin ,  das  erschwerte  Harnlassen  in  eine  vollkommene 
Harnverhaltung  umzuwandeln.  Wenn  die  eigentliche  Ausleerung  des 
Urins  auch  vorüber  ist ,  so  bleibt  doch  immer  eine  kleine  Portion  dessel- 
ben hinter  der  verengten  Stelle  zurück ,  welche  später  in  der  hängenden 
Lage  des  Gliedes  durch  ihre  eigene  Schwere  nach  und  nach  abfliesst. 
Diese  Ansammlung  des  Urins  hinter  der  Strictur  hat  am  Ende  auch  die 
Folge,  dass  dieser  Theil  der  Harnröhre  zuerst  krankhaft  ausgedehnt,  dann 
aber  auch  gewöhnlich  von  einer  chronischen  Entzündung  ergriffen  wird, 
deren  Folge  eine  Exulceration  der  Schleimhaut ,  nicht  selten  aber  auch 
eine  Berstung  der  Harnröhre  ist,  wo  sodann  Urininfiltrationen  in  das  be- 
nachbarte Zellgewebe  stattfinden ,  welche  hier  brandige  Zerstörung  der 
Weichtheile  oder  im  günstigeren  Falle  die  Entstehung  von  Abscessen  und 
Urinfisteln  veranlassen.  Wird  dieser  Ausgang  aber  auch  nicht  herbei- 
geführt, so  entstehen  doch  andere  wichtige  Veränderungen.  Die  krank- 
hafte Erweiterung  der  Harnröhre  erstreckt  sich  gewöhnlich  sehr  bald  auf 
den  Blasenhals  und  die  Blase  selbst ,  und  an  die  Stelle  des  unwillkür 
lichan  Harntröpfeins  tritt  nun  das  Unvermögen ,  den  Urin  in  der  Blase 
zurückzuhalten ,  so  dass  nun  der  Urin  beständig  abfliesst ,  so  lange  näm- 
lich die  Strictur  noch  nicht  ganz  unwegsam  ist.  Je  mehr  sie  lezteres 
wird ,  je  mehr  die  Blase  daher  von  dem  sich  in  ihr  ansammelnden  Urin 
ausgedehnt  wird ,  desto  mehr  verliert  diese  an  Contractionsvermögen, 
desto  mehr  wird  ihre  Schleimhaut  und  deren  Absonderung  krankhaft  ver- 
ändert ,  und  theils  hierdurch ,  theils  durch  den  langen  Aufenthalt  in  der 
Blase  wird  der  Urin  in  eine  limpide,  übelriechende  Flüssigkeit  umgewan- 
delt und  somit  ein  immer  wirksameres  Mittel ,  einen  chronischen  Entzün- 
dungszustand in  der  Blase  zu  unterhalten ,  der  sich  endlich  durch  die 
Harnleiter  bis  zu  den  Nieren  forterstrecken ,  zu  Exulcerationen  oder 
zur  brandigen  Zerstörung  Veranlassung  geben  und  ein  hectisches  Allge- 


410  HARNROEHREN VERENGERUNG. 

meinleiden  herbeiführen  kann.  Nicht  minder  theilt  sieh  die  Entzündung 
der  Prostata  mit ,  was  Substanzveränderung  derselben  und  Abscheidung 
eines  eiterartigen  Schleims  ,  der  sich  als  stinkender,  fadenziehender  Bo- 
densaz  im  gelassenen  Urin  findet ,  zur  Folge  hat.  Consensuell  können 
auch  die  Samenbläschen,  Vasa  deferentia  und  Hoden  ergriffen  wer- 
den. Die  Folge  hiervon  sind  häufige  nächtliche  Pollutionen,  bei  welchen, 
sowie  beim  Coitus  ,  der  Samen  ohne  Schnellkraft  oder  nach  schon  vor- 
übergegangener Erectio  penis  tropfenweise  durch  seine  eigene  Schwere 
oder  zuweilen  ohne  alles  Gefühl  bei  der  Stuhl-  oder  Urinausleerung  ab- 
geht. —  Ursachen.  Sie  beruhen  auf  einfacher  Entzündung  oder  sind 
Folgen  von  Gonorrhoen.  Ziemlich  allgemein  misst  man  den  beim  Trip- 
per angewandten  Einsprizungen  die  Entstehung  der  Stricturen  bei.  Die 
Erfahrung  lehrt  indessen ,  dass  sich  Stricturen  bilden  können ,  ohne  dass 
Einsprizungen  gemacht  worden  sind ,  und  andererseits ,  dass  häufig  Ein- 
sprizungen gemacht  werden ,  ohne  dass  es  zur  Bildung  von  Stricturen 
käme.  Leugnen  lässt  sich  jedoch  nicht,  dass  eine  bei  entzündlichem  Zu- 
stande der  Harnröhre  gemachte  Einsprizung  die  Entzündung  steigern  und 
so  die  mittelbare  Ursache  einer  Strictur  werden  kann.  Weiber  werden 
selten  von  Stricturen  befallen.  —  Die  Krankheiten,  welche  mit  der  Stric- 
tur verwechselt  werden  können,  sind  :  eine  kranke  Prostata,  in  der  Harn- 
röhre eingeklemmte  Nieren-  oder  Blasensteine ,  Geschwülste  der  benach- 
barten Theile.  Eine  genaue  Beobachtung  der  diesen  verschiedenen 
Krankheiten  eigenthümlichen  Erscheinungen  ,  hauptsächlich  aber  die  Un- 
tersuchung mit  dem  Catheter,  wird  über  das  bestehende  Leiden  bald  Auf- 
schluss  geben.  —  Prognose.  Diese  ist  nach  dem  Size,  nach  dem 
Grade  ,  nach  der  Beschaffenheit  und  der  Dauer  des  Uebels  verschieden. 
Je  näher  dem  Orificium  urethrae,  je  frischer  und  ausdehnbarer,  je 
kürzer  und  weniger  eng  die  Strictur  ist,  um  so  leichter  kann  sie  entfernt 
werden.  Haben  sich  schon  consecutive  Leiden  der  Harnröhre  eingestellt, 
so  ist  die  Prognose  zwar  ungünstiger,  doch  kann  mit  der  Beseitigung  der 
Strictur  der  Zustand  des  Kranken  erträglicher  gemacht  werden.  Am  un- 
günstigsten ist  die  Prognose ,  wenn  auch  nicht  für  die  mögliche  Beseiti- 
gung der  Strictur,  so  doch  für  die  Herstellung  des  Kranken,  wenn  bereits 
mehrere  der  oben  genannten  Complicationen  bestehen.  —  Rückfälle  sind 
sehr  häufig. —  Behandlung.  Vor  Allem  müssen  etwa  noch  bestehende 
allgemeine  Krankheitszustände ,  welche  mit  der  Verengerung  in  einem 
ursächlichen  Verhältniss  stehen ,  berücksichtigt  werden.  —  Der  eigent- 
liche Zweck  der  Behandlung  der  Strictur  besteht  in  der  Entfernung  des 
Hindernisses  ,  welches  sich  dem  Abflüsse  des  Urins  entgegenstellt ;  ehe 
man  aber  an  diese  Behandlung  geht ,  ist  es  nothwendig ,  sich  eine  mög- 
lichst genaue  Kenntniss  von  dem  Size,  der  Form,  Grösse  und  Ausdehnung 
der  Strictur  zu  verschaffen.  Zu  diesem  Behufe  nimmt  man  eine  elasti- 
sche Bougie ,  deren  Dicke  der  Harnröhrenmündung  entspricht ,  bestreicht 
sie  mit  Oel  und  führt   sie ,   indem  man  den  Penis  mit  dem  Daumen  und 


HARNROEHRENVERENGERUNG.  411 

Zeigefinger  der  linken  Hand  leicht  hinter  der  Eichel  fasst,  in  das  Ori- 
ficium  urethrae  ein  und  zieht  in  dem  Masse  den  Penis  in  die  Höhe, 
als  man  mit  der  Bougie  eindringt,  die  man  wie  eine  Schreibfeder  hält  und 
sanft  drehend  fortbewegt.  Ist  man  mit  der  Bougie  an  der  Strictur  an- 
gekommen ,  so  macht  man  genau  an  der  Harnröhrenmündung  einen  Ein- 
druck mit  dem  Nagel  in  die  Bougie  und  bezeichnet  sich  so  die  Entfer- 
nung der  Strictur  von  dem  Orificium  urethrae.  Man  nimmt  nun 
eine  dünnere ,  elastische ,  oder  eine  Wachskerze ,  ungefähr  von  der  Dicke 
des  Urinstrahls  ,  trägt  auf  sie  den  Nageleindruck  von  der  ersten  Kerze 
und  sucht  sie ,  auf  die  angegebene  Weise  eingeführt ,  unter  Vermeidung 
jeder  Gewalt  durch  die  Strictur  zu  bringen;  dass  dies  geschehen  ist,  da- 
von überzeugt  uns  das  Eindringen  der  Kerze  über  den  Nageleindruck, 
ferner  dass  dieselbe  ,  wenn  man  sie  zurückziehen  will ,  etwas  angehalten 
wird ,  und  wenn  man  sie  ganz  frei  lässt ,  nicht  in  die  Höhe  weicht.  „  Ge- 
schieht lezteres,  so  ist  dies  ein  Beweis,  dass  sich  die  Kerze  vor  der  Stric- 
tur gekrümmt  hat ,  ohne  in  dieselbe  eingedrungen  zu  sein.  Die  Bildung 
eines  falschen  Weges  ergibt  sich  aus  dem  Schmerze,  den  der  Kranke  em- 
pfindet ,  aus  der  Möglichkeit ,  die  etwas  zurückgezogene  Kerze  in  einer 
andern  Richtung  weiter  vorwärts  zu  bringen  und  an  dem  fehlenden  Ein- 
drucke, den  man  immer  an  einer  Wachskerze  als  Wirkung  der  Strictur 
wahrnimmt.  Gelingt  das  Einführen  der  Kerze  in  die  Strictur  nicht ,  so 
versucht  man  es  mit  einer  dünneren.  —  Wenn  die  Beschaffenheit  der 
Strictur  das  Eindringen  der  Kerze  unmöglich  macht,  so  sucht  man  sich 
einen  Abdruck  von  derselben  zu  verschaffen ,  um  darnach  sein  weiteres 
Verfahren  einrichten  zu  können.  Zu  diesem  Zwecke  bedient  man  sich 
einer  Mo  d  ellir  b  o ugi e  ,  d.  h.  einer  Bougie,  an  deren  unterem  Ende 
ein  Büschel  Seide  befestigt  ist,  welcher  in  Modellirwachs  (nach  Du  camp 
aus  gleichen  Theilen  gelbem  Wachs,  Diachylon,  Schusterpech  und  Harz, 
nach  Lallemand  aus  Wachs  und  Pech  bestehend)  getaucht  und  nach 
dem  Erkalten  des  Wachses  mit  den  Fingern  so  geformt  wird ,  dass  der 
Ansaz  dem  Umfange  der  Sonde  gleichkommt.  Eine  solche  Sonde  ä 
empreinte  wird  einige  Zeit  gegen  die  Strictur  gedrückt  und  gibt  dann 
ein  ziemlich  getreues  Bild  von  derselben.  Aehnlich  wie  die  genannte 
Explorationssonde  werden  aus  Leinwand  gefertigte  und  mit  Wachs  über- 
zogene Bougies  benüzt  (Civiale).  —  Die  eigentliche  Behandlung  der 
Harnröhrenstricturen  besteht  in  der  Erweiterung  derselben,  was  entweder 
auf  mechanischem  oder  chemischem  W^ege  in's  Werk  gesezt  wird. 
Zur  ersteren  Art  gehören  die  unblutige  und  blutige  Dilatation,  zu  der  lez- 
tern  die  Cauterisation.  —  1 )  Die  unblutige  Erweiterung  der 
Harnröhre  passt  nur  bei  Verengerungen ,  die  weder  zu  frisch,  noch  zu 
alt,  nicht  zu  sehr  verhärtet,  wie  auch  nicht  zu  sehr  empfindlich  sind.  Sie 
zerfällt  in  drei  geschiedene  Methoden:  die  allmälige  Erweiterung  durch 
Bougies,  die  forcirte  Erweiterung  durch  conische  und  cylindrische  Sonden 
und  die  Anwendung  forcirter  Injectionen.  —  Die  allmäligeAusdehnung 


412  HARNROEHRENVERENGERUNG. 

durch  Einlegung  von  Bougies  hat  den  Zweck  ,  die  Strictur  selbst  durch 
einen  excentrischen  Druck  zu  comprimiren,  die  aufgelockerte  Schleimhaut 
zusammenzudrücken,  die  Resorption  in  der  comprimirten  Stelle  anzuregen, 
so  einen  Rückbildungsprocess  zu  bewirken  und  das  Lumen  der  Harnröhre 
zu  erweitern.  Das  gewöhnliche  Erweiterungsmittel  ist  die  B  o  u  g  i  e  ,  die 
Kerze,  der  Wachsstock.  S.  Erweiterungs mittel.  Die 
Pflasterbougies  werden ,  weil  sie  nur  unbedeutend  anschwellen  und  dabei 
sehr  weich  werden,  nicht  mehr  viel  angewendet.  Die  Bleibougies  nehmen 
keine  Politur  an  und  machen  ,  wenn  sie  dünn  sind ,  gern  falsche  Wege ; 
gegenwärtig  werden  sie  fast  nur  noch  zur  Beendigung  der  Kur  angewen- 
det. Die  Pergamentbougies  sind  nicht  biegsam  genug  ;  das  Gleiche  gilt 
von  den  Fischbein-  und  Knochenkerzen.  An  die  Stelle  dieser  verschiede- 
nen Instrumente  sind  in  der  neuern  Zeit  die  elastischen  Bougies  getreten, 
die ,  sind  sie  hohl ,  mittels  eines  nach  der  Harnröhre  gebogenen  Stilets 
ein-  und  über  die  Strictur  hinausgeführt  werden  ;  sie  bestehen  aus  Schläu- 
chen ,  die  mit  einem  Firniss  oder  mit  Guttaperchalösung  überzogen  sind. 
Einen  stärkeren  Druck  üben  die  anschwellenden  Darmsaiten  aus;  die  Aus- 
dehnung erfolgt  allmälig  und  ohne  Schmerzen  zu  verursachen ;  dies ,  so 
wie  ibre  grosse  Biegsamkeit  bei  der  nöthigen  Resistenz  macht  sie  zu  dem 
brauchbarsten  und  beliebtesten  Erweiterungsmittel.  Um  einem  Drucke 
auf  die  ganze  Urethra  zu  entgehen ,  hat  man  die  Anwendung  bauchiger 
Bougies  empfohlen ;  sie  sind  unzweckmässig ,  da  sie  sich  nicht  an  der 
Stelle  erhalten  lassen ,  auf  die  sie  wirken  sollen.  Ausser  diesen  eigent- 
lichen Bougies  hat  man  noch  besondere  Vorrichtungen  erfunden ,  die  als 
Dilatatoren  wirken.  So  hat  man  vorn  geschlossene  Thierdärme  durch  die 
Strictur  gebracht  und  dann  mit  Luft ,  Wasser  oder  Quecksilber  gefüllt. 
Montain,  Pereve,  Michelena  u.  A.  haben  metallene  Dilatatoren 
angegeben ,  die  durch  einen  Mechanismus  auseinander  getrieben  werden 
können.  Diese  Apparate  wirken  zu  gewaltsam.  —  Für  die  Einführung 
der  Bougies  gelten  die  oben  bei  der  Untersuchung  der  Harnröhre  gegebe- 
nen Regeln.  Hat  die  Bougie  die  Strictur  passirt ,  so  zieht  man  sie  nach 
Umständen  sogleich  wieder  zurück,  oder  lässt  sie  so  lange  liegen  ,  als  der 
Kranke  ihren  Druck  vertragen  kann,  was  im  Anfange  nur  eine  kurze  Zeit 
ist,  später  aber  bis  zu  mehreren  Stunden  ausgedehnt  werden  kann.  Man 
applicirt  die  Bougie  täglich  oder  mehrere  Male  des  Tags  und  geht  in  dem 
Masse ,  als  sich  die  Harnröhre  erweitert ,  von  niederen  zu  höheren  Num- 
mern über.  Benique  führt  in  dem  Falle ,  wo  es  nicht  gelingt ,  eine 
Bougie  durch  die  Strictur  zu  bringen ,  eine  Metallröhre  und  durch  diese 
ein  Bündel  dünner  Bougies  ein  ;  von  diesen  Bougies  sucht  er  die  eine 
oder  die  andere  sanft  durch  die  Strictur  zu  schieben  ,  die  er  dann  nur 
ganz  kurze  Zeit  liegen  lässt  und  allmälig  mit  dickeren  vertauscht.  Aehn- 
lich  verfahren  A  m  u  s  s  a  t  und  Z  e  i  s  s  e  1 ;  der  Erste  versucht  eine  sehr 
feine  dünne  Bougie  durch  die  Strictur  zu  bringen ;  diese  bleibt  liegen 
und  am  folgenden  Tage  dringt  er  seitlich  mit  einer  gleich  feinen  Bougie 


HARNROEHRENVERENGERUNG.  413 

ein ,  die  gleichfalls  neben  der  ersten  liegen  bleibt.  So  führt  er  täglich 
immer  wieder  eine  neue  Bougie  ein,  bis  ein  Bündel  von  5  —  6  in  der  Ure- 
thra liegt.  Dieses  Bündel  soll  mehr  erweitern  ,  als  eine  einzige  Bougie 
von  demselben  Umfange,  auch  sollen  sie  ihrer  grossen  Biegsamkeit  wegen 
leichter  ertragen  werden,  um  so  mehr,  als  der  Urin  neben  den  Bougies 
abfliessen  könne.  Später  geht  er  dann  zu  der  gewöhnlichen  Dilations- 
methode  mit  allmälig  dickeren  Bougies  über.  Z  eis  sei  führt  auch  eine 
sehr  feine  Bougie  ein ,  gelangt  er  damit  aber  nicht  über  die  Strictur ,  so 
lässt  er  sie  ruhig  in  der  Urethra  liegen  und  führt  neben  ihr  eine  eben  so 
feine  zweite  Bougie  ein  ;  dadurch  geschieht  es  oft ,  dass  schon  die  erste 
etwas  verschoben  wird ,  oder  die  zweite  gelangt  an  den  Ort  der  Bestim- 
mung;  geht  es  auch  mit  der  zweiten  nicht,  so  führt  er  eine  dritte,  vierte 
u.  s.  f.  ein  ;  eine  von  ihnen  überwindet  das  Hinderniss,  oder  findet  durch 
Zufall  den  Weg ,  den  man  oft  mit  der  grössten  Mühe  nicht  finden  kann. 
Diese  lässt  er  liegen  und  geht  dann  zu  dickeren  über.  —  Zweckmässig 
ist  es  ,  die  Behandlung  mit  Darmsaitenbougies  zu  beginnen  und  mit  Blei- 
bougies  zu  beschliessen.  Ist  die  Permeabilität  der  Harnröhre  auch  her- 
gestellt, so  ist  es  doch  räthlich,  noch  einige  Zeit  lang  Bougies  tragen  zu  las- 
sen. —  Die  graduelle  Erweiterung  führt,  wenn  auch  langsam,  doch  sicher 
zum  Ziele.  Man  darf  aber  nicht  die  Geduld  verlieren ,  selbst  wenn  man 
nach  einigen  Wochen  noch  keinen  sehr  bemerklichen  Erfolg  erzielt.  — 
Die  forcirte  Erweiterung,  besonders  von  M  a  y  o  r  empfohlen,  hat 
das  für  sich ,  dass  Metallsonden  mit  abgerundeter  Spize  von  einer  Dicke, 
dass  sie  genau  der  Weite  der  Harnröhre  entsprechen  und  so  gleichsam 
den  Kanal  wie  eine  Docke  ausfüllen ,  ebenso  einen  excentrischen  Druck 
auf  die  Wandungen  des  Kanales  ausüben,  als  durch  Druck  von  vorn  nach 
hinten  die  Verengerung  auf  die  zweckmässigste  Weise  erweitern.  Die 
cylindrische  Metallsönde  dringt  leichter  bis-  an  die  Verengerung  als  eine 
biegsame  Bougie  ;  ein  vorsichtiger,  methodischer,  anhaltender  Druck  macht 
sie  in  das  Hinderniss  eindringen ,  und  wo  eine  Bougie  eine  lange  Zeit 
braucht ,  eine  Erweiterung  zu  erzielen ,  bewirkt  das  die  Metallsonde  in 
kurzer  Zeit.  Man  hat  bei  ihr  nicht  die  Bildung  falscher  Wege ,  wie  mit 
den  conischen  Sonden ,  zu  fürchten  r  auch  durchdringt  bei  gleichzeitigem 
Harnröhrenkrampfe  ein  dicker  Catheter  die  Verengerung  leichter,  als  eine 
dünne  Saite.  Zu  bemerken  ist  jedoch,  dass  die  Anwendung  solcher  Son- 
den einen  ziemlich  reizlosen  Zustand  der  Harnröhre  voraussezt ,  und  von 
möglichen  nachtheiligen  Folgen ,  besonders  wenn  man  die  Einführung 
übereilt,  nicht  ganz  frei  ist.  Es  ist  daher  räthlich,  wenn  man  von  dieser 
Methode  Gebrauch  machen  will ,  sie  auf  Verengerungen ,  bedingt  durch 
Stränge ,  Klappen  oder  ganz  kurze  circuläre  fadenförmige  Schnürungen 
zu  beschränken ,  und  ihre  Anwendung  bei  unnachgiebigen ,  langen  Stric- 
turen  zu  unterlassen ,  wenn  man  sich  nicht  der  Gefahr  aussezen  will, 
Quetschungen  und  Zerreisaungen  hervorzurufen.  Mayor's  Catheter 
sind  von  Zinn  oder  einer  andern  wohlfeilen  Metallcomposition,  welche  eine 


414  HARNROEHRENVERENGERUNG. 

gute  Politur  annimmt  und  nicht  brüchig  ist.  Er  hat  solche  von  2 —  4^2 
Linien  Durchmesser ;  sie  haben  eine  abgerundete  olivenf  örmige  Spize. 
Bei  der  Einführung  dieser  Sonde  macht  man ,  an  der  Strictur  angekom- 
men, mit  einiger  Gewalt  kleine  Biegungen  nach  verschiedenen  Seiten  wie 
mit  einem  Bohrer ,  unterbricht  aber  diese  Bewegungen  von  Zeit  zu  Zeit, 
um  dem  Kranken  Ruhe  und  den  Theilen  Zeit  zur  Ausdehnung  zu  gönnen. 
Hat  der  Catheter  die  Strictur  durchdrungen,  so  lässt  man  ihn  2,3,4  Tage 
liegen ,  worauf  man  ihn  zurückzieht  und  durch  einen  stärkeren  ersezt. 
Leroy  d'Etiolles  wendet  ein  dem  Heurteloup'schen  Steinbrecher  ähn- 
liches Instrument  an  und  nennt  sein  Verfahren  retrograde  Dilatation. 
Boy  er  bedient  sich  zu  dem  Catheterisme  force  eines  stark  ge- 
arbeiteten metallenen  Catheters  mit  conischer  Spize,  will  dieses  Verfahren 
aber  nur  in  dringenden  Fällen  bei  gänzlich  oder  fast  gänzlich  unterdrück- 
ter Urinausleerung  angewendet  wissen.  Er  dringt  gerade  ein  ohne  seit- 
liche Bewegung.  Dieses  Verfahren  ist  nicht  nachzuahmen.  —  Die  f  o  r  - 
cirten  Einsprizungen  gewähren  keine  besonderen  Vortheile,  schei- 
nen im  Gegentheile  durch  übermässige  Ausdehnung  der  Harnröhre  diese 
wie  die  Blase  zu  reizen  und  die  Zufälle  zu  vermehren.  Sie  werden  nach 
Amussat  mittels  einer  an  beiden  Enden  offenen  Sonde,  an  deren  äusse- 
rem Ende  eine  mit  Flüssigkeit  gefüllte  Kautschukflasche  befestigt  ist, 
ausgeführt,  indem  man  bei  zusammengedrücktem  Gliede  die  Flasche  durch 
einen  Druck  entleert.  Despinay  bediente  sich  einer  einfachen,  Serre 
einer  sich  selbst  füllenden  Sprize.  —  2)  Die  blutige  Erweiterung 
oder  die  Incision  der  Verengerungen,  Urethrotomia  in- 
terna, wird  besonders  gegen  Stricturen  empfohlen ,  welche  der  Dilata- 
tion oder  Cauterisation  widerstehen,  daher  gegen  die  langen  callösen  Ver- 
engerungen, d.h.  solche,  welche  in  einer  geschrumpften,  weissen,  fibrösen, 
wenig  ausdehnbaren,  und  nach  geschehener  Ausdehnung  bald  in  den  alten 
Schrumpfungszustand  zurückfallenden  Schwiele  bestehen ;  ebenso  soll  bei 
in  Folge  von  Narben  entstandenen  Verengerungen  die  Incision  durch  die 
Dilatation  unterstüzt  die  sicherste ,  schnellste  und  vollkommenste  Heil- 
methode sein.  Die  Gegner  der  Methode  behaupten  dagegen,  dass  man 
von  ihr  keine  gründliche  Heilung  hoffen  dürfe ,  weil  die  gemachten  Inci- 
sionen  sich  entweder  sogleich  wieder  schliessen  werden,  oder,  wenn  sie 
daran  verhindert  werden,  in  Eiterung  übergehen  und  eine  Narbe  zur  Folge 
haben ,  die  sich  contrahirt  und  das  frühere  Uebel  zurückführt.  —  Man 
unterscheidet  eine  innere  und  eine  äussere  Incision.  Behufs  der 
i  n  n  e  r  n  Incision  sind  eine  Menge  Instrumente  erfunden  worden  und  wer- 
den noch  immer  erfunden,  die  grösstentheils  aus  Röhren  bestehen,  in  wel- 
chen troicart-  oder  lancettf  örmige  Klingen  verborgen  sind ,  die  durch  ein 
Stilet  vorgeschoben  werden  können  und  mit  welchen  die  Strictur  entweder 
von  vorn  nach  hinten  oder  von  hinten  nach  vorn  durchgetrennt  wird.  Die 
in  ersterer  Richtung  wirkenden  Instrumente  sind  unsicher  und  bilden 
leicht  falsche  Wege ,  weshalb  sie  ausser  Gebrauch  sind.      Von  den  von 


HARNROEHRENVERENGERUNG.  415 

hinten  nach  vorn  wirkenden  Instrumenten  sind  die  vollkommensten  und 
am  häufigsten  angewendeten  die  Urethrotome  von  Ricord  und  Ivän- 
chich,  auf  deren  Beschreibung,  so  wie  auf  ein  der  neuesten  Zeit  ange- 
höriges Instrument  von  Hammer  wir  uns  beschränken.  Ricord  hat 
ein  gerades  und  gekrümmtes  Urethrotom  angegeben.  Der  gerade  be- 
steht aus  einer  gerinnten  Canüle  und  aus  einem  viereckigen  eisernen 
Schafte,  der  an  seinem  Ende  eine  kleine  Messerklinge  trägt.  Die  Canüle 
ist  aus  Silber,  8  Zoll  lang  und  nach  Umständen  verschieden  dick  (^/jo — 
lijlQ  Linie).  Sie  ist  gleichförmig  cylindrisch  und  am  Vesicalende  stumpf 
abgerundet.  Das  äussere  Ende  ist  durch  einen  Ring  verstärkt ,  daselbst 
mit  einem  Schraubengange  versehen ,  der  eine  kleine  Stellschraube  auf- 
nimmt, die  zur  Fixirung  des  Schafts  dient.  Die  Canüle  ist  ihrer  ganzen 
Länge  nach  mit  einer  offenen  viereckigen  Rinne  versehen,  in  welcher  der 
Schaft  mit  der  Messerklinge  frei  hin  -  und  hergleitet.  Die  genannte 
Rinne  endigt  sich  5  Linien  vom  Visceralende  der  Canüle  mit  einer  schief 
aufsteigenden  kleinen  Fläche ,  auf  welcher  die  Messerklinge ,  die  sonst  in 
der  Rinne  ganz  verborgen  liegt ,  allmälig  in  dem  Masse ,  als  man  den 
Schaft  vorschiebt ,  heraustritt.  Gegenüber  der  Rinne  trägt  die  Canüle 
einen  Massstab  ;  endlich  befinden  sich  zu  beiden  Seiten  der  leztern  an 
dem  äussern  Ende  zwei  Ringe.  Der  Schaft  mit  der  Messerklinge  über- 
ragt ,  wenn  leztere  sich  unmittelbar  am  Fusse  der  aufsteigenden  Fläche 
befindet,  die  Canüle  um  5/4 — ll/2  Zoll,  der  Schaft  fängt  ungefähr  1  Zoll 
von  seinem  Urethralende  an  etwas  dünner  zu  werden  und  endigt  mit  einer 
4 — 5  Linien  langen  und  2/3 — s/4  Linie  breiten  etwas  geschweiften  und 
abgerundeten,  gut  schneidenden  Messerklinge.  Ein  verschiebbarer  klei- 
ner Handgriff  am  äussern  Ende  kann  mit  einer  kleinen  Stellschraube  an 
dem  Schafte  festgestellt  werden ;  er  dient  dazu,  das  stärkere  oder  schwä- 
chere Hervortreten  des  Messers  zu  regeln.  —  Die  Anwendung  dieses  In- 
struments ,  welches  nur  für  Verengerungen  im  geraden  Theile  der  Harn- 
röhre bestimmt  ist,  ist  einfach.  Nach  vorläufiger  Erweiterung  der  Strie- 
tur  bis  zu  dem  Grade ,  dass  man  das  kleinste  Urethrotom  in  und  durch 
diese  führen  kann ,  bringt  man  das  gut  beölte  Instrument  langsam  und 
schonend  ein  und  über  die  Verengerung  weg  und  stellt  das  Messer  so, 
dass  es  an  der  aufsteigenden  Fläche  mehr  oder  weniger  hervortritt ;  hier- 
auf ergreift  man  die  Canüle  und  zieht  das  ganze  Instrument  bis  vor  die 
Verengerung ,  wodurch  man  sicher  ist ,  sie  incidirt  zu  haben ;  nun  zieht 
man  den  Schaft  zurück ,  um  das  Messer  unschädlich  zu  machen  und  ent- 
fernt hierauf  das  ganze  Instrument.  —  Das  gekrümmte  LTrethrotom  R  i  - 
cord's  unterscheidet  sich  von  dem  geraden  nur  darin,  dass  die  8 — 9 
Zoll  lange  Canüle  leicht  gebogen  ist.  Die  kleine  aufsteigende  Fläche 
befindet  sich  da,  wo  die  Krümmung  des  Instruments  anfängt  und  die  Rinne 
an  der  untern  convexen  Seite  des  Instruments.  —  Bei  der  Anwendung 
dieses  Instruments  muss  der  gekrümmte  Theil  desselben  ganz  durch  die 
an  oder  hinter  der  Biegung  der  Harnröhre  befindliche  Verengerung  hin- 


416  HARNROEHRENVERENGERUNG. 

durch.  —  Ivänchich's  Urethrotom  ist  eine  Modification  des  R  i  c  o  r  d'- 
schen.  Um  das  Zurückziehen  des  Schafts  sicherer  und  schneller  zu  be- 
wirken, hat  er  um  das  Extraurethi-alende  desselben  eine  elastische  Spiral- 
feder angebracht ,  die  mit  einem  Ende  am  Schafte  befestigt  ist  und  sich 
mit  dem  andern  an  die  Canüle  stiizt.  Ein  Druck  auf  den  mit  einem  Hüt- 
chen versehenen  Schaft  verkürzt  die  Feder  und  lässt  die  Messerklinge 
vortreten  ;  mit  dem  Aufhören  des  Druckes  zieht  sich  durch  die  Ausdeh- 
nung der  Feder  das  Messerchen  von  selbst  in  die  Rinne  zurück.  Die 
Spiralfeder  ist  in  einen  hohlen  Cylinder  eingeschlossen.  Ivänchich  hat 
auch  federnde  gerade  Urethrotome  mit  zwei  Messerklingen  construirt. 
Diese  befinden  sich  je  in  einem  Arme  des  gabelförmig  gespaltenen  Schafts. 
—  Dem  gekrümmten  Urethrotom  Ricord's  gab  Ivänchich  eine  grös- 
sere Krümmung,  dehnte  die  Rinne  an  der  convexen  Seite  der  Canüle  bis 
an  das  Vesicalende  derselben  aus,  brachte  dazu  hier  die  kleine  aufsteigende 
Fläche  an  und  veränderte  den  Schaft  in  der  Art,  dass  er  ihn  von  der  Bie- 
gung der  Canüle  an  mit  einer  Uhrfeder  zusammenlöthete ,  die  bis  an  die 
aufsteigende  Fläche  reicht  und  mit  der  bekannten  Messerklinge  endigt. 
Desgleichen  wurde  diesem  Urethrotom  die  Spiralfeder  beigegeben.  Die 
Incision  geschieht  mit  diesen  Instrumenten  wie  mit  dem  R  i  c  o  r  d  'sehen, 
nur  schneidet  Ivänchich  in  der  Regel  die  im  Allgemeinen  dickste  un- 
tere Wand  der  Verengerung  ein.  Zur  Verhütung  der  Verwachsung  der 
kleinen  Schnittflächen  führt  Ivänchich  einige  Tage  lang  von  4  zu  4 
oder  von  6  zu  6  Stunden  entsprechend  dicke  Kautschukbougies  ein,  zieht 
sie  aber  jedesmal  sogleich  wieder  zurück.  Später  wird  ein  methodisches 
Dilatationsverfahren  eingeleitet.  —  Das  Urethrotom  von  Hammer  be- 
steht aus  einem  geraden  metallenen,  in  der  Mitte  mit  einer  tiefen  Rinne 
versehenen  Stabe,  in  welchem  eine  nur  am  obern  Ende  1  — 1'/2  Zoll  weit 
schneidende  Klinge  verborgen  ist.  Am  Metallstab  befindet  sich  eine 
Olive ,  die  abgeschraubt  und  mit  andern  von  grösserem  oder  kleinerem 
Umfange  vertauscht  werden  kann.  Der  Metallstab  besteht  aus  3  Abthei- 
lungen und  zwar  1)  aus  der  längsten  und  dünnsten  mit  der  Rinne  für  die 
Klinge;  2)  aus  einer  dickeren,  die  eine  Fortsezung  der  Rinne  enthält, 
aber  auch  von  einer  schmalen  horizontalen  Furche  durchbrochen  ist ,  in 
welcher  die  Klinge  durch  eine  kleine  Schraube  so  befestigt  wird,  dass  sie 
wie  in  einem  Charnier  geöffnet  und  geschlossen,  aber  auch  zugleich  herabge- 
zogen werden  kann;  3)  aus  einem  Stücke,  welches  eben  so  lang  wie  die 
2 .  Abtheilung  ist ,  und  welches  von  einer  senkrechten  Längenfurche  ganz 
durchrochen  ist,  so  dass  derTheil  zurück-  und  wieder  vorwärts  geschoben 
werden  kann.  —  Durch  Entfernen  des  einen  Ringes  vom  andern,  so  weit 
als  möglich ,  wird  es  ganz  geschlossen  und  durch  eine  kleine  Schraube 
festgestellt.  Vermittels  dieser  kleinen  Schraube  kann  man  das  Instrument 
in  jeder  beliebigen  Oeffnung  feststellen  und  dann  durch  gleichmässiges 
Anziehen  der  beiden  Ringe  mit  dem  Zeige-  und  Mittelfinger  gegen  den 
Griff  der  Klinge   abwärts  bewegen ,  so   dass   ein  Schnitt  hervorgebracht 


HARNROEHRENVERENGERUNG.  417 

wird,  wie  mit  einem  Bistouri ,  weil  der  metallene  Stab  mit  der  Olive  un- 
verrückt an  der  früheren  Stelle  festgehalten  wird.  Der  Ring  dient  nur 
zur  Einhakung  des  linken  Daumens,  um  der  linken  Hand,  die  das  Instru- 
ment sammt  dem  Penis  fest  zusammendrückt,  als  Stüze  zu  dienen.  —  Boi 
der  Anwendung  wird  das  Urethrotom  geschlossen  eingeführt ,  so  dass  die 
Olive  hinter  die  Strictur  dringt.  Nachdem  man  die  Olive  durch  Vor- 
wärtsdrehen an  die  Strictur  hingeführt  hat ,  um  sich  nochmals  über  den 
genauen  Siz  derselben  zu  vergewissern,  drängt  man  das  Instrument  wieder 
etwa  4  —  8  Linien  hinter  die  Strictur  zurück,  damit  der  Anfang  der  Klinge 
dieser  gerade  entspricht,  zieht  nun  den  ganzen  Penis  etwas  stark  an ,  um- 
fasst  ihn  sammt  dem  Instrument  sehr  fest ,  öffnet  lezteres ,  so  weit  dies 
möglich  ist ,  und  stellt  es  dann  durch  die  kleine  Schraube  fest.  Hierauf 
fasst  die  rechte  Hand  das  untere  Ende  des  Instruments  in  der  Art ,  dass 
der  dicke  Griff  sich  gegen  die  Hohlhand  anstemmt ,  während  der  in  die 
Ringe  eiDgesezte  Zeige-  und  Mittelfinger  die  Klinge  durch  Anziehen  her- 
abbewegt und  dadurch  der  Schnitt  vollführt  wird.  Ist  der  Schnitt  ge- 
macht, so  schliesst  man  das  Instrument  durch  Oeffnen  der  kleinen 
Schraube ,  entfernt  ferner  die  Schraube  und  zieht  nun  die  ganze  Klinge 
aus  der  Urethra,  während  der  Metallstab  mit  der  Olive  liegen  bleibt.  An 
die  Stelle  der  entfernten  schneidenden  Klinge  wird  jezt  die  stumpfe  Klinge 
■eingeführt,  die  uns  als  Dilatator  über  den  Umfang  des  Schnittes  oder  das 
Gelingen  der  Operation  Aufschluss  gibt.  Wird  der  Schnitt  nicht  aus- 
reichend ,  so  führt  man  die  schneidende  Klinge  wieder  ein  und  nimmc 
eine  Erweiterung  des  ersten  Schnittes  vor.  Man  kann  mit  diesem  In- 
strumente statt  eines  tiefen  Schnittes  zwei  seichte  seitliche  anbringen, 
ohne  dass  man  nöthig  hätte,  dasselbe  zwei  Mal  einzuführen.  —  Die  äus- 
sere Incision,  Harnröhrenschnitt,  Urethrotomia  ex- 
terna (la  Boutonniere)  ,  wurde  ursprünglich  zu  dem  Zwecke  empfohlen, 
um  bei  Urinverhaltung  in  Folge  eines  Blasensteines  in  die  Blase  zu  ge- 
langen ;  man  machte  hier  statt  des  Steinschnitts  einen  kleinen  Schnitt 
zwischen  dem  Hodensacke  und  dem  After  und  legte  dann  in  jenen  eine 
Röhre  ein,  um  so  dem  Urin  Ausfluss  zu  verschaffen.  Später  wurde  diese 
Operation  auch  bei  Harnröhrenverengerungen  ausgeführt  und  namentlich 
in  neuester  Zeit  von  Civiale,  Scharlau,  insbesondere  aber  von 
S  y  m  e  empfohlen.  Nach  Lezterem  soll  diese  Operation  bei  sehr  ausge- 
dehnten ,  unnachgiebigen ,  callösen  Stricturen,  welche  jedem  Dilatations- 
versuche unüberwindlichen  Widerstand  leisten,  gemacht  werden.  Er  führt 
zunächst  eine  leicht  gekrümmte,  auf  ihrer  convexen  Seite  gerinnte  Lei- 
tungssonde, welche  klein  genug  ist,  um  leicht  durch  die  Strictur  hindurch 
zu  gehen,  ein,  lässt  sie  durch  einen  Gehülfen  halten  und  macht  an  der 
Stelle  der  Verengerung  einen  1  */2  Zoll  langen ,  Haut  und  Zellgewebe 
durchdringenden  Schnitt ,  hebt  nun ,  die  Sonde  mit  der  linken  Hand  er- 
greifend, die  Urethra  nach  aussen,  sticht  hinter  der  Strictur  ein  die  Rinne 
der  Sonde  treffendes  Messer  ein  und  spaltet,  lezteres  nach  vorn  schiebend, 
Burger,  Chirurgie.  27 


418  HARNROEHREN VERENGERUNG. 

das  verdickte  Gewebe.  Hierauf  wird  die  Sonde  entfernt  und  ein  silberner 
Catheter  auf  gewöhnlichem  Wege  in  die  Blase  geführt,  wo  man  ihn  die 
zwei  nächsten  Tage  hindurch ,  während  Patient  ruhig  im  Bette  bleibt, 
liegen  lässt.  Anfangs  soll  der  Urin  gewöhnlich  durch  die  Operations- 
wunde abfliessen,  in  seltenen  Fällen  jedoch  seinen  natürlichen  Weg  durch 
die  Harnröhre  nehmen.  Vom  8 — 10.  Tage  an  soll  zwei  Monate  lang 
wöchentlich  oder  alle  14  Tage  einmal  eine  massig  starke  Bougie  einge- 
führt und  dieses  im  Laufe  des  ersten  Jahres  noch  etliche  Mal  wiederholt 
werden.  Die  Heilung  der  Wunde  erfolgt  durch  Granulation.  —  Schar- 
lau  führt,  besonders  bei  undurchdringlicher  Strictur,  in  der  Lage  zum 
Steinschnitt  einen  silbernen ,  an  der  Spize  durchbohrten  und  an  der  con- 
vexen  Seite  mit  einer  Rinne  versehenen  Catheter  in  die  Harnröhre  und 
bis  zur  Strictur,  lässt  den  Hodensack  in  die  Höhe  heben  und  die  Haut 
nach  allen  Seiten  gleichmässig  anspannen.  Jezt  sticht  man  die  Spize 
eines  kleinen  bauchigen  Messers  bis  auf  eine  Linie  vor  dem  Ende  des 
Catheters  durch  die  Harnröhre  hindurch  ein ,  so  dass  noch  ein  Theil  der 
wegsamen  Harnröhre  geöffnet  wird  und  schneidet  dann  in  der  Länge  von 
1^2 — 2V2  Zoll  abwärts ,  wobei  Haut,  Fascien  und  das  Fettpolster  ge- 
trennt werden.  Nach  gestillter  Blutung  sucht  man  von  dem  wegsamen 
geöffneten  Theile  der  Harnröhre  aus  die  Strictur,  führt  in  diese  ein  spizes, 
gekrümmtes  Bistouri  und  schneidet ,  den  Rücken  der  Klinge  gegen  den 
Kranken  gekehrt,  vorsichtig  abwärts  durch  die  ganze  Strictur,  bis  man  in 
die  Pars  membranacea  gelangt.  Jezt  nimmt  man  einen  feinen, 
leicht  gebogenen  Troicart  mit  conisch  zugespiztem,  nicht  scharfem  Stilet, 
schiebt  ihn  in  die  Blase ,  wobei  man  weitere  Stricturen  unter  Anwendung 
von  einiger  Gewalt  zerstört.  Ist  die  Blase  erreicht ,  so  lässt  man  den 
Troicart  einen  Augenblick  liegen,  schiebt  dann  den  Catheter  vorwärts  und 
bringt  ihn  nach  Ausziehung  des  Troicarts  vollends  in  die  Blase ,  wo  er 
liegen  bleibt.  Die  weitere  Behandlung  besteht  in  der  Anwendung  dicker 
Bleibougies ,  welche  man  gegen  das  Ende  der  dritten  Woche  ein- 
legt und  so  lange  beibehält ,  bis  die  Wunde  völlig  geschlossen  ist.  Von 
jezt  ab  entfernt  man  die  Bougie  auf  6 — 8  Stunden,  legt  sie  aber  2 — 3 
Mal  täglich  auf  eine  Stunde  ein.  —  Die  Einschneidung  der  Harnröhre 
von  aussen  ist  eine  Operation ,  die ,  wenn  es  nur  einigermassen  möglich 
ist ,  eine  Bougie  einzuführen ,  am  besten  unterbleibt ,  denn  es  kann  die- 
selbe ,  besonders  wenn  die  Stricturen ,  wie  gewöhnlich  in  dem  hintern 
Theile  der  Harnröhre  sizen,  mannigfache  Gefahren,  wie  heftige  Blutung, 
Entzündung,  erschöpfende  Eiterung,  Brand,  Urininfiltration,  Fistelbildung 
zur  Folge  haben  und  hierdurch  wie  auch  durch  die  Contraction  der  zu- 
rückbleibenden Narbe  die  radicale  Heilung  vereitelt  werden.  3)  Die 
Cauterisation  der  Stricturen  wird  gegenwärtig  nur  noch  wenig 
angewendet,  da  die  Erfahrung  gezeigt  hat,  dass  sie  in  geringem  Grade 
angewendet,  gänzlich  nuzlos  ist,  in  bedeutenderem  Grade  aber  eine  sehr 
heftige ,   mitunter  gefährliche  Reaction  sezt ,   während  welcher  sich  die 


HARNROEHRENVERENGERUNG.  419 

Strictur  wieder  bildet.  Wir  können  deshalb  kurz  sein.  —  Die  Zerstö- 
rung der  Verengerungen  geschieht  entweder  mit  Höllenstein  oder  weniger 
gut  mit  äzendem  Kali,  und  wird  entweder  von  vorn  nach  hinten  oder  von 
innen  nach  aussen  ins  Werk  gesezt.  Bei  der  Cauterisation  von  vorn 
nach  hinten  verschafft  man  sich  zuerst  durch  eine  gewöhnliche  Kerze 
auf  die  oben  angegebene  Weise  Kenntniss  von  dem  Size  der  Strictur. 
Nachdem  dies  geschehen ,  tragt  man  die  Entfernung  der  Strictur  auf  eine 
mit  Höllenstein  armirte  Bougie ,  d.  h.  eine  an  ihrem  unteren  Ende  mit 
einem  Stückchen  Höllenstein  versehene  Wachskerze  über  und  führt  diese, 
nachdem  man  sie  beölt  hat ,  in  die  Urethra  bis  zur  Strictur ,  wo  man  sie 
massig  und  nach  der  Empfindung  des  Kranken  kürzere  oder  längere  Zeit 
andrückt.  Diese  Operation  wird  einen  Tag  um  den  andern  oder  täglich 
wiederholt.  Nach  Lösung  des  Brandschorfes  sucht  man  durch  eine  ein- 
fache Bougie  die  natürliche  Weite  der  Harnröhre  vollends  herzustellen. 
Um  der  Gefahr  einer  Verlezung  der  gesunden  Schleimhaut  zu  entgehen, 
führten  Loyseau,  Hunter,  Home  u.  A.  das  Aezmittel  durch  eine 
biegsame   silberne   oder  elastische  Röhre  an  den  Ort  seiner  Bestimmung. 

—  Whately  bedient  sich  des  leicht  zerfliessbaren  Kali  causticum. 

—  Bei  der  Cauterisation  von  innen  nach  aussen  oder  innerhalb  der 
Strictur  verfährt  Arnott  folgendermassen.  Nachdem  er  sich  mit  einer 
jeden  Eindruck  annehmenden  Kerze  über  den  Siz  und  die  Beschaffenheit 
der  Strictur  Kenntniss  verschafft  hat,  führt  er  eine  gehörig  starke  Canüle 
bis  zur  Strictur  ein.  Zur  Cauterisation  durchstösst  er  ein  Stück  Höllen- 
stein ,  das  etwas  dünner  als  die  Strictur  weit  ist ,  in  der  Mitte  mit  einem 
Metalldrahte  und  sezt  auf  diesen  vor  und  hinter  dem  Höllensteine  ein 
V2  Zoll  langes  Stück  einer  gewöhnlichen  Bougie.  Die  so  zubereitete 
Kerze  wird  durch  die  Canüle  bis  zur  Strictur  und  durch  diese  hindurch 
geführt ,  so  dass  der  Höllenstein  leztere  in  allen  Punkten  berührt ;  hier- 
auf wird ,  nachdem  die  Cauterisation  geschehen  und  der  Draht  zurückge- 
zogen ist,  ein  Draht  mit  einem  Leinwand-  oder  Baumwollbäuschchen  durch 
die  Canüle  eingeführt ,  um  das ,  was  sich  von  dem  Aezmittel  verflüssigt 
hat,  aufzusaugen.  —  Mit  grösserer  Sicherheit  und  Genauigkeit  lässt  sich 
die  Cauterisation  mittels  des  D  u  c  a  m  p '  sehen  oder  Lallemand'  sehen 
Aezmittelträgers  ausführen.  Vor  der  Anwendung  des  Aezmittels  wird 
mit  der  Explorationssonde  (der  oben  beschriebenen  Modellirbougie)  ein 
genauer  Abdruck  von  der  Strictur  genommen  und  dann  erst  der  Aezmittel- 
träger  in  Wirksamkeit  gesezt.  Dieser  Aezmittelträger  besteht  aus  einem 
Hohlcy linder ,  welcher  einen  Schaft  aufnimmt ,  der  an  seinem  vorderen 
Ende  mit  einer  Rinne  von  Piatina  versehen  ist.  In  diese  Rinne  legt  man 
kleine  Stückchen  Höllenstein,  dessen  Menge  etwa  4/2  Gran  beträgt.  Um 
sie  zu  befestigen ,  schmilzt  man  sie  mittels  des  Löthrohrs  zusammen ,  wo- 
bei aber  die  Hize  nicht  zu  gross  werden  darf,  dass  ein  Aufblähen  des 
Höllensteins  veranlasst  wird.  Dieser  Porte-caustique  wird ,  in  die  Röhre 
zurückgezogen,  bis  zur  verengten  Stelle  geführt,  dann  in  die  Strictur  vor- 

27* 


420  HARNVERHALTUNG. 

geschoben  und  innerhalb  derselben  mehrmals  um  seine  Achse  gedreht ,  so 
dass  leztere  allenthalben  von  dem  Höllensteine  berührt  wird.  Nach  hin- 
länglicher Aezung  zieht  man  das  Stilet  in  die  Röhre  zurück  und  entfernt 
diese  mit  ihm  aus  der  Harnröhre.  Drei  derartige  Cauterisationen  in  dem 
Zwischenräume  von  2  —  3  Tagen  angestellt,  sollen  zur  Zerstörung  der 
verengten  Theile  hinreichen ,  so  dass  man  nun  zur  Anwendung  der  Bou- 
gies  übergehen  kann,  die  hier,  wie  bei  der  blutigen  Dilatation,  die  unent- 
behrlichsten Unterstüzungsmittel  bleiben.  —  D  u  c  a  m  p '  s  und  Lalle- 
mand's  Verfahren  ist  vielfach  modificirt  worden,  so  von  Segalas, 
Cazenave,  Pasquier,  Dupuytren  u.  A.  —  Schliesslich  sei  noch 
des  Versuchs  erwähnt ,  organische  Stricturen  durch  Galvanismus  zum 
Schmelzen  zu  bringen ,  und  wollen  Cr  u  sei,  Baumgartner  und 
Willebrand  eine  schnellere  Heilung  damit ,  als  bei  jeder  andern  Me- 
thode erzielt  haben.  S.  den  Art.  Electrotherapie.  —  Thiele- 
mann behandelt  die  Stricturen  in  neuester  Zeit  allein  ohne  alle  mecha- 
nische Hülfsmittel  durch  den  innerlichen  Gebrauch  des  Kalijodatum 
(5ij  auf  Aq.  destill,  ^vj.  3  Löffel  voll  täglich)  mit  dem  besten  Erfolg. 
Daneben  strenge  Milchdiät. 

HarnrÖhrenverSChlleSSUng ,  Atresia  Urethra e.  Es 
besteht  entweder  nur  eine  oberflächliche  Verschliessung  der  Harnröhren- 
mündung oder  die  Verwachsung  sizt  tiefer.  Im  ersten  Falle  ist  die  Ope- 
ration leicht;  man  zieht  die  Vorhaut  so  weit  zurück,  dass  die  Eichelspize 
entblösst  wird,  sticht  dann  eine  Lancette  mit  nach  oben  und  unten  gerich- 
teten Schneiden  durch  die  verschliessende  Membran  und  verhütet  das 
Wiederverwachsen  durch  Einlegen  einer  beölten  Charpiewieke  oder  eines 
Bougiestücks.  Im  zweiten  Falle  sticht  man  einen  entsprechend  dünnen 
Troicart  nach  der  Richtung  der  Harnröhrenmündung  bis  in  den  wegsamen 
Theil  der  Urethra  ein  und  erhält  die  Oeffnung  durch  ein  Stück  eines 
biegsamen  Catheters  offen.  Ist  eine  solche  Eröffnung  wegen  gänzlichen 
Mangels  oder  völliger  Destruction  des  vordem  Harnröhrentheils  nicht  aus- 
führbar ,  so  macht  man  an  der  untern  Fläche  des  Penis  in  die  Harnröhre 
da  einen  Einstich,  wo  sie  am  weitesten  nach  vorn  durch  Harnansammlung 
und  Auftreibung  bezeichnet  wird.  —  Ueber  die  fehlerhafte  Ausmündung 
der  Urethra  s.  den  Art.  Hypospadia. 

Harnsteine,  s.  Neubildungen. 

Harnverhaltung,  Retentio  urinae,  Ischuria  (von 
lö/co,  ich  halte  an  und  ovqov,  der  Harn).  Mit  diesem  Namen  bezeichnet 
man  denjenigen  Krankheitszustand  ,  wo  aus  irgend  einem  Grunde  der  be- 
reits abgeschiedene  Harn  zurückgehalten  wird.  Je  nachdem  das  Hinder- 
niss  für  die  Ausleerung  im  Nierenbecken,  in  den  Harnleitern,  in  der  Blase 
oder  in  der  Harnröhre  sich  vorfindet ,  unterscheidet  man  eine  Ischuria 
renalis,  ureterica,  vesicalis  und  urethralis.  Es  ist  dabei 
die  Ausleerung   des   Urins   entweder  völlig   unterdrückt   (Ischuria  im 


HARNVERHALTUNG.  421 

eigentlichen  Sinne) ,  oder  derselbe  kann  unter  massigen  Beschwerden 
(Dysuria)  oder  unter  bedeutenden  Schmerzen  nur  tropfenweise  ausge- 
leert werden  (Stranguria).  —  1)  Ischuria  renalis  et  urete- 
r  i  c  a.  —  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  ist  es  ein  Schleimgerinnsel,  ein  Blut- 
pfropf oder  ein  Stein,  seltener  sind  es  Anschwellungen  der  Gekrösdrüsen, 
des  Uterus  und  der  Eierstöcke,  Scirrhen,  Steatome  etc. ,  welche  zu  dieser 
Urinverhaltung  Anlass  geben.  Da  jedoch  solche  Hindernisse  selten  beide 
Seiten  betreffen  ,  so  ist  die  Verhaltung  selten  eine  vollständige  und  des- 
halb auch  das  Erkennen  der  Krankheit  immer  sehr  schwer.  Die  nächsten 
Folgen  einer  solchen  Harnverhaltung  sind  Anhäufung  des  Urins  oberhalb 
der  unwegsamen  Stelle  und  Ausdehnung  der  betreffenden  Theile,  wodurch 
die  leztern  nach  und  nach  sich  oft  um  das  Doppelte,  selbst  Dreifache  ver- 
grössern.  Dabei  klagt  der  Kranke  nur  über  einen  drückenden,  stechen- 
den Schmerz ,  welcher  sich  von  der  Nierengegend  nach  abwärts  erstreckt 
und  bei  Bewegungen  des  Körpers  zunimmt ;  oft  zeigen  sich  auch  die  Sym- 
ptome der  Entzündung  und  des  Krampfes.  Im  Anfange  der  Krankheit 
wird  weniger  Urin  ausgeleert,  bald  aber  wird  durch  die  vicarirende  Thätig- 
keit  der  andern  Niere  die  natürliche  Menge  Harn  wieder  ausgeschieden, 
und  das  Leiden  kann  lange  ohne  Nachtheil  für  den  Organismus  bestehen. 
Anders  ist  es  wenn  beide  Harnleiter  unwegsam  sind,  oder  wenn  durch  den 
fortdauernden  Reiz  sich  zu  dem  einfach  erkrankten  Harnleiter  eine  Ent- 
zündung gesellt,  die  dann  gewöhnlich  in  Brand  übergeht  und  ein  Bersten 
des  Theiles  und  damit  eine  Ergiessung  des  Urins  ins  Zellgewebe  oder  in 
die  Unterleibshöhle  nach  sich  zieht ,  in  welchem  lezteren  Falle  der  Tod 
bald  erfolgt,  während  im  erstem  Urinfisteln  die  Folgen  sind.  —  In  selte- 
nen Fällen  wird  der  Urin  von  den  Nieren  wieder  resorbirt ,  wo  dann  eine 
F  e  b  r  i  s  p  u  t  r  i  d  a ,  begleitet  von  Erbrechen  ,  urinösen  Schweissen  etc. 
entsteht  und  den  Tod  des  Kranken  ebenfalls  schnell  herbeiführt.  —  Be- 
handlung. Sie  kann  nur  symptomatisch  sein  und  hat  sich  nach  den 
vorhandenen  Zufällen  zu  richten.  Bei  heftigen  Schmerzen  und  entzünd- 
lichen Erscheinungen  dienen  locale  Blutentziehungen,  erweichende  Kly- 
stiere ,  Bäder ,  Umschläge  etc.  und  kalte  Narcotica.  Bei  mechanischen 
Hindernissen  sind  erschlaffende ,  erweichende  diluirende  Getränke  neben 
Bädern,  Klystieren  passend.  Bei  fehlendem  Reizzustande  können- er- 
schütternde Bewegungen  durch  Reiten ,  Erbrechen  etc.  das  Herabsteigen 
eines  Steins  befördern.  Krampfhafte  Zufälle  erfordern  Anodyna. 
Harnablagerungen  nach  Rupturen  müssen  schleunig  eröffnet  werden, 
wenn  sich  äusserlich  eine  Geschwulst  zeigt.  —  2)  Ischuria  vesica- 
lis.  Diese  am  häufigsten  vorkommende  Form  von  Harnverhaltung  er- 
zeugt nach  dem  Grade  und  der  Dauer  der  Ansammlung  sehr  verschie- 
dene, immer  aber  sehr  lästige  und  gefahrdrohende  Zufälle.  Der  Kranke 
fühlt  anfangs  bei  einem  steten  Drange  zum  Harnen  ein  Gefühl  von 
Schwere  und  Spannung  in  der  Blasengegend  und  im  Damme ;  bald  er- 
hebt   sich    über    den   Schambeinen    eine    sich    nach  und   nach   bis   zum 


422  HARNVERHALTUNG. 

Nabel  hin  erstreckende  Geschwulst ,  die  angefüllte  Blase ,  welche  gegen 
die  Naehbargebilde ,  vorzüglich  aber  gegen  den  Damm  einen  Druck  aus- 
übt und  hier  die  Scheide  und  den  Mastdarm  belästigt,  daher  auch  von 
diesen  aus  leicht  gefühlt  werden  kann.  Die  angefüllte  Blase  stellt  sich 
anfangs  als  eine  fluctuirende ,  später  als  eine  elastisch  sich  anfühlende 
und  bei  fehlender  Entzündung  unschmerzhafte  Geschwulst  dar,  welche  im 
weiteren  Verlaufe  der  Krankheit  einen  aufgetriebenen,  schmerzhaften  Un- 
terleib, erschwertes  Athmen ,  Uebelkeiten,  Erbrechen,  grosse  Angst,  kalte 
Schweisse  und  Ohnmächten  herbeiführt.  In  seltenen  Fällen  kann  die 
starke  Ausdehnung  der  Blase  fehlen  ,  wenn  nämlich  ihre  Häute  eine  be- 
sondere Rigidität  besizen.  —  Wird  das  Uebel  nicht  zeitig  gehoben ,  so 
entsteht  gewöhnlich  eine  sich  über  den  Unterleib  ausbreitende  Entzün- 
dung, welche  leicht  in  Brand  übergeht,  und  entweder  in  Folge  des  Bran- 
des an  und  für  sich  oder  in  Folge  der  Ergiessung  des  Urins  in  die  Unter- 
leibshöhle den  Tod  herbeiführt.  Nur  wenn  die  Ergiessung  des  Urins  ins 
Zellgewebe  ausserhalb  der  Höhle  des  Bauchfells  erfolgt  und  hier  Veran- 
lassung zur  Bildung  yon  Harnfisteln  gibt ,  kann  das  Leben  erhalten  wer- 
den, ebenso  wenn  sich  der  Urachus  öffnet  und  dadurch  dem  Harn  ein  Weg 
durch  den  Nabel  geöffnet  wird.  Ist  der  Ausweg  durch  die  Harnröhre  nicht 
gänzlich  verschlossen,  so  dehnt  sich  die  Blase  zwar  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  aus ,  dann  aber  widerstehen  die  Eingeweide  des  Unterleibs ,  die 
Bauchmuskeln,  das  Zwerchfell  der  weitern  Ausdehnung  und  der  Urin  muss 
sich  von  Zeit  zu  Zeit  theilweise  durch  die  Harnröhre  einen  Abfluss  bah- 
nen ,  die  Ausdehnung  der  Blase  nimmt  also  nicht  ferner  zu ,  ein  Zustand, 
der  Monate  lang  fortdauern  kann,  ohne  üble  Folgen  nach  sich  zu  ziehen. 
—  In  den  Fällen ,  wo  aus  Atonie  der  Blase  keine  entzündliche  Reaction 
eintritt ,  wird ,  wie  bei  der  Ischuria  ureterica,  früher  oder  später 
durch  Resorption  des  Urins  eine  Febris  putrida  und  der  Tod  herbei- 
geführt. Dies  geschieht  auch  bei  den  Harnverhaltungen ,  bei  welchen, 
wenn  auch  längere  Zeit  hindurch  ein  Theil  des  Urins  ausgeleert  wird,  die 
Blase  doch  immer  mit  Urin  gefüllt  bleibt,  welcher,  indem  er  sich  zersezt, 
Entartungen  der  Blase  und  kachektisches  Allgemeinleiden  herbeiführt.  — 
Die  Ursachen  der  Ischuria  vesicalis  können  sein :  Entzündung, 
Krampf,  Lähmung  der  Blase  und  Verstopfung  derselben:  diesem  nach 
unterscheidet  man  eine  entzündliche,  krampfhafte,  paraly- 
tische und  mechanische  Harnverhaltung.  —  a)  Entzündliche 
Harnverhaltung  (Ischuria  inflammatoria).  Der  Entzün- 
dungszustand kann  acut  oder  chronisch  sein.  Bei  der  acuten  Form  sind 
die  Zufälle  jederzeit  höchst  gefährlich.  Ausser  dem  heftigsten  Drange 
zum  Uriniren  fühlt  der  Kranke  einen  tief  sizenden  Schmerz  in  der  Blase 
und  den  naheliegenden  Theilen ,  der  sich  bei  der  Berührung  vermehrt ; 
dabei  ist  die  Blasengegend  aufgetrieben ,  auch  wohl  geröthet ,  auch  ist 
Fieber  zugegen.  —  Die  Entzündung  kann  sich  über  die  Unterleibseinge- 
weide verbreiten,  es  entsteht  Aufstossen  und  Erbrechen,  und  der  Kranke 


HARNVERHALTUNG.  423 

ist  verloren,  wenn  nicht  bald  Hülfe  geschafft  wird.  —  Bei  der  chroni- 
schen Form  (Isch.  chronica)  empfindet  der  Kranke  beim  Beginne 
des  Uebels  eine  kizelnde,  sich  oft  bis  in  die  Harnröhre  ausdehnende  Em- 
pfindung in  der  Blase ,  die  sich  im  Laufe  der  Zeit  in  einen  nagenden 
Schmerz  verwandelt,  wobei  der  Harnfluss  gehemmt  oder  unterbrochen  wird. 
Mit  dem  Urin  geht  in  Folge  der  Entartung  der  Blase  zuweilen  Blut, 
Schleim,  Eiter  ab. —  Die  Ursachen  der  entzündlichen  Harnverhaltung 
sind  :  Gewalttätigkeiten ,  welche  das  Mittelfleisch  und  die  Blasengegend 
treffen,  Steine  in  der  Blase,  hoher  Grad  der  Tripperentzündung,  entzünd- 
liche Hämorrhoidalbeschwerden  ,  die  sich  auf  die  Blase  fortpflanzen ,  zu- 
rückgetretene Gicht  und  Hautausschläge,  Erkältungen  etc.  —  Behand- 
lung. Die  acute  Form  fordert  die  kräftigste  Antiphlogose ,  mit  Rück- 
sicht auf  die  zu  Grunde  liegende  Ursache.  Man  lässt  zur  Ader,  sezt  Blut- 
egel an  den  Damm ,  die  Blasengegend  und  gibt  innerlich  schleimige 
Getränke  in  kleinen  Quantitäten,  Calomel.  Um  die  krampfhafte  Zusam- 
menschnürung des  Blasenhalses ,  die  fast  nie  fehlt ,  zu  heben,  müssen  zu- 
gleich warme  Ueberschläge  über  die  Schamgegend  und  das  Perinäum, 
warme  Bäder ,  Dämpfe  von  Chamillen  an  das  Mittelfleisch ,  Einreibungen, 
Klystiere  mit  Opium  etc.  angewendet  werden.  Vesicantien  sind  zu  ver- 
meiden. Bei  Tripperentzündung  macht  man  Umschläge  über  den  Penis, 
bei  Hämorrhoidalbeschwerden  sezt  man  Blutegel  an  den  Mastdarm  und 
gibt  innerlich  Schwefel  mit  Cremor  tartari.  Meistens  kommt  bei  die- 
ser Behandlung  der  Urin  bald  in  Fluss ,  wo  nicht ,  so  versuche  man  die 
Application  eines  elastischen  Catheters,  den  man  aber  nicht  zu  tief  in  die 
Blase  einbringen  darf,  um  dieselbe  nicht  noch  mehr  zu  reizen.  Gelingt 
es  nicht ,  den  Catheter  einzuführen  und  droht  Brand  der  Blase ,  so  muss 
der  Blasenstich  ohne  Aufschub  gemacht  werden.  —  Bei  der  chronischen 
Form  beobachte  man  vorzugsweise  eine  strenge  Diät ,  vermeide  erhizende 
Speisen  und  Getränke ,  erhalte  die  Leibesöffnung  durch  erweichende  Kly- 
stiere, gebrauche  oft  warme  Bäder ,  Dampfbäder  und  mache  Quecksilber- 
einreibungen in  das  Mittelfleisch.  Sind  Schmerzen  in  der  Blase  vorhan- 
den ,  so  gebe  man  Calomel  mit  Opium  innerlich  ;  zurückgetretene  Haut- 
ausschläge erfordern  Ableitungen  durch  Einreibungen  von  Brechwein- 
steinsalbe ,  durch  Anlegung  künstlicher  Geschwüre  oder  man  legt  Öfter 
Sinaspismen  auf  oder  sezt  trockene  Schröpf  köpfe ;  dabei  diaphoretische 
Getränke.  Den  angesammelten  Urin  entleert  man  durch  den  Catheter.  — 
b)  Die  krampfhafte  Harnverhaltung  (Ischuria  spasmo- 
dica)  tritt  meist  plözlich  auf,  der  Kranke  empfindet  häufigen  schmerz- 
haften Drang  zum  Uriniren ,  wobei  der  Harn  nur  tropfenweise  abgeht. 
Bei  dieser  Form  ist  der  Blasenhals ,  nicht  selten  auch  die  Urethra  an  ein- 
zelnen Stellen ,  bei  gleichzeitiger  krampfhafter  Zusammenziehung  der 
Muskeln  des  Dammes  und  des  Afters ,  verengt,  deshalb  erstreckt  sich  der 
zusammenschnürende ,  ziehende  Schmerz  von  der  Blase  bis  in  die  Harn- 
röhre und  in  der  Eichel  entsteht  zuweilen  ein  Kizel ,    der  schmerzhafte 


424  HARNVERHALTUNG. 

Erectionen  erregt.  Der  Schmerz  wird  beim  Harnfluss  gelinder,  am 
Ende  des  Hamens  aber  am  stärksten ,  er  kommt  und  verschwindet  wech- 
selsweise, der  Kranke  fiebert  nicht,  aber  der  Puls  ist  klein.  Der  Catheter 
geht  bald  leicht ,  bald  schwer ,  bald  gar  nicht  ein.  —  Besonders  unter- 
worfen sind  dieser  Form  von  Harnverhaltung  alle  sehr  empfindlichen,  hyste- 
rischen, hypochondrischen,  zu  Krämpfen  geneigten,  oder  an  Hämorrhoiden, 
Gicht,  Blasenkatarrh  etc.  leidenden  Individuen  •  die  häufigsten  Gelegenheits- 
ursachen aber  sind  :  Erkältung  ,  Aerger  ,  Hämorrhoidal- ,  Wurmreiz  ,  der 
Genuss  ungegohrener  Getränke,  ein  zu  langes  Zurückhalten  des  Urins  etc. 
Von  der  entzündlichen  Harnverhaltung  unterscheidet  sie  sich ,  wenigstens 
im  Anfange,  durch  den  Mangel  aller  entzündlichen,  sowie  auch  durch  das 
periodische  Nachlassen  und  AViederkehren  der  ihr  eigenthümlichen  Sym- 
ptome. —  Behandlung.  Diese  hat  besonders  die  Gelegenheitsursachen 
zu  berücksichtigen ,  deshalb  wendet  man  bei  Hämorrhoiden  Schwefel  mit 
Cremor  tartari,  bei  Erkältungen  diaphoretische  Mittel ,  vorzüglich 
den  Campher,  (lezterer  dient  auch  bei  Cantharidenmissbrauch),  bei  Wür- 
mern Anthelmintica,  sowie  nach  dem  Genüsse  ungegohrener  Ge- 
tränke Magnesiausta  mit  einem  aromatischen  Zusaze  an.  Als  eigentliche 
Antispasmodica  benuzt  man :  warme  Umschläge  von  Chamillen ,  Ci- 
cuta,  Bilsenkraut,  Belladonna  etc.  auf  die  Damm-  und  Blasengegend,  Ein- 
reibungen flüchtiger  Salben  mit  Opium  und  Hyoscyamus,  das  Liniment, 
diureticum  (Rp.  Ol.  terebinth.  ^ß,  Vi  teil,  o  v.  5ij,  Aq.  menth. 
pip.  ^vj.  M.  S.  In  die  Blasen-  und  Inguinalgegend  einzureiben).  Kly- 
stiere  von  Chamillen,  Asa  foetida,  Opium,  Tabak,  warme  Halbbäder, 
Dampfbäder  etc.  ;  Vesicatorien  auf  das  Heiligbein  und  Mittelfleisch ,  ge- 
bratene Zwiebel  auf  lezteres  gelegt.  Innerlich  gibt  man  Oelmixturen  mit 
Opium,  Dover'sches  Pulver,  Calomel  mit  Opium,  Asa  foetida  (Rp. 
Asae  foetid.  ^ß,  Rad.  ipecac. ,  Op.  puri,  Ol.  menth.  pip.  ana 
gr.  vj  ,  M.  f.  p  i  1.  gr.  ij  ,  c  o  n  s  p.  Sem.  1  y  c  o  p  o  d.  S.  3  Mal  täglich  1 0 
Stück.  Richter),  und  lässt  dabei  warme  schleimige  Getränke  in  gerin- 
gen Mengen  gemessen.  Kindern  gibt  man  Lycopodium,  z.  B.  Rp.  Sem. 
lycopod.  3ij  ,  Syr.  alth.  gß ,  A  q.  foenic.  gij.  M.  S.  Alle  2  Stun- 
den einen  Kinderlöffel  voll.  Henke  rühmt :  Rp.  Acet.  squill.  3jß. 
S  p  i  r.  c.  C.  r  e  c  t  i  f.  5j  ,  Syr.mannat.5ij,  T  i  n  c  t.  o  p  i  i  s  i  m  p  1. 
gtt.  ij.  M.  D.  S.  Alle  3  Stunden  10 — 14  Tropfen  zu  geben.  —  Kehrt 
das  Uebel  häufig  zurück  ,  so  empfiehlt  R  u  s  t  folgende  Pillenmasse  :  R  p. 
Acid.  muriat. ,  Acid.  nitric.  ana  5 j  ,  Sem.  lycopod.  ^ß.  M.  f. 
pil.  gr.  ij.  D.  S.  3  Mal  täglich  6  — 12  Stück,  und  dazu  den  Thee  aus 
Flor,  stoechados  citr.  Als  Volksmittel  hat  einen  gewissen  Ruf  be- 
kommen das  Sezen  auf  einen  kalten  Stein  und  das  Umschlagen  der  fri- 
schen Haut  von  einem  Ei  um  die  Eichel.  —  Kommt  der  Harn  bei  dieser 
Behandlung  nicht  zum  Flusse,  so  muss  auch  hier  der  Catheter  eingeführt 
werden,  wobei  man  oft  ein  bedeutendes  Hinderniss  im  Blasenhalse  findet. 
—  Gesellen  sich  entzündliche  Zufälle  den  krampfhaften  bei,  so  verbindet 


HARNVERHALTUNG.  425 

man  die  antiphlogistische  Heilmethede  mit  der  antispasmodischen.  — 
c)  Paralytische  Harnverhaltung  (Ischuriaparalytica). 
Von  dieser  ist  bei  der  Harnb  1  a  s  enläh  mun  g  (s.  diesen  Artikel)  die 
Rede.  —  d)  Mechanische  Harnverhaltung  (Ischuriae  causa 
mechanica).  Dieser  können  sehr  mannichfaltige  Ursachen  zu  Grunde 
liegen.  Das  dem  freien  Abflüsse  des  Harns  entgegentretende  Hinderniss 
befindet  sich  entweder  innerhalb  der  Blase  oder  ausserhalb  derselben.  Zu 
der  ersten  Klasse  gehören  Steine,  Schleim-  und  Blutklumpen  oder  andere 
von  aussen  eingedrungene  fremde  Körper,  dann  aber  auch  polypöse  Aus- 
wüchse, Desorganisationskrankheiten  des  Blasenhalses  etc.  Zu  den  ausser- 
halb der  Blase  liegenden  Ursachen ,  welche  durch  Druck  auf  den  Blasen- 
hals wirken ,  gehört  eine  schwangere ,  dislocirte  oder  auch  krankhaft  ver- 
änderte Gebarmutter,  Geschwülste  im  Becken,  besonders  aber  Krankheiten 
der  Prostata.  Auch  Dislocationen  können  zu  Harnverhaltungen  Anlass 
geben.  —  Bei  Steinen ,  Blut-  und  Schleimpfröpfen  hilft  nur  die  Einfüh- 
rung des  Catheters  ;  bei  polypösen  Auswüchsen ,  deren  Diagnose  immer 
unsicher  ist ,  sowie  dem  anliegenden  Uterus  u.  dgl.  besteht  die  palliative 
Hülfe  in  der  Anwendung  des  Catheters  ;  dem  Grundleiden  muss  entspre- 
chend entgegengewirkt  werden.  Ueber  die  Behandlung  der  Krankheiten 
der  Prostata  s.  den  Art.  Vorsteherdrüse.  —  3)  Ischuria  ure- 
thralis.  Dieser  Harnverhaltung  liegen  ebenfalls  meist  mechanische  Ur- 
sachen ,  wie  Steine,  Blutpfröpfe ,  von  aussen  her  gekommene  fremde  Kör- 
per, polypöse  Auswüchse,  Stricturen  zu  Grunde,  sie  kann  aber  auch  durch 
eine  hoch  gesteigerte  Entzündung  der  Harnröhre  herbeigeführt  werden. 
—  Bei  weichen  fremden  Körpern  hilft  die  Einführung  des  Catheters ; 
Steine  u.  dgl.  müssen  auf  die  in  dem  Art.  fremde  Körper,  Polypen 
auf  die  in  dem  Art.  Harnröhrenpolypen  angegebene  Weise  entfernt 
werden.  Verursacht  eine  Strictur  eine  complete  Harnverhaltung,  was  zu- 
weilen in  Folge  von  Excessen  verschiedener  Art  plözlich  geschieht ,  so 
sucht  man  zunächst  durch  Einführen  einer  feinen  Bougie,  die  man  allmä- 
lig  verstärkt ,  sowie  durch  Aderlässe ,  Blutegel  an  den  After  und  Damm, 
Bäder,  erweichende  Klystiere  mit  etwas  Opium  etc.  den  dringendsten  An- 
forderungen zu  genügen,  worauf  man  sodann  die  Behandlung  der  Strictu- 
ren beginnt.  S.  Harnröhrenverengerung.  Wenn  die  Einführung 
der  Bougie  nicht  gelingt,  so  ist  der  Blasenstich  (s.  den  Art.  Punction) 
angezeigt ,  welcher  dem  von  Einigen  (Desault,  Boy  er)  empfohlenen 
Durchbrechen  der  Strictur  mit  einer  konischen  Sonde  in  den  meisten 
Fällen  vorzuziehen  ist.  Einige  rathen  ,  wenn  die  Strictur  nicht  zu  weit 
hinten  sizt ,  die  Urethrotomie  zu  machen ,  womit  dann  nicht  selten  eine 
Radicalheilung  der  Strictur  verbunden  werden  kann.  Ueber  diese  Opera- 
tion s.  den  Art.  Harnröhrenverengerung.  —  Die  Entzündung  der 
Harnröhre ,  welche  ein  Zeichen  des  Trippers ,  aber  auch  durch  rohes  Ca- 
theterisiren,  durch  Einbringen  scharfer,  äzender  Dinge  etc.  veranlasst  sein 
kann ,  erfordert  eine  antiphlogistische  Behandlung ;   meistens  kommt  man 


426  HASENSCHARTE. 

mit  localen  Blutentziehungen  durch  Blutegel,  an  das  Mittelfleisch  gesezt, 
und  hinterher  durch  Breiumschläge  auf  die  Scham-  und  Mittelfleischgegend 
aus  ;  ist  das  aber  nicht  der  Fall ,  so  können  allgemeine  Blutentleerungen 
etc. ,  und  wenn  man  damit  auch  nicht  zum  Ziele  kommt ,  wohl  auch  der 
Blasenstich  indicirt  sein,  da  es  häufig  nicht  gelingt,  mit  dem  Catheter  in 
die  Blase  zu  gelangen ,  zu  dem  man  überhaupt  nur  im  äussersten  Falle 
greifen  darf,  da  er  einerseits  sehr  heftige  Schmerzen  verursacht  und  ande- 
rerseits die  Entzündung  steigert. 

M&SeilSCll&rte,  Labium  leporinum,  Lagostoma  (von 
Xayog,  der  Hase,  und  Gto/uu,  der  Mund).  Mit  diesem  Namen  bezeichnet 
man  eine  Trennung  oder  Spaltung  der  Lippen ,  in  welche  sich  die  rothen 
Ränder  derselben  fortsezen.  In  der  bei  weitem  grössten  Mehrzahl  der 
Fälle  ist  sie  ein  Fehler  der  ersten  Bildung ,  selten  die  Folge  einer  Ver- 
wundung der  Lippen ,  bei  welcher  die  Wundränder  unvereinigf  geblieben 
sind  und  sich  überhäutet  haben ;  im  erstem  Falle  sind  die  Spaltenränder 
platt  und  mit  einer  feinen  Epidermis  überzogen,  im  zweiten  unregelmässig 
und  schwielig.  —  Man  beobachtet  die  Hasenscharte  fast  immer  an  der 
Oberlippe,  höchst  selten  an  der  Unterlippe.  Die  Lippe  ist  dabei  entweder 
nur  theilweise  oder  gänzlich  gespalten  und  oft  ist  mit  der  Spalte  der  wei- 
chen Theile  auch  eine  Spalte  des  Oberkiefers  und  Gaumens  verbunden 
(W olfs rächen,  Palatum  fissu m).  Die  Spalte  ist  zuweilen  ein- 
fach, manchmal  liegt  aber  zwischen  ihren  Rändern  ein  grösseres  oder  klei- 
neres Mittelstück  und  dann  erstreckt  sich  die  Fissur  meistens  bis  in  den 
Gaumen  hinein ,  so  dass  Nasen-  und  Mundhöhle  zusammenlaufen.  Nicht 
selten  ragt  vom  untern  Theile  der  Nasenscheidewand  ein  Knochenstück, 
welches  mehrere  Schneidezähne  oder  ihre  Keime  enthält ,  in  die  Spalte 
hinein  (doppelt  er  Wolf  s  rächen).  —  Nur  wenn  die  Hasenscharte 
mit  einer  Spalte  im  Knochen  verbunden  ist ,  hindert  sie  bei  Kindern  das 
Säugen.  Bei  Erwachsenen  wird  durch  die  Hasenscharte  immer  die  Sprache, 
besonders  die  Pronunciation  der  Lippenbuchstaben ,  undeutlich.  Beim 
Reden  fliesst  ihnen  der  Speichel ,  beim  Kauen  fallen  ihnen  die  Speisen 
aus  dem  Munde-  —  Behandlung.  Die  Hasenscharte  kann  nur  durch 
eine  Operation  geheilt  werden,  welche  darin  besteht,  dass  man  die  Schar- 
tenränder mit  schneidenden  Instrumenten  abträgt  und  diese  frische  Spalte 
vereinigt.  Dies  geschieht  um  so  leichter,  je  weniger  hoch  sich  die  Spalte 
bis  in  die  Nase  erstreckt  und  je  weniger  sie  klafft.  Ist  die  Hasenscharte 
mit  Wolfsrachen  complicirt,  so  vermindert  oder  schliesst  sich  dieser  nach 
der  Operation  der  ersteren  in  der  Regel  von  selbst  und  zwar  desto  eher, 
je  jünger  das  Kind  ist ;  bisweilen  bleibt  er  aber  zeitlebens.  —  Die  schick- 
lichste Zeit  zur  Operation  der  einfachen  Hasenscharte  sind  die  ersten  4—  5 
Monate,  doch  sind  die  ersten  10 — 14  Tage  nach  der  Geburt  abzuwarten, 
um  dem  Kinde  Zeit  zu  lassen,  die  Körperfunctionen  zur  Entwicklung  zu 
bringen,      Ist  die  Operation  in  der  genannten  Zeit  versäumt  worden  ,   so 


HASENSCHARTE.  427 

ist  es  der  Halsstarrigkeit  und  Ungelehrigkeit  der  Kinder  wegen  gerathen, 
bis  zum  13.  oder  15.  Jahre  zu  warten.  Der  günstigste  Zeitpunkt  der 
Operation  der  mit  Spaltung  des  Alveolarrandes  complicirten  Hasenscharte 
oder  wenn  bei  doppelter  Hasenscharte  ein  Vorsprung  der  Incisivknochen 
besteht,  ist  das  Alter  von  5  —  6  Monaten.  —  Einige  Tage  vor  der  Ope- 
ration kann  man  die  Kinder  Heftpflaster  tragen  lassen,  welche  die  Lippen- 
theile  einander  nähern,  wodurch  das  Kind  an  den  Verband  gewöhnt  wird. 
Ragen  Zähne  in  die  Spalte  ,  welche  die  Vereinigung  hindern  würden  ,  so 
zieht  man  sie ,  wenn  es  Milchzähne  sind ,  aus  ,  ebenso  Zähne  der  zweiten 
Bildung ,  wenn  sie  nicht  durch  einen  anhaltenden  Druck  zurückgedrückt 
werden  können.  Kinder  hält  man  vor  der  Operation  lange  wach  und  sät- 
tigt sie  dann,  damit  sie  gleich  nach  der  Operation  schlafen.  —  Die  Ope- 
ration wird  auf  folgende  Weise  verrichtet :  Nachdem  das  Kind  gehörig 
fixirt  ist ,  was  dadurch  geschieht ,  dass  es  ein  Gehülfe  auf  dem  Schoosse 
festhält ,  und  ein  hinter  diesem  stehender  zweiter  Gehülfe  den  Kopf  des 
Kindes  mit  beiden  an  den  Unterkiefer  desselben  gelegten  Händen  an  die 
Brust  von  jenem  drückt  und  dabei  zugleich  die  Maxillararterien  in  der 
Nähe  der  Mundwinkel  comprimirt ,  wird  bei  etwas  vorwärts  geneigtem 
Kopfe  von  dem  vor  dem  Kinde  sizenden  Operateur ,  wenn  es  nöthig  ist, 
zuerst  die  Lippe  in  hinreichendem  Umfange  mit  einem  gewölbten  Bistouri 
von  dem  Zahnfleische  abgetrennt ,  worauf  er  mit  der  Scheere  oder  dem 
Bistouri  die  Ränder  der  Spalte  abträgt.  Mit  der  Scheere,  welche  ent- 
schieden den  Vorzug  verdient,  verfährt  man  folgendermaassen  :  der  Ope- 
rateur fasst  mit  einer  starken  Hakenpincette  den  einen  äussersten  Lippen- 
winkel, zieht  ihn  etwas  ab  und  nach  unterwärts,  um  ihn  zu  spannen,  führt 
dann  das  stumpfspizige  Blatt  einer  kurzen ,  starken  und  scharfen  Scheere 
hinter  der  Pincette  an  der  Seite  des  Lippenrandes  bis  über  das  Spaltende 
hinauf  und  trennt  durch  kräftiges  Schliessen  der  Scheere  den  Saum  in 
seiner  ganzen  Länge  und  in  gehöriger  Breite ,  wenigstens  einige  Linien 
breit  in  einem  Schnitte  ab.  Während  des  Schneidens  schiebt  man  die 
Scheere  etwas  nach  oben.  Ein  gleicher  Schnitt  wird  durch  den  andern 
Rand  geführt  und  beide  Wundränder  durch  Daumen  und  Zeigefinger  des 
Gehülfen  zusammengedrückt.  Die  beiden  Schnitte  müssen  sich  über  dem 
Schartenwinkel  genau  mit  einander  vereinigen.  Wird  der  Schnitt  nicht 
mit  einem  Male  vollendet,  so  werde  er  in  derselben  Richtung  fortgeführt. 
-7-  Bei  dem  Gebrauche  des  Messers  befestigt  man  die  Lippe  auf  einer 
untergeschobenen  Holzplatte  oder  besser  durch  den  Lippenhalter  von 
B  e  i  n  1 ,  dessen  mit  Kork  oder  Holz  eingelegtes  Blatt  man  unter  die  Lippe 
und  so  hoch  hinaufbringt,  dass  die  beiden  Blätter  den  Spaltenwinkel  über- 
steigen ,  und  schliesst  dieselben  so  ,  dass  ungefähr  */j  Linie  von  der  na- 
türlich beschaffenen  Haut  neben  dem  rothen  Spaltenrande  unbedeckt  bleibt. 
Man  sticht  alsdann  ein  gerades  spizes  Bistouri  1  Linie  oberhalb  des  Scharten- 
winkels ein  und  zieht  es  längs  des  Lippenhalters  in  einem  Zuge  abwärts. 
Ebenso   verfährt  man  am   andern  Spaltenrande.  —  Die  Blutung  wird  in 


428  HASENSCHARTE. 

den  meisten  Fällen  durch  eine  genaue  Vereinigung  gestillt ;  nur  selten 
wird  die  Unterbindung  nöthig.  Die  Vereinigung  der  Wundränder  ge- 
schieht am  besten  mittels  der  umwundenen  Naht.  Man  bedient  sich  dazu 
gerader  goldener  oder  silberner  Stifte  mit  abnehmbaren  stählernen  lanzen- 
förmigen  Spizen  oder  der  sogenannten  Kaisbader  Insectennadeln;  But- 
c  h  e  r  verwirft  sowohl  diese  ,  wie  die  erstem  ;  die  Insectennadeln  deshalb, 
weil  sie  sich  leicht  krummbiegen ,  und  gebraucht  lange  ,  dünne  ,  gerade, 
polirte,  aber  elastische,  gut  gehärtete  Stahlnadeln,  welche  am  untern  Ende 
in  eine  feine  Spize  auslaufen,  über  welcher  sie  */2 — 3/4  Zoll  weit  eine 
dreikantige  Form  haben.  Man  sticht  die  erste  Nadel ,  während  man  den 
linken  Lippenrand  mit  dem  Daumen  und  Zeigefinger  der  linken  Hand 
fixirt,  genau  an  der  Grenze  des  rothen  und  weissen  Lippentheiles  und  drei, 
bei  weit  klaffender  Spalte  vier  Linien  von  den  Wundrändern  entfernt, 
senkrecht  durch  die  Haut  bis  an  die  innere  Lippenhaut ,  bringt  sie  dann 
in  eine  horizontale  Richtung ,  so  dass  ihre  Spize  beim  Fortschieben  nahe 
an  der  Lippenschleimhaut  zum  Vorschein  kommt.  Man  fixirt  nun  die 
andere  Lefze ,  sezt  die  Nadelspize  da  in  ihren  Wundrand  ein  ,  wo  sie  an 
der  ersten  Lefze  hervorkam  und  führt  sie  durch  jene  nach  aussen  und 
oben  hindurch.  Alsdann  schiebt  man  die  Nadel  noch  so  weit  fort ,  dass 
ihre  Mitte  der  Wundspalte  entspricht  und  legt  um  sie  einen  Faden  herum, 
dessen  Enden  ein  Gehülfe  massig  angespannt  hält.  Hierauf  legt  man  noch 
1  —  3  Nadeln  in  Zwischenräumen  von  2  —  3  Linien  ein.  Zur  Vereinigung 
der  Wundspalte  umschlingt  man  die  Nadeln  mit  Faden ,  und  zwar  legt 
man  denselben  bei  der  ersten  Nadel  mit  seiner  Mitte  quer  über  die  Wunde, 
führt  seine  beiden  Hälften  zu  den  Seiten  zwischen  Haut  und  Nadelenden 
nach  unten ,  kreuzt  sie  auf  der  Wundspalte  ,  indem  man  sie  wieder  nach 
oben  führt  und  lässt  sie  nachmals  hinter  den  Nadelenden  nach  unten  lau- 
fen, so  dass  sie  also  eine  liegende  co  beschreiben.  Durch  diese  Anlegung 
des  Fadens  müssen  die  Wundränder  genau  aneinander  gezogen  werden. 
Alsdann  knüpft  man  die  Enden  unter  der  Nadel  mit  zwei  einfachen  Kno- 
ten ,  schneidet  sie  nahe  an  diesem  ab  ,  und  legt  um  die  andern  Nadeln 
ebenso  Fäden  herum ;  liegt  aber  die  Wundspalte  zwischen  zwei  Nadeln 
nicht  genau  zusammen,  so  kreuzt  man  die  Enden  des  von  der  obern  kom- 
menden Fadens  unter  derselben  und  führt  sie  zur  nächsten,  um  dort  damit 
dieselben  Touren  zu  machen.  Hat  man  Insectennadeln  benuzt,  so  werden 
diese  nun  zu  beiden  Seiten  eine  Linie  von  den  Umschlingungen  abge- 
knippen  und  zum  Schuze  der  Haut  unter  die  Nadelenden  ein  Streifen  Heft- 
pflaster geklebt.  Um  die  Wirkung  der  Muskeln  ,  welche  die  Vereinigung 
hindern  könnte,  zu  beschränken,  wendet  man  2  —  3  lange  Heftpflaster- 
streifen an ,  die  mit  der  Mitte  im  Nacken  angelegt ,  mit  den  Enden  unter 
den  Ohren  nach  vorn  geführt  und  zwischen  je  zwei  Nadeln  gekreuzt  wer- 
den, ohne  aber  leztere  zu  drücken.  —  Bei  sehr  hoch  in  die  Nasenhöhle 
gehender  Spalte  kann  keine  Nadel  eingelegt  werden  ;  hier  legt  man  eine 
Knopfnaht  ein.      Wenn  man  bei  der  Operation  rothe  Lippensubstanz  er- 


HASENSCHARTE.  429 

spart  hat,  so  heftet  man  diese  mittels  Knopfnahten  an,  und  wo  die  Span- 
nung der  angefrischten  Ränder  gering  ist ,  kann  man  auch  die  umschlun- 
gene Naht  mit  Knopfnähten  abwechseln  lassen.  A.  J.  Wood  fürchtet 
den  Druck  der  Nadeln  und  der  umschlungenen  Fäden  ;  er  knüpft  daher 
die  mit  einer  gewöhnlichen  Nadel  eingeführten  Fäden  auf  kleinen  ange- 
schobenen Silberscheiben.  —  Bei  der  doppelten  Hasenscharte  macht 
man,  wenn  das  Mittelstück  breit  und  gesund  ist,  die  Auffrischung  auf  bei- 
den Seiten  desselben  und  führt  die  Nadeln  durch  die  Ränder  der  Scharte 
und  durch  das  Mittelstück.  Ist  dieses  schmal,  unförmlich,  so  nimmt  man 
es  weg.  Ein  in  die  Spalte  hineinragendes  Knochenstück  (Incisivknochen 
oder  aufwärts  gerichteter  Alveolarrand)  fasst  man  mit  einer  gepolsterten 
Kornzange  und  drückt  es  nieder ,  was  bei  Kindern  nicht  lange  nach  der 
Geburt  ohne  Knochenbruch  gelingt ,  während  es  bei  Kindern  von  einem 
Jahr  und  darüber  nur  durch  Knochenbruch  erreicht  werden  kann.  Manch- 
mal wird  der  abgebrochene  Incisivknochen  so  locker,  dass  er  abwärts  sinkt. 
In  einem  solchen  Falle  soll  man  nach  Butcher  einen  Draht  oder  Na- 
deln durch  die  Knochenstücke  führen  ,  um  sie  an  ihrem  richtigen  Plaze 
zu  befestigen.  Nach  Bland  in  soll  man  vor  dem  Niederdrücken  der  In- 
termaxillarknochen  ein  Vf  örmiges  Stück  aus  dem  Vomer  mit  der  Knochen- 
scheere  ausschneiden.  —  Beim  Wolfsrachen  trennt  sich  die  vereinigte 
Wunde  sehr  leicht  von  oben  her  wieder  und  reisst  manchmal  ganz  auf, 
indem  der  hier  oft  schräg  nach  aussen  gehende  Nasenflügel  der  Vereini- 
gung der  Lippenspalte  entgegenwirkt.  Um  daher  die  Nasenöffhung  an 
ihrer  hintern  Grenze  zu  verengen,  sticht  Blasius  eine  lange,  starke 
Stecknadel  zwischen  Wange  und  Nase  durch  leztere  hindurch,  steckt  Blei- 
blättchen  auf  die  beiden  Enden  der  Nadel  und  treibt  diese  durch  Auf- 
rollen der  Nadelenden  mit  einer  Drahtzange  gegen  einander.  Diese  Nadel 
bleibt  bis  zur  festen  Verheilung  der  Lippenspalte  liegen.  —  Nach  der  Ope- 
ration lässt  man  das  Kind  immer  etwas  nach  der  Seite  geneigt  halten  und 
achtet  sorgfältig  auf  Blutung ;  man  gibt  ihm  nur  flüssige  Nahrung  und 
zwar  nur  durch  den  Mundwinkel.  Stellen  sich  Krampfzufälle  ein ,  so 
reicht  man  etwas  Syrupus  opiatus.  Den  abfliessenden  Nasenschleim 
entfernt  man  fleissig  mit  einem  Pinsel,  bis  man  am  3.  Tage  die  Heft- 
pflaster abnimmt  und  die  Nadeln  entfernt,  von  denen  man  einzelne,  beson- 
ders die  unterste,  wohl  noch  1 — 2  Tage  länger  liegen  lässt.  Beim  Aus- 
nehmen der  Nadeln  bestreicht  man  das  Spizenende  mit  Oel,  hält  mit  dem 
linken  Daumen  und  Zeigefinger  die  Wunde  zusammen,  fasst  mit  der  rech- 
ten Hand  das  Knopfende  der  Nadel  und  zieht  diese. drehend  und  langsam 
heraus  ;  die  noch  liegen  bleibenden  Fäden  bepinselt  man  mit  Collodium. 
Jede  Nadel  muss  sogleich  durch  einen  Pflasterstreifen  ersezt  werden.  — 
Eine  eintretende  starke  Entzündung  nach  der  Operation  bekämpft  man  durch 
Umschläge  von  Bleiwasser  ;  hilft  dies  nicht,  so  lässt  man  den  Faden  etwas 
nach.  Reissen  die  Nadeln  aus ,  so  wendet  man  sogleich  wieder  die  um- 
schlungene oder  die  Knopfnaht  an ;  eine  einzelne  Nadel  ersezt  man  durch 


430  HAUTHOERNER. 

Heftpflaster.  —  Wenn  es  nicht  zur  Vereinigung  der  Spalte  im  harten 
Gaumen  kommt,  so  muss  spater  eine  besondere  Operation  zur  Erreichung 
dieses  Zweckes  vorgenommen  werden.  S.Gaumen.  —  Bei  Erwachsenen 
folgt  der  Verheilung  der  Spaltenränder  nicht  selten  eine  Einkerbung  des 
untern  Randes  ,  die  sich  allmälig  zu  einer  Rinne  gestaltet  und  eine  Ent- 
stellung bedingt,  die  nach  Jahren  eine  zweite  Operation  veranlassen  kann. 
Man  schreibt  diesen  Vorgang  der  Narbencontraction  und  dem  Zurück- 
bleiben der  fibrösen  Substanz  im  Wachsthum  zu.  Zur  Vermeidung  dieses 
Uebelstandes  haben  mehrere  Wundarzte  bei  der  Operation  eine  winkliche 
Vereinigung  angestrebt  und  an  der  Stelle ,  wo  die  Einkerbung  sich  zeigt, 
eine  Hervorragung  des  Lippenrandes  angelegt.  H  u  s  s  o  n  und  Petre- 
q  u  i  n  frischten  zu  diesem  Behufe  die  Ränder  elliptisch  an ,  wodurch  bei 
der  Vereinigung  eine  Verlängerung  der  Oberlippe  mit  nach  unten  vortre- 
tendem Mittelstücke  erreicht  wird  ;  M  i  r  a  u  1 1  bildet  mit  Schonung  der 
rothen  Lippensubstanz  einen  keilförmigen  Lappen ,  der  die  knopff örmige 
Vorragung  des  untern  Lippenrandes  nach  der  Vereinigung  repräsentirt. 
Die  rings  um  den  keilförmigen  Lappen  sich  bildende  horizontale  Narbe 
wirkt  der  Contraction  der  vertikalen  Narbe  entgegen.  Friedberg  legt, 
das  Verfahren  von  Malgaigne  modificirend ,  die  angefrischten  Ränder 
der  ersparten  rothen  Lippensubstanz  in  der  Mitte  übereinander  und  befe- 
stigt sie  so ,  wodurch  sich  in  der  Mitte  zwei  horizontale  Narben  ergeben, 
die  der  Contraction  der  verticalen  Narbe  wirksam  entgegentreten. 

HautnÖrner ,  Cornua  humana,  sind  hornartige  Auswüchse 
von  verschiedenem  Umfang  und  verschiedener  Anzahl ,  welche  aus  der 
Oberfläche  der  Haut  oder  häufiger  aus  einem  Hautfollikel  ihren  Ursprung 
nehmen.  Sie  bilden  cylindrische  oder  konische  Zapfen  von  der  Consi- 
stenz  der  Nägel,  die  oft  eine  Länge  und  Dicke  von  mehreren  Zollen  errei- 
chen. Sie  sind  von  verschiedener  Gestalt,  bald  warzen-  oder  schwielen- 
artig, bald  konisch,  bald  hornartig  gekrümmt  oder  gewunden.  Auf  ihrer 
Oberfläche  sind  sie  meist  mit  erhabenen  Längsstreifen  versehen.  Ihre 
Farbe  ist  gelblich ,  grau ,  braun  oder  schwärzlich.  —  Man  hat  diese  Aus- 
wüchse am  behaarten  Theile  des  Kopfes  ,  auf  der  Stirne ,  Nase,  den  Wan- 
gen ,  auf  der  Brust ,  dem  Rücken ,  an  den  Extremitäten ,  an  der  Vorhaut 
etc.  beobachtet.  —  Sie  bilden  sich  entweder  aus  einer  Warze,  einer  klei- 
nen Balggeschwulst  hervor,  oder  es  lagern  sich  Hornmassen  an  der  Ober- 
fläche ab  ,  die  langsam  an  Masse  zunehmen.  Keimen  sie  aus  einer  Ge- 
schwulst heraus ,  so  sind  sie  anfangs  von  einer  dünnen  bastartigen  Haut 
überzogen ,  welche  sie  später  nur  noch  an  ihrer  Basis  umfasst  und  den 
Auswuchs  auf  der  Cutis  festhält,  mit  der  sie  beweglich  sind.  Sie  beste- 
hen aus  verhornten  Epidermiszellen,  die  sich  zu  Fasern  verlängert  haben  ; 
die  tieferen  Schichten  sind  stets  weicher  und  poröser ,  als  die  oberen. 
Sie  erregen  durch  ihr  Gewicht,  durch  die  Reizung  der  unterliegenden 
Haut  sehr  viel  Beschwerden  und  können  zn  Hautentzündungen  und  Ulce- 


HAUTKREBS.  431 

rationen  Anlass  geben ,  die  bisweilen  einen  sehr  bösartigen  Charakter  an- 
nehmen. Sehr  häufig  wird  das  Hörn  zufällig  abgerissen  oder  von  der 
Natur  abgestossen  ,  worauf  es  sich  dann  wieder  regenerirt.  —  Die  Ur- 
sachen sind  dunkel.  In  manchen  Fällen  entsteht  das  Uebel  aus  mecha- 
nischer Veranlassung ,  durch  Stoss ,  Reibung ,  aus  Narben  etc. ,  auch  hat 
man  dies  in  ursächliche  Beziehung  zu  Menstruationsstörungen ,  Gicht, 
Rheumatismus,  Rhachitis  gebracht.  Es  kommt  meist  erst  im  vorgerück- 
ten Alter  und  häufiger  bei  Frauen,  als  bei  Männern  vor.  —  Seinem  We- 
sen nach  ist  das  Uebel  eine  Hypertrophie  der  Epidermis ,  die  in  ihrer 
Entwicklung  nach  aussen  durch  keinen  Druck  beschränkt,  ihre  Spize  nicht 
gegen  die  Haut,  wie  das  Hühnerauge,  sondern  gegen  die  freie  Oberfläche 
treibt.  —  Behandlung.  Je  nach  der  muthmasslichen  Ursache  zieht 
man  umstimmende  Mittel,  Antimonial-  und  Quecksilberpräparate,  Spec. 
lignorum,  Decoct.  Zittmanni,  Bäder  etc.  in  Gebrauch.  Das 
Hauptmittel  besteht  in  der  Exstirpation ,  die  in  der  Weise  vorgenommen 
wird ,  dass  man  an  der  Basis  die  gesunde  Haut  durch  zwei  halbmondför- 
mige Schnitte  trennt  und  das  Hörn  mit  seiner  Wurzel  herausschält,  wobei 
sorgfältig  alles  Verdächtige  entfernt  werden  muss,  indem  sonst  das  After- 
product  wieder  kommen  kann.  Die  Absägung ,  das  Abfeilen  oder  Ab- 
schneiden schafft  nur  vorübergehende  Hülfe ,  da  seine  Wiedererzeugung 
nicht  ausbleibt. 

Hautkrebs,  Epithelialkrebs,  Warzenkrebs,  Can- 
croid,  Cancer  cutaneus,  Carcinoma  epitheliale,  Ver- 
ruca cancroides,  PseudoCancer  cutaneus.  Der  Hautkrebs 
kommt  vorzugsweise  an  den  Stellen  vor,  wo  die  Haut  sehr  reich  an  Folli- 
keln ist  und  in  die  Schleimhaut  übergeht ,  wie  an  den  Lippen ,  der  Nase, 
der  Vorhaut  etc.  Er  tritt  nach  Schuh  unter  drei  verschiedenen  Formen 
auf,  nämlich  als  warzenähnlicher,  acinöser  und  infiltrirter  Epithelialkrebs. 
—  Der  warzenähnliche  Epithelialkrebs  gründet  sich  auf  eine  Hy- 
pertrophie der  normalen  Hautpapillen ,  welche  von  einer  dicken  Epithe- 
lialschicht  bedeckt  sind.  Es  bilden  sich  Knötchen  von  Erbsen-  bis  Boh- 
nengrösse ,  welche  schmerzlos  und  von  der  Farbe  der  umgebenden  Haut 
oder  Schleimhaut  sind.  Nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  tritt  eine  Ab- 
schilferung der  Epidermis  ein ;  die  Epidermiszellen  werden  durch  ein  von 
den  hyperämischen  Papillen  abgesondertes  Secret  abgehoben ,  wodurch 
die  vergrösserten,  an  ihrer  Spize  roth  punktirten  Papillen  zu  Tage  treten. 
Im  weiteren  Verlaufe  wird  besonders  durch  äussere  Einflüsse  die  Reizung 
und  Hyperämie  vermehrt,  das  Knötchen  wird  schmerzhaft,  die  Umgegend 
geröthet ,  die  Geschwulst  wächst.  Die  Oberfläche  desselben  wird  rissig, 
höckerig ,  aus  den  Rissen  dringt  eine  braunröthliche  Flüssigkeit  hervor, 
die  zu  Krusten  von  gleicher  Farbe  vertrocknet ,  wieder  abgestossen  und 
durch  neue  ersezt  wird.  Durch  allmälige  Zerstörung  der  Epidermishüllen 
werden  die  Papillen  frei ,  fallen  auseinander ,  es  schiessen  in  ihrer  Umge- 


432  HAUTKREBS. 

bung  neue  auf,  die  Epithelialzellenbildung  wird  wuchernd  und  erscheint 
in  dem  Grunde  des  Geschwürs  unter  der  Form  von  rothen ,  blumenkohl- 
artigen, fungösen  oder  hahnenkammförmigen  Wülsten.  Die  Ränder  des 
aus  diesem  Krebse  hervorgehenden  Geschwürs  sind  gewöhnlich  etwas  in- 
durirt,  leicht  knotig  oder  auch  glatt ,  callös  ,  bald  gleichmässig  rund  oder 
auch  ausgezackt.  Die  im  Grunde  wuchernden  Excrescenzen  zerfallen, 
werden  brüchig ,  lösen  sich  von  ihrer  Unterlage  leicht  ab  und  geben  zu 
Blutungen  Veranlassung.  Der  Warzenkrebs  befällt  das  Gesicht,  den 
Penis ,  den  untern  Theil  der  Gebärmutter  und  den  Mastdarm.  —  Der 
a  c  i  n  ö  s  e  Epithelialkrebs  beschränkt  sich  nicht  allein  auf  die  Haut, 
sondern  tritt  auch  zwischen  den  Muskeln  oder  in  der  Schleimhaut  auf. 
Er  bildet  harte  runde  Knötchen ,  die  durch  Wachsthum  zusammentreten 
und  eine  unebene  höckerige  Masse  von  der  Grösse  einer  Erbse  bis  zu 
der  einer  Wallnuss  darstellen.  Die  Haut  darüber  färbt  sich  bald  bläulich 
roth  und  bricht  endlich  durch,  worauf  sich  eine  Geschwürsfläche  darstellt, 
die  mit  einem  schmuzig  weissen,  dünnen  Secret  bedeckt  ist,  welches  bald 
einen  üblen  Geruch  annimmt.  Indem  auf  diese  Weise  die  einzelnen 
Knoten  überall  durchbrechen  und  von  den  Seiten  her  zusammenfliessen, 
wird  sowohl  die  Haut  weithin  zerstört ,  als  auch  die  tiefer  liegenden  Ge- 
webe mit  Heerden  (Alveolen)  durchsezt ,  die  Ränder  des  Geschwürs  wul- 
sten  sich  auf  und  die  Haut  ist  unterminirt.  Bald  wird  der  dunkelrothe, 
knorpelartig  anzufühlende,  buckelige  Geschwürsgrund  rissig  und  buchtig, 
indem  einzelne  Stellen  zerfallen  und  durch  Verschwärung  losgestossen 
werden ,  wobei  öfter  Blutungen  eintreten.  Der  ganze  Process  ist  von 
mehr  oder  weniger  heftigen  Schmerzen  begleitet.  Bald  werden  die  be- 
nachbarten Lymphdrüsen  in  Mitleidenschaft  gezogen.  Dieser  Krebs 
kommt  hauptsächlich  an  den  Uebergangsstellen  der  Haut  zur  Schleimhaut 
oder  auf  der  Schleimhaut  selbst  vor ,  daher  an  den  Lippen ,  der  Zunge, 
der  innern  Wangenseite ,  am  Auge ,  im  Mastdarm ,  am  Penis ,  an  den 
Schamlippen  ,  der  Clitoris ,  am  Hodensack  etc. ,  ferner  im  Narbengewebe 
und  in  den  Knochen.  —  Der  infiltrirte  Epithelialkrebs  ist  der  zer- 
störendste  und  wird  besonders  an  der  Unterlippe  beobachtet.  Die  Lippe 
ist  ohne  Abgrenzung  gegen  die  Umgebung  gleichmässig  geschwollen  und 
unter  Weichwerden  und  unter  dunkelvioletter  Färbung  der  Haut  bricht 
die  Lippe  meist  an  mehreren  Stellen  zugleich  auf.  —  Ueber  die  Ent- 
stehungsursachen des  Uebels  ist  nichts  Sicheres  bekannt.  Man 
hat  es  bei  alten  wie  bei  jungen  gesunden  Leuten  ohne  erkennbare  Ursache 
auftreten  sehen.  —  Prognose.  Sie  ist  im  Allgemeinen  nicht  ungünstig, 
so  lange  das  Leiden  noch  auf  einer  niedern  Entwicklungsstufe  steht. 
Selbst  dann ,  wenn  ein  geschwüriger  Zustand  eingetreten  ist ,  die  benach- 
barten Lymphdrüsen  etwas  in  Mitleidenschaft  gezogen  sind ,  lässt  sich 
durch  die  vollständige  Hin  wegnähme  durch  das  Messer,  seltener  durch 
das  Aezmittel  noch  eine  radicale  Heilung  hoffen.  Erst  wenn  spontan 
oder  durch  unvollkommene  Kunsthülfe   gereizt ,   umfangreiche  Verschwä- 


HAUTKREBS.  433 

rangen  eingetreten  sind ,  kann  durch  bedeutende  Schmerzen ,  Blutungen, 
Functionsstörungen  die  Ernährung  beeinträchtigt  und  direct  der  Tod  her- 
beigeführt werden.  Es  folgen  dann  aber  auch  secundäre  oder  metasta- 
tische Cancroide  in  innern  Organen  undRecidive  wie  bei  andern  Krebsen. 
Nach  Virchow  ist  dies  namentlich  der  Fall,  wenn  die  Bildung  cancroi- 
der  Alveolen  in  der  Tiefe  eingetreten  ist.  —  Die  Dauer  der  Krankheit 
beträgt  im  Durchschnitte  2  —  3  Jahre.  —  Behandlung.  Die  einzig- 
heilbringende  Behandlung  besteht  in  der  möglichst  frühzeitigen  Entfer- 
nung des  Krebses ,  welche  am  zweckmässigsten  durch  Schnitte ,  die  im 
Gesunden  zu  führen  sind,  geschieht,  aber  auch  durch  eingreifendes  Aezen 
bewirkt  werden  kann ;  reizende  Salben  und  oberflächliche  Aezungen  sind 
schädlich.  Ueber  die  Exstirpation  wird  bei  den  einzelnen  Krankheiten 
gehandelt  werden.  —  Als  Aezmittel  bedient  man  sich  am  häufigsten 
der  Arsenikpasten,  dann  der  Wiener  Aezpaste  und  des  Chlorzink  (s.  Aez- 
mittel). Der  Arsenik  wird  besonders  in  der  Form  des  Cosme' sehen 
Pulvers  angewendet.  Es  wird  dieses  mit  Wasser  oder  Speichel  zur  Paste 
gemacht  und  mit  einem  Spatel  auf  das  vorher  mit  «Charpie  gereinigte 
Geschwür  und  dessen  Ränder  getragen ;  man  bedeckt  das  Ganze  leicht 
oder  lässt  es  offen.  Die  dadurch  erzeugten  Schmerzen  sind  bedeutend. 
Nach  6  — 14  Tagen  trennt  sich  der  Brandschorf.  Bleiben  nach  der  Ab- 
stossung  unreine  oder  harte  Stellen  zurück,  so  wird  auf  diese  das  Pulver 
wieder  aufgetragen.  Die  Heilung  hat  alsdann  rasch  von  statten  zu  gehen. 
Eine  mildere  Anwendungsweise  des  Arseniks  ist  die  von  Hellmund  an- 
gegebene in  Salbenform.  Diese  Salbe  (s.  Aezmittel)  wird  nach  voll- 
kommener Reinigung  des  Krebsgeschwürs  auf  kleine  Plumasseaux  mes- 
serrückendick gestrichen  und  über  das  Geschwür  und  dessen  Ränder  aus- 
gebreitet. Dieser  Verband  macht  ein  gelindes  Brennen,  manchmal  selbst 
heftige  Schmerzen.  Nach  ihrer  Wirkung  muss  die  Arseniksalbe  durch 
Vermehrung  oder  Verminderung  des  Zusazes  von  Cosme'  schem  Pulver 
verstärkt  oder  geschwächt  werden.  Dieser  Verband  wird  täglich  mit 
Sorgfalt  erneuert ,  bis  sich  am  6 .  oder  7 .  Tage  ein  weisser ,  filzartiger 
Brandschorf  gebildet  hat ;  dann  verbindet  man  mit  der  balsamischen 
Salbe.  Gegen  den  14.  Tag  stösst  sich  der  Brandschorf  ab  und  eine 
reine  Wundfläche  kommt  zum  Vorschein.  Einzelne  wieder  unrein  wer- 
dende Stellen  erfordern  die  erneuerte  Anwendung  der  Arseniksalbe.  — 
Die  Wiener  Aezpaste  wird  auf  das  Geschwür  und  seine  Umgebung  auf- 
getragen und  5 — 10  Minuten  wirken  gelassen.  Dann  wird  der  Brei  mit 
einem  Spatel  fortgenommen  und  der  Brand  bedeckt.  —  Das  Chlorzink 
wird  in  der  von  Canquoin  gegebenen  Vorschrift  angewendet.  Der  Teig 
wird  zu  flachen  Kuchen  ausgerollt  und  auf  der  Geschwürsfläche  befestigt ; 
je  nachdem  diese  Aezpaste  mehr  oder  weniger  tief  einwirken  soll ,  macht 
man  den  Kuchen  dicker  oder  dünner  und  nimmt  mehr  oder  weniger  Chlor- 
zink dazu.  Dieses  Mittel  macht  einige  Stunden  lang  heftige  Schmerzen 
und  die  benachbarten  Theile  schwellen  an;  nach  8  —  14  Tagen  beginnt 
Burger    Chirurgie.  28 


434  HERPES. 

die  Abstossung  der  brandigen  Partien ,  nach  deren  Vollendung  die  Ver- 
narbung rasch  vorschreitet.  —  Ist  das  Krebsgeschwür  unheilbar  gewor- 
den, so  kann  man  nur  palliativ  verfahren,  indem  man  die  Kräfte  aufrecht 
erhält,  durch  Narcotica,  Opium  oder  Morphium  die  Schmerzen  zu  lindern 
sucht.  Das  Geschwür  hält  man  möglichst  rein ,  bedeckt  es  mit  milden 
Salben ,  z.  B.  Cerat ,  dem  einiges  Zinkoxyd  (5ß  auf  ^j)  zugesezt  ist, 
mit  Fomenten  oder  Kataplasmen ,  denen  man  bei  grosser  Schmerzhaftig- 
keit  Narcotica  zusezt,  und  hält  jede  reizende  Einwirkung  ab.  Dem  Ge- 
stanke der  Krebsjauche  begegnet  man  am  besten  durch  Bestreuen  der 
Geschwürsfläche  mit  Köhlenpulver. 

HerpCS  (von  ignoa ,  ich  krieche) ,  Flechte,  ist  eine  nicht  an- 
steckende Hautkrankheit,  die  sich  durch  den  haufenweisen  Ausbruch  von 
kugelförmigen  Bläschen  auf  einem  entzündeten  Grunde  von  runder  oder 
unregelmässiger  Form  und  geringer  Ausdehnung  charakterisirt.  Die 
Eruption  manifestirt  sich  selten  durch  einen  hohen  Grad  von  Heftigkeit 
und  ist  gewöhnlich  nicht  von  Symptomen  constitutioneller  Störung  be- 
gleitet. Nach  einem  gewissen  Bestände  endigen  die  Bläschen  entweder 
mit  Aufsaugung  des  Inhaltes,  Austrocknung  ohne  Berstung  oder  mit  Ber- 
stung und  Bildung  eines  bräunlichen  Schorfes  ,  der  bald  abfällt.  —  Die 
verschiedenen  Arten  des  Herpes  werden  je  nach  ihrer  Form  und  der  An- 
ordnung der  Haufen  in  zwei  Gruppen  eingetheilt,  und  zwar  in  eine  phlyc- 
tänenartige  und  in  eine  ringförmige.  Die  phlyetänenartige  cha- 
rakterisirt sich  durch  die  unregelmässige  Form  und  die  Vertheilung  der 
Haufen  und  umfasst  alle  örtlichen  Formen.  Die  ringförmige  Gruppe 
charakterisirt  sich  durch  die  kreisförmige  Anordnung  und  die  Gestalt 
ihrer  Bläschenhaufen.  Zu  der  ersten  Gruppe  gehört  der  Herpes  la- 
bialis, auricularis,  palpebralis  und  praeputialis  etc. ,  zu 
der  zweiten  hauptsächlich  der  Zoster  (s.  diesen  Art.)  —  Alle  Arten  von 
Herpes  können  vorzüglich  bei  ungünstiger Körperconstitution,  Vernach- 
lässigung, Unreinlichkeit,  falscher  Behandlung,  langer  Dauer  inVerschwä- 
rung  übergehen  (Flechtengeschwür,  Ulcus  herpeticu m).  Ein 
solches  Geschwür  hat  einen  zelligen ,  sehr  empfindlichen ,  glatten,  nässen- 
den ,  meist  oberflächlichen  ,  weit  ausgebreiteten  Grund  mit  zackigen ,  zer- 
nagten ,  hochrothen  Rändern.  Die  Absonderung  ist  bald  dünnflüssig, 
serös,  bald  scharf,  die  angrenzenden  Theile  corrodirend  und  von  einem 
widerlichen  Gerüche.  Die  sehr  empfindliche,  mit  kleienartigen,  schmuzig 
braunen  Krusten  oder  Borken  besezte  Umgebung  des  Geschwürs  reizt 
durch  ein  lästiges,  brennendes  Jucken  den  Kranken  stets  zum  Krazen  und 
macht  ihm  schlaflose  Nächte. —  Ursachen  des  Herpes.  Die  entfernten 
Ursachen  sind  verborgene  Dyscrasien ,  vorzüglich  Syphilis,  Scropheln, 
Gicht ,  Hämorrhoidal-  und  Menstrualanomalien ,  Gallenschärfe ,  alimentäre 
Schädlichkeiten,  zarte  Haut,  Erkältungen  bei  schwizender  Haut,  Gemüths- 
bewegungen   deprimirender  Art.      Nicht   selten  findet  sich  eine  angeerbte 


HERPES.  435 

Geneigtheit  za  Flechten.  —  Prognose.  Herpes  ist  im  Allgemeinen  ein 
leicht  zu  heilender  Ausschlag ;  entscheidender  als  die  Formen  sind  die 
Ausbreitung ,  die  Häufigkeit  der  Nachschübe  und  die  Dauer  des  Uebels 
für  die  Prognose.  Gefährlich  ist  es,  lange  bestehende  und  als  vicariren- 
des  Leiden  auftretende  Geschwüre  schnell  durch  örtliche  Mittel  zur  Hei- 
lung zu  bringen.  —  Behandlung.  Die  erste  Indication  ist  die  Ent- 
fernung der  Ursache.  Liegen  dem  Leiden  Dyscrasien  zu  Grunde ,  so 
inuss  die  Behandlung  gegen  diese  gerichtet  werden.  Gegen  Fehler  der 
Leber ,  Hämorrhoidal-  und  Menstrualleiden  u.  dgl.  dienen  auflösende  und 
eröffnende  Mittel ;  bei  unterdrückter  Hautthätigkeit  sucht  man  diese  wie- 
der in  Gang  zu  bringen  etc.  ;  dabei  eine  milde ,  nicht  zu  reichliche  Diät. 
Nach  Beseitigung  der  Causalmomente  wendet  man  Antiherpetica  an.  Zu 
diesen  gehören  die  Antimonial-  und  Quecksilberpräparate ,  der  Schwefel, 
der  Graphit  (Rp.  Graphit,  dep.  ^ß  ,  Meli.  desp.  ^ij ;  m.  f.  Ele- 
ctuar.  D.  S.  Früh  und  Abends  einen  Theelöffel  voll  zu  nehmen),  das 
Anthracokali  (Rp.  An  thr  ac  okali  simpl.  gr.  jj,  Pulv.  rad.  liquir. 
gr.v.  M.  f.  pulv.  D.  tal.  Dos.  Nr.  ijj.  D.S.  Täglich  zu  verbrauchen), 
das  Jod,  der  Leberthran,  die  Dulcaniara  (Rp.  Ext.  dulcam.  ^ß,  Pulv. 
stipit.  dulcam.,  Antimon,  crud.  ana  ^ij.  M.  f.  pil.  pond. 
gr.  ij  ,  consp.  lycopod.  S.  2  Mal  täglich  15  —  3  0  Pillen  zu  nehmen), 
Herb,  jaceae,  Sassaparilla  etc.  —  Die  äusserlichen  Mittel  wendet 
man  in  der  Form  von  Waschungen,  Bähungen  und  Salben  an.  Bei  hef- 
tigen Schmerzen  und  entzündlichem  Zustande  erweisen  sich  milde,  erwei- 
chende Mittel  wirksam  ,  wie  Bestreichen  mit  Rahm ,  Mandelöl  etc.  Bei 
reizloserem  Zustande  zieht  man  Einreibungen  von  Mandelöl  und  Kalk- 
wasser zu  gleichen  Theilen ,  von  Graphit  (R  p.  Graphit.  5ij  ,  Flor, 
zinci  3ß  ,  Axung.  porci  ^j.  M.  f.  Ungt.  S.  Morgens  und  Abends 
davon  einzureiben),  Chlorkalk  (Rp.  C  a  1  c  a  r.  c  h  1  o  r  i  n  i  c.  gr.  xv — ^j, 
Carbon,  praep.  ^ß,  Aq.  commun.  q.  s.  ut  f.  liniment.  S.  Ei- 
nige Mal  täglich  auf  die  Ausschlagsstellen  aufzutragen) ,  Borax ,  Theery 
A  q.  phagedaen.  etc.  in  Gebrauch.  Gerühmte  Mischungen  zum  äusse- 
ren Gebrauche  sind  ferner:  Rp.  Muriat.  hydrargyr.  mitis  5j, 
Flor,  s  u  1  p  h  u  r.  3üj  ,  Axung.  d  e  p.  ^j.  M.  e  x  a  c  t.  S.  Salbe  ,  in  die 
afficirten  Stellen  einzureiben.  Rp.  Kreosot,  g  u 1 1.  v — xx,  Ol.  o  1  i  v  a r. 
Jß.  M.  f.  liniment.  D.  S.  2  — 3  Mal  täglich  in  die  afficirten  Stellen 
einzureiben.  Rp.  Merc.  Sublimat,  corros.  gr.  viij,  Aq.  rosar. 
5vj — v"j  ,Lact.  sulph.  5ij,  Sacch.  saturni  3ß-  M.  S.  Wohl  um- 
geschüttelt dreimal  täglich  die  Flechten  damit  zu  benezen.  Zum  Ver- 
bände herpetischer  Geschwüre  kann  man  folgende  Salbe  benüzen  :  R  p. 
Ungt.  ceruss.  ^j  ,  Sulph.  praecip.  5ij,  Hydra r.  mur.  corros. 
►)ß.  M.  S.  Zum  Verbände ;  oder:  Rp.  Cinnabaris5j,  Camphor. 
^ j  ,  C  e  r  a  t.  simpl.  ^j .  M.  f .  u  n  g  t.  S.  Zum  Verbände ;  oder  :  R  p. 
Hydr.  mur.  mite  5ß ,  Sulph.  dep.  5j,  Adip.  suill.  ^ß.  S.  Zum 
Verbände.  —    Zu  den  äusserlichen  Mitteln  gehören  auch  die  allgemeinen 

28* 


436  HODENKRANKHEITEN.   ENTZUENDUNG. 

Ableitungen  durch  Fontanellen  ,  Seidelbast,  und  die  Bäder.  Zu  den  lez- 
teren  gehören  namentlich  die  natürlichen  Schwefelquellen  und  die  künst- 
lichen Schwefelbäder ;  doch  leisten  auch  einfache  Wasser-  und  Seifen- 
bäder gute  Dienste.  Bei  sehr  eingewurzelten  und  weit  verbreiteten 
Flechtenausschlägen  zeigen  sich  Sublimatbäder  (s.  Bäder)  von  Nuzen, 
mit  welchen  man  zweckmässig  die  Hungerkur  und  das  Zittmann'  sehe 
Decoct,  wie  auch  den  innerlichen  Gebrauch  des  Arseniks  verbindet.  Bei 
veralteten  Flechtenausschlägen  kann  die  befallene  Stelle  mit  einem  Bla- 
senpflaster oder  mit  Höllenstein  zerstört  werden. 

Herpes  exedens,  s.  Lupus. 

Hoden,  Kr ankheiten  derselben.  Der  Hode  mit  seinem 
Nebenhoden  unterliegt  nicht  selten  der  Entzündung  mit  ihren  Folgen ; 
er  kann  eine  Ver  gr  ö  s  s  er  un  g  erfahren,  welche  höchst  selten  aus  einer 
ächten  Hypertrophie  hervorgeht ,  sondern  fast  immer  die  Folge  einer  ve- 
nösen Stase  oder  von  Entzündung  und  ihren  Producten  ist ,  oder  eine 
Atrophie  erleiden,  die  eine  marastische  sein  kann  oder  durch  Druck, 
Verwachsung,  Entzündung  und  schlechte  Ernährung  des  Hodens  zu  Stande 
kommen  kann.  Von  Afterbildungen  kommen  am  Hoden  Krebs  und 
Tuberkel  vor,  von  denen  der  erstere  gewöhnlich  ein  Markschwamm  ist 
und  vorzugsweise  den  Hoden  einnimmt ,  während  der  Tuberkel  sich  ge- 
wöhnlich im  Nebenhoden  niederlässt.  Endlich  beobachtet  man  zuweilen 
eine  Neuralgie  des  Hodens. 

Die  Hodenentzündung,  Inflammatio  testiculi  (Sand- 
kloss)  betrifft  entweder  den  Hoden  selbst,  Orchitis  (ogyig,  Hode), 
oder  was  häufiger  der  Fall  ist ,  den  Nebenhoden,  Epididymitis. 
Meist  wird  nur  der  eine  Hode  von  Entzündung  ergriffen  (gewöhnlicher 
der  linke)  ,  selten  beide  zugleich  ;  oft  einer  nach  dem  andern.  Es  kann 
die  Orchitis  eine  primäre  sein ,  allein  häufiger  ist  sie  eine  sympathische 
und  metastatische.  Ihr  Verlauf  ist  acut  oder  chronisch. —  Symptome. 
Die  Entzünpung  fängt  bisweilen  mit  Ziehen  und  Spannen  im  Samen- 
strange und  Hoden ,  vermehrter  Wärme  und  Schwere  daselbst  an ,  worauf 
bald  Anschwellung,  Röthe,  Hize  und  Schmerz  folgen,  wozu  sich  nicht  sel- 
ten Uebelkeit,  Kolik  und  Fieber  gesellen.  Immer  ist  der  Hode  etwas  an 
den  Bauchring  angezogen.  Meist  findet  eine  Exsudation  in  die  Höhle 
der  Tunica  vaginalis  statt.  —  Ursachen.  Sie  sind  mechanische 
Einwirkungen ,  Erkältungen  ,  Syphilis  ,  Weiterverbreitung  oder  Versezung 
des  Trippers. —  Ausgänge.  Die  Hodenentzündung  kann  sich  endigen: 
in  Zertheilung,  Eiterung,  Verhärtung  und  Brand  (sehr  selten).  Zuweilen 
bleibt  die  Wasseransammlung  in  der  Tunica  vaginalis  zurück,  auch 
kann  der  Hoden  schwinden.  —  Prognose.  Sie  ist  im  Allgemeinen 
nicht  ungünstig ;  sie  wird  es  aber ,  wenn  Dyscrasien  im  Körper  wohnen, 
wo  dann  leicht  Schwinden,  Verhärtung  oder  Zerstörung  des  Hodens  folgen 
kann.   —  Behandlung.    Man  lässt  den  Kranken  eine  ruhige  Lage  im 


HODENKRANKHEITEN.   ENTZUENDUNG.  437 

Bette  beobachten  und  unterstüzt  den  Hodensack  durch  ein  Suspensorium. 
Des  Weitern  verfährt  man  antiphlogistisch.  Aderlässe  sind  selten  von- 
nothen,  meist  genügen  örtliche  Blutentziehungen ,  die  man  längs  des  Sa- 
menstrangs, am  Mittelfleische  und  an  der  Innern  Seite  der  Schenkel  vor- 
nimmt. Bei  mechanischen  Ursachen  bedient  man  sich  im  Anfange  mit 
Nuzen  der  kalten  zertheilenden  Umschläge  aus  Wasser,  Salmiak  und 
Essig ,  auch  Bleiwasser ,  doch  muss  man  bald  zu  erweichenden  Umschlä- 
gen übergehen ,  denen  man  bei  grosser  Schmerzhaftigkeit  narkotische 
Kräuter  ,  Hyoscyamus ,  Conium  etc.  beifügt.  Innerlich  gibt  man  Opium 
mit  Nitrum  oder  versüsstem  Quecksilber.  Catarrhalische,  gichtische  und 
rheumatische  Hodenentzündungen  fordern  die  Anwendung  trockener 
Wärme ,  camphorirter  Tücher  u.  dgl.  ;  die  gonorrhoische  das  Einhüllen 
des  Penis  und  Scrotums  in  warme  erweichende  und  zertheilende  Um- 
schläge ,  wodurch  in  manchen  Fällen  die  Blenorrhoe  wieder  erscheint. 
Die  syphilitische  Hodenentzündung  verlangt  eine  antisyphilitische  Behand- 
lung. Manchmal  erweist  sich  je  nach  der  Indication  ein  mildes  Diapho- 
reticum ,  Abführmittel  oder  Emeticum  wirksam.  —  Bei  der  chroni- 
schen Entzündung  des  Hodens  lässt  man  einen  Monat  hindurch  voll- 
kommene Rückenlage  beobachten ,  gibt  Morgens  und  Abends  2  —  3  gr. 
Calomel  mit  gr.  j  Opium,  bis  die  Mundhöhle  afficirt  ist,  sezt  zwei  Mal  in 
der  Woche  Blutegel ,  macht  Umschläge  von  gleichen  Theilen  Campher- 
solution  und  Essig  auf  das  Scrotum  und  reicht  alle  4  Tage  ein  Abführ- 
mittel von  Sennainfus  und  Magnesia  sulphurica.  —  Bleibt  nach 
der  Zertheilung  noch  eine  Anschwellung  des  Hodens  zurück,  so  reibt  man 
Quecksilbersalbe  mit  Campher  ein.  —  Kommt  es  zur  Eiterung,  so 
öffnet  man  den  sich  bildenden  Abscess  frühzeitig  und  behandelt  ihn  nach 
allgemeinen  Regeln ;  man  hüte  sich  aber  die  in  der  Abscessöffnung  sich 
zeigenden  graulich  weissen  Flocken  wegzunehmen ;  es  sind  dies  die  zu- 
sammengewickelten Gefässe  des  Hodens.  —  Ueber  die  Verhärtung  des 
Hodens  s.  weiter  unten.  —  Das  am  schnellsten  und  sichersten  wirkende 
Mittel  bei  der  Hodenentzündung  ist  die  Compression  des  Hodens  mit 
Heftpflasterstreifen.  Sie  passt  bei  allen  Arten  von  entzündlichen  Hoden- 
anschwellungen und  in  allen  Zeiträumen  und  ist  entweder  allein  Hülfe 
leistend  oder  erfordert  noch  einige  Unterstüzung  durch  Blutentziehungen, 
kühlende  und  zertheilende  Mittel.  Der  Schmerz  in  dem  entzündeten 
Hoden  wird  nach  der  Anwendung  der  Compression  im  Anfange  zwar  etwas 
gesteigert,  jedoch  hält  derselbe  nicht  lange  an  und  nach  kurzer  Zeit,  oft 
nach  einer  Viertelstunde,  findet  sich  der  Kranke,  auch  wenn  er  früher  die 
heftigsten  Schmerzen  ausgestanden  hatte ,  so  schmerzenfrei ,  dass  er  das 
Bett  verlassen  und  im  Zimmer  umhergehen  kann.  Um  die  Compression 
in's  Werk  zu  sezen,  fasst  man,  nachdem  man  das  Scrotum  von  den  Haaren 
befreit  hat ,  mit  der  linken  Hand  den  leidenden  Hoden  und  Samenstrang 
so ,  dass  sie  isolirt  sind  und  drückt  den  Hoden  sanft  in  den  Grund  des 
Hodensacks  herab.      Nun  führt  man  mit  gut  klebendem,   daumenbreiten 


438  HODENKRANKHEITEN    —    VERHAERTUNG. 

und  eine  Elle  langen  Heftpflasterstreifen  zuerst  einige  Zirkeltouren  ober- 
halb des  Hodens  ziemlich  fest  um  die  den  Samenstrang  bedeckende  Haut 
des  Scrotums.  Von  hier  sezt  man  die  Zirkeltouren  ,  die  sich  einander 
halb  decken  ,  nach  unten  zu  bis  dahin  fort ,  wo  die  plözliche  Abrundung 
des  Scrotums  dieselbe  unmöglich  macht ,  worauf  man  die  Streifen  so  an- 
legt, dass  sie  da,  wo  die  ersten  Streifen  angelegt  sind,  anfangen  und  in 
der  Richtung  des  Längendurchmessers  des  Hodens  über  den  Grund  der 
Geschwulst  fortgeführt  und  an  der  hintern  Seite  derselben  festgeklebt 
werden.  Sind  beide  Hoden  entzündet ,  so  legt  man  die  Compression  an 
dem  einen  auf  die  angegebene  Weise  an  und  thut  dann  das  Gleiche  bei 
dem  zweiten,  wobei  aber  wegen  des  mangelnden  Raumes  der  bereits  com- 
primirte  Hoden  mitgefasst  wird.  Die  Pflaster  bleiben  liegen ,  bis  sie  so 
locker  sind,  dass  man  mit  der  Scheere  eindringen  und  sie  durchschneiden 
kann.  Man  legt  hierauf  einen  neuen  Verband  an  und  wiederholt  ihn  so 
oft,  bis  alle  Härte  geschwunden  ist.  —  Einfacher  geschieht  die  Compres- 
sion nach  Abrasiren  der  Haare  durch  Collodiumbepinselungen. 

Hodenverhärtung,  Indu ratio  testiculi.  In  Folge  von 
Entzündung  kommt  es  zur  Exsudation  einer  Flüssigkeit ,  die ,  wenn  sie 
eine  faserstoffige  ist,  sich  zu  einer  schwieligen  Masse  umwandelt  und  da- 
durch eine  bedeutende  Vergrösserung  des  Hodens  bedingt,  die  sich  unter 
der  Form  einer  harten,  gewöhnlich  glatten,  doch  nicht  selten  auch  höcke- 
rigen, etwas  schmerzhaften  Geschwulst  darstellt.  Die  scrophulöse  Hoden- 
anschwellung ist  weniger  hart  und  weniger  schmerzend  als  der  Scirrhus, 
der  sich  durch  lancinirende  Schmerzen  charakterisirt.  Der  Hode  wird 
dabei  in  eine  gelblichweisse,  geronnene  Masse  verwandelt,  wie  man  sie  in 
den  scrophulösen  Drüsengeschwülsten  findet ;  der  Samenstrang  ist  mei- 
stens in  natürlichem  Zustande ;  diese  Induration  geht  manchmal  in  Ulce- 
ration  über,  es  bilden  sich  schmerzhafte,  leicht  blutende  Auswüchse,  der 
Samenstrang  schwillt  an  und  es  entsteht  nicht  selten  eine  krebshafte  De- 
generation. Die  syphilitischen  Anschwellungen  des  Hodens  und  des  Sa- 
menstranges ,  als  einer  eingewurzelten  Lustseuche ,  entstehen  langsam, 
ohne  irgend  eine  Gelegenheitsursache ,  und  entwickeln  sich  gewöhnlich 
vom  Nebenhoden  aus.  —  Behandlung.  Die  einfache  Hodenverhärtung 
als  Folge  der  Orchitis  erfordert  wiederholte  Applicationen  von  Blutegeln, 
erweichende  Breiumschläge ,  Merkurialsalbe  und  Tragen  eines  Suspenso- 
riums, auf  welches  Verfahren  gewöhnlich  die  Zertbeilung  erfolgt.  Zieht 
sich  diese  in  die  Länge ,  so  kann  man  folgende  Salbe  gebrauchen :  R  p. 
Tinct.  canthar.,  Camphorae  tritae  ana3j,  Ol.  amygd.  dulc. 
§jß,  Sapon.  venet.  5jß.  M.  f.  liniment.  D.  S.  2  Mal  des  Tags 
einzureiben;  oder:  Rp.  Kali  hydrojod.,Natr.  carbon.  dep.  sicci 
ana  5ß  ,  Ungt.  pomadini  ^ß  —  5vj.  M.  f.  ungt.  D.  S.  Morgens 
und  Abends  eine  Bohne  gross  einzureiben;  oder  folgendes  Pflaster  tragen 
lassen:  Rp.  Hydro jodat.  lixiviae  ^ij  ,  malax.  cumEmpl.  de 
gumm.  ammoniac,  Empl.  resolv.  foetid.,  E  mpl.  ly  th  ar  gyr. 


HODENKRANKHEITEN.   BLASENSARKOM.  439 

ana  5ij-  D.  S.  Auf  Leder  gestrichen  um  das  Scrotum  zu  legen.  —  Bei 
der  nach  dem  Tripper  zurückgebliebenen  Hodenverhärtung  räth  man,  den 
Schleimfluss  durch  reizende  Kerzen ,  Einsprizungen  etc.  wieder  herzustel- 
len. —  Syphilitische  und  scrophulöse  Verhärtungen  erheischen  eine  pas- 
sende allgemeine  antisyphilitische  oder  antiscrophulöse  Behandlung. 

Blasensarkom  des  Hodens,  Sarcoma  cysticum,  Mor- 
bus cysticus  testis.  Diese  seltene,  von  A.  Cooper  als  Hydatiden- 
krankheit  des  Hodens  beschriebene  Affection  besteht  aus  Cysten ,  welche 
eine  anfangs  dünne  helle ,  später  zuweilen  dicke ,  zähe  und  eiweissartige 
und  selbst  mit  Blut  gefärbte  Flüssigkeit  enthalten  und  sich  in  der  Sub- 
stanz des  Hodens  entwickeln.  Es  finden  sich  deren  manchmal  nur  2 
oder  3,  andere  Mal  ist  eine  zahllose  Menge  vorhanden.  Ihre  Grösse  va- 
riirt  von  der  eines  Hirsenkorns  bis  zu  der  eines  Taubeneies.  Sie  zeigen 
glatte  Wände  ;  zuweilen  entzünden  sie  sich  ,  dann  ergiesst  sich  eine  coa- 
gulable  Lymphe  in  dieselben  und  sie  verdicken  sich  mehr  oder  weniger. 
Manchmal  entspringen  an  einer  Stelle  ihrer  Wandungen  läppchenartige 
Excrescenzen ,  welche  die  Höhle  allmälig  theilweise  oder  ganz  ausfüllen 
können.  Die  Cysten  vergrössern  sich  gewöhnlich  auf  Kosten  des  Gewe- 
bes des  Hodens ,  das  atrophisch  und  durch  ihren  Druck  aus  seiner  Lage 
verdrängt  wird.  Wenn  Entzündung  entsteht,  so  wird  Fibrine  sowohl  zwi- 
schen als  in  die  Cysten  abgesezt  und  organisirt,  so  dass  zulezt  keine  Spur 
des  natürlichen  Hodengewebes  zu  finden  ist,  dieses  Organ  zum  Theil  aus 
fester  Masse,  zum  Theil  aus  den  mit  Flüssigkeit  erfüllten  Cysten  besteht. 
In  veralteten  Fällen  findet  man  die  Geschwulst  mit  fibrösen  Bändern  durch- 
zogen und  die  Wandungen  der  Cysten  zuweilen  in  Knorpel  oder  Knochen 
verwandelt.  —  Symptome.  Das  Uebel  entsteht  unmerklich ,  langsam 
und  ohne  Schmerzen  zu  erregen.  Nach  mehreren  Monaten  stellt  es  sich 
als  eine  indolente  ovale  Geschwulst  dar,  die  undeutlich  fluctuirt  und  nicht 
empfindlich  oder  schmerzhaft  ist.  Ihre  Oberfläche  ist  gemeiniglich  glatt 
und  eben,  zuweilen  jedoch  unregelmässig.  Der  anfangs  freie  Nebenhoden 
verliert  sich  später  in  der  allgemeinen  Geschwulst.  Diese  belästigt,  wenn 
sie  einen  bedeutenden  Umfang  erreicht,  durch  ihre  Masse,  wenn  sie  nicht 
gut  unterstüzt  wird.  —  Ursachen.  Zuweilen  wird  ein  Stoss  oder  Schlag 
angegeben,  meistens  entwickelt  sich  die  Krankheit  aber  ohne  eine  erkenn- 
bare Ursache.  —  Diagnose.  Die  Krankheit  kann  mit  Hydrocele  und 
Markschwamm  verwechselt  werden  und  die  Diagnose  ist  oft  sehr  schwierig. 
Die  Geschwulst  ist  oval ,  nicht  birnf  örmig ,  wie  bei  der  Hydrocele  ,  auch 
erregt  ein  Druck  auf  die  Stelle ,  wo  sich  bei  Hydrocele  gewöhnlich  der 
Hoden  befindet ,  keinen  Schmerz  ;  auch  ist  die  Geschwulst  nicht  durch- 
sichtig. —  Der  Krebs  entwickelt  sich  rascher,  als  das  Blasensarkom,  die 
Geschwulst  ist  weniger  eben  und  regelmässig ,  auch  leiden  bei  lezterem 
der  Samenstrang  und  die  benachbarten  Drüsen  nicht,  sowie  der  allgemeine 
Gesundheitszustand  des  Kranken  nicht  getrübt  ist.  —  Behandlung. 
Keine  Art  von  Behandlung,  weder  örtliche  noch  allgemeine,  kann  bei  die- 


440  HODENKRANKHEITEN.  ATROPHIE. 

ser  Krankheit  etwas  niizen.  Das  einzige  Mittel  ist  die  Exstirpation, 
welche  nie  einen  Wiederausbruch  der  Krankheit  in  andern  Theilen  zur 
Folge  hat. 

Fibröse  Entartung  der  Hoden.  Man  findet  den  Hoden  in 
einzelnen  Fällen  in  eine  fibröse  Masse  verwandelt,  so  dass  von  einem  se- 
cernirenden  Gewebe  keine  Spur  mehr  zu  entdecken  ist.  Zuweilen  ist 
diese  fibröse  Masse  von  einer  wässerigen  Flüssigkeit  infiltrirt ,  häufiger 
aber  ist  sie  dicht  und  fest  und  sogar  knorpelartig.  Manchmal  finden  sich 
2 —  3  kleine,  mit  einer  serösen  Flüssigkeit  gefüllte  Zellen  darin  vor. 
Die  Grösse  des  Hodens  bleibt  bisweilen  unverändert;  andere  Male  findet 
man  sein  Volumen  vergrössert  oder  um  ein  Weniges  verkleinert.  Die 
Krankheit  ist  nicht  mit  Schmerz  verbunden.  Der  äusserliche  und  inner- 
liche Gebrauch  von  Jod  kann  versucht  werden,  um  die  Krankheit  im  Fort- 
schreiten aufzuhalten ;  sonst  ist  aber  von  einer  therapeutischen  Behandlung 
nichts  zu  erwarten.  Die  Krankheit  hat  keinen  bösartigen  Charakter ;  und 
da  sie  im  Allgemeinen  wenig  oder  keine  Beschwerden  verursacht,  so  wird 
die  Exstirpation  des  Hodens  selten  erforderlich. 

Hodenatrophie,  Atrophia  genitalium.  Diese  besteht 
in  einer  mehr  oder  weniger  beträchtlichen  Verminderung  des  Volumens 
der  Hoden ,  die  den  vollständigen  Verlust  der  Verrichtungen  dieses  Or- 
gans zur  Folge  hat.  Sie  kann  einen  Hoden  allein  oder  beide  zu  gleicher 
Zeit  betreffen.  Sie  ist  eine  Alterserscheinung ,  oder  sie  tritt  bei  Jüngern 
Individuen  nach  auszehrenden  erschöpfenden  Krankheiten ,  in  Folge  von 
Druck  durch  Hernien ,  Aftergebilde ,  Ergüsse  und  schwieliges  Exsudat  in 
der  Scheidenhaut ,  sowie  durch  Schrumpfung  von  Entzündungsproducten, 
die  in's  Hodenparenchym  abgelagert  wurden ,  endlich  bei  Verwachsungen 
des  Hodens  mit  seiner  Scheidenhaut  durch  schwieliges  Exsudat  auf. 
Nicht  gar  selten  kann  keine  Ursache  aufgefunden  werden.  Wenn  nur 
ein  Hode  ergriffen  ist,  so  übt  die  Atrophie  keinen  Einfluss  auf  den  Orga- 
nismus und  die  Zeugungskraft  des  Individiums  aus  ;  sind  aber  beide  Ho- 
den befallen,  so  beginnt ,  auch  bei  noch  vollkommenem  Mannesalter ,  der 
Geschlechtstrieb  zu  erlahmen ,  es  ist  keine  Lust  zum  Beischlafe  da ,  auch 
erfolgt  keine  Samenergiessung  beim  Coitus ,  die  Füsse  wanken ,  werden 
kraftlos,  dünn ,  der  Bart  fällt  aus  ,  die  Stimme  wird  heisser ,  kreischend, 
fistulirend ,  endlich  werden  die  Kranken  kindisch.  Die  Hoden  verlieren 
dabei  allmälig  ihre  Empfindung,  verschwinden  fast  bis  zur  Grösse  einer 
kleinen  Bohne ,  das  Scrotum  und  der  Penis  hängen  schlaff  herab ,  der  Sa- 
menstrang wird  atrophisch.  —  Behandlung.  Von  einer  solchen  kann 
nur  bei  jüngeren  Personen  und  von  diesen  auch  nur  bei  solchen  die  Rede 
sein,  wo  ein  Schwächezustand  zu  Grunde  liegt.  Hier  basirt  sich  die  Be- 
handlung neben  einer  passenden,  nährenden,  reizenden  Diät,  die  in  Trüf- 
feln, Austern,  guten  Fischen,  Wild  etc.  besteht,  auf  die  Beizung  der  Ge- 
nitalien durch  Cantharidentinktur ,  Einreibungen  von  Linimentum 
phosphoricum,  Ungt.   nervinum,   Spir it.  ar omat.  compo- 


HODENKRANKHEITEN.  KREBS.  441 

s  i  t.  und  den  innerlichen  Gebrauch  des  Opiums  ,  der  Vanille ,  des  Gin- 
seng, Bals.  peruvian.  und  vorzüglich  der  Tinct.  seinin.  stram- 
monii  2  —  3  Mal  des  Tags  zu  5,  10 — 15  Tropfen,  oder  des  Extract. 
s  t  r  a  m  m  o  n  i  i  zu  */2  Gran  pro  dosi,  doch  mit  aller  Vorsicht. 

Hodenkrebs,  Cancer  testiculi.  Der  Hoden  wird  nächst 
den  Brüsten  am  häufigsten  von  Krebs  befallen,  was  theils  in  seiner  Lage, 
theils  in  seiner  Function  und  in  seinem  äusserst  regen  Leben  zu  suchen 
ist.  Es  kommt  am  Hoden  der  Scirrhus  und  der  Markschwamm  vor ;  lez- 
terer  bei  weitem  häufiger,  als  der  erstere.  —  Dem  Scirrhus  geht  ent- 
weder eine  Entzündung,  äussere  Gewalttätigkeit  voraus,  oder  er  entsteht 
spontan ,  ohne  eine  offenbare  Ursache ;  manchmal  gehen  ihm  ziehende 
Schmerzen  nach  dem  Laufe  des  Samenstrangs  voraus.  Der  Hode  schwillt 
an ,  wird  härter ,  schwerer ,  kann  aber  lange  in  dem  Zustande  bestehen, 
ohne  Schmerzen  zu  verursachen.  Endlich  nach  einer  zufälligen  Reizung 
oder  auch  von  freien  Stücken  wird  die  Geschwulst  bedeutend  härter,  un- 
gleich und  höckerig,  es  stellen  sich  heftige  reissende,  brennende  Schmer- 
zen ein,  die  sich  über  den  ganzen  Verlauf  des  Samenstranges  ausdehnen ; 
die  Scirrhosität  verbreitet  sich  über  den  Sameustrang ,  welcher  dicker, 
knotig  und  fest  wird ,  die  benachbarten  Lymphdrüsen  schwellen  an  und 
verhärten.  Zu  gleicher  Zeit  entwickeln  sich  in  Folge  der  heftigen  Schmer- 
zen und  der  Störung  des  Schlafs  Verdauungsschmerzen ,  der  Kranke  ma- 
gert ab  ,  verfällt  in  Zehrfieber  und  bekommt  ein  gelbliches  Aussehen. 
Endlich  verwächst  der  Hoden  mit  seinen  Umgebungen ,- die  Haut  des  Ho- 
densackes entartet,  die  Geschwulst  bricht  auf  und  es  bildet  sich  ein  miss- 
farbiges Geschwür  mit  verdickten  Rändern ,  harten,  schmerzhaften,  häufig 
blutenden  Wucherungen,  mit  bräunlicher ,  übelriechender  Absonderung, 
und  der  Kranke  geht  unter  den  angegebenen  Erscheinungen  hectisch  zu 
Grunde.  Das  Innere  eines  auf  diese  Weise  entarteten  Hodens  besteht 
aus  einer  harten  speckartigen  Masse  von  bräunlicher  oder  gräulicher 
Farbe,  manchmal  mit  einzelnen  Zellen  versehen,  welche  eine  saniöse  Flüs- 
sigkeit enthalten.  —  Der  Markschwamm  beginnt  entweder  mit  Ge- 
schwulst des  Hodens  oder  des  Nebenhodens,  wobei  ersterer  immer  eine 
eiförmige  oder  runde  Gestalt  ohne  Ungleichheit  an  der  Oberfläche  behält. 
Der  Schmerz  ist  dabei  höchst  unbedeutend.  Mit  dem  Wachsthum  der 
Geschwulst  stellt  sich  ein  täuschendes  Gefühl  von  Fluctuation  ein ,  wel- 
ches im  weiteren  Verlaufe  an  einzelnen  Stellen  besonders  bemerklich 
wird  und  den  nahen  Aufbruch  andeutet.  Damit  werden  die  Venen  des 
Hodensacks  varicös ,  seine  Haut  wird  missfarbig ,  die  Inguinaldrüsen 
schwellen  an  und  die  Geschwulst  sezt  sich  längs  des  Samenstrangs  in  die 
Unterleibshöhle  fort.  Endlich  kommt  es  zum  Aufbruch  der  Geschwulst 
und  damit  zum  Aufschiessen  sehr  bedeutender  mannigfach  lappig  einge- 
schnittener Wucherungen,  die  oft  sehr  gefässreich  sind  und  leicht  bluten 
(Fungus  haematodes).  Mit  dem  Aufbruche  der  Geschwulst  werden 
die  Schmerzen  ausserordentlich  heftig,  es  stellt  sich  hectisches  Fieber  mit 


442  HODENKRANKHEITEN.   NEURALGIE. 

den  Zeichen  der  Krebsdyscrasie ,  Störung  der  Verdauung  ,  Blähungen, 
Verstopfung ,  Ascites  mit  dem  Ausgang  in  den  Tod  ein  ,  welchen  der 
schneller  verlaufende  Markschwamm  bälder  als  der  Scirrhus  herbeiführt. 
—  Mit  der  fortschreitenden  Krankheit  bildet  sich  in  Folge  der  Reizung 
eine  Wasseransammlung  in  der  Höhle  der  Scheidenhaut  (Hydrosarco- 
cele),  welche  sich  als  eine  pralle  gleichmässige Anschwellung,  manchmal 
mit  deutlicher  Fluctuation  darstellt.  —  Der  Hodenkrebs  kann,  so  lange 
er  nicht  aufgebrochen  ist,  mit  anderweitigen  Anschwellungen  verwechselt 
werden.  In  den  meisten  Fällen  leitet  aber  die  Anamnese  die  Diagnose. 
Im  Allgemeinen  ist  ins  Auge  zu  fassen ,  dass  bei  allen  nicht  bösartigen 
Hodengeschwülsten  der  Hoden  nicht  die  grosse  Härte  zeigt ,  der  Samen- 
strang ,  wenn  er  auch  angeschwollen  ist ,  nicht  knotig  ist ,  auch  die  dem 
Krebse  eigenthümlichen  lancinirenden  Schmerzen  fehlen.  Insbesondere 
ist  vor  einer  Verwechslung  des  Markschwamms  mit  Hydrocele  zu  warnen, 
besonders  wenn  bei  lezterer  einmal  dieTunica  v  aginalis  verdickt 
ist,  oder  wenn  die  Wasseransammlung  zu  einer  bereits  vorhandenen  An- 
schwellung des  Hodens  hinzugetreten  ist.  In  diesem  Falle  entscheidet 
die  elastische,  gleichförmige  Beschaffenheit,  die  Birnform  der  Geschwulst 
und  die  Integrität  für  die  Hydrocele.  Bei  fehlender  Verdickung  der 
Scheidenhaut  gibt  ein  hinter  das  Scrotum  gehaltenes  Licht  Aufschluss,  in- 
dem die  Hydrocele  dann  durchsichtig  erscheint.  —  Cystengeschwülste  im 
Hoden  sind  selten ,  verlaufen  langsam  und  schmerzlos  und  lassen  den 
Samenstrang  unversehrt.  —  Prognose.  Sie  ist  ungünstig.  Von  der 
einzig  möglichen  Hülfe,  der  Hinwegnahme  des  entarteten  Hodens,  ist  nur 
dann  etwas  zu  hoffen ,  wenn  das  Uebel  noch  nicht  lange  besteht ,  noch 
durchaus  auf  den  Hoden  beschränkt  ist ,  noch  keine  Spuren  eines  allge- 
meinen krebsigen  Leidens  vorhanden  sind ;  aber  auch  bei  diesen  Verhält- 
nissen sind  Recidive  nicht  selten;  es  ist  deshalb  die  Prognose  immer 
zweifelhaft  zu  stellen.  —  Behandlung.  Es  ist  nur  von  der  Exstir- 
pation  des  Hodens  etwas  zu  erwarten,  die  aber  möglichst  bald  vorzuneh- 
men ist.  S.  Castration.-  Ist  die  Krankheit  schon  zu  weit  gediehen, 
so  bleibt  nichts  übrig,  als  die  Kräfte  des  Kranken  zu  unterstüzen  und 
ihm  die  möglichste  Linderung  zu  verschaffen. 

Neuralgie  des  Hoden,  reizbarer  Hoden.  Zuweilen  ist 
der  Hode ,  ohne  dass  eine  Structurveränderung  in  ihm  wahrzunehmen 
wäre,  so  schmerzhaft ,  dass  der  Kranke  sein  Leiden  kaum  zu  ertragen  im 
Stande  ist.  —  Man  kann  versuchen ,  die  Schmerzen  durch  kleine  Gaben 
Calomel  mit  dem  Decoct.  sassaparill.  compos.  zweimal  täglich 
gereicht  und  eine  Zeit  lang  fortgesezt,  durch  die  Anwendung  eines  Bella- 
donnapflasters auf  die  kranke  Stelle  und  eines  Blasenpflasters  auf  die 
Leistengegend  mit  nachfolgendem  Auflegen  von  Ungt.  cetacei  et 
o  p  i  i ,  zu  mildern.  Auch  den  Arsenik  ,  Chinin  und  Ferrum  carbo- 
n  i  c  u  m  kann  man  versuchen.      Sehr  häufig  versagen  alle  Mittel ,  und  A. 


HODENSACKKRANKHEITEN.  WASSERANSAMMLUNG.      443 

Cooper  sah   sich   wiederholt  veranlasst ,   den  Hoden  zu  exstirpiren ,  um 
den  Kranken  von  seinen  Schmerzen  zu  befreien. 

Hodensackkrankheiten.  Am  Hodensacke  beobachtet  man 
folgende  Krankheiten  : 

Verdickung  des  Zellgewebes,  Sarcoma  s.  Sarcocele 
scroti.  Das  Zellgewebe  ist  von  einer  Menge  fettiger,  wässeriger  und 
sanguinolenter  Flüssigkeiten  infiltrirt ,  wodurch  eine  Geschwulst  gebildet 
wird,  welche  die  Form  einer  Pyramide  hat ,  deren  Spize  dem  Schambeine 
entspricht  und  welche  oft  eine  solche  Grösse  erreicht,  dass  der  Penis  fast 
ganz  verschwindet  und  man  nur  noch  die  Vorhaut  als  eine  Falte  bemerkt. 
Ihr  Gewicht  steht  mit  ihrem  Volum  im  Verhältniss :  man  hat  ein  Gewicht 
von  10 — 2  0,  selbst  von  6  0 — 8  0  Pfund  beobachtet.  Diese  Geschwülste 
sind  meistens  unschmerzhaft,  nicht  entzündet,  ohne  Veränderung  der  Farbe 
der  Haut ,  man  bemerkt  nur  verschiedenartig  grosse  Rauhigkeiten ,  die 
durch  Höhlungen  getrennt  sind,  welchen  die  Cryptae  mucosae  oder 
die  Haarwurzeln  entsprechen ,  so  wie  gelbliche  Krusten  oder  Schuppen, 
welche  nach  ihrem  Abfalle  oberflächliche  Geschwüre  hinterlassen,  die  eine 
ichoröse  Feuchtigkeit  absondern.  Man  kann  die  Geschwulst  drücken, 
ohne  dass  der  Kranke  leidet ;  sie  belästigt  nur  durch  ihr  Gewicht.  Hoden 
und  Samenstrang  befinden  sich  meist  in  natürlichem  Zustande.  —  Die 
Krankheit  kommt  am  häufigsten  in  heissen  Ländern,  doch  auch  in  Frank- 
reich ,  England  und  Deutschland  vor.  Es  sollen  ihr  besonders  sizende 
Handwerker  unterworfen  sein.  —  Das  Uebel  scheint  eine  Varietät  der 
Elephantiasis  zu  sein.  —  Behandlung.  Hat  das  Leiden  noch  keinen 
bedeutenden  Grad  erreicht,  so  kann  man  die  Zertheilung  versuchen  durch 
Antimonial  -  und  Quecksilber- ,  so  wie  diaphoretische  Mittel  abwechselnd 
mit  Mineralsäuren  ;  äusserlich  durch  Waschmittel  von  verdünnter  Schwefel- 
säure ,  von  Auflösung  des  Sublimats ,  des  Grünspans,  Salmiaks.  Schlägt 
dieser  Versuch  fehl  und  nimmt  die  Geschwulst  an  Umfang  zu  ,  so  bleibt 
die  Operation  das  einzige  Mittel.  Man  macht  von  der  Oeffnung  der 
Vorhaut  zwei  Schnitte ,  welche  sich  nach  unten  von  einander  entfernen 
und  unter  dem  Hoden  auf  beiden  Seiten  der  Geschwulst  zusammenlaufen. 
Man  schneidet  dann  in  dieser  Richtung  alle  zwischen  den  Corpor.  ca- 
vernosis,  der  Ruthe  und  dem  Hoden  liegenden  Theile  durch ,  wobei 
man  sich  wohl  hüten  muss ,  diese  Theile  so  wie  den  Samenstrang  zu  ver- 
lezen ,  und  nimmt  dann  die  ganze  unterhalb  der  Linie  des  Einschnittes 
liegende  Masse  weg.  Zurückbleibende  Reste  der  entarteten  Masse  schält 
man  noch  sorgfältig  aus ,  unterbindet  dann  die  blutenden  Gefässe  und 
vereinigt  die  Wunde  durch  Heftpflaster  und  eine  passende  Binde. 

Wasseransammlung  im  Zellgewebe  des  Hodensak- 
kes,  Oedema  scroti.  Sie  bildet  eine  weiche  Geschwulst ,  welche 
den  Eindruck  des  Fingers  behält,  wenn  sie  sich  vergrossert,  gespannt  und 
fest  wird ,   die  Runzeln   des  Hodensackes  ausgleicht ,   sich  auf  den  Penis 


444  HODENSACKKRANKHEITEN. 


KREBS. 


ausbreitet,  wodurch  dieser  ganz  bedeckt  und  durch  Anschwellung  der  Vor- 
haut oft  die  Ausleerung  des  Urins  gehindert  wird.  —  Es  kann  Entzün- 
dung, Eiterung  und  Brand  an  dieser  Geschwulst  entstehen.  —  Das  0  e  - 
dema  scroti  kommt  höchst  selten  idiopathisch ,  desto  öfter  aber  sym- 
ptomatisch ,  besonders  als  Begleiter  der  allgemeinen  Wassersucht  vor ; 
nicht  selten  entsteht  es  in  Folge  eines  mechanischen  Hindernisses  in  der 
Circulation,  z.  B.  durch  ein  schlechtes  Bruchband,  eine  callöse  Hautnarbe, 
oft  auch  in  Folge  der  Reizung  durch  den  Urin  und  einer  Erkältung.  — 
Die  Behandlung  besteht  in  der  Entfernung  der  Ursachen  und  in  dem 
Gebrauche  der  bei  dem  Oedem  überhaupt  empfohlenen  Mittel.  Ueber 
die  Ansammlung  von  Wasser  in  der  Scheidenhaut  des  Hodens,  so  wie  von 
Blut  in  den  verschiedenen  Bedeckungen  des  Hodens  s.  den  Art.  Hydro- 
c e  1  e  und  Hämatocele. 

Hodensackkrebs,  Cancer  scroti,  Schornsteinfeger- 
krebs, Cancer  caminianorum.  Es  ist  dies  ein  Epithelialkrebs 
und  zwar  die  acinöse  Form  desselben  (s.  Hautkrebs).  —  Symptome 
und  Verlauf.  Das  Leiden  beginnt  als  ein  kleiner,  ziemlich  resistenter 
Knoten  oder  als  eine  warzenförmige  Excrescenz  (Russwarze),  welche  lange 
als  örtliches  Uebel  fast  unverändert  bleiben  und  nur  langsam  und  ohne 
Schmerzen  an  Umfang  zunehmen  kann.  Wenn  das  Gewächs  einen  ge- 
wissen Umfang  erreicht  hat,  so  fängt  es  an,  sich  zu  röthen,  zu  excoriiren, 
zu  nässen ,  sich  mit  Borken  und  zottigen  Hautpapillen  zu  bedecken  und 
sich  endlich  in  ein  Geschwür  mit  ungleichen,  harten,  aufgeworfenen  Rän- 
dern und  blumenkohlartigen  Fungositäten  umzuwandeln,  in  dessen  Gefolge 
juckende  brennende  Schmerzen  auftreten.  Im  weiteren  Verlaufe  dehnt 
sich  das  Geschwür  nach  unten  und  oben  aus  ,  die  benachbarten  Lymph- 
drüsen schwellen  an ,  endlich  wird  auch  der  Hoden  und  Samenstrang  er- 
griffen, es  stellt  sich  hectisches  Fieber ,  Abmagerung  ein  und  der  Kranke 
erliegt  unter  den  heftigsten  Schmerzen  der  bedeutenden  Zerstörung.  — 
Ursachen.  Diese  sind  im  Anfange  rein  örtlich  und  sind  in  dem  An- 
sezen  von  Russ,  vom  Dampfe  der  Steinkohlen,  dem  Staube  der  Wolle  in 
den  Runzeln  des  Hodensacks  zu  suchen ,  wodurch  in  Verbindung  mit  der 
beständigen  Friction  des  Hodensacks  bei  dem  Besteigen  sehr  enger  Ka- 
mine oder  beim  Weben  chronische  Entzündung ,  Verdickung  und  endlich 
Ulceration  des  Hodensacks  herbeigeführt  wird.  —  Die  Krankheit  entsteht 
fast  nie  vor  dem  3  0.  Jahre.  —  Prognose.  Sie  ist  nicht  ungünstig, 
so  lange  sich  das  Leiden  noch  auf  den  Hodensack  beschränkt ;  sind  die 
Leistendrüsen  geschwollen,  so  ist  die  Bildung  von  Krebsdyscrasie  und  die 
Wiederkehr  des  Uebels  zu  fürchten.  —  Behandlung.  Die  warzen- 
artige Verdickung  der  Haut  kann  durch  Abhaltung  der  Reize ,  Reinlich- 
keit ,  Bäder ,  erhöhte  Lage  des  Hodensacks ,  wiederholtes  Ansezen  von 
Blutegeln,  kalte  und  warme  Ueberschläge ,  Compression  mit  nicht  reizen- 
den Pflastern  etc.  zertheilt  werden.      Ist  es  zur  Ulceration  gekommen ,  so 


HOSPITALBRAND.  445 

exstirpirt  man  die  entartete  Haut ,  und  wenn  der  Hoden  ergriffen  ist,  den 
Hoden  ;  weniger  sicher  ist  das  Aezmittel. 

Hospital Drand,  Gangraena  nosocomialis.  Mit  diesem 
Namen  bezeichnet  man  einen  gangränösen  Zustand  von  Wunden  und  Ge- 
schwüren, veranlasst  durch  ein  eigentümliches  Contagium,  das  sich  theils 
spontan  erzeugt ,  theils  durch  Weiterverbreitung  fortpflanzt.  —  Sym- 
ptome. Wenn  dieses  Contagium  eine  wunde  Stelle  afficirt ,  so  wird 
diese  dadurch  in  einen  Zustand  von  Reizung  versezt,  die  nach  der  In-  und 
Extensität  des  Ansteckungsstoffes  ,  nach  dem  Lebenszustande  der  Wund- 
fläche und  des  Kranken  überhaupt  mehr  oder  weniger  bedeutend  ist,  selbst 
ein  Reizfieber  mit  vorwaltend  entzündlichem ,  gastrischen  oder  nervösen 
Charakter  hervorrufen  kann.  Die  Wund-  oder  Geschwürsfläche  fängt  an 
zu  schmerzen,  wird  empfindlich ,  mehr  geröthet ,  trocken  und  sondert  ein 
wässeriges  Secret  ab,  zugleich  schwellen  die  Wundränder  an,  stülpen  sich 
öfters  nach  aussen  um,  werden  von  einem  erysipelatösen  Kreise  umgeben 
und  ödematös.  Die  nun  im  weiteren  Verlaufe  der  Krankheit  eintretende 
zerstörende  Wirkung  des  Contagiums  zeigt  sich  unter  zwei  Formen  ,  der 
geschwürigen  und  pulpösen,  welche  jedoch  in  einander  übergehen. 
—  Bei  der  geschwürigen  Form  beginnt  die  krankhafte  Veränderung 
an  einer  schmerzenden  Stelle  mit  einer  leichten  kreisförmigen  Aushöh- 
lung, deren  scharfe  und  aufgeworfene  Ränder  eine  dunklere  Farbe  als  die 
übrige  Wundfläche  haben.  Der  Grund  dieser  Exulceration  ist  mit  einer 
bräunlichen  zähen  Jauche  bedeckt ,  die  sich  bald  an  der  Oberfläche  und 
in  die  Tiefe  verbreitet  und  die  bis  dahin  hochrothen  Granulationen  zer- 
stört. Diese  Zerstörung  geht  weit  rascher  vor  sich  ,  wenn  sich  mehrere 
solcher  Verschwärungen  gleichzeitig  an  verschiedenen  Punkten  der  Wunde 
entwickeln.  Dabei  kann  diese  an  den  nicht  afficirten  Stellen  in  der  Hei- 
lung fortschreiten.  Zuweilen  wird  sogleich  die  ganze  Fläche  der  Wunde 
von  der  zerstörenden  Ulceration  ergriffen ,  welche  eine  bräunliche  eigen- 
tümlich stinkende  Jauche  absondert.  Die  Granulationen  sind  kleiner 
und  kegelförmig ,  anstatt  halbkugelig  zu  sein  und  haben  an  ihrer  Spize 
kleine  Ecchymosen.  Die  Wunde  vergrössert  sich  kreisförmig  und  hat 
eine  violette  Färbung ;  auch  die  Umgegend  ist  roth  oder  violett ;  die 
Lymphgefässe  und  Drüsen  der  Nachbarschaft  entzünden  sich,  die  scharfen 
erhabenen  Ränder  der  Wunde  stülpen  sich  um  und  geben  derselben  da- 
durch eine  becherförmige  Gestalt.  —  Bei  der  pulpösen  Form  stellt 
sich  zuerst  ein  heftiger  Schmerz  ein,  dann  nehmen  die  Granulutionen  eine 
violette  Farbe  an,  woraus  sich  bald  eine  weissliche,  dünne,  hautartige  Lage 
auf  ihnen  bildet,  die  mehr  oder  weniger  fest  anhängt  und  in  alle  Zwischen- 
räume, selbst  unter  die  Haut  und  zwischen  die  Muskeln  dringt,  womit  die 
Secretion  der  Wunde  grösstenteils  aufhört.  Dieses  pseudomembranöse 
Erzeugniss,  das  sich  gewöhnlich  sehr  rasch  entwickelt,  wird  immer  dicker, 
zersezt  sich  an  seiner  Oberfläche,  wird  graulich,  pulpös  und  erzeugt  dann 


446  HOSPITALBRAND. 

wieder  einen  jauchigen  Ausfluss  von  einem  ausserordentlich  üblen  Ge- 
rüche, der  von  dem  anderer  Brandjauche  ganz  verschieden  ist  und  an  dem 
der  Kundige  schon  von  Weitem  die  Krankheit  zu  erkennen  vermag.  Die 
Masse  stellt  das  brandig  gewordene  Gewebe  selbst  dar,  weshalb  sie  sich 
auch  nicht  entfernen  lässt.  —  Dieses  Leiden  kann  einige  Verschiedenhei- 
ten in  seinem  äussern  Ansehen  darbieten;  diese  lassen  sich  abei> leicht 
unter  die  beiden  eben  beschriebenen  Formen  bringen ,  von  denen  sie  nur 
mehr  oder  weniger  veränderte  Schattirungen  sind.  —  Beim  Umsichgreifen 
der  brandigen  Zerstörung  werden  nach  und  nach  alle  Gebilde,  selbst  Ge- 
fässe,  Nerven,  Sehnen,  Bänder,  Knochen  zerstört ;  am  schnellsten  zerflies- 
sen  aber  die  weichen  Gebilde,  namentlich  das  Zellgewebe ,  was  bei  tiefer 
greifendem  Hospitalbrande  oft  eine  ungleichmässige  Verth eilung  bedingt. 
Die  Zerstörung  grosser  Blutgefässe  kann  bedeutende  Blutungen  zur  Folge 
haben.  —  Mit  den  örtlichen  Erscheinungen  verbinden  sich  allgemeine, 
die  diesen  entweder  vorangehen  oder  auf  sie  folgen.  Das  Erstere  findet 
statt,  wenn  sich  der  Hospitalbrand  in  Folge  verdorbener  Luft  von  selbst 
entwickelt,  oder  wenn  eine  Ansteckung  durch  die  Luft  erfolgt ;  das  Lez- 
tere  hingegen,  wenn  der  Brand  durch  örtliche  Uebertragung  des  Contagiums 
(mittels  Verbandstücken,  die  mit  Brandjauche  etc.  verunreinigt  sind)  entsteht. 
Diese  allgemeinen  Erscheinungen  sind  verschieden  nach  der  Witterungs- 
und Krankheitsconstitution  und  entsprechen  bald  mehr  dem  phlegmonösen 
Entzündungsprocesse,  bald  einem  mehr  erysipelatösen ,  bald  mehr  dem 
Typhus  durch  Eiterresorption.  Darnach  ist  der  Puls  entweder  voll  und 
hart,  oder  schnell  und  klein;  die  gastrischen  Erscheinungen,  welche  selten 
ganz  fehlen ,  deuten  auf  mehr  oder  weniger  Gallenreiz.  Das  Fieber  ist 
anhaltend  mit  kaum  merklicher  Remission,  Frostschauer  treten  häufig  auf, 
die  Haut  ist  trocken,  der  Durst  heftig,  der  Kranke  niedergeschlagen  und 
betäubt.  —  Die  Dauer  des  Hospitalbrandes  richtet  sich  nach  der  Con- 
stitution des  Kranken  ,  nach  der  Intensität  der  Krankheit  und  nach  der 
Ausdehnung  der  Wunde.  Gewöhnlich  sind  die  Fortschritte  des  Brandes 
sehr  rasch,  so  dass  oft  binnen  2  4  Stunden  ein  ganzes  Glied  ergriffen  und 
vernichtet  werden  kann  ;  selten  macht  er  sehr  langsame  Fortschritte.  — 
Die  Erkenntniss  des  Hospitalbrandes  ist  in  der  Regel  nicht  schwer. 
Von  jedem  andern  Brande  unterscheidet  sich  der  Hospitalbrand  durch 
"sein  Entstehen  aus  einem  Contagium  oder  Miasma,  durch  seinen  rascheren 
Verlauf,  durch  das  gleichzeitige  Befallenwerden  mehrerer  Kranken  und 
durch  die  eigentümliche,  weissliche  und  aschgraue  Masse,  womit  sich  die 
Geschwürsfläche  bedeckt.  Jede  Wunde,  welche  sich  ringförmig  vergrös- 
sert,  eine  becherförmige  Gestalt  annimmt  und  deren  Granulationen  kegel- 
förmig werden,  ist  des  Hospitalbrandes  verdächtig ;  kommt  dazu  noch  der 
eigenthümliche  Geruch  und  ein  steter,  zuweilen  unerträglicher  Schmerz, 
so  ist  kein  Zweifel  mehr  vorhanden.  —  Die  Entstehung  dieser  Brand- 
form beruht  auf  der  zersezenden  Einwirkung  eines  seiner  Natur  nach  noch 
unbekannten  Contagiums  auf  Wunden  und  Geschwüre.    Nach  Thomson 


HOSPITALBRAND.  447 

und  Rust  soll  sich  der  Hospitalbrand  auch  bei  nicht  verwundeten  Per- 
sonen, z.  B.  Krankenwärtern ,  Wäscherinnen  etc.  unter  der  Bildung  eines 
Bläschens,  das  zu  einem  Geschwür  wird,  entwickeln.  Das  Contagium  kann 
auf  jeder  Art  von  Continuitätstrennung  haften  und  sich  verbreiten,  beson- 
ders gern  aber  werden  frische  gequetschte  Wunden  und  alte ,  schlaffe 
cachektische  Geschwüre  befallen.  Scorbutische ,  an  Mercurialdyscrasie, 
an  Typhus  und  an  Puerperalfieber  Leidende ,  so  wie  überhaupt  ge- 
schwächte Individuen  haben  eine  besondere  Empfänglichkeit ,  die  keines- 
wegs durch  ein  einmaliges  Befallen  getilgt  wird.  —  Prognose.  Sich 
selbst  überlassen  wird  der  Hospitalbrand  durch  seine  schnelle  Ausbreitung 
fast  immer  tödtlich ;  der  Tod  erfolgt  entweder  an  Blutungen,  an  den  ty- 
phösen Erscheinungen  in  Folge  der  Resorption  der  Jauche ,  oder  an  Ab- 
zehrung in  Folge  der  heftigen  Schmerzen  oder  der  Eiterung  nach  besei- 
tigtem Brande.  Ist  das  Uebel  erst  kürzlich  entstanden ,  hat  es  nur  ein- 
zelne Stellen  einer  oberflächlichen  Wunde  ergriffen,  sind  die  äussern  Ver- 
hältnisse des  Kranken  gut,  ist  er  von  robuster  Constitution ,  so  kann  man 
einen  günstigen  Ausgang  hoffen.  Das  sicherste  Zeichen  der  Heilung  ist 
schnelles  Verschwinden  der  eigenthümlichen  Schmerzen  in  der  Wunde 
und  Rückkehr  des  Schlafs.  Die  Heilung  kommt  unter  Abstossung  des 
Brandigen  zu  Stande ;  in  manchen  Fällen  bildet  sich  eine  Demarkations- 
linie ,  welche  dem  Brande  Grenzen  sezt.  Recidive  sind  nicht  selten. 
—  Behandlung.  Sie  zerfällt  in  eine  prophylactische  und  in  eine  die 
Krankheit  selbst  betreffende.  Erstere  hat  zum  Zweck ,  einerseits  die 
Krankheit  zu  verhüten ,  andererseits  die  Weiterverbreitung  derselben  zu 
verhindern.  Die  Verhütung  der  Krankheit  geschieht  am  besten  da- 
durch ,  dass  man  eine  Zusammenhäufung  von  Verwundeten  möglichst  ver- 
meidet ,  alle  mit  Eiter  besehmuzten  Verbandstücke  sogleich  entfernt ,  für 
häufige  Erneuerung  der  Bett-  und  Leibwäsche ,  für  gehörige  Lufterneue- 
rung ,  mittlere  Temperatur ,  gesunde  Nahrung  mit  etwas  Wein  sorgt  und 
zeitweise  Räucherungen  mit  salpetersauren  Dämpfen  oder  Chlorgas  an- 
stellt. Der  W'eiterverbreitung  des  einmal  ausgebrochenen  Hospi- 
talbrandes kann  allein  durch  Isolirung  der  davon  Ergriffenen  mit  Sicher- 
heit vorgebeugt  werden.  Bei  den  Uebrigen  wendet  man  einen  Verband 
mit  aromatischem  Essig  oder  Chlorkalkauflösung  an.  —  Die  Behandlung 
der  Krankheit  selbst  hat  zum  Zweck ,  das  Contagium  in  der  Wunde  zu 
zerstören  neben  angemessener  Berücksichtigung  des  Allgemeinleidens  und 
etwaiger  Complicationen.  Zur  Zerstörung  des  Gifts  können  alle  Mittel 
dienen,  welche  im  Stande  sind,  die  organische  Substanz  zu  zersezen ,  da- 
her die  Aezmittel  und  das  Feuer.  In  leichteren  Fällen  wendet  man  zu- 
erst schwächere  Aezmittel  an,  bei  ausgebreitetem  und  rasch  um  sich  grei- 
fenden Hospitalbrande  hingegen  schafft  nur  die  nachdrückliche  Anwen- 
dung des  Glüheisens  Hülfe.  Unter  den  Aezmitteln  sind  besonders  zu 
nennen:  der  Chlorkalk  sowohl  trocken  als  in  starker  Solution,  z.B.  Cal- 
car.  oxymuriat.  ^ß,  solv.  in  Aq.  fönt  an.  ^j.  Cola;  der  Höllen- 


448  HUEFTGELENKSCONTRACTÜR. 

stein,  mit  welchem  man  die  Wunde  nachdrücklich  bestreicht,  Mineralsäu- 
ren, namentlich  die  Salz-  und  Salpetersäure,  das  Kreosot;  stärker  wirken 
das  Aezkali,  von  welchem  man  Stücke  in  die  pulpöse  Masse  legt,  der  Ar- 
senik in  der  Form  der  F  o  w  1  e  r '  sehen  Solution  (1  Theil  auf  1 — 2  Theile 
Wasser),  die  C  anqu  oin'sche  Chlorzinkpaste.  Vor  der  Anwendung 
dieser  Mittel  reinigt  man  die  Wunde  möglichst  von  der  klebrigen  Masse 
mit  einer  schwachen  Pottaschenauflösung ,  worauf  man  sie  sorgfältig  mit 
Charpie  austrocknet.  Wird  durch  die  genannten  Mittel  der  brandigen 
Zerstörung  nicht  bald  Einhalt  gethan ,  so  greift  man  zu  dem  Glüheisen, 
mit  welchem  man  die  vorher  gereinigte  Wunde  in  ihrer  ganzen  Ausdeh- 
nung so  nachdrücklich  cauterisirt ,  dass  sie  von  einer  völlig  trockenen 
Brandkruste  bedeckt  ist ;  man  muss  dabei  in  alle  Vertiefungen  und  Buch- 
ten eindringen  und  zu  diesem  Zwecke  Gänge  zwischen  Muskeln  und  Haut 
aufschlizen.  Wird  eine  Stelle  wieder  feucht ,  so  muss  die  Anwendung 
des  Feuers  wiederholt  werden.  Die  Abstossung  des  Schorfs ,  sowohl  der 
Aezmittel  wie  des  Glüheisens  wartet  man  ab  unter  der  Anwendung  geeig- 
neter ,  dem  Vitalitätszustande  angemessener  Fomente  (Bleiwasser ,  Essig- 
wasser oder  aromatischer  Flüssigkeiten)  oder  reizender  Salben,  z.  B.  Rp. 
Ol.  terebinth.  sij,  Cort.  chinae  pulv.  5üj,  Sal.  ammon.  dep. 
Jj.  M.  f.  Ungt.  S.  Zum  Verbände ;  oder  Rp.  Ol.  therebinth., 
Carbon,  praep.  ana  ^j  M.  ;  zeigt  sich  von  Neuem  eine  afficirte Stelle, 
so  wiederholt  man  die  Cauterisation ;  hat  die  Wunde  ein  gutes  Aussehen, 
so  behandelt  man  sie  auf  gewöhnliche  Weise.  —  Die  allgemeine  Behand- 
lung richtet  sich  nach  den  vorliegenden  Indicationen  ;  gastrische  Störun- 
gen beseitigt  man  durch  Brech  -  und  Abführmittel.  Ist  der  Krankheits- 
charakter ein  mehr  inflammatorischer,  so  sind  zuweilen,  zumal  bei  jungen 
kräftigen  Subjecten,  Aderlässe  von  Nuzen.  Meistens  entsprechen  dem 
Reizfieber  kühlende ,  zumal  antiseptische  Mittel ,  als  säuerliche  Getränke, 
Chlorwasser,  H  a  1 1  e  r '  s  Sauer  u.  dgl.  Der  gewöhnlich  bald  eintretenden 
Schwäche  begegnet  man  durch  excitirende  und  tonisirende  Mittel  in  Ver- 
bindung mit  antiseptischen.  Heftige  Schmerzen  und  eintretende  Diar- 
rhöen erfordern  den  Gebrauch  von  Opium. 

Hüftgelenks  COIltractur,  Contractu  racoxae.  Die  häu- 
figste Form,  unter  der  dieses  Leiden  auftritt,  besteht  in  einem  Aufgezogen- 
sein des  Oberschenkels  an  den  Unterleib  ;  der  Kranke  kann  nicht  aufrecht 
gehen  oder  stehen ,  er  kann  auch  beim  Liegen  den  Schenkel  nicht  aus- 
strecken, so  wie  er,  wenn  er  gehen  will,  den  Körper  gebückt  halten  muss. 
Die  Ursachen  dieser  im  Hüftgelenke  stattfindenden  Beugung  liegen  gröss- 
tentheils  in  den  Muskeln.  Die  Veranlassung  kann  in  einer  gestörten  In- 
nervation der  Muskeln  liegen ,  wodurch  entweder  eine  Schwäche  oder 
gänzliche  Lähmung  einer  Muskelpartie  bedingt  wird,  während  die  antago- 
nistische in  ihrem  normalen  Typus  fortwirkt ,  oder  eine  excessive  krampf- 
hafte Thätigkeit  einer  Muskelpartie  bewirkt  wird ,  während  die  entgegen- 


HUEFTGELENKSCONTRACTÜR.  449 

gesezte  nicht  verhältnissmässig  Widerstand  leistet.  Es  kann  aber  auch 
eine  andauernde  Haltung  des  Schenkels  in  flectirter  Stellung ,  wie  sie  bei 
Gelenkfracturen ,  chronischer  Gelenkentzündung  etc.  nothwendig  wird, 
eine  Rigidität  der  Muskeln ,  Verlust  ihrer  Elasticität  und  Contractilität, 
zulezt  organische  Verkürzung  der  Flexoren  ,  Verlängerung  der  Strecker 
und  damit  Fixirung  in  der  gegebenen  Stellung  herbeiführen.  Die  gleichen 
Folgen  können  selbstständige  Entzündungen  der  Muskeln  haben.  Ge- 
wöhnlich sind  daher  die  Adductoren,  der  Pectinaeus,  Psoas, 
Iliacus  internus  verkürzt,  während  die  Muskeln  der  hintern  Fläche 
Erschlaffung  zeigen.  —  Das  in  Contraction  befindliche  Glied  erleidet 
mannigfache  Veränderungen.  Die  verkürzten  Muskeln  fühlen  sich  hart 
an  und  springen  strangartig  hervor,  während  die  Antagonisten  dieser  all- 
mälig  atrophisch  werden  und  endlich  der  fettigen  Metamorphose  verfallen  ; 
auch  die  verkürzten  Muskeln  werden  mit  der  Zeit  dünner.  —  Das  ganze 
Glied  befindet  sich  in  einem  atrophischen  Zustande  und  der  Knochen  kann 
aus  seiner  Höhle  gedrängt  werden,  wie  man  dies  so  häufig  nach  der  Coxal- 
gie  beobachtet.  —  Wichtig  für  die  Behandlung  ist  es,  zu  wissen,  ob  man 
es  bloss  mit  einer  Muskelcontractur  oder  auch  noch  mit  anderweitigen 
Veränderungen  im  Gelenke  zu  thun  hat.  Aufschluss  hierüber  gibt  eine 
tiefe  Chloroformnarkose ,  in  welche  man  den  Kranken  versezt.  In  dieser 
kann  der  Widerstand  der  bloss  contrahirten  Muskeln  durch  einen  geeig- 
neten Zug  oder  Druck  überwunden  werden.  Lässt  der  Schenkel  sich 
aber  nicht  bloss  nicht  strecken,  sondern  auch  nicht  beugen,  so  muss  ausser 
der  Contractur  noch  ein  anderes  Hinderniss  zugegen  sein.  —  Behand- 
lung. In  der  Regel  wird  man  gut  thun ,  seine  Zeit  nicht  mit  der  An- 
wendung pharmaceutischer  Mittel ,  nämlich  erweichender  für  die  verkürz- 
ten Muskeln  und  reizender  für  die  erschlafften  zu  verlieren,  sondern  wird 
nach  Beseitigung  jeder  etwa  bestehenden  Entzündung  zu  dem  allein  Hülfe 
verheissenden  Gebrauch  von  mechanischen  Mitteln  übergehen.  In  man- 
chen noch  nicht  veralteten  Fällen  kann  durch  wiederholten  Zug  und  Druck 
mit  der  Hand  unter  gehöriger  Fixirung  des  Beckens,  oder  durch  allmälige 
permanente  Extension  ,  welche  mit  passenden  und  wenig  drückenden  Ma- 
schinen ausgeführt  wird ,  die  Verlängerung  der  Muskeln  erreicht  werden. 
Solche  Maschinen  besizen  wir  von  Mayor  (welche  der  Hagedorn-Dzondi'- 
schen  Schiene  gleicht),  Bonnet  (RinnenapparateJ  ,  Martin,  Lorin- 
ser  u.  A.  Die  Vorrichtung  von  Martin  besteht  aus  einem  Beckengür- 
tel und  einem  Halbstiefel,  die  durch  Stahlstäbe  mit  einander  in  Verbin- 
dung stehen,  welche  am  Knie  und  an  der  Hüfte  Mechanismen  haben ,  die 
ihnen  verschiedene  Stellungen  zu  geben  erlauben.  Lorin ser's  Appa- 
rat besteht  aus  seiner  Vorrichtung  für  das  verkrümmte  Knie  (s.  Knie- 
verkrümmung)  unter  Beigabe  eines  besondern  Betts  mit  Polstern  für 
Kopf  und  Schultern ,  so  wie  für  das  Becken ,  welch  lezteres  durch  eine 
Schraube  allmälig  erhöht  werden  kann.  —  In  schwierigeren  Fällen ,  wo 
diese  Verfahren  gar  nicht  oder  mit  zuviel  Zeitaufwand  und  unter  grossen 
Barger,  Chirurgie.  29 


450  HUEFTGELENKSENTZUENDUNG. 

Beschwerden  zum  Ziele  führen  würden  ,  kann  man  die  gewaltsame  Aus- 
dehnung der  verkürzten  Muskeln  in  der  Chloroformnarkose  nach  der  An- 
gabe von  B.  Langenbeck  (s.  Gelenksteifigkeit)  in  Gebrauch 
ziehen,  wobei  aber  keine  Zerreissung,  sondern  nur  eine  allmälige  Dehnung 
der  contrahirten  Muskeln  erfolgen  darf.  Wo  diese  Methode  nicht  zum 
Ziele  führt  oder  unausführbar  ist ,  bleibt  noch  das  wirksamste  Verfahren, 
nämlich  die  subcutane  Durchschneidung  der  betheiligten  Muskeln  übrig. 
Die  Muskeln,  welche  bis  jezt  durchschnitten  wurden,  sind  der  Rectus 
femoris,  Pectinaeus,  die  Adductoren,  der  G*acilis  und 
Sartori us.  In  vielen  Fällen  genügt  die  Durchschneidung  der  Ad- 
ductoren und  des  G  r  a  c  i  1  i  s  ,  welche  oben  an  ihrer  Insertion  am 
Schambeine ,  wo  sie  am  deutlichsten  vorspringen ,  vorgenommen  wird. 
Man  führt  sie  nach  B  o  n  n  e  t  von  aussen  nach  innen  aus  und  zwar,  indem 
man  nach  innen  und  vorn  von  der  Tuberositas  ischii  einen  Ein- 
stich in  die  Haut  macht  und  dann  mit  einem  stumpfen  Tenotom  bis  zum 
innern  Ende  der  Leistenfalte  eindringt.  Ein  Gehülfe  schüzt  durch  Auf- 
legen der  Finger  auf  die  Art.  und  V-en.  femoralis  diese  vor  Ver- 
lezung.  Den  Sartorius  durchschneidet  man ,  indem  man  1  0  Linien 
über  dem  grossen Trochanter  und  3  —  S^Zoll  hinter  der  Spina  ante- 
rior superior  oss.  ilei  einsticht  und  das  stumpfe  Tenotom  bis  vor 
den  genannten  Muskel,  7  Linien  unter  der  Spina  anterior,  einführt.  Die 
auf  die  Leistenfalte  aufgelegten  Finger  schüzen  den  Nerv,  und  die  Art. 
cruralis.  Drückt  man  das  eingeführte  Messer  mit  den  Fingern  der 
linken  Hand  nieder ,  bis  es  vor  dem  Schenkelhalse  aufgehalten  wird ,  so 
durchschneidet  man  ausser  dem  Sartorius  noch  den  G  r  a  c  i  1  i  s  ,  den 
Tensor  fasciae  latae,  die  vordem  Fasern  des  Glutaeus  m  e  - 
dius  und  einen  Theil  der  Kapsel.  Nach  der  Durchschneidung  der  Mus- 
keln lässt  man  3  —  4  Tage  vorüber  gehen,  worauf  man  eine  der  oben  ge- 
nannten Maschinen  in  Gebrauch  zieht ,  um  den  Muskeln  wieder  ihre  ur- 
sprüngliche Länge  zu  verschaffen.  Ist  dieser  Zweck  erreicht ,  so  be- 
schliesst  man  die  Kur  durch  Uebungen  der  Muskeln  ,  um  diesen  wieder 
ihre  volle  Kraft  und  Beweglichkeit  zu  geben ,  was  man  nötigenfalls 
durch  spirituöse  Einreibungen ,  die  kalte  Douche  und  die  Electricität 
unterstüzt. 

Hüftgelenksentzündung,  Coxitis,  Coxalgie,  Mor- 
bus coxarum,  Coxarthrocace,  freiwilliges  Hinken,  L  u  - 
xatio  spontane  a.  Sie  hat  einen  acuten  und  chronischen  Verlauf  und 
durchläuft  drei  Stadien.  —  Symptome.  Bei  der  acuten  Form  ent- 
stehen schnell  nach  einer  auffallenden  Gelegenheitsursache  heftige  Schmer- 
zen im  Hüftgelenke ,  welche  sich  an  der  innern  Seite  des  Schenkels  bis 
zum  Knie  erstrecken  und  an  ersterer  Stelle  durch  Druck  und  Bewegung 
vermehrt  werden.  Die  betreffende  Hinterbacke  ist  mehr  oder  weniger  ge- 
schwollen.   Die  Gesässfalte  steht  etwas  tiefer,  der  Schenkel  ist  gegen  den 


HUEFTGELENKSENTZUENDÜNG.  45 1 

Unterleib  angezogen  und  der  Fuss  etwas  nach  aussen  gewendet.  Die  bei- 
den Extremitäten  sind  entweder  von  gleicher  Länge  oder  die  kranke  Ex- 
tremität ist  etwas  verkürzt  oder  verlängert ,  was  aber  nur  scheinbar  ist 
und  von  einer  veränderten  Stellung  des  Beckens  abhängt.  In  den  höheren 
Graden  von  Entzündung  ist  Fieber  zugegen.  Beim  Stehen  und  Gehen 
legt  der  Kranke  das  ganze  Gewicht  des  Körpers  auf  die  gesunde  Extre- 
mität ,  beugt  das  Knie  der  leidenden  Seite  und  berührt  den  Boden  blos 
mit  der  Spize  des  Fusses.  Wenn  die  Entzündung  nicht  zertheilt  wird,  so 
geht  sie  in  Eiterung  über ,  es  bilden  sich  Eiteransammlungen  in  und  um 
das  Gelenk,  das  Fieber  wird  hectisch,  die  Kräfte  des  Kranken  sinken:  er 
magert  ab  und  eine  Messung  der  beiden  Extremititäten  zeigt  die  kranke 
wirklich  verlängert.  Endlich  kommt  es  zum  Aufbruche  der  Abscesse  und 
meistens  zum  Austreten  des  Schenkelkopfs  aus  der  Pfanne  ,  welcher  sich 
gewöhnlich  auf  den  Rücken  des  Darmbeins  lagert.  Der  Kranke  geht  nun 
entweder  hectisch  zu  Grunde  oder  die  Eiterung  mindert  sich ,  es  stossen 
sich  Knochenstücke  los  und  der  Kranke  kann  mit  einem  ziemlich  brauch- 
baren Hüftgelenke  davon  kommen.  —  Bei  der  chronischen  Hüft- 
gelenksentzündung treten  des  langsameren  Verlaufs  wegen  die 
Symptome  deutlicher  hervor.  Der  Kranke  fühlt  anfangs  am  Morgen  eine 
gewisse  Steifigkeit  im  Hüftgelenke,  die  sich  den  Tag  über  bei  geringerer 
Anstrengung  verliert,  bei  stärkerer  aber  vermehrt.  Flüchtige  Schmerzen 
durchziehen,  den  rheumatischen  ähnlich,  die  ganze  Extremität,  oder  fixi- 
ren  sich  mehr  auf  das  Hüftgelenk  und  werden  durch  Druck  auf  die  Leiste 
oder  hinter  den  grossen  Trochanter,  durch  festes  Auftreten,  durch  ausge- 
dehnte Bewegungen  des  Hüftgelenkes  gesteigert.  —  Früher  oder  später, 
nach  Monaten  oder  selbst  nach  Jahren  und  unter  abwechselnder  Besse- 
rung und  Verschlimmerung  zeigt  sich  eine  Verlängerung  der  Extremität, 
bei  Erwachsenen  um  mehrere  Zolle,  welche  sich  indessen  bei  genauer  Be- 
sichtigung als  eine  Senkung  des  Beckens  an  der  leidenden  Seite  ausweist. 
Mit  dieser  Stellung  erfolgt  zugleich  eine  leichte  Achsendrehung  des  Bek- 
kens ,  wodurch  die  Spina  dem  Trochanter  major  etwas  genähert 
wird,  was  Veranlassung  gegeben  hat,  die  Verlängerung  für  eine  wirkliche 
zu  halten.  Zu  gleicher  Zeit  tritt  eine  krampfhafte  Anspannung  der  Beuge- 
muskeln ein ,  wodurch  das  Hüftgelenk  etwas  gebogen  erscheint ;  damit 
werden  die  Glutaei  erschlafft ,  sie  verlieren  dadurch  ihre  Wölbung ,  die 
Falte  der  Hinterbacke  der  leidenden  Seite  erscheint  verstrichen,  auch  das 
Kniegelenk  ist  etwas  gebogen,  der  Fuss  etwas  nach  aussen  gewendet,  das 
ganze  Glied  abgemagert.  Jede  Bewegung  ist  schmerzhaft  und  der  Gang 
sehr  hinkend.  Es  stellt  sich  jezt  ein  heftiger  Schmerz  im  Knie  ein,  der 
durch  Druck  nicht,  wohl  aber  durch  Bewegungen  im  Hüftgelenke  vermehrt 
wird.  Im  weiteren  Fortschreiten  des  Uebels  kann  es  bei  vermehrter  Se- 
cretion  der  Synovia  und  entzündlicher  Erweichung  des  Kapselbandes 
durch  Herabsinken  des  Schenkels  und  Eindringen  von  Flüssigkeit  in  die 
Pfanne  zu  einer  wirklichen  Verlängerung  des  kranken  Beins  kommen,  was 

29* 


452  HUEFTGELENKSENTZUENDUNG. 

durch  genaue  Messungen  von  den  vorspringenden  Punkten  des  Beckens 
aus  erhoben  werden  kann.  —  Im  weiteren  Verlaufe  der  Krankheit  tritt 
nun  meistens  eine  Verkürzung  des  kranken  Gliedes  ein  ,  womit  man  ge- 
wöhnlich den  Beginn  des  dritten  Stadiums  bezeichnet.  Diese  Verkürzung 
kann  die  Folge  der  Ausrenkung  des  Schenkels  oder  in  seltenen  Fällen  der 
ulcerösen  Zerstörung  des  Schenkelkopfs  und  der  Pfanne  sein.  Die  Ver- 
renkung erfolgt  gewöhnlich  ajuf  das  Darmbein ,  wobei  dann  die  Fussspize 
und  das  Knie  stark  nach  innen  gewendet ,  der  Trochanter  höher  gerückt, 
und  etwas  nach  vorn  gedreht  ist ;  in  seltenen  Fällen  erfolgt  die  Verren- 
kung auf  das  eiförmige  Loch ,  in  die  Incisura  ischiadica  oder  auf  den 
horizontalen  Ast  des  Sehambeins ,  wo  sich  die  Richtung  und  Länge  des 
Gliedes  dann  verschieden  verhalten.  Bisweilen  erfolgt  gar  keine  Verren- 
kung. —  Zuweilen  erreicht  die  Krankheit  hier  ihr  Ende  ,  indem  der 
Schenkelkopf  verwächst  oder  ein  neues  Gelenk  bildet,  wo  dann  der  Kranke 
mit  einem  unheilharen  Hinken  davon  kommt.  In  den  meisten  Fällen 
kommt  es  aber  zur  Eiterung  im  Gelenke  ,  zum  Aufbruche  der  Abscesse 
und  der  Kranke  geht  hectisch  zu  Grunde  ;  in  sehr  seltenen  Fällen  mindert 
sich  die  Eiterung  und  die  Abscessöffhungen  schliessen  sich.  —  Dia- 
gnose. Mit  der  Coxalgie  können  verwechselt  werden:  1)  die  ange- 
borne  Luxation  des  Schenkels.  Bei  dieser  ist  aber  der  Schenkel 
gleich  anfangs  verkürzt  und  kann  durch  Anziehen  ohne  Schmerz  etwas 
verlängert  werden ;  mit  dem  Aufhören  des  Zuges  verkürzt  er  sich  wieder. 
Dabei  ist  die  Bewegung  des  Schenkels  frei  und  die  Fusssohle  wird  ganz 
auf  die  Erde  gesezt.  2)  Verschiebung  des  Darmbeins.  Dieses 
Leiden ,  welches  durch  Schwäche  und  Schlaffheit  der  Bänder  bedingt  ist? 
zeigt  von  Anfang  an  eine  Verkürzung  des  Gliedes  ,  welche  durch  einen 
Zug  aufgehoben  werden  kann.  3)  Hüftweh.  Der  Schmerz  folgt  bei 
diesem  dem  Laufe  des  ischiadischen  oder  des  Schenkelnervens ;  es  findet 
sich  ein  Gefühl  von  Lahmheit  in  dem  Schenkel  und  die  beiden  Extremi- 
täten zeigen  gleiche  Länge.  4)  Mal  um  coxae  senile.  Der  Schmerz 
im  Hüftgelenke  ist  hier  sehr  gering,  der  Kranke  klagt  mehr  über  Steifig- 
keit ,  Druck  auf  das  Hüftgelenk  pflegt  nicht  schmerzhaft  zu  sein ,  es  tritt 
keine  Verkrümmung ,  kein  Knieschmerz  ein.  Es  ist  weder  Fieber  noch 
Neigung  zur  Eiterbildung  vorhanden,  die  Krankheit  endigt  meist  mit  völ- 
liger Steifheit  des  Hüftgelenks  und  mit  wahrer  Verkürzung,  wobei  aber 
die  Fusssohle  platt  auf  den  Boden  aufgesezt  werden  kann.  5)  Psoitis. 
Hier  ist  meistens  das  Hüftgelenk  bald  in  hohem  Grade  flectirt ,  wie  dies 
bei  der  Coxalgie  erst  nach  Monaten  möglich  ist ;  die  Schmerzen  sind 
manchmal  unerträglich ,  das  Fieber  sehr  heftig.  Nach  dem  Aufbrechen 
des  Abscesses  lassen  die  Erscheinungen  nach  und  das  Gelenk  streckt  sich 
von  selbst  wieder.  —  Ursachen.  Sie  sind  die  der  Gelenkentzündungen 
(s.  diesen  Art.).  Ob  die  Entzündung  häufiger  in  dem  Gelenkkopfe  als  in 
der  Synovialhaut  und  dem  Kapselbande  besteht ,  lässt  sich  nicht  mit  Be- 
stimmtheit  angeben.    —    Prognose.    Sie  ist  immer  bedenklich.    Nur 


HUEFTLEIDEN   DER    GREISE.  453 

wenn  das  Uebel  frühzeitig  erkannt  und  gehörig  behandelt  wird ,  ist  voll- 
kommene Heilung  möglich  ;  später  bleibt ,  wenn  auch  Heilung  erfolgt, 
doch  meistens  ein  hinkender  Gang  zurück ;  bei  entstandener  Ausrenkung 
oder  Ankylose  ist  das  Hinken  sehr  bedeutend.  Kommt  es  zur  Bildung 
von  Abscessen  und  zur  cariösen  Zerstörung  im  Hüftgelenke ,  so  ist  nur 
selten  Rettung  möglich.  —  Bei  guter  Constitution  und  wo  mehr  äussere 
Schädlichkeiten  die  Krankheit  hervorbrachten,  ist  die  Prognose  günstiger 
als  bei  allgemeinen  dyskrasischen Leiden.  —  Behandlung.  Diese muss 
bei  traumatischen  und  rheumatischen  Formen  sehr  entschieden  antiphlo- 
gistisch sein.  Es  kann  selbst  anfangs  ein  Aderlass  indicirt  sein  ;  sons  t 
sind  Schröpf  köpfe  oder  Blutegel ,  in  angemessenen  Zwischenräumen  wie- 
derholt ,  die  Hauptmittel ;  selbst  in  scrophulösen  Fällen  leisten  Blutegel 
gute  Dienste.  Daneben  gibt  man  innerlich  den  Umständen  entsprechend 
bei  fieberhaft  acutem  Zustande  Nitrum ,  bei  rheumatisch  acuten  Fällen 
Brechweinstein  ;  Scrophulösen  gibt  man  ,  so  lange  Fieber  vorhanden  ist, 
die  Plummer  'sehen  Pulver,  später  Leberthran  und  dazwischen  drastische 
Abführungen.  Dabei  ist  die  strengste  Ruhe  des  leidenden  Gliedes  ,  die 
man  am  besten  mittels  eines  zweckmässigen  Verbandes  erzielt ,  unerläss- 
lich.  Mindert  sich  die  Entzündung  und  die  Schmerzhaftigkeit ,  so  geh 
man  zu  dem  Gebrauche  der  Ableitungsmittel  über.  Bei  den  traumatischen 
Fällen  sind  sie  meist  überflüssig ;  bei  den  rheumatischen  reichen  oft  Bla- 
senpflaster aus ,  die  man  abwechselnd  hinter  den  grossen  Trochanter  und 
auf  die  Leistengegend  legt.  Erweisen  sie  sich  als  unzureichend,  so  greift 
man  zu  dem  Glüheisen  ,  welches  sowohl  in  den  Fällen ,  wo  das  Uebel  mit 
Verdickung  des  Kapselbandes ,  als  auch  wo  es  mit  Atonie  und  beginnen- 
der Luxation  verbunden  ist ,  gute  Dienste  leistet.  Man  macht  mit  dem 
prismatischen,  weissglühenden  Eisen  3 — 4  kräftige  Streifen  hinter  dem 
grossen  Trochanter  und  unterhält  nach  dem  Abstossen  der  Brandschorfe 
die  Eiterung  durch  reizende  Salben.  Bei  den  scrophulösen  Coxalgien  eig- 
nen sich  besonders  die  Fontanellen  und  das  Haarseil ,  welche  man  hinter 
dem  grossen  Trochanter  applicirt.  S.  Fontanelle.  —  Man  unterstüzt 
die  Ableitungsmittel  durch  Einreibungen  der  Quecksilbersalbe.  Wenn 
auch  Besserung  eintritt ,  so  muss  der  Kranke  doch  noch  längere  Zeit  das 
Bett  hüten,  auch  dürfen  die  eiternden  Stellen  nicht  zu  schnell  unterdrückt 
werden.  —  Bilden  sich  Abscesse ,  so  überlässt  man  ihre  Eröffnung  am 
besten  der  Natur  und  unterstüzt  dann  die  Kräfte  des  Kranken  durch  toni- 
sche Mittel  und  gute  Nahrung.  In  Fällen,  wo  der  Kranke  he ctisch  auf- 
gerieben zu  werden  drohte  ,  hat  man  in  neuerer  Zeit  einige  Male  die  Re- 
section  des  cariösen  Schenkelkopfs  und  bei  grösserer  Zerstörung  die 
Exarticulation  des  Schenkels  versucht.  Gegen  die  nach  der  Hüftgelenks- 
entzündung zurückbleibende  Verkrümmung  verfährt  man,  wie  es  in  dem 
Art.  Hüftgelenkscontractur  angegeben  ist. 

Hüftleiden  der  Greise,    Malum   coxae  senile.      Dieses 


454 


HUEFLEIDEN  DER  GREISE. 


Leiden ,  welches  zuerst  von  R.  Smith  am  Hüftgelenke  alter  Leute  er- 
kannt und  mit  dem  obigen  Namen  belegt  wurde ,  kommt  nach  neueren 
Erfahrungen  auch  bei  jüngeren  Personen,  jedoch,  wie  es  scheint,  nicht, 
vor  der  Pubertät ,  sowie  an  andern  Gelenken  vor ,  und  beruht  auf  einer 
chronischen  Entzündung  der  Gelenke.  Der  Veränderungen  wegen,  welche 
die  Gelenkenden  bei  dieser  Entzündung  erleiden  ,  hat  man  dem  Leiden 
verschiedene  Namen  beigelegt ,  wie  Atrophie  der  Gelenkknorpel,  A  r  t  h  r  o- 
xerosis  (Stromeyer),  entzündliche  Verschrumpfung  der  Gelenkenden 
(Bardeleben)  etc.  Diese  Veränderungen  bestehen  in  einem  allmäligen 
Schwinden  der  Knorpel ,  wodurch  bei  Bewegungen  ein  «eigentümliches 
Reibungsgeräusch  erzeugt  wird.  Mit  der  Zeit  tritt  an  die  Stelle  des  Knor- 
pels ein  dem  Porcellan  ähnlicher  Ueberzug.  Hand  in  Hand  mit  diesen 
Veränderungen  des  Knorpels  geht  eine  Auflockerung  der  Gelerikenden 
und  eine  Atrophie  des  Knochengewebes ,  wodurch  der  Schenkelkopf  und 
seine  Höhle  mannichfaltige  Missstaltungen  erleidet.  Der  Schenkelkopf 
verliert  gewöhnlich  seine  Kugelform  ;  er  plattet  sich  ab  ,  bekommt  einen 
überhängenden  Rand  ;  der  Schenkelhals  verkürzt  sich  so  bedeutend  ,  dass 
der  Kopf  gerade  aus  dem  Schafte  entsprungen  scheint.  Die  Pfanne  wird 
flacher  und  weiter,  das  Ligamet  um  teres  ist  resorbirt.  Das  Gewebe 
des  Kopfs  ist  meistens  porös  und  leicht,  mitunter  durch  kreideartige  Ab- 
lagerung verdichtet.  Diese  Verdichtung  kommt  besonders  am  Schenkel- 
halse vor,  so  dass  man  an  eine  durch  Callusbildung  geheilte  Fractur  glau- 
ben sollte.  Die  Synovialmembran  verdickt  sich ,  nimmt  eine  braune  oder 
graue  Farbe  an  und  zeigt  zottige  Wucherungen,  niemals  aber  entsteht 
Eiterung  im  Gelenke.  Bei  Fällen,  die  lange  gedauert  haben,  findet  man 
häufig  stalactitenf  örmige  Osteophyten ,  welche  vom  Schafte  des  Knochens 
und  von  den  Beckenknochen  entspringen  und  die  sich  mit  einander  ver- 
binden, ohne  dass  es  jedoch  zu  einer  Obliteration  der  Gelenkhöhle  käme, 
da  die  polirte  Oberfläche  derselben  keiner  Knochenproduction  fähig  zu 
sein  seheint.  Sehr  oft  werden  gleichzeitig  beide  Hüftgelenke  ergriffen. 
—  Symptome.  Das  Gelenk  ist  der  Siz  anhaltender  dumpfer  Schmer- 
zen, die  anfangs  durch  Bewegungen  nicht  vermehrt  werden,  doch  ermüdet 
dasselbe  sehr  leicht.  Tiefer  Druck  auf  den  Gelenkkopf  ist  in  geringem 
Grade  schmerzhaft ,  die  das  Gelenk  umgebenden  Muskeln  magern  sehr 
ab  und  zeigen,  ohne  gelähmt  zu  sein,  eine  auffallende  Kraftlosigkeit,  was 
wohl  seinen  Grund  darin  hat ,  dass  die  Muskeln  nicht  in  Thätigkeit  ge- 
sezt  werden.  Vor  Allem  charakteristisch  ist  das  rauhe  Knarren  bei  Be- 
wegungen, welches  die  Resorption  der  Knorpel  andeutet.  —  Der  Verlauf 
ist  immer  sehr  schleichend.  —  Ankylose  ist  ein  nicht  seltener  Ausgang 
dieses  Leidens.  —  Ursachen.  In  manchen  Fällen  entstand  das  Uebel 
nach  übermässigen  Anstrengungen  oder  nach  Erschütterungen  und  Quet- 
schungen des  Hüftgelenks.  Zuweilen  wird  eine  Erkältung  angeschuldigt 
und  einige  Mal  schien  Gicht  damit  in  Verbindung  zu  stehen.  Indessen 
entstand  es  auch  ohne  alle  nachweisbare  Veranlassung.   —   Prognose. 


HÜEFTWEH.  455 

Sie  ist  ungünstig ;  bei  alten  Leuten  ist  gar  nichts  auszurichten,  und  selbst 
bei  jüngeren  Personen  und  nach  mechanischen  Veranlassungen  richten  die 
gewöhnlichen  Mittel  selten  etwas  aus.  —  Behandlung.  Es  werden 
spanische  Fliegen  ,  Jodkali  -  Einreibungen  ,  Dampfbäder  und  die  kalte 
Douche  empfohlen. 

Hüftweh,  Ischias  (nervosa  Cotugni),  Neuralgia 
ischiadica  ist  ein  Uebel,  das  in  chronischer  und  acuter  Form  auftritt, 
in  lezterem  Falle  mit  Fieber  verbunden  ist  und  folgende  Symptome 
hat :  Schmerz  in  der  einen  oder  andern  Hüfte,  welcher  zwischen  dem  gros- 
sen Trochanter  und  dem  Sizbein  in  der  Höhe  des  Sizbeinausschnittes  be- 
ginnt und  sich  nach  oben  zum  Heiligbein ,  nach  unten  an  der  äussern 
Seite  des  Oberschenkels  bis  zur  Kniekehle,  von  hier  nach  vorn,  längs  der 
äussern  Seite  der  Spina  tibiae  erstreckt  und  sich  vor  dem  äussern 
Knöchel  im  Rücken  des  Plattfusses  endigt.  Er  verfolgt  somit  den  Lauf 
des  Nervus  ischiadicus  und  heisst  dann  Ischias  nervosa  p  o  - 
s  t  i  c  a.  In  andern  Fällen  beginnt  er  am  vordem  Theil  der  Hüfte ,  geht 
nach  der  Inguinalgegend,  von  hier  an  der  innern  Seite  des  Oberschenkels 
zur  Wade,  verfolgt  somit  den  Lauf  des  Nervus  cruralis  und  heisst 
dann  Ischias  nervosa  antica.  Diese  leztere  Form  ist  seltener  und 
der  Schmerz  dabei  geringer  als  bei  der  ersten  Form.  Der  Schmerz  ist 
seiner  Natur  nach  reissend,  ähnlich  dem  rheumatischen,  äusserst  heftig, 
mit  einem  Gefühl  von  Taubheit  mit  convulsivischen  Bewegungen  verbun- 
den ;  zuweilen  ist  der  Schmerz  milder  oder  es  besteht  überhaupt  statt  ihm 
nur  ein  unangenehmes  Gefühl  von  Ameisenkriechen,  welches  aber  plözlich 
in  die  heftigsten  Schmerzen  übergehen  kann ,  wenn  eine  starke  Anstren- 
gung des  Beins  hinzukommt ;  er  nimmt  des  Abends  ,  in  der  Bettwärme, 
durch  Aerger,  Zorn,  Schreck  zu,  oft  in  dem  Grade,  dass  der  Kranke  nicht 
im  Stande  ist ,  im  Bette  zu  bleiben  und  dass  selbst  Convulsionen  der  lei- 
denden Seite  entstehen.  Dieser  Schmerz  ist  nur  selten  und  zwar  nur  im 
Anfang  des  Uebels  anhaltend ,  meist  periodisch ,  mit  freien  Intermis- 
sionen  von  kürzerer  oder  längerer  Dauer ,  worauf  er  dann  mit  erneuer- 
ter Heftigkeit  wiederkehrt.  —  Das  Uebel  kann  bei  längerem  Bestehen 
zu  Schwäche,  Zittern,  Abmagerung,  endlich  Lähmung  der  leidenden  Seite 
führen.  —  Ursachen.  Diese  sind  oft  sehr  dunkel.  Man  beschuldigt 
Gewalttätigkeiten  aufs  Hüftgelenk,  Heben  schwerer  Lasten,  unterdrückte 
Blutflüsse,  Metastasen  von  Gicht,  Syphilis,  Herpes,  Milchversezung,  schnell 
geheilte  alte  Geschwüre,  besonders  aber  starke  plözliche  Erkältungen.  — 
Behandlung.  Bei  heftigem  Fieber  und  plethorischen  Individuen 
Aderlässe,  sonst  Blutegel,  Schröpfköpfe  nach  dem  Verlaufe  der  Nerven, 
Einreibungen  von  Merkurialsalbe  mit  Ol.  hyoscyami,  von  Chloro- 
form mit  Ol.  olivarum,  Umschläge  des  verdünnten  E  1  i x.  a c i d. 
H  a  1 1  e  r  i,  erweichende  und  narkotische  Fomentationen  ,  Einhüllen  des 
Gliedes  in  gewärmte  Wolle.      Innerlich  leichte Diaphoretica,  Pulv.  Do- 


456  HUEFTWEH. 

w  e  r  i ,  Ammonium  aceticum.  Ist  das  Fieber  getilgt ,  so  erweisen 
sich ,  besonders  wenn  das  Leiden  durch  Erkältung  herbeigeführt  wurde, 
Blasenpflaster,  welche  man  in  entsprechender  Grösse  entweder  nahe  der 
Incisura  ischiadica,  am  Capitulum  fibulae  und  an  den  Mal- 
leolen,  oder  aber  in  fingerbreiten  Streifen  nach  der  Richtung  des  Schmer- 
zes applicirt,  sehr  nüzlich  ;  auch  Einreibungen  des  Ol.  crotonis  werden 
gerühmt ;  es  verursacht  Pusteln ,  die  unter  der  Anwendung  kalter  Um- 
schläge schnell  heilen.  Bei  veraltetem,  hartnäckigem  Uebel  zieht  man  die 
Moxa,  das  Glüheisen  in  Gebrauch ,  daneben  reicht  man  innerlich  Merku- 
rialmittel,  besonders  den  Sublimat,  antirheumatische  Mittel,  wie  die  T  i  n  c  t. 
antimon.  acris,  das  Guajacharz  (Rp.  Tinct.  antimon.  acris5üj, 
Tinct.  guajac.  ammoniat.  5ij ,  Tinct.  opii  simpl.  5ß.  M.  S. 
4  mal  des  Tags  3  0 — 40  Tropfen  in  einem  schleimigen  Vehikel  zu  neh- 
men), Vinum  colchici  (Rp.  Vin.  sem.  colchic.  ^ß  ,  El  ix.  au- 
rant.  comp  os.  3ij-  D.  S.  Täglich  3  mal  2  0 — 3  0  Tropfen),  Stram- 
monium  (R  p.  E  x  t  r.  s  t  r  a  m  m  o  n.  gr.  ij — iv,  Merc.  sublim,  corros. 
gr.  iij  ,  solv.  in  aq.  de  still.  5iß.  D.  S.  Alle  2  Stunden  3  0 — 5  0 
Tropfen},  Ferrum  carbonicum  (gr.  v — x.  3  mal  täglich  und  stei- 
gend), Rhustoxicodendron,  Veratrin,01.  jecoris  aselli. 
Auch  Terpentin  innerlich  und  äusserlich  wird  gerühmt,  z.  B.  Rp.  Ol. 
terebinth.  rectific.  5üj  ,  Vitell.  oviNo.  1,  terendomisc. 
c.  Aq.  menth.  p  ip.  ^ij,  Sy  r.  f  lor.  aurant.  ^j,  L  a  ud  ani  liquid. 
Syd.  ^j — 513.  M.  f.  emuls.  D.  S.  3  mal  täglich  1  Esslöffel  zu  neh- 
men; —  Rp.  Spirit.  terebinth.  5ij,  Camphorae  *)j,  solut. 
adde  Sapon.  nigr.  5j,  Ungt.  nervin.  5j,  Cuminipulv.  5ij, 
Sal.  c.  c.  succ.  gr.  xv,  M.  exacte,  f.  iiniment.  S.  In  die  schmerz- 
haften Stellen  einzureiben.  Noch  haben  sich  folgende  Mischungen  äus- 
serlich hülfreich  erwiesen:  Rp.  Aconitini  gr.  xviij ,  Ol.  olivar.  5ß, 
Axung.  porci  5j.  M.  f.  Ungt.  S.  2  —  3  mal  des  Tags  in  die 
schmerzhaften  Stellen  einzureiben;  Rp.  Veratrini  puri  gr.  v — x, 
Adip.  suill.  gß — j.  M.  f.  Ungt.  D.  S.  2 — 3  mal  täglich  eine 
Bohne  gross  einzureiben;  Rp.  Extr.  b  eil  ad  onn  ae  5i~ — ij  ,  Adip. 
suill.  ^j.  M.  f.  Ungt.  S.  Zum  Einreiben.  —  Auf  Cauterisation  des 
Ohrs  (Helix)  mit  dem  Glüheisen  soll  der  Schmerz  ganz  oder  grösstentheils 
aufhören.  —  Zur  Unterstüzung  der  Kur  leisten  Seifen-,  Salz-,  Schwefel-, 
Sublimat-,  Douchebäder,  Wiesbaden,  Tepliz,  Trenchin,  das  Morphium  en- 
dermatisch  vorzügliche  Dienste.  —  Im  Stadium  der  beginnenden  Läh- 
mung, der  Atrophie  legt  man  ein  Stückchen  brennenden  Feuerschwamm  zwi- 
schen der  grossen  und  kleinen  Zehe  auf  und  unterhält  die  Eiterung  mit  Dige- 
stivsalbe f  das  leidende  Glied  wird  mit  einer  Salbe  aus  5j  Baumöl  und  gr.  vj 
Phosphor  3  mal  täglich  eingerieben.  —  In  verzweifelten  Fällen  kann  man  die 
von  Malagodi  ausgeführte  Resection  des  Nerv,  ischiadic.  versuchen. 

Hühnerauge,  Krähenauge,    Leichdorn,    Clavus,  be- 


HÜEHNERAUGE.  457 

steht  aus  hypertrophirter  Epidermis,  die  übereinander  liegende  Schichten 
bildet,  von  welcher  ein  härterer  Kern  zapfenartig  in  die  Cutis  eindringt. 
Dieser  Zapfen  sezt  sich  auch  oft  nach  oben  durch  das  Hühnerauge  fort 
und  erscheint  an  der  Oberfläche  desselben  als  ein  centraler  heller  oder 
dunkler  Kern.  —  Nicht  selten  entsteht  unter  einem  Hühnerauge  ein  Ab- 
scess ,  besonders  wenn  es  seinen  Siz  über  einem  Schleimbeutel  hat ,  was 
häufig  der  Fall  ist.  Das  Hühnerauge  entsteht  durch  Druck;  daher  zeigt 
es  sich  am  häufigsten  an  den  Körpertheilen ,  an  welchen  die  Haut  ohne 
Fettpolster,  nur  durch  eine  Fascie  getrennt  auf  einem  hervorstehenden 
Knochen  aufliegt,  wie  auf  dem  Rücken  der  Zehen ,  auf  ihren  Articulatio- 
nen  und  zwischen  den  Zehen.  Hier  wird  es  durch  enge  Schuhe ,  selbst 
enge  Strümpfe  hervorgebracht.  —  DerClavus  wächst  periodisch  und  stösst 
zu  bestimmten  Zeiten  den  aus  hornartiger  Substanz  gebildeten  Kern  bei 
geborstenen  überliegenden  Epidermiallamellen  aus.  An  und  für  sich  ist 
das  Hühnerauge  unschmerzhaft ,  aber  durch  Druck  auf  die  unterliegende 
Cutis  erregt  es  in  dieser  Schmerz ,  Entzündung ,  Eiterung.  —  Die  Be- 
handlung der  Hühneraugen  erfordert  vor  Allem  Vermeidung  des 
Drucks ;  sie  verschwinden  dann  gewöhnlich  nach  und  nach  von  selbst 
durch  Abschuppung  der  Oberhaut  und  Ausstossung  des  Kerns.  Kann  der 
Druck  nicht  vermieden  werden,  so  legt  man  8  — 12  Stückchen  Leinwand, 
die  mit  einer  erweichenden  Salbe  bestrichen  sind  und  in  der  Mitte  eine 
Oeffhung  haben ,  die  genau  der  Grösse  des  Hühnerauges  angemessen  ist, 
über  einander  und  bringt  sie  so  auf  dem  Fusse  an ,  dass  das  Hühnerauge 
von  der  Fussbekleidung  nicht  berührt  werden  kann.  Sizt  es  auf  derFuss- 
sohle  ,  so  bedient  man  sich  einer  Filzsohle  mit  einer  Oeffhung.  —  Zur 
directen  Entfernung  der  Hühneraugen  sind  viele  Methoden  empfohlen. 
Man  reibe  das  Hühnerauge  2  Mal  täglich  mit  einer  erweichenden  Salbe 
ein,  Ungt.  Althaeae,  Liniment,  volatile,  und  bedecke  es  in  der 
Zwischenzeit  mit  einem  erweichenden  Pflaster,  z.  B.  Empl.  mercu- 
riale,  cicutae  oder  saponatum;  alle  Morgen  und  Abende  wird  der 
Fuss  !/2  Stunde  in  ein  warmes  Wasser  gestellt  und  während  dieser  Zeit 
das  Hühnerauge  stark  mit  Seife  gerieben ,  hierauf  die  aufgeweichte  und 
weisse  Oberfläche  mit  einem  stumpfen  Messer  abgeschabt  und  dies  8  — 
12  Tage  so  fortgesezt.  Oder  man  bade  den  Fuss  vor  dem  Schlafengehen 
in  warmem  Wasser,  schneide  dann  so  viel  als  möglich,  ohne  dass  es  blutet 
ab  und  berühre  den  Clavus  alsdann  etwas  stark  mit  Höllenstein,  den  man 
etwas  mit  Speichel  befeuchtet  hat,  worauf  man  etwas  rohe  Baumwolle  um 
die  Zehe  wickelt.  Oder  man  lege  in  ein  nach  der  Grösse  des  Hühner- 
auges gefenstertes  Heftpflaster  ein  aus  venetianischer  Seife,  pulverisirtem 
ungelöschtem  Kalk  und  Wasser  gemachtes  Kügelchen,  klebe  darüber  vor 
dem  Schlafengehen  ein  Heftpflaster,  am  Morgen  nehme  man  den  Verband 
weg  und  wiederhole  dies  2  —  3  Mal,  worauf  das  Hühnerauge  gewöhnlich 
verschwindet ;  später  nehme  man  noch  ein  Fussbad.  ßust  bediente  sich 
eines  Kügelchens   aus  Empl.    litharg.   comp.      Weitere  Mittel  sind  : 


458 


HYDROCELE. 


R  p.  T  i  n  c  t.  j  o  d  i  i  §ß,  J  o  d  u  r  e  t.  f  e  r  r  i  gr.  xij  ,  B  u  t  y  r.  a  n  t  i  m  0  n. 
5$.  M.  S.  Nach  gehörigem  Abschaben  des  Clavus  mit  einem  Pinsel  aus- 
zustreichen (eine  dreimalige  Anwendung  soll  zur  Heilung  hinreichen) ; 
auch  das  wiederholte  Bestreichen  mit  der  Tinct.  jodinae  allein  er- 
weist sich   schon   von  Nuzen.    —   Rp.  Empl.  de  gi.  ammoniac.  

de  gi.  galb.  crocat. ,  —  diachyl.  comp,  ana  ^ß,  Camphorae 
^j  ;  M.  f.  Empl.  S.  Dick  auf  Leinwand  zu  streichen  u.  in  der  Grösse  des  Hüh- 
nerauges aufzulegen. —  Rp.  Empl.  diachyl.  comp,  gß  ,  Campho- 
rae, Aerugin.  ana^j.  M.  —  Rp.  Empl.  litharg.spl.5j,  Argent. 
nitr.  fus.  gr.  ij — iij.  M.  —  Rp.  Ceraeflavae,  Gum.  ammon. 
ana  5ij ,  colliquat.  addeAerugin.  3iß.  M.  f.  Empl.  S.  Wie 
oben.  Auch  heftig  reizende  Pflaster,  z.  B.  Empl.  cantharidum, 
werden  mit  Nuzen  angewendet ;  wahrscheinlich  erregen  sie  Exsudation 
unter  der  verdickten  Epidermis  und  dadurch  Abhebung  derselben ;  da- 
gegen sind  Aezmittel  zu  verwerfen,  da  sie  heftige  Entzündung,  ausgebrei- 
tete Eiterung  und  selbst  Brand  im  Gefolge  haben  können.  Auch  bei  dem 
Abtragen  der  Hühneraugen  mit  dem  Messer  inuss  man  vorsichtig  verfah- 
ren, namentlich  soll  es  nicht  bis  zum  Bluten  getrieben  werden,  indem  da- 
durch leicht  gefährliche  Zufälle  herbeigeführt  werden  können. 

HundsWUth,  s.  Wunden. 

HydrOCele  und  HämatOCele  sind  zwei  Krankheitsformen, 
die  auf  Ansammlungen  von  Flüssigkeiten  im  Hodensacke  beruhen,  welche, 
obgleich  von  sehr  verschiedener  Beschaffenheit,  doch  manche  Ärmlich- 
keiten darbieten  ,  welche  Täuschungen  veranlassen  können  ,  weshalb  ihre 
Zusammenstellung  gerechtfertigt  erscheint. 

Die  Hydrocele  (von  vdwg,  Wasser  und y.rjlrj,  Bruch),  Wasser- 
bruch,  besteht  in  einer  Ansammlung  von  wässeriger  Feuchtigkeit  in  den 
Häuten  des  Hodens.  Das  Wasser  kann  dabei  in  der  Scheidenhaut  des 
Hodens  oder  in  der  zelügen  Umhüllung  des  Samenstrangs  angesammelt 
sein.  Wesentlich  verschieden  von  diesen  Ansammlungen  ist  die  Wasser- 
ansammlung in  dem  Zellgewebe  des  Hodensacks,  das  Oedema  scroti. 
S.  Hodensack.  —  1)  Die  Wasseransammlung  in  der  Schei- 
denhaut des  Hodens  (Hydrocele  tunicae  vaginalis  te- 
s  t  i  s )  entsteht  langsam  als  eine  Geschwulst ,  die  sich  vom  Grunde  des 
Hodensacks  allmälig  gegen  den  Bauchring  erhebt  und  im  Anfange  eine 
ovale,  später  eine  birnförmige  Gestalt  zeigt.  Mit  zunehmender  Grösse 
verliert  die  Geschwulst  ihre  anfänglich  weiche  und  blasenartige  Beschaf- 
fenheit, wird  gespannter  und  elastischer,  die  Haut  des  Hodensacks  verliert 
nach  und  nach  ihre  Runzeln ,  wird  glatt ,  die  Rhaphe  wird  auf  die  Seite 
geschoben  und  der  Penis  erscheint  in  das  bisweilen  bis  zur  Grösse  eines 
Kindskopfs  aufgetriebene  Scrotum  zurückgezogen.  Die  Geschwulst 
nimmt  den  Fingerdruck  nicht  auf,  auch  verändert  sie  bei  den  verschiede- 
nen Körperlagen   ihre   Form  nicht ,    wenn   nicht   eine   freie   Verbindung 


HYDROCELE.  459 

zwischen  der  Unterleibshöhle  und  dem  Wasserbruche  stattfindet :  ist  dies 
aber  der  Fall ,  so  tritt  in  der  Rückenlage  das  Wasser  in  die  Bauchhöhle. 
Die  Geschwulst  ist  beim  Drucke  schmerzlos  ;  nur  an  ihrer  hintern  und 
innern  Seite,  wo  gewöhnlich  der  Hode  und  der  aufwärts  gehende  Samen- 
strang liegen,  macht  sich  Schmerz  bemerklich.  Im  Verhältniss  zu  ihrer 
Grösse  fühlt  sich  die  Geschwulst  leicht  an  ;  auch  erscheint  sie  bei  einem 
dahinter  gehaltenen  Lichte  durchsichtig,  wenn  ihr  Inhalt  klar,  wasserhell 
und  die  Scheidenhaut  nicht  verdickt  ist.  Ist  lezteres  der  Fall,  oder  auch  die 
Flüssigkeit  dick,  gallertartig  geworden,  so  wird  die  sonst  gewöhnlich  deut- 
liche Fluctuation  unbestimmt.  Bei  langer  Dauer  des  Wasserbruches  wird 
"bisweilen  der  Samenstrang  und  der  Hoden  varicös  ,  lezterer  wohl  auch 
atrophisch.  Bei  alten  voluminösen  Hydrocelen  sieht  man  nicht  selten  die 
Gef  ässe  des  Samenstrangs  von  einander  und  nach  vorn  getrieben ,  die 
Venen  des  Hodensacks  angeschwollen ,  leztern  selbst  entzündet  und  ge- 
schwürig. —  Diagnose.  Von  einem  Hodensackbruche  unter- 
scheidet sich  der  Wasserbruch  der  Scheidenhaut  des  Hodens  durch  die 
Art  der  Entstehung,  indem  die  Geschwulst  bei  dem  erstem  stets  am  obern 
Theile  des  Scrotums  erscheint,  beim  Wasserbruch  hingegen  sich  zuerst 
unten  zeigt  und  nach  oben  steigt ;  der  Bruch  erregt  gastrische  u.  a.  Be- 
schwerden ,  der  Wrasserbruch  nicht ;  die  Hydrocele  ist  meistens  durch- 
sichtig ,  der  Bruch  nicht ;  dieser  fluctuirt  nicht  und  zeigt  Unebenheiten, 
auch  vergrössert  er  sich  beim  Husten  und  sonstigen  Anstrengungen  ,  was 
beim  Wasserbruch  nicht  der  Fall  ist.  Die  Verhärtung  des  Testikels 
bietet  eine  grössere  Schwere ,  Härte,  Unebenheit ,  so  wie  Empfindlichkeit 
dar,  wogegen  der  Wasserbruch  eine  elastische,  gleichförmige,  unschmerz- 
hafte Geschwulst  zeigt.  Verhärtung  des  Hodens  und  Wasseransammlung 
können  zu  gleicher  Zeit  bestehen  (Hydrosarcoeele).  Dann  lässt 
sich  der  Hoden  nicht  gut  fühlen  ,  er  ist  hart  und  uneben  und  die  Ge- 
schwulst ist  schwerer ;  auch  ist  der  Samenstrang  angeschwollen.  Der 
Markschwamm  des  Hodens  zeigt  zwar  ein  täuschendes  Gefühl  von 
Fluctuation,  doch  ist  dabei  die  Geschwulst  immer  noch  an  einigen  Stellen 
hart ,  der  Hoden  ist  geschwollen  und  die  Geschwulst  erstreckt  sich  längs 
des  Samenstrangs  in  die  Bauchhöhle ;  auch  leidet  dabei  der  Gesammt- 
organismus.  Bei  der  Hämatocele  ist  die  Geschwulst  schwerer,  voll- 
kommen undurchsichtig  und  praller.  —  Ursachen.  Sie  sind  im  Gan- 
zen noch  sehr  unbestimmt.  Häufig  entsteht  die  Hydrocele  durch  Erkäl- 
tungen und  Erschütterungen  des  Scrotums  ,  durch  Druck ,  Stoss,  durch 
das  Vorhandensein  eines  Bruchs  ,  vorzüglich  eines  eingeklemmten ,  durch 
Krankheiten  des  Testikels ,  durch  schlechte  Bruchbänder  etc.  —  Pro- 
gnose. Die  einfache  ohne  Complication  bestehende  Hydrocele  ist  im- 
mer heilbar.  Wird  sie  durch  Krankheiten  des  Hodens  oder  durch  eine 
Hernie  veranlasst ,  so  müssen  diese  Krankheiten  erst  gehoben  oder  der 
Hode  auch  gänzlich  entfernt  werden ,  ehe  von  einer  Heilung  des  Wasser- 
bruchs  die  Eede  sein  kann.  —   Bei  Kindern  verschwindet  die  Hydrocele 


460  HYDROCELE. 

oft  von  selbst,  bei  Erwachsenen  nie  ;  bei  älteren  Personen  tritt  sie  oft  vi- 
carirend  für  andere  Uebel  auf,  wo  sie  dann  nicht  geheilt,  sondern  nur 
palliativ  behandelt  werden  darf.  —  Behandlung.  Diese  ist  entweder 
palliativ  oder  radical.  Die  erste  beabsichtigt  bloss  Entleerung, 
keineswegs  aber  Verhütung  der  Wiedererzeugung  des  Wassers.  Sie  ist 
angezeigt  bei  alten  Subjecten  aus  dem  schon  angegebenen  Grunde  und 
bei  Entartungen  des  Hodens  ,  wenn  der  Kranke  die  Castration  nicht  zu- 
l'asst  oder  diese  wegen  Erkrankung  des  Samenstrangs  bis  in  die  Bauch- 
höhle nicht  mehr  ausführbar  ist.  —  Die  Palliativkur  der  Hydrocele 
besteht  in  der  Durchbohrung  des  Sacks  und  Entleerung  des  Wassers. 
Zur  Ausführung  dieser  Operation  bedient  man  sich  eines  Troicarts  oder 
der  Lancette.  Der  erstere  verdient  im  Allgemeinen  den  Vorzug,  weil  die 
in  der  Wunde  liegen  bleibende  Röhre  ein  Verschieben  der  Haut  und  eine 
Infiltration  des  Wassers  in  dieselbe  verhütet ,  weil  durch  die  Röhre  das 
Wasser  besser  abfliessen  und  durch  sie  eine  Sonde  zur  etwaigen  Unter- 
suchung der  Höhle  leichter  eingeführt  werden  kann.  Die  Lancette  zieht 
man  in  Gebrauch  ,  wo  man  innere  Verlezungen  zu  fürchten  hat ,  was  na- 
mentlich bei  einer  sehr  geringen  Menge  WTasser  geschehen  kann.  Vor 
der  Punktion  vergewissert  man  sich  über  die  Lage  des  Hodens  und  der 
Samengef  ässe ,  zu  deren  Vermeidung  man  im  Allgemeinen  den  Einstich 
in  der  Mittellinie  der  Geschwulst  macht.  Die  beste  Stelle  zum  Einstich 
ist  der  vordere  und  untere- Theil  derselben.  Behufs  der  Ausführung  der 
Operation  umfasst  der  Wundarzt  das  Scrotum  mit  der  linken  Hand  so, 
dass  er  es  seitlich  zusammendrückt ,  und  zwar  um  dadurch  die  vordere 
Wand  vom  Samenstrange  zu  entfernen.  Mit  der  vollen  rechten  Hand 
fasst  er  einen  beölten  dünnen  Troicart ,  legt  den  Zeigefinger  an  die  Ka- 
nüle, so  dass  er  6  — 10  Linien  von  der  Spize  entfernt  ist,  und  sticht  ihn 
an  einer  Stelle,  wo  keine  ausgedehnte  Vene  liegt,  rasch  etwas  schief  von 
oben  durch ,  bis  das  Aufhören  des  Widerstandes  zeigt ,  dass  er  in  die 
Wasserhöhle  eingedrungen  ist.  Man  zieht  hierauf  das  Stilet  aus,  schiebt 
die  Kanüle  etwas  tiefer  in  die  Scheidenhaut  hinein  und  hält  sie  dann  un- 
verrückt, damit  nicht  während  des  Abfliessens  des  Wassers  die  zusammen- 
fallende Scheidenhaut  sich  von  ihr  losstreife.  Ist  die  Wasseransammlung 
sehr  gross ,  so  unterbricht  man  von  Zeit  zu  Zeit  den  Abfluss  ,  damit  der 
Hode  nicht  zu  schnell  vom  Drucke  befreit  und  somit  ein  schneller  An- 
drang vom  Blute  vermieden  werde.  Stockt  der  Abfluss,  so  führt  man  eine 
Sonde  durch  die  Röhre  ;  ist  aber  der  Inhalt  zu  dick ,  um  abzufliessen,  ist 
er  in  Zellen  oder  in  Hydatiden  enthalten,  so  zieht  man  die  Röhre  aus  und 
geht,  wenn  es  die  Umstände  nicht  verbieten,  zur  Radicaloperation  über. 
Nach  geschehener  Entleerung  verschliesst  man  die  Oeffnung  der  Röhre 
mit  dem  Finger,  zieht  diese  aus,  indem  man  neben  ihr  die  Haut  zurück- 
hält ,  bedeckt  die  Stichöffnung  mit  einem  Klebepflaster  und  legt  einen 
Tragbeutel  an.  —  Operirt  man  mit  der  Lancette,  so  sticht  man  diese  mit 
auf-  und  abwärts  gerichteter  Schneide  bis  in  die  Höhle  der  Scheidenhaut 


HYDROCELE.  461 

und  erweitert  im  Herausziehen  die  Oeffnung  noch  etwas.  Während  des 
Wasserabflusses  muss  das  Scrotum  gut  unterstüzt  werden  ,  damit  sich  die 
Haut  nicht  verschiebt  und  das  Wasser  nach  aussen  zu  fliessen  verhindert. 
Geschieht  dies  dennoch,  so  muss  man  durch  Einführung  einer  Sonde  den 
Ausfluss  wieder  herstellen.  —  Die  Punktionsöffnung  schliesst  sich  ge- 
wöhnlich schnell  ;  entsteht  Entzündung,  so  fordert  diese  zertheilende  Um- 
schläge und  Blutegel ,  und  wenn  sie  ihren  Grund  in  Infiltration  des  Was- 
sers ins  Zellgewebe  des  Hodensaeks  hat ,  Incisionen.  Bildet  sich  Eiter- 
ansammlung, so  ist  eine  zeitige  Eröffnung  am  Plaze.  Ist  ein  bedeutendes 
Blutgefäss ,  wohl  selbst  die  Samenschlagader  verlezt ,  was  sich  durch 
schnelle  Bildung  einer  Geschwulst  kund  gibt,  so  lässt  man  anhaltend  kalte 
Umschläge  machen,  oder  unterbindet  das  blutende  Gefäss.  Nach  Dief- 
fenbach  soll  man  das  Scrotum  mit  Pflasterstreifen  umwickeln  und  dar- 
über kalte  Umschläge  machen.  —  Die  Radicalkur  der  Hydrocele  kann 
auf  doppelte  Art  bewirkt  werden  ;  entweder  durch  Erhöhung  der  Resorp- 
tionsthätigkeit ,  Verminderung  der  Exhalation  und  Zusammenziehung  der 
Scheidenhaut ,  so  dass  die  Höhle  derselben  erhalten  wird  oder  durch  Er- 
regung eines  solchen  Entzündungsgrades,  dass  Verwachsung  der  Scheiden- 
haut in  sich  selbst  und  mit  der  Albuginea  des  Hodens  entsteht.  —  Der 
erste  Zweck  (Zertheilung  der  Hydrocele)  wird  in  der  Regel  nur  bei  Kin- 
dern erreicht  und  zwar  empfiehlt  man  gelind  reizende  Ueberschläge  von 
Essig,  Salmiak  in  Essig  gelöst,  von  Weingeist,  z.  B.  Rp.  Pulv.  am- 
m  o  n.  muriat.  5j,  A  c  e  t  i ,  S  p  i  r  i  t.  v  i  n  i  r  e  c  t.  ana  ^iv.  M.  S.  Drei 
Mal  täglich  mit  Leinwand  überzuschlagen  ;  oder  :  R  p.  P  u  1  v.  a  m  m  o  n. 
muriat.  ^ß,  A  q.  fluviatil.  ^x,  Acet.  squillae  ^ij.  M.  S.  Lau- 
warm überzuschlagen;  ferner  von  Arnicatinktur ,  Jodtinktur,  z.  B.  Rp. 
Tin  ct.  j  o  d  inae  5i — ij,  A  q.  d  es  t  i  11.  ^j.  D.S.  Zu  Ueberschlägen  ; 
nüzlich  erweisen  sich  auch  Abkochungen  der  Damascenerrose  in  rothem 
Wein,  Eichenrindendecoct,  Alaunlösung,  spirituöse  Waschungen,  Räuche- 
rungen mit  Essig,  Bernstein,  Campher,  Zinnober.  Zur  Anspornung  der 
Resorption  lässt  man  enge  Suspensorien  tragen  und  unterhält  Blasen- 
pflaster und  künstliche  Geschwüre  auf  der  Geschwulst ,  Fontanellen  am 
Schenkel  und  gibt  dabei  wiederholte  Brech-  und  Purgirmittel.  Kinder- 
w  o  o  d  eröffnet  die  Geschwulst  mit  einer  breiten  Lancette,  und  zieht  nach 
Entleerung  des  Wassers  ein  Stück  der  Scheidenhaut  vor ,  welches  er  mit 
der  Scheere  abschneidet ;  dadurch  soll  ein  gelinder  Grad  von  Entzündung 
hervorgerufen  werden,  welcher  gerade  hinreicht,  um  die  exhalirenden  und 
resorbirenden  Gefässe  zum  natürlichen  Zustand  zurückzuführen  und  so 
die  Heilung  ohne  Verwachsung  zu  bewirken.  Bei  verdickter  Scheiden- 
haut ist  dieses  Verfahren  nicht  anwendbar.  Baschwitz  wendet  nach 
der  Punktion  eine  Compression  mit  Pflasterstreifen  wie  bei  der  Hoden- 
entzündung an.  Mutski  u.  A.  empfehlen  die  Acupunktur.  —  Die 
zweite  Art,  die  Hydrocele  radical  zu  heilen ,  kann  auf  verschiedene  Weise 
ins   Werk   gesezt  werden,   nämlich  1)  durch  den  Schnitt,    2)   durch   die 


462  HYDROCELE. 

Ausschneidung  der  Scheidenhaut,  3)  durch  Einsprizungen,  4)  durch  das 
Haarseil,  5)  durch  das  Aezmittel  und  6)  durch  die  Wieke.  —  Bei  der 
Operation  durch  den  Schnitt  (Incision)  fasst  der  Operateur  das 
Scrotum  des  liegenden  Kranken  mit  der  linken  Hand  und  comprimirt  es 
seitlich.  Hierauf  sticht  er  auf  der  grössten  Höhe  der  Geschwulst  ein 
spiziges  Bistouri  senkrecht  mit  gegen  den  Stamm  gekehrter  Schneide  ein, 
bis  dasselbe  in  die  Scheidenhaut  eingedrungen  ist,  was  man  an  dem  Auf- 
hören des  Widerstandes  erkennt ,  und  macht  dann  rasch  durch  Senken 
des  Hefts  und  Vorschieben  des  Instruments  einen  Schnitt,  der  mindestens 
so  gross  sein  muss,  dass  man  mit  dem  Zeigefinger  der  linken  Hand  leicht 
einbringen  kann.  Dieser  erste  Schnitt  kann  auch  nach  vorheriger  Bil- 
dung und  Einschneidung  einer  Hautfalte ,  wenn  sich  die  Haut  erheben 
lässt ,  gemacht  werden.  Während  dieser  Eröffnung  der  Scheidenhaut- 
höhle  muss  der  Druck  der  linken  Hand  etwas  nachlassen ,  damit  die 
Flüssigkeit  nicht  zu  schnell  ausströmt ,  wodurch  der  Samenstrang  einer 
Verlezung  ausgesezt  würde.  Auf  dein  eingeführten  Zeigefinger  wird  der 
Schnitt  mit  einem  Knopfbistouri  oder  einer  Kniescheere  nach  auf-  und 
abwärts  so  erweitert,  dass  die  vordere  Wand  der  Scheidenhaut  ihrer  gan- 
zen Länge  nach  gespalten  ist.  Sollte  der  Hoden  vorfallen ,  was  gesche- 
hen kann,  wenn  man  den  Schnitt  zu  weit  nach  unten  verlängert,  so  repo- 
nirt  man  ihn  mit  Schonung.  Findet  man  ihn  entartet ,  so  wird  die  Ca- 
ssation vorgenommen;  Hydatiden  fasst  man  mit  derPincette  und  schnei- 
det sie  mit  der  Scheere  weg.  Findet  man  die  Scheidenhaut  bedeutend 
verdickt,  so  muss  ein  Streifen  derselben  an  einem  Wundrande  mittels  der 
Hohlscheere  abgetragen  werden,  damit  die  WTundränder  sich  nicht  anein- 
ander legen  können.  —  Nach  gestillter  Blutung  lässt  man  einen  Gehülfen 
beide  Zeigefinger  hakenförmig  in  die  beiden  Wundwinkel  bringen  und  so 
die  Höhle  der  Scheidenhaut  zugängig  machen;  dann  legt  man  in  diese  ein 
in  Oel  getauchtes  Leinwandläppchen  so  ein ,  dass  es  den  Hoden  umgibt 
und  seine  Ränder  nach  aussen  vorstehen.  Bei  jungen ,  reizbaren  Indivi- 
duen und  nicht  verdickter  Scheidenhaut  genügt  dies  meistens ;  in  den 
entgegengesezten  Fällen  muss  die  von  dem  Läppchen  gebildete  Höhle  mit 
in  Oel  getauchten  Charpiebäuschchen  ausgefüllt,  darüber  weiche  Charpie 
gelegt  und  die  Hautränder  mit  Heftpflasterstreifen  einander  genähert  wer- 
den. Durch  untergelegte  Compressen  unterstüzt  man  das  Scrotum  so, 
dass  es  nicht  herabhängt.  —  Die  Nachbehandlung  richtet  sich  nach  dem 
Grade  der  sich  einstellenden  Entzündung.  Wird  sie  zu  heftig,  so  wendet 
man  kalte  Umschläge,  Blutegel  etc.  an,  macht  den  Verband  lockerer  und 
entfernt  die  etwa  eingelegte  Charpie.  Mit  der  eintretenden  Eiterung 
nimmt  man  von  dem  Verbände  weg,  was  vom  Eiter  gelöst  ist,  und  ersezt 
es  durch  neues  ;  am  7. — 9.  Tage  pflegt  sich  das  Läppchen  zu  lösen,  wel- 
ches man  dann  wegnimmt  und  nun  den  Verband  täglich  auf  die  frühere 
Weise ,  aber  ohne  Läppchen  bestellt.  In  dem  Verhältnisse ,  wie  sich  die 
Höhle  zwischen  Scheidenhaut  und  Hoden  mit  Granulationen  anfüllt,  füllt 


HYDROCELE.  463 


■-■> 


man  sie  weniger  mit  Charpiewieken  aus.  Entsteht  eine  Eiteransammlun 
welche  man  durch  Einführen  von  Charpiewieken  in  den  Grund  der  Höhle 
verhüten  kann ,  so  verschaffe  man  dem  Eiter  durch  blutige  Dilatation  der 
Wunde  Abfluss.      Die  Heilung  kommt  binnen  4  —  6  Wochen  zu  Stande. 

—  Dielncision  ist  nebst  derlnjection  die  am  häufigsten  geübte  Methode. 

—  Bei  der  E  x  c  i  s  i  o  n  der  Scheidenhaut  wird  verfahren  ,  wie  beim 
Schnitte;  nachdem  die  Scheidenhaut  geöffnet  ist,  wird  diese  hervorgezo- 
gen und  in  ihrem  ganzen  Umfange  ausgeschnitten.  Der  Verband  und  die 
Nachbehandlung  ist  wie  bei  der  Incision.  Textor  heilt  die  Wunde 
durch  schnelle  Vereinigung.  —  Die  Excision  ist  nur  eine  unnöthige  Coni- 
plication  der  Incisionsmethode  und  deshalb  auch  jezt  verlassen.  —  Die 
Injectionsmethode  ist  ein  Verfahren  der  neuesten  Zeit ,  welches 
nur  bei  einfacher  Hydrocele  anwendbar  ist.  Behufs  ihrer  Ausführung 
wird  die  Punktion  auf  die  oben  angegebene  Weise  mit  dem  Troicart  in's 
Werk  gesezt ,  und  nun  erst  eine  genaue  Untersuchung  des  Hodens  und 
der  Scheidenhaut  vorgenommen ,  um ,  wenn  diese  nicht  gesund  befunden 
werden  ,  von  der  ferneren  Operation  abzustehen.  Sind  jene  Theile  ge- 
sund ,  so  schiebt  man  die  Kanüle  gehörig  tief  ein ,  wobei  man  sich  ver- 
sichert, dass  sie  sich  gewiss  in  der  Scheidenhauthöhle  befindet,  und  sprizt 
nach  Entleerung  des  Serums  mit  einer  genau  in  die  Kanüle  passenden 
Sprize  eine  Flüssigkeit  ein,  deren  Wahl  sich  nach  der  grösseren  oder  ge- 
ringeren Reizbarkeit  des  Kranken  oder  auch  nur  nach  der  des  Wasser- 
sacks richtet.  Diesem  nach  benüzt  man  kaltes  oder  heisses  Wasser,  Was- 
ser und  Wein ,  Weingeist ,  eine  Kali- ,  Alaun-  oder  Höllensteinlösung, 
heissen  Portwein,  Jodtinktur  (3jj  auf  xvj  Wasser),  Aufgüsse  aromatischer 
Kräuter  etc.  Von  der  gewählten  Flüssigkeit  wird  so  viel  eingesprizt,  dass 
die  Geschwulst  fast  ihre  vorige  Grösse  erreicht,  dann  die  Sprize  entfernt, 
die  OefFnung  der  Kanüle  mit  dem  Finger  verschlossen  und  die  Einsprizung 
so  lange  zurückgehalten ,  bis  ein  lebhafter  Schmerz  entsteht,  worauf  man 
die  Flüssigkeit  abfliessen  lässt,  sie  auch  wohl  mit  der  Sprize  auspumpt. 
Bei  unempfindlichen  Subjecten  kann  eine  zweite  und  selbst  eine  dritte 
Einsprizung  noth wendig  werden.  —  Latour  zieht  der  Einsprizung 
einer  Flüssigkeit  das  wiederholte  Einhlasen  von  Cantharidenpulver  vor, 
Deconde  empfiehlt  Chlorgas  zur  Reizung  der  Scheidenhaut.  G i m - 
bernat,  Schreger,  Zang  blasen  nach  gemachter  Punktion  und  nach 
dem  Abflüsse  des  Wassers  zu  wiederholten  Malen  Luft  in  die  Höhle  und 
drücken  diese  nach  10 — 15  Minuten  wieder  aus.  Baudens  hält  die 
gewöhnliche  Operationsmethode  mit  dem  Troicart  für  unzweckmässig,  da 
Verlezung  des  Hodens  und  die  Folgen  davon  entstehen  können.  Er 
macht  zuerst  mit  der  Spize  einer  Lancette  einen  kleinen  Einstich  in  den 
hervorragenden  Punkt  der  Geschwulst  und  lässt  einige  Theelöffel  Flüssig- 
keit auslaufen ,  um  die  Geschwulst  schlaffer  und  dadurch  den  Hoden  für 
die  Untersuchung  zugänglicher  zu  machen.  Lezterer  wird  nun  hinauf- 
geschoben und  beide  Wände  des  Hodensacks  so  aneinander  gebracht ,  als 


464  HYDROCELE. 

ob  man  ein  Haarseil  durch  dasselbe  ziehen  wollte,  worauf  ein  Troicart 
durch  die  Hautfalte  geführt  wird,  dessen  Kanüle  in  der  Mitte  eine  seitliche 
Oeffnung  hat  und  an  beiden  Enden  offen  ist.  Indem  man  jezt  die  Haut- 
falte loslässt,  breitet  sie  sich  auf  der  Kanüle  aus  und  ihre  mittlere  Seiten- 
öffnung tritt  mit  der  Höhlung  der  Scheidenhaut  in  Communikation.  Nach 
Zurückziehung  des  Stilets  fliesst  der  Inhalt  aus  den  offenen  Enden  der 
Kanüle  aus,  durch  welche  Baudens  nun  je  nach  dem  Reizzustande  der 
Scheidenhaut  erst  nur  Luft ,  später  Wasser  und  endlich  eine  schwache 
Lösung  von  Höllenstein  (5/6  Gran  auf  ^iv  Wasser)  einsprizt,  zu  welchem 
Behufe  die  mit  einer  Doke  verschlossene  Kanüle  liegen  bleibt.  —  Nach 
der  Operation  wird  die  Stichöffhung  mit  einem  Heftpflaster  bedeckt  und 
das  Scrotum  mittels  eines  Tragbeutels  unterstüzt.  Am  folgenden  Tage, 
oder  auch  schon  nach  Verlauf  von  einigen  Stunden  gibt  sich  die  ge- 
wünschte Entzündung  durch  Schmerz,  Geschwulst  und  Röthe  zu  erkennen, 
worauf  man  erweichende  Umschläge  macht ,  mittels  deren  man  die  Ent- 
zündung auf  einem  mittleren  Grade  erhält.  Eine  zu  heftige  Entzündung 
erfordert  eine  antiphlogistische  Behandlung.  Hat  sich  die  Injections- 
flüssigkeit  statt  in  die  Scheidenhaut  in's  Scrotum  infiltrirt ,  so  muss  man 
sogleich  bis  auf  die  Infiltration  einschneiden ,  antiphlogistisch  verfahren 
und  Kataplasmen  anwenden.  Die  Einsprizungen  haben  eine  ziemlich 
häufige  Anwendung  gefunden ,  obgleich  sie  oft  ungewiss  wirken ,  da  man 
die  individuelle  Reizbarkeit  nicht  im  Voraus  bestimmen  kann.  —  Das 
Einziehen  des  Haarseils  geschieht,  indem  man  nach  vollzogener 
Punktion  durch  die  Kanüle  des  Troicarts  eine  längere  Röhre  so  tief  ein- 
führt, bis  man  sie  am  obern  vordem  Theil  des  Hodensacks  fühlt,  worauf 
man  eine  spizige  geöhrte  , '  mit  mehreren  Seidenfäden  versehene  Sonde 
durch  die  Röhre  einbringt  und  durch  das  Scrotum  durchstösst.  Indem 
man  nun  die  Sonde  auszieht ,  wird  das  Haarseil  nachgezogen ,  dessen  En- 
den man  hierauf  nach  zurückgezogener  Röhre  lose  zusammenknüpft.  Die 
Stichöffnungen  werden  mit  Heftpflastern  belegt ,  das  Scrotum  in  einen 
Tragbeutel  gelegt,  und  wenn  Eiterung  eingetreten  ist  und  nach  10  — 12 
Tagen  die  Geschwulst  gefallen  ist ,  so  werden  bei  jedem  Verbände  einige 
Fäden  ausgezogen ,  bis  sie  sämmtlich  entfernt  sind  und  die  Höhle  ver- 
wachsen ist.  Holbrook  zieht  mit  einer  gewöhnlichen  Nadel  einen 
Faden  durch  die  in  eine  Falte  gefasste  Scheidenhaut,  welchen  er  am  3. 
Tage  wieder  entfernt.  Onsenoort  bindet  das  Scrotum  nach  und  nach 
durch.  —  Dieses  Verfahren  ist  seiner  Gefährlichkeit  wegen ,  indem  der 
Hode  dabei  leicht  verlezt  wird  und  gern  Eitersenkungen  entstehen,  fast 
ganz  verlassen.  —  Das  Einlegen  einer  Wieke  besteht  in  dem  Ein- 
bringen einer  Charpiewieke  oder  eines  Bougiestückes  in  einen  mit  dem 
Messer ,  Troicart  oder  der  Lancette  in  die  Höhle  der  Scheidenhaut  drin- 
genden Einschnitt.  Dieses  Verfahren  reizt  zu  sehr.  —  Behufs  der 
A  e  z  u  n  g  bringt  man  das  Aezmittel  (Aezstein)  in  einem  Pflasterkorbe 
auf  die  vordere  Seite  der  Geschwulst  und  lässt  es   6 — 8  Stunden  liegen. 


HYDROCELE.  465 

Wenn  der  Schorf  abgefallen  ist ,  so  schneidet  man  die  geäzte  Stelle  ein 
und  bedeckt  sie  nach  geschehener  Entleerung  der  Geschwulst  mit  einem 
Plumasseau.  Dieses  Verfahren  ist  als  zu  reizend  zu  verwerfen.  —  Alle 
die  angeführten  Operationsmethoden  ausser  dem  Schnitte  haben  neben 
den  namhaft  gemachten  Nachtheilen  noch  die  weiteren,  dass  sie  über  den 
eigentlichen  Gesundheitszustand  des  Hoden  im  Dunkeln,  etwaige  Compli- 
cationen  nicht  erkennen  lassen.  Bei  dem  Schnitte  wird  dies  nicht  allein 
vermieden ,  sondern  man  kann  noch ,  wenn  es  für  nothwendig  gefunden 
wird,  gleich  die  Castration  ausführen  und  eine  etwa  bestehende  Hernie 
reponiren.  Dazu  kommt  noch,  dass  der  Schnitt  einen  zur  Heilung  gün- 
stigen Grad  von  Entzündung  erregt. 

2)  Der  angeborne  Wasserbruch  (Hydrocele  conge- 
nita) besteht  in  einer  Ansammlung  von  Wasser  in  der  Höhle  des  Schei- 
denhautkanals ,  welcher  entweder  in  seiner  ganzen  Länge  oder  nur  an 
einzelnen  Stellen  offen  geblieben  ist ,  wodurch  mehrere  Formen  dieses 
Wasserbruches  begründet  werden :  a)  der  Scheidenhautkanal  ist  in  seiner 
ganzen  Ausdehnung  offen  und  mit  Wasser  gefüllt.  Die  dadurch  gebil- 
dete Geschwulst  ist  länglich  rund  und  erstreckt  sich  vom  Bauchringe  bis 
über  den  Hoden  ;  der  von  dem  Wasser  umgebene  Hoden  ist  schwer  zu 
fühlen ,  dagegen  lässt  sich  der  Samenstrang  nach  aussen  hin  längs  der 
hintern  Fläche  der  Geschwulst  deutlich  erkennen.  Da  die  Communika- 
tion  mit  der  Bauchhöhle  offen  ist ,  so  kann  das  W'asser  hin-  und  zurück- 
fliessen,  was  die  Geschwulst  bei  den  verschiedenen  Körperstellungen  bald 
grösser ,  bald  kleiner  erscheinen  lässt.  Diese  Volumsveränderungen  er- 
folgen nicht  immer  mit  gleicher  Leichtigkeit ;  sie  treten  langsamer  ein, 
wenn  der  obere  Theil  des  Scheidenhautkanal^  schon  etwas  verengt  ist ; 
es  wird  hier  oft  ein  fortgesezter  Druck  von  unten  nach  oben  erfordert, 
um  das  Wasser  zurückzudrängen.  Das  Uebel  kann  angeboren,  aber  auch 
erworben  sein,  was  beweist ,  dass  das  Wasser  nicht  allein  aus  der  Bauch- 
höhle in  den  Scheidenfortsaz  fliesst ,  sondern  dieser  Wasseransammlung 
auch  ein  Missverhältniss  zwischen  Secretion  und  Resorption  auf  der  in- 
nern  Fläche  des  Scheidenkanals  zu  Grunde  liegt.  Die  Krankheit  ver- 
schwindet bei  kleinen  Kindern  häufig  von  selbst.  Nicht  selten  ist  mit 
derselben  ein  gleichzeitiges  Hervortreten  eines  Darm-  oderNezstücks  ver- 
bunden. —  Viquerin  empfiehlt  die  Zurückbringung  des  Wassers  in 
die  Bauchhöhle  und  Anlegung  eines  Bruchbandes,  wobei  durch  Verwach- 
sung des  Scheidenkanals  Heilung  erfolgt.  —  b)  Der  Scheidenhautkanal 
verwächst  über  dem  Hoden ,  bleibt  aber  von  da  an  bis  in  die  Bauchhöhle 
offen.  Die  Geschwulst ,  welche  hier  gebildet  wird ,  ist  blasenartig  und 
erstreckt  sich  selbst  durch  den  Bauchring  hinein.  Die  Behandlung  ist 
dieselbe,  wie  im  vorigen  Falle.  A.  Wernher  führte  bei  einem  Knaben 
zwei  Insectennadeln  durch  eine  gebildete  Falte  und  umwickelte  jene  lose 
mit  Achtertouren.  Bei  einem  Erwachsenen  durchschnitt  er  den  Schei- 
denhautkanal subcutan.  —  c)  Der  Scheidenhautkanal  ist  im  Bauchring 
Burger,  Chirurgie.  0\) 


466  HYDROCELE. 

geschlossen ,  der  übrige  Theil  aber  offen.  In  diesem  Falle  erstreckt 
sich  die  Wassergeschwulst  bis  in  den  Grund  des  Hodensacks  und  das 
Wasser  kann  nicht  in  den  Unterleib  gedrückt  werden.  —  Die  Behand- 
lung besteht  in  der  Anwendung  der  oben  angegebenen  zertheilenden 
Mittel.  Wird  dadurch  die  Heilung  nicht  bewirkt,  so  kann  man  die  Acu- 
punktur  versuchen ,  oder  man  bläst  nach  vorgängiger  Punktion  Luft  ein 
oder  macht  die  Incision.  —  d)  Der  Scheidenhautkanal  ist  von  oben  und 
unten  obliterirt.  Indem  sich  das  Wasser  in  dem  offen  gebliebenen  Theile 
desselben  ansammelt,  wird  eine  abgeschlossene,  längliche,  oben  schmälere, 
unten  breitere  Geschwulst  gebildet ,  deren  Inhalt  sich  durch  Druck  nicht 
entfernen  lässt.  Die  Behandlung  ist  dieselbe  ,  wie  im  vorigen  Falle.  — 
Ist  eine  Hydrocele  mit  einem  Bruche  verbunden,  in  welchem  Falle  sich 
das  Wasser  im  Bruchsacke  befindet,  so-  tritt  gewöhnlich  die  Hydrocele  zu 
einer  schon  vorher  bestehenden  (angebornen  oder  zufälligen)  Hernie ; 
selten  findet  das  umgekehrte  Verhältniss  statt.  In  den  meisten  Fällen 
ist  die  mit  einer  Hydrocele  verbundene  Hernie  eine  mit  Verwachsungen 
verbundene,  und  es  ist  die  abnorme  Secretion  aus  der  innern  Fläche  des 
Bruchsacks  Folge  der  Entzündung  selbst,  welche  die  Verwachsung  be- 
dingt. Die  Ursachen  dieser  Entzündung  können  sein :  ein  unzweckmäs- 
siges Bruchband,  Erkältungen,  äussere  Gewalttätigkeiten,  Einklemmung 
des  Bruchs.  Dabei  findet  man  das  Wasser  bald  nur  im  Grunde  des 
Bruchsacks ,  in  welchem  Falle  die  Geschwulst  eine  mehr  kegelförmige 
Gestalt  zeigt  und  der  Hoden  nicht  gut  zu  fühlen  ist ;  bald  begrenzt  sich 
die  Geschwulst  am  Hoden  (bei  angeborner  Hernie  oder  Hydrocele) ,  der 
am  untern  und  hintern  Theile  derselben  fühlbar  ist  ;  andere  Male  neh- 
men die  vorgefallenen  Eingeweide  den  Bruchsack  ganz  ein  und  das  Was- 
ser umfliesst  nur  ihre  äussere  Oberfläche  und  ihre  Zwischenräume ,  wo 
dann  die  Geschwulst  sich  mehr  oval  darstellt ;  es  kann  endlich  ein  kleines 
Darm-  oder  Nezstück  an  der  Bruchpforte  liegen  und  das  Wasser  den 
Scheidenkanal  ausfüllen.  Die  Diagnose  einer  mit  einem  Bruche  com- 
plicirten  Hydrocele  ist  nicht  selten  mit  Schwierigkeiten  verbunden ,  doch 
wird  die  Anwesenheit  von  Wasser  sich  durch  das  elastische ,  zuweilen 
deutlich  fluctuirende  Gefühl  oft  wohl  von,  dem  prallen ,  teigigen  des 
Bruchs  unterscheiden  lassen.  Bei  einer  reponiblen  Hernie  bleibt  nach 
ihrer  Reposition  noch  eine  Völle  im  Grunde  des  Bruchsacks  zurück.  Bei 
länger  fortgesezter  horizontaler  Lage  kann  sich  das  Volumen  der  Ge- 
schwulst verringern,  indem  ein  Theil  des  Wassers  in  die  Bauchhöhle  zu- 
rücktritt, während  es  sich  bei  fortgeseztem  Stehen  durch  das  Wiederher- 
vortreten des  Wassers  vergrössert.  Die  Behandlung  ist  verschieden, 
je  nachdem  die  Hernie  beweglich  oder  angewachsen  ist.  Eine  beweg- 
liche Hernie  reponirt  man  nach  gemachtem  Hautschnitte,  worauf  man  den 
Bruchsack  öffnet  und ,  während  der  Bruch  durch  ein  Bruchband  zurück- 
gehalten wird ,  durch  eine  der  oben  angegebenen  Methoden ,  am  besten 
durch  Einlegen  von  Charpiewieken ,   den  Sack  zur  Verwachsung  bringt. 


HAEMATOCELE.  467 

Ist  der  Bruch  irreponibel,  so  muss  man  die  Scheidenhaut,  wie  beim  Bruch- 
schnitte den  Bruchsack ,  öffnen ,  um  nicht  innenliegende  Eingeweide  zu 
verlezen.  Ist  die  Hernie  eingeklemmt ,  so  löst  man  wie  beim  Bruch- 
schnitte die  Einklemmung;  findet  sich  eine  geringe  Adhärenz  der  Hernie, 
so  trennt  man  diese  und  bewirkt  die  Reposition ,  worauf  man  den  Sack 
zur  Verwachsung  bringt ;  ist  die  Verwachsung  eine  feste  und  bedeutende, 
so  beschränkt  man  sich  auf  eine  palliative  Hülfe  (Tragen  eines  Suspen- 
soriums). 

3)  Wassergeschwulst  der  allgemeinen  Scheiden- 
haut (Hydroeele  tun icae  vaginalis  communis).  Diese  be- 
steht entweder  in  einer  ödematösen  Anschwellung  des  Zellgewebes ,  wel- 
ches den  Samenstrang  umgibt  oder  in  einer  Ansammlung  von  Wasser  in 
einer  oder  mehreren  Zellen  des  Samenstrangs,  oder  endlich  in  Hydatiden. 
Im  ersten  Falle  entsteht  eine  Geschwulst,  welche  längs  des  Samenstrangs 
verläuft ,  unten  breiter  als  oben  und  unschmerzhaft  ist.  Ein  Druck  ver- 
mindert ihren  Umfang,  wenn  dieser  aber  aufhört,  kehrt  sie  sogleich  wie- 
der. Unterhalb  der  Anschwellung  unterscheidet  man  den  Hoden  deut- 
lich. Besteht  diese  Geschwulst  innerhalb  des  Bauchrings,  so  wird  dieser 
ausgedehnt.  —  Dieses  Leiden  kann  mit  einer  varicösen  x4jischwellung  des 
Samenstrangs  und  besonders  mit  einem  Nezbruche  verwechselt  werden. 
Von  lezterem  unterscheidet  es  sich  durch  die  geringere  Consistenz ,  eine 
weniger  unregelmässige  Oberfläche  und  eine  breitere  Basis.  —  Im  An- 
fang genügt  das  Tragen  eines  Suspensoriums  ;  verursacht  das  Uebel  Be- 
schwerde, so  öffnet  man  unter  Schonung  der  Samenstranggefässe  die  Ge- 
schwulst durch  einen  Schnitt ,  legt  Charpie  in  die  Wunde  und  lässt  diese 
durch  Granulation  heilen.  —  Die  Wasseransammlung  in  einer 
oder  mehrer  e.n  Cysten  (Hydroeele  cystica)  hat  meistens  ihren 
Siz  in  der  Mitte  des  Samenstrangs.  Die  Geschwulst,  welche  sie  bildet, 
ist  sehr  gespannt ,  umschrieben  ,  unschmerzhaft  und  undurchsichtig.  Sie 
kann  nicht  verkleinert  werden.  Den  Hoden  und  Samenstrang  fühlt  man 
deutlich.  —  Bei  jugendlichen  Personen  gelingt  ihre  Zertheilung  nicht 
selten  durch  die  oben  bei  der  Palliativkur  angegebenen  Mittel ;  wo  nicht, 
so  kann  man  die  Acupunktur  versuchen ,  oder  man  legt  die  Cyste  durch 
einen  Schnitt  bloss  ,  öffnet  sie ,  nimmt  von  ihr  weg ,  so  viel  angeht ,  und 
heilt  die  Wunde  durch  Granulation. 

Hämatocele,  Blutbruch.  Wie  bei  der  Hydroeele  Wasser,  so 
findet  sich  hier  Blut  in  die  verschiedenen  Bedeckungen  des  Hodens  ergos- 
sen. Die  dadurch  gebildete  Geschwulst  gleicht  auch  im  Allgemeinen  der 
Hydroeele,  nur  unterscheidet  sie  sich  von  derselben  durch  ihre  constante 
Undurchsichtigkeit ,  Schwere  und  Festigkeit ,  und  wird  anfänglich  durch 
jede  Bewegung  vergrössert.  Sie  ist  beim  Beginn  weich,  fluetuirend, 
wird  aber  bald  teigig,  fester,  Druck  verursacht  mehr  oder  minder  Schmerz, 
mit  dem  Bauchringe  steht  sie  in  keiner  Verbindung  und  sie  verkleinert 
sich  weder  durch  horizontale  Lage   noch   durch   äussern  Druck.    -^  Der 

30* 


468  HAEMATOCELE. 

Erguss  kann  seinen  Siz  in  dem  Zellgewebe  des  Hodensaeks  ,  in  der  T  u  - 
nica  vaginalis  funiculi  spermatici  und  t  e  s  t  i  s  oder  endlich 
in  dem  Parenchym  des  Hodens  selbst  haben.  1)  Hämatocele  der 
Zellhaut  (Haematocele  oedematosa,  cellularis).  Diese 
Form  ist  nichts  weiter  als  eine  Ecchymose ,  wo  sich  nach  einer  äussern 
Gewalt,  durch  welche  Gefässe  zerrissen  sind,  das  Blut  in  das  Zellgewebe 
des  Hodensacks  ergiesst.  Dieser  schwillt  dabei  je  nach  der  Menge  des 
ergossenen  Blutes  an  und  stellt  eine  gleichmässige ,  glatte ,  glänzende, 
gespannte  ,  schmerzlose  ,  rothe  ,  violette  ,  zuweilen  marmorirte  Geschwulst 
dar.  2)  Hämatocele  durch  Bluterguss  in  die  Scheiden- 
haut des  Samenstrangs  oder  des  Hodens  (Haematocele 
cystica  s.  vaginalis).  Ist  das  Blut  nur  in  der  Scheidenhaut  des 
Samenstrangs  eingeschlossen ,  so  ist  der  untere  Theil  des  Scrotum ,  in 
welchem  man  den  Hoden  deutlich  fühlt ,  nicht  ausgedehnt ,  dagegen  er- 
streckt sich  die  Ausdehnung  bis  zum  Leistenring ;  wenn  sich  aber  das 
Extravasat  blos  auf  die  Höhle  der  Tu  nica  vaginalis  erstreckt ,  so 
erfolgt  dfe  Anschwellung  von  unten  herauf  und  man  kann  den  Samen- 
strang deutlich  fühlen.  Der  Hoden  selbst  befindet  sich  an  der  hintern 
untern  Seite  des  Hodensacks  ,  wo  er  sich  beim  Drucke  mit  dem  Finger 
durch  den  eigenthümlichen  Schmerz  zu  erkennen  gibt.  —  3)  Bluter- 
giessung  in  die  Substanz  des  Hodens  (Haematocele  va- 
r  i  c  o  s  a).  Der  Hoden  ist  weich  ,  geschwollen  ,  schmerzlos  ,  oder  auch 
hart  und  sehr  empfindlich  beim  Drucke.  Das  leztere  ist  der  Fall ,  wenn 
eine  mechanische  Verlezung  vorausgegangen  und  eine  entzündliche  Rei- 
zung vorhanden  ist,  das  erstere  dagegen,  wenn  andere  Ursachen  die  Auf- 
lösung der  gefässreichen  Substanz  bedingen.  —  Ursachen.  Der  Hä- 
matocele der  Zellhaut  liegen  gewöhnlich  äussere  Gewalttätigkeiten, 
Quetschung  des  Hodensacks  etc.  zu  Grunde  ;  die  Hämatocele  der  Schei- 
denhaut entsteht  fast  immer  entweder  durch  Verlezung  eines  Gef  ässes 
bei  der  Operation  des  Wasserbruchs  oder  in  Folge  von  Zerreissung  an- 
geschwollener Gefässe.  Im  ersten  Falle  ist  sie  leicht  zu  erkennen,  indem 
sich  die  Scheidenhaut  nach  Ausleerung  des  Wassers  sogleich  wieder  füllt, 
auch  Blut  durch  die  Wunde  ausfliesst.  Schwerer  ist  die  zweite  Art  von 
Blutbruch  zu  erkennen  und  oft  nicht  von  einem  Wasserbruche  zu  unter- 
scheiden; indessen  entsteht  er  in  der  Regel  schneller  als  dieser  und  ist 
undurchsichtig.  In  Betreff  der  Art  der  Entstehung  dieser  lezten  Form 
ist  zu  bemerken ,  dass  die  Zerreissung  varicöser  Gefässe  entweder  die 
Folge  von  Quetschung  sein  oder  aber  erfolgen  kann ,  wenn  die  Gefässe 
bei  der  raschen  Entleerung  des  Wassers  bei  der  Punktion  des  Wasser- 
bruchs plözlich  von  ihrem  gewohnten  Drucke  befreit  werden.  Eine  dritte 
Art  von  Blutbruch  bildet  sich  spontan ,  langsam  ,  ohne  äussere  Gewalt- 
tätigkeit, durch  Durchschwizen  von  Blut,  besonders  bei  Greisen;  diese 
ist  nicht  von  der  Hydro cele  zu  unterscheiden  und  wird  erst  bei  der  Ope- 
ration erkannt.  —  Prognose.   Die  Hämatocele,  welche  ihre  Entstehung 


HYPERAEMIE.  469 

einer  äussern  Einwirkung  verdankt ,  kann ,  besonders  wenn  sie  noch  neu 
ist,  meistens  zur  Resorption  gebracht  werden.  Schlimm  ist  die  Prognose, 
wenn  der  Bluterguss  die  Folge  einer  adynamischen  Krankheit  ist ,  da 
leicht  Brand  und  der  Tod  erfolgen  kann.  —  Behandlung.  Die  Hä- 
matocele  der  Zellhaut  lässt  sich  gewöhnlich  unter  Anwendung  einer  anti- 
phlogistischen Behandlung ,  durch  kalte  Umschläge ,  bei  gleichzeitiger 
Unterstüzung  des  Hodens  durch  einen  Tragbeutel  und  ruhigem  Verhalten 
zertheilen.  Gelingt  dies  nicht ,  wird  die  Geschwulst  immer  bedeutender, 
so  entleert  man  das  Blut  durch  mehrere  ,  gehörig  tiefe  Incisionen  und 
macht  zertheilende  Umschläge.  Bei  der  Blutansammlung  in  der  Schei- 
denhaut des  Samenstrangs  oder  des  Hodens  kann  man  kalte  resolvirende 
Umschläge  versuchen,  wenn  sie  aber  nicht  bald  helfen,  so  muss  die  Schei- 
denhaut geöffnet,  das  Blut  entleert,  ein  etwa  verleztes  Gef  äss  unterbunden 
werden;  ist  bei  einer  Blutung  des  Samenstrangs  das  blutende  Gef  äss 
nicht  zu  fassen  und  ist  die  Blutung  sehr  stark,  so  kann  eine  totale  Unter- 
bindung des  Samenstrangs  und  selbst  die  Castration  nöthig  werden.  Bei 
der  Blutergiessung  in  die  Substanz  des  Hodens  verfährt  man,  wenn  sie 
die  Folge  äusserer  Gewaltthätigkeiten  ist,  antiphlogistisch,  zertheilend, 
und  gelangt  man  hierdurch  nicht  zum  Ziele ,  so  ist  die  Castration  ange- 
zeigt. Diese  wird  auch  meistens  bei  der  spontanen  Blutergiessung 
nöthig,  aber  erst,  wenn  gefährliche  Zufälle  eintreten. 

Hygroma,  s.  Schleimbeutelwassersucht. 

Hyperämie ,  Hyperaemia  (von  vtcsq ,  über,  übermässig  und 
ai/Lia,  das  Blut).  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man  jede  übermässige  An- 
f  üllung  der  Haargef  ässe  eines  Organs  oder  Gewebes  mit  Blut,  womit  eine 
Erweiterung  der  Gefässe  und  in  Folge  davon  eine  Verminderung  in  der 
Schnelligkeit  des  Blutlaufs  verbunden  ist.  Dieser  Zustand,  welcher  sonst 
den  Namen  Congestion  führte ,  ist  noch  kein  krankhafter ,  denn  alle 
Organe  scheinen  zur  Zeit  ihrer  grössten  Wirksamkeit  in  einer  grösseren 
Anf  üllung  sich  zu  befinden  ,  so  die  Verdauungs-  und  Geschlechtsorgane 
etc.  ;  er  kann  aber  durch  Steigerung  in  Stasis  und  wirkliche  Entzündung 
übergehen.  —  Der  hyperämische  Zustand  gibt  sich  durch  erhöhte  Röthe, 
vermehrte  Wärme ,  ein  Gefühl  von  Schwere  in  dem  ergriffenen  Theile  zu 
erkennen ;  Geschwulst  ist  nie  bedeutend ;  Funktionsstörungen  finden  nicht 
statt.  — !  Man  unterscheidet  eine  active ,  eine  passive  und  eine  mechani- 
sche Hyperämie.  —  Ursachen.  Hyperämie  wird  verursacht  durch  ver- 
mehrten oder  verminderten  Luftdruck,  gesteigerte  oder  verminderte  Herz- 
thätigkeit ,  vermehrten  oder  verminderten  Luftdruck ,  durch  örtliche  Rei- 
zung eines  Organs.  In  Folge  dieser  Einwirkungen  wird  eine  Erregung 
der  sensitiven  Nerven  und  damit  eine  antagonistische  Lähmung  der  Ge- 
f  ässnerven  gesezt ,  oder  nach  einer  andern  Auslegung  eine  gesteigerte 
Anziehung  des  Blutes  ,  eine  gesteigerte  Verwandtschaft  des  Parenchyms 
zum  Blute  herbeigeführt.      So  sieht  man  in  Folge  der  Verminderung  des 


470  HYPERAEMIE. 

äussern  Luftdrucks  beim  Schröpfen  Hyperämie  entstehen.  In  Folge  ver- 
mehrter Herzthätigkeit  entsteht  Hyperämie  in  den  Venen  und  Haarge- 
f  ässen  weicher  Organe ,  in  welchen  sich  diese  mehr  ausdehnen  können, 
als  in  festeren.  Im  hohen  Alter ,  nach  langem  Säugen  etc.  ist  die  Ener- 
gie des  Herzstosses  vermindert ;  hier  bildet  sich  gern  Hyperämie  in  den 
weichen  Organen  ,  indem  sich  das  Blut  in  den  Haargef  ässen  und  Venen 
derselben  anhäuft.  Hyperämie  entsteht  in  den  Fingern,  der  Hand,  wenn 
man  den  Arm  längere  Zeit  abwärts  hängt ,  im  Gesicht ,  wenn  man  den 
Kopf  niedersenkt ;  hier  wird  der  Blutdruck  vermehrt ,  während  der  Stoss 
des  Herzens  derselbe  bleibt.  Innere  organische  Krankheiten  bringen 
oft  Congestionen  gegen  äussere  Organe  hervor ,  indem  sie  die  regelmäs- 
sige Innervation  durch  ihren  Heiz  unterbrechen.  Durch  plözlichen  Ver- 
lust eines  Gliedes  oder  dessen  plözliche  Lähmung,  z.  B.  durch  Verlezun- 
gen  des  Rückenmarkes ,  entstehen  Congestionen  gegen  innere  Organe, 
was  einer  Unregelmässigkeit  in  der  Innervation  zuzuschreiben  ist.  Quet- 
schungen ,  Erschütterungen  haben ,  besonders  in  blutreichen  Organen, 
z.  B.  in  dem  Gehirn,  den  Lungen  nicht  selten  Hyperämie  zur  Folge.  — 
Die  häufigste  Ursache  der  Hyperämie  bildet  gehemmter  Rückfluss  des 
Blutes  durch  die  Venen,  dessen  Grund  in  und  an  den  Venen  selbst,  oder 
in  einem  erkrankten ,  den  Blutlauf  störenden  Organe  liegen  kann.  Die 
leztere  Art  macht  die  mechanische  Hyperämie  aus.  Der  Unter- 
schied zwischen  der  a  c  t  i  v  e  n  und  passiven  Hyperämie  beruht  nur 
auf  dem  Verhalten  der  überfüllten  Capillargefässe.  Activ  ist  die  Hy- 
perämie ,  wenn  diese  Gef  ässe  die  Fähigkeit  behalten  ,  ihren  Inhalt  auszu- 
treiben ,  sobald  die  übermässige  Erregung  aufhört ;  passiv  dagegen  ist 
sie ,  wenn  die  Gef  ässe  durch  Erschlaffung  und  Lähmung ,  so  wie  über- 
haupt Erkrankung  ihrer  Wände  die  Fähigkeit  verloren  haben  ,  sich  auf 
ihr  normales  Volumen  wieder  zusammenzuziehen.  —  Ausgänge.  Der 
gewöhnliche  Ausgang  ist  Zertheilung,  und  es  erfolgt  diese  entweder  plöz- 
lich  oder  langsam,  und  zwar  besonders ,  wenn  die  Ursache  entfernt  wird  ; 
heftige  Hyperämien  verschwinden  oft  unter  dem  Eintritte  von  Blutungen. 
Oefter  wiederkehrende  oder  lange  dauernde  Hyperämien  bedingen  Atro- 
phie des  Organs  durch  Verminderung  oder  völlige  Aufhebung  der  eigent- 
lichen parenchymatösen  Feuchtigkeit  (des  Blastems)  und  der  normalen 
Secretion,  wodurch  der  kranke  Theil  trocken  wird.  Passive  Hyperämien 
leiten  gewöhnlich  asthenische  Entzündungen  ein ,  active  sind  die  Vorläu- 
fer sthenischer  Entzündungen.  —  Prognose.  Hyperämien  haben  an 
sich  keine  Bedeutung,  in  wichtigen  Organen  aber,  wie  im  Gehirn,  können 
sie  durch  Exsudation  gefährlich  werden.  —  Behandlung.  Man  ent- 
fernt die  Ursache ,  wenn  es  möglich  ist ,  beseitigt  daher  den  krankhaften 
übermässigen  Reiz  oder  das  mechanische  Hinderniss ,  und  wo  ein  er- 
schöpfter lähmungsartiger  Zustand  sich  findet ,  zieht  man  Reizmittel  in 
Gebrauch ,  um  den  hyperämisirten  Theil  wieder  zu  dem  normalen  Zu- 
stande zurückzuführen.      Man  bedient  sich  hierzu  der  verschiedenen  me- 


HYPERTROPHIE.  471 

chanischen,  chemischen  oder  specifiisch  -  irritirenden  Mittel ,  die  man  auf 
den  hyperämischen  Theil  selbst  anwendet ,  oder  mittels  deren  man  in 
minder  wichtigen  Organen  Hyperämie  hervorzubringen  sucht ;  solche 
Mittel  sind:  trockene  Schröpf  köpfe ,  Senfpflaster,  Blasenpflaster,  Fonta- 
nellen, Reiben  mit  Schnee,  Ammoniak,  Branntwein,  Umschläge  mit  kaltem 
Wasser ,  Bleiwasser  etc.  Bei  Congestionen  gegen  wichtige  Organe  kön- 
nen allgemeine  und  örtliche  Blutentziehungen  nöthig  werden. 

Hypertrophie,  H/pertrophia  (von  V7T€Q,  über  und Toscpsiv, 

ernähren) ,  Ueber  nährung.  Hierunter  versteht  man  den  Zustand, 
wo  ein  Organ  eine  Massenzunahme  erfährt,  ohne  dass  dabei  eine  wesent- 
liche Structurveränderung  stattfindet.  Meistens  ist  mit  dieser  Massen- 
zunahme eine  Gewichts-  und  Volumszunahme ,  oder  statt  lezterer  eine 
Verdichtung  des  Gewebes  verbunden.  Die  Uebernährung  beschränkt 
sich  entweder  nur  auf  einen  Theil  eines  Organs  (partielle  Hyper- 
trophie), oder  sie  ist  über  das  ganze  Organ  ausgedehnt  (totale  Hy- 
pertrophie). In  hohlen  Organen  kann  die  Höhle  von  der  Hypertro- 
phie unberührt  bleiben  (einfache  H.) ,  oder  sie  wird  vergrössert  (ex- 
centrische  H.),  oder  sie  erleidet  eine  Verengerung  (concentrische 
H.).  - —  Die  Massenzunahme  eines  Organs  wird  nicht  durch  eine  Ver- 
grosserung  der  einzelnen  Gewebeelemente  bedingt ,  sondern  durch  eine 
Vermehrung  derselben.  Ein  hypertrophirtes  Organ  zeigt  fast  immer  einen 
vermehrten  Blutgehalt;  ob  sich  neue  Gefässe  in  einem  solchen  bilden, 
ist  noch  nicht  ausgemacht ;  die  schon  vorhandenen  findet  man  bisweilen 
erweitert  und  verdickt.  Die  Hypertrophie  zeigt  sich  vorzugsweise  im 
Zell-  und  Fettgewebe ,  den  Knochen ,  der  äussern  Haut  und  der  Schleim- 
haut. —  Die  nächste  Ursache  der  Uebernährung  ist  in  einer  übermäs- 
sigen interstitiellen  Anhäufung  von  BildungsstofF  zu  suchen,  der  sich  ent- 
sprechend dem  umgebenden  Gewebe  organisirt.  Eine  solche  Anhäufung 
kann  geschehen  durch  übermässige  Ausschwizung  von  Blutplasma,  durch 
Bildung  entzündlich  plastischer  Exsudate ,  durch  gehemmte  Resorption 
und  durch  anomale  Blutbeschaffenheit.  Die  vermehrte  Ausschwizung 
von  Blutplasma  wird  vermittelt  durch  wiederholte  oder  andauernde ,  aber 
langsam  entstandene  Blutvermehrung  in  den  Haargef  ässen  des  bestref- 
fenden Organs,  besonders  in  Folge  mechanischer  Hyperämie ,  durch  ver- 
mehrte oder  angestrengte  Thätigkeit  des  Organs ,  besonders  im  Muskel- 
gewebe, sowie  durch  Reizung  der  Gefässnerven.  Die  entzündliche  Hy- 
pertrophie manifestirt  sich  durch  Bildung  von  Bindegewebe  und  Gef  ässen 
in  Folge  von  Entzündungen.  Die  Hypertrophie  nach  gehemmter  Re- 
sorption zeigt  sich  bei  Krankheiten  der  Venen  und  Saugadern ,  wie  Ent- 
zündung dieser,  Varicosität  der  Venen,  Lähmung  der  Saugadern.  Die 
anomale  Blutbeschaffenheit  führt  besonders  Hypertrophie  des  Fett-  und 
Knochengewebes  herbei.  —  Der  hypertrophische  Zustand  kann  durch  die 
Massen-  und  Gewichtszunahme  auf  nebenliegende  Theile   durch  Verdrän- 


472  HYPOSPADIE  UND  EPISPADIE. 

gung  derselben,  Verengerung  von  Höhlen  und  Kanälen,  Beschwerung  etc., 
so  wie  durch  abnorme  Thätigkeitsäusserungen  des  übernährten  Organs 
von  nachtheiligen  Folgen  begleitet  sein.  Er  kann  selbst  bei  wichtigen 
Organen  durch  Unterbrechung  zum  Leben  nothwendiger  Verrichtungen 
den  Tod  zur  Folge  haben.  —  Die  bald  rasch ,  bald  langsam  zu  Stande 
kommende  Hypertrophie  ist  einer  Rückbildung  fähig ;  unter  Umständen 
kann  ein  hypertrophisches  Gebilde  sich  auch  entzünden ,  vereitern ,  ver- 
schwären,  brandig  werden  oder  degeneriren.  —  Die  Behandlung  hat 
die  Aufgabe ,  die  Rückbildung  des  hypertrophischen  Zustandes  herbeizu- 
führen, oder,  wenn  dieser  Versuch  fehlschlägt  und  Umstände  die  Beseiti- 
gung desselben  nothwendig  machen,  diese  auf  mechanischem  Wege  oder 
durch  Bewirkimg  einer  Entzündung  und  Vereiterung  in's  Werk  zu  sezen. 
Behufs  der  Rückbildung  der  Hypertrophie  zieht  man  Mittel  in  Gebrauch, 
welche  dem  Andränge  und  der  Ansammlung  des  Blutes  in  den  Haarge- 
f  ässen  entgegenwirken  und  die  Resorption  anspornen.  Bei  mehr  activer 
Congestion  dienen  die  Anwendung  der  Kälte  ,  wiederholte  örtliche  Blut- 
entziehungen und  die  Einreibung  der  grauen  Salbe ,  bei  passiver  Conge- 
stion ein  methodischer  Druck ,  Bepinselungen  mit  Jodtinktur,  Einreibun- 
gen mit  Jod-  und  Quecksilbersalben.  Bei  weniger  zugänglichen  Organen 
zieht  man  Ableitungsmittel  in  Gebrauch.  Geeignete  innere  Mittel  können 
die  Kur  unterstüzen ,  z.  B.  bei  Hypertrophien  drüsiger  Organe,  wie  der 
Schilddrüse  und  der  Brüste,  die  Anwendung  von  Jodmitteln.  —  Die  me- 
chanische Entfernung  geschieht  je,  nach  der  Beschaffenheit  und  dem  Size 
der  Hypertrophie  mittels  Ausschneiden,  Abbinden,  Wegäzen  etc. :  in  Ent- 
zündung und  Eiterung  versezt  man  das  hypertrophische  Organ  mittels 
Haarseil  u.  dgl. 

HypOSpadie  und  Epispadie,  Hypospadia  et  Epispa- 
dia  (von  vtto,  unter,  iiu,  auf,  und  Cnau),  ich  ziehe,  weil  das  Glied  bei 
dieser  Missbildung  in  dem  ersten  Falle  abwärts,  bei  dem  andern  auf- 
wärts gekrümmt  ist) ,  untere  und  obere  Harnröhrenspalte. 
Unter  Hypospadie  versteht  man  eine  Hemmungsbildung  am  männ- 
lichen Gliede ,  bei  welchem  der  Penis  an  seiner  untern  Fläche  gespalten 
ist ,  während  bei  der  Epispadie  dasselbe  am  Rücken  der  Ruthe  statt 
hat.  Beide  Zustände  kommen  inv  verschiedenen  Graden  vor.  Bei  den 
geringeren  Graden  der  Hypospadie  ist  nur  die  Eichel  gespalten  oder  die 
Oeffnung  der  Harnröhre  befindet  sich  an  der  untern  Seite  der  Eichel  in 
der  Nähe  der  Fossa  navicularis  oder  des  Frenulum ,  wobei  der 
Penis  meistens  etwas  nach  unten  gekrümmt  ist ;  im  höheren  Grade  der 
Missbildung  besteht  eine  Oeffnung  zwischen  der  Wurzel  des  Penis  und 
dem  Hodensacke,  wobei  weder  eine  Rinne  an  der  untern  Seite  des  Penis, 
noch  eine  Oeffnung  an  der  Eichel  bemerkbar  ist ;  im  höchsten  Grade 
besteht  ein  Halbkanal ,  eine  rinnenförmige  Vertiefung  an  der  untern 
Seite  des  Penis,  die  von  der  Spize  der  Eichel  bis  zur  Wurzel  des  Gliedes 


HYPOSPADIE  UND  EPISPADIE.  473 

und  meistens  auch  bis  in  die  Blase  sich  erstreckt ;  die  Spalte  ist  mit 
einer  rechlichen  Schleimhaut  überzogen.  In  sehr  seltenen  Fällen  beste- 
hen gleichzeitig  mehrere  solcher  widernatürlichen  Oeflfhungen  an  der 
untern  Fläche  des  Penis  ;  aus  ihnen  ergiesst  sich  Urin  und  Samen.  Bei 
derEpispadie  findet  man  ebenfalls  mehrere  Grade,  und  zwar  ist  ebenfalls 
nur  die  Eichel ,  oder  die  ganze  Länge  des  Gliedes  gespalten ,  der  Spalt 
erstreckt  sich  in  die  Blase  oder  erscheint  im  höchsten  Grade  als  Inver- 
sio  vesicae;  das  Glied  ist  nach  oben  gekrümmt.  Die  mit  diesem 
Bildungsfehler  Behafteten  werden  Halbverschnittene,  Hypo- 
s  p  a  d  i  a  e  i  und  Epispadiaei  genannt.  —  Von  grosser  Wichtigkeit 
sind  diese  Hamröhrenspalten  besonders  in  gerichtlich-medizinischer  Hin- 
sicht. Bei  geringeren  Graden  derselben,  d.  h.  bei  denen,  wo  die  Harn- 
röhrenöffnung in  der  Nähe  der  Eichel  sich  befindet  und  das  Glied  eine 
normale  oder  der  Norm  nahe  kommende  Länge  hat,  findet  Zeugungs- 
fähigkeit statt;  dagegen  sind  die  Hypospadiäen  und  Epispadiäen,  deren 
Harnröhrenöffnung  in  der  Mitte  des  Penis  oder  an  dessen  Wurzel  be- 
findlich ist ,  wohl  begattungsf ähig,  aber  nicht  als  zeugungsfähig  zu  be- 
trachten. —  Die  Heilung  dieser  Zustände  ist  in  der  Regel  mit  vielen 
Schwierigkeiten  verbunden  und  kann  nur  auf  operativem  Wege  zu  Stande 
gebracht  werden.  Die  Behandlung  ist  verschieden  je  nach  dem  Grade 
der  Missbildung ;  meistens  sind  es  nur  die  leichteren  Grade ,  die  eine 
Heilung  zulassen.  —  l)  Operation  der  Hypospadie.  Besteht 
nur  eine  Spaltung  der  Eichel  bis  zum  Bändchen,  so  trägt  man  die  Ränder 
der  Spalte  schräg  ab  und  legt  drei  umschlungene  Insectennadeln  an. 
Das  Einlegen  einer  kurzen  Röhre  beim  Uriniren  hält  den  Urin  von  der 
Wunde  ab  ,  die  meist  leicht  heilt.  Einen  Monat  später  nimmt  man  die 
Schliessung  der  alten  Oeffnung  mittels  Transplantation  eines  Hautstücks 
vom  Penis  oder  der  Vorhaut  vor.  Befindet  sich  die  Spaltung  weiter  hin- 
ten und  bildet  sie  eine  offene  Rinne ,  so  frischt  man  die  Spaltenränder 
an,  vereinigt  sie  mit  Insectennadeln,  leitet  den  Urin  durch  einen  am  hin- 
tern Theil  eingelegten  Catheter  ab  und  schliesst  die  zurückbleibende 
Oeffnung  durch  Cauterisation  oder  die  Schnürnaht.  Eine  einfache  Oeff- 
nung am  untern  Theile  des  Penis  schliesst  man  wie  eine  Harnröhrenfistel. 
S.  Harn  f  is  tel.  ■ —  Den  fehlenden  Kanal  der  Harnröhre  stellt  man 
entweder  durch  Perforation  des  Penis  her  oder  man  bildet  durch  Trans- 
plantation einen  neuen  Weg.  Bei  der  Durchbohrung  des  Gliedes  ver- 
fährt man  auf  folgende  Weise.  Befindet  sich  die  Oeffnung  der  Harnröhre 
in  der  Nähe  der  Eichel ,  so  durchbohrt  man  diese  bis  zur  falschen  Harn- 
röhrenmündung ,  legt  sodann  eine  Kanüle  ein  und  schliesst  die  untere 
Harnröhrenöffnung  auf  die  oben  angegebene  Weise.  Bei  der  Durchboh- 
rung einer  grösseren  Strecke  wird  das  Glied  stark  angespannt  und  in 
gerader  Richtung  vom  Körper  abgezogen,  dann  führt  man  einen  entspre- 
chend starken  Troicart ,  der  statt  einer  silbernen  mit  einer  Bleiröhre  ver- 
sehen ist,  von  der  Eichel  aus,  welche  stets  mit  einer  blinden  Harnröhren- 


474  IMPFEN. 

Öffnung  versehen  ist,  an  der  untern  Seite  des  Penis  unter  der  Haut  bis 
in  den  vorhandenen  Theil  der  Harnröhre,  zieht  das  Stilet  aus  und  lässt 
die  Bleiröhre  liegen.  Die  Behandlung  muss  streng  antiphlogistisch  sein 
und  kalte  Umschläge  angewendet  werden.  Die  Bleiröhre  vertauscht  man 
später  mit  einer  Bleisonde.  —  Die  Bildung  eines  neuen  Kanals  durch 
Transplantation  verrichtet  man,  wenn  keine  Rinne  vorhanden  ist  und  der 
Urin  aus  einer  hinten  sich  befindenden  Oeffnung  ausfliesst.  Man  fasst 
an  jeder  Seite  des  Penis  eine  Hautfalte  und  zieht  sie  über  den  Ort ,  wo 
die  Harnröhre  gebildet  werden  soll ,  zusammen.  Hierauf  näht  man  die 
Bänder  der  Falte  mit  einer  geraden  Nähnadel  der  Länge  nach  zusammen, 
macht  dann  zu  beiden  Seiten  des  Gliedes  eine  Incision  durch  die  Haut, 
um  die  Spannung  zu  heben ,  und  schneidet  die  Ränder  der  zusammen- 
genähten Falte  mit  einer  scharfen  Scheere  ab,  worauf  man  die  Wundrän- 
der so  genau  zusammennäht,  dass  Epidermis  an  Epidermis  kommt.  Der 
Urin  wird  durch  einen  Catheter  aus  der  alten  Oeffnung  geleitet.  Dieser 
Kanal  wird  nach  vorn  geöffnet  und  durch  die  Eichel  fortgesezt ,  indem 
man  diese  durchbohrt ,  wenn  sie  geschlossen  ist  oder  durch  eine  Naht 
schliesst ,  wenn  sie  gespalten  ist.  Die  untere  falsche  Oeffnung  schliesst 
man  durch  Aezen  oder  ein  anderes  Verfahren ,  wobei  ein  elastischer  Ca- 
theter in  die  Harnröhre  geführt  werden  muss.  —  Operation  der 
Epispadie.  Diese  ist  im  Allgemeinen  nach  einer  der  für  die  Be- 
handlung der  Hypospadie  angegebenen  Methoden  auszuführen,  wenn  über- 
haupt eine  Operation  zulässig  ist ,  da  das  Glied  hier  stets  sehr  kurz  und 
an  den  Schambogen  hinaufgezogen  ist. 


I. 


Impfen  der  KllhpOCken,  V  a  c  c  i  n  a  t  i  o.  Dieses  besteht  in 
der  Verwundung  der  Oberhaut  und  Uebertragung  des  Kuhpockenstolfes 
in  die  Wunde ,  um  eine  Ansteckung  und  einen  eigenthümlichen  Krank- 
heitsprocess,  die  Vaccine,  hervorzurufen ,  wodurch  erfahrungsgemäss 
für  einige  Zeit  die  Empfänglichkeit  für  die  Menschenblattern  aufgehoben 
oder  doch  vermindert  wird.  Man  kann  die  Kuhpocken  in  jedem  Lebens- 
alter und  zu  jeder  Zeit  impfen ,  doch  geschieht  die  erste  Impfung  am 
zweckmässigsten  im  ersten  Lebensjahre  nicht  vor  den  ersten  sechs  Wo- 
chen und  vor  Beginn  des  Zahngeschäfts  bei  guter  Witterung  und  gesun- 
dem Zustande  des  Kindes.  —  Die  Einimpfung  der  Kuhpocken  geschieht 
auf  verschiedene  Weise,  doch  sind  besonders  zwei  Methoden  im  Gebrauch  : 
man  impft  entweder  mit  dem  frischen  Pockenstoffe ,  den  man  von  einem 
Individuum  auf  das  andere  überträgt,  oder  man  impft  mit  aufbewahrtem 
Impfstoffe,  den  man,  wenn  er  getrocknet  ist,  vorher  erweicht.  Die  erste. 
Art   der  Impfung  ist  die   zweckmässigste.    —  Impft  man  mit   frischem 


IMPFEN.  475 

Stoffe  aus  einer  Pustel  (von  Arm  zu  Arm) ,  so  lässt  man  das  Kind  von 
einer  sizenden  Person  auf  dem  Schoose  halten ,  sticht  in  den  Rand  einer 
wasserhellen  Pustel  eines  in  der  Nähe  des  Impflings  befindlichen  Indivi- 
duums die  Spize  einer  schmalen  Lancette  seicht  ein  und  nimmt  mit  der- 
selben den  hervorquellenden  Lymphtropfen  auf.  Nun  fasst-  man  den 
Oberarm  des  Impflings  von  hinten  mit  der  linken  Hand  so,  dass  die  Haut 
in  der  Gegend  des  Ansazes  des  Deltamuskels  ,  wo  die  geeignetste  Impf- 
stelle ist ,  gespannt  wird  ,  macht  mit  der  Lancette  mehrere  ,  gewöhnlich 
3 — 4  ,  kleine,  flache,  womöglich  kein  Blut  gebende  und  etwa  einen  Zoll 
von  einander  entfernte  Hautschnitte ,  oder  auch  flache ,  eine  halbe  Linie 
tief  unter  die  Epidermis  dringende  Stiche,  und  fasst  dann  zu  wiederholten 
Malen  mit  der  Spize  der  Lancette  aus  der  geöffneten  Pustel  Lymphe  auf,  die 
man  sanft  auf  die  Wunde  streicht.  Auf  dieselbe  Weise  verfährt  man  an  dem 
andern  Arme.  Tritt  auch  etwas  Blut  hervor,  so  hindert  dies  die  Absaugung 
der  Lymphe  nicht.  Man  lässt  die  Impfstelle  trocknen,  ehe  man  die  Kin- 
der wieder  anzukleiden  erlaubt ;  Verband  ist  unnöthig.  —  Impft  man  mit 
aufbewahrtem  Stoff  (der  jedoch  nicht  zu  alt  sein  darf),  so  befeuchtet  man 
ihn  mit  reinem  Wasser ,  um  einen  Theil  auf  die  Spize  der  Lancette  brin- 
gen zu  können.  Im  Uebrigen  verfährt  man  ganz,  wie  im  vorhergehenden 
Falle.  Zu  bemerken  ist,  dass  der  auf  Elfenbein,  Glasplatten,  Fischbein- 
stäbchen ,  in  Glasröhren  aufgefasste  ,  oder  von  Charpief  äden ,  Haarpinsel, 
Waschschwamm  etc.  aufgenommene  Impfstoff  sorgfältig  vor  der  Einwir- 
kung der  atmosphärischen  Luft,  vor  starker  Hize  und  Kälte  verwahrt  wer- 
den muss  ,  damit  er  nichts  an  seiner  Wirksamkeit  verliert.  —  Die  Er- 
scheinungen nach  einer  haftenden  Impfung  sind  folgende :  Am  1 . 
und  2.  Tage  sieht  man  ausser  der  Spur  des  Schnittes  nichts.  Am  3. — 4. 
Tage  macht  sich  in  der  Mitte  der  nun  etwas  gerötheten  Impfstelle  ein 
kleines  hartes,  in  der  Haut  sizendes  und  dieselbe  überragendes  Knötchen 
bemerkbar.  Am  5.  Tage  hat  sich  die  kleine  Geschwulst  bereits  mehr 
entwickelt  und  stellt  eine  kegelförmige  Papel  dar,  deren  Spize  ein  wenig 
einzusinken  beginnt.  Am  6.  Tage  wird  die  Basis  der  Papel  breiter  und 
ihre  Spize  zeigt  einen  deutlichen  Eindruck.  Inzwischen  hat  sich  auch 
ein  heftiges  Jucken  an  der  Impfstelle  entwickelt.  Am  7.  Tage  hat  die 
Geschwulst  und  Entzündungsröthe  in  der  Umgegend  zugenommen ,,  die 
PapeL  aber  verwandelt  sich  in  ein  oben  eingedrücktes  vielfächeriges 
Bläschen  von  der  Grösse  einer  Linse  und  von  gelblicher  Farbe ,  welches 
von  einem  silberweissen  Ringe  umzogen  ist ,  unter  dem  sich  offenbar  be- 
reits Flüssigkeit  befindet.  Dieser  ringförmige  WTall  vermehrt  sich  am 
8.  Tage  und  wird  in  seiner  Peripherie  von  einem  hellrothen  Gürtel  um- 
geben ;  auch  ist  einige  fieberhafte  Aufregung  zugegen.  Das  Bläschen 
hat  jezt  den  höchsten  Grad  seiner  Ausbildung  und  die  Grösse  einer  Erbse 
erlangt ;  sein  bisher  ganz  heller  Inhalt  fängt  in  manchen  Fällen  schon 
an,  sich  zu  trüben.  Am  9.  Tage  entwickelt  sich  die  peripherische  Röthe 
sehr   stark  und   die  Geschwulst  erstreckt  sich  von   einer  Impfstelle   zur 


476  IMPFEN. 

9 

andern.  Das  Bläschen  ist  nun  zu  einer  wahren  Pustel  geworden,  deren 
Inhalt  weisslich  oder  blassgelblich  wird.  Am  10.  Tage  ist  die  Pustel 
breiter  geworden,  in  der  Mitte  nicht  mehr  eingedrückt,  der  Inhalt  nimmt 
eine  eiterige  Beschaffenheit  an ,  die  Umgegend  ist  heftig  entzündet  und 
oft  die  ganze  obere  Hälfte  des  Oberarms  bis  zu  den  Achseldrüsen  ge- 
schwollen und  sehr  schmerzhaft.  Fieberbewegungen  und  bei  Kindern 
deshalb  grosse  Unruhe  fehlen  selten.  Am  1  1 .  Tage  erscheint  die  Pustel 
hart,  abgeflacht ,  arm  an  flüssigem  Inhalt ,  von  perlgrauer  oder  schmuzig 
gelber  Farbe ,  und  sie  fängt  an  von  der  Mitte  aus  zu  vertrocknen.  Von 
jezt  an  nehmen  die  Entzündungserscheinungen  wieder  ab  und  die  Ab- 
trocknung  der  eiterig  gewordenen  Pustel  schreitet  vom  1 2 .  Tage  an 
unter  Verminderung  der  Röthe  und  Geschwulst  fort ,  indem  sich  ein 
Schorf  bildet ,  der  in  den  folgenden  Tagen  immer  dunkler  und  härter 
wird,  bis  er  endlich  zwischen  dem  2  1.  und  2  4.  Tage  unter  Abschuppung 
der  umliegenden  Epidermis  und  mit  Hinterlassung  einer  rundlichen ,  fla- 
chen, weissen,  punktirten  Narbe  abfällt.  —  Bisweilen  verzögert  sich  die 
Entwicklung  der  Pocken ,  selbst  um  zwei  Tage ,  was ,  wenn  sie  dann  nur 
in  der  angegebenen  Art  statt  hat,  der  Aechtheit  der  Vaccine  keinen  Ein- 
trag thut.  Bisweilen  bilden  sich  aber  falsche  Kuhpocken,  welche 
nicht  schüzen  und  einen  von  dem  obigen  abweichenden  Verlauf  haben ; 
die  Entzündungsperiode  tritt  schon  vor  Ablauf  der  ersten  48  Stunden 
ein ,  den  sich  bildenden  Bläschen  fehlt  die  Vertiefung ,  die  Härte  unter 
der  Haut,  der  rothe  Hof,  sie  jucken  sehr,  erzeugen  aber  weder  Fieber, 
noch  Anschwellung  der  Achseldrüsen  und  hinterlassen  einen  gelbgrünen, 
locker  aufsizenden  Schorf;  oder  die  Pusteln  oder  Bläschen  sind  von  star- 
ken Entzündungszufällen  begleitet ,  besonders  charakterisiren  sie  sich 
aber  durch  einen  sehr  raschen ,  schon  in  fünf  Tagen  beendigten  Verlauf. 
Hier  muss  die  Impfung  wiederholt  werden.  Die  Ursache  davon  kann 
sein,  wenn  man  mit  unächtem  Stoffe  impft,  wenn  der  Impfstoff  nicht  was- 
serhell, oder  wenn  die  aufbewahrte  Lymphe  verdorben  ist ,  endlich  wenn 
man  zu  tiefe  Einschnitte  oder  Stiche  macht.  —  Zuweilen  sieht  man  mit 
dem  Ausbruche  der  Kuhpocken  am  Arme  einen  ähnlichen  Ausschlag  an 
andern  Körpertheilen,  besonders  auch  im  Gesicht  auftreten.  Scrophulöse 
Kinder  scheinen  hierzu  besonders  geneigt  zu  sein.  —  Die  Behandlung 
nach  vorgenommener  Impfung  besteht  blos  in  einer  gehörigen  Regulirung 
des  Verhaltens.  Man  sorge ,  dass  das  Kind  die  Pocke  nicht  aufkrazt, 
ebenso  dass  es  nicht  an  den  Oberarmen  und  unter  den  Achseln  gefasst 
wird.  Bei  heftiger  Entzündung  bestreicht  man  die  Impfstellen  mit 
Milchrahm  oder  macht  kalte  Umschläge  ,  und  bei  etwas  bedeutendem 
Fieber  ordnet  man  eine  gehörige  Diät  an.  Wird  die  Eiterung  an  der 
Pockenstelle  bedeutend,  so  dienen  Umschläge  von  Bleiwasser.  Hautaus- 
schläge verschwinden  entweder  von  selbst  bei  gehörigem  Verhalten  oder 
beim  Gebrauche  leicht  diaphoretischer  Mittel.  —  Ist  die  Impfung  miss- 
lungen,  so  muss  sie  nach  Verlauf  einiger  Zeit  wiederholt  werden. 


incision.  477 

XncisiOD.,  Incisio,  Schnitt,  Einschnitt.  Mit  diesem 
Worte  bezeichnet  man  die  Trennung  der  Weichtheile  mittels  eines  schnei- 
denden Instruments.  Der  Schnitt  wird  gewöhnlich  mit  dem  Messer  aus- 
geführt und  zwar  bedient  man  sich  entweder  eines  solchen ,  bei  welchem 
die  Klinge  mit  dem  Hefte  beweglich  verbunden  ist ,  Bistouri,  oder 
eines  solchen,  wo  diese  zwei  Theile  unbeweglich  mit  einander  verbunden 
sind,  Scalpell;  seltener  wird  die  S  c  h  e  e  r  e  benüzt ;  sie  dient  mehr  zur 
Excision  von  Theilen,  welche  in  Höhlen  sizen,  sowie  zur  Durchschneidung 
häutiger ,  strangartiger  Theile  u.  dgl.  —  Die  Incisionen  unterscheiden 
sich  durch  ihre  Ausdehnung,  durch  ihre  Tiefe,  durch  ihre  Lage,  durch 
ihre  Richtung,  und  je  nachdem  sie  mit  oder  ohne  Trennung  der  Haut 
gemacht  werden.  Eine  Incision  von  geringer  Ausdehnung  nähert  sich 
dem  Stiche.  Die  seichten  Einschnitte,  die  man  in  das  Zellgewebe  behufs 
der  Entleerung  infiltrirter  Flüssigkeiten  etc.  macht,  werden  Scarifica- 
tionen  genannt.  —  Behufs  der  Ausführung  einer  Incision  mit 
Trennung  der  Haut  müssen  die  zu  .durchschneidenden  Theile  mög- 
lichst angespannt  sein;  ein  jeder  Einschnitt  muss  von  seinem  Anfang  bis 
zu  seinem  Ende  scharf  begrenzt  sein ,  er  darf  nicht  allm'alig  auslaufen, 
wobei  die  Haut  an  den  äussersten  Punkten  nur  theilweise  getrennt  und 
gerizt  ist ,  sondern  muss  in  den  Winkeln  die  gleiche  Tiefe ,  wie  in  der 
Mitte  haben.  Der  Schnitt  selbst  muss  mehr  durch  Zug,  als  durch  Druck 
bewirkt  und  das  Messer  zugleich  in  möglich  langen  Zügen  geführt  wer- 
den, weil  ein  langer  Schnitt  nicht  so  schmerzt,  als  mehrere  kurze.  Immer 
muss  der  Operateur  das  Instrument  in  seiner  Gewalt  haben ,  so  dass  er 
es  auf  beliebige  Weise  wenden,  fortführen  und  anhalten  kann  und  hierauf 
hat  die  Art,  das  Messer  zu  halten,  grossen  Einfluss.  Man  fasst  nämlich 
dasselbe  1)  wie  eine  Schreibfeder,  indem  man  den  Daumen  an  die  eine, 
den  Zeigefinger  an  die  andere  Seite  des  Griffs  in  der  Nähe  der  Klinge 
und  den  Mittelfinger  zur  Seite  der  Klinge  selbst  anlegt ,  die  beiden  an- 
dern Finger  aber  einschlägt  oder  aufstüzt ;  das  Griffende  liegt  dabei  an 
der  Radialseite  des  Zeigefingers.  2)  Man  fasst  das  Messer  wie  ein  Tisch- 
messer ;  Daumen  und  Mittelfinger  ergreifen  dasselbe  in  der  Nähe  des 
Charniers ,  der  Zeigefinger  wird  auf  den  Rücken  der  Klinge  gelegt  je 
nach  Bedürfniss  mehr  oder  weniger  nach  vorn ,  die  übrigen  Finger  um- 
fassen das  Heft  und  halten  es  in  der  Hohlhand  fest.  Diese  Position  ge- 
währt die  grosste  Kraft  und  Sicherheit.  3)  Das  Messer  wird  wie  ein 
Geigenbogen  gehalten,  d.  h.  man  legt  den  Daumen  dicht  hinter  dem 
Charnier  auf  die  eine ,  alle  übrigen  Finger  in  einer  Reihe  auf  die  andere 
Seite  des  Instruments,  und  zwar  so  an,  dass  der  Zeigefinger  an  der  Fläche 
der  Klinge,  der  Mittelfinger  dem  Daumen  gegenüber,  die  übrigen  weiter 
hinten  angelegt  sind.  Wird  das  Heft  durch  den  4.  und  5.  Finger  gegen 
denUlnarrand  der  Hand  angedrückt,  so  kommt  mehr  Kraft  in  den  Schnitt. 
4)   Man  fasst  das  Messer  in  die  volle  Hand  ,   indem  der  Daumen  von  der 


478  incision. 

einen,  die  übrigen  Finger  von  der  andern  Seite  das  Heft  umfassen.  Man 
hat  bei  dieser  Position  viel  Kraft,  ist  aber  weniger  Herr  über  das  Instru- 
ment als  z.  B.  bei  der  zweiten  Art ,  das  Messer  zu  halten.  Bei  den  drei 
ersten  Arten  kann  man  das  Messer  sowohl  mit  nach  unten  als  mit  nach 
oben  gerichteter  Schneide  fassen ,  nur  dass  man  bei  der  zweiten  Art  den 
Zeigefinger  statt  auf  den  Rücken  der  Klinge  an  deren  Seite  legt.  — 
Man  macht  die  Incisionen  entweder  von  aussen  nach  innen  oder  von  innen 
nach  aussen ,  und  zwar  können  diese  beiden  Arten  in  der  Richtung  von 
sich ,  gegen  sich ,  von  links  nach  rechts  und  von  rechts  nach  links  ge- 
macht werden.  —  1)  Incision  von  aussen  nach  innen.  Macht 
man  einen  geraden  Einschnitt,  so  kann  dies  mit  oder  ohne  Bil- 
dung einer  Hautfalte  geschehen.  Das  erstere  Verfahren  ist  da  zu  em- 
pfehlen ,  wo  man  nicht  tiefer  als  durch  die  Haut  schneiden  oder  wo  man 
die  Verlezung  eines  unter  dieser  liegenden  wichtigen  Theils  vermeiden 
will ;  die  Haut  muss  aber  zu  diesem  Zwecke  beweglich  und  dehnbar  sein. 
Man  erhebt  dieselbe  mit  beiden  Händen  in  eine  Falte,  deren  Höhe  die 
Hälfte  der  beabsichtigten  Schnittlänge  betragen  muss  ;  den  mit  der  rech- 
ten Hand  gefassten  Theil  der  Falte  übergibt  man  einem  Gehülfen  und 
durchschneidet  hierauf,  indem  man  das  wie  einen  Geigenbogen  gehaltene, 
mit  dem  hintern  Theil  der  Schneide  auf  die  Mitte  der  Falte  aufgesezte 
convexe  Messer  gegen  sich  zieht ,  diese  in  einem  Zuge  bis  auf  ihren 
Grund ;  ist  die  Falte  sehr  hoch ,  so  sezt  man  die  Schneide  mit  ihrem 
Spizentheile  auf  und  macht  eine  doppelte  Bewegung  von  der  Spize  nach 
dem  Griffe  hin  und  dann  zurück.  Die  Incision  ohne  Hautfalten- 
bildung ist  schmerzhafter,  aber  sehr  oft  nothwendig.  Man  spannt  auf 
die  oben  angegebene  Weise  die  zu  durchschneidende  Partie ,  fasst  ein 
gerades  spizes  Bistouri ,  sezt  seine  Spize  rechtwinklig  zur  Körperober- 
fläche auf  den  Anfangspunkt  des  Schnitts  und  senkt  sie  so  tief  ein  ,  als 
der  Schnitt  werden  soll.  Dann  neigt  man  es  in  schiefem  Winkel  gegen 
die  Haut  und  führt  es  in  gerader  Richtung  und  bei  einem  der  Tiefe  des 
Schnitts  angemessenen  Druck  fort  bis  zu  dem  beabsichtigten  Endpunkte, 
worauf  man  es  wiederum  erhebt  und  in  derselben  Richtung ,  in  welcher 
der  Schnitt  begonnen  wurde ,  auszieht.  —  Aehnlich  wie  die  gerade  In- 
cision macht  man  auch  mehrfache  und  in  andern  Richtungen 
verlaufende  Schnitte.  Als  allgemeine  Regel  gilt  hier,  da.ss  man  bei 
Combination  mehrerer  Schnitte  mit  dem  leichtesten  anfange  und  bei  zwei 
über  einander  liegenden  Einschnitten  den  untern  zuerst  mache ,  um  nicht 
durch  das  aus  dem  obern  abfliessende  Blut  gestört  zu  werden.  Die  haupt- 
sächlichsten Formen  dieser  zusammengesezten  Schnitte  sind  folgende  : 
a)  der  elliptische  Schnitt.  Man  macht  ihn  da ,  wo  man  ein  gan- 
zes Hautstück  entfernen  muss.  Er  besteht  aus  zwei  gebogenen  Ein- 
schnitten, die  an  beiden  Enden  zusammenstossen.  Man  muss  hierbei  die 
zu  durchschneidende  Stelle  gehörig  anspannen ,  die  Schnitte  durch  per- 
pendiculäres  Einsezen  und  Ausziehen  des  Messers  scharf  begrenzen  und 


incision.  479 

«•ich  hüten ,  dass  sich  die  Schnitte  in  ihren  Endpunkten  nicht  kreuzen, 
b)  Der  halbmondförmige  Schnitt.  Er  besteht  aus  zwei  ge- 
krümmten Einschnitten ,  welche  verschieden  grossen  Kreisen  angehören 
und  mit  ihren  Enden  zusammenstossen ,  übrigens  nach  den  eben  angege- 
benen Regeln  gemacht  werden.  c)  Kreuzschnitt.  Man  macht  ihn, 
wenn  man  einen  unter  der  Haut  gelegenen  Theil  biossiegen,  jene  aber 
erhalten  will.  Er  besteht  ans  zwei  geraden,  sich  unter  rechten  Winkeln 
durchkreuzenden  Schnitten ,  von  denen  man  einen  geraden  zuerst  macht 
und  den  andern  in  zwei  Hälften  bildet ,  die  von  den  Endpunkten  nach 
dem  ersten  Schnitte  hingeführt  werden.  Die  vier  Lappen  trennt  man 
nach  einander  bis  zu  den  Endpunkten  der  Hautschnitte  los.  Der  X- 
Schnitt  gleich  dem  Kreuzschnitt,  c)  Der  V-Schnitt  besteht  aus  zwei 
geraden  Einschnitten,  die  in  einem  spizen  Winkel  zusammentreffen.  Man 
macht  den  zweiten  Schnitt  in  der  Richtung  gegen  das  Ende  des  ersteren. 
Der  Winkel ,  unter  welchem  die  beiden  Schnitte  zusammentreffen ,  kann 
verschieden  gross  sein ;  ist  er  ein  rechter ,  so  entsteht  dadurch  ein  L- 
Schnitt.  e)  Der  T  -  Schnitt.  Man  lässt  den  zweiten  Schnitt  auf  die 
Mitte  des  ersten  fallen.  —  2)  Incision  von  innen  nach  aussen 
oder  von  der  Tiefe  nach  der  Oberfläche.  Diese  macht  man  dann ,  wenn 
man  die  Verlezung  eines  unterliegenden  Theiles  verhüten  und  den  zu 
durchschneidenden  während  des  Schnittes  selbst  von  jenem  entfernen  will. 
Dieser  Schnitt  sezt  eine  natürliche  oder  künstliehe  Oeffnung  voraus,  durch 
welche  das  Messer  eingeführt  wird ;  auch  die  Scheeren  finden  hier  sehr 
oft  zweckmässig  ihre  Anwendung.  Man  schneidet  entweder  mit  freiem 
Messer  oder  auf  der  Hohlsonde  oder  dem  Finger ;  immer  ist  dabei  die 
Schneide  des  Messers  nach  oben  gerichtet.  Mit  freiem  Messer  kann 
man  auf  verschiedene  Weise  verfahren,  a)  Das  Messer  wird  durch  eine 
bereits  bestehende  Oeffnung  in  eine  Höhle  eingeführt,  oder  wo  eine  solche 
Oeffnung  fehlt  (z.  B.  bei  einem  geschlossenen  Abscesse) ,  sticht  man  es 
rechtwinklig  ein ,  senkt  dann  sogleich  den  Griff  desselben ,  so  dass  die 
Rückenseite  in  schräger  Richtung  gegen  den  zu  durchschneidenden  Theil 
steht ,  und  schiebt  das  Messer  rasch  fort ,  indem  man  mit  demselben  zu- 
gleich die  Wandung  durchschneidet  und  nach  oben  spannt.  Am  Ende 
des  Schnitts  hebt  man  den  Griff  wieder,  so  dass  er  in  einem  Rechtwinkel 
zur  Schnittfläche  zu  stehen  kommt,  b)  Man  führt  das  Bistouri,  nachdem 
auf  die  eben  angegebene  Weise  eingestochen  worden  ist ,  rasch  bis  zum 
entgegengesezten  Endpunkte  der  Schnittlinie  ,  sticht  es  hier  aus ,  senkt 
seinen  Griff  stark  und  zieht  es  mit  schräg  auf-  und  rückwärts  gekehrter 
Schneide  gegen  sich,  c)  Man  bildet  eine  Hautfalte,  wie  oben  angegeben, 
und  stösst  ein  spizes  Bistouri  durch  die  Basis  derselben.  Indem  man 
dasselbe  auszieht,  durchschneidet  man  die  ganze  Hautfalte  von  unten  nach 
oben.  Bei  der  Lappenbildung  verfährt  man  auf  ähnliche  Weise,  nur  dass 
man  hier  die  faltenartig  erhobenen  Weichtfceile  von  der  Basis  aus  schief 
ausschneidet.   —  Die  Hohlsonde   oder  der  Finger  schüzen  nicht 


480  INCISION. 

allein  die  unterliegenden  Theile  noch  mehr  gegen  das  Messer ,  sondern 
sie  geben  für  dieses  auch  einen  Leiter  ab  ,  weshalb  man  diese  Incision 
gewöhnlich  mit  ihnen  macht.  Es  muss  dabei  in  den  äussern  Theilen  eine 
Oeffhung  vorhanden  sein  ,  welche  unter  die  zu  durchscheidende  Partin 
führt,  und  wo  diese  fehlt,  macht  man  eine  mittels -eines  Einstichs.  Den 
Finger  benüzt  man,  wenn  es  die  Grösse  der  OefTnung  zulässt.  Auch  hier 
gibt  es  mehrere  Verfahren ,  die  Trennung  zu  bewirken,  a)  Man  führt 
eine  Hohlsonde  so  weit  ein ,  als  der  Schnitt  sich  erstrecken  soll.  Nun 
sezt  man  die  Spize  eines  geraden  Bistouris  in  die  Rinne  der  Hohlsonde 
ein  und  führt  dieses  unter  einem  Winkel  von  4  5°  bis  zum  geschlossenen 
Ende  der  Sonde  fort ,  worauf  man  nach  rechtwinkliger  Erhebung  des 
Messers    dieses    zugleich    mit    der  Sonde   aus    der   Wunde    heraushebt. 

b)  Die  Spize  der  entsprechend  weit  eingeführten  Sonde  wird  durch  Sen- 
ken ihres  Griffs  emporgedrückt ,  so  dass  sie  die  Haut  zu  einem  kleinen 
Hügel  erhebt.  In  diesen  sticht  man  ein  Bistouri  in  der  Art  ein,  dass  die 
Spize  desselben  in  die  Rinne  der  Sonde  zu  stehen  kommt ,  worauf  durch 
Fortschieben  des  schräg  gehaltenen  Messers  gegen  den  Griff  der  Sonde 
die  Theile  getrennt  werden.  Lezteres  Verfahren  wendet  man  an,  wenn 
eine  dünne  Wandung  zu  durchschneiden  ist,  während  das  vorhergehende 
bei   der  Durchschneidung   dicker  Weichgebilde  seine  Anwendung  findet. 

c)  Man  führt  das  Messer  bis  zum  Ende  der  Hohlsonde  ein  und  führt  den 
Schnitt  entweder  durch  gleichzeitiges  Erheben  der  ganzen  Schnittfläche 
aus  oder  indem  man  das  spize  (am  besten  sichelförmige)  Messer  an  dem 
Endpunkte  des  beabsichtigten  Schnitts  durch  die  Haut  aussticht  und  dann 
gegen  sich  zieht.  —  Benüzt  man  den  Finger  als  Leiter,  so  wird  auf  ihm 
ein  spizes  oder  geknöpftes  Bistouri  flach  eingeführt  und  die  zu  incidirende 
Wandung  nach  Aufwärtswendung  der  schräg  gestellten  Schneide  unter 
dem  Drucke  des  Fingers  und  unter  gleichzeitigem  Fortschieben  des  Fin- 
gers und  Messers  durchschnitten.  Der  Schnitt  wird  wie  mit  der  Hohl- 
sonde (a)  geendigt.  —  Die  Incision  ohne  Trennung  der  Haut 
oder  der  subcutane  Schnitt  besteht  darin,  dass  ein  dünnes  schmales 
Messerchen,  entfernt  von  dem  Orte,  wo  etwas  durchschnitten  werden  soll, 
eingestochen,  eine  Strecke  unter  der  Haut  fortgeführt  wird.  Diese  Ope- 
rationsweise, ursprünglich  für  die  Tenotomie  erfunden,  wird  jezt  auch  an 
andern  Stellen  angewendet,  wo  man  den  Lufteintritt  verhindern  will,  z.B. 
bei  Ganglien  etc.  Auch  gehören  hierher  die  Punktionen  bei  verschobener 
Haut.    S.  Subcutane  Operationen. 

Ischias,  s.  Hüftweh. 


KAPSEL-  ODER  KUEKASSVERBAND.  481 


K. 


Kapsel-  oder  KüraSS Verband.  Der  Gebrauch  von  Kapseln, 
um  einem  gebrochenen  Gliede  eine  feste  unverrückbare  Hülle  zu  geben, 
ist  schon  alt.  Petit,  der  den  Apparat  als  zweckmässig  lobt,  beruft  sich 
auf  S  c  u  1 1  e  t ;  abgebildet  findet  sich  ein  solcher  bei  Heister.  Die  einen 
im  Augenblicke  leicht  herzustellenden  Verbände  dieser  Art  bestanden  aus 
Rinnen,  einer  obern  und  einer  untern,  von  Pappe,  Kupfer,  Weissblech, 
welche  man  durch  drei  Bänder  verband  ;  die  andern ,  ganz  zugerichteten, 
bestanden  aus  Hülsen ,  die  aus  einzelnen ,  durch  Charniere  verbundenen 
Stücken  zusammengesezt  und  im  Innern  gefüttert  waren.  Meistens  hat- 
ten diese  Verbände  Fenster ,  um  bestehende  Wunden  verbinden  zu  kön- 
nen. Lafayeliess  eine  Maschine  von  Weissblech  anfertigen,  welche 
die  ganze  untere  Extremität  mit  dem  Becken  in  sich  fasste  ;  sie  bestand 
aus  zwei  durch  Charniere  verbundenen  Längenstücken ,  welche  sich  unter 
dem  Gliede  platt  auslegen  Hessen.  Um  sie  für  alle  Subjecte,  grosse  und 
kleine  ,  benuzen  zu  können ,  wurde  die  Vorrichtung  später  aus  mehreren 
Stücken  angefertigt,  die  nach  Bedürfniss  in  einander  geschoben  oder  aus- 
gezogen werden  konnten.  ßonnet  construirte  eine  Maschine  ,  welche 
den  ganzen  Körper  von  den  Achselhöhlen  abwärts  unbeweglich  zu  machen 
erlaubte  ;  die  Grundlage  derselben  bestand'  zuerst  aus  Eisendraht ,  später 
aus  Pappe ,  welche  über  eine  Form  gemodelt  und  dann  gefüttert  wurden. 
Mayor  Hess  für  den  gebrochenen  Unterschenkel  zwei  blecherne  Halb- 
kanäle, nachdem  dieser  durch  dicke  Compressen  umgeben  war,  zusammen- 
löthen.  Die  neueste  Vorrichtung  dieser  Art  endlich  ist  der  Apparat  von 
Löwenhardt.  Er  besteht  aus  zwei,  durch  ein  Drahtcharnier  verbun- 
denen Halbkanälen  von  Blech  ,  die  übereinander  greifen,  so  dass  man  die 
Kapsel  lockerer  oder  fester  anlegen,  sie  auch  dem  jedesmaligen  Umfange 
des  Gliedes  bequem  anpassen  kann.  Sie  ist  gefüttert  und  wird  mit  drei 
Riemen  und  Schnallen  geschlossen.  Dieser  Verband  wird  für  die  obere 
und  untere  Extremität  benüzt.  Abgesehen  davon ,  dass  diese  Art  von 
Verbänden  insofern  kostspielig  und  umständlich  sind,  dass  man  für  jedes 
Glied,  ja  für  jeden  Verlezten  einen  besondern  Apparat  anfertigen  lassen 
muss ,  wenn  er  genau  passen  soll ,  so  entsprechen  sie  auch  den  einfachen 
Gesezen  der  Mechanik  nicht  und  ein  Glied  wird  sich  nie  in  einem  Kürass 
so  befestigen  lassen ,  als  durch  zwei  oder  drei  Schienen  oder  durch  eine 
Schiene,  die  das  Glied  zur  Hälfte  oder  zu  zwei  Drittheilen  umgibt.  — 
Die  in  der  neuesten  Zeit  in  Gebrauch  gekommene  Guttapercha  (s.  die- 
sen Artikel)  gibt  ein  vortreffliches  Material  zu  einem  Kapselverbande  ab, 
da  sie  biegsam  ist  und  alle  Formen  annimmt.  Man  geht  folgendermassen 
dabei  zu  Werke.  Man  nimmt  eine  viereckige  Guttaperchaplatte  von  der 
Länge  des  Theils  ,  welchen  man  damit  umgeben  will ,  von  einer  solchen 
Bürger,  Chirurgie.  Ol 


482  KAUMITTEL. 

Breite,  dass  sie  zwei  Dritt-  oder  drei  Viertheile  desselben  einzuhüllen  ver- 
mag, und  einer  Dicke  von  1  —  Sll2  Linien  nach  dem  Umfange  und  der 
Stärke  des  Gliedes.  Man  erweicht  diese  Platte  durch  Eintauchen  in  sie- 
dendes Wasser,  legt  sie,  nachdem  der  Bruch  eingerichtet  ist  und  während 
das  Glied  gut  gehalten  wird,  unter  dasselbe,  formt  sie,  indem  man  sie  um 
dessen  Umrisse  herumbiegt,  und  befestigt  sie  mit  einer  Rollbinde,  damit 
sie  ihre  Form  nicht  einbüsst.  Hierauf  benezt  man  sie  mittels  eines  in 
kaltem  Wasser  getränkten  Schwamms  oder  einer  Compresse,  um  sie  schnel- 
ler fest  zu  machen.  Nach  Verfluss  von  einigen  Minuten  ist  dies  der  Fall ; 
man  nimmt  nun  die  Binde  weg,  und  damit  die  Rinne  das  Glied  nicht  ver- 
lässt,  umgibt  man  das  Ganze  mit  einer  hinreichenden  Anzahl  von  Riemen 
oder  Bändern  von  Guttapercha  von  der  Breite  von  zwei  Querfingern. 
Die  Riemen  kleben,  wenn  sie  erweicht  sind,  fest  genug  an  der  Rinne  an, 
um  jedes  fremde  Mittel  zur  Befestigung  entbehrlich  zu  mächen.  Bei  der 
Abnahme  lässt  man  das  Glied  in  warmes  Wasser  halten ,  worauf  sich  der 
Apparat  leicht  entfernen  lässt.  —  Es  ist  räthlich,  das  Glied  vor  der  An- 
lage der  Guttapercha  mit  Compressen  oder  Watte  zu  umgeben  ,  welche 
die  Ausdünstungsflüssigkeit  aufnehmen,  da  andernfalls  diese,  vermöge  der 
Undurchdringlichkeit  der  Guttapercha  zurückgehalten,  einen  unerträg- 
lichen Gestank  annimmt ,  auch  zu  Rothläufen  ,  Excoriationen  und  Aus- 
schlägen Veranlassung  gibt.  —  Die  Kapsel  wird  gern  beulig. 

Karbunkel,  s.  Carbunkei. 

KaUHllttel,  Masticatoria.  Hierunter  versteht  man  weiche 
oder  feste  arzneiliche  Substanzen  ,  welche  man  kauen  oder  auch  nur  in 
den  Mund  nehmen  lässt ,  um  verschiedene  Zwecke  damit  zu  erreichen. 
Man  bedient  sich  derselben  nämlich:  1)  um  die  im  Munde  befindlichen 
Organe  zu  erregen,  bei  Lähmungen  der  Zunge  und  der  Lippe,  bei  chro- 
nischen unschmerzhaften  Affectionen  des  Zahnfleisches  und  der  innern 
Fläche  der  Backen  ,  chronischer  Anschwellung  und  gutartiger  Verhärtung 
der  Zunge,  der  Mandeln  und  Speicheldrüsen  ,  bei  Erschlaffung  des  Zahn- 
fleisches und  des  Zäpfchens ,  und  wählt  dann  nach  Erforderniss  scharfe, 
gewürzhafte  und  adstringirende  Substanzen.  2)  Als  derivatorische  Reize, 
um  die  Schleimhaut  des  Mundes  und  die  Speicheldrüsen  zu  vermehrter 
Absonderung  des  Schleims  und  Speichels  anzuregen ,  bei  rheumatischen 
Kopf-,  Zahn-  und  Ohrenschmerzen ,  bei  nicht  entzündlichen  Congestionen 
nach  dem  Kopfe,  bei  chronischem  Schnupfen,  nicht  tuberculösen  Anschwel- 
lungen der  Halsdrüsen.  In  dieser  Absicht  gebraucht  heissen  sie  auch 
speichelflusserregende  Mittel,  Sialagoga  und  mund- 
schleimausleerende  Mittel,  Ap  ophlegmati  cantia  per 
os.  Hierzu  bedient  man  sich  gewöhnlich  der  scharfen  Substanzen.  3) 
Um  widerliche,  von  den  Organen  der  Mundhöhle  oder  der  Luftröhre  aus- 
gehende Gerüche  zu  verbessern.  Hierzu  bedient  man  sich  entweder  der 
feineren  Gewürze,  welche  den  üblen  Geruch  bloss  verdecken,  oder  solcher 


KAUTSCHUK.  483 

Substanzen ,  welche  die  Eigenschaft  haben ,  die  Gerüche  zu  zerstören. 
Contraindicirt  sind  die  Kaumittel  bei  allen  acuten  und  bei  allen  von  eini- 
gem Schmerz  begleiteten  chronischen  Entzündungen  der  Mundhöhle,  weil 
die  Entzündung  dadurch  gesteigert  werden  könnte.  —  Als  Kaumittel 
werden  benüzt :  die  Arons-,  Bertram-,  Iris-,  Ingwer-,  Rhabarberwurzel,  die 
Stengel  der  Angelika  ,  der  Imperatoria  etc. ,  der  Meerrettig  ,  Knoblauch, 
das  Tabakskraut,  die  Blätter  und  Samen  mehrerer  Pfefferarten ,  Senfkör- 
ner ;  an  diese  scharfen  Mittel  schliessen  sich  an  :  die  aromatischen  ,  äthe- 
risches Oel  haltigen  Mittel  und  aromatische  Harze :  die  Nelken ,  der 
Zimmt,  die  Wachholderbeeren,  der  Campher,  die  Amber,  der  Mastix  etc.  ; 
tonische  und  adstringirende  Mittel  sind  :  die  Chinarinde ,  die  Ratanhia- 
wurzel,  Drachenblut,  der  Catechusaft  etc.  Geruchzerstörende  Mittel  sind  : 
der  geröstete  Kaffee  ,  die  Pflanzenkohle ,  der  Chlorkalk.  —  Alle  diese 
Mittel  werden  entweder  für  sich  gekaut ,  oder  wenn  sie  in  Pulverform 
sind,  gewöhnlich  theils  allein,  theils  in  Verbindung  mit  anderen,  mitZuk- 
ker,  Stärkmehl  oder  Traganth-  und  arabischem  Gummischleim  zu  Trochis- 
cen  geformt.  Compositionen  dieser  Art  sind  : 
Rp.  Pulv.  capsici  5üj  Rp-  Carbon,  sub.  5ij 

„      rad.  zingib.  ^ß  Cort.  cinnamom.  5j 

Sacch.  albi  Sacch.  albi 

Mucil.  gi.  tragacanth.   ana  ^ß  Mucil.  gi.  tragac.  ana  ^j. 

M.  f.  Trochisci  No.  ix.  M.  f.    Trochisci  No.  x. 

Rp.  Calcar.  chlorat.  5ij  Rp-  Elaeosacch.  cinnamom. 

Sacch.  albi  Rad.  angelic. 

Mucil.  gi.  tragac.  ana  ^j.  Sal.  ammon.  dep.  ana. 

M.  f.  Trochisci  No.  x.  Eine  Messerspize  voll  in  dem  Munde 

bis   zum  Zerfliessen  zu  halten  ; 
gegen  Zungenlähmung. 

Ka.UtSCh.llk,  elastisches  Harz,  Federharz,  Resina 
elastica,  cayennensis,  Gummi  elastic um,  findet  sich  als 
Milchsaft  in  mehreren  Bäumen  Brasiliens  und  Guiana's  ,  wie  in  S  i  p  h  o  - 
nia  Cahuchu,  Lobelia  CaoutchoucyJatropha  elastica 
u.  A. ,  ist  fest,  mehr  oder  weniger  braun ,  biegsam ,  sehr  elastisch  ,  ge- 
schmacklos und  im  Wasser  unlöslich  ;  es  kommt  in  breiten  Stücken  und 
in  Flaschenform  zu  uns.  Es  wird  zu  mancherlei  chirurgischen  Verband- 
stücken benüzt.  Man  fertigt  theils  Instrumente  aus  dem  elastischen 
Harze  an,  theils  benüzt  man  es  als  Lack  über  solche.  Man  verfertigt  aus 
ihm  Bougies ,  Catheter ,  Klystierröhren  u.  dgl.  Die  Flaschen  des  elasti- 
schen Harzes  benüzen  wir  als  Injectionssprizen,  Milchpumpen,  Harnreci- 
pienten  u.  dgl.  Vielfach  werden  auch  die  Spiralfedern  durch  Streifen 
des  elastischen  Harzes  ersezt ,  wie  in  den  Nabelbruchbändern.  Nur  zu 
Instrumenten,  die  einer  scharfen  Flüssigkeit  anhaltend  ausgesezt  sind,  wie 
zu  Mutterkränzen ,   taugt  es  nicht ,  weil  es  durch  solche  zersezt  wird.  — 

31* 


484  KLUMPFUSS  UND  HAND. 

In  der  neuesten  Zeit  hat  man  dem  Federharz  durch  Verbindung  mit 
Schwefel  (unter  dem  Namen  des  Vulkanisirens)  ganz  neue  Eigenschaften 
gegeben  ,  welche  es  zu  neuen  Verwendungen  in  der  Chirurgie  geschickt 
machen.  Diese  Eigenschaften  sind  folgende:  1)  das  mit  Schwefel  be- 
handelte Federharz  bleibt  bei  allen  gewöhnlichen  Temperaturen  elastisch, 
während  es  in  seinem  gewöhnlichen  Zustande  bei  einer  solchen  von  4  0°  F. 
schon  ganz  starr  ist ;  das  vulkanisirte  Federharz  wird  von  keinem  bekann- 
ten Auflösungsmittel ,  z.  B.  Kohlenstoffbisulphurat,  Naphtha,  Terpentinöl 
angegriffen;  Hize,  die  nicht  über  die  Vulkanisirungstemperatur  (19  0° F.) 
steigt,  schadet  demselben  nicht;  3)  es  widersteht  der  Zusammendrückung 
ungemein.  —  Man  verfertigt  aus  dem  vulkanisirten  Federharze  :  Schweben 
zur  Verhütung  des  Aufliegens,  Rollbinden,  T-Binden,  Scultet'sche  Binden, 
Arm-  und  Fussbänder  ,  Gürtel ,  Kniebinden  ,  Strümpfe,  dauernd  gefüllte 
oder  zu  füllende  Pelotten,  Bruchbänder,  Pessarien,  Luftkissen  zum  Zurück- 
halten von  Mastdarmvorfällen,  Kissen  zu  verschiedenen  Zwecken,  Exten- 
sionsapparate,  Harnrecipienten,  künstliche  Milchbrüste  etc. 

Kleisterverband,  s.  Papp  verband. 

KlumpfuSS  und  Hand.  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man 
Verkrümmungen  des  Fusses  und  der  Hand  ,  von  welchen  die  des  erstem 
bei  weitem  häufiger  vorkommen,  als  die  der  Hand. 

Klumpfuss.  Der  Fuss  kann  auf  verschiedene  Weise  verkrümmt 
werden,  und  nach  der  verschiedenen  Richtung,  die  derselbe  einnimmt,  be- 
legt man  die  Deformität  mit  besondern  Namen.  Ist  der  Fuss  nach  innen 
gedreht,  so  bezeichnet  man  ihn  speciell  mit  dem  Namen  Klumpfuss, 
V  a  r  u  s  ;  findet  die  Drehung  nach  aussen  statt,  so  heisst  dieser  Zustand 
Plattfuss,  Valgus;  ist  die  Ferse  aber  so  nach  hinten  und  in  die 
Höhe  gezogen ,  dass  die  Fusssohle  mit  dem  Unterschenkel  eine  gerade 
Linie  bildet,  so  erhält  die  Deformität  den  Namen  P  f  er  defus  s  ,  Pes 
equinus.  —  Die  Verkrümmungen  der  Füsse  sind  in  den  meisten  Fällen 
angeborne  Uebel,  seltener  bilden  sie  sich  im  Laufe  des  Lebens.  Im  ersten 
Falle  werden  sie  durch  eine  Retraction  der  Muskeln  erzeugt,  im  zweiten 
dagegen  sind  sie  das  Resultat  verschiedener  Krankheiten ,  welche  auf  die 
Muskeln  wirken  ,  diese  entweder  contrahiren  oder  paralysiren ,  oder  ver- 
schiedener Gelenk-  oder  Knochenkrankheiten.  —  1)  Der  Klumpfuss, 
Knollfuss,  Talipes  varus,  ist  diejenige  Deformität  des  Fusses,  wo 
derselbe  so  um  seine  Längenachse  gedreht  ist ,  dass  die  Fusssohle  mit 
dem  Unterschenkel  mehr  oder  weniger  perpendiculär  und  nach  hinten  und 
innen  gerichtet  ist,  der  äussere  Rand  des  Fusses  sich  nach  unten,  der  in- 
nere hingegen  sich  nach  oben  gedreht  hat,  und  die  in  die  Höhe  gezogene 
Ferse  und  Zehen  einander  sich  so  nähern ,  dass  der  nach  aussen  stehende 
Fussrücken  convex  geformt  wird  ,  und  die  Zehen  bei  einem  hohen  Grade 
und  wenn  beide  Füsse  Klumpfüsse  sind,  einander  gegenüberstehen.  Die 
Fusssohle  zeigt  sich  gefaltet,  der  Malleolus  internus  ist  verschwun- 


KLUMPFUSS   UND  HAND.  485 

den,  der  extern  us  erscheint  mehr  nach  hinten  gerückt,  auf  dem  Rücken 
des  Fusses  bemerkt  man  eine  starke  Hervorragung  ,  durch  den  Kopf  des 
Astragalus  gebildet ,  am  äussern  Fussrande  eine  hornartige  Verhärtung, 
die  Achillessehne  ist  sehr  stark  angespannt,  die  Wade  fehlt  beinahe  ganz, 
die  Extremität  leidet  gewöhnlich  an  Atrophie,  die  Kniee  stehen  auswärts, 
die  Kniekehlen  einwärts,  die  Füsse  erscheinen  sehr  verkürzt.  Die  Exten- 
sion und  Flexion  des  Fusses  ist  aufgehoben  ,  die  Ab-  und  Adduction  nur 
in  geringem  Grade  möglich.  Die  Knochen  der  Fusswurzel  sind  nach  dem 
Grade  der  Verkrümmung  mehr  oder  weniger  aus  ihrer  gegenseitigen  Be- 
rührung gewichen.  Das  Os  naviculare,  cuboideum,  der  C  a  1  c  a  - 
neus  und  Astragalus  sind  dabei  gewöhnlich  um  ihre  kleinere  Achse 
gedreht.  Manchmal  wird  auch  eine  wirkliche  organische  Verbildung  der 
Knochen  beobachtet.  Der  Bänderapparat  der  Fusssohle  und  des  innern 
Fussrandes  ,  ebenso  die  Fascia  plantaris,  zeigt  sich  verkürzt ,  der 
des  Fussrückens  und  des  äussern  Fussrandes  ausgedehnt.  Die  Muse. 
gastroenemii,  der  M.  soleus,  tibialis  posticus  und  anti- 
cus,  plantaris,  flexor  longus  digitorum  pedis,  abduetor 
hallucis,transversalis  pedis,  flexor  brevis  digiti  m  i  - 
nimi,  flexor  longus  und  brevis  h  a  1 1  u  c  i  s  erscheinen  verkürzt. 
Es  besteht  dabei  Atrophie  dieser  Muskeln  und  vorzüglich  des  Soleus 
und  der  Gastroenemii.  —  An  der  Stelle  des  Auftretens  findet  sich 
ein  neugebildeter  Synovialsaek  ;  in  den  niedern  Graden  liegt  er  auf  dem 
Calcaneo-Cuboidalgelenk ,  in  den  höhern  zwischen  dem  Kopf  des  Astra- 
galus und  dem  äussern  Knöchel.  Ein  mit  Varus  Behafteter  hat  einen 
humpelnden  Gang,  er  schwankt  von  einer  Seite  zur  andern,  balancirt  und 
rudert  mit  den  Armen,  und  tritt  hart  auf.  —  Ursachen.  Der  an  ge- 
bor ne  Klumpfuss  ist  die  Folge  einer  überwiegenden  Thätigkeit  der  Beuge*- 
muskeln  des  Fusses  ;  die  in  den  Knochen  vorhandenen  Veränderungen  sind 
als  seeundäre  Erscheinungen  zu  betrachten.  Diese  Form  des  Klumpfusses 
ist  diejenige,  die  am  häufigsten  angeboren  vorkommt ;  alle  kleinen  Kinder 
haben  Anlage  dazu ,  man  kann  die  Sohlen  bei  ihnen  mit  Leichtigkeit  an- 
einander legen.  —  Der  nach  der  Geburt  entstehende  Klumpfuss  kann 
durch  verschiedene  Ursachen  bedingt  werden ,  wie  Verlezungen  und  Ge- 
schwüre der  Füsse,  wodurch  der  Kranke  genöthigt  wird,  mit  dem  äussern 
Fussrande  aufzutreten  ;  ferner  Verkürzung  der  Wadenmuskeln  durch  Ent- 
zündung oder  Atrophie ,  spasmodische  Beschwerden  in  der  ersten  Kind- 
heit, Contractur  der  Aponeurosis  plantaris,  Lähmung  der  Schien- 
beinnerven. —  Prognose.  Sie  richtet  sich  nach  den  Graden  und 
Complicationen  des  Uebels.  Günstig  ist  sie  noch  da ,  wo  die  Krankheit 
nur  in  den  Muskeln  und  Sehnen  ihren  Siz  hat  und  die  Knochen  ihre  nor- 
male Form  noch  nicht  verändert  haben,  was  namentlich  bei  Kindern  ,  die 
noch  nicht  gehen,  der  Fall  ist  ;  ferner  wenn  die  verkürzten  Muskeln  nicht 
zu  hart  und  angespannt ,  die  verlängerten  hingegen  nicht  ganz  gelähmt 
und   zu   sehr   gedehnt   sind  ,   wenn   der   Kranke   noch  fern  vom  Alter  der 


486 


KLUMPI'TPP   UND   HAND. 


Mannbarkeit  ist  und  der  Körper  nicht  an  andern ,  vornehmlich  dyscrasi- 
schen  Krankheiten  leidet.  Sehr  ungünstig  ist  die  Prognose  bei  bestehen- 
der Ankylose  der  Fusswurzelknochen.  —  Behandlung.  Diese  hat  die 
Aufgabe,  die  gerade  Richtung  des  Fusses  und  den  natürlichen  Antagonis- 
mus der  Muskeln  wieder  herzustellen.  Dieser  Zweck  wird  theils  durch 
mechanische  Vorrichtungen  in  Verbindung  mit  dynamischen  Mitteln,  theils 
und  hauptsächlich  durch  ein  operativ-chirurgisches  Verfahren  mit  Unter- 
stüzung  von  mechanischen  Vorrichtungen  erreicht.  —  Vor  allem  hat  man 
dem  Fusse  seine  gerade  Stellung  wieder  zu  geben,  was  am  besten  mit  den 
Händen  geschieht ;  alle  Streckmaschinen  dürfen  nur  Nachahmungen  dieser 
sein  und  sind  nothwendig,  weil  die  Hände  den  erforderlichen  permanenten 
Druck  nicht  ausüben  können.  Die  Manipulationen  werden  z.  B.  bei 
einem  Varus  linker  Seite  auf  folgende  Weise  ausgeführt :  man  ergreift 
mit  der  rechten  Hand  die  Ferse  so  ,  dass  die  vier  lezten  Finger  das  hin- 
tere Ende  des  Calcaneus  nach  aussen  ziehen ,  während  der  Ballen  des 
Daumens  die  nach  aussen  abgewichenen  Fusswurzelknochen  nach  innen 
drückt ,  zugleich  aber  die  ganze  Hand  die  Ferse  nach  unten  zieht.  Die 
linke  Hand  wird  so  über  den  Fussrücken  angelegt ,  dass  die  vier  lez- 
ten Finger  den  Innenrand  nach  unten  rollen  und  zugleich  die  Fussspize 
nach  aussen  ziehen,  während  der  Daumen  ebenfalls  den  Gegendruck  macht 
und  die  ganze  Hand  die  Fussspize  der  vordem  Fläche  des  Unterschenkels 
nähert.  In  den  leichteren  Graden  hält  man  den  Fuss  zwischen  den  Ma- 
nipulationen durch  einen  Verband  in  der  gegebenen  Lage ,  wozu  sich  der 
von  Brückner  ganz  gut  eignet.  Derselbe  wird  mit  einem  langen  vier- 
eckigen, nach  Art  eines  Halstuchs  zusammengelegten  Stück  Leinwand  aus- 
geführt.  Dieses  Tuch  wird  unter  der  Wade  angelegt,  das  längere  Ende 
um  die  Knöchel,  von  aussen  nach  innen  über  den  Rücken  des  Fusses  und 
die  Mitte  des  innern  Fussrandes,  über  die  Sohle  nach  aussen  geführt  und 
durch  gehöriges  Anziehen  der  Fuss  nach  aussen  gebogen  ;  die  Tour  wird 
wiederholt,  dann  der  Zipfel  des  Tuchs  vom  äussern  Fussrande  schräg  nach 
aufwärts  gegen  den  obern  geführt ,  beide  mit  einem  Packknoten  auf  dem 
Fussrücken  vereinigt ,  um  die  Knöchel  herumgeführt  und  zusammenge- 
knüpft. Dieses  Tuch  wird  täglich  ein  oder  zwei  Mal  angelegt,  neben  den 
Manipulationen  warme  Bäder  gebraucht  und  in  die  verlängerten  Muskeln 
stärkende,  in  die  verkürzten  erweichende  Einreibungen  gemacht,  Statt 
dieser  Binde  kann  man  auch  Heftpflasterstreifen  benüzen  ,  die  man  wie 
diese  anlegt ;  sie  verrücken  sich  weniger ,  als  die  Binde.  Noch  vorteil- 
hafter ist  nach  W.  Lyon  die  Einwicklung  des  Fusses  bis  zum  Knie  mit 
einer  Binde  von  Guttapercha ;  die  erkaltete  Binde  hält  den  Fuss  in  der 
ihm  gegebenen  normalen  Richtung  fest ;  alle  zwei  Tage  wird  sie  frisch 
angelegt.  Dieser  Verband  erweist  sich  auch  nach  gemachtem  Sehnen- 
schnitt als  brauchbar.  —  Ausser  den  genannten  Verbänden  sind  eine 
Reihe  von  Maschinen  erfunden  worden,  unter  denen  die  von  Scarpa  und 
Delpech   als   die   brauchbarsten  zu  bezeichnen  sind.      Die  Anwendung 


KLUMPFUSS  UND  HAND.  487 

von  Maschinen  bat  aber  seit  der  Einführung  des  Sehnenschnitts  eine 
grosse  Beschränkung  erfahren  ;  sie  werden  fast  nur  noch  zur  Nachkur 
bonuzt.  Nur  in  folgenden  Fällen  muss  man  von  den  Maschinen  Gebrauch 
machen ,  ohne  den  Muskelschnitt  als  Einleitung  zur  Kur  zu  betrachten  : 
a)  in  den  Fällen ,  wo  eine  Erschlaffung  der  Bänder  die  Ursache  ist ,  dass 
das  Kind  anfängt,  mit  der  äussern  (oder  innern)  Kante  des  Fusses  aufzu- 
treten, während  der  Fuss  wohlgebildet  ist ;  hier  verhindert  nur  das  Tragen 
einer  Maschine  die  Bildung  eines  wirklichen  Klumpfusses  ;  b)  wo  eine 
rhachitische  Verkrümmung  im  Fussgelenke  die  Schuld  trägt ;  c)  in  den 
Fällen,  wo  eine  Lähmung  einzelner  Muskeln  Veranlassung  ist,  dass  die  Ant- 
agonisten das  Uebergewicht  erhalten.  Man  hat  zwar  auch  hier  gehofft, 
durch  den  Muskelschnitt  die  Lähmung  zu  heben,  doch  gewinnt  man  durch 
denselben  wenig ,  und  man  kommt  durch  stärkende  Einreibungen ,  kalte 
Douche  und  Manipulationen ,  durch  die  Anwendung  des  Electro-Magne- 
tismus  und  durch  die  Benuzung  zweckmässiger  Vorrichtungen  ohne  ihn 
ebenso  weit.  —  Guerin  und  Dieffenbach  haben  dasUmgiessen  des 
Fusses  mit  Gyps  mit  vielem  Erfolge  in  Anwendung  gebracht ,  nachdem 
demselben  vorher  so  viel  als  möglich  seine  gerade  Stellung  wieder  gegeben 
war.  Ueber  das  Verfahren  dabei  s.  den  Art.  Gypsverband.  Eine 
sehr  kräftige  Extensionsmaschine,  sowohl  ohne  als  nach  gemachtem  Sehnen- 
schnitte anwendbar ,  hat  Strom  eyer  angegeben.  Derselbe  hat  auch 
die  S  c  a  r  p  a '  sehe  Maschine  (S  c  a  r  p  a '  s  Schuh)  vereinfacht ;  er  wendet 
sie  am  Schlüsse  der  Kur ,  namentlich  nach  vorausgegangener  Tenotomie 
an.  Von  Eoss  wurde  diese  Maschine  wiederum  einer  Modifikation  unter- 
worfen, welche  eine  weniger  drückende  Befestigung  bezweckt.  —  Bei  dem 
Varus  macht  sich  vor  Allem  die  Durchschneidimg  der  Achillessehne  noth- 
wendig  ;  je  nach  dem  Grade  und  der  Art  der  Klumpfüsse  müssen  aber 
auch  oft  noch  besonders  der  Tibialis  posticus,  die  Plantaraponeu- 
rose  und  der  Flexor  hall u eis  durchschnitten  werden  ,  theils  wegen 
ihrer  Spannung,  theils  wegen  ihrer  auch  nach  der  Durchschneidung  der 
Achillessehne  fortbestehenden  Contractur.  Behufs  der  Durchschneidung 
der  leztern  kniet  der  Kranke  auf  einem  Polsterstuhle;  der  Unterleib  stüzt 
sich  gegen  die  Lehne  des  Stuhles  und  die  Füsse  sind  dem  Lichte  zuge- 
kehrt. Ein  Gehülfe  lässt  sich  neben  dem  zu  operirenden  Fusse  auf  ein 
Knie  nieder ,  umfasst  mit  der  einen  Hand  den  Fuss  ,  die  andere  legt  er 
oberhalb  der  Knöchel  um  das  Glied,  unterstüzt  dasselbe  durch  sein  Knie, 
welches  eine  feste  Unterlage  bildet  und  spannt,  indem  er  den  Fuss  in  die 
normale  Lage  zu  bringen  sucht ,  die  Achillessehne  möglichst  stark  an, 
welche  dann  als  ein  harter  Strang  dicht  unter  der  Haut  zu  fühlen  ist. 
Die  geeignetste  Stelle  zur  Durchschneidung  ist  etwas  oberhalb  der  Knö- 
chel ;  bei  Erwachsenen  gewöhnlich  1  Zoll ,  bei  Kindern  Y2  Zoll  darüber. 
Ueber  die  Operation  selbst  s.  subcutane  Operationen.  Die  ortho- 
pädische Nachbehandlung  nach  dem  Sehnenschnitte  darf  erst  dann  be- 
ginnen ,   wenn   alle  Reaction  an   dem  Orte  der  Operation  aufgehört  hat. 


488 


KLUMPFCSS  UND  HAND. 


Es  muss  also  die  Hantwunde  geheilt  sein,  keine  Röthe  mehr  in  der  Gegend 
sich  zeigen  ,  keine  Anschwellung  stattfinden  und  ein  leichter  Druck  nicht 
stechende  Schmerzen  verursachen  ;  dann  erst  lege  man  die  Maschine  an, 
das  eingewickelte  und  schon  dadurch  etwas  geregelte  Glied  wird  überall, 
wo  ein  Druck  der  Maschine  oder  der  Riemen  unvermeidlich  ist,  mit  Watte 
umgeben,  die  Gurten  und  Riemen  werden  schwach  angezogen,  das  Fass- 
brett wenig  elevirt  und  sehr  langsam  werde  mit  dem  Eleviren  desselben 
und  der  Extension  durch  den  Apparat  fortgefahren,  um  der  zwischen  den 
Sehnenenden  neugebildeten  fibrösen  Masse  allmälig  die  Länge  zu  geben, 
welche  dem  Muskel  fehlt.  —  2)  Der  Plattfuss,  T  a  1  i  p  e  s  v  a  1  g  u  s  , 
ist  eine  dem  Klumpfusse  entgegengesezte  Missstaltung ;  es  ist  nämlich  der 
Fuss  nach  aussen  abgewichen,  aber  ohne  wirkliche  Verdrehung,  dabei 
ragt  der  innere  Knöchel  stark  hervor,  steht  tiefer,  und  unter  dem  äussern 
ist  eine  mehr  oder  minder  tiefe  Aushöhlung  bemerklich  ;  der  Fussrüeken 
hat  seine  natürliche  Wölbung  und  dieFusssohle  ihre  Aushöhlung  verloren. 
Die  Körperlast  ruht  besonders  auf  der  Verbindung  zwischen  Astragalus 
und  Os  naviculare,  und  die  Erschlaffung  der  Bänder  dieser  Articu- 
lation  ist  es ,  welche  dem  Valgus  den  Plattfuss  beigesellt.  Im  höchsten 
Grade  werden  die  Fusswurzelknochen  so  ausgetreten,  dass  der  innere  Rand 
des  Fusses  einen  Bogen  bildet ,  dessen  Convexität  nach  innen  gerichtet 
ist.  Die  Bänder  an  der  innern  Seite  und  der  Sohle  sind  dann  ausge- 
dehnt, die  an  der  äussern  Seite  retrahirt ;  sie  verdicken  und  verharrschen, 
so  dass  zwischen  den  einzelnen  Knochen  die  Beweglichkeit  aufhört.  Der 
Muse,  extensor  digitor.  pedis,  der  Extenso  r  hall  u  eis  pro- 
p  r  i  u  s ,  der  Tibialis  anticus  und  die  MM.  peronaei  sind  ver- 
kürzt. Der  Kranke  geht  auf  dem  innern  Fussrande,  wobei  die  Knie  nach 
innen,  die  Füsse  nach  aussen  gerichtet  sind.  Der  Gang  igt  sicher ,  aber 
etwas  wiegend,  nicht  hart,  kann  aber  nur  auf  kurze  Strecken  ohne  Schmer- 
zen fortgesezt  werden,  indem  die  Körperlast  bei  jedem  Tritt  auf  die  Ner- 
venstämme der  Sohle  drückt.  —  Ursachen.  Der  Valgus,  welcher  fast 
immer  beide  Füsse  betrifft ,  scheint  öfter  paralytischer  Natur  zu  sein  als 
der  Varus  und  ist  wohl  immer  ein  acquirirter  Zustand.  Es  liegt  ihm  eine 
Atonie  und  Erschlaffung  der  Palmaraponeurose  und  der  Ligamente  zu 
Grunde ,  welche  die  Tarsalknochen  unter  einander  und  mit  den  Knochen 
des  Unterschenkels  verbinden.  —  Behandlung.  In  den  niedern  Gra- 
den des  Valgus  (Pes  planus)  zeigt  sich  eine  stärkende  Behandlung  von 
Nuzen,  eine  kräftige  Nahrung,  eisenhaltige  Mineralwasser,  See-  und  Sool- 
bäder,  Fussbäder  von  Eichen-,  Ulmenrinde,  stärkende  Einreibungen,  kalte 
Fussbäder  und  Einwicklung  des  Fusses  mit  einer  mit  Weingeist  benezten 
Binde.  Dabei  lässt  man  Schnürstiefeln  tragen ,  die  innen  mit  starkem 
Leder  besezt  sind.  In  den  höhern  Graden  des  Uebels  kommen  dazu  noch 
stark  ableitende  Mittel,  wie  Vesicatoren ,  Einreibung  der  Brechweinstein- 
salbe und  selbst  die  Anwendung  des  Glüheisens  an  den  innern  Fussrand. 
Lonsdale  lässt  die  Kranken  ein  allmälig  dicker  werdendes  Stück  Kork, 


KLÜMPFUSS  UND  HAND.  489 

welches  vorzüglich  zwischen  den  Astragalus  und  die  Keilbeine  drückt ,  so 
lange  tragen,  bis  der  Bogen  des  Fusses  wieder  hergestellt  ist ;  damit  gehen 
die  Kranken  herum.  In  schwierigen  Fällen  benüzte  er  hierzu  ein  Polster, 
wobei  der  Patient  liegen  bleibt.  Heller  wendet  eine  Maschine  an  ,  an 
welcher  eine  an  dem  Fussrande  des  Fussbrettebens  in  horizontaler  Rich- 
tung angebrachte  Pelotte  anhaltend  und  unter  allmäliger  Verstärkung  auf 
den  innernRand  des  Fusses  drückt. —  Wenn  die  Sehnen  der  drei  Waden- 
muskeln und  des  Extensor  digitörum  communis  pedis  bedeu- 
tende Resistenz  darbieten ,  so  müssen  sie  durchschnitten ,  der  Fuss  dann 
eingewickelt  und  an  die  vordere  Fläche  des  Unterschenkels  über  den  Fuss- 
rücken  fort  eine  gepolsterte  Schiene  gelegt  werden ,  welche  mit  einer  ge- 
stärkten Binde  angedrückt  wird  und  den  Fuss  in  der  Stellung  eines  Pferde- 
fusses  erhält.  —  3)  Der  Pfer  d  efuss  ,  Spizfuss,  Pesequinus, 
ist  diejenige  Deformität  des  Fusses  ,  wobei  der  ganze  Plattfuss  mit  dem 
Unterschenkel  eine  und  dieselbe  Richtung  hat ,  die  Ferse  stark  in  die 
Höhe  gezogen  ist  und  der  Kranke  beim  Gehen  nur  vorn  mit  dem  Ballen  und 
den  Zehen  auftritt.  Die  Achillessehne  ist  stark  angespannt  und  der  Fuss 
erscheint  durch  die  starke  Flexion  zugleich  so  gekrümmt ,  dass  die  Con- 
vexität  des  Rückens  und  die  Concavität  der  Sohle  bedeutend  zugenommen 
haben.  Die  starke  Contraction  der  Wadenmuskeln  widersezt  sich  der 
Beugung  des  Fusses.  —  Der  Pferdefuss  zeigt  sich  unter  dreierlei  Formen : 
bei  der  einfachen  Form  ist  der  Vorfuss  in  gerader  Richtung  ausgestreckt; 
als  eine  zweite  Form  ist  diejenige  zu  bezeichnen,  wo  der  Pferdefuss 
zugleich  einwärts  gezogen  ist  (Talipes  e  qui  no  -  var  u  s)  ,  und  als  die 
dritte  diejenige  ,  wo  der  Fuss  auswärts  steht  (Talipes  equino-val- 
gus).  Bei  den  zwei  lezten  Formen  hat  das  Fussgelenk  eine  Deformität 
erlitten.  —  In  Folge  der  starken  Erhebung  der  Ferse  tritt  beim  Pferde- 
fuss die  Tibia  mehr  hinterwärts  an  den  hintern  Theil  des  Calcaneus  und 
verlässt  zum  Theile  die  für  dieselbe  bestimmte  Articulationsfläche  des 
Talus  ;  dadurch  erleidet  dieser  und  die  Tibia  eine  Veränderung  in  ihren 
Flächen  in  der  Weise ,  dass  sie  nicht  mehr  conform  sind.  Die  untern 
Flächen  der  Fusswurzelknochen  rücken  näher  zusammen ,  die  obern  wei- 
chen dagegen  auseinander ,  wodurch  der  stark  gewölbte  Fussrücken  ent- 
steht. —  Ursachen.  Der  Pferdefuss  kann  angeboren  und  erworben 
sein.  Seine  nächste  Ursache  besteht  in  der  Verkürzung  der  Wadenmus- 
keln,  öfters  sind  aber  auch  die  MM.  plantaris,  tibialis  posticus 
und  peronaeus  in  Mitleidenschaft  gezogen.  Veranlassung  zur  Ent- 
stehung dieser  Verkrümmung  geben  :  Wunden  und  Geschwüre  an  der  Ferse, 
wodurch  der  Kranke  genöthigt  wird ,  mit  dem  vordem  Theil  des  Fusses 
aufzutreten  ;  ferner  krankhafte  Affectionen  der  Fusswurzelknochen ,  der 
Wadenmuskeln,  wie  z.  B.  Krampfund  Entzündung,  endlich  widernatür- 
liches Angezogensein  des  Unterschenkels  an  den  Oberschenkel.  —  Pro- 
gnose. Der  Pferdefuss  gestattet,  wenn  der  Kränke  jung  ist  und  noch 
keine  organischen  Veränderungen  bestehen,  eine  gute  Prognose  ;  er  ist  in 


490  KLUMPFÜSS  UND  BAND« 

höheren  Graden  so  leicht  heilbar,  als  ein  leichter  Varas.  —  Behand- 
lung. Diese  hat  die  Aufgabe,  die  Ferse  herab  und  den  Vorderfuss  in 
die  Höhe  zu  bringen.  Gegenwärtig  verliert  man  mit  den  Maschinen,  wie 
solche  von  Scarpa,  Jörg  und  L  a  n  g  e  n  b  e  c  k  angegeben  wurden, 
seine  Zeit  nicht  mehr ,  um  diesen  Zweck  zu  erreichen ,  sondern  man  übt 
den  Sehnenschnitt  aus,  welcher  beim  Pferdefuss  die  günstigsten  Resultate 
liefert.  Die  Sehnen  betreffend  ,  welche  durchschnitten  werden  müssen, 
so  ist  es  vor  Allem  die  Achillessehne,  deren  Durchschneidung  nothwendig 
ist,  und  bei  dem  einfachen  Pferdefuss,  so  wie  bei  dem  T  al  ip  es  equino- 
valgus  genügt  diese  Durchschneidung  auch,  wogegen  bei  dem  Talipes 
equino-varus  neben  der  Trennung  der  Achillessehne  nicht  selten  auch 
die  des  Tibialis  anticus  und  p  o  s  t  i  c  u  s ,  und  in  Fällen  des  höch- 
sten Grades  auch  eine  Theilung  der  Plantarfascie  sich  nöthig  macht. 
Mittels  einer  der  obengenannten  Maschinen  oder  auch  der  Stromeyer'- 
schen  gelingt  es  leicht,  dem  Fusse  seine  natürliche  Stellung  zu  geben  und 
ihn  in  dieser  bis  zur  Heilung  zu  erhalten.  —  Noch  niuss  einer  seltenen 
Art  von  Fussverkrümmung  gedacht  werden,  bei  welcher  der  Fuss  eine  der 
vorigen  entgegengesezte  Richtung  annimmt  und  welcher  man  den  Namen 
Talipes  calcaneus  beigelegt  hat.  Diese  Species  besteht  in  einem 
Hinaufziehen  des  Vorfusses  ,  erzeugt  durch  Verkürzung  und  Contraction 
des  Extensor  communis,  des  Tibialis  anticus,  des  Exten- 
sor  hallucis  longus,  des  Peronaeus  tertius  und  der  Plantar- 
fascie ;  der  Bogen  des  Fusses  ist  sehr  verstärkt,  das  Fersenbein  den  Zehen 
genähert,  und  beim  Gehen  berührt  nur  das  hintere  Ende  des  Fersenbeins 
den  Boden.  Man  beobachtet  zuweilen  eine  Complication  mit  Valgus 
(Talipes  c  a  1  c  a  n  e  o  -  v  a  1  g  u  s).  —  Das  Uebel  kommt  angeboren  und 
erworben  vor.  Im  ersten  Falle  besteht  keine  Paralyse  der  Wadenmuskeln, 
im  leztern  ist  eine  solche  dagegen  immer  vorhanden.  Bei  dem  Talipes 
calcaneo- valgus  sind  meist  die  Muskeln  der  ganzen  Extremität  pa- 
ralysirt  und  atrophirt.  —  Bei  den  angebornen  Fällen  genügt  die  Durch- 
schneidung des  Extensor  communis  digit  pedis  und  darnach 
die  Anlegung  einer  Maschine,  welche  aus  einem  horizontalen  und  perpen- 
dicularen  Brettchen  besteht,  die  in  einem  Winkel  durch  Charniere  verbun- 
den sind  und  mittels  zweier  halbmondförmiger  Schrauben  einander  ge- 
nähert oder  von  einander  entfernt  werden  können.  Bei  den  erworbenen 
Fällen  durchschneidet  man  die  Plantarfascie  und  übt  einen  Druck  auf 
den  Fussrücken  aus  ;  zuweilen  wird  die  Trennung  der  tieferen  Muskeln 
nöthig,  Bei  dem  Talipes  calcaneo- valgus  reicht  man  immer  mit 
der  Durchschneidung  der  Plantarfascie  aus.  Als  Nachkur  legt  man  die 
eben  beschriebene  Maschine  an. 

Klump  band,  Talipomanus,  kommt ,  wie  bemerkt ,  weder  so 
häufig  ,  noch  auch  in  so  verschiedenen  Formen  ,  wie  der  Klumpfuss  vor. 
Sie  gibt  sich  durch  folgende  Zeichen  zu  erkennen  :  die  ganze  Hand  ist 
flectirt ,   die  Finger   sind  eingeschlagen  und  lassen  sich  nicht  öffnen ,   die 


KLYSTIER.  491 

Hand  kann  nicht  gebraucht  werden  und  verfällt  deshalb  nach  und  nach 
in  Atrophie.  Mit  der  Flexipn  ist  entweder  beständige  Pronation  oder 
Supination  verbunden.  —  Ursachen.  Das  Uebel  ist  entweder  ange- 
boren oder  erworben  ;  lezteres  ist  der  häufigere  Fall ;  Fracturen  am  untern 
Ende  des  Radius,  Luxationen ,  Contusionen  und  Subluxationen  ,  wie  auch 
Narben  nach  Verbrennungen  geben  hierzu  Veranlassung.  Dem  Leiden 
kann  jedoch  auch  Lähmung  der  Extensoren  oder  Flexoren  der  Arm- 
muskeln zu  Grunde  liegen.  —  Behandlung.  Diese  muss  nach 
den  verschiedenen  Ursachen  theils  eine  dynamische ,  theils  eine  mechani- 
sche sein.  Maschinen  zur  Streckung  der  Fland  haben  angegeben:  Hel- 
let, Bouvier  und  Delacroix.  Besteht  Contraction  der  Beuger,  so 
wird  die  Deformität  durch  die  Tenotomie  gehoben.  Die  zu  durchschnei- 
denden Muskeln  sind  hauptsächlich  der  Palmaris  magnus  und  par- 
v  u  s  ;  dreht  sich,  was  häufig  der  Fall  ist,  die  Hand  in  Folge  der  Operation 
nach  ihrem  Ulnarrande,  so  muss  auch  der  Flexor  carpi  ulnaris 
durchschnitten  werden  ,  man  muss  dabei  aber  die  Lage  des  Ulnarnervens 
berücksichtigen.  Ist  die  Wunde  geheilt,  so  muss  dem  Gliede  eine  solche 
Lage  gegeben  werden  ,  dass  die  Theile,  die  früher  durch  Contraction  ge- 
beugt waren,  sich  in  Extension  finden.  Hierzu  benuzt  man  eine  der  oben 
angegebenen  Maschinen.  Sie  bestehen  meist  aus  einer  Hohlschiene  von 
Eisenblech  zur  Aufnahme  des  Vorderarms  ,  und  einer  beweglichen  Hand, 
die  mittels  eines  Charniers  mit  der  Hohlschiene  verbunden  ist. 

Klystier,  Ciysma,  C 1  y  s  t  e  r  ,  Clysterium  (von  xkvteiv, 
bespülen,  ausspülen),  Enema  (dasHineingesprizte),  nennt  man  eineEin- 
sprizung  von  tropfbaren  oder  elastischen  Flüssigkeiten  in  den  Mastdarm, 
welche  entweder  bald  wieder  ausgeworfen  oder  ganz  oder  zum  Theil  auf- 
gesaugt, und  so  unmittelbar  in  den  Strom  des  Kreislaufs  gebracht  werden. 
Nach  den  verschiedenen  Zwecken,  welche  man  durch  solche  Einsprizungen 
zu  erreichen  sucht,  ist  die  Quantität  und  Temperatur  der  Flüssigkeit  ver- 
schieden. Soll  die  Einsprizung  eine  Darmkothentleerung  bewirken  ,  so 
darf  die  Quantität  tropfbarer  Flüssigkeit  bei  Erwachsenen  nicht  unter  8 
und  nicht  über  16  LTnzen  ,  bei  Kindern  nicht  unter  4  und  nicht  über  6, 
bei  Neugebornen  nicht  unter  2  und  nicht  über  4  Unzen  sein.  Soll  aber 
die  eingesprizte  Flüssigkeit  ganz  oder  theilweise  aufgesaugt  werden,  so 
darf  die  Quantität  tropfbarer  Flüssigkeit  bei  einem  Erwachsenen  nicht  6, 
bei  Kindern  nicht  2  Unzen  überschreiten  ,  weil  grössere  Quantitäten  den 
Mastdarm  zur  Contraction  und  Austreibung  des  Eingesprizten  reizen 
würden.  Bei  elastischen  Flüssigkeiten  wird  die  Quantität  nach  dem  Kubik- 
inhalt der  Sprize  oder  ,  wie  bei  künstlich  bereiteten  Gasarten  ,  nach  der 
Capacität  des  Behälters  (gewöhnlich  einer  Thierblase)  gemessen.  —  Die 
Temperatur  variirt  von  0 \-  3  5°  R.  ;  in  der  Regel  gibt  man  der  tropf- 
baren Flüssigkeit  eine  Temperatur  von  2  8  —  3  0°;  nur  adstringirende  Kly- 
stiere   werden   zu  niedern  Graden  gegeben.   —  Bei  der  Anwendung  des 


492 


KLYSTIER. 


Klystiers  muss  der  Kranke  auf  die  linke  Seite  gelegt  werden,  das  Becken 
muss  höher  als  der  Stamm  liegen  und  der  Körper  etwas  gekrümmt  wer- 
den ,  um  die  Bauchmuskeln  zu  erschlaffen.  Man  bringt  die  mit  Oel  be- 
strichene Kanüle  nach  der  Richtung  des  Mastdarms  vorsichtig  und  sanft, 
jedoch  nicht,  zu  tief  ein  und  sprizt  nun  die  Flüssigkeit ,  wahrend  der 
Kranke  den  Athem  an  sich  hält,  langsam  und  gleichmässig  ein.  —  Nach 
der  Wirkung  der  Klystiere  kann  man  folgende  Arten  unterscheiden  :  1 ) 
einfache,  'gelind  eröffnende  Klystiere,  Clysmata  sim- 
plicia,  aperientia;  sie  werden  angewendet,  wo  man  einmal  Oeffnung 
herbeiführen  will ,  oder  bei  grosser  Trockenheit  des  Darmkanals.  Man 
nimmt  dazu  entweder  einfaches  Avarmes  Wasser  mit  Milch,  Honig,  Zucker 
versezt ,  oder  Kleienabsud  ,  Molken  ,  sezt  diesen  Flüssigkeiten  auch  wohl 
etwas  Oel  zu  ;  bei  Blähungskrankheiten  Aufgüsse  von  Kamillen ,  Anis, 
Kümmel ;  bei  hizigem  Fieber  versezt  man  diese  Flüssigkeiten  mit  Salpeter 
(5j)  oder  Sauerhonig  (5J).  2)  Stark  eröffnende,  abführende 
Klystiere,  Clysmata  eccoprotica,  laxantia;  diese  reizen  den 
Mastdarm  und  per  consensum  den  ganzen  Darmkanal  zur  Contraction 
und  Austreibung  seines  Inhalts  ,  und  werden  gebraucht ,  wenn  die  gelind 
eröffnenden  Klystiere  den  Zweck  nicht  erfüllen,  oder  wenn  die  abführen- 
den Mittel  im  Magen  nicht  ertragen  werden  oder  durch  den  Mund  nicht 
beigebracht  werden  können.  Bei  hartnäckigen  Verstopfungen  schickt 
man  passend  ein  einfaches  Klystier  voraus.  Man  bereitet  sie  gewöhnlich 
aus  Kamillenaufguss  oder  Hafergrüzenabkochung ,  welchen  man  entweder 
laxirende  Salze,  wie  Polychrestsalz,  Glaubersalz,  Bittersalz,  Kochsalz  (5vj 
—  5iß),  oder  Manna  (^j — ij),  Aloe  (5j)  ,  Ricinusöl  (^ß — ij),  Tamarin- 
denmark (sjj — ij ) ,  versüsstes  Quecksilber  und  meistens  auch  etwas  fettes 
Oel  zusezt ;  oder  aus  einem  Aufguss  von  Sennesblättern  (ex  5vj  — ^j) 
oder  Jalappen wurzel  (ex  5l — 5üj)-  3)  Die  stopfenden  Klystiere, 
Clysmata  obstipantia,  welche  den  Stuhlgang  hemmen  sollen  ,  be- 
stehen gewöhnlich  aus  einem  Absude  von  5ß — 5j  Salepwurzel  auf  ^x — xij, 
mit  einem  Zusaze  von  5j — ij  Amylum.  In  dringenden  Fällen  kann  man 
auch  noch  etwas  Ipecacuanha  aufgiessen ,  und  sezt  den  heissen  Absuden 
noch  5j  heisses  Wachs ,  und  bei  grosser  Empfindlichkeit  und  Stuhlzwang 
etwas  Opiam. bei.  4)  Reizende  Klystiere,  Clysmata  irritan- 
t  i  a.  Mit  diesen  bezweckt  man  eine  kräftige  Erregung  der  trägen  peri- 
staltischen  Bewegung  der  Därme  und  eine  reichliche  Absonderung  der 
Darmfeuchtigkeiten ,  besonders  des  Mastdarms.  Sie  werden  theils  als 
Erweckungsmittel  bei  verschiedenen  Arten  des  Scheintods,  theils  als  anta- 
gonistische, derivirende  Reize  auf  den  Darmkanal,  bei  manchen  Vergiftun- 
gen, Gehirnkrankheiten  ,  wie  Blutsehleimflüsse,  Kopfverlezungen  ,  Säufer- 
wahnsinn, theils  als  kräftig  eröffnende  Mittel  bei  hartnäckigen  Verstopfun- 
gen ohne  Entzündung  gebraucht.  Man  bereitet  sie  entweder  aus  Kamil- 
lenaufguss oder  Hafergrüzenabkochung,  welchen  man  Weinessig  (^j — ij), 
namentlich  bei  narkotischen  Vergiftungen,  Neutralsalze,  Kochsalz,  Glauber- 


KLYSTIER.  493 

salz,  Bittersalz  (^j — ij),  Salmiak  ^ß — j),  Brechweinstein  (gr.  j — vj), 
bei  narkotischen  Vergiftungen,  Delirium  tremens,  Seife  (5j — üj), 
Brechwurzelpulver  (*)j  —  5j)  zusezt ,  oder  aus  einem  Aufgusse  von  Ta- 
backsblättern  (ex  5ß  —  5^)-  Leztere  erregen  auf  eigentümliche  Art 
den  Motus  peristalticus,  während  sie  auf  die  willkürlichen  Muskeln 
eine  abspannende  Wirkung  äussern ,  und  werden  daher  bei  Scheintod 
durch  Unterdrückung  des  Kreislaufs,  wie  Ertrunkenen,  Erhängten,  durch 
Kohlendampf  Erstickten ,  bei  Schlagfluss ,  Vergiftungen  durch  Opium, 
Säuferwahnsinn,  und  bei  einigen  Arten  von  Krämpfen,  wie  Krampf-  und 
Windkolik  aller  phlegmatischen  Personen ,  die  zugleich  an  Verstopfung 
leiden,  bei  hartnäckigen  Krämpfen  der  Harnblase  und  der  Harnröhre  und 
daher  rührenden  Dysurien  und  Ischurien,  beim  Wundstarrkrampf,  wo  sie  mit- 
tels einer  elastischen  Röhre  über  die  Flexura  iliaca  hinaufgebracht 
werden  müssen,  mit  mehr  oder  weniger  gutem  Erfolg  gebraucht.  Am  häufig- 
sten wendet  man  sie  bei  Brucheinklemmungen  an,  wo  sie  aber  nur  bei  Koth- 
einklemmungen  nüzlich  sind  ,  bei  entzündlichen  Einklemmungen  vor  der 
Taxis  aber  immer  schaden,  nach  dieser  aber  wieder  angezeigt  sind,  weil 
der  Motus  peristalticus  durch  die  Entzündung  unterdrückt  ist. 
Der  Tabaksrauchklystiere  bedient  man  sich  selten  mehr,  weil  die  Quan- 
tität des  dazu  verbrauchten  Tabaks  sich  nicht  genau  bestimmen  lässt.  — 
5)  Lindernde,  einhüllende,  erweichende,  erschlaffende 
Klystiere,  Cl.  lenientia,  demulcentia,  involventia,  emol- 
lientia,  relax  antia.  Ihre  Wirkung  erstreckt  sich  nicht  blos  auf 
die  Schleimhaut  des  Mastdarms,  sondern  da  sie  aufgesaugt  werden,  auch 
auf  alle  Unterleibsorgane  und  selbst  auf  den  ganzen  Organismus.  Sie 
passen  daher  nicht  allein  bei  Entzündungen  und  entzündlichen  Reizungen 
des  Mastdarms  ,  wie  Tenesmus  ,  Hämorrhoidalschmerz ,  sondern  auch  bei 
ähnlichen  Leiden  des  ganzen  Darmkanals  und  der  übrigen  Unterleibs- 
organe ,  Diarrhoen  ,  Ruhren  ,  Kolik ,  Strangurie  ,  Nierenschmerzen  etc. 
Man  bereitet  sie  aus  verschiedenen  Schleim-  und  ölhaltigen  Substanzen, 
besonders  aber  Kuhmilch ,  Abkochung  von  Hafergrüze ,  Gerstengraupe, 
Malz  ,  Leinsamen  ,  Eibischwurzel ,  Salepwurzel ,  Stärkmehl ,  arabischem 
Gummi ,  Eigelb  und  sezt  denselben  nach  Erforderniss  ein  fettes  mildes 
Oel  bei.  Da  sie  aufgesaugt  werden  sollen ,  dürfen  sie  nur  zu  kleinen 
Quantitäten  gegeben  werden.  Formel:  Rp.  Herb.  malv.  conc, 
Flor,  chamomill.,  Sem.  lini  contus.  ana  ^ij,  c  o  q.  Lact. 
vaccin.  ^xvj,  c o  1.  5xij  adde  Ol.  lini  sjjiv.  M.  S.  zu  2  Klystieren. 
—  6)  Beruhigende,  schmerzstillende  Klystiere,  C 1. 
sedantia,  sopientia,  anodyna.  Sie  zerfallen  in  narkotische 
und  krampfstillende.  Die  narkotischen  bereitef  man  hauptsächlich 
aus  einer  schleimigen  Abkochung  und  sezt  denselben  Tinct.  opii 
0ß  — j)  oder  Extr.  opii  aq.  (gr.  ij  —  iij)  oder  Extr.  belladon. 
0ß  —  5ß),  Extr.  hyoscyami  Qß  —  5j)  zu,  oder  aus  einer  Ab- 
kochung von   Mohnköpfen   (ex   5ij  —  üj)   oder  aus   einem   Aufguss   von 


494  KLYSTIER. 

Herb.  s.  Radix  belladonnae  (ex  *)ß — 5ß),  Herb,  hyoscyam. 
(ex  *)j  —  5ß)-  Man  gebraucht  sie  hauptsächlich  bei  Entzündungs- 
schmerzen in  den  Beckenorganen,  entzündlichen  Brucheinklemmungen, 
beim  Ileus,  bei  krampfhaften  Stricturen  des  Mastdarms,  des  Blasenhalses 
und  der  Harnröhre,  bei  krampfhaften  Beschwerden  der  Unterleibsorgane, 
bei  Vergiftungen  mit  organischen  Giften  (Strychnin,  Opium),  überhaupt 
auch  in  allen  Fällen,  wo  Narcotica  angezeigt  sind  ,  diese  aber  durch  den 
Mund  nicht  beigebracht  werden  können.  Zu  bemerken  ist,  dass  die  narkoti- 
schen Mittel,  durch  Klystiere  beigebracht,  ihre  Wirkungen  schneller  und 
deutlicher  äussern,  als  vom  Magen  aus,  und  ist  daher  beim  Gebrauche  der- 
selben die  grösste Vorsicht  zu  empfehlen.  —  Die  krampfstillenden 
Klystiere,  Cl.  antispasmodica  passen  bei  rein  krampfhaften 
Affectionen  der  Brust-  und  Unterleibsorgane  und  Störungen  des  Nerven- 
lebens in  der  Brust-  und  Bauchhöhle.  Gewöhnlich  nimmt  man  ein 
Infus,  flor.  chamom.  mit  Haferschleim ,  von  jedem  3  Unzen,  löst 
darin  5j  —  ij  Asa  foetida  auf  und  sezt  ^j  Leinöl  zu.  Auch  passt 
folgende  Formel :  Rp.  Rad.  valerianae  ^ij,  Fol.  aurant.,  Herb, 
millefol.,  Flor,  chamom.  ana  5j,  in  f.  a  q.  ferv.  ^ij,  col.  ^xvj 
adde  Gummi  asae  foetid.  5üj,  Ol.  lini  ^ij  M.  S.  Zu  3  Kly- 
stieren.  Gegen  die  Bleikolik:  Rp.  Ol.  nuc.  jugland.  ^J3,  Vini 
rubri  ^j.  M.  Beim  Ileus  und  Volvulus  ist  ein  Absud  der  gebrannten 
Kaffeebohnen  (ex  5ij  —  ^ß)  empfohlen.  Bei  krampfhaften,  schmerz- 
haften Hämorrhoidaibeschwerden  im  Mastdarm  und  bei  Verdickung  des- 
selben rühmt  Kopp. :  Merc.  dulc.  gr.  j —  iv,  Gummi  arab.  ^ß, 
Aq.  valerianae  ^jß  M.  exact.  S.  Zu  1  Klystier.  —  Tabaks- 
klystiere  ,  in  Absicht  auf  die  lähmende  ,  muskelabspannende  Eigenschaft 
des  Tabaks  ,  bei  Krampf koliken ,  krampfhaften  Ischurien  und  Dysurien, 
krampfhafter  Brucheinklemmung,  beim  Tetanus.  —  7)  Flüchtig 
reizende  Klystiere,  Cl.  Stimulantia.  Sie  äussern  ihre  mehr 
oder  weniger  energische  Wirkung  zuerst  auf  den  Dickdarm  und  die 
andern  Unterleibsorgane  und  secunclär  auf  den  ganzen  Organismus. 
Da  sie  aufgesaugt  werden,  dürfen  sie  nur  in  kleinen  Quantitäten  gegeben 
werden.  Die  Mittel ,  welche  hier  in  Gebrauch  kommen  ,  gehören  den 
weingeistigen  und  ätherisch-öligen  an,  welche  einem  einfachen  Vehikel 
zugesezt  werden.  Die  ersteren  gebraucht  man  bei  grosser  Schwäche  in 
typhösen  Fiebern ,  wenn  sie  durch  den  Mund  nicht  beigebracht  werden 
können  oder  im  Magen  nicht  ertragen  werden.  Man  benuzt  dazu  Alko- 
hol und  weingeistige  Tincturen  (5j  —  §ß)  ,  Aetherarten  Qj  —  5j). 
Die  ätherisch  öligen  Mittel  zieht  man  in  Nervenfiebern  und  Neuralgien, 
besonders  der  Lenden-  und  Hüftnerven  in  Gebrauch.  Man  verwendet 
dazu  Campher  Qj  — 5j),  Terpenthinöl  (§ß — j)  mit  Eigelb  oder  ara- 
bischem Gummischleim  abgerieben.  8)  Die  balsamischen  Klystiere, 
Cl.  balsamica,  bei  Leiden  der  Schleimhäute ,  wie  Leucorrhoe,  colli- 
quativen  Diarrhoen ,   Darmschwindsucht  und  Geschwüren ,   Tripper  ange- 


KLYSTIER. 


495 


wendet ,  bereitet  man  aus  Terpenthin  ,  Copaivabalsarn  in  folgender  Zu- 
sammensezung :  Rp.  Terebinth.  5üj,  Meli.  crud.  ^j,  Vit  eil. 
ovor  No.  y|,  Inf.  flor.  chamom.  ^iv.  —  Rp.  Bals.  copaiv. 
5ij  —  5vj,  V  i  t  e  1 1.  o  v.  No.  j,  Extr.  o  p  i  i  g  r.  j.  D  e  c  o  c  t.  avenae 
excortic.  ^iv.  M.  —  9)  Tonische  Kly  stiere,  Cl.  tonicas. 
tonotica.  Man  gebraucht  sie  bei  Gekrösschwindsucht,  bei  Schwäche- 
zustand  nach  hizigen  Fiebern ,  bei  Wechselfiebern ,  besonders  wenn  der 
Magen -die  China  nicht  erträgt.  Man  bereitet  sie  aus  Abkochungen  von 
Rad.  gentianae,  Hb.  centaurei,millefolii,  cort.  chinae, 
Chinapulver  in  einer  Flüssigkeit  suspendirt ,  und  von  Chinin ;  z.  B. 
Rp.  De  co  ct.  cort.  chinae  ex  5ij  par.  ^iij,  Tinct.  opii  sirnpl. 
5j\  Mucilag.  g.  arabic.  ^ß.  M.  —  Rp.  Chinin,  sulphur.  5jr 
Mucilag.  g.  arab.  5J,  A  q.  de  s  t  i  1 1.  sp  1.  5ijß.  M.  ~  10)  A  d- 
stringirende  Kly  stiere,  Cl.  adstringentia.  Diese  dürfen 
ihrer  Natur  nach  nur  in  einer  Temperatur  von  wenigen  Wärmegraden, 
und  weil  sie  eingesaugt  werden  sollen ,  in  geringer  Quantität  gegeben 
werden.  Man  gebraucht  sie  bei  Blutungen  aus  dem  Mastdarm ,  bei  ato- 
nischen Hämorrhoiden,  Erschlaffung  des  Mastdarms,  daher  bei  Prolapsus 
ani  ,  Blähungsbeschwerden  ohne  entzündliche  Reizung,  bei  hartnäckigen 
Diarrhöen  ohne  Entzündung ,  und  bereitet  sie  aus  kaltem  Wasser ,  aus 
Abkochungen  von  Galläpfeln,  Eichenrinde ,  Tormentilla ,  Ratanhia,  Kino 
etc.  (Rp.  Rad.  tormentillae,  Rad.  rat  an  h-,  Cort.  quere,  ana 
^ß,  conc.  M.  f.  species.  S.  Morgens  und  Abends  den  6.  Theil  mit 
2  Weingläsern  heisses  Wasser  angebrüht  und  gelind  gekocht  zum  Kly- 
stier ;  bei  Mastdarmvorfall)  ,  ferner  verdünnten  Mineralsäuren ,  Blei- 
wasser ;  lezteres  ist  namentlich  bei  Brucheinklemmungen  empfohlen. 
11)  A  u  f  1  ö  s  e  n  d  e  K  1  y  s  t  i  e  r  e,  C  1.  r  e  s  o  1  v  e  n  t  i  a.  Bei  Stockungen 
im  Unterleibe  gebraucht  man  die  sogenannten  Visceralklystiere ,  welche 
man  aus  Auflösungen  von  Seife ,  Salmiak ,  Seignetesalz  oder  aus  Ab- 
kochungen seifenartiger  und  bitterer  Pflanzen,  wie  Rad.  saponariae, 
taraxaei,  graminis,  Hb.  millefolii,  centaurei,  cardui 
benedicti,  fumariae  etc.  bereitet  und  denselben  nach  Bedürfnis^ 
Asa  foetida  oder  andere  Antispasmodica  zusezt.  Bei  hartnäckigen 
Drüsenanschwellungen  im  Bauche  gebraucht  man  Jodklystiere ,  z.  B.  Rp. 
J  o  d  i  i  g  r.  j  —  ij ,  Kali  h  y  d  r  o  j  o  d.  g  r.  x  —  xv,  s o  1  v.  in  A q.  comm. 
de  still.  5iji3  adde  Mucilag.  sem.  lini^jß.  M.  S.  zu  2  Klystie- 
ren  :  Rp.  Tinct.  jodinae  gtt.  xx,  Mucilag.  sem.  1  i  n  i  ^ij.  M.  S. 
Zu  1  Klystier.  Bei  Verdickungen  der  Häute  des  Mastdarms  gebraucht 
man  auch  Klystiere  mit  M  er  cu  r.  d  ul  c  is  gr.  i —  vj.  —  12)  Fäul- 
nisswidrige Kly  stiere,  Cl.  antiseptica.  Sie  müssen  zu 
niedrigen  Temperaturgraden  gegeben  werden  und  zwar  applicirt  man 
Klystiere  mit  Kohlensäure  in  Gasform  bei  fauligen  scorbutischen  Leiden 
des  Darmkanals ,  bösartigen  stinkenden  Geschwüren ,  z.  B.  Krebs  des. 
Mastdarms,  und  bei  fauligen  Fiebern ,  mit  Mineralsäuren  (10  —  4  0  Tropfen 


496  KNIEGELENKENTZUENDUNG. 

auf  1  Klystier)  bei  drohendem  Brande  ;  mit  Citronensaft  oder  Weinessig 
(5ij  — 5ß  auf  1  Klystier)  bei  galligen  und  fauligen  Fiebern;  mit  Silber- 
salpeter als  umstimmendes  Mittel  (gr.  j  —  iv  auf  ^vj  Wasser)  'beim 
Abdominaltyphus ,  auch  bei  Entzündung  der  Darmschleimhaut.  — 
13)  Wurm  widrige  Klystiere,  C 1.  anthelmintica.  Man 
wendet  sie  hauptsächlich  gegen  die  Ascariden  an  und  bereitet  sie  aus  Ab- 
kochungen scharfer  Pflanzen  ,  wie  Tabakskraut ,  Sabadillsamen  (5j  —  ij) 
oder  bitterer  und  widrigriechender,  ätherisches  Oel  haltiger  Pflanzen- 
stoße,  wie  Herb,  absynthii,  Rad.  filicis,  Valeriana e,  Semen 
tanaceti,  aus  fettem,  etwas  scharfem  Oel,  Oleum  ricini,  jecoris 
as  elli  etc.  —  14)  Ernährende  Klystiere,  C  1.  nutrientia. 
Man  gibt  sie  in  der  Absicht ,  um  Nahrungsstoffe  in  den  Körper  zu  brin- 
gen ,  wenn  diese  aus  irgend  einem  Grunde  nicht  in  den  Magen  gebracht 
werden  können.  Man  bereitet  sie  aus  starker,  ungesalzener  Fleischbrühe, 
Milch,  Gallerte,  Sulz,  Eigelb,  Stärkmehl,  Salep  u.  dgl.  —  14)  Kly- 
stiere aus  atmosphärischer  Luft.  Man  wendet  sie  bei  hart- 
näckiger Verstopfung,  Kotherbrechen,  nicht  entzündlichen  Brucheinklem- 
mungen,  überhaupt  bei  Motus  antiperistalticus  an  und  benüzt 
dazu  eine  Thierblase  oder  die  Magenpumpe. 

Xniegelenkentzündung,  Arthrophiogosisgenu,  Go- 

narthrocace,  Tumor  albus  genu,  zeigt  alle  Formen  der 
Gelenkentzündung  (siehe  diesen  Artikel),  und  zwar  treten  hier  die  Er- 
scheinungen der  Entzündung  der  Bänder  und  der  spongiösen  Enden  der 
Knochen  für  sich  deutlicher  hervor ,  als  an  den  übrigen  Gelenken.  Der 
Verlauf  kann  acut  oder  chronisch  sein.  —  Symptome:  l)  der  Ent- 
zündung der  Bänder.  Die  acute  Form  tritt  entweder  plözlich 
auf  oder  nachdem  mehrere  Tage  Schmerzen  in  den  verschiedenen  Ge- 
lenken vorausgegangen  waren ,  die  sich  nun  im  Kniegelenke  fixiren ; 
dieses  schwillt  an ,  die  Geschwulst  ist  elastisch  gespannt ,  die  Haut  glän- 
zend, zuweilen  geröthet.  Die  Schmerzen,  die  durch  jede  Bewegung  und 
Berührung  so  wie  durch  die  Bettwärme  vermehrt  werden ,  breiten  sich 
nicht  selten  über  einen  Theil  des  Gliedes  aus,  ebenso  die  Anschwellung  ; 
das  Glied  zeigt  sich  manchmal  ödematös  angeschwollen.  Die  An- 
schwellung des  Knies  zeigt  manchmal  eine  fluctuirende  Beschaffenheit, 
wenn  durch  Affection  der  Synovialhaut  vermehrte  Ergiessung  in  die 
Gelenkkapsel  statt  findet.  In  höheren  Graden  ist  Fieber  zugegen.  — 
Wird  die  Entzündung  nicht  zertheilt ,  so  breitet  sie  sich  auf  die  andern 
Gebilde  des  Gelenks  aus  und  bringt  Vereiterung  desselben ,  Zerstörung 
der  Knorpel  und  der  Gelenkenden  der  Knochen  hervor ,  oder  sie  geht 
unter  Abnahme  aller  Erscheinungen ,  mit  Ausnahme  der  Geschwulst, 
welche  bestehen  bleibt ,  weich  wird  und  manchmal  den  Eindruck  des 
Fingers  behält,  in  den  chronischen  Zustand  über.  —  Bei  der  chroni- 
schen Bänderentzündung  zeigt  sich  eine  weiche ,   teigig-elastische ,    un- 


KNIEGELENKENTZUENDUNG.  497 

gefärbte  Geschwulst  mit  geringem  Schmerze ,  der  sich  nur  bei  Druck 
und  Bewegungen  vermehrt.  Mit  allmäliger  Zunahme  der  Geschwulst 
wird  die  Haut  glänzend ,  etwas  wärmer  und  mit  varicösen  Venen  durch- 
zogen ;  das  Glied  magert  ab,  wird  im  Gelenke  gebogen,  es  stellen  sich  ein 
Gefühl  von  Schwere ,  Mattigkeit  und  Hize  im  ganzen  Gliede  und  zeit- 
weise heftigere  Schmerzen  ein.  Nach  kürzerer  oder  längerer*Zeit  wird 
die  Geschwulst  unter  Vermehrung  der  Schmerzen  und  den  Erscheinungen 
des  hectischen  Fiebers  an  einzelnen  Stellen  fluctuirend ,  die  Haut  ver- 
dünnt sich,  bricht  endlich  auf,  es  ergiesst  sich  ein  dünner  flockiger  Eiter, 
die  eingeführte  Sonde  zeigt  cariose  Zerstörung  und  der  Kranke  geht 
hectisch  zu  Grunde.  —  2)  Entzündung  der  Synovialhaut  ist 
leicht  durch  die  Fluctuation  zu  erkennen ,  die  sich  bald  nach  dem  Auf- 
treten der  Entzündung  bemerklich  macht  und  zu  beiden  Seiten  und  über 
der  Patella  zuerst  gefühlt  werden  kann.  Wird  die  Entzündung  nicht 
zertheilt ,  so  ist  entweder  Vereiterung  des  Kniegelenks  die  Folge ,  oder 
der  Zustand  wird  chronisch,  in  welch'  lezterem  Falle  sich  die  fluctuirende 
Beschaffenheit  der  Geschwulst  allmälig  verliert,  indem  sich  die  Synovial- 
haut  verdickt  und  plastische  Exsudate  abgesezt  werden.  Der  Schmerz 
ist  meistens  gering,  er  vermehrt  sich  erst  mit  dem  Eintritt  der  Eiterung. 
Ein  acuter  Verlauf  führt  leztere  schneller  herbei.  —  3)  Die  Entzün- 
dung der  Knochenenden  characterisirt  sich  durch  einen  äusserst 
langsamen  Verlauf,  geringe  Schmerzen  und  eine  Geschwulst,  welche  an- 
fangs die  Form  der  aufgetriebenen  Gelenkenden  zeigt,,  später  aber  durch 
seröse  oder  plastische  Exsudation  sich  über  das  ganze  Gelenk  ausbreitet. 
Unter  vermehrten  Schmerzen  wird  endlich  die  Haut  geröthet ,  es  bilden 
sich  Abscesse,  die  eingeführte  Sonde  zeigt  Caries  und  es  treten  die  Er- 
scheinungen der  hectischen  Consumption  ein.  —  Wie  beim  Hüftgelenke, 
so  kann  auch  beim  Kniegelenke  eine  Luxatio  spontanea  erfolgen 
und  zw,ar  geschieht  sie  in  der  Regel  nach  innen,  wobei  der  Condyl. 
femor.  int.  den  innern  Rand  der  Tibia  um  */4 — 1  Zoll  überragt.  — 
Die  Ursachen  sind  die  in  dem  Art.  Gelenkentzündung  ange- 
gebenen. Zu  bemerken  ist  noch ,  dass  traumatische  und  rheumatische 
Ursachen  besonders  die  Entzündung  der  Bänder  und  der  Synovialhaut, 
die  Serophelkrankheit  die  der  spongiösen  Knochenenden  bedingt.  — 
Behandlung.  Sie  ist  ähnlich  wie  bei  der  Hüftgelenkentzündung. 
Man  verfährt  streng  antiphlogistisch  ,  sezt  wiederholt  Schröpfköpfe  oder 
Blutegel ,  lässt  Quecksilbersalbe  einreiben  etc.  und  berücksichtigt  den 
constitutionellen  Character  der  Entzündung ,  gibt  innerlich  z.  B.  anti- 
rheumatische Mittel ,  Brechweinstein  ,  Opium  ,  Colchicum  ,  bei  Syphilis 
Quecksilber,  bei  Scrophulosis  Leberthran,  Tinct.  jodi  etc.,  doch  sind 
die  örtlichen  Mittel  gewöhnlich  die  wichtigsten.  Dabei  ist  aucn  hier 
strenge  Ruhe  nothwendig ,  namentlich  hat  man  von  vorn  herein  die  zu 
starke  Beugung  des  Unterschenkels  zu  verhüten,  zu  welchem  Behufe  man 
ein  kleines  Spreukissen  unter  die  Kniekehle  legt.  Unter  den  später  an- 
Burg-er,  Chirurgie.  32 


-498  KNIEVERKRUEMMUNGEN. 

zuwendenden  Hautreizen  sind  Vesicantien,  Moxen  weniger  zu  empfehlen, 
als  das  Glüheisen ,  mit  dem  man  1  —  4  Streifen  zu  beiden  Seiten  der 
Patella  zieht.  Die  Application  des  Glüheisens  muss  nach  Umständen 
wiederholt  und  die  Eiterung  unterhalten  werden.  Das  Glüheisen  hilft 
aber  nur  ,  so  lange  noch  nicht  Caries  da  ist.  '  Zeigt  sich  Neigung  zur 
Luxation ,  so  befestigt  man  das  Glied  auf  eine  gefütterte,  leicht  concave 
Schiene  oder  auch  in  einer  Pappkapsel.  Die  Funktion  des  fluctuirenden 
Gelenkes  ist  zu  vermeiden ,  ebenso  die  Erweiterung  der  Fisteln.  Ist  die 
Eiteransammlung  nicht  beträchtlich ,  sind  keine  Fisteln  an  der  hintern 
Seite  des  Gliedes  und  kann  man  annehmen  ,  dass  die  Caries  nicht  tief 
sei ,  so  ist  die  Resection  des  Kniegelenkes  angezeigt ;  man  darf  aber  ,nie 
mehr  als  lj.2  Zoll  der  Tibia  und  etwa  1  —  l1^  Zoll  vom  Femur  weg- 
nehmen ;  ausserdem  ist  nichts  von  ihr  zu  erwarten  und  es  ist  dann  die 
Amputation  des  Oberschenkels  oder,  wenn  blos  der  Kopf  der  Tibia  cariös 
wäre,    die  Exarticulatio    cruris    angezeigt. 

KniegelenkwaSSerSUCht,  Hydrops  genu  ,  wird  eine 
Ansammlung  von  seröser  oder  serös-albuminöser  Flüssigkeit  in  der  Syno- 
viaihöhle  des  Kniegelenks  genannt,  in  Folge  deren  eine  mehr  oder  minder 
umfangreiche  Geschwulst  des  Gelenks  entsteht,  die  von  den  Insertionen 
des  Kapselbandes  begrenzt  wird.  —  Symptome:  Die  Geschwulst 
befindet  sich  immer  an  der  vordem  Fläche ,  nie  an  der  hintern ,  weil 
das  Kapselband  hier  zu  eng  ist.  Sie  ist  unregelmässig ,  gleich  anfangs 
ßuctuirend  und  bei  jeder  Bewegung  die  Gestalt  ändernd.  Sie  sizt  ent- 
weder vorn  oder  an  den  Seiten ,  im  leztern  Falle  tritt  sie  an  der  innern 
Seite  meistens  stärker  hervor  und  wird  durch  die  Kniescheibe  und  ihre 
Flechse  in  zwei  Theile  getheilt.  Die  Kniescheibe ,  die  bei  ausgestreck- 
tem Schenkel  nach  vorn  gedrängt  wird ,  ist  sehr  beweglich ,  lässt  sich 
leicht  rückwärts  drücken ,  erhebt  sich  aber  bei  nachlassendem  Drucke 
sofort  wieder.  Bei  der  Beugung  des  Knies  liegt  die  Kniescheibe  fest 
auf  dem  Condylus  des  Oberschenkels  zwischen  den  mehr  hervorgetretenen, 
aber  auch  gespannteren  Wasserhügeln.  Die  Kniegelenkwassersucht  hin- 
dert den  Kranken  nicht  am  Gehen ,  wenn  sie  nicht  sehr  entzündlich  und 
schmerzhaft  ist ,  doch  kann  das  Glied  nicht  gut  gebeugt  werden ;  bei 
acuten  Hydarthrosen  ist  das  Knie  andauernd  etwas  gebeugt  und  dann  ist 
die  Streckung  schwer.  Ist  auch  das  äussere  Zellgewebe  inliltrirt,  so  hört 
auch  die  Beweglichkeit  der  Kniescheibe  in  Folge  der  äussern  Anschwel- 
lung auf.  —  Ueber  Diagnose,  Ursache,  Prognose  und  B  e- 
handlung  s.    den  Art,    Gelenkwassersucht. 

Knieverkrümmungen,  Curvaturae  genu.  Das  Knie- 
gelenk ist  verschiedenen  Richtungsveränderungen  unterworfen ,  deren 
Grund  entweder  in  krankhafter  Affection  der  betreffenden  Gelenkenden, 
oder  in  einem  Erkranktsein  der  verschiedenen  zum  Kniegelenkapparate 
gehörigen  Faser-  und  Knorpelgebilde,   oder  in  einer  krankhaften  Thätig- 


KNIE  VEBKEUEMMUN  GEN.  499 

keit  und  Texturbeschaffenheit  der  Muskeln  und  Sehnen  liegen  kann.  — 
Die  Verkrümmungen  des  Kniees  sind  entweder  angeboren  oder  erworben. 
Das  Kindesalter  ist  demselben  am  häufigsten  unterworfen ,  theils  weil  in 
diesem  Alter  die  Epiphysen  der  Knochen  noch  weich  und  nachgiebig, 
theils  die  diesen  Deformitäten  häufig  zu  Grunde  liegenden  Krankheiten 
(Khachitis,  Scrophelsucht  etc.)  vorzugsweise  dem  Kindesalter  eigen  sind. 
Die  Zeit  der  Entstehung  fällt  gewöhnlich  in  die  des  Stehen-  und  Gehen- 
lernens, obgleich  auch  in  späteren  Lebensaltern  Knieverkrümmungen  sich 
ausbilden  können.  —  Man  unterscheidet  folgende  Formen  von  Kniege- 
lenkverkrümmungen :  l )  die  Kniekrümmung  nach  einwärts, 
Ziegen-  oder  Kuhbein,  Weinstühlchen  (Genu  valgum)  trifft 
bald  nur  die  eine  ,  bald  beide  Extremitäten.  Im  ersten  Falle  liegt  das 
kranke  Knie  am  gesunden  an,  der  Unterschenkel  weicht  nach  unten  immer 
mehr  und  mehr  ab  ,  so  dass  die  Entfernung  der  Füsse  am  bedeutendsten 
ist.  Der  äussere  Gelenkkopf  des  Os  femoris  ist  nicht  zu  fühlen,  der 
innere  ragt  nach  innen  hervor;  das  Gleiche  ist  der  Fall  bei  den  Knöcheln; 
dabei  tritt  der  Kranke  mehr  -mit  dem  innern  Rande  des  Fusses ,  als  mit 
der  Fusssohle  auf.  Der  Muse,  bieeps  femoris  und  seine  Sehne 
spannt  sich  bei  versuchter  Extension ,  das  kranke  Knie  senkt  sich  im 
Stehen  zugleich  etwas  nach  vorwärts  ,  der  Kranke  steht  mit  dem  Becken 
schief  und  neigt  sich  beim  Gehen  auf  die  kranke  Seite.  Sind  beide  Ex- 
tremitäten ergriffen,  so  liegen  beide  Kniee  an  einander,  oft  steht  das  eine 
hinter  dem  andern.  Der  Gang  ist  hin  und  her  wankend  und  sehr  unsicher, 
die  Füsse  werden  dabei  gleichsam  nach  auswärts  geschleudert.  —  Be- 
günstigt wird  diese  Verkrümmung  durch  die  an  und  für  sich  bestehende 
grössere  Schwachheit  der  innern  Seite  des  Knies.  Gelegenheits- 
ursachen sind :  Wunden  und  Geschwüre  am  äussern  Fussrande, 
wodurch  der  Kranke  genöthigt  -ist ,  beim  Gehen  nur  mit  dem  innern 
Fussrande  aufzutreten ;  der  Valgus  erzeugt  daher  als  Compensations- 
krümmung  immer  Ziegenbeine  ;  ferner  Verkrümmungen  an  der  äussern 
Seite  des  Knies,  wodurch  die  daselbst  liegenden  Sehnen  und  Bänder  ver- 
kürzt werden  ;  die  üble  Gewohnheit,  die  Kinder  immer  auf  der  nämlichen 
Seite  zu  tragen,  wodurch  das  Knie  mit  dem  Arme  stark  nach  innen  ange- 
drückt wird  ;  endlich  Stehen  und  Tragen  in  ungünstiger  Stellung  (Bäcker, 
Lastträger  etc.  —  Die  Auswärtsbeugung  des  Knies,  Säbel- 
oder Sichelbein  (Genu  varum),  kommt  gewöhnlich  an  beiden 
Extremitäten  zugleich  vor ,  welche  im  Zustande  der  Extension  eine  mehr 
oder  weniger  regelmässige  elliptische  Gestalt  annehmen.  Bei  höheren 
Graden  sind  meist  auch  die  Knochen  des  Unterschenkels  nach  aussen  ge- 
krümmt. Die  Condylen  des  Os  femoris,  so  wie  die  Malleoli  ver- 
halten sich  umgekehrt ,  wie  im  vorhergehenden  Falle  und  die  Kranken 
gehen  mehr  auf  dem  äussern  als  dem  innern  Fussrande.  Die  Sehnen 
der  M.  M.  semitendinosus  und  semimembranosus  fühlen  sich 
hart  und  gespannt  an.      Zuweilen  ist  das  eine  Knie  ein-,   das  andere  ans- 

32* 


500  KNIEVERKRUEMMUNGEN. 

wärts  verkrümmt  (Genu  introrsum  und  extror-sura),  —  Die 
schon  im  normalen  Zustande  vorwiegende  Kraft  derjenigen  Muskeln, 
welche  die  Auswärtsbeugung  des  Knies,  bewirken  ,  bringt  bei  Vorhanden- 
sein von  rhachitischen  und  scrophulösen  Knochenleiden  leicht  die  eben 
beschriebene  Deformität  hervor.  Der  Varus  erzeugt  als  Compensations- 
krümmung  Säbelbeine.  —  3)  Die  Vorwärtsbeugung  des  Knies 
(Contractura  genu)  besteht  darin,  dass  der  Oberschenkel  mit  dem 
Unterschenkel  im  Knie  einen  Winkel  bildet  und  sich  beide  daher  in  be- 
ständiger Beugung  befinden.  Die  Flexoren  des  Unterschenkels  ,  als  der 
Muse,  bieeps  femoris,  der  Semitendinosus  und  Semimem- 
branosus  sind  krankhaft  verkürzt,  das  Knie  erscheint  nach  vorwärts 
gedrängt.  Verkürzung  der  hinteren  Gelenkbänder ,  Degenerationen  der 
Kapselmembran  ,  Ablagerungen  von  Concrementen  auf  der  vordem  Ge- 
lenkfläche, ankylotische  Verwachsungen  geben  oft  auch  die  Veranlassung 
zu  dem  in  Rede  stehenden  Leiden.  Nicht  selten  ist  die  Vorwärtskrüm- 
mung des  Knies  mit  einem  Pferdefuss  complicirt ,  welcher  durch  das  Be- 
streben des  Kranken  entsteht,  die  Verkürzung  des  Gliedes  auszugleichen 
und  so  das  Gehen  noch  möglich  zu  machen.  Gelegenheits- 
ursachen dieser  Deformität  sind:  Geschwüre  oder  Verwundungen 
an  der  Fusssohle  oder  an  der  Ferse,  wodurch  der  Kranke  genöthigt  wird, 
mit  der  Fussspize  aufzutreten,  Verbrennungen  oder  Verwundungen  in  der 
Kniekehlengegend ,  Entzündung  des  Kniegelenks,  langwierige  Kranken- 
lager, wobei  die  unteren  Extremitäten  sich  anhaltend  in  gebogener  Lage 
befinden.  —  4)  Die  Rück  wärt  sb  eugung  des  Kni.es,  das  Ein- 
gesunkensein des  Knies  (Genu  recurvatum)  kommt  sehr 
selten  vor.  Das  Knie  bildet  auf  seiner  vordem  Fläche  eine  flache  Ver- 
tiefung und  biegt  sich  in  der  Kniekehle  aus.  —  Eine  zu  kleine  Patella 
oder  gänzlicher  Mangel  derselben ,  oder  grosse  Erschlaffung  der  Beuge- 
muskeln und  der  hinteren  Bänder  des  Kniegelenkes  können  dieses  Leiden 
hervorbringen.  —  Prognose.  Sie  ist  bei  den  verschiedenen  Formen 
von  Kniekrümmungen  eine  verschiedene.  Bei  allen  kommt  es  darauf  an, 
so  früh  als  möglich  zweckmässige  Mittel  in  Gebrauch  zu  ziehen ,  um 
wirkliche  organische  und  formelle  Veränderungen  zu  verhüten.  —  Die 
Einwärtskrümmung  gewährt  immer  eine  ungünstigere  Prognose ,  als  die 
Auswärtskrümmung ,  weil  bei  jener  meist  bedeutendere  Veränderungen 
der  Gelenkenden  vorhanden  sind ,  als  bei  dieser ,  wo  gewöhnlich  die 
grösste  Schuld  in  der  Krümmung  der  Röhrenknochen  liegt.  Bei  der 
Curvatur  des  Knies  ist  die  Prognose  nicht  ungünstig,  so  lange  noch  keine 
ankylotische  Verwachsung  eingetreten  ist.  —  Behandlung.  Vor 
Allem  müssen  die  der  Verkrümmung  zu  Grunde  liegenden  allgemeinen 
und  örtlichen  Ursachen  berücksichtigt  werden.  Erst  nach  möglichster 
Beseitigung  dieser  kann  ein  orthopädisches  Verfahren  eingeleitet  werden. 
—  Bei  der  Verbiegung  des  Knies  nach  innen  müssen  auf  der  äussern 
eingezogenen  Seite  des  Knies  erweichende  Mittel,  so  wie  Manipulationen, 


KNIEVERKEUEMMUNGEN.  501 

auf  der  innern  hervorgedrängten  Seite  aber  auf  die  ausgedehnten  Theile 
reizende  und  stärkende  Einreibungen  und  Waschungen  angewendet 
werden.  Bei  höheren  Graden  dieses  Uebels  müssen  neben  diesen  Mit- 
teln mechanische  Vorrichtungen  in  Gebrauch  gezogen  werden.  Die  ver- 
schiedenen zu  diesem  Zwecke  angegebenen  Maschinen  wirken  entweder 
so,  dass  sie  die  gekrümmte  Extremität  in  fortwährender  Extension  erhal- 
halten,  wie  z.  B.  die  Maschinen  von  Fabriz  von  Hilden,  H.  v.  Gers- 
dorf und  Ryff,  oder  sie  üben  auf  die  hervorragende  innere  Seite  des 
Knies  einen  angemessenen  Druck  oder  Zug  aus  ,  wie  die  Apparate  von 
Scultet,  Bass,  Köhler,  Trampel,  Jörg  u.  A.,  oder  es  sind  end- 
lich beide  Zwecke  in  einer  Maschine  vereinigt,  wie  es  bei  der  von  Heine, 
Siebenhaar,  Vollmer,  und  unter  gleichzeitiger  Befestigung  des 
Fusses  an  ein  Fussbrett ,  wie  es  bei  der  von  Neumann  und  Heller 
der  Fall  ist.  Die  zwei  lezt  genannten  Vorrichtungen  ,  die  sich  immer 
bewährt  haben,  bestehen  ans  langen  Seitenschienen,  die  sich  oben  unter 
Vermittlung  ovaler  Kissen  auf  das  Becken  stüzen  und  unten  ein  Quer- 
brett tragen,  das  die  Bestimmung  hat,  die  Füsse  aufzunehmen;  ist  nur 
ein  Knie  verkrümmt ,  so  ist  nur  eine  Seitenschiene  nöthig.  Die  Kniee 
werden  durch  zwei  Riemen,  die  sich  kreuzen,  unter  Beihülfe  von  Schnallen 
an  die  Schienen  hergezogen  und  befestigt  (Heller)  oder  der  Zug  wird 
durch  eine  mit  einer  Kniekappe  in  Verbindung  stehende  Schraube  ins 
Werk  gesezt  (Neu mann).  —  Die  Behandlung  der  Auswärts- 
krümmung des  Knies  gleicht  im  Ganzen  der  des  vorhergehenden 
Falles  ,  nur  dass  Alles  in  umgekehrter  Richtung  geschehen  muss.  Bei 
der  Vorrichtung  mit  den  Riemen  müssen  diese  länger  sein,  indem  sie  das 
Knie  an  die  an  der  gegenüber  liegenden  Seite  befindliche  Schiene  hinzu- 
ziehen haben.  Bei  der  andern  Maschine  mit  der  Schraube  trägt  diese 
eine  Pelotte,  welche  das  Knie  einwärts  drängt.  —  Bei  der  Vorwärts- 
beugung des  Knies  reicht  man  in  leichteren  Fällen  mit  Einreibungen, 
Bädern,  dem  Anhängen  eines  Sandsacks,  ferner  mit  allmäliger  Streckung 
durch  die  Maschinen  von  Strome y er  und  Jalad-Lafond  aus; 
kräftiger  wirkt  der  Streckapparat  von  Lorinser.  Dieser  besteht  aus 
zwei  durch  ein  Charnier  mit  einander  verbundenen  Brettchpn  zur  Auf- 
nahme des  Ober-  und  Unterschenkels  und  aus  einem  dritten  Brettchen, 
welches  die  Basis  des  Apparats  ausmacht  und  oben  mit  dem  obern  Theile 
des  Unterschenkelbrettchens  beweglich  verbunden  ist.  Das  horizontal 
liegende  Grundbrett  besizt  an  seinem  untern  Ende  in  der  Mitte  seiner 
Breite  einen  Längeneinschnitt  zur  Aufnahme  einer  Schraube,  welche  durch 
eine  am  Unterschenkelbrette  befindliche  Schraubenmutter  läuft  und  mit 
einem  Schlüssel  in  Bewegung  gesezt  werden  kann.  Auf  dieser  Vorrich- 
tung wird  das  kranke  Glied  gelagert ,  mit  breiten  gepolsterten  Leder- 
binden darauf  befestigt  und  dasselbe  nun  durch  täglich  wiederholte  Dre- 
hungen der  Schraube  allmälig  gestreckt;  eine  über  das  Knie  weglaufende 
mit   Riemen   versehene   Lederbinde   unterstüzt   die  Streckung.      Weitere 


502  KNOCHENABSCESS. 

hieher  gehörige  Maschinen  wurden  früher  von  Fabriz  von  Hilden, 
.  Scultet,  H.  v.  Gersdorf,  Bell  u.  A.  angegeben,  und  Köhler 
und  Trampel  erfanden  Extensionsstühle.  Bei  gleichzeitiger  Muskelcon- 
tractur  durchschnitten  D  ie  f  f  enb  ach,  Stromeyer,  Duval,  Guerin 
die  Beuger.  Louvrier  gab  eine  Vorrichtung  an,  mittels  deren  das 
Glied  gewaltsam  und  piözlich  ausgedehnt  werden  soll ,  ein  Verfahren, 
das  der  möglichen  Zerreissung  der  Haut,  Gefässe  und  Nerven,  so  wie  der 
gefährlichen  Entzündung  wegen ,  die  eintreten  kann ,  nicht  viele  Nach- 
ahmer fand;  weniger  lässt  das  Verfahren  von  B.  Langenbeck,  welcher 
das  Glied  unter  starker  Chloroformnarkose  mit  den  Händen  gewaltsam 
streckt  (s.  Gelenksteifigkeit),  befürchten.  —  Beider  Rück- 
wärtsbeugung des  Knies  wendet  man  zusammenziehende  und  stär- 
kende Mittel  in  die  Kniekehle  an  und  umgibt  das  Glied  mit  einer  Testudo. 

Knochen,  Krankheiten  derselben.  Die  Knochenkrank- 
heiten treten  entweder  als  rein  örtliche  (primäre)  Affectionen  auf,  oder 
sie  sind  die  Folge  eines  Allgemeinleidens  (secundäre).  Hinsichtlich 
ihres  Ursprunges  zerfallen  sie  noch  in  mechanische  und  organische  Krank- 
heiten. Die  ersteren  bestehen  in  Trennungen  des  Zusammenhangs  und 
Lageveränderungen  der  Knochen,  die  lezteren  sind  hauptsächlich  Textur- 
veränderungen, und  zwar  der  mannichfaltigsten  Art,  deren  Wesen  grössten- 
theils  noch  in  tiefes  Dunkel  gehüllt  ist.  —  Von  den  mechanischen 
Knochenkrankheiten  betrachten  wir  hier  blos  die  Knochenbrüche,  indem 
wir  die  Knochenwunden  passend  dem  Abschnitt  „  Wun  den"  .einver- 
leiben ,  den  Verrenkungen  aber  einen  besondern  Artikel  widmen.  Die 
organischen  Knochenkrankheiten  werden  dagegen  hier  vollständig  (mit 
Ausnahme  der  Afterbildungen)  in  alphabetischer  Ordnung  ihre  Betrach- 
tung finden. 

KnOChenabsCeSS,  Abscessus  ossium.  Der  acut  entste- 
hende Knochenabscess  wird  fast  nur  an  den  Diaphysen  der  Röhren- 
knochen, vorzugsweise  an  den  untern  Extremitäten,  beobachtet;  am  selten- 
sten in  breiten  und  spongiösen  Knochen,  häufiger  an  den  kurzen  Phalan- 
gen, überhaupt  an  den  Knochen  mit  Markhöhlen.  —  Diagnose  und 
Symptome.  Die  vorausgehende  Entzündung  kommt  selten  zur  Beob- 
achtung ;  nach  Klose  entwickelt  sie  sich  jedoch  stets  in  der  Diploe  des 
Knochens  und  die  secundäre  Phlegmone  unterscheidet  sich  von  andern 
gleichartigen  Entzündungen  durch  den  Ausgang  in  Verwachsung  der 
Fascien  und  Hautgebilde  mit  den  Knochen.  Der  Knochen  selbst  nimmt 
an  Volumen  zu  und  verändert  seine  Gestalt.  Das  Dickerwerden  beruht 
auf  einer  Anfüllung  der  Knochenzellen  der  Diploe  mit  Exsudaten,  welche 
später  erweichen  und  die  innere  und  äussere  Lamelle  des  Knochens  auf- 
heben. Sticht  man  eine  Probenadel  ein ,  so  findet  man  nach  Durchboh- 
rung der  äussern  Lamelle  den  Knochen  weich  und  nachgiebig ,  wie  com- 
pacte Drüsenmasse  ,   nach  der  Bildung  des  Abscesses  zeigt  sich  aber  das 


KNOCHENABSCESS.  503 

Gcgentheil ,  nämlich  eine  Verdichtung  und  Elfenbeinhärte  des  Knochens. 
Tritt  nun  Eiterung  ein,  so  werden  die  Zellenwände  zerstört  und  es  bilden 
sich ,  unter  unerträglichen  und  klopfenden  Schmerzen ,  nach  und  nach 
grössere  Eiteransammlungen,  welche  schliesslich  die  innere  Lamelle  durch- 
brechen oder  zur  Resorption  bringen  und  sich  in  die  Markhöhle  ergiessen. 
Die  Wandungen  der  Höhle  glätten  sich  und  werden  mit  einer  schleim- 
hautähnlichen Membran  überzogen.  Von  ihr  aus  entwickeln  sich  (nach 
Abfluss  des  Eiters)  neue  Gefässe ,  welche  eine  Menge  von  Fettkügelchen 
zwischen  sich  führen.  Je  nach  der  Ausbreitung  des  Eiterherdes  entste- 
hen eine  oder  mehrere  Durchbruchstellen  mit  entsprechenden  Fistelgängen 
in  den  Weichtheilen.  Geht  man  mit  der  Sonde  durch  die  Fistelgänge, 
so  fühlt  man  die  Ränder  derselben  rauh ,  aber  weich ,  und  in  der  Tiefe 
des  Knochens  einen  weiten  leeren  Raum,  ohne  auf  eine  rauhe  Fläche  oder 
einen  entblössten  Knochen  zu  stossen.  Auch  durch  die  Percussion  lässt 
sich  die  Knochencaverne  erkennen.  Andere  Male  scheint  es  der  Natur 
nicht  zu  gelingen,  solche  Abscesse  zu  öffnen.  Die  Krankheit  macht  dann 
lange  Perioden  des  Stillstandes  und  des  Nachlasses,  bis  unter  erneuerten 
bohrenden,  klopfenden  Schmerzen  die  Geschwulst  wieder  zunimmt,  Schlaf 
und  Appetit  gestört  und  die  Kräfte  erschöpft  werden.  —  Die  Unte r- 
scheidung  des  offenen  Knöchenabscesses  von  N  e  c  r  o  s  e  mit  Sequester- 
bildung beruht  auf  dem  in  lezterem  Falle  mit  der  Sonde  wahrnehmbaren 
Gefühl  von  rauhen  Wänden  und  beweglichen  Theilen.  Von  der  Caries 
unterscheidet  sich  der  Knochenabscess  wesentlich  dadurch,  dass  bei  jener 
die  darüber  befindliche  Haut  unverändert ,  die  Diploe  gelockert  und  in 
ihrem  Gefüge  zerstört  ist,  ohne  aufgetrieben  zu  sein.  Auch  hat  die  Caries 
ihren  Siz  vorzugsweise  in  den  spongiösen  Knochen  und  ist  gewöhnlich 
mit  scrophulöser  oder  tuberculöser  Dyscrasie  verbunden.  Bei  der  Unter- 
suchung mit  der  Sonde  fühlt  man  den  Boden  des  Geschwürs  rauh ,  un- 
gleich ,  es  fehlt  eine  eigentliche  Höhle  und  es  lassen  sich  einzelne 
Knochentheilchen  mit  Leichtigkeit  lostrennen  ;  der  Eiter  ist  dünnflüssig 
und  färbt  die  silberne  Sonde  schwarz.  —  Behandlung.  Kommt  das 
Leiden  zur  Behandlung  ,  so  lange  der  Abscess  noch  geschlossen  ist ,  so 
kann  nur  durch  die  Perforation  der  durch  die  Verdickung  und  Verknöche- 
rung des  Periosts  verstärkten  Abscesswandung  das  Glied  oder  selbst  das 
Leben  gerettet  werden.  Ist  der  Aufbruch  von  selbst  erfolgt,  so  sind  es 
die  necrotisirten  Knochenränder ,  welche  der  spontanen  Heilung  unüber- 
windliche Hindernisse  in  den  Weg  legen.  Es  ist  daher  die  künstliche 
Entfernung  dieser  Ränder  die  Hauptindication  bei  der  Behandlung. 
Diese  wird  durch  Trepaniren  der  betreffenden  Knochenstelle  erfüllt  und 
es  müssen  so  viele  Trepankronen  aufgesezt  werden  als  Fistelgänge  vor- 
handen sind.  Nach  bewirkter  Ausbohrung  wird  die  Knochenhöhle  von 
Spänen  etc.  durch  Aussprizen  mit  kaltem  Wasser  gereinigt ,  dann  in  die 
Bohrlöcher  lockere ,  mit  kaltem  Wasser  befeuchtete  Charpiebäusche  ein- 
gebracht, eine  feuchte  Charpiedecke  auf  die  äussere  Oeffnung  gelegt  und 


504  KNOCHENBRAND. 

diese  mit  schmalen  Zirkelpflastern  lose  befestigt.  Der  Verband  wird  täg- 
lich erneuert  und  gegen  die  nachfolgende  heftige  Knochenentzündung 
ungefähr  8  Tage  lang  eiskalte  Umschläge  gemacht ;  später  macht  man 
laue  Einsprizungen.  In  den  Bohrlöchern  stellt  sich  eine  gutartige  Eite- 
rung, ein,  an  den  Wänden  schiessen  gutartige  Granulationen  auf,  und 
binnen  einigen  Wochen  schliessen  sich  die  Gänge  vollständig ;  dabei 
nimmt  der  vorher  unförmliche  Knochen  an  Umfang  ab. 

Knochenbrand,    Necrosis    (von  vexQooa,   ich  tödte).      Man 

versteht  hierunter  ein  völliges  Absterben  der  Knochensubstanz.  Die 
Necrose  kann  alle  Knochen  ergreifen  ;  am  liebsten  befällt  sie  jedoch  die 
compacten  Knochen ,  wie  die  Diaphysen  der  Röhrenknochen  und  die  har- 
ten Lamellen  der  platten  Knochen ,  seltener  leiden  die  Gelenkenden  und 
die  schwammigen  Knochen.  —  Sie  entsteht  in  jedem  Alter  und  bei  jedem 
Geschlechte;  gewöhnlich  zeigt  sie  sich  aber  in  Jüngern  Lebensjahren  vor 
der  Pubertät.  —  Ursachen.  Als  solche  sind  alle  Schädlichkeiten  zu 
betrachten ,  welche  die  Ernährung  der  Knochen  durch  die  Bein-  oder 
Markhaut  aufheben.  Sie  sind  entweder  äussere,  wie  mechanische 
Gewalttätigkeiten,  welche  eine  Entblössung,  Erschütterung,  Quetschung 
des  Knochens  zur  Folge  haben,  oder  innere,  wie  Entzündung  der  Bein- 
und  Markhaut  und  des  Knochengewebes  ,  welche  in  Vereiterung  und  Ver- 
jauchung übergeht ,  daher  besonders  scrophulöse  ,  tuberculöse  ,  rheumati- 
sche, syphilitische  etc.  Entzündungen.  —  Je  nach  dem  Umfange  und  der 
Einwirkungsstelle  der  veranlassenden  Ursache  stirbt  bald  ein  ganzer  Kno- 
chen (Necrosis  totalis),  bald  nur  ein  Knochentheil  (N.  p  a  r  t  i  a  1  i  s) 
ab  ,  und  in  dem  lezteren  Falle  ist  bald  der  äussere  (N.  externa,  su- 
perficialis, peripherica),  bald  der  innere  Theil  eines  Knochens 
(N.  interna,  centralis)  befallen.  —  Die  abgestorbenen  Knochen 
zeigen  die  verschiedensten  Grössen  und  Formen.  Sie  haben  meistens  eine 
schuppige  Gestalt ,  sind  in  der  Mitte  am  dicksten ,  gegen  die  Ränder 
dünner  und  hier  unregelmässig,  zackig,  buchtig  etc.  Die  Fläche,  die  sich 
von  dem  übrigen  Knochen  ablöste ,  ist  immer  rauh,  wie  angefressen.  Im 
Uebrigen  unterscheiden  sie  sich  wenig  von  dem  normalen  Knochengewebe  ; 
sie  sind,  wenn  sie  nicht  durch  Jauche  missfarbig  und  angeäzt  sind,  nur  et- 
was bleicher  und  bisweilen  etwas  fester.  Das  abgestorbene  Knochenstück 
führt  den  Namen  Sequester.  —  Ein  abgestorbenes  Knochenstück 
wird  ähnlich  wie  beim  Brande  der  Weichtheile  nach  und  nach  von  den 
lebenden  Theilen  abgestossen.  Die  Dauer  dieses  Processes  ist  sehr  ver- 
schieden und  der  Vorgang  dabei  folgender.  An  der  Grenze  des  Abge- 
storbenen entwickelt  sich  eine  Entzündung  in  der  lebenden  Knochensub- 
stanz ,  in  Folge  welcher  vermehrte  Resorption  von  Knochenmasse  statt- 
findet ,  wodurch  sich  eine  Demarcationslinie  bildet ,  die  unter  fortschrei- 
tender Erweichung  und  Resorption  des  Knochengewebes  nach  und  nach 
den  Sequester  frei  macht ,   welcher  endlich  durch   die  von   der   gesunden. 


KNOCHENBRAND.  505 

Knochenfläche  aufschiebenden  Granulationen  mit  Eiterung  abgestossen 
wird.  Geht  die  Abstossung  in  kleinen  unmerklichen  Partikelchen  vor 
sich,  so  nennt  man  diesen  Vorgang  E  x  fo  1  i  ati  o  insensibilis.  — 
Der  Wiedererzeug ungsprocess  beginnt  schon  vor  der  Entfer- 
nung des  Abgestorbenen  mit  der  Bildung  der  Granulationen ,  und  geht 
grösstenteils  von  dem  noch  gesunden  Knochenstücke,  aber  auch  von  der 
Beinhaut  und  von  den  benachbarten  Theilen  aus ,  welche  in  Folge  der 
Entzündung  ein  verknöcherndes  Exsudat  absezen.  In  ungünstigen  Fäl- 
len organisirt  sich  das  faserstoffige  Exsudat  nicht  zu  verknöcherndem 
Knorpel  oder  Callus ,  sondern  zu  zellig-fibroidem  Gewebe.  —  Nach  dem 
Size  der  Necrose  an  der  Peripherie  oder  im  Centrum ,  so  wie  nach  ihrer 
Ausbreitung  zeigt  die  Knochenneubildung  einige  Verschiedenheiten.  Bei 
der  partiellen  oberflächlichen  Necrose  exfoliirt  sich  das  abgestor- 
bene Knochenstück ,  wenn  es  keine  bedeutende  Dicke  hatte,  in  Folge  der 
suppurativen  Entzündung  sehr  bald ,  und  hinterlässt  eine  eingedrückte 
Narbe ,  welche  mit  den  benachbarten  Weichtheilen  verwächst.  Bei  eini- 
ger Dicke  und  deshalb  nur  langsam  erfolgender  Lösung  des  brandigen 
Knochenstückes  ,  so  wie  bei  innerer  Necrose  bildet  sich  aber  in  Folge 
der  Ossifikation  des  von  der  umgebenden  Knochen-  und  Beinhautentzün- 
dung gesezten  Faserstoffexsudats  eine  knöcherne  ,  an  ihrer  innern  Fläche 
mit  Granulationen  besezte  Scheide  oder  Kapsel  (Todtenlade,  Cap- 
sula sequestralis)  um  den  Sequester.  Erstreckt  sich  die  Necrose 
an  einer  Stelle  durch  die  ganze  Dicke  eines  Knochens,  so  geht  die  Rege- 
neration nach  Abstossung  des  Sequesters  von  den  Knochenenden  aus, 
welche  Granulationen  bilden.  Auch  schwellen  die  Enden  an,  und  sowohl 
im  Markkanale ,  als  zwischen  Periost  und  Knochen  ,  wird  verknöcherndes 
Exsudat  abgesezt.  Sind  die  Knochenenden  nicht  zu  sehr  von  einander 
entfernt,  so  vereinigen  sich  die  gegen  einander  wachsenden  Granulationen, 
und  durch  folgende  Verknöcherung  wird  der  Zusammenhang  des  Kno- 
chens hergestellt.  Häufig  tritt  jedoch  Verkürzung  ein  oder  es  bildet  sich 
ein  falsches  Gelenk.  Stirbt  ein-*  ganzer  Knochen  mit  der  Beinhaut  ab, 
so  ist  keine  Wiedererzeugung  möglich.  —  Nach  grösseren  Substanzver- 
lusten ist  der  neugebildete  Knochen  meist  etwas  unförmlich ,  was  sich 
jedoch  mit  der  Zeit  verbessert. —  Bei  der  oberflächlichen  Necrose  stossen 
sich  die  abgestorbenen  Partien  leicht  ab.  Nicht  so  ist  es  bei  der  cen- 
tralen ,  weil  der  Sequester  von  einer  knöchernen  Kapsel  umschlossen  ist ; 
er  kann  Monate  und  Jahre  lang  in  dieser  eingeschlossen  bleiben,  wenn  er 
nicht  auf  künstlichem  Wege  entfernt  wird.  Der  um  den  Sequester  sich 
sammelnde  Eiter  tritt  durch  Oeffnungen  zu  Tage,  welche  sich  in  dem  um- 
schliessenden  Knochen  befinden  und  welche  den  Namen  Kloake  führen. 
Diese  erbsen-  bis  bohnengrossen,  ovalen  oder  runden  Oeffnungen  führen, 
nach  innen  zu  enger  werdend ,  in  die  Höhle  der  Sequesterkapsel  und 
stehen  nach  aussen  mit  den  Fisteln  in  den  Weichtheilen,  deren  Membran 
sich  in  ihnen  fortsezt ,   in  Verbindung.      Ausserdem  finden  sich  bisweilen 


506  KNOCHENBRAND. 

auch  noch  andere  unregelmässige  Lücken  von  verschiedener  Grösse  in 
der  neuen  Knochenmasse ,  welche  nicht  immer  mit  den  Fistelgängen  in 
den  Weichtheilen  communiciren ,  sondern  oft  mit  festen  Membranen  ver- 
schlossen sind  ;  sie  entstehen  wahrscheinlich  dadurch ,  dass  es  hier  zwar 
zur  Entwicklung  von  Bindegewebe,  aber  nicht  zur  Verknöcherung  in  dem 
Exsudate  gekommen  ist.  —  Sind  die  zuerst  genannten  OefFnungen  gross 
genug,  so  kann  der  Sequester  durch  dieselben  zu  Tage  treten.  Nach  der 
Entfernung  des  todten  Knochenstücks  aus  der  Kapsel  wachsen  die  Gra- 
nulationen an  der  innern  Fläche  derselben  fort ,  bis  sie  das*  Cavum  der 
Lade  ausfüllen ,  worauf  sie  allgemein  verknöchern  und  so  einen  soliden 
Knochencylinder  darstellen ,  in  welchem  sich  aber  nach  und  nach  durch 
Erweiterung  der  Markkanälchen  Marksubstanz  bildet.  Die  anfangs  dunk- 
lere und  unförmlichere  neue  Knochenmasse  wird  mit  der  Zeit  der  nor- 
malen ähnlicher ,  nur  bleibt  sie  bisweilen  an  manchen  Stellen  dichter. 
Auch  allmälige  Contraction  der  Knochennarbe  findet  zuweilen  statt  und 
damit  Verkürzung  des  Gliedes  oder  Verengerung  der  Knochenhöhie, 
welch  lezterer  Umstand  bei  den  Schädelknochen  oft  üble  Folgen  hat.  — 
Symptome.  Diese  zeigen  einige  Verschiedenheit,  je  nach  der  Art  und 
dem  Size  der  Necrose.  Entsteht  die  Necrose  in  Folge  einer  Beinhaut- 
oder Knochenentzündung,  so  gehen  die  Erscheinungen  dieser  vorher,  die 
Weichtheile  nehmen  mehr  oder  weniger  an  der  Entzündung  Theil  und 
die  Knochengeschwulst  beschränkt  sich  auf  den  Umfang  des  Sequesters. 
Bei  centraler  Necrose  zeigt  sich  eine  geringere  Röthe  ,  dagegen  eine 
bedeutendere  Anschwellung  des  Knochens  mit  sehr  heftigen,  tiefsizenden, 
zuweilen  nächtlich  exacerbirenden  (bei  syphilitischer  Necrose) ,  sich  bei 
der  Bewegung  und  auf  Druck  nicht  vermehrenden  Schmerzen.  Kommt 
es  zur  Abscessbildung ,  so  wird  durch  die  Entleerung  des  Eiters  die  Ge- 
schwulst nicht  merklich  verkleinert.  Die  Abscessöffnungen  entsprechen 
oft  dem  kranken  Knochen ,  oft  bilden  sie  lange  mit  einem  Fleischwalle 
umgebene  Gänge.  Einzelne  derselben  können  sich  schliessen,  worauf 
sodann  ein  Aufbruch  an  andern  Stellen  erfolgt.  Die  Sonde  trifft  eine 
rauhe  Fläche  und  sie  muss  durch  eine  Kloake  dringen ,  wo  sie-  dann  den 
necrotischen  Knochen  mehr  oder  weniger  beweglich  trifft.  —  Bei  der 
oberflächlichen  Necrose  wird  der  Schmerz  an  der  betreffenden 
Stelle  durch  Druck  vermehrt;  es  bildet  sich  eine  diffuse  teigige  Ge- 
schwulst ,  über  welcher  sich  die  Haut  röthet ,  bläulich  wird  und  endlich 
verschwärt.  Nun  lassen  die  Schmerzen  nach,  es  bilden  sich  üppige  Gra- 
nulationen, welche  nur  einen  engen  Fistelgang  übrig  lassen,  in  dessen 
Tiefe  der  weissgrau  oder  schwärzlich  gefärbte  Knochen  liegt,  der  der- 
Sonde  eine  harte,  glatte  Fläche  darbietet.  Sobald  die  Exfoliation  erfolgt 
ist ,  wachsen  die  Granulationen  üppig  hervor  und  vernarben ,  wenn  die 
Ausfüllung  bis  zur  Oberfläche  gediehen  ist.  —  Dieselben  Erscheinungen, 
mit  Ausnahme  des  Abscesses  ,  beobachtet  man ,  wenn  ein  blossliegender 
Knochen  von  Necrose  befallen  wird.  —  Diagnose.   Necrose  unterschei- 


KNOCHENBRAND.  507 

det  sich  besonders  von  Caries  dadurch ,  dass  die  erstere  vorzugsweise  die 
festen  Knochen  ergreift  und  auf  diese  beschränkt  bleibt ,  während  die 
Caries  häufiger  die  schwammigen  Knochenabschnitte  wählt  und  die  um- 
gebenden Weichtheile  in  Mitleidenschaft  zieht.  Bei  der  Caries  ist  der 
Knochen  brüchig ,  leicht  blutend ,  roth  und  sehr  schmerzhaft  bei  der  Be- 
rührung, bei  der  Necrose  hart,  meist  glatt,  wenig  empfindlich,  grau  oder 
schwarz.  Auf  dem  Grunde  des  cariösen  Geschwürs  wuchern  immer 
speckige,  schlaffe,  leicht  blutende  Granulationen,  bei  der  Necrose  trifft 
man  nur  an  den  Fistelöffnungen  gut  aussehende  Granulationen  an,  welche 
einen  harten  Fleischwall  bilden.  Die  Fistelöffnungen  selbst  sind  bei  der 
Caries  weit  unterminirt ,  bei  der  Necrose  eng.  Bei  der  Necrose  wird 
guter  Eiter ,  bei  der  Caries  Jauche  abgesondert.  Bei  der  erstem  findet 
überhaupt  eine  weniger  tiefe  Störung  des  Allgemeinbefindens  statt,  als  bei 
der  Caries,  der  fast  immer  Dyscrasien  zu  Grunde  liegen.  —  Prognose. 
Die  Necrose  ist  in  der  Regel  eine  sehr  langwierige ,  an  und  für  sich  aber 
keine  lebensgefährliche  Krankheit.  Mit  vollständiger  Sicherheit  ist  Hei- 
lung zu  erwarten ,  wenn  die  Necrose  oberflächlich  und  wenig  ausgebreitet 
ist.  Dagegen  ist  sie  als  eine  bedenkliche  Krankheit  zu  bezeichnen,  wenn 
sie  weit  ausgedehnt  ist ,  in  ein  Gelenk  dringt  oder  ihren  Siz  in  der  Tiefe 
hat ,  insbesondere  durch  die  ganze  Dicke  eines  tief  gelegenen  Knochens 
sich  erstreckt.  Die  Heftigkeit  und  Ausdehnung  der  Entzündung,  welche 
besonders  durch  die  längere  Einschliessung  des  Sequesters  in  derTodten- 
lade  veranlasst  wird  und  weiterhin  der  Eiterung  und  die  dadurch  bedingte 
Gefahr  des  hektischen  Fiebers  oder  der  Pyämie  begründen  diese  üblere 
Prognose.  Necrose  der  innern  Tafel  der  Schädelknochen  kann  Hirndruck 
veranlassen  und  durch  einen  spizigen  Sequester  eine  Arterie  angestochen 
werden.  —  Behandlung.  Bei  der  Necrose  hat  man  sich  vor  einem 
unzeitigen  energischen  Eingreifen  zu  hüten  und  sich  gewöhnlich  darauf 
zu  beschränken ,  alle  der  Naturheilkraft  entgegenstehenden  Hindernisse 
aus  dem  Wege  zu  räumen.  Zunächst  sucht  man  der  Necrose  vorzubeu- 
gen ,  indem  man  zu  Grunde  liegende  Dyscrasien  bekämpft ,  oder  bei  rein 
örtlichem  Verhalten  entsprechend  einschreitet.  Demgemäss  entleert  man 
unter  dem  Periost  liegenden  Eiter  oder  Blut  bei  Zeiten  durch  eine  Inci- 
sion,  zufällig  entblösste  Knochen  bedeckt  man  möglichst  bald  wieder  und 
zwar  mit  lebenden  Theilen  oder ,  wo  dies  nicht  möglich  ist ,  mit  feucht- 
warmen Umschlägen  oder  milden  Salbenverbänden ,  hält  alle  schädlich 
einwirkenden  Einflüsse  fern  etc.  Ist  aber  die  Necrose  bereits  ausgebil- 
det ,  so  hält  man  die  in  der  Nähe  des  todten  Knochens  auftretende  Ent- 
zündung in  den  gehörigen  Schranken ,  wobei  man  jedoch  die  Vitalität  so 
erhält,  dass  sie  productiv  werden  kann.  —  Bei  der  peripherischen 
Necrose  hat  man  nur  die  sich  bildenden  Abscesse  zu  öffnen  und  den  Se- 
quester ,  wenn  er  vollständig  gelöst  ist ,  auszuziehen.  Man  unterstüzt  die 
Lösung  desselben  durch  Breiumschläge,  hütet  sich  aber,  seine  Abstossung 
durch  Brennen,  Aezen ,  Abkrazen  des  Periosts  etc.  zu  beschleunigen,  in- 


508  KNOCHENBRUCH. 

dem  hierdurch  leicht  eine  weitere  Ausdehnung  der  Necrose  herbeigeführt 
wird.  Häufig  erfolgt  die  Ausstossung  des  Sequesters  von  selbst ;  das 
Knochenstück  erscheint  in  diesem  Falle  mit  einer  Spize  in  einer  der  vor- 
handenen Fistelöffnungen  und  kann  mit  den  Fingern  oder  einer  Zange 
ausgezogen  werden.  Sind  die  Weichtheile  zu  unnachgiebig  oder  ist  die 
Form  des  Sequesters  seiner  Ausstossung  hinderlich ,  so  spaltet  man  die 
Weichtheile  von  der  geeigneten  Fistelöffnung  aus  und  zieht  ihn  schonend 
aus.  —  Bei  der  centralen  Necrose  müssen  oft  zur  Vergewisserung  der 
Diagnose  und  ob  die  Ablösung  des  Sequesters  zu  Stande  gekommen  ist, 
verschiedene  Gänge  mit  dem  Messer  erweitert  werden  ;  hierdurch  wird 
nicht  nur  die  genauere  Untersuchung  mittels  Fingers  oder  Sonde,  sondern 
oft  auch  die  Ausziehung  des  Sequesters  ermöglicht ,  besonders  wenn  man 
eine  solche  Stelle  zur  Spaltung  gewählt  hat,  wo  die  grösseren  Kloaken  lie- 
gen. Ist  das  todte  Knochenstück  aber  von  der  Kapsel  zu  sehr  verhüllt, 
so  muss  man  durch  Trepankronen ,  das  Osteotom ,  Meissel  und  Hammer, 
kleine  Stichsägen  oder  schneidende  Knochenzangen  die  Lade  in  hinrei- 
chendem Umfange  eröffnen  (N  e  c  r  o  t  o  m  i  a)  ,  um  ihn  entfernen  zu  kön- 
nen. Man  wählt  dazu  eine  solche  Stelle  ,  wo  die  Verlezung  bedeutender 
Gef  ässe  und  Nerven  vermieden  Avird  und  wo  ferner  das  eine  Ende  des 
Sequesters  ,  am  besten  das  untere ,  durch  eine  Kloake  deutlich  gefühlt 
werden  kann.  Oft  reicht  auch  das  Aussägen  der  zwischen  zwei  Kloaken 
befindlichen  Knochenbrücke  hin ,  zuweilen  sogar  die  Erweiterung  einer 
Kloake  mit  einem  geeigneten  Werkzeuge.  Ist  der  Sequester  sehr  lang, 
so  kann  man  ihn  mit  einer  Zange  oder  mit  dem  Osteotom  in  der  Mitte 
zersägen ,  um  seine  Theile  durch  eine  kleinere  Oeffnung  auszuziehen. 
Blutungen  während  der  Operation  stillt  man  durch  Aufgiessen  von  kaltem 
Wasser,  nöthigenfalls  durch  die  Tamponade.  Nach  der  Herausnahme  des 
Sequesters  füllt  man  die  Wunde  leicht  mit  Charpie,  macht  mehrere  Tage 
lang  Eisumschläge,  um  einer  allzuheftigen  Entzündung  vorzubeugen,  und 
sorgt  schliesslich  für  gehörigen  Abfluss  des  Eiters.  —  Während  der  gan- 
zen Dauer  der  Krankheit  und  auch  bald  nach  der  Ausführung  der  Necro- 
tomie  muss  man  schwache  Kranke  durch  gute  nährende  Diät  und  stär- 
kende Mittel  bei  Kräften  zu  erhalten  suchen.  —  Die  Amputation  des 
erkrankten  Gliedes  ist  nur  dann  angezeigt ,  wenn  sich  die  Necrose  in 
Gelenke  erstreckt,  deren  Verjauchung  den  Tod  herbeiführen  könnte  ;  fer- 
ner wenn  bei  einem  necrotischen  Processe  die  Kräfte  des  Kranken  schon 
so  gesunken  sind ,  dass  man  die  Entfernung  des  Sequesters  nicht  unter- 
nehmen tkann,  ohne  dass  man  den  Kranken  der  wahrscheinlichen  Gefahr 
der  Erschöpfung  aussezt.  Das  Vorhandensein  mehrerer  Sequester  gibt 
für  sich  allein  nie  die  Indication  für  die  Abnahme  eines  Gliedes.  Man 
entfernt  sie  in  Zwischenräumen  und  erhält  dadurch  nicht  selten  dem 
Kranken  das  befallene  Glied. 

KnOChenbrUCh,   Beinbruch,  Fractura,    nennt  man   die 


KNOCHENBRUCH.  509 

plözliche  Trennung  des  Zusammenhangs  eines  Knochens  durch  eine  äus- 
sere Gewalt  oder  selten  durch  Muskelzusammenziehung.  —  A.  Von  den 
Knochenbrüchen  im  Allgemeinen.  —  Man  theilt  die  Knochen- 
brüche im  Allgemeinen  ein:  1)  nach  dem  Grade  der  Trennung  a)  in  voll- 
kommene ,  F  r  a c t.  completa,  wo  die  Trennung  vollständig ,  und 
b)  unvollkommene,  Fr.  incompleta,  In  fr  actio,  wo  der  Kno- 
chen nur  geknickt,  nicht  vollständig  gebrochen  ist;  2)  nach  der  Rich- 
tung des  Bruchs  a)  in  Querbrüche,  Fr.  transversae,  b)  Schief- 
brüche, Fr.  obliquae  und  Längs-,  Spalt-  oder  Schliz- 
brüche,  Fr.  longitudinales;  3)  nach  der  Zahl  der  Brüche  in 
einfache,  doppelte,  dreifache,  vielfache  (Splitter-) 
Brüche,  Fr.  simplex,  duplex,  triplex,  multiplex  s.  com- 
minutiva.  4)  In  Betreff  der  Verschiebung  der  Knochen- 
fragmente sind  die  Brüche  entweder  solche  mit  oder  ohne  Verschie- 
bung ,  Fr.  cum  oder  sine  dislocatione.  Die  Verschiebung  kann 
stattfinden :  a)  nach  der  Quere  oder  der  Dicke,  Dislocatio 
ad  latus,  wo  die  Bruchflächen  sich  nicht  vollständig  berühren ,  indem 
sie  seitwärts  von  einander  gewichen  sind ;  b)  nach  der  Achse  des 
Glieds,  Disloc.  ad  axin  s.  ad  directionem,  wo  die  Bruchenden 
in  einem  Winkel  gegen  einander  stehen;  c)  nach  der  Circumfe- 
renz,  Disl.  ad  peripheriam,  wo  das  untere  Fragment  eine  theil- 
weise  Drehung  um  seine  Achse  gemacht  hat ;  d)  nach  der  Länge, 
Disl.  ad  longitudinem,  wo  das  eine  Bruchstück  neben  dem  andern 
in  die  Höhe  gestiegen  und  also  das  Glied  verkürzt  ist ;  kommt  zu  dieser 
Verschiebung  noch  eine  seitliche  und  winklige  Abweichung ,  so  hat  man 
das  Reiten  der  Bruchenden;  e)  durch  Auseinanderweichen, 
Fract.  cum  distr actione,  wo,  wie  z.  B.  beim  Querbruche  der 
Kniescheibe,  die  Bruchenden  auseinander  gezogen  sind.  5)  Nach  derAb- 
oder  Anwesenheit  von  Nebenverlezungen  unterscheidet  man  einfache, 
Fracturae  purae  und  complicirte  Brüche  ,  Fr.  complicatae 
—  Als  eine  sehr  seltene  Art  von  Bruch  beobachtet  man  die  Ablösung 
der  Epiphyse  von  der  Diaphyse,  und  zwar  so  lange  noch  keine  knö- 
cherne Verbindung  zwischen  beiden  besteht ,  daher  gewöhnlich  nur  vor 
der  Zeit  der  Pubertät,  hauptsächlich  aber  im  kindlichen  Alter.  —  Diag- 
nose. Die  Zeichen  einer  Fractur  zerfallen  in  subjective  und  objective. 
Die  ersten  sind  :  das  von  dem  Kranken  gehörte  Geräusch  beim  Bruche, 
der  Schmerz,  die  Geschwulst  an  der  Bruchstelle,  die  Unbrauch- 
bar k  e  i  t  des  Gliedes;  diese  Zeichen  geben ,  selbst  wenn  sie  vereint 
sind,  keine  sichere  Diagnose.  Die  objectiven  Zeichen  sind:  eine  wider- 
natürliche Beweglichkeit  an  der  Bruchstelle,  die  veränderte 
Gestalt,  welche  hauptsächlich  in  der  Verschiebung  der  Bruchstücke 
ihren  Grund  hat,  die  Crepitation  bei  der  Bewegung  der  Bruchenden 
gegen  einander.  Zu  bemerken  ist,  dass  bei  Querbrüchen,  die  mit  Zacken 
in  einander   greifen ,   die  Crepitation  fehlt ,   wie  auch  bei  solchen  die  Be- 


510  KNOCHENBRUCH. 

weglichkeit  und  Verschiebung  wenig  ausgesprochen  ist.  —  Ursachen. 
Die  Knochen  brechen  in  den  meisten  Fällen  nach  Einwirkung  einer  äus- 
sern Gewalt ,  durch  einen  Schlag  ,  Druck  ,  Stoss,  Fall  etc.  Seltener  ent- 
stehen Fracturen  nur  durch  Muskelgewalt.  —  Begünstigt  wird  die  Ent- 
stehung der  Fracturen  durch  eine  oberflächliche  und  durch  wenig  Weich- 
theile  geschüzte  Lage  der  Knochen ,  durch  die  Funktion  derselben ,  ver- 
möge welcher  sie  leichter  äussern  Schädlichkeiten  ausgesezt  sind ,  durch 
höheres  Alter  und  gewisse  krankhafte  Zustände  (Syphilis ,  Rhachitis, 
Gicht ,  Scropheln ,  Scorbut ,  Krebs)  ,  bei  welchen  durch  die  Abnahme  an 
thierischen  und  die  Zunahme  an  erdigen  Bestandteilen  oder  durch  Atro- 
phie oder  Rarefaction  des  Knochengewebes  die  Knochen  eine  grössere 
Sprödigkeit,  Fragilität  erlangt  haben.  —  Die  äussere  Gewalt,  weiche 
einen  Knochen  bricht ,  wirkt  entweder  auf  seine  beiden  Endpunkte ,  und 
der  Bruch  erfolgt  dann  gewöhnlich  an  der  dünnsten  Stelle  des  Knochens 
(in  directer  Bruch,  Bruch  durch  Gegenschlag);  am  häufig- 
sten entstehen  diese  Brüche  durch  einen  Fall ,  oder  der  Bruch  findet  an 
der  Stelle  statt ,  wo  die  Gewalt  (Schlag,  Ueberfahren  durch  ein  Fuhrwerk 
etc.)  eingewirkt  hat  (directer  Bruch),  wobei  sich  dann  immer  eine 
mehr  oder  minder  bedeutende  Verlezung  der  umgebenden  Weichtheile 
findet.  —  Prognose.  Sie  ist  abhängig  von  den  Ursachen,  der  Art  und 
dem  Orte  des  Bruchs,  der  Constitution ,  dem  Alter  des  Kranken  und  dem 
Verhalten  desselben  während  der  Kur.  War  Brüchigkeit  der  Knochen, 
also  Alter  oder  Knochenkrankheiten,  die  prädisponirende  Ursache ,  so  ge- 
staltet sich  die  Prognose  nicht  gut ,  da  in  diesen  Fällen  zur  festen  Ver- 
heilung  des  Knochens  das  nöthige  Material  fehlt  oder  im  Uebermasse 
vorhanden  ist ;  ferner  ist  die  Prognose  zweifelhaft  zu  stellen ,  wenn  der 
Bruch  complicirt  ist ,  die  Bruchenden  durch  starke  Muskelcontractionen 
etc.  sehr  verschoben  sind  und  in  der  normalen  Lage  nicht  gut  erhalten 
werden  können ,  wenn  der  Bruch  Knochen  trifft,  die  nur  mit  bedeutenden 
Quetschungen  in  der  Nähe  der  Gelenke  oder  mit  Funktionsstörung  wich- 
tiger Organe  vorkommen ;  endlich  ist  die  Prognose  nicht  vortheilhaft  bei 
bestehenden  schwächenden  Krankheiten ,  dürftigen  äussern  Verhältnissen 
und  unruhigem  Betragen  des  Kranken  während  der  Kur.  Auch  ist  die 
Schwangerschaft  ein  Hemmungsmittel  der  Verheilung  einer  Fractur,  inso- 
fern hier  die  Reproductionskraft  bis  zur  Niederkunft  mehr  auf  die  Aus- 
bildung des  Foetus  gesichtet  ist.  Die  günstigste  Prognose  dagegen  geben 
einfache  quere  Brüche  in  der  Mitte  der  Röhrenknochen  bei  gesunden 
Individuen  im  mittlem  Alter  und  bei  günstigen  äussern  Verhältnissen.  — 
Verlauf  der  Heilung,  Callusbildung.  Der  Regenerations- 
process  der  Knochen  entspricht  im  Wesen  ganz  dem  normalen  Bildungs- 
process  derselben.  Der  nähere  Vorgang  ist  dabei  folgender.  Nach  einem 
Bruche  tritt  zuerst  in  den  umgebenden  Theilen ,  Periost,  Zellgewebe, 
Muskeln  eine  exsudative  Entzündung  auf,  diese  Theile  schwellen  auf,  ver- 
dichten sich ,  verwachsen  und  bilden  so  eine  feste  Kapsel  um  den  Bruch. 


KNOCHENBRUCH.  »  511 

Anf  der  innern  Seite  dieser  Kapsel  wird  durch  die  Entzündung  eine  halb- 
flüssige ,  nach  und  nach  fester  werdende  Substanz  gebildet ,  in  der  Ge- 
fässe  entstehen.  Eine  gleiche  Substanz  geht  aus  dem  Markgewebe  des 
gebrochenen  Knochens  hervor.  Die  von  der  Kapsel  abgesezte  Masse  und 
die  leztere  verschmelzen.  Dadurch  entsteht  eine  in  der  Kapsel  liegende, 
die  Fractur  einhüllende  Substantia  intermedia.  Diese  nimmt 
eine  fibröse  Beschaffenheit  an  und  füllt  alle  Zwischenräume  zwischen  den 
Knochen  aus,  während  Muskeln,  Zellgewebe,  Periosteum  in  ihren  früheren 
Zustand  zurückkehren.  Später  als  die  Weichtheile  wird  auch  der  Kno- 
chen von  der  Entzündung  ergriffen,  und  zwar  zuerst  in  einiger  Entfernung 
von  den  Bruchenden  ,  wo  der  Knochen  noch  von  dem  Periosteum  bedeckt 
ist^  und  ebenso  im  Innern  des  Knochens.  Auch  die  Knochen  exsudiren 
eine  gallertartige  Masse,  worin  sich  Gef  ässe  bilden ;  während  die  Substanz 
wächst,  wandelt  sie  sich  von  der  Seite,  wo  sie  mit  dem  Knochen  zusam- 
menhängt, in  Knorpel  und  Knochen  um.  Diese  neue  Masse,  der  eigent- 
liche Callus,  füllt  auch  die  Höhle  der  Knochen  mehr  oder  weniger  aus. 
Ausserdem  schreitet  die  Substanz  über  die  Knochenenden  weg  und  die 
Productionen  beider  Knochenenden  vereinigen  sich.  Auf  diese  Art  bil- 
det sich  der  primitive  Gallus.  Unterdessen  verwachsen  die  Oberflächen 
der  Knochen  mit  der  von  den  weichen  Theilen  und  dem  primitiven  Callus 
selbst  gebildeten  Kapsel,  die  Ränder  der  Fractur  verwachsen  hinwieder 
mit  der  Sub  s  tantia  int  er  nie  d  ia.  Auch  bildet  sich  nun  ebenfalls 
Callus ,  welcher  sich  auf  Kosten  der  unterdessen  ligamentös  gewordenen 
Substantia  intermedia  ausbildet.  Auf  der  äussern  unebenen  Fläche 
des  Callus  bildet  sich  wieder  Periosteum.  Die  weiteren  Veränderungen 
des  Callus  bestehen  in  der  Herstellung  der  Markhöhle ,  in  dem  Callus 
selbst  und  in  der  Veränderung  seiner  Form.  Die  Umwandlungen  des 
Gewebes  des  Callus  aber  geschehen  ganz  so,  wie  bei  der  ersten  Knochen- 
bildung. So  lange  der  Callus  knorpelig  ist ,  enthält  er  die  microscopi- 
schen  Knorpelkörperchen,  zur  Zeit  der  Ossification  entsteht  auch  das  zel- 
lige Gefüge  in  der  Knochensubstanz.  Mit  dieser  Erklärungsweise  des 
Vorgangs  bei  der  Heilung  gebrochener  Knochen  von  Miescher  stimmen 
auch  andere  Beobachter,  wie  Meding,  Webern.  A.  überein,  und 
lässt  sich  diese  auch  mit  der  Lehre  D  u  p  uytreu's  von  dem  provisori- 
schen und  definitiven  Callus  in  Einklang  bringen.  Der  provisorische 
Callus  nimmt  nach  diesem  Wundarzt  seinen  Ursprung  hauptsächlich  aus 
den  den  Bruch  umgebenden  Weich  theilen  und  kommt  in  3  0 — 4  0  Tagen 
zu  Stande;  der  definitive  Callus  wird  aus  dem  von  den  Bruchenden 
selbst  gelieferten  Exsudat  gebildet ;  sobald  er  sich  gebildet  hat ,  beginnt 
die  Bückbildimg  des  provisorischen.  —  Die  Zeit ,  innerhalb  welcher  die 
oben  angeführten  Vorgänge  stattfinden ,  ist  sehr  verschieden  nach  Alter, 
Constitution,  Grösse  und  Form  der  Knochen,  nach  der  Beschaffenheit  des 
Bruchs  und  der  Behandlung  desselben.  Im  Allgemeinen  heilen  Brüche 
schneller  in  jüngeren  Jahren ,   bei   guter  Constitution ,   kleinen  Knochen, 


512  KNOCHENBRÜCH. 

geringer  Verschiebung  der  Bruchenden  und  unverrückter  Lage  derselben 
während  der  Heilung,  als  unter  entgegengesezten  Verhältnissen.  Bei 
kleineren  Brüchen  kann  die  Consolidation  des  Bruches  nach  3  —  6  Wo- 
chen, bei  grösseren  nach  6  —  8  Wochen  erfolgt  sein.  —  Fehler  der 
Callusbildung.  Der  Callus  kann  in  zu  reichlicher  Menge  gebildet 
werden ,  so  dass  er  an  der  Bruchstelle  als  unförmliche  Geschwulst  er- 
scheint. Diese  Calluswucherung  findet  gewöhnlich  statt,  wenn  die  Bruch- 
enden sehr  verschoben  sind ,  nicht  ruhig  gehalten  werden  und  der  Ver- 
band zu  locker  liegt.  In  andern  Fällen  kommt  es  in  Folge  zu  heftiger 
Entzündung  zu  gar  keiner  Exsudation,  sondern  es  tritt  Eiterung,  selbst 
Brand  ein.  Andere  Male  erfolgt  keine  Consolidation  wegen  unzurei- 
chender Blutzufuhr ,  wie  man  es  häufig  bei  Brüchen  am  Schenkelhalse 
beobachtet ;  aus  denselben  Gründen  heilen  Knochenbrüche ,  welche  die 
Verästelungen  der  Art.  nutritia  unterbrechen ,  schwer  oder  gar  nicht. 
Die  Callusbildung  kann  ferner  zurückgehalten  werden  oder  zu  spärlich 
oder  gar  nicht  erfolgen :  durch  einen  zu  fest  anliegenden  Verband ,  zu 
wenig  nährende  Diät,  das  Einwirken  bedeutender  Kälte,  häufige  Bewegung 
der  Bruchenden,  zu  grossen  Abstand  derselben,  durch  gewisse  dyscrasische 
Zustände,  namentlich  carcinomatöse ,  scorbutische ,  syphilitische  und  mer- 
curielle  Dyscrasie,  gehemmten  Nerveneinfluss,  Schwangerschaft  etc.  Wenn 
in  Folge  der  eben  erörterten  ungünstigen  Verhältnisse  die  Consolidation 
einer  Fractur  nicht  erfolgt ,  so  bleiben  die  Bruchenden  beweglich ,  was 
man  ein  widernatürliches  oder  falsches  Gelenk  nennt  (s. 
Pseudarthrosis).  —  Zuweilen  beobachtet  man,  dass  ein  bereits  fest 
gewordener  Callus  wieder  erweicht.  Am  häufigsten  geschieht  dies  bei 
scorbutischer  Dyscrasie ,  beim  Typhus ,  in  Folge  allgemeiner  Abzehrung, 
bei  entstehendem  Rothlaufe  etc.  —  Behandlung.  Sie  zerfällt  1)  in 
die  Einrichtung  des  Bruchs,  Reposition  2)  in  die  Erhal- 
tung der  Bruch  enden  in  der  normalen  Lage  bis  zur  Con- 
solidation des  Bruchs,  Retentio;  3)  in  die  Leitung  des 
Heilungsprocesses;  4)  in  die  Behandlung  der  Compli- 
c  a  t  i  o  n  e  n  und  5)  in  die  Nachkur.  —  1)  Einrichtung  des 
Bruchs  (Repositio).  Nachdem  der  fracturirte  Theil  vorsichtig  ent- 
kleidet ist,  macht  man,  wenn  eine  Verschiebung  der  Bruchenden  zugegen 
ist,  die  Reposition,  welche  darin  besteht,  dass  man  durch  Gehülfen  unter- 
halb der  gebrochenen  Stellen  einen  Zug,  Extension,  und  oberhalb 
der  Fractur  einen  Gegenzug,  Contra extension,  ausüben  lässt, 
während  der  Wundarzt  selbst  die  Zusammenfügung  der  Bruch- 
enden, Conformatio,  Coaptatio,  besorgt.  Die  Extension  muss 
zuerst  in  der  Richtung  des  untern  Bruchendes  und  dann  in  der  Richtung 
des  Gliedes  mit  allmälig  verstärkter  Kraft  ausgeführt  werden  ;  die  Con 
traextension  sei  dagegen  mehr  ein  Festhalten  oberhalb  des  obern  Bruch- 
endes ,  und  die  Coaptation  (die  indessen  oft  nicht  nöthig  ist)  geschehe 
durch   sanftes   Drücken  mit  vollen  Händen ,    bis   die   Unebenheiten   der 


KNOCHENBRUCH.  513 

Bruchstelle  verschwunden  sind.  Bei  allen  diesen  Verrichtungen  muss  das 
Glied  im  Allgemeinen  so  gehalten  werden ,  dass  die  Muskeln  erschlafft 
sind.  Den  zu  lebhaften  Widerstand  der  Muskeln  beseitigt  man  im  Noth- 
falle  durch  Aderlass  oder  durch  die  Anwendung  von  Chloroform.  Im 
Allgemeinen  ist  als  Grundsaz  festzuhalten ,  jede  Fractur  sobald  als  mög- 
lich einzurichten.  Bei  frischen  Brüchen  wird  Geschwulst  und  Schmerz- 
haftigkeit  durch  die  Einrichtung  beseitigt ,  diese  dürfen  daher  von  der 
augenblicklichen  Reduction  nicht  abhalten.  Nur  wenn  die  Entzündung 
bereits  sehr  heftig  geworden,  die  Bruchstelle  von  einer  harten  Geschwulst 
umgeben,  die  Einrichtung  durch  einen  massigen  Zug  nicht  zu  bewerkstel- 
ligen ist ,  ist  es  räthlich ,  zunächst  die  Entzündung  direct  zu  bekämpfen 
und  dann  erst  die  Einrichtung  vorzunehmen.  —  Nach  vollendeter  Coap- 
tation  ist  2)  für  die  Retention  zu  sorgen,  was  durch  eine  geeignete 
Lagerung ,  durch  Verbände  und  nöthigenfalls  durch  Vorrichtungen ,  die 
eine  dauernde  Ausdehnung  bezwecken,  geschieht.  —  Lagerung  des 
Kranken.  Bei  Brüchen  der  untern  Extremitäten  bringt  man  den  Kran- 
ken auf  ein  nicht  zu  breites  und  zu  hohes ,  freistehendes  Bett ,  welches 
eine  mit  Haferspreu ,  Seegras  'oder  Rosshaaren  gefüllte  ,  unnachgiebige 
Matraze  enthält,  und  sorgt  für  Erleichterung  der  Stuhlausleerungen  durch 
eine  Handhabe,  welche  mittels  eines  Seiles  an  der  Zimmerdecke  befestigt 
wird ,  an  welcher  sich  der  Kranke  selbst  in  die  Höhe  zu  heben  vermag, 
oder  durch  ein  unter  den  Lenden  durchgezogenes  breites  Tuch ,  womit 
derselbe  während  der  Ausleerungen  von  Gehülfen  in  die  Höhe  gehoben 
wird.  —  Die  Lage  des  Gliedes  ist  im  Allgemeinen  die  gerade  aus- 
gestreckte bei  Brüchen  in  der  Mitte  der  Röhrenknochen,  die  halbgebogene 
bei  Brüchen  in  der  Nähe  der  Gelenke,  ferner  bei  solchen  am  Ober-  und 
Vorderarme ,  weil  hier  die  gebogene  Lage  die  bequemere  ist ;  bei  zu  er- 
wartender Steifigkeit  des  Gelenks  gibt  man  dem  Gliede  eine  solche  Stel- 
lung ,  welche  für  den  -spätem  Gebrauch  desselben  die  passendste  ist  (s. 
Gelenksteifigkeit).  —  Verbände  und  Maschinen  sind  bei 
der  Mehrzahl  der  Fracturen  zu  ihrer  Retention  nothwendig.  Im  Allge- 
meinen gilt  die  Regel,  so  früh  als  möglich  zu  verbinden  und  die  Anlegung 
des  Verbandes  nur  dann  zu  verschieben,  wenn  schon  eine  heftigere  Ent- 
zündung und  bedeutendere  Geschwulst  um  die  Bruchstelle  zugegen  ist. 
Der  Verband  soll  durch  äussere  Stüzen  die  durch  den  Bruch  verlorenen 
innern  ersezen ,  muss  also  aus  Stoffen  bestehen  ,  die  dem  Gliede  Steifig- 
keit geben,  er  darf  dabei  aber  so  wenig  als  möglich  belästigen  und  reizen. 
Bei  Querbrüchen  in  der  Mitte  langer  Knochen  reicht  es  hin ,  um  Ver- 
rückung der  Bruchenden  zu  verhüten,  einen  seitlichen  Druck  auf  dieselben 
auszuüben ,  wodurch  zugleich  die  Thätigkeit  der  Muskulatur  gehemmt 
wird  (Contentiv verband).  Bei  Schief brüchen  als  Hebel  wirkender 
Knochen  hingegen  und  häufig  auch  bei  Querbrüchen  in  der  Nähe  von 
Gelenken  muss  neben  einem  leichten  Contentivverbande  noch  eine  per- 
manente Extension  angebracht  werden,  um  Verkürzung  des  Knochens  oder 
Burger,  Chirurgie.  33 


514  KNOCHENBRUCH. 

Verrückung  der  Bruchenden  nach  der  Quere  oder  der  Circumferenz  zu 
verhindern  (Extensionsverband),  während  bei  Querbrüchen  einzel- 
ner kurzer  Knochen  oder  Knochenfortsäze ,  wie  der  Kniescheibe  ,  des  Ol- 
ekranon etc.  gerade  durch  einen  zusammenziehenden  Verband  (C  o  n  - 
t ractionsverband)  die  Bruchstücke  in  Berührung  gehalten  werden 
müssen.  —  Der  Contentivverband  bietet  nach  der  Beschaffenheit 
der  Verbandgeräthe  folgende  Arten  dar:  a)  Verband  durch  Bin- 
den, Schienen  und  S  tr  ohl  ad  en.  —  Die  leinenen  Binden  dienen 
theils  zur  Einwicklung,  theils  zur  Befestigung  der  Schienen.  Man  bedient 
sich  dazu  entweder  der  Rollbinde  oder  der  vielköpfigen  Binde  (s.  Bin- 
den). —  Die  Schienen  macht  man  aus  Pappe,  Leder,  Guttapercha, 
Blech  oder  Holz ,  je  nachdem  sie  etwas  biegsam  oder  unbiegsam  sein  sol- 
len (s.  Schienen).  Die  unbiegsamen  finden  besonders  an  den  untern 
Extremitäten  ihre  Anwendung.  Sie  müssen  so  lang  sein,-  dass  sie  über 
die  nächsten  Gelenke  hinausragen.  Bei  Kindern  und  bei  Brüchen  klei- 
nerer Knochen  reichen  etwas  biegsame  Schienen  aus.  Man  ordnet  diese 
Verbände  in  der  Regel  folgendermassen  an  :  man  wickelt  das  gebrochene 
Glied  massig  fest  mit  einer  Rollbinde  oder  der  vielköpfigen  Binde  ein, 
legt  darauf  die  nöthigen  (2  —  4)  in  Leinwand  eingehüllte  Schienen  an, 
befestigt  sie  mittels  Binden,  Verbandtüchern  oder  Bändern,  und  lässt  nun 
bei  den  obern  Extremitäten  den  Arm  in  einer  Schlinge  tragen  und  bei 
den  untern  Extremitäten  das  Glied  auf  einer  Matraze  oder  auf  einem 
Planum  inxilinatum  lagern.  —  Die  unbiegsamen  Schienen  müssen, 
um  ihren  Druck  gleichmässiger  zu  machen ,  ihrer  ganzen  Länge  nach  mit 
Spreukissen  gefüttert  werden.  —  TJeber  die  Strohladen  s.  diesen  Artikel. 
-—  b)  Kapselverband,  s.  diesen;  c)  Pappverband,  s.  diesen ; 
d)  Gypsverband,  s.  diesen;  e)  Watt  verband,  s.  diesen.  —  Der 
Extensionsverband  findet  hauptsächlich  nur  bei  Fracturen  der  un- 
tern Extremitäten  Anwendung.  Immer  muss  die  Extension  in  der  Rich- 
tung des  gebrochenen  Gliedtheiles  geschehen ,  und  sie  darf  nur  so  stark 
sein,  dass  gerade  die  Muskelkraft,  welche  die  Verkürzung  oder  Verrückung 
veranlasst,  überwunden  wird.  Die  hierzu  nöthigen  Verbandgeräthe  bringt 
man  nicht  an  den  gebrochenen  Knochen  selbst,  sondern  ober-  oder  unter- 
halb desselben  an.  Die  Extension  bewirkt  man  bald  durch  Gewichte, 
während  die  Contraextension  bald  durch  das  eigene  Gewicht  des  Körpers, 
durch  Anstemmen  der  gesunden  Extremität  gegen  einen  festen  Punkt, 
oder  durch  Fixirung  des  Körpers  mittels  Binden ,  Tüchern ,  Riemen  etc. 
an  dem  obern  Theile  des  Bettes  vermittelt  wird,  oder  man  bringt  zwischen 
den  Extensions-  und  Contraextensionspunkten  feste  Verbandgeräthe,  z.  B. 
eine  Extensionsschiene  an  und  befestigt  an  ihren  Enden  mit  hinreichen- 
dem Zuge  die  Körpertheile ,  an  welchen  die  Extension  und  Contraexten- 
sion gemacht  werden  sollen.  Meistens  ist  es  zweckmässig ,  den  Exten- 
sionsverband durch  einen  leichten  Contentivverband  zu  unterstüzen.  — 
Der  Contra ctionsverband  wird  mit  Binden,  Tüchern ,  Riemen  etc. 


KNOCHENBRUCH.  515 

ausgeführt  und  in  den  meisten  Fallen  durch  eine  besondere  Stellung  des 
Gliedes  unterstüzt.  —  3)  Leitung  des  Heilungsprocesses.  Bei 
jeder  auch  nicht  complicirten  Fractur  tritt  an  dem  betroffenen  Gliede  eine 
mehr  oder  minder  bedeutende  Entzündung  ein.  Ein  massiger  Entzün- 
dungsprocess  ist  im  Allgemeinen  zur  Verheilung  der  Knochenenden  nöthig ; 
es  ist  daher  Grundsaz  ,  erst  dann  mit  kalten  Umschlagen ,  Blutegeln  etc. 
einzuschreiten ,  wenn  die  Entzündung  einen  sehr  hohen  Grad  erreicht. 
Eine  frühzeitige  Einrichtung  ist  das  beste  Mittel,  einer  übermässigen 
Entzündung  vorzubeugen,  auch  darf  man  meistens  sogleich  einen  Verband 
anlegen,  nur  mit  der  Vorsicht,  ihn  anfangs  nicht  zu  fest  anzuziehen.  Das 
Erneuern  des  Verbandes  richtet  sich  allein  nach  dem  Sinken  der  Ge- 
schwulst ;  jeder  locker  gewordene  Verband ,  der  die  Bruchenden  nicht 
mehr  zusammenzuhalten  vermag  ,  muss  erneuert  werden ,  wobei  man  sich 
jedesmal  von  dem  Verhalten  der  Bruchenden  zu  überzeugen  und  etwaige 
Unordnungen  zu  verbessern  hat.  Den  Verband  nimmt  man  ab ,  wenn 
man  sich  überzeugt  hat ,  dass  der  Callus  fest  genug  ist ,  um  dem  Gliede 
wieder  als  Stüze  dienen  zu  können.  Man  schliesst  dies  theils  aus  der 
Zeit  der  Behandlung ,  theils  sucht  man  sich  darüber  durch  Biegungsver- 
suche oder  dadurch  Gewissheit  zu  verschaffen  ,  dass  man  den  Bruchkran- 
ken das  Glied  erheben  lässt.  Bei  Erwachsenen  ist  im  Allgemeinen  zur 
Heilung  eines  Bruchs  an  der  obern  Extremität  mindestens  1  Monat ,  an 
der  untern  Extremität  sind  6  0  —  8  0  Tage  erforderlich.  Bei  Kindern  ist 
kaum  die  Hälfte  der  angegebenen  Zeit  nöthig.  Nach  der  Entfernung  des 
Verbandes  muss  der  Theil  noch  einige  Zeit  ruhig  gehalten ,  mit  einer 
Rollbinde  umgeben  und  erst  allmälig  seinen  gewöhnlichen  Verrichtungen 
zurückgegeben  werden.  —  Während  der  Callusbildung ,  die  gewöhnlich 
schon  nach  14  Tagen  beginnt,  hat  man  darauf  zu  sehen,  dass  der  Callus 
nicht  zu  sehr  wuchere  und  auch  in  seiner  Bildung  nicht  zu  sehr  gehemmt, 
oder  gar  darin  verhindert  werde.  Bei  zu  üppiger  Callusbildung  legt  man 
den  Verband  etwas  fester  an  und  gibt  den  Kranken  sparsame  Kost.  Ge- 
schieht die  Callusbildung  zu  sparsam,  so  entferne  man,  wo  es  möglich  ist, 
die  Ursachen ,  lege  den  Verband  nicht  zu  fest  an ,  erlaube  dem  Kranken 
eine  stärkende  Kost  etc,  Bildet  sich  ein  künstliches  Gelenk,  so  behan- 
delt man  es,  wie  es  in  dem  Artikel  Pseudarthrose  angegeben  ist.  — 
4)  Behandlung  der  Complicationen.  Die  Fracturen  können 
mit  Quetschungen  und  Wunden ,  mit  Blutungen  ,  aus  der  Wunde  vorra- 
genden Knochensplittern,  mit  Brand,  Trismus  und  Tetanus,  Delirium 
tremens  und  mit  gleichzeitiger  Verrenkung  desselben  Gliedes  compli- 
cirt  sein.  —  Quetschungen  erfordern  anfangs  den  Gebrauch  kalter 
Fomente  und  innerlich  kühlender  Salze ,  und  wenn  sich  Eiterung  ausbil- 
det, die  Anwendung  warmer  Umschläge,  die  Eröffnung  der  Abscesse,  häu- 
figeren leichten  Verband  und  stärkende  Kost.  —  Wunden  müssen  wo- 
möglich vereinigt  werden ,  um  den  Zutritt  der  Luft  zu  der  Bruchstelle 
und  Eiterung  zu  verhüten  und  die  Anlegung  des  Verbandes   nicht   zu   er- 

33* 


516  KNOCHENBRUCH. 

schweren.    —    Blutungen  stillt  man  durch   kalte  Umschläge ,   Torsion 
oder  Unterbindung.    —    Splitter,   welche  aus  der  Wunde  hervorragen 
und  durch  die  Reduction  nicht  an  den  Knochen  angelegt  werden  können, 
entfernt  man  durch  Abkneipen  oder  Absägen.  —  Brand  am  fracturirten 
Glied  ist  meistens  die  Folge  einer  heftigen  Quetschung  und   fordert   aro- 
matisch-ätherische u.  dgl.  Umschläge ,  häufigen  losen  Verband  bei  zweck- 
mässiger Lage  des  Glieds  und  entsprechende  innere  Behandlung  oder  die 
Amputation   des  Gliedes ,   welche   überhaupt   dann  indicirt  ist ,   wenn  die 
Knochen  so  zerschmettert  sind ,  dass  sie  sich  wie  ein  Sack  voll  Nüsse  an- 
fühlen lassen ,   die  Hauptgef ässe   und  Nerven   verlezt   oder  überhaupt  die 
Weichtheile  in  dem  Grade  und  Umfange  zerquetscht ,   zerrissen  oder  ab- 
gelöst  sind ,   dass  Brand   unvermeidlich   folgen   muss.    —   Eeizung  eines 
Nerven  durch  Knochensplitter  kann  Tr Ismus  und  Tetanus  zur  Folge 
haben.      Man  suche  die  Knochensplitter  besser  zu  lagern  oder  zu   entfer- 
nen,   gebe  Opium  etc.    —    Auch   beim  Delirium  tremens,   welches 
sich  häufig  bei  Trunkenbolden  einstellt,  gebe  man  Opium ,  nehme  bei  be- 
deutendem Blutandrange   gegen   den   Kopf  Blutentziehungen   vor.       Zu- 
weilen  kann   dem  Säuferwahnsinn   vorgebeugt   werden ,    wenn   man  bald 
wieder  Branntwein  zu  trinken   erlaubt.    —   Eine   gleichzeitig  bestehende 
Luxation  richtet  man   womöglich  zugleich  mit  dem  Bruche  ein ;    geht 
es  nicht ,   so  bleibt  nichts  anderes  übrig ,  als  die  Reposition  der  Luxation 
nach   der   Consolidation   des   Bruches  zu   versuchen.    —    5)   Nachkur. 
Eine  häufige  Erscheinung  bei  Fracturen  ist   eine  Steifigkeit,   welche 
besonders  nach  längeren  Kuren  in  den  nächst  gelegenen  Gelenken,  welche 
eingebunden  waren,  zurückbleibt.      Die  Behandlung  besteht  in  fortgesez- 
ten  Bewegungen  in  Verbindung  mit  erweichenden  Einreibungen,   Dampf- 
bädern etc.   —  Leidet  das  Glied  an  O  e  d  e  m  oder  Schwäche,   so  die- 
nen Reibungen   und  Waschungen   mit  stärkenden  Spirituosen  Mitteln  und 
Einwicklungen  mit   durchräuchertem   Flanell.    —    Eine    zurückbleibende 
Verkürzung   der   untern  Extremität   lässt   sich   nur  durch  eine  Nach- 
hülfe in   der  Fussbekleidung  in   etwas   abhelfen.    —   Eine  Verkrüm- 
mung  des  Knochens   lässt   sich  auf  verschiedene  Weise  beseitigen.      Ist 
der  Callus  noch  weich,  so  hat  die  Geradrichtung  des  Knochens  durch  Ex- 
tension und  Contraextension  nebst  angemessenem  Drucke  auf  die  Bruch- 
stelle keine  Schwierigkeiten.      Ist  der  Callus  aber  bereits  erhärtet ,  so  ist 
meistens   eine  eingreifende  Operation   nöthig ,    welche   die  Trennung   des 
schlecht  geheilten  Knochens  zum  Zwecke  hat.     Man  sezt  diese  Trennung 
in's  Werk   durch   das   gewaltsame  Wiederabbrechen   der   geheilten 
Fractur ,   die  Durchsäg  ung   der  Bruchstelle,   die  Resection 
des   Callus   oder  das   Durchziehen  eines   Haarseils    durch 
dieselbe.      -    Das  Wie  der  abbrechen   der  Knochen  (Osteopa- 
linclasis)  wird  auf  verschiedene  Weise  ausgeführt :    a)   durch  gewalt- 
same Extension   und  Contraextension   mit   gleichzeitigem   Druck  auf  die 
Bruchstelle  ;   b)  durch  gewaltsamen  Druck  auf  die  Bruchstelle   und   zwar 


KNOCHENBRUCH  DES   NASENBEINS.  .       517 

entweder,  indem  das  Knie  gegen  die  Convexität  der  Bruchstelle  gestemmt 
und  das  Abbrechen  mit  den  Händen  bewirkt  wird,  oder  aber ,  indem  man 
sich  bei  sehr  grossem  Widerstände  einer  besondern  Maschine  (Dysmor- 
phosteopalinclastes)  hierzu  bedient  (Bosch,  Oesterlen,  B 1  a  - 
s  i  u  s)  ,  welche  aus  einer  Schraube  besteht,  die  auf  die  Bruchstelle  wirkt, 
während  die  Enden  des  an  der  Bruchstelle  hochgelagerten  Gliedes  die 
Stüzpunkte  auf  der  Vorrichtung  abgeben.  Ein  anderes  Verfahren  ist, 
den  Knochen  in  der  mit  Compressen  gepolsterten  Gabel  eines  aufrecht 
befestigten  Stiefelziehers  ,  und  zwar  nach  der  Concavität  der  Bruchstelle 
zu,  zu  brechen.  Ein  gemischtes  Verfahren  ist,  den  Knochen  nach  seiner 
Blosslegung  auf  den  vorspringenden  Winkel  bis  über  den  dritten  Theil 
zu  durchsägen  und  dann  vollends  zu  brechen.  Das  Durchsägen  des 
Callus  oder  die  Resection  der  Bruchenden  ist  angezeigt,  wenn  das  Zer- 
brechen unausführbar  oder  gefährlich  ist.  Nach  der  Blosslegung  des 
Knochens  wird  er  je  nach  Bedürfniss  blos  durch-  oder  ein  Stück  aus  dem- 
selben herausgesägt.  Ein  Haarseil  wurde  von  Weinhold  mit  einer 
Nadeltrephine  in  der  Absicht  durch  den  Callus  hindurchgeführt,  um  die- 
sen wieder  biegsam  zu  machen.  Das  Verfahren  gelang,  indem  nach 
7  wöchiger  Anwendung  des  Haarseils  der  Callus  so  weich  wurde,  dass  die 
Extremität  mit  Hülfe  eines  Extensionsapparats  beinahe  auf  ihre  normale 
Länge  zurückgeführt  werden  konnte.  —  Nach  vollführter  Trennung  wird 
ein  passender  Verband  angelegt ,  um  eine  möglichst  gerade  Verheilung 
des  Knochens  herbeizuführen.  Hat  man  den  Knochen  blossgelegt ,  so 
sucht  man  die  Wunde  der  Weichtheile  durch  die  erste  Vereinigung  zu 
heilen. 

B.  Von  den  Knochenbrüchen  im  Besondern. 

l)  Bruch  der  Nasenbeine.  Man  rechnet  hierher  gewöhnlich 
nicht  blos  die  Brüche  der  eigentlichen  Nasenbeine ,  sondern  auch  die  der 
Nasalfortsäze  des  Oberkiefers.  —  Diagnose.  Diese  hat  nur  Schwierigkeit, 
wenn  der  Bruch  einfach  ist,  wo  dann  aber  auch  ein  Verkennen  nichts  auf 
sich  hat.  Ist  der  Bruch  aber  complicirt  oder  ein  Splitterbruch ,  so  ist  er 
an  der  Deformität  und  der  Crepitation  leicht  zu  erkennen.  Sind  die 
Bruchstücke  nach  innen  gedrückt,  so  ist  immer  eine  beträchtliche  Blutung 
zugegen  wegen  Zerreissung  der  Nasenschleimhaut.  Zuweilen  ist  ein  Hirn- 
schalenbruch (Sprung  der  Siebplatte)  und  Hirnerschütterung  mit  dem 
Bruch  der  Nasenbeine  verbunden.  —  Ursachen.  Direct  einwirkende 
Gewalten.  —  Reposition.  Sie  geschieht  von  der  Nasenhöhle  aus  mit- 
tels einer  in  die  Nase  eingeführten  Kornzange  oder  eines  weiblichen 
Catheters ,  womit  man  die  eingedrückten  Knochenstücke  erhebt ,  während 
man  mit  einigen  Fingern  der  linken  Hand  von  aussen  die  Coaptation  be- 
fördert. —  Retention.  Halten  die  Fragmente  sich  gegenseitig  in  ihrer 
Lage  fest,  so  bedarf  es  zu  ihrer  Sicherung  keiner  besondern  Apparate  und 
Verbände.  Zeigen  sie  aber  eine  Neigung  zur  Dislocation  nach  aussen, 
so  hält  man  sie  mit  Röllchen  von  Feuerschwamra ,   welche  man  zu  beiden 


518  KNOCHENBRICH  DES   OBERKIEFER?. 

Seiten  des  Naseuriickens  anlegt  und  mit  Heftpflasterstreifen  befestigt  oder 
nach  Malgaigne  mit  einer  nach  der  Nase  geformten  Kinne  von  Blei 
nieder.  Sinken  sie  dagegen  immer  wieder  nach  innen ,  so  füllt  man  die 
Nase  mit  Charpie  aus ,  die  ein  Röhrchen  enthält ,  um  das  Athmen  zu  un- 
terhalten. —  Nachbehandlung.  Sie  beschränkt  sich  im  Allgemeinen 
auf  die  Behandlung  der  entzündlichen  Zufälle.  Bestehende  Wunden 
sucht  man  per  pr  im  am  i  nt  e  n  ti  o  n  e  m  zu  heilen  ;  starke  Blutungen 
werden  durch  kalte  Umschläge  und  Einsprizungen  oder  durch  die  Tam- 
ponade gestillt ;  Symptome  von  Hirnaffection  erheischen  die  besondere 
Behandlung  derselben  (s.  Wunden).  —  Die  Heilung  des  Bruches  erfolgt 
gewöhnlich  in  sehr  kurzer  Zeit. 

2)  Bruch  des  Jochbeins.  Dieser  Bruch  ist  sehr  selten  und 
betrifft  gewöhnlich  nur  den  Jochbogen.  —  Diagnose.  Diese  ist  schwer, 
wenn  der  Bruch  ohne  Dislocation  ist ,  findet  dagegen  eine  solche  statt,  so 
hat  sie  meist  nach  innen  statt  und  der  Bruch  ist  dann  durch  die  Örtliche 
Deformität ,  durch  die  Beweglichkeit  der  Bruchstücke  bei  der  Bewegung 
des  Unterkiefers  ,  sowie  durch  die  Untersuchung  vom  Munde  aus  leicht 
zu  erkennen.  —  Ist  der  Körper  des  Jochbeins  gebrochen ,  so  nehmen 
meistens  Oberkiefer  und  Nasenbeine  an  dem  Bruche  Theil  und  es  sind 
Hirnleiden  etc.  damit  verbunden.  —  Ursachen.  Zuweilen  ist  auch  das 
ganze  Jochbein  aus  seinen  Verbindungen  mit  den  benachbarten  Knochen 
gelöst  und  alsdann  gewöhnlich  gegen  die  Augenhöhle  hin  verschoben, 
wodurch  die  Bewegungen  des  Auges  behindert  werden.  —  Ursachen. 
Aeussere ,  direct  einwirkende  Gewalten.  —  Reposition.  Wenn  Ver- 
schiebung der  Bruchenden  nach  innen  zugegen  ist ,  so  reponirt  man  sie 
vom  Munde  aus.  Gelingt  die  Reposition  auf  diese  Weise  nicht,  so  kann 
man  bei  bestehender  Wunde  die  eingedrückten  Knochenstücke  mittels 
eines  durch  dieselben  eingeführten  Hebels  erheben.  Einige  empfehlen, 
wenn  keine  Wunde  zugegen  ist,  zu  diesem  Zwecke  äusserlich  einen  Quer- 
schnitt zu  machen.  —  Retention.  Bei  Verrückung  schliesst  man  den 
Mund  mit  einem  Kopftuche.  —  Nachbehandlung.  Je  nach  dem 
Grade  der  Nebenverlezungen  eine  mehr  oder  minder  strenge  Antiphlogose. 

3)  Bruch  des  Oberkiefers.  Der  Bruch  befindet  sich  ge- 
wöhnlich am  Zahn-  oder  am  Gaumenfortsaze ,  selten  am  Körper.  — 
Diagnose.  Die  Untersuchung  der  verlezten  Stelle  zeigt  eine  abnorme 
Beweglichkeit ;  sind  Dislocationen  der  Bruchstücke  zugegen ,  so  sind  lez- 
tere  in  der  Nase  oder  im  Munde  wahrzunehmen ,  je  nachdem  der  Bruch 
am  Körper ,  Gaumen-  oder  Alveolarfortsaz  statt  hat.  Beim  Bruche  des 
Zahnfortsazes  kann  ein  Ausfallen  der  Zähne  stattfinden.  —  Ursachen. 
Unmittelbar  einwirkende  äussere  Gewalten ,  häufig  in  den  Mund  abge- 
feuerte Pistolenschüsse  (bei  Selbstmordversuchen),  auch  Zahnextractionen. 
—  Reposition.  Sie  geschieht  von  aussen,  vom  Munde  und  der  Nasen- 
höhle aus.  —  Retention.  Bei  den  Brüchen  des  Zahnfortsazes  schliesst 
man   den  Mund   mit   einem  Tuche   und    bringt   nöthio-enfalls    Korkstücke 


KNOCHENBRUCH  DES  UNTERKIEFERS.  519 

zwischen  die  Zahnreihen  oder  bedient  sich  der  v.  Gräfe 'sehen  Vorrich- 
tung ,  welche  aus  einem  um  den  Kopf  laufenden  metallenen  Bande  be- 
steht, von  welchem  ein  stählerner  Bügel  in  den  Mund  geht,  der  auf  eine, 
die  Zähne  umfassende  silberne  Platte  drückt.  Ist  der  Gaumenfortsaz 
gebrochen,  so  kann  man  nach  Röstel  einen  nach  der  Form  des  Gaumen- 
gewölbes gebogenen  Draht  anlegen,  dessen  Enden  vom  Munde  aus  gegen 
Stirn  und  Hinterkopf  geführt  und  hier  durch  eine  Binde  befestigt  wer- 
den. —  Der  Kranke  wird  längere  Zeit  hindurch  nur  durch  flüssige  Nah- 
rungsmittel ernährt. 

4.  Bruch  des  Unterkiefers.  Diese  Brüche  sind  selten, 
dessenungeachtet  aber  doch  häufiger  als  die  anderer  Gesichtsknochen. 
Man  unterscheidet  Brüche  des  Körpers  ,  der  Aeste  und  der  Fortsäze  des 
Unterkiefers.  —  Der  Körper  des  Knochens  kann  entweder  in  seiner 
ganzen  Dicke  zerbrochen  sein  oder  es  ist  nur  der  Alveolarrand  abgebro- 
chen. Der  Bruch  des  Körpers  des  Knochen  ist  entweder  einfach  oder 
doppelt ,  in  welch  lezterem  Falle  der  Mentaltheil  des  Unterkiefers  ganz 
ausser  Zusammenhang  mit  dem  übrigen  Knochen  gesezt  ist.  Beim  ein- 
fachen Bruche  des  Körpers  ist  die  Verschiebung  der  Knochenenden  um 
so  bedeutender,  je  weiter  entfernt  vom' Kinn  derselbe  statt  hat.  Das  vor- 
dere Bruchende  wird  alsdann  durch  die  vom  Zungenbein  aufwärts  verlau- 
fenden Muskeln  (MM.  m  y  1  o  -  und  geniohyoideu.s  und  digastri- 
c  u  s)  nach  unten  und  hinten  gezogen,  während  das  hintere  an  seiner  Stelle 
bleibt  oder  durch  den  Mass  et  er,  Temp  o  r  alis  und  Pter  y  g  oi- 
deus  internus  nach  oben  und  etwas  nach  vorn  verschoben  wird.  Be- 
steht ein  Doppelbruch  ,  so  erheben  die  Masseteren  das  hintere  Fragment, 
während  das  Kinn  durch  die  Wirkung  der  Muskeln  tief  herabsinkt.  In 
allen  diesen  Fällen  ist  die  Dislocation  bei  schiefen  Brüchen  stärker ,  als 
bei  senkrechten.  Bei  Brüchen  des  AI  ve  o  lar  f  ort  s  az  es  ist  die 
Verschiebung  meist  unbedeutend.  Bei  den  Brüchen  der  Aeste 
pflegt  diese  auch  gering  zu  sein  ,  indem  die  Bruchenden  durch  die  um- 
gebenden Muskeln,  besonders  durch  den  M  ass  et  er  und  Pt  ery  goi- 
de us  internus  in  ihrer  Lage  erhalten  werden.  Ist  der  Processus 
condyloideus  vollständig  abgebrochen,  so  wird  er  durch  den  P  t  e  r  y- 
goideus  externus  nach  vorn  und  innen  gezogen,  während  das  untere 
Bruchende  durch  die  übrigen  Kaumuskeln  etwas  nach  oben  und  hinten 
verschoben  wird.  Bricht  der  Processus  coronoideus  ab,  so  wird 
er  etwas  Weniges  durch  den  Temporaiis  aufwärts  verschoben.  — 
Diagnose.  Diese  ist  gewöhnlich  leicht.  Bei  den  Brüchen  des  Kör- 
pers sichert  die  Beweglichkeit  der  Bruchenden ,  die  Crepitation ,  der  un- 
gleiche Stand  der  Zähne ,  der  offen  stehende  und  beim  einfachen  Bruche 
seitlich  verzogene  Mund  die  Diagnose.  Bei  Brüchen  des  Halses  des  Con- 
dylus  ist  das  Kinn  nach  der  Seite  der  Verlezung  hingerückt.  Die  Brüche 
der  andern  Fortsäze  sind  schwieriger  zu  erkennen ;  das  Einführen  des 
Fingers  in  den  Mund  oder  das  Auflegen  desselben  aussen ,   während  man 


520  KNOCHENBRUCH  DES  UNTERKIEFERS. 

den  Unterkiefer  bewegt,  so  wie  der  fixe  Schmerz  kann  Aufschluss  geben. 
—  Ursachen.  Aeussere  Gewalten,  die  seitlich  oder  von  vorn  auf  den 
Unterkiefer  einwirken.  —  Prognose.  Sie  ist  bei  einfachen  Brüchen 
meist  günstig.  Die  nicht  selten  zurückbleibende  Diffbrmität  stört  die 
Funktion  in  der  Regel  nicht.  Die  Brüche  des  Gelenkfortsazes  heilen  nie 
durch  wirklichen  Callus  ,  wodurch  die  Bewegungen  des  Unterkiefers  aber 
nicht  leiden.  Coinplicirte  Brüche ,  besonders  des  Zahnrandes  ,  können 
Abscesse  und  Fisteln  zur  Folge  haben.  —  Der  Bruch  heilt  in  3  0  —  40 
Tagen.  —  Reposition.  Bei  den  Brüchen  des  Körpers  des  Unter- 
kiefers bringt  man  den  Daumen  in  die  Mundhöhle,  wahrend  man  die  an- 
dern Finger  derselben  Hand  aussen  anlegt,  hebt  gleichzeitig  mit  der  an- 
dern Hand  den  Kinntheil  des  Unterkiefers  in  die  Höhe  und  bewirkt  je 
nach  Umständen  die  Coaptation.  Bei  der  Fractur  der  Fortsäze  begnügt 
man  sich,  den  Unterkiefer  nach  vorwärts  zu  rücken.  Das  Richtigstehen 
der  Zähne  überzeugt  uns  von  der  gelungenen  Reposition.  Lose  gewor- 
dene Zähne  drückt  man  wieder  fest.  —  Retention.  In  vielen  Fällen 
genügt  das  Schliessen  des  Mundes  mittels  eines  Kopftuches,  welchem  Ver- 
bände man  zur  Unterstüzung  des  Unterkiefers  eine  Schiene  von  Pappe 
oder  Guttapercha  beifügen  kann.  Auch  kann  man  dem  eben  genannten 
Verbände  zwei  rinnenf  örmig  ausgehöhlte  Korkstücke,  welche  zwischen  die 
Zahnreihen  gelegt  werden ,  beifügen  ;  es  bleibt  hierdurch  vorn  ein  hin- 
reichender Raum ,  um  den  in  grosser  Menge  abgesonderten  Speichel  ab- 
fliessen  zu  lassen  und  die  Einführung  flüssiger  Nahrungsmittel  zu  gestat- 
ten. Bei  Neigung  zur  Verschiebung  und  zu  grösserer  Sicherheit  sind 
verschiedene  Vorrichtungen  angegeben  worden ,  welche  zugleich  die  Be- 
wegungen des  Unterkiefers  erlauben.  Solche  sind  :  der  von  H  a  r  tri  g , 
Kluge  u.  A.  modificirte  Apparat  von  R  ü  t  e  n  i  k  ,  der  von  Bush,  Hou- 
z  e  1  o  t  u.  A.  Der  Mechanismus  dieser  Apparate  gleicht  sich  im  Wesent- 
lichen und  ist  folgender.  Auf  die  Zähne  kommt  eine  dem  Alveolarrand 
des  Unterkiefers  entsprechend  gebogene  silberne  Rinne  zu  liegen.  Ein 
in  ähnlicher  Form  ausgeschnittenes  und  gehörig  gepolstertes  Brettchen 
legt  man  unter  die  Basis  der  Kinnlade.  Diese  beiden  Theile  der  Vorrich- 
tung werden  durch  in  den  Mund  eingeführte  doppelt  gebogene  stählerne 
Haken ,  die  durch  Schrauben  an  dem  Brettchen  in  verschiedener  Stellung 
befestigt  werden  können ,  in  Verbindung  gesezt  und  in  beliebigem  Grade 
gegen  einander  gedrängt.  Bänder,  die  zum  Nacken  oder  an  eine  Kopf- 
haube gehen  ,  verhindern  eine  Verschiebung  des  Apparats.  —  Bei  den 
Brüchen  des  Alveolarrandes  kann  man  auch  die  Zähne  des  abgebrochenen 
Theils  mittels  eines  Silberdrahts  an  die  benachbarten  Zähne  befestigen. 
Robert  legt  auf  die  Zähne  des  fracturirten  Kieferrandes  eine  entsprechend 
gebogene  Bleiplatte  und  führt  eine  Schlinge  von  Silberdraht  mit  Hülfe 
einer  starken  Nadel ,  das  eine  Ende  an  der  vordem  ,  das  andere  an  der 
hintern  Seite  des  Unterkiefers  von  der  Mundhöhle  aus  um  die  Bleiplatte 
und   den  Kiefer  herum ,    so    dass  beide  Enden   aus   einer  und  derselben 


BRUCH  DER  KNORPEL  DES  KEHLKOPFS.  521 

Hautwunde  in  der  Gegend  der  Basis  des  Unterkiefers  zum  Vorschein  kom- 
men, wo  sie  zusammengedreht  werden.  —  Nachbehandlung.  Der 
Kranke  muss  sich  bis  zum  2  5.  Tage  des  Sprechens  und  Kauens  enthalten. 
Vor  dem  3  5.  Tage  darf  aber  der  Verband  nicht  ganzlich  entfernt  werden. 

5.  Bruch  des  Zungenbeins,  Fractura  ossis  hyoidei. 
Dieser  seltene  Bruch  betrifft  meistens  die  Hörner  des  Zungenbeins.  — 
Symptome.  Sie  sind  ziemlich  charakteristisch.  Die  Kranken  geben 
an,  das  Krachen  des  brechenden  Knochens  gehört  zu  haben  ;  der  Schmerz 
ist  heftig,  unmittelbar,  schnell  gefolgt  von  einer  bedeutenden  Anschwel- 
lung ;  äusserlich  zeigt  sich  eine  geringe  Ecchymose.  Dabei  Heiserkeit, 
Vermehrung  des  Schmerzes  beim  Schlingen  und  Sprechen.  Hierzu  kom- 
men noch,  je  nach  Umständen,  Crepitation,  die  Dislocation  und  die  Em- 
pfindung von  Splittern.  —  Ursachen.  Das  Hängen  scheint  besonders 
auf  den  Körper  des  Knochens  ,  das  Würgen  mit  den  Händen  mehr  auf 
die  Hörner  desselben  zu  wirken  ;  weitere  Ursachen  sind  :  Schlag ,  Stoss, 
Druck  beim  Ueberfahren  etc. ,  endlich  Muskelaction  (beim  Rückwärts- 
fallen).  —  Prognose.  Die  Bedenklichkeit  dieses  Bruches  liegt  nur 
in  der  Entzündung,  welche  ihn  begleitet.  —  Der  Bruch  bedarf  2  Monate 
zu  seiner  Consolidation.  —  Reposition.  Bei  bestehender  Dislocation 
drückt  man  mit  einem  in  die  Rachenhöhle  gebrachten  Finger  das  hintere 
Fragment  nach  aussen  und  vorn,  während  man  mit  der  andern  Hand  aus- 
serhalb auf  den  Rest  des  Knochens  wirkt.  —  Retention.  Verbände 
sind  nicht  nöthig.  Einige  Wundärzte  Hessen  ihre  Kranken  bei  zurück- 
gebeugtem Kopfe  Ruhe  und  Stillschweigen  beobachten  und  ernährten  sie 
mit  der  Speiseröhrensonde.  Malgaigne  hält  die  entgegengesezte  Stel- 
lung des  Kopfs,  d.  h.  die  Vorwärtsneigung  desselben  für  rationeller,  weil 
durch  die  dadurch  bewirkte  Erschlaffung  aller  Muskeln  eher  einer  Dis- 
location vorgebeugt  würde.  —  Nachbehandlung.  Diese  muss  be- 
sonders gegen  die  Entzündung  gerichtet  sein  und  nach  Bedürfniss  in  ört- 
lichen und  allgemeinen  Blutentziehungen ,  kalten  Umschlägen  etc.  be- 
stehen. 

6.  Bruch  der  Knorpel  des  Kehlkopfs.  Dieser  Bruch  ist 
ebenso  selten  wie  der  des  Zungenbeins  und  hat  dieselben  Ursachen 
wie  dieser.  —  Symptome.  Höchst  beschwerliches  röchelndes,  ras- 
selndes Athmen  bei  rückwärtsgebogenem  Halse  ,  Hustenanfälle  mit  bluti- 
gem Schaum  vor  dem  Munde  ,  heisere  unarticulirte  Töne  beim  Sprech- 
versuch ,  heftige  Schmerzen  im  Kehlkopfe  ,  Unmöglichkeit  zu  schlingen, 
Erstickungsanfälle,  livides,  aufgedunsenes  Gesicht,  Emphysem  und  Sugil- 
lationen  am  Halse.  —  Schild-  und  Ringknorpel  können  mehrfach  getrennt 
und  in  die  Höhle  des  Kehlkopfs  getrieben  sein.  —  Prognose.  Es  sind 
Fälle  bekannt ,  wo  die  Heilung  erfolgte ,  bei  mehreren  aber  erfolgte  der 
Tod  in  kurzer  Zeit  unter  Erstickungsanfällen.  —  Reposition.  Kann 
man  die  Bruchstücke  nicht  durch  vorsichtige  äussere  Manipulationen  in 
die   normale   Lage  bringen ,   so   muss   man  die  äussern  Bedeckungen  des 


522  KNÜCHENF.l, Teil   DEi;   WIRBEL. 

Kehlkopfs  und  erforderlichen  Falls  selbst  die  Knorpel  desselben  in  der 
Mittellinie  der  Länge  nach  einschneiden  und  die  Bruchenden  zu  reponiren 
suchen.  Verschwinden  dann  die  Athmungsbeschwerden,  so  vereinigt  man 
die  Wunde  durch  Heftpflaster.  —  Retention  und  Nachbehand- 
lung wie  beim  Bruche  des  Zungenbeins. 

7.  Bruch  der  Wirbelbeine.  Die  Brüche  der  Wirbel  sind 
selten,  was  sich  aus  ihrer  geringen  Länge,  ihrer  beweglichen  Verbindung 
untereinander  und  aus  ihrer  geschüzten  Lage  erklärt.  Unter  den  einzel- 
nen Theilen  eines  AVirbels  bricht  am  häufigsten  der  Dornfortsaz,  am  sel- 
tensten der  Wirbelkörper.  —  Sympto  m  e.  Die  Zeichen  des  Bruches 
eines  Dorn-  oder  Querfortsazes  sind  die  der  einfachen  Quetschung, 
wozu  noch  Beweglichkeit  und  zuweilen  Crepitation  kommt.  Der  Bruch 
der  Körper  der  Wirbel  veranlasst  bedeutende  Zufälle,  die  im  Allgemei- 
nen auf  Funktionsstörung  der  von  dem  Rückenmarke  versorgten  Organe, 
auf  die  Unmöglichkeit ,  den  Kopf  zu  tragen  oder  zu  sizen ,  und  auf  die 
leichtere  Drehbarkeit  des  Halses  oder  des  untern  Rumpftheils  sich  zurück- 
führen lassen.  Der  seltene  Bruch  des  Bogens  der  Wirbel  bietet,  je 
nachdem  ein  Druck  auf  das  Rückenmark  statt  hat  oder  nicht,  die  Zeichen 
des  Bruchs  der  Wirbelkörper ,  oder  diejenigen  des  Bruchs  der  Fortsäze 
dar  ;  immer  bemerkt  man  ein  stärkeres  Hervortreten  der  Dornfortsäze.  — 
Trifft  der  Bruch  die  3  ersten  Halswirbel  und  den  Z  a  h  n  f  o  r  t  s  a  z, 
so  tritt  fast  unmittelbar  der  Tod  ein.  Brüche  der  übrigen  Hals-  und 
der  Rückenwirbel  veranlassen  hauptsächlich  Respirationsbeschwerden, 
Angst,  Auftreibung  des  Unterleibs  und  partielle  oder  totale  Lähmung  der 
Extremitäten  ,  wenn  nicht  früher  der  Tod  durch  Lungenlähmung  eintrat  ; 
die  Fracturen  der  Lendenwirbel  haben  dagegen  Lähmung  der  untern 
Extremitäten,  der  Blase  und  des.  Mastdarms  zur  Folge,  so  dass  Stuhl  und 
Harn  unwillkürlich  abgehen,  oder  auch  hartnäckig  zurückgehalten  werden. 
—  *Den  speciellen  Siz  der  Fracturen  deuten  die  Zeichen  der  örtlichen 
Entzündung ,  Ungleichheiten  an  der  Wirbelsäule  und  die  Grenzen  der 
Lähmung  an.  —  Ursachen.  Brüche  der  Halswirbel  werden  meist 
durch  einen  Sturz  auf  den  Kopf  veranlasst,  die  der  andern  Wirbel  häufig 
durch  von  oben  herabwirkende  Lasten  bei  vorwärts  geneigtem  und  fixirten 
Körper ,  oder  durch  einen  Fall  von  einer  Höhe  auf  eine  erhöhte  Stelle, 
Ueberfahren,  Schüsse  ;  seltener  sind  die  Fälle  von  Gegenschlag  oder  Mus- 
kelgewalt. Nach  Malgaigne  kommt  dagegen  die  Mehrzahl  der  Wir- 
belbrüche durch  übermässige  Zusammenziehung  der  Rückenmuskeln  vor, 
für  welche  Ansicht  der  Umstand  spricht ,  dass  die  Wirbelsäule  an  den- 
jenigen Stellen  ,  an  denen  sie  der  stärksten  Biegung  fähig  ist  (zwischen 
dem  3.  und  7.  Halswirbel,  zwischen  dem  11.  Rücken-  und  2.  Lenden- 
wirbel und  zwischen  dem  4.  Lendenwirbel  und  dem  Heiligbeine)  am  häu- 
figsten bricht.  —  Prognose.  Sie  ist  im  Allgemeinen  ungünstig,  wenn 
das  Rückenmark  stark  afficirt  ist,  da  hier  noch  nach  Monaten  in  Folge 
secundärer   Krankheiten,   wie  Decubitus,   allgemeine  Abmagerung,  Caries 


KNOCHENBRUCH  DER  BECKENKNOCHEN.  523 

der  Wirbel  etc.  der  Tod  eintreten  kann.  Brüche  der  Dorn  -  und  Quer- 
fortsäze  sind  an  und  für  sich  nicht  gefährlich.  —  Reposition.  Diese 
ist  gewöhnlich  nur  bei  Brüchen  des  Processus  spinös  us  möglich  ; 
man  drückt  oder  zieht  einen  solchen  zurecht ;  man  kann  auch  den  gebro- 
chenen Wirbelbogen  mittels  eines  Elevatoriums  erheben.  Complete  Wir- 
belbrüche wurden  einige  Male  mit  Erfolg  durch  Zug  an  den  Schultern 
und  Hüften  eingerichtet ;  wenn  man  dies  versucht ,  so  muss  es  immer  mit 
der  grössten  Vorsicht  geschehen.  —  Retention.  Bei  Brüchen  der 
Dornfortsaze  kann  man  zu  beiden  Seiten  eine  Compresse  anlegen  und  diese 
durch  eine  breite  Binde  befestigen.  Im  Allgemeinen  ist  eine  ruhige,  mög- 
lichst unbewegliche  Lage  das  einzige  Mittel ,  die  Verrückung  der  Bruch- 
enden zu  verhüten  ;  die  Bauchlage  ist  die  geeignetste  ,  wenn  sie  ander- 
weitiger Umstände  wegen  nicht  unmöglich  wird.  —  Nachbehand- 
lung. Diese  muss  streng  antiphlogistisch  sein ;  man  lässt  daher  zur 
Ader,  sezt  Blutegel  an  die  afficirte  Stelle  ,  macht  kalte  Umschläge ,  reibt 
die  graue  Salbe  daselbst  ein  und  gibt  innerlich  kühlende  Mittel,  Calomel. 
Kann  der  Urin  und  Stuhl  nicht  willkürlich  entleert  werden,  so  kommt 
man  durch  den  Catheter  und  Klystiere  zu  Hülfe.  Zurückbleibende  Läh- 
mungen müssen  durch  Hautreize ,  Strychnin ,  Electricität  etc.  bekämpft 
werden. 

8.  Bruch  der  Beckenknochen.  Das  Becken  bricht  theils 
seiner  geschüzten  Lage  wegen ,  theils  weil  die  einzelnen  Theile  desselben 
eine  grosse  Festigkeit  darbieten,  sehr  selten.  —  Diagnose.  Diese  ist 
wegen  der  versteckten  Lage  mancher  Partien  der  Beckenknochen ,  beson- 
ders wenn  schon  Geschwulst  eingetreten  ist ,  nicht  leicht ;  doch  kann  die 
äussere  Betastung  einen  Bruch  der  Ossa  innominata,  und  eine  solche 
in  Verbindung  mit  der  innern  Untersuchung  durch  Scheide  und  Mastdarm 
einen  Bruch  des  Os  sacrum  oder  Os  coccygis  erkennen  lassen.  Die 
Bruchenden  sind  meist  nach  innen  gekehrt.  In  vielen  Fällen  ist  zugleich 
eine  Affection  des  Rückenmarks  oder  eine  Verlezung  von  Unterleibs-  und 
Beckenorganen  zugegen,  und  können  daher  die  Nebensymptome  sehr  ver- 
schiedener Art  sein,  wie  Zeichen  der  Lähmung  der  Blase,  des  Mastdarms, 
der  untern  Extremitäten ,  Entzündung  der  Blase ,  des  Mastdarms  etc.  — 
Bei  dem  Bruche  der  Oss'a  i  s  c  h  i  i  und  namentlich  bei  Brüchen  der 
Pfanne  ist  das  Gehen  und  Stehen  unmöglich,  und  kann  hier  eine  Ver- 
wechslung mit  Fractuia  colli  femoris  vorkommen  ,  weil  auch  hier 
der  Schenkel  verkürzt  ist ,  dem  Zuge  nachgibt ,  und  wieder  in  die  Höhe 
steigt  etc. ;  doch  hat  der  Fuss  keine  Neigung,  nach  aussen  zu  fallen,  beide 
Trochanteren  stehen  gleichweit  von  der  Spina  anterior  superior 
oss.  ilei,  und  man  fühlt  Crepitation  beim  Druck  auf  die  Darmbein- 
gräte. Zuweilen  bricht  der  S  i  z  b  e  i  nh  ö  c  k  e  r  für  sich  allein  ,  welcher 
dann ,  wenn  ihn  die  Fasern  des  Ligamentum  sacro-tuberosum 
nicht  zurückhalten ,  von  den  starken  Muskeln ,  die  sich  an  ihn  inseriren, 
nach   unten  hingezogen  wird.       Liegt  dieser  Bruch  an  einer  dem  Einger 


524  KNOCHENBRUCH  DES   BRUSTLEINS. 

zugänglichen  Stelle,  so  wird  abnorme  Beweglichkeit  und  Crepitation  sich 
entdecken  lassen.  Bei  gänzlicher  Ablösung  des  Tub  er  i  s  c h  i  i  ist  das 
Gehen  unmöglich.  —  Ueber  den  Bruch  des  horizontalen  Astes  des 
Schambeins  gibt  bei  Frauen  die  Untersuchung  durch  die  Scheide 
Aufschluss ;  das  Gehen  ist  behindert.  —  Ursachen.  Die  Becken- 
brüche werden  im  Allgemeinen  durch  einen  Fall  von  einer  bedeutenden 
Höhe,  oder,  durch  schwere  aüff allende  Lasten,  durch  Ueberfahren  ,  Ver- 
lezungen  durch  Geschosse,  Schlag,  Stoss  hervorgebracht.  —  Prognose. 
Sie  ist  der  häufigen  Nebenverlezungen  wegen  zweifelhaft  und  vorsichtig 
zu  stellen  ;  die  Brüche  an  und  für  sich  heilen  bei  einer  geeigneten  Lage 
leicht.  —  Reposition.  Die  Bruchenden  des  Os  sacrum  und  Os 
c  o  c  c  y  g  i  s  lassen  sich  mittels  des  in  die  Scheide  oder  den  Mastdarm 
eingebrachten  Fingers  leicht  reponiren  ;  das  gleiche  Verfahren  ist  bei  dem 
Bruche  des  Scham-  und  Sizbeins  in  Anwendung  zu  bringen.  Die  Repo- 
sition der  Bruchstücke  gelingt  bei  den  meisten  Fracturen  der  Becken- 
knochen nur  bei  Erschlaffung  der  Muskeln ,  meistens  in  halbgebeugter 
Stellung  des  Schenkels.  —  Retention.  Beim  Bruche  des  Heiligen- 
und  Steissbeins  lässt  man  den  Kranken  eine  ruhige  Seiten  -  oder  Bauch- 
lage beobachten  ;  beim  Bruche  des  Darmbeins  lässt  man  den  Kranken 
nach  der  kranken  Seite  geneigt  mit  flectirtem  Oberschenkel  liegen  und 
unterstüzt  diese  Lage  durch  ein  unter  die  Beine  gelegtes  Keilkissen  ;  beim 
Bruche  des  Sizbeins  reicht  die  Lage  mit  leicht  gebeugtem  Schenkel  hin  ; 
das  Tuber  ischii  kann  man  durch  eine  Spina  coxae  fixiren ;  der 
Bruch  des  Schambeins  erheischt  dieselbe  Lage  ,  wie  der  des  Darmbeins. 
Brüche  der  Pfanne  erfordern  die  Lagerung  auf  einer  doppelt  geneigten 
Ebene.  —  Nachbehandlung.  Man  verfährt  den  Umständen  ange- 
messen antiphlogistisch.  Da  die  Nebenverlezungen  häufig  mit  den  bei 
den  Wirbelbrüchen  angegebenen  übereinkommen ,  so  kann  hinsichtlich 
ihrer  Behandlung  dahin  verwiesen  werden. 

9.  Bruch  des  Brustbeins.  Brüche  des  Brustbeins  kommen 
höchst  selten  vor,  da  dieses  von  den  elastischen  Rippen  getragen  wird,  an 
denen  sich  meist  eine  darauf  einwirkende  Kraft  bricht.  —  Symptome 
und  Diagnose.  Eine  Verschiebung  des  in  den  meisten  Fällen  queren 
Bruches  findet  selten  statt ,  und  dann  ist  die  Diagnose  sehr  schwierig. 
Oertlicher  Schmerz  ,  zuweilen  Crepitation  während  der  Bewegungen  des 
Thorax  und  Geschwulst  der  Haut  über  der  Bruchstelle  können  auf  die 
Spur  führen.  Nicht  selten  sind  damit  innere  Blutungen,  Entzündung  der  Or- 
gane ,  Blutspeien ,  lästiger  Husten  und  als  Folge  Vereiterungen  in  der 
Brusthöhle,  selbst  Caries  und  Necrose  des  Brustbeins  verbunden.  —  Ein 
Eindruck  des  Schwertknorpels  kann  Reizung  des  Magens  und  Erbrechen 
bewirken.  Bei  einfachen  Querbrüchen  ist  in  der  Regel  das  untere  Bruch- 
ende ein  wenig  nach  vorn  verschoben.  Bei  einer  Fr  actura  com  mi- 
n  u  t  i  v  a  sind  die  Bruchstücke  sehr  häufig  gegen  die  Brusthöhle  hin  ein- 
gedrückt. —  Ursachen.      Nur  heftige  Gewalten  sind  im  Stande,  das 


KNOCHENBRUCH  DER  RIPPEN.  525 

Brustbein  zu  brechen;  sie  sind:  Einsturz,  Ueberfahren,  Anstossen  einer 
Wagendeichsel,  Fall  rückwärts  auf  einen  vorspringenden  Gegenstand  ;  fer- 
ner heftige  Muskelcontractionen  beim  Erbrechen ,  bei  der  Geburt.  — 
Prognose.  Einfache  Sternalbrüche  sind  nicht  gefährlich ;  durch  die 
Nebenverlezungen  können  sie  aber  zu  höchst  bedenklichen,  selbst  gefähr- 
lichen Krankheiten  werden.  Bei  mangelhafter  Einrichtung  und  deformer 
Heilung  hinterlassen  sie  Athembeschwerden,  Hustenreiz,  Oppression,  Herz- 
klopfen. —  Reposition.  Sie  geschieht  bei  bestehender  Dislocation 
der  Bruchstücke  durch  Rückwärtsbeugen  des  Stamms  und  durch  einen 
Seitendruck  auf  die  Rippen.  Kommt  man  damit  nicht  zum  Ziele,  so  soll 
man  nach  dem  Rat  he  einiger  Wundärzte  das  eingesunkene  Bruchende  mit 
dem  Tirefond  oder  nach  vorausgeschickter  Trepanation  des  Brustbeins 
mit  dem  Elevatorium  erheben.  Am  besten  ist  es  wohl ,  sich  mit  dem 
gleich  anzugebenden  Verbände  zu  begnügen  und  nicht  hartnäckig  auf 
einer  genauen  Coaptation  zu  bestehen.  —  Retention.  Ist  keine  Dis- 
location zugegen  oder  diese  beseitigt  oder  vermindert ,  so  lässt  man  den 
Kranken  eine  Rückenlage  beobachten  und  bringt  zur  Unterstüzung  des 
Rückens  ein  Polster  oder  Kissen  unter  diesen.  Die  schmerzhaften  Be- 
wegungen des  Thorax  kann  man  durch  eine  breite  Brustbinde  etwas  be- 
schränken. Bei  vorhandener  Neigung  zur  Dislocation  kann  man  dieser 
Binde  eine  Pappschiene  auf  das  Brustbein  beifügen.  Häufig  wird  gar 
kein  Verband ,  zuweilen  selbst  die  angegebene  Lage  nicht  ertragen.  — 
Nachbehandlung.  Strenge  Antiphlogose  ,  demulcirende  Getränke, 
Narkotica,  un^  den  Husten  zu  besänftigen ,  Ruhe  etc.  bilden  das  Wesent- 
lichste der  Behandlung.  Bilden  sich  Abscesse  hinter  dem  Brustbein ,  so 
muss  man  dem  Eiter  durch  Trepanation  dieses  Knochens  Ausfluss  ver- 
schaffen. 

10.  Bruch  der  Rippen.  Die  Rippen  brechen  troz  ihrer  Ela- 
sticität  sehr  oft ,  am  häufigsten  die  mittleren ,  indem  die  obern  durch  das 
Schultergerüst  und  die  Brustmuskeln  geschüzt  sind,  die  untern  aber  durch 
ihre  grosse  Beweglichkeit  dem  Zerbrechen  ausweichen.  Die  Bruchstelle 
ist  gewöhnlich  in  der  Mitte.  Im  Alter  kommen  die  Rippenbrüche  viel 
häufiger  vor  als  in  jüngeren  Jahren.  —  Symptome  und  Diagnose. 
Die  leztere  wird  gesichert  durch  örtlichen  Schmerz  beim  Athmen  ,  durch 
Crepitation,  welche  man  mit  der  flach  aufgelegten  Hand  wahrnimmt,  durch 
die  Dislocation  der  Bruchenden,  welche  nach  innen  stehen,  wenn  die  Ge- 
walt von  der  Seite ,  und  nach  aussen ,  wenn  sie  auf  das  Bruchbein  einge- 
wirkt hat,  endlich  durch  das  die  Rippenbrüche  häufig  begleitende  Emphy- 
sem. Bei  der  Dislocation  der  Bruchenden  nach  innen  und  der  Anwesen- 
heit von  Splittern  können  die  Lungen  ,  der  Herzbeutel,  die  Intercostalge- 
fässe  verlezt  sein,  was  Bluthusten,  Entzündung  der  Brustorgane  und  an- 
dere bedenkliche  Zufälle  im  Gefolge  hat.  Schwierig  ist  die  Erkenntniss 
bei  fetten  Personen  und  starker  Geschwulst.  —  Ursachen.  Diese  sind 
äussere  Gewalten ,  die  entweder  direct  einwirken  oder  solche ,  welche  die 


526  KNOCHENBRUCH  DES   SCHLUESSELBEINS. 

Spannung  des  von  der  Rippe  gebildeten  Bogens  bedeutend  steigern.  Di- 
recte  Brüche  sind  bei  Weitem  häufiger ;  man  nennt  sie  auch  Rippen- 
brüche  nach  innen,  weil  durch  die  einwirkende  Gewalt  die  Bruch- 
enden nach  einwärts  gedrückt  werden.  Indirecte  Brüche,  Rippen- 
brüche nach  aussen,  machen  die  zweite  Art  von  Brüchen  aus  ,  die 
durch  Gegenschlag  entstellen.  Selten  und  wahrscheinlich  nur  wenn  die 
Rippen  an  atrophischer  Verdünnung  gelitten  haben ,  sind  die  Brüche  die 
Folge  der  Muskelwirkung  beim  Husten.  —  Prognose.  Ein  Rippen- 
bruch ist  an  sich  keine  gefährliche  Yerlezung  und  heilt  gewöhnlich  in 
2  5  —  3  0  Tagen.  Bedeutende  Nebenverlezungen  können  aber  die  Pro- 
gnose mehr  oder  weniger  trüben.  — ■*-  Reposition.  Bei  einer  Disloca- 
tion  der  Bruchenden  nach  aussen  übt  man  während  einer  Inspiration  einen 
Druck  auf  die  Bruchstelle  aus  ;  bei  der  Verschiebung  nach  innen  lässt 
man  den  Kranken  auf  die  gesunde  Seite  legen  und  unterstüzt  sie  durch 
ein  Polster ,  worauf  die  Bruchenden  unter  einer  tiefen  Inspiration  nicht 
selten  nach  aussen  treten.  Gelingt  die  Reposition  auf  diese  Weise  nicht 
und  sind  die  Zufälle  der  innern  Reizung  bedeutend ,  so  führt  man  nach 
Malgaigne  einen  scharfen  Haken  unter  die  eingedrückten  Bruchenden 
und  ziehe  sie  damit  nach  aussen.  Sind  beide  Bruchenden  gleichmässig 
eingedrückt ,  so  gelingt  die  Reposition  zuweilen ,  wenn  man  unter  einer 
möglichst  tiefen  Inspiration  des  Kranken  einen  Druck  auf  das  Sternal- 
und  Vertebralende  der  gebrochenen  Rippe  ausübt.  —  Retention.  Man 
umgibt  den  Thorax  mit  einem  breiten  Handtuche  oder  umspannt  die  be- 
treffende Brusthälfte  mit  Heftpflasterstreifen ,  um  die  Bewegung  des  frac- 
turirten  Knochens  zu  hindern.  —  Nachbehandlung.  Sie  muss  ge- 
gen die  Reizung  oder  Entzündung  der  Brustorgane  gerichtet,  und  der  bei 
dem  Bruche  des  Brustbeins  angegebenen  ähnlich  sein. 

11.  Brüche  der  Rippenknorpel.  Diese  höchst  seltenen 
Brüche  betreffen  fast  ausschliesslich  die  5  mittleren  Rippen.  Sie  verlaufen 
immer  quer ,  zeigen  glatte  und  ebene  Bruchflächen  und  meistens  findet 
Reiten  statt  und  zwar  befindet  sich  gewöhnlich  das  Sternalfragment  vor 
dem  andern.  Die  Veranlassung  dieser  Brüche  ist  stets  eine  direct  wir- 
kende Gewalt.  Die  Reposition  ist  leicht,  die  Retention  schwierig.  Die 
Consolidation  erfolgt  durch  Erguss  plastischer  Lymphe  ,  die  ossificirt ;  es 
entsteht  provisorischer  Callus,  der  jedoch  hier  als  solcher  bestehen  bleibt. 
Die  Behandlung  besteht  in  der  Beschränkung  der  Bewegungen  der  leiden- 
den Thoraxhälfte;  bei  hartnäckiger  Neigung  zur  Dislocation  wendet  Mal- 
gaigne eine  einem  Bruchbande  nachgebildete  Bandage  mit  zwei  ein- 
ander gegenüber  liegenden  Pelotten  an. 

12.  Bruch  des  Schlüsselbeins.  Das  Schlüsselbein  ist  so- 
wohl seiner  Gestalt ,  als  seiner  oberflächlichen  Lage  wegen ,  wozu  noch 
kommt ,  dass  es  der  ganzen  obern  Extremität  zur  Stüze  dient ,  zum  Zer- 
brechen sehr  geneigt,  daher  gehören  diese  Brüche  zu  den  sehr  häufig  vor- 
kommenden.     Das   Schlüsselbein  kann  an  verschiedenen  Stellen  brechen. 


KNOCHENBRUCII  DES   SCHLUESSELBEINS.  527 

Am  gewöhnlichsten  findet  der  Bruch  an  dem  mittlem  Theil  des  Knochens, 
als  an  der  Stelle,  wo  er  gekrümmter  und  dünner  ist,  statt.  Die  Fracturen 
des  Schulterendes  sind  seltener.  —  Diagnose.  Sie  ist  gewöhnlich 
leicht.  Die  Bewegungen  des  betreffenden  Arms  sind  wie  gelähmt ;  er 
hängt  herab,  ist  nach  innen  rotirt  und  wird  von  dem  Kranken  mit  der  ge- 
sunden Hand  unterstüzt.  Der  Kopf  und  Rumpf  sind  nach  der  Seite  der 
Fractur  hin  geneigt ;  der  Arm  kann  weder  nach  vorn  gebracht ,  noch  er- 
hoben werden ;  die  kranke  Schulter  steht  tiefer  und  der  Mittellinie  des 
Körpers  etwas  näher.  Bei  den  Bewegungen  des  Arms  und  der  Schulter 
macht  sich  Beweglichkeit  und  Crepitation  der  Bruchenden  bemerklich. 
Die  Dislocation  dieser  leztern  ist  etwas  verschieden,  je  nach  dem  Siz  der 
Fractur  an  der  iunern  oder  äussern  Seite  des  Ligamentum  coraco- 
claviculare.  Bei  lezterem  nämlich  werden  die  Bruchenden  durch 
genanntes  Band  und  durch  den  Processus  coracoideus  in  der  nor- 
malen Stellung  erhalten  und  es  entsteht  entweder  gar  keine  oder  doch 
nur  eine  unbedeutende  Verschiebung  nach  der  Dicke  des  Knochens  ;  da- 
bei sind  die  Bewegungen  des  Arms  nicht  besonders  gestört.  Bricht  da- 
gegen die  Chivicula  zwischen  dem  genannten  Bande  und  demBrustbeine^ 
so  wird  das  äussere  Bruchstück  durch  das  Gewicht  des  Arms,  der  an  ihm 
durch  den  Deltoideus  befestigt  ist ,  abwärts  ,  und  des  Weitern  durch  die 
MM.  pectoralis  major,  teres  major  und  latissim  as  dorsi 
nach  innen  unter  das  innere  Bruchstück  gezogen.  —  Ist  das  Periosteum 
unversehrt  geblieben ,  so  bemerkt  man  blos  eine  schmerzhafte  Hervor- 
ragimg, eine  Vermehrung  der  vordem  Convexität  des  Schlüsselbeins,  aber 
Beweglichkeit  und  Crepitation  fehlen.  —  Ursachen.  Die  Brüche  des 
Schlüsselbeins  entstehen  entweder  durch  Gegenschlag  oder  durch  eine 
direet  einwirkende  Gewalt.  Die  erstem  s  indirecte  Brüche,  sind  die  häu- 
figsten und  die  Folge  eines  Falls  auf  die  Hand ,  den  Ellbogen  oder  die 
Schulter ,  während  der  Arm  vom  Rumpfe  entfernt  oder  vorgestreckt  ist. 
Diese  Brüche  haben  gewöhnlich  in  der  Mitte  des  Knochens  ihren  Siz  und 
verlaufen  schräg  und  zwar  meistens  in  der  Richtung  von  aussen  nach  in- 
nen und  von  vorn  nach  hinten.  Die  directen  Brüche  werden  durch  einen 
Stoss,  Schlag,  das  Auffallen  eines  schweren  Körpers  auf  das  Schlüsselbein 
selbst  und  dann  meist  mehr  an  dem  Acromialrande  hervorgebracht.  — 
Prognose.  Diese  Brüche  ziehen  gewöhnlich  keine  Gefahren  nach 
sich ,  Avofern  sie  nicht  mit  Verlezungen  der  benachbarten  Theile  compli- 
cirt  sind.  Sie  lassen  sich  leicht  reponiren  ,  aber  schwer  in  der  Einrich- 
tung erhalten,  weshalb  sie  auch  immer  mit  einiger  Deformität  heilen,  was 
indessen  die  Bewegung  des  Arms  nicht  beeinträchtigt.  Die  Heilung 
kommt  innerhalb  3  —  4  Wochen  zu  Stande.  —  Reposition.  Besteht 
eine  Verschiebung  der  Bruehenden  und  ist  also  eine  Einrichtung  nöthig. 
so  wird  diese  dadurch  ins  Werk  gesezt,  dass  ein  Gehülfe  ein  Knie  zwischen 
die  Schulterblätter  des  Kranken  sezt  und  die  Schultern  mit  beiden  Hän- 
den nach  hinten  und  oben  zieht,  während  der  Wundarzt   die    Coaptation 


528  KNOCHENBRUCH   DES   SCHLUESSELBEINS. 

der  Fragmente  bewirkt.  —  Retention.  Die  Unmöglichkeit,  die  Bruch- 
enden immer  in  genauer  Verbindung  zu  erhalten  ,  hat  eine  Menge  von 
Verbänden  gegen  diese  Fractur  hervorgerufen,  die  in  Hinsicht  auf  die  Art 
ihrer  Wirkung  von  einander  abweichen.  Die  einen  bezwecken  ein  Zurück- 
ziehen der  Schultern  und  üben  zu  diesem  Behufe  eine  ausdehnende  Kraft 
auf  diese  selbst  aus  ;  bei  andern  wird  der  Arm  als  Hebel  benüzt ,  um  den 
Oberarmkopf  und  damit  das  äussere  Bruchstück  der  Clavicula  nach  aussen 
zu  drängen ;  noch  andere  geben  dem  untern  Ende  des  Oberarms  eine 
solche  Stellung ,  dass  der  Kopf  desselben  eine  geeignete  Lage  erhält.  — 
Unter  den  Verbänden  der  ersten  Klasse  sind  als  die  bekanntesten  die  Ver- 
bände von  Brünninghausen  und  Brefeld  zu  nennen.  Ersterer 
zieht  die  Schultern  mittels  eines  mit  Rückenstücken  versehenen  Riemens 
zurück,  bei  Brefeld  stüzen  sich  Riemen,  welche  die  Schultern  ringförmig 
umfassen,  auf  eine  quer  über  die  Schulterblätter  gelegte  Schiene.  —  Un- 
ter den  Verbänden  der  zweiten  Art  hat  sich  der  Verband  von  Desault 
den  grössten  Ruf  erworben.  Nach  ihm  wird  ein  keilförmiges  Kissen,  mit 
der  Spize  nach  unten ,  in  die  Achsel  gebracht ;  nachdem  dieses  befestigt 
ist ,  wird  der  Ellbogen  nach  vorn  gebracht  und  der  Arm  mittels  horizon- 
taler Touren  einer  Binde  an  den  Rumpf  angeschlossen;  mit  einer  zweiten 
Binde  wird  der  Arm  nach  aufwärts  gedrängt.  Die  leztere  Binde  wird 
folgendermassen  angelegt.  Man  beginnt  von  der  Achselhöhle  der  gesun- 
den Seite ,  führt  die  Binde  schräg  über  die  Brust  zur  kranken  Schulter 
und  an  der  hintern  "Seite  des  Oberarms  abwärts  unter  den  Ellbogen  der 
kranken  Seite ,  steigt  dann  schräg  über  die  Brust  aufwärts  zur  gesunden 
Achselhöhle,  von  wo  man  ausgegangen  war,  dann  schräg  über  den  Rücken 
zur  kranken  Schulter  und  von  dieser  an  den  vordem  Seite  des  Oberarms 
gerade  abwärts  um  den  Ellbogen  der  fracturirten  Seite  und  über  den 
Rücken  zu  dem  ursprünglichen  Ausgangspunkte  zurück ,  von  wo  aus  man 
diese  Touren  wiederholt.  Da  diese  Binden  sehr  bald  nachlassen  ,  so  hat 
man  auf  verschiedene  Weise  versucht ,  diesem  Uebelstande  abzuhelfen. 
Zunächst  sezte  Boy  er  an  die  Stelle  der  Binde,  durch  welche  Desault 
das  Kissen  befestigte ,  zwei  Bänder ,  die  über  der  gesunden  Schulter  zu- 
sammengeknüpft werden.  Des  Weitern  bediente  er  sich  statt  der  übrigen 
Binden  eines  breiten  ledernen  Armbandes ,  das  um  den  Arm  geschnallt 
und  dann  an  einem  breiten  Leibgurt  befestigt  wurde.  Dupuytren  er- 
sezte  die  dritte  Lage  der  Desault'  sehen  Bindentouren  durch  einfachere 
schräg  laufende,  von  der  gesunden  Schulter  über  den  Rücken,  unter  dem 
Ellbogen  der  kranken  Seite  und  wieder  zurück  zur  gesunden  Schulter. 
Delpech  verwendete  statt  Binden  lederne  Riemen  :  ein  breiter  gepolster- 
ter Riemen  läuft  um  den  Oberarm  dicht  über  dem  Ellbogengelenk  und 
um  den  Thorax,  ein  zweiter  um  den  Vorderarm  in  der  Nähe  des  Ellbogens 
und  von  da  zur  gesunden  Schulter  ;  diese  Riemen  werden  durch  Schnallen 
mehr  oder  weniger  fest  angezogen.  —  Bei  der  dritten  Art  von  Verbänden 
wird  der  vor  die  Brust  gebrachte  Ellbogen  durch  Ellbogenkappen,  Aermel, 


KNOCHENBRUCH  DES  SCHULTERBLATTS.  529 

Verbandtücher  etc.  befestigt ;  bei  einigen  stüzt  sich  dabei  die  Hand  auf 
die  gesunde  Schulter  ;  V  e  1  p  e  a  u  fixirt  den  Arm  in  dieser  Stellung  durch 
festzuklebende  Binden.  —  Einige  Wundärzte  endlich  legen  gar  keinen 
Verband  an ,  sondern  lassen  den  Kranken  nur  eine  ruhige  Lage  auf  der 
gesunden  Seite  beobachten  ,  und  unterstüzen  den  kranken  Arm  durch  ein 
kleines  Kissen.  —  Legt  man  keinen  zu  grossen  Werth  auf  eine  kleine 
(meistens  ohnedies  nicht  zu  vermeidende)  Deformität ,  so  kann  man  alle 
complicirten  Verbände  entbehren  und  sich  darauf  beschränken ,  den  Arm 
einfach  in  eine  Schlinge  zu  legen ,  um  ein  Herabschieben  der  kranken 
Schulter  zu  verhüten.  —  Nachbehandlung.  Bestehende  Contusio- 
nen  der  Weichgebilde  behandelt  man  mit  kalten  Umschlägen  etc. 

13.  Brüche  des  Schulterblatts.  Diese  Brüche  sind  selten, 
was  sich  aus  der  Beweglichkeit  der  Scapula  und  ihrem  Schuze  durch  dicke 
Muskela  leicht  erklärt.  Am  häufigsten  brechen  noch  die  oberflächlichen 
Theile  derselben ,  das  Acromion  und  der  untere  Winkel ,  demnächst  der 
Körper  des  Knochens  und  die  Spina  scapulae,  endlich  der  Proces- 
sus coracoideus  und  das  Collum  scapulae.  —  a)  Die  Brüche 
des  Körpers  der  Scapula  verlaufen  bald  der  Länge  nach,  bald  in 
die  Quere,  in  welch  lezterem  Falle  sie  sich  durch  die  Pars  infra-  oder 
supraspinata  erstrecken,  bald  sind  es  Splitterbrüche.  Sie  entstehen 
stets  direcf  und  sind  daher  immer  mit  bedeutender  Quetschung ,  oft  auch 
mit  Wunden  complicirt.  Die  Längenbrüche  sind  selten  mit  Verschiebung 
der  Bruchstücke  verbunden ,  und  man  fühlt  nur  Crepitation  ,  wenn  man 
den  Arm  nach  der  gesunden  Seite  zu  über  die  Brust  bewegen  lässt.  Die 
Querbrüche  haben  dagegen  öfter  Verschiebung  der  Bruchstücke  zur  Folge 
und  können  leicht,  wenn  sie  in  der  Pars  supraspinata  bestehen,  bei 
der  Bewegung  des  Kopfs,  und  kommen  sie  in  der  Pars  infraspinata 
vor ,  durch  die  Vorwärtsbewegung  des  Arms ,  durch  die  entstehende  Un- 
gleichheit der  Schulter ,  durch  den  Schmerz  und  die  Crepitation  erkannt 
werden.  Besonders  ist  es  aber  der  untere  Winkel  des  Schulterblatts, 
welcher  sich,  wenn  er  abgebrochen  ist,  verschiebt ;  er  wird  nämlich  durch 
den  Latissimus  dorsi  und  den  Serratus  anticus  major  nach 
vorn  gezogen.  —  b)  Brüche  der  Forts  äze  des  Schulterblatts. 
Von  diesen  wird  das  Acromion  am  häufigsten  gebrochen.  Die  Erken- 
nung ist  leicht  durch  die  Crepitation  bei  Bewegungen  des  Arms  ,  so  wie 
durch  eine  Vertiefung  an  der  Stelle  des  Bruchs,  welche  verschwindet, 
wenn  man  deta.  Arm  in  die  Höhe  hebt.  Dabei  steht  der  Kopf  gegen  die 
kranke  Schulter  hingeneigt  und  diese  ist  abgeflacht.  —  Brüche  der 
Spina  scapulae  sind  bei  der  oberflächlichen  Lage  dieses  Theils  leicht 
zu  erkennen.  Das  abgebrochene  Stück  ist  beweglich  und  an  der  Bruch- 
stelle besteht  Schmerz  ,  der  bei  der  Berührung  und  durch  Bewegungen, 
besonders  Erhebung  des  Arms  gesteigert  wird.  —  Der  Processus  co- 
racoideus bricht  selten  und  wenn  er  bricht ,  so  ist  seiner  versteckten 
Lage  wegen  die  Diagnose  schwierig ,  besonders  wenn  noch  Geschwulst  da 
Burger,  Chirurgie.  o4: 


530  KNOCHENBRUCH  DES  SCHULTERBLATTS. 

ist,  die  selten  fehlt,  weil  nur  eine  beträchtliche  direct  einwirkende  Gewalt 
ihn  zu  brechen  vermag.  Schmerz  und  Beweglichkeit  beim  Vor-  und  Rück- 
wärtsbewegen des  Arms  geben  Erkennungszeichen  ab.  —  Der  Bruch 
des  Collum  scapulae  wird  durch  den  Verlust  der  Rundung  der 
Schulter,  eine  Vertiefung  dicht  unter  dem  Acroniion,  durch  die  Aufhebung 
der  Funktion  des  Arms,  durch  das  Ab-  und  Vorwärtssinken  desselben, 
seine  Richtung  nach  unten  und  aussen ,  das  Abstehen  des  Ellbogens  vom 
Rumpfe  und  durch  die  Crepitation  erkannt.  Von  der  Luxation  des  Ober- 
arms ,  mit  dem  dieser  Bruch  viel  Aehnlichkeit  hat ,  unterscheidet  er  sich 
durch  die  Beweglichkeit  des  Schultergelenks  ,  durch  die  Crepitation  beim 
Rotiren  des  Arms  und  durch  das  Wiederabwärtssinken  des  Arms ,  wenn 
man  ihn  nach  vollzogener  Reposition  sich  selbst  überlässt. —  Ursachen. 
Sämmtliche  Schulterblattbrüche,  mit  Ausnahme  desjenigen  des  Collum 
scapulae,  der  durch  Gegenschlag  (Fall  auf  die  vorgestreckte  Hand, 
auf  den  Ellbogen  oder  die  Schulter)  entsteht ,  sind  die  Folge  einer  un- 
mittelbar einwirkenden  Gewalt.  Da  diese  Gewalt  meistens  eine  sehr  hef- 
tige ist,  so  sind  diese  Brüche  häufig  mit  starken  Quetschungen  und  Er- 
schütterungen der  Brustorgane  oder  des  Rückenmarks  verbunden.  — 
Prognose.  Wegen  der  angeführten  Nebenverlezungen  sind  diese Frac- 
turen  im  Allgemeinen  nicht  günstig  zu  beurtheilen.  Auch  können  die 
Fortsäze  krüppelhaft  verheilen  (das  Acroniion  meistens  durch  eine  Zwi- 
schensubstanz), was  den  Arm  späterhin  mehr  oder  weniger  in  seinen  Funk- 
tionen behindern  kann.  —  Reposition.  Bei  Längenbrüchen  des 
Schulterblattkörpers  ist  keine  Reposition  vonnöthen ;  beim  Bruche  der 
Pars  supraspinata  drückt  man  das  obere  Fragment  nach  unten, 
während  der  Kranke  den  Kopf  nach  der  kranken  Seite  neigt.  Die  Ein- 
richtung der  gebrochenen  Pars  infraspinata  soll  dann  möglich  wer- 
den, wenn  man  den  kranken  Arm  so  vorn  über  erhebt,  dass  die  Hand  auf 
die  gesunde  Schulter  zu  liegen  kommt.  —  Die  Reposition  der  Brüche  der 
Fortsäze  geschieht  dadurch ,  dass  man  den  flectirten  und  an  den  Körper 
angelegten  Arm  vom  Ellbogen  aus  in  die  Höhe  schiebt ,  wozu  für  den 
Bruch  des  Collum  scapulae  noch  ein  Auswärtsziehen  des  dicht  unter 
der  Achselhöhle  gefassten  Oberarms  kommt.  —  Retention.  Im  All- 
gemeinen sichere  man  die  ruhige  Lage  des  Schulterblatts  durch  Fixirung 
des  Oberarms  und  Erschlaffung  der  Muskeln.  Am  besten  entspricht  man 
dieser  Anforderung  durch  folgende  Verbände.  Befindet  sich  der  Bruch 
am  Körper  der  Scapula ,  so  lege  man ,  nachdem  man  eine  Compresse  in 
die  Achselhöhle  gebracht  hat,  den  im  rechten  Winkel  gebogenen  Arm  in 
eine  Schlinge  und  befestige  das  Ganze  mittels  einiger  die  Brust  umgeben- 
den Cirkeltouren.  —  Bei  dem  Bruche  der  Fortsäze  muss  die  Stellung  des 
Arms,  in  welcher  die  Reposition  des  Bruchs  bewirkt  wurde,  festgehalten 
werden.  Zu  diesem  Behufe  bringt  man  zwischen  die  Brust  und  den  un- 
tern Theil  des  Oberarms  ein  gewöhnliches  (beim  Bruche  des  Collum 
scapulae  in  die  Achselhöhle  mit  seiner  Basis  nach  oben  ein  keilförmiges) 


KNOCHENBRUCH  DES  OBERARMS.  531 

Kissen  und  befestigt  den  in  eine  Schlinge  gelegten ,  stark  nach  oben  ge- 
drückten Arm  mit  Brustzirkelgängen  an  den  Rumpf.  Bei  dem  Bruche 
der  Spina  scapulae  kann  man  in  die  Fossa  supra-  und  i  n  f  r  a- 
s  p  i  n  a  t  a  graduirte  Compressen  legen  und  diese  durch  Achtertouren  um 
die  Schultern,  die  sich  auf  dem  kranken  Schulterblatte  kreuzen ,  befesti- 
gen. —  Nachbehandlung.  Die  bedeutenden  Quetschungen  machen 
immer  die  Anwendung  von  kalten  Umschlägen,  Blutegeln ,  innern  anti- 
phlogistischen Mitteln,  zuweilen  einen  Aderlass  etc.  nothwendig.  Bildet 
sich  in  der  Umgegend  des  Schulterblatts  dennoch  eine  Eiterung  aus ,  so 
muss  man  dem  Eiter,  welcher  oft  seinen  Weg  gegen  die  Achselhöhle  hin 
nimmt ,  frühzeitig  einen  Weg  durch  Incisionen  oder  nöthigenfalls  durch 
Trepanation  des  Schulterblatts  eröffnen. 

14.  Brüche  des  Oberarmbeins.  Das  Oberarmbein  kann 
bald  an  seinem  obern  Ende,  bald  an  seinem  Mittelstücke,  bald  an  seinem 
untern  Ende  brechen.  —  a)  Die  Brüche  des  obern  Endes  zerfallen 
wieder  in  solche ,  die  über  den  Höckern  des  Humerus  ihren  Siz  haben, 
Brüche  des  anatomischen  Halses  oder  des  Oberarm- 
kopfes (Intracapsularbrüche)  ;  ferner  in  solche,  welche  die  Höcker 
selbst  betreffen,  und  endlich  in  Brüche  unterhalb  der  Höcker,  Brüche 
des  chirurgischen  Halses  (Extracapsularbrüche).  Sie  entstehen 
in  der  Regel  durch  unmittelbar  einwirkende  Gewalten.  —  Diagnose. 
Beim  Bruche  des  anatomischen  Halses  besteht  oft  keine  De- 
formität ;  die  Schulter  hat  dann  ihre  normale  Gestalt  und  der  Verdacht 
einer  Fractur  wird  nur  durch  die  Schmer zhaftigkeit  und  die  Unmöglich- 
keit von  Bewegungen  herbeigeführt.  Diese  subjectiven  Zeichen  können 
auch  bei  blosser  Contusion  der  Schulter  bestehen.  Es  müssen  daher 
noch  andere  Zeichen  gesucht  werden ;  diese  erhält  man ,  wenn  man  den 
Oberarm  zu  rotiren  versucht ,  während  die  andere  Hand  das  Schulter- 
gelenk fixirt :  man  vernimmt  dann  Crepitation  und  bemerkt ,  dass  der 
Kopf  den  Bewegungen  des  Oberarmbeins  nicht  folgt.  Besteht  Verschie- 
bung, welche  aber  immer  sehr  gering  ist,  so  rührt  sie  davon  her,  dass  der 
Deltoideus,  Supra-  und  Infraspinatus  das  untere  Bruchstück 
ein  wenig  aufwärts  und  nach  aussen  ziehen;  in  diesem  Falle  fühlt  man 
an  der  gebrochenen  Stelle  eine  Vertiefung  und  das  untere  Fragment  bil- 
det einen  Vorsprung  in  der  Achselhöhle ;  die  Folge  hievon  ist  eine  ge- 
ringe Verkürzung  des  Arms.  Bei  Einkeilung  des  Gelenkkopfes  in  die 
spongiose  Substanz  des  untern  Bruchendes  fehlt  Beweglichkeit  und  Cre- 
pitation. Ein  ziemlich  constantes  Zeichen  der  Oberarmhalsfracturen  ist 
nach  Malgaigne  eine  mehr  oder  minder  umfangreiche  Ecchymose  am 
Arm  und  in  der  Schlüsselbeingegend.  —  Beim  Bruche  durch  die 
Tubercula  besteht  fast  gar  keine  Deformität,  weil  die  starken  Sehnen- 
ansäze  des  Supraspi  natu  s,  Infraspinatus,  Teres  minor  und 
Subscapularis  so  wie  die  mit  ihnen  zusammenhängenden  Theile  der 
Gelenkkapsel  die  Bruchenden  genau  gegen  einander  befestigen.      Der 

34* 


532  KNOCHENBRUCH  DES  OBERARMS. 

Bruch  kann  nur  durch  die  Crepitation  entdeckt  werden.  Ein  isolirter 
Bruch  des  T  u  b  e  r  c  u  1  u  m  minus  kommt  höchst  selten  vor.  Häufiger 
bricht  das  Tuberculum  majus  für  sich  ohne  Betheiligung  des  übri- 
gen Knochen  und  erfolgt  der  Bruch  desselben  an  seiner  Basis,  so  wird  es 
durch  die  daran  befestigten  Muskeln  (  S  upr  a-  und  Infraspinatus 
und  Teres  minor)  aufwärts  und  nach  aussen  gezogen  ,  sofern  deren 
sehnige  Ausbreitungen  in  die  Gelenkkapsel  nicht  Widerstand  leisten. 
Der  Humerus  wird ,  da  er  der  Einwirkung  der  gedachten  Muskeln  ent- 
zogen ist ,  nach  innen  rotirt  und  die  Bruchfläche  des  untern  Bruchendes 
stark  aufwärts  und  nach  innen  geschoben.  Das  Tuberculum  wird  unter 
dem  Acromion ,  der  Gelenkkopf  in  der  Nähe  des  Processus  cora- 
c  o  i  d  e  u  s  gefühlt.  Ist  nur  ein  Stück  des  Tuberculu  m  majus  ab- 
gebrochen, so  fehlt  jede  Verschiebung.  —  Bei  dem  Bruche  des  chi 
rurgischen  Halses  wird  das  obere  Bruchende  durch  die  M.  M.  supra- 
und  infraspinatus  in  der  Art  verschoben,  dass  seine  untere  Fläche 
sich  nach  aussen  und  vorn  wendet,  während  das  untere  Bruchstück  durch 
den  Pectoralis  major,  Teres  major  und  Latissimus  dorsi 
nach  innen,  durch  die  übrigen  vom  Schultergerüst  zum  Arm  verlaufenden 
Muskeln  aber  zugleich  aufwärts  gezogen  wird.  Auch  hier  kommt  Ein- 
keilung des  Kopfs  vor.  Die  Deformität  ist  hier  sehr  bedeutend :  Die 
Achse  des  Oberarms  steht  schief  von  oben  und  innen  nach  unten  und 
aussen ,  das  obere  Ende  des  untern  Bruchstücks  ragt  in  der  Achselhöhle 
hervor ;  2  —  3  Finger  breit  unterhalb  des  Acromion  besteht  eine  deut- 
liche Einbiegung.  Dazu  bei  der  Rotation  des  nach  aussen  gezogenen 
Arms  Crepitation,  starker  Schmerz,  die  Unmöglichkeit  freiwilliger  Bewe- 
gungen, Anschwellung  und  Ecchymose.  —  Prognose.  Die  Nähe  des  Ge- 
lenks, die  grosse  Gewalt,  welche  erforderlich  ist,  um  einen  solchen  Bruch  her- 
vorzubringen, dann  auch  die  Unmöglichkeit,  solche  Brüche  genau  zu  repo- 
niren  und  die  daraus  resultirende  mangelhafte  Consolidation  machen  die 
Brüche  des  obern  Endes  des  Humerus  zu  bedenklichen  Verlezungen.  —  R  e- 
position.  Eine  solche  ist  nur  bei  den  Brüchen  des  chirurgischen  Halses 
nöthig,  bei  welchen  ein  leichter  Zug  das  untere  Bruchende  in  gleiche  Höhe 
mit  dem  obern  bringt,  worauf  ein  in  der  Richtung  von  innen  nach  aussen  auf 
das  untere  Bruchende  in  der  Nähe  der  Bruchstelle  ausgeübter  Druck  die 
Coaptation  vervollständigt.  Der  abgebrochene  Kopf  entzieht  sich  jeder 
Einwirkung.  —  Beim  Bruche  eines  der  Tubercula  rotirt  man  den  Ober- 
arm, um  die  sich  an  den  Höcker  inserirenden  Muskeln  zu  erschlaffen  und 
drückt  den  Höcker  an  seine  Stelle.  —  Retention.  Man  umwickelt 
den  Oberarm  so  hoch  als  möglich  mit  einer  Rollbinde ,  legt  dann  3  —  4 
Pappschienen,  von  denen  die  äussere  bis  auf  die  Schulterhöhe  reichen  und 
eingekerbt  sein  muss,  damit  sie  sich  an  die  Schulter  anschmiegt,  um  den 
Arm  und  befestigt  diese  mit  einer  zweiten  Binde,  welche  sich  mit  Touren 
um  die  Schulter  und  Brust  endigt.  Schliesslich  legt  man  zwischen  den 
Oberarm  und  die  Brust  eine  dicke  Compresse,  wickelt  den  Oberarm  gegen 


KNOCHENBRUCH  DES  OBERARMS.  533 

die  Brust  mit  Bindentouren  fest,  und  lässt  den  Vorderarm  in  einer  Mitella 
tragen.  —  Die  Consolidation,  die  nicht  selten  durch  eine  fibröse  Zwischen- 
substanz ,  manchmal  durch  stalaktitenförmige  Knochenwucherungen  zu 
Stande  kommt,  erfolgt  in  etwa  50  Tagen.  —  Nachbehandlung. 
Sie  muss  nach  Massgabe  der  durch  die  Gewalt  hervorgerufenen  Entzün- 
dung mehr  oder  weniger  streng  antiphlogistisch  sein.  Bei  complicirten 
Brüchen  kann  die  Resection  nöthig  werden.  Wenn  der  völlig  abgelöste 
Gelenkkopf  frei  im  Gelenke  liegt  und  als  fremder  Körper  Entzündung 
und  Eiterung  erregt ,  so  muss  das  Gelenk  wie  bei  der  Resection  geöffnet 
und  der  Gelenkkopf  ausgezogen  werden.  —  b)  Bruch  des  Mittel- 
stücks des  Oberarmbeins.  Dieser  kommt  am  häufigsten  im  mitt- 
leren Theile  des  Körpers  des  Knochens  vor  und  ist  gewöhnlich  die  Folge 
einer  direct  einwirkenden  äussern  Gewalt ;  seltener  erfolgt  er  durch 
indirecte  Ursachen ,  z.B.  einen  Fall  auf  den  Ellbogen ,  und  ausnahms- 
weise durch  Muskelthätigkeit,  z.  B.  beim  Werfen  etc.  —  Diagnose. 
Sie  ist  immer  sehr  leicht :  Deformität,  abnorme  Beweglichkeit,  Crepitation, 
fixer  Schmerz  an  der  Stelle  des  Bruches  und  Unfähigkeit  zu  willkürlichen 
Bewegungen  des  Arms.  Verschiebung  findet  sich  besonders  bei  Schief- 
brüchen. Sizt  der  Bruch  unterhalb  der  Insertion  des  Deltamuskels ,  so 
ist  diese  nicht  bedeutend  ,  weil  der  Brachialis  internus  und  der 
T  r  i  c  e  p  s  die  Bruchenden  gleichförmig  umfassen.  Befindet  sich  die 
Bruchstelle  oberhalb  der  Insertion  des  Deltoideus ,  so  wird  das  untere 
Bruchende  durch  ihn  nach  aussen  ,  das  obere  aber  durch  den  P  e  c  t  o- 
ralis  major,  Ter  es  major  und  Latissimus  dorsi  nach  innen 
gezogen.  —  Prognose.  Sie  ist  günstig.  Die  Consolidation  kommt 
in  5  —  6  Wochen  zu  Stande ;  indessen  ist  zu  bemerken,  dass  unter  allen 
Brüchen  der  in  Rede  stehende  dem  Fehlschlagen  der  Consolidation  am 
meisten  unterworfen  ist.  —  Reposition.  Ein  Gehülfe  umfasst  be- 
hufs der  Contraextension  die  Schulter  mit  beiden  Händen ,  ein  zweiter 
zieht  über  dem  im  rechten  Winkel  gebeugten  Ellbogengelenke  und  der  an 
der  äussern  Seite  stehende  AVundarzt  macht  die  Coaptation.  —  R  e  t  e  n- 
t  i  o  n.  Man  wickelt  den  Oberarm  mit  einer  Rollbinde  ein  und  legt  zwei 
oder  drei  Schienen  an,  die  man  gehörig  befestigt.  Den  Vorderarm  legt 
man  in  eine  Schlinge.  Bleibt  der  Kranke  im  Bette ,  so  lagert  man  den 
halbgebeugten  Arm  in  einiger  Entfernung  vom  Rumpfe  auf  ein  Kissen. 
—  c)  Brüche  am  untern  Ende  desHumerus.  Diese  erfolgen 
entweder  durch  die  ganze  Breite  des  Humerus  oder  es  ist  der  eine  oder 
der  andere  Condylus  abgetrennt.  Sie  entstehen  durch  Gewalten  welche, 
das  Gelenk  selbst  treffen ;  die  häufigste  Veranlassung  ist  ein  Fall  auf 
den  Ellbogen.  —  Diagnose.  Der  Bruch ,  welcher  das  ganze  un- 
tere Ende  des  Humerus  über  den  Condylen  ablöst,  gibt  sich  durch 
Schmerz,  Unbrauchbarkeit  des  Gliedes,  Geschwulst  zu  erkennen  ;  Crepi- 
tation ist  oft  schwer  zu  entdecken  ;  sie  kann  möglicher  Weise  durch  dre- 
hende Bewegungen  des  Vorderarms  hervorgebracht  werden.      Durch  die 


534  KNOCHENBRUCH  DES  OBERARMS. 

Wirkung  des  Triceps  ist  das  untere  Bruchstück  nebst  dem  ganzen  Vorder- 
arm nach  hinten  und  oben  gezogen.  Ersteres  erleidet  dabei  eine  solche 
Drehung  um  seine  Querachse ,  dass  der  Gelenktheil  vollkommen  nach 
hinten,  die  Bruchfläche  aber  nach  vorn  gerichtet  ist,  so  dass  leztere  ge- 
meinsam mit  dem  obern  Bruchende  einen  nach  vorn  vorspringenden 
Winkel  bildet.  —  Mit  einem  mehr  oder  weniger  querverlaufenden  Bruch 
kann  ein  durch  das  untere  Bruchende  vertical  bis  ins  Gelenk  verlaufender 
Längenbruch  verbunden  sein ,  wodurch ,  wenn  diese  Bruchstücke  aus 
einander  weichen ,  der  Querdurchmesser  des  untern  Endes  des  Oberarms 
beträchtlich  vermehrt  wird.  Auch  kann  das  Olecranon  in  diesen  Spalt 
treten,  wodurch  dieses  sich  dem  Gefühl  entziehen  kann.  Gewöhnlich 
steht  das  Olecranon  bei  allen  diesen  Brüchen  stark  nach  hinten  vor  und 
hat  einen  höheren  Standpunkt  als  gewöhnlich.  Der  Arm  ist  im  Ellbogen 
leicht  gebeugt.  Dieser  Bruch  kann  leicht  mit  einer  Luxation  des  Vorder- 
arms nach  hinten  verwechselt  werden.  —  Bei  dem  Bruche  des  innern 
Condylus  tritt  bei  ausgestrecktem  Arme  das  obere  Ende  der  Ulna  mit 
dem  abgebrochenen  Condyl  in  die  Höhe  und  bildet  einen  Vorsprung ; 
das  untere  Ende  des  Humeras  springt  nach  vorn  vor.  Während  der  Beu- 
gung verschwindet  jede  Deformität.  Legt  man ,  während  im  Ellbogen- 
gelenk Bewegungen  gemacht  werden ,  die  Finger  auf  das  untere  Ende 
des  Humerus ,  so  fühlt  man  Crepitation.  Geht  der  Bruch  nicht  in  das 
Gelenk,  so  fehlt  die  Dislocation  der  Ulna  und  die  Crepitation  lässt  sich 
nur  durch  directe  Bewegungen  des  abgebrochenen  Condyls  hervorrufen. 
Die  Diagnose  wird  nicht  selten  durch  eine  bedeutende  Geschwulst  er- 
schwert. —  Beim  Bruch  des  äussern  Condylus  bildet  das  abge- 
löste Knochenstück  einen  Vorsprung,  dessen  Berührung  schmerzhaft  ist. 
Bewegungen  im  Ellbogengelenk  und  Drehungen  der  Hand  erregen  Schmerz 
und  Crepitation.  Läuft  der  Bruch  in  das  Gelenk ,  so  weicht  der  Radius 
mit  dem  abgebrochenen  Condylus  nach  hinten.  Auch  bei  diesem  Bruche 
findet  sich  oft  eine  bedeutende  Geschwulst.  Die  Vereinigung  erfolgt 
manchmal  blos  durch  ligamentöse  Zwischensubstanz.  —  Prognose. 
Diese  mehr  bei  Kindern  als  bei  Erwachsenen  vorkommenden  und  in  die- 
sem Falle  wahrscheinlich  oft  in  einer  Ablösung  der  Epiphyse  bestehenden 
Brüche  gewähren  deshalb  nicht  immer  die  beste  Prognose ,  weil  sehr 
lange  Zeit  nach  der  Heilung  eine  beträchtliche  Steifigkeit  im  Ellbogen- 
gelenke zurückbleibt.  —  Reposition.  Beim  Bruche  des  ganzen  un- 
tern Endes  des  Humerus  fasst  man  mit  jeder  Hand  ein  Fragment ,  wobei 
der  Daumen  vorwärts  angelegt  und  gegen  den  Bruch  gerichtet  ist,  welchen 
man  nun  durch  Druck  und  Zug  einzurichten  versucht.  Die  Brüche  der 
Condylen  richten  sich  ohne  weiteres  Zuthun  der  Kunst  durch  Beugung 
des  Vorderarms  von  selbst  ein.  —  Retention.  Beim  Bruche  über 
den  Condylen  legt  man  an  das  in,  Halbbeugung  gebrachte  Glied  zwei 
Schienen  und  zwar  entweder  zwei  knieförmig  gebogene  an  beide  Seiten 
des  Gelenkes  oder  aber  je  eine   auf  die  Beuge  und  Streckseite  desselben, 


KNOCHENBRUCH  DES  VORDERARMS.  535 

welche  am  Ellbogen  entsprechend  umgebogen  und  dann  schliesslich  mit 
einer  Binde  befestigt  werden.  Bei  grosser  Neigung  zur  Dislocation  legt 
man  auf  den  Vorsprung  in  der  Ellenbogenbeuge  eine  dicke  Compresse, 
auf  welche  sich  die  vordere  Schiene  stüzt.  Bei  gleichzeitig  bestehendem 
Längenbruche  sind  Seitenschienen  nicht  zu  entbehren.  Den  Vorderarm 
legt  man  schliesslich  in  eine  Mitella.  —  Bei  dem  Bruche  der  Con- 
dylen  hat  man  nur  den  rechtwinklig  gegen  den  Oberarm  gebeugten 
Vorderarm  in  dieser  Stellung  zu  befestigen  und  durch  eine  Schlinge 
zu  unterstüzen.  Um  das  Ausweichen  des  äussern  Condyls  nach  hinten  zu 
verhindern ,  kann  man  dem  genannten  Verbände  eine  rechtwinklig  gebo- 
gene Schiene  an  die  hintere  Seite  beifügen.  —  Bei  complicirten  Brüchen 
muss  man  sich  damit  begnügen,  den  verlezten  Arm  massig  gebogen  auf 
ein  Spreukissen  zu  lagern,  und  dieses,  nachdem  es  an  den  Arm  sanft  an- 
gedrückt ist ,  durch  einige  Bänder  festzubinden.  Bei  grosser  Neigung 
der  Bruchenden  zur  Verschiebung  kann  man  zwischen  den  Arm  und  die 
Bänder  einige  dünne  Holzschienen  einschieben  ,  auch  die  S  c  u  1 1  e  t'sche 
Binde  anlegen.  —  Nachbehandlung.  Diese  hat  zunächst  die  Be- 
kämpfung der  Entzündung  durch  kalte  Umschläge  etc.  zur  Aufgabe,  dann 
aber  besonders  der  Gelenksteifigkeit  entgegen  zu  wirken,  zu  welchem  Be- 
hufe  man  bei  jugendlichen  Individuen  schon  in  der  zweiten  Woche,  bei 
altern  in  der  dritten  anfängt,  dem  Ellbogen  vorsichtig  passive  Bewegun- 
gen mitzutheilen. 

15.  Brüche  der  Vorderarmknochen.  Man  unterscheidet 
einen  Bruch  beider  Knochen  und  einen  Bruch  des  Radius  und  der 
Ulna  allein.  Von  grösserer  Wichtigkeit  ist  unter  diesen  Brüchen  der 
Bruch  des  Olecranon  und  der  des  untern  Endes  des  Radius.  — 
Diagnose.  Der  Bruch  beider  Vorderarmknochen  lässt 
sich,  wenn  er  in  der  Mitte  statt  hat ,  leicht  an  der  Missstaltung ,  die 
durch  die  Neigung  der  Bruchenden  nach  innen  bedingt  ist ,  an  der  ge- 
hinderten Pro-  und  Supination ,  an  der  Crepitation  und  an  der  widerna- 
türlichen Beweglichkeit  an  der  Bruchstelle  erkennen.  Der  Bruch  am 
obern  Ende  ist  schwieriger  aufzufinden,  weil  hier  in  der  Regel  keine 
Verrückung  der  Bruchenden  vorkommt.  Der  Bruch  am  untern  Ende 
wird  leicht  mit  Luxation  des  Handgelenkes  verwechselt.  Er  wird  durch 
ein  Abwärtssinken  der  Hand  characterisirt.  —  Beim  Bruche  des 
Radius  fühlt  man  im  Allgemeinen  Crepitation  bei  der  Pro-  und  Supi- 
nation ;  bei  diesen  Bewegungen ,  welche  activ  nicht  ausgeführt  werden 
können,  folgt  das  fixirte  Köpfchen  des  Radius  nicht  mit ;  endlich  lassen 
der  Schmerz ,  die  abnorme  Beweglichkeit  und  die  Neigung  der  Bruch- 
enden gegen  die  Ulna  hin  den  Bruch  erkennen.  —  Beim  Bruche  am 
untern  Ende  des  Knochens  ist  die  Hand  nach  der  Radialseite  hin 
geneigt ;  auf  der  Volarseite  des  Vorderarms,  dicht  über  dem  Handgelenk, 
fühlt  man  eine  Hervorragung,  welche  von  dem  untern  Fragment  gebildet 
ist,  und  auf  der  Dorsalseite  eine  Vertiefung,  welche  durch  das  nach  innen 


536  KNOCHENBRUCH  DES  VORDERARMS. 

gewichene  untere  Fragment  entsteht.  Das  untere  Ende  der  Ulna  springt 
stark  hervor.  Je  schiefer  der  Bruch  verlauft,  um  so  ausgesprochener  ist 
die  Verschiebung  der  Bruchenden.  Crepitation  ist  bei  diesem  Bruche 
schwer  zu  entdecken,  dagegen  findet  sich  zuweilen  eine  abnorme  Beweg- 
lichkeit des  Handgelenks.  Dabei  ist  leicht  sehr  lebhafter  Schmerz  an 
der  Bruchstelle.  —  An  seinem  obern  Drittt heile  bricht  der  Radius 
am  seltensten.  Geht  der  Bruch  durch  den  Hals ,  so  bleibt  das  obere 
Bruchende  an  seinem  Plaze,  das  untere  wird  durch  den  Biceps  nach  vorn 
und  durch  die  Pronatoren  gegen  die  Ulna  hingezogen.  Rotationen  an 
der  Hand  zeigen ,  dass  das  Capitulum  radii  den  Bewegungen  nicht 
folgt,  zugleich  ist  Crepitation  wahrzunehmen.  Ist  blos  das  Köpfchen  des 
Radius  abgebrochen  ,  so  tritt  der  übrige  Knochen  nach  vorn  und  wenn 
man  bei  gebeugtem  Vorderarme  die  Hand  rotirt,  so  fühlt  man  Crepitation. 

—  Der  Bruch  der  Ulna  ist,  wenn  er  in  der  Mitte  statt  hat,  meist 
leicht  zu  erkennen.  Wenn  man  mit  den  Fingern  längs  des  Knochens 
hingeht,  so  fühlt  man  einen  Eindruck  an  der  Bruchstelle,  welche  schmerz- 
haft und  abnorm  beweglich  ist.  Verschiebung  findet  sich  nur  gegen  das 
untere  Ende  hin ,  indem  das  untere  Bruchstück  durch  den  Pronator 
quadratus  gegen  den  Radius  hingezogen  wird.  Die  Hand  ist  nach 
unten  geneigt,  Pro-  und  Supination  schmerzhaft,  weniger  Streckung  und 
Beugung.  —  Der  sehr  seltene  Bruch  des  Processus  coronoi- 
deus  ist  der  Geschwulst  wegen  zu  erkennen.  Die  Pro-  und  Supination 
ist  bei  diesem  Bruche  nicht  beeinträchtigt ,  die  Beugung  des  Arms  dage- 
gen unmöglich  ;  in  der  Ellbogenbeuge  fühlt  man  den  Processus  co- 
ronoideus  beweglich  und  die  Ulna  gleitet  etwas  nach  hinten.  Meistens 
ist  eine  Verrenkung  des  Vorderarms  nach  hinten  mit  diesem  Bruche  ver- 
bunden. —  Beim  Bruche  des  Olecranon  ist ,  bei  gleichzeitiger  Zer- 
reissung  des  fibrösen  Ueberzugs ,  der  Vorderarm  flectirt ,  der  Arm  kann 
nicht  gestreckt  werden  und  das  Olecranon  steht  troz  der  Beugung  des 
Vorderarms  höher  (zuweilen  bis  zu  2  Zoll)  als  die  Condylen ;  ist  der 
fibröse  Ueberzug  aber  unversehrt  geblieben ,  so  ist  die  Streckung  dem 
Kranken  möglich,  man  fühlt  nur  einen  kleinen  Spalt  zwischen  Olecranon 
und  Ulna ,  und  man  kann  Crepitation  hervorbringen.  Meistens  ist  eine 
bedeutende  Geschwulst   oder  ein  Erguss  von  Blut  oder  Synovia  zugegen. 

—  Ursachen.  Eine  directe  Gewalt ,  seltener  ein  Fall  auf  die  Hand 
bricht  die  beiden  Knochen ,  wie  den  Radius  oder  die  Ulna  allein ;  das 
untere  Ende  des  Radius  allein  wird  nur  durch  einen  Fall  auf  die  ausge- 
streckte Hand  gebrochen ;  das  Olecranon  bricht  gewöhnlich  durch  Fall 
oder  Stoss  auf  den  Höcker  selbst ;  in  seltenen  Fällen  erfolgt  dieser  Bruch 
durch  Muskelcontraction.  —  Prognose.  Sie  ist  im  Allgemeinen 
günstig ;  nur  bei  unzweckmässiger  Behandlung  kann  es  zum  Zusammen- 
heilen beider  Röhren  kommen ,  was  eine  bleibende  Beschränkung  der 
Pro-  und  Supination  zur  Folge  hat.  Bei  Brüchen  in  der  Nähe  von  Ge- 
lenken stellt  sich  die  Prognose  etwas  ungünstiger,  als  an  dem  Körper  der 


KNOCHENBRUCH  DES  VORDERARMS.  537 

Knochen ,  indem  nicht  selten  einige  Beschränkung  in  den  Bewegungen 
des  interessirten  Gelenks  zurückbleibt ;  dies  gilt  namentlich  bei  dem  Hand- 
gelenk bei  Brüchen  des  untern  Endes  des  Radius.  War  die  Fractur  des 
Olecranon  mit  bedeutender  Quetschung  verbunden ,  so  kann  eine  unheil- 
bare Unbeweglichkeit  des  Vorderarms  entstehen.  Olecranon  und  Pro- 
cessus coronoideus  heilen  meistens  durch  eine  ligamentöse 
Zwischensubstanz  mit  der  Ulna  zusammen;  ist  diese  bei  dem  ersten  Fort- 
saze  sehr  breit ,  so  ist  ein  gestörtes  Extensions-  und  Flexionsvermögen 
die  Folge ;  bei  dem  Processus  coronoideus  beeinträchtigt  die 
zurückbleibende  Neigung  zur  Verschiebung  der  Vorderarmknochen  nach 
hinten  die  Brauchbarkeit  des  Gliedes  in  hohem  Grade.  Zur  Consolida- 
tion  der  Vorderarmbrüche  werden  5  —  6  Wochen  erfordert.  —  Repo- 
sition. Die  Extension  geschieht  beim  Bruche  beider  Knochen  des 
Vorderarms  an  der  in  eine  Mittelstellung  zwischen  Pro-  und  Supination 
gebrachten  Hand  ,  die  man ,  wenn  der  Bruch  im  untern  Dritttheile  sizt, 
gegen  den  Ulnarrand  neigen  lässt ;  die  Contraextension  wird  an  dem  im 
rechten  Wrinkel  gebogenen  Ellbogengelenke  ausgeführt  und  der  an  der 
äussern  Seite  des  Gliedes  stehende  Wundarzt  besorgt  die  Coaptation, 
indem  er  durch  Eingreifen  der  Finger  in  den  Zwischenknochenraum  die 
Knochen  auseinander  drängt.  —  Die  Einrichtung  des  gebrochenen  Ra- 
dius oder  der  Ulna  erfordert  neben  einem  gelinden  Zuge  die  Beugung 
der  Hand  nach  der  dem  Bruche  entgegengesezten  Richtung  und  das  Aus- 
wärtsdrängen der  eingesunkenen  Bruchenden  mit  den  Spizen  der  Finger. 
—  DieReduction  des  abgebrochenen  Kronen fortsazes  wird  durch  Beugung 
des  Vorderarms  und  durch  Zurückdrängen  des  dislocirten  Bruchstücks  mit 
den  Fingern  leicht  bewerkstelligt.  —  Die  Reposition  des  ganz  getrenn- 
ten Olecranon  geschieht ,  indem  der  Wundarzt  mit  beiden  Händen  den 
Oberarm  umfasst  und  dann  mit  beiden  Daumen  das  fracturirte  Stück  nach  ab- 
wärts drückt.  —  R  e  t  e  n  t  i  o  n.  Beim  Bruche  beider  Knochen  legt 
man  in  den  Zwischenknochenraum  graduirte  Longuetten  oder  Leinwandrol- 
len, befestigt  diese  durch  einige  locker  angelegte  Bindentouren  und  legt 
dann  zwei  breite  Schienen  von  starker  Pappe  an,  von  denen  die  eine  an  der 
Volarseite  vom  Ellbogen  bis  zum  Carpus,  die  andere  auf  der  Dorsalseite  vom 
Ellbogen  bis  zu  den  Fingerspizen  reicht  und  welche  durch  aufsteigende 
Touren  umwickelt  werden,  worauf  der  Arm  in  eine  Mitella,  in  welche  man 
mit  Vortheil  eine  Papprinne  bringt,  gelegt  wird.  —  Bei  dem  Bruche 
des  Radius  oder  der  Ulna  wird  der  Verband  auf  ähnliche  Weise  an- 
gelegt. Befindet  sich  der  Bruch  dieser  Knochen  nahe  dem  Handgelenke, 
so  wird  D  upuytren'  s  Schiene  empfohlen,  welche  aus  Eisen  besteht, 
am  untern  Ende  seitlich  gebogen  ist ,  über  den  Vorderarm  hinausreicht 
und  über  einem  untergelegten  Kissen  mittels  Bindentouren  die  nöthige 
Ab-  oder  Einwärtskehrung  der  Hand  gestattet.  Strom  eyer  bedient 
sich  einer  ähnlich  geformten  Schiene  von  Pappe  oder  Holz.  Bei  dem 
Bruche   des   untern  Endes   des  Radius   ist   der  Verband  von  G o y - 


538  KNOCHENBRUCH  DES  VORDERARMS. 

rand  als  der  zweckmässigste  anerkannt.  Er  legt  ein  dickes  viereckiges 
Kissen  auf  die  Dorsalseite  oder,  wenn  in  seltenen  Fällen  die  Verschiebung 
nach  vorn  statt  hat ,  auf  die  Volarseite  des  untern  Bruchendes  ,  darüber 
eine  gewöhnliche  Schiene ,  auf  die  entgegengesezte  Seite  aber  ein  mit 
seiner  Spize  gegen  die  Hand  gerichtetes  keilförmiges  Kissen,  auf  welches 
gleichfalls  eine  Schiene  zu  liegen  kommt;  das  Ganze  wird  mit  einer  Binde 
zusammengehalten.  —  Beim  Bruche  des  Processus  coronoideus 
legt  man  auf  die  Streck-  und  Beugeseite  des  Arms  Schienen ,  befestigt 
diese  durch  Achtertouren  um  das  Gelenk  und  erhalt  den  Arm  bis  zur 
Heilung  in  leichter  Flexion.  —  Beim  Bruche  des  O  leer  an  on  hat 
man  verschiedene  Verbandmethoden ,  die  sich  im  Wesentlichen  nur  da- 
durch unterscheiden ,  dass  sie  den  Arm  in  grösserer  oder  geringerer 
Streckung  erhalten.  Vollkommene  Streckung  bezwecken  die  Verbände 
von  Dupuytren,  A.  Cooper,  Wardenburg,  Henkel  U.A.,  eine 
massige  Beugung  diejenigen  von  Desault,  Feiler,  Earle  u.  A.,  und 
Beugung  im  rechten  Winkel  die  Verbände  von  Mazotti,  Camper, 
Boy  er  u.  A.  Am  besten  ist  es  jedenfalls  ,  den  Vorderarm  in  massiger 
Flexion  und  zwar  so  zu  verbinden ,  wie  er  im  Zustande  des  ruhigen  Her- 
abhängens sich  befindet ,  da  zu  grosse  Streckung  beschwerlich  für  den 
Kranken  ist ,  das  obere  Ende  der  Ulna  sich  zu  leicht  in  die  für  das  Ole- 
cranon  bestimmte  Grube  begibt  und  am  ehesten  Gelenksteifigkeit  zur 
Folge  hat,  und  andererseits  eine  zu  grosse  Beugung  das  Anheilen  der 
Bruchfragmente  unmöglich  oder  nur  unter  Vermittelung  einer  sehr  breiten 
Zwischensubstanz  möglich  macht.  —  Unter  den  Verbänden,  welche  dieser 
Richtung  am  meisten  entsprechen,  haben  sich  diejenigen  von  Langen- 
b  e  c  k  und  Kluge  durch  vielfache  Erfahrung  als  sehr  zweckmässig  er- 
probt. Ersterer  wickelt  Vorder-  und  Oberarm  in  entgegengesezter  Rich- 
tung ein  und  zieht  in  der  Nähe  des  freibleibenden  Gelenks  die  Gänge 
stärker  an,  legt  dann  in  die  Ellenbogenbeuge  eine  etwas  gebogene  Schiene 
und  befestigt  diese  durch  den  Rest  der  Binde.  Kluge 's  Verband  ist 
dem  eben  angeführten  ähnlich ,  nur  legt  er  zur  Befestigung  des  abgebro- 
chenen Olecranon  eine  Binde  in  der  Form  der  Testudo  inversa  um 
das  Gelenk.  Statt  dieser  Binde  ist  nach  A 1  c  o  c  k  mit  Vortheil  ein  Heft- 
pflaster anzuwenden ,  mit  welchem  man  zugleich  der  sonst  leicht  eintre- 
tenden seitlichen  Verschiebung  des  Olecranon  vorbeugen  kann.  Einem 
Nachlassen  der  eben  angeführten  Bindenverbände  begegnet  man  durch 
Bestreichen  der  Verbandstücke  mit  Kleister.  —  In  den  ersten  Tagen 
unterlässt  man  die  Anlegung  eines  festen  Verbandes  ,  sondern  beschäftigt 
sich  nur  mit  der  meist  heftigen  Entzündung ;  erst  wenn  die  Geschwulst 
beseitigt  ist,  schreitet  man  zur  Coaptation  ;  man  lagert  indessen  das  frac- 
turirte  Glied  auf  ein  Spreukissen.  —  Nachbehandlung.  Hat  eine 
starke  Gewalt  die  Gelenke  betroffen,  so  sind  heftige  entzündliche  Erschei- 
nungen zu  erwarten,  die  eine  entsprechende  antiphlogistische  Behandlung 
erfordern.       Der   gern  zurückbleibenden   Steifigkeit  der   Gelenke   wegen 


KNOCHENBRUCH   DER  HAND.  539 

müssen  diesen  frühzeitig  vorsichtige  passive  Bewegungen  mitgetheilt  wer- 
den. Später  lässt  man  bei  eingetretener  Gelenksteifigkeit  Gewichte  tra- 
gen, Schubkarren  fahren  etc. 

16.  Brüche  an  der  Hand.  Diese  können  entweder  die  Hand- 
wurzelknochen ,  oder  die  Mittelhandknochen  oder  die  Phalangen  der 
Finger  betreffen.  —  a)  Brüche  der  Handwurzelknochen. 
Sie  kommen  selten  allein  vor ,  meistens  sind  Wunden  und  umfangreiche 
Zerschmetterungen  der  Nachbartheile  damit  verbunden.  Die  Diagnose 
ist,  wenn  keine  Wunde  besteht,  sehr  schwierig.  Sie  sind  meist  die  Folge 
von  Schüssen  oder  Maschinengewalten.  Sind  Bruchstücke  dislocirt ,  so 
drückt  man  sie  an  ihren  Plaz ;  lose  Splitter  entfernt  man  bei  Zeiten. 
Man  lagert  den  Arm  auf  ein  Brettchen  und  bringt  die  stärkste  Antiphlo- 
gose  in  Anwendung.  Nicht  selten  machen  die  Verwüstungen  die  Ampu- 
tation nothwendig.  —  b)  Brüche  der  Mittelhandknochen. 
Sie  sind  gleichfalls  selten  und  kommen  oft  in  Verbindung  mit  den  Brüchen 
der  Handwurzelknochen  vor.  Die  Brüche  treffen  entweder  mehrere  Knochen 
zugleich  oder  nur  einen  von  ihnen.  Am  häufigsten  bricht  noch  der  fünfte 
Mittelhandknochen,  nach  diesem  der  des  Mittelfingers.  Die  Diagnose 
ist  leicht,  wenn  Dislocation  zugegen  ist,  fehlt  diese,  so  ist  sie  häufig  un- 
sicher. Zuweilen  fühlt  man  Beweglichkeit  und  Crepitation.  Die  Veran- 
lassung gibt  gewöhnlich  eine  direct  einwirkende  Gewalt ;  selten  ent- 
steht der  Bruch  in  Folge  einer  indirecten  Einwirkung,  gewöhnlich  durch 
einen  Fall  auf  die  Knöchel  der  Hand  bei  geschlossener  Faust.  Die  B  e- 
handlung  besteht  in  der  Reposition  durch  Zug  am  Finger  und  Gegenzug 
am  Handgelenk ,  womit  man  nötigenfalls  noch  einen  Druck  auf  die 
Bruchstücke  verbindet,  und  in  der  Retention  mittels  Compressen  und  klei- 
ner Schienen ,  welche  auf  die  Dorsal-  und  Volarseite  gelegt  und  durch 
eine  Rollbinde  befestigt  werden ;  Andere  legen  die  Hand  auf  ein  Brett- 
chen und  auf  die  Rückseite  eine  Pappschiene  und  Malgaigne  legt,  um 
den  Seitendruck  zu  vermeiden ,  zwei  starke  hölzerne  Schienen  quer  über 
die  Dorsal-  und  Volarseite  der  Mittelhand  und  befestigt  sie  durch  Heft- 
pflasterstreifen. —  Einfache  Brüche  der  Mittelhandknochen  heilen  in 
2  0  —  3  0  Tagen.  Bei  complicirten  kann,  wenn  beträchtliche  Zerstörung 
der  Weichtheile  besteht,  die  Exarticulation  der  Hand  nothwenig  werden. 
—  c)  Brüche  der  Fingerglieder.  Diese  Brüche  sind  nicht  sel- 
ten und  meistens  ist  nur  ein  Finger  gebrochen ;  oft  sind  sie  mit  Com- 
plicationen  verbunden,  bestehend  in  Quetschung,  Wunden,  Zerschmette- 
rung. Die  Diagnose  ist  leicht  durch  die  abnorme  Beweglichkeit,  Crepi- 
tation, Schmerz  bei  der  Bewegung  des  fracturirten  Fingers.  Die  Ur- 
sachen sind  immer  directe.  Die  Behandlung  besteht  in  dem  ge- 
linden Anziehen  beider  Knochenenden  und  in  der  Anlegung  kleiner 
Holz-,  Papp-  oder  Gutta  -  Percha  -  Schienen  ,  die  man  mit  einer  schmalen 
Binde  oder  mit  Heftpflasterstreifen  befestigt ;  auch  kann  man  den  Finger 
an  seinen  Nachbar  befestigen.      Die  Nachbehandlung  sei  den  Umständen 


540  KNOCHENBRUCH  DES  OBERSCHENKELS. 

gemäss.  Bei  Zerschmetterungen  nehme  man  nur  die  losen  Splitter  weg 
oder  resecire  einen  Knochentheil ;  mit  der  Amputation  eile  man  nicht  zu 
sehr ,  denn  oft  gelingt  es  ,  einen  scheinbar  unrettbar  verlorenen  Finger 
noch  zu  retten.  Bei  der  Behandlung  aller  Fingerfracturen  muss  man 
schon  nach  1 4  Tagen  passive  Bewegungen  vornehmen ,  um  der  Gelenk - 
steifigkeit  vorzubeugen.  Die  Consolidation  erfolgt  bei  einfachen  Finger- 
brüchen in  2  5  ---  3  0  Tagen. 

17.  Brüche  des  Oberschenkelbeins.  Diese  Brüche  ge- 
hören zu  den  am  häufigsten  vorkommenden.  Man  unterscheidet  den 
Bruch  des  Halses ,  den  des  grossen  Trochanter ,  den  Bruch  unter  dem 
Ansaze  des  Muse,  psoas,  den  Bruch  des  Körpers,  denjenigen  über 
den  Condylen  und  den  Bruch  der  Condylen.  —  a)  Brüche  des 
Schenkelhalses.  Diese  Brüche  haben  entweder  ausserhalb  oder 
innerhalb  des  Kapselbandes  ihren  Siz  und  sie  werden  diesem  nach 
in  extracapsuläre  und  intracapsuläre  Schenkelhals- 
brüche unterschieden.  Oft  aber  verläuft  ein  Theil  der  Bruchlinie 
innerhalb,  ein  anderer  ausserhalb  des  Kapselbandes.  Diese  sämmtlichen 
Arten  von  Brüchen  können  m  i  t  oder  ohne  Einkeilung  bestehen. 
Je  nach  diesem  verschiedenen  Verhalten  bieten  die  Schenkelhalsbrüche 
verschiedene  S y m p t o m e  dar.  Diese  sind  beim  intracapsulären 
Bruche  folgende  :  Schmerz  im  Hüftgelenke,  plÖzlich  entstandene  Unmög- 
lichkeit zu  gehen,  starke  Verkürzung  des  Gliedes  (bis  zu  21/2  Zoll),  die 
sich  durch  Ziehen  verliert,  aber  beim  Nachlassen  des  Zugs  sogleich  wieder 
eintritt,  starke  Auswärtsdrehung  des  ganzen  Gliedes,  welche  sich,  jedoch 
nicht  ohne  Schmerzen  und  Wiederkehr,  aufheben  lässt,  Höherstehen  des 
grossen  Trochanters  ,  welcher  zugleich  beim  Drehen  des  Oberschenkels 
einen  kleineren  Kreis  beschreibt ;  endlich  zuweilen  fühlbare  Crepitation. 
Manche  Symptome  können  fehlen  1)  wenn  die  Bruchenden  mit  zackigen 
Vorsprüngen  ineinandergreifen,  2)  wenn  Einkeilung  besteht  und  3)  wenn 
die  Gelenkkapsel  da ,  wo  sie  den  Hals  am  Kopfe  umfasst,  unversehrt  ist. 
Häufig  wird  dieser  Zustand  aber  durch  unvorsichtige  Bewegungen  von 
Seiten  des  Verlezten  oder  des  untersuchenden  Arztes  aufgehoben.  — 
Beim  extracapsulären  Bruche  ist  die  Verkürzung  nicht  so  bedeutend 
(nur  1/2  —  3/4  Zoll)  ;  wenn  keine  Einkeilung  zugegen  ist ,  so  fällt  der 
Fuss  nach  aussen,  Crepitation  ist  leicht  hervorzubringen,  bei  der  Rotation 
des  Gliedes  fühlt  die  auf  den  Trochanter  aufgelegte  Hand ,  dass  das  Fe- 
mur  sich  um  einen  sehr  kleinen  Radius  dreht ;  Schmerz  und  Geschwulst 
sind  bedeutender,  als  bei  der  andern  Form,  und  endlich  finden  sich  hier 
starke  Blutunterlaufungen,  welche  bei  dem  intracapsulären  Bruche  fehlen. 
—  Die  pathognomonischen  Zeichen  eines  Schenkelhalsbruchs  mit 
Einkeilung  sind  :  geringe  Verkürzung  des  Beins ,  auffallend  heftiger 
Schmerz,  Möglichkeit,  das  ausgestreckte  Bein  aufzuheben  und  mit  dem- 
selben aufzutreten ,  sofern  nicht  der  Trochanter  major  zersprengt 
ist ,    beträchtliche   Geschwulst  und   Suggillation    in   der  Umgegend   des 


KNOCHENBRUCH  DES   OBERSCHENKELS.  541 

grossen  Troehanters,  die  Extension  vermag  (wenn  nicht  grosse  Gewalt  an- 
gewendet wird)  die  bestehende  Verkürzung  nicht  zu  beseitigen. —  Schen- 
kelhalsbrüche können  verwechselt  werden :  a)  mit  Verrenkung  des 
Oberschenkels  nach  hinten  und  oben,  und  hinten  und 
unten;  hier  ist  aber  eine  Einwärtsdrehung  des  Fusses  zugegen ,  die 
zwar  auch  zuweilen  beim  Schenkelhalsbruche  vorkommen  kann  ,  bei  der 
Luxation  aber  nicht  ohne  Einrenkung  zu  heben  ist;  auch  ist  der  Schenkel- 
kopf deutlich  durch  die  Weichtheile  hindurch  auf  der  äussern  Fläche  des 
Hüftbeins  oder  in  der  Incisura  ischiadica  zu  fühlen  ;  b)  mit  der 
Verrenkung  nach  vorn  und  oben;  das  Glied  ist  zwar  bei  dieser 
auch  nach  aussen  gedreht,  diese  Drehung  lässt  sich  aber  wie  bei  den  hin- 
tern Luxationen  nur  durch  Einrenkung  heben ;  ausserdem  bildet  der 
Schenkelkopf  eine  deutliche  Hervorragung  in  der  Inguinalgegend  ;  c)  mit 
einem  Becken  bruche;  dieser  ist  aber,  da  zu  seiner  Hervorbringung 
eine  sehr  bedeutende  Gewalt  nothwendig  ist ,  mit  Verlezung  oder  Funk- 
tionsstörung der  im  Becken  gelegenen  Organe  verbunden,  die  Entfernung 
zwischen  Trochanter  major  und  Spina  ant.  sup.  oss.  ilei  ist  bei  diesem 
nicht  verändert,  der  Trochanter  beschreibt  bei  der  Rotation  des  Schenkels 
den  normalen  Kreis  und  die  Beweglichkeit  ist  grösser  ;  auch  der  Siz  der 
Crepitation  ist  eirFanderer ;  d)  mit  einer  heftigen  Contusion  des  Hüftge- 
lenks, wobei  aber  weder  die  Länge  des  Gliedes  verändert,  noch  Crepita- 
tion zu  fühlen  ist  und  der  grosse  Trochanter  den  gewöhnlichen  Kreis  be- 
schreibt. —  Ursachen.  Die  häufigste.  Veranlassung  ist  ein  Fall  auf 
den  grossen  Trochanter,  seltener  entsteht  der  Bruch  durch  einen  Fall  auf 
die  Kniee  oder  die  Fersen  und  durch  Muskelcontractionen  bei  schnellen 
Drehungen  des  Körpers.  —  Der  intracapsuläre  Bruch  tritt  vorzugsweise 
bei  alten  Leuten  und  häufiger  bei  Frauen  als  bei  Männern  auf;  es  ge- 
nügt bei  diesen  oft  ein  Fehltritt,  ein  Anstossen  des  Fusses  an  eine  Erhö- 
hung des  Bodens  ,  um  einen  Bruch  des  Schenkelhalses  herbeizuführen ; 
der  Grund  hievon  ist  in  der  bei  alten  Leuten  sich  findenden  Atrophie 
und  in  der  dadurch  bedingten  Brüchigkeit  der  Knochen  zu  suchen.  Der 
extracapsuläre  Bruch  kommt  dagegen  mehr  bei  Personen  unter  5  0  Jahren 
vor ,  und  bedarf  einer  grösseren  Gewalt  zu  seiner  Hervorbringung.  • — 
Prognose.  Auch  im  günstigsten  Falle  heilen  Schenkelhalsbrüche  mit 
Zurücklassung  einiger  Deformität,  besonders  einiger  Verkürzung  und  be- 
hinderter Beweglichkeit  des  Beins  ;  nicht  selten  bleibt  der  Bruch  ganz 
unverheilt  und  der  Kranke  ein  Krüppel ,  und  dies  oft  bei  der  grössten 
Sorgfalt  des  Arztes  und  mit  dem  zweckmässigsten  Apparate.  Na- 
mentlich heilt  der  intracapsuläre  Bruch  nur  ausnahmsweise  durch 
Callus.  Die  geringe  Lebensthätigkeit  im  Schenkelkopfe ,  der  nur 
durch  das  Ligament,  teres  eine  jedenfalls  unzulängliche  Blutzufuhr 
erhält ,  die  fehlende  genaue  Coaptation  des  Bruchs ,  der  Mangel  an 
Weichtheilen ,  welche  das  nöthige  Material  für  die  Einkapselung  der 
Fragmente  liefern  können ,  das  Bespülen  endlich  der  gebrochenen  Enden 


542  KNOCHENBRUCH   DES    OBERSCHENKELS. 

mit  Synovia  erklären   das   seltene  Vorkommen  von  Callusbildung  zur  Ge- 
nüge.     Gewöhnlich   geschieht  hier  die  Verheilung  durch  eine  bandartige 
Masse,   nachdem   die   Bruchenden  sich  gegenseitig  abgeschliffen  und  an 
Substanz  verloren  haben  ;  besonders  geht  ein  grosser  Theil  des  Schenkel- 
kopfs durch  Resorption  zu  Grunde.  —  Die  extracapsulären  Brüche  heilen 
dagegen  durch  Callusbildung,  welche  indess  nicht  selten  durch  Uebermass 
und  Unregelmässigkeit  die  Bewegungen  des  Hüftgelenkes  sehr  einschränkt 
und  schmerzhaft  macht.  —  Bei  alten  Leuten  gibt  der  Schenkelhalsbruch 
sehr  oft  Veranlassung  zu  ihrem  baldigen  Tod,  indem  sie  durch  Schmerzen 
und  gezwungene  Ruhe  in  Marasmus  verfallen.  —  Die  Vereinigung,  sei  sie 
knöchern  oder  fibrös,  kommt  in  40  bis  5  0  Tagen  zu  Stande.  - —  Repo- 
sition.     Ein  Gehülfe  fixirt  das  Becken,  ein  zweiter  extendirt  das  Glied 
bis   zur  normalen  Länge   und   rotirt  es  nach  innen,  welche  Rotation  der 
neben   der  Hüfte  stehende   Wundarzt   durch  Erheben  des  Trochanters  zu 
erleichtern  sucht.  —  Retention.      Die  Erhaltung  der  Einrichtung  hat 
man   durch   verschiedene  Verbände  und  Maschinen  zu  bewirken  gesucht, 
bei  denen  entweder  eine  permanente  Extension  in  der  ausgestreckten  Lage 
des  Gliedes   statt  hat,   oder  dieses  in  Halbbeugung  mit  oder  ohne  Exten- 
sion gehalten  wird.  —  Eine  Reihe  von  Apparaten  wurde  als  unzureichend 
und  unzweckmässig  bald  verlassen.      Die  erste,  einigermassen  zweckmäs- 
sige Vorrichtung  für  die   gestreckte   Lage  des  Glieds  ist  die  von  B  r  ü  - 
ninghausen,    der   eine  lange  Schiene  von  Holz  oder  Sohlenleder  um 
Becken  und  Knie  befestigte   und   zur  Bewirkung  der  Ausdehnung  einen 
Steigbügel  um  den  Fuss  der  gebrochenen  Extremität  schlang,  in- welchen 
der  Patient  mit  dem  gesunden  Fusse  trat ,  um  die  Extension  zu  unterhal- 
ten.   Der  zweite,  allgemein  verbreitete  Apparat  war  der  D  e  s  a  u  1 1 '  sehe  : 
er  befestigte  das  Glied  zwischen  lange  Holzschienen ,   von  denen  die  äus- 
sere von v  der  Hüfte  bis  zum  Fuss  reichte,  brachte  die  Contraextension  über 
das  Perineum  und   die  Extension   durch  Befestigung   des  Fusses  an  die 
Schiene   an-    zwischen  die   Schienen  legt  man  Spreukissen  und  befestigt 
die   Schienen   durch   fünf  Bänder  und  die  äussere  noch  besonders  durch 
einen  um  das  Becken  laufenden  Gürtel.      Dieser  Verband  hat  den  Nach- 
theil ,   dass   die  Extension  nicht  nach  der  Achse  des  Gliedes  geht.      Um 
dieses  zu  verbessern ,  haben  Wardenburg  und  van  Houte  die  D  e  - 
s  a  u  1 1 '  sehe   Schiene   am  untern  Ende   mit   einem   Querstücke  versehen, 
gegen  welches  der  Fuss   angezogen  wird.      Volpi's  Abänderung  dieser 
Schiene  besteht  darin,  dass  dem  Querstücke  noch  eine  innere  Schiene  bei- 
gefügt ist.      A 1  b  a  n  versah  sie  mit  einer  hebelartigen  Vorrichtung.    Ein 
dritter ,    gegenwärtig    noch    vielfach  angewendeter  Apparat   ist   der  von 
Dzondi  verbesserte  Hage  dorn 'sehe.      Er  besteht  aus  einer  von  der 
Achselhöhle  bis  über  den  Fuss  hinausreichenden  und  hier  mit  einem  recht- 
winklig   abgehenden    durchlöcherten    Querbrette    versehenen    hölzernen 
Schiene ,   zwei  Extensions gurten  für  die  Gegend  über  den  Knöcheln  und 
der  Wade ,   und  aus  einigen  Riemen  zur  Befestigung  des  Körpers  an  die 


KNOCHENBRUCH    DES    OBERSCHENKELS.  543 

Schiene.  Nachdem  der  Kranke  sehr  niedrig  gelagert  ist,  wird  die  Schiene 
an  die  gesunde  Seite  des  Körpers  gelegt  und  hier  mit  einem  Leib-, 
Becken-  and  Knieriemen  befestigt,  alsdann  legt  man  die  Extensionsgurte 
über  Knöcheln  und  Wade  der  kranken  Extremität  an  ,  reponirt  nun  das 
Glied,  zieht  die  Extensionsgurte  durch  die  in  dem  Fussbrette  befindlichen 
Löcher  oder  Spalten  und  befestigt  sie  hier  durch  Stifte,  nachdem  sie  hin- 
reichend angezogen  sind.  Als  weitere  Modificationen  der  Hagedorn  - 
sehen  Vorrichtung  sind  die  Maschinen  von  Nicolai,  Klein,  Gibson, 
Beck,  Schürmayer,  Wakert  u.  A.  zu  betrachten.  —  Wenn  die 
ausgestreckte  Lage  nicht  ertragen  wird,  was  gewöhnlich  der  Fall  ist ,  so 
legt  man  das  Glied  auf  die  doppelt  geneigte  Ebene.  Bei  dieser  Lage- 
rung bildet  das  Knie  das  Punctum  fixum  und  die  Schwere  des  Bek- 
kens  die  Extension.  Hierher  gehörende  Vorrichtungen  haben  angegeben: 
Aitken,  Lanner,  Bell,  J.  White,  Cooper  U.A.;  ferner  sind 
hier  zu  nennen  :  die  Bruchbetten  von  E  a  r  1  e  und  Amesbury,  auch 
haben  Koppenstädter,  Braun,  Busch,  Blume,  Sauter, 
Mayor  u.  A.  an  ihren  Schweben  Vorrichtungen  angebracht,  das  Glied 
auch  beim  Schenkelhalsbruch  zweckmässig  zu  lagern.  S.  Unterschie- 
nenverbände. Ein  sehr  leicht  herstellbarer  und  bequemer  Verband 
ist  der  von  Mursinna  und  der  ihm  ähnliche  von  Dupuytren.  Mur- 
sinn a  lagert  den  Oberkörper  hoch,  legt  in  die  Kniebeuge  ein  festes  Kissen 
und  wickelt  dann  beide  Schenkel  von  unten  nach  oben  ein.  Dumrei- 
cher  bedient  sich  eines  horizontalen  Bretts,  auf  welches  ein  keilförmiges 
Rosshaarkissen  gelegt  wird ,  auf  welchem  beide  Extremitäten  ruhen  ;  es 
hat- etwas  erhöhte  Seitenränder  und  in  der  Mitte  seiner  obern  Kante  einen 
kleinen  Fortsaz,  der  das  Kissen  zwischen  den  Knieen  ersezt  und  eine  ge- 
ringe Abduction  der  Gliedmassen  bewirkt.  Unten  hat  das  Brett  Spalten, 
in  welche  zwei  Sohlenstücke  gesteckt  werden,  um  dieFüsse  zu  befestigen; 
durch  die  stumpfwinklige  Beugung  des  Hüft  -  und  Kniegelenks  werden 
alle  Muskeln,  die  vom  Becken  entspringend  sich  an  den  Oberschenkel  in- 
seriren,  so  wie  die  Beuger  des  Unterschenkels  erschlafft  und  die  Neigung 
zur  Emporziehung  des  untern  Bruchstücks,  somit  zur  Verkürzung  gemin- 
dert. Noch  ist  des  Zugverbandes  von  Lorinser  zu  erwähnen,  bei  wel- 
chem die  auf  Kissen  gelagerte  Extremität  mittels  Gewichten  extendirt 
wird ,  so  wie  des  Aequilibirapparatej?  von  Mojsisovics,  bei  welchem 
der  im  rechtem  Winkel  gebogene  Schenkel  frei  aufgehängt  wird  ;  Loreau 
endlich  hat  einen  Verband  angegeben ,  der  aus  gegliederten  Schienen  be- 
steht und  welcher  dem  Kranken  gestattet ,  mittels  Krücken  umher  zu 
gehen.  Seutin  will  auch  beim  Schenkelhalsbruch  den  Pappverband 
angewendet  wissen.  —  Nachbehandlung.  Diese  sei  den  Umständen 
angemessen.  Die  Dauer  der  Behandlung  ist ,  wenn  Einkeilung  besteht,. 
7  0  Tage.  Von  da  ab  kann  der  Kranke  Gehversuche  machen.  Bei  extra- 
capsulären  Brüchen  ohne  Einkeilung  darf  dies  nicht  vor  Ablauf  von  3 
Monaten  geschehen,    um   die   Callusbildung  nicht   zu   stören.       Die  mit 


544  KNOCHENBRUCH    DES    OBERSCHENKELS. 

intracapsulären  Brüchen  behafteten  Kranken  kann  man ,  wenn  man  sicher 
ist,  dass  man  wirklich  einen  solchen  Bruch  vor  sich  hat,  der  nachtheiligen 
Einwirkung  des  Betts  auf  das  Allgemeinbefinden  wegen,  früher  aufstehen 
und  sie  wenigstens  für  einige  Zeit  noch^auf  einem  Lehnstuhl  Plaz  neh- 
men lassen.  —  b)  Bruch  durch  den  grossen  Trochanter.  Die- 
ser Bruch  kommt  äusserst  selten  für  sich  allein  vor ,  häufiger  tritt  er  in 
Gemeinschaft  mit  dem  Bruch  des  Schenkelhalses  auf.  —  Diagnose. 
Unbedeutende  oder  gar  keine  Verkürzung  des  Beins ,  Taubheit  desselben, 
der  Kranke  kann  nicht  sizen  ohne  heftige  Schmerzerregung ,  sich  nicht 
ohne  Hülfe  im  Bette  umdrehen ,  die  Fussspize  ist  stark  nach  aussen  ge- 
wendet ,  der  Trochanter  verhält  sich  bei  der  Rotation  des  Schenkels  pas- 
siv ;  meistens  ist  dieser  Fortsaz  nach  vorn  oder  nach  oben  und  hinten 
hingezogen  und  deshalb  Crepitation  oft  nicht  zu  entdecken ;  je  nach  der 
Richtung  des  Bruchs  können  die  Muskeln  sich  das  Gleichgewicht  halten 
und  jede  Dislocation  fehlen.  —  Ursachen.  Fall  auf  den  Trochanter. 
—  Prognose.  Sie  ist  nicht  ungünstig,  wenn  nicht  das  ganze  Hüftge- 
lenk an  der  Gewalt  Theil  genommen  hat.  Das  dislocirte  Fragment  lässt 
sich  nur  schwer  mit  dem  Schenkelbein  in  Berührung  bringen ;  meistens 
bleibt  es  in  einiger  Entfernung  von  demselben  und  vereinigt  sich  mit  ihm 
durch  ligamentöse  Masse.  Die  Funktion  des  Gliedes  wird  aber  dennoch 
nicht  sehr  beeinträchtigt.  —  Reposition  und  Retention.  Man 
drückt  den  Trochanter  mit  den  Händen  an  seine  Stelle ,  wobei  man  den 
Schenkel  durch  Rotation  und  Abduction  dem  Fortsaze  nähert,  und  befestigt 
ihn  dann  mittels  einer  ausgehöhlten  Blech  - ,  Gutta-Percha-  oder  Papp- 
platte oder  mit  gepolsterten  Pelotten ,  deren  eine  oberhalb ,  die  andere 
unterhalb  des  Trochanters  mit  Riemen  befestigt  wird  ;  auch  der  Kleister- 
verband mit  der  Spica  inguinalis  kann  von  Nuzen  sein.  Dabei  be- 
festigt man  beide  Extremitäten  aneinander ,  um  das  Auswärtsfallen  des 
Fusses  zu  verhindern.  Bei  fehlender  Dislocation  genügt  eine  ruhige  Lage 
mit  abducirtem  und  etwas  nach  aussen  gerolltem  Schenkel. —  Nachbe- 
handlung. Sie  sei  nach  Erforderniss  antiphlogistisch.  —  Nach  Ver- 
lauf von  40  Tagen  kann  man  dem  Fusse  Bewegung  verstatten.  —  c) 
Bruch  unter  den  Trochanter  en.  Dieser  ziemlich  häufige  Bruch 
kann  in  verschiedenen  Richtungen  verlaufen  und  dem  kleinen  Trochanter 
mehr  oder  weniger  genähert  sein.  —  Diagnose.  Ausser  dem  Schmerze, 
der  Unbrauchbarkeit,  der  Verkürzung  des  Gliedes,  gibt  sich  dieser  Bruch 
dadurch  zu  erkennen ,  dass  das  obere  Knochenstück  meistens  (wenn  nicht 
eine  Verzahnung  der  Bruchenden  statt  findet)  durch  die  Thätigkeit  des 
Psoas,  Iliacus  und  Pectinaeus  so  stark  nach  vorn  gezogen  wird, 
dass  es  mit  dem  Rumpfe  fast  einen  rechten  Winkel  bildet.  —  Prognose. 
Sie  ist  nicht  ganz  günstig;  häufig  folgt  Verkürzung.  —  Ursachen. 
Direct  und  indirect  einwirkende  Gewalten.  —  Retention.  Man  fixirt, 
wenn  die  leztgenannte  Dislocation  statt  hat ,  das  Becken  des  horizontal 
gelagerten  Kranken  mit  einem  Gurte ,  bringt  das  Glied  in  einen  rechten 


KNOCHENBRUCH  DES  OBERSCHENKELS.  545 

Winkel  zum  Körper  und  lässt  in  dieser  Richtung  die  Extension  bei  ge- 
bogenem Knie  ausüben ;  findet  eine  winklige  Dislocation  nach  aussen 
statt,  so  drückt  man  mit  beiden  vereinigten  Daumen  auf  den  vorspringen- 
den Winkel,  während  man  an  dem  gestreckten  Gliede  einen  leichten  Zug 
ausüben  lässt.  —  Retention.  Bei  der  Dislocation  nach  vorn  bringt 
man  den  Kranken  in  eine  sizende  Stellung  und  legt  die  Extremität  so  auf 
eine  doppelt  geneigte  Fläche ,  dass  das  Knie  stark  erhöht  ist ;  auf  die 
Bruchstelle  kann  man  noch  eine  Schiene  befestigen.  Bei  der  nach  aussen 
gehenden  Dislocation  wird  die  Extremität  gestreckt  gelagert,  an  ihre  äus- 
sere Seite  eine  breite ,  vom  Darmbeinkamme  bis  zur  Wade  reichende 
Schiene  gelegt ,  diese  um  das  Becken  und  längs  des  Glieds  hin  gehörig 
befestigt  und  schliesslich  die  beiden  Extremitäten  mit  Tuchbinden  zusam- 
mengebunden. —  Nachbehandlung.  Sie  richtet  sich  nach  den 
Umständen.  Die  Consolidation  kommt  in  5  0  —  6  0  Tagen  ,  und  zwar 
durch  einen  knöchernen ,  zuweilen  sehr  üppigen  Callus  zu  Stande.  —  d) 
Bruch  im  Körper  des  Schenkelbeins.  Dieser  Bruch  verläuft 
gewöhnlich  schräg  von  oben  und  hinten  nach  unten  und  vorn  ,  besonders 
bei  Erwachsenen  und  wenn  der  Bruch  durch  Gegenschlag  entstand.  Quer 
verläuft  der  Bruch  gewöhnlich  bei  Kindern  oder  wenn  er  durch  directe 
Gewalt  veranlasst  wurde.  —  Diagnose.  Sie  ist  in  der  Regel  sehr 
leicht  und  wird  gesichert  durch  den  fixen  Schmerz  an  der  Bruchstelle,  die 
Unmöglichkeit  willkürlicher  Bewegungen ,  die,  abnorme  Beweglichkeit  der 
Bruchenden,  die  Crepitation,  die  starke,  oft  mehrzöllige  Verkürzung,  die 
Rotation  des  Fusses  nach  aussen ,  endlich  das  deutliche  Hervorragen  der 
Bruchenden ,  von  welchen  das  untere  gewöhnlich  nach  hinten  ,  oben  und 
innen  gezogen  wird.  —  Ursachen.  Die  gewöhnliche  Veranlassung  ist 
ein  Fall  auf  die  Füsse  oder  Kniee.  Ausserdem  kann  das  Auffallen  einer 
schweren  Last,  Ueberfahren,  Schüsse  etc.  diesen  Bruch  veranlassen.  — 
Prognose.  Sie  ist  nicht  immer  günstig;  namentlich  ist  es  sehr  schwie- 
rig, bei  Schief  brüchen  die  Bruchenden  so  in  der  Vereinigung  zu  erhalten, 
dass  das  Glied  seine  normale  Länge  erhält,  Complicirte  Brüche  haben 
gern  ausgebreitete  Eiterungen  zur  Folge,  namentlich  gilt  dies  bei  Splitter- 
brüchen durch  Geschosse  veranlasst.  —  Reposition.  Zwei  Gehülfen 
fixiren  das  Becken,  der  eine  mit  den  Händen ,  der  andere  mit  einem  zwi- 
schen den  Schenkeln  durchgeführten  Handtuche;  ejn  dritter  Gehülfe  ex- 
tendirt  am  Fusse  das  Glied  bis  auf  die  normale  Länge ,  rotirt  es  dann 
nach  innen,  während  der  Wundarzt  die  Conformation  der  Bruchenden  be- 
sorgt. Gelingt  am  ersten  Tage  wegen  starker  Contractur  der  Muskeln 
oder  bereits  eingetretener  Entzündung  die  Einrichtung  nicht ,  so  wickelt 
man  das  Glied  von  unten  auf  ein ,  wendet  die  nöthige  Antiphlogose  an 
und  versucht  sein  Heil  am  2.  oder  3.  Tage  wieder,  bis  man  seinen  Zweck 
erreicht.  —  Retention.  Auch  hier  hat  man  sehr  verschiedene  Ver- 
bandmethoden in  Anwendung  gebracht,  um  die  Erhaltung  der  Einrichtung 
zu  sichern.  Bei  Brüchen  der  Kinder  und  bei  Querbrüchen  weniger  mus- 
Burger    Chirurgie.  35 


546  KNOCIIENBRUCII  DES  OBERSCHENKELS. 

kulöser  Subjecte  reicht  man  mit  einem  einfachen  Schienenverband  ans, 
bestehend  ans  einer  vielköpfigen  Binde,  drei  Schienen,  von  denen  die  äus- 
sere vom  Becken  bis  über  die  Fusssohle  reicht,  den  nöthigen  Spreusäck- 
chen  etc.  Auch  kann  man  die  äussere  und  innere  Schiene  in  ein  Stroh- 
ladejituch  wickeln ,  bis  sie  auf  zwei  Querfinger  am  Gliede  ankommen, 
worauf  man  den  Zwischenraum  mit  Spreukissen  von  der  Länge  der  Schie- 
nen ausfüllt  und  das  Ganze  mit  der  nöthigen  Anzahl  Bänder  befestigt. 
Ein  sehr  zweckmässiger  Verband  ist  der  Kleisterverband  :  man  wickelt 
den  Unterschenkel  ein,  befestigt  aber  erst  am  Oberschenkel  den  Verband 
mit  Kleister  ;  zwei  bis  drei ,  aber  nur  vom  Becken  bis  an  das  Knie  rei- 
chende Schienen  genügen,  dem  Verbände  völlige  Festigkeit  zu  geben.  — 
Bei  Schief  brüchen  reichen  die  genannten  Verbände  nicht  ans ,  und  es 
müssen  hier  solche  in  Gebrauch  gezogen  werden ,  die  das  Glied  in  einer 
permanenten  Ausdehnung  erhalten.  Zu  diesem  Zwecke  bedient  man  sich 
gewöhnlich  einer  der  für  den  Schenkelhalsbruch  angegebenen  Verbände 
für  die  gestreckte  Lage,  wie  des  D  es  au  lt'  sehen  ,  des  Hage  dorn - 
Dzondi'  sehen  u.  a. ,  welchen  man  aber- die  S  c  u  1 1  e  t '  sehe  Binde,  wo- 
mit man  den  gebrochenen  Schenkel  umgibt ,  so  wie  eine  Schiene  auf  die 
vordere  Fläche  desselben  beifügen  muss.  Ein  sehr  brauchbarer  und  leicht  zu 
beschaffender  (dem  Vo  lpi 'sehen  ähnlicher)  Verband  ist  folgender:  nach- 
dem der  Schenkel  mit  der  vielköpfigen  Binde  und  der  Unterschenkel  über 
den  Knöcheln  mit  einem  gut  gefütterten  Schnürgürtel  umgeben  ist,  bringt 
man  an  die  äussere  Seite  des  Gliedes  eine  von  der  Mitte  der  Brust  bis 
über  die  Fusssohle,  an  die  innere  Seite  eine  zweite  von  der  Schenkelfalte 
(wo  sie  ausgeschweift  ist)  bis  eben  dahin  reichende  hölzerne  Schiene  und 
verbindet  beide  unten  mit  einem  Querbrettchen ,  welches  zwei  Löcher 
oder  Spalten  hat,  um  die  Extensionsbänder  durchzulassen,  die  dann,  zu- 
sammengeknüpft, mit  einem  Knebel  angespannt  werden.  Die  Contra- 
extension  wird  durch  ein  gut  gefüttertes  Band  bewirkt,  das  vom  Sizbein- 
höcker  aus  schief  nach  aussen  und  oben  geführt  und  in  zwei  Oeffnungen 
der  äussern  Schiene  befestigt  wird.  Zwischen  die  Schienen  und  das  Glied 
werden  Spreukissen  gelegt ,  die  äussere  Schiene  oben  durch  einen  Leib- 
gürtel, beide  Schienen  aber  in  ihrem  Verlaufe  mit  vier  Bandern  befestigt. 
Nach  Bedürfniss  kann  man  noch  auf  die  vordere  Fläche  des  Schenkels 
eine  Schiene  beifügen.  —  Für  die  gebogene  Lage  des  Glieds ,  die  aber 
bei  Brüchen  des  Schenkels  in  der  Mitte  nur  selten  in  Anwendung  kommt, 
bedient  man  sich  theils  der  doppelt  geneigten  Fläche ,  wie  der  Vorrich- 
tungen von  A.  Cooper,  Dupuytren,  Garen  gern.  A. ,  theils  der 
Schweben,  bei  welchen  der  Oberschenkel  in  einem  stumpfen  Winkel  zum 
Körper  gebogen  ist ,  und  der  Unterschenkel  horizontal  auf  der  untern 
Hälfte  der  Schwebe  ruht ;  solche  Schweben  ,  an  welchen  theilweise  eine 
Extensionsvorrichtung  angebracht  ist,  haben  angegeben  :  Saut  er,  Kop- 
pe n  s  t  ä  d  t  e  r  ,  Major,  S  c  h  m  i  d  ,  Tober.  Hager  u.  A.  S.  Unter- 
schienenverbände.      So  bequem   die   Schweben   für   den  Kranken 


KNOCHENBRUCH  DES   OBERSCHENKELS.  547 

sind,  so  wenig  Sicherheit  gewähren  sie  für  den  Bruch,  indem  sie  nur  eine 
sehr  mangelhafte  Befestigung  des  Beckens  zulassen.  —  Noch  ist  des  Ver- 
bandes von  Pott  zu  erwähnen,  der  den  Kranken  mit  halbgebeugtem 
Ober-  und  Unterschenkel  auf  der  Seite  der  Fractur  liegen  Hess,  nachdem 
er  das  Glied  vorher  mit  der  vielköpfigen  Binde  umgeben  hatte  ;  ein  Kis- 
sen unterstüzte  den  Oberschenkel.  Diese  Seitenlage  findet  jezt  nur  noch 
Anwendung,  wenn  sich  am  hintern  Theile  des  Schenkels  eine  Wunde  be- 
findet. —  Nachbehandlung.  Sie  richtet  sich  nach  den  allgemeinen 
Regeln.  Der  Bruch  bedarf  5  0  —  6  0  Tage  zu  seiner  Consolidation.  — 
e)  Bruch  des  Schenkels  über  denCondylen.  Diese  Brüche 
sind  quer  oder  schief;  häufiger  ist  das  erstere  der  Fall ;  die  schrägen 
Brüche  verlaufen  gewöhnlich  von  oben  und  hinten  nach  unten  und  vorn. 
—  Diagnose  und  Symptome.  Die  Zeichen  sind  die  der  Ober- 
schenkelbrüche, nur  sind  sie  nicht  so  ausgesprochen.  Gewöhnlich  bewegt 
sich  das  obere  Fragment  nach  vorn,  während  das  untere  (durch  die  Wir- 
kung des  Gastrocnemius  und  Poplitaeus)  nach  hinten  umgekehrt 
wird,  wo  man  es  in  der  Kniekehle  fühlen  kann.  —  Ursachen.  Direct 
einwirkende  Gewalten  und  ein  Fall  auf  die  Kniee,  seltener  auf  die  Füsse  ; 
die  schiefen  Brüche  entstehen  gewöhnlich  auf  ihdirecte  Einwirkungen.  — 
Prognose.  Sie  ist  wegen  der  Nachbarschaft  des  Gelenkes  und  der 
gewöhnlich  schiefen  Richtung  des  Bruchs  bedenklich ,  indem  leicht  Con- 
tractur  und  Ankylose  des  Gelenks  und  beträchtliche  Verkürzung  die  Folge 
sein  kann.  —  Reposition.  Man  beginnt  nach  A.  C  o  o  p  e  r  mit  dem 
Biegen  des  Knies,  wobei  man  den  Vorderarm  unter  die  Kniekehle  bringt, 
um  zugleich  die  Extension  zu  bewirken  und  die  von  dem  obern  Fragment 
durchdrungenen  Muskeln  (MM.  cruralis  und  rectus  femoris)  frei 
zu  machen,  worauf  man  die  Reposition  vollendet.  —  Retention.  Die 
geeignetste  Lage  bei  diesem  Bruche  ist  nach  A.  C  o  o  p  e  r  die  gestreckte, 
welche  sich  auch  deshalb  empfiehlt ,  weil  bei  der  meistens  eintretenden 
Steifheit  des  Kniegelenks  ein  gestrecktes  Glied  brauchbarer  ist  als  ein 
gebogenes.  Hierzu  kann  einer  der  oben  angeführten  Verbände  ange- 
wendet werden.  Bei  grosser  Beweglichkeit  der  Fragmente  legt  M  a  1  - 
g  a  i  g  n  e  einen  Leinwandballen  in  die  Kniekehle  und  wendet  lange  Schie- 
nen an.  —  Nachbehandlung.  Diese  muss  kräftig  antiphlogistisch 
sein.  Bedeutende  Complicationen ,  Wunden  mit  Zerschmetterung  des 
Knochens  bis  ins  Kniegelenk  mit  Luxation  desselben  machen  die  Ampu- 
tation nöthig.  —  f)  Brüche  einzelner  Condylen  des  Schen- 
kelbeins. Sie  sind  höchst  selten  und  sezen  immer  eine  sehr  beträcht- 
liche Gewalt  voraus.  Sie  sind  von  sehr  verschiedener  Bedeutung,  je  nach- 
dem sie  ins  Gelenk  dringen  oder  nicht.  —  Diagnose.  Das  Abbrechen 
eines  Condyls  gibt  sich  durch  das  Unvermögen  des  Gehens,  die  abnorme 
Beweglichkeit  des  abgebrochenen  Gelenkknorrens  und  zuweilen  durch 
Crepitation  zu  erkennen.  Bei  einem  Bruche  beider  Condylen  ist  die  ab- 
norme Beweglichkeit  sehr  gross  und   die  Crepitation  sehr  deutlich ,   wenn 

35* 


548  KNOCHENBRUCH  DER  KNIESCHEIBE. 

nicht  die  Kniescheibe  zwischen  die  Bruchflächen  getreten  ist,  in  welchem 
Falle  dann  das  Knie  breiter  und  der  Oberschenkel  kürzer  geworden  zu 
sein  scheint ,  was  sich  durch  seitlichen  Druck  aufheben  lässt.  —  Ur- 
sache. Unmittelbare  Gewalten  und  ein  Fall  auf  das  Knie.  —  Pro- 
gnose. Der  Bruch  eines  Condyls  gibt  keine  ungünstige  Prognose, 
wenn  nicht  bedeutende  Complicationen  ihn  erschweren  ;  die  Heilung  er- 
folgt vollkommen  ohne  Beeinträchtigung  des  Kniegelenks.  Dagegen  ist 
der  Bruch  beider  Condylen  bis  ins  Gelenk  durch  die  folgende  Entzündung 
mit  der  Gefahr  der  Verjauchung,  Caries  oder  Trismus ,  im  günstigsten 
Falle  der  Gelenksteifigkeit  eine  höchst  bedenkliche  Verlezung.  —  Re- 
position. Man  drückt  nur  den  gebrochenen  Condylus  und  bei  dem 
Bruche  beider  Condylen  zieht  man  nötigenfalls  die  in  die  Bruchspalte 
getretene  Kniescheibe  vorwärts.  —  Retention.  Nach  beseitigter  Ent- 
zündung legt  man ,  je  nachdem  nur  ein  Condyl  gebrochen  ist  oder  beide 
getrennt  sind ,  eine  oder  zwei  seitliche  Schienen  an  und  befestigt  sie  mit 
einer  Binde ,  die  man  mit  Kleister  bestreichen  kann ;  das  Glied  muss  da- 
bei gestreckt  gehalten  werden.  —  Nachbehandlung.  Sie  sei  den 
Umständen  angemessen.  Nach  3  5  —  40  Tagen  müssen  dem  Gelenke 
vorsichtige  Bewegungen  mitgetheilt  werden. 

18.  Brüche  der  Kniescheibe.  Diese  Brüche  kommen  nicht 
sehr  häufig  vor ;  meist  sind  es  Querbrüche  ,  doch  beobachtet  man  auch 
Schief-,  Längen-  und  Splitterbrüche.  —  Diagnose.  Die  Querbrüche, 
bei  welchen  zugleich  der  schräge  Ueberzug  der  Kniescheibe  zerrissen  ist, 
werden  leicht  erkannt.  Der  Kranke  kann  nicht  stehen,  den  Unterschenkel 
nicht  strecken  und  empfindet  heftige  Schmerzen  im  Knie;  von  den  Bruch- 
fragmenten ist  das  untere  an  seiner  Stelle ,  das  obere  dagegen  oft  in  be- 
deutende Entfernung  in  die  Höhe  gezogen ,  so  dass  man  zwischen  beiden 
eine  bedeutende  Lücke  fühlt.  Diese  ist  kleiner,  wenn  der  schräge  Ueber- 
zug unverlezt  blieb  ,  in  welchem  Falle  der  Kranke  auch  noch  mühsam 
gehen  kann ,  mit  dem  Fusse  aber  dabei  einen  Bogen  beschreibt ;  oft  ist 
die  Unterscheidung  von  einer  Contusion  des  Kniegelenks  schwierig ,  um 
so  mehr ,  als  bald  nach  der  Verlezung  eine  beträchtliche  Geschwulst  sich 
einzustellen  pflegt.  Lezteres  gilt  insbesondere  auch  für  den  Längen- 
bruch. Eine  Beugung  des  Knies,  welche  den  Spalt  der  Kniescheibe  nicht 
allein  bei  dem  Querbruch,  sondern  auch  bei  dem  Längenbruch  erweitert, 
kann  die  Diagnose  sichern.  Andererseits  könnte  eine  einfache  Zerreis- 
sung  des  fibrösen  Ueberzugs  ohne  Verlezung  des  Knochens  durch  die 
fühlbare  Spalte  an  einen  Bruch  glauben  lassen.  —  Ursachen.  Der 
Querbruch  wird  meistens  durch  eine  heftige  Contraction  der  Streckmus- 
keln des  Unterschenkels  beim  Tanzen  ,  Springen  etc.,  am  häufigsten  aber 
bei  dem  Bestreben,  den  rückwärts  fallenden  Körper  im  Gleichgewicht  zu 
erhalten ,  seltener  durch  eine  unmittelbar  einwirkende  Gewalt  veranlasst ; 
die  Längen-  und  Splitterbrüche  entstehen  dagegen  fast  ausschliesslich 
durch  äussere  unmittelbar  einwirkende  Gewalten. ,—  Prognose.    Quer- 


KNOCHENBRUCH  DER   KNIESCHEIBE.  549 

brache,  namentlich  solche ,  bei  denen  der  sehnige  Ueberzug  zerrissen  ist, 
heilen,  weil  es  selten  gelingt ,  die  Bruchfragmente  in  genauer  Berührung 
zu  halten,  in  der  Regel  nicht  durch  Callus,  sondern  durch  eine  bandartige 
Zwischensubstanz,  welche,  wenn  diese  von  einiger  Breite  ist,  den  Gang 
unsicher  macht ,  daher  ist  die  Prognose  mit  Vorsicht  zu  stellen.  Beim 
Längenbruche  ist  dagegen  eine  Heilung  durch  festen  Callus  zu  erwarten, 
und  daher  die  Prognose  gut.  Bei  einer  Zerschmetterung  der  Kniescheibe 
mit  äusserer  Wunde ,  Eröffnung  des  Gelenks  etc.  ist  die  Prognose  sehr 
ungünstig.  —  Die  Consolidation  kommt  in  3  5  bis  40  Tagen  zu  Stande. 
—  Reposition.  Beim  Querbruche  lägst  man  den  Kranken  aufgerich- 
tet sizen,  ein  Gehülfe  fasst  den  Fuss  an  der  Ferse,  streckt  ihn  und  erhebt 
die  Extremität  unter  Unterstüzung  der  Kniekehle,  bis  sie  mit  dem  Körper 
einen  rechten  Winkel  bildet :  ein  zweiter  Gehülfe  drückt  mit  seinen  bei- 
den Daumen  das  obere  Fragment  so  gut  als  möglich  in  seine  normale 
Stellung  und  iixirt  es  dann,  so  wie  auch  das  untere  Bruchstück  durch  eine 
geeignete  Anlage  beider  Hände.  Bei  Längenbrüchen  bringt  ein  Druck 
von  beiden  Seiten  die  Bruchstücke  leicht  in  Berührung.  —  Reteution. 
Eine  Hauptindication  bei  der  Behandlung  dieser  Brüche  ist  die  Ueber- 
windung  der  Muskelcontraction.  Dies  ist  allein  durch  eine  zweckmässige 
Lage  möglich,  welche  darin  besteht,  dass  man  den  Kranken  mit  erhöhtem 
Kopf  und  Rumpf  und  mit  gleichzeitig  schief  aufwärts  gerichtetem  Beine 
liegen  lässt.  Ausser  dieser  die  Coaptation  der  Bruchenden  begünstigen- 
den Lage  darf  während  der  ersten  6  bis  8  Tage  eine  anderweitige  mecha- 
nische Behandlung  nicht  in  Anwendung  kommen ,  weil  vorerst  die  ent- 
zündlichen Erscheinungen  bekämpft  werden  müssen.  Ist  dies  geschehen, 
so  besteht  der  einfachste  und  meist  immer  ausreichende  Verband  darin, 
dass  man  den  Oberschenkel  von  oben  nach  unten,  den  Unterschenkel  von 
unten  nach  oben  einwickelt ,  eine  halbmondförmig  ausgeschnittene  Papp- 
schiene an  das  obere  Bruchende  legt  und  diese  mittelst  einer  Testudo 
befestigt.  Ein  Bekleistern  der  Pappschiene  und  der  lezteren  Binde  gibt 
dem  Verbände  die  nöthige  Festigkeit.  Sehr  wirksam  sind  die  metallnen 
Klammern  von  Malga igne.  Ein  scharfer  stählerner  Doppelhaken  wird 
durch  die  Haut  in  den  obern  Rand  des  obern  Bruchendes ,  ein  zweiter  in 
den  untern  Rand  des  untern  Bruchendes  eingeschlagen.  Jeder  Doppel- 
haken ist  an  einer  Stahlplatte  befestigt,  und  beide  Platten  können  in  be- 
liebiger Stellung  zu  einander  durch  eine  Schraube  befestigt  werden.  So- 
bald die  Haken  eingeschlagen  sind  und  die  Coaptation  ausgeführt  ist, 
fixirt  man  die  Platten  und  somit  durch  Vermittelung  der  Haken  auch  die 
Bruchenden  unbeweglich  durch  das  Anziehen  der  Schraube.  Die  Erfah- 
rung hat  die  Unschädlichkeit  dieser  Vorrichtung  dargethan.  Dieser ,  so 
wie  der  vorstehende  Verband  machen  die  Menge  der  andern  sonst  noch 
angegebenen  Verbände ,  bestehend  in  Riemen  ,  hölzernen  und  blechernen 
Kapseln,  Ringen,  Rahmen  etc.,  womit  die  Kniescheibe  umfasst  wurde  und 
die  theils  beschwerlich,  theils  wenig  wirksam  sind ,  überflüssig.   —  Beim 


550  KNOCHENBRUCH  DES  UNTERSCHENKELS. 

Längenbruche  bedarf  es  blos  eines  Verbandes  mit  seitlichem  Drucke  ;  eine 
in  die  Kniekehle  gelegte  Schiene  sichert  die  Unbeweglichkeit  des  Knies. 
—  Der  Splitterbruch  erfordert  einen  Verband,  der  sich  je  nach  der  Rich- 
tung des  Bruchs  bald  dem  des  Quer-,  bald  dem  des  Längenbruchs  nähern 
muss.  —  Nachbehandlung.  Die  entzündlichen  Erscheinungen  und 
den  meistens  in  das  Gelenk  stattfindenden  Erguss  behandelt  man  mit  kal- 
ten Umschlägen ;  bei  höheren  Graden  von  Entzündung  macht  sich  ein 
Aderlass  ,  so  wie  die  Anwendung  innerer  antiphlogistischer  Mittel  noth- 
wendig.  Nach  der  Abnahme  des  Verbandes  (nach  3  5  bis  40  Tagen) 
nimmt  man  leichte  Beugungen  des  Unterschenkels  vor,  macht  Einreibun- 
gen ,  wendet  Dampfbäder  an  und  unterstüzt  das  Glied  in  der  ersten  Zeit 
des  Gehens  durch  eine  elastische  Kniekappe ,  um  die  Dehnung  und  Zer- 
reissung  der  ligamentösen  Zwischenmasse  zu  verhindern.  —  Bei  compli- 
cirten  Wunden  der  Patella  ist  die  Nebenverlezung  das  wichtigste,  welche, 
besonders  wenn  die  Gelenkkapsel  geöffnet  ist,  oft  augenblicklich  die  Am- 
putation des  Oberschenkels  fordert. 

19.  Brüche  der  Knochen  des  Unterschenkels.  Man 
unterscheidet  den  Bruch  beider  Unterschenkelknochen  und  den  Bruch  der 
Tibia  und  Fibula  für  sich  allein.  —  a)  Bruch  beider  Untergehen- 
kelknochen.  Dieser  Bruch  ist  der  häufigste  aller  Knochenbrüche . 
Gewöhnlich  hat  er  seinen  Siz  an  der  Grenze  zwischen  dem  mittlem  und 
untern  Drittel  und  können  beide  Knochen  bald  in  derselben,  bald  in  ver- 
schiedener Höhe  gebrochen  sein.  Die  Brüche  können  ferner  quer  (haupt- 
sächlich bei  Kindern),  oder  schief  sein,  in  welchem  Fall  sie  in  der  Mehr- 
zahl der  Fälle  schräg  von  oben  und  aussen  nach  unten  und  innen  verlau- 
fen. Endlich  können  die  Unterschenkelknochen  mehrfach  zerbrochen 
oder  zersplittert  sein  und  nicht  selten  wird  die  Haut  von  den  Knochen, 
namentlich  von  der  Spize  des  obern  Fragments  durchbohrt.  —  Dia- 
gnose. Diese  bietet  selten  Schwierigkeiten  dar.  Abnorme  Beweglich- 
keit, Crepitation  und  Schmerz  bei  der  Bewegung ,  Dislocation  der  Bruch- 
enden ,  Verkürzung  und  meistens  Auswärtsfallen  des  Fusses  sind  die  ent- 
scheidenden Symptome.  —  Ursachen.  Sie  sind  entweder  directe  oder 
ein  Fall.  Lezterer  hat  meist  schiefe  Brüche  zur  Folge.  —  Prognose. 
Nicht  complicirte  und  wenig  dislocirte  Brüche  des  Unterschenkels  geben 
eine  gute  Prognose  ;  dagegen  können  Schief  brüche  mit  Vorsprung  des 
obern  Bruchendes  oft  grosse  Schwierigkeiten  bereiten  ,  und  Fracturen  in 
der  Nähe  des  Fussgelenks  stellen  nicht  allein  Gelenksteifigkeit  in  Aussicht, 
sondern  können  selbst  durch  Ausbreitung  der  Entzündung  auf  das  Fuss- 
gelenk  das  Glied  und  selbst  das  Leben  gefährden.  —  In  den  gewöhn- 
lichen Fällen  sind  3  5  bis  4  0  Tage  zur  Consolidation  nöthig.  —  Repo- 
sition. Ein  Gehülfe  fasst  dicht  unter  dem  Kniegelenke  den  Unter- 
schenkel mit  beiden  Händen ,  ein  zweiter  mit  der  einen  Hand  die  Ferse, 
mit  der  andern  den  Mittelfuss,  während  der  Wundarzt  unter  entsprechen- 
dem Zuge  der  Gehülfen  die  Coaptation  bewirkt.     Dass  sie  erfolgt  ist,  er- 


KNOCHENBHUCH  DES   UNTERSCHENKELS.  551 

kennt  man,  wenn  man  die  C  r  i  s  t  a  t  i  b  i  a  e  ihrer  ganzen  Länge  nach  mit 
dem  Finger  verfolgt,  und  wenn  der  innere  Rand  der  grossen  Zehe  in  einer 
vom  innern  Rande  der  Kniescheibe  vertieal  abwärts  geführten  Linie  sieh 
befindet.  —  R  e  t  e  n  t  i  o  n.  Bei  Querbrüchen  ohne  Complieation  reicht 
ein  einfacher  Contentivverband  aus.  Man  richtet  den  Verband  auf  einem 
für  den  Unterschenkel  bestimmten  grossen  Spreukissen  in  folgender  Weise 
her  :  Zuerst  drei  doppelte  Bänder ,  darüber  ein  grosses  leinenes  Tuch  zur 
Aufnahme  der  Schienen  ,  endlich  die  vielköpfige  Binde  ,  welche  hier  ge- 
wöhnlich aus  1 1  von  unten  nach  oben  länger  werdenden  Streifen  besteht. 
S.  Binde  n.  Behufs  der  Anlegung  dieses  Verbandes  bringt  man  das 
so  zubereitete  Kissen  unter  den  Unterschenkel ,  legt  ihn  darauf  nieder 
und  umgibt  ihn  ,  während  die  Ausdehnung  und  Gegenausdehnung  unter- 
halten wird  ,  zuerst  mit  der  vielköpfigen  Binde  ,  schlägt  dann  zu  beiden 
Seiten  drei  Querfinger  breite  ,  hölzerne ,  über  das  Knie-  und  Fussgelenk 
hinausreichende  Schienen  in  das  Leinwandstück ,  bis  sie  zwei  Querfinger 
vom  Unterschenkel  abstehen ,  füllt  diesen  Zwischenraum  mit  Spreukissen 
aus  ,  legt  eine  dicke  Compresse  und  eine  Schiene  auf  die  vordere  Fläche 
des  Unterschenkels  und  befestigt  das  Ganze  mit  den  doppelten  Bändern, 
indem  man  das  eine  Ende  dmch  die  Schleife  führt  und  dann  mit  dem 
andern  durch  eine  Schleife  (auf  dem  Schieneurande)  verknüpft.  Drei- 
seitige Hölzer,  welche  zu  beiden  Seiten  des  Unterschenkels  angelegt  u.  durch 
Nadelstiche ,  die  vom  Betttuche  zu  dem  Schienentuche  gehen ,  befestigt 
werden ,  verhüten  eine  Seitenbewegung  des  Gliedes.  Schliesslich  bringt 
man  eine  Sandale  von  Leder  oder  Pappe  an  die  Fusssohle,  die  man  durch 
Bänder  an  den  übrigen  Verband  befestigt.  Noch  mehr  Sicherheit  und 
Bequemlichkeit  gewähren  die  Guttapercha  -  oder  Kleisterverbände.  Bei 
lezteren  legt  man  die  vielköpfige  Binde  an ,  bestreicht  sie  mit  Kleister, 
fügt  darauf  die  erweichten  und  bekleisterten  Pappschienen  und  wickelt 
das  Ganze  mit  einer  ebenfalls  bekleisterten  Rollbinde  ein.  Bis  zur  Aus- 
trocknung des  Verbandes  wendet  man  Strohladen  (s.  diesen  Artikel),  oder 
wo  es  nöthig  ist,  eine  geeignete  Extensionsmaschine  an.  Auch  den  Gyps- 
verband  kann  man  anwenden  (s.  diesen  Artikel).  —  Bei  Schief  brüchen, 
die  eine  grosse  Neigung  zur  Dislocation  zeigen ,  muss  eine  dauernde  Ex- 
tension in  Anwendung  gebracht  werden ;  in  diesem  Falle  zeigen  sich  be- 
sonders die  Schweben  von  Nuzen  ,  die  nicht  allein  die  angegebene  Indi- 
cation  erfüllen,  sondern  auch  neben  grosser  Bequemlichkeit  für  den  Kran- 
ken die  Besorgung  von  Wunden  etc.  zulassen ,  da  das  Glied  grössten- 
teils unbedeckt  bleibt.  S.  Unter  schienen  verbände.  —  Bei 
Brüchen  nahe  am  Kniegelenke  gibt  man  dem  Gliede  eine  halbgebogene 
Lage.  —  Bei  grosser  Neigung  zur  Verschiebung  reichen  alle  diese  Ver- 
bände nicht  aus.  Führt  das  Auflegen  von  mehrfachen  Compressen  und 
kleinen  Schienen  nicht  zum  Ziele ,  so  erweist  sich  (bei  dem  nach  vorn 
vorspringenden  obern  Bruchende)  die  von  M  a  1  g  a  i  g  n  e  erfundene  und 
von  Uytterhoeven  modificirte  Vorrichtung  sehr  nüzlich.     Die  Grund- 


552  KNOCHENBRUCH   DES  UNTERSCHENKELS. 

läge  dieser  Vorrichtung  bildet  ein  den  Unterschenkel  umfassender  Gutta- 
perchaverband ,  welcher  gerade  über  dem  vorspringenden  Bruchende  eine 
Stahlplatte  trägt,  durch  welche  eine  Schraube  verläuft ,  mittels  deren  ein 
an  ihrem  unteren  Ende  befindlicher  .stählerner  Stachel  durch  die  Haut 
hindurch  in  das  vorspringende  Bruchende  eingebohrt  werden  kann.  Bei 
weiteren  Umdrehungen  der  Schraube  drückt  der  dicht  oberhalb  des 
Stachels  befindliche  Knopf  auf  das  Bruchende  und  hält  es  wirksam  nieder. 
—  In  Fällen  ,  wo  die  Wadenmuskeln  einen  allzu  beträchtlichen  Zug  an 
dem  untern  Ende  ausüben,  ist  die  Achillessehne  zu  durchschneiden  ange- 
rathen  worden.  —  Nachbehandlung.  Complicationen ,  die  bei 
Unterschenkelbrüchen  so  häufig  sind ,  erfordern  eine  sorgfältige  Behand- 
lung durch  Antiphlogistica  und  Ruhe  des  Gliedes  bei  Vermeidung  zu  star- 
ken Drucks  etc.,  und  tritt  Eiterung  ein,  wie  bei  einer  Phlegmone,  so  muss 
dem  Eiter  frühzeitig  ein  Weg  nach  aussen  eröffnet  v/erden.  Hat  die 
Spize  des  obern  Bruchendes  die  Haut  durchdrungen  und  ist  es  in  der 
Wunde  eingeklemmt ,  so  muss  man  diese  erweitern.  Gelingt  es  dann 
nicht,  das  Knochenende  durch  die  Einrichtung  an  seinen  Plaz  zu  bringen, 
so  sägt  man  die  hervorragende  Spize  ab.  Bei  bedeutender  Quetschung 
und  anderweitigen  schweren  Complicationen  lagert  man  das  Glied  auf  ein 
Spreukissen  und  befestigt  es  auf  die  bei  den  Brüchen  des  Oberarms  an- 
gegebene Weise.  —  b)  Brüche  des  Schienbeins.  Diese  Brüche 
sind  ziemlich  selten  und  können  am  obern  und  untern  Ende  des  Knochens 
oder  an  seinem  Mittelstück  vorkommen.  Die  Diagnose  ist  nicht  im- 
mer leicht,  weil  die  allein  gebrochene  Tibia  sich  selten  dislocirt,  und  man 
zuweilen  nur  mit  Mühe  Crepitation  fühlen  kann.  Doch  lässt  eine  genaue 
Untersuchung  der  Crista  tibia  die  geringste  Verschiebung  erkennen. 
Am  untern  Ende  der  Tibia  ist  die  Erkenntniss  etwas  leichter,  weil  je  nach 
der  Richtung  des  Bruchs  der  innere  Knöchel  seine  Stellung  etwas  ver- 
ändert. —  Die  Ursachen  sind  für  die  Brüche  am  obern  Ende  und  im 
Mittelstücke  meistens  directe,  bei  denen  am  untern  Ende  ein  Fall  auf  die 
Füsse.  —  Prognose.  Sie  ist  für  die  Brüche  im  Mittelstück  gut, 
ebenso  für  die  am  obern  Ende,  wenn  der  Bruch  nicht  ins  Gelenk  dringt: 
ist  dies  aber  der  Fall ,  so  ist  die  Prognose  sehr  übel,  desgleichen  für  die 
Brüche  des  untern  Endes,  wenn  sie  das  Gelenk  betheiligen.  —  Die  Re- 
position wird  durch  einen  geringen  Zug  bewirkt  und  die  Retention 
durch  einen  einfachen  Contentiv-  oder  Kleisterverband  bewerkstelligt.  — 
c)  Brüche  des  Wadenbeins.  Die  Fibula  bricht  viel  häufiger  allein 
als  die  Tibia ;  namentlich  ist  es  das  untere  Ende  derselben  ,  welches  (ge- 
wöhnlich 2  bis  21/2  Zoll  über  der  Spize)  am  öftersten  von  einem  Bruche 
betroffen  wird.  —  Diagnose  und  Symptome.  Brüche  in  den  obern 
drei  Viertheilen  des  Knochens  können,  da  gar  keine  Dislocation  vorkommt, 
nur  aus  der  Anwesenheit  des  fixen  Schmerzes ,  der  Anschwellung  ver- 
muthet  werden.  Am  untern  Ende  dagegen  ist  die  Diagnose  leichter. 
Gewöhnlich  weicht  hier  das  untere  Fragment  nach  innen  gegen  die  Tibia, 


KNOCHENERLCH    DES   UNTERSCHENKELS.  553 

der  Knöchel  rückt  durch  das;  Drängen  des  Astragalus  nach  aussen  und 
der  Fuss ,  seiner  Stüze  an  der  äussern  Seite  beraubt,  folgt  dem  Zuge  der 
MM.  peronei,  d.  h.  er  weicht  nach  aussen  und  drängt  den  äussern 
Knöchel  vor  sich  her,  so  dass  nun  das  Bild  einer  Luxation  der  Tibia  nach 
innen  zu  sehen  ist.  Die  Sohlenfläche  des  Fusses  ist  dabei  nach  aussen 
und  der  äussere  Fussrand  nach  oben  gewandt ;  der  innere  Knöchel  ragt 
auffallend  hervor  und  oberhalb  des  äussern  Knöchels  besteht  eine  Ein- 
biegung. Wenn  der  Kranke  zu  gehen  versucht,  so  kann  sich  die  Defor- 
mität so  steigern,  dass  der  innere  Knöchel  den  Boden  berührt.  —  Ist  das 
innere  Seitenband  zerrissen ,  oder  die  Spize  des  M  a  1 1  e  o  1  u  s  internus 
abgebrochen,  so  kann  der  Fuss  ausserdem  durch  die  Wirkung  der  Waden- 
muskeln nach  hinten  verschoben  werden.  —  Bei  bedeutender  Geschwulst 
und  geringer  Verschiebung  kann  man  die  dann  zweifelhafte  Diagnose  da- 
durch sichern  ,  dass  man  auf  die  Spize  des  äussern  Knöchels  einen  kräf- 
tigen Druck  ausübt ,  während  die  Finger  der  andern  Hand  oberhalb  des- 
selben auf  der  Fibula  ruhen;  leztere  werden,  wenn  ein  Bruch  besteht,  eine 
Bewegung  des  untern  Bruchendes  oder  doch  Crepitation  wahrnehmen.  — 
Ursachen.  Sie  sind  bei  Brüchen  im  obern  und  mittlem  Theile  der 
Fibula  unmittelbare  Gewalten  ,  bei  solchen  am  untern  Theile  derselben 
ein  Fehltritt  oder  ein  Umfallen  des  Körpers  bei  feststehendem  Fusse  etc., 
doch  auch  directe  Gewalten.  —  Prognose.  Brüche  am  obern  und 
mittleren  Theile  der  Fibula  geben  eine  gute  Prognose ,  am  untern  Theile 
derselben  bleibt  der  Gang  häufig  hinkend  und  unsicher  und  leicht  knickt 
der  Fuss  wieder  um,  wenn  die  Fragmente  nicht  in  genaue  Berührung  ge- 
bracht und  darin  erhalten  worden  sind.  —  Reposition.  Ein  Druck 
auf  den  äussern  Knöchel  ist  in  leichteren  Fällen  zur  Reposition  allein  hin- 
reichend; in  den  höheren  Graden,  bei  gleichzeitigem  Vorhandensein  einer 
Luxation  des  Fusses  vollendet  die  Zurückführung  des  leztern  zu  seiner 
normalen  Richtung  während  der  Extension  die  Coaptation  der  Bruchenden. 
—  R  e  t  e  n  t  i  o  n.  Hierzu  dient  der  gewöhnliche  Contentivverband  mit 
der  Abänderung ,  dass  die  innere  Schiene  nur  bis  zum  Knöchel ,  die  äus- 
sere aber  bis  zur  Fusssohle  reicht  und  unter  leztere  Schiene  ein  Polster 
gelegt  wird ,  um  gegen  diese  Seite  des  Fusses  einen  Druck  auszuüben. 
Ist  der  Fuss  nach  auswärts  gekehrt ,  so  erhält  man  das  Glied  in  halbge- 
bogener Stellung  und  legt  den  Verband  von  Dupuytren  an.  Dieser 
besteht  aus  einem  langen  Spreukissen ,  einer  starken  hölzernen  Schiene 
und  zwei  Binden.  Das  Kissen  wird  zusammengelegt  und  so  an  die  innere 
Seite  des  Unterschenkels  gelegt,  dass  der  dickere  Theil  über  dem  innern 
Knöchel  und  der  dünnere  Theil  dicht  unter  dem  Knie  aufruht.  Auf  die- 
sem Kissen  wird  die  hölzerne  Schiene  ,  welche  5  Zoll  über  den  Fuss  hin- 
ausragt, durch  Zirkeltouren  um  den  Unterschenkel  befestigt.  Zulezt  wird 
der  Fuss  mit  der  zweiten  Binde ,  welche  diesen ,  so  wie  das  untere  Ende 
der  Schiene  in  Achtertouren  umfasst,  in  starke  Adduction  gebracht.  Der 
Unterschenkel  wird  dann ,   im  Kniegelenk  halbgebeugt,  auf  seine  äussere 


554  KNOCHENBRUCH  AM  FUSSE. 

Seite  gelagert.  Bei  Complication  mit  Verrenkung  nach  hinten  legt  Du- 
p  u  y  t  r  e  n  das  Kissen  sammt  der  Sehiene  an  die  hintere  Seite  des  Glie- 
des. Durch  Bekleisterung  gewinnt  dieser  Verband  an  Haltbarkeit.  Mai- 
sonneuve  wickelt  den  Fuss  mit  einer  langen  mit  Dextrin  getränkten 
Binde  in  der  Art  ein  ,  dass  er  die  Touren  in  der  Höhe  des  Bruches  ver- 
vielfacht; über  diese  Binde  legt  er  den  Verband  von  Dupuytren  an, 
welchen  er  aber  wieder  entfernt ,  sobald  der  Dextrinverband  trocken  ist. 
Dieser  soll  dann  allein  im  Stande  sein,  den  Fuss  in  der  richtigen  Stellung 
zu  erhalten.  Bei  sehr  rebellischen  Dislocationen  wendet  Malgaign  e 
den  Gypsguss  an.  —  Nachbehandlung.  Man  beachte  die  entzünd- 
lichen Vorgänge  und  sei  auf  der  Hut ,  dass  nicht  am  innern  Knöchel- 
rande durch  zu  starke  Ausdehnung  der  Haut,  ein  Durchbruch  oder  Brand 
derselben  entsteht.  —  Den  Verband  lässt  man  5  bis  6  Wochen  liegen. 

2  0.  Brüche  am  Fusse.  Die  Knochen  des  Fusses  zerbrechen 
selten  und  fast  immer  nur  in  Folge  einer  direct  einwirkenden  Gewalt. 
Daher  sind  sie  auch  meistens  complicirt  und  zwar  meistens  in  der  Weise, 
dass  die  Complicationen  von  grösserer  Bedeutung  sind  als  die  Fractur. 
Gewöhnlich  sind  es  auch  Splitterbrüche  und  meist  mehrere  Knochen  des 
Fusses  zugleich  gebrochen.  Im  Allgemeinen  gelten  dieselben  Regeln  und 
Grimdsäze,  wie  sie  bei  den  Brüchen  der  Hand  angeführt  sind.  Nur  der 
Bruch  des  Fersenbeins  bedarf  einer  besondern  Erwähnung.  —  Der 
Bruch  des  Fersenbeins  kommt  unter  zwei  Formen  vor ,  nämlich 
Bruch  durch  Zerschmetterung  und  Bruch  durch  Z  e  r  r  e  i  s  s  u  n  g. 
—  a)  Bruch  durch  Zerschmetterung.  Dieser  verdankt  seine 
Entstehung  einem  Fall  auf  die  Füsse,  dem  Ueberfahren ,  einer  Schussver- 
lezung  etc.,  wobei  es  in  der  Natur  der  Sache  liegt,  dass  auch  die  Weich- 
theile  in  hohem  Grade  gelitten  haben  müssen.  —  Symptome.  Der 
Kranke  empfindet  nach  einem  Falle  einen  heftigen  Schmerz  oder  das  Ge- 
fühl von  Taubheit  in  der  Ferse.  Er  kann  nicht  aufstehen  und  nicht  auf- 
treten, der  Fuss  ist  nach  aussen  gewandt,  unter  den  Knöcheln  und  an  der 
Fusssohle  besteht  Geschwulst,  an  der  Ferse  und  an  der  Achillessehne  da- 
gegen nicht.  Diese  Geschwulst  macht ,  da  die  Crepitation  häufig  fehlt, 
die  Diagnose  schwierig.  Die  Knöchel  stehen  tiefer ,  als  am  gesunden 
Fasse,  die  Ferse  erscheint  breiter  und  die  Wölbung  der  Fusssohle  abge- 
flacht. —  Die  Prognose  richtet  sich  nach  der  Zerschmetterung  und  ist 
zuweilen  nicht  unbedenklich.  Die  Consolidation  kommt  immerhin  nur 
langsam  zu  Stande ,  auch  dauert  es  lange  ,  bevor  die  Verlezten  ihr  Glied 
wieder  gut  brauchen  können.  Meist  bleibt  ein  Plattfuss  und  Steifigkeit 
in  dem  einen  oder  andern  Gelenke  der  betheiligten  Fusswurzelknochen 
zurück.  Die  Reposition  unterbleibt  am  besten  und  an  die  R e t e n - 
tion  durch  Schienen  etc.  darferst  gedacht  werden,  wenn  die  Entzün- 
dung bekämpft  ist.  —  Die  verminderte  Höhe  der  Ferse  ersezt  man  später 
durch  einen  hohen  Absaz.  —  b)  Bruch  durch  Zerreissung.  Die- 
ser hat  seinen  Siz  stets  in  dem  Räume  zwischen  der  Articulatio  talo- 


KNOCHENENTZÜENDUNG.  000 

calcanea  und  dem  hintern  Ende  des  Knochens  und  die  Brachlinie  ver- 
läuft fast  immer  perpendiculär  gegen  die  Längsachse  des  Fasses,  Er 
entsteht  durch  Muskelzug.  —  Symptome  und  D  i  a  gnos  e.  Der 
Kranke  fühlt  im  Augenblicke  eines  Falls  auf  die  Füsse  oder  einer  hefti- 
gen Zusammenziehung  der  Wadenmuskeln  ein  Krachen  an  der  Ferse  und 
einen  heftigen  Schmerz.  Er  fällt,  vermag  nicht  aufzustehen,  noch  we- 
niger aufzutreten.  Das  abgebrochene  Stück  des  Fersenbeins  erleidet  eine 
(nie  aber  bedeutende)  Verschiebung  nach  aufwärts  ,  welche  sich  bei  der 
Streckung  des  Unterschenkel  vermehrt,  bei  der  Beugung  vermindert.  Bei 
der  Annäherung  des  obern  Fragments  lässt  sich  zuweilen  Crepitation  er- 
zeugen. Die  Ferse  springt  weniger  vor  als  am  gesunden  Fusse  und  der 
untere  Rand  des  vordem  Bruchstücks  ragt  in  der  Fusssohle  hervor.  — 
Prognose.  Sie  ist  günstig.  Die  Consolidation  kommt  in  3  0  —  40  Ta- 
gen und  zwar  bei  genauer  Berührung  der  Fragmente  durch  knöchernen 
Callus  zu  Stande.  —  Reposition.  Man  beugt  das.  Knie  und  zieht 
die  Fussspize  abwärts,  worauf  es  leicht  gelingt,  das  abgezogene  Bruch- 
stück an  seinen  Plaz  zu  führen.  —  Retention.  Man  fixirt  den  Fuss 
in  der  genannten  Stellung,  beschränkt  die  Wadenmuskeln  in  ihrer  Wir 
kung  und  übt  einen  Druck  auf  das  hintere  Bruchende  aus.  Zu  diesem 
Behufe  legt  man ,  nachdem  man  den  Unterschenkel  vom  Knie  bis  zur 
Ferse  eingewickelt  hat,  eine  Compresse  oder  eine  kleine  Pappschiene  au 
das  abgewichene  Stück  und  befestigt  diese  durch  Heftpflaster  oder  eine 
zweiköpfige  Binde ,  welche  man  in  Achtertouren  um  das  Gelenk  führt ; 
eine  auf  den  Fussrücken  gelegte  massig  gebogene  Schiene  erhält  den 
Fuss  in  Streckung.  Die  Extremität  legt  man  auf  die  äussere  Seite.  — 
Vor  60  Tagen  darf  man  keine  Gehversuche  machen,  wenn  man  auch  die 
Schiene  mit  vier  Wochen  entfernt. 

KnOChenentzÜndung,  I  n  f  1  a  m  m  a  t  i  o  o  s  s  i  u  m.  Die  Ent- 
zündung hat  entweder  ihren  Siz  in  dem  Knochengewebe ,  oder  in  der 
Knochenhaut  oder  endlich  in  dem  Knochenmarke  oder  der  Markhaut. 
—  1)  Entzündung  der  Knochensubstanz,  Ostitis.  Die 
Knochenentzündung  befällt  entweder  nur  eine  kleinere  Partie  eines 
Knochens,  oder  sie  breitet  sich  über  den  ganzen  Knochen,*  oder  auch 
über  mehrere  aus.  Sie  hat  ihren  Siz  entweder  in  der  äussern  oder  In- 
nern Schichte  (Rinden-  oder  Marksubstanz)  oder  in  der  ganzen  Dicke  des 
Knochens ,  und  geht  mit  oder  ohne  Entzündung  des  Periosts  oder  der 
Markhaut  einher.  Häufig  tritt  sie  in  der  Markthaut  primär  auf  und 
pflanzt  sich  auf  die  Rindensubstanz  fort.  Gewöhnlich  bet heiligt  sich 
aber  die  leztere  an  der  Entzündung  des  Periosts.  —  Ihrem  Verlaufe  nach 
kann  die  Ostitis  eine  acute  oder  chronische  sein;  leztere  ist  die 
häufigere.  —  Veranlassung  zu  Knochenentzündung  geben  mecha- 
nische Verlezungen  und  dyscrasische  Zustände,  besonders  Scropheln,  Sy- 
philis, Scorbut,   Rheumatismus)    Gicht ;  jeder  dieser  Processe  ergreift  be- 


556  KNOCIIENENTZUENDUNG. 

sonders  gern  besondere  Knoehenabsehnitte.  —  Pathologische 
Veränderungen.  Nach  der  Beschaffenheit  und  Menge  des  von  der 
Entzündung  gesezten  Exsudats ,  welches  ein  faserstoffiges  ,  hämorrhagi- 
sches ,  albuminöses  und  seröses  sein  kann ,  so  wie  nach  der  Dauer  der 
Entzündung  und  nach  dem  Size  derselben  in  festerer  oder  mehr  lockerer 
Knochensubstanz  verhält  sich  der  erkrankte  Knochen  sehr  verschieden. 
Durch  den  Druck  des  Exsudats  findet  eine  Erweichung  und  Resorption 
der  Grundsubstanz  des  Knochens  statt,  wodurch  sich  die  Räume  derselben 
vergrössern  und  lezterer  brüchiger  wird  (Osteoporose).  Plastische 
Exsudate  machen,  indem  sie  innerhalb  der  Gefässkanäle  verknöchern  den 
Knochen  dichter  (Osteosclerose).  Befindet  sich  das  verknöchernde 
Exsudat  an  der  Oberfläche  des  Knochens,  zwischen  ihm  und  dem  Periost, 
so  kommt  es  zur  Bildung  von  Knochengeschwülsten,  welche  entweder  eine 
ausgebreitete  Knochenschichte  (Osteophyt)  oder  einen  kleinen  um- 
schriebenen Knochenvorsprung  (Exostose)  darstellen.  Auf  der  Orga- 
nisation des  vom  Knochen  selbst  gelieferten  Exsudats  beruht  die  Heilung 
der  Knochenbrüche  durch  die  sogenannte  erste  Vereinigung.  Die  nicht 
organisationsfähigen  Exsudate  haben  gewöhnlich  nach  vorhergegangener 
Erweichung  mit  Rarefaction  des  Knochengewebes  Vereiterung  (Knochen- 
abscess) ,  Verjauchung  (Caries),  Brand  (Necrosis)  zur  Folge. 
S.  diese  Artikel.  —  Symptome  der  Knochenentzündung. 
Anfangs  dumpfer  und  drückender,  später  bohrender,  reissender  oder  na- 
gender Schmerz,  der  an  einer  bestimmten  Stelle  in  -der  Tiefe  des  Gliedes 
zu  sizen  scheint.  Er  ist  nicht  immer  anhaltend,  sondern  lässt.zu  Zeiten 
nach  und  hört  auch  wohl  ganz  auf,  kehrt  aber  nach  unbestimmter  Zeit, 
bisweilen  heftiger ,  besonders  in  der  Bettwärme  und  bei  Witterungsver- 
änderung zurück.  Abends  macht  er  Exacerbationen.  Die  kranken 
Knochen  sind  gegen  Druck  unempfindlich,  bald  können  sie  nicht  die  lei- 
seste Berührung  ertragen.  Bisweilen  ist  der  Schmerz  fix  und  circum- 
script,  in  vielen  andern  Fällen  dagegen  weithin  ausstrahlend.  Damit  ist 
eine  mehr  oder  weniger  deutliche  Empfindung  von  innerer  Wärme  ver- 
bunden und  gleichzeitig  besteht  eine  bleierne  Schwere  im  kranken  Theile, 
so  wie  das  Unvermögen  für  denselben  zur  Zeit  des  Schmerzes  Ruhe  zu 
finden.  Hiezu  gesellt  sich  Schlaflosigkeit ,  Mangel  an  Appetit ,  Fieber. 
Abnahme  der  Kräfte  und  später  auch  wohl  eine  Anschwellung  um  und 
über  dem  entzündeten  Knochen,  wobei  es  aber  schwer  zu  entscheiden  ist, 
ob  sie  dem  Knochen  selbst  angehört  oder  ob  sie  nur  in  den  Weichtheilen 
sizt.  Das  sicherste  Symptom  ist  in  der  Regel  das  sogenannte  Pseudoery- 
sipelas  ,  welches  in  Eiterung  übergeht.  Die  sich  in  den  Weichtheilen 
bildenden  Abscesse  können  entweder  mit  dem  entzündeten  kranken 
Knochen  selbst  zusammenhängen,  oder  nur  in  den  benachbarten  Geweben 
liegen  ;  der  Abscess  kann  ferner  in  unmittelbarer  Nähe  nach  aussen  zum 
Durchbruch  kommen,  oder  er  wandert,  je  nach  der  Oertlichkeit,  eine  mehr 
oder  weniger  grosse  Strecke  von  seiner  Ursprungsstelle  fort  und  kommt 


KNOCHENENTZÜENDUNG.  557 

oft  In  weiter  Entfernung  von  derselben  zum  Durchbrach  (Abscessus 
congestivus).  Prognose.  Sie  ist  im  Allgemeinen  ungünstig, 
besonders  wenn  innere  Ursachen  zu  Grunde  liegen.  Von  den  dyskrasi- 
schen  Knochenentzündungen  bildet  die  syphilitische  die  meiste  Aussicht 
auf  Heilung,  insofern  die  Krankheit  nur  langsam  fortschreitet ,  mehr  auf 
die  Peripherie  der  Knochen  beschränkt  ist  und  die  Heilmittel  ziemlich 
zuverlässig  sind.  Die  gichtische  und  scrophulöse  Entzündung  ist  hart- 
näckiger wegen  ihres  Sizes  in  der  Tiefe  des  Knochengewebes,  und  wegen 
der  Schwierigkeit,  welche  die  Beseitigung  des  Grundleidens  darbietet.  — 
Behandlung.  Liegt  der  Knochenentzündung  eins  der  oben  genannten 
eonstitutionellen  Leiden  zu  Grunde ,  so  muss  diesem  die  entsprechende 
Behandlung  entgegengesezt  werden.  Die  acute  Ostitis  fordert  eine  ener- 
gische, die  chronische  eine  lange  fortgesezte  entzündungswidrige  Behand- 
lung. Sie  besteht  in  der  Anwendung  von  Schröpfköpfen,  Blutegeln  und 
Cataplasmen,  ruhiger  Lage  des  entzündeten  Theiles;  bei  heftiger  Exacer- 
bation Eis,  kalte  Irrigationen ;  die  innern  Mittel  müssen  dem  entsprechend 
sein,  Nitrum,  Brechweinstein  und  später  Merkur.  Bei  mehr  schleichendem 
Verlaufe  der  Krankheit  müssen  die  localen Blutentziehungen  alle  3  —  4  Tage, 
später  in  längeren  Zwischenräumen  wiederholt  werden.  Später,  besonders 
wenn  Verhärtungen  oder  Verdickungen  zurückbleiben ,  wendet  man  Mer- 
curial-  und  Jodsalben,  Vesicatore,  Mercurialpflaster,  alcalische  und  Schwe- 
felbäder, flüchtige  Einreibungen ,  namentlich  aber  Ableitungen  vermittels 
eines  Haarseils ,  einer  Fontanelle  etc.  an.  —  Bei  heftigen  Schmerzen 
reicht  man  starke  Gaben  Opium  mit  Calomel  oder  Salpeter.  —  Ist  der 
Knochen  durch  eine  Verwundung  blossgelegt  worden ,  und  reichen  die 
Weichtheile  zur  Bedeckung  der  entblössten  Stelle  nicht  hin,  so  muss  diese 
solange  durch  milde  Oele  und  Salben  feucht  erhalten  werden,  bis  sie  sich 
mit  Granulationen  bedeckt  hat.  —  2)  Entzündung  der  Bein- 
haut, Periostitis.  Diese  Entzündung  tritt  nicht  selten  primär  auf, 
theilt  sich  dann  aber  gewöhnlich  dem  unterliegenden  Knochen  bald  mit ; 
andere  Male  wird  sie  durch  eine  Entzündung  des  Knochens  oder  anderer 
Nachbartheile  veranlasst.  Sie  kann  einen  acuten  oder  chronischen 
Verlauf  haben.  —  Das  entzündete  Periost  strozt  im  Anfange  von  Blut- 
gefässen, bald  kommt  es  zu  einem  Exsudat,  welches  seine  Lage  zwischen 
der  Beinhaut  und  dem  Knochen  hat ;  später,  besonders  bei  chronischem 
Verlaufe ,  verdickt  sich  die  Beinhaut  und  hängt  dann  mit  dem  Knochen 
innig  zusammen.  Sehr  häufig  entstehen  in  Folge  chronischer  Periostitis 
Auflagerungen  von  Knochensubstanz  zwischen  dem  Periost  und  dem  Kno- 
chen. Geht  die  Beinhautentzündung  in  Eiterung  über,  so  beginnt  diese 
bald  in  der  oberflächlichen,  bald  in  der  tieferen  Schicht  der  Beinhaut,  bald 
zwischen  ihr  und  dem  Knochen  und  bald  tritt  sie  in  der  Form  umschrie- 
bener Herde,  die  sich  allmälig  ausbreiten  und  zusammenfliessen,  bald  als 
eine  über  grosse  Strecken  verbreitete  Schmelzung  des  Gewebes  auf.  Das 
mit  dem  Eiter  in  Berührung  kommende  Periost   verdickt  sich ,   und  wenn 


558 


KNOCIIENENTZUENDUNG. 


der  unter  dem  Periost  befindliche  Eiter  längere  Zeit  zurückgehalten  wird, 
so  stirbt  die  ihrer  Blutzufuhr  Seitens  des  Periosts  beraubte  oberflächliche 
Knochenschichte  ab  ,  während  dieses  brandig  wird.  Gelangt  der  Eiter 
nach  aussen  in  das  umgebende  Bindegewebe ,  so  ruft  er  eine  Phlegmone, 
hervor.  —  Ursache  n.  Sie  kommen  fast  ganz  mit  denen  der  Ostitis 
überein.  Unter  den  Dyscrasien  ist  es  besonders  die  syphilitische  ,  dann 
aber  auch  die  scrophulöse,  welche  die  Periostitis  hervorrufen.  Unter  den 
örtlichen  Ursachen  sind  vorzugsweise  Erkältungen  zu  nennen.  —  Dia- 
gnose und  Sympto  m  e.  Bei  tiefliegenden  Knochen  ist  die  Periostitis 
von  der  Ostitis  nicht  zu  unterscheiden.  Bei  oberflächlich  liegenden 
Knochen  stellt  sich  ausser  einem  heftigen  Schmerze  und  Funktionsstörung 
Röthung  der  Haut  und  eine  teigige  Anschwellung  ein,  in  welcher  sich  all- 
snalig  eine  dunkle  Fluctuation  bemerklich  macht.  Dabei  fehlt  in  den 
höheren  Graden  niemals  Fieber  und  durch  die  heftigen  Schmerzen  ent- 
steht Schlaflosigkeit.  —  Behandlung.  Bei  der  acuten  Periostitis 
macht  sich  je  nach  der  Heftigkeit  der  Entzündung  eine  örtliche  und  all- 
gemeine antiphlogistische  Behandlung  nothwendig.  Das  beste  Mittel  ist 
ein  grosser  tiefer  durch  das  Periost  dringender  Einschnitt ;  er  erregt 
Blutung,  hebt  die  Spannung ,  wodurch  wie  auf  einen  Schlag  der  furcht- 
bare Schmerz  gelindert  wird ,  und  beugt  sicher  der  Eiterung  und  der 
Necrose  des  Knochens  vor.  Ist  die  Entzündung  gebrochen ,  so  wendet 
man  den  Mercur  innerlich  und  äusserlich  an.  —  Bei  chronischem 
Verlauf  der  Krankheit  zieht  man  antiphlogistische,  zertheilende,  die  Re- 
sorption befördernde  Mittel,  namentlich  das  Jodkali,  und  schliesslich  ab- 
leitende Mittel  in  Gebrauch ;  daneben  muss  selbstverständlich  den  beste- 
llenden Dyskrasien  gehörig  Rechnung  getragen  werden.  —  3)  Ent- 
zündung des  Knochenmarks  oder  der  Medullär m embr a n, 
O  s  t  e  o  m  y  e  1  i  t  i  s.  Die  Märkhaut  zeigt  anfangs  eine  dunkelrothe  Fär- 
bung und  sie  ist  consistenter  als  im  normalen  Zustande  ;  später  bemerkt 
man  einige  Tröpfchen  Eiter ,  bis  endlich  ein  Abscess  oder  eine  eiterige 
Infiltration  zu  Stande  kommt.  Gleichzeitig  mit  der  Entzündung  der  Me- 
dullarhaut  wird  auch  das  Periost ,  meist  genau  im  Umfang  der  innern 
Eiterung,  an  der  Aussenfläche  des  Knochens  abgelöst  und  endlich  wird 
auch  das  dazwischenliegende  Knochenstück  durch  Abschneidung  der  Blut- 
zufuhr in  Mitleidenschaft  gezogen  und  stirbt  nekrotisch  ab.  —  Die 
Osteomyelitis  verläuft  meist  sehr  rasch  und  endigt  sich  immer  in  Eite- 
rung, in  deren  Gefolge  Pyämie  eintritt.  —  Ursachen.  Diese  sind 
meist  mechanische  Verlezungen:  complicirte  Knochenbrüche,  mit  einwärts 
dringenden  Splittern,  Kugeln,  heftige  Quetschungen  und  Erschütterungen, 
Durchsägung  eines  Knochens  bei  Amputationen  etc.  —  Symptome. 
Diese  sind  sehr  dunkel  und  kommen  in  vielen  Stücken  mit  denen  der 
Ostitis  und  Periostitis  überein.  Die  Kranken  klagen  über  einen  fixen 
Schmerz  in  der  Tiefe  des  Gliedes  und  die  Weichtheile  in  der  Umgegend 
zeigen  eine  teigige  Anschwellung    in   mehr   oder  minder  grosser  Ausdeh- 


KNOCHENERWEICHUNG.  559 

nung,  je  nach  dem  Umfange  der  Entzündung.  —  Behandlun  g.  Sie 
ist  die  der  Ostitis  und  Periostitis.  Hat  man  Gewissheit  von  der  Anwe- 
senheit von  Eiter,  so  bleibt  nichts  übrig,  als  diesem  durch  die  Anwendung 
des  Trepans  einen  freien  Abfluss  zu  verschaffe».  Splitter  und  sonstige 
fremde  Körper  entfernt  man  möglichst. 

Knochenerweichung ,  Osteomalacia  (von  o<5itoi>  der 
Knochen  und  (jbOtXaxog,  weich),  besteht  in  einer  grösseren  Biegsamkeit 
der  Knochen  in  Folge  eines  Missverhältnisses  zwischen  den  knorpligen  und 
erdigen  Bestandteilen  des  Knochengewebes,  bei  dem  die  erstem  über  die 
leztern  überwiegen.  Dieses  Missverhältniss  kann  ebensowohl  durch  wider- 
natürliche Verminderung  des  Knochenerde,  wie  durch  abnorme  Bildung 
(Hypertrophie)  des  Knochenknorpels  hervorgebracht  'werden.  Das  erstere 
ist  wahrscheinlich  bei  der  Osteomalacie,  das  leztere  bei  der  Rhachitis  der 
Fall.  —  Wir  betrachten  diese  zwei  Formen  von  Knochenerweichung 
nach  einander  näher.  —  Osteomalacia,  Rhachitis  adultorum. 
Sie  besteht  in  einer  durch  Verminderung  der  erdigen  Bestandteile  erzeug- 
ten Knochenweichheit,  welche  bei  Erwachsenen  vorzugsweise  die  Knochen 
des  Rumpfs  befällt,  während  die  der  Extremitäten  und  des  Schädels  fast 
ganz  davon  verschont  bleiben.  Die  Textur  der  Knochen  wird  im  höch- 
sten Grade  schwammig,  die  ungemein  vergrösserten  Markräume  und  Ge- 
fässkanäle  sind  mit  einem  blutig-fettigen  Exsudat  gefüllt  und  der  ganze 
Knochen  daher ,  wenn  die  corticale  Substanz  bis  auf  eine  dünne  Schale 
geschwunden  und  von  der  spongiösen  nur  dürftige  Balkenneze  geblieben 
sind  ,  wie  Käse  leicht  zu  durchschneiden ,  weshalb  er  auch  auf  der  höch- 
sten Stufe  des  Krankheitsprocesses  nicht  nur  im  höchsten  Grade  brüchig-, 
sondern  wirklich  biegsam  ist.  —  Symptome.  Diese  sind  anfangs 
diejenigen  eines  heftigen  und  ausgebreiteten  Rheumatismus.  Es  stellen 
sich  sehr  heftige  Schmerzen  ein-,  die  bald  unter  der  Form  vorübergehen- 
der rheumatisch-gichtischer  Knochenschmerzen,  bald  aber  als  andauernde, 
bohrende  Schmerzen  sich  zu  erkennen  geben,  wobei  der  Kranke  sich  über 
eine  auffallende  Schwäche  beklagt,  die  demselben  um  so  unerträglicher 
ist,  als  sein  Appetit  und  seine  Verdauung  gut  sind.  Nach  Verlauf  einer 
gewissen  Zeit  treten  an  den  Knochen  Anschwellungen  auf,  die  vorzugs- 
weise  in  der  Gegend  der  Gelenkvorsprünge  ihren  Siz  zu  haben  pflegen. 
Der  Gang  des  Kranken  wird  unsicher,  wankend,  jede  Bewegung  schmerz- 
haft. Endlich  im  höchsten  Grade  des  Uebels  werden  die  Extremitäten- 
knochen durch  den  Muskelzug  verbogen,  die  Wirbelsäule  und  die  Becken- 
knochen durch  das  Gewicht  des  Rumpfs  und  Kopfs  verkrümmt,  das 
Becken  insbesondere  durch  das  Hervortreten  des  Promontoriums  und  das 
Znsammenrücken  der  Pfannengegenden  bis  zu  den  höchsten  Graden  ver- 
engt. Hiedurch  erfährt  die  Körperlänge  eine  oft  sehr  beträchtliche  Ver- 
ringerung. In  den  meisten  Fällen  bleiben  die  Zähne  und  auch  die  Kiefer 
von   der   Krankheit   verschont,    so   dass   das   Kauen   nicht   behindert   ist. 


560  KNOCHENERWEICHUNG. 

Früher  oder  später,  oft  allerdings  erst  nach  mehrjähriger  Dauer  der  Krank- 
heit erfolgt  der  Tod  durch  allgemeine  Entkräftung  oder  durch  mechani- 
sche Behinderung  der  Funktionen  wichtiger  Eingeweide.  —  Ursachen. 
Das  Leiden  tritt  im  Gefolge  lange  bestandener  chronischer  Uebel,  welche 
störend  auf  die  Ernährung  des  ganzen  Körpers  einwirkten ,  so  wie  bei 
Leuten,  die  in  kümmerlichen  Verhältnissen  lebten,  auf;  gewöhnlich  folgt 
es  auf  eine  acute  Krankheit.  Es  befällt  Erwachsene ,  vorzüglich  gern 
Frauen  (im  Gefolge  des  Kindbetts)  in  den  Blüthenjahren  und  von  da  bis 
in  das  Greisenalter.  —  Prognose.  Sie  ist  immer  höchst  ungünstig 
zu  stellen,  da  man  bis  jezt  noch  keine  Heilung  erzielt  hat.  —  Behand- 
lung. Es  kann  sich  nur  davon  handeln,  den  Eintritt  der  Erweichung  zu 
verhindern,  indem  man  z.  B.  bei  bestehender  Periostitis,  diese  durch  anti- 
phlogistische und  antidyscrasische  Mittel  behandelt.  Hat  sich  die  Krank- 
heit entwickelt,  so  empfiehlt  man  Tonica,  Kochsalz,  Sublimat.  In  jedem 
Falle  wird  es  gerathen  sein,  die  veranlassenden  Momente  zu  berücksich- 
tigen und  nach  deren  Beseitigung  solche  Mittel  zu  versuchen,  deren  spe- 
cifische  Einwirkung  auf  das  Knochensystem  bekannt  sind.  —  2)  Rha- 
c  h  i  t  i  s  (J>u%ig  ,  Rückgrat)  englische  Krankheit,  Rhachitis 
juvenilis.  Diese  ist  eine  dem  Kindsalter  eigenthümliche  ,  in  Hyper- 
trophie des  Knochenknorpels  bestehende  Knochenweichheit,  welche  sich 
in  der  Regel  zunächst  (gewöhnlich  im  zweiten  Lebensjahre)  in  den  untern 
Extremitäten  entwickelt  und  von  hier  allmälig  aufwärts  auf  das  Becken, 
die  Wirbelsäule,  den  Brustkorb  und  selbst  auf  den  Schädel  fortschreitet ; 
doch  befällt  sie  auch  bisweilen  nur  einzelne  Abschnitte  des  Skeletts  vor- 
zugsweise, während  die  übrigen  nicht  oder  nur  wenig  erkranken.  —  Die 
Veränderungen,  welche  in  den  erkrankten  Knochen  vor  sich  gehen ,  sind 
nach  den  verschiedenen  Perioden  der  Krankheit  verschieden.  Im  Beginn 
derselben  findet  man  zwischen  dem  Periost  und  dem  Knochen  im  Mark- 
kanale,  in  den  Zellen  der  spongiösen  Knochensubstanz,  besonders  aber  an 
den  gefässreichsten  Theilen  des  Knochens  ein  wässeriges,  blutiges,  selten 
eiteriges  Exsudat.  Später  erfährt  dieses  Exsudat  eine  Umwandlung  in 
Bindegewebe,  Knorpel,  selbst  poröse  Knochensubstanz  ;  auch  der  normale 
Knochen  wird  sehr  schnell  porös  ,  wodurch  zu  Infractionen  und  Knochen- 
brüchen innerhalb  des  unversehrten  Periosts  ,  seltener  zu  Verbiegungen 
der  Knochen  Veranlassung  gegeben  wird.  In  den  Epiphysen  dagegen 
bleibt  eine  wahre  Biegsamkeit  bestehen,  indem  die  Ablagerung  von  Kalk- 
palz  in  dieselben  unterbleibt.  Dies  wird  namentlich  auch  an  den  Schädel- 
knochen beobachtet  und  dadurch  der  von  E 1  s  ä  s  s  e  r  beschriebene  weiche 
Hinterkopf  bedingt.  In  diese  Zeit  der  Krankheit  fallen  die  verschie- 
denartigsten Missgestaltungen  des  Skeletts  (besonders  der  Beine,  des 
Beckens  und  des  Brustkorbs).  Endlich  erhalten  die  Knochen  durch  Ver- 
knöcherung des  die  Maschen  des  Knochengewebes  ausfüllenden  Exsudats 
eine  Festigkeit,  die  selbst  die  normale  übertrifft,  auch  die  biegsamen  Epi- 
physenknorpel  verknöchern  und  die  Fracturen  heilen  durch  festen  Callus. 


KNOCHENERWEICHUNG.  561 

—  Ueber  das  Wesen  der  Rhaehitis  sind  die  Ansichten  verschieden.  Das 
scheint  festzustehen ,  dass  es  ein  Mangel  an  Kalksalzen  ist ,  welcher  die 
Krankheit  bedingt ;  ob  dieser  aber  durch  eine  vermehrte  Ausscheidung 
dieser  Salze  durch  den  Harn  (es  haben  nämlich  Untersuchungen  heraus- 
gestellt, dass  sich  in  dem  Harne  rhachitischer  Kinder  viel  mehr  phosphor- 
saurer Kalk  findet,  als  im  normalen  Kinderharne),  oder  durch  eine  ver- 
minderte Zufuhr  derselben  durch  die  Nahrungsmittel  herbeigeführt  wird, 
ist  noch  nicht  dargethan.  —  Symptome  und  Verlauf.  Die  Krank- 
heit kündigt  sich  durch  Traurigkeit ,  Mattigkeit ,  Abneigung  gegen  alle 
Bewegungen,  Verachtung  der  gewohnten  Spiele  an.  Kinder,  welche  be- 
reits gehen  gelernt  haben,  bekommen  einen  langsamen,  unsichern  Gang 
und  ermüden  leicht,  es  stellen  sich  Schmerzen  in  den  Gelenken  ein;  das 
Gesicht  ist  blass,  die  Haut  fast  immer  feucht  und  oft  treten  Fieberbewe- 
gungen  auf;  der  Appetit  ist  zuweilen  schlecht,  der  Durst  gross  und  meist 
Diarrhöe  zugegen.  Der  gelassene  Urin  zeigt  einen  reichen  Bodensaz. 
Die  Hautbedeckungen  des  Kopfs  und  Gesichts  schwellen  an,  so  dass  dus 
Ansehen  eines  Wasserkopfs  entsteht  ;  die  Fontanellen  sind  offen.  Zu- 
weilen ,  jedoch  seltener ,  ist  der  Kopf  kleiner  als  er  sein  sollte.  Die 
Kranken  magern  ab  ,  wodurch  vor  Allem  der  grosse  Umfang  des  Unter- 
leibs auffällt,  welcher  zugleich  hart  anzufühlen  ist.  Das  Knochensystem 
nimmt  schon  insofern  Antheil  an  der  sich  ausbildenden  Krankheit ,  als 
vorzüglich  an  den  Sternalenden  der  Rippen  und  den  Epiphysen  der  langen 
Knochen  Anschwellungen  entstehen.  Bei  dem  fortschreitenden  Erwei- 
chungsprocess  der  Knochensubstanz  erreicht  die  Auftreibung  der  Epi- 
physen, besonders  der  Hände  und  Füsse ,  eine  solche  Ausdehnung ,  dass 
sie  gleichsam  doppelt  vorhanden  zu  sein  scheinen ,  daher  der  Ausdruck 
Zwei  wuchs.  Mit  diesen  Anschwellungen  stellen  sich  Verbiegungen 
und  Verdrehungen  der  mannigfaltigsten  Art,  oft  zahlreiche  Fracturen  oder 
Infractionen  ein.  Ist  die  Rhaehitis  auf  einzelne  Knochen,  besonders  auf 
die  der  untern  Extremitäten  beschränkt ,  so  kann  die  Verkrümmung  der- 
selben sich  entwickeln  ohne  Vorboten  und  Störungen  des  Allgemeinbe- 
findens. —  Mit  der  physischen  Hinfälligkeit  rhachitischer  Kinder  im 
Widerspruch  steht  eine  gewisse  Schärfe  des  Versstandes  und  der  Sinnes- 
werkzeuge ;  solche  Kinder  haben  meistens  einen  grossen  Kopf;  zuweilen 
besteht  aber  auch  ein  Wasserkopf,  in  welchem  Falle  die  Kinder  stupid 
sind.  —  Neben  diesen  im  Knochensystem  sich  kund  gebenden  Erschei- 
nungen dauern  die  Störungen  des  Allgemeinbefindens  fort,  die  Ernährung 
sinkt  immer  tiefer  und  die  Kranken  gehen  allmälig  abzehrend,  zuweilen 
wassersüchtig  zu  Grunde.  Andere  Male  aber  hebt  sich ,  nach  kürzerer 
oder  längerer  Dauer  der  Krankheit,  die  Verdauung  wieder,  die  Ernährung 
wird  besser ,  die  ganze  Ausbildung  des  Körpers  schreitet  vorwärts  ,  die 
Muskeln  erhalten  ihre  Kraft,  die  Knochen  ihre  gehörige  Festigkeit ;  auch 
die  Verkrümmungen  und  Anschwellungen  der  Gelenkenden  können 
schwinden.  —  Ursachen.  Die  Zeit  des  Auftretens  der  Rhaehitis 
Bürger,  Chirurgie:  36 


562  KNOCHENGESCHWÜELSTE.  EXOSTOSEN. 

fällt  fast  immer  mit  der  ersten  ©der  zweiten  Dentition  zusammen.  Man 
siebt  sie  besonders  in  kalten,  feuchten,  sonnenlosen  und  neuen  Wohnun- 
gen, in  feuchten  und  sumpfigen  Gegenden  ,  in  eingeschlossenen  Thälern, 
bei  unzureichender  oder  schwerverdaulicher  Kost ,  Unreinlichkeit  entste- 
hen. Nicht  selten  tritt  sie  zur  Zeit  des  Entwöhnens  der  Kinder  in  Folge 
des  Uebergangs  zu  grober  vegetabilischer  Nahrung  auf.  In  vielen  Fällen 
ist  sie  durch  erbliche  Anlage  bedingt.  —  Prognose.  Sie  richtet  sich 
darnach ,  ob  das  Leiden  erst  in  der  Entwicklung  begriffen ,  oder  schon 
vollkommen  ausgebildet  ist.  Nur  die  sich  erst  entwickelnde  Krankheit 
ist  völlig  heilbar,  höhere  Grade  derselben  ,  wenn  sie  auch  selbst  erlischt, 
lassen  Verunstaltungen  des  Körpers  zurück,  welche  grösstentheils  unheil- 
bar sind,  oder  schreitet  sie  immer  weiter  vorwärts,  dann  sterben  die  Kinder 
an  allgemeiner  Abzehrung.  Um  das  siebente  Lebensjahr  oder  um  die 
Zeit  der  Pubertät  hört  das  Weiterschreiten  der  Bhachitis  gewöhnlich  von 
selbst  auf.  —  Behandlung.  Diese  zerfällt  in  eine  diätetisch-phar- 
maceutische  und  in  eine  mechanische.  In  ersterer  Hinsicht  sorgt  man 
für  eine  leicht  verdauliche,  nahrhafte  Kost,  gute  Milch,  Fleischbrühe  etc. 
in  massiger  Menge  und  öfters  gereicht ;  dann  Aufenthalt  und  Bewegung 
in  freier  Luft  an  sonnigen  ,  trockenen  Orten  ;  eine  trockene ,  wärmende 
Kleidung.  Daneben  reicht  man  innerlich  roborirende ,  tonische  Mittel, 
anfänglich  Rad.  calami  aromatici,  Cortex  cascarillae, 
Eichelkaffee  etc.,  später  die  China  und  selbst  Eisenmittel.  Ausserdem 
empfiehlt  man  phosphorsauren  Kalk  (weiss  gebrannte  gepulverte  Knochen- 
erde) und  Leberthran.  Mit  diesen  inneren  Mitteln  verbindet  man  Einrei- 
bungen des  ganzen  Körpers  mit  warmem  Wein,  Spiritus  s  e  r  p  y  1 1  i  etc. 
Frictionen  mittels  gewärmter  oder  mit  Mastix,  Bernstein  durchräucherter 
Flanelle  und  stärkende,  besonders  aber  Salzbäder.  —  Die  mechanische 
Behandlung  betreffend,  so  wendet  man,  so  lange  die  Knochen  noch  nicht 
fest  sind ,  nach  Bedürfniss  Schienen  oder  permanent  wirkende  Maschinen 
an.  Sind  aber  die  eingeknickten  oder  verkrümmten  Knochen  bereits 
durch  Callusbildung  oder  Sclerose  übermässig  fest  geworden,  so  kann  von 
blossen  Verbänden  etc.  nichts  mehr  erwartet ,  sondern  die  Behandlung 
muss  ähnlich  wie  bei  schlecht  geheilten  Knochenbrüchen  eingerichtet, 
d.  h.  wo  es  die  Verhältnisse  der  Verkrümmung  gestatten ,  der  deforme 
Knochen  zerbrochen  oder  derselbe  durchschnitten  oder  ein  Stück  aus  ihm 
herausgesägt  werden.      S.'Knochenbruc h. 

KnOChengeSCllWÜlste ,    Tu  mores   o'ssium.       An   und   in 

den  Knochen  können  sich  Geschwülste  von  sehr  verschiedener  Natur  er- 
zeugen und  zwar  bestehen  sie  entweder  aus  unvermisehtem  Knochenge- 
webe ,  gutartige  Knochengeschwülste ,  oder  sie  sind  aus  andern  zum 
Theil  verknöcherten  Geweben  construirt,  bösartige  Knochengeschwülste. 
Man  unterscheidet  folgende  Arten  von  Knochengeschwülsten  : 

1 .    K  n  o  c  h  e  n  g-  e  w  ä  c  h  s  ,   Exostosis.      Hierunter  versteht  man 


KNOCHENGESCHWUELSTE.  EXOSTOSEN.  563 

dasjenige  Neugebilde,  welches  in  und  an  Knochen  sich  bildet  und  wesent- 
lich aus  wahrem  Knochengewebe  mit  den  mikroscopischen  Körperchen 
und  Kanälen  besteht.  Diese  Gewächse  gehen  bald  von  der  Beinhaut  und 
der  Oberfläche  des  Knochens  aus ,  bald  bilden  sie  sich  in  der  Knochen- 
substanz selbst  oder  im  Innern  der  Knochenröhre.  Je  nach  diesem  ver- 
schiedenen Size  wachsen  die  Geschwülste  nun  entweder  nach  aussen,  oder 
die  neugebildete  Knochengeschwulst  befindet  sich  im  Innern  der  Knochen- 
substanz oder  sie  ragt  in  die  Markhöhle  hinein,  wobei  bei  Röhrenknochen 
die  Markhöhle  meist  mehr  oder  weniger  beeinträchtigt  wird.  Ist  der 
Knochen  in  seinem  ganzen  Umfange  verdickt ,  so  bezeichnet  man  dieses 
mit  dem  Namen  Hyperostosis;  geht  die  Verdickung  ringförmig  um 
einen  Röhrenknochen,  so  nennt  man  dies  Periostosis;  eine  unregelmäs- 
sige Hervorragung  eines  Knochens  bezeichnet  man  näher  als  Exostosis, 
und  zwar  unterscheidet  man  Exostosis  externa  und  interna,  je 
nachdem  sich  der  Auswuchs  nach  aussen  oder  innen  befindet ;  häufig 
nennt  man  das  Erstere  auch  einfach  Exostosis,  das  Leztere  E  n  o  s  t  o- 
sis.  Mit  lezterem  Namen  bezeichnet  man  aber  auch  Knochengeschwulste, 
welche  in  von  Knochen  umgrenzte  Höhlen  hineinwachsen,  wie  z.B.  in  die 
Schädelhöhle,  in  das  Becken  etc.  Eine  über  den  Knochen  hingegossene 
Knochenschicht  heisst  Osteophyt.  —  Die  Knochengeschwülste  zeigen 
bald  ein  dichtes,  compactes,  zuweilen  elfenbeinartiges  Gewebe  und  Blut- 
gefässe, bald  sind  sie  mehr  schwammiger  Natur  und  blutreich.  Sie  kommen 
im  Baue  mit  dem  normalen  Knochen  überein  ,  nur  sind  die  Gef  ässkanäl- 
chen  und  Knochenkörperchen  in  geringerer  Anzahl  und  in  viel  weniger 
regelmässiger  Anordnung  vorhanden ,  als  im  normalen  Knochen ,  auch 
finden  sich  Verschiedenheiten  in  den  Verhältnissen  der  organischen  und 
unorganischen  Bestandteile ;  der  kohlensaure  Kalk  ist  vermehrt ,  der 
phosphorsaure  vermindert.  Ebenso  geht  die  Entwicklung  der  Knochen- 
.geschwülste  ganz  in  derselben  Weise  vor  sich,  wie  diejenige  des  normalen 
Knochengewebes  und  des  Callus.  Ein  flüssiges  Proteinhaltiges  Exsudat 
wandelt  sich  zuerst  in  Knorpel-  und  dann  in  Knochensubstanz  um.  Dieser 
Process  geht  bald  langsam,  bald  schnell,  zuweilen  auch  nur  unvollständig 
vor  sich ,  so  dass  die  Geschwulst  bald  lange  weich  und  knorpelig  bleibt, 
bald  rasch  verknöchert ;  zuweilen  findet  nur  eine  theilweise  Verknöche- 
rung statt.  —  Die  Knochenauswüchse  kommen  an  allen  Knochen  vor, 
besonders  häufig  beobachtet  man  sie  an  den  Schädel- ,  Gesichts-  und 
Beckenknochen,  so  wie  an  den  Röhrenknochen  der  Extremitäten  und  zwar 
häufiger  an  denen  der  untern,  als  der  obern  Extremität  und  häufiger  an  den 
Epiphysen,  als  an  den  Diaphysen.  —  Symptome.  Meist  sind  die  be- 
deckenden Weichtheile  unversehrt  und  erst  bei  grosser  Spannung  der- 
selben treten  Schmerzen  auf.  Bisweilen  erkranken  die  Exostosen  und 
werden  cariös  oder  nekrotisch ,  wodurch  vollständige  Heilung  erfolgen 
kann.  Sie  sezen  sich  gern  auf  benachbarte,  selbst  nicht  unmittelbar  mit 
einander    verbundene   Knochen    fort.       Durch    ihre    Grösse    können    sie 

36* 


564  KNOCHENGESOHWUELSTE.   FTBROIDE. 

mancherlei  Besehwerden  verursachen  ,  und  in  Höhlen  hineinragend  durch 
Compression  der  in  diesen  gelegenen  Organe  nachtheilig  werden.  — 
Ursachen.  Der  Entstehung  der  Exostose  liegt  wohl  weniger  oft 
eine  chronische  Ostitis  oder  Periostitis  als  eine  Blutstase  zu  Grunde ; 
Gelegenheitsursachen  sind  entweder  äussere  Verlezungen,  wie  Quetschun- 
gen, Erschütterungen  etc.  oder  innere  Krankheiten,  namentlich  Syphilis, 
Gicht ,  Scropheln  oder  Scorbut.  Zuweilen  besteht  eine  so  auffallende 
Prädisposition  zu  Knochenneubildung ,  dass  sehr  unbedeutende  äussere 
Gewalttätigkeiten  zur  Bildung  von  Exostosen  hinreichen.  Eine  grosse 
Neigung  zur  Bildung  von  Knochenauswüchsen  findet  sich  bei  Schwangern 
und  Wöchnerinnen  (puerperale  Exostose)  an  der  innern  Fläche  der  Schä- 
delknochen. Die  Osteopbyten  nehmen  dagegen  ihren  Ursprung 
immer  aus  einer  Knochen-  oder  Knochenhautentzündung  und  zwar  ge- 
wöhnlich aus  einer  reactiven,  in  der  Umgebung  von  Krankheitsherden  im 
Knochen  (Caries,  Nekrose,  Tuberkel,  Krebs  etc.)  entstehenden.  —  B  e- 
handlung.  Bei  entstehenden  Knochengewächsen  kann  man  die  Zer- 
theilung  versuchen  durch  Blutegel,  kalte  Fomente,  die  innere  und  äussere 
Anwendung  von  Mercur  und  Jod.  In  der  Regel  wird  aber  nur  dann  von 
dieser  Behandlung  ein  Erfolg  zu  erwarten  sein ,  wenn  es  sich  um  ein  in 
der  Bildung  begriffenes  Osteophyt  und  nicht  um  eine  Exostose  handelt, 
insofern  ersteres  aus  einer  Entzündung  sich  entwickelt,  mit  deren  Tilgung 
auch  die  Beseitigung  ihres  Products  zu  hoffen  steht.  Bei  heftigen 
Schmerzen  macht  man  Einreibungen  von  Quecksilbersalbe  mit  Opium, 
erweichende  Umschläge  mit  Opium  etc.  Gegen  die  etwa  zu  Grunde  lie- 
genden dyscrasischen  Krankheiten  müssen  die  geeigneten  Mittel  ange- 
wendet werden.  —  Wenn  ein  ausgebildetes  Knochengewächs  keine  Be- 
schwerden verursacht,  so  überlässt  man  es  sich  selbst ;  ist  dies  nicht  der 
Fall ,  so  muss  es,  wenn  es  sein  Siz  erlaubt,  auf  blutigem  Wege  entfernt 
werden.  Zu  diesem  Behufe  legt  man  es ,  je  nach  seiner  Grösse ,  durch 
einen  einfachen  oder  einen  Kreuzschnitt  oder  zwei  elliptische  Schnitte 
bloss  und  nimmt  es  mit  einer  passenden  Säge  oder  dem  Meissel  und 
Hammer  weg.  Grössere  Geschwülste  entfernt  man  stückweise ,  indem 
man  auf  horizontale  Sägeschnitte  verticale  fallen  lässt.  Die  Wunde  verei- 
nigt man,  wenn  es  angeht,  per  prima m  intentionem.  Unter  Um- 
ständen kann  die  Resection,  Amputation  oder  Exartieulation  noth wendig 
werden. 

2 '.  Knorpelgeschwulst,  Enchondroma.  Von  dieser 
gutartigen  Neubildung  war  schon  in  dem  Art.  Enchondroma  die 
Rede. 

3.  Fasergesch  wülste,  Fibroide  und  Sarkome  (O  s  t  e  o- 
sarcome).  Diese  wurzeln  in  der  Tiefe  und  an  der  Oberfläche  des 
Knochens,  besonders  in  den  schwammigen  Knochen,  in  den  Gelenkenden 
der  Röhrenknochen,  in  den  AVirbeln,  den  Schädel-  und  Beckenknochen, 
im  Unterkiefer   und   in   den  Phalangen    der  Finger.      Die    an   der   Ober- 


KNOCHENGEÖCIIWUELSTE.  KNOCHENCYSTEN.         565 

fläche  der  Knochen  auftretenden  «teilen  sich  als  umgrenzte  Auswüchse, 
Wucherungen  des  Periosts  dar,  wovon  die  fibröse  Epulis  ein  Beispiel  ab- 
giebt.  Diese  Afterbildungen  verdrängen  und  atrophiren  den  Knochen 
durch  Druck  und  dehnen  ihn  bisweilen  zu  einer  mehr  oder  weniger  voll- 
ständigen Kapsel  ans.  In  der  Umgegend  findet  sich  bisweilen  in  Folge 
von  Entzündung  Osteophytbildung  und  Sclerose ;  in  der  Geschwulst  selbst 
aber  entwickelt  sich  nicht  selten  eine  Knochenneubildung  in  Gestalt  dorn- 
ähnlicher und  blätteriger,  das  Gewebe  des  Fibroids  durchziehender  Massen. 
Wird  die  Knochenschale  durchbrochen,  so  wächst  die  Geschwulst  nach  den 
Weichtheilen  zu  fort  und  kann  Entzündung ,  Brand  und  Ulceration  der- 
selben verursachen.  —  Die  Behandlung  der  Fasergeschwülste  der 
Knochen  kann  nur  in  der  Exstirpation  derselben  bestehen.  Die  umge- 
bende Knochenkapsel  wird  geöffnet  und  das  Neugebilde  mit  hebel-  oder 
zangenartigen  Instrumenten  herausbefördert.  Die  nachfolgende  Anwen- 
dung des  Glüheisens  beugt  etwaigen  Recidiven  vor. 

4.  Kn  o  ch  e  n  cy  s  t  e  n.  Im  Knochengewebe  sind  Cysten  eine  sehr 
seltene  Erscheinung;  doch  wurden  schon  einfache  Cysten,  das  zusammen- 
gesezte  Cystoid  und  der  Acephaloeystenbalg  beobachtet.  Sie  können 
in  allen  Knochen  vorkommen ,  wurden  am  meisten  in  den  Knochen  des 
Gesichts,  im  Femur ,  in  den  Beckenknochen  angetroffen.  Sie  sizen  bis- 
weilen zwischen  dem  Knochen  und  seinem  Periost ,  meist  jedoch  im  Ge- 
webe des  Knochen  selbst.  Der  Inhalt  dieser  Cysten  ist  bald  flüssig,  bald 
fest,  sogar  knöchern  ;  meist  bildet  er  eine  faserig-zellige  Masse ,  oder  ist 
aus  Flüssigkeit  und  festen  Massen  gemischt ,  zuweilen  auch  schleimig, 
fettig,  eiterartig,  gallertartig ;  auch  Zähne  hat  man  in  ihnen  gefunden. 
Rokitansky  hat  ein  eingebalgtes  Cholesteatom  beobachtet.  Im  In- 
nern sind  die  Cysten  manchmal  in  mehrere  Fächer  abgetheilt;  auch  findet 
man  sie  mit  Knochennadeln  durchsezt.  Die  Grösse  der  Knochencysten 
wechselt  von  der  einer  Flintenkugel  bis  zu  der  einer  Faust  und  darüber. 
Sie  wachsen  meist  langsam,  bisweilen  aber  auch  auffallend  schnell ;  auch 
können  sie  Jahre  lang  stationär  bleiben.  Symptome  und  Diagnose. 
Die  Knochencysten  sind  im  Anfange  wenig  oder  gar  nicht  schmerzhaft. 
Die  allmälig  wachsende  unbewegliche  Geschwulst  lässt,  wenn  sie  eine  ge- 
wisse Grösse  erreicht  hat,  auf  einen  Druck  mit  der  Hand  eine  Nachgiebig- 
keit und  ein  eigenthümliches  Geräusch,  ein  Knittern,  ähnlich  dem,  welches 
das  Zusammendrücken  von  trockenem  Pergament  ergiebt,  vernehmen.  Die 
bedeckenden  Weichtheile  bleiben  über  diesen  Cysten  immer  verschiebbar. 
Kommt  es  bei  der  weitem  Entwicklung  der  Geschwulst  zu  einem  völligen 
Schwinden  der  Knochenschale ,  so  treibt  die  frei  gewordene  Flüssigkeit 
das  Periost  und  die  Weichtheile  vor  sich  her,  wodurch  eine  fluctuirende 
Geschwulst  entsteht ,  an  deren  Umfang  ein  Knochenring  zu  fühlen  ist. 
Anderweitige  Symptome  ergeben  sich  aus  der  Lage  der  Cysten ,  die  er- 
krankten Knochen  können  brechen  etc.  —  Mittels  des  Probetroicart  er- 
forscht man  den  Inhalt  der  Cyste.  —   Der  entleerte  flüssige  Cysteninhalt 


566  KNOCHENGESCHWUELSTE.   ANEURYSMEN. 

ersezt  sich  immer  bald  wieder ,  indessen  können  die  Cystenwandungen 
nach  der  Entleerung  auch  ällmälig  zusammensinken  und  unter  nachfolgen- 
der Eiterung  eine  vollständige  Verwachsung  der  Cysten  wände  eintreten. 
—  Prognose.  Sie  hängt  hauptsächlich  davon  ab,  ob  die  Cyste  ein- 
fach oder  mit  Krebs  etc.  combinirt  ist ;  im  lezteren  Falle  ist  sie  selbst- 
verständlich nicht  günstig ,  während  sie  im  ersteren  Falle  nichts  Bedenk- 
liches hat ;  allerdings  kommt  dabei  auch  der  Siz  der  Cyste ,  so  wie  ihre 
Abtheilung  in  mehrere  Fächer  in  Betracht ,  insofern  es  schwer  hält ,  die 
einzelnen  Hohlräume  zu  entleeren.  —  Behandlung.  Nach  Dupuy- 
tren soll  man  sich  zuerst  durch  eine  Probepunktion  über  den  Inhalt  der 
Cyste  Gewissheit  verschaffen;  hierauf  wird  über  den  nachgiebigsten Theil 
der  Geschwulst  ein  Einschnitt  gemacht  und  ,  wenn  dieser  zur  Entleerung 
der  Cyste  nicht  ausreicht,  die  Cystenwand  mit  dem  Messer,  der  Säge  oder 
einer  Trepankrone  ergiebig  excidirt.  Nach  Umständen  bringt  man  nun 
entweder  Charpiebäuschchen  in  die  Höhle  oder  macht  reizende  Einsprizun- 
gen,  um  Eiterung  oder  Zerstörung  der  innern  Cystenwand  zu  bewirken. 
Beim  Wechseln  des  Verbandes  muss  die  Cyste  sorgfältig  ausgesprizt 
werden,  um  jeder  ärgeren  Ansammlung  von  Eiter  vorzubeugen;  Dupuy- 
tren bringt,  um  diesem  besser  genügen  zu  können,  an  dem  abhängigsten 
Theile  der  Cyste  eine  Gegenöffnung  an  und  zieht  ein  Haarseil  durch. 
Gewöhnlich  sinkt  unter  dieser  Behandlung  die  Cystenwand  zusammen, 
was  man  durch  Compressivverbände  beschleunigen  kann.  —  Hydatiden 
in  den  Cysten  zerstört  man  durch  Aezmittel,  welche  man  mit  Charpie  ein- 
bringt, oder  durch  das  Glüheisen.  Unter  Umständen  kann  die  partielle 
Resection  des  Knochens  und  selbst  die  Amputation  nöthig  werden. 

5 .  Knochenaneurysma,  pulsirenüe  Knochen ge- 
schwulst,  Aneurysma  ossium,  Osteo-aneurysma.  Das 
Knochenaneurysma  stellt  eine  Geschwulst  dar,  welche  in  der  Erweiterung 
des  in  den  Knochen  eingehenden  arteriellen  und  venösen  Capillargefäss- 
systems  besteht  und  eine  Erweiterung  der  Markkanälehen  und  Zellen  der 
Knochensubstanz ,  Aufblähung  und  endlich  durch  den  Druck  Aufsaugung 
des  Knochens  bedingt.  —  Dieses  Leiden  ist  selten ,  kommt  vorzugsweise 
in  den  Epiphysen  der  Röhrenknochen ,  besonders  in  dem  obern  Gelenk- 
ende  der  Tibia  vor.  —  Symptome.  Es  besteht  ein  mehr  oder  weniger 
heftiger  Schmerz  an  der  Stelle  des  Leidens  ,  woselbst  sich  nach  kürzerer 
oder  längerer  Zeit  eine  Geschwulst  bemerklich  macht,  die  ällmälig  einen 
bedeutenden  Umfang  erreicht  und  über  welcher  sich  die  Haut  nach  und 
nach  röthet,  verdünnt  und  mit  erweiterten  Venen  durchzogen  zeigt.  Die 
Geschwulst  ist  rundlich,  an  einzelnen  Stellen  fluctuirend,  an  anderen  mehr 
fest,  da  und  dort  auf  Druck  ein  knisterndes  Geräusch  zeigend.  Sie  pul- 
sirt,  und  die  Pulsationen  hören  auf,  wenn  man  den  zuführenden  Arterien- 
stamm comprimirt ;  die  Auscultation  ergiebt  sehr  deutlich  Blasebalgge- 
räusch. Dabei  stellen  sich  durchfahrende  Schmerzen  ein,  das  Glied  wird 
halbgebeugt  und  steif  und  verliert  an  Kraft.    —  Die  Ursachen  schei- 


KNOCHENGBSCHWÜELSTE.    —    KREBSi  567 

neu  äussere  Gewalttätigkeiten,  Stoss,  Schlag  etc.  zu  sein.  —  Die  Pro- 
gnose ist  höchst  bedenklich ,  da  das  Leiden  nur  durch  eine  lebensge- 
fährliche Operation  zu  beseitigen  ist ,  auf  welche  überdies  oft  Recidive 
eintreten.  Wo  eine  Operation  nicht  ausführbar  ist ,  ist  das  Knochen- 
aneurysma  unbedingt  tödtlich.  —  Behandlung.  Diese  besteht  ent- 
weder in  der  Unterbindung  des  zuführenden  Arterienstamms,  oder  in  der 
gänzlichen  Entfernung  des  erkrankten  Knochenstücks  durch  Resection 
oder  Amputation. 

6 .  K  n  o  c  h  e  u  k  r  e  b  s  ,  Osteo  Carcinoma.  Die  Knochen  kön- 
nen primär  oder  secundär  durch  Umsichgreifen  benachbarter  Krebsent- 
artungen oder  durch  bestehende  Krebsdyscrasie ,  vom  Krebse ,  besonders 
vom  Markschwamme  befallen  werden.  Bisweilen  findet  sich  derselbe  ver- 
einzelt, nur  in  einem  oder  mehreren  Knochen,  bald  aber  mit  Krebsen  an- 
derer Organe  combinirt  vor.  Der  Knochenkrebs  tritt  zwar  in  früheren 
Lebensaltern,  doch  häufiger  in  den  reiferen  Jahren  auf.  Der  Ausgangs- 
punkt des  Krebses  ist  bald  das  Periost ,  bald  die  gef  ässreiche  spongiöse 
Substanz.  Der  peripherische  Knochenkrebs  zeigt  in  seiner  Nähe  die  ver- 
schiedensten Formen  der  Osteophyten ;  mehr  in  der  Tiefe  ist  der  Knochen 
sclerosirt ,  oft  elfenbeinartig.  Der  in  der  Knochensubstanz  selbst  auf- 
tretende Krebs  dagegen  macht  den  Knochen  osteoporotisch ,  während  die 
Corticalsubstanz  bis  aufs  Aeusserste  verdünnt  wird.  Durch  Verjauchung 
der  Krebsmasse  kommt  Caries  und  Necrose  zu  Stande.  —  Bei  länger  be- 
stehendem Krebse  zeigt  das  ganze  Knochensystem  eine  grössere  Brüchig- 
keit durch  fortschreitende  Osteoporose  mit  Verdünnung  der  Corticalschich- 
ten.  —  Der  Knochenkrebs  kann  als  Alveolar-  oder  Colloidkrebs, 
als  Faserkrebs,  M  e  d  u  1 1  a  r  k  r  e  b  s  oder  Ostoid  auftreten.  —  Der 
Colloidkrebs  (s.  C  o  1 1  o  i  d)  ist  selten  und  bildet  kugelige,  oft  einen 
bedeutenden  Umfang  erreichende  Geschwülste ,  deren  Oberfläche  drusig, 
höckerig  und  prall  anzufühlen  ist.  Die  einzelnen  Knollen  zeigen  eine 
verschiedene  Grösse  und  Consistenz  ,  welch  leztere  von  der  Umwandlung 
des  Colloids  in  eine  synovialartige  oder  mehr  flüssige  Masse  bedingt  ist. 
An  den  Wänden  der  einzelnen  Alveolen  findet  man  bisweilen  Blättchen 
und  Stränge  von  neugebildeter  Knochenmasse.  Die  aus  dem  Knochen 
hervorwachsenden  Colloidgeschwülste  sind  bald  nur  von  einer  Binde- 
gewebshülle ,  bald  von  einer  Knochenschale  umgeben.  —  Der  Faser- 
krebs oder  Scirrhus  kommt  an  den  Knochen  selten  vor.  Er  entwik- 
kelt  sich  besonders  in  den  Schädel- ,  Gesichts-  und  langen  Knochen  vor- 
zugsweise alter  Leute  als  verschieden  grosser  rundlicher  oder  höckeriger, 
gelappter  Knoten  aus  der  Markhöhle,  aus  dem  Knochengewebe  selbst  oder 
vom  Periost ,  verdrängt  oder  atrophirt  das  Knochengewebe  oder  drängt 
dasselbe  zu  einem  faserig-blätterigen  Filze  auseinander  und  erhält  bis- 
weilen durch  Bildung  einer  Knochensubstanz  in  seinen  Faserzügen  ein 
knöchernes  Gerüste.  —  Der  Zellen-  oder  Medullarkrebs  (M a r k - 
schwamm,  Fungus)   ist   die   am  häufigsten  vorkommende  Form  von 


568  KNOCHENGBSCHWUELSTE.  -  -  TUBERKEL. 

Knochenkrebs.  Er  tritt  auf:  als  Infiltration  einer  weissen  oder 
röthlichgrauen ,  flüssigem  oder  festern ,  encephaloiden ,  speckigen  oder 
knorpeligen  Masse  und  zwar  besonders  in  den  kleineren  schwammigen 
Knochen  ;  als  unscheinbarer  K  n  o  t  e  n  ,  welcher  den  Knochen  zu  einer 
dünnen  Schale  ausdehnt  oder  zu  einem  zartblätterigen  Filze  auseinander  - 
drängt  oder  vollständigen  Schwund  desselben  bedingt.  Die  Basis  eines 
solchen  Krebses  hat  nicht  selten  ein  strählig  blätteriges  Gerüste.  Er 
tritt  besonders  in  den  Gelenkenden,  in  langen  Knochen  und  in  den  Schä- 
del -  und  Beckenknochen  auf.  —  Der  Markschwamm  der  Knochen  hat 
eine  ganz  besondere  Neigung  zu  Hämorrhagien  und  ist  nicht  selten  über- 
aus gef  äss-  und  blutreich  (F  u  n  g  u  s  h  a  e  m  a  t  o  d  e  s).  —  Die  Osteoid- 
ge  schwulst,  der  o  s  s  i  f  i  c  i  r  e  n  de  Schwamm  Müll  er 's  ist  ein 
Aftergebilde,  welches  sich  sowohl  an  den  Knochen  (aus  der  Beinhaut  wie 
aus  dem  Knochen  selbst)  als  auch  in  den  Weich  theilerr  entwickelt.  S. 
Krebs.  —  Symptome  und  Diagnose.  Der  Knochenkrebs  zeigt 
im  Anfange  nichts  Besonderes,  was  ihn  von  andern  Knochengeschwülsten 
mit  Sicherheit  unterscheiden  Hesse.  Das  Gefühl  der  Härte ,  der  schein- 
baren und  wahren  Fluctuation ,  die  eigenthümliche  Crepitation  beim 
Drucke  auf  die  knöcherne  Schale  etc.  sind  Zeichen ,  die  auch  bei  andern 
Knochengeschwülsten  sich  linden  können.  Ausser  diesen  Symptomen 
zeigt  der  Knochenkrebs  eigenthümliche  durchfahrende  Schmerzen  und 
nicht  selten  fühlt  man  beim  Markschwamme  Pulsationen  in  der  Ge- 
schwulst. Bei  längerer  Dauer  des  Leidens  gesellen  sich  die  allgemeinen 
Charaktere  des  Krebses  hinzu.  —  Das  Wachsthum  des  Krebses  ist  bald 
langsam ,  bald  schnell ;  bald  bleibt  derselbe  lange  local ,  bald  führt  er 
sehr  schnell  zum  Tode.  —  Behandlung.  Entschliesst  man  sich  zur 
Operation ,  dem  einzig  möglichen  Hülfsmittel ,  so  sorge  man ,  dass  alles 
Krankhafte  entfernt  werde  ;  indessen  hat  selbst  die  Amputation  nicht  vor 
Recidiven  zu  sichern  vermocht.  Erscheint  die  Operation  unzulässig ,  so 
bleibt  nichts  übrig,  als  die  Schmerzen  möglichst  zu  mildern,  die  Kräfte 
zu  unterstüzen  etc. 

7.  Knochentuberkel.  Diese  gar  nicht  seltene  Krankheit 
entwickelt  sich  besonders  in  den  kleinen  schwammigen  Knochen,  wie  in 
den  Wirbeln,  in  den  Hand-  und  Fussknochen,  so  wie  in  den  Gelenkenden 
langer  Röhrenknochen  (als  Paedarthrocace,  Tumor  albus  s  c  r  o  - 
phulosus),  vorzugsweise  am  Knie  und  Ellbogen  und  an  den  Knöcheln. 
—  Der  Tuberkel  tritt  entweder  als  graue  rohe  Granulation  vereinzelt 
oder  zu  grösseren  Knoten  conglomerirt,  welche  allmälig  gelb  werden  und 
schmelzen  ,  oder  was  häufiger  ist ,  als  gelbes  ,  bald  eiterig  zerfliessendes 
Product  einer  Ostitis  auf;  er  sizt  bald  mehr  an  der  Oberfläche,  bald  mehr 
in  der  Tiefe  des  Knochens.  Jugendliche  Individuen  in  den  Kinder-  und 
Pubertätsjahren  sind  diesem  Leiden  vorzugsweise  unterworfen.  Der 
Knochentuberkel  kann  erweichen  oder  verkreiden.  Im  lezteren  Falle 
wird   die  Tuberkelmasse   durch   Aufnahme   von   Kalksalzen  zu  einer  von 


KNOCHHNGk^l.'HWl'Ei.STE.    -       YV1NDDUUN.  569 

selerosiptem  Knochengewebe  umscblöSseneri  mörtclartigen  Masse.  Häu- 
figer tritt  der  Uebergang  in  Erweichung  ein ,  wodurch  tuberculöse  Ver- 
eiterung und  Caries  zu  Stande  kommt,  welche  je  nach  dem  Auftreten  des 
Tuberculosen  Exsudats  an  der  Oberflache  des  Knochens  oder  im  Innern 
desselben  sich  verschieden  verhalten.  Das  peripherische  Geschwür  ist 
neben  mehr  oder  weniger  tief  gehender  Anäzung  des  Knochens  von 
Osteophytbildung  und  Verdickung  des  Periosts  begleitet.  Bei  dem  cen- 
tralen Size  bildet  sich  in  Folge  des  eiterigen  Zerfliessens  der  rings  von 
Knochensubstanz  umschlossenen  Tuberkelmasse  ein  rundlicher  oder  sinu- 
öser  Abscess  (tuberculöse  Knochencaveme,  Vomic  a)  ,  inner- 
halb welchem  mit  dem  Tuberkeleiter  zahlreiche  kleine  oder  grössere  ne- 
krosirte  Knochenpartikelchen  vermischt  sind,  Diese  Caverne  vcrgrössert 
sich  entweder  durch  secundäre  Tuberkelinfiltration  in  die  entzündete  Um- 
gebung, oder  sie  öffnet  sich  nach  aussen,  oder  sie  wird  durch  ein  callöses, 
später  ossificirendes  Entzündungsproduct  abgekapselt.  Wenn  der  Eiter 
in  einiger  Entfernung  von  dem  kranken  Knochen  sich  entwickelt ,  so  hat 
man  es  mit  einem  C  o  n  ge  s  t  i  o  n  s  ab  s  ce  s  s  e  zu  thun  ,  nach  dessen 
Aufbruch  ein  fistulöses  Geschwür  zurückbleibt ,  welches  mit  der  Caverne 
in  Verbindung  steht.  8.  Senkungs  ab  s  c e s  s.  Leicht ,  besonders 
bei  Zutritt  von  atmosphärischer  Luft,  wandelt  sich  die  Tuberkelmasse  und 
der  Tuberkeleiter  in  Jauche  um  und  diese  bedingt  dann  eine  cariöse  Zer- 
störung, welche  sehr  rasch  um  sich  greift  und  bisweilen  grössere  Stücke 
des  Knochens  nekrosirt  (tuberculöse  Sequester),  sonst  aber  der  entzünd- 
lichen Caries  gleicht.  Bei  dem  Ausbleiben  einer  weiteren  Tuberkelablagerung 
und  zureichenden  Kräften  kann  sich  die  Knochencaveme  durch  wahre 
Granulationen  ausfüllen  und  mit  einer  festen  Narbe  heilen.  —  Sym- 
p  t  o  m  e  und  Diagnose.  Die  S)Tmptome  unterscheiden  sich  nicht  von 
denen  der  Knochenentzündung  und  Caries,  und  erst  nach  dem  Aufbruche 
gibt  der  mit  nekrotischen  Knochenstückchen  gemischte,  trübe  und  krüm- 
liche  Massen  und  weisse  Flocken  enthaltende  Eiter  Aufschluss.  —  Ur- 
sachen. Der  Tuberkelbildung  liegt  eine  Blutkrankheit  zu  Grunde, 
deren  Wesen  noch  unbekannt  ist.  S.  Tuberkel.  Nur  das  ist  zu  be- 
merken ,  dass  man  sie  häufig  bei  Individuen  trifft ,  die  auch  anderweitige 
Symptome  der  scrophulösen  Diathese  an  sich  tragen.  Als  Gelegenheits- 
ursachen  bezeichnet  man  äussere  Verlegungen,  wieStoss,  Quetschung  etc., 
so  wie  Erkältungen.  —  Prognose.  Sie  ist  die  der  dyscrasischen  Ca- 
ries und  hängt  wesentlich  von  der  Loealität  des  Leidens  ab.  Sie  wird 
durch  das  gleichzeitige  Bestehen  von  Tuberkeln  in  andern  Organen  sehr 
getrübt.  —  Behandlung.  Neben  der  erforderlichen  inneren  Behand- 
lung (Salmiak,  Jod,  Leberthran)  wendet  man  beim  Beginn  des  Leidens 
Blutentziehungen  und  kräftige  Ableitungsmittel  an.  Nach  erfolgtem 
Aufbruche  entfernt  mau  entweder  nur  das  betreffende  Knocheiistück  oder 
man  nimmt  unter  Umständen  die  Amputation  des  Gliedes  vor. 

8 .    W  i  n  d  dorn,   S  p  i  n  a  v  e  n  t  o  s  a.      Es   ist  dies  eine  Knochen- 


570  KNOCHENIIYPERTROPHIE  UND  ATROPHIE. 

ges^hwulst,  die  sehr  verschiedener  Natur  sein  kann,  indem  man  mit  die- 
sem Namen  früher  alle  Knochenkrankheiten  bezeichnete,  welche  zur  Bil- 
dung einer  mit  mehr  oder  weniger  weichem  oder  flüssigem  Inhalt  gefüll- 
ten Knochenkapsel  führten ,  oder  auch  (wie  die  Knochenentzündung  und 
deren  Ausgänge)  nur  eine  einfache  Knochenauftreibung  zur  Folge  hatten. 
Es  gehören  mithin  hierher  die  Knochencysten,  die  Fibroide,  Krebse  und 
Enchondrome. 

Knochenhypertrophie  und  Atrophie.  —  i)  Die  Hy- 
pertrophie der  Knochen,  die  Hyperostose,  welche  man  von 
der  blossen  Volumsvermehrung  derselben  (durch  Lockerung  des  Knochen- 
gef  üges ,  durch  Afterbildungen)  zu  unterscheiden  hat ,  tritt  ebensowohl 
mit  als  ohne  Volumszunahme ,  gewöhnlich  aber  mit  Dichter  -  und  stets 
mit  Schwererwerden  des  Knochens  auf.  Hierbei  nimmt  der  Knochen 
entweder  mit  Beibehaltung  seiner  normalen  Dichtigkeit  durch  Ansaz  neuer 
Knochenmasse  an  die  Peripherie  an  Masse  zu ,  äussere  Hypero- 
stose, Sclerosis  supracorticalis,  oder  es  füllen  sich  die  Räume 
im  Innern  des  Knochens  (die  Markkanälchen  und  Markzellen)  mit  Knochen- 
masse aus,  wodurch  der  Knochen,  ohne  an  Umfang  zuzunehmen,  dichter 
wird ,  innere  Hyperostose  oder  Sclerose,  Sclerosis  corti- 
calis  und  centralis.  Gewöhnlich  treten  beide  Arten  zugleich  auf 
und  der  Knochen  wird  dadurch  dicker,  dichter  und  schwerer.  Diese  Hy- 
pertrophie betrifft  entweder  das  ganze  Scelett  oder  sie  verbreitet  sich 
über  einen  grösseren  Theil  desselben  (nach  Arthritis ,  Ehachitis  und  Sy- 
philis) oder  über  kleinere  Knochenabschnitte ,  oder  sie  erscheint  nur  an 
kleinen  Stellen  eines  Knochens  (als  Exostose  und  Osteophyt).  Sie  kann 
ferner  einen  übrigens  normalen  oder  einen  vorher  erweichten  und  aufge- 
lockerten Knochen  befallen  ;  im  lezteren  Falle  bedingt  sie  die  s  e  c  u  n  - 
d  ä  r  e  Sclerose.  —  Die  Knochenhypertrophie  kann  entzündlicher 
und  nicht  entzündlicher  Natur  sein.  Die  leztere  geht  aus  einer 
chronischen  Stase  oder  selbst  aus  einer  Gefässneubildung  hervor,  die  er- 
stere  bildet  sich  aus  einer  Ostitis  oder  Periostitis  heraus  und  tritt  vor- 
zugsweise als  Osteophytbildung  auf.  Die  Hypertrophie  der  Knochen  ist 
ein  gutartiger  Vorgang,  ja  zuweilen  ist  sie  eine  Art  der  Heilung  anderer 
Knochenkrankheiten ,  indem  sie  anderweitig  erkrankten  Knochen  die  ver- 
lorene Festigkeit  wieder  gibt.  2)  Die  Atrophie  der  Knochen, 
der  Knochenseh  wund  kommt  je  nach  der  Entstehungsweise  unter 
drei  Formen,  als  Abmagerung,  Aufsaugung  und  Maceration  des  Knochens 
vor.  —  a)  Die  K  n  o  c  h  e  n  a  b  m  a  g  e  r  u  n  g  ,  Marasmus  s.  A  t  r  o  p  h  i  a 
senilis,  findet  sich  im  hohen  Alter  in  der  vollendetsten  Form  vor, 
kommt  aber  auch  in  Folge  von  Consumptionskrankheiten ,  besonders  bei 
carcinomatöser,  syphilitischer  und  scorbutischer  Dyscrasie  vor.  DerBlut- 
reichthum  des  Knochens  ist  in  hohem  Grade  vermindert,  die  schwammige 
Substanz  erscheint  bald  nur  grobzelliger  und  poröser,  bald  fehlt  sie  ganz 


KNOCHENVEKSCHWAERUNG.  571 

und  die  Knoehenrinde  ist  auf  eine  oft  nur  papierdünne  Lamelle  geschwun- 
den. Anstatt  des  Markes  findet  sieh  nicht  selten  eine  dickbreiige  röth- 
liche  Substanz  oder  eine  wässerige  Flüssigkeit  vor.  Hierdurch  wird  eine 
ausserordentliche  Brüchigkeit ,  Fragilität  der  Knochen  und  damit  häufig 
Fractur  derselben  bedingt ,  weshalb  man  diesem  Zustande  den  Namen 
Knochenmürbigkeit,  Osteopsathyrosis  (von  öGtsop  ,  der 
Knochen  und  ipufrvQoc ,  mürbe)  gegeben  hat.  —  b)  Die  Knochen- 
aufsaugung, Usura,  Detritus  ossium,  besteht  in  einem  partiel- 
len Schwunde  des  Knochens ,  der  sich  selbst  bis  zur  völligen  Consumtion 
des  Knochens  steigern  kann,  hervorgebracht  durch  Schädlichkeiten,  welche 
auf  mechanische  Weise ,  durch  Druck  auf  den  Knochen  einwirken.  Zu 
diesen  Schädlichkeiten  gehören  :  vergrösserte  Organe  ,  Geschwülste  und 
überhaupt  Krankheitsproducte,  die  am  oder  im  Knochen  sich  entwickelten 
und  dabei  einige  Festigkeit  haben  oder  doch  fest  an  den  Knochen  ange- 
presst  werden.  Der  entstehende  Defect  scheint  theils  durch  Compression 
der  Beinhaut-  oder  Markhautgef ässe ,  wodurch  die  Blutzufuhr  beschränkt 
und  die  Resorption  gesteigert  wird ,  theils  durch  mechanische  Abnuzung 
zu  entstehen.  Heilung ,  Wiederersaz  des  Verlorengegangenen  kommt, 
selbst  wenn  der  drückende  Körper  entfernt  wird,  nie  zu  Stande,  nur  wenn 
die  spongiöse  Substanz  blossgelegt  ist ,  bildet  sich  nach  dem  Aufhören 
des  Drucks  eine  compakte  Lamelle  über  dasselbe.  —  c)  Knochen- 
atrophie  in  Folge  von  Erosion,  Osteolysis,  Resolutio 
ossis.  Sie  steht  mit  bedeutender  venöser  Entwicklung  in  Verbindung. 
Die  Knochenmasse  ist  aufgetrieben  und  durchlöchert,  durch  interstitielle 
Aufsaugung  rareficirt.  Diese  Veränderung  ist  bald  nur  auf  eine  einzige 
Knochenstelle  beschränkt,  bald  hat  sie  einen  ganzen  Knochen  eingenom- 
men und  zeigt  sich  auch  am  Callus.  Sie  kann  jeden  Knochen  und  jedes 
Alter  befallen.  Die  Veranlassung  zu  der  die  Knochenentartung  bedin- 
genden abnormen  Gefässentwicklung  scheinen  vorzüglich  chronische  dys- 
crasische  Entzündungen  und  bösartige  Neubildungen  (besonders  Krebs) 
innerhalb  des  •Knochengewebes  zu  sein.  Eine  ähnliche  Wirkung  äussern 
Eiter  und  Jauche  auf  die  Knochen ,  mit  denen  sie  längere  Zeit  in  Be- 
rührung sind. 

KnOCheilVerSChwärung,  K  n  o  c  h  e  n  f  r  a  s  s ,  C  a  r  i  e  s.  Die- 
ses Leiden  ,  welches  seinem  Size  und  seiner  Ausdehnung  nach  eine  C  a  - 
ries  superficialis  s.  peripherica,  eine  profunda  s.  cen- 
tralis, so  wie  eine  totalis  und  eine  partialis  sein  kann,  entspricht 
der  Verschwärung  der  Weichtheile.  Es  entwickelt  sich  entweder  und 
zwar  am  häufigsten  aus  dyscrasischen  (scrophulösen ,  gichtischen,  syphili- 
tischen etc.)  Entzündungsprocessen  der  Knochen  heraus ,  die  bald  spon- 
tan auftreten ,  bald  durch  die  Gegenwart  krankhafter  Ablagerungen 
(z.  B.  von  Tuberkelmassen)  herbeigeführt  werden  können,  oder  die  veran- 
lassende Entzündung  ist  die  Folge  äusserer  Einflüsse,  oder  sie  ist  endlich 


572  KNOCIll^VEKSCIIWAEKUNG. 

eine  durch  ulceröse  Proeesse  benachbarter  AVeichtheile  erzeugte  (beson- 
ders an  Gelenken).  —  Jeder  Knochen  kann  von  Caries  befallen  werden, 
jedoch  befällt  sie  am  häufigsten  die  blutreiche ,  schwammige  Knochen- 
substanz, daher  die  Hand-  und  Fusswurzelknochen,  die  Gelenkenden  der 
langen  Knochen,  die  Wirbel ,  das  Brustbein  etc.  —  Pathologisch  - 
anatomische  Erscheinungen.  Bei  der  oberflächlichen 
Caries  ist  die  Knochenrinde  rauh ,  wie  angefressen  oder  angeäzt ,  die 
Markkanälehen  sind  ungleichförmig  erweitert,  die  Zwischenwände  oft  er- 
weicht, die  Räume  bald  mit  eiteriger,  blutiger,  tuberculöser  oder  fettiger 
Flüssigkeit  erfüllt  (Caries  huiui  d  a),  bald  ist  die  rauhe  Knochenober- 
Mäche  und  das  Innere  der  erweichten  Markkanälchen  mit  lockern  ,  leicht 
blutenden  Granulationen  bedeckt  und  ausgefüllt  (C.  camosa,  fun- 
gosa).  Zuweilen,  wenn  das  Knochengewebe  ganz  abgestorben,  nekro- 
tisch und  zugleich  der  Luft  ausgesezt  ist,  erscheinen  die  Räume  leer,  wie 
ausgetrocknet  (C.  sicca)  und  jenes  von  schwärzlicher  Farbe.  —  Bei 
der  centralen  Caries  schwillt  der  Knochen  an,  seine  Rinde  verdünnt 
sich  und  das  Innere  stellt  ein  mit  Jauche  infiltrirtes  oder  von  schwammi- 
gen Granulationen  erfülltes ,  morsches  zartfaseriges  Knochengerüste  dar. 
—  Bisweilen  sterben  bei  der  Caries  grössere  Knochenstücke  in  Folge  des 
durch  die  cariöse  Zerstörung  abgeschnittenen  Blutzuflusses  ab  (C.  n  e  - 
crotica).  Immer  ist  der  cariöse  Knochen  speeifisch  leichter  als  der 
gesunde  und  der  phosphorsaure  Kalk  in  ihm ,  im  Verhältniss  zu  den  üb- 
rigen Salzen ,  vermindert.  —  Das  umgebende  Knochengewebe  befindet 
sich  häufig  im  Zustande  der  Hyperämie  und  Entzündung,  wodurch  sieh 
eben  sowohl  Osteoporose,  wie  Sclerose  und  Osteophytbildungen  erzeugen 
können.  —  Symptom  e.  Wenn  eine  Knochenentzündung  in  Caries 
übergeht,  was  unter  tiefsizenden ,  bohrenden,  bei  syphilitischem  Grund- 
leiden besonders  bei  Nacht  heftigen  Schmerzen  vor  sich  geht,  so  nehmen 
in  der  Regel  die  benachbarten  Weichtheile  an  Umfang  zu,  es  bildet  sich 
eine  fluetuirende  Geschwulst,  die  nach  und  nach,  meist  sehr  spät,  durch 
den  von  der  Tiefe  her  fortschreitenden  Verschwärungsprocess  durchbrochen 
wird  und  aus  mehreren  kleinen  Oeffnungen  eine  meistentheils  stinkende, 
die  silbernen  Geräthe  und  die  Verbandstücke  schwarz  färbende  Jauche 
entleert,  welcher  Flocken  und  gewöhnlich  auch  kleine  Knochenpartikel- 
chen beigemischt  sind.  Die  Untersuchung  mit  der  Sonde  zeigt  den 
Knochen  rauh,  uneben ,  nachgiebig  und  aufgelockert.  Sehr  häufig  wan- 
dern die  Jaucheansammlungen  weit  von  dem  cariösen  Knochen ,  von  wel- 
chem sie  ausgehen  (Co  n  gestio  ns-  oder  Senkungsabscesse,  s. 
lezteren  Artikel).  In  einem  solchen  Falle  kann  die  eingeführte  Sonde 
nicht  zu  dem  schadhaften  Knochen  gelangen  und  die  Erkenntniss  der 
Caries  muss  aus  dem  ganzen  Krankheitsverlaufe  und  aus  der  Beschaffen- 
heit der  ausfliessenden  Jauche  sich  ergeben.  Die  zu  den  cariösen  Kno- 
chen führenden  Gänge  haben  in  der  Regel  eine  äussere  Mündung,  welche 
einen  aufgeworfenen,  wallartigen,  callösenRand  hat  und  öfters  mitrpthen 


KNOCHENVERSCHWAERUNG.  573 

oder  weissen  speckigen ,  leicht  blutenden  Fungositäten  besezt  ist ;  häufig 
ist  die  Haut  im  Umfange  der  Oeffnung  unterminirt.  —  Die  Knoehenver- 
schwärung  ist  meist  ein  chronischer  Process,  der  Jahre  lang  dauern  kann, 
doch  verläuft  er  auch  zuweilen  acut.  — -  Bei  bedeutender  Zerstörung  ent- 
steht durch  den  Säfteverlust  wie  durch  die  Aufsaugung  der  Jauche  hecti- 
sches  Fieber,  der  Kranke  magert  ab,  Haut  und  Muskulatur  werden  schlaff, 
die  Kräfte  sinken  und  der  Tod  erfolgt  unter  colliquativen  Erscheinungen. 
—  Wenn  es  zur  Heilung  der  Caries  kommt,  was  nicht  selten  um  die  Zeit 
der  Pubertät  geschieht ,  wenn  die  Caries  im  kindlichen  Alter  entstanden 
ist,  so  wird  der  Eiter  allmälig  besser,  die  geschwürige  Knochenfläche  be- 
deckt sich  mit  guten  Granulationen,  die  Kräfte  des  Kranken  nehmen  wie- 
der zu ,  die  Fungositäten  an  den  Mündungen  der  Fistelgänge  schwinden 
und  diese  sehliessen  sich  endlich  durch  weissliche  an  den  Knochen  fest- 
geheftete Narben.  Durch  Ablagerung  von  Kalksalzen  in  das  porös  ge- 
wordene Gewebe  verdichtet  sich  zuweilen  der  Knochen  (Eburneatio, 
Sclerosis),  wodurch  eine  Volums  Verminderung  desselben  stattfindet : 
andere  Male  bildet  sich  noch  vor  Verschluss  des  Geschwürs  in  den  Weich- 
theilen  auf  der  granulirenden  Fläche  neue  Knochenmasse ,  was  eine  Vo- 
lumensvermehrung zur  Folge  hat.  Manchmal  wird  das  ganze  cariöse 
Knochenstück  brandig  und  stösst  sich  unter  Bildung  einer  Demarkations- 
linie ab.  —  Behandlung.  Diese  zerfällt  in  die  allgemeine  gegen 
die  Grundursachen,  und  in  die  örtliche,  und  beruht  auf  denselben  Grund- 
säzen ,  wie  die  Behandlung  der  Geschwüre  überhaupt.  Die  innere  Be- 
handlung wird  in  den  meisten  Fällen  eine  antisyphilitische ,  antiscorbuti- 
sehe  oder  antiscrophulöse  sein  müssen  ;  daneben  muss  der  Stand  der  Kräfte 
berücksichtigt,  bei  Schwäche  gute  Nahrung  und  Roborantia. gegeben,  für 
gesunde  Luft,  Reinlichkeit  der  Haut  etc.  gesorgt  werden.  Die  Örtliche 
Behandlung  muss,  so  lange  die  Weichtheile  noch  unversehrt  sind,  der 
Entzündung  entgegenwirken ,  und  man  zieht  in  dieser  Absicht  örtliche 
Blutentziehungen  und  kalte  Umschläge  von  Bleiwasser  in  Gebrauch. 
Zeigt  sich  Fluctuation ,  so  öffnet  man  den  Abscess  dem  Knochen  mög- 
lichst nahe,  um  der  Jauche  Abfluss  zu  verschaffen.  Fistulöse  Oeffnungen, 
welche  den  gehörigen  Abfluss  der  Jauche  nicht  zulassen ,  erweitert  man, 
um  die  Eiterverbreitung  zu  verhüten  und  die  cariöse  Stelle  frei  zu  legen, 
wodurch  am  besten  der  Ausbreitung  der  Entzündung  begegnet ,  der  Re- 
sorption der  Jauche  vorgebeugt  und  die  Abstossung  der  kranken  Knochen- 
fläche befördert  wird.  Die  früher  gebräuchlichen  Einsprizungen  von 
scharfen  äzenden  Substanzen  ,  wie  der  T  i  n  c  t  u  r  a  e  u  p  h  o  r  b  i  i ,  des 
Liquor  Bellostii,  starker  Snblimatsolutionen  etc.  bei  tiefer  Lage 
des  Knochens,  welche  man  in  der  Absicht  vornahm,  den  cariösen  Knochen 
vollends  zu  tödten  und  seine  Abstossung  herbeizuführen ,  werden  zweck- 
mässig durch  milde  Bäder  von  Chamillenthee,  schwacher  Lauge,  Schwefel- 
bäder, Umschläge  von  Chamillenthee  oder  milde  Salbenverbände  ersezt. 
Nur  wenn  der  cariöse  Knochen  oberflächlich  liegt,  also  leicht  zugänglich 


574  KNORPEL,  KRANKHEITEN  DERSELBEN. 

ist,  kann  man  durch  kräftigere  Mittel  die  Vitalität  des  Knochens  umzu- 
stimmen oder  die  cariöse  Stelle  zu  zerstören  suchen.  Es  eignen  sich 
hierzu  Umschläge  von  aromatischen  und  adstringirenden  Kräutern ,  wie 
den  Chamillen ,  der  Herbasalviae,  rutae,scordii,  der  Eichen-, 
Kastanien-  oder  Chinarinde ,  den  grünen  Nussschalen  :  Einlegen  von  ver- 
dünnter Phosphorsäure,  einer  Sublimat-  oder  Höllensteinlösung,  des  ver- 
dünnten Bals.  opodeldoc,  Betupfen  der  cariösen  Stelle  mit  Kali 
causticum,  dem  glühenden  Eisen.  Manchem  Mittel  schreibt  man 
eine  specifische  Wirkung  zu ;  so  der  Phosphorsäure ,  die  man  innerlich 
und  äusserlich  anwendet;  z.  B.  Rp.  Hb.  salviae,  Hb.  et  flor. 
m  i  1 1  e  f  o  1.  ana  ^ß,  A  q.  c  o  m  m  u  n.  5VÜJ  ,  c  o  q.  ad  c  o  1.  ^vj,  c  u  i  r  e  - 
fr  ig.  ad  de  Acid.  phosphor.  dep.  5ij,  Tinct.  myrrh.  5j.  M.  S. 
Umgesehüttelt einzusprizen ;  oder  Rp.  Hb.  rutae,  — scordii,  Cort. 
salic.  ana  ^ß.  F.  decoct.  col.  ^vj  adde  Acid.  phosphor.  di- 
lut.,  —  pyrolignos.  ana  5vj.  M.  S.  Zum  Einsprizen.  —  Rp.  Acid. 
phosphor.  sicc. ,  Asae  foetid.  ,Pulv.  rad.  alth.  ana  5ij-  M.  f. 
cum  aq.  destill,  pil.  gr.  ij  ,  consp.  lycopod.  Den t.  in  vitro. 
S.  Täglich  3  Mal  6  — 10  Pillen  zu  nehmen.  Liegt  der  Knochen  bloss, 
ist  das  Geschwür  sehr  unrein ,  so  verbindet  man  mit  folgender  Salbe : 
Rp.  Ol.  terebinth.  3ij,  Vit  eil.  ovor.  No.  iv.  M.  oder  Rp.  Ungt. 
basili.c.  ^j,  Myrrh.  5iß.  M.  Bei  scrophulöser  Caries  mit  Knochen- 
auftreibung  wird  das  Jodkali  innerlich  und  als  Einreibung  sehr  gerühmt. 
Zum  Einstreuen  kann  man  folgendes  Pulver  anwenden:  Rp.  Camp  hör., 
M  y  r  r  h.  ana  5ij,  Cort.  c  h  i  n.  f  u  s  c,  F 1  0  r.  chamom.  v  u  1  g.  ana  ^ß, 
C  ar  b  on.  p  r  aep.  pul  v.  ^j.  M.  f.  pulv.  S.  —  Wenn  es  die  Lage  des 
Knochens  zulässt ,  kann  man  die  cariöse  Stelle  mittels  eines  Schabeisens 
oder  des  Hohlmeissels  wegnehmen.  Losgelöste  und  abgestorbene  Knochen- 
stücke zieht  man  aus,  zu  welchem  Behufe  man  oft  genöthigt  ist,  die  vor- 
handenen Oeffnungen  in  den  Weichtheilen  zu  erweitern.  Schlagen  alle 
Versuche  fehl ,  die  Caries  zur  Heilung  zu  bringen  und  droht  dem  Leben 
des  Kranken  durch  Erschöpfung  Gefahr,  so  muss,  nach  vorher  beseitigter 
Dyscrasie,  wenn  es  angeht,  die  Resection  der  krankhaften  Stelle,  im  andern 
Falle  die  Amputation  des  Gliedes  vorgenommen  werden. 

Knorpel,  Krankheiten  derselben.     Das  Knorpelgewebe 

unterliegt  wegen  seiner  Textur  ,  besonders  wegen  seines  Gef  ässmangels 
oder  doch  bedeutender  Gefässarmuth  einer  primären  Erkrankung  selten 
oder  gar  nicht.  Dagegen  erfährt  es  nicht  selten  durch  Krankheiten  der 
Nachbartheile  Veränderungen  und  selbst  Zerstörungen ,  meist  aber  erst 
nach  ziemlich  langer  Einwirkung.  —  Entzündung,  Chondritis, 
erleidet  nur  der  gefässhaltige  Faserknorpel  (Kehldeckel,  Augenlid-,  Zwi- 
schenwirbel -  und  Synchondrosenknorpel) ,  und  diese  kann  Vereiterung, 
Verjauchung  (besonders  der  Synchondrosenknorpel  beim  Puerperalpro- 
cesse)  ,   Necrosirung   und   Verschrumpfnng  nach  sich  ziehen.      Der  ächte 


KOPFBINDEN.  575 

Knorpel  entzündet  sich  nie ,  er  wird  nur  durch  die  Producte  der  Entzün- 
dung benachbarter  Theile  (des  Perichondriums ,  der  Synovialhaut ,  der 
Knochen) ,  welche  sich  in  sein  Gewebe  imbibiren  und  dieses  allmälig  er- 
weichen (Chondroiualacie),  zerstört.  —  Ein  gar  nicht  seltener  Zu- 
stand der  Knorpel  ist  ihre  Atrophie  (U  s  u  r)  ,  welche  entweder  die 
Folge  von  Druck  oder  von  gestörter  und  aufgehobener  Ernährung  durch 
Erkrankung  der  Nachbartheile  ist.  Man  unterscheidet  verschiedene  For- 
men. Die  eine  tritt  in  Folge  des  höhern  Alters  auf.  Wenn  bei  den 
Gelenkknorpeln  die  ernährenden  Gef  ässe  in  den  spongiösen  Knochenenden 
allmälig  veröden  und  wenig  neue  Knorpelmasse  mehr  gebildet  wird ,  so 
können  sich  die  Gelenkflächen  so  abnuzen,  dass  der  knorpelige  Ueberzug 
ganz  schwindet  und  die  Knochenflächen  sich  an  einander  reiben.  Diese  Ab- 
nuzung  (Usur)  erfolgt  um  so  schneller  und  in  höherem  Grade,  wenn 
gleichzeitig  ein  Mangel  an  Synovia  in  der  Gelenkhöhle  die  nachtheiligen 
Wirkungen  der  Reibung  begünstigt ,  wie  dies  bei  chronischen  Entzün- 
dungszuständen  der  serösen  Gelenkskapsel  der  Fall  ist.  Die  Knochen- 
enden verhalten  sich  dabei  auf  verschiedene  Weise,  je  nachdem  sie  selbst 
im  Zustande  der  Atrophie  sich  befinden,  oder  durch  vorausgegangene  Ent- 
zündung aufgetrieben  und  porös,  oder  im  Gegentheil  durch  Einlagerung 
neuer  Knochenmasse  wie  eburnirt  geworden  sind.  In  den  ersten  Fällen 
ist  die  Knochenfläche  rauh,  schwammig,  mehr  oder  weniger  abgenuzt ,  im 
lezten  Fall  glatt,  wie  polirt.  —  Bei  Rückgratsverkrümmungen  sieht  man 
die  Zwischenwirbelknorpel  in  Folge  beschränkter  Ernährung  durch  über- 
mässigen Druck  einseitig  oft  so  schwinden ,  dass  die  Wirbelkörper  un- 
mittelbar in  Berührung  kommen  und  verschmelzen.  —  Ferner  gibt  es 
auch  hier  wie  bei  den  Knochen  eine  Atrophie ,  welche  durch  verstärkte 
Resorption  entsteht  und  wobei  eine  vermehrte  Gef  ässentwicklung  an  der 
Knochengrenze  wahrgenommen  wird.  Diese  krankhafte  Resorption  kann 
Durchlöcherung  des  Knorpels  und  gänzlichen  Schwund  desselben  zur 
Folge  haben.  Gichtische  Knochenentzündungen  scheinen  diesen  Process 
am  häufigsten  einzuleiten. 

Kopf  binden.  Eine  Reihe  von  Verbänden,  die  in  früherer  Zeit 
für  Verwundungen  der  Hirnschale  oder  der  weichen  Bedeckungen  derselben 
in  Gebrauch  waren,  sind,  da  sie  meistentheils  sehr  umständlich  anzulegen  sind, 
dabei  doch  schlecht  sizen  und  den  Kopf  zu  sehr  einhüllen ,  verlassen  und 
nur  folgende  wenige  ,  als  allen  Zwecken  entsprechende  beibehalten  wor- 
den. Diese  sind:  1)  das  viereckige  oder  grosse  Kopftuch, 
C  a  p  i  t  i  Li  m  quadratum  s.  magn  u  m.  Ein  viereckiges  Stück  Lein- 
wand, Schnupftuch  oder  Serviette,  ungefähr  ein  Viertheil  länger  als  breit, 
wird  so  in  die  Quere  zusammengelegt ,  dass  das  untere  Blatt  etwa  drei 
Finger  breit  vor  dem  obern  hervorragt.  Dieses  Tuch  wird  so  aufgenom- 
men, dass  es  auf  dem  Handrücken  beider  Hände  aufliegt,  wobei  die  Dau- 
men auf  dasselbe  zu  liegen  kommen.     So  gefasst  wird  es  in  der  Art  über 


576 


KOPFBINDEN. 


den  Scheitel  gebreitet,  dass  seine  Mitte  der  Pfeilnäht  entspricht,  das  un- 
tere hervorragende  Blatt  über  die  Augen  herunterhängt,  das  obere  kürzere 
Blatt  aber  nur  bis  an  die  Augenbrauen  reicht.  Hierauf*  werden  die  zu 
beiden  Seiten  des  Kopfs  herabhängenden  Enden  des  obern  Blatts  unter 
dem  Kinn  zusammengebunden,  der  über  die  Augen  herabhängende  Theil 
wird  über  das  kürzere  Blatt  zurückgeschlagen,  so  dass  es  wie  ein  Saum 
auf  der  Stirne  liegt  und  dessen  Enden  dann  um  den  Kopf  in  den  Nacken 
geführt ,  wo  man  sie  zusammenbindet  oder  mit  einer  Nadel  an  einander 
befestigt.  Die  noch  übrigen  beiden  Seitenflügel  kann  man  hängen  las- 
sen oder  an  den  übrigen  Verband  heften.  —  Dieser  Verband  hüllt  den 
Kopf  zu  sehr  ein  und  wird  meist  nur  noch  beim  Transport  Schwerverwun- 
deter in  rauher  Witterung  benüzt.  —  2)  Das  dreieckige  oder 
kleine  Kopftuch,  Capitium  trianguläre.  Man  nimmt  ein 
etwa  r}/4  Elle  im  Quadrat  haltendes  Stück  Leinwand,  legt  es  in  seiner 
Diagonale  zu  einem  Dreieck  zusammen,  fasst  es  wie  das  vorige  mit  beiden 
Händen  und  bringt  die  Mitte  der  Basis  auf  die  Mitte  der  Stirne  über  den 
Augenbrauen  ,  so  dass  die  Spize  des  Dreiecks  sich  im  Nacken  befindet, 
während  die  beiden  Enden  über  den  Nacken  herabhängen.  Diese  beiden 
Enden  fasst  man,  führt  sie  über  den  Ohren  nach  dem  Nacken ,  kreuzt  sie 
dort  über  der  Spize  des  Dreiecks  und  führt  sie  dann,  nachdem  man  mit 
den  Händen  gewechselt  hat,  auf  demselben  Wege  wieder  nach  der  Stirn, 
wo  man  sie  verknüpft  oder  mit  Nadeln  zusammensteckt.  Die  Spize  des 
Dreiecks  wird  ausgebreitet,  über  die  gekreuzten  Enden  hinaufgeschlagen 
und  befestigt.  —  Je  nach  der  Lage  der  Verlezung  kann  man  das  drei- 
eckige Kopftuch  verschieden  anlegen ,  mit  der  Basis  im  Nacken,  auf  der 
Schläfe  etc.  —  Dieser  Verband  ist  einer  der  zweckrnässigsten  bei  Ver- 
lezungen  des  Kopfs  ,  wo  keine  kalten  Umschläge  erforderlich  sind.  — - 
Schreger's  dreieckige  Kopfbinde  ist  noch  faltenfreier  und  em- 
pfiehlt sich  durch,  gleichmässigeres  Anschliessen.  Man  schneidet  nach 
der  Grösse  des  Kopfs  aus  Leinwand  ein  Dreieck ,  so  dass  seine  Basis  in 
zwei  längere  Köpfe  ausläuft ;  die  Winkel  schneidet  man  in  der  Richtung 
gegen  die  Mitte  so  weit  ein,  dass  der  ganz  bleibende  Zwischenraum  die 
Breite  der  Stirne  hat.  Beim  Anlegen  werden  die  Köpfe  gegen  den  Nak- 
ken,  der  eine  durch  den  Spalt  des  andern,  dann  wieder  vorwärts  nach  der 
Stirn  geführt  und  geheftet.  Die  noch  zu  beiden  Seiten  herabhängenden 
Ecken  werden  entweder  heraufgeschlagen  oder  unter  das  Kinn  geführt 
und  da  befestigt.  —  3)  Die  bewegliche  T-Binde.  Schreger  em- 
pfiehlt die  T-Binden  (s.  den  Art.  Binde)  als  Allgemeinbinden  für  alle 
Schädelverlezungen ,  indem  der  horizontale  Theil  nach  Bedürfniss  mit  , 
einem  oder  mehreren  senkrechten  beweglichen  Schenkeln  versehen  werden 
kann,  die  von  dem,  den  Kopf  im  Kreise  umgebenden  Horizontaltheile  nach 
allen  Richtungen  hin  über  den  Schädel  geführt  werden  können.  Diese 
Binde  besizt  alle  Eigenschaften  einer  guten  Kopfbinde  ,  sie  übertrifft  die 
meisten  an    Haltbarkeit ,    ohne   den   Kopf  im    Mindesten   zu   belästigen ; 


KOPPBINDEN.  577 

ebenso  gestattet  sie  auch  den  Gebrauch  kalter  Umschläge.  —  4)  Die 
Weibermüze,  Mitra  muliebrum.  Es  ist  dies  die  gewöhnliche 
Schlafhaube  der  Weiber  und  Kinder.  Sie  besteht  aus  zwei  Seitentheilen 
und  einem  Streifen ,  der  diese  vereinigt  und  von  der  Stirne  bis  in  den 
Nacken  reicht.  —  Eine  solche  Haube ,  welche  durch  unter  dem  Kinn 
weggehende  Bänder  befestigt  wird,  vertritt  oft  die  Stelle  der  besten  Kopf- 
binde. —  5)  Die  ne  zf  ör  mige  Müze,  Mitra  reticulata.  Es 
ist  dies  ein  durch  einen  Zug  schliessbares  Nez,  wie  man  es  häufig  Kinder 
tragen  sieht.  Es  lassen  sich  durch  dasselbe  sehr  gut  Verbandstücke  an 
dem  Kopfe  befestigen ,  den  es  dabei  nicht  im  Mindesten  belästigt ;  ein 
weiterer  Vortheil  desselben  ist ,  dass  es  kalte  Umschläge  zu  machen  er- 
laubt. 

Eine  weitere  Reihe  von  Kopfbindeo ,  welche  aber  nicht  für  Leiden 
des  Kopfs  selbst  bestimmt  sind ,  sondern  nur  an  ihm  ihren  Stüzpunkt 
nehmen,  sind  die  geradhaltenden.  Die  ger  ad  halten  de  Binde  des 
Kopfs,  Fascia  continens  capitis.  Man  legt  einen  Bandstreifen 
von  l1/2  Ellen  Länge  längs  der  Pfeilnaht  so  über  den  Kopf,  dass  das 
eine  Ende  über  die  Brust,  das  andere  zwischen  die  Schultern  herabhängt. 
Ueber  diese  Binde  legt  man  eine  zweiköpfige,  8 — 9  Ellen  lange  und  2 
Zoll  breite  Binde  mit  dem  Grunde  im  Nacken  an ,  führt  die  Köpfe  zur 
Stirn ,  kreuzt  sie  hier ,  indem  man  einen  Kopf  umschlägt  und  geht  über 
den  Ohren  wieder  zum  Nacken,  wo  man  die  Köpfe  wieder  wechselt,  und 
nun  mit  diesen  unter  den  mit  Compressen  gefütterten  Achseln  hervor  über 
die  Schultern  zurück  nach  dem  Rücken ,  wo  man  die  Köpfe  nochmals 
wechselt  und  hierauf  mit  Zirkeltouren  um  den  Thorax  endigt.  Die  beiden 
herabhängenden  Enden  der  kürzern  Binde  schlägt  man  über  den  Kopf, 
den  man  etwas  nach  rückwärts  gebogen  hat ,  zurück  und  heftet  sie  mit 
Nadeln  zusammen.  —  Diese  Binde  zieht  den  Kopf  nach  dem  Rücken, 
daher  ist  sie  bei  Querwunden  des  Nackens  ,  aber  auch  bei  Querwunden 
des  Vorderhalses,  welche  lange  offen  erhalten  werden  sollen  oder  bei  wel- 
chen eine  Verkürzung  der  Haut  zu  befürchten  ist,  z.  B.  bei  Verbrennun- 
gen, empfohlen  worden.  —  Kräftiger  und  mehr  auf  die  Seiten  des  Kopfs 
wirkend  ist  die  Binde  von  Stark.  Von  einer  3  —  4  Ellen  langen,  2 — 3 
Querfinger  breiten  und  auf  einen  Kopf  gewickelten  Binde  von  feinem 
Gurte  rollt  man  */2  Elle  ab  und  lässt  das  abgerollte  Stück  über  das  Ge- 
sicht herabhängen.  Die  Rolle  der  Binde  führt  man  längs  der  Pfeilnaht 
in  den  Nacken,  macht  dort  einen  Umschlag  und  führt  sie  über  die  Ohren 
und  die  Stirne  in  2  —  3  Zirkelgängen  um  den  Kopf.  Hierauf  schlägt 
man  das  über  das  Gesicht  herabhängende  Stück  über  den  Scheitel  bis  in 
den  Nacken  zurück  und  befestigt  es  dort  mit  einigen  Nadelstichen  an 
die  Zirkelgänge.  Was  von  der  Binde  noch  übrig  ist,  endigt  man  in  Zir- 
keltouren um  den  Kopf.  Hierauf  nimmt  man  ein  3  —  4  Ellen  langes 
Stück  Gurt  und  legt  die  Mitte  desselben  quer  über  den  Kopf,  so  dass  es 
zu  beiden  Seiten  herabhängt.  Nachdem  man  es  vermittels  einiger  Nadel- 
Burger,  Chirurgie.  öl 


578  KOPPBINDEN. 

stiche  an  die  Zirkeltouren  befestigt  hat,  gibt  man  dem  Kopf  die  geeignete 
Stellung  und  erhalt  ihn  in  dieser ,  indem  man  die  an  den  Seiten  herab- 
hangenden Enden  unter  den  Achseln  an  einem  Leibchen  oder  Brustgürtel 
befestigt.  —  Diese  Binde  findet  bei  Verwundungen,  so  wie  bei  Schiefheit 
des  Halses  Anwendung.  —  M  a  y  o  r  suchte  diese  Binden  durch  Verband- 
tücher zu  ersezen.  Er  legt  die  Basis  eines  dreieckigen  Tuches  an  die 
Horizontalperipherie  des  Schädels,  und  zwar  auf  die  entgegengesezte  Seite 
desselben ,  gegen  welche  hin  der  Kopf  geneigt  werden  soll  und  sezt  die 
Enden  dieses  Tuches  mit  Bändern  oder  Schlingen  in  Verbindung,  die  bei 
der  Vor-  und  Rückwärtsbeugung  des  Kopfs  an  ein  um  die  Brust  gelegtes 
Tuch  befestigt ,  bei  erforderlicher  Seitwärtsneigung  des  Kopfs  unter  der 
entsprechenden  Achsel  durchgeführt  und  mit  einander  verknüpft  werden. 
—  Diese  Verbände  mögen  ihrem  Zweck  entsprechen ,  wenn  der  Kranke 
durch  seinen  Willen  die  gegebene  Lage  unterstüzt ;  ist  dies  nicht  der 
Fall,  wie  dies  bei  Selbstmördern  oft  genug  vorkommt,  so  reichen  sie  nicht 
hin,  den  Kopf  in  ruhiger  Lage  zu  erhalten.  —  Die  Müze  von  Köhler. 
Die  ganze  Vorrichtung  besteht  aus  einer  Müze ,  einem  Brustgürtel  und 
einem  Zugriemen  ,  durch  welchen  die  beiden  andern  Theile  mit  einander 
in  Verbindung  gesezt  werden.  Sämmtliche  Theile  sind  von  Leder.  — 
Die  Müze  muss  den  Kopf  genau  umschliessen.  Zu  beiden  Seiten  läuft 
sie  in  zwei  Lappen ,  welche  die  Ohren  bedecken  und  an  welche  Riemen 
befestigt  sind,  die  unter  dem  Kinn  zusammengebunden  werden.  Zur  wei- 
tern Befestigung  gehen  von  dem  Hintertheil  der  Müze  zwei  Riemen,  nach- 
dem sie  im  Nacken  gekreuzt  worden  sind,  an  den  Seiten  des  Halses  nach 
vorn  und  nach  abermaliger  Kreuzung  auf  der  Brust  unter  den  Achseln  auf 
den  Rücken ,  wo  sie  zusammengeschnallt  werden.  Rings  um  den  Rand 
der  Müze  läuft  ein  starker  Riemen,  welcher  mehrere  eiserne  Ringe  trägt. 
Der  gutgepolsterte  Brustgürtel  ist  an  seinem  obern  Rande  ebenfalls  von 
einem  starken  Riemen  umgeben ,  der  wie  der  an  der  Müze  mit  eisernen 
Ringen  versehen  ist.  Der  untere  Rand  des  Gürtels  trägt  vorn  zwei  mit 
beweglichen  Polstern  versehene  Schenkelriemen  und  hinten  zwei  Schnallen 
zu  deren  Befestigung.  Die  Zugriemen  sind  von  starkem  Leder  und  an 
einem  Ende  mit  Schnallen ,  am  andern  mit  Löchern  versehen.  —  Nach 
der  Befestigung  der  Müze  und  der  Anlegung  des  Brustgürtels  bringt  man 
den  Kopf  in  diejenige  Lage ,  in  welcher  sich  die  Wunde  schliesst,  und 
vereinigt  diese.  Nun  werden  Zugriemen  so  viel  als  nöthig  sind  in  die 
Ringe  derjenigen  Seite,  auf  welche  der  Kopf  geneigt  ist,  eingezogen  und 
zusammengeschnallt.  —  Diese  Vorrichtung  entspricht  vollkommen  ihrem 
Zwecke,  den  Kopf  in  einer  bestimmten  Stellung  zu  erhalten.  —  Rich- 
ter bediente  sich  zu  demselben  Zwecke  statt  der  Müze  eines  einfachen 
Lederkranzes  und  Schreger  einer  complicirten  Vorrichtung,  bestehend 
aus  einem  stählernen  Kopfreife,  welcher  mittels  Stellstäben  mit  dem  Brust- 
gürtel in  Verbindung  steht ;  durch  von  dem  leztern  ausgehende  Krücken 
werden  die  Schultern  fixirt. 


KOPFBLUTGESCHWULST.  579 

Kopfblutgeschwulst  der  Neugebornen,  Cephaiae- 

matoma  (von  xscpaXrj,  der  Kopf  und  al/uaioco,  Blut  machen),  E  c c h y - 
moma  capitis.  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man  eine  circumscripte 
Blutansammlung  zwischen  Schädelknochen  und  Pericranium,  welche  sich 
als  eine  länglich  ovale,  selten  runde,  pralle,  fluctuirende,  zuweilen  pul- 
sirende  Geschwulst  darstellt,  über  welcher  die  Haut  wärmer  als  am  übri- 
gen Schädel,  sonst  aber  unverändert  ist.  Ihr  Siz  ist  meistens  das  Scheitel- 
bein und  zwar  häufiger  das  rechte  als  das  linke,  doch  beobachtet  man  sie 
zuweilen  auch  auf  dem  Hinterhauptsbeine ,  dem  Schlaf  beine  und  selbst 
auf  dem  Stirnbeine.  Ihre  Grösse  variirt  von  der  einer  Haselnuss  bis  zu 
der  eines  Hühnereies  und  darüber ,  indem  zuweilen  ein  ganzes  Scheitel- 
bein eingenommen  ist.  Meistens  ist  nur  eine  Geschwulst  vorhanden,  zu- 
weilen findet  man  aber  auch  mehrere.  Die  Kopfblutgeschwulst  bedarf 
nur  kurzer  Zeit  zu  ihrer  Entwicklung,  mitunter  genügen  wenige  Stunden, 
während  sie  auch  bisweilen  l  bis  2  Tage  wächst.  In  ihrer  vollen  Ent- 
wicklung lässt  sie  in  ihrem  Umfange  einen  harten  hervorspringenden  Ring 
erkennen.  Dieser  Ring  findet  seine  Erklärung  in  der  Ausscheidung  eines 
plastischen  Exsudats  auf  der  Innenfläche  der  Beinhaut,  welches  nach  und 
nach  alle  Metamorphosen  eines  verknöchernden  Exsudats  durchläuft  und 
mit  Hinterlassung  von  Osteophyten  endigt ;  die  Ursache  dieses  Exsudats 
ist  eine  Entzündung  der  vom  Knochen  abgelösten  Beinhaut.  —  Der  In- 
halt dieser  Geschwulst,  welche  sich  nie  über  eine  Naht  hinüber  erstreckt, 
ist  gewöhnlich  schwarz  und  flüssig ;  selten  findet  man  Gerinnungen ,  wohl 
aber  hat  er  hin  und  wieder  ein  saniöses  Ansehen.  Je  älter  das  Cepha- 
laematom  ist,  um  so  mehr  findet  man  das  ergossene  Blut  verändert;  bei 
zu  langem  Verweilen  kann  es  zur  Abscessbildung  und  selbst  zur  Zerstö- 
rung des  Knochens  kommen.  —  Diagnose.  Das  Cephalaematom  un- 
terscheidet sich  von  dem  angeborenen  Hirnbruch  dadurch ,  dass 
sich  dieser  auf  Druck  verkleinert  und  sich  dabei  Gehirnsymptome  bemerk- 
lich machen ,  auch  bei  Schreien,  Husten  der  Kinder  mehr  hervortritt,  der- 
selbe endlich  meist  an  den  Fontanellen  und  Nähten  auftritt ;  vom  Caput 
succedaneum  dadurch ,  dass  dieses  weniger  bestimmt  umschrieben 
ist,  keinen  peripherischen  Wulst  zeigt,  die  Geschwulst  sich  teigig  anfühlt 
und  beim  Fingerdruck  eine  Grube  hinterlässt ;  vom  Fungus  durae 
m  a  t  r  i  s  dadurch  ,  dass  sich  dieser  unter  Gehirnsymptomen  verkleinern 
lässt,  er  überdies  der  ersten  Kindheit  nicht  angehört.  —  Aetiologie. 
Das  Cephalaematom  entsteht  meistens  während  der  Geburt  und  verdankt 
seine  Entstehung  einer  gewaltsamen  Verschiebung  der  Beinhaut,  bewirkt 
durch  Uebereinanderschieben  der  Scheitelbeine  bei  der  Geburt ,  wodurch 
eine  Gef  ässzerreissung  und  Blutergiessung  veranlasst  wird.  Die  Krank- 
heit zeigt  sich  am  häufigsten  bei  Kindern  Erstgebärender,  und  bei  Knaben 
häufiger  als  bei  Mädchen,  ohne  Zweifel  wegen  des  grössern  Umfangs  des 
Kopfs  bei  jenen ,  wodurch   dieser  einen  grössern  Druck  erfährt.  —  Die 

37* 


580  KOPFGRIND. 

Prognose  dieser  Geschwülste  ist  nicht  schlimm  ;  mit  oder  ohne  Behand- 
lung heilen  sie  fast  immer,  bei  zweckmässiger  Behandlung  schneller.  Die 
Naturheilung  geschieht  durch  Resorption  des  Ergusses  ;  es  bleiben  dann 
aber  an  der  betreffenden  Stelle  harte  hervorragende  Punkte  zurück ,  Ver- 
knöcherungen, welche  in  der  Form  von  mehr  oder  weniger  fest  am  Knochen 
klebenden  Schildern  sich  bilden  (Osteophyten).  —  Behandlung.  Der 
einfachste  Weg  ist  die  Eröffnung  der  Geschwulst  mit  dem  Messer ,  wobei 
man  Gefässe  vermeidet.  Nach  Abfluss  des  Bluts  bringt  man  etwas  Char- 
pie  zwischen  die  Wundlefzen  und  legt  einen  Druckverband  an.  Will  man 
den  Weg  der  Zertheilung  einschlagen,  so  wendet  man  warme,  aromatische 
Umschläge  mit  Wasser  oder  mit  Wein  bereitet ,  oder  adstringirende  toni- 
sche von  Eichen- ,  Weiden- ,  Chinarinde  an ,  auch  Fomente  von  Salmiak- 
lösung, verdünntem  T  h  e  d  e  n '  sehen  Schusswasser,  Bleiwasser  etc.  zeigen 
sich  nüzlich.  Becker  bediente  sich  mit  Vortheil  folgender  Mischung : 
R  p.  Spirit.  vini  camphor. ,  —  juniperi  ana  3  j ,  Aceti  squil- 
lae  ^ß.  M.  S.  Lauwarm  mit  Compressen  aufzulegen.  Otterburg 
empfiehlt  die  Einreibung  des  Ungt.  kalihydrojod.  einer  Erbse  gross 
zwei  Mal  täglich.  Alle  diese  Mittel  wirken  sehr  langsam  und  nach  lan- 
gem Gebrauche  muss  man  oft  doch  noch  zum  Messer  greifen.  Fände 
man  den  Knochen  bereits  erkrankt,  so  würde  man  nach  bekannten  Regeln 
verfahren  müssen. 

Kopfgrind,  Tinea  capitis,  ist  eine  chronische  Entzündung 
der  Haarbälge ,  verbunden  mit  Erzeugung  einer  eigenthümlichen  gelben 
Masse,  welche  die  Haarcylinder  umgibt  und  die  man  durch  die  Oberhaut 
als  kleinen ,  kreisförmigen  gelben  Fleck  sieht.  Nach  kurzer  Zeit  quillt 
die  gelbe,  klebrige ,  honigartige  Masse  aus  den  Bälgen  hervor  und  trock- 
net zu  gelben,  zerreiblichen  Krusten  ein,  welche  um  die  Grundfläche  eines 
jeden  Haars  ein  deutliches  Näpfchen  mit  umgeschlagenem  Rande  bilden. 
Mehrere  derartig  zusammengehäufte  Näpfchen  nehmen  Zellenform  an,  und 
mehrere  Zellen  wieder  zusammengenommen  haben  Aehnlichkeit  mit  einer 
Honigwabe,  daher  auch  der  Name  Wab  enkopf  grind  ,  Tinea  f  a- 
v  o  s  a.  Dem  Ausbruch  geht  ein  Jucken  und  Brennen  ,  so  wie  ein  span- 
nender Schmerz  der  afficirten  Partien  voraus.  Es  kommen  immer  neue 
Nachschübe ,  die  Krusten  fliessen  zusammen ,  so  dass  am  Ende  die  ganze 
Kopfhaut  von  einer  dichten  Kruste  bedeckt  ist.  Sie  geben  bald  Veran- 
lassung zu  bedeutender  Entzündung  der  Haut  und  heftigem  Jucken,  es 
kann  zur  Zerstörung  der  Kopfhaut  kommen  und  selbst  die  Schädelknochen 
können  in  den  Kreis  der  krankhaften  Thätigkeit  gezogen  werden.  Der 
Geruch  dieser  Krusten  ist  sehr  ekelhaft  und  hat  viele  Aehnlichkeit  mit 
dem  Kazenurin ;  erweicht  man  dieselben  durch  Umschläge ,  so  wird  der 
Geruch  sehr  fade,  ekelerregend,  macerirten  Knochen  ähnlich.  Entfernt 
man  die  Krusten ,  so  findet  man  die  Kopfhaut  mit  Verschwärungen  von 
verschiedener  Tiefe  bedeckt,  die  eine  Menge  rother,   stinkender  Flüssig- 


KOPFGRIND.  581 

keit  ergiessen.  Diese  Flüssigkeit  trocknet  zu  bräunlichen  unregehnässi- 
gen  Schorfen  ein ,  welche  den  Grindkrusten  nicht  ähnlich  sind.  Manch- 
mal ist  aber  auch  die  Haut  zwischen  den  Grindkrusten  gesund.  Meistens 
erzeugen  sich  bei  dem  Grinde  viele  Läuse.  Nach  zweckmässiger  Behand- 
lung pflegen  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  nach  dem  Abfalle  der  Krusten 
die  Eindrücke  der  Haut  zu  verschwinden;  da,  wo  die  Krusten  sassen,  be- 
merkt man  kleine  violette  Flecken,  die  mit  der  Zeit  verschwinden.  Ent- 
wickelt sich  die  Krankheit  an  behaarten  Stellen ,  so  ist  eine  krankhafte 
Veränderung  und  Ausfallen  der  Haare  die  gewöhnliche  Folge.  Die  auf 
den  erkrankten  Stellen  wachsenden  Haare  stehen  einzeln ,  sind  weisslich, 
dünn  und  wollig.  An  den  Stellen,  wo  die  Haare  völlig  ausgefallen  sind, 
bleibt  die  Haut  lange  Zeit  hindurch  glatt  und  glänzend.  Bei  sehr  langer 
Dauer  kann  die  Haarlosigkeit  dauernd  und  allgemein  sein.  —  Der  ge- 
wöhnliche Siz  der  Krankheit  ist  die  behaarte  Kopfhaut ,  indessen  kann 
sie  sich  auch  über  das  Gesicht ,  den  Hals  ,  ausnahmsweise  auch  über  den 
Körper  ausbreiten.  Sie  ist  vorzugsweise  dem  Kindesalter  eigen  und 
pflanzt  sich  durch  Ansteckung  fort.  —  Die  leichteren  Grade  der  Krank- 
heit bezeichnet  man  als  Wachsgrind,  Favus,  A  c  h  o  r  e  s  ,  die  höhe- 
ren, zerstörenden  Grade  als  Erbgrind,  bösen  Grind,  Tinea  ca- 
pitis maligna.  Weiter  unterscheidet  man  zwei  Hauptgruppen  von 
Favus  nach  der  Ausdehnung  desselben,  nämlich  1)  Favus  dispers us 
(Porrigo  lupinosa),  wenn  die  Bälge  in  gewissen  Entfernungen  von 
einander  ergriffen  sind,  2)  Favus  confertus  (Fav.  figuratus, 
scutiformis),  wenn  mehrere  neben  einander  liegende  Bälge  ergriffen 
werden  und  einen  runden  Fleck  von  massiger  Grösse  bilden.  —  Ur- 
sachen. Viele  sehen  in  der  gelben  Masse,  welche  die  Krusten  des  Fa- 
vus bildet,  ein  organisches  Gewächs  von  einfacher  Structur,  welches  viele 
Aehnlichkeit  mit  dem  Schimmel  hat ,  Andere  finden  darin  nichts  als 
krankhaft  entwickelte  Zellen  der  Oberhaut,  der  Haarbälge  oder  des  Talg- 
stoffs. —  Die  veranlassenden  Ursachen  können  sein :  bei  Kindern  zu 
reichlicher  Zufluss  des  Bluts  nach  dem  Kopfe,  zu  nährende  Kost,  Unrein- 
lichkeit,  Aufenthalt  in  schlechter,  feuchter  Luft,  Reizung  des  Kopfs  durch 
Läuse  und  zu  warme  Bedeckung  desselben  ;  ferner  scrophulöse  oder  syphi- 
litische Dyscrasie  und  Ansteckung.  --  ■  Prognose.  Lange  Dauer  oder 
Vernachlässigung  des  Kopfgrindes  hat  nicht  selten  bedeutende  Zerstörun- 
gen der  Kopfhaut,  Verlust  der  Haare,  Störungen  der  Nutrition,  Hemmung 
der  Entwicklung  des  Körpers  ,  krankhafte  Veränderungen  der  Nägel  etc. 
zur  Folge.  —  Behandlung.  Stellt  sich  der  Kopfgrind  als  eine  heil- 
same Ableitung  der  überflüssigen  Säfte  im  kindlichen  Organismus  dar, 
oder  entsteht  er  gegen  das  Ende  einer  acuten  oder  chronischen  Krankheit 
spontan  oder  bessert  sich  bei  schwächlichen  Kindern  nach  seinem  Aus- 
bruche der  allgemeine  Krankheitszustand  ,  so  darf  die  Krankheit  nie  mit 
schnell  austrocknenden  Blei-  oder  andern  Salben  vertrieben  werden ;  man 
kommt  mit   örtlichen  einfachen  Mitteln  der  Reinlichkeit ,   Abwaschungen 


582  KOPFGRIND. 

des  Kopfs  mit  Seifenwasser,  öfterem  Kämmen,  Bestreichen  und  Erweichen 
der  Krusten  mit  milden  Fettsubstanzen  meist  zurecht.  Ist  das  Uebel 
hartnäckiger,  so  muss  neben  der  äussern  Behandlung  eine  entsprechende 
innere  eingeleitet  werden  ;  man  reicht  zu  diesem  Behufe  den  A  e  t  h  i  o  p  s 
m i n e r a  1  i s  mit  Rhabarber  und  Magnesia  carbonica,  einen  Thee 
von  Herba  jaceae,  Lignum  Sassafras  und  alle  acht  Tage  ein 
Abführmittel  von  Pulv.  jalappae  mit  Calomel  oder  Pulvis  P 1  u  m- 
meri  mit  Guajac.  Bei  Complicationen  mit  Scropheln  oder  Syphilis  wen- 
det man  die  Specifica  an.  Späterhin  erweisen  sich  Amara,  China  etc. 
nüzlich.  Aeusserlich  zieht  man  nach  vollständiger  Reinigung  des  Kopfs 
(durch  Abscheeren  der  Haare ,  Erweichung  der  Krusten  durch  Schweine- 
schmalz und  Leinsamenumschläge  mit  nachfolgenden  Seifenwasserwaschun- 
gen)  Salben  in  Gebrauch ,  welche  die  Haare  zum  Ausfallen  bringen ; 
als  solche  hat  sich  besonders  ein  Gemisch  von  Kali  oder  Natron 
sulphuricum  3j — ij  mit  Fett  Jj  bewährt,  welches  man  je  nach  der 
Dauer  der  Krankheit  kürzere  oder  längere  Zeit  hindurch  fortgebraucht. 
An  den  Stellen ,  wo  keine  Einreibungen  gemacht  werden ,  streicht  man 
mehrmals  einen  engen  Kamm  durch  die  Haare ,  die  nun  ohne  Schmerzen 
ausfallen.  An  den  Tagen ,  wo  die  Salbe  nicht  angewendet  wird ,  kämmt 
man  den  Kranken  1  bis  2  Mal,  doch  darf  der  Kamm  nicht  zu  stark  ein- 
gedrückt werden  und  man  pflegt  ihn  in  Schweineschmalz  oder  Oel  zu 
tauchen.  Es  werden  täglich  8  bis  10  Minuten  lang  Einreibungen 
mit  obiger  Salbe  in  die  kranken  Stellen  gemacht ;  ist  die  Haut  entzündet, 
so  wäscht  man  sie  mit  einer  Auflösung  von  Kali  subcarbonicum3ij 
in  Aqua  ^ij  ,  worauf  die  Haare  ausfallen.  Ausserdem  hat  man  eine 
Menge  örtlicher  Mittel  gegen  den  Favus  der  behaarten  Kopftheile  mit  ver- 
schiedenem Erfolg  in  Anwendung  gebracht,  wie  z.  B.  Chlorkalk  (Rp. 
Calcar.  chlor  in.  3j,  Axung.  porci  Jj.  M,  f.  Ungt.  S.  Täglich 
2  Mal  in  der  Grösse  einer  Haselnuss  in  die  grindigen  Stellen  einzureiben ; 
Rp.  Aq.  oxymuriat.  5iß— ij  ,  Ol.  oliv.  gj.  M.  S.  Täglich  2  Mal 
den  Kopf  damit  einzureiben);  Kohle  allein  oder  mit  Schwefel  (Rp.  Car- 
bon, ligni  pulv.  5üj  ,  Axung.  porci  Jj.  M.  f.  Ungt.  S.  Die 
grindigen  Stellen  damit  einzureiben;  ■ —  Rp.  Carbon,  ligni  tiliae 
pulv.  Jiv,  Fuligin.  splendent.  Jij  ,  Adip.  suill.  ^xv.  M.  f. 
Ungt.  S.  Jeden  dritten  Tag  die  behafteten  Stellen  einzureiben);  Man- 
ganoxyd, Ungt.  oxygenat.,  Ungt.  hydrarg.  muriat.  corrosiv., 
Auflösungen  von  Sublimat,  Zinc.  sulphuric. ,  Cupriun  sulp  hur. 
Lapis  infernalis  (gr.  iij — vj  auf  §j  A  q.  d  e  s  t  i  1 1  a  t.)  ,  K  a  1  i  s  u  1  - 
p h u r  a t.  (3j  auf  Jj  A q.  d e s t i  1 1.)  ;  ferner :  Rp.  Kali  sulphurat. 
3üj  ,  Sapon.  hispan.  5 j  ,  Aq.  calcar.  u  s  t.  ^viij  ,  Spirit.  vini 
rectif.  3ij.  M.  S.  Die  trockenen  Stellen  Morgens  und  Abends  damit 
zu  waschen.  Ferner  sind  empfohlen :  Jodblei  5j  auf  Rosensalbe  gj  ;  das 
Ol.  t e r e b i n t h,  mit  Ol.  o  1  i  v a r. ,  der  Leberthran  als  Einreibung,  Ta- 
baksabkochung,  Brom  innerlich  und  äusserlich  etc.      Mit  dieser  Behand- 


KORN  AEHRE.  583 

lung  muss  eine  geregelte  Lebensweise  angeordnet  werden.  In  sehr  hart- 
näckigen Fallen  ist  das  Tragen  einer  Pflasterkappe  aus  Gummi  a  m  - 
moniacum  und  Essig  wahrend  6 — 8  Wochen  empfohlen.  Wenn  die 
Haare  durch  ihren  Reiz  die  Geschwüre  unterhalten,  so  entfernt  man  sie 
mit  der  Pincette  oder  schmalen  Pechpflastern.  Dagegen  findet  die  schnelle 
Entfernung  sämmtlicher  Haare  mittels  Abreissen  eines  den  ganzen  Kopf 
umfassenden  Pechpflasters  wenig  Anwendung  mehr.  —  Hat  der  Kopfgrind 
lange  gedauert ,  so  müssen  vor  seiner  Heilung  Fontanellen  angebracht 
werden. 

Kornähre ,  Spica,  nennt  man  diejenige  Art  von  Verband  mit 
einer  Rollbinde,  wo  deren  Hobelgänge  die  Form  eines  V  bilden  (s.  auch 
den  Art.  Binde);  steigen  die  gekreuzten  Hobelgänge  aufwärts,  so  wird 
die  Binde  Spica  ascendens  genannt ,  werden  sie  abwärts  geführt, 
Spica  descendens.  Man  hat  folgende  Arten:  1)  Die  aufs  tei- 
gende Kornähre  für  die  Schulter,  derStorchenschnabel, 
Spica  humeri  ascendens  s.  Geranium.  Man  lässt  das  Ende 
einer  2  0  Fuss  langen  und  2 '  /2  Zoll  breiten,  einköpfigen  Rollbinde  unter 
der  gesunden  Achselhöhle  festhalten ,  führt  die  Binde  schräg  über  die 
Brust  zum  obern  Theil  des  Oberarms ,  umgeht  denselben ,  kreuzt  die  vo- 
rige Tour  und  führt  sie  schräg  über,  den  Rücken  zum  Anfange  zurück. 
Diese  Tour  wiederholt  man  einige  Mal,  geht  dann  unter  der  Achsel  her- 
vor und  macht  eine  Tour  um  den  Arm  herum ,  geht  nun  wieder  von  der 
Achselhöhle  nach  oben  über  dfe  kranke  Schulter,  schräg  über  den  Rücken 
nach  der  gesunden  Achselhöhle  und  endigt  mit  einigen  Zirkeltouren  um 
die  Brust.  —  Diese  Binde  kommt  bei  Quetschungen ,  Verwundungen, 
Brüchen  und  Verrenkungen  der  Schulter  und  der  umliegenden  Theile  zur 
Anwendung ;  es  muss  aber  die  Achselhöhle  gehörig  mit  Compressen  oder 
Charpie  ausgefüllt  werden.  ■ —  2)  Die  absteigende  Kornähre  für 
die  Schulter,  Spica  humeri  descendens,  s.  Fascia  pro 
fractura  claviculae.  Sie  unterscheidet  sich  von  der  vorigen  da- 
dadurch ,  dass  die  erste  Tour  nahe  am  Halse  über  das  Schlüsselbein  ge- 
führt wird  und  die  folgenden  Gänge  sich  absteigend  halb  decken,  ohne 
das  Geranium  zu  bilden.  —  3)  Die  Kornähre  für  die  Hüfte, 
Spica  coxae  s.  inguinalis.  Man  hat  eine  Sp.  inguinalis  sim- 
plex  und  duplex;  leztere  ist  für  beide  Oberschenkel  bestimmt  und 
fast  noch  einmal  so  lang  als  die  einfache.  Die  Art  der  Anlegung  ist  wie 
bei  der  einfachen.  Die  Spica  inguinalis  simplex,  welche  nach 
dem  Orte,  wo  die  Kreuzung  stattfindet,  bald  anterior  s.  pro  hernia, 
bald  posterior,  bald  lateralis  s.  pro  luxatione  femoris  ge- 
nannt wird,  wird  mit  einer  einköpfigen,  24  Fuss  langen,  2  ^  Zoll  breiten 
Binde  durch  2  von  der  gesunden  Seite  beginnende  Zirkeltouren,  welche 
zwischen  dem  Trochanter  major  und  der  Cris  ta  os  s.  ilei  ver- 
laufen, befestigt,  steigt  dann  schräg  über  den  Unterleib  nach  der  kranken 


584  KOTHRECIPIENT. 

Leiste  abwärts,  umgeht  den  ol,ern  Theil  des  Oberschenkels,  geht  zwischen 
denselben  durch ,  kreuzt  die  erste  Tour  über  der  Leiste  und  führt  die 
Binde  über  den  hintern  Theil  des  Beckens  bis  zu  ihrem  Anfang.  Auf 
dieselbe  macht  man  noch  zwei  Mal  absteigende  und  halb  sich  deckende 
Touren,  führt  dann  den  Kopf  der  Binde  nach  dem  Nabel,  schlägt  sie  liier 
um  und  führt  die  Binde  auf  demselben  Wege  zurück,  bildet  eine  D  o  1  a  b  r  a 
ascendens  und  endigt  mit  Zirkeltouren  um  das  Becken.  —  Die  Spica 
lateralis  ist  dieser  ganz  ähnlich,  bildet  eine  Spica  ascendens  auf 
dem  grossen  Trochanter,  lässt  den  Umschlag  weg  und  macht  einen  Zirkel- 
gang um  den  Oberschenkel  unter  der  Kornähre.  —  Die  Spica  poste- 
rior, welche  bei  Wunden  des  Gesässes  angewendet  wird,  um  die  Ver- 
bandstücke festzuhalten,  wird  wie  die  beiden  vorhergehenden  angelegt,  nur 
dass  die  Kornähre  auf  der  kranken  Stelle  des  Gesässes  gebildet  wird.  — 
4)  Die  Kornähre  für  die  Verrenkung  des  Fusses,  Spica  s. 
Dolabra  pro  luxatione  pedis,  s.  astragali  s.  Sandalium 
wird  mit  einer  8  Fuss  langen,  l1^  Zoll  breiten  und  auf  einen  Kopf  ge- 
rollten Binde  ausgeführt.  Man  beginnt  mit  einigen  Zirkeltouren  ober- 
halb der  Knöchel,  führt  alsdann  die  Binde  schief  über  die  Beugeseite  des 
Fussgelenks  um  den  Fuss  herum  bis  dahin  zurück  und  wiederholt  diesen 
Gang ,  so  oft  es  nöthig  ist  mit  absteigenden  Hobelgängen ,  so  dass  sich 
auf  dem  Fussrücken  eine  absteigende  Kornähre  bildet.  Den  Rest  der 
Binde  verwendet  man  zu  aufsteigenden  Hobelgängen  um  den  Unter- 
schenkel. —  Diese  Binde  bildet  auch  einen  Theil  der  Theden'schen 
Einwicklung  der  untern  Extremität.  —  5)  Die  Kornähre  des 
Daumens,  Spica  pollicis  s.  Fascia  pro  morbis  pollicis. 
Man  bedarf  hiezu  eine  8  Fuss  lange,  3/4  Zoll  breite,  einköpfige  Rollbinde, 
welche  man  mit  einigen  Zirkeltouren  um  die  Handwurzel  führt,  dann  an 
dem  Mittelhandknochen  des  Daumens  schräg  herabsteigt ,  lezteren  um- 
schlingt und  hierauf,  den  ersten  Gang  auf  der  Rückseite  des  Daumens 
kreuzend ,  zur  Handwurzel  zurückkehrt.  Diese  abwärts  steigenden  und 
sich  kreuzenden  Achtertouren  wiederholt  man  2  —  3  Mal  und  endigt  die 
Binde  mit  Zirkelgängen  um  das  Handgelenk.  —  Wo  es  nöthig  ist,  den 
ganzen  Daumen  einzuwickeln,  fängt  man  an,  denselben  von  seiner  Spize 
aus  in  Hobelwindungen  zu  umgehen ,  worauf  man ,  am  Mittelhandgelenk 
angekommen,  die  eben  beschriebene  Kornähre  bildet. 

Kothnstel,    s.   After,   widernatürlicher. 

Kothrecipient,  Receptaculumfaeciums.  ani,  ist  eine 
aus  verschiedenen  Stoffen  gefertigte  Vorrichtung,  welche  dem  auf  wider- 
natürliche Weise  abgehenden  Koth  zum  einstweiligen  Behälter  dient.  In 
früherer  Zeit  befestigte  man  Beutel  oder  Flaschen  von  Leder,  Hörn,  El- 
fenbein,  ja  von  Metall  durch  Riemen  an  der  Stelle  des  Austritts  des 
Koths ,  welche  jedoch  sehr  mangelhaft  waren.  So  benüzte  Ho  in  ein 
dreieckiges  Gef  äss  von  Eisenblech,  dessen  OefFnung  auf  der  Fistelöffnung 


KRAEZE. 


585 


mittels  eines  breiten  Beckengürtels  befestigt  wurde ,  der  das  Gef  äss  in 
einem  Sehlize ,  wie  ein  Knopfloch  einen  Knopf,  aufnahm.  Aehnlich  ist 
der  Recipient  von  C  h  c,p  a  r  t  und  D  e  s  a  u  1 1  beschaffen  ,  nur  dass  ein 
elastischer  Gürtel  oder  elastischer  Halbzirkel  zur  Befestigung  der  Kapsel 
diente.  Löffler  brachte  an  der  vordem  Fläche  einer  durchbohrten 
Pelotte  eines  passenden  Bruchbandes  einen  Beutel  oder  Schlauch  an. 
Vollkommener  sind  die  Vorrichtungen  von  Juville  und  Böttcher. 
Beide  bedienten  sich  eines  elastischen  Bruchbandes ,  welches  statt  der 
Pelotte  eine,  mit  einer  runden  Oeffnung  durchbrochene  Scheibe  hat.  An 
der  innern  Fläche  dieser  Scheibe  umgiebt  die  Oeffnung  ein  Ring  von 
Hörn  oder  Elfenbein,  damit  sie  genau  die  Fistelöffnung  umfasst  und  die 
Bandage  selbst  vor  Unreinlichkeit  geschüzt  ist.  An  der  äussern  Fläche 
der  Scheibe  ragt  der  Rand  gleichfalls  hervor ,  ist  jedoch  mit  Schrauben- 
gängen versehen,  an  welche  bei  der  Vorrichtung  von  Juville  eine  mit 
einer  Kautschukröhre  versehene  silberne  Kapsel,  bei  der  von  Böttcher 
ein  flaschenartiger  lederner  und  gefirnisster  Beutel  angeschraubt  wird. 
An  dem  Juville'  sehen  Apparate  befindet  sich  noch  in  der  Kautschuk- 
röhre ein  Ventil ,  welches  das  Zurückfliessen  des  Koths  verbindert.  — 
Die  Kothrecipienten  haben  den  Nachtheil ,  dass  sie  nicht  auf  die  Länge 
ertragen  werden,  weil  sie  durch  ihren  Druck  feindselig  auf  die  Umgebung 
des  falschen  Afters  wirken.  Grosse  Reinlichkeit  und  öfteres  Bestreichen 
der  Umgegend  mit  Collodium  zeigen  sich  nüzlich. 

Kr  äze,  Scabies,  Psora  ist  eine  Affection  der  Haut ,  welche 
sich  durch  Bläschen  characterisirt,  die  bald  klein,  hirsenförmig  mit  einer 
durchsichtigen  Flüssigkeit  angefüllt ,  mit  einem  harten ,  rothen  Rande 
umgeben,  bald  grösser,  mit  einer  dicken,  eiterartigen  Materie  gefüllt  in 
ihrem  Umfange  mehr  entzündet  sind.  Sie  erscheint  meistens  zwischen 
den  Fingern  und  an  den  Seiten theilen  derselben,  am  Handgelenke  und  an 
den  Biegungen  der  Gelenke,  breitet  sich  von  da  über  den  ganzen  Körper 
mit  Ausnahme  des  Gesichts  aus  und  ist  besonders  in  der  Bettwärme  und 
beim  Reiben  mit  heftigem  Brennen  und  Jucken  verbunden.  Die  Bläschen 
vertrocknen  nun  entweder  zu  Krusten  (trockene  Kräze,  Scabies 
sicca),  oder  sie  plazen  und  ergiessen  eine  scharfe  Flüssigkeit,  welche 
die  Theile  corrodirt  (feuchte  Kräze,  Scabies  humid a).  —  Bei 
langem  Bestände  bilden  sich  zuweilen  an  einer  Stelle  mehrere  zusammen- 
fliessende  Pusteln ,  die  aufbrechen ,  eine  scharfe  Flüssigkeit  absondern, 
welche  die  benachbarten  Theile  angreift  und  hierdurch  zu  weit  um  sich 
greifenden  Geschwüren  Veranlassung  giebt ,  welche  man  als  Kräzge- 
schwüre,  Ulcera  scabiosa,  bezeichnet.  Zuweilen  entstehen  diese 
auch  durch  Aufkrazen  der  Bläschen.  Diese  Geschwüre  bedecken  sich 
mit  dickrandigen  Krusten,  zwischen  denen  stets  eine  scharfe  «Tauche  aus- 
sickert. Die  Umgebung  des  Geschwürs  ist  von  Kräzbläschen  umgeben, 
welche  heftig  jucken ,   während  der  Schmerz  in  dem  Geschwür  ein  mehr 


586 


KRAEZE. 


brennender,  stechender  ist.  —  Ursache.  Diese  ist  die  Ansteckung, 
welche  unter  günstigen  Bedingungen  kein  Alter ,  keinen  Stand  und  kein 
Geschlecht  verschont.  Diese  Bedingungen  sind :  längere  Berührung, 
namentlich  das  Tragen  alter ,  mit  Kräzstoff  verunreinigter  Kleidungs- 
stücke, das  Schlafen  in  verunreinigten  Betten,  das  Zusammenschlafen  mit 
kräzigen  Personen  etc.  —  Das  Contagium  der  Kräze  ist  fixer  Natur. 
Es  ist  noch  nicht  ausgemacht ,  ob  dasselbe  an  den  wässerigen  Inhalt  der 
Kräzbläschen  gebunden  oder  in  der  der  Kräze  eigentümlichen  Milbe 
(Acarus  scabiei)  selbst  zu  suchen  sei.  —  Nach  E b  1  e  findet  man 
die  Kräzmilbe  nur  bei  der  Scabies  vesicularis  und  auch  da  nur 
in  jenem  Zeitpunkte,  wo  sich  kurz  vorher  das  Bläschen  gebildet  und  mit 
Serum  gefüllt  hat.  Die  Milbe  zeigt  sich  am  Ende  eines  von  diesem 
Bläschen  ausgehenden  Ganges  als  ein  schwarzer  Punkt.  Bis  jezt  ist  die 
Milbe  nur  zwischen  den  Fingern  und  am  Handgelenke  aufgefunden  worden. 
Die  Zahl  der  Kräzgänge  und  der  vorhandenen  Milben  steht  mit  dem  Grade 
des  Ausschlags  selten  im  Verhältniss ;  die  Milben  fehlen  oft  ganz,  selbst 
bei  frischer  Kräze.  —  Prognose.  Die  Kräze  ist  bald  leichter ,  bald 
schwieriger  zu  heilen,  nie  aber  bei  gehöriger  Behandlung  gefährlich ;  un- 
günstige Folgen  hat  sie  nur  bei  sehr  langer  Dauer ,  wenn  sie  die  Kräfte 
erschöpft.  Nur  die  längere  Störung  der  Hautthätigkeit,  nicht  eigentliche 
Metastase  der  Kräze  können  anderweitige  Krankheiten,  wie  Asthma, 
Wassersucht  etc.  zur  Folge  haben.  —  Complicationen  mit  Scropheln, 
Syphilis,  Scorbut,  Gicht,  Rheumatismus  machen  die  Krankheit  hartnäcki- 
ger. —  Die  Kräze  heilt  nie  von  selbst.  —  Behandlung.'  Diese 
ist  wesentlich  eine  örtliche,  es  ist  aber  räthlich ,  namentlich  bei  längerer 
Dauer  der  Krankheit  die  Hautthätigkeit  zu  regeln  und  alle  begünstigen- 
den Nebenursachen  ,  wie  Unreinlichkeit ,  schlechte  Diät ,  feuchte  ,  nasse 
Wohnungen  etc.  zu  entfernen.  Eine  grosse  Menge  Mittel  sind  zur  Be- 
kämpfung der  Kräze  empfohlen,  von  denen  die  einen  die  Haut  reizen  und 
das  Insekt  todten,  während  die  andern  lezteres  allein  thun.  Zu  den  lez- 
teren  gehört  vor  Allem  der  Schwefel,  der  als  ein  Specificum  angesehen 
werden  kann.  Eine  sehr  wirksame  Behandlungsmethode  ist  die  englische. 
Bei  dieser  wird  der  ganz  entkleidete  Kranke  zwischen  zwei  wollene 
Decken  gelegt  und  dann  mit  folgender  Salbe :  Rp.  Flor,  sulphur., 
Sapon.  nigr.  ana  5ÜJ ,  Hellebor.  alb.  5J,  Kali  nitric.  5ß, 
Axung.  porci  ^ix.  M.  f.  ungt.  Dreimal  täglich  Jj  über  den  ganzen 
Körper  eingerieben  und  zu  Anfang  und  Ende  der  Kur  (welche  4 — 6  Tage 
dauert)  ein  Seifenbad  genommen.  Auch  die  folgende  Salbe  leistet  gute 
Dienste:  Rp.  Sulphur.  d  ep.  Jj,  S  apon.  vir  id.  Jij,  Aq.  fervid. 
q.  s.  u  t  f.  ungt.  m  o  1  le .  S.  dreimal  täglich  einzureiben  ;  bevor  man 
wieder  aufs  Neue  einreibt,  muss  die  aufgetragene  Salbe  mit  Seifenwasser 
abgewaschen  werden.  Ausser  dem  Schwefel ,  der  auch  in  Verbindung 
mit  Präcipitat,  mit  weissem  Vitriol,  mit  Salmiak,  Salz  etc.  in  Anwendung 
kommt,  sind  ferner  empfohlen:   Salben  von  weisser  und  schwarzer  Niess- 


KRAEZE.  587 

würz  (Rp.  Pulv.,  rad.  helle  bor.  albi,  Flor,  s  ulphur.,  Ni  tr. 
puri  ana  3ij-  M.  S.  Mit  warmem  Milchrahm  zu  einer  Salbe  anzurühren 
und  die  kräzigen  Stellen  zwei  Abende  hindurch  zu  bestreichen ;  dann  ein 
Seifenbad;  oder  Rp.  Decoct.  rad.  hellebor.  alb.  ex  Jj  par.  ^j, 
col.  refrig.  adde  Alcohol.  31J.  M.  S.  Waschwasser),  Braunstein, 
Chlorkalk  für  sich  oder  in  Verbindung  mit  andern  Mitteln  (Rp.  Calcar. 
c h  1  o  r  i  n  i  c.  5J  —  iij  ,  A  q.  d  e  s  t  i  1 1.  "{Jj.  M.  S.  Waschwasser  ;  mehr- 
mal taglich  damit  zu  waschen  ;  R p.  Chloret,  c a  1  c.  ^j,  S a p  o n.  do- 
rnest, nigr.  ^ij  ,  Aq.  fönt  an.  q.  s.  ut  f.  linimt.  D.  S.  Früh  und 
Abends  die  kräzigen  Stellen  damit  einzureiben ;  Rp.  Aq.  chloratae 
gutt.  LX,  Ol.  olivar.  Jj ;  M.  f.  linimt.  S.  Wohl  umgeschüttelt 
in  die  kräzigen  Stellen  einzureiben),  Russ,  Theer  (nach  F  r  i  c  k  e  gleiche 
Theile  Theer  und  grüne  Seife ,  mit  welcher  Mischung  der  ganze  Körper 
täglich  2  Mal  (3  Tage  lang)  bestrichen  wird;  darauf  ein  Seifenbad), 
Semina  staphyd.  agriae  (Rp.  Sem.  delphin.  staphyd.  agr. 
cont.  ^j,  coq.  cum  aq.  fönt,  ^jß  ad  colat.  ^j,  adde  Tinct.  opii 
gutt.  xxiv.  M.  S.  Täglich  zwei  Mal  die  behafteten  Stellen  mittels  eines 
Leinwandläppchens  zu  waschen;  bei  gereizter  Haut  muss  die  Flüssigkeit 
mit  Wasser  verdünnt  werden) ,  Kreosot  (Rp.  Creosoti  5ß,  A q.  d e - 
still,  ^v.  M.  S.  Täglich  2  —  3  Mal  die  afficirten  Stellen  zu  waschen), 
Waschwasser  von  Auflösungen  des  Sublimats ,  des  weissen  Vitriols  etc. 
Ein  einfaches  und  bei  leichteren  Fällen  brauchbares  Mittel  ist  die 
Schmierseife,  mit  welcher  sich  der  Kranke  sechs  Tage  lang  zwei  Mal 
täglich  und  zwar  in  den  ersten  Tagen  mit  je  2*/g —  3  Unzen,  in  den  fol- 
genden Tagen  mit  je  2  Unzen  den  ganzen  Körper  überschmiert ;  ein 
Seifenbad  beschliesst  die  Kur.  Da  wo  Schwefelgeruch  durchaus  nicht 
ertragen  wird,  ist  Kampher  mit  Erfolg  angewendet  worden,  namentlich 
empfiehlt  sich  ein  Liniment  aus  Camph.  3ij,  Ol.  olivar.  ^ij,  bei  Kin- 
dern sehr.  —  Hat  die  Kräze  schon  länger  gedauert,  dann  ist,  ehe  man 
zu  der  Anwendung  der  äussern  Mittel  schreitet ,  der  mehrtägige  innere 
Gebrauch  des  Schwefels  für  sich  oder  in  Verbindung  mit  Antimonium, 
abführenden  Mitteln,  Holztränken  etc.  vonnöthen.  Hat  die  Kräze  bereits 
tiefe  Wurzeln  gefasst,  so  zieht  man  stärkere  Salben  in  Gebrauch,  verbin- 
det den  Schwefel  mit  Quecksilbermitteln ,  oder  wiederholt  eine  mildere 
Kur  mehrere  Mal ,  wäscht  die  Haut  mit  Tabakblätterabsud  und  lässt  De- 
cocte  von  Bardana ,  Sarsaparille ,  Guajac  trinken ;  dabei  lässt  man  die 
grösste  Reinlichkeit  beobachten.  Geschwächten  Subjecten  empfiehlt  man 
eine  nahrhafte  Diät  und  giebt  ihnen  Roborantia.  Ist  die  Kräze  mit 
Dyscrasien  verbunden,  so  müssen  zugleich  gegen  diese  die  angemessenen 
Mittel  in  Gebrauch  gezogen  werden.  — ■  Gegen  Kräzgeschwüre  wendet 
man  neben  einer  zweckmässigen  innern  Behandlung  äusserlich  Waschun- 
gen mit  Sublimatlösungen ,  Aqua  phagedaenica  an,  oder  verbin- 
det sie  mit  üngt.  sulphuratum,  oxygenatum,  Acetum  satur- 


588 


KREBS. 


ninura,   Decoctum  fuliginis  etc.  und  sezt  dabei  Fontanellen,  die 
überhaupt  bei  sehr  veralteter  Kräze  zuträglich  sind. 

IkreOS  j  Cancer.  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man  eine  bös- 
artige organisirte  Neubildung  von  unbestimmter  Form  und  Consistenz,  die 
das  normale  Gewebe  ihrer  Entwicklungsstätte  vernichtet ,  nach  einiger 
Zeit  des  Wachsthums  sich  erweicht ,  aufbricht  und  ein  missbeschaffenes, 
meist  weit  um  sich  greifendes  ,  durch  die  Kunst  höchst  selten  heilbares 
Geschwür  (Carcinoma)  bildet ,  welches  in  Folge  der  Entkräftung 
durch  fortdauernde  Absonderung,  anhaltende  Schmerzen,  häufige  Blutung 
oder  in  Folge  der  Zerstörung  zum  Leben  nothwendiger  Organe  den  Tod 
herbeiführt.  Wird  die  Geschwulst  durch  die  Operation  entfernt ,  so  er- 
scheint sie  gewöhnlich  an  derselben  oder  an  einer  andern  Stelle  wieder. 
—  Die  krebsartige  Entartung  kann  entweder  früher  gesunde  Theile  er- 
greifen, oder  bereits  anderweitig  erkrankte  Stellen  werden  der  Siz  dieser 
Entartung.  —  Die  anatomische  Untersuchung  weist  nach,  dass 
in  den  verschiedenen  Krebsgeschwülsten  zwar  verschiedene  Elemente  vor- 
kommen, jedoch  keines  ,  das  sich  wesentlich  von  den  Gewebetheilen  gut- 
artiger Geschwülste  und  den  primitiven  Geweben  unterschiede.  Nur  ge- 
wisse Modificationen  zeigen  manche  dieser  Elemente  ,  wodurch  sich  eine 
Krebsgeschwulst  von  andern  gutartigen  Geschwülsten  und  normalen  Ge- 
weben mehr  oder  weniger  deutlich  unterscheiden  lässt.  Nach  Virchow 
finden  sich  am  entwickelten  Krebse  folgende  allgemeine  Bestand- 
theile  :  das  Krebsgerüste  und  sein  Inhalt ,  der  Krebssaft ,  bestehend  aus 
Krebskörperchen  und  Krebsserum.  Das  Krebsgerüste  (Stro'ma, 
das  maschige  Gewebe)  besteht  aus  Bindegewebe  auf  verschiedenen  Ent- 
wicklungsstufen ;  bald  ist  es  junges  unreifes  Bindegewebe,  bestehend  aus 
länglichen,  in  zwei  Spizen  auslaufenden,  kernhaltigen  Faserzellen  (Zell- 
fasern) ,  den  so  genannten  spindelförmigen  oder  geschwänzten  Körpern, 
bald  dagegen  vollkommen  entwickelte  Bindesubstanz  (Zellgewebe).  Wie 
im  normalen  Zellgewebe  ,  so  gehen  elastische  Fasern  und  Blutgefässe  in 
die  Zusammensezung  dieses  Gerüstes  ein.  Das  Krebsgerüste  bildet  mehr 
oder  weniger  abgegrenzte  Räume ,  Maschen  oder  Kamnfern  (A 1  v  e  o  1  i), 
welche  bald  mit  einander  communiciren,  bald  von  einander  abgeschlossen 
sind  und  in  denen  sich  der  Krebssaft  befindet.  Dieser  ist  eine  ziem- 
lich dickliche ,  milchig  aussehende  ,  trübe  Flüssigkeit  von  der  Consistenz 
guten  Eiters  und  ebenso  homogen.  Er  besteht  aus  dem  formlosen  Krebs- 
serum und  den  Krebskörperchen.  Das  Krebsserum,  welches  ausser 
Wasser  vornehmlich  aus  Eiweiss  und  Fett  besteht,  ist  noch  nicht  gehörig 
erforscht.  Die  Krebskörperch  en  treten  in  der  Form  von  Kernen 
und  Zellen  auf,  die  aber  durchaus  nicht  characteristisch  für  den  Krebs 
sind  ;  in  demselben  Krebse  können  die  allerverschiedensten  Formen  der- 
selben vorkommen.  Die  junge  Krebszelle  ist  vollkommen  rund,  glashell, 
hat   eine   dünne   Membran   und   einen   gleichartigen   Inhalt.       Sie  besizt 


KREBS.  589 

stets  einen  ovalen  einfachen,  doppelten  oder  mehrfachen  Kern.  Bei  den 
älteren  Zellen  ist  die  Membran  dicker ,  der  Inhalt  etwas  getrübt  und  der 
Kern  zeigt  ein  oder  zwei  Kernkörperchen.  Die  Krebszellen  besizen  die 
Fähigkeit ,  Tochterzellen  zu  bilden ,  was  auch  ausser  dem  Krebse  vor- 
kommt. —  Die  chemischen  Bestandteile  krebsiger  Geschwülste  sind  eben- 
falls dieselben,  wie  sie  in  andern  plastischen  Exsudaten  und  neugebilde- 
ten Geweben  vorkommen,  nämlich  Wasser,  Salze,  Fette,  ExtractivstofFe, 
Leim-  und  Prote'inkörper ,  welche  Stoffe  bei  der  Verschiedenen  Structur 
des  Krebses  in  verschiedenen  Verhältnissen  vorhanden  sind.  —  Je  nach 
dem  Vorwiegen  des  einen  oder  des  andern  Gewebetheils  zeigt  der  Krebs 
in  seiner  äussern  Erscheinung  Verschiedenheiten ,  worauf  die  verschiede- 
nen Formen  desselben  beruhen.  Herrscht  das  Bindegewebe  vor ,  so  hat 
man  den  Fas  er  kr  ebs  ,  Scirrhus  (von  GxiÖQog,  Verhärtung),  Car- 
cinoma fibrosum;  walten  die  Zellengebilde  vor,  so  nennt  man  die 
Geschwulst  Zellenkrebs,  Markschwamm,  Medullarkrebs, 
Cancer  cellulosus,  Carcinoma  medulläre;  führen  die  Zel- 
len Pigment,  so  heisst  der  Krebs  der  melanotische,  Cancer  mela- 
n  o  d  e  s  ;  ist  das  Medullarsarkom  sehr  reich  an  Blutgefässen,  so  hat  man 
den  Blutschwamm,  Fungus  haematodes;  hat  der  Krebs  ein  knö- 
chernes Stroma,  so  bezeichnet  man  ihn  als  bösartiges  Osteoid;  ist 
derselbe  mit  nezartig  verwebten  Faserzügen  durchzogen,  so  erhält  er  den 
Namen  Carcinoma  reticulare,  sind  dagegen  die  Fasern  büschel- 
artig zusammengestellt,  so  nennt  man  ihn  Carcinoma  fascicula- 
tum.  Diese  histologischen  Verschiedenheiten  begründen  auch  entspre- 
chende Unterschiede  in  der  Consistenz  und  äussern  Form.  Faserkrebse 
sind  fest,  selbst  hart,  Zellenkrebse  weich,  einige  von  ihnen,  wie  der  Blut- 
schwamm ,  geben  ein  täuschendes  Gefühl  von  Fluctuation.  —  Ob  nun 
diese  oder  jene  Form  des  Krebses  sich  bildet,  das  hängt  theils  von  allge- 
meinen Verhältnissen  des  Körpers  ab ,  theils  von  der  Beschaffenheit  des 
Organs,  in  welchem  die  Entwicklung  geschieht.  Organe,  in  welchen  die 
Zellen  vorwiegen  und  das  Bindegewebe  zurücktritt,  sind  zum  Zellenkrebs, 
faserige  Organe  zum  Faserkrebs  geneigter.  —  Unter  allen  Krebsformen 
kommt  der  Zellenkrebs  am  häufigsten  und  ausgebreitetsten  vor.  Er  ver- 
schont kein  Organ  und  kein  Gewebe  ;  ebenso  wird  er  in  jedem  Alter  und 
bei  beiden  Geschlechtern  beobachtet.  Er  ist  die  bösartigste  Krebsbil- 
dung, da  er  am  stärksten  wuchert,  sich  nach  allen  Richtungen  verbreitet, 
nach  der  Exstirpation  am  häufigsten  wiederkehrt  und  am  frühesten  durch 
unvollständige  Entwicklung  oder  Rückbildung  der  Zellen  erweicht,  wo- 
mit aber  auch  Veranlassung  zu  spontaner  Heilung  gegeben  ist ,  die  bei 
keiner  andern  Krebsform  so  häufig  vorkommt.  —  Entwicklung, 
Verlauf  und  Ausgang  des  Krebses.  Die  erste  Bildung  des  Kreb- 
ses besteht ,  wie  überhaupt  jede  organische  Bildung ,  in  der  Ablagerung 
eines  ursprünglich  formlosen ,  flüssigen ,  vorzüglich  eiweiss-  und  fetthal- 
tigen, oder  festen  fibrinösen  Blastems  (Exsudat),  wovon  sich  ersteres  be- 


590  KREBS. 

sonders  in  Zellen  mit  ihren  weiteren  Veränderungen ,  lezteres  in  Fasern 
ausbildet.  Nie  findet  eine  unmittelbare  Umwandlung  irgend  eines  Ge- 
webes in  Krebsmasse  statt.  Das  Blastem  wird  geliefert  entweder  durch 
Ausschwizung  aus  den  Blutgefässen,  und  zwar  unter  mehr  oder  weniger  deut- 
lichen Symptomen  der  Entzündung  oder  ganz  unmerklich  zugleich  mit 
der  Absonderung  der  Ernährungsfliissigkeit.  Das  Cytoblastem  des  Kreb- 
ses ,  namentlich  das  gallertartige ,  bleibt  zuweilen  auf  dieser  Stufe  der 
Entwicklung  stehen  und  stellt  dann  den  Gallertkrebs  (s.  Colloid) 
dar.  —  Krebsmasse  kann  sich  überall  bilden,  wo  sich  Gefässe  finden, 
in  den  Gewebsinterstitien  sowohl  normaler  als  pathologischer  Gewebe, 
was  man  häufig  als  Entartung  (Degeneration)  derselben  bezeichnet,  be- 
sonders wenn  die  Krebsmasse  infiltrirt  und  nicht  geschlossen  auftritt.  — 
Kommt  es  zur  Erweichung  des  Krebses,  so  zerfliesst  das  Blastem,  die 
Zellen  und  Kerne  trennen  sich  von  einander,  die  erstem  zerfallen  und 
das  Erweichte  bildet  eine  eiterige  Flüssigkeit,  welche  bisweilen  viele  Kör- 
nerhaufen (Entzündungskugeln  und  Körnchenzellen)  zeigt.  Mit  dem 
Zutritt  der  Luft  und  fremder  Stoffe  geht  die  zerflossene  Krebsmasse  in 
Fäulniss  über,  und  es  tritt  Verjauchung  ein.  —  Mit  diesen  im  In- 
nern vor  sich  gehenden  Veränderungen  gehen  äussere  Erscheinun- 
gen Hand  in  Hand.  Das  Wachsthum  der  Geschwulst  erfolgt  bald  sehr 
rasch ,  bald  sehr  langsam  mit  zeitweisen  Stillständen.  Die  Geschwulst 
ist  anfangs  beweglich ,  bei  der  Berührung  in  der  Regel  nicht  schmerz- 
haft, die  Haut  unverändert.  Sie  ist  häufig  unregelmässig  höckerig ; 
bald  fühlt  sie  sich  hart,  wie  Elfenbein,  bald  etwas  elastisch,  stellenweise 
sogar  weich  an.  üeber  kurz  oder  lang  wird  die  Geschwulst ,  spontan 
oder  nach  einer  äussern  Verlezung  empfindlich  gegen  Berührung,  es  stel- 
len sich  heftige  stechende  oder  brennende  Schmerzen  ein ,  der  Umfang 
der  Geschwulst  nimmt  zu,  die  bedeckende  Haut  verwächst  mit  ihr,  wird 
dunkelroth  und  die  Venen  der  Umgegend  treten  stark  hervor.  Die  be- 
nachbarten Lymphdrüsen  und  zuweilen  die  Lymphgefässe  schwellen  an 
und  werden  schmerzhaft,  das  Aussehen  des  Kranken  verfällt,  Appetit  und 
Schlaf  verlieren  sich,  und  es  stellen  sich  Fieberbewegungen  ein.  Endlich 
kommt  es  zur  Erweichung  der  Geschwulst  ,  was  sich  durch  die  Fluctua- 
tion  bald  an  dieser,  bald  an  jener  Stelle,  bald  an  mehreren  zugleich  kund 
giebt.  Dabei  wird  die  Haut  bläulich,  verdünnt,  bricht  zulezt  auf  und  es 
ergiesst  sich  eine  mehr  oder  weniger  schlechtem  Eiter  ähnliche  Flüssig- 
keit. Die  Haut  wird  bald  in  grösserem  Umfang  zerstört,  und  die  Krebs- 
geschwulst ist  in  schwärenden  Krebs ,  in  Carcinom  übergegangen.  — 
Die  Zeit,  zwischen  dem  ersten  Erscheinen  der  Geschwulst  und  ihrem  Auf- 
bruche ist  höchst  verschieden  und  von  der  Lage ,  der  histologischen  Be- 
schaffenheit ,  von  äussern  Einwirkungen  etc.  abhängig.  —  In  seltenen 
Fällen  kommt  es  zu  einer  Rückbildung  der  Krebsgeschwulst.  In  der 
Krebsmasse  entstehen  durch  Bildung  von  Fettkörnchenzellen  hie  und  da 
opake  graue  Stellen  (R  e  t  i  c  u  1  u  m),  bisweilen  zwischen  nezartig  -verweb- 


KEEBS.  591 

ten  Faserzügen.  Kommt  es  nun  zur  Erweichung  dieser  reticulären  Masse, 
so  wird  diese  in  seltenen  Fällen  resorbirt  und  die  Höhle  verwächst  zu 
einer  sehnigen  Narbe.  Oder  es  findet  ohne  Erweichung  eine  fortschrei- 
tende Zersezung  der  Reticulärmasse  unter  Ausscheidung  von  Fett  statt, 
das  durch  Resorption  verschwindet,  während  die  Kalksalze  als  Concretion 
zurückbleiben.  Das  Krebsreticulum  ist  dem  Gesagten  zufolge  als  der 
Ausdruck  einer  rückgängigen  Metamorphose ,  die  in  dem  Krebse  spontan 
vor  sich  geht,  zu  betrachten,  daher  wird  auch  das  Carcinoma  reti- 
c u  1  a r e  als  eine  Rückbildungsstufe  des  Krebses  angesehen.  —  Dia- 
gnose. Die  Erkennung  eines  Krebses  ist  oft  sehr  schwierig,  besonders 
so  lange  derselbe  noch  in  seiner  Entwicklung  begriffen  ist.  Die  lanci- 
nirenden  Schmerzen ,  die  höckerige  Oberfläche ,  die  fast  steinerne  Härte 
etc.,  welche  man  als  diagnostische  Merkmale  des  Krebses  ansieht,  können 
fehlen  oder  sich  auch  bei  andern  Geschwülsten  finden.  Es  müssen  daher 
alle  einen  vorliegenden  Fall  betreffenden  Verhältnisse  wohl  berücksichtigt 
werden ;  besonders  aber  giebt  der  Entwicklunsgang  der  Geschwulst ,  ob 
sie  wächst  oder  stationär  bleibt ,  noch  die  meisten  Anhaltspunkte  für  die 
Diagnose ,  welche  durch  die  der  Erweichung  folgende  Verwachsung  der 
Haut  mit  der  Geschwulst ,  die  Ulceration  dieser ,  die  Anschwellung  der 
benachbarten  Lymphdrüsen  und  die  deutlich  ausgeprägte  Cachexie 
zur  vollen  Gewissheit  erhoben  wird.  Besonders  geben  Cysten ,  tu- 
berculöse ,  sarkomatöse ,  fibröse,  speckähnliche ,  knorpelige  und  knö- 
cherne Geschwülste  und  die  chronischen  Abscesse  Veranlassung  zur  Ver- 
wechslung mit  Krebs.  Die  Anwendung  des  Probetroicarts  wird  in  den 
meisten  Fällen  vor  Irrthum  bewahren.  —  Das  Krebsgeschwür  giebt 
sich  durch  einen  unebenen  Boden,  unregelmässigen,  zackigen,  harten,  zu- 
weilen aufgeworfenen  Rand  und  durch  die  Absonderung  eines  schlechten, 
verschieden  gefärbten,  bisweilen  sehr  übelriechenden  Eiters  zu  erkennen. 
An  einzelnen  Punkten  sieht  man  üppige  Granulationen ,  an  andern  einen 
glatten,  rothen,  oder  unebenen  speckigen  Grund.  Das  Geschwür  ist  meist 
empfindlich  und  verursacht  periodisch  heftige,  stechende  oder  brennende 
Schmerzen.  Zuweilen  bleiben  solche  Geschwüre  stationär,  ohne  sich 
merklich  zu  vergrössern,  meist  nehmen  sie  aber  bald  nach  dieser,  bald 
nach  jener  Richtung  rasch  an  Umfang  zu.  Im  ersten  Falle  kann  das 
Geschwür  ohne  erhebliche  allgemeine  Folgen  bestehen,  im  lezteren  wirken 
aber  die  anhaltende  Absonderung  auf  der  Geschwürsfläche ,  die  heftigen 
Schmerzen,  die  Resorption  von  Krebsjauche ,  die  zuweilen  eintretenden 
Blutungen  höchst  nachtheilig  auf  das  Allgemeinbefinden ,  und  es  entwik- 
kelt  sich  die  sogenannte  Krebsdyscrasie,  welche  sich  durch  wässe- 
rige Blutbeschaffenheit,  schmuzig  fahle  Hautfarbe,  leidende  Gesichtszüge, 
trübe  Gemüthsstimmung,  Schlaflosigkeit,  Abmagerung  des  Körpers,  Brü- 
chigkeit der  Knochen  etc.  auszeichnet;  zulezt  entsteht  hectischer Zustand 
mit  Wassersucht,  profusen  Schweissen,  colliquativen  Diarrhöen,  dem  der 
Kranke  endlich  unterliegt.   —    Ursachen.      Die  unmittelbare  Ursache 


592  KREBS. 

des  Krebses  ist  unbekannt ;  als  Gelegenheitsursachen  bezeichnet  man : 
deprimirende  Gern üths äffe cte ,  wie  Kummer,  Sorge  etc.,  den  Missbrauch 
geistiger  Getränke ,  Ausschweifungen  in  der  Liebe ,  das  Aufhören  der 
Menses  etc.  Das  Auftreten  des  krankhaften  Bildungstriebs  wird  oft  be- 
günstigt durch  einen  Stoss,  Schlag,  eine  Quetschung  und  einen  anhalten- 
den Druck.  Auch  wird  eine  Erblichkeit  angenommen.  Die  meisten 
Krebsfälle  zeigen  sich  in  den  mittleren  Lebensjahren  von  3  0  bis  6  0  Jah- 
ren. —  Man  unterscheidet  eine  primäre  und  eine  secundäre  Krebsbil- 
dung. Die  primäre  Krebsbildung  verdankt  ihre  Entstehung  einer  be- 
sondern Blutkrase ,  deren  Eigenthümlichkeit ,  wie  bemerkt ,  noch  nicht 
gehörig  ermittelt  ist.  Die  secundäre  Krebsbildung  entsteht  durch 
Weiterverbreitung  der  Krebsmasse  von  einem  primären  Krebse  aus,  sobald 
derselbe  in  Erweichung  übergegangen  ist.  —  Prognose.  Sie  ist 
immer  ungünstig,  und  dies  um  so  mehr,  in  je  bedeutenderem  Umfange 
ein  Organ  davon  ergriffen ,  wenn  erbliche  Anlage  zugegen  ist,  und  wenn 
sich  schon  Zeichen  einer  allgemeinen  Dyscrasie  eingestellt  haben.  Im 
Anfange  des  scirrhösen  Stadiums  ,  wo  noch  keine  oder  nur  selten  ste- 
chende Schmerzen  vorhanden  sind ,  kann  unter  manchen  Umständen  das 
Uebel  durch  Cauterisation  oder  Exstirpation  radical  geheilt  werden.  — 
Behandlung.  Wenn  die  krebsige  Entartung  noch  nicht  bedeutend 
vorgeschritten  ist ,  so  kann  man  die  Zertheilung  versuchen  ,  andernfalls 
muss  das  Aftergebilde ,  wenn  es  zugänglich  ist,  auf  mechanischem  oder 
chemischem  Wege  entfernt  werden.  Zuweilen  hat  man  sich  auf  eine 
palliative  Behandlung  zu  beschränken.  —  Zertheilungsversuche, 
die  immer  höchst  unsicher ,  zuweilen  selbst  nachtheilig  sind ,  indem  sie 
das  Wachsthum  und  die  Erweichung  der  Geschwulst  befördern  können, 
sollen  nur  dann  in  Anwendung  kommen ,  wenn  leztere  für  einen  operati- 
ven Angriff  nicht  zugänglich ,  oder  zu  sehr  verbreitet  ist ,  oder  wenn 
der  Kranke  sich  einer  Operation  widersezt.  Als  äussere  Mittel  sind  em- 
pfohlen: das  wiederholte  Ansezen  von  Blutegeln ,  die  methodische  Com- 
pression ,  die  Unterbindung  der  zu  der  Geschwulst  laufenden  Arterie, 
Electricität  und  Galvanismus.  —  Pharmaceutische  Mittel  wurden  in 
grosser  Menge  vorgeschlagen  und  viele  von  ihnen  haben  eine  Zeit  lang 
als  Specifica  gegolten.  Es  gehören  hieher  von  Narcoticis  das  Conium 
maculatum  (Rp.  Herb,  conii  5ij,  Extr.  conii  q.  s.  ut  f.  pil. 
gr.  ij.  D.  S.  Früh  und  Abends  2  —  5  Pillen),  die  Belladonna  (Rp. 
P  u  1  v.  r  a  d.  b  e  1 1  a  d.  gr.  vj  —  xij  ,  S  a  c  c  h.  a  1  b.  5ij .  M.  f.  p  u  1  v.  d  i- 
vid.  in  part.  aeq.  xij.  S.  Früh  und  Abends  1  Pulver),  die  sowohl  zur 
Zertheilung  scirrhöser  Geschwülste  dienen  soll ,  als  auch  besonders  die 
Schmerzen  des  aufgebrochenen  Krebses  lindert ;  Hyoscyamus ,  Digitalis, 
Aconit,  Aq.  laurocerasi  (4  Mal  täglich  15 —  3  0  Tropfen),  die  Ca- 
lendula officinalis  (das  Extract  oder  das  Pulver  zu  6 — 10  Gran 
täglich  drei  Mal ,  auch  als  Decoct  zu  513 — j  auf  ^viij  Colatur).  Von 
Alterantien  ist  am  meisten  in  Gebrauch:   der  Arsenik  als  Solutio  Fow- 


KREBS.  593 

leri  (5  —  12  Tropfen  steigend  2  —  4  Mal  täglich  in  schleimigem  Ge- 
tränk) ,  Aurum  muriaticum  (Rp.  Aur.  muriat.  gr.  j,  Sacch. 
alb.  5ij.  M.  f.  pulv.  divid.  in  part.  aeq.  12.  S.  2  Mal  täglich 
1  Pulver)  ,  Jod ,  Helmintochorton  (als  Infus,  von  ^ß  auf  §xij  Colatur, 
drei  Mal  täglich  ein  Weinglas  voll),  thierische  Kohle  (gr.  ß —  iij.  Früh 
und  Abends),  das  Eisen  (Ferrum  carbonic.  oder  phosphor.  zu 
3  0  —  6  0  Gran  pro  dosi  in  Verbindung  mit  Extr.  cicutae  oder  ca- 
lendulae),  das  Zittmann'sche  Decoct  und  die  Hungerkur.  --  Aeusser- 
lich  werden  viele  der  ebengenannten  so  wie  eine  Menge  anderer  Mittel 
auf  das  Krebsgeschwür  angewendet ,  von  denen  die  narkotischen  beson- 
ders zur  Linderung  der  Schmerzen  dienen.  Sie  sind:  die  Cicuta  (Rp- 
Pulv.  hb.  cicut.  ^j,  Succ.  dauci  inspiss.  crud.  ^ß,  Tinct. 
op.  croc.  5iß-  M.  f.  cat aplasm  a) ,  die  Calendula  officinal. 
(Rp.  Extr.  calend.,  -cicut.,  -chamom.  ana  5ij,  Aq.  lauroceras. 
^j,  Tinct.  op.  simpl.  5j-  M.  S.  .zum  Verband  ;  oder  Rp.  Fol.  ca- 
lend. 5üj,  c  o  q.  c.  aq.  fönt,  ^v  a  d  c  oj.  5ÜJ,  adde  Extr.  calend. 
5j,  Pic.  liquid,  ^ij,  Acid.  pyrolignos.  ^ß,  Gummi  arab.  q.  s. 
M.  S.  Zum  Verband),  der  Arsenik  (Rp.  Arsenic.  alb.,  Flor,  sul- 
phur.  ana  5j,*Acet.  vini  destill.,  Ungt.  alb.  simpl.  ana^j.M.  f. 
ungt.  S.  Auf  Charpie  gestrichen  anzuwenden,  oder:  Rp.  Arsen,  alb. 
gr.  viij  s.  i  n  A  q.  f  1  o  r.  chamom.  ^x  ,  adde  A  q.  1  a  u  r  o  c  e  r  a  s.  ^ij . 
M.  S.  Zum  Verband),  die  thierische  Kohle  (als  Streupulver),  das  Kalk- 
wasser, Jod  (R p.  Kali  hydrojod.  gr.  xv,  Extr.  o p i i  p u  1  v.  gr.  v, 
Adip.  stiill.  3JJ3  M.  f.  ungt.  S.  Zum  Verband),  Opium,  eine  So- 
lutio  tartari  boraxati,  Creosot ,  Carotten  in  der  Form  von  Cata- 
plasmen  etc.  Dabei  sei  die  Diät  leicht,  nicht  reizend,  die  Kost  bestehe 
meist  aus  Milch  und  Vegetabilien.  —  Die  Exstirpation  der  Krebs- 
geschwulst nimmt  man  vor ,  wenn  dieselbe  noch  nicht  erweicht  und  so 
gelegen  ist ,  dass  sie  vollständig  weggenommen  werden  kann.  Sie  wird 
nach  den  in  dem  Art.  Exstirpation  angegebenen  Regeln  ausgeführt. 
Wichtig  ist  es,  die  dadurch  entstandene  Wunde  durch  die  erste  Vereini- 
gung zu  heilen,  weshalb  man  ihr  die  entsprechende  Gestalt  giebt ,  wobei 
es  nöthig  werden  kann,  bei  mangelnder  Haut,  diese  im  Umfang  etwas  ab- 
zutrennen, Seitenincisionen  zu  machen,  oder  eine  Transplantation  aus  der 
Nachbarschaft  zu  unternehmen.  —  Kommt  die  Afterbildung  wieder,  so 
wiederholt  man  die  Operation  oder  wendet  Aezmittel  oder  das  Glüh- 
eisen an ;  lezteres  hat  auch  zu  geschehen ,  wenn  die  erste  Vereinigung 
nicht  gelingt  und  sich  verdächtige  Granulationen  zeigen.  —  Der  Aez- 
mittel bedient  man  sich  bei  oberflächlichen  Krebsen,  besonders  beim  Haut- 
krebse. S.  diesen  Artikel.  —  Ist  das  Krebsgeschwür  unheilbar  gewor- 
den, so  tritt  die  palliative  Behandlung  ein.  Man  sucht  die  heftigen 
Schmerzen  durch  Narcotica,  Opium  oder  Morphium  zu  lindern.  Das  Ge- 
schwür hält  man  möglichst  rein,  bedeckt  es  nur  mit  milden  Salben,  Fo- 
menten  oder  Cataplasmen,  denen  man  bei  grosser  Schmerzhaftigkeit  Nar- 
Burger,  Chirurgie.  38 


594  KROPF. 

cotica  beisezt,  und  hält  jede  reizende  Einwirkung  ab.  Dem  Gestanke 
der  Krebsjauche  begegnet  man  am  besten  durch  Bestreuen  der  Geschwürs- 
fläche mit  Kohlenpulver ;  die  Umgebung  desselben  schüzt  man  durch  Be- 
streichen mit  Collodium.  Daneben  unterstüzt  man  die  Kräfte,  bekämpft 
eintretende  Blutungen  etc. 

Kropf,  Struma.  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man  im  weite- 
sten Sinne  eine  Anschwellung  der  Schilddrüse,  welche  bald  vorübergehend 
ist ,  wie  zur  Zeit  der  Pubertätsentwicklung ,  namentlich  beim  weiblichen 
Geschlecht ,  bei  Menstruationsstörungen,  während  der  Schwangerschaft, 
bald  aber  dauernd  auftritt  und  dann  in  einer  wirklichen  Hypertrophie  der 
Drüsensubstanz  besteht.  Diese  Hypertrophie  kann  als  eine  einfache  be- 
stehen bleiben,  in  der  Kegel  erfährt  sie  aber  sehr  bald  verschiedene  Um- 
wandlungen (in  einfache  oder  mehrfache  Cystenbildung,  Colloidbildung, 
speckige  Infiltration  oder  in  krebsige  Entartung),  von  denen  die  Weiter- 
bildung der  auch  in  den  normalen  Schilddrüsen  vorkommenden  Colloid- 
masse  die  häufigste  ist.  Nach  diesen  verschiedenen  Umwandlungen  un- 
terscheidet man  verschiedene  Arten  von  Kröpfen.  Die  häufigste  Form 
des  Kropfs  ist  die  einfache  Hypertrophie  der  Schilddrüse  mit  Colloidbil- 
dung in  den  Drüsenbläschen  ,  welche  Form  unter  dem  Namen  des  I  y  m- 
phatischen  Kropfs  (Struma  lymphatica),  auch  Driisenge- 
webskropfs  bekannt  ist.  Die  Hypertrophie  kann  sich  bald  nur  auf 
einzelne  Lappen  der  Drüse  beschränken,  bald  sich  über  die  ganze  Drüse 
gleichmässig  erstrecken.  Dieser  Kropf  entwickelt  sich  dadurch,  dass  der 
Zelleninhalt  der  Drüsenblasen  in  eine  colloide  Masse  sich  umwandelt ; 
die  vergrösserten  colloiden  Zellen  plazen ,  fliessen  zusammen,  wodurch 
grössere  Räume  in  der  Drüse  entstehen,  welche  mit  einer  durchsichtigen, 
gelbröthlichen,  gelblichen,  bräunlichen,  grünlichen,  bald  mehr  honigarti- 
gen, gummi-  oder  leimähnlichen,  bald  mit  einer,  gekochten  Sagokörnern 
ähnlichen  Masse  angefüllt  sind,  die  auf  dem  Durchschnitte  das  Aussehen 
einer  durchscheinenden  Wachsmasse  oder  eine  speckähnliche  Beschaffen- 
heit hat.  Mit  dieser  Vergrösserung  der  Drüsenbläschen  nehmen  aber 
auch  das  Stroma  und  die  Blutgefässe  an  dem  Wachsthum  Antheil.  Der 
vergrösserte  Lappen  wächst  zu  einer  rundlichen ,  von  einer  dichteren 
Bindegewebshülle  umgebenen,  von  der  übrigen  Drüse  sich  gleichsam  ab- 
schnürenden Geschwulst  heran.  Gleichzeitig  mit  dieser  Hypertrophie 
dehnen  sich  die  Gefässe  aus  und  es  bilden  sich  aus  den  alten  Gefässen 
heraus  neue  Capillaren.  Wird  der  Gefässreichthum  so  bedeutend ,  dass 
nicht  allein  die  Hautvenen  erweitert  und  vermehrt  erscheinen ,  sondern 
auch  die  tieferen  Arterien  und  Venen  der  Drüse  erweitert  sind ,  so  hat 
man  diejenige  Art  des  Kropfs  vor  sich,  die  als  Gefäss-  oder  Blut- 
kropf, Struma  vasculosas.  aneurysmatica  beschrieben  wor- 
den ist.  Ueberwiegt  das  Stroma  (das  Bindegewebe,  welches  die  Drüsen- ' 
blasen    umgiebt)    im  Wachsthum    die  Colloidmasse ,    so    hat    man  den 


KROPF.  595 

Faser  kröpf,  Struma  fibrös  a.  Schreitet  die  oben  angegebene 
Metamorphose  (die  Colloidumwandlung)  weiter  fort"',  so  vergrössern  sich 
die  Maschen  immer  mehr ,  das  interstitielle  Gewebe  wird  verdrängt ,  die 
verschiedenen  Herde  vereinigen  sich  zu  einer  gemeinschaftlichen  Cyste, 
wodurch  der  sogenannte  Balgkropf,  Struma  cystica  gebildet  wird. 
Während  dieses  Vorgangs  wird  der  colloide  Inhalt  stets  mehr  flüssig, 
und  in  ihm  sind  Fettkügelchen  und  Cholestearinkrystalle  suspendirt. 
Nicht  selten  plazen  die  erkrankten  Gef  ässe  der  Kapsel  und  ergiessen  ihr 
Blut  in  die  Höhle  derselben ,  wodurch  der  Inhalt  eine  bräunliche  oder 
schwärzliche  Färbung  erhält.  Zuweilen  kommt  es  auch  zu  Ablagerungen 
von  Exsudaten  auf  die  Innenseite  des  Balgs ,  welche  die  Metamorphosen 
der  Verkreidung  und  Verknöcherung  durchmachen,  wodurch  der  Kropf, 
indem  der  Balg  obliterirt ,  eine  mehr  oder  weniger  umfängliche,  höcke- 
rige, knorpelig-knöcherne,  kreidige  Concremente  enthaltende  Geschwulst 
darstellt.  Andere  Male  degenerirt  die  Cystenkapsel  selbst  fettig,  incru- 
stirt  sich  an  der  Innenseite  mit  Cholestearinmassen,  verkreidet,  entzündet 
sich ,  und  es  kommt  zur  Eiterung  mit  Aufbruch  nach  aussen  oder  in  die 
Höhle.  —  Alte  Kröpfe  bieten  alle  diese  geschilderten  pathologischen 
Zustände  oft  combinirt  dar.  —  Sehr  selten  sind  die  Beispiele  von  Hy- 
d  a  t  i  d  e  n  in  der  Schilddrüse.  —  Krebsige  Degeneration  der 
Thyreoidea  ist  eine  äusserst  seltene  Erscheinung.  Sie  tritt  entweder 
unter  der  Form  des  Scirrhus  oder  des  Markschwamms  auf  und  vernichtet 
im  weiteren  Fortschreiten  allmälig  das  ganze  Drüsengewebe.  Gewöhn- 
erkrankt nur  die  eine  Hälfte  der  Drüse  carcinomatös  ,  seltener  die  ganze 
Drüse,  immer  aber  widersteht  die  Bindegewebskapsel  lange  dem  von  innen 
herandrängenden  Krebse  ;  wird  sie  durchbrochen ,  so  gewinnen  die  her- 
vorwuchernden Massen  schnell  ein  auffallend  grosses  Volumen.  ■ —  Symp- 
tome. Die  einfache  Hypertrophie  stellt  sich  entweder  als  eine 
mehr  gleichmässige  oder  bucklig  -  höckerige  Anschwellung  dar,  je  nach 
der  Ausdehnung  der  colloiden  Umwandlung.  Die  Consistenz  des  hyper- 
trophischen Kropfs  ist  weich  elastisch ,  er  zeigt  keine  Fluctuation.  Die 
bedeckende  'Haut  ist  unverändert,  beweglich,  die  Venen  varikös  aufgetrie- 
ben. Auch  die  andern  umgebenden  Gewebe  gehen  keine  Adhärenzen  mit  der 
Oberfläche  des  Kropfs  ein.  Die  Geschwulst  ist  unschmerzhaft ,  erregt 
auch  bei  massiger  Grösse  keine  erheblichen  Beschwerden.  Mit  ihrem 
zunehmenden  Volumen  übt  sie  einen  Druck  auf  Larynx  und  Trachea  aus, 
wodurch  die  Stimme  nach  und  nach  rauher ,  das  Schlucken  beschwerlich 
und  das  Athinen  röchelnd ,  pfeifend  und  geräuschvoll  wird.  Diese  Zu- 
fälle vermehren  sich  bei  weiterer  Vergrösserung  der  Geschwulst  bis  zur 
Gefahr  der  Erstickung  ;  durch  die  gehinderte  Circulation  in  den  Halsge- 
f  ässen  häuft  sich  das  Blut  in  den  Gef  ässen  des  Kopfs  an  •  das  'Gesicht 
ist  aufgedunsen  ,  bläulich ,  der  Kranke  leidet  häufig  an  Kopfschmerzen, 
und  es  können  apoplectische  Zufälle  entstehen.  —  Der  Gefässkropf 
zeigt  eine    grössere  Wärme   und   Spannung   und    deutliche  Pulsationen, 

38* 


596  KROPF. 

welche  auch  der  Kranke  empfindet.  —  Der  Cystenkropf  giebt  sich 
durch  eine  glatte  rundliche  Hervorragung  in  dem  Umfange  der  Schild- 
drüse zu  erkennen ,  die  immer  deutlicher  hervortritt  und  eine  mehr  oder 
weniger  deutliche  Fluctuation  zeigt.  —  Der  verkreidete  Kropf  ist 
in  der  Regel  leicht  an  seiner  steinernen  Harte  zu  erkennen ,  und  zwar 
kann  man,  wenn  derselbe  eine  mehr  runde  Form  hat,  annehmen,  dass  eine 
Cystenwand  mit  Concretionen  incrustirt  ist ,  während ,  wenn  man  mehr 
Unebenheiten  fühlt,  annehmen  kann,  dass  die  Concretionen  entweder  im 
Cysteninhalt,  oder  diffus  in  der  Drüsensubstauz  ihren  Siz  haben.  —  Die 
krebsige  Degeneration  zeigt  eine  Elfenbeinharte  und  eine  kno- 
tige, höckerige  Oberflache  ;  der  Schmerz  ist  gleich  anfangs  bohrend  und 
stechend;  die  scirrhöse  Masse  verwächst  bald  mit  der  Luftröhre  und  den 
Muskeln  des  Halses  und  in  den  lezten  Stadien  runzeln  und  falten  sich 
die  Bedeckungen ;  die  Halsvenen  sind  varicös  und  die  benachbarten  Hals- 
drüsen angeschwollen ;  die  Athmungs-  und  Schlingbeschwerden  erschei- 
nen früh  und  sind  sehr  heftig.  Mit  dem  örtlichen  Leiden  geht  Hand  in 
Hand  das  allgemeine,  den  Krebs  kennzeichnende  Befinden.  —  Ur- 
sachen. Diese  sind  noch  nicht  gehörig  erforscht.  Eine  Hauptveran- 
lassung zu  Kropf  scheint  Jodmangel  in  der  Luft  und  im  Wasser  zu  sein ; 
dazu  kommen  niedrige,  schlecht  gereinigte,  enge  Wohnungen,  schlechte 
Ernährung,  die  Gewohnheit  schwere  Lasten  auf  dem  Kopfe  zu  tragen  etc. 
Kalk-  und  Magnesiasalze  sind  nicht  die  Ursachen  des  Kropfs  ;  das  Trink- 
wasser kann  allerdings  zur  Entwicklung  des  Kropfs  beitragen ,  aber  nur 
wenn  ihm  das  Jod  fehlt.  —  Das  weibliche  Geschlecht  ist  dem-  Kröpfe 
häufiger  unterworfen,  als  das  männliche,  und  sein  Entstehen  fällt  häufig 
mit  der  Menstruationsentwicklung  zusammen.  Für  die  Erblichkeit  spre- 
chen unläugbare  Thatsachen.  —  Prognose.  Diese  hängt  von  der 
Art,  Dauer  und  Grösse  des  Kropfs  ab.  Lymphatische  Kröpfe  lassen,  be- 
sonders wenn  sie  noch  nicht  lange  bestanden  haben,  eine  günstige  Pro- 
gnose zu ;  ältere  Kröpfe  von  bedeutender  Grösse  und  fester  Beschaffen- 
heit erfordern  oft  eine  lange  Zeit  zu  ihrer  Kur.  Vasculöse  Kröpfe  geben 
eine  weniger  günstige  Prognose ,  die  krebsigen  sind  unheilbar.  —  Be- 
handlung. Diese  muss  je  nach  der  Art  des  Uebels  eine  verschiedene 
sein.  —  Gegen  die  einfache  Hypertrophie,  den  sogenannten  lymphati- 
schen Kropf,  ist  das  Jod  das  Hauptmittel.  Vor  Entdeckung  desselben 
wurde  allgemein  der  gebrannte  Meerschwamm  angewendet.  Seitdem  man 
erkannt  hat,  dass  die  Wirksamkeit  des  lezteren  Mittels  in  seinem  Gehalt 
an  Jod  liegt,  zieht  man  dieses  jezt  fast  allgemein  vor.  Seine  Einwirkung 
auf  die  Kropfgeschwulst  giebt  sich  durch  Abnahme  der  Spannung  in  der 
Haut  und  die  deutlicher  sich  fühlbar  machenden  Abtheilungen  der  Schild- 
drüse zu  erkennen.  Gewöhnlich  ist  eine  mehrmonatliche  Anwendung  des 
Mittels  nöthig ,  und  nur  erst  dann ,  wenn  nach  Verlauf  einiger  Monate 
keine  Minderung  der  Geschwulst  wahrzunehmen  ist ,  hat  man  von  seiner 
Anwendung  keine  Heilung  oder  Besserung  zu  erwarten,  wohl  aber  für  den 


KROPF.  597 

übrigen  Organismus  manchen  Nachtheil  zu  befürchten ,  indem  ein  zu 
lange  fortgesezter  Gebrauch  des  Jods  Abmagerung  (besonders  auch 
Schwinden  der  Brustdrüse)  und  Entkräftung ,  Störung  der  Verdauung, 
wassersüchtige  Zustände,  häufigen  trockenen  Husten,  übermässige  Steige- 
rung der  Sensibilität  und  andere  Zufälle  zur  Folge  hat.  Man  wiclerräth 
seinen  Gebrauch  bei  Brustkranken ,  Schwangern  und  solchen  Personen, 
welche  Anlage  zur  Auszehrung  haben ,  bei  gastrischen  Zuständen  und 
grosser  Reizbarkeit  des  Körpers.  Man  giebt  am  besten  das  Jodkali,  von 
welchem  man  40  Gran  in  ^j  Aq.  destill,  auflösen  und  3  Mal  täglich 
6  —  8  Tropfen  in  Zuckerwasser  nehmen  lässt.  Befürchtet  man  nach- 
theilige Folgen  vom  Jod  ,  so  giebt  man  den  gebrannten  Meerschwamm, 
z.  B.  Rp.  Sp  o  ng.  marin,  u  s  t.  ^J3,  M  a  gn  es.  carb  o  n.,  Nitr.  dep., 
Sacch.  alb.  ana  5ij-  M.  f.  pulv.  subtiliss.  D.  ad  scatul.  S. 
Täglich  3  Mal  1  Kaffeelöffel  voll  zu  nehmen.  Auch  das  Ol.  j  e  c o r  i  s 
A  s  e  1 1  i  wird  gerühmt ;  man  giebt  täglich  2  Eßlöffel  voll,  steigt  bis  auf 
6  Löffel  und  geht  dann  wieder  auf  2  herab.  Weitere  empfohlene  Mittel 
und  Formeln  sind  :  Rp.  Na  tri  carbon.  acidul.  3ij,  Aq.  meliss. 
^iv,  Syrup.  cinnamomi  3Jß.  M.  S.  3  —  4  Mal  1  Esslöffel  voll;  Rp. 
Barytae  muriat.  5ß ,  Aq.  destill,  ^j.  S.  3 — 4  Mal  täglich 
10  —  tiO  Tropfen.  —  Mit  der  innerlichen  Anwendung  verbindet  man 
zweckmässig  örtliche  Mittel,  welche  geeignet  sind,  die  Lymphthätigkeit 
anzuregen.  Bei  kleinen  erst  im  Entstehen  begriffenen  Kröpfen  reicht 
man  mit  solchen  Mitteln  oft  allein  aus.  Solche  Mittel  sind  :  häufiges 
Reiben  der  Geschwulst  mit  wollenen  Tüchern,  Einreibungen  des  Campher- 
öls, des  Linimen.t.  volatile  camphorat.,  der  Cantharidentinktur, 
des  Salmiakgeists  ,  des  S  p  i  r  i  t.  M  i  n  d  e  r  e  r  i ,  des  Ung.  digitalis 
purpureae,  der  Ochsengalle,  das  Auflegen  verschiedener  Pflaster,  wie 
des  Empl.  saponatum,  de  meliloto  c.  Gi.  ammoniaco  et 
Extr.  cicutae  etc.,  das  Umlegen  eines  Halsbandes  von  Watte,  welches 
mit  folgendem  Pulver  bestreut  ist:  Rp.  Spong.  mar.  ust.,  Sal.  am 7 
mon.,  Sal.  culin.  ana;  die  Watte  wird  mit  Mousselin  umwickelt  und 
durchnäht.  Dieses  Halsband  wird  alle  Monate  erneuert  und  wenn  es  die 
Haut  reizt,  auf  einige  Tage  abgelegt.  Unter  allen  diesen  Mitteln  steht 
das  Jod  wieder  oben  an,  welches  am  besten  in  Salbenform  in  Anwendung 
kommt ;  z.  B.  R  p.  Kali  hydrojod.  5jJ3 ,  Axung.  p  o  r  c.  (oder 
Ungt.  alth.)  ^j — ij.  M.  S.  3  Mal  täglich  1  Erbse  gross  einzureiben, 
oder  Rp.  Kali  hydrojod.  5j,  Sapon.  med.  5J9,  Aq.  rosar.  5ij, 
Axung.  porc.  ^j.  M.  f.  linimt.  S.  2  Mal  täglich  einzureiben,  oder 
D  e  u t o  j  o  d  u r  e t.  h y  d r  a r  g.  gr.  ij  —  iij,  Axung.  porc.  3j  —  ij-  M. 
exact.  S.  Täglich  1  Bohne  gross  einzureiben;  oder  Rp.  Tinct.  jodi, 
Aether  sulphuric.  ana.  S.  Mittels  eines  Pinsels  aufzutragen.  Sehr 
wirksam  erweist  sich  auch  das  Brom  in  folgender  Form:  Rp.  Kali  bro- 
mati  5j  ,  Axung.  porc.  5JJ3.  M.  exactiss.  f.  ungt.  S.  In  die 
Kropfgeschwulst   einzureiben.      Wird   der  Kropf  durch  die    eine  oder  die 


598  KROPF. 

andere  dieser  Einreibungen  schmerzhaft  und  gespannt,  so  sezt  man  einige 
Zeit  damit  aus  und  wendet  Blutegel  und  Cataplasmen  an.  —  Beim  Ge- 
fässkropfe  haben  sich  allgemeine  und  örtliche  Blutentziehungen,  kalte 
Umschläge  und  innerlich  die  Digitalis  oder  die  Radix  squillae  hülf- 
reich erwiesen.  Reicht  diese  Behandlung  nicht  aus  ,  so  kann  man  die 
Unterbindung  der  obern  Schilddrüsenpulsader  oder  selbst  der  Carotis 
versuchen,  welche  aber  selten  einen  dauernden  Erfolg  hat.  S.  Unter- 
bindung der  Ge fasse.  —  Hat  man  es  mit  einem  Balgkropfe 
zu  thun,  so  ist  nur  auf  operativem  Wege  Hülfe  möglich.  Da  aber  eine 
solche  Behandlung  immer  mit  Gefahr  für  das  Leben  des  Kranken  verbun- 
den ist,  indem  nicht  selten  die  Entzündung  und  Eiterung  auf  die  tieferen 
Gebilde  des  Halses  und  der  Brust  sich  fortpflanzt ,  oder  der  Tod  durch 
Erstickung ,  Apoplexie  oder  Verblutung  erfolgt ,  so  ist  diese  Behandlung 
nur  auf  diejenigen  Fälle  zu  beschränken  ,  welche  gefahrdrohende  Störun- 
gen veranlassen.  —  Man  beabsichtigt  durch  die  Operation  entweder  einen 
entzündlichen  Process  in  der  Kropfgeschwulst  einzuleiten  und  den  Balg 
durch  nachfolgende  Eiterung  zu  zerstören,  oder  sie  von  Grund  aus  zu  zer- 
stören. Den  ersten  Zweck  erreicht  man  entweder  durch  Incision  oder 
Punktion  der  Kropfgeschwulst ,  oder  durch  Einziehen  eines  Haarseils  in 
dieselbe ,  oder  endlich  durch  die  Anwendung  von  Aezmitteln.  —  Die 
Incision  gewährt  das  beste  Resultat ;  sie  findet  namentlich  bei  grossen 
Cysten  Anwendung.  Man  macht  einen  Längenschnitt  durch  die  die 
Kropfgeschwulst  bedeckende  Haut ,  präparirt  die  Geschwulst  frei ,  unter- 
bindet blutende  Gefässe  und  macht  dann  entweder  eine  grosse  die  ganze 
Länge  der  vordem  Cystenwand  treffende  Incision  oder  mehrere  kleine  an 
verschiedenen  Stellen.  Durch  diese  vielfachen  Incisionen  kann  man  ohne 
grosse  Gefahr  und  je  nach  dem  Kräftezustand  des  Kranken  in  kürzerer 
oder  längerer  Zeit  selbst  sehr  voluminöse  Balgkröpfe  mit  flüssigem,  breiigen 
oder  gallertartigen  Inhalt  entleeren.  Das  Ausschneiden  eines  Theils  des 
Balgs  ist  unnöthig.  Die  Blutung  nach  Spaltung  des  Sacks  stillt  man 
durch  die  Tamponade  mit  Charpie  und  styptischen  Pulvern ,  die  Umste- 
chung oder  die  umschlungene  Naht.  Bisweilen  ist  der  Reiz  der  Operation 
und  der  Zutritt  der  Luft  zu  der  Höhle  hinreichend,  eine  Verwachsung  der 
Wände  hervorzubringen ;  bisweilen  ist  er  auch  so  heftig,  dass  allgemeine 
Blutentleerungen  und  Cataplasmen  zu  seiner  Milderung  nothwendig  sind; 
in  den  meisten  Fällen  muss  man  aber ,  um  die  Entzündung  zu  steigern 
und  die  Wunden  offen  zu  erhalten,  zum  Einlegen  von  Charpiebäuschchen 
oder  Haarseilen  oder  zu  Einsprizungen  seine  Zuflucht  nehmen.  Mit  dem 
Eintritt  der  Eiterung  (nach  3  —  4  Tagen)  ist  die  Gefahr  vorüber ;  die 
Suppuration  erhält  man  durch  warme  Cataplasmen.  —  Die  Punktion 
eignet  sich  besonders  bei  dünnwandigen  fluctuirenden  Cysten ,  und  man 
benüzt  sie  entweder  als  palliatives  Mittel  bei  Beeinträchtigung  der  Respi- 
ration und  Deglutition,  oder  zur  radicalen  Heilung,  indem  man  der  Ent- 
leerung   der    Cyste.  Einsprizungen    von    Jod    (1    Theil  Jodtinktur    und 


KROPF.  599 

2 —  5  Theile  Wasser  folgen  lässt.  Dieses  Verfahren  weist  viele  günstige 
Resultate  auf.  Behufs  der  Abzapfung  des  Cysteninhalts  stösst  man  einen 
feinen  Troicart  an  einem  abhängigen  Punkte  ein ,  nachdem  man  sich  so 
viel  als  möglich  versichert  hat ,  dass  man  keine  Gef  ässe  verlezen  wird  ; 
ist  der  Inhalt  mehr  gallertartig ,  so  muss  man  den  Einstichspunkt  durch 
einen  Schnitt  erweitern.  Nach  Abfluss  der  Flüssigkeit  schliesst  man  die 
Wunde  mit  einem  Stückchen  Heftpflaster.  Wenn  die  Cyste  sich  langsam 
wieder  füllt,  so  wiederholt  man  die  Function;  geschieht  jedoch  die 
Wiederbildung  des  Cysteninhalts  rasch,  so  kann  man  zur  Einziehung 
eines  FI  a  a  r  s  e  i  1  s  schreiten.  Diese  Operation  ist  indessen  ein  sehr  ge- 
fährliches Mittel ,  welches  den  Kranken  allen  Gefahren  einer  heftigen 
Entzündung  über  das  Gebiet  der  Thyreoidea  hinaus,  Eitersenkungen  nach 
dem  Thorax  hin ,  auch  Blutungen  und  selbst  der  Pyämie  aussezt.  Soll 
das  Mittel  Erfolg  haben ,  so  müssen  mehrere  Haarseile  in  verschiedenen 
Richtungen  angelegt  werden.  Die  Reactionserscheinungen  bekämpft  man 
durch  Aderlässe,  Blutegel  und  warme  Umschläge.  —  Die  Cauterisa- 
t  i  o  n  hat  sich ,  wenn  sie  nicht  dieselben  gefährlichen  Zufälle ,  wie  das 
Haarseil  hervorrufen  soll,  auf  die  Zerstörung  der  vordem  Wand  des  Balgs 
zu  beschränken;  am  besten  eignet  sich  dazu  die  Chlorzinkpaste.  S.  Aez- 
mittel.  —  Für  die  gleichmässige  Vergrösserung  der  Schilddrüse,  wenn 
dieselbe  Erstickungsgefahr  droht ,  ist  die  Durchtrennung  der  F  a  s  c  i  a 
colli  und  der  über  der  Schilddrüse  gelegenen  Muskulatur  durch  kreuz- 
förmige Schnitte  vorgeschlagen  und  in  einem  Falle  von  Schuh  mit 
grosser  Erleichterung  für  den  Kranken  ausgeführt  worden.  —  Die  E  x- 
stirpation  der  Kropfgeschwulst  ist  höchstens  zulässig ,  wenn  diese  in 
einer  partiellen,  umschriebenen,  mehr  kugeligen,  als  in  die  Breite  gehen- 
den Geschwulst  der  Schilddrüse  besteht,  nicht  mit  tieferen,  wichtigen  Or- 
ganen des  Halses  verwachsen  oder  mit  Gefässektasien  verbunden  ist.  Die 
Operation  selbst  ist  im  Wesentlichen  ganz  wie  bei  andern  Geschwülsten 
auszuführen.  S.  Exstirpation.  Um  diese  immerhin  gefährliche 
Operation  zu  umgehen ,  wurde  von  M  a y  o r  und  Bach  das  Abbinden 
der  Kropfgeschwulst  empfohlen.  Die  Ligatur  soll  nur  ganz  allmälig,  im 
Verlaufe  von  2  4  —  3  0  Stunden  bis  zur  vollständigen  Strangulation  der 
Geschwulst  zusammengeschnürt  werden.  —  Der  kr eb  shafte  Kropf 
hat  eine  auffallend  geringe  Neigung  zur  Verallgemeinerung ,  man  kann 
daher  ziemlich  lange  mit  Aussicht  auf  Erfolg  die  Exstirpation  versuchen, 
wenn  die  Geschwulst  auf  eine  kleinere  Partie  der  Schilddrüse  sich  be- 
schränkt. Andernfalls  kann  man  dem  Kranken  nur  durch  Palliativa  Er- 
leichterung verschaffen.  Jodeinreibungen  vermögen  das  Drüsengewebe 
um  den  Krebs  zu  verringern  nnd  damit  die  Athembeschwerden  zu  mil- 
dern. Daneben  kann  man  Opium  reichen  und  die  Kräfte  hält  man  durch 
eine  geeignete  Kost  aufrecht. 


600  LAEHMUNG. 


Li. 


Lähmung",  Paralysis  (von  TcaqaXvw,  ich  löse  auf,  erschlaffe), 
ist  im  strengen  Sinne  des  Worts  derjenige  Krankheitszustand,  welcher  in 
dem  gänzlichen  Verluste  der  Empfindungs-  oder  Bewegungsfähigkeit  (der 
sensiblen  oder  motorischen  Kraft)  der  Nerven  besteht ;  beide  Zustände 
können  einzeln  oder  gleichzeitig  mit  einander  bestehen.  Man  hat  dem- 
nach eine  Lähmung  des  Empfindungs  vermöge  ns  (Anaesthe- 
s  i  a)  und  eine  solche  des  Bewegungsvermögens  (Paralysis  s. 
Acinesia)  zu  unterscheiden;  das  Wesen  der  erstem  besteht  darin,  dass 
die  sensiblen  Nerven  nicht  im  Stande  sind  ,  Eindrücke  von  aussen  aufzu- 
nehmen und  zum  Gehirn  fortzuleiten ;  das  Wesen  der  leztern  besteht  in 
der  Unfähigkeit  des  Gehirns  und  Rückenmarks ,  auf  die  motorischen  Ner- 
ven zu  wirken  und  durch  sie  die  Muskeln  zur  Bewegung  zu  bestimmen. 
Die  Lähmung  der  Empfindungsnerven  hat  das  Eigenthümliche ,  class  in 
den  gelähmten  Theilen ,  die  für  äussere  Eindrücke  durchaus  unempfind- 
lich sind,  gleichwohl  die  heftigsten  Schmerzen  empfunden  werden  können 
(Anaesthesia  dolorosa),  weil  der  über  der  gelähmten  Stelle  be- 
findliche Theil  des  Nervens  noch  empfindlich  ist  und  ein  auf  ihn  ausge- 
übter Reiz  Empfindungen  erregt,  die  in  den  äussern  Theilen  zu  sein  schei- 
nen ,  in  welchen  der  gelähmte  Nerv  sich  verbreitet  (hierauf  beruhen  auch 
die  Empfindungen,  welche  Amputirte  noch  in  dem  schon  entfernten  Gliede 
zu  haben  glauben).  —  Ein  der  Lähmung  sich  nähernder,  sehr  oft  all- 
mälig  in  sie  übergehender  Zustand  ist  die  beträchtliche  Verminderung 
des  Empfindungs-  und  Bewegungsvermögens,  unvollkommene  Läh- 
mung, Paralysis  incompleta  s.  Paresis.  — -  Man  unterscheidet 
eine  centrale  Lähmung,  wenn  die  Nervencentra  (Gehirn,  Rückenmark, 
Ganglien)  krank  sind ;  eine  peripherische  Lähmung ,  wenn  die  Lei- 
tungsfähigkeit eines  Nerven  an  irgend  einer  Stelle  seines  Verlaufs  vom 
Centrum  bis  zur -Peripherie  gemindert  oder  aufgehoben  ist  und  endlich 
eine  reflectirte  Lähmung,  wenn  zuleitende  Nerven  durch  AfFectionen 
gestört  sind.  Der  paralysirte  Theil  wird  manchmal  durch  die  Wirkung 
der  ungelähmten  Antagonisten  in  starrkrampfähnliche  Stellungen  ge- 
bracht (paralytische  Contractur ,  Strictur) ,  oder  er  wird ,  obgleich  alle 
willkürlichen  Bewegungen  darin  aufgehoben  sind ,  von  reflectirten  Be- 
wegungen (Zittern,  Paralysis  agitans  s.  t r e m u  1  a)  befallen.  — 
Die  von  den  Nervencentris  ausgehende  Lähmung  kann  eine  allgemeine 
oder  partielle  sein,  leztere  zerfällt  wieder  in  die  halbseitige  Läh- 
mung (H  e  m  i  p  1  e  g  i  a)  ,  in  die  Q  u  e  r  1  ä  h  m  u  n  g  (L.  der  beiden  untern 
Extremitäten ,  Paraplegia)  und  in  die  gekreuzte  oder  kreuz- 
weise Lähmung  (L.  eines  Arms  der  einen  und  eines  Beins  der  andern 
Seite,  Hemiplegias.  Paralysis  cruciata  s.  transversa).  — 


LAEHMUNG.  601 

Zeichen.  Der  gelähmte  Theil  zeigt  neben  der  Verminderung  oder 
gänzlichen  Aufhebung  der  Empfindung  eine  Abnahme  der  Ernährung, 
eine  Kälte,  bleiche  Farbe ,  schwächere  Pulsation ,  ja  bisweilen  selbst  eine 
gänzliche  Pulslosigkeit.  Vor  dem  Eintritte  der  Lähmimg  pflegen  Zuckun- 
gen,  Schmerzen,  das  Gefühl  des  Einschlafens,  der  Taubheit,  Schwäche, 
des  Ameisenlaufens  in  dem  betreffenden  Theile  sich  einzustellen.  —  Ur- 
sachen. Diese  sind  sehr  mannigfaltig.  Alle  bedeutenden  Veränderun- 
gen der  Gehirn  - ,  Rückenmarks  -  und  Nervensubstanz  führen  Lähmung 
herbei;  dies  gilt  besonders  von  der  Erweichung  des  Nervenmarks  ;  ebenso 
alles  ,  was  einen  starken  Druck  auf  das  Nervenmark  ausübt ,  wie  Ge- 
schwülste, knöcherne  Excrescenzen,  Verdickungen  der  Hüllen  der  Nerven- 
centren  und  der  Nerven ;  ferner  alles  ,  was  das  Erregungsvermögen  der 
Nervencentren  und  das  Leitungsvermögen  der  Nerven  durch  mechanische 
Verlezung,  wie  Durchschneidung,  Quetschung,  Zerreissung,  aufhebt ;  hef- 
tige Erschütterung  des  Gehirns  und  Rückenmarks  durch  Schläge ,  Stösse, 
Fall  auf  den  Kopf  oder  das  Rückgrat.  Zu  den  häufigsten  Ursachen  der 
Gehirn  -  und  Rückenmarkslähmungen  gehören  Blutextravasate  im  Innern 
oder  auf  der  Oberfläche  des  Gehirns  und  Rückenmarks  ,  Aussen wizun gen 
etc.,  daher  sie  häufig  nach  Gehirn-  und  Rückenmarksentzündung ,  Apo- 
plexie, Hydrocephalus  etc.  beobachtet  werden.  Auch  die  örtlichen  Ner- 
venlähmungen  sind  oft  die  Folge  entzündlicher  in  Ausschwizung  überge- 
gangener Leiden  der  Nerven.  Ferner  können  Verkrümmungen  und  Ca- 
ries  der  Wirbelsäule ,  Fracturen  und  Luxationen  zu  Lähmungen  Anlass 
geben.  Narcotische  Substanzen  und  Vergiftungen  durch  Blei ,  Arsenik, 
Quecksilber  ,  der  Missbrauch  geistiger  Getränke ,  heftige  electrische  und 
galvanische  Schläge ,  plözliche  und  heftige  Gemüthsbewegungen ,  beson- 
ders Schreck  ,  Furcht ,  Metastasen  anderer  Krankheiten  ,  namentlich  der 
Gicht,  des  Rheumatismus  und  exanthematis eher  Krankheiten  können  Läh- 
mung herbeiführen.  —  Prognose.  Sie  ist  meistens  sehr  ungünstig, 
da  die  meisten  Lähmungen  ungeheilt  bleiben  ;  übrigens  richtet  sie  sich 
nach  den  Ursachen  und  der  Dauer  des  Uebels,  nach  der  Constitution  und 
dem  Alter  des  Kranken  ;  Lähmungen ,  die  erst  kurze  Zeit  bestehen  und 
nach  apoplectischen  ,  rheumatischen  ,  metastatischen  Zufällen  in  jugend- 
lichen Körpern  entstanden  sind ,  geben  mehr  Hoffnung  zur  Heilung ,  als 
bereits  veraltete ,  mit  Atrophie  verbundene  Lähmungen  bejahrter  und 
schwacher  Individuen.  —  Behandlung.  Da  die  meisten  Lähmungen 
nur  Symptome  anderer  Leiden  sind ,  so  leuchtet  ein ,  dass  ein  rationelles 
Heilverfahren  derselben  zunächst  nicht  gegen  sie ,  sondern  gegen  die  zu 
Grunde  liegenden  Ursachen  gerichtet  werden  muss.  Ist  dieser  Heilanzeige 
Genüge  geleistet ,  so  tritt  erst  die  weitere  Indication  ein ,  das  Erlöschen 
der  Reizbarkeit  und  Thätigkeit  der  Nerven  in  dem  gelähmten  Theile  und 
hierdurch  sein  partielles  Absterben  zu  verhüten.  Diesem  Zwecke  ent- 
sprechen kräftige,  sowohl  innere  als  äussere  Excitantia  und  Nervina.  Als 
innere  Mittel  empfehlen  sich:   die  Naphthen ,    der  Liquor  c.  c.  succi- 


602  LAEHMUNG. 

natus,  A  m  m  oniu  m  ,  die  ätherischen  Oele  und  Tinkturen,  das  Oleum 
animale  a  e  t  h  e  r.  ,  die  N  a  p  h  t  h  a  phosphorica,  der  Moschus, 
Kampher,  die  Ambra,  Arnica,  Valeriana,  Serpentaria,  das  Rhus  toxicoden- 
dron,  der  Cortex  cinnamomi,  starke  Weine  etc. ,  die  sämmtlich  in  kurzen 
Zwischenräumen  gereicht  werden  müssen.  Die  Wirkung  äusserer  Heil- 
mittel ,  die  in  aromatischen  und  geistigen  Einreibungen ,  Frottiren  und 
Bürsten  der  gelähmten  Theile,  trockenen  Schröpfköpfen ,  thierischen  Bä- 
dern, Ameisenbädern ,  Sublimatbädern,  Sinapismen,  Urtication,  Vesicato- 
rien  bestehen  und  wo  möglich  unmittelbar  an  die  leidenden  Organe  an- 
gebracht werden  müssen ,  unterstüzt  man  noch  durch  Gebrauch  der  Elec- 
tricität,  des  Galvanismus,  Magnetismus,  Perkinismus,  der  Acupunctur,  der 
Moxa.  —  Bei  rheumatischen  Leiden  wendet  man  oft  mit  Erfolg  den 
Electromagnetismus  an.  Wo  die  Lähmung  der  Gicht  nachfolgt,  dienen 
die  Thermen  von  Tepliz ,  Aachen ,  Wildbad ;  gegen  Rheumatismus 
paralyticus  Vesicantia an  den  Processus  mastoideus,  innerlich 
Camphor  mit  Opium,  Pulv.  Doweri;  besteht  die  Krankheit  schon  lange, 
Moxen ;  bei  derartigen  Lähmungen  ,  wo  die  Zusammenziehung  der  Mus- 
keln nicht  durch  Mangel  an  Nervenkraft ,  sondern  durch  Schmerz  gehin- 
dert wird  ,  erweist  sich  das  Aconit  nüzlich.  Bei  Lähmung  nach  zurück- 
getretener Transpiration  werden  die  Folia  rhois  toxicodendri  als  besonders 
die  peripherische  Nerventhätigkeit  belebend  mit  Nuzen  gebraucht ,  z.  B. 
Rp.  Fol.  rhois  toxico  dend.  gr.  ij,  Sacch.  alb.  ^ß,  M.  t  er  endo 
exactiss.,    f.  pulv.  in  part.    aeq.  viij  dividend.     D.  S.    Täglich 

1  Pulver,  oder  R  p.  E  x  t  r.  rhois  t  o  x  i  c  o  d  e  n  d.  5j,  s.  in  A  q.  d  e s  t  i  1 1. 
^j.  S.  2  Mal  täglich  10  Tropfen  zu  nehmen  und  allmälig  bis  zu  1  Kaffee- 
löifel  voll  zu  steigen ;  von  der  Tinct.  rhois  toxicodendri  geht  man 
von  1  Tropfen  früh  und  Abends  nach  und  nach  auf  1  0  Tropfen.  —  Tra- 
gen Metastasen  die  Schuld  an  der  Lähmung,  so  dienen  Vesicantia,  künst- 
liche Geschwüre.  —  Gegen  vom  Rückenmark  ausgehende  Lähmungen 
der  obern  und  untern  Extremitäten  Moxen  an  beide  Seiten  des  Rückgrats, 
innerlich  besonders  die  Nux  vomica  und  ihr  Alcaloid,  das  Strychnin  in 
folgenden  Formeln  :  R  p.  Extr.  nuc.  vomicaespirit.  gr.  x,  s  o  1  v. 
in  Infus,  flor.  arnicae  ex  5ij  par.  ijv;  adde  Vini  stibiat.  5üj, 
Spirit.   sulphurico-aether.    5 j  ,  Syr.  Zingib.  Jjj.    M.  S.    Alle 

2  Stunden  1  Esslöffel  voll ;  Rp.  Extr.  nuc.  vomic. ,  Pulv.  rad.  li- 
quirit.  ana  5j-  M.  f.  pil.  gr.  ij,  c  o  n  sp.  ly  c  o  p  o  d.  D.  S.  Früh  und 
Abends  2  Pillen  zu  nehmen  und  allmälig  zu  steigen.  —  Rp.  Strych- 
nini  acet.  gr.  j,  solv.  exactiss.  in  Aq.  de  still,  q.  s. ,  adde 
Succ.  liquir.  5ß,  P  u  1  v.  r  a  d.  1  i  q  u  i  r.  q.  s.  u  t  f.  p  i  1.  No.  3  2 ,  Consp. 
pulv.  ein  n  am.  S.  1—4  St.  täglich;  Rp.  Strychnin.  ascet.  gr.  iij, 
Alcohol.  5j  ,  Aq.  cinnam.  simpl.  5vii  solve.  S.  2  Mal  täglich 
5  Tropfen  zu  nehmen  und  vorsichtig  zu  steigen.  Man  wendet  das  Strych- 
nin auch  endermatisch  an.  —  Ausser  den  vorstehenden  Mitteln  haben 
sich   noch  folgende  Mischungen  bei  Lähmungen  wirksam  erwiesen:   Rp. 


LEBEBABSCESS.  603 

Ol.  cajeputi  5ß  ,  Tinct.  välcrian.  aether.  ,  —  macid.  ana 
5ij_üj.  M.  D.  S.  Alle  2  Stunden  2  0 — 3  0  Tropfen  in  Chamillenthee 
zu  nehmen  ;  R  p.  Tinct.  canthar  id. ,  —  nuc.  vomicae  ana  5ij, 
Naphth.  phosphorat.  ^ij.  M.  S.  3— 4  Mal  täglich  30  Tropfen 
mit  Arnicaaufguss  zu  geben;  Rp.  Phosphor i  gr.  j,  solve  in  Ol.  va- 
ler.  ^j  ,  —  aniraal.  aether.  5j  M.  D.  in  vitro  c  h  a  r  t.  n  i  g  r.  i  n  - 
voluto.  S.  Zu  5  —  15  Tropfen  in  Hafergrüzenschleim  zu  nehmen  ; 
Rp.  Ol.flor.  arnicae  aether.  gutt.iv,  Spirit.  muriat.  aether. 
iß  solv.  S.  3—4  Mal  des  Tags  zu  4,  8 — 12  Tropfen  zu  nehmen; 
Rp.  Camphorae  3j  >  Extr.  nuc.  vomicae  spirit.  gutt.  xxiv, 
solv.  in  Tinct.  pyr et hri  gj.  D.  S.  4  Mal  des  Tags  2  0  Tropfen  in 
Arnicathee  zu  nehmen,  —  Von  bewährten  Einreibungen  sind  zu  nennen  : 
Rp.  Camphorae,  Ol.  nuc.  moschat.  press.  ana  5j  ,  Aether. 
sulp  hur.  5ß.  M.  f.  liniment.  S.  Zum  Einreiben;  Rp.  Phos- 
phor, gr.  v,  Ol.  animal.  Dipp.  5ij,  Ol.  papav.  §ß.  S.  Zum  Ein- 
reiben; Rp.  Tinct.  canthar  id.  5ij  ,  Spirit.  vinicamphorat., 
—  formicar.  ana  5ÜJ.  M.  D.  S.  Erwärmt  2  Mal  täglich  in  die  ge- 
lähmten Theile  einzureiben  ;  R p.  Spirit.  r  o  r  i  s  m  a  r.  ^ij,  B  a  1  s.  v  i  t  a  e 
Hoffm.  5j ,  Amnion,  pur.  liquid.  §ß.  M.  S.  Zum  Einreiben; 
Rp.  Veratrini  5ß  ,  Ol.  oliv  ar.  5j ,  Adip.praeparat.5j.  M. 
exact.  ut  f.  Ungt.  S.  Früh  und  Abends  eine  Haselnuss  gross  mit  mög- 
lichster Sorgfalt  in  die  leidenden  Stelln  einzureiben,  bis  sich  ein  Gefühl 
von  Wärme  und  ein  Prickeln  zeigt ,  worauf  man  die  Einreibungen  auf 
eine  kurze  Zeit  aussezt.  —  Einen  kräftigen  Reiz  kann  man  durch  die 
Einreibung  mit  Ungt.  t  a  r  t  a  r.  emet,  hervorbringen,  wenn  man  die  da- 
durch gebildeten  Pusteln  durch  Ungt.  sabinae  in  ein  Geschwür  ver- 
wandelt und  dasselbe  durch  6  —  8  Erbsen  offen  erhält.  —  Sublimatbäder 
(aus  §ß  bereitet)  bei  Lähmungen  der  Extremitäten,  besonders  in  Folge 
von  Rheumatismen  und  Coxalgien. 

LeberabSCeSS.  Er  ist  die  Folge  einer  acuten  oder  chronischen 
Leberentzündung,  welche  besonders  in  heissen  Climaten  häufig  vorkommt. 
Wiederholte  Frostanfälle  mit  fortdauerndem  Schmerz  in  der  rechten  Seite 
des  Unterleibs,  Taubheit  und  Schwere  des  rechten  Schenkels ,  Schmerz  in 
der  rechten  Schulter ,  gelbliches  Aussehen ,  Mangel  an  Appetit,  belegte 
Zunge,  bitterer  Geschmack,  harte,  weisse  Stuhlausleerung,  trüber  Urin, 
dies  sind  die  Symptome  des  sich  bildenden  Leberabscesses.  Häufiger 
bilden  sich  die  Abscesse  im  rechten  als  im  linken  Leberlappen,  bisweilen 
in  beiden  Lappen  zugleich  und  meistens  liegt  der  Abscess,  wenn  er  eine 
gewisse  Grösse  erreicht  hat ,  der  einen  oder  andern  Fläche ,  diesem  oder 
jenem  Rande  näher,  was  sowohl  für  die  Erscheinungen  im  Leben  als  für 
den  Ausgang  der  Krankheit  von  grosser  Bedeutung  ist.  Die  Grösse  der 
Abscesse  variirt  von  kleinen  Eiterdepots  bis  zu  Faust-  und  darüber  gros- 
sen Abscessen.       Die   grösseren  Abscesse   sind   gewöhnlich  durch  Zusam- 


604  LENDENWEH. 

menfliessen  mehrerer  kleiner  entstanden.  Bei  längerem  Bestände  ist  der 
Abscess  gewöhnlich  durch  einen  Balg  von  dem  Leberparenchym  abge- 
schlossen. Der  Lebereiter  hat  in  Folge  der  Beimischung  von  Galle  im- 
mer eine  schmuzig  gelbe  oder  grünliche,  bisweilen  auch  durch  verflossenes 
Leberparenchym  eine  schmuzig  bräunliche,  der  Weinhefe  ähnliche  Farbe. 
—  Der  eingekapselte  Abscess  kann  lange  bestehen.  Resorption  des 
Eiters  geschieht  selten.  Am  häufigsten  bricht  er  auf  und  zwar  je  nach 
seiner  Lage  in  die  Brusthöhle,  Bauchhöhle,  nach  aussen,  in  die  natürlichen 
Gallenwege  oder  in  benachbarte  Blutgefässe.  Den  Wundarzt  interessirt 
zunächst  nur  der  der  Bauchwand  nahe  liegende  Abscess  ,  wo  er  bei  nicht 
zu  tiefer  Lage  eine  fühlbare  Geschwulst  in  der  Lebergegend  ,  zuweilen 
auch  in  einiger  Entfernung  von  dieser,  an  der  Brustwand  oder  tiefer  am 
Unterleib  bildet.  Solche  Abscesse  muss  man,  wenn  es  nicht  gelingt,  sie 
im  Entstehen  durch  eine  angemessene  antiphlogistische  Behandlung,  na- 
mentlich durch  Quecksilbereinreibungen,  Pflaster,  Calomel  etc.  zur  Rück- 
bildung zu  bringen,  so  früh  als  möglich  nach  aussen  zu  entleeren  suchen, 
um  ihrer  Vergrösserung  Einhalt  zu  thun,  und  einem  Auf  bruch  nach  innen 
vorzubeugen.  Die  Eröffnung  darf  aber  erst  vorgenommen  werden ,  wenn 
man  sicher  ist ,  dass  der  Abscess  Verwachsungen  mit  der  Bauchwand  ein- 
gegangen hat.  Ist  dieser  Zustand  noch  nicht  eingetreten ,  suche  man 
denselben  bei  acuten  Abscessen  durch  die  Anwendung  erweichender  Cata- 
plasmen ,  bei  chronischen  durch  Reizmittel ,  welche  die  Haut  in  Entzün- 
dung versezen ,  herbeizuführen.  Dabei  lässt  man  den  Kranken  auf  der 
kranken  Seite  liegen,  damit  sich  der  Eiter  nach  der  Bauchwand  hinsenkt. 
Behufs  der  Eröffnung  schneidet  man  da ,  wo  die  Geschwulst  am  meisten 
hervortritt  und  am  deutlichsten  fluctuirt ,  ein  und  dringt  unter  schicht- 
weiser Trennung  in  die  Tiefe ,  wobei  man  sich  hütet ,  die  Grenzen  der 
Verwachsung  zu  überschreiten.  Zuweilen  muss  man  sehr  tief  eindringen, 
bis  man  auf  den  Abscess  trifft.  Ist  man  wegen  der  Verwachsung  nicht 
ganz  sicher,  so  kann  man  vor  der  Durchschneidung  der  innersten  Abscess- 
wand  eine  Probepunktion  anstellen.  Die  Nachbehandlung  wird  nach  all- 
gemeinen Regeln  geleitet.  —  Schliesslich  sei  noch  bemerkt,  dass  beson- 
dere Beziehungen  zwischen  Gehirnkrankheiten  und  Leberentzündung,  be- 
sonders zwischen  Gehirnentzündung  und  Leberabscess  ,  wie  man  ehedem 
annahm,  nicht  bestehen.  Nur  bei  Eiterung  im  Gehirn  oder  in  den  Schä- 
delknochen ,  bei  Entzündung  eines  Blutleiters  kommen  nicht  selten  als 
Symptom  der  Pyämie  metastatische  Abscesse  in  der  Leber  (wie  in  andern 
Organen)  zu  Stande. 

Leichdorn,  s.  Hühneraugen. 

Lendenweh,  Kreuz  weh,  Lumbago.  Es  stellen  sich  in 
der  Regio  sacralis  und  den  Lenden  periodisch  wiederkehrende  oder 
stets  andauernde  Schmerzen  ein ,  welche  den  Kranken  hindern ,  aufrecht 
zu   gehen.       Meistens   liegen   dem  Leiden  Erkältungen  zu  Grunde ,   doch 


LIPPENBILDUNG.  605 

kann  es  auch  durch  psorische,  scrophulöse  Ursachen  etc.  entstehen.  Dauert 
clasüebel  lange,  so  kann  die  latente  chronische  Entzündung  eine  Caries  der 
Lendenwirbel  verursachen  und  sich  daraus  ein  Abscessus  lurnbalis 
bilden.  —  Eine  Abart  des  Kreuzwehs  ist  der  sogenannte  Hexenschuss, 
Drachenschuss,  wo  bei  einer  heftigen  Anstrengung  der  Rücken-  oder 
Kreuzmuskeln  plözlich  ein  so  heftiger  Schmerz  in  den  Rücken  schiesst, 
dass  es  unmöglich  wird ,  den  Rücken  wieder  gerade  zu  richten  ,  weshalb 
der  Kranke  mehrere  Tage  lang  in  derselben  Stellung  verharren  muss, 
ohne  sich  rühren  zu  können ,  indem  die  geringste  Bewegung  peinliche 
Schmerzen  verursacht.  —  Behandlung.  Bei  bestehender  Plethora 
macht  sich  ein  Aderlass  nöthig,  sonst  die  Anwendung  von  Schröpf  köpfen, 
Blutegel  an  die  leidende  Stelle,  kühlende  Abführmittel,  ganze  laue  Bäder, 
Dampfbäder,  Tropf bäder,  Vesicantien  ,  Guajac,  Schwefel,  Aconit  (Rp. 
Pulv.  hb.  aconiti  gr.  viij  ,  L  act.  s  u  lphur.  5ij  ,  Kalitartar. 
acidul.  gß,  Sacch.  alb.  5ij.  M.  f.  pulv.  D.  ad  scat.  S.  Alle  2 
Stunden  2  Theelöffel  voll  zu  geben,  oder:  Rp.  Extr.  äconiti  gr.  ij — 
iv,  Borac.  *)j.  M.  f.  pulv.,  Dent.  tal.  Dos.  q.  1.  S.  2  Pulver  täg- 
lich) ,  Einreibungen  von  Liniment,  volatile  allein  oder  mit  U n g t. 
mercuriale  oder  von  folgender  Salbe:  Rp.  Sapon.  venet.  ras., 
Spirit.  camphor.,  —  lumbric.  ana  q.  s.  u  t  f.  linimen  t.  S. 
Erwärmt  2  Mal  einzureiben  ;  in  hartnäckigen  Fällen  Moxa  oder  A  c  e  t  a  s 
m  o  r  p  h  i  i  auf  die  mit  A  c  i  d.  s  u  1  p  h  d  r.  entblösste  Haut. 

Lipoma,  s.  Fettge  schwul  st. 

Lippenbildung,  Cheiloplastik.  Die  grosse  Dehnbarkeit 
der  Wangen  und  Lippen  machen  den  organischen  Wiederersaz  selbst 
grosser  Defecte  der  leztern  zu  einem  nicht  so  gar  schwierigen  Unterneh- 
men, bei  gänzlichem  Mangel  einer  Lippe  aber,  wie  er  am  häufigstem  beim 
Lippenkrebse,  und  namentlich  nach  den  durch  dieses  Uebel  indicirten  Ex- 
stirpationen  vorkommt ,  ist  es  schwerer  einen  Ersaz  zu  schaffen  ;  hier  ist 
nur  durch  Transplantation  von  Weichgebilden  zu  helfen ,  für  welche  be- 
sonders in  der  neuesten  Zeit  verschiedene  Methoden  erfunden  worden 
sind,  bei  deren  Anwendung  es  meistens  dein  Talente  des  Operateurs  über- 
lassen bleiben  wird ,  sie  für  den  concreten  Fall  passend  zu  machen.  — 
Am  meisten  macht  sich  der  Ersaz  eines  Defects  an  der  Unterlippe  (wegen 
des  am  häufigsten  hier  vorkommenden  Krebses)  nothwendig.  In  vielen 
Fällen  genügt  ein  horizontaler  Einschnitt  mit  Schonung  der  Schleimhaut, 
wie  ihn  Dieffenbach  für  die  Mundbildung  angibt.  Wirft  die  Haut 
durch  das  starke  Anspannen  der  Bedeckungen  oberhalb  des  horizontalen 
Schnitts  eine  zu  starke  Falte ,  so  wird  deren  Grösse  entsprechend  ein 
gleichschenkliges  Dreieck  mit  nach  unten  gerichteter  Basis  excidirt  und 
die  zurückbleibende  Wunde  sogleich  durch  die  Naht  geschlossen.  Sollte 
die  zur  Umsäumung  verwandte  Schleimhaut  sich  hierbei  spannen,  so 
schneidet  man  sie  am  Ende  des  horizontalen  Schnittes  in  verticaler  Rieh- 


606 


LIPPENBILDUNG. 


tung  ein.  Bei  grösserem  Defecte  bildet  Dieffenbach  auf  einer  oder 
auf  beiden  Seiten  viereckige  Lappen,  die  mit  ihren  innern  Rändern  in  der 
Mittellinie  oder  in  deren  Nahe  vereinigt ,  an  ihren  obern  Rändern  aber 
zum  grösseren  Theile  mit  Schleimhaut  umsäumt  werden.  Die  äussersten 
Ecken  des  obern  Randes  der  auf  diese  Weise  hergestellten  Lippe  werden 
zur  Bildung  der  Mundwinkel  neben  der  Oberlippe  angeheftet.  Auf  jeder 
Seite  der  neugebildeten  Lippe  bleibt  eine  dreieckige  Oeffnung,  aus  welcher 
die  Mundflüssigkeiten  herausfliessen.  Ihre  Heilung  erfolgt  durch  Granu- 
lationen. Aehnlich  verfährt  M  a  1  g  a  i  g  n  e.  Wenn  man  nach  der  An- 
gabe von  Jaesche  die  Seitenschnitte  bogenförmig  mit  nach  aussen  ge- 
richteter Convexität  führt,  so  lässt  sich  die  durch  Verschiebung  des  Lap- 
pens entstandene  Wunde  leichter  schliessen.  —  Reicht  die  seitliche  Ver- 
schiebung zum  Ersaze  der  fehlenden  Unterlippe  nicht  hin  ,  so  kann  man 
nach  B  1  a  s  i  u  s  und  v.Bruns  zu  beiden  Seiten  des  Defects  Lappen  bilden, 
welche  durch  eine  leichte  Drehung  in  die  auszufüllende  Lücke  eingescho- 
ben und  im  Mittelpunkte  durch  Knopfnähte  mit  einander  verbunden  wer- 
den. B  1  a  s  i  u  s  bildet  die  Lappen  aus  den  Seitentheilen  des  Kinns  bis 
zu  dem  Masseter  hin  ,  trennt  sie  ab  und  schiebt  sie  behufs  ihrer  Vereini- 
gung gegeneinander ;  hierauf  führt  er  von  dem  Wundwinkel  unter  dem 
Kinn  einen  1  Zoll  langen  Schnitt  herab  ,  trennt  die  Haut  zu  den  Seiten 
desselben  und  längs  des  Kieferrandes  ab  ,  zieht  sie  zur  Füllung  des  noch 
bestehenden  Defects  herauf  und  heftet  sie  an  die  Theile,  welche  die  neue 
Lippe  bilden  ;  der  Kopf  wird  bis  zur  Heilung  in  vorwärts  geneigter  Stel- 
lung erhalten.  v.Bruns  verlängert  den  Schnitt,  durch  welchen  die- Unter- 
lippe exstirpirt  oder  der  Defect  angefrischt  ist,  schräg  aufwärts  gegen  den 
Nasenflügel,  führt  einen  zweiten  Schnitt  diesem  parallel  und  so  weit  von 
ihm  entfernt ,  als  die  Höhe  des  zu  ersezenden  Defects  beträgt ,  durch  die 
Wange  und  verbindet  beide  durch  einen  rechtwinklig  gegen  sie  geführten 
Schnitt.  Die  Lappen  werden  so  nach  unten  gewendet ,  dass  die  durch 
den  leztgenannten  Schnitt  gebildeten  Wundränder  in  der  Mitte  der  Unter- 
lippe zusammentreffen.  Die  zurückbleibenden  Wunden  heilt  man  durch 
Granulation.  —  Diese  Verfahren  passen  nur ,  wenn  nur  etwa  die  obere 
Hälfte  der  Unterlippe  fehlt.  Findet  sich -ein  grösserer  Defect,  so  kann 
man  nach  Chopart,  J.  N.  Roux,  Morgan  u.  A.  den  Ersas  aus  der 
Haut  des  Kinns  und  des  Halses  nehmen.  Es  werden  in  der  Breite  des 
Defects  zwei  verticale  Schnitte  über  die  Basis  des  Unterkiefers  und  dann 
am  Halse  abwärts  geführt ,  der  Lappen  abgelöst ,  aufwärts  gezogen  und 
durch  Nähte  befestigt ;  erstreckt  sich  der  Defect  auch  auf  die  Wangen, 
so  werden  auch  deren  gesunde  untere  Partien  in  den  Lappen  mit  aufge- 
nommen ;  der  Kopf  muss  bis  zur  Anheilung  des  Lappens  stark  vorwärts 
geneigt  erhalten  werden.  Dieses  Verfahren  trifft  unter  Anderem  der  Vor- 
wurf, dass  die  nur  aus  einer  dünnen  Haut  bestehende  neue  Lippe  stark 
zusammenschrumpft  und  sich  nach  innen  wälzt.  Serre  will  diesem  durch 
Erhaltung   der  Lippenschleimhaut    bei    der  Exstirpation    begegnen,   ein 


LIPPEN-  UND  WANGENKREBS.  607 

Vorschlag ,  dessen  Ausführung  in  der  Regel  nur  in  beschränkter  Weise 
möglich  und  nüzlich  ist.  Zweckmässiger  ist  das  Verfahren  von  Langen- 
b  e  c  k ,  die  neue  Lippe  durch  Ablösung  und  Verschiebung  der  Schleim- 
haut der  gegenüber  liegenden  gesunden  Lippe  zu  besäumen.  Eine  Nach- 
ahmung des  Verfahrens  von  Roux,  die  Herbeiziehung  des  Ersazlappens 
durch  Absägen  eines  Stücks  vom  Kinn  zu  ermöglichen,  dürfte  nur  zu  recht- 
fertigen sein,  wenn  der  Krebs  in  grösserer  Ausdehnung  fest  auf  dem  Kno- 
chen aufsizt.  —  Die  Lippenbildung  durch  Umschlagen  eines  Hautlappens 
aus  der  vordem  Seite  des  Halses  nach  D  e  1  p  e  c  h  war  ohne  Erfolg,  indem 
der  Lappen  abstarb.  Ebenso  wenig  nachzuahmen  ist  der  Ersaz  der  Lippe 
aus  der  Armhaut  nach  der  Tagliacozzi   sehen  Methode. 

Lippen-  Und  Wangenkrebs.  Dieser  Krebs,  welcher  zu  den 
Epithelialkrebsen  zählt  (s.  Hautkrebs),  hat  seinen  Siz  vorzugsweise  an 
der  Unterlippe  und  kommt  am  häufigsten  zwischen  dem  4  0.  und  5  0.  Jahre, 
öfter  bei  Männern  als  Frauen  vor.  Sein  erstes  Erscheinen  an  der  Lippe 
gibt  sich  bald  durch  eine  ganz  oberflächlich  im  Schleimhautsaume  oder 
in  der  benachbarten  Haut  sizende  Warze  oder  Schrunde ,  bald  durch  ein 
daselbst  mehr  in  der  Tiefe  wurzelndes  härtliches  Knötchen  kund.  Nach 
langem  örtlichen  Bestehen ,  meist  nach  unzeitigem  Reizen  durch  Krazen 
und  Reiben  oder  durch  versuchtes  Wegäzen  der  Excrescenz  wandelt  sich 
die  Geschwulst  in  ein  Geschwür  um,  das  sich  mit  einer  gelblichen  Kruste 
bedeckt  und  sich  anfangs  nur  langsam  vergrossert.  Wo  die  Krankheit 
mit  einem  Knötchen  auftritt ,  gewinnt  dieses  zuweilen  vor  seinem  Auf- 
bruche eine  solche  Ausdehnung,  dass  der  Lippenrand  an  der  entsprechen- 
den Stelle  aufgetrieben  oder  höckerig  erscheint.  Die  über  diese  Stelle 
hingespannte  Schleimhaut  erhält  in  solchen  Fällen  eine  schinuzig  blau- 
rothe  Farbe.  —  Sobald  das  Lippencarcinom  den  Lippenrand  und  die  tieferen 
Theile  erreicht  hat ,  so  greift  es  rascher  um  sich  und  zwar  oft  nach  allen 
Seiten  zugleich,  andere  Male  aber  nur  in  einer  bestimmten  Richtung  ;  am 
häufigsten  sezt  sich  die  Zerstörung  auf  das  Kinn ,  das  Zahnfleisch  des 
Unterkiefers  und  diesen  Knochen  selbst  fort ;  seltener  gegen  die  Wangen 
hin.  Ziemlich  spät  schwellen  die  Lymphdrüsen  der  obern  Halsgegend 
an.  Das  Geschwür  zeigt  gezackte  Ränder ,  einen  oft  mit  höckerigen 
Auswüchsen  besezten  ungleichen  Boden,  und  seine  Schmerzhaftigkeit  steht 
in  geradem  Verhältnisse  zur  Entzündlichkeit  der  Ulceration ;  die  Um- 
gebung des  Geschwürs  ist  verhärtet.  —  Viele  halten  diese  Neubildung 
für  nicht  krebsiger  Natur,  weil  sie  oft  Jahre  lang  als  rein  örtliches  Uebel 
ohne  Einfluss  auf  das  Allgemeinbefinden  bestehen  kann ;  es  ist  indessen 
Thatsache ,  dass  Lippenkrebse  selbst  nach  frühzeitiger  und  gründlicher 
Exstirpation  fast  ebenso  häufig  als  andere  Krebse ,  bald  an  der  Lippe 
gelbst,  bald  in  den  Halsdrüsen ,  zuweilen  auch  in  andern  Organen  reeidi- 
viren.  —  Der  Krebs  der  Wange  greift  gewöhnlich  schneller  um  sich, 
als  der  der  Lippe.  Hier  pflegen  die  Geschwürsränder  scharf  abgeschnitten 


608 


LIPPEN-  UND  WANGENKREBS. 


und  die  Wucherungen  auf  dem  Geschwürsgrunde  mehr  gewöhnlichen 
Granulationen  ähnlich  zu  sein.  Meist  sieht  man  das  Geschwür  wie  an 
der  Lippe  mit  einer  gelbgrauen  Kruste  bedeckt ,  in  der  Umgebung  ent- 
zündliche Härte  und  es  ist  mehr  Jucken  als  Schmerz  zugegen.  —  Be- 
handlung. Die  sicherste  Behandlungsweise  besteht  auch  hier  in  der 
alles  Krankhafte  umfassenden  Exstirpation  des  Krebses.  An  den  Lippen 
macht  man  an  den  Grenzen  des  Krankhaften  zwei  Schnitte,  die  gewöhn- 
lich in  Gestalt  eines  Keils  an  dem  Kinn  spizwinklig  zusammenlaufen  ;  sie 
müssen  oft  bogenförmig  und  meistens  mit  dem  Messer  gemacht  werden. 
Die  linke  Hand  des  Operateurs  fixirt  mit  einer  Hakenzange  das  zu  ent- 
fernende Stück,  ein  Gehülfe  zieht  auf  der  andern  Seite  der  Schnittlinie  die 
Lippe  vom  Zahnfleische  ab  und  comprimirt  zugleich  die  Art.  corona- 
ria.  Nicht  selten  gehen  die  Schnitte  von  einem,  auch  wohl  von  beiden 
Mundwinkeln  aus,  diese  nach  den  Wangen  hin  erweiternd,  oder  es  müssen 
die  den  Mundwinkel  begrenzenden  Theile  beider  Lippen  nebst  einem 
Theile  der  Wange  fortgenommen  werden.  Das  umschnittene  Stück  muss, 
wenn  es  der  Unterlippe  angehört ,  meistens  noch  vom  Kiefer  abgetrennt 
werden  und  bisweilen  sind  nicht  bloss  die  Weichgebilde  des  Kinns ,  son- 
dern selbst  unter  diesem,  abzutragen.  Nach  geschehener  Exstirpation 
fühlt  man  nach,  ob  alles  Kranke  entfernt  ist,  und  schneidet  etwaige  Reste 
noch  nachträglich  aus.  Findet  man  die  Beinhaut  des  Kiefers  erkrankt, 
so  schabt  man  sie  ab  oder  cauterisirt  sie;  ist  der  Knochen  selbst  ergriffen, 
so  kann  man,  wenn  dies  nur  oberflächlich  ist  ,  ebenfalls  die  Cauterisation 
anwenden ,  sonst  aber  muss  man  die  Resection  des  kranken  Kiefertheils 
vornehmen.  Nachdem  man  zulezt  die  Blutung  gestillt  hat ,  wozu  nur 
selten  die  Unterbindung  nöthig  ist ,  vereinigt  man  die  Wunde  durch  die 
umwundene  Naht.  Dies  ist  selbst  da  noch  möglich,  wo  die  ganze  Lippe 
oder  ein  grosser  Theil  von  ihr  nebst  einem  Stück  der  Wange  weggenom- 
men ist ,  nur  muss ,  wenn  die  Spannung  gross  ist ,  die  natürliche  Ad- 
häsion der  Lippe  und  Wange  mit  dem  Kiefer  auf  eine  Strecke  getrennt 
werden.  Wo  die  Wunde  wegen  ihrer  Grösse  oder  Form  nicht  vereinigt 
werden  kann,  durchdringt  man  jede  Wange  mit  einem  2  Zoll  langen  ver- 
ticalen  Schnitte  und  lässt  die  dadurch  gebildeten  Oeffhungen  auf  dem 
Wege  der  Eiterung  heilen.  —  Beschränkt  sich  der  Krebs  auf  den  rothen 
Lippenrand ,  so  entfernt  Richerand  den  kranken  Theil  durch  einen 
bogenförmigen  an  den  Mundwinkeln  endigenden  Schnitt  mit  der  Hohl- 
scheere  und  heilt  die  Wunde  durch  Eiterung,  wobei  sich  die  Schleim-  und 
äussere  Haut  zu  einer  schmalen  Narbe  vereinigen.  —  An  den  Wangen 
macht  man  ebenfalls  Schnitte  durch  ihre  ganze  Dicke ,  deren  Form  aber 
nur  die  Umstände  näher  bestimmen  können.  Man  macht  wo  möglich 
zwei  gleich  lange ,  an  den  Enden  in  spizigen  Winkeln  sich  vereinigende 
Bogenschnitte,  deren  untere  Enden  sich  bisweilen  bis  in  den  Mundwinkel 
und  Lippenrand  erstrecken  müssen.  Sind  von  der  Lippe  und  Wange  zu- 
gleich kranke  Theile  zu  exstirpiren ,   so  bildet  man  gern  zwei  Dreiecke, 


LUFTROEHREN-  UND  KEHLKOPFSCHNITT.  609 

von  denen  die  beiden  sich  zugewandten  Schenkel  in  einem  Punkte  enden. 
Nach  geschehener  Blutstillung,  wozu  oft  die  Unterbindung  nöthig  ist,  ver- 
einigt man  die  Wunde  durch  die  umwundene  Naht,  und  zwar  dann  be- 
sonders genau ,  wenn  der  Speichelgang  mit  durchschnitten  ist.  — —  Die 
Entfernung  dieser  Krebse  durch  das  Aezmittel  ist  der  durch  das  Messer 
nur  dann  vorzuziehen ,  wenn  die  Kranken  alt  und  abgelebt  sind  und  das 
Uebel  eine  grosse  Ausdehnung  hat ;  immerhin  ist  aber  die  Anwendung 
der  Aezmittel  nicht  bloss  viel  schmerzhafter  und  unbequemer ,  sondern 
auch  weniger  sicher.  Das  Verfahren  dabei,  so  wie  wenn  gar  keine  Ope- 
ration mehr  möglich  ist,  s.  in  dem  Art.  Hautkrebs. 

Luftröhren-  Und  Kehlkopfschnitt.  Unter  diesen  Ope- 
rationen ,  welche  auch  mit  dem  Collectivnamen  Kehlschnitt,  Bron- 
cho tomia  bezeichnet  werden,  versteht  man  die  kunstgemässe  Eröffnung 
der  Luftwege  am  Halse ,  welche  in  der  Absicht  unternommen  wird ,  ent- 
weder der  Luft  Zugang  zu  der  Lunge  zu  verschaffen  oder  fremde  Körper 
aus  den  Luftwegen  zu  entfernen.  —  Folgende  Zustände  können  diese 
Operation  indiciren :  l)  die  Gegenwart  fremder  Körper  im  Kehl- 
kopfe oder  in  der  Trachea,  auch  im  Oesophagus;  2)  Wunden, 
namentlich  Schusswunden  des  Halses,  Brüche  des  Kehlkopfs  mit 
Depression  der  Bruchstücke  nach  innen;  3)  Caries,  Necrose  der 
Larynxknorpel ,  Ulcerationsprocesse  der  Larynxschleimhaut ;  4) 
verschiedene  Geschwülste  in  und  ausserhalb  der  Luftwege,  sobald  sie 
den  Luftzutritt  hindern  ,  wie  Polypen  des  Larynx,  Krankheiten  der  Thyre- 
oidea ,  der  Lymphdrüsen  des  Halses,  Aneurysmen ;  5)  Oedemaglot- 
tidis;  6)  heftige  entzündliche  Affectionen  des  Halses  bei  Wunden,  An- 
gina tonsillaris,  Anschwellung  der  Zunge  etc. ,  wenn  Scarificationen  nicht 
angewendet  werden  konnten  oder  keinen  Nuzen  schafften;  7)  Croup, 
sobald  Erstickungsgefahr  eintritt ;  8)  Scheintod ,  namentlich  durch  Er- 
trinken oder  Erhängen.  —  Die  Stelle,  welche  man  zur  Operation  wählt, 
hängt  theils  von  dem  die  Operation  bedingenden  Krankheitsobjecte  und 
dem  zu  erreichenden  Zwecke ,  theils  von  der  individuellen  Beschaffenheit 
der  Theile  ab,  diesemnach  wird  bald  oberhalb  des  Kehlkopfs  eingeschnit- 
ten ,  bald  der  Kehlkopf  selbst  (Laryngotomia),  bald  die  Luftröhre 
(T  r  a  c  h  e  o  t  o  m  i  aj,  bald  werden  beide  zugleich  (Laryngotracheo- 
tomia)  geöffnet.  —  Im  Allgemeinen  ist  zu  bemerken,  dass  die  Laryngo- 
tomie  bei  männlichen  Erwachsenen  vortheilhafter  und  leichter  zu  machen, 
die  Tracheotomie  dagegen  bei  Kindern  und  bei  weiblichen  Erwachsenen 
passender  ist ,  weil  bei  jenen  der  Raum  zwischen  dem  untern  blande  der 
Schilddrüse  und  dem  Brustbeine  kleiner  ist ,  als  bei  Kindern ,  der  Kehl- 
kopf aber  verhältnissmässig  grösser  und  hervorstehender  ;  in  der  Gegend 
des  Kehlkopfs  kommen  auch  anomal  verlaufende  Arterien  seltener  vor  als 
an  der  Luftröhre,  man  wird  bei  der  Laryngotomie  die  Schilddrüse  nicht 
so  leicht  verlezen  und  unangenehme  Blutungen  veranlassen.  Dagegen  ist 
Bürger,  Chirurgie.  39 


610    "  LUFTROEHREN-  UND  KEHLKOPFSCHNITT. 

der  Kehlkopf  bisweilen ,   namentlich  bei  alten  Personen ,  verknöchert  und 
dann  sehr  schwierig  zu  trennen ,   man  kann  leicht  die  Stimmrizenbänder 
verlezen  und  die  Stimme  bleibt  lange  heiser.      Die  Eröffnung  der  Luft- 
röhre  unterhalb    des   Ringknorpels ,   die  Tracheotomie  ist  nicht  ohne  Ge- 
fahr der  Verlezung  der  Schilddrüse  und  ihrer  Gefässe,  deren  Blutung  oft 
sehr  schwierig  zu   stillen  ist;   nicht  selten  kommen  Anomalien  grösserer 
Blutgefässe  hier  vor :   so   findet  man  zuweilen  eine  Art.  thyreoidea 
ima,   ferner  den  Truncus  anonym us  und  die  Carotis   sinistra 
die  Luftröhre   schräg  durchkreuzend ,   welche  Gefässe  jedoch  bei  einiger 
Vorsicht  zu  vermeiden  sind.     Bei  dick-  und  kurzhalsigen  Personen  ist  die 
Tracheotomie   äusserst  schwierig  auszuführen.   —    Behufs  der  Eröffnung 
der  Luftwege  hat  man  zwei  Methoden,  nämlich  den  Querschnitt  und 
den  Längenschnitt;  der  erstere  ist  der  älteste,  wird  aber,  da  er  nicht 
den  nöthigen  Raum  gewährt,  mit  Ausnahme  oberhalb  des  Kehlkopfs,  sel- 
ten mehr  geübt.       Der  Längenschnitt   entspricht   allen   Anforderungen. 
Eine  dritte  Methode,  die  Eröffnung  mit  dem  Troicart,  ist  ganz  ausser  Ge- 
brauch. —  I.    Eröffnung  des  Kehlkopfs,  Laryngotomie,  ist 
namentlich  da  angezeigt,  wo  ein  fremder  Körper  im  obern  Theile  oder  in 
den  Taschen  des  Kehlkopfs  liegt,  und  wo  man  die  Schilddrüse  zu  verlezen 
nothwenclig  vermeiden  muss.      Der  Kranke  liegt  auf  dem  Rücken  mit  et- 
was hintenüber  gebeugtem  Kopfe,  so  dass  die  vordere  Fläche  des  Halses 
möglichst  stark  gewölbt  ist.      Man  bildet  gerade  über  dem  Ligamen- 
tum crico-thyreoideum  eine  Hautfalte  und  durchschneidet  sie  der 
Länge   nach ,   so   dass    der  Schnitt   sich  vom  Zungenbein  bis  zum  Ring- 
knorpel erstreckt.    Dann  trennt  man,  während  die  Wundränder  mit  stum- 
pfen Haken  auf  die  Seite  gezogen  werden,  das  zwischen  den  MM.  sterno- 
h  y  o  i  d  e  i  s  und  sternothyreoideis  befindliche  Zellgewebe.   Ist  nun 
das  Ligament   frei  und   die  Blutung  durch  kaltes  Wasser  oder  nöthigen- 
falls   durch   Torsion  ödes   Unterbindung  gestillt ,   so  fixirt  man  mit  dem 
Daumen  und  Mittelfinger  der  linken  Hand  den  Kehlkopf,  sezt  den  Nagel 
des  linken  Zeigefingers  auf  den   obern  Theil   des  genannten  Bandes  und 
durchsticht  es  mit  einem  spizen  Bistouri  der  Quere  nach,  wenn  bloss  der 
Luft  Zutritt  verschafft  werden  soll ,  oder  der  Länge  nach ,  wenn  zugleich 
der  Austritt  eines   fremden  Körpers  möglich   gemacht  werden  soll.      Tm 
lezteren  Fall  kann   es  ,   wenn  die  Längenwunde  für  den  fremden  Körper 
nicht  gross   genug  ist ,   nöthig  werden ,  entweder  noch  den  Schildknorpel 
mit   der   Scheere  oder   dem  geknöpften  Bistouri  genau  in  der  Mittellinie 
(um  die  Verlezung  der  Stimmrizenbänder  zu  vermeiden)  zu  spalten  (De- 
s  a  u  1 1),  oder  den  Schnitt  abwärts  durch  den  vordem  Halbring  des  Ring- 
knorpels und  die  ersten  Ringe  der  Luftröhre  zu  verlängern  (Laryngo- 
Tracheotomie).      Der  linke  Zeigefinger  dient  nicht  allein  dem  Mes- 
ser zum  Führer,    sondern   auch   zum  Schuze  der  Art.  cricothyreoi- 
d e a ,   indem  er  sie  wegschiebt.   —  IL    Eröffnung  der  Lu f tw e g e 
unterhalbdesKehlkopfs,Luftröhrenschnitt,Tracheo- 


LUFTROEHREN-  UND  KEHLKOPFSCHNITT.  611 

tomie,  ist  vorzüglich  angezeigt  bei  fremden  Körpern ,  welche  sich  im 
untern  Theile  der  Luftröhre  befinden ,  und  bei  Gefahr  der  Erstickung. 
Es  ist  die  älteste  und  am  häufigsten  angewendete  Methode.  Ein  Schnitt 
von  1  !/2  Zoll  Länge  (unter  Bildung  einer  Hautfalte  oder  unter  Spannung 
der  Haut)  trennt  die  Haut  und  die  Fascie  genau  in  der  Mittellinie  vom 
Ringknorpel  gegen  das  Brustbein  hin.  Die  MM.  s  tern  ohy  oid  ei 
werden  unter  Vermeidung  der  mittleren  Schilddrüsenvene  mit  dem  Messer 
von.  einander  getrennt  und  durch  stumpfe  Haken  von  einander  gezogen. 
Jedes  stark  blutende  Gefäss  wird  sofort  unterbunden.  Bei  Erwachsenen 
kann  die  Durchschneidung  des  Mittelstücks  der  Schilddrüse  erforderlich 
werden  ;  dann  stillt  man  die  Blutung  durch  Umstechung.  Nun  wird  die 
Luftröhre  frei  präparirt,  etwa  am  4.  oder  5.  Luftröhrenringe  ein  spizes 
Messer  schräg  eingestochen  und  durch  Aufwärtsschieben  desselben  bis  an 
den  Ringknorpel  eine  gehörig  grosse  Oeffnung  gewonnen.  Chassaig- 
n  a  c  nimmt  die  Spaltung  auf  einer  durch  die  Haut  eingestossenen  spizen 
krummen  Hohlsonde  vor.  —  III.  Eröffnung  der  Luftwege  ober- 
halb des  Kehlkopfs.  Diese  Operation,  welche  eigentlich  den  Namen 
Laryngotomie  nicht  verdient,  da  blos  das  Cavum  bucco-laryngeum 
geöffnet  wird,  besteht  in  der  Durchtrennung  der  Membrana  thyreo  - 
h  y  o  i  d  e  a  und  wird  in  der  Absicht  unternommen ,  einem  Abscess  oder 
einer  eiterigen  Infiltration  der  Ligta  arytaenoidea-epiglottica 
oder  glosso-epiglottica,  die  sich  hier  in  Folge  einer  Necrose  des 
Zungenbeins  bilden  können ,  Abfluss  zu  verschaffen.  Auch  soll  von  hier 
aus  bei  dem  O  e  d  e  m  a  g  1  o  1 1  i  d  i  s  eine  Scarification  der  Ligta  epi- 
glottico-arytäenoidea  vorgenommen  werden  (V  i  d  a  1).  —  Man 
macht  am  unteren  Rande  des  Zungenbeins  und  parallel  mit  demselben, 
also  in  querer  Richtung  (nach  Malgaigne  in  der  Mittellinie,  nach  V i- 
dal  an  der  Seite)  einen  Schnitt  durch  die  Haut,  das  Platysma  und  die 
innere  Hälfte  der  MM.  sterno-hyoidei,  endlich  durch  die  Mem- 
brana hyo-thyreoidea.  Die  bei  jeder  Exspiration  in  die  Wunde 
tretende  Schleimhaut  wird  gefasst  und  gleichfalls  in  querer  Richtung  ein- 
geschnitten. Hierauf  wird  der  Kehldeckel  sichtbar ,  den  man  mit  einem 
scharfen  Haken  vornüber  beugt ,  wodurch  sogleich  der  Kehlkopfeingang 
dem  Auge  und  den  etwa  erforderlichen  Instrumenten  zugängig  wird.  — 
Verband  und  Nachbehandlung.  Nach  Eröffnung  des  Kehlkopfs 
oder  der  Luftröhre  wird  der  Kranke  in  eine  mehr  gebeugte  Lage  gebracht, 
um  die  Wunde ,  so  lange  es  nöthig  ist,  klaffend  zu  erhalten  (nach  einem 
Querschnitt  muss  das  entgegengesezte  Verfahren  beobachtet  werden) ,  in 
die  Wundwinkel  legt  man  kleine  Charpiepfröpfe  und  bedeckt  die  Wunde 
mit  einem  Stückchen  Flor.  Geschah  die  Operation  eines  fremden  Kör- 
pers wegen,  so  wartet  man  mit  dem  Verbände,  bis  ein  Hustenanfall  kommt 
und  entweder  den  Körper  aus  der  Wunde  ausstösst  oder  ihn  in  die  Nähe 
derselben  bringt ,  wo  man  ihn  vorsichtig  mit  einer  passenden  Zange  aus- 
zieht.   Sizt  der  fremde  Körper  fest,  so  kann  man  ihn  vielleicht  vorsichtig 

39* 


612  lupus. 

mit  einer  Sonde  lösen,  steckt  er  in  der  Stimmrize,  so  kann  man  ihn  auch 
mit  der  Sonde  nach  oben  in  den  Mund  drängen.  —  Gelingt  es  nicht,  den 
fremden  Körper  sogleich  zu  entfernen ,  so  muss  die  Wunde ,  so  lange  es 
nöthig  ist,  offen  erhalten  werden.  Dies  ist  aber  nicht  allein  bei  fremden 
Körpern ,  sondern  auch  bei  Erkrankungen  des  Kehlkopfs  und  seiner  Um- 
gebungen die  zunächst  zu  erfüllende  Aufgabe.  So  namentlich  beim 
Croup,  beim  Oedema  glottidis,  bei  Necrose,  Brüchen  der  Kehlkopf- 
knorpel, Polypen  etc.  Das  gebräuchlichste  Mittel  zu  diesem  Zwecke  sind 
silberne  Canülen  von  hinreichender  Weite  und  einer  passenden  Biegung 
und  zwar  eignen  sich  die  doppelten  Canülen,  d.  h.  zwei  in  einander  ge- 
steckte Röhren  am  besten ,  wegen  der  leichteren  Reinigung  derselben,  zu 
deren  Behuf  blos  die  innere  Röhre  ausgezogen  zu  werden  braucht ,  wäh- 
rend die  andere  ruhig  bleibt.  Die  Canülen  tragen  an  ihrem  äussern 
Ende  Vorrichtungen,  welche  sie  mittels  eines  um  den  Nacken  des  Kranken 
geführten  Bandes  sicher  zu  befestigen  erlaubt.  Im  Nothfall  kann  man 
die  Canülen  durch  ein  Stück  Catheterrohr,  eine  Federpose  u.  dgl.  ersezen. 
—  Alle  Canülen  erregen  Hustenreiz  und  zwar  so ,  dass  man  häufig  ge- 
zwungen ist,  sie  zu  entfernen.  Man  hat  diesem  dadurch  vorbeugen  wol- 
len, dass  man  elastische  Canülen  anwandte  ;  allein  auch  diese  haben  sich 
nicht  bewährt.  Dies  führte  zu  den  erweiternden  Halsbändern  ;  es  sind 
dies  kleine  silberne  Klammern ,  deren  dreizähnige  Griffe  in  die  Trachea 
zu  liegen  kommen,  und  welche  an  dem  andern  Ende  mit  einem  elastischen 
Halsbande  in  Verbindung  stehen ,  das  verkürzt  und  verlängert  werden 
kann.  Das  Einsezen  von  Haken  bedingt  aber  mindestens  eine  ebenso 
grosse  Reizung  als  das  Einlegen  einer  Canüle  und  gewährt  nicht  dieselbe 
Sicherheit ;  mehrere  Wundärzte  lassen  daher  beide  fort  und  schneiden, 
um  eine  hinreichend  grosse  Oeffhung  zu  erhalten,  einen  Theil  der  vordem 
Wand  der  Luftröhre  aus.  —  Die  Nachbehandlung  hat  besonders  der  Ent- 
zündung des  Kehlkopfs  oder  der  Luftröhre  entgegen  zu  wirken.  Ist  das 
Offenhalten  der  Wunde  nicht  mehr  nöthig ,  so  wird  dem  Kopfe  eine  pas- 
sende Stellung  gegeben,  die  Wunde  geschlossen  und  nach  den  besondern 
Regeln  behandelt. 

Lupus,  Hautwolf,  fressende  Flechte,  Herpes 
e  x  e  d  e  n  s  ,  ist  eine  unter  den  Erscheinungen  chronischer  Entzündung 
der  Haut  sich  entwickelnde  Neubildung ,  die  sich  als  rothe ,  linsen-  bis 
bohnengrosse ,  an  einander  gedrängte  und  meist  in  eine  infiltrirte  Stelle 
verschmelzende  Knoten  darstellt,  die  fast  nur  im  Gesichte  vorkommen 
und  sich  entweder  immerfort  abschuppen  oder  eÄtrig  schmelzen.  —  Man 
hat  den  Lupus  verschiedentlich  eingetheilt,  wobei  man  bald  mehr  von  den 
im  Anfange  der  Krankheit  am  meisten  in  die  Augen  fallenden  Erschei- 
nungen ausging ,  bald  die  späteren  Umwandlungen  der  Neubildung  der 
Eintheilung  zu  Grund  legte.  Biett  nahm  einen  Lupus  superfi- 
cialis,  vorax  und  hypertrophicus   an,   Blasius  unterscheidet 


lupüs.  613 

3  Fortgangsformen ;  den  ulcerativen,  den  exfoliativen  und  den  hypertro- 
phischen Lupus,  und  3  Grund-  und  Anfangsformen:  die  tuberculöse,  pu- 
stulöse  und  makulöse  ;  Ray  er  nimmt  nur  einen  Lupus  non  exedens, 
serpiginosus  und  exedens,  Fuchs  4  Formen  an  :  den  Lupus 
exedens,  L.  excorticans,  hypertrophicus  und  den  L.  exulce- 
rans,  Hebra  endlich  1)  den  mit  dem  Niveau  der  Haut  gleichbleibenden, 
trockenen  und  sich  abschuppenden  Lupus  exfoliativus,  2)  den  mit 
seinen  Knoten  über  die  Haut  sicherhebenden,  später  zerfliessenden  Lupus 
hypertrophicus  und  exulcerans  und  3)  den  durch  seine  Fort- 
schreitungs-  und  Heilungsweise  kreis-  oder  halbkreisförmige  Zeichnungen 
darbietenden  L  u p u s  serpiginosus  s.  orbicularis.  —  Die  an- 
fangs in  der  Haut  haftende  Affection  erstreckt  sich  weiterhin  auch  auf 
die  unterliegenden  Gewebe  ,  den  Paniculus  adiposus,  die  Muskeln 
etc.  —  Diagnose  und  Verlauf.  Die  in  der  Haut  auftretenden 
Knötchen  lassen  diese  höckerig  und  warzig  erscheinen.  Auf  diesen  livid- 
rothen,  meist  schmerzlosen  Erhebungen,  stösst  sich  die  Epidermis  gewöhn- 
lich in  weissen  trockenen  Schuppen  ab,  bis,  durch  die  immer  weiter  nach 
aussen  vordringende  Neubildung  die  Epithelialschicht  verdünnt  und  ausge- 
dehnt und  endlich  nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  durchbrochen  und  diese 
Stelle  der  Siz  einer  in  die  Tiefe  greifenden  Ulceration  wird.  Andere  Male  be- 
ginnt der  Lupus  mit  der  Bildung  von  Impetigo-  oder  Ekthyruapustem,  die 
bald  einzeln,  bisweilen  jedoch  auch  gruppirt  stehen,  auf  dunklen  rothen  Stel- 
len sich  entwickeln,  bald  bersten  und  sich  mit  dunkelbraunen,  sehr  festsizen- 
den  Borken  bedecken ,  nach  deren  Ablösung  man  eine  tiefliegende  Ulce- 
ration findet,  die  sich  wieder  mit  einem  Grinde  bedeckt  und  darunter 
weiter  frisst.  Im  Umfange  der  Pusteln  ist  die  dem  Lupus  überhaupt 
eigne  Röthe ,  die  mit  einer  geringen  Anschwellung  der  Haut ,  manchmal 
auch  mit  Bildung  von  Tuberkeln  verbunden  ist ,  welche  leztere  zwar  in 
Ulceration ,  aber  zuvor  nicht  in  Pustelbildung  übergehen.  In  andern 
Fällen  sind  anfangs  nur  lividrothe  Flecken,  die  zerstreut  auf  einem  wenig 
geschwollenen  Grunde  stehen  ,  vorhanden.  Mit  der  Zeit  wird  die*  Röthe 
saturirter,  es  stellt  sich  eine  nässende  Absonderung  ein,  die  zulezt  durch 
eine  oberflächliche  Ulceration  mit  nachfolgender  Borkenbildung  verdrängt 
wird.  Unter  diesen  Krusten  sammelt  sich  ein  dicker ,  gelblicher  oder 
bräunlicher  Eiter  an.  Zuweilen  bleiben  aber  diese  lividrothen  Flecken 
bestehen  und  schuppen  sich  nur  ab.  —  Breiten  sich  die  oben  angeführ- 
ten Knötchen  in  die  Tiefe  und  Breite  aus,  verwachsen  sie  gleichsam  zu 
einem  Ganzen,  so  hat  man  den  selteneren  Lupus  hypertrophicus. 
Er  stellt  härtliche  Knollen  dar,  welche  das  Gesicht  oft  im  höchsten  Grade 
verunstalten.  Diese  Form  von  Lupus  kann  rückgängig  werden,  wo  dann 
die  erkrankte  Hautstelle  das  Ansehen  des  Lupus  exfoliativus  an- 
nimmt ;  häufig  ist  sie  zugleich  ulcerativ,  zuweilen  mit  tief  gehender  bran- 
diger Zerstörung.  —  Die  ulcerative  Form  des  Lupus  ist  die  häu- 
figste.   Sie  ist  nach  B  i  e  1 1  entweder  oberflächlich  oder  tiefer  zerstörend, 


614  lupus. 

—  Nachdem  die  primären  Formen  (die  Pusteln,  Knötchen  oder  Flecke) 
eine  Zeit  lang  bestanden  haben ,  vervielfältigen  sie  sich,  ihre  Umgebung 
entzündet  sich,  schwillt  an  und  endlich  wird  die  dünne  Epithelialschicht 
durchbrochen.  Dadurch  kommt  es  zur  Bildung  kleiner  runder ,  wenig 
schmerzhafter  Geschwüre ,  die  sich  bald  in  die  Tiefe  und  Breite  ausdeh- 
nen ,  zusammenfliessen ,  dann  ungleiche  zackige  Ränder  zeigen  und  sich 
mit  starken  braunen  Krusten  bedecken ,  unter  welchen  sie  immer  tiefer 
um  sich  greifen  und  damit  nicht  allein  alle  in  ihr  Bereich  fallenden 
Weichtheile ,  sondern  selbst  Knorpel  und  Knochen  zerstören.  Mit  der 
zunehmenden  Tiefe  der  Ulceration  werden  die  fest  anhängenden  Krusten 
immer  dicker  und  unter  ihnen  sickert  eine  purulente  stinkende  Flüssigkeit 
hervor.  —  Zuweilen  kann  der  ulcerative  Lupus  spontan  vernarben. 
Die  Narben  gleichen  den  Brandnarben ;  sie  stellen  weisse ,  mehr  oder 
weniger  erhabene,  gefaltete  Stränge  mit  grosser  Neigung  zur  Verkürzung 
dar.  Oft  brechen  sie  auch ,  wenn  die  im  Umkreise  vorhandenen  Pusteln 
oder  Tuberkel  exulceriren,  wieder  von  Neuem  durch.  —  Der  Lupus 
exfoliativus  beginnt  bald  nur  mit  einer  dunklen  Röthe  der  Haut, 
bald  mit  Tuberkelbildung.  Es  findet  keine  Verschwärung,  sondern  eine 
kleienartige  Abschuppung  der  Haut  statt ,  die  hochrothe  Cutis  wird  ver- 
dünnt, glatt  und  glänzend  und  bekommt  das  Aussehen  einer  Narbe  nach 
einer  oberflächlichen  Verbrennung.  —  Der  Lupus  serpiginosus 
tritt  in  Gestalt  einer  oder  mehrerer  kleiner,  flacher,  linsenförmiger,  hoch- 
rother  Tuberkel  auf,  die  später  in  unregelmässig  kreisförmige  Stellen 
sich  umbilden,  deren  Flächen  gerothet,  kleienartig,  oft  von  vorragenden 
Streifen  durchzogen  sind.  Ihre  Ränder  sind  erhaben,  tuberculös  und  von 
festern  und  dickern  Schuppen  bedeckt.  Ueberlässt  man  diesen  Ausschlag 
sich  selbst ,  so  kommen  im  Umkreise  der  zuerst  entstandenen  Gruppen 
allmälig  neue  hervor ,  die  immer  weiter  über  die  gesunde  Haut  sich  er- 
strecken. —  Eine  sehr  bösartige  Abart  des  Lupus ,  die  aber  selten 
vorkommt,  ist  die ,  bei  welcher  kleine  rothe,  weiche,  gleichsam  fungöse, 
stark  hervorragende  Geschwülste  die  Ulcerationen  bedecken.  —  Das 
Allgemeinbefinden  leidet,  wenn  der  Lupus  nicht  einen  höhern  Grad  er- 
reicht hat ,  gewöhnlich  nicht ;  auch  sind  weder  die  Tuberkel  noch  die 
Geschwüre  empfindlich ;  hat  er  aber  einen  hohen  Grad  erreicht  und  grosse 
Zerstörungen  angerichtet,  so  treten  sowohl  in  Folge  der  beim  Kauen  und 
Schlucken  verursachten  Hindernisse  als  auch  durch  die  der  eingeathmeten 
Luft  beigemischten  stinkenden  Gasarten  allmälig  sichtbare  Ernährungs- 
störungen ,  wie  Abmagerung ,  Blässe ,  frequenter  kleiner  Puls ,  profuse 
Schweisse ,  colliquative  Diarrhöen  ein.  —  Von  intercurrirenden  Krank- 
heiten kommt  Erysipelas  am  häufigsten  vor ,  und  soll  dieses  Zertheilung 
der  Tuberkel  herbeiführen  können ,  zuweilen  aber  auch  bedenkliche  ner- 
vöse Zufälle  hervorrufen.  Begleitende  Symptome  des  Lupus  sind  Oe- 
deme  der  nahe  liegenden  Theile  und  Anschwellungen  der  benachbarten 
Lymphdrüsen.    —    Siz  der  Krankheit.      Am  häufigsten  wird  der 


»  lupus.  615 

Lupus  am  Gesicht ,  und  zwar  besonders  an  der  Nase  beobachtet ,  wo  na- 
mentlich die  ulcerative  Form  die  Nasenflügel  und  Nasenspize  befallt,  die 
oft  in  kurzer  Zeit  zerstört  werden  ;  demnächst  tritt  er  an  den  Lippen,  den 
Wangen,  dem  Kinn  und  der  Stirn,  am  innern  Augenwinkel,  in  der  Nähe 
der  Augenbrauen ,  an  den  Ohren  auf ;  von  dem  Gesicht  aus  verbreitet  er 
sich  auch  nach  der  vordem  und  hintern  Seite  des  Halses.  Am  Rumpf 
sah  man  ihn  nur  auf  der  Brust  und  Schulter ,  an  den  Extremitäten  um 
die  Gelenke  herum,  auf  dem  Hand-  und  Fussrücken ,  an  der  äussern  Seite 
des  Vorderarms,  an  den  Zehen.  —  Aetiologie.  Der  Lupus  ist  eine 
seltene  Krankheit,  welche  besonders  jugendliche  Individuen  von  10 — 2  5 
Jahren,  sehr  selten  Leute  über  40  Jahren  befällt.  Am  häufigsten  sieht 
man  ihn  bei  scrophulösen  Individuen  gegen  die  Zeit  der  Pubertätsent- 
wicklung, zuweilen  bei  Leuten,  die  an  Syphilis  litten,  zum  Ausbruch  kom- 
men ;  er  findet  sich  indessen  auch  bei  sonst  gesunden  Personen ,  so  dass 
man  eine  Ursache  gar  nicht  angeben  kann.  Er  kommt  häufiger  auf  dem 
Lande  als  in  Städten  vor,  und  ist  bei  Weibern  gewöhnlicher  als  bei  Män- 
nern ;  unter  den  niedern  Ständen  ist  er  häufiger ,  als  unter  den  höhern. 
Ansteckend  ist  das  Uebel  nicht.  —  Unterscheidende  Diagnose. 
Der  Lupus  ist  sehr  leicht  von  der  Gutta  rosacea,  der  Elephantiasis, 
den  Syphiliden  und  einigen  andern  Krankheiten,  die  mit  Tuberkeln  oder 
Geschwüren  auftreten,  zu  unterscheiden.  Die  Röthe,  der  erythematöse 
Ring,  der  die  kleinen  umschriebenen  Verhärtungen,  die  nach  den  Pusteln 
der  Gutta  rosacea  zurückbleiben,  umgiebt,  unterscheiden  die  leztere 
von  den  lividen  schmerzlosen  Tuberkeln  des  Lupus  ;  dieser  zeigt  nicht 
die  schwarzen  Punkte  auf  der  Spize  der  Knoten,  wie  die  Gutta  rosacea 
und  bei  dieser  tritt  die  Eiterung  nur  an  der  Spize  der  Knoten  auf,  und 
findet  sich  bei  ihr  nicht  die  Neigung  zur  Verschwärung  wie  bei  dem  Lu- 
pus. —  Die  Elephantiasis  Graecorum  zeigt  eine  allgemeine 
hochgelbe  Färbung  der  Haut ,  die  beinahe  eben  so  gefärbten  Tuberkel 
haben  eine  eigenthümliche  Form  und  Stellung,  stellen  bucklige  ungleiche 
Geschwülste  dar,  die  mehr  über  verschiedene  Körpertheile  zerstreu!  sind, 
und  die  Geschwüre  sind  mehr  oberflächlich.  —  Die  Scropheln  ent- 
wickeln sich  nur  bei  scrophulöser  Constitution,  die  Geschwüre  haben  ab- 
gelöste Ränder  etc.  —  Die  syphilitischen  Tuberkel  sind  volumi- 
nöser ,  runder ,  haben  eine  kupferrothe  Färbung,  schuppen  sich  nicht  ab 
und  kommen  gewöhnlich  nur  bei  älteren  Personen  vor;  die  syphilitischen 
Geschwüre  haben  zackige,  unterminirte  Ränder ;  der  Lupus  legt  die  Kno- 
chen nur  bloss,  ohne  sie  selbst  anzugreifen,  während  die  syphilitische  Ver- 
schwärung auf  sie  übergreift.  ■ —  Die  Tuberkel  beim  Hautkrebs  sind 
hart ,  oft  schmerzhaft ,  entstehen  bei  Personen  von  vorgerücktem  Alter, 
gehen  oft  lange  nicht  in  Verschwärung  über ;  meist  ist  nur  ein  Tuberkel 
zugegen  und  die  umliegenden  Gefässe  sind  oft  erweitert  und  varicös.  — 
Bei  der  Impetigo  sind  die  Krusten  gelb,  vorspringend,  runzelig  und 
nicht  sehr  festsizend.    —    Prognose.      Die  Vorhersagung  ist  immer 


616  lupus. 

ungewiss  ,  die  Krankheit  ist  sehr  hartnäckig  und  langwierig,  und  selbst 
im  Falle  der  Heilung  hinterlässt  sie  mehr  oder  minder  grosse  Zerstörun- 
gen und  entstellende  Narben.  So  lange  die  Narben  weich  und  bläulich 
bleiben ,  man  unter  den  Fingern  ein  der  Fluctuation  ähnliches  Gefühl 
empfindet  und  noch  Tuberkel  in  der  Umgebung  vorhanden  sind,  hat  man 
immer  einen  neuen  Aufbruch  zu  fürchten.  —  Behandlung.  Man 
trachte  vor  Allem  die  Säftemasse  durch  geeignete  Mittel  umzustimmen, 
und  ist  dies  erreicht  worden  ,  die  fernere  Entwicklung  der  Tuberkel  zu 
hindern  oder  die  lupösen  Theile  zu  zerstören.  Bei  scrophulösem  Grund- 
leiden hat  H e b r a  mit  Ol.  jecoris  Aselli  täglich  2  —  4  Löffel  voll, 

2  . —  8  Monate  fortgebraucht,  schöne  Erfolge  erzielt ;  auch  Käst  rühmt 
dieses  Mittel  in  der  Gabe  von  1  —  8  Löffel  voll  täglich  und  von  Woche 
zu  Woche  um  1  Löffel  voll  steigend  und  in  derselben  Ordnung  zurück- 
gehend :  Emery  will  nur  bei  sehr  grossen  Gaben  (von  3 1/%  bis  3 0  Un- 
zen) von  diesem  Mittel  Nuzen  gesehen  haben.  Fuchs  empfiehlt  neben 
dem  Leberthran  Jodkali,  Jodeisen.  Lezteres  giebt  auch  Fricke:  Rp. 
Syrup.  ferri  j  odati  3ij  —  iv,  Aq.  fönt,  ^vj  ,  Syr.  sacch.  ^jß. 
M.  D.  S.  4  Mal  täglich  1  Esslöffel  voll:  oder  Rp.  Kali  hydrojod. 
3j  —  ij  solv.  in  Decoct.  sarsap.  (ex^j  par.),  ^viij,  addeSyr. 
sacch.  gß.  M.  D.  S.  4  Mal  täglich  2  Esslöffel.  Blasius  giebt  das 
Jodquecksilber :  Rp.  Hydrarg.  jodat.  rubri  subtil,  triti  gr.  v, 
Micae  panis  alb.,  Sacch.  alb.  pulv.  ana  q.  s.  ut  f.  pil.  gr.  ij. 
Nr.  60.  consp.  lycopod.  S.  2  Mal  täglich  2  Pillen,  eine  Tasse  Ha- 
ferschleim nachzutrinken  und  später  mit  der  Gabe  allmälig  zu  steigen. 
Auch  Biett  und  Ray  er  empfehlen  das  Doppeljodür  des  Quecksilbers 
zu  4/ig  Gr.  pro  d  o  s  i.  Auch  der  lange  fortgesezte  Gebrauch  der 
Calcaria  muriatica  (5j  in  ^j  Wasser  gelöst  und  davon  täglich 
1  Esslöffel  voll  und  alle  3  Tage  um  1  Löffel  gestiegen  bis  zu  6 — 10  Ess- 
löffel voll  täglich)  wird  gerühmt.  Cazenave  und  Schedler  empfeh- 
len ausser  der  Calcaria  muriatica  das  Schwefeleisen,  das  Ol.  a  n  i- 
male  Dippelii  anfangs  zu  5  —  6  Tropfen  und  dann  steigend ,  die 
F  o  w  1  e  r'sche  Solution  3  —  4  Tropfen   anfänglich   und   alle  8  Tage  mit 

3  —  4  Tropfen  gestiegen  bis  zu  2  0  —  2  5  Tropfen  täglich.  Daneben 
bittere  Getränke,  Bäder  und  strenge  Diät.  Ray  er  bedient  sich  eines 
Pulvers  aus  kohlensaurem  Eisen  ,  China  und  Zimmt ;  v.  V  e  r  i  n  g  des 
Sublimats.  —  Bei  syphilitischem  Lupus  zeigen  sich  auch  die  Jodpräpa- 
rate (da  schon  ein  Quecksilbergebrauch  vorausgegangen  ist),  hauptsäch- 
lich aber  das  Z  i  1 1  m  a  n  n'sche  Decoct  nüzlich.  —  Dass  eine  kräftige 
gute  Kost,  Aufenthalt  in  gesunder  frischer  Luft  die  Cur  unterstüzen,  ver- 
steht sich  von  selbst.  ■ —  Neben  der  innern  Behandlung  hat  man  auch 
äusserliche  umstimmende  Mittel,  jedoch  mit  zweifelhaftem  Erfolg,  in  An- 
wendung gebracht.  Als  solche  Mittel  werden  besonders  gerühmt :  Jod- 
schwefel (Rp.  Sulp  hur.  j  odati  gr.  xviij,  Adip.  suill.  ^j.  M.  f. 
u  n  g  t.  S.  zum  Einreiben),  Jodquecksilber  (Rp.  Jodati  hydrargyrosi 


LYMPHDRUESENKRANKHEITEN.  ENTZUENDUNG.        617 

5ß,  Ungt.  rosati  ^j.  M.  f.  ungt.  Zum  Einreiben,  oderRp.  Jod. 
^ß — j,  Ungt.  niercur.  ^j.  M.  f.  ungt.  Zum  Einreiben;  es  bildet 
sich  hierbei  einfaches  und  doppeltes  Jodquecksilber),  Bepinselung  mit 
reiner  Jodtinktur,  Jodeisen  als  Bad  oder  Waschwasser ;  eine  Lösung  des 
Jod  in  Glycerin  (1  Theil  Jod  und  1  Theil  Jodkali  wird  in  2  Theilen  Gly- 
cerin  gelöst) ,  womit  die  geschwürige  Stelle  täglich  bestrichen  wird.  — 
Mehr  darf  man  sich  von  der  Zerstörung  der  lupösen  Theile  durch  Aez- 
mittel  oder  von  dem  Ausschneiden  derselben  versprechen  ;  lezteres  ver- 
dient, wo  es  die  Localität  zulässt,  den  Vorzug.  Einzelne  Tuberkel  kann 
man  durch  Aezmittel  zerstören  und  ihrer  weitern  Verbreitung  Schranken 
sezen  ;  sollen  dagegen  geschwürige  Stellen  geazt  werden ,  so  müssen  vor- 
her die  Schorfe  abgeweicht  und  die  Stellen  nur  partienweise  nach  und 
nach  geäzt  werden.  Die  Anwendung  des  Höllensteins  nach  Hebra  ist 
zeitraubend  und  schmerzhaft.  Eines  der  besten  Aezmittel  ist  die  Chlor- 
zinkpaste und  die  L  andolfi'sche  Paste  (s.  Aezmittel),  doch  können 
auch  das  C  o  s  m  e'sche  oder  H  e  1 1  m  u  n  d'sche  Mittel  (mit  den  nöthigen 
Cautelen),  die  äzenden  Quecksilberpräparate ,  der  rothe  Präcipitat ,  das 
Hydrarg.  bichlor.  corros.  (in  der  G r ä f e'schen  Zusammensezung : 
5ij  mit  Aq.  destill,  und  Gummi  mimosae  ana  ^j  gemischt),  eine 
Lösung  von  Quecksilber  (^j)  in  Salpetersäure  (^ij),  welche  mit  einem 
Glaspinsel  aufgetragen  wird ,  und  wenn  die  Eiterung  ein  gutes  Ansehen 
gewonnen  hat,  eine  Paste  von  Hydrargyr.  chlorid.  5jß,  — bis- 
sulph.,  Acid.  arsenic.  ana  gr.  v.  in  Anwendung  gebracht  werden. 
V  e  i  l's  Behandlung  des  Lupus  ist  folgende :  Nachdem  die  Krusten  durch 
die  Cataplasmen  abgeweicht  sind,  wird  die  Geschwürsfläche  mit  einer  Lö- 
sung von  Chlorzink  und  Alcohol  bestrichen  und  innerlich  ausser  einem 
Decoctum  Sassaparillae,  Bardanae  und  Folio r.  sennae 
eine  Mischung  von  Ol.  jecor.  Aselli  und  Tinct.  jodii  ^j  in  der  Art 
gereicht ,  dass  die  Kranken  in  der  ersten  Woche  täglich  3  Esslöffel ,  in 
der  zweiten  täglich  6  und  so  fort  bis  zu  12  Esslöffel  des  Tags  nehmen. 
Das  Bestreichen  der  Geschwürsfläche  mit  der  Chlorzinkauflösung  muss 
von  Zeit  zu  Zeit  wiederholt  werden,  und  nach  erfolgter  Heilung  ist  noch 
ein  mehrmonatlicher  Fortgebrauch  des  O  1.  j  e  c  o  r.  A  s  e  1 1  i,  jedoch  ohne 
Zusaz  von  Jod,  und  ebenso  der  Fortgebrauch  des  Decocts  zu  empfehlen. 
—  Ist  das  Messer  anwendbar,  so  kann  die  kranke  Partie ,  wenn  sie  sehr 
ausgedehnt  ist,  nach  und  nach  weggenommen  werden. 

Lymphdrüsen ,  Krankheiten  derselben.  Unter  diesen 
Krankheiten  ist  Entzündung  eine  der  häufigsten;  doch  werden  die  Lymph- 
drüsen auch  sehr  oft  der  Siz  von  tuberculösen  und  krebsigen  Ablagerun- 
gen, so  wie  einer  sarkomatösen  Entartung. 

Lymphdrüsenentzündung,  Lymphadenitis.  Diese  Ent- 
zündung wird  viel  häufiger  beobachtet ,  als  die  Lymphgef  ässentzündung 
(S.  Entzündung),  trozdem  dass   die  reizenden  Stoffe ,  welche  diese 


618        LYMPHDRUESENKRANKIIEITEN.  ENTZUENDUNG. 

Entzündung  bedingen  können,  die  Lymphgefässe  vorher  passiren  müssen. 
Der  Grund  davon  ist  wohl  darin  zu  suchen  ,  dass  diese  krankmachenden 
Stoffe  mit  den  aus  einem  Convolut  von  Lymphgefässen  bestehenden 
Lymphdrüsen  länger  in  Berührung  bleiben,  als  mit  den  weiteren,  frei  ver- 
laufenden Lymphgefässen.  —  Die  Lymphdrüsenentzündung  kann  acut 
oder  chronisch  verlaufen.  —  Symptome  und  Verlauf.  Die  acute 
Entzündung  beginnt  mit  Anschwellung,  gelind  spannendem,  drückenden 
Schmerz,  der  durch  Druck  auf  die  runden,  beweglichen  Geschwülste  nur 
wenig  vermehrt  wird ;  die  sie  bedeckende  Haut  wird  wärmer,  zulezt  heiss 
und  roth  und  in  der  Umgegend  der  Drüse  entsteht  Phlegmone  ;  damit 
stellt  sich  auch  eine  grössere  Schmerzhaftigkeit  in  der  Tiefe  und  Empfind- 
lichkeit beim  Drucke  ein  ;  zuweilen  ist  Fieber  zugegen.  Zwischen  dem 
6.  und  15.  Tage  erweicht  die  Geschwulst  und  zwar  stets  an  mehreren 
Stellen  zugleich.  Die  Haut  erhebt  sich  endlich ,  verdünnt  sich  gewöhn- 
lich an  einer  grösseren  Stelle  und  wird  an  mehreren  dicht  neben  einander 
liegenden  Punkten  durchbohrt.  Die  Eiterung  kann  sich  entweder  auf  die 
Drüse  beschränken  oder  es  nimmt  auch  das  umgebende  Bindegewebe  an 
der  purulenten  Entzündung  Theil,  wodurch  sich  sehr  grosse  Eiteransamm- 
lungen bilden  können.  Die  Eiterung  in  der  Drüse  hat  immer  einen  sehr 
langsamen  Verlauf.  Es  entstehen  in  ihr  mehrere  Eiterherde,  welche  zu- 
lezt oft  zu  einem  grossen ,  die  ganze  Ausdehnung  der  Drüse  einnehmen- 
den Abscesse  zusammenfliessen,  dessen  unmittelbare  Umhüllung  die  Kapsel 
der  Drüse  ist.  Sehr  oft  kommt  es  zur  Eiterung  in  der  Umgebung  der 
Drüse  während  in  dieser  selbst  noch  kein  Eiter  gebildet  ist.  Zertheilung 
der  Entzündung  lässt  sich  erwarten ,  wenn  die  Entzündungsursachen  nur 
vorübergehend  und  nicht  mit  grosser  Intensität  einwirkten.  Die  ander- 
weitigen Ausgänge  der  Entzündung  sind  Exsudatbildung  und  brandiges 
Absterben  ;  lezterer  Ausgang  ist  höchst  selten.  Ein  fibrinöses  Exsudat 
hat  Verhärtung  zur  Folge  mit  mehr  oder  weniger  Vergrösserung  der 
Drüse.  —  Beim  Uebergang  in  chronische  Entzündung  treten 
wie  bei  der  Zertheilung  zunächst  alle  Krankheitserscheinungen  zurück, 
aber  die  Lymphdrüsen  bleiben  hart  und  angeschwollen.  Auch  die  An- 
schwellung der  benachbarten  Theile  besteht  in  geringerem  Grade  fort. 
—  Ursachen.  Zuweilen  bestehen  diese  in  einer  äussern  Gewalt, 
Quetschung  etc. ;  in  der  bei  Weitem  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  aber 
liegt  die  Ursache  in  der  Aufnahme  von  giftigen  Stoffen ,  mag  das  Gift 
von  aussen  in  den  Körper  hineingeführt,  oder  in  ihm  erzeugt  worden  sein. 
Zur  erstem  Art  gehören  das  Leichengift ,  thierische  Gifte  (durch  Stiche 
oder  Bisse  giftiger  oder  erzürnter  Thiere :  Schlangen,  Wespen,  Bienen 
etc.),  die  venerische  Ansteckung  etc.  Zur  zweiten  Art  Dyscrasien  und 
Cachexien  (Krebs ,  Tuberkel ,  Scropheln ,  besonders  scrophulöse  Aus- 
schläge). —  Prognose.  Sie  richtet  sich  nach  dem  Grade  und  der 
Verbreitung  der  Entzündung ;  bei  niedern  Graden  ist  sie  gut ;  bei  hefti- 
geren stets  bedenklich,    da   die  entzündeten  Lymphdrüsen    durch    ihre 


LYMPHDRUESENKRANKHEITEN. HYPERTROPHIE.        619 

Anschwellung  benachbarte  Organe  in  gefährlicher  Weise  eomprimiren 
können,  wie  am  Halse.  Gehen  sie  in  Eiterung  über,  so  können  sie,  be- 
sonders wenn  die  Drüse  tief  sizt,  grosse  Zerstörungen  veranlassen ;  endlich 
kann  sich  die  Entzündung  auf  innere  Theile  fortpflanzen ,  was  stets  mit 
grosser  Gefahr  verbunden  ist.  —  Behandlung.  Vor  allem  sind  die 
Ursachen  zu  berücksichtigen.  Des  Weiteren  muss  die  Zertheilung  der 
Imtzündung  angestrebt  werden ,  selbst  da,  wo  die  Resorption  eines  rei- 
zenden contagiösen  Stoffes  dieselbe  veranlasst  hat,  da  durch  einen  andern 
Ausgang  die  Aufnahme .  der  resorbirten  Stoffe  in  die  Blutmasse  keines- 
wegs verhindert  wird.  Es  muss  daher  dem  Grade  und  dem  Character 
der  Entzündung  gemäss  antiphlogistisch  verfahren  werden.  Gewöhnlich 
reichen  örtliche  Blutentziehungen  und  lauwarme  Umschläge,  so  wie  später 
Einreibungen  der  grauen  Salbe  zu  diesem  Behufe  hin.  Velpeau  em- 
pfiehlt das  Auflegen  eines  Blasenpflasters  statt  der  Blutentziehungen,  be- 
sonders bei  schwächlichen  Subjecten.  Tritt  die  Entzündung  später  in 
den  Hintergrund  und  hat  man  es  dann  nur  mehr  mit  dem  gebildeten  Ex- 
sudat zu  thun ,  so  fügt  man  den  Einreibungen  der  grauen  Salbe  den 
innerlichen  Gebrauch  des  Quecksilbers ,  besonders  des  Calomels  hinzu. 
Ist  der  Zustand  mehr  torpid,  so  haben  Jodmittel,  namentlich  Jodkalium 
innerlich  und  äusserlich  den  Vorzug.  S.  den  Art.  Verhärtung. 
Geht  die  Entzündung  in  Eiterung  über,  so  verfährt  man  wie  es  bei  den 
Abscessen  angegeben  ist;  frühzeitige  Einschnitte  sind  zu  empfehlen.  Bei 
diesen  Abscessen  ist  gewöhnlich  die  bedeckende  Haut  in  grösserem  Um- 
fang abgelöst  und  unterminirt.  Man  muss  suchen  sie  durch  die  Anwen- 
dung von  Reizmitteln  zu  beleben  und  zur  Verwachsung  mit  den  unterlie- 
genden Theilen  zu  bringen;  gelingt  dies  nicht,  so  trägt  man  sie  mit  der 
Scheere  ab  und  behandelt  das  zurückbleibende  Geschwür  seinem  Character 
gemäss. 

Lymphdrüsenhypertrophie.  Es  ist  hier  nicht  die  Rede 
von  der  acuten  Intumescenz  der  Lymphdrüsen  ,  wie  sie  bei  der  Mehrzahl 
der  acuten  Blutkrankheiten  auftritt,  sondern  von  einer  Anschwellung  die- 
ser Drüsen,  bedingt  durch  eine  Entartung  derselben  ,  welche  in  mancher 
Hinsicht  mit  dem  Krebse  Aehnlichkeit  hat,  die  sich  aber  bei  der  anatomi- 
schen Untersuchung  als  eine  sarkomatöse  ausweist.  Dieses  Sarkom  der 
Lymphdrüsen  stellt  eine  schmerzlose,  ziemlich  schnell  wachsende 
Geschwulst  dar ,  die  eine  elastische  Consistenz  und  nicht  selten  ein  täu- 
schendes Gefühl  von  Fluctuation  zeigt.  In  ihrem  Wachsthum  verdrängt 
sie  die  benachbarten  Organe  nicht  blos,  sonden  dringt  in  sie  ein,  sie  ist 
daher  nicht  blos  mechanisch  nachtheilig ,  sondern  wirkt  auch  zerstörend 
auf  ihre  Umgebungen.  Sie  hat  keine  Neigung  zur  Eiterung  und  Abscess- 
bildung ,  obgleich  diese  durch  äussere  Einflüsse ,  welche  die  erkrankte 
Drüse  in  Entzündung  versezen ,  herbeigeführt  werden  kann.  —  Die 
Krankheit  befällt  gewöhnlich  mehrere  Lymphdrüsen ,  zuweilen  fast  alle 
zugleich ,   dessen  ungeachtet  ist  sie  keineswegs  ein  Zeichen  scrophulöser 


620        LYMPHDRUESENKRANKHEITEN.  —  TUBERKULOSE. 

Diathese,  wie  man  häufig  glaubt  (daher  auch  der  Name  serophulöses  Sar- 
kom), da  man  sie  eben  so  oft  mit ,  als  ohne  dieselbe  antrifft.  —  Be- 
handlung. Man  beseitigt  die  entarteten  Drüsen  am  zweckmässigsten 
durch  Exstirpation. 

Lymphdrüsenkrebs.  In  den  Lymphdrüsen  kommt  der  Krebs 
sehr  häufig,  seltener  als  primitiver,  meist  als  secundärer  und  als  mark- 
schwammige Infiltration  in  das  Drüsengewebe  vor.  Primär  und  bisweilen 
sehr  rasch  und  massig  entwickelt  er  sich  vorzüglich  in  den  Drüsen  des 
Plexus  lumbalis  (die  sog.  Retroperitionäalmassen  Lobstein' s) 
und  in  den  Drüsen  der  Mediastinen ;  secundär  am  häufigsten  in  den 
Achsel-,  Hals-  und  Leistendrüsen,  überhaupt  in  Drüsen,  welche  ihre 
Lymphgefässe  von  krebsig  entarteten  Theilen  aufnehmen.  —  Die  B  e- 
handlung  besteht ,  wo  es  die  Localität  zulässt ,  hauptsächlich  in  der 
Hinwegnahme  der  entarteten  Drüse. 

Lymphdrüsentuberkulose.  Diese  findet  sich  am  häufigsten 
an  den  Bronchial-,  Gekrös- ,  Lumbar-  und  Halsdrüsen  bei  scrophulösen 
Subjecten ,  besonders  ist  es  aber  die  der  leztern ,  die  am  meisten  zur 
Beobachtung  kommt.  —  Die  Entwicklung  der  Tuberkulose  erfolgt  unter 
den  Erscheinungen  schleichender  Entzündung ;  die  Lymphdrüsen  vergrös- 
sern  sich  nach  allen  Seiten  hin  gleichmässig  und  zugleich  werden  sie  hart. 
Die  Zunahme  des  Volumens  beruht  auf  der  Ablagerung  von  Tuberkel- 
masse in  das  Parenchym  der  Drüsen.  Es  kommen  alle  Modifikationen 
der  Tuberkelmasse  vor ;  meist  nimmt  sie  bald  ein  gelbes  käsiges.  Ansehen 
an  und  tritt  an  mehreren  Stellen  der  Drüse  zugleich  auf.  Mit  der  Zu- 
nahme der  Exsudation  wird  am  Ende  die  ganze  Drüse  in  Tuberkelmasse 
umgewandelt ,  welche  die  Bindegewebshülle  der  Drüse  wie  eine  Kapsel 
umschliesst.  Die  gewöhnliche  Folge  ist  dann  Entzündung  und  Vereite- 
rung ;  in  andern  Fällen  verkreidet  die  Tuberkelmasse  und  es  bleibt  eine 
mehr  oder  weniger  vergrösserte  und  verhärtete  Drüse  zurück,  die  ohne 
weitere  Beschwerde  das  ganze  übrige  Leben  hindurch  in  diesem  Zustande 
bestehen  kann.  —  Behandlung.  Innerlich  wurden  mit  zweifelhaf- 
tem Erfolge  viele  Mittel  versucht ,  unter  welchen  hauptsächlich  Leber- 
thran,  Jod,  Jodkalium,  Jodquecksilber,  Plummer'sche  Pulver,  Chlorba- 
ryum,  Salmiak  zu  nennen  sind ;  äusserlich  hat  man  die  verhärteten  Drüsen 
durch  Quecksilber-  und  Jodsalben ,  Cicutapflaster,  Cataplasmen ,  Blasen- 
pflaster etc.  zur  Zertheilung  zu  bringen  versucht.  Behufs  der  Entleerung 
der  erweichten  Masse  kann  man  das  Aezmittel  (Chlorzink-  oder  Wiener 
Aezpaste)  anwenden,  nachdem  man  die  Erweichung  durch  Cataplasmen 
und  gelind  reizende  Pflaster ,  Empl.  saponatum,  Diachyl.  com- 
positum etc.  befördert  hat ;  wo  man ,  wie  am  Halse,  hässliche  Narben 
zu  vermeiden  hat,  greift  man  lieber  zur  Lancette  und  öffnet  die  Ge- 
schwulst oder  nimmt  die  Exstirpation  vor.  In  lezterer  "Absicht  spaltet 
man  die  Haut  über  der  Drüse ,  öffnet  die  sie  umgebende  Bindegewebs- 


MAGENSCHNITT. 


621 


kapsel,  zieht  die  Drüse  mit  einer  Hakenzange  hervor  und  schält  sie  mit 
dem  Scalpellstiel  heraus.  Die  Wunde  lässt  man  durch  Eiterung  heilen. 
Ebenso  verfährt  man  bei  verhärteten  Drüsen.  Leztere  hat  man  auch 
subcutan  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  mit  einem  kleinen  schmalen 
Messer  zerrissen. 


M. 


Magenschnitt ,  Gastrotomia,  Laparogastrotomia. 
Man  versteht  hierunter  die  Durchschneidung  der  Bauchwand  und  der  vor- 
dem Wand  des  Magens,  um  entweder  einen  fremden  Körper,  der  lebens- 
gefährliche Zufälle  erregt ,  aus  der  Höhle  des  leztern  zu  entfernen,  oder 
um  bei  Unwegsamkeit  der  Speiseröhre  Nahrungsmittel  direct  in  dieselbe 
zu  bringen.  —  Die  Entfernung  eines  fremden  Körpers  aus  dem  Magen 
auf  dem  genannten  Wege  lässt  sich  nur  rechtfertigen,  wenn  derselbe  deut- 
lich durch  die  Bauchwandungen  hindurchgefühlt  wird;  dadurch  wird  dann 
auch  die  Stelle  für  die  Incision  bestimmt ;  operirt  man  ohne  Kenntniss 
von  der  Lage  des  Körpers ,  so  durchschneidet  man  die  Bauchwand 
l4/4  Zoll  links  neben  der  weissen  Linie.  Vor  der  Operation  räth  man, 
den  Magen  mit  einer  indifferenten  Flüssigkeit  etwas  anzufüllen,  damit  er 
der  Bauchwand  näher  gebracht  werde.  Der  Bauchschnitt  betrage  3  Zoll. 
Man  lässt  die  Wundränder  mit  stumpfen  Haken  aus  einander  halten, 
führt  den  beölten  linken  Zeigefinger  zur  vordem  Magenwand  und  unter- 
sucht die  Lage  des  fremden  Körpers.  An  der  am  passendsten  erschei- 
nenden Stelle  durchsticht  man  mit  einem  geraden  spizen  Bistouri  die  vor- 
dere Magenwand  und  erweitert  diese  Oeffnung  mit  einem  geknöpften 
Bistouri  auf  einer  Hohlsonde  oder  mit  einer  Kniescheere  in  der  Richtung 
der  Bauchwunde  oder  nach  der  Längenachse  des  Magens,  wobei  man  sich 
hütet ,  den  Schnitt  in  den  Magen  bis  zur  grossen  oder  kleinen  Curvatur 
zuführen,  da  hier  die  Art.  coronariae  verlaufen.  Ist  der  Magen 
sehr  zusammengefallen ,  so  fasst  man  ihn  an  der  Incisionsstelle  mit  einer 
Pincette  in  eine  kleine  Falte ,  schneidet  diese  ein  und  erweitert  die 
Wunde.  Hatte  der  fremde  Körper  die  vordere  Magenwand  schon  durch- 
bohrt und  kann  man  ihn  ohne  Beleidigung  des  Magens  nicht  ausziehen, 
so  fixirt  man  ihn  mit  einer  Zange  und  führt  das  geknöpfte  Bistouri  an 
ihm  in  die  Oeffnung,  um  diese  hinreichend  zu  erweitern.  —  Auf  dem  in 
der  Magen  wunde  bleibenden  Finger  führt  man  eine  gerade  oder  gekrümmte 
Zange  ein ,  sucht  den  fremden  Körper  in  einem  passenden  Durchmesser 
zu  fassen  und  zieht  ihn  schonend  aus.  Man  näht  nun  die  Magenwunde 
zu  ( Serosa  gegen  Serosa ) ,  am  besten  wohl  mit  der  Kürschnernaht 
(S.  Naht),  in  der  Art,  dass  man  beide  Fadenenden  nach  aussen  führt, 
um   die  Verklebung   der  Magenwunde  mit   der  Bauchwunde   zu  sichern. 


622  MANDELN,  KRANKHT.  DERS.  HYPERTROPHIE. 

Die  Bauchwunde  vereinigt  man  durch  Knopfnähte,  welche  nur  die  Muskeln 
(nicht  das  Bauchfell)  fassen.  Ueber  das  Weitere  s.  d.  Art.  Bauchschnitt. 
—  Die  Eröffnung  des  Magens  behufs  der  Ernährung  des  Kranken  wurde 
verschiedene  Mal,  jedoch  stets  mit  unglücklichem  Erfolge  vorgenommen. 
S  e  d  i  1 1  o  t  machte  zuerst  einen  Kreuzschnitt  unter  dem  Schwertknorpel ; 
später  schnitt  er  dicht  unter  den  falschen  Rippen,  2  Querfinger  breit  von 
der  Mittellinie  nach  links  ein  und  F  e  n  g  e  r  führte  den  Schnitt  von  der 
Spize  des  Brustbeins  schräg  nach  unten  und  links ,  längs  des  Randes  der 
Rippenknorpel  bis  an  den  äussern  Rand  des  geraden  Bauchmuskels  durch 
die  Bauchdecken.  Nach  Durchschneidung  des  Bauchfells  wurde  von  dem 
leztern  Operateur  der  Magen  aufgesucht,  in  die  Wunde  gezogen,  die  her- 
vorgezogene Falte  an  beide  Ränder  der  Bauchwunde  genäht  und  die 
Falte  dann  geöffnet.  Der  Tod  erfolgte  5  8  Stunden  nach  der  Operation, 
wie  man  sagt,  wesentlich  in  Folge  des  schon  bestehenden  Inanitions- 
zustandes. 

Malum  COXae  Senile,    s.   Hüftleiden  der  Greise. 

Mandeln,  Krankheiten  derselben.   Die  häufigste  an  den 

Mandeln  auftretende  Krankheit,  die  Entzündung  (Amygdalitis,  An- 
gina tonsillaris),  hat  in  dem  Art.  Bräune  ihre  Erledigung  gefun- 
den. Als  Folgekrankheiten  der  Entzündung  beobachtet  man,  ausser  dem 
Uebergang  in  Eiterung,  eine  Vergrösserung  und  Verhärtung  der  Mandeln. 
Krebsige  Entartung  derselben  kommt  äusserst  selten  vor  ;  häufiger  beob- 
achtet man  käsige  oder  kreidige  Concretionen ,  Secretansammlungen  in 
den  erweiterten  Drüsenbälgen,  und  catarrhalische  Geschwüre  an  den  Ton- 
sillen. 

Hypertrophie  der  Mandeln.  Diese  Affection  wird  häufig 
beobachtet  und  zwar  meistens  in  Folge  wiederholter  acuter  Entzündun- 
gen, doch  kommt  sie  auch  ohne  Entzündung  (bei  scrophulösen  Subjecten) 
vor  und  gibt  dann  häufig  zu  Anginen  Veranlassung  (Vi  dal).  In  höheren 
Graden  erregt  sie  mancherlei  Beschwerden,  namentlich  leidet  das  Schlin- 
gen und  die  Sprache  und  die  Kranken  sind  genöthigt,  mit  offenem  Munde 
zu  schlafen,  wobei  sie  laut  schnarchen.  —  So  lange  das  Uebel  noch  neu, 
die  Mandel  noch  nicht  zu  sehr  verhärtet  ist,  kann  man  die  Zertheilung 
versuchen.  Man  bedient  sich  hierzu  der  Bepinselungen  mit  dem  frisch 
ausgepressten  Safte  des  Chelidoniums ,  erst  mit  Rosenhonig ,  dann  ohne 
Zusaz,  ferner  der  äusserlichen  Einreibung  von  Ungt.  mercuriale  mit 
Liniment,  volatile,  Jodsalbe ,  erweichender  Cataplasmen  bei  Tag, 
eines  Halsbandes  von  Wachstaffet  bei  Nacht,  daneben  kann  man  Gurgel- 
wasser von  Schierling,  Belladonna,  Salmiak  etc.  gebrauchen  lassen.  Inner- 
lich zieht  man  Schierling ,  Jod ,  Jodkalium ,  Calomel  in  Verbindung  mit 
Seife  und  Ableitungsmitteln  in  Gebrauch.  Sehr  hilfreich  erweisen  sich 
Scarificationen  (s.  Bräune)  und  öfteres  Ansezen  von  Blutegeln,  so  wie 
methodische  Cauterisationen   mit  Höllenstein ,   und   zwar   in  concentrirter 


MANDELN,  KRANKHT.  DERS.  ABTRAGUNG.  623 

Auflösung  (513  auf  ^j  A  q.  d  e  s  t  i  1 1.)  und  in  Substanz.  —  Gelingt  die 
Zertheilung  der  hypertrophischen  Mandeln  nicht ,  so  nimmt  man  die  Ab- 
tragung derselben  vor. 

Die  Abtragung  der  Mandeln,  Tonsillotomia,  Kio- 
tomia,  ist,  wenn  man  sich,  was  auch  gewöhnlich  ausreicht,  damit  be- 
gnügt, nur  so  viel  von  der  Mandel  wegzunehmen,  als  über  das  Niveau  der 
Gaumenbögen  hervorragt ,  keine  gefährliche  Operation.  Anders  ist  es, 
wenn  man  die  ganze  Mandel  wirklich  exstirpiren  wollte,  da  man  dabei  in 
die  nächste  Nähe  der  Carotis  interna  geräth ,  deren  Verlezung  die 
grösste  Lebensgefahr  herbeiführen  würde.  —  Die  Abtragung  geschieht 
am  besten  mit  einem  schmalen ,  stumpfspizigen  oder  geknöpften  Messer 
mit  feststehender  Klinge.  Der  Kranke  sizt  dem  einfallenden  Licht 
gegenüber ;  sein  Kopf  wird  von  einem  Gehülfen  unterstüzt ;  zwischen  die 
Backzähne  wird  ein  Stück  Korkholz  geschoben.  Ein  zweiter  Gehülfe 
drückt  die  Zunge  mit  einem  Spatel  nieder.  Der  Operateur  sezt  einen 
Doppelhaken  oder  eine  Muzeu x'sche Hakenzange  in  die  hypertrophische 
Mandel  ein,  hält  sie  mit  der  einen  Hand,  zieht  sie  vor,  trennt  mit  der 
andern  mit  sägeförmigen  Zügen  in  der  Richtung  von  unten  nach  oben 
etwas  über  die  halbe  Basis  der  zu  entfernenden  Partie  und  vollendet  dann 
den  Schnitt,  indem  er  von  dem  obern  Rande  der  Mandel  aus  in  der  Rich- 
tung nach  unten  schneidet.  Diese  Art  der  Schnittführung  sichert  vor 
der  Verlezung  des  Zungengrundes  oder  des  Gaumensegels.  Nach  Been- 
digung des  Schnitts  wird  das  abgetragene  Stück  mit  dem  Fassungsinstru- 
mente und  zugleich  auch  das  Messer  aus  der  Mundhöhle  entfernt ,  auch 
das  Korkstück  zwischen  den  Zähnen  hinweggenommen ,  worauf  man  den 
Kranken  ausspucken  und  den  Mund  mit  kaltem  Wasser  ausspülen  lässt. 
—  Zur  Erleichterung  der  Operation,  namentlich  bei  unruhigen  Kranken, 
sind  besondere  Apparate  erfunden  worden ,  welche  die  zum  Fassen, 
Fixiren  und  Absezen  der  Tonsillen  bestimmten  Vorrichtungen  in  einem 
Instrumente  vereinigen.  Ein  derartiges  Instrument  ist  die  von  Velpeau, 
L  u  e  r  und  neuerlich  von  L  i  n  h  a  r  d  verbesserte  Fahnestock'  sehe 
Tonsillen-Guillotine ,  auch  Kiotom  genannt.  Dieses  Instrument  besteht 
aus  einer ,  auf  einem  hölzernen  Handgriff  befestigten  Röhre ,  an  deren 
Ende  sich  ein  elliptischer  Ring  befindet ,  welcher  hinreichend  gross  ist, 
um  die  hypertrophische  Mandel  zu  umfassen.  In  dieser  Röhre  bewegt 
sich  ein  Stab ,  dessen  vorderes  Ende  einen  schneidenden  Halbring  trägt, 
welcher  in  dem  elliptischen  Ring  versteckt  liegt  und  durch  einen  Zug 
nach  hinten  zwischen  den  ihn  umfassenden  Platten  der  leztern  hervor- 
tritt, damit  also  die  in  diesem  liegende  Mandel  durchschneidet.  Ein  an 
dieser  Vorrichtung  angebrachter  Spiess  zieht  die  Mandel  stark  hervor.  — 
Die  Blutung  nach  der  Abtragung  der  Mandeln  ist  selten  beträchtlich  ; 
meistens  reicht  es  aus ,  wenn  der  Kranke  eine  Zeit  lang  kaltes  Wasser 
oder  Eisstückchen  in  den  Mund  nimmt ;  genügt  dies  nicht,  so  drückt  man 
Charpie   mit  Alaunlösung  mittels  einer  Kornzange  an  den   Schnitt ;   sehr 


624  MASTDARMKRANKHEITEN.     —    ERWEITERUNG. 

selten  wird  die  Cauterisation  mit  Höllenstein  oder  dem  Glüheisen  nöthig. 
Nach  einigen  Tagen  lässt  man  mit  schleimigen  Decocten  gurgeln ,  und 
tritt  Eiterung  in  der  Schnittwunde  ein ,  so  bepinselt  man  sie  mit  einer 
Mischung  aus  Borax  und  Rosenhonig.  Entstehen  Wucherungen,  so  be- 
tupft man  sie  mit  Höllenstein  oder  selbst  mit  dem  glühenden  Eisen.  — 
Die  Unterbindung  der  Mandeln  steht  der  Abtragung  durch  den  Schnitt 
weit  nach. 

Steinige  Concremente  in  den  Mandeln  bilden  sich  durch 
Eindickung  des  Secrets,  namentlich  aus  dem  darin  enthaltenen  phosphor- 
sauren und  kohlensauren  Kalk.  Nicht  selten  sind  sie  von  käsiger  Be- 
schaffenheit und  erleiden  eine  solche  Zersezung,  flass  sie  einen  üblen  Ge- 
ruch aus  dem  Munde  bedingen.  Sie  erscheinen  in  den  Mandeln  als  weisse 
Flecke ,  deren  Consistenz  mit  der  Sonde  leicht  entdeckt  wird  und  lassen 
sich  mit  einer  Kornzange  ausziehen.  Zuweilen  finden  sie  sich  in  grosser 
Anzahl  vor,  wo  es  dann  gerathen  ist,  die  ganze  Mandel  abzutragen.  Ein- 
zelne Steine  werden  zuweilen  herai^sgeräuspert. 

Verschwärungen  an  den  Mandeln.  Diese  sind  meist  syphili- 
tischer Natur  und  die  Geschwüre  haben  dann ,  wie  überall,  scharf  abge- 
schnittene Ränder  und  einen  grauen  speckigen  Grund.  Neben  der  er- 
forderlichen inneren  Behandlung  ist  eine  örtliche  nöthig ,  bestehend  in 
Cauterisation  mit  Höllenstein  in  Substanz  oder  in  dem  Auftragen  concen- 
trirter  Säuren. 

Markschwamm,  s.  Krebs. 

Mastdarm,  Krankheiten  desselben.  Der  Mastdarm,  von 
lockerem  Zellgewebe  (das  nicht  selten  der  Siz  einer  eiterigen  Entzündung, 
Periproctitis,  ist),  umgeben,  wird  von  folgenden  Uebeln  heimge- 
sucht :  von  polypösen  Wucherungen ,  Verschwärungen  der  Schleimhaut ; 
von  Varicositäten  der  Hämorrhoidalgef  ässe  und  vom  Hämorrhoidalgeschwür ; 
von  Blutung ;  vom  Krebs  ;  von  Verengerung  und  Erweiterung ;  vom  Vor- 
falle ;  von  der  Atresie ;  von  Hypertrophie  des  Sphincters  ;  von  Fisteln  und 
von  Fissura  ani. 

Mastdarmblut u ng,  s.  Blutung. 

Mastdarm-  und  Aftererweiterung.  Fast  alle  Krankheiten 
des  Afters  und  Mastdarms  haben  auf  die  Weite  derselben  einigen  Ein- 
fluss.  Namentlich  haben  Verengerungen  des  Afters  durch  andauernde 
Zurückhaltung  der  Faeces  eine  Erweiterung  des  Mastdarms  zur  Folge,  so 
bei  Hämorrhoidalknoten  und  Prostatageschwülsten.  Zur  Erweiterung 
führen  auch  vorausgegangene  Invaginationen  des  Dickdarms  in  den  Mast- 
darm und  häufig  wiederkehrender  Prolapsus  der  Mastdarmhäute.  Gleich- 
zeitige Erweiterung  des  Afters  und  des  Mastdarms  findet  man  nach  län- 
gere Zeit  fortgeseztem  widernatürlichen  Coitus.  —  Die  Beseitigung  der 
veranlassenden  Ursachen  trägt  auch  das  Ihrige  zur  Beseitigung  des  frag- 
lichen Leidens  bei. 


MASTDARMKRANKHEITEN.  FISTEL.  625 

Mastdarmfissuren,  s.  A  f  t  e  r  f  i  s  s  u  r  e  n. 

Mastdarinfistel,  Fistularecti  s.  ani.  Mit  diesem  Namen 
bezeichnet  man  jeden  fistulösen  eiternden  Gang  in  der  Nähe  des  Mast- 
darms, mag  er  sich  in  diesen  Darm  öffnen  oder  nicht.  —  Man  unterschei- 
det vollständige  Fisteln  (Fistulae  ani  eompletae),  die  sich 
in  dem  Darme  und  in  der  Haut  öffnen,  und  unvollständige  Fisteln 
(F.  ani  incompletae),  die  ein  blindes  Ende  haben  ;  diese  zerfallen 
wieder  in  unvollständige  innere  (aussen  blinde)  und  in  unvoll- 
ständige äussere  (innen  blinde)  Fisteln  (F.  ani  incompletae 
internae  und  externae).  Die  erstere  Art  nimmt  ihren  Ausgang 
gewöhnlich  von  einer  Mastdarm verschwärung,  die  zweite  von  einem  tiefen 
Perinaealabscesse.  Die  vollständige  Mastdarm fistel  hat  mei- 
stens eine  einfache  innere  Oeffnung  auf  der  Mastdarmschleimhaut,  während 
ihr  äusseres  Ende  nicht  selten  mehrere  Oeffnungen  besizt ,  deren  Gänge 
unter  verschiedenen  Winkeln  gegen  die  innere  Oeffnung  hin  convergiren. 
Am  häufigsten  befindet  sich  die  äussere  Oeffnung  zur  Seite  des  Afters, 
selten  hinter ,  noch  seltener  vor  ihm.  Der  Fistelgang  ist  oft  gewunden 
oder  sinuös,  zuweilen  auch  winklig,  sogar  im  Zickzack  gebogen.  Zuweilen 
münden  die  Gänge  in  eine  weite  Höhle,  welche  durch  die  Entblössung  des 
Mastdarms  durch  die  Eiterung  entstanden  ist.  Die  innere  Oeffnung  der 
Fistel  befindet  sich  fast  immer  im  untersten  Theile  des  Mastdarms  ,  nahe 
über  dem  Sphincter ,  und  dies  kann  selbst  der  Fall  sein ,  wenn  man  die 
Sonde  von  der  äussern  Oeffnung  auch  zu  einer  beträchtlichen  Höhe  hin- 
auf schieben  kann.  —  Symptome  und  Diagnose.  Meistens  ergibt 
sich,  dass  kürzere  oder  längere  Zeit  vor  der  Bildung  des  äussern  Geschwürs 
ein  Abscess  oder  eine  Entzündung  und  Ulceration  eines  Hämorrhoidal- 
knotens oder  eine  Verlezung  des  Mastdarms  von  aussen  her  oder  durch 
einen  fremden  Körper  stattgefunden  hat.  Bei  der  vollkommenen  Fistel 
kommt  zuweilen,  aber  nicht  immer,  Koth  oder  Darmgas  aus  der  äussern 
Oeffnung  hervor,  meist  sickert  eine  rothbraune,  bisweilen  blutige  Flüssig- 
keit, zuweilen  auch  graugelber  Eiter  aus.  —  Bei  der  innern  blinden 
Mastdarm  fistel  hat  der  Kranke  Schmerzen  in  der  Umgebung  des 
Mastdarms  gehabt ,  die  nach  und  nach  einen  klopfenden  Charakter  an- 
nahmen. Es  bestand  eine  Härte  in  der  Umgebung  des  Afters  und  end- 
lich kam  eine  grössere  Menge  Eiter  aus  dem  Mastdarm  hervor.  Die  Ex- 
cremente  waren  von  da  ab  mit  Eiter  gemischt ;  ein  Druck  auf  die  Um- 
gebung des  Afters  lässt  noch  eine  gewisse  Härte  wahrnehmen.  —  Zur 
Feststellung  der  Diagnose  ist  eine  Untersuchung  nothwendig.  Man  bringt 
zu  diesem  Behufe  den  beölten  linken  Zeigefinger  in  den  Mastdarm  des 
auf  der  Seite  und  vorwärtsgeneigt  liegenden  Kranken  ein  und  sucht  eine 
innere  Oeffnung  zu  entdecken ,  die  sich  manchmal  durch  eine  kleine 
schmerzhafte  Erhöhung  zu  erkennen  gibt.  In  diesem  Fall  hält  es  nicht 
schwer,  eine  durch  die  äussere  Fistelöffnung  eingeführte  Sonde  in  die  in- 
nere Mündung  einzuleiten.  Sehr  oft  stellt  die  innere  Oeffnung  aber  eine 
Burger    Chirurgie.  40 


t)26  MASTDARMKRANKHEITEN.  —  FISTEL. 

breite,  flache,  eingerissene  Spalte  dar ,  die  zuweilen  nach  oben  hin  unter- 
minirt  ist  und  so  einen  blinden  Sack  bildet,  in  welchen  die  untersuchende 
Sonde  sehr  leicht  gelangt.  Hier  kann  der  Finger  die  Oeffhung  nicht 
fühlen  ;  man  muss  alsdann  die  Sonde  sanft  in  verschiedenen  Eichtungen 
einführen  oder  die  Untersuchung  mittels  des  Mastdarmspiegels  zu  Hülfe 
nehmen.  Auch  Einsprizungen  von  Dinte  oder  andern  farbigen  Substan- 
zen sind  dann  nüzlich ;  nach  der  Einsprizung  untersucht  man ,  ob  sie  in 
die  Mastdarmhöhle  eingedrungen  sind.  —  Ursachen.  Sie  sind  Ver- 
lezungen  durch  fremde  Körper ,  eiternde  Hämorrhoidalknoten ,  Abscess- 
bildungen,  Versezungen,  Eitersenkungen;  oft  sind  diese Abscesse kritisch. 

—  Prognose.  Die  Mastdarmfistel  ist  im  Allgemeinen  keine  gefähr- 
liche Krankheit ;  jedoch  gibt  es  Fälle ,  wo  die  Eiterung  so  beträchtlich 
wird,  dass  sie  die  Kräfte  des  Kranken  herunterbringt.  Immer  ist  diese 
Fistel  aber  ein  lästiges  und  meist  schmerzhaftes  Uebel.  Die  leichtere 
oder  schwierigere  Heilbarkeit  derselben  hängt  von  ihrer  Zahl ,  Richtung, 
Dauer,  Siz,  Complicationen  und  Ursachen  ab.  Sind  sie  zu  habituell  ab- 
sondernden Organen  geworden,  so  muss  dies  bei  der  Heilung  berücksich- 
tigt und ,  wenn  man  sich  zur  Operation  entschliesst ,  einige  Tage  vorher 
ein  Fontanell  gesezt  werden.  Spontane  Heilungen  kommen  äusserst  sel- 
ten vor.  —  Behandlung.  Diese  besteht  in  der  Trennung  der  Theile, 
welche  zwischen  dem  Gange  und  der  Höhle  des  Mastdarms  liegen ,  mit 
Inbegriff  der  Darmwand  und  des  Randes  der  Afteröffnung.  Zur  Errei- 
chung dieses  Zwecks  gibt  es  drei  Methoden :  die  Spaltung  mit  dem 
Messer,  die  Ligatur  und  die  C  auteri  s  ation.  —  1)  Die  Spal- 
tung oder  die  Operation  durch  den  Schnitt  passt  besonders  bei 
nicht  zu  alten  Fisteln,  bei  niederem  Stande  der  innern  Oeflfnung,  bei  vom 
After  entfernt  liegender  äusserer  Oeffnung   und   bei  mehrästigen  Fisteln. 

—  Behufs  der  Operation  wird  der  Kranke,  nachdem  sein  Mastdarm  durch 
ein  Klystier  gereinigt  und  die  Stelle  der  Fistel  von  Haaren  befreit  ist,  in 
die  Lage,  wie  zur  Application  eines  Klystiers  gebracht.  Man  untersucht 
nun  zunächst  den  Fistelgang  in  der  oben  angegebenen  Weise  noch  ein- 
mal genau  und  führt,  wenn  man  die  innere  OefFnung  deutlich  erkannt  hat, 
statt  der  Sonde  ein  schmales  geknöpftes  Bistouri  durch  den  Fistelgang, 
bis  sein  Knopf  die  Volarfläche  des  in  den  Mastdarm  eingeführten  Zeige- 
fingers berührt.  Finger  und  Messer  werden  nun  fest  gegen  einander  ge- 
drückt, so  dass  sie  ein  Ganzes  darstellen  und  in  dieser  Stellung  schnell 
ausgezogen,  so  dass  also  Alles,  was  zwischen  dem  Finger  und  Messer  liegt 
mit  einem  Zuge  getrennt  wird.  Hat  man  aber  mit  der  Sonde  keinen 
Durchgang  in  den  Mastdarm  entdeckt ,  so  bringt  man  statt  des  Fingers 
ein  schmales  hölzernes  Gorgeret  in  den  Mastdarm,  schiebt  ein  schmales 
spiziges  Bistouri  in  den  Fistelgang  und  durchbohrt  die  Mastdarmwand  im 
obersten  Punkt,  so  dass  die  Spize  des  Messers  in  die  Rinne  des  Gorgerets 
trifft  und  durchschneidet  alle  Theile  wie  oben ,  indem  man  beide  Instru- 
mente  gegen   einander  gedrückt    auszieht.       Man  kann  auch   in  beiden 


MASTDARMKRANKHEITEN.  FISTEL.  627 

Fallen,  wenn  das  Einführen  des  Messers  schwierig  erscheint ,  statt  seiner 
eine  biegsame  Hohlsonde  durch  den  Fistelgang  einführen  und  gegen  die 
Rinne  des  in  den  Mastdarm  gebrachten  Gorgerets  anstüzen.  Während 
nun  der  Operateur  den  Griff  der  Hohlsonde  einem  Gehülfen  übergibt  und 
er  das  Gorgeret  selbst  hält ,  schiebt  er  auf  der  Hohlsonde  ein  spizes  Bi- 
stouri, die  Schneide  dem  Gorgeret  zugewendet ,  schnell  vorwärts  ,  bis  die 
Spize  das  Gorgeret  berührt ,  wobei  zugleich  Alles ,  was  zwischen  Sonde 
und  Gorgeret  liegt,  durchschnitten  sein  muss.  —  Eine  incomplete  innere 
Fistel  verwandelt  man  erst  in  eine  complete  ,  indem  man  den  äusserlich 
durch  Fluctuation ,  Härte  oder  Missfarbigkeit  sich  kundgebenden  Grund 
mit  einer  breiten  Lancette  ansticht.  Liegt  die  innere  Fistelöffnung  nur 
so  hoch ,  dass  sie  beim  Drängen  äusserlich  sichtbar  wird ,  so  kann  man 
eine  stark  gebogene  Hohlsonde  in  sie  bringen  und  sie  auf  dieser  spalten. 
Weitere  Fistelgänge  spaltet  man  blos  bis  an  die  äussere  Wand  des  Mast- 
darms. —  Nach  vollführtem  Schnitte  fühlt  man  mit  dem  Finger  nach, 
ob  die  Fistel  nicht  einen  weiter  aufwärts  sich  erstreckenden  Blindsack  be- 
sizt,  der  sofort  mit  einer  auf  dem  linken  Zeigefinger  einzuführenden 
stumpfspizigen  Scheere  zu  trennen  ist.  —  Die  Blutung  ist  selten  bedeu- 
tend ,  sie  kann  durch  kaltes  Wasser  oder  im  Nothfalle  durch  die  Tampo- 
nade gestillt  werden ,  wobei  aber  nicht  zu  versäumen  ist ,  die  Charpie- 
kugeln  hoch  genug  zu  legen,  damit  das  Blut  nicht  aufwärts  in  die  Darm- 
höhle sich  ergiessen  kann.  —  In  die  Wunde  bringt  man  bis  zu  ihrem 
höchsten  Punkte  entweder  einen  ausgefaserten  und  beölten  Leinwand- 
streifen oder  ein  Bourdonnet  ein,  auf  diese  legt  man  lose  Charpie,  welche 
man  mit  Heftpflasterstreifen  befestigt,  bedeckt  sie  mit  einer  Compresse 
und  hält  sie  schliesslich  mit  einer  T  Binde  fest.  Man  lässt  den  Kran- 
ken eine  bequeme  und  ruhige  Seitenlage  beobachten,  gibt  ihm  ein  Opiat, 
um  wo  möglich  für  4  8  Stunden  Stuhlgang  zu  verhüten  und  erneuert  den 
Vei-band,  so  oft  Stuhlgang  erfolgt  ist,  nachdem  man  jedesmal  die  Wunde 
durch  Einsprizen  von  lauem  Wasser  gereinigt,  auch  wohl  ein  Klystier  ge- 
geben hat.  Die  Heilung  erfolgt  in  14  Tagen  bis  3  Wochen.  —  2)  Die 
Unterbindung  (Apolynosis)  findet  ihre  Anwendung  besonders  bei 
hochgehenden  Fisteln  ,  so  wie  bei  alten  Fisteln ,  bei  denen  eine  schnelle 
Heilung  nicht  wünschenswerth  ist,  endlich  bei  der  Anwesenheit  sehr  er- 
weiterter Hämorrhoidalgefässe.  Der  Kranke  wird  in  dieselbe  Stellung 
wie  beim  Schnitt  gebracht.  Zur  Unterbindung  wählt  man  am  besten 
mehrfach  zusammengelegte  hänfene  oder  seidene  Faden  ,  welche  man  an 
das  Ende  einer  Darmsaite  oder  an  das"  Oehr  einer  kleineren  Sonde  be- 
festigt. Sehr  zweckmässig  ist  auch  ein  silberner  Draht.  Bei  der  com- 
pleten  Fistel  führt  man  den  beölten  Zeigefinger  oder,  wenn  die  in- 
nere Mündung  sehr  hoch  liegt ,  das  Gorgeret  bis  über  leztere  in  den 
Darm ,  schiebt  die  Bleisonde  oder  die  vorn  abgerundete  Darmsaite  durch 
die  Fistel ,  bis  sie ,  an  dem  Finger  oder  dem  Gorgeret  abgleitend ,  zum 
After  heraustritt ;  geht  die  Sonde  oder  Saite  nach  oben ,  so  leitet  man  sie 

40* 


628  MASTDARMKRANKHEITEN.    —   KREBS. 

mit  dem  Finger  oder  einer  Kornzange  aus  dem  After  hervor.  Man  zieht 
sie  nun  ganz  heraus  und  damit  den  an  ihnen  befestigten  Faden  nach,  wor- 
auf man  die  beiden  Enden  des  leztern  mit  einem  einfachen  Knoten  und 
einer  Schleife  in  dem  Grade  zusammenbindet ,  dass  der  Kranke  einen 
massigen  Druck,  aber  keinen  Schmerz  empfindet.  Bei  der  innen  blinden 
Fistel  durchbohrt  man  die  Darmwand  mit  dem  Stilet  eines  etwas  gekrümm- 
ten Troicarts  ,  welches  man  gegen  die  Rinne  eines  in  den  Darm  einge- 
führten Gorgerets  drückt.  Nachdem  dies  geschehen ,  schiebt  man  die 
Canüle  des  Troicarts  bis  an  das  Gorgeret  vor,  das  Stilet  aber  aus,  worauf 
man  schliesslich  durch  die  Canüle  mit  der  Darmsaite  oder  Bleisonde  wie 
oben  angegeben  verfährt  und  dann  Gorgeret  und  Canüle  auszieht.  —  Die 
aussen  blinde  Fistel  macht  man ,  wie  es  beim  Schnitte  angegeben  ist ,  zu- 
vor zu  einer  completen.  Chassaignac  benüzt  zur  Unterbindung  der 
Mastdarmfistel  seinen  Ecraseur  (s.  Abbinden),  indem  er  zuerst  einen 
Faden  und  mit  Hülfe  dessen  die  Kette  des  Instruments  einzieht.  —  Ver- 
band ist  bei  der  Unterbindung  nicht  nöthig.  Das  stärkere  Zusammen- 
schnüren geschieht  erst  nach  4  —  5  Tagen  ;  wenn  die  Ligatur  anfängt  ein- 
zuschneiden, so  zieht  man  sie  allmälig  fester  an,  und  fährt  damit  so  lange 
fort ,  bis  der  Faden  durchgeschnitten  hat ,  womit  auch  die  Fistel  geheilt 
ist,  indem  der  Granulations-  und  Vernarbungsprocess  hinter  der  trennen- 
den Ligatur  stetig  fortschreitet.  Wird  der  Faden  mürbe  ,  ehe  er  durch- 
geschnitten hat,  so  zieht  man  einen  neuen  ein.  Da  die  Haut  dem  Durch- 
schneiden des  Fadens  am  längsten  widersteht,  so  kann  man  durch  Trennen 
derselben  mit  dem  Messer  die  Operation  sehr  beschleunigen.  —  3-)  Cau- 
terisation.  Das  früher  gebräuchliche  Aezen  und  Ausbrennen  der 
Fisteln  wurde  auch  bei  den  Mastdarmfisteln  häufig  geübt,  ist  aber  gegen- 
wärtig ganz  ausser  Gebrauch.  Dagegen  gewährt  die  in  neuester  Zeit  auf- 
getauchte galvanocaustische  Methode  (s.  Electrotherapie)  viele 
Vortheile ,  indem  der  glühende  Platindraht  in  der  Form  der  Schneide- 
schlinge die  gefassten  Theile  mit  einem  Zuge  trennt.  —  Mastdarm- 
scheidenfistel s.  Scheidenfisteln. 

Mastdarm  krebs,  Carcinoma  recti,  kommt  primär  und 
secundär  vor ;  der  primäre  kann  überall  am  Mastdarm  auftreten ,  vorzugs- 
weise hat  er  aber  seinen  Siz  am  obersten  und  untersten  Ende  desselben. 
Die  krebsige  Entartung  geht  allmälig  auf  benachbarte  Organe,  namentlich 
die  Blase  und  die  Vagina  über.  Er  tritt  entweder  als  ringförmiger  Faser- 
krebs oder  als  verbreitete  höckerige  Scirrhescenz  des  submucösen  Zell- 
stoffs ,  bisweilen  mit  weichen ,  leicht  blutenden,  medullären  Fungositäten 
besezt,  oder  als  Zottenkrebs,  in  Gestalt  eines  breit  oder  gestielt  aufsizen- 
den  Schwamms,  oder  endlich  als  markschwammige  Infiltration  in  die  Häute 
auf.  Am  häufigsten  scheinen  die  epitheliale  und  colloide  Form  des  Kreb- 
ses vorzukommen.  —  Der  secundäre  Krebs  ist  die  Folge  des  Krebses  der 
Blase  und  Vagina.  —  Symptome.  Diese  sind:  ein  unbehagliches  Ge- 
fühl und  ein  beständiger  Drang  zum  Stuhle,  vermehrte  Wärme,  Brennen, 


MASTDARMKRANKHEITEN.    —    KREBS.  629 

flüchtige  Stiche,  Druck  und  Schwere  im  After  und  Kreuzbeine,  besonders 
beim  Stuhlgange,  der  immer  schmerzhafter  und  beschwerlicher  wird  ;  der 
Koth  ist  dünn ,  platt  oder  kugelig ,  mit  grossen  Mengen  dünnflüssigen 
Schleims  vermischt ,  manchmal  nicht  verändert.  Dabei  sind  Blähungen, 
Aufgetriebenheit  des  Unterleibs  ,  Verdauungsbeschwerden ,  Druck  in  der 
Magengegend,  Aufstossen,  Neigung  zum  Erbrechen,  Blasenkrampf  zugegen. 
Im  weiteren  Verlaufe  des  Uebels  geht  gar  kein  Koth  mehr  ab,  bloss  schar- 
fer Darmschleim,  oder  nach  Abführmitteln  gelbliches  Wasser.  Mit  dem 
Eintritt  der  Ulceration  verschlimmern  sich  alle  Zufälle ,  der  brennende 
Schmerz  im  Mastdarm  und  der  Drang  zum  Stuhlgang  lassen  selten  mehr 
nach ,  es  findet  ein  beständiger  Abgang  einer  scharfen  blutigen ,  höchst 
stinkenden  Flüssigkeit  statt ;  es  stellen  sich  oft  bedeutende  Blutungen  ein, 
es  entstehen  durch  Perforation  des  Mastdarms  Kothabscesse  in  der  Um- 
gebung des  Afters  ;  Fieberanfälle  und  Convulsionen  bei  jeder  Stuhlent- 
leerung,  Erbrechen,  selbst  kothiges  ,  Schlaf losigkeit ,  grosse  Schwäche, 
hectisches  Fieber  etc.  führen  den  Tod  allmälig  herbei.  —  Die  Dia- 
gnose des  Mastdarmkrebses  kann  nur  durch  eine  genaue  Untersuchung 
mit  dem  Finger  oder  bei  hohem  Size  des  Uebels  mittels  Sonden  einiger- 
massen  sichergestellt  werden.  Auch  der  Mastdarmspiegel  und  Injectionen 
können  zu  diesem  Zwecke  benüzt  werden.  Behufs  der  gewöhnlich  schmerz- 
haften Untersuchung  lässt  man  den  Kranken  vornübergebeugt  mit  dem 
Rumpf  auf  einen  Tisch  oder  einen  Stuhl  gestüzt  stehen  oder  in  ähnlicher 
Stellung  liegen.  Der  beölte  Zeigefinger  wird  langsam  ein-  und  allmälig 
möglichst  hoch  hinaufgeführt,  wobei  er  ringsum  die  Mastdarmwände  be- 
tastet. Man  lässt  den  Kranken  drängen ,  damit  die  obern  Theile  des 
Mastdarms  möglichst  tief  hinabgepresst  werden,  und  führt  den  Finger  so 
stark  aufwärts ,  dass  man  einen  Theil  des  Perinaeums  mit  emjforschiebt. 
In  den.  früheren  Perioden  der  Krankheit  findet  man  den  Sphincter  krampf- 
haft zusammengezogen ,  den  Mastdarm  heiss  ,  enge ,  hart,  knorpelig,  die 
Schleimhaut  meist  glatt ;  die  Verengerung  ist  bald  ring  - ,  bald  polypen- 
artig ,1  —  2  Zoll  über  dem  Sphincter.  Nach  eingetretener  Ulceration 
zeigt  sich  die  Schleimhaut  aufgelockert ,  schwammig ,  mit  Excrescenzen, 
Rissen  und  Geschwüren  besezt ,  die  sehr  leicht  bluten.  Zur  Vervollstän- 
digung der  Diagnose  ist  es  unerlässlich,  bei  Frauen  die  Vagina,  bei  Män- 
nern die  Harnblase  zu  untersuchen ,  um  sich  vor  Verwechslungen  mit 
Krankheiten  des  Uterus  und  der  Harnwege  sicher  zu  stellen.  Weitere 
Krankheiten  ,  die  zu  Irrthümern  Veranlassung  geben  können ,  sind  :  Hä- 
morrhoidalknoten, namentlich  wenn  sie  entzündet,  verhärtet,  ulcerirt  sind, 
Polypen,  chronische  Entzündungen  der  Mastdarmwände,  syphilitische 
Verhärtungen,  krampfhafte  Contractur  des  Sphincters  mit  oder  ohne  Fis- 
sur. —  Ursachen.  Diese  sind  so  gut  wie  unbekannt.  Eine  Anlage 
zu  diesem  Leiden  findet  sich  im  mittleren  Alter,  besonders  beim  weiblichen 
Geschlecht  in  den  klimacterischen  Jahren  und  bei  Unterleibsplethora. 
Als  Gelegenheitsursachen  führt  man  an :  Reizungen  des  Mastdarms  durch 


630  MASTDARMKRANKHEITEN.    —    KREBS. 

Stuhlzäpfchen ,  Päderastie  ,  fremde  Körper,  Aloetica  ;  Unterdrückung  der 
Menstruation,  der  Hämorrhoiden,  Metastasen  von  Gicht,  Herpes,  Tripper. 
—  Be1  andlung.  Sie  ist  entweder  eine  palliative  oder  radicale.  Die 
erste  stellt  sich  die  Aufgabe,  die  Schmerzen  zu  lindern  und  die  Entlee- 
rung der  Fäces  zu  erleichtern.  In  ersterer  Absicht  gibt  man  kalte  Nar- 
cotica,  das  Extr.  cicutae,  hyoscyami,  lactuc.  sat. ,  bella- 
donnae,  Aq.  laurocerasi,  Morphium,  gebraucht  Bäder ;  auch  Sup- 
positoria  und  Klystiere  von  narcotischen  Stoffen  erweisen  sich  hülfreich. 
Die  Stuhlausleerungen  befördert,  man  durch  milde  Mittel ,  z.  B.  Molken, 
Buttermilch ,  Tamarinden  ,  Manna,  Ol.  ricini,  Oelinjectionen  ;  congestive 
Zustände  beseitigt  man  durch  die  zeitweise  Application  von  Blutegeln  um 
den  After ,  Sinapismen  und  Vesicatorien  an  die  Oberschenkel.  Zur  Be- 
seitigung der  schmerzhaften  Contractionen  des  Afters  oder  der  Verenge- 
rung des  Mastdarms  wendet  man  die  Einschneidung  des  Sphincter  ani, 
die  Compression  mit  dicken  gelben  Wachskerzen ,  mit  Bourdonnets ,  die 
mit  narcotischen  Substanzen  bestrichen  werden,  die  Cauterisation  etc.  an. 
Prominirende  Geschwülste  entfernt  man  durch  Zerquetschen,  Ausreissen, 
Abbinden ,  Abschneiden  und  die  Cauterisation.  Die  lezteren  Verfahren 
wurden  nicht  selten  in  der  Hoffnung  auf  radicale  Erfolge  unternommen, 
diese  können  aber  nur  von  der  vollständigen  Entfernung  des  Mutterbodens 
des  Carcinoma,  also  von  der  partiellen  oder  totalen  Exstirpation  des 
Mastdarms,  je  nach  der  Ausdehnung  des  Leidens,  erwartet  werden, 
wobei  aber,  wie  beim  Krebse  anderer  Organe,  die  Wiederkehr  des  Uebels 
am  Mastdarm  oder  andern  Orten  nicht  ausgeschlossen  ist.  Lisfranc 
stellt  folgende  Bedingungen  für  die  Zulässigkeit  der  Exstirpation  des 
carcinomatösen  Mastdarms  auf:  1)  man  muss  mit  dem  Zeigefinger  über 
die  obere  Grenze  des  Carcinoms  hinausgehen  können,  2)  die  Dicke  des 
Carcinoms  muss  nicht  über  die  Wandungen  des  Mastdarms  hinausgehen, 
so  dass  derselbe  noch  beweglich  ist  und  sich  herabziehen  lässt.  ■ —  Die 
bei  dieser  Operation  zu  verlezenden  Arterien  sind  :  die  A.  haemor- 
rhoidalis,  der  oberflächlichste  Ast  der  Pudenda  int.,  die  A.  trans- 
versa perinaei,  haemorrh.  media  und  die  Endäste  der  hae- 
morrh.  superior;  ihre  Blutung  lässt  sich  jedoch  beherrschen.  Bei 
der  Operation  befindet  sich  der  Kranke  in  der  Seitenlage  mit  halbgebeug- 
ten Schenkeln;  Harnblase  und  Darm  werden  vorher  entleert.  Lisfranc 
umschneidet  den  After  mit  zwei  halbmondförmigen  Schnitten,  deren  Ent- 
fernung von  ihm  nach  der  Ausdehnung  des  Carcinoms  wechselt ,  dringt 
von  diesen  Einschnitten  aus  in  schräger  Richtung  gegen  den  Mastdarm 
vor,  bis  er  denselben  rings  herum  blossgelegt  hat ,  führt  dann  den  linken 
Zeigefinger  in  den  Mastdarm  ein,  krümmt  ihn  hakenförmig,  zieht  den  er- 
krankten Theil  vor  und  stülpt  ihn  nach  aussen  um.  Die  Exstirpation 
wird  hierauf  mit  dem  Messer  oder  der  Scheere  vollendet.  Man  schont 
dabei  von  dem  Sphincter  ani  externus,  was  möglich  ist,  wovon 
später  die  Zurückhaltung  der    Fäces   abhängt.       Nimmt  der  Krebs  die 


MASTDARMKRANKHEITEN.  KREBS.  631 

ganze  Dicke  der  Mastdarmwand  ein  und  erstreckt  er  sich  auch  hoher 
hinauf,  so  spaltet  man ,  nachdem  der  Mastdarm  auf  die  oben  angegebene 
Weise  ringsherum  abgelöst  ist ,  die  hintere  Wand  desselben  mit  einer 
starken  Scheere  bis  über  die  Grenze  der  Entartung  hinaus  ,  zieht  ihn  mit 
Haken  möglichst  stark  herab  und  sezt  die  Operation  von  der  hintern 
Mastdarmwand  gegen  die  vordere  fort ,  indem  man  die  carcinomatösen 
Theile  von  den  gesunden  bald  mit  dem  Messer ,  bald  mit  der  Scheere 
trennt.  Während  der  ganzen  Operation  müssen  die  sprizenden  Arterien 
stets  unmittelbar  nach  ihrer  Verlezung  unterbunden  werden ,  um  sich  im- 
mer eine  freie  Ansicht  des  Operationsfeldes  zu  erhalten.  Bei  Weibern 
wird ,  wenn  man  zur  Exstirpation  der  vordem  Mastdarmwand  schreitet, 
1  oder  2  Finger  in  die  Vagina  eingeführt ,  um  dieselbe  vor  einer  Ver- 
lezung zu  bewahren.  —  Velpeau  spaltet  bei  einem  kreisförmigen  und 
etwa  einem  Zoll  hohen  Krebse  die  hintere  Wand,  zieht  darauf  den  Mast- 
darm mit  Haken  so  weit  abwärts,  dass  der  carcinomatöse  Theil  ausserhalb 
des  Afters  liegt  und  führt  hierauf  2 — 2i/2  Linien  oberhalb  der  Grenze 
des  Carcinoms  rings  herum  eine  Reihe  von  Faden  mit  einer  starken  Nadel 
durch  den  Mastdarm  ein  und  oberhalb  (hinter  der  Krebsgeschwulst  hin- 
weg) durch  die  äussere  Haut  am  Damm  wieder  heraus.  Der  carcinoma- 
töse Ring  wird  nun  durch  einen  im  gesunden  Gewebe  geführten  Schnitt 
entfernt  und  die  Fäden  zu  Nähten  geknotet ,  so  dass  das  nunmehrige  un- 
tere Ende  des  Mastdarms  an  den  ringförmigen  Wundrand  der  äussern 
Haut  geheftet  ist.  Bei  einem  höher  sich  erstreckenden  Krebse  soll  nach 
der  Lisfranc'schen  Methode  verfahren,  nach  dem  Hervorziehendes 
entarteten  Theiis  sollen  die  Fäden  eingezogen  und  nach  Abtragung  des- 
selben zusammengeknotet  werden.  —  Nach  Dieffenbach  wird  bei  ge- 
sundem Sphincter  und  Unversehrtheit  der  ihn  bedeckenden  Haut  der 
After  in  der  Richtung  gegen  die  Steissbeinspize  und  nöthigenfalls  auch 
nach  vorn  eingeschnitten ,  der  Mastdarm  herabgezogen  und  ausgeschält, 
was  bis  zu  einer  Höhe  von  2  Zoll  möglich  ist.  Die  äussere  Wunde  wird 
durch  Nähte  vereinigt.  Die  krebsige  Partie  kann  auch,  nachdem  man  sie 
gestielt  hat,  mit  dem  Ecraseur  abgequetscht  werden  (s.  Abbinden.  — 
Verband  und  Nachbehandlung.  Man  stillt  die  Blutung  durch 
Einsprizen  von  kaltem  WTasser ,  durch  Andrücken  eines  in  kaltes  Wasser 
getauchten  Schwamms,  oder  wenn  eine  blutende  Arterie  nicht  unterbunden 
werden  kann ,  mit  dem  Glüheisen ,  worauf  man  noch  einmal  genau  nach- 
sieht, ob  alles  Erkrankte  entfernt  ist.  Anfangs  wird  die  Wunde  nur  ein- 
fach durch  Charpie ,  Compresse  und  T-Binde  gedeckt ;  sobald  sie  aber 
nach  Ablauf  einiger  Tage  anfängt,  sich  zu  contrahiren,  so  bringt  man  eine 
dicke,  mit  Bleisalbe  bestrichene  Wieke,  zur  Zeit  der  Vernarbung  Röhren 
von  Blei,  Zinn,  Hörn ,  Guttapercha  ein.  Bei  Frauen  muss  man ,  um  den 
Harn  von  der  Wunde  abzuhalten,  die  Blase  durch  den  Catheter  entleeren. 
Bei  der  WTunde  ist  die  grösste  Reinlichkeit  zu  beobachten ;  ihre  Eiterung 
ist  anfangs  copiös,  übel  aussehend,  sehr  bald  bessert  sich  aber  die  Secre- 


632  MASTDARMKRANKHEITEN.    —   POLYPEN. 

tion  von  selbst  und  man  hat  nur  hauptsächlich  auf  Verhütung  von  Eiter- 
senkungen zu  achten,  weswegen  der  Verband  täglich  2 —  3  Mal  erneuert 
werden  muss.  Ueble  Ereignisse,  welche  eintreten  können,  sind  : 
Verlezung  des  Bauchfells  und  Peritonitis ,  Entzündung  und  Eiterung  des 
Zellgewebes  im  Becken,  Pyämie,  nervöse  Erscheinungen,  wie  Kolikschmer- 
zen, Aufstossen ,  Uebelkeit,  Erbrechen,  Drängen  zum  Stuhlgang,  Drang 
zum  Harnlassen  mit  heftigen  Blasenschmerzen.  —  Würdigung  der 
Exstirpation  des  Mastdarms.  Die  Hinwegnahme  des  untern 
Theils  des  Mastdarms  mit  Erhaltung  des  Sphincter  ani  ist  eine  ziem- 
lich dankbare  Operation ,  indem  sie  nicht  allein  augenblicklich  alle  Be- 
schwerden hebt,  sondern  auch  nicht  selten  zur  dauernden  Heilung  führt. 
Nicht  so  verhält  es  sich  bei  der  Entfernung  grösserer  Partien  des  Mast- 
darms ;  diese  Operation  ist  nicht  allein  gefährlich ,  sondern  auch  häufig 
in  ihrem  Erfolge  nicht  befriedigend.  Abgesehen  davon  ,  dass  es  selten 
gelingt,  alles  Krankhafte  zu  entfernen,  so  dass  Recidive  in  sicherer  Aus- 
sieht stehen,  so  bleibt  fast  immer  eine  bedeutende  Verengerung  des  Darms 
zurück  und  wenn  der  ganze  Sphincter  mit  entfernt  werden  musste,  so  ist 
eine  In  content  ia  alvi  die  gewöhnliche  Folge.  Troz  allem  Diesen 
bleibt  die  Operation  immer  noch  ein  willkommenes  Mittel  bei  einer  Krank- 
heit ,  gegen  welche  wir  kein  anderes  Mittel  besizen ,  die  vielmehr  unter 
grossen  Qualen  zum  Tode  führt.  —  Unter  Umständen  kann  die  Anlegung 
eines  künstlichen  Afters  nöthig  werden. 

Mastdarmpolypen  sind  selten  und  treten  als  fibröse  und 
Schleimpolypen  auf.  Sie  sind  meistens  lang  gestielt  und  wurzeln  1  bis 
2  Zoll  über  der  Mastdarmöffnung.  Sie  erregen  troz  ihrer  Kleinheit  viele 
Beschwerden  beim  Stuhlgange,  werden  mit  demselben  hervorgedrängt  und 
bekommen  dadurch  bei  längerem  Bestehen  einen  langgezogenen  Stiel. 
Alle  Polypen  des  Mastdarms  sind  sehr  gef  ässreich  und  können  deshalb 
auch  im  Beginne  ihrer  Entwicklung  leicht  mit  Hämorrhoidalknoten  ver- 
wechselt werden,  deren  subjective  Symptome  sie  gleichfalls  hervorrufen 
können.  Bei  weiterem  Wachsthum  lassen  sie  sich  bei  der  Untersuchung 
mit  dem  Finger  an  ihrer  Gestalt  und  grösseren  Festigkeit  leicht  erkennen. 
Die  Fäces  erhalten  durch  den  Eindruck  des  Polypen  eine  Furche.  Die 
Polypen  kommen  bald  einzeln,  bald  in  Mehrzahl  vor.  Sie  sind  meistens 
nur  den  Kindern  eigen.  —  Behandlung.  Man  entfernt  die  Mast- 
darmpolypen durch  Abschneiden  oder  Abbinden.  Man  lässt  sie  hervor- 
drängen ,  fasst  sie  mit  einer  Pincette  oder  Zange ,  zieht  sie  noch  mehr 
hervor,  umschlingt  sie  mit  einer  Ligatur  und  wartet  nun  entweder  ihr  Ab- 
fallen ab ,  oder  schneidet  sie  mit  einem  Bistouri  oder  einer  Scheere  weg. 
Dies  kann  auch  direct  ohne  Besorgniss  vor  einer  beunruhigenden  Blutung 
geschehen.  Chassaignac  quetscht  sie  mit  dem  Ecraseur  ab  (s. 
Abbinden).  Selbst  sehr  hoch  wurzelnde  Polypen  lassen  sich  durch 
wiederholtes  Ziehen  der  Afteröffnung  nähern  ;   zur  Unterbindung  solcher 


MASTDARMKRANKHEITEN.   VERENGERUNG.  633 

wählt  man  eines   der  für   die   Gebärrnutterpolypen   angegebenen  Instru- 
mente. 

Mastdarmverengerung,  Strictura  recti,  kommt  ange- 
boren und  erworben  vor ;  meistens  ist  lezteres  der  Fall.  Im  ersten  Falle 
zeigt  sie  sich  ohne  Texturveränderung,  während  sie  im  lezteren  durch 
eine  krampfhafte  Zusammenschnürung  des  Schliessmuskels  des  Afters  (s. 
Afterfissur)  oder  durch  Verdickung,  Anschwellung,  Entartung  der 
Schleimhaut  oder  durch  Narbencontractionen  der  Mastdarmwände  oder 
endlich  durch  Entwicklung  von  Geschwülsten  im  Mastdarm  selbst  oder 
in  seiner  Nachbarschaft  gebildet  werden.  —  Die  Veränderungen  ,  welche 
die  Häute  des  Dickdarms  erleiden  können,  sind  höchst  verschieden  ;  theils 
sind  sie  Folgen  einer  chronischen  Entzündung  und  durchlaufen  alle  Grade 
der  interstitiellen  Ausschwizung  bis  zur  knorpeligen  oder  knöchernen  Ver- 
härtung ,  theils  sind  es  Wucherungen  im  Körper  verborgener  Dyscrasien, 
woraus  alle  Arten  von  Geschwülsten  von  der  Balggeschwulst  bis  zum 
Krebse  hervorgehen  können.  —  Die  Verengerung  kann  in  sehr  verschie- 
dener Höhe  ihren  Siz  haben.  Am  häufigsten  findet  sie  sich  den  Stellen 
der  Sphincteren  entsprechend ,  also  entweder  in  der  Afteröffnung  selbst' 
oder  dicht  darüber  an  der  Grenze  zwischen  Mastdarm  und  F 1  e  x  u  r  a 
sigmoidea.  Sehr  häufig  besteht  die  Verengerung  in  grosser  Ausdeh- 
nung oder  an  mehreren  Stellen  zugleich  in  Folge  einer  Entwicklung  von 
Geschwülsten.  Alsdann  ist  auch  gewöhnlich  die  Richtung  des  Darm- 
rohrs verändert.  —  Symptome  undDiagnose.  Es  macht  sich  ein 
Jucken ,  Stechen  oder  Brennen  im  Mastdarme  bemerklich  ,  welchem  bald 
Schwere  und  Druck  im  Becken  ,  Völle  und  Spannung  im  Unterleibe  mit 
Verstopfung  oder  Durchfall ,  wohl  auch  ziehende  Schmerzen  im  Kreuze 
und  in  den  Lenden  folgen.  Die  Stuhlausleerungen  werden  seltener,  sind 
mit  Beschwerden  verbunden  und  der  ausgeleerte  Koth  besteht  in  dünneren 
Cy lindern  als  gewöhnlich.  Mit  der  Zunahme  der  Strictur  werden  die 
Ausleerungen  immer  dünner ,  platter  und  nehmen  zulezt  die  Form  eines 
schmalen  Bandes  oder  einer  dünnen  Schnur  an ;  damit  vermehren  sich  die 
Schmerzen,  und  zuweilen  treten  Ohnmächten  und  Convulsionen  ein.  Je 
mehr  durch  die  Enge  der  Strictur  die  Fäces  zurückgehalten  und  über  ihr 
angesammelt  werden ,  desto  mehr  wird  der  über  ihr  liegende  Darmtheil 
ausgedehnt,  desto  mehr  nimmt  der  ganze  Darmkanal  und  selbst  der  ganze 
Organismus  Antheil  an  dem  örtlichen  Leiden.  Es  entsteht  schmerzhafte 
Auftreibung  des  Unterleibs,  Mangel  an  Appetit,  saures  Aufstossen,  Ekel, 
Uebelkeiten ,  Erbrechen  selbst  von  Koth.  Der  Kranke  magert  dabei  ab, 
wird  cachektisch  und  ein  lentescirendes  Fieber  todtet  ihn  langsam ,  wenn 
nicht  eine  Perforation  des  Darms  und  Ergiessung  seines  Inhalts  in  die 
Bauchhöhle  ,  oder  Brand  desselben  ein  schnelles  Ende  herbeiführt ;  zu- 
weilen kommt  es  zur  Bildung  von  Kothfisteln.  Hat  die  Strictur  ihren 
Siz  hoch  oben,  so  häufen  sich ,  so  lange  dieselbe  noch  permeabel  ist ,  die 
sie  passirenden  Excremente  unter  ihr  von  Neuem  an,  und  werden  dann  spä- 


634  MASTDARMKRANKHEITEX.   VERENGERUNG. 

ter  natürlich  geformt  ausgeleert.  —  Zur  Sicherung  der  Diagnose  ist  eine 
örtliche  Untersuchung  nöthig,  wozu  man  sich  am  besten  des  Zeigefingers, 
oder  wo  die  verengte  Stelle  mit  diesem  nicht  zu  erreichen  ist ,  der  Bou- 
gies,  des  Wachsstocks,  oder  einer  mit  Modellirwachs  umgebenen  Sonde 
bedient,  mit  welcher  lezteren  man  sich  zugleich  einen  Abdruck  der  Struc- 
tur  verschaffen  kann.  —  Ursachen.  Diese  sind  Reizungen  des  Mast- 
darms durch  harte  Fäces ,  Obstkerne ,  Gallensteine,  Würmer,  Päderastie, 
Versezungen  von  Hautkrankheiten ,  Unterdrückung  gewohnter  Ausleerun- 
gen, Syphilis.  —  Prognose.  Diese  wird  am  meisten  von  der  Natur 
der  Entartung  bestimmt ;  einfache,  gutartige  Verhärtung ,  Ausschwizung 
nach  Entzündung  gewährt  die  Hoffnung  einer  dauernden  Herstellung ; 
weniger  ist  dies  der  Fall  bei  Narbencontractionen ,  welche  immer  wieder- 
kehren ,  so  wie  bei  schwammigen  ,  sarkomatösen  Wucherungen  und  noch 
weniger  bei  scirrhöser  Entartung  der  Darmschleimhaut.  —  Behand- 
lung. Diese  besteht  zunächst  in  der  Entfernung  der  dem  Leiden  zu 
Grunde  liegenden  allgemeinen  Krankheiten  und  dann  in  der  Beseitigung 
der  entarteten  Theile  im  Mastdarme.  Die  erste  erfordert  den  Gebrauch 
der  dem  Allgemeinleiden  entsprechenden  innern  Mittel,  daher  Antisyphi- 
litica ,  Mittel ,  welche  auf  die  Haut,  gegen  Hämorrhoiden  wirken ,  Ablei- 
tungsmittel  etc.  —  Zur  Beseitigung  der  Verengerungen  als  solcher  wendet 
man  die  Excision,  Incision ,  die  allmälige  Ausdehnung  und  die  Cauterisa- 
tion  an.  Die  Excision  kommt  beiExcrescenzen  der  Mastdarmschleim- 
haut in  Anwendung,  indem  man  die  nicht  hochsizenden  Auswüchse  durch 
Drängen  aus  dem  After  hervorpressen  lässt,  sie  mit  einer  Zange  oder  einer 
durchgezogenen  Fadenschlinge  fixirt  und  dann  an  der  Basis  mit  horizon- 
tal geführtem  Messer  abträgt ;  die  höher  liegenden  behandelt  man  durch 
Druck,  und  weiter  gehende  Entartungen  können  die  Abtragung  der  Schleim- 
haut in  grösserer  Ausdehnung  nöthig  machen  (s.  Mastdarmkrebs). 
—  Die  mechanische  Erweiterung  dieser  Verengerungen  ist  dasjenige 
Verfahren,  welches  die  häufigste  Anwendung  findet.  Ehe  man  diese  ins 
Werk  sezt ,  sucht  man  die  grosse  Reizbarkeit  und  Empfindlichkeit  des 
Mastdarms  abzustumpfen,  was  durch  erweichende  narkotische  Einsprizun- 
gen ,  namentlich  Einsprizungen  von  kaltem  Wasser  geschieht ;  entzünd- 
liche Zustände  beseitigt  man  durch  die  Anwendung  von  Blutegeln ,  von 
Quecksilbersalbe ,  von  erweichenden  Cataplasmen  etc.  Die  Hülfsmittel, 
deren  man  sich  zur  Ausdehnung  der  Mastdarmstricturen  bedient,  sind : 
die  allmälig  verstärkte  Wieke ,  die  Bougies ,  der  Pressschwamm  und  die 
eigends  für  diese  Verengerung  empfohlenen  oder  sonst  üblichen  Dikta- 
toren. Die  Wieke  führt  man,  mit  einer  reizmildernden  Salbe  bestrichen, 
mittels  einer  nach  der  Beckenachse  gebogenen  Gabelsonde  in  den  Mast- 
darm ein  und  durch  die  Strictur  hindurch.  Ein  starker,  aussen  befestig- 
ter Faden  verhindert  das  Emporgleiten  der  Wieke.  Hat  sich  der  Darm 
an  ihren  Druck  gewöhnt ,  so  vertauscht  man  sie  mit  Pressschwamm  (s. 
Erweiterungsmittel)  oder  mit Wachsbougies.    Leztere  haben  einen 


MASTDARMKRANKHEITEN.  —  VERENGERUNG.  635 

Umfang  von  1  bis  3^2  Zoll  und  eine  Länge  von  11  Zoll.  Vor  der  Ap- 
plication gibt  man  ihnen  eine  der  Beckenachse  entsprechende  Krümmung. 
Die  wohlbeölte  Bougie  wird ,  mit  der  Convexität  ihrer  Krümmung  nach 
der  Aushöhlung  des  Kreuzbeins  sehend ,  3  Zoll  hoch  eingeführt ;  muss 
man  tiefer  eindringen,  so  wird  das  jezt  nach  links  stehende  äussere  Ende 
der  Bougie  in  einem  Bogen  nach  rechts  erhoben  und  fortgeschoben  und 
endlich  ,  um  die  S  förmige  Krümmung  zu  passiren  ,  die  Bougie  ganz  ein- 
geführt,  indem  man  dabei  das  noch  hervorstehende  Ende  etwas  nach  ab- 
wärts drückt.  Es  dürfte  nur  schwer  oder  gar  nicht  gelingen,  die  Bougie 
durch  eine  sehr  hochgelegene  Strictur  hindurch  zu  leiten.  Statt  der  so- 
liden Bougies  hat  man  sich  auch  röhrenförmiger  Schläuche  oder  der  Luft- 
und  Wasserdilatatoren  bedient;  erstere  gestatten  bei  hinlänglicher  Weite 
gleichzeitig  den  Durchgang  der  Darmcontenta  und  deren  Verdünnung 
durch  Einsprizungen.  Auch  metallene  Röhren  und  Dilatatoren  hat  man 
angewendet,  sie  sind  aber  zu  beleidigend;  das  Gleiche  gilt  von  dem  Vor- 
schlage, einen  an  der  Aussenfläche  ausgehöhlten  Messingring  in  die  Stric- 
tur einzulegen  und  denselben  gleich  einem  Pessarium  unausgesezt  tragen 
zu  lassen.  Dieulafoi  hält  bei  überhaupt  zugänglichen  Stricturen  die 
gewaltsame  und  schnelle  Erweiterung  derselben  für  die  zweckmässigste 
Behandlung.  Er  bedient  sich  dazu  hölzerner  keilförmiger  Zapfen  von 
verschiedenem  Umfange,  welche  er  schnell  und  kräftig  durch  die  Strictur 
hindurchstösst ,  was  er ,  wenn  der  erste  heftige  Schmerz  sich  gelegt  hat, 
mit  immer  stärkeren  Zapfen  mehrere  Male  wiederholt.  —  Vor  der  An- 
wendung der  Dilatationsinstrumente  muss  der  über  der  Strictur  sich  auf- 
haltende Koth  entleert  werden  ;  um  ihn  aufzulösen,  muss  das  Sprizenrohr 
bis  über  die  Strictur  hinaufgeschoben  werden.  Hierzu  kann  nach  Hede- 
n u s  die  Sonde  ä  double  courant  J.  Cloquet's,  nach  Berard 
die  aufsteigende  Douche  ohne  Röhre  benüzt  werden.  —  AVie  lange  der 
fremde  Körper  liegen  bleiben  darf,  hängt  von  der  Reizbarkeit  des  Darms 
und  dem  jedesmaligen  Bedürfniss  des  Kranken  zu  Stuhlentleerungen  ab. 
—  Mit  der  Zunahme  der  Erweiterung  geht  man  natürlich  zu  immer  dik- 
keren  Ausdehnungsmitteln  über.  —  Bei  sehr  engen,  ringförmigen,  callö- 
sen,  cartilaginösen  Stricturen ,  bei  welchen  man  mit  der  einfachen  Dilata- 
tion nicht  auszureichen  erwarten  darf,  sucht  man  seinen  Zweck  mit  Hülfe 
des  Aezmittels  oder  des  Messers  zu  erreichen.  Die  Cauterisation 
wird  am  besten  mit  Lapis  infernalis,  welcher  nach  Sanson  in 
seitlichen  Ausschnitten  eines  Cylinders  angebracht  wird ,  ausgeführt.  — 
Die  Incision  zeigt  sich  bei  sehr  harten  Stricturen  nüzlich ;  man  schnei- 
det diese  entweder  mittels  des  Knopfmessers  einfach  ein  oder  excidirt  sie 
nach  Hedenus  völlig.  Nach  der  Incision  sezt  man  die  Dilatation  bis 
nach  erfolgter  Vernarbung  der  Schnittwunden  fort.  Den  grössten  Wider- 
stand sezen  Narben  der  Heilung  entgegen  ;  die  Einen  schneiden  die  Nar- 
ben ein  und  legen  eine  Wieke  ein ;  Andere  schneiden  die  Narbe  aus  und 
vereinigen   die   Wunde   durch  Knopfnähte.    —   Bei  klappenartigen  Ver- 


636  MASTDARMKRANKHEITEN.    —    VERSCHLIESSUNG. 

engerungen  schlägt  B  e  n  o  i  t  die  Mortification  des  Hindernisses  durch 
eine  allmälig  fester  zu  schliessende  Zange  ,  ähnlich  der  Enterotomie  bei 
widernatürlichem  After,  vor.  —  Bei  krebsigen  Entartungen  verfährt  man 
palliativ,  wie  es  beim  Carcinoma  r e  c t i  angegeben  ist.  —  Sollte  die 
Verengerung  des  Mastdarms  bis  zur  Verschliessung  fortschreiten  und 
keine  der  oben  genannten  Operationen  ausführbar  sein ,  so  ist  die  An- 
legung eines  künstlichen  Afters  (s.  den  Art.)  der  einzige  Ausweg. 

Mastdarm  verschliessung,  After  verschluss,  Atre- 
s  i  a  a  n  i ,  ist  immer  Fehler  der  ersten  Bildung  und  ist  bald  bedingt  durch 
eine  einfache  Haut,  welche  entweder  ganz  an  der  OefFnung  des  Mastdarms, 
oder  mehr  oder  weniger  hoch  in  der  Höhle  desselben  seinen  Siz  hat,  bald 
ist  äusserlich  gar  keine  Spur  der  Aftermündung  zugegen  ,  und  der  Mast- 
darm öffnet  sich  mehr  oder  weniger  hoch  oben  in  einen  blinden  Sack. 
Zuweilen  öffnet  sich  der  Mastdarm  in  die  Urinblase ,  die  Urethra  oder  in 
die  Scheide.  —  Symptome.  Der  Aftervers chluss  gibt  sich  durch  ein 
heftiges  Drängen ,  verbunden  mit  schmerzhafter  Auftreibung  des  Unter- 
leibs und  Erbrechen  einer  grünlichen  oder  gelblichen  Materie  kund,  wozu 
sich  später  Convulsionen  gesellen.  Ist  der  Mastdarm  durch  eine  blosse 
Haut  verschlossen ,  so  wird  diese ,  besonders  während  des  Schreiens  der 
Kinder,  sackförmig  hervorgetrieben,  und  man  sieht  das  Meconium  durch- 
scheinen. Liegt  die  verschliessende  Membran  höher ,  so  überzeugt  man 
sich  davon  durch  den  eingebrachten  Finger  oder  eine  elastische  Sonde. 
—  Behandlung.  Bei  einer  häutigen  Verschliessung  der  Aftermün- 
dung sticht  man  ein  gerades  Messer  durch  die  Haut,  bis  Meconium  neben 
der  Klinge  hervorquillt  und  dilatirt  diese  Wunde  dann  bis  zur  natürlichen 
Weite  des  Mastdarms ,  worauf  man  ein  kleines  Bourdonnet  in  die  Wunde 
einlegt.  —  Liegt  die  verschliessende  Membran  höher  im  Mastdarm  ,  so 
führt  man  auf  dem  eingeleiteten  Zeigefinger  oder  auf  einer  Hohlsonde 
ein  schmales  Messer  mit  gegen  das  Steissbein  gekehrter  Schneide  oder 
einen  Troicart  zur  verwachsenen  Stelle  und  stösst  sie  an  dem  fluctuirend- 
sten  Punkte  ein,  worauf  man  die  Wunde  mit  dem  Knopfmesser  erweitert. 
Auch  hier  legt  man  Wieken,  die  an  einem  Faden  befestigt  sind  ,  ein,  um 
die  Wiederverschliessung  zu  verhindern.  —  Ist  After  und  Mastdarm  in 
einer  längern  Strecke  verschlossen ,  so  schneidet  man ,  während  das  Kind 
mit  stark  gebeugten  und  auseinander  gezogenen  Schenkeln  mit  dem  Ge- 
sässe nahe  am  Rande  eines  Tisches  von  einem  Gehülfen  gehalten  wird, 
zwischen  der  Rhaphe  und  dem  Steissbein,  doch  so  ein,  dass  zwischen  lez- 
terem  und  dem  Schnitt  ungefähr  ein  zollbreiter  Zwischenraum  bleibt. 
Man  bringt  einen  Catheter  in  die  Harnblase,  entleert  den  Urin  und  macht 
die  Lage  der  Harnröhre  bemerklich ;  bei  Mädchen  führt  man  eine  starke 
Sonde  in  die  Scheide ,  um  diese  zu  bezeichnen.  Man  dringt  mit  dem 
Schnitte  vorsichtig,  um  Blase  und  Scheide  zu  vermeiden,  in  der  Richtung 
der  vordem  Fläche  des  Kreuzbeins  etwa  l/2  Zoll  tief  ein ,  fühlt  dann  mit 
dem  Finger  nach  dem  Darme  und  sticht  diesen ,  wenn  man  ihn  gefunden, 


MASTDARMKRANKHEITEN.  —  VORFALL.  637 

in  der  angegebenen  Richtung  mit  dem  Messer  oder  Troicart  an  ,  worauf 
man  die  Oeffnung  im  Mastdarm,  wenn  es  ausführbar  ist,  mit  dem  Knopf- 
messer erweitert.  Der  Verband  wird  wie  oben  bestellt.  Wenn  man  iy2 
bis  2  Zoll  tief  eingedrungen  ist,  ohne  den  Darm  anzutreffen,  so  muss  man 
die  Operation  an  dieser  Stelle  aufgeben  und  an  einem  andern  Orte  einen 
After  anlegen.  —  Mündet  der  Darm  in  die  Scheide ,  so  bringt  man  wo 
möglich  durch  diese  Mündung  eine  gekrümmte  Sonde  in  den  Darm,  drückt 
sie  gegen  die  Afterstelle  und  schneidet  auf  sie  ein.  Ist  dieses  Verfahren 
nicht  ausführbar,  so  operirt  man  auf  die  angegebene  Weise.  —  Mündet 
der  Darm  in  die  Harnröhre  oder  Blase ,  so  suche  man  ihn  auf  die  oben 
angegebene  Weise  zu  öffnen  ;  gelingt  es  nicht,  so  bilde  man  einen  künst- 
lichen After  (s.  diesen  Artikel). 

Mastdarmvorfall,  Prolapsus  ani,  bezeichnet  den  Zustand, 
wo  entweder  der  Mastdarm  mit  allen  seinen  Häuten  oder  blos  die  innere 
Haut  desselben  durch  den  After  hervortritt.  Als  eine  besondere  Varietät 
ist  der  Fall  anzuführen ,  wo  sich  in  den  Prolapsus  ein  höherer  Darmtheil 
einsenkt  (Prolapsus  ani  cuminvaginatione).  Von  dieser  In- 
vagination  ist  wieder  diejenige  zu  unterscheiden ,  wo  sich  ein  höher  ge- 
legenes Darmstück  ohne  Betheiligung  des  Mastdarms  durch  den  After 
herabgesenkt  hat.  —  Symptome  und  Diagnose.  Der  Mastdarm- 
vorfall erscheint  am  After  als  eine  weiche,  rothe ,  ringförmige  oder  seit- 
liche ,  oft  einige  Zoll  lange  Geschwulst ,  an  deren  freiem  Ende  sich  eine 
Oeffnung  befindet,  durch  welche  der  Koth  abgeht.  Häufig  ist  der  Vorfall 
schmerzlos ,  er  kann  aber  schmerzhaft ,  ja  selbst  entzündet  und  brandig 
werden ,  wenn  der  anfangs  erschlaffte  Sphincter  sich  kräftiger  zusammen- 
zieht und  das  vorgefallene  Stück  einschnürt.  Beim  Schleimhautvorfall 
kann  man  nirgends  zwischen  dem  Prolapsus  und  dem  Afterrande  eindrin- 
gen ,  während  dies  bei  jedem  Vorfall  der  ganzen  Dicke  des  Mastdarms, 
der  nicht  gerade  an  der  ganzen  Circumferenz  sich  entwickelt  hat,  der  Fall 
ist.  Stülpt  sich  eine  höher  liegende  Darmpartie ,  z.  B.  das  untere  Ende 
des  Colon  oder  das  Coecum  (selten  das  Ileum)  in  den  Mastdarm,  so  kann 
der  Vorfall  eine  Länge  von  l/2  bis  1  Fuss  erreichen,  neben  welchem  und 
dein  Mastdarm  man  mit  einer  Sonde  oder  dem  Finger  eine  Strecke  hin- 
aufdringen kann.  —  Veraltet  der  Vorfall,  so  verändert  sich  die  Structur 
des  Darms  ,  der  Ueberzug  wandelt  sich  in  ein  der  Epidermis  ähnliches 
trockenes  Epithelium  um,  es  treten  andauernde  Schleimflüsse  auf  etc.  — 
Brand  kann  zur  Abstossung  des  invaginirten  Darmstücks  führen ,  ohne 
dass  der  Tod  die  nothwendige  Folge  davon  wäre.  —  Ursachen.  Am 
häufigsten  entsteht  der  Mastdarmvorfall  bei  Kindern  und  alten  Leuten, 
wenn  diese  an  langwierigen  Diarrhöen ,  Würmern  etc.  leiden  und  beim 
Stuhlgang  stark  drängen.  Bei  Personen  in  den  mittleren  Jahren  entsteht 
er  seltener ,  doch  können  Hartleibigkeit ,  Hämorrhoidalbeschwerden ,  or- 
ganische Veränderungen  des  Mastdarms  und  Erschlaffung  desselben  durch 
öftere  Klystiere  etc.  ihn  auch  hier  veranlassen.  —  Prognose.      Sie  ist 


638  MASTDARMKRANKHEITEN. VORFALL. 

bei  Kindern  nicht  ungünstig,  da  die  Natur  häufig  das  Uebel  beseitigt  und 
die  Kunsthülfe  weit  wirksamer  ist,  als  bei  alten  Leuten  oder  sehr 
geschwächten  Subjecten ,  wo  der  Radicalhülfe  mancherlei  Hindernisse  in 
den  Weg  treten ,  namentlich  bei  der  Beseitigung  der  Ursachen.  —  Be- 
handlung. Sie  beruht  auf  der  Reposition  und  Retention  des  Vorfalls 
und  der  Beseitigung  der  Ursachen.  —  Die  Reposition  geschieht  da- 
durch, dass  man  den  Kranken  mit  erhöhtem  Steisse  und  von  einander  ent- 
fernten Schenkeln  auf  den  Bauch  legt ,  oder  ihn  sich  vornüber  auf  einen 
Tisch  neigen ,  oder  auf  Knie  und  Ellbogen  sich  stüzen  lässt ,  und ,  wenn 
der  Vorfall  klein  ist,  ihn  mit  der  beölten  flachen  Hand  sanft  zurückdrückt, 
oder,  wenn  er  grösser  ist,  mit  dem  beölten  Zeigefinger  der  rechten  Hand 
in  die  OefFnung  des  Darms  eingeht  und  den  vorgefallenen  Theil  nach  in- 
nen umstülpt,  dann  mit  den  Fingern  der  linken  Hand  den  Rand  des  Vor- 
falls zurückhält ,  den  eingeführten  Finger  etwas  zurückzieht  und  von 
Neuem  etwas  tiefer  einführt  und  dieses  Manöver  bis  zur  völligen  Repo- 
sition wiederholt.  Gelingt  die  Reposition  wegen  krampfhafter  Zusammen- 
schnürung des  Schliessmuskels  nicht ,  so  wende  man  erst  ein  warmes  Siz- 
bad  oder  warme  Umschläge  aus  Herb,  hyoscyami  etc.,  oder  auch  eine 
Dosis  Opium  an ,  bevor  man  die  Reposition  wieder  versucht ;  ist  die  Ein- 
schnürung sehr  stark ,  so  schneidet  man  den  Sphincter  an  der  am  stärk- 
sten eingeschnürten  Stelle  mittels  eines  auf  einer  Hohlsonde  eingeführten 
Knopfbistouri's  ein ;  gelingt  die  Reposition  aber  wegen  Entzündung  und 
Anschwellung  des  Vorfalls  nicht ,  so  macht  man  kalte  Umschläge ,  unter 
Umständen  einen  Aderlass  vor  den  Repositionsversuchen.  Zuweilen  führt 
ein  massiger ,  längere  Zeit  unterhaltener  Druck  durch  Compressen ,  die 
mittels  einer  T-Binde  befestigt  werden,  zum  Ziele.  —  Bei  der  Reposition 
des  Mastdarmvorfalls  mit  Invagination  muss  man  ähnlich  verfahren,  wie 
bei  der  Taxis  eines  Bruchs.  Das  zulezt  vorgefallene  Stück  muss  zuerst 
reponirt  werden.  Man  fängt  also  in  der  Nähe  der  untern  Oeffnung  der 
Geschwulst  an  und  schiebt  zunächst  das  invaginirte  Darmstück  in  das  in- 
vaginirende  zurück.  Man  kann  sich  hierzu  einer  elastischen  Röhre  be- 
dienen oder  nach  B  o  y  e  r  die  aufsteigende  Douche  anwenden.  —  Behufs 
der  Verhütung  des  Wiedervorfallens  des  Darms  dienen  sowohl  phar- 
maceutische  als  chemische  Mittel.  Erstere  haben  die  Aufgabe,  die  Irri- 
tation des  Mastdarms  und  der  umliegenden  Theile  zu  mindern,  und  durch 
kalte  Sizbäder,  kalte  und  zusammenziehende  Klystiere  von  rothem  Wein, 
von  Eichenrinde-,  Weidenrindedecocten ,  von  Solutio  aluminis  etc., 
Bestreichen  mit  Opiumtinktur,  Bestreuen  mit  Myrrhenpulver,  mit  gleichen 
Theilen  arabischen  Gummi-  und  Colophoniumpulver,  so  wie  durch  kräftige 
Nahrung  und  tonische ,  namentlich  eisenhaltige  Mittel ,  dem  erschlafften 
Mastdarm  seinen  Tonus  wieder  zu  geben.  Bei  Kindern,  die  zugleich  an 
chronischen  Diarrhöen  leiden,  hat  sich  nach  Schwarz  u.  A.  des  Extr. 
nucis  vomicae  (1  —  2  gr.  in  2  Drachmen  Wasser  aufgelöst  und  alle 
4  Stunden   zu    6  ,    10  —  15    Tropfen   gegeben)  ,   bei  längerer  Dauer  des 


MASTDARMKRANKHEITEN.    VORFALL.  639 

Uebels  mit  einigen  Granen  Extr.  ratanhiae,  sehr  wirksam  erwiesen.  — 
Die  mechanischen  Mittel  bestehen  in  dem  Auflegen  eines  Schwamms  und  Be- 
festigen desselben  mit  einer  T-Binde  oder  mit  langen  Heftpflasterstreifen, 
welche  die  Hinterbacken  aneinander  schliessen,  oder  in  der  Anlegung  langer, 
über  den  Prolapsus  geführter  Heftpflaster,  welche  nur  die  Oeffnung  des  Darms 
frei  lassen  oder  endlich  in  der  Anwendung  besonderer  Vorrichtungen,  der 
sogenannten  Afterhalter ,  welche  aus  einem  Beckengürtel  bestehen ,  von 
dem  hinterwärts  ein  Stahlbügel  herabsteigt,  der  an  seinem  freien  Ende 
(der  Afteröffnung  entsprechend)  eine  Pelotte  (Gooch,  Camper  u.  A.), 
einen  Zapfen  (D  e  1  a  c  r  o  i  x)  oder  eine  oben  mit  einem  elfenbeinernen 
Knopfe  versehene  Spiralfeder  (Hacke)  trägt.  Bei  Weibern  empfiehlt 
man  die  Einlegung  eines  Mutterkranzes  in  die  Scheide.  —  Genügen  alle 
diese  Verfahrungs weisen  zur  Retention  des  Vorfalls  nicht,  ist  derselbe  alt 
und  kommt  er  bei  Erwachsenen  vor ,  so  muss  ein  operatives  Ver- 
fahren zu  Hülfe  genommen  werden.  Das  wirksamste  Verfahren  ist 
das  von  Dupuytren.  Dasselbe  besteht  darin ,  dass  man  mit  einer" 
Pincette  je  nach  Erforderniss  2  —  6  der  um  den  After  lautenden  strahlen- 
förmigen Falten  nach  einander  fasst,  sie  in  radiärer  Richtung  gegen  den 
After  mit  der  Hohlscheere  einige  Linien  und  länger  ausschneidet  und  die 
meist  geringe  Blutung  mit  kaltem  Wasser  stillt.  Die  Vernarb ung  der 
Schnittflächen  giebt  der  Afteröffnung  die  Festigkeit,  dem  Austreten  des 
Darms  zu  widerstehen,  jedoch  muss  der  Operirte  lange  Zeit  jede  Anstren- 
gung bei  der  Stuhlentleerung  vermeiden.  Chassaignac  quetscht  die 
Falten  mit  seinem  Ecraseur  ab  (s.  Abbinden).-  Andere  rathen  einen 
oder  mehrere  dreieckige  Lappen ,  dessen  Basis  an  die  Afteröffnung  zu 
liegen  kommt ,  auszuschneiden.  Dieselbe  Wirkung ,  wie  von  der  Aus- 
schneidung von  Falten  wird  nach  Philips  durch  das  glühende  Eisen 
erzielt ,  welches  man ,  je  nach  der  Grösse  des  Vorfalls  1  bis  4  Mal  am 
Rande  des  Afters  oder  auf  die  Schleimhaut  selbst  in  einer  Länge  von 
1/2  Zoll  appliciren  soll.  —  Ist  das  vorgefallene  Stück  des  Darms  ver- 
härtet oder  entartet,  so  dass  die  angegebenen  Verfahren  nichts  ausrichten 
können  ,  so  soll  man  den  vorgefallenen  Theil  des  Mastdarms  an  seiner 
Basis  abtragen ;  da  aber  hierbei  immer  eine  gefährliche  Blutung  zu 
fürchten  ist,  so  trägt  man  besser  die  degenerirte  Schleimhaut  mit  Erhal- 
tung der  Muskelhaut  ab,  indem  man  dieselbe  mit  einem  Haken  stückweise 
aufhebt  und  mit  dem  Messer  oder  der  Scheere  abträgt.  Zur  Fixirung 
der  Geschwulst  und  um  nach  der  Operation  die  Blutung  sicher  stillen  zu 
können  ,  sticht  S  a  1  a  m  o  n  mehrere  starke  Nadeln  durch  die  Basis  der 
Geschwulst  und  entfernt  sie  erst  ein  Stunde  nach  der  Operation.  Ein 
anderes  von  C  h  e  1  i  u  s  immer  mit  dem  besten  Erfolge  angewandtes  Ver- 
fahren besteht  darin,  dass  man  durch  die  Basis  der  Geschwulst  mit  einer 
mit  doppeltem  Faden  versehenen  Nadel  von  aussen  nach  innen  und  dann 
von  innen   nach   aussen  wiederholt   durchsticht,   bis  die  ganze  Basis  der 


640         MASTDARMKRANKHEITEN.    —    ZELLGEWEBSENTZUENDUNG. 

Geschwulst  umgangen  ist,  hierauf  die  Fadenenden  nach  entgegengesezten 
Richtungen  an  der  äussern  und  innern  Seite  fest  zusammenbindet  und 
kurz  abschneidet.  Der  unterbundene  Theil  wird  nun  entweder  nahe  an 
den  Ligaturen  getrennt,  oder  die  Abstossung  der  Natur  überlassen.  Diese 
Operationen  darf  man  aber  erst  vornehmen  ,  nachdem  man  volle  Gewiss- 
heit erlangt  hat ,  dass  in  dem  ausgestülpten  Mastdarmstück  keine  Einge- 
weide eingeschlossen  liegen.  —  Sehr  häufig  bleibt  nach  längerem  Be- 
stände eines  Mastdarmvorfalls  eine  Atrophie  oder  Paralyse  des  Sphincter 
a n i  und  des  Muse,  levator  ani  zurück ,  welche  selbst  die  eine  oder 
die  andere  der  genannten  Operationen  in  ihrem  Erfolge  beeinträchtigen 
kann.  Zur  Beseitigung  dieses  Uebelstandes  hat  sich  die  Galvanopunctur 
nüzlich  erwiesen.  Zur  Ausführung  dieser  führt  man  wiederholt  eine 
Acupuncturnadel  tief  durch  den  Sphincter  und  Levator  ani  und  lässt 
einen  electrischen  Strom  einwirken. 

Mas  t  d  armz  ellge  webs  entzün  d  un  g,  Periproctitis.  Das 
Zellgewebe,  welches  die  untere  Partie  des  Mastdarms  in  reichlicher  Menge 
rings  umgibt  und  an  die  Nachbartheile  befestigt,  unterliegt  bisweilen  einer 
Entzündung,  welche,  wie  alle  Zellgewebsentzündungen,  eine  grosse  Nei- 
gung zum  raschen  Uebergang  in  Eiterung  zeigt.  Veranlassung  zu  solchen 
Entzündungen  geben  :  Verlezungen  ,  Fisteln  ,  Hämorrhoidalstockungen, 
unterdrückte  Hautausdünstung  etc.  Nicht  selten  pflanzt  sich  die  Entzün- 
dung von  benachbarten  Organen  auf  das  fragliche  Zellgewebe  fort.  — 
Die  Behandlung  muss  eine  antiphlogistische  sein ,  wodurch  indessen 
selten  der  Uebergang  in  Eiterung  verhindert  werden  kann.  Der  Eintritt 
der  Eiterung  gibt  sich  durch  die  bekannten  Erscheinungen  zu  erkennen. 
Die  sich  bildenden  Abscesse  (Perinaealabscesse)  haben  nach  dem 
Size  der  Entzündung  eine  oberflächliche  oder  tiefere  Lage.  Die  ersteren 
treten  als  eine  rundliche  Geschwulst,  die  bald  Fluctuation  zeigt,  im  Peri- 
naeum  hervor.  Die  Erkenntniss  der  tiefer  liegenden  Perinaealabscesse 
kann,  da  sie  gegen  die  äussere  Haut  nur  wenig  hervorragen,  schwierig  sein, 
wenn  man  sich  mit  einer  äusserlichen  Untersuchung  begnügt.  Der  in  den 
Mastdarm  eingeführte  Finger  wird  aber  alsbald  denAbscess  als  eine  ent- 
weder noch  harte  oder  schon  fluetuirende  Geschwulst  entdecken.  —  Eine 
frühzeitige  Eröffnung  dieser  Abscesse  mit  dem  Messer  ist  das  einzige 
Mittel,  üblen  Folgen,  namentlich  der  Fistelbildung  vorzubeugen.  Ober- 
flächliche Abscesse  werden  in  ihrem  grössten  Durchmesser  durch  einen 
Schnitt  gespalten ;  tiefer  liegende  Abscesse  drückt  man  vom  Mastdarme 
aus  dem  Messer  entgegen ,  sticht ,  parallel  dem  Mastdarm ,  ein  spizes 
Messer  ein  und  erweitert  die  Wunde  beim  Zurückziehen  des  Messers. 
Nur  selten  wird  es  nöthig  sein,  den  Abscess  vom  Mastdarm  aus  zu  öffnen. 
Die  Wunde  wird  mit  Charpie  gefüllt  und  folgende  entzündliche  Spannung 
durch  Cataplasmen  gemildert.  Vom  dritten  Tage  ab  wird  die  Charpie  täglich 
gewechselt,  die  Abscesshöhle  mit  leicht  reizenden  Einsprizungen  gereinigt 
und  später,  wie  es  bei  den  Abscessen  im  Allgemeinen  angegeben  ist,  verfahren. 


MERCURIALKRANKHEIT.  641 

MerCUrialkrankheit ,  H  y  d  r  a  r  g  y  r  o  s  i  s,  entsteht  durch  die 
Wirkung  des  Quecksilbers  auf  den  thierischen  Körper.  Dieses  äussert 
in  seinem  metallischen  Zustande  keine  andere  Wirkung  auf  den  mensch- 
lichen Körper  als  den  der  Schwere  ,  es  ist  dem  Organismus  zu  heterogen 
und  kann  nur  mittels  des  Sauerstoffs  oder  einer  Säure,  als  Oxydul,  Oxyd 
oder  Salz  mit  demselben  in  Wechselwirkung  treten.  Bei  der  Verdunstung 
des  Mercurs  wird  ein  Oxydulaerat  gebildet ,  welches  auf  die  Nerven  und 
Respirationsorgane  wirkt,  ihre  electrische  Thätigkeit  umstimmt,  durch  die 
Lungen  in  das  Blut  gelangt  und  dann  seine  specifischen  Kräfte  von  dort 
aus  entwickelt.  Auch  in  den  Gedärmen  wird  metallisches  Quecksilber 
zum  Theil  oxydirt.  In  der  grauen  Mercurialsalbe  ist  das  Quecksilber 
unvollkommen  oxydulirt,  oxydirt  wird  es  erst  durch  die  säurehaltige  Aus- 
dünstung des  Menschen  bei  den  Einreibungen,  und  erst  hierdurch  wird  es 
in  die  Saugadern  und  Venen  aufgenommen  und  entfaltet  seine  Wirkung. 
Wird  der  Mercur  innerlich  gegeben  ,  so  erfolgt  seine  Aufnahme  in  die 
Säftemasse  wie  die  anderer  Mittel.  —  Der  Hauptcharacter  der  Wirkung 
des  Quecksilbers  ist  nach  Dietrich  im  Allgemeinen  die  Ertödtung 
des  organischen  Lebens.  Diese  Wirkung  erleidet  aber  Modifica- 
tionen,  je  nach  der  Art  und  WTeise  der  Einführung,  den  Gaben,  dem  Prä- 
parate ,  der  Constitution  des  Menschen ,  dem  Alter ,  dann  der  Jahreszeit 
und  endlich  nach  den  vorhandenen  Krankheitsprocessen.  Je  näher  das 
Quecksilber  dem  Zustande  des  Metalls  ist ,  um  so  reiner  und  energischer 
sind  seine  Wirkungen,  entsprechend  der  eigenthümlichen  Natur  desselben. 
Wird  ein  Mensch  dem  gesäuerten  Quecksilber  ausgesezt  und  ist  dieses  ins 
Blut  übergegangen,  so  erfolgt  den  ersten  Tag  (Keimungszeit)  keine  Wir- 
kung ,  den  zweiten  Tag  zeigt  sich  Congestionsthätigkeit  im  System  der 
Schleimhäute  und  des  Drüsenapparats,  Absonderung  und  Aufsaugung  wird 
vermehrt ,  auch  die  Qualität  der  Secretionen  ist  verändert ,  der  abgeson- 
derte Schleim  ist  roher,  glasartiger,  seröser,  die  Galle  dunkler,  flüssiger, 
mehr  riechend,  die  Darmausleerungen  dünner  und  grünlicher  gefärbt,  die 
Lungen-  und  Hautausdünstung  fade  riechend ,  das  Blut  wird  ebenfalls 
umgestimmt  und  das  Nervensystem  reagirt  gegen  die  Einwirkung.  Hört 
die  Einwirkung  des  Quecksilbers  nun  auf,  so  verschwinden  alle  Erschei- 
nungen und  es  tritt  ein  erhöhtes  plastisches  Leben  im  gesammten  Lymph- 
und  Nervensystem  ein ,  woraus  sich  die  Wucherungen  der  dermatischen 
und  drüsigen  Gebilde  auf  Quecksilbergebrauch  erklären  lassen.  Werden 
die  Quecksilbergaben  in  Zwischenräumen  öfters  wiederholt,  so  unterliegt 
endlich  der  Organismus  dem  feindlichen  Angriffe  des  vergiftenden  Me- 
talls und  der  Mensch  wird  mercurialkrank.  Die  Zersezung  des  Blutes 
ist  damit  vollendet ,  die  Fibrine  grösstentheils  zerstört ,  die  Eiweissstoff- 
und  Schleimbildung  sinkt  zu  der  des  Serums  herab,  die  ganze  organische 
Gestaltung  des  Menschen  ist  erweicht,  aufgelockert ,  das  aufgelöste  Blut 
sickert  aus  den  schlaffen  Gef  ässen,  macht  Congestionen,  namentlich  gegen 
Burger,  Chirurgie.  41 


642  MERCURIALKRANKHEIT. 

die  Speicheldrüsen,  Blutungen,  das  häutige,  drüsige  Gewebe  ist  matsch, 
leicht  zerreissbar ,  die  Drüsenlappen  werden  wassersüchtig  aufgetrieben, 
sondern  sich  von  einander,  das  Schleimhautgewebe  zerfällt  in  sich  selbst, 
daher  das  Ablösen  des  Zahnfleisches,  das  Entstehen  von  Geschwüren. 
Endlich  unterliegen  auch  die  fibrösen  Gebilde  und  selbst  die  Knochen  der 
auflösenden  Zerstörung.  Selbstverständlich  leidet  hierdurch  auch  die  Er- 
nährung und  der  Körper  geht  endlich  bei  fortwährender  Einwirkung  der 
Schädlichkeit  zu  Grunde  ,  obwohl  er  auf  jede  Art  bis  zum  lezten  Augen- 
blick dagegen  ankämpft  (durch  Schweisse,  die  zum  Theil  Quecksilber  ent- 
halten, Speichelfluss,  Diarrhöe,  Sedimente  im  Urin).  —  Die  Wirkung 
erfolgt  um  so  rascher,  in  je  grösseren  Dosen  und  je  rascher  hintereinander 
das  Oxydul  des  Quecksilbers  gegeben  wird  ;  die  ankämpfende  Thätigkeit 
des  Organismus  ist  aber  auch  hier  dagegen  stärker  und  es  entsteht  Fie- 
ber: der  Sieg  des  einen  oder  des  andern  entscheidet  sich  dann  in  kürzerer 
Zeit.  Ist  der  menschliche  Organismus  lange  oder  oft  wiederholt  den 
Einwirkungen  des  Metalls  ausgesezt,  so  vermag  die  reactive,  conservative 
Thätigkeit  desselben  die  hervorgerufenen  Störungen  im  normalen  Lebens- 
processe  nicht  mehr  auszugleichen ,  die  veränderten  Thätigkeiten  in  der 
einen  oder  andern  Beziehung  bleiben  stetig  und  die  Mercurialkrankheit 
ist  in  einer  bestimmten  Form  fertig.  Dasselbe  geschieht  auch ,  wenn 
wenig  oder  nur  kurze  Zeit  Quecksilber  gereicht  wurde,  die  Natur  jedoch 
in  ihren  conservativen  Bemühungen  gestört  oder  ganz  gehindert  wird, 
was  die  ursächlichen  Momente  bedingen.  Sobald  die  Krankheit  auf  diese 
Weise  ihre  Existenz  begründet  hat ,  gibt  sie  sich  durch  eine  Alienation 
der  Grundfactoren  des  gesammten  thierischen  Lebens  kund.  Das  Ner- 
vensystem äussert  grosse  Empfindlichkeit  und  Beweglichkeit ,  namentlich 
in  den  Ganglien  und  ihren  Verzweigungen,  wodurch  mancherlei  Trübun- 
gen des  Gemeingefühls  entstehen  und  der  Körper  durch  die  geringsten 
äussern  oder  innern  Vorgänge  aufgeregt  wird.  Das  Blut  ist  immer  ver- 
ändert;  anfangs  zeigt  es,  als  Andeutung  der  beginnenden  Auflösung,  eine 
Speckkruste ,  wird  dann  dunkler  und  fällt  am  Ende  bei  fortdauernder 
Einwirkung  der  Zersezung  ganz  anheim.  —  Die  Mercurialkrankheit  ist 
daher  nach  Dietrich  ein  Krankheitsprocess  eigener  Art ,  der  so  gut 
seine  bestimmten  Erscheinungen  und  biologischen  Formen  hat ,  wie  der 
gichtische,  rheumatische  etc.  und  gehört  unter  die  Klasse  der  Dyscrasien. 
Wie  andere  Krankheitsprocesse ,  so  zeigt  auch  dieser  künstlich  erzeugte 
Krankheitszustand  mannigfache  Schattirungen ,  welche  sowohl  in  der  Er- 
kenntniss  ihrer  Wesenheit ,  wie  in  der  einzuschlagenden  Behandlung 
grosse  Schwierigkeiten  bieten.  Dazu  kommt  noch,  dass  die  Hydrargyrose 
mit  andern  Krankheitsprocessen  Combinationen  eingehen  kann  und  hier- 
durch wieder  eine  eigenthümliche  Färbung  erhält.  Solche  Krankheits- 
processe sind  :  Syphilis,  Scrophulosis,  Gicht,  Rheumatismus,  Scorbut,  Ent- 
zündung, Erysipelas  und  Katarrh.  —  Die  Verbreitung  der  Mercurial- 
krankheit macht  einen  ziemlich  regelmässigen  Gang.      Sie  ergreift  zuerst 


MERCURIALKRANKIIEIT.  643 

die  niedern  Stufen. des  thierischen  Organismus,  entsprechend  der  eigen- 
th linilichen  Wirkungsweise  des  Quecksilbers.  Dann  nehmen  nach  und 
nach  die  höhern  organischen  Gebilde ,  nach  ihrer  Dignität  bald  früher 
bald  später ,  an  dem  krankhaften  Processe  Theil ,  bis  endlich  bei  ausge- 
bildeter Cachexie  der  ganze  Organismus  leidet.  Bei  dieser  Verbreitungs- 
weise haben ,  wie  bei  andern  Krankheiten ,  das  Alter ,  die  Constitution, 
Krankheitsanlagen ,  vorhandene  Krankheitszustände  anderer  Art ,  Ge- 
schlecht etc.  grossen  Einfluss.  Die  Hydrargyrose  kann  übrigens  aueh 
örtlich  entstehen,  verlaufen  und  absterben.  Auf  die  innerliche  Gabe  des 
Quecksilbers  spricht  sich  die  Mercurialkrankheit,  abgesehen  von  der  spe- 
cifiken  Beziehung  eines  Präparats  auf  ein  bestimmtes  System  (M  e  r  c  u  r. 
acetatus,  Calomel  etc.  haben  eine  solche  Beziehung  zum  vegetativen, 
der  rothe  und  weisse  Präcipkat  zum  irritablen,  das  salpetersaure  Queck- 
silber ,  der  Sublimat  zum  sensitiven  System),  in  der  Regel  da  aus ,  wo 
schon  ein  anderes  Leiden  besteht,  namentlich  an  den  verschwärenden 
Stellen  oder  Geschwüren,  welche  dann  ihren  früheren  Character  mehr  oder 
weniger  verlieren.  Im  Allgemeinen  erscheint  der  Krankheitsprocess  zuerst 
im  lymphatischen  System,  dann  in  dem  der  Schleim-  und  serösen  Häute, 
in  den  fibrösen  Häuten,  endlich  im  Nervensysteme.  Nicht  selten  wechselt 
er  in  seiner  Erscheinung  auf  der  äussern  und  innern  Haut ,  indem  er  von 
dieser  auf  jene  und  umgekehrt ,  häufig  mit  dem  Erlöschen  der  frühern 
Form,  übergeht.  Die  vegetativen  Nerven  werden  primär,  die  Sinnes-  und 
Bewegungsnerven  erst  später  oder  nur  unter  gewissen  Bedingungen  er- 
griffen ,  ebenso  das  Knochengerüst  des  Körpers.  Vorzüglich  kann  aber 
die  Hydrargyrose  im  Gehirn,  Rückenmark  mit  seinen  Nerven,  als  isolirte 
Form  haften.  Aetiologie.  Die  Krankheit  entsteht  bei  einem  Menschen 
leichter,  bei  einem  andern  schwerer,  bei  andern  gar  nicht.  Mitwirkende  Um- 
stände sind:  1)  Idiosyncrasie,  wo  kleine  Gaben  von  Quecksilber  schon  eine 
acute  Form  hervorrufen.  2)  Schwächliche  (von  Natur  aus  vorhandene  oder 
durch  Krankheit  heruntergekommene)  Körperconstitution.  3)  Schlummernde 
oder  ausgebrochene  Dyscrasien,  namentlich  Syphilis,  Scropheln,  Gicht  und 
Rheumatismus.  4)  Gabe  und  Präparat  des  Metalls  ;  je  kleiner  die  Gaben 
sind  und  je  länger  sie  fortgesezt  werden,  desto  leichter  erfolgt  die  Krank- 
heit. Mangel  an  Reinlichkeit,  Verkältungen ,  Diätfehler ,  hauptsächlich 
der  Genuss  von  vielen  Fleischspeisen,  gesalzenen,  sauren  Speisen,  geisti- 
gen, gegohrenen  Getränken  begünstigt  ihr  Entstehen.  —  Vorkommen. 
Die  Hydrargyrose  kommt  bei  beiden  Geschlechtern  und  in  jedem  Lebens- 
alter vor.  Bei  Kindern  beschränkt  sie  sich  mehr  auf  die  Drüsen  und 
Schleimhäute  und  wird  gewöhnlich  in  Verbindung  mit  Scropheln  ange- 
troffen. Je  milder  die  Luft ,  das  Klima  ist ,  um  so  seltener  entsteht  sie 
oder  um  so  milder  tritt  sie  auf.  In  den  Tropenländern  und  südlichen 
Gegenden  kommen  mehr  Abdominalformen  vor,  in  nördlichen  Klimaten 
mehr  solche  der  obern  Körperhälfte  ,  der  Schleim-  und  fibrösen  Häute 
der  Knochen  ,    auch  sind  Combinationen  häufiger.      In  Küstenländern  ist 

41* 


644  MERCURIALKRANKHEJT. 

sie  häufiger  als  in  Binnenländern ,  ebenso  da ,  wo  starker  Temperatur- 
wechsel bei  hoher  Lage  herrscht.  —  Verlauf.  Dieser  ist  meistens 
chronisch ;  auch  die  acuten  Fälle  gehen  oft  in  chronische  über.  Chro- 
nische Fälle  können  Jahre  lang  bestehen.  Remissionen  sind  nicht  selten 
und  hängen  von  klimatischen  und  diätetischen  Verhältnissen  ab.  Diese 
Remissionen  erreichen  fast  die  Intermissionen  und  kommen  namentlich  im 
Sommer  vor.  Bei  Combinationen  namentlich  mit  Entzündung,  Gicht  etc. 
kommt  es  zuweilen  zu  einem  acuten  Verlaufe,  nach  deren  Verschwinden 
die  chronische  Mercurialkrankheit  für  sich  bestehen  bleibt.  —  A  u  s- 
gänge.  1)  In  Genesung.  Dieser  Ausgang  tritt  meistens  bei  acuten 
Formen  unter  deutlichen  Krisen,  Speichelfluss  oder  Schweiss,  vermehrtem 
Stuhl-  und  Urinabgang  mit  gelblichem  Bodensaze  ein.  Die  Krise  auf 
diesem  oder  jenem  Wege  wird  in  der  Regel  von  der  verschiedenartigen 
Beziehung  des  Präparats  zu  den  einzelnen  Organen  oder  Systemen  be- 
stimmt. Die  chronischen  Formen  endigen  gewöhnlich  durch  Lysis. 
2)  In  theil weise  Genesung.  Es  bleiben  eine  gesteigerte  Empfind- 
lichkeit des  Nervensystems,  Lähmungen  oder  auch  Missstaltungen  und 
Substanzverlust,  Wucherungen  einzelner  Theile  und  Gebilde ,  Hypertro- 
phien, Verhärtungen  der  Drüsen  etc.  zurück.  3)  In  eine  andere 
Krankheit.  Durch  die  Veränderung,  welche  im  vegetativen  und  orga- 
nischen Leben  durch  die  Metallwirkungen  bewirkt  werden ,  können  Ver- 
eiterungen wichtiger  Organe ,  der  Leber,  Lunge,  des  Gehirns,  Aneurys- 
men ,  Hydropsien ,  Atrophien ,  Nervenkrankheiten ,  Seelenstörungen  etc. 
erfolgen.  4)  I  n  d  e  n  T  o  d.  Er  tritt  entweder  auf  der  Höhe  der  Krank- 
heit bei  der  acuten  Form  durch  Erschöpfung  oder  durch  Apoplexie,  Läh- 
mung der  Centralorgane  des  Nervensystems,  Gehirnerweichung,  selten 
durch  Entzündung  ein.  Bei  der  chronischen  Form ,  der  ausgebildeten 
Cachexie  ,  wird  durch  die  eintretende  Schwäche ,  Erlöschen  der  Lebens- 
thätigkeiten ,  Tabes  nervosa  oder  durch  Colliquation  hectisches 
Fieber  herbeigeführt.  —  Die  Prognose  hängt  von  der  Individualitat, 
dem  Geschlechte ,  dem  Lebensalter  der  Kranken ,  vom  Size  des  Leidens, 
seiner  Dauer  und  Verbreitung ,  endlich  von  der  Combination  desselben 
mit  andern  Krankheiten ,  den  klimatischen  Verhältnissen ,  so  wie  denen 
der  Patienten  ab.  —  Behandlung.  Sie  zerfällt  in  die  Indicatio 
prophylactica,  causalis,  morbi,  combinationum  und  loca- 
lis. —  Für  die  erste  Anzeige  lässt  sich  nicht  viel  thun.  Die  Arbeiter 
in  Quecksilber  können  sich  in  etwas  durch  das  Tragen  von  Masken,  Wa- 
schungen, den  Gebrauch  des  A  r  c  e  t'schen  Ziehofens  schüzen.  Daneben 
der  Genuss  leicht  verdaulicher  Speisen  und  die  Anwendung  schweisstrei- 
bender  und  zeitweise  abführender  Mittel.  Bei  dem  medicinischen  Ge- 
brauche halte  man  die  Kranken  in  einer  gleichmässigen  Temperatur ,  so 
wie  alle  Se-  und  Excretionen  offen ,  und  seze  sogleich  das  Quecksilber 
aus,  sobald  man  gewahr  wird,  dass  es  keine  heilsamen  Wirkungen  hervor- 
bringt. —  Der  zweiten  Anzeige  liegt  ob,  das  Quecksilber  aus  dem  Körper 


MERCURIALKRANKHEIT.  645 

zu  schaffen.  Man  lüfte  die  Zimmer,  verordne  warme  Bäder  und  bei  Con- 
gestionen  gegen  die  Speicheldrüsen  leichte  Abführmittel  von  Mittelsalzen. 
Hierauf  steigert  man  die  Se-  und  Excretionen,  wobei  man  sich  nach  dem 
Wege  zu  richten  hat ,  den  die  Natur  einschlagen  will.  Vorzüglich  ge- 
schieht dies  durch  die  Haut  und  man  bediene  sich  daher  mehr  der 
schweisstreibenden  Mittel.  In  den  acuten  Formen  wähle  man  die  mil- 
deren Mittel ,  als  warmes  Wasser,  Flieder-,  Lindenblüthenthee ,  beiden 
chronischen  dagegen  die  Sarsaparilla,  Sassafras,  Stipit.  dulcamarae, 
Lign.  guajac,  Cort.  mezerei,  Turion.  pini,  Opium  und  Cam- 
pher ,  die  Antimonialien  und  Schwefelpräparate.  Die  Wahl  in  diesen 
Mitteln  hängt  von  der  Verschiedenheit  der  Form,  längeren  oder  kürzeren 
Dauer  der  Krankheit ,  der  Constitution  des  Kranken  ,  Combination  mit 
ander«  Krankheitsprocessen  etc.  ab.  In  den  meisten  Fällen  passt  die 
Sarsaparille.  Bei  reizbarer  Constitution  leistet  das  Dower'sche  Pulver 
gute  Dienste.  Der  Schwefel  passt  nur  in  chronischen  Fällen,  da  er  sehr 
erhizt  und  ebenfalls  säfteauflösend  wirkt.  —  Die  Erfüllung  der  dritten 
Aufgabe  besteht  in  der  Umstimmung  und  Regulirung  der  veränderten 
Lebensthätigkeit ,  die  sich  in  den  verschiedenen  Systemen  kund  giebt, 
Vorbeugung  oder  Hebung  der  Auflösung  des  Bluts  und  der  beginnenden 
Dyscrasie,  Regenerirung  der  Säfte,  Stärkung  des  Organismus  und  seiner 
einzelnen  Theile ,  Unterstüzung  der  Naturbestrebung  oder  Beschränkung 
der  excessiven  Thätigkeit  derselben.  —  Bei  acuten  Formen  muss  der 
Character  des  Fiebers  berücksichtigt  werden  ;  die  Antiphlogose  darf  in- 
dessen nur  mit  grösster  Vorsicht  zur  Anwendung  kommen  (s.  unten). 
Bei  fieberlosen  Formen  der  Mercurialkrankheit  ist  die  Umstimmung  die 
erste  Aufgabe.  Hierzu  dienen  Lactucarium,  Opium,  Gold,  Eisen,  Electri- 
cität.  Bei  abnorm  verändertem  sensiblen  und  irritablen  Leben  zieht  dem 
erhizenden  Opium  Dietrich  das  Lactucarium  vor,  das  aber,  wenn 
es  etwas  nüzen  soll,  in  grossen  Gaben  (1  —  3  Gran  zweimal  täglich)  ge- 
reicht werden  muss.  Opium  passt  besonders,  wenn  ein  mehr  reines 
Sensibilitätsleiden  vorliegt,  ferner,  wenn  die  Krankheit  schon  eine  bedenk- 
liche Höhe  erreicht  hat,  so  dass  Auflösung  des  Bluts  und  Auflockerung 
der  Gewebe ,  überhaupt  colliquative  Erscheinungen  beobachtet  werden. 
Doch  gebe  man  es  in  langen  Zwischenräumen ,  etwa  alle  1 2  Stunden. 
Das  Gold  eignet  sich  bei  cachektischem  Zustande ,  bei  wenig  reizbaren 
Personen  und  bei  vorhandenen  Combinationen  mit  andern  Krankheitspro- 
cessen, vorzüglich  dem  scrophulösen.  Man  giebt  das  chlorin-  oder  blau- 
saure Gold.  Das  leztere  kann  man  innerlich  geben,  das  erstere  reibt  man 
in  die  Zungenwurzel  oder  innere  Wangengegend  mit  Milchzucker  ein. 
Man  fängt  mit  ljl2  gr.  2  —  3  Mal  des  Tags  an  und  kann  nach  Gestalt 
der  Umstände  bis  zu  1 L  gr.  pro  d  o  s  i  steigen.  Dabei  bleibt  man  ste- 
hen ,  bis  die  Erscheinungen  schwinden ,  Krisen  eintreten  und  geht  dann 
bis  zu  */ö  gr.  zurück;  die  Kur  dauert  4,  6,  8  Wochen.  Die  Krisen  er- 
folgen in  der  Regel  durch  den  Urin,  seltener  durch  die  Haut,   am  selten- 


646  MERCURIALKRANKHEIT. 

sten  durch  die  Speicheldrüsen.  —  Noch  intensiver  als  das  Gold  wirkt 
das  Eisen,  namentlich  das  frischgefällte  Eisenoxydul  oder  die  kohlen- 
sauren Stahlwässer ,  Pyrmont ,  Wiesau  ,  Brückenau ,  Schwalbach.  Das 
Eisen  empfiehlt  sich  besonders  bei  veralteten  Formen ,  eingewurzelten 
Cachexien  und  Neuralgien.  Die  Electricität  ist  bei  nicht  zu  nerven- 
schwachen Personen  empfohlen.  —  Um  der  drohenden  oder  beginnenden 
Auflösung  des  Bluts,  dem  Erweichen  der  Gewebe,  dem  Sinken  der  Ernäh- 
rung entgegen  zu  wirken,  bedienen  wir  uns  der  schleimig  bittern,  aroma- 
tisch bittern ,  adstringirenden  Mittel ,  vor  allen  der  China  mit  kleinen 
Dosen  von  Opium ,  des  Phosphors ,  der  Mineralsäuren  und  des  Alauns. 
Sehr  grosse  Berücksichtigung  erheischt  die  Diät.  Die  Speisen  müssen 
reizlos ,  gut  verdaulich  und  doch  nahrhaft  sein ;  daher  Schildkröten-, 
Schneckenbrühen,  Gelees,  Geflügel,  später  Chocolade,  Hühnerbrühen  mit 
Eigelb,  Eierbier,  Eichelkaffee,  gebratenes  Rindfleisch  etc.  ;  zum  Getränk 
Malzabkochung ,  dann  Bier ,  Wein  mit  Wasser  oder  mit  eisenhaltigem 
Wasser.  Der  Aufenthalt  auf  dem  Lande ,  in  einem  südlichen  Klima, 
Iteisen  sind  sehr  zu  empfehlen.  —  Bei  der  Realisirung  der  Indicatio 
combinationum  ist  die  der  Hydrargyrose  und  Syphilis  am  schwierig- 
sten, aber  auch  am  wichtigsten.  Man  bediene  sich  solcher  Mittel,  welche 
erfahrungsgemäss  beiden  Krankheiten  entgegenwirken ,  wozu  sich  zuerst 
die  Sarsaparille  darbietet ;  die  Kur  vollendet  man  mit  tonischen  Mitteln  ; 
vorzüglich  passt  aber  hier  das  Z  itt  mann'sche  Decoct ,  jedoch  ohne 
Mercur ;  bei  Krankheitserscheinungen  in  den  fibrösen  Gebilden ,  den 
Knochen  greift  man  zu  eingreifenderen  Mitteln,  wie  zum  Roob  von  L  a  f- 
fecteur,  Decoct.  von  St.  Marie,  zu  den  Mineralsäuren,  dem  Jod. 
Bei  veralteten  Fällen  ist ,  wenn  anders  der  Kräftezustand  des  Kranken 
noch  gut  ist ,  die  Inunktionskur ,  oder  die  Hungerkur  mit  Salpetersäure 
oder  endlich  die  Milchkur  mit  Jod  angezeigt.  Die  Behandlung  der 
übrigen  Combinationen  muss  eine  entsprechend  modificirte  sein.  —  Die 
Erfüllung  der  Indicatio  localis  muss  sich  nach  den  verschiedenen 
Formen  richten.      Diese  sind  folgende. 

1)  Mercurialfieber,  Febris  mercurialis.  Dieses  ist 
entweder  ein  erethisches  oder  ein  adynamisches.  Beim  ersten  ist  nebst 
den  bekannten  allgemeinen  febrilen  Erscheinungen  brennendes  Gefühl 
im  Munde ,  Dunkelröthe  des  Zahnfleisches ,  Steifigkeit  des  Halses ,  An- 
schwellen der  Submaxillardrüsen ,  beim  zweiten  sind  die  Symptome  des 
adynamischen  Characters  vorhanden,  aber  kein  Anschwellen  der  Speichel- 
drüsen, dagegen  starker  Druck  in  den  Präcordien  mit  Brechneigung  oder 
wirklichem  Erbrechen,  später  leichte  Delirien,  trockene  Zunge,  mit  einem 
Male  der  Tod  durch  Ergiessungen  zwischen  Pia  mater  und  Gehirn.  Die 
Dauer  des  ersten  ist  5 — 7,  die  des  zweiten,  vorzugsweise  in  den  Troppen 
vorkommenden  9  — 14  Tage.  Beide  Fieber  entscheiden  sich  entweder 
mit  Speichelfluss ,  durch  den  Urin  oder  Schweiss ,  am  seltensten  durch 
Exanthembildung.      Das  Fieber  wird   am  häufigsten   durch   die  Oxydule 


MERCURIALKRANKHEIT.  647 

des  Quecksilbers,  selten  durch  die  Oxyde  hervorgerufen.  Grosse  Gaben 
Sublimat  führen  es  noch  seltener  herbei ,  weil  dieser  durch  seine  äzende 
Eigenschaft  mehr  örtlich  wirkt.  —  Bei  der  erethischen  Form  sezt  man 
zunächst  das  Metall  aus,  wendet  anfangs  schleimige,  dann  adstringirende 
Mundwässer  an  ,  sezt  Blutegel  an  die  geschwollenen  Drüsen ,  hält  den 
Leib  offen  und  reicht  leicht  schweisstreibende  Mittel.  Beim  adynami- 
schen Fieber  reize  man  die  Haut  durch  Reiben  und  Bürsten ,  Waschen 
mit  warmem  Essig ,  gebe  innerlich  das  Gangliensystem  erregende  Mittel 
(Angelika,  Serpentaria,  Benzoe,  Champagner)  und  sobald  man  Exsudation 
befürchtet  (was  der  aussezende  Puls  ankündigt)  ,  so  müssen  Hautreize, 
kalte  Begiessungen  des  Kopfs,  innerlich  Senega,  Arnica  in  Gebrauch  ge- 
zogen werden.  Erfolgt  Hautkrisis  ,  so  unterhalte  man  sie  durch  warme 
Getränke  und  gebe  zum  Schlüsse  Mineralsäuren. 

2)  Speichelf  lus  s,  Sali  vatio,  Ptyalis  mus.  Dieser  beruht 
auf  einer  Congestion  gegen  die  Speicheldrüsen.  Die  Erscheinungen  des- 
selben sind :  bläuliche  Röthe  und  Auflockerung  der  Schleimhaut  des 
Mundes ,  Zurückziehen  derselben  von  den  Zähnen ,  wodurch  diese  locker 
werden,  Bluten  des  Zahnfleisches.  Die  Speichel-  und  Lymphdrüsen,  die 
Wange  und  die  Zunge  sind  geschwollen ,  ebenso  der  Rachen ,  die  Ton- 
sillen ,  die  Eustachische  Röhre ,  wodurch  das  Gehör  leidet.  In  Folge 
dieses  Congestionszustandes  entsteht  Schmerz  und  heftiges  Brennen  in 
den  ergriffenen  Theilen  der  Schleimhaut  und  erschwertes  Schlingen.  Der 
Athem  wird  sehr  übelriechend.  Der  anfangs  massig  in  dem  Munde  ange- 
sammelte Speichel  wird  später  in  solcher  Menge  abgesondert ,  dass  er 
fortwährend  aus  dem  Munde  läuft.  An  dem  Zahnfleische  bemerkt  man 
flache  Geschwüre ,  die  Zähne  überziehen  sich  mit  stinkendem  Schleim. 
Dabei  sind  die  andern  Secretionen  vermindert ,  die  Haut  wird  trocken, 
welk ,  der  Stuhl  angehalten  ,  der  Urin  sparsam  ,  geröthet.  Der  Puls  ist 
beschleunigt ,  weich ,  klein,  der  Kopf  eingenommen,  die  Nase  verstopft, 
der  Speichel  zähe,  salzig,  sauer,  faulig,  metallisch  und  corrodirend,  er  er- 
zeugt Geschwüre,  veranlasst,  wenn  er  verschluckt  wird,  Cardialgien,  Er- 
brechen ,  Durchfälle.  —  Der  Speichelfluss  ist  immer  ein  Zeichen  der 
vollen  Wirkung  des  Mercurs  und  wird  durch  den  Gebrauch  des  Queck- 
silberoxyduls und  der  Oxydulsalze,  weniger  durch  die  Oxyde  hervorgerufen. 
Die  Menge  des  Quecksilbers  ,  die  zu  seiner  Erzeugung  erforderlich  ist, 
richtet  sich  nach  der  Idiosyncrasie  und  der  Constitution  des  Kranken ; 
aufgedunsene,  leucophlegmatische ,  rheumatische  Constitutionen  saliviren 
leicht,  ebenso  tritt  Speichelfluss  bei  Beschränkung  der  übrigen  Secretio- 
nen ,  namentlich  des  Schweisses  ,  leichter  ein.  Er  muss  übrigens  immer 
als  eine  Krise  angesehen  werden,  er  darf  daher  nie  plözlich  unterdrückt 
werden.  —  Behandlung.  Zunächst  sezt  man  einige  Blutegel  an  die 
Gegend  der  Submixallardrüsen ,  um  den  Blutandrang  zu  massigen,  dann 
eröffne  man  die  Se-  und  Excretionen ,  namentlich  der  Haut  und  Nieren, 
verordne  demgemäss  ein  warmes  Bad,   lasse  Fliederthee  trinken,  die  Haut 


648  MEKCTR1ALKRANKHE1T. 

frottiren  ;  Abführmittel  dürfen  nur  in  so  weit  gereicht  werden  ,  dass  der 
Stuhl  eröffnet  wird.  Einige  Gaben  Opium  thun  gute  Dienste.  Behufs 
der  Beseitigung  des  passiven  Verhaltens  der  Drüsen  reicht  man  das  Kreo- 
sot oder  das  Jod  zu  einigen  Granen  des  Tags,  und  wendet  adstringirende 
Mundwasser  an.  Diese  können  bestehen  aus  essigsaurem  Blei  (gr.  ij — viij 
auf  giv — viij  A  q.  destill.),  der  Ratanhiatinktur  (1  Löffel  voll  einem 
Glas  Wasser  zugesezt),  bei  geschwürigem  Zustande  der  Schleimhaut  der 
Mundhöhle  aus  Cuprum  s  u  1  p  h  u  r  i  c  u  m  (gr.  iij — iv.  auf  gj  Wasser) 
mit  etwas  Tinct.  Myrrh.  oder  Honig;  auch  Höllenstein,  Borax,  Alaun 
können  angewendet  werden.  Nach  R  i  c  o  r  d  zeigt  sich  namentlich  Chlor- 
kali von  Nuzen,  mit  welchem  man  den  Speichelfluss  sogar  ganz  verhüten 
kann.  —  Dabei  gemessen  die  Kranken  gesäuerte  schleimige  Getränke^ 
Milchdiät  und  halten  sich  massig  warm  in  reiner  Zimmerluft. 

3)  Hautausschläge,  Exanthemata.  Es  lassen  sich  acute 
und  chronische  unterscheiden.  Acute  sind  das  Eczema  symptoma- 
t  i  c  u  m,  c  r  i  t  i  c  u  m  und  die  Miliaria.  Das  erstere  entsteht  bei  man- 
chen Menschen  auf  die  äusserliche  Anwendung  des  Mercurs  und  besteht 
aus  kleinen  juckenden  Bläschen,  die  sich  am  fünften  Tag  kleienartig  ab- 
schilfern. Das  zweite  entwickelt  sich  in  den  Beugungen  der  Gelenke,  an 
der  innern  Oberfläche  der  Oberschenkel  etc.  unter  Jucken  und  Kriebeln 
auf  einer  dunkel  gerötheten  Stelle  als  dichtstehende,  anfange  durchsich- 
tige ,  dann  sich  trübende  Bläschen  ,  welche  am  vierten  Tage  plazen  und 
eine  übelriechende,  copiöse,  zähe  Flüssigkeit  ergiessen.  Dieser  Ausbruch 
breitet  sich  nach  und  nach  über  den  ganzen  Körper  aus  ;  unter  den  sich 
bildenden  Krusten  dauert  die  Eiterung  fort,  bis  nach  3,  4  bis  5  Wochen 
das  Uebel  versiegt  und  sich  eine  neue  Haut  bildet.  Die  Miliaria, 
(Mercurialfriesel)  erscheint  nach  den  gewöhnlichen  Vorläufern  des  Frie- 
seis, hat  einen  Verlauf  von  1 4  Tagen  und  zeichnet  sich  durch  ein  bedeu- 
tendes Ergriffensein  des  Nervensystems  aus.  Der  Frieselausschlag  kommt 
nicht  vollständig  zum  Vorschein,  sinkt  bald  wieder  zurück  und  es  erfolgt 
auf  diese  Weise  der  Tod.  —  Die  Behandlung  der  ersten  Form  er- 
fordert Aussezen  mit  dem  Mercur ,  Klystiere ,  Kleien  - ,  später 
adstringirende  Bäder ;  die  der  zweiten  besondere  Berücksichtigung  des 
Fiebers  ,  dann  Kleienbäder ,  vorsichtige  Waschungen  mit  Goulard'schem 
Wasser,  später  Bäder  von  Eichenrinde  oder  Alaun.  Bei  der  Miliaria 
sucht  man  durch  Kaliwaschungen  das  Exanthem  auf  der  Haut  festzuhal- 
ten und  tritt  der  fortschreitenden  Auflösung  des  Bluts  durch  Mineralsäu- 
ren, China,  Serpentaria  etc.  entgegen.  —  Chronische  Formen  der 
Exantheme  kennt  man  drei  und  zwar  Herpes  praeputialis,  P  s  y- 
d  r  a  c  i  a  und  Impetigo.  Die  erste  Form  besteht  aus  kleinen  Bläschen 
an  der  Vorhaut,  die  unter  lästigem  Jucken  sich  erheben,  grösser  werden, 
am  dritten  Tage  plazen  und  eine  rundliche  Excoriation  hinterlassen, 
welche  viel  gelben  Eiter  absondert  und  mit  einer  hellrothen  Narbe  heilt. 
Der  Verlauf  ist  7,  9,  höchstens  14  Tage.   —  Die  Psydracia  zeigt  an 


MERCURIALKRANKHEIT.  649 

einzelnen  Hautstellen  der  Extremitäten  an  einem  Haare  am  zweiten  Tage 
nach  einem  Jucken  eine  dunkelrothe  Erhöhung,  welche  sich  zu  einer  Pu- 
stel ausbildet ,  die  am  fünften  Tage  in  Blüthe  steht  und  einen  kleinen 
Hof  hat.  Am  sechsten  Tage  sinkt  die  gelbe  eiterige  Spize  ein  und  in 
drei  weiteren  Tagen  erblickt  man  an  der  Stelle  der  Pustel  einen  bräun- 
lichen Schorf,  der  sich  kleienartig  abschilfert.  Das  Exanthem  kann,  sich 
selbst  überlassen,  Jahre  lang  fortmachen.  —  Die  Impetigo  characte- 
risirt  sich  durch  dunkelrothe  Flecken  von  verschiedener  Grösse  ,  welche 
zuerst  an  der  Scham,  dann  auf  der  Brust  erscheinen,  in  einander  fliessen 
und  nach  einigen  Monaten  bräunlich  werden.  Auf  ihnen  entwickeln  sich 
frieselähnliche  Bläschen,  die  am  fünften  Tage  einsinken  und  am  neunten 
sich  kleienartig  abschuppen.  Später  verbreiten  sich  die  Flecke  über  die 
obern  und  untern  Extremitäten  und  den  behaarten  Theil  des  Kopfs  mit 
stets  sich  wiederholender  Bläscheneruption.  Zuweilen  plazen  einige  Bläs- 
chen und  hinterlassen  zackige  Geschwüre  mit  Schorf  bildung,  unter  der  die 
Eiterung  fortdauert.  Fortwährend  bilden  sich  eine  Menge  weisser  Schup- 
pen auf  der  Haut.  —  Die  Behandlung  ist  die  der  Hydrargyrose  im  All- 
gemeinen (Roob  von  Laffecteur,  Z  ittm  ann'sehes  Decoct  etc.) 
Aeusserlich  wendet  man  bei  Herpes  praeputialis  warme  Wasser  — 
später  stärkende  zusammenziehende  Localbäder  an.  Bei  Psydracia 
und  Impetigo  sind  vorzüglich  die  alkalischen  Schwefelmineralwasser, 
Schwefelschlammbäder ,  später  die  schwefelhaltigen  Stahlwasser ,  auch 
fortgesezte  Gaben  von  Kai.  hydrojod.  mit  Opium  angezeigt. 

4)  Symphoresen  (Congestionszustände).  Diese  chronischen 
Formen  der  Mercurialkrankheit  kommen  vor  als  :  Symphoresis  con- 
junctivae oculi,  S.  i  r  i  d  i  s,  retinae,  faucium  (Angina  niercu- 
rialis)  und  periostei.  Die  Behandlung  dieser  Zustände  besteht  in  der 
der  Mercurialkrankheit  im  Allgemeinen,  so  wie  in  kräftigen  Ableitungen, 
um  den  Ausschwizungen  vorzubeugen.      Mineralsäuren. 

5)  Hypertrophien.  Sie  sind  eine  Unterabtheilung  der  Sym- 
phoresen. Ihr  Hauptsiz  ist  in  den  Drüsen ,  Sehnen  und  serösen  Häuten. 
Sie  haben  einen  langwierigen  Verlauf.  —  Behandlung.  Bei  beste- 
hender entzündlicher  Reizung  gibt  man  innerlich  Terra  ponderos. 
salit.  nach  einem  vorausgeschickten  Abführmittel ,  nachher  das  Kali 
hydrojod.  Oertlich  Blutegel,  kalte  Umschläge  auf  die  Drüsenge- 
schwulst und  Einreibungen  der  Jodsalbe  mit  Opium  in  ihrer  Umgebung. 
Dabei  sind  die  Se-  und  Excretionen  offen  zu  erhalten.  Kann  man  die 
Entzündung  nicht  bemeistern ,  so  befördert  man  die  Eiterung.  Verhär- 
tungen gelingt  es  selten  zu  zertheilen.  Man  versucht  es  mit  den  be- 
kannten Mitteln  (Senega,  Jod,  Brom,  Druckverband  etc.). 

6)  Helkosen.  Die  mercuriellen  Geschwüre  können  rein  für  sich 
entstehen,  oder  sich  aus  schon  vorhandenen  syphilitischen,  scrophulösen 
etc.  herausbilden.  Die  ersteren,  welche  sich  gewöhnlich  auf  der  Schleim- 
haut  des  Mundes   und  Rachens  ,   seltener   auf  der  des  Penis  entwickeln, 


650 


MERCÜRIALKRANKHEIT. 


sind  flach,  mit  weisslichem,  schlauen  Grunde  und  ungleichen,  zackigen, 
scharf  ausgeschnittenen  Rändern.  Sie  sondern  eine  übelriechende  Jauche 
ab  und  sind  schmerzhaft.  Sich  selbst  überlassen  fressen  sie  rasch  um 
sich  und  zwar  nur  in  die  Breite;  nur  wenn  der  Mercur  fortgegeben  wird 
und  andere  Dyscrasien  bestehen,  greifen  sie  auch  in  die  Tiefe.  Das  sy- 
philitische Geschwür  verliert  seinen  speckigen  Grund,  wird  schmuzig  ge- 
färbt ,  sondert  Jauche  ab  und  schmerzt.  Aehnliche  Veränderungen  er- 
fahren andersartige  Geschwüre ;  immer  ist  das  mercurielle  Geschwür 
schmerzhafter  als  ein  anderes.  —  Behandlung.  Zuerst  ist  die 
schmerzhafte  Beizung  zu  berücksichtigen ;  demgemäss  wendet  man  schlei- 
mige Mundwässer  mit  narkotischen  Stoffen  (Extr.  cicut.,  opii,  hyosc. 
etc.)  oder  Cataplasmen  mit  diesen  an ;  bei  erysipelatöser  Complication  Blut- 
egel. Nach  Beseitigung  des  gereizten  Zustandes  geht  man  zu  der  ört- 
lichen Anwendung  von  stärkenden  zusammenziehenden  Mitteln  über ,  wie 
essigsaurem  Blei ,  Mineralsäuren  mit  Schleim  und  Honig  ,  D  e  c  o  c  t. 
quere,  chinae,  Cupr.  sulphur.,  Borax,  Alaun  etc.  in  schleimigen 
Vehikeln ,  Aqua  oxymuriatica  mit  Opium.  Die  allgemeine  Behandlung 
besteht  in  der  Anwendung  der  Mineralsäuren ,  Gold ,  Eisen  ,  des  Roob 
L  äffe  cteur  etc. 

7)  Neurosen.  Bis  jezt  kennt  man  unter  den  somatischen  Neu- 
rosen Neuralgien,  Zittern,  Lähmung  und  Apoplexie.  —  Die 
Neuralgien  werden  gewöhnlich  an  den  Bewegungsnerven ,  selten  an 
den  Cerebral-  und  Gangliennerven  beobachtet.  Die  Schmerzen  haben 
etwas  wanderndes ,  vermindern  sich  bei  warmer,  trockener  Witterung,  ja 
intermittiren  sogar ,  aber  die  geringsten  Temperaturveränderungen  rufen 
sie  wieder  hervor.  Nässe  wird  nicht  ertragen.  —  Das  Zittern,  Tre- 
mor mercurialis,  entsteht  nach  einem  Ziehen  in  den  Bewegungs- 
nerven der  obern  und  untern  Extremitäten ,  welches  einige  Zeit  gedauert 
hat.  Von  den  Extremitäten  geht  diese  krankhafte  Thätigkeit  auf  die 
Muskeln  des  Rumpfs ,  d.  h.  ihre  Nerven ,  so  wie  auf  die  Centraltheile 
dieser  selbst  über.  Das  gesammte  vegetative  System  leidet  nach  länge- 
rer Dauer  des  Uebels  auch  mit.  Nicht  geheilt ,  geht  es  in  hectisches 
Fieber  oder  Lähmung  über.  —  Die  Lähmungen  können  einzelne  Ner- 
ven oder  das  ganze  System  befallen.  Zur  ersten  gehört  die  Amaurosis, 
die  zweite  zur  Apoplexia  mercurialis.  Sie  kommen  gewöhnlich 
nach  schlecht  geleiteten  Schmier-  oder  grossen  Sublimatkuren  vor.  Die 
Behandlung  ist  die  der  Mercurialkrankheit  überhaupt. 

8)  Cachexia  mercurialis.  Sie  ist  der  Inbegriff  aller  For- 
men. Deswegen  beobachtet  man  mehrere  der  bisher  geschilderten 
Formen,  als  Hautausschläge,  Zittern  der  Glieder,  Geschwüre  etc.  Der 
Kranke  stellt  das  Bild  des  tiefsten  chronischen  Leidens  dar.  Seine 
Haare  sind  glanzlos,  trocken,  gebleicht,  theilweise  ausgefallen,  die  Augen 
wässerig  aussehend,  eingesunken,  die  Iris  entfärbt,  das  Gesicht  ist  blass, 
schmuzig,   erdfahl,   die  Wangen  sind  eingefallen,   die  Nase  ist  spiz,    das 


MILCHBORKE.  651 

Zahnfleisch  von  den  Zähnen  zurückgezogen,  diese  sind  mit  dickem  Schleim 
überzogen  ,  cariös  ,  wackelig.  Die  Haut  des  Körpers  ist  welk  und  kalt ; 
der  Athem  und  die  Ausdünstung  riechen  übel,  der  ausgeworfene  Speichel 
ist  zäh,  der  Schweiss  klebrig,  der  Urin  blass  ,  oft  trüb,  die  Stühle  wässe- 
rig. Damit  sind  selbstverständlich  eine  grosse  Abgeschlagenheit  des 
Körpers,  Verdauungsstörungen,  allgemeine  Abmagerung  und  Apathie,  ge- 
schwächte Sinne  etc.  verbunden.  Später  erfolgen  Schleimflüsse  und  Blu- 
tungen ,  wassersüchtige  Anschwellung  der  Füsse ,  endlich  hectisches  Fie- 
ber, allgemeine  Wassersucht  und  der  Tod  durch  Apoplexie.  —  Die  Be- 
handlung, stets  stärkend,  erfordert  grosse  Umsicht.  Als  Nachkur  die- 
nen kohlensaure  Stahlwasser,  Seebäder  etc.  Meist  bleiben  Entstellungen 
einzelner  Gebilde,  verstimmtes,  höchst  sensibles  Nervensystem  etc.  zurück. 

Milchborke,  Milchschorf,  Milchgrind,  Freisam, 
Crusta  lactea,  Tinea  lactea  faciei,  besteht  aus  kleinen,  runden, 
wenig  juckenden  Bläschen  am  Kinn,  an  den  Wangen,  den  Schläfen  und 
der  Stirn,  welche  bald  plazen  und  eine  gelbe,  klebrige  Flüssigkeit  abson- 
dern ,  die  zu  gelbgrünen  oder  grünlich  braunen  Krusten  vertrocknet  und 
grössere  oder  kleinere  Flächen  des  Gesichts  bedecken,  ja  sich  zuweilen  auf 
Brust,  Rücken  und  Schenkel  erstrecken  können.  Nicht  selten  schleicht 
sich  der  Ausschlag  in  die  Augen  oder  wird  auch  das  Secret  von  den  Kin- 
dern durch  Reiben  in  diese  gebracht ,  wodurch  oft  recht  bösartige  Oph- 
thalmien erregt  werden.  Die  Borken  hinterlassen  keine  Narbe.  —  Eine 
andere  Art  des  Milchschorfs  ist  die  Crusta  serpiginosa;  diese  nimmt 
grössere  Körperflächen  ein ,  erstreckt  sich  auf  die  Augenlider ,  Rücken, 
Lenden ,  selbst  auf  den  behaarten  Kopf,  macht  eine  dunklere  Borke,  ver- 
ursacht Jucken  und  eine  grössere  Unruhe  und  macht  die  Achsel-  und 
Leistendrüsen  schwellen.  Nicht  selten  ist  Fieber  zugegen,  und  in  Folge 
der  beständigen  Unruhe  kann  eine  allgemeine  Entkräftung  herbeigeführt 
werden.  —  Ursachen.  Die  der  Crusta  lactea  sind  zu  copiöse 
Ernährung,  Voll  saftigkeit,  Digestionsstörungen,  die  Dentition  und  scrophu- 
löse  Anlage ;  bei  der  Crusta  serpiginosa  kommt  zu  den  genannten 
Ursachen  noch  ein  ererbter  oder  von  der  Amme  übertragener  syphiliti- 
scher oder  herpetischer  Zustand.  —  Die  Milchborke  entsteht  gewöhnlich 
in  den  ersten  Lebensjahren  ,  doch  beobachtet  man  sie  auch  später.  — 
Prognose.  Die  Crusta  lactea  ist  im  Allgemeinen  eine  gefahrlose 
Krankheit  und  leicht  zu  heilen;  die  Crusta  serpiginosa  ist  bedeu- 
tender, kann  Jahre  lang  dauern  und  gefährliche  Zufälle  veranlassen.  — 
Behandlung.  Sie  besteht  zunächst  in  der  Regelung  der  Lebensweise, 
Entwöhnen  des  Kindes  etc.  Man  reicht  gelinde  Abführmittel ,  säure- 
tilgende Mittel ,  namentlich  Magnesia ,  dann  Herbajaceae  als  Infus 
oder  in  Pulverform ,  z.  B.  Rp.  Herb,  jaceae  5üj,  Sem.  foenic.  5j, 
Sacchar.  lactis  5üj.  M.  S.  Täglich  3  Mal  eine  Messerspize  voll, 
oder :  Rp.  Pul  v.  jaceae,   Sacch.  lactis  ana  5üj  ,  Sulph.  prae- 


652  MISSBILDUNGEN. 

cip.,  Magnes.  carbon.  ana  *)ij.  M.  S.  4  Mal  eine  Messerspize  voll; 
den  Aufguss  lässt  man  zur  Hälfte  mit  Milch  trinken.  Die  Krusten  er- 
weicht man  durch  milde  Oele.  Bei  der  Crusta  serpiginosa  sind  die 
Antimonial-  und  Merkurialpräparate,  so  wie  der  Schwefel,  bei  Störungen 
der  Abdominalfunktionen  Amara  und  Frühlingskuren  angezeigt.  Sehr 
wirksam  erweist  sich  folgende  Verbindung :  Rp.  Aethiop.  mineral. 
gr.  jß — viij,  Herb,  jaceae  gr.  iv — x,  Sacch.  lact.  gr.  iij — vj.  M. 
f.  pulv.  D.  tal.  dos.  No.  xij.  S.  Täglich  2  —  3  Pulver  zu  geben,  oder 
Rp.  Stibii  sulph.  nigr.  laevig.,  Natri  carbon.  ana  5ß,  Herb. 
viol.  tricol. ,  Sacch.  alb.  ana  5üj-  M.  S.  Täglich  3  Mal  1  Thee- 
löffel  voll.  Die  örtliche  Behandlung  erfordert  der  gern  erfolgenden  Meta- 
stasen wegen  grosse  Vorsicht.  Sie  besteht  in  der  Losweichung  der  Bor- 
ken mit  milden  Salben ,  Oelen  und  erweichenden  Decocten ,  und  dann 
Waschungen  mit  Sublimatwasser ;  bei  grosser  Empfindlichkeit  der  Haut 
und  geschwürigem  Zustande  eine  Salbe  aus  Zinkblumen,  weissem  Präcipi- 
tat  (R  p.  U  n g  t.  r  o  s  a  t.  ^j  ,  Z  i  n  c.  o  x  y  d  a  t.  a  1  b  i  3j  ,  M  e  r  c.  p  r  a  e  - 
cip.  albi  *)j.  M.  f.  Ungt.  S.  Auf  die  exulcerirten  Stellen  zu  legen), 
aus  Olivenöl  und  Kalkwasser,  einer  Solution  der  Schwefelieber  (Rp.  Hep. 
sulp  hur.  c  a  1  c.  5ij  ,  solve  in  Decoct.  rad.  althaeae  xiv.  S. 
Aeusserlich)  ;  auch  Schwefelbäder  zeigen  sich  nüzlich.  —  Complication 
mit  Scropheln  erfordert  eine  entsprechende  Behandlung. 

MÜChfistel,  s.  B  r  u  s  t  d  r  ü  s  e  n  f  i  s  t  e  1. 

Missfoildungeil,  Dysmorphoses,  Pseudomorphoses, 
Deformitates,  Vitia  primae  et  secundae  formationis. 
Man  versteht  hierunter  diejenigen  widernatürlichen  Zustände  des  ganzen 
Organismus  oder  einzelner  Theile  desselben ,  deren  Wesen  in  einer  von 
der  Norm  abweichenden  Form  oder  Gestaltung  besteht.  Die  Formfehler 
sind  entweder  angeboren  (Missbildungen  im  eigentlichen  Sinne ,  Mon- 
stra) oder  erworben  (Deformitates).  Leztere  entstehen  bald  in 
Folge  einer  durch  Entzündung  bedingten  Verwässerung  oder  einer  Ver- 
schwärung ,  bald  in  Folge  einer  Verlezung ,  bald  endlich  in  Folge  einer 
anfangs  krampfhaften ,  aber  auch  nach  Aufhören  des  Krampfes  selbst- 
ständig fortdauernden  Verkürzung  oder  aber  einer  Lähmung  von  Muskeln, 
welche  beide  ihrer  Seits  auf  Krankheiten  des  Nervensystems  beruhen.  — 
Die  Entstehung  der  angeborenen  Missbildungen  ist  bis  jezt  zum 
grössten  Theil  noch  unerforscht ;  doch  sind  ohne  Zweifel  die  Ursachen  der 
meisten  Missbildungen  abnorme ,  den  Keim  während  seiner  Entwicklung 
treffende  Einflüsse ,  obschon  es  auch  nicht  unwahrscheinlich  ist ,  dass  die 
Ursache  manchmal  in  einer  ursprünglichen  Abnormität  des  Keims  (Eies 
und  Samens)  liegen  kann ,  wofür  die  Erblichkeit  mancher  Missbildungen 
spricht.  Was  das  sogenannte  Versehen  und  den  Einfluss  von  Gemüths- 
bewegungen  und  phantastischen  Aufregungen  der  Mutter  betrifft,  so  lässt 
sich  allerdings   die  Genesis   der  meisten   der   auf  diese  Weise  entstanden 


MISSBILDUNGEN.  653 

sein  sollenden  Missbildungen  anders  erklären  ,  doch  kann  man  das  Ver- 
sehen durchaas  noch  nicht  ganz  in  Abrede  stellen.  Die  abnormen  Ein- 
flüsse können  von  der  verschiedensten  Art  und  gewiss  auch  mechanische 
äussere  Einwirkungen  sein ,  sie  erregen  entweder  Krankheiten  im  Fötus, 
welche  den  nach  der  Geburt  auftretenden  ganz  analog  sind ,  oder  rufen 
Bildungshemmungen  hervor ,  bei  welchen  die  embryonalen  Organe  auf 
einer  gewissen  Stufe  der  Entwicklung  stehen  bleiben  und  Missbildungen 
erzeugen,  die  man  Hemmungsbildungen  nennt.  —  Eintheilung 
der  Missbildungen.  Man  hat  die  Missbildungen  auf  verschiedene 
Weise  eingetheilt,  indem  die  Einen  die  äussern  Formen ,  Andere  die  ver- 
anlassenden Momente ,  noch  Andere  beide  Momente  der  Eintheilung  zu 
Grunde  legten.  Die  bekanntesten  Systeme  sind  die  von  Buffon, 
Blumenbach,  Meckel,  Geo  f  f  r  o  y  S  t.  H  i  1  a  i  r  e  ,  G  u  r  1 1 ,  Otto, 
Bischoff,  Vogel.  Die  der  Leztern  geben  die  beste  Uebersicht  über 
die  Missbildungen ,  weshalb  wir  ihnen  hier  folgen ,  indem  wir  die  kein 
chirurgisches  Interesse  darbietenden  nur  kurz  berühren.  —  I.  Miss- 
bildungen,  bei  denen  mehr  oder  weniger  Theile  ganz 
fehlen  oder  zu  klein  sind.  Diese  können  sein  :  Abnormitäten  des 
Keims,  Hemmungen  der  Entwicklung  durch  äussere  Einflüsse,  z.  B.  Affecte  der 
Mutter ;  Zerstörung  des  bereits  gebildeten  Organs  durch  Krankheiten, 
z.  B.  Wasseransammlung,  oder  durch  mechanische  Einflüsse,  z.  B.  Ab- 
schnürung eines  Gliedes  durch  den  Nabelstrang  oder  abnorme  Stränge 
innerhalb  des  Ovulum.  —  A.  Defecte  im  engern  Sinne,  Mon- 
stra deficientia,  mit  gänzlichem  Fehlen  von  Körpertheilen ,  wie  des 
Kopfs  (Acephala),  des  Rumpfs  etc.  —  B.  Missbildungen  mit 
regelwidriger  Kleinheit  der  Theile  (Zwergbildung).  —  C. 
Missbildungen  durchVerschmelzung,  Coalitio  partium, 
Symphysis.  Hier  sind  namentlich  zu  erwähnen :  a)  die  Verschmel- 
zung der  untern  Extremitäten,  Sirenenbildung,  Mono- 
podia;  das  Becken  und  seine  Organe  sind  mangelhaft,  die  Beine  mit 
einander  verschmolzen  und  dabei  mehr  oder  weniger  verkümmert ;  ent- 
steht durch  das  Ineinanderfliessen  der  Keime,  b)  Verschmelzung 
der  Finger  und  Zehen,  Syndactylus;  betrifft  entweder  blos  die 
Weichtheile  oder  auch  die  Knochen ;  ist  eine  Bildungshemmung ,  da  der 
Keim  für  Hand  und  Fuss  anfangs  keine  Spaltung  in  Finger  oder  Zehen 
zeigt.  —  D.  Verschluss  normaler  Oeffnungen,  Atresien, 
entstehen  meist  aus  Bildungshemmungen.  Es  sind  die  Atresien  der 
Augenlider ,  der  Pupille ,  des  Mundes ,  der  Nase ,  des  äussern  Ohrs,  des 
Afters,  der  Scheide,  der  Vulva,  des  Uterus  und  der  Urethra. —  E.  Spalt- 
bildungen, Fissurae;  es  sind  dies  Missbildungen  aus  Bildungs- 
hemmung, bei  denen  im  Normalzustande  verwachsene  Theile  von  einander 
getrennt  sind.  Es  gibt  mehrere  Arten  derselben.  Wenn  sich  die  Rän- 
der der  Platten  des  animalen  Keimblattes  (die  Dorsal-  und  Visceralplatten) 
nicht  oder  nur  unvollkommen  vereinigen ,   oder  wenn  nach  erfolgter  Ver- 


654  MISSBILDUNGEN. 

einigung  durch  irgend  eine  Ursache  (meist  Wasseransammlung)  eine  aber- 
malige Trennung  geschieht ,  so  bilden  sich  in  der  vordem  oder  hintern 
Medianlinie  des  Körpers  Spalten ,  meistens  mit  Zerstörung  oder  Vorfall 
der  eingeschlossenen  Theile.  Hierher  gehören  :  die  Spaltungen  am  Schä- 
del, Gesichte ,  Gaumen ,  an  der  Oberlippe  (Hasenscharte),  Zunge,  Brustr 
dem  Bauche,  Rückgrate  (Spina  bifida),  Becken  und  Harnblase  (Pro- 
lapsus vesicae  urinariae),  der  obern  Seite  des  Penis  (E  p  i  s  p  a  - 
dia).  Auch  durch  Nichtaneinanderlegen  des  vegetativen  und  Gefäss- 
blattes  des  Darmrohrs  entstehen  Spalten  am  Magen  und  am  Darm  (ange- 
borene Darmfisteln).  —  Andere  Spaltbildungen  haben  ihren  Grund  in  der 
Nichtschliessung  gewisser  Lücken,  die  bei  der  normalen  Bildung  gewisser 
Theile  vorkommen ,  sich  aber  nicht  zu  rechter  Zeit  schliessen.  Hierher 
gehören :  die  Spaltung  der  Chorioidea ,  Iris ,  des  Halses  (Fistulae 
colli  congenita e),  der  untern  Seite  des  Hodensacks  und  der  Harn- 
röhre (H  y  p  o  s  p  a  d  i  a).  Zu  diesen  Spaltbildungen  ist  auch  das  Fort- 
bestehen gewisser  Communicationsöffnungen  zwischen  später  getrennt  sein 
sollenden  Theilen  und  das  Offenbleiben  gewisser  Kanäle  zu  rechnen ,  wie 
das  Offenbleiben  des  Foramen  ovale,  des  Ductus  arteriosus 
und  v  e  n  o  s  u  s  ,  des  U  r  a  c  h  u  s  ,  des  Processus  vaginalis  peri- 
t o n e i  (was  gewöhnlich  zur  Bildung  der  Herniainguinalis  con- 
genita oder  der  Hydrocele  congenita  Veranlassung  gibt).  — 
Eine  lezte  Gattung  von  Spaltungen ,  welche  aber  nicht  die  Folge  einer 
Bildungshemmung  sind,  kommt  an  den  Gliedmassen  vor  (Schistome- 
1  e  s)  und  besteht  gewöhnlich  in  der  Fortsezung  der  Trennung  zwischen 
dem  3.  und  4.  Finger  oder  Zehe  bis  an  den  Carpus  oder  Tarsus.  —  IL 
Missbildungen,  welche  zu  viel  haben,  Monstra  abun- 
dantia.  Hier  findet  man  eine  ganz  allmälige  Steigerung,  von  derUeber- 
zahl  eines  Nagelgliedes  bis  zur  Ausbildung  zweier  vollständiger ,  nur  an 
einem  Punkte  vereinigter  Embryonen.  Bisch  off  findet  den  Grund  die- 
ser Missbildungen  in  einer  ursprünglichen  Bildung  des  Keims  ;  in  einer 
ungewöhnlich  energischen  Entwicklung  eines  ursprünglich  einfachen  Kei- 
mes, veranlasst  vielleicht  durch  äussere  Ursachen  ;  durch  Ovum  in  ovo; 
durch  Bildungshemmung  (wie  z.  B.  die  Divertikel  am  Darm  als  Ueber- 
bleibsel  des  Ductus  omphalo-mesentericus).  — •  A.  Ueb er- 
zähl bei  einfachem  Kopf  und  Rumpf.  Unter  andern  sind  hier 
zu  nennen:  Doppelter  Unterkiefer  (Dignathus),  doppelte  Zunge  (über- 
einander liegend),  überzählige  Zähne,  doppelte  Harnblase,  doppelte  Harn- 
leiter, Ueberzahl  der  Brüste,  überzählige  Gliedmassen  am  Rücken  (N  o  t  o  - 
m  e  1  e  s),  oder  am  Bauche  (Gastromeies)  oder  am  Steiss  (P  y  g  o  m  e  - 
1  e  s),  überzählige  Finger  und  Zehen  (Polydactylus)  oder  ganze  Glie- 
der an  den  normalen  Extremitäten  (Melomeles).  —  B.  Zwillings- 
missbildungen mit  doppeltem  Kopf  und  Rumpf.  Hierher 
gehören  die  Missbildungen  mit  doppeltem  Gesicht,  doppeltem  Schädel, 
zwei  Köpfen  bis   herunter  zu  zwei  vollkommen  ausgebildeten  Individuen 


MUNDVERENGERUNG  UND  VERSCHLIESSUNG.  655 

die  an  einer  einzigen  Stelle  mit  einander  verbunden  sind ,  z.  B.  in  der 
Gegend  des  Schwertknorpels  (Xiphopages),  wie  die  siamesischen 
Zwillingsbrüder  und  die  sardinischen  Zwillingsschwestern ,  am  Kreuze 
(P  y  go  didy  mus),  wie  die  ungarischen  Schwestern,  an  der  Brust  (Tho- 
racodidymus)  etc.  oder  zu  einem  vollkommen  ausgebildeten  Körper, 
welcher  einen  mehr  oder  weniger  unvollständigen  an  der  Brust  oder  am 
Oberbauche  trägt  (Heterodid y m u s).  —  C.  Doppelmissbildun- 
gen durch  Einpflanzung,  a)  Foetus  infoetu,  ein  grösserer 
vollständiger  Fötus  trägt  an  irgend  einer  Stelle  unter  der  Haut  oder  in 
einer  seiner  Körperhöhlen  (meist  im  Bauche)  einen  zweiten  kleineren, 
stets  unvollständigen  und  mehr  oder  weniger  vom  ersten  isolirten  ;  b)  Om- 
phalo-craniodidymus,  die  Nabelschnur  oder  das  Rudiment  des 
einen  wurzelt  am  Schädel  des  andern  etc.  —  c)  Dreifache  Miss  - 
bildungen,  Monstra  triplicia  s.  trigemina.  Es  sind  hier 
Körpertheile  dreifach  vorhanden.  -^  III.  Missbildungen,  beidenen 
weder  etwas  fehlt,  noch  auch  zuviel  ist,  Monstra  defor- 
m  i  a.  Sie  haben  ihren  Grund  bald  in  einer  Anomalie  der  Bildungsthä- 
tigkeit  oder  in  einer  krankhaften  Beschaffenheit  des  Eies  oder  einer 
späteren  Krankheit  des  Embryo,  bald  in  einer  Bildungshemmung.  —  A. 
Abnorme  Lage  der  Organe,  Situs  mutatus.  Die  Theile, 
welche  rechts  liegen  sollen,  liegen  links,  die  obern  unten  und  die  vordem 
hinten.  Zuweilen  ist  die  normale  seitliche  Asymetrie  aufgehoben ,  z.  B. 
Herz  und  Leber  liegen  in  der  Mitte  etc.  —  B.  Abweichungen  in 
derForm  der  Organe:  z.  B.  Varietäten  in  der  Theilung  der  Organe 
(Lunge)  ;  Formveränderungen  in  der  Lage  der  Knochen  (Verkrümmungen 
der  Wirbelsäule,  Klumpfuss,  Klumphand)  etc.  —  C.Abweichungen 
im  Ursprünge  und  Verlaufe  der  Arterien  und. Venen.  Sie 
sind  sehr  häufig  und  mannigfaltig  und  betreffen  vorzüglich  die  grösseren 
Stämme.  —  D.  Missbildungen  der  Genitalien;  Zwitterbili 
düngen,  Hermaphroditismus.  Hierher  gehören  alle  Missbildun- 
gen, wodurch  das  Geschlecht  mehr  oder  weniger  zweifelhaft  gemacht  wird. 

Mundverengerung  und  Verschliessung.     Eine  völlige 

Verschliessung  des  Mundes  ,  Atresia  oris,  als  angeborene  Krankheit 
kommt  höchst  selten  vor  und  zwar  ist  sie  dann  meistens  mit  andern  Bil- 
dungsfehlern verbunden,  wogegen  eine  Verwachsung  nach  lupösen,  syphi- 
litischen und  mercuriellen  Ulcerationen,  so  wie  nach  Verbrennungen  nicht 
so  selten  eintritt.  Dieselben  Ursachen  können  eine  Verengerung  des 
Mundes  herbeiführen.  An  der  Stelle  des  leztern  findet  sich  nur  ein 
Loch,  welches  nur  so  gross  ist,  dass  man  einen  Finger  durchstecken  kann; 
diese  Oeffnung  verkleinert  sich  nach  und  nach  immer  mehr,  bis  sie  kaum 
einen  Federkiel  durchlässt,  vermittelst  dessen  man  dem  Kranken  flüssige 
Nahrung  einflössen  kann.  Die  das  Mundloch  umgebenden  Partien  sind 
gewöhnlich  verhärtet,  das  Kauen  der  Speisen  ist  erschwert ;  es  kommt  zur 


656  MUNDVERENGERUNG  UND   VERSCHLIESSUNG. 

Ablagerung  einer  grossen  Menge  von  Weinstein  an  die  Zähne  und  aus 
dem  Mundloche  -dringt  ein  verpestender  Geruch.  —  Die  Verwachsung  be- 
schränkt sich  entweder  auf  die  inneren  Theile  des  Mundes  (Verwach- 
sung der  Lippen  und  Wangen  mit  dem  Zahnfleische),  wo- 
bei die  äussern  Lippen  Unversehrt  bleiben,  oder  die  Mundspalte  ist  in  ein 
kleines  rundes  Loch  verwandelt,  oder  sie  fehlt  gänzlich.  —  Behand- 
lung. Einzelne  strangartige  Verwachsungen  der  Lippen  und  Wangen 
trennt  man  mit  Messer  oder  Scheere ,  indem  man  sie  durch  Abziehen  der 
Theile  spannt.  Die  Mundhöhle  sprizt  man  bis  zur  Heilung  von  Zeit  zu 
Zeit  mit  kaltem  Wasser  aus.  Besteht  die  Verwachsung  zwischen  ganzen 
Flächen ,  so  wird  durch  das  eben  angegebene  Verfahren  eine  Wiederver- 
wachsung der  getrennten  Theile  nicht  verhindert ,  ebenso  wenig  durch 
das  empfohlene  Einlegen  einer  Compresse  oder  Bleiplatte,  man  muss  viel- 
mehr nach  Dieffenbach  einen  noch  unversehrten  Theil  der  Mund- 
schleimhaut in  Form  eines  Lappens  ablösen  und  an  die  Wange  anheften. 
—  Betrifft  die  Verwachsung  die  Lippen  unter  sich ,  so  hebt  man ,  wenn 
sie  eine  totale  ist ,  die  Lippe  an  dem  einen  oder  andern  Mundwinkel  in 
eine  Längenfalte  auf,  schneidet  diese  quer  zwischen  beiden  Lippen  durch, 
oder  macht  diese  ,  die  nur  klein  sein  soll ,  aus  freier  Hand.  Durch  sie 
führt  man  eine  Hohlsonde  ein  und  durchschneidet  auf  dieser  in  der  Rich- 
tung der  Mundspalte  die  Verwachsung  mit  dem  Messer.  Die  Blutung 
stillt  man  durch  kaltes  Wasser ;  zwischen  die  Wundlippen  legt  man  ein 
paar  Tage  lang  Ceratiäppchen.  Handelte  es  sich  nur  von  einer  Verkle- 
bung oder  dünnhäutigen  Verwachsung  der  Lippen,  so  ist  eine  Wiederver- 
wachsung derselben  nicht  zu  befürchten.  Ganz  anders  verhält  es  sich 
damit,  wenn  ein  Verschluss  durch  Narbensubstanz  stattfindet,  ein  rother 
Lippenrand  somit  fehlt.  In  solchen  Fällen  suchten  Rudtorffer  u.  A. 
das  Offenhalten  der  Mundspalte  dadurch  zu  sichern ,  dass  sie  zuerst  die 
Mundwinkel  bildeten,  indem  sie  die  Stellen  derselben  mit  einem  dünnen 
Troicart  durchbohrten ,  in  die  Oeffnung  einen  Bleidraht  einlegten  und 
nach  der  Vernarbung  derselben  die  Brücke  zwischen  ihnen  durchschnitten ; 
das  Einlegen  von  Ceratiäppchen  sollte  das  Wiederverwachsen  dieser  Spalte 
verhindern.  Abgesehen  davon ,  dass  die  Vernarbung  der  mit  dem  Troi- 
cart angelegten  Oeffnungen  sehr  lange  braucht ,  so  bleibt  auch  der  auf 
diese  Weise  hergestellte  Mund  immer  hässlich  und  schwielig.  Um  diesen 
Uebelständen  zu  begegnen ,  hat  man  nach  geschehener  Spaltung  die  Be- 
säumung der  Wundflächen  mit  Schleimhaut  oder  weniger  gut  mit  äusserer 
Haut  unternommen  und  damit  nicht  allein  Recidive  verhütet ,  sondern 
auch  meistens  die  Bildung  rother  Lippen  ermöglicht.  Bei  dieser  Mund- 
bildung, Stomatoplastik,  verfährt  Dieffenbach  auf  folgende 
Weise  :  ein  durch  die  bestehende  oder  vorläufig  angelegte  Oeffnung  in 
die  Mundhöhle  eingeführter  Finger  spannt  und  erhebt  die  Wange.  Ein 
spiziges  Scheerenblatt  wird  hierauf  zwischen  der  Schleimhaut  und  dem 
diesseits  derselben  liegenden  Theile  etwas  oberhalb  der  Linie,  in  welcher 


MUTTERKRANZ.  657 

die  künftige  Mundspalte  verlaufen  soll,  in  der  Richtung  gegen  das  Ohr 
vorsichtig  bis  zu  der  Stelle,  wo  der  Mundwinkel  liegen  soll ,  eingestossen 
und  die  Theile  darauf  mit  Ausnahme  der  Schleimhaut  durchschnitten. 
Ganz  ebenso  wird  ein  zweiter  Schnitt ,  mit  dem  ersten  parallel ,  einige 
Linien  tiefer  geführt,  so  dass  ein  schmales  Läppchen  entsteht,  welches  am 
künftigen  Mundwinkel  durch  einen  kleinen  rundlichen  Schnitt  begrenzt 
und  von  der  Schleimhaut  abpräparirt  wird.  Dasselbe  geschieht  auf  der 
andern  Seite.  Die  zurückgelassene  Schleimhaut  wird  durch  Herabziehen 
des  Unterkiefers  gespannt  und  in  der  Mitte  nach  der  Richtung  der  Mund- 
spalte bis  in  die  Nähe  des  Mundwinkels  gespalten.  Jedes  der  so  gebil- 
deten vier  Schleimhautläppchen  wird  nach  aussen  umgeschlagen  und  mit 
dem  entsprechenden  Wundrande  der  äussern  Haut  durch  feine  Knopf  nähte 
vereinigt.  Die  Nachbehandlung  besteht  in  anhaltenden  kalten  Um- 
schlägen. —  Bei  Verengerung  des  Mundes  wird  auf  ähnliche  Weise  ver- 
fahren. 

Mutterkranz,  Mutterzapfen,  Mutterhalter,  Mutter- 
ring, Pessarium,  Suppositorium  uterinum,  nennt  man  eine 
mechanische  Vorrichtung ,  welche  in  die  Scheide  eingebracht  wird ,  um 
entweder  den  dislocirten  Uterus  zu  unterstüzen  oder  die  vorgefallene 
Scheide  oder  einen  in  dieser  befindlichen  Bruch  zurückzuhalten.  —  Die 
Mutterkränze  sind  in  Hinsicht  auf  Form  und  Material  sehr  verschieden ; 
zu  diesem  hat  man  verwendet :  Meerschwamm ,  elastisches  Harz ,  Hörn, 
Holz,  Kork,  Gyps,  Elfenbein,  Porcellan,  Fischbein,  verschiedene  Metalle 
etc.  Auf  den  Gebrauch  der  metallenen  Mutterkränze  hat  man  wegen 
ihres  hohen  Preises ,  ihrer  Schwere  und  hauptsächlich  deshalb  verzichtet, 
weil  sie  durch  den  Schleim  der  Scheide  und  Gebärmutter  leicht  angegrif- 
fen werden.  In  Bezug  auf  die  Form  unterscheidet  man  hauptsächlich  die 
gestielten  und  ungestielten  Mutterkränze.  —  Ein  guter  Mutterkranz  muss 
folgende  Eigenschaften  haben :  um  die  betreffenden  Ausleerungen  nicht 
zu  hindern,  darf  der  Mutterkranz  weder  auf  die  Harnröhre,  noch  auf  den 
Mastdarm  drücken ;  es  ist  deshalb  nöthig ,  dass  man  sich  bei  der  Wahl 
eines  solchen  genau  nach  dem  Bau  des  Beckens  richte  und  für  jeden  ein- 
zelnen Fall  einen  besondern  geeigneten  Kranz  auswähle.  Ferner  darf  die 
Oeffnung  desselben  nie  der  Grösse  des  Muttermundes  gleichkommen,  son- 
dern sie  muss  stets  einige  Linien  kleiner  sein  ,  damit  sich  dieser  nicht  in 
die  Oeffnung  hineinsenken  und  einklemmen  kann;  eine  oder  mehrere 
Oeffnungen  dürfen  aber  nicht  fehlen ,  um  den  Secreten  der  Scheide  und 
der  Gebärmutter  nicht  den  Austritt  zu  verschliessen.  Endlich  darf  der 
Mutterkranz  nicht  eckig,  scharfkantig ,  rauh,  sondern  muss  überall  abge- 
rundet, glatt  und  polirt  sein.  —  Die  elatischen  Mutterkränze  sind  die  am 
wenigsten  beleidigenden.  —  l)Die  gestielten  Mutter  kränze, 
Pessaria  petiolata,  bestehen  aus  einem  mehr  oder  weniger  ausge- 
höhlten, mit  einigen  Löchern  zum  Abflüsse  der  Uterinfeuchtigkeiten  ver- 
Burger,  Chirurgie.  _  4J 


658  MÜTTERKRANZ. 

sehenen ,  2  Zoll  im  Durchmesser  grossen  Teller ,  welcher  in  einen  Stiel 
ausläuft,  der  bis  an  den  Eingang  der  Scheide  reicht  und  an  seinem  Ende 
mittels  Bändern  an  einer  Leibbinde  befestigt  wird.  Der  Stiel  darf  nicht 
gerade,  wie  Roonhuysen,  Camper  und  S m e  1 1  i e  angaben,  sondern 
soll  nach  der  Führungslinie  des  Beckens  massig  gekrümmt  sein,  wie  Zel- 
ler und  H  u  n  o  1  d  verbesserten.  Die  Veränderungen,  welche  S  t  e  i  d  e  1  e, 
Suret,  Stark,  Wigand,  Ra demacher,  Recamier,  Schmidt 
u.  A.  an  dem  untern  Ende  dieser  Mutterkränze  anbrachten,  theils  um  die 
Krümmung  zu  ersezen,  theils  um  die  Lage  derselben  bei  Bewegungen  des 
Körpers  zu  sichern,  macht  diese  nicht  allein  complicirter  und  theurer,  son- 
dern auch  zerbrechlicher  und  für  die  Reizbarkeit  der  Theile  weniger  pas- 
send. Es  gibt  biegsame  und  unbiegsame  Mutterkränze;  die  Biegsamkeit 
findet  sich  indessen  meist  nur  am  Stiele.  —  Das  Einbringen  des  gestiel- 
ten Mutterkranzes  geschieht  nach  Entleerung  des  Mastdarms  und  der 
Blase  in  der  Rückenlage  der  Kranken  mit  erhöhtem  Becken  und  leicht 
gebeugten  und  aus  einander  gespreizten  Oberschenkeln.  Der  an  der  rech- 
ten Seite  des  Bettes  stehende  Wundarzt  bringt  zuerst  mit  dem  Zeige-  und 
Mittelfinger  die  Gebärmutter  in  ihre  normale  Lage  zurück.  Nun  hält 
man  die  Schamlippen  mit  den  Fingern  der  linken  Hand  gehörig  von  ein- 
ander, fasst  mit  dem  Daumen  und  Zeigefinger  der  rechten  Hand  den  Stiel 
des  beölten  Mutterkranzes  in  seiner  Mitte ,  neigt  sein  unteres  Ende  zu 
dem  linken  Schenkel  der  Kranken  und  schiebt  den  dickeren  Theil  des 
Tellers  seitwärts  in  die  Scheide.  Ist  dieser  Theil  durch  den  Eingang  der 
Scheide  getreten  ,  so  wendet  man  den  Stiel  gegen  den  rechten  Schenkel 
und  schiebt  den  Mutterkranz  so  hoch  in  die  Scheide ,  als  es  nöthig  ist. 
Schliesslich  gibt  man  dem  Stiel  die  erforderliche  Richtung  nach  der  Füh- 
rungslinie des  Beckens  und  befestigt  ihn  dann  mittels  (am  besten  elasti- 
schen) Bändern  an  eine  Leibbinde.  —  Diese  Mutterkränze  halten  zwar 
den  Gebärmuttervorfall  sicher  zurück,  sie  beschweren  aber  die  Kranke 
sehr,  sowohl  durch  die  Bänder,  welche  sie  halten,  als  auch  beim  Sizen.  — 
2)  Die  ungestielten  Mutterkränze  sind  nicht  allein  die  gebräuch- 
lichsten ,  sondern  auch  die  zweckmässigsten  ;  sie  verursachen  weder  im 
Gehen ,  noch  im  Sizen  oder  Liegen  die  geringste  Unbequemlichkeit ;  sie 
erhalten  sich  dadurch  in  ihrer  Lage ,  dass  sie  sich  auf  die  Scheidenwände 
stüzen,  wobei  sie  eine  Vertiefung  in  der  Scheide  bilden  ;  man  hat  nur  dar- 
auf zu  sehen,  dass  sie  nicht  die  Harnblase  und  den  Mastdarm  zusammen- 
drücken. Sie  sind  von  der  verschiedensten  Form :  rund  ,  ring-,  ei-  oder 
schildförmig ,  walzen- ,  kegel- ,  brezelf örmig  etc.  Die  ursprünglichen 
runden,  kugelförmigen  Mutterkränze  verbesserte  Juville  da- 
durch, dass  er  sie  durchbohren,  in  die  obere  OefFnung  einen  Trichter  von 
Gold  oder  Glas ,  und  in  die  untere  ein  Band  zur  Herausnahme  des  Kran- 
zes anbringen  Hess.  S  m  e  1 1  i  e  und  Stark  bedienten  sich  ringförmiger, 
aus  festem  Holz  gedrehter  und  mit  Wachs  überzogener  Mutterkränze  ; 
Hunold  benüzte  Fischbein  zu  dem  Ringe,   füllte  diesen  mit  Menschen- 


MUTTERKRANZ.  659 

haaren  aus  und  umwickelte  ihn  mit  Baumwollengarn  ;  St  au  dt  Hess  sie 
aus  frischen ,  abgezogenen  Weidenruthen  flechten ,  mit  Baumwolle  um- 
wickeln und  mit  Wachs  überziehen.  Zweckmässiger  ist  der  von  Ber- 
nard verfertigte  elastische  Mutterkranz,  welcher  aus  einem  zirkeiförmi- 
gen Kanal  von  Leinwand  mit  elastischem  Harze  überzogen  besteht.  Um 
den  den  runden  Mutterkränzen  gemachten  Vorwurf,  die  Blase  und  den 
Mastdarm  zu  comprimiren  (welcher  sie  indessen  bei  richtiger  Auswahl 
nicht  trifft)  zu  beseitigen,  empfahl  man  ei-  oder  schildförmige, 
welche  L  e  v  r  e  t  aus  Kork  anfertigte  und  an  welchen  Zenker  den  obern 
scharfen  Rand  abrunden  Hess.  Man  lässt  diese  Mutterkränze  in  Wachs 
sieden  und  taucht  sie  dann  in  eine  Mischung  von  9  Theilen  Wachs  und 
1  Theil  gepulvertem  Gyps.  Pickel  stellte  solche  in  der  Gestalt  eines 
Salzfasses  ,  d.  h.  mit  zwei  Tellern ,  welche  mit  ihren  gewölbten  Flächen 
zusammenstossen,  von  Holz  her  und  lackirte  sie.  Brünninghausen 
gab  den  eiförmigen  Mutterkränzen  die  Form  einer  liegenden  <x>  und  Hess 
sie  hinten  und  vorn  ausschweifen ,  um  weder  Harnröhre  noch  Mastdarm 
zu  drücken.  Oslanders  eiförmiger  Mutterkranz  ist  aus  Holz  hohl  ge- 
dreht, hat  oben  und  unten  eine  Oeffnung  und  ist  lackirt.  Diese  Mutter- 
kränze kehren  sich  in  der  Scheide  nicht  selten  um  und  gleiten  dann  aus 
ihr  heraus.  Die  walzen-  und  keg elf  örmi  gen  Mutterkränze  sind 
hohle  Cylinder  nach  der  Weite  und  Tiefe  der  Scheide  gebildet,  von  Holz, 
Elfenbein,  elastischem  Harze,  Drahtspiralen,  oder  auch  von  weichen  Stof- 
fen ,  wie  Leinwand ,  Enden  von  Schweins-  oder  Kalbsdärmen  mit  adstrin- 
girendem  Pulver  von  Cortex  quercus,  ulmi,  Salicis,  granato- 
rum  etc.  gefüllt  und  mit  Aqua  calcis,  aluminis  oder  Spirit. 
camphoratus  befeuchtet ;  auch  bedient  man  sich  eines  konisch  zuge- 
schnittenen Stücks  Badeschwamm  mit  adstringirender  und  aromatischer 
Flüssigkeit  getränkt.  Man  wendet  diese  Art  von  Mutterkränzen  (Mutter- 
zapfen) häufig  bei  Scheiden  vorfallen  und  Brüchen  an,  erneuert  sie  täglich 
und  erhält  sie  mittels  einer  T-Binde  in  ihrer  Lage.  Eine  besondere  Er- 
wähnung verdient  der  walzenförmige  Mutterkranz  von  Schofield.  Er 
besteht  aus  einem  3  Zoll  langen  Säulchen  von  Porcellan ,  dessen  runder 
Obertheil  zur  Aufnahme  des  Muttermundes  napfförmig  ausgehöhlt  ist 
und  dessen  Untertheil  einen  abgerundeten  Querbalken  bildet ,  der  mit  2 
Löchern  versehen  ist ,  durch  welche  elastische  Riemen  gezogen  werden, 
die  an  einen  Gürtel  gehen.  Von  dieser  Vorrichtung  wird  gerühmt,  dass 
sie  neben  der  Reinlichkeit  und  der  sichern  Zurückhaltung  des  Uterus  der 
Vagina  erlaubte ,  sich  in  Folge  der  geringen  Dicke  des  Instruments  (J/2 
Zoll)  nach  und  nach  zusammenzuziehen.  Ueber  Nacht  wird  es  entfernt. 
Noch  ist  eines  ziemlich  complicirten  kegelförmigen  Mutterkranzes  von 
T  h.  S  i  m  s  o  n  zu  gedenken  ,  welcher  aus  zwei  auf  einem  Stiele  sizenden 
Halbkugeln  von  Kork  besteht,  welche  leztere  durch  eine  in  der  Mitte  des 
Stieles  befindliche  Stahlfeder  aus  einander  getrieben  werden.  Zwischen 
den  Halbkugeln  verlaufen  kreuzweise  Schnüre ,   auf  welchen  die  Gebär- 

42* 


660  MUTTERKRANZ. 

mutter  aufruht.  Mittels  Bändern  kann  der  Mutterkranz  geschlossen  wer- 
den. —  Bei  der  Application  der  ungestielten  Mutterkränze  verfährt  man 
folgendermassen  :  nach  den  oben  angegebenen  Vorbereitungen  bringt  man 
den  mit  Oel,  frischer  Butter  u.  dgl.  bestrichenen  Kranz  bei  von  einander 
entfernten  Schamlippen  mit  seinem  schmäleren  Theile  ein,  richtet  ihn  dann 
in  die  Quere  ,  so  dass  seine  beiden  Enden  (wenn  er  oval  oder  eiförmig 
ist)  sich  auf  die  innere  Seite  der  Sizbeine  stüzen ,  seine  concave  Fläche 
nach  oben  sieht,  wenn  er  aber  keine  Aushöhlung  hat,  eine  von  seinen  zwei 
Flächen  gegen  die  Gebärmutter ,  die  andere  gegen  die  Schamspalte  sich 
hinwendet.  Dann  lässt  man  die  Kranke  aufstehen  und  einige  Schritte 
gehen,  husten,  drückt  mit  der  Hand  auf  den  Bauch  und  untersucht  dann 
wieder,  ob  sich  das  Instrument  nicht  verrückt  hat.  Hat  es  seine  Lage  be- 
deutend verändert  und  geschieht  dies  immer  wieder  nach  neuen  Zurecht- 
stellungen, so  ist  der  gewählte  Mutterkranz  zu  klein  und  muss  mit  einem 
etwas  grösseren  vertauscht  werden.  Verursacht  er  fortwährend  Druck 
und  Schmerz ,   so  ist  er  zu  gross  und  man  muss  einen  kleineren  einlegen. 

—  In  den  ersten  Tagen  nach  der  Application  muss.  die  Kranke  alle  hef- 
tigen Bewegungen  und  Anstrengungen  vermeiden ,  besonders  solche ,  bei 
denen  die  Baucheingeweide  gegen  den  Beckeneingang  gepresst  werden. 
Was  für  ein  Mutterkranz  aber  auch  benüzt  wird,  immer  ist  die  grösste  Rein- 
lichkeit beim  Tragen  eines  solchen  zu  beobachten ,  um  die  Nachtheile, 
welche  durch  die  Gegenwart  dieses  fremden  Körpers  entstehen  könnten, 
zu  verhüten.  Die  Kranken  müssen  oft  Einsprizungen  machen  und  den 
Mutterkranz  wenigstens  alle  Monate  einmal  herausnehmen  und  ihn  rei- 
nigen. Die  Vernachlässigung  dieser  Vorsichtsmassregeln  hat  zuweilen 
zu  den  schlimmsten  Folgen  geführt,  indem  der  Mutterkranz  inkrustirt,  in 
andern  Fällen  von  Auswüchsen  eingeschlossen  gefunden  wurde ,  wodurch 
die  Entfernung  desselben  nur  durch  Zangen  möglich  wurde  ;  es  sind  so- 
gar Fälle  bekannt ,  dass  der  Ausziehung  eine  Zerstückelung  des  Kranzes 
vorhergehen  musste.  —  Bei  eingetretener  Schwangerschaft  entferne  man 
den  Kranz  und  bringe  ihn  erst  nach  Verlauf  des  Wochenbetts  wieder  ein. 

—  Schliesslich  müssen  noch  einige  Vorrichtungen  betrachtet  werden, 
welche  von  den  bisher  besprochenen  gänzlich  abweichen.  Kilian,  von 
der  Ansicht  ausgehend,  dass  nicht  die  Mutterbänder ,  sondern  der  Grund 
der  Mutterscheide  den  schwebenden  Uterus  am  kräftigsten  stüze  und  dass 
also  nur  in  dem  Masse  ein  Herabsinken  und  Vorfallen  desselben  entstehe, 
in  welchem  das  Laquear  vaginae  an  Fähigkeit  sich  einzustülpen  ge- 
winne ,  hält  die  Emporhebung  der  Scheide  für  das  beste  Mittel  zur  Zu- 
rückhaltung des  Uterus.  Zur  Erreichung  dieser  Absicht  gibt  er  eine  Vor- 
richtung an,  die  er  Scheidenstüze,  Scheidenträger,  Elytro- 
mochlion  (von  iXvxqov ,  Decke,  Mutterscheide,  und  /uu/Xoc,  Hebel) 
nennt.  Dieselbe  besteht  aus  einer ,  beiläufig  4  bis  5  Zoll  langen  Stahl- 
feder, die  an  den  beiden  abgerundeten  Enden  nach  einer  Seite  hin  breiter 
und  mit  elastischem  Gummi  überzogen  ist.     Diese  Feder  muss  eine  ziem- 


MUTTERKRANZ.  661 

liehe  Nachgiebigkeit  besizen  ,  doch  darf  sie  auch  nicht  zu  schwach  sein. 
Man  bedarf  je  nach  der  Individualität  des  Falles  Federn  von  verschiede- 
ner Stärke  and  Grösse.  Behufs  der  Application  fasst  man  das  Elytro- 
mochlion  in  der  Art,  dass  der  Daumen  der  fassenden  Hand  gegen  das  eine 
Ende  des  Instruments,  der  Zeige-  und  Mittelfinger  gegen  das  andere  hin- 
sieht, drückt  die  beiden  Köpfe  fest  an  einander,  wodurch  die  Feder  einen 
Bogen  bildet,  der  gegen  die  Hohlhand  hinsehen  muss ,  entfernt  dann  mit 
Zeige  -  und  Mittelfinger  der  freien  Hand  die  grossen  Schamlefzen  und 
schiebt  die  Vorrichtung  dergestalt  in  der  Richtung  des  Querdurchmessers 
des  Scheidenkanals  ein ,  dass  die  stark  convexen  Ränder  der  Köpfe  gegen 
die  Vorderwand  des  Beckens  gerichtet  sind.  Man  drängt  nun  den  Bogen 
der  Feder  sanft  empor  und  dirigirt  diese  so ,  dass  die  beiden  Köpfe  im 
Querdurchmesser  des  Beckens,  rechts  und  links  im  Scheidengewölbe  neben 
der  Vaginalportion  zu  liegen  kommen.  Wenn  die  Stärke  und  Grösse  der 
Feder  die  richtige  ist ,  so  liegt  sie  ohne  die  Kranke  im  Mindesten  zu  in- 
commodiren,  die  ohne  Weiteres  ihrem  Geschäfte  nachgehen  kann.  Man 
nimmt  sie  von  Zeit  zu  Zeit  heraus,  um  sie  mit  Seifenwasser  zu  reinigen. 
J.  R  e  i  d  hat  das  Elytromochlion  dahin  modificirt ,  dass  er  die  Feder  in 
zwei  Hälften  theilte  und  sie  unter  Vermittlung  von  Elfenbein  oder  Holz 
wieder  zu  einem  Ganzen  vereinigte.  Die  Enden  der  Feder  belegte  er  mit 
Kork  und  darüber  kam  ein  Ueberzug  von  Kautschuk.  Zwei  Faden ,  die 
über  kleine  Rollen  an  der  innern  Fläche  der  breiten  Enden  weg-  und 
durch  eine  OefFnung  im  verbindenden  Stücke  Elfenbein  herausgehen ,  er- 
laubt die  Enden  des  Instruments  einander  zu  nähern,  wodurch  seine  Ein- 
führung und  besonders  seine  4usziehung  sehr  erleichtert  wird.  —  Als 
eine  Modifikation  des  Elytromochlions  ist  auch  die  von  Z  w  a  n  c  k  ange- 
gebene Vorrichtung  anzusehen ,  welche  aus  zwei  halbmondförmigen  (mit 
Guttapercha  überzogenen)  Stücken  besteht,  die  an  dem  einen  Ende  durch 
ein  Charnier  mit  einander  verbunden  sind  und  von  denen  jedes  an  der 
convexen  Seite  einen  Stiel  besizt.  Das  zusammengelegte  und  eingeölte 
Instrument  wird  in  der  Rückenlage  der  Kranken  mit  der  Rundung  nach 
unten  und  hinten  und  der  coneaven  der  Stiele  nach  vorn  und  oben  zwi- 
schen die  Schamlippen  ein-  und  bis  zum  Charnier  fortgeschoben.  Dann 
fasst  man  mit  Daumen  und  Zeigefinger  die  Enden  der  beiden  Stiele  und 
schiebt  das  Instrument  ruckweise  nach  oben,  bis  die  Enden  beider  Stiele 
vereinigt  sind ,  womit  das  Instrument  geöffnet  ist ;  die  Stiele  werden 
schliesslich  durch  eine  Schraube  geschlossen  erhalten.  Will  man  das 
Instrument  entfernen,  so  öffnet  man  die  Schraube.  —  Nach  C.  Mayer 
sind  die  Mutterkränze  wegen  ihrer  Nachtheile  (bestehend  in  der  wider- 
natürlichen Ausdehnung  der  Scheide ,  der  Reizung  derselben  etc.)  ganz 
aus  der  Praxis  zu  verbannen  und  durch  eine  Stüzbandage  zu  ersezen, 
welche  diese  Nachtheile  nicht  hat.  Der  zu  diesem  Zwecke  angegebene 
Apparat,  welchen  Mayer  Gebärmutterträger,  Hysterophor 
{vexega ,   Gebärmutter,    und  epsoeo ,  ich  trage)  nennt,  besteht  aus  einem 


6Q2  NAGELKRANKHEITEN. 

12  — 13  Zoll  langen,  an  dem  einen  Ende  1  Zoll  breiten,  allmälig  schmä- 
ler werdenden  und  mit  einem  Knöpfchen  endigenden  Fischbeinstäbchen 
von  l/2  Linie  Dicke,  und  aus  einem  Schwämme  von  2 —  3  Zoll  Länge 
und  l!/2 — 2  Zoll  Durchmesser,  in  welchen  das  schmale  Ende  des  Fisch- 
beinstäbchens gesteckt  und  beide  gehörig  an  einander  befestigt  werden. 
Dieser  Schwamm  wird,  angefeuchtet,  mit  dem  Stäbchen  möglichst  tief  in 
die  Scheide  gebracht,  dann  das  Instrument  nach  vorn  gegen  den  Unter- 
leib in  die  Höhe  gebogen  und  durch  ein  um  den  Bauch  und  durch  Löcher 
in  dem  Stäbchen  laufendes  Band  fest  angebunden.  Darüber  wird  eine 
gewöhnliche  T-Binde  angelegt.  Die  schwache  Federkraft  des  so  ge- 
krümmten Instruments  reicht  gerade  hin,  um  den  Schwamm  so  stark  gegen 
das  Os  sacrum  zu  drücken,  dass  ein  Herausgleiten  desselben  unmöglich 
wird  und  die  Kranken  weder  durch  Pressen  noch  durch  irgend  eine  Be- 
wegung, durch  Gehen,  Steigen,  Hinsezen  etc.  denselben  herauszudrücken 
vermögen,  auf  der  andern  Seite  ist  der  Druck  so  gering,  dass  er  durchaus 
nicht  belästigt.  —  Giehrl  glaubt  die  vorfallende  Gebärmutter  am  besten 
durch  einen  Druck  auf  den  Damm  zurückzuhalten  und  wendet  zu  diesem 
Behufe  eine  bruchbandähnliche  Bandage  an ,  welche  aus  einem  Becken- 
riemen und  aus  einem  mit  einer  Pelotte  versehenen  Dammstück  besteht, 
von  welchem  lezteren  4  Riemen  ausgehen,  welche  mit  dem  Beckenriemen 
in  Verbindung  gesezt  werden.  —  K  i  w  i  s  c  h  gebraucht  ein  birnf  örmiges 
hölzernes  Pessarium  ,  das  auf  einem  nach  der  Führungslinie  des  Beckens 
in  die  Höhe  steigenden  Bügel  sizt,  der  seiner  Seits  wieder  mit  einem  Gür- 
tel in  Verbindung  steht.  Aehnlich  beschaffen  ist  das  von  Roser  erfun- 
dene und  von  Scanzoni  modificirte  Bruchband  für  vordere  Scheiden- 
und  Gebärmuttervorfälle. 


m 

NaeVUS,  t  Gefässgeschwulst. 

NagelkranMieiten.  Es  wird  hier  nur  von  denjenigen  Krank- 
heiten die  Rede  sein,  welche  durch  ein  Kranksein  des  Nagels,  durch  eine 
veränderte  Form  und  Richtung  desselben  bedingt  wird ,  oder  an  welcher 
auch  nur  der  Nagel  von  vorn  herein  Antheil  nimmt.  Es  wird  deshalb 
hier  von  der  Fingerentzündung,  dem  Fingerwurm ,  bei  welcher  der  Nagel 
nur  secundär  in  Mitleidenschaft  gezogen  wird ,  nicht  die  Rede  sein ,  son- 
dern dieser  Krankheitsform  ein  besonderer  Artikel  (s.  Panaritium) 
gewidmet  werden.  —  Ein  nicht  selten  vorkommendes  Uebel  ist  eine  Ent- 
zündung und  Verschwärung  in  der  nächsten  Umgebung  des  Nagels,  welche 
man  mit  dem  Namen  Onychia  (von  opv'S,  der  Nagel)  belegt  hat.  Man 
unterscheidet  3  Arten  derselben :   1)  Onychia  benig  na,   einfache 


NAGELKRANKHEITEN.  663 

Entzündung  der  Nagelmatrix,  Umlauf.  Sie  ist  gewöhnlich 
die  Folge  eines  schnellen  Temperaturwechsels,  welche  das  Nagelglied  be- 
trifft, einer  Quetschung  oder  einer  sonstigen  Verlezung  desselben.  Die 
Entzündung  an  der  Seite  oder  Wurzel  des  Nagels  ist  ganz  oberflächlich, 
geht  fast  immer  in  Eiterung  über ,  wobei  der  Eiter  die  Oberhaut  blasen- 
artig erhebt  oder  sich  auch  unter  dem  Nagel  ansammelt ,  der  meist  ver- 
loren geht,  sich  aber  auch  sehr  bald  wieder  erzeugt.  —  Die  Behand- 
lung ist  einfach.  Kommt  man  zeitig  genug  hinzu ,  so  zertheilt  man  die 
Entzündung  durch  kalte  oder  Bleiwasserumschläge ;  ist  aber  bereits  Eiter 
entstanden,  so  verschafft  man  diesem  durch  einen  Einstich  Abfluss  und 
verbindet  mit  einem  milden  Pflaster.  —  2)  Onychia  maligna.  Die- 
ses Uebel  hat  seinen  Siz  gleichfalls  in  der  Matrix  des  Nagels  und  beginnt 
mit  einer  dunkelrothen  Geschwulst  an  der  Wurzel  des  leztern ;  bald 
kommt  es  zum  Aussickern  einer  serösen  Flüssigkeit  zwischen  dem  Nagel 
und  den  Weichtheilen ;  die  leztern  fangen  an  zu  schwären  und  einen  jau- 
chigen und  übelriechenden  Eiter  abzusondern.  Das  Wachsthum  des 
Nagels  hört  auf,  dieser  verliert  seine  natürliche  Farbe;  er  ist  zuweilen 
theilweise  von  schwammigem  Fleische  bedeckt,  andere  Male  löst  er  sich 
los.  In  diesem  Zustande  kann  die  Krankheit  mehrere  Jahre  fortdauern 
und  die  Zehe  oder  der  Finger  in  eine  unförmliche  rundliche  Masse  ver- 
wandelt werden.  Der  Schmerz  ist  zuweilen  sehr  heftig,  gewöhnlich  aber 
ist  die  Krankheit  ohne  besondere  Schmerzen.  Sie  kann  mehrere  Zehen 
oder  Finger  zugleich  befallen ;  am  häufigsten  beobachtet  man  sie  am 
Daumen  und  der  grossen  Zehe.  —  Die  Ursachen  sind  entweder  ört- 
liche, mechanische  oder  chemische  Einwirkungen,  oder  allgemeine  herpe- 
tische ,  besonders  aber  syphilitische  und  scrophulöse  Dyscrasie.  Die 
Krankheit  kommt  häufiger  bei  jungen  Leuten  als  bei  Erwachsenen  vor. 
—  Bei  der  Behandlung  müssen  die  zu  Grunde  liegenden  Ursachen 
berücksichtigt  und  äusserlich  nach  dem  Grade  der  Reizung  Blutegel ,  er- 
weichende, schmerzstillende  Cataplasmen,  Einreibungen,  Bäder  etc.  ange- 
wendet werden.  In  der  Regel  führt  keine  Behandlung  zum  Ziele ,  so 
lange  der  Nagel  da  ist.  Nach  Dupuytren  und  A.  C  o  o  p  e  r  soll  der 
Nagel  mit  der  Matrix  abgetragen  und  die  dadurch  gesezte  Wunde  einfach 
behandelt  werden.  Die  Fleischwärzchen  werden  von  Zeit  zu  Zeit  mit 
Höllenstein  betupft.  Einfacher  ist  das  Ausreissen  des  Nagels  ,  was  mit 
einer  möglichst  tief  unter  denselben  geschobenen  Polypenzange  und  unter 
Drehen  dieser  nach  oben  geschieht.  Nach  dem  Ausreissen  wendet  man 
Cataplasmen  und  Chamillenbäder  an.  Ist  die  Eiterung  schlecht,  so  macht 
man  Umschläge  von  Aqua  phagedaenica  und  betupft  öfters  mit 
Höllenstein.  Auch  die  Cauterisation  der  Matrix  des  Nagels  ist  vorge- 
schlagen worden;  South  bediente  sich  hierzu  des  Acidumnitri- 
c  u  m  ;  der  Nagel  soll  sich  in  Folge  hiervon  in  wenigen  Tagen  aus  seinen 
Verbindungen  lösen.  —  3)  Onychocryphosis  (von  oi>v'£  und  xqvtftw, 
ich  verberge),  Incarnatio  unguis,  das  Einwachsen  desNag  eis 


664  NAHT. 

in  das  Fleisch.  Dieses  höchst  schmerzhafte  Leiden  kommt  am  häu- 
figsten an  der  grossen  Zehe ,  und  zwar  an  der  der  zweiten  Zehe  zuge- 
wandten Seite  vor.  Es  entsteht  meistens  durch  zu  enge  Fussbekleidung, 
besonders  wenn  die  Nägel  zu  kurz  abgeschnitten  werden.  —  In  Folge 
des  Eindrückens  des  Nagelrandes  in  die  Weichtheile  entsteht  Entzündung, 
es  kommt  zur  Absonderung  einer  serösen  Flüssigkeit ,  später  von  Eiter, 
und  es  schiessen  schwammige  Excrescenzen  auf,  welche  sich  über  den 
Nagel  weglegen.  Wird  die  Entzündung  durch  das  Fortbestehen  der  Ur- 
sachen unterhalten,  so  kann  sie  sich  bis  auf  den  Knochen  ausdehnen.  — 
In  den  leichteren  Graden  kann  man  nach  genommenem  Fussbade  den 
Nagelrand  mit  der  Sonde  etwas  erheben  und  mit  Aqua  Goulardi  be- 
feuchtete zarte  Charpie  unterlegen ,  was  man  täglich  wiederholt.  Kann 
man  mit  der  Sonde  den  Nagelrand  nicht  umgehen,  so  durchschneidet  man 
die  darüber  liegenden  Theile  und  füllt  den  Spalt  mit  der  wie  oben  be- 
feuchteten Charpie  aus  ,  wobei  man  zugleich  den  Nagelrand  zu  isoliren 
sucht.  Ebenso  empfiehlt  man  das  Einlegen  eines  Bleiblättchens  ,  nach- 
dem man  vorher  bestehende  Excrescenzen  mit  dem  Höllenstein  oder  dem 
Messer  beseitigt  hat.  N  e  u  m  a  n  n  lobt  das  Einstreuen  von  Kohlenpulver 
mit  etwas  essigsaurem  Blei  oder  Zinkblumen  versezt.  B  i  e  s  s  y  und 
Küster  schaben  nach  genommenem  Fussbade  den  Nagel  in  der  Mitte 
von  der  Wurzel  bis  zu  seinem  freien  Ende  so  weit  durch ,  bis  die  Unter- 
lage roth  erscheint ,  womit  schon  nach  dem  Leztern  der  Schmerz  bald 
aufhört;  Biessy  betupft  die  geschabte  Partie  öfter  stark  mit  Höllen- 
stein, bis  sich  der  Nagel  zusammen-  und  aus  dem  Fleische  zurückgezogen 
hat ,  worauf  er  Charpie  unter  dessen  Ränder  bringt.  Kommt  man  mit 
diesen  Verfahrungsarten  nicht  zum  Ziele  ,  so  ist  die  völlige  Entfernung 
des  Nagels  angezeigt ,  was  nach  Dupuytren  auf  folgende  Weise  ge- 
schieht :  der  Wundarzt  stösst  eine  gerade  scharfe  Scheere  rasch  vom  vor- 
dem Rande  nach  der  Mitte  der  Basis  des  Nagels  ein  und  trennt  diesen 
von  vorn  nach  hinten  bis  auf  ungefähr  drei  Linien  hinter  sein  hinteres 
Ende  in  zwei  Hälften.  Die  leidende  Hälfte  wird  dann  mit  einer  Pincette 
oder  Zange  gefasst,  umgelegt  und  ausgezogen.  Dasselbe  geschieht,  wenn 
es  nöthig  ist ,  mit  der  andern  Hälfte.  Bedeutende  schwammige  Wuche- 
rungen werden  mit  dem  Aezmittel  zerstört ,  worauf  die  Geschwürsfläche 
sich  sezt  und  bald  vernarbt.  Long  trennt  mittels  eines  Spatels  langsam 
die  Haut ,  welche  die  Wurzel  des  Nagels  bedeckt ;  ist  er  bis  an  den  hin- 
tern Rand  desselben  gekommen ,  so  dreht  er  rasch  den  Spatel  um  seine 
Achse  und  dringt  so  unter  den  Nagel ,  der  noch  an  seinen  Seitenrändern 
und  in  der  Mitte  adhärirt,  drückt  den  Spatel  zwischen  dem  Nagel  und  den 
Geweben  fort  und  bewirkt  so  ohne  Schwierigkeit  die  völlige  Lösung  des 
erstem. 

rt  ant,   S  u  t  u  r  a.       Man  versteht  hierunter   die  mechanische  Ver- 
einigung getrennter  Weichtheile,  behufs  der  Herstellung  ihrer  organischen 


NAHT.  665 

Continuität  auf  dem  Wege  der  schnellen  Vereinigung.  Je  nachdem  diese 
Vereinigung  durch  Anlegung  einer  wirklichen  Naht  mittels  Nadel  und 
Faden  oder  nur  dadurch  bewirkt  wird ,  dass  man  die  getrennten  Theile 
durch  Klebemittel  und  passende  Verbandstücke  mit  einander  in  Berührung 
bringt  und  darin  erhält,  unterscheidet  man  eine  blutige  oder  ächte, 
und  eine  unblutige,  trockene  oder  un  ächte  Naht  (S  ut.  er  u- 
enta  s.  vera  und  S  u  t.  sicca  s.  s  p  u  r  i  a).  Hier  wird  nur  von  der 
erstem  als  einer  Naht  im  eigentlichen  Sinne  des  Worts  die  Rede  sein, 
während  die  leztere  in  den  Artikeln  zusammenklebende  Mittel 
und  Wunde  ihre  Erledigung  findet.  —  Die  blutige  Naht,  Sutura 
cruenta,  ist  angezeigt:  1)  wenn  die  Noth wendigkeit  vorliegt,  sofort 
eine  schnelle  und  genaue  Vereinigung  zu  erzielen ,  also  bei  allen  plasti- 
schen Operationen,  bei  penetrirenden  Brustwunden  etc.  ;  2)  wo  unter  der 
Haut  ein  Hautmuskel  liegt,  dessen  Bewegungen  nur  durch  eine  Naht  hin- 
reichend entgegengewirkt  werden  kann ,  besonders  also  bei  Gesichts-  und 
Halswunden  ;  3)  wenn  fortdauernde  Bewegungen  des  Theils  unvermeid- 
lich sind ,  z.  B.  am  Bauch  ;  4)  wenn  Ausfluss  von  Secreten ,  oder  Haar- 
wuchs oder  Unebenheiten  das  Anlegen  der  Heftpflaster  oder  die  Anwen- 
dung anderer  Klebemittel  hindern,  z.  B.  an  den  Genitalien,  am  Ohr,  an 
den  Augenlidern  etc.;  5)  bei  Querwunden  der  Muskeln,  welche  stets  ein 
bedeutendes  Klaffen  der  Wunde  zur  Folge  haben ;  6)  bei  bedeutenden 
Lappenwunden  und  solchen,  bei  welchen  Körpertheile  ganz  oder  zum  Theil 
vom  Körper  getrennt  sind,  wie  Finger  etc.  —  Die  gebräuchlichsten  Nähte 
sind  die  Knopfnaht  und  die^u  mschlungene  Naht.  Die  Zapfen- 
naht kommt  selten  mehr  in  Anwendung,  und  die  Kürschnernaht,  die  Naht 
mit  durchzogenen  Stichen  und  die  Schlingennaht  kommen  nur  bei  be- 
stimmten Fällen,  namentlich  bei  Wunden  des  Darms  in  Gebrauch  (siehe 
unten).  —  1 )  Die  Knopf-  oder  unterbrochene  Naht,  Sutura 
nodosa  s.  interscissa,  ist  die  am  allgemeinsten  anwendbare.  Man 
nimmt  dazu  die  gewöhnliche  gekrümmte  Wundnadel ,  fasst  sie  so  in  die 
rechte  Hand ,  dass  der  Daumen  an  der  coneaven ,  Zeige-  und  Ringfinger 
an  der  convexen  Seite  liegen ,  ergreift  mit  den  zwei  ersten  Fingern  der 
linken  Hand  die  eine  Wundlefze,  sticht  die  Nadel  3  bis  6  Linien  vom 
Rande  entfernt  ein,  schiebt  sie  durch  die  Wunde  hindurch  und  in  gleicher 
Entfernung  vom  Rande  durch  die  andere  Wundlefze  aus,  wobei  man  diese 
wie  die  erste  mit  Daumen  und  Zeigefinger  fassen  oder  aber  nur  durch 
einen  Druck  auf  sie  fixiren  kann.  Gewöhnlich  fädelt  man  so  viele  Nadeln 
ein,  als  man  Nähte  anlegen  will ;  man  kann  aber  auch  mit  einer  einzigen 
Nadel,  die  einen  langen  Faden  enthält,  alle  Nähte  nach  einander  anlegen, 
indem  man  zwischen  den  einzelnen  Ein-  und  Ausstichpunkten  immer  ein 
Stück  Faden  schiin genförmig  liegen  lässt  und  die  Schlingen  dann  durch- 
schneidet. Ist  die  nöthige  Anzahl  (seidener  oder  leinener  gewichster) 
Fäden  auf  die  eine  oder  die  andere  Weise  eingelegt ,  so  zieht  man  sie, 
während  die  sorgfältig  gereinigten  Wundränder  dicht  aneinander  gedrängt 


ßftß  NAHT. 

werden,  massig  fest  an  und  knüpft  sie  gleich  darauf  in  der  Art  zusammen, 
dass  der  Knoten  zur  Seite  der  Wunde  zu  liegen  kommt.  —  Bei  sehr  tie- 
fen Wunden,  wo  man  beide  Wundlefzen  nicht  gleichzeitig  durchstechen 
kann ,  hat  man  empfohlen ,  einen  Faden  mit  zwei  Nadeln  anzuwenden. 
Jede  Nadel  wird  vom  Grunde  der  Wunde  nach  aussen  gestochen.  — 
Man  legt  die  einzelnen  Nähte  in  Entfernungen  von  \.L  bis  1  Zoll  an,  je 
nach  der  Starke  des  Wundklaffens.  Gewöhnlich  ist  es  am  zweckmässig- 
sten,  die  erste  Naht  in  der  Mitte  der  Wunde ,  oder  aber  da ,  wo  die  Ver- 
einigung am  schwierigsten  zu  erreichen  ist ,  oder  am  genauesten  erreicht 
werden  soll ,  anzulegen.  —  In  die  Zwischenräume  der  Nähte  legt  man 
nach  Bedürfniss  Heftpflaster  an.  —  In  engen  Räumen,  wie  im  Munde,  in 
der  Mutterscheide  etc.  führt  man  die  Nadel  mit  einem  Nadelhalter  oder 
einer  Kornzange  ein.  —  Man  bedeckt  die  Wunde ,  wo  es  angeht,  leicht 
mit  Charpie,  einer  Compresse  und  Binde.  Der  Kranke  verhalte  sich  ru- 
hig ,  in  passender  Lage  und  beobachte  ein  antiphlogistisches  Regimen. 
Tritt  Verwachsung  ein,  so  entfernt  man  am  3.,  4.  Tage  einzelne  oder 
alle  Hefte,  indem  man  die  Fäden  an  der  dem  Knoten  gegenüber  liegen- 
den Seite  mit  einer  spizigen  Scheere  durchschneidet  und  das  Stück,  woran 
der  Knoten  sich  befindet ,  mit  der  Pincette  vorsichtig  auszieht.  —  Tritt 
eine  heftige  Entzündung  ein,  so  macht  man  Umschläge  von Tßleiwasser,  und 
wenn  die  Fäden  auszureissen  drohen ,  so  müssen  sie  entfernt  und  durch 
Heftpflaster  ersezt  werden.  —  2)  Die  umschlungene  oder  u  m  w  u  n  - 
deneNaht,  Sut.  circumvolutas.  intorta,  besteht  darin,  dass  man 
die  Wundlefzen  mit  einer  oder  mehreren  geraden  Nadeln  durchsticht,  diese 
liegen  lässt  und  so  mit  Faden  umwickelt ,  dass  die  Wundränder  in  ge- 
naueste Berührung  gebracht  und  darin  erhalten  werden.  Man  bedient 
sich  dazu  gewöhnlich  der  sogenannten  Karlsbader  Insectennadeln.  Man 
nimmt  die  Nadel  zwischen  Daumen  und  Mittelfinger,  sezt  den  Zeigefinger 
auf  den  Kopf  und  sticht  sie ,  während  die  Wundlefze  mit  den  Fingern 
oder  einer  feinen  Hakenpincette  erhoben  wird ,  gegen  den  Grund  der 
Wunde  ein  ,  möglichst  weit  durch  die  erste  Wundlefze  hindurch  und  in 
entgegengesezter  Richtung  durch  die  zweite  Wundlefze  nach  aussen,  wo- 
bei man  ihr  diese  mittels  des  Zeigefingers  und  Daumens  der  linken  Hand 
oder  einer  halbgeöffneten  Pincette  entgegendrückt.  Man  zieht  hierauf 
die  Nadel  mit  der  Hand  oder  mittels  einer  Pincette  so  weit  nach ,  dass 
ihre  Mitte  in  die  Wundspalte  kommt,  und  umschlingt  sie  dann  mit  einem 
Faden,  am  besten  in  der  Art,  dass  man  diesen  mit  seiner  Mitte  quer  über 
die  Wunde  legt ,  die  Fadenenden  seitlich  zwischen  den  Nadelenden  und 
der  Haut  nach  unten  führt,  auf  der  Wundspalte  kreuzt  und  in  dem  Masse 
anzieht,  dass  die  Wunde  auf  das  Genaueste  geschlossen  ist,  dann  dieselbe 
Tour  wieder  zurück  macht ,  die  Fadenenden  noch  einmal  kreuzt  und  die 
Nadel  mit  einigen  Achtergängen  umgeht,  worauf  man  mit  zwei  einfachen 
Knoten  schliesst.  Zulezt  wird  die  Nadel  auf  beiden  Seiten  eine  Linie 
von   den  Umschlingungen  entfernt   abgekneipt,   die  freien  Enden  werden 


NAHT.  667 

etwas  aufgebogen  und  die  Fadenenden  kurz  über  dem  Knoten  abgeschnit- 
ten. Sind  mehrere  Nadeln  nothwendig,  so  führt  man  sie  in  Zwischen- 
räumen von  3  —  6  Linien  ein,  in  welche  man  nach  Bedürfniss  Heftpflaster 
einlegt  oder  Collodium  aufstreicht.  Am  besten  wird  jede  Nadel  mit  einem 
besondern  Faden  umschlungen.  Ueber  das  Ganze  legt  man  einen  leicht 
deckenden  Verband.  —  Die  Nadeln  entfernt  man  am  3.,  4.  oder  5.  Tage, 
indem  man  sie  bei  zusammengehaltenen  Wundrändern  mit  einer  Pincette 
rotirend  auszieht.  Die  weggenommenen  Nadeln  ersezt  man  durch  Heft- 
pflaster oder  Collodium ;  dasselbe  thut  man ,  wenn  eine  Nadel  ausreisst. 
Die  aufgetrockneten  Fadenschlingen  lässt  man  noch  einige  Tage  liegen. 
—  3)  Die  Zapfennaht,  Sutura  clavatas.  pinnata,  wird  auf 
folgende  Weise  angelegt :  ein  Doppelfaden ,  welcher  am  Ende  eine 
Schlinge  bildet ,  wird  mittels  einer  Nadel ,  wie  bei  der  Knopfnaht,  durch 
die  Wundlefzen  geführt  ;  auf  dieselbe  Weise  werden  sodann  die  übrigen 
Hefte  angelegt  und  zwar  immer  so  ,  dass  sämmtliche  Schlingen  auf  die 
eine  Seite  der  Wundspalte  zu  liegen  kommen.  Durch  diese  Schlingen 
steckt  man  einen  kleinen  Cylinder,  der  aus  gerolltem  Heftpflaster,  einer 
Federpose  u.  dgl.  bestehen  kann ,  zieht  nun  die  freien  Fäden  an  und 
drückt  dadurch  den  Cylinder  fest  gegen  den  einen  Wundrand  ;  hierauf 
legt  man  einen  zweiten  Cylinder  zwischen  die  freien  Fadenenden  und 
knüpft  diese  über  ihm  so  zusammen  ,  dass  die  Wundränder  mit  einander 
in  Berührung  kommen.  Diese  Naht  hat  nichts  vor  den  eben  beschriebe- 
nen voraus.  —  In  der  neuesten  Zeit  wendet  Bertherand  eine  ge- 
mischte Naht  an,  welche  weniger  schmerzhaft  sein,  die  Wundränder  mehr 
in  Berührung  halten  und  bei  längerem  Liegenbleiben  weniger  reizend  sein 
soll ,  als  die  bisher  üblichen  Nähte.  Er  benüzt  dazu  prismatische ,  sehr 
schmale  Stahlnadeln  mit  geringer  Krümmung,  die  ziemlich  nahe  an  ihrer 
feinen  Spize  ein  Oehr  haben  ,  welches  in  eine  Rinne  zur  Lagerung  des 
Fadens  ausläuft ;  am  stumpfen  Ende  befindet  sich  ein  Metallscheibchen, 
auf  das  sich  der  Daumen  bei  dem  Einstechen  stüzt.  Statt  der  Seiden- 
oder Hanffäden  bedient  sich  der  Erfinder  hinreichend  langer  Pferdehaare, 
einfach  oder  mehrfach,  die  den  Vortheil  haben,  dass  sie  nicht  sehr  stark 
sind  und  von  den  Wundsecreten  nicht  angegriffen  werden.  Bei  dem 
Gebrauche  wird  die  Nadel  durch  das  Fleisch  gestochen  und  sobald  die 
Spize  mit  dem  Oehr  sichtbar  wird,  macht  man  den  Faden  los  und  zieht 
die  Nadel  zurück,  so  dass  nur  der  Faden  in  dem  Stichkanale  zurückbleibt, 
hierauf  wird  die  Nadel  in  die  Dicke  des  andern  Wundrandes  eingestochen, 
aber  ohne  Faden;  sobald  das  Oehr  zwischen  den  beiden  Wundrändern  er- 
scheint ,  wird  das  in  der  Wunde  gelassene  Fadenende  durchgesteckt  und 
mit  der  Nadel  an  die  Oberfläche  der  Bedeckungen  zurückgezogen.  Bei 
diesem  Verfahren  macht  die  leicht  und  gleichmässig  eindringende  Nadel 
nur  einen  einfachen  Stich  in  die  Weichtheile  und  kann  auch  in  tiefere 
Partien  rasch  und  ohne  Mühe  eingeführt  werden.  Auch  eine  Art  Zapfen- 
naht verbindet   Bertherand   mit  der  eben  beschriebenen  Sutur,      Die 


668  NAHT.   DARMNAHT. 

Die  gemischte  Naht  passt  nur  für  besondere  Fälle  (grosse  Wunde  mit 
voluminösen  Lappen)  ,  am  besten  für  lineare  und  ziemlich  regelmässige 
Verlezungen.  —  Vi  dal  schlägt  statt  der  Naht  besondere  Klämmerchen 
(Serres  fines)  vor,  die  aus  gehärtetem  Draht,  Silber  oder  Neusilber,  nach 
Art  der  gekreuzten  Pincetten  construirt  sind  und  in  grösseren  Zwischen- 
räumen als  Knopfnähte  so  applicirt  werden,  dass  sie  nahe  am  Wundrande 
auf  jeder  Seite  gleichmässig  viel  von  den  Weichtheilen  erfassen  und  zu- 
sammendrücken. Die  Haken  dringen  nicht  in  die  Haut  ein ,  und  weil 
dadurch  die  Haut  weniger  gereizt  wird,  so  soll  diese  viel  schneller  heilen. 
Die  Serres  fines  eignen  sich  blos  zur  Vereinigung  seichter,  linearer,  nicht 
vielschichtiger  Wunden. 

Darmnaht,  Enterorhaphia.  Man  versteht  darunter  die  An- 
wendung der  blutigen  Naht  zur  Vereinigung  einer  Darmwunde.  Um 
eine  solche  Vereinigung  zu  erzielen,  genügt  es  aber  nicht,  die  Wundrän- 
der ,  wie  bei  äussern  Wunden  durch  die  angelegten  Nähte  einfach  mit 
einander  in  Berührung  zu  bringen  ;  sie  sind  zu  dünn ,  um  hinreichende 
Berührungsflächen  darzubieten.  Ebenso  wenig  darf  man  die  seröse  Haut 
des  Darms  mit  der  Schleimhaut  oder  gar  zwei  Schleimhautflächen  mit 
einander  zu  vereinigen  suchen  ,  da  im  erstem  Falle  nur  ausnahmsweise 
und  im  zweiten  niemals  Verwachsung  zu  erwarten  ist.  Vielmehr  müssen 
stets  die  serösen  Flächen,  welche  sich  durch  eine  grosse  Neigung  zur  Ver- 
wachsung und  zur  Bildung  eines  haltbaren  plastischen  Exsudats  aus- 
zeichnen, mit  einander  in  Berührung  gebracht  werden.  I.  Verfahren 
bei  theilweiser  Trennung  (Längen-  und  Qu  er  wunden) 
des  Darms.  1)  Die  Naht  der  Wundränder  mit  einander 
zugewandten  Schleimhautflächen.  a)  Die  ununterbro- 
chene Kürschnernaht,  Sutura  pellionum.  Man  übernäht 
die  zusammengehaltenen  Wundränder  von  einem  Wund winkel  zum  andern 
mit  dicht  auf  einander  folgenden  Spiraltouren  mittels  eines  seidenen  Fa- 
dens und  einer  feinen  Nähnadel,  die  ungefähr  eine  Linie  von  den  Wund- 
rändern entfernt  immer  von  der  gleichen  Seite  aus  durchgestochen  wird 
(nach  Art  der  Ueberwendlingsnaht).  An  beiden  Wund  winkeln  lässt  man 
ein  Fadenende,  welches  nach  Reposition  des  Darms  ausserhalb  der  Bauch- 
wunde zu  liegen  kommt.  —  b)  Die  Naht  mit  durchgezogenen 
Stichen,  Sutura  transgressiva.  Der  Faden  wird  nach  dem 
ersten  Durchstiche  nicht  über  die  Wundränder,  sondern  indem  man  die 
Nadel  abwechselnd  in  entgegengesezter  Richtung  durch  die  Wundränder 
sticht,  in  einer  Linie  unter  denselben  hingeführt.  —  c)  Die  Schlingen- 
naht, Sutura  ansät a.  Man  nimmt  so  viele  mit  einem  Faden  ver- 
sehene Nadeln,  als  man  Stiche  machen  will,  führt  jede  Nadel  2  —  3  Linien 
von  einander  entfernt  quer  durch  die  Wundränder,  zieht  die  Nadeln  aus, 
knüpft  jederseits  die  Fäden  an  einen  Knoten  und  dreht  die  Fäden  beider 
Seiten  in  einen  Strang  zusammen  ,  den  man  ausserhalb  der  Bauchwunde 
befestigt.  —  d)  Die  Naht  der  vier  Meister  (Roger,  Jamerius, 


NAHT.    —    DARMNAHT.  669 

Saliceto  und  Theodorich)  besteht  darin,  dass  man  die  Wunde  über 
einem  in  den  Darm  geschobenen  Stücke  Luftröhre  eines  Thiers  heftet. 
Die  vorstehend  aufgeführten  Nähte  bringen ,  wie  schon  oben  bemerkt, 
keine  unmittelbare  Verwachsung  hervor ,  sie  mussten  aber  genannt  wer- 
den ,  einmal  weil  die  eine  oder  die  andere  derselben  als  temporäre  Naht 
dienen  kann,  bis  eine  anderweitig  nicht  zu  vereinigende  verwundete  Darm- 
schlinge mit  der  Bauchwand  verwachsen  ist,  zum  andern,  weil  einige  die- 
ser Nähte  auch  bei  den  nachfolgenden  Verfahren  benüzt  wurden.  - — 
2)  Die  Naht  der  Wundränder  mit  einander  zugewandten 
serösen  Flächen.  a)  Verfahren  von  Lembert.  Die  Nadel 
wird  2i/2  Linien  von  einem  Wundrand  entfernt  eingestochen,  unter  der 
serösen  und  Muskelhaut  gegen  Wundrand  hin  fortgeführt  und  l1/2  Li- 
nien von  diesem  entfernt  wieder  ausgestochen ,  alsdann  an  der  andern 
Wundlefze  gerade  gegenüber  ll/2  Linien  vom  Wundrande  entfernt  die 
gleiche  Nadel  wieder  eingestochen ,  unter  der  serösen  und  Muskelhaut 
fortgeführt  und  2l/2  Linien  vom  Wundrand  entfernt  ausgestochen.  In 
Entfernungen  von  3 — 4  Linien  werden  nach  Erforderniss  mehrere  solcher 
Fäden  eingelegt.  Vor  dem  Schliessen  der  Ligaturen  werden  die  Wund- 
ränder nach  innen  gerichtet,  die  Fäden  über  der  Sonde  in  einen  einfachen 
Knoten  geknüpft,  die  Sonde  weggezogen,  der  Knoten  verdoppelt  und  die 
Fäden  dicht  an  diesem  abgeschnitten.  —  Jobert  schlägt  zuerst  die 
Wundränder  um  und  führt  dann  den  Faden  quer  und  in  kurzen  Zwischen- 
räumen durch  dieselben ,  wobei  sämmtliche  Darmhäute  gefasst  werden. 
Des  Weitern  kann  man  wie  bei  der  Schlingennaht  (s.  oben)  die  Fäden 
zusammennehmen  und  nach  aussen  leiten  oder  man  macht  die  Knopfnaht 
und  schneidet  die  Fäden  an  den  Knoten  ab  oder  leitet  sie  gleichfalls  nach 
aussen ;  man  kann  sie  im  leztern  Fall  am  fünften  Tage  ohne  Gefahr  aus- 
ziehen ;  am  Knoten  abgeschnitten  fallen  sie  später  in  das  Darmrohr.  — 
Dupuytren,  Dieffenbach  u.  A.  wenden  bei  dem  Jobert'schen 
Verfahren  die  Kürschnernaht  an,  knoten  aber  am  Anfang  und  Ende  des 
Fadens.  —  b)  Verfahren  von  Nuncianti.  Eine  spiralförmig 
fortlaufende  Naht  mit  einem  Faden  (Kürschnernaht)  wird  in  der  Weise 
angelegt,  wie  dies  Jobert  für  die  einzelnen  Stiche  vorschreibt.  Wird 
nun  an  den  beiden  Enden  des  Fadens ,  welche  am  obern  und  untern 
WTundwinkel  frei  bleiben,  gezogen ,  so  klappen  sich  die  Wundränder  von 
selbst  nach  innen  um.  Die  Fadenenden  werden  nach  aussen  geführt. 
— =  c)  Verfahren  von  Gely,  Steppnaht.  Man  nimmt  einen  an 
beiden  Enden  mit  einer  gewöhnlichen  Nadel  versehenen  Faden ,  sticht 
eine  Nadel  neben  einem  der  Wundwinkel  4 — 5  Millim.  von  ihm  entfernt 
in  den  Darm,  führt  sie  parallel  mit  dem  Wundrande  4  —  5  Millim.  weiter 
und  sticht  dann  wieder  aus.  Ebenso  verfährt  man  mit  der  zweiten  Nadel 
am  gegenüberliegenden  Wundrande.  Dann  werden  die  Fäden  gekreuzt, 
so  dass  also  auch  die  Nadeln  je  nach  der  entgegengesezten  Seite  kommen, 
und  mit  beiden  derselbe  Stich  wiederholt ,   wobei  die  rechte  Nadel  genau 


670  NAHT.    —   DARMNAHT. 

in  dieselbe  Oeffnung  eingesezt  wird,  aus  welcher  die  linke  soeben  heraus- 
gezogen wurde.  Diese  Stiche  werden  so  oft  wiederholt,  als  es  die  Lange 
der  Wunde  erfordert.  Hierauf  werden  vor  der  Knotung  der  Fadenenden 
die  einzelnen  Hefte  mittels  einer  Pincette  hinreichend  angezogen  und  zu- 
gleich die  Wundränder  nach  innen  gedrängt.  An  der  innern  Darmfläche 
bilden  die  eingeschlagenen  Wundränder  eine  vorspringende  Falte.  Die 
Fadenenden  schneidet  man  kurz  ab.  —  d)  Verfahren  von  Bouisson. 
Auf  jeder  Seite  der  Wunde  parallel  mit  dem  Wundrande  und  etwa  zwei 
Millim.  von  demselben  entfernt  wird  eine  am  Kopfe  mit  einem  seidenen  Fa- 
den versehene  Stecknadel  so  durchgestochen,  dass  sie  bald  auf  der  Schleim- 
haut- ,  bald  auf  der  serösen  Fläche  des  'Darms  sichtbar  ist.  Alsdann 
werden  unter  den  auf  der  serösen  Fläche  frei  liegenden  Theilen  der  Na- 
deln Fäden  durchgeführt,  die  man  zusammenknotet,  wodurch  die  Wunde 
geschlossen  wird ,  so  dass  die  serösen  Flächen  der  Wundränder  gegen 
einander  sehen.  Ein  Fadenende  wird  am  Knoten  abgeschnitten,  das  an- 
dere aus  der  Wunde  geführt ,  und  auch  die  an  den  Nadeln  befindlichen 
Fäden  leitet  man  zur  Wunde  heraus,  um  an  ihnen  nach  3 —  4  Tagen  die 
Nadeln  auszuziehen,  wodurch  die  Knopf  hefte  frei  werden,  die  man  auch 
entfernt.  —  e)  Verfahren  nach  Emmert.  Ein  Faden  wird  an 
beiden  Enden  mit  einer  gewöhnlichen  Nähnadel  versehen.  Eine  Nadel 
wird  nahe  am  Wundrande  von  aussen  nach  innen  durch-  und  ungefähr  in 
1^2  Linien  Entfernung  vom  Wundrande  wieder  ausgestochen,  alsdann 
sticht  man  die  zweite  Nadel ,  von  dem  ersten  Einstichspunkte  ungefähr 
1  *  L  Linien  entfernt,  auf  gleiche  Weise  ein  und  aus,  so  dass  ein  Stück  des 
Fadens  parallel  mit  dem  Wundrande  läuft.  Auf  ähnliche  Weise  wird  an 
dem  gegenüberliegenden  Wundrande  verfahren  und  nun  werden  die 
einander  gegenüberliegenden  oberen  Fadenenden  mit  einander  und  gleich- 
zeitig auch  die  unteren  zusammen  angezogen  und  geknotet,  wobei  das  mit 
dem  Wundrande  parallel  laufende  Fadenstück  jeden  Wundrand  von  selbst 
nach  einwärts  zieht.  Die  Fadenenden  schneidet  man  dicht  an  den  Kno- 
ten ab.  Bei  grösseren  Wunden  werden  in  Entfernungen  von  1  Linie  so 
viele  Nähte  eingelegt  als  zur  Schliessung  der  Wunde  nothwendig  sind. 
—  f)  Klammernaht  nach  Bobrik.  Man  schiebt  durch  die  Wunde 
in  das  Darmrohr  ein  der  Länge  der  Wunde  entsprechend  langes  Stück 
Fensterblei  oder  eine  anderweitige  kleine  Rinne  aus  biegsamem  Metall, 
drängt  die  Wundränder,  sie  umklappend,  in  dieselbe  ein  und  übt  durch 
die  Darmwandungen  hindurch  auf  die  Rinne  einen  so  starken  Druck  aus, 
dass  die  Wundränder  in  ihr  eingeklemmt  werden.  Leztere  werden  ne- 
krotisch und  die  dadurch  frei  gewordene  Rinne  geht  per  an  um  ab.  In- 
zwischen aber  ist  die  Wunde  geheilt.  —  IL  Verfahren  bei  voll- 
ständiger querer  Trennung  des  Darm  röhr  s.  —  1)  Verei- 
nigung der  serösen  Flächen  ohne  Invagination.  — 
a)  Verfahren  von  Lembert.  Die  Nadel  wird  drei  Linien  von  dem 
Wundrande   des   einen  Darmstücks  ein  und  ohne  die  Schleimhaut  durch- 


NAHT.   DARMNAP1T.  671 

bohrt  zu  haben ,  eine  Linie  vom  Wundrande  entfernt  wieder  ausge- 
stochen. An  dem  andern  Darmstücke  sticht  man  sie  an  entsprechender 
Stelle ,  eine  Linie  vom  Wundrande  entfernt  ein  und  nachdem  sie 
abermals  ohne  die  Schleimhaut  zu  verlezen  zwei  Linien  in  der  Darmwand 
fortgeschoben  ist,  wieder  aus.  In  derselben  Weise  werden  ringsherum 
zahlreiche  Nähte  angelegt.  Durch  das  Anspannen  und  Zusammenknoten 
der  Fäden  soll  der  äussere  WTundrand  sich  nach  innen  umklappen,  so  dass 
die  Serosa  des  obern  Darmendes  sich  derjenigen  des  untern  zuwenden 
muss.  —  Gely  und  Malgaigne  empfehlen  auch  in  diesen  Fällen  die 
von  Ersterem  angegebene  Steppnaht  (s.  oben).  —  Verfahren  von 
Den  ans.  Man  bringt  in  das  obere  und  untere  Darmende  einen  silber- 
nen oder  zinnernen  Ring,  schlägt  von  jedem  Ende  den  Rand  zwei  Linien 
breit  nach  innen  und  schiebt  die  beiden  Enden  über  einen  dritten  Ring 
zusammen,  welcher  mit  zwei  Federn  versehen  ist ,  um  die  beiden  äussern 
Ringe  zusammenzuhalten.  Zur  Sicherung  der  Ringe  können  sie  noch 
durch  einen  um  sie  geführten  Faden  fixirt  werden.  Die  eingeschlagenen 
Wundränder  werden  brandig  und  dadurch  die  Ringe  frei,  welche  mit  dem 
Stuhle  abgehen  ,  während  die  sich  berührenden  serösen  Flächen  verwach- 
sen. —  2)  Vereinigung  der  serösen  Flächen  mitlnvag i- 
nation.  —  a)  Verfahren  von  Beclard.  Dieser  schlägt  nach 
Versuchen  an  Thieren  vor,  nach  Ineinanderschiebung  der  Darmenden  auf 
dem  äussern  Stücke  nahe  dem  Wundrande  eine  Ligatur  anzulegen  und 
diese  leicht  zu  schnüren,  so  dass  die  ober-  und  unterhalb  der  Ligatur  her- 
vorquellenden Darmenden  mit  ihren  serösen  Flächen  sich  an  einander 
legen  und  verwachsen.  —  b)  Verfahren  von  Jober t.  Man  zieht 
am  obern  Darmende  3  Linien  von  der  Mündung  entfernt  an  zwei  gegen- 
über liegenden  Seiten  des  Darmes  von  innen  nach  aussen  eine  Faden- 
schlinge ein,  stülpt  am  untern  Darmende  die  Ränder  nach  innen  um,  führt 
die  Fadenenden  mit  Nadeln  von  innen  nach  aussen  durch  dieses  und  zieht 
mittels  der  Fäden  das  obere  Darmende  in  das  untere ,  worauf  die  Fäden 
zusammengedreht  und  äusserlich  befestigt  werden.  —  3)  Vereini- 
gung der  Serosa  mit  der  Schleimhaut.  —  a)  Verfahren 
von  Ramdohr.  Man  schiebt  das  obere  Darmstück  in  das  untere 
und  heftet  sie  mit  einigen  Nähten  an  einander.  Um  die  Invagination 
und  das  Zusammennähen  der  Darmenden  zu  erleichtern,  schieben  Ritsch, 
Chopart  u.  A.  einen  Kartenblattcylinder,  Watson  einen  Cylinder  aus 
Ichtyocolla,  Bell  ein  Stück  Talglicht  in  den  Darm  ;  bei  sich  ergebender 
Spannung  soll  man  nach  Louis  das  Gekröse  etwas  vom  Darme  abtren- 
nen. —  b)  Verfahren  von  Choisy.  Gestüzt  auf  die  Versuche  von 
Travers,  welcher  beobachtete,  dass,  wenn  man  einen  Darm  kreisförmig 
zusammenschnürt,  der  Peritonealüberzug  des  obern  Theils  sich  so  schnell 
mit  dem  untern  vereinigt ,  dass  die  durch  die  Einschnürung  gebildete 
Scheidewand  bald  in  Gangrän  übergeht,  sich  abstösst  und  mit  der  Liga- 
tur durch  den  Mastdarm  abgeht,  worauf  die  Darmhöhle  vollkommen  wieder 


672  NARBE. 

hergestellt  erscheint,  legte  C  h  o  i  s  y  um  die  über  einem  Stück  Luftröhre 
oder  einem  Korkpfropfe  invaginirten  Darmstücke  eine  Ligatur ,  schnürte 
sie  fest  zusammen  und  schnitt  die  Enden  kurz  ab.  —  4)  Dir ecte  Ver- 
einigung der  Wundränder.  —  a)  In  das  Darmrohr  wird  die  Luft- 
röhre eines  Thiers  etc.  eingeschoben  und  die  einander  gegenüber  liegenden 
Wundränder  durch  die  Naht  der  vier  Meister  (Kürschner-  oder 
Knopfnaht)  geheftet.  —  b)  Verfahren  von  Moreau-Boutard. 
Nach  diesem  soll  vor  der  unmittelbaren  Vereinigung  der  Wundränder  die 
vorspringende  Schleimhaut  abgetragen  werden.  —  De  la  Peyronie 
ermöglichte  die  Vereinigung  der  beiden  durch  Substanzverlust  weit  von 
einander  abstehenden  Darmenden  dadurch,  dass  er  das  Gekröse  in  eine 
möglichst  grosse  Falte  zusammenheftete.  Die  in  Berührung  gebrachten 
Darmenden  wurden  mittelst  des  Fadens  in  der  Nähe  der  Bauchwunde  er- 
halten. —  III.  Vereinigung  der  serösen  Fläche  des  Darms 
mit  der  Serosa  der  Bauchwand.  —  Verfahren  von  Rey- 
bard.  Nach  diesem  soll  man  bei  Längen-  und  schiefen  Wunden  eine 
dünne  Holzplatte ,  an  welcher  zwei  Fäden  befestigt  sind ,  in  den  Darm 
bringen,  die  Fadenenden  mit.  einer  Nadel  durch  die  entsprechenden  Rän- 
der der  Dannwunde  führen  ,  dann  beide  Fadenenden  mit  einer  krummen 
Nadel  in  einiger  Entfernung  vom  Bande  der  Bauchwandwunde  durch  diese 
leiten  und  äusserlich  auf  einer  Leinwand-  oder  Charpierolle  fest  zusam- 
menbinden ,  so  dass  die  auf  der  Holzplatte  vereinigte  Darmwunde  dem 
Bauchfell  genau  anliegt.  Die  Bauchwunde  wird  geschlossen.  Am  dritten 
Tage  zieht  man  die  Fäden  aus.  Die  Holzplatte  geht  mit  dem  Kothe  ab. 
—  Privat  befestigte  bei  mehrfachen  Darmwunden  auf  jede  derselben 
eine  gesunde  Darmschlinge  mittels  eines  durch  das  Mesenterium  gezoge- 
nen Fadens.  —  Bei  ganz  kleinen  Darmwunden  fasstA.  Cooper  denver- 
lezten  Theil  mit  einer  Pincette ,  erhebt  ihn  etwas  und  legt  eine  Ligatur 
um  den  gefassten  Hügel. 

Narbe,  Cicatrix,  nennt  man  im  Allgemeinen  dasjenige  neue  Ge- 
bilde, welches  sich  zur  Ausgleichung  eines  Substanzverlustes  erzeugt  und 
welches  mit  Ausnahme  der  Narben  an  Knochen ,  Nerven  und  glatten 
Muskelfasern  ausschliesslich  aus  Bindegewebe  besteht.  Bei  Substanzver- 
lusten der  Haut  entwickelt  sich  auch  eine  Epidermis  auf  diesem  sogenann- 
ten Narbengewebe.  —  Die  Narben  stellen  bald  ganz  weisse,  bald  aber 
auch  gelblich,  oder  röthlich  livid  gefärbte  Flecken  von  verschiedener 
Grösse  und  Form  und  einer  bald  faltigen ,  strangartigen  wie  punktirten 
und  matten ,  bald  glatten  und  glänzenden  Oberfläche  dar ,  die  meistens 
über  die  Haut  erhaben,  zuweilen  aber  auch  vertieft,  eingezogen,  mit  un- 
terliegenden Theilen  wie  Knochen,  Knorpeln,  Aponeurosen  etc.  zusammen- 
hängend sind  (adhärente  Narben).  Das  Narbengewebe  ist  mehr 
oder  weniger  fest,  unnachgiebig,  selbst  hart,  und  zeigt,  wenigstens  in  den 
früheren  Perioden  seines  Bestehens  ,   zahlreiche  Gef  ässe  ,   wogegen  weder 


NARBE. 


673 


Lymphgefässe  noch  Nerven  in  demselben  nachgewiesen  sind.  Bei  tief- 
greifenden Narben  sind  die  Haarbalge  zerstört ,  weswegen  die  Haare  auf 
5olchen  fehlen.  —  Nicht  selten  sind  die  Narben  deform;  besonders  beob- 
achtet man  solche  nach  höheren  Graden  der  Verbrennung,  nach  dyscra- 
sischen  Geschwüren  mit  grösserem  Substanzverlust ,  nach  scrophulösen 
Drüsenabscessen,  nach  Caries  oder  Necrose.  —  Eine  Haupteigenthüm- 
lichkeit  der  Narbe  ist  ihre  dauernde  Neigung  zur  Contraction ,  eine  Nei- 
gung, welche  sich  bereits  bei  der  Bildung  der  Granulationen,  dem  ersten 
Stadium  der  Narbe,  zeigt,  besonders  in  den  eben  angeführten  Fällen,  die 
Bildung  der  deformen  Narben  herbeiführt  und  namentlich  je  nach  der 
Grösse  des  Suhstanzverlusts  und  der  mehr  oder  minder  grossen  Nachgie- 
bigkeit des  unterliegenden  Bindegewebe  auch  später  mehr  oder  weniger 
lange  Zeit  noch  fortdauert.  —  Nicht  selten  entspricht  diese  Verkürzung 
der  Narben  dem  Heilzwecke ,  sie  kann  aber  auch  eine  Menge  von  Defor- 
mitäten im  Gefolge  haben.  An  unbedeckten  Körpertheilen ,  namentlich 
im  Gesichte  entstellen  die  Narben  einfach,  sonst  können  sie  die  mannig- 
fachsten Stellungs-  und  Richtungsveränderungen  zur  Folge  haben ,  z.  B. 
Umstülpungen  der  Augenlieder  und  der  Lippen,  Schiefstellung  des  Kopfs, 
permanente  Beugung  oder  Streckung  der  Finger  etc.  Narben  an  röhren- 
förmigen Theilen  bewirken  häufig  eine  Verengerung  oder  Verschliessung 
derselben  und  ebenso  wenn  sie  im  Umfange  von  Körperöffnungen  sich  be- 
finden. An  durchsichtigen  Theilen ,  wie  am  Auge  führen  sie  eine  Trü- 
bung herbei.  Ausserdem  kann  die  Narbe  selbst  noch  erkranken :  sie 
kann  sich  entzünden ,  versch wären  ,  hypertrophiren ,  sie  ist  selbst  Entar- 
tungen ausgesezt ;  endlich  ist  sie  nicht  selten  der  Siz  eines  heftigen  Juk- 
kens,  Brennens  und,  besonders  bei  den  Witterungs Veränderungen  von  pe- 
riodischen (Kalender),  seltener  fixen  Schmerzen.  —  Man  kann  versuchen, 
der  Bildung  deformer  Narben  entgegen  zu  wirken  ,  indem  man  während 
der  Heilung  eiternder  Wunden  oder  Geschwüre  die  Narbencontraction 
schwächt  und  eine  wenigstens  in  gewisser  Richtung  gedehnte  Narbe  an- 
strebt. Ersteres  erreicht  man  durch  die  Anwendung  erweichender ,  er- 
schlaffender Mittel  während  der  Granulations-Cicatrisationsperiode,  lezte- 
res  durch  eine  passende  Lage ,  die  man  dem  Theile  gibt  oder  auch,  wo 
dies  nicht  angeht ,  durch  geeignete  Verbände.  Sollen  diese  Mittel  von 
einigem  Erfolge  sein,  so  müssen  sie  ziemlich  lange  fortgesezt  werden  und 
auch  in  diesem  Falle  richtet  man  häufig  nichts  aus.  —  Ist  es  einmal  zur 
Bildung  nachtheiliger  Narben  gekommen,  so  lassen  sie  sich  meistens  nur 
durch  eine  Operation  (Narbenoperation)  beseitigen,  da  die  Anwen- 
dung erweichender,  dehnender  Mittel  durch  Cataplasmen,  Einreibungen, 
Bäder,  Verbände  etc.  gewöhnlich  erfolglos  bleibt.  —  Nach  dem  Size  und 
nach  der  Beschaffenheit  der  Narbe  muss  die  Narbenoperation  in  verschie- 
dener Weise  ausgeführt  werden,  als:  1)  durch  Excision,  2)  durch  In- 
•c  i  s  i  o  n,  3)  durch  S  u  b  c  i  s  i  o  n,  4)  durch  Verlegung  der  Narbe  auf 
einen  kleineren  Raum  mit  oder  ohne  plastischen  Ersaz  ,  5)  durch  Anle- 
Burger,  Chirurgie.  43 


674  NARBE. 

g u  n  g  einer  neuen,  der  alten  entgegenwirkenden  Narbe.  —  DieExci- 
s  i  o  n  der  Narbe  ist  im  Allgemeinen  das  vorzüglichere  und  bei  entstellen- 
den Narben  allein  anwendbare  Verfahren.  Bedingung  ist,  dass  die  neue 
Wunde  nachher  per  primam  intentionem  vereinigt  werden  kann ; 
es  muss  daher  das  zu  excidirende  Stück  vor  der  Operation  in  eine  Falte 
emporgehoben  werden,  um  zu  ermessen,  ob  dies  möglich  ist ;  woraus  auch 
folgt,  dass  dieses  Verfahren  bei  sehr  ausgedehnten  Narben  nicht  anwend- 
bar ist.  Die  beste  Form  für  das  zu  excidirende  Stück  ist  ein  längliches 
Oval  mit  spizen  Enden  und  keilförmiger  Grundfläche.  Kleine  Narben 
schneidet  man  auf  einmal  aus,  grössere  in  mehreren  Stücken  in  Zwischen- 
räumen von  einigen  Monaten.  Zur  Excision  umgibt  man  zuerst  die 
Stelle  mit  oberflächlichen  Schnitten  und  schneidet  nun  das  Stück ,  wäh- 
rend man  es  an  einem  Ende  mit  einer  Hakenpincette  ergreift,  aus.  Sind 
mehrmalige  Excisionen  nothwendig ,  so  nimmt  man  am  besten  zuerst  ein 
Stück  aus  der  Mitte  heraus.  Lässt  sich  die  Wunde  nicht  gut  vereinigen^ 
so  kann  man  die  Hautränder  mit.  flachen  Messerzügen  etwas  vom  Grunde 
lösen ,  um  sie  nachgiebiger  zu  machen  ;  reicht  auch  dies  nicht  hin ,  so 
kann  man  unter  Umständen  in  einiger  Entfernung  von  der  Wunde  parallel 
mit  dieser  verlaufende  Schnitte  durch  die  Haut  führen.  Die  Vereinigung 
der  Wunde  muss  mit  Sorgfalt  durch  die  umschlungene  Naht  geschehen. 
—  Die  Incision  der  Narbe  ist  vorzunehmen,  wenn  nicht  Hebung  einer 
Entstellung,  sondern  einer  störenden  Hautverkürzung  bewirkt  werden  soll, 
die  Narbe  nur  flach  ist  und  entweder  ihres  Umfangs  oder  ihrer  Verbin- 
dung mit  unterliegenden  wichtigen  Theilen  wegen  gar  nicht  exstirpirt 
werden  kann  oder  wenn  die  nach  der  Exstirpation  zurückbleibende  Wunde 
doch  nicht  durch  schnelle  Vereinigung  geheilt  werden  könnte.  —  Zur 
Operation  spannt  man  die  Haut  gehörig  an ,  sticht  das  Messer  zur  Seite 
der  Narbe  da ,  wo  diese  am  meisten  contrahirt  erscheint,  bis  aufs  Zellge- 
webe durch  und  führt  es  in  einer  Linie ,  welche  sich  mit  der  Richtung, 
in  der  die  Haut  verkürzt  ist ,  rechtwinklig  kreuzt ,  durch  die  Narbe  so 
hindurch ,  dass  der  Schnitt  bis  in  das  unterliegende  gesunde  Zellgewebe 
eindringt.  Dies  hat  nötigenfalls  an  mehreren  Stellen  zu  geschehen, 
wenn  der  der  Geradrichtung  desTheils  sich  entgegenstellende  Widerstand 
der  Narbe  durch  einen  einfachen  Schnitt  nicht  zu  überwinden  wäre.  Ist  die 
Narbe  gehörig  tief  getrennt,  so  weichen  die  Wundränder  aus  einander  und 
die  Querwunde  verwandelt  sich  häufig  in  eine  Längenwunde.  WTährend 
der  Heilung  erhält  man  den  Theil  in  gestreckter  Lage  und  behandelt  die 
Wunde  wie  oben  angegeben  wurde.  Jobert  spaltet  die  Narbe  und 
transplantirt  in  die  Lücke  einen  Hautlappen ,  den  er  mit  Knopfnähten  an 
die  Narbenränder  befestigt.  Sedillot  löst  diese  vorher  etwas  von  ihrer 
Unterlage  ab.  —  Die  Subcision  oder  subcutane  Durchschneidung 
eignet  sich  bei  vertieften,  eingezogenen,  mit  Knochen,  Fascien  oder  Seh- 
nen zusammenhängenden  Narben.  —  Man  führt  seitlich  ein  spizes,  ganz 
schmales   gerades  oder  sichelförmig  gekrümmtes  Messer  durch  die  Haut7 


NASE,  KRANKHT.  DERS.  675 

schiebt  es  gegen  die  Stelle ,  wo  die  Narbe  in  der  Tiefe  adhärirt  und 
durchschneidet  mit  flach  gehaltener  Klinge  den  Narbenstrang ,  ohne  die 
Narbe  nach  aussen  zu  öffnen.  —  Die  Verlegung  der  Narbe  auf  einen 
kleineren  Raum  mit  oder  ohne  plastischen  Ersaz  macht  man  bei  spannen- 
den ,  Contractur  bewirkenden  Narben ,  welche  ihres  Umfangs  oder  ihrer 
Form  wegen  weder  ganz  ausgeschnitten ,  noch  mit  Erfolg  eingeschnitten 
werden  können.  Man  trennt  die  Narbe  in  der  Richtung ,  in  welcher  sie 
die  Contraction  bewirkt,  von  dem  einen  oder  andern  Ende  aus,  am  besten 
da,  wo  sie  am  schmälsten  ist,  in  Form  eines  dreieckigen  Lappens  so  weit 
los ,  bis  ihre  spannende  Wirkung  aufgehoben ,  bringt  den  Theil  in  .ge- 
streckte Lage,  bedeckt  mit  dem  nunmehr  sehr  Zurückgewichenen  von  der 
Wunde  so  viel,  als  ohne  zu  spannen  möglich  ist  ,und  vereinigt  den  übrigen 
Theil  der  Wunde  durch  Zusammenziehung  der  seitlichen  Wundränder, 
was  man  nöthigenfalls  durch  seitliche  Einschnitte  oder  durch  Ablösung 
der  Wundränder  von  der  Grundfläche  unterstüzen  kann  ;  auch  eine  Haut- 
überpflanzung kann  man  vornehmen  ;  doch  bringt  es  auch  keinen  Schaden, 
wenn  man  einen  Theil  der  Wunde  durch  Eiterung  heilen  lässt.  —  Die 
Anlegung  einer  neuen,  der  alten  entgegenwirkenden  Narbe  findet  nur 
an  den  Augenlidern  statt,  wenn  Stellungsveränderungen  durch  Narben  be- 
wirkt werden,  die  durch  die  bisherigen  Operationsverfahren  nicht  unschäd- 
lich zu  machen  sind.  —  Die  Krankheiten  der  Narben  selbst  betref- 
fend, so  lässt  sich  bei  den  meisten  derselben  nicht  viel  thun.  Das  Jucken, 
welches  sich  gewöhnlich  nur  bei  jungen  Narben  einstellt,  verliert  sich  mit 
der  Zeit  von  selbst ;  das  Brennen  und  die  Trockenheit  wird  durch  milde 
Salben  oder  Oeleinreibungen  gemildert ;  die  gerötheten  und  excoriirten 
Narben  schüzt  man  vor  Reibungen  der  Kleidungsstücke  etc.;  entartete 
Narben  exstirpirt  man,  ebenso  die  mit  fixem  Schmerz,  welcher  einen  neu- 
ralgischen Character  hat :  Larrey  empfiehlt  hier  die  Anwendung  des 
glühenden  Eisens.  Dagegen  lässt  sich  gegen  die  periodischen  Schmer- 
zen ,  welche  wahrscheinlich  in  einer  Zerrung  der  mit  der  Narbe  verwach- 
senen Nerven  in  Folge  der  durch  die  Luftveränderung  veranlassten  Span- 
nung der  Narbe  ihren  Grund  haben,  nichts  thun. 

Nase,  Krankheiten  derselben.  Sie  entstehen  am  häufig- 
sten von  örtlichen  Ursachen ,  hängen  aber  auch  von  allgemeinen  Krank- 
heiten ab.  Die  äussere  Nase  wird  wegen  der  vielen  Talgdrüsen  in 
ihrem  Integumentalüberzuge  öfters  der  Siz  von  Ausschlägen  (Acne  s. 
Gutta  rosacea)  und  herpetischer  Ulceration  (Lupus),  welche  leztere 
selbst  die  Knorpel  und  Knochen  nicht  verschont  und  von  syphilitischer 
Zerstörung  wohl  zu  unterscheiden  ist.  Durch  Hypertrophie  des  subcu- 
tanen Zellgewebs,  chronische  Entzündung,  auch  Ulceration  in  den  Haut- 
talgdrüsen, so  wie  Verdickung  der  Haut  selbst,  verbunden  mit  Gefässer- 
weiterungen  nimmt  die  Nase  bisweilen  eine  ganz  monströse  Form  an 
(Kupfer-,   Burgundernase).       Auch   Warzen    beobachtet   man 

43* 


676  NASE,   KRANKHT.  DERS.   NASENBILDUNG. 

nicht  selten.  —  Die  Nasenschleimhaut  unterliegt  sehr  leicht  der 
Entzündung  (S  chnupfen)  und  diese  kann  ebensowohl  polypöse  Wu- 
cherungen wie  Geschwüre  (mit  Stinknase,  Ozaena)  nach  sich  ziehen. 
Ausserdem  kommen  hier  auch  noch  Verschwärungen  in  Folge  von  Anstek- 
kung  mit  Rotzgift,  nach  Pocken,  Verlezungen,  Syphilis  etc.  vor.  Das 
Nasenbluten  nimmt  nicht  selten  einen  beunruhigenden  Character  an. 

—  Die  Nebenhöhlen,  vorzüglich  die  Stirn-  und  Oberkiefersinus  neh- 
men nicht  selten  an  den  Krankheiten  der  Knochen  und  Schleimhaut  der 
Nasenhöhle  Theil,  auch  pflanzen  sich  die  Nasenkrankheiten  leicht  auf  die 
Thränenwege  und  Conjunctiva ,  auf  die  Ohrtrompete  ,  den  Pharynx  und 
Kehlkopf  fort  und  rufen  dann  entsprechende  Störungen  hervor. 

Nasenbildung,  Rhinoplastik.  Man  versteht  hierunter  die 
organische  Wiederherstellung  der  Nase  durch  Ueberpflanzung  eines  Haut- 
theils  an  dieselbe  oder  durch  Veränderung  der  Lage  ihrer  einzelnen 
Theile.  Sie  ist  angezeigt  bei  theilweisem  oder  gänzlichem  Mangel  der 
Nase ,  so  wie  bei  durch  Zerstörung  oder  Verbildung  ihrer  Knochen  und 
Knorpel  bewirkter  Entstellung  ihrer  Form.  Gegenanzeigen  der  Opera- 
tion sind  :  bestehende  Dyscrasien  oder  überhaupt  fortwirkende  Ursache 
des  Nasendefects,  Ausschläge  (z.  B.  Acn  e  r  o  s  ace  a)  in  der  Umgegend 
der  Nase ,  durch  die  Entzündung  verdichtete  oder  sonst  veränderte  Rän- 
der des  Nasenstumpfs ,   so   dass   sie  nicht  fortgenommen  werden  können. 

—  Der  organische  Wiederersaz  der  Nase  kann  auf  verschiedene  Weise 
bewerkstelligt  werden.  Man  benuzt  dazu  entweder  die  nahegelegene 
Haut,  vorzüglich  der  Stirne,  mit  Erhaltung  der  Verbindung  derselben  mit 
dem  Mutterboden  (erste  indische  Methode);  oder  man  überpflanzt 
ein  einem  entfernten  Körpertheil  entnommenes  Hautstück  auf  den  zu  er- 
sezenden  Theil  (zweite  indische  Methode);  oder  man  benüzt  die 
Armhaut  und  zwar  entweder  unmittelbar  (nach  v.  Gräfe,  deutsche 
Methode),  oder  nach  vorgängiger  Ueberhäutung  ihrer  Innern  Fläche 
(italienische  Methode).  —  Die  erste  indische  Methode, 
d.  h.  der  Ersaz  aus  der  Stirnhaut  gewährt  die  meiste  Aussicht  auf  gün- 
stigen Erfolg.  Das  Verfahren  dabei  ist  folgendes  :  Der  Rand  der  beste- 
henden Nasenöffnung  wird  rings  herum  möglichst  geradlinig  angefrischt, 
und  die  Haut ,  wenn  sie  nicht  verschieblich  ist ,  etwas  abgelöst.  Die 
Wundränder  müssen  eine  Breite  erhalten ,  welche  der  der  Ränder  des 
Ersazlappens  gleichkommt.  Nun  wird  die  Länge  der  vertical  stehenden 
Seitenränder  der  Nasenöffnung  gemessen  und  danach  aus  einem  Stück 
Heftpflaster  ein  Modell  gemacht,  an  welchem  die  Entfernung  der  Nasen- 
spize  von  dem  hintern  Rande  der  Nasenflügel  auf  1  Zoll  angenommen 
wird.  Ferner  muss  dem  Modell  so  viel  an  Länge  zugegeben  werden,  als 
zur  Bildung  des  Septum  und  zur  Umsäumung  des  Ersazlappens  an  den 
Nasenlöchern  nöthig  ist.  Die  Länge  des  Septum  wird  hierbei  auf  min- 
destens 3/4  Zoll,  seine  Breite  auf  1/2  Zoll  angesezt.  Dieses  Modell  wird 
sofort  auf  die  Stirne  geklebt,  nachdem  nöthigenfalls  vorher  die  Stirnhaare 


NASE,   KRANKHT.  DERS.   NASENBILDUNG.  677 

abrasirt  worden  sind,  und  dasselbe  darauf  mit  die  ganze  Dicke  der  Haut 
durchdringenden  Zügen  umschnitten.  Auf  der  einen  Seite  geht  der 
Stirnhautschnitt  in  den  Auffrischungsschnitt  über,  auf  der  andern  dagegen 
muss  eine  Brücke  von  etwa  l/2  Zoll  Breite  als  Stiel  (N  u  t  r  i  x)  des  Er- 
sazlappens  stehen  bleiben ,  durch  welchen  er  nach  erfolgter  Transplanta- 
tion bis  zur  Anheilung  seine  Blutzufuhr  allein  erhalten  soll.  Der  Lappen 
wird  so  abpräparirt,  dass  er  neben  der  Haut  eine  möglichst  dicke  Schichte 
Bindegewebe  enthält.  Der  so  abgelöste  Lappen  wird  nun  in  der  Weise 
geschwenkt ,  dass  sein  linker  oberer  Winkel  in  die  Gegend  des  rechten 
Nasenflügels  kommt  etc.  Bei  gehöriger  Ablösung  des  Stiels  ist  die  Dre- 
hung ,  die  dieser  nothwendiger  Weise  erleiden  muss ,  nur  eine  geringe, 
auch  kann  die  Beweglichkeit  desselben  noch  vermehrt  werden,  wenn  man 
dicht  über  ihm  von  dem  untern  Ende  des  seitlichen  Stirnhautschnitts  eine 
tiefe,  etwa  l/^  Zoll  lange  Incision,  horizontal  nach  aussen,  dicht  oberhalb 
der  Augenbraue ,  hinführt.  Man  widmet  nun  zunächst  der  Stirnwunde 
seine  Sorge,  welche  man  nach  gestillter  Blutung,  soweit  es  angeht,  nötigen- 
falls unter  Ablösung  ihrer  Ränder ,  durch  die  umwundene  Naht  mit  star- 
ken Insectennadeln  vereinigt ;  den  unvereinigt  bleibenden  Theil  der 
Wunde  bedeckt  man  mit  lockerer  Charpie ,  welche  man  mit  Heftpflaster- 
streifen festhält.  Vor  der  Anlegung  des  Stirnhautlappens  wird  der  für 
das  Septum  bestimmte  Theil  desselben  durch  zwei  Schnitte  von  den  für 
Umsäumung  der  Nasenlöcher  bestimmten  Seitenstücken  getrennt,  leztere 
dann  mit  ihrer  wunden  Fläche  gegen  die  Wundfläche  des  übrigen  Lappens 
umgeklappt  und  mit  ein  paar  grossen  Stichen  in  dieser  Stellung  festge- 
heftet. Die  Anheftung  des  Lappens  an  seinen  neuen  Standort  beginnt 
mit  dem  Annähen  des  Septum,  was  mit  zwei  Nähten  an  den  angefrischten 
obern  Theil  der  Lippe  geschieht.  Die  Seitenränder  des  Lappens  werden 
genau  an  die  entsprechenden  verticalen  Bänder  der  Nasenöffnung  ange- 
passt  und  durch  dicht  gedrängte  Knopfnähte  befestigt.  Endlich  wird  in 
jedes  Nasenloch  ein  Stück  eines  elastischen  Catheters  oder  eine  Heft- 
pflasterrolle ,  ohne  Spannung  zu  verursachen ,  eingesezt.  Der  Operirte 
wird  dann  zu  Bett  und  in  eine  mehr  sizende  Lage  gebracht  und  muss 
sich  und  besonders  den  Kopf  ganz  ruhig  halten.  Ist  der  transplän- 
tirte  Lappen  bleich  und  kalt ,  so  fomentirt  man  ihn  mit  lauem  Wein  und 
Wasser  und  wenn  er  später  anschwillt  und  sich  röthet,  so  macht  man  Um- 
schläge von  kaltem  Wasser.  —  Bei  günstigem  Verlaufe  werden  die  Nähte 
spätestens  nach  3  0  Stunden  und  zwar  zuerst  (schon  nach  12  — 14  Stun- 
den) da ,  wo  sich  Adhäsion  zeigt  und  die  Spannung  am  geringsten  ist, 
entfernt.  Die  ausgezogenen  Nähte  ersezt  man  durch  Collodium ;  an  an- 
dern Stellen  lässt  man  die  Hefte  und  zwar  wo  möglich  wechselsweise 
noch  liegen ;  die  an  den  Endpunkten  liegenden  nimmt  man  zulezt  weg. 
Die  Stirnnadeln  zieht  man  am  fünften,  sechsten  Tage  aus.  Späterhin  ist 
eine  sorgfältige  Reinigung  der  Nasenhöhle  durch  Einsprizungen  nöthig. 
—  Ist  eine  neue  Nase  völlig  angeheilt,   so   hat  man  meistens  noch  etwas 


678  NASE,  KRANKHT.  DERS.  NASENBILDUNG. 

für  ihre  Form  zu  thun ,  die  sich  verändert ;  man  wartet  jedoch  damit  so 
lange,  bis  die  Temperatur  der  neuen  Nase  gleich  der  des  übrigen  Gesichts 
ist,  wozu  etwa  6  —  8  Wochen  Zeit  erforderlich  sind.  Dieffenbach 
excidirt  aus  ihr  da,  wo  sie  wulstig  und  unförmlich  ist,  aus  ihrem  Rücken, 
so  wie  aus  beiden  Seiten,  oberhalb  der  Nasenflügel  myrthenblattförmige 
Hautstücke  und  heftet  die  Wundränder ;  Defecte  bedeckt  man  mit  einem 
Hautlappen  etc.  Vor  Allem  aber  muss  der  Stiel  des  Stirnlappens  exstir- 
pirt  werden.  Man  schneidet  ein  Oval  oder  ein  schräg  liegendes  Dreieck 
aus  ihm  heraus  und  heftet  diese  neue  Wunde.  Diese  Operation  wird 
etwa  fünf  Wochen  nach  der  Transplantation  vorgenommen.  —  Auch 
durch  Hautverschiebung  von  den  beiden  Wangen  her  kann  der  Ersaz 
der  Nase  bewerkstelligt  werden  ;  jedoch  passt  diese  Methode  besser  zum 
Ersaz  einzelner  Theile  der  Nase  als  zu  dem  des  ganzen  Organs,  weil  die 
Haut  dieser  Gegend  zu  dünn  ist ,  zu  stark  schrumpft  und  ausserdem  bei 
dieser  Operation  entstellende  Narben  im  Gesichte  nicht  zu  vermeiden 
sind.  —  Die  Transplantation  aus  der  Armhaut  ist  nur  indi- 
cirt,  wo  die  vorige  Methode  nicht  ausführbar  ist  und  passt  weniger  zum 
Ersaz  der  ganzen  Nase  als  eines  Theils  derselben.  —  Die  unmittel- 
bare Transplantation,  die  Gräfe'sche  oder  deutsche 
Methode  verdient  im  Allgemeinen  vor  der  folgenden  den  Vorzug.  Der 
Kranke  muss  zuerst  an  die  nach  der  Operation  nöthige  Lage  des  Arms 
gewöhnt  werden,  indem  man  ihn  acht  Nächte  vorher  in  der  Vereinigungs- 
binde schlafen  lässt.  Es  ist  dies  ein  Wams,  eine  mit  diesem  verbundene 
Kappe  und  eine  Armbinde  ,  durch  welche  der  Arm  auf  der  Kappe  befe- 
stigt wird.  Die  einzelnen  Acte  der  Operation  bieten  keine  wesentlichen 
Abweichungen  von  der  indischen  Methode  dar.  Breite  Auffrischung  und 
genaue  Naht  sind  hier  wie  dort  Bedingungen  für  das  Gelingen.  Auf  dem 
Arm  zeichnet  man  das  Modell  der  Nase  auf;  der  dem  Septum  entspre- 
chende Theil,  welcher  nach  unten  gerichtet  wird,  darf  nur  um  2/5  schmä- 
ler, als  die  Nasenflügel ,  und  so  lang  gezeichnet  werden,  dass  der  ganze 
Lappen  */4  länger  ist  als  das  Papiermodell.  Nun  schneidet  man  nach 
der  aufgezeichneten  Linie  Haut  und  Zellstoff  durch,  wobei  man  jedoch 
die  untere  Querlinie  ungetrennt  lässt ,  und  präparirt  bis  zu  dieser  Linie 
hin  den  Lappen  mit  der  grösst  möglichen  Menge  Zellstoff  los.  Nach  ge- 
stillter Blutung  zieht  man  dem  Kranken  die  Kappe  der  Einigungsbinde 
über  den  Kopf  und  befestigt  sie  unter  dem  Kinn,  bringt  dann  den  Arm 
so  weit  an  das  Gesicht ,  dass  man  den  Lappen  genau  an  den  (vorher  mit 
Ausnahme  der  untern  Partie  aufgefrischten)  Nasenstumpf  anpassen  kann, 
entfernt  ihn,  wenn  diese  beide  passen,  wieder  etwas  und  zieht  die  Hefte, 
wie  sie  vorher  bezeichnet  waren,  ein,  indem  man  mit  den  Heften  der  Na- 
senwurzel anfängt.  Nun  legt  man  den  Arm  auf  den  Kopf  und  passt  den 
Lappen  auf  das  Genaueste  an  den  Nasenstumpf,  worauf  man  die  Hefte 
knüpft  und  den  Arm  mittels  der  Binde  am  Kopfe  befestigt.  Die  Hefte 
entfernt   man   nach   etwa  7  2  Stunden ,    wechselt   den  Verband  und  sprizt 


NASE,  KRANKHT.  DERS.   NASENBILDUNG.  679 

die  Nasenlöcher  aus.  Ist  der  Lappen  angewachsen,  wozu  6  — 10  Tage 
erforderlich  sind,  so  trennt  man  ihn  nach  gelöstem  Verbände  durch  einen 
Querschnitt  und  nimmt  schliesslich,  wenn  die  lezte  Schnittlinie  gut  über- 
häutet ist,  die  Umsäumung  der  Nasenlöcher  und  die  Bildung  des  Septum 
auf  die  bei  der  indischen  Methode  angegebene  Weise  vor.  Die  Arm- 
wunde behandelt  man  nach  allgemeinen  Regeln.  —  Die  mittelbare 
Transplantation,  die  Tagliacozz i'sche  oder  italienische 
Methode  weicht  von  der  vorigen  nur  darin  ab,  dass  man  die  Nase  auf 
dem  Arme  zum  Theil  vorbildet ,  und  dann  erst  die  beiden  Theile  behufs 
der  Verwachsung  mit  einander  in  Verbindung  bringt.  Dies  geschieht, 
kürzer  als  es  von  Tagliacozzi  geschah,  in  der  Art,  dass  man  auf  dem 
Arm  ein  hinreichend  grosses  Stück  Haut  in  Gestalt  eines  abgestumpften 
Dreiecks  mit  nach  oben  gewandter  Basis  ausschneidet  und,  nachdem  man 
die  Umsäumung  der  künftigen  Nasenlöcher  dadurch  vorgenommen  hat, 
dass  man  zu  den  beiden  Seiten  des  Stiels  kleine  dreieckige  Lappen  auf- 
wärts umklappte  und  annähte,  der  Narbencontraction  überlässt.  Vor  der 
Anheftung  der  Nase  an  ihren  neuen  Standort  muss  sie  dann  ebenso  wie 
die  Ränder  des  Defects  angefrischt  werden.  —  Die  Transplantation 
eines  vorher  ganz  getrennten  Hautstücks  (zweite  indische 
Methode)  ist  nur  indicirt,  wo  alle  andern  Methoden  nicht  ausgeübt  wer- 
den können.  Es  wird  ein  Hautstück,  nachdem  es  so  lange  geklopft 
worden  ist ,  bis  es  anschwillt  (in  Indien  aus  dem  Hinterbacken),  heraus- 
geschnitten und  an  die  wundgemachten  Nasenränder  angeheftet.  —  Die 
partielle  Rhinoplastik  bietet  weniger  Schwierigkeiten  dar,  als  die 
totale.  Ein  Nasenflügel  kann  aus  der  andern  Nasenhälfte,  der  Stirn-  und 
Wangenhaut  ersezt  werden.  Für  den  Ersaz  des  Nasenrückens  oder  der 
Nasenspize  benüzt  man  die  Stirn- ,  im  leztern  Fall  auch  ganz  gut  die 
Armhaut.  Zum  Ersaze  des  Septum  dient  die  Oberlippe,  oder  man  nimmt 
die  Haut  aus  dem  Rücken  der  Nase.  • —  Form  ver  änd  er  un  gen  der 
Nase ,  besonders'  in  Folge  von  Zerstörungen  der  dieselbe  constituirenden 
Knochen  und  Knorpel  machen  der  daraus  sich  ergebenden  Entstellung 
oft  eine  dringende  Abhülfe  nöthig.  Sinkt  die  ganze  Nase  ein ,  so 
kann  man  ein  seitliches  Zusammendrücken  der  Nase  versuchen,  was  durch 
Pappschienen  geschieht,  durch  welche,  so  wie  durch  die  Nase,  man  lange  In- 
sectennadeln  führt,  die  man  allmälig  stärker  aufbiegt,  wodurch  die  Nase 
immer  stärker  zusammengezogen  und  damit  ihr  Rücken  vorspringender  wird. 
Führt  dies  nicht  zum  Ziele,  so  spaltet  man  die  Nase  und  heilt  einen  Stirn- 
lappen ein.  Nötigenfalls  pflanzt  man  einen  grossen  Stirnlappen  über 
die  ganze  Nase  her,  welcher  nach  Umschneidung  der  Nase  an  die  benach- 
barte Wangenhaut  angeheftet  wird.  —  Ist  der  mittlere  Nasen- 
rücken eingesunken,  so  schneidet  Dieffenbach  ein  keilförmiges 
Stück  aus  der  Nase  und  vereinigt  die  Wunde  durch  Knopfnähte.  — 
Wenn  die  Nasenspize  durch  eine  Längenfalte  des  knorpeligen  Septum 


680  NASE,  KRANKHT.  DERS.  NASENGESCHWUER. 

herabgezogen  ist,  so  spaltet  derselbe  Operateur  die  Scheidewand  bis 
auf  den  Knochen  und  lässt  die  Wunde  durch  Granulation  heilen. 

Nasenblutung,  s.  Blutungen. 

Nasengeschwür,  Stinknase,  Ozaena  (von  o£«,  ich  stinke). 
Die  Nasenschleimhaut  ist  häufig  der  Siz  von  Verschwärungen,  welche  sehr 
selten  ein  rein  örtliches ,  d.  h.  durch  äussere  Schädlichkeiten ,  wie  Quet- 
schungen, Verwundungen,  durch  Eindringen  fremder  Körper  etc.  entstan- 
denes Leiden  sind  ;  in  den  bei  weitem  häufigeren  Fällen  ist  es  der  Reflex 
einer  im  Körper  vorhandenen  Dyscrasie  und  zwar  am  häufigsten  einer 
scrophulösen  und  syphilitischen  ;  ausserdem  kommen  lupöse,  impetiginöse 
und  krebsige  Verschwärungen  vor,  welche  dem  Nasengeschwür  jede  ihm 
eigenthümliche  Charaktere  aufdrücken.  —  Diese  Affection  tritt  ohne  auf- 
fallende Symptome  und  allmälig  auf,  weshalb  sie  auch  im  Anfang  leicht 
übersehen  und  gewöhnlich  für  ein  katarrhalisches  Ergriffensein  der 
Schleimhaut  genommen  wird.  Ist  es  zur  Ulceration  gekommen,  so  kommt 
es  nicht  allein  zu  einer  vermehrten,  sondern  auch  zu  einer  äzenden,  höchst 
übelriechenden  Secretion ,  welche  eben  diesem  Leiden  schon  von  Alters 
den  Namen  Ozaena  verschafft  hat.  Durch  das  Geschwür  der  Schleimhaut 
werden  die  Knochen  entblösst,  cariös  oder  werden  durch  Necrose  zerstört. 
In  den  selteneren  Fällen  geht  aber  auch  der  Zerstörungsprocess  von  den 
Knochen  auf  die  Weichtheile  über.  —  Das  Leiden  beginnt  mit  einem 
juckenden  brennenden  Gefühl  in  der  erkrankten  Nasenhälfte ,  dem  sich 
das  Gefühl  des  Trockenseins  und  bald  auch  das  der  Verengerung  und 
Verstopfung  zugesellt.  Beim  Ausschnauben  oder  Niesen,  wozu  der  Reiz 
nicht  fehlt ,  kommen  kleine  Borken  und  ein  übelriechender  Nasenschleim 
zum  Vorschein ,  wobei  das  Geruchsvermögen  beeinträchtigt ,  die  Stimme 
unrein ,  die  Sprache  durch  den  eigenthümlichen  Nasenton  unverständlich 
und  das  Athmen  durch  die  Nase  beschwerlich  wird.  Nach  der  Verschie- 
denheit der  dem  Uebel  zu  Grunde  liegenden  Ursache  schreitet  es  lang- 
samer oder  schneller  vorwärts,  wobei  sich  ebenso  die  Weichtheile  als  die 
Knochen  in  grösseren  oder  kleineren  Partien  abstossen ,  so  dass  in  nicht 
seltenen  Fällen  der  sich  schneuzende  Kranke  den  abgestorbenen  Vomery 
eine  Muschel  etc.  in  das  Tuch  bekommt.  Trifft  dieser  Zerstörungsprocess- 
die  knöcherne  Unterlage  der  äussern  Nase,  so  schwillt  diese  an,  wird  miss- 
farbig, geröthet  und  fällt  später,  ihrer  Stüzen  beraubt,  zusammen,  bis 
auch  endlich  sie  zerstört  wird.  Im  weiteren  Verlaufe  kann  sich  die  Zer- 
störung auf  die  Thränen  -  und  Oberkieferbeine ,  das  Keil-  und  Stirnbein 
ausdehnen,  so  dass  am  Ende  Nasen-,  Mund-  und  Rachenhöhle  eine  grosse 
Kloake  darstellt.  Mit  diesen  Verwüstungen  sind  natürlich  auch  bedeu- 
tende Funktionsstörungen  verbunden.  —  Nicht  selten  beobachtet  man 
eine  Ozaena  bei  Personen  mit  kleiner  plattgedrückter  Nase ,  bei  der  sich 
keine  Verschwärungen ,  dagegen  ein  Secret  von  penetrantem  Gerüche  fin- 
det. Der  Grund  davon  scheint  in  einem  Faulen  des  Nasenschleims 
in    der    obern ,     vielleicht    abnorm    gebildeten    Nasenhöhle    zu    liegen. 


NASE,  KRANKHT.  DERS.  VERENGERUNG.  681 

Die  Patienten  (besonders  junge  Mädchen)  sehen  gesund  aus,  das  Riech- 
vermögen ist  vermindert  oder  aufgehoben.  Zuweilen  mag  Scrophulosis 
mitwirken.  —  Die  Prognose  richtet  sich  nach  der  Natur  des  Uebels, 
hauptsächlich  aber  nach  der  ihm  zu  Grunde  liegenden  Dyscrasie.  Immer- 
hin ist  es,  wenn  auch  nicht  unheilbar,  so  doch  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
schwer  zu  beseitigen,  oft  genug  wird  es  aber  auch  gar  nicht  geheilt.  Ge- 
lingt die  Heilung  aber  auch  ,  so  bleiben  doch  oft  nicht  zu  verbessernde 
Entstellungen  zurück.  —  Behandlung,  Diese  richtet  sich  nach  dem 
Grundübel ;  ist  dieses  syphilitischer  Natur,  so  passen  hierzu  die  stärksten 
Antisyphilitica :  das  Decoctum  Zittmanni,  die  Schmierkur ,  die 
Dzondi' sehen  Pillen  etc.  Gegen  Ozaena  scrophulosa  gibt  man 
die  entsprechenden  innern  Mittel  und  wendet  örtlich  das  Jod  an,  z.  B. 
Rp.  Jodii  puri  gr.  ij — iij,  Kali  hy  droj  od.  gr.  iv — viij,  Aq.  dest. 
5xvj,  solv.  S.  In  die  Nase  einzusprizen  ;  oder:  Rp.  Jodii  puriss. 
iß,  Jodidi  kalii  x j  ,  Aq.  dest.  ^vj.  S.  Damit  befeuchtete  Lein- 
wandläppchen in  die  Nase  zu  bringen.  Neben  sorgfältigem  Reinhalten 
der  Nase  warne  man  den  Kranken  vor  allem  gewaltsamen  Schnauben,  vor 
Bohren  mit  Fingern  oder  Instrumenten  in  der  Nase  etc.  Ein  sehr  wirk- 
sames Mittel  ist  die  Cauterisation  mit  dem  Höllensteingriffel ;  wo  diese 
nicht  hinreicht,  kann  man  Alaunsolution  aufschnauben ,  oder  gepulverten 
Alaun,  Calomel  (Rp.  Calomel.  ^ j  ,  Merc.  praeeip.  rub.  gr.  x, 
Sacch.  crystall.  sjß.  M.  f.  pulv.  subtiliss.  S.  Einige  Mal  täg- 
lich eine  Prise  zu  nehmen)  schnupfen  lassen. 

Nasenlöcherverengerung  und  Verschluss  kann  Fehler 
der  ersten  Bildung  oder  Folge  späterer  Krankheiten ,  namentlich  dyscra- 
sischer ,  wie  Syphilis  und  Lupus ,  aber  auch  rein  örtlicher ,  wie  Verbren- 
nungen, sein.  —  Die  Verwachsung  kann  membranös  oder  fleischig  sein, 
und  die  fleischige  sich  mehr  oder  minder  hoch  erstrecken,  was  man  daran 
erkennt,  dass  man  den  Kranken  ,  während  er  den  Mund  und  das  gesunde 
Nasenloch  verschliesst,  stark  exspiriren  lässt  und  darauf  achtet,  wie  weit 
die  leidende  Nasenseite  dadurch  aufgetrieben  wird.  —  Der  Verschluss 
der  Nasenlöcher  behindert  das  Athemholen,  besonders  Nachts,  die  Sprache 
und  beraubt  auch  die  Kranken  des  Geruchsinns.  —  Behandlung. 
Nach  vorher  völlig  beseitigter ,  etwa  zu  Grunde  liegender  Dyscrasie  führt 
man  bei  Verengerung  des  Nasenlochs  auf  der  Hohlsonde  oder  für 
sich  ein  schmales  gerades  Bistouri  in  dieses  ein  und  schneidet  die  ver- 
engende Partie  in  der  Richtung  der  Nasenöffnung  ein.  —  Bei  Verwach- 
sung des  Nasenlochs  durch  eine  Membran  durchsticht  man  diese  mit  dem 
Messer  und  trägt  die  Wundränder,  indem  man  sie  mit  der  Pincette  fasst 
und  anzieht,  mit  der  Scheere  ab.  Bei  fleischiger  Verwachsung  macht 
man  in  der  Richtung  der  Nasenöffnung  wiederholte  Schnitte  von  unten 
nach  oben ,  bis  dieselbe  durchdrungen  ist ;  eine  nicht  zu  hoch  gehende 
kann  man  wie  die  membranöse  durchstechen.  Durch  Einlegen  von  Blei- 
röhren, Stückchen  von  elastischen  Cathetern  etc.   sucht  man  den  Wieder- 


682  NASE,  KRANKHT.  DERS. POLYPEN. 

verschluss  der  Oeffhung  zu  verhindern.  —  Das  runde  Ausschneiden  der 
Haut  oder  der  Narben  bewirkt  nur  ein  stärkeres  Zusammenziehen ,  wenn 
man  nicht  das  Nasenloch  mit  Haut  umsäumt.  Zu  diesem  Behufe  muss 
die  Haut  aus  der  Wange  oder  der  Nase  selbst  entnommen  und  nach  den 
allgemeinen  Regeln  der  Plastik  überpflanzt  werden.  —  Ist  mit  der  Ver- 
schliessung  der  Nasenlöcher  auch  Verwachsung  der  Oberlippe  verbunden, 
so  löst  man  leztere  zuerst  ab  ,  und  schreitet  erst  dann  zur  Eröffnung  der 
verschlossenen  Nase,  wenn  jene  Wunde  völlig  geheilt  ist. 

Nasenpolypen,  Polypus  narium,  gehören  zu  den  am  häu- 
figsten vorkommenden  Polypen  und  können  hinsichtlich  ihrer  Structur 
Schleim-  oder  Blasen-  oder  fibröse  Polypen  sein.  —  In  der  Mehrzahl  der 
Fälle  nehmen  sie  ihren  Ursprung  von  den  Wänden  der  Nasenhöhle  ;  zu- 
weilen wurzeln  sie  auch  in  den  Nebenhöhlen  und  gelangen  erst  später  bei 
ihrer  Vergrösserung  in  die  Haupthöhlen.  Bald  ist  nur  ein  Polyp  vorhan- 
den, bald  sind  es  deren  mehrere,  nur  in  einer  Nasenhöhle  oder  in  beiden 
zugleich.  —  Nach  ihrer  verschiedenen  Structur  zeigen  die  Polypen  man- 
nigfache Verschiedenheiten.  Die  weichen  schleimhäutigen  Polypen 
sind  die  am  häufigsten  vorkommenden ,  sizen  gewöhnlich  an  der  äussern 
Nasenwand ,  namentlich  an  den  Muscheln,  hauptsächlich  den  untern,  und 
wurzeln  nur  oberflächlich  in  der  Schleimhaut  und  dem  submucösen  Zell- 
gewebe. Ihrer  Weichheit  wegen  nehmen  sie  die  Form  der  Nasenhöhle 
an ;  sie  vergrössern  sich  daher  zuerst  in  verticaler ,  und  wenn  sie  den  Bo- 
den der  Nasenhöhle  erreicht  haben ,  mehr  in  horizontaler  Richtung.  Je 
nachdem  sie  im  vordem  oder  hintern  Nasenraume  wurzeln ,  gelangen  sie 
oei  ihrer  weiteren  Entwicklung  gegen  die  vordem  Nasenöffnungen  oder 
gegen  die  Choanen  oder  gegen  beide  Oeffnungen  zugleich,  und  treten 
endlich  aus  diesen  heraus.  Bei  feuchter  Witterung  schwellen  diese  Po- 
lypen an,  bei  trockener  sinken  sie  zusammen.  Bisweilen  plazen  sie  durch 
starkes  Schnauben ,  ergiessen  eine  wässerige  schleimige  Flüssigkeit ,  wor- 
auf sie  zusammenfallen.  —  Die  festen,  fleischigen  oder  fibrösen  Nasen- 
polypen kommen  mehr  im  hintern  Theile  des  Nasenraumes  vor ,  erreichen 
oft  eine  beträchtliche  Grösse ,  dehnen ,  wenn  sie  in  der  Nasenhöhle  ver- 
bleiben, wegen  ihrer  Unnachgiebigkeit  diese  aus,  so  dass  die  Nasenknochen 
verdrängt ,  selbst  nach  und  nach  zerstört  werden ,  oder  füllen ,  wenn  sie 
durch  die  Choanen  treten,  die  Rachenhöhle  nach  und  nach  aus  und 
drohen  Erstickungsgefahr  (Nasenrachenpolypen).  Die  mehr  fleischi- 
gen Polypen  wurzeln  in  der  Regel  nur  in  der  Schleimhaut  und  dem  sub- 
mucösen Zellgewebe,  die  fibrösen  hängen  dagegen  meistens  mit  derBein- 
naut  und  den  Knochen  zusammen.  Zuweilen  gehen  diese  Polypen  ober- 
flächliche Adhäsionen  mit  den  Höhlenwandungen  ein.  —  Eine  dritte  Art 
von  Nasenpolypen  sind  die  bösartigen,  die  krebshaften  Geschwülste, 
welche  sich  bald  als  sehr  feste,  faserige,  breit  aufsizende  Auswüchse,  bald 
als  weiche  schwammige  Massen  darstellen ,  sehr  schmerzhaft  sind ,  leicht 
bluten,  nach  verschiedenen  Richtungen  gegen  den  Rachen  und  die  Mund- 


NASE,  KRANKHT.  DERS.    —    POLYPEN. 

höhle  oder  gegen  die  Schädelbasis  hin  sich  ausbreiten,  die  Nasenknochen 
zerstören  und ,  sich  selbst  überlassen ,  durch  erschöpfende  Blutungen,  Er- 
stickung,  Hirndruck  etc.  tödtlich  werden.  —  Symptome.  Eine  all- 
mälig  eintretende  Verstopfung  der  Nase  ,  Beeinträchtigung  des  Geruchs, 
veränderte  Stimme ,  ein  Gefühl  von  Druck  und  Spannung  in  den  Nasen- 
höhlen, vermehrter  Schleimfluss  aus  der  Nase,  periodisch  sich  einstellende 
Blutungen  lassen  die  Gegenwart  eines  Polypen  vermuthen.  In  dem  Masse, 
wie  sich  der  Polyp  vergrössert,  nehmen  diese  Zufälle  zu ;  die  Nasenhöhle 
erfährt  eine  Auftreibung ,  die  Scheidewand  der  Nase  wird  nach  der  ent- 
gegengesezten  Seite  gedrückt  und  damit  oft  das  bis  jezt  noch  freie  andere 
Nasenloch  verstopft ;  der  Durchgang  der  Thränen  durch  den  Nasenkanal 
wird  gehemmt,  endlich  werden  alle  Knochen  aus  ihrer  Lage  gedrängt  und 
der  bisher  schleimige  Ausfluss  wird  jauchig  und  stinkend.  Die  Unter- 
suchung mit  dem  kleinen  Finger  zeigt  eine  bewegliche  circumscripte  Ge- 
schwulst ,  und  wenn  der  Polyp  mit  einem  dünnen  Stiel  aufsizt ,  so  kann 
ihn  der  Kranke  durch  kräftige  In-  und  Exspirationen  mit  Geräusch  hin- 
und  herschleudern,  er  kann  selbst  beim  Vorwärtsbeugen  des  Kopfs  aus  der 
Nase  hervortreten.  —  Diagnose.  Der  Nasenpolyp  könnte  mit  Aus- 
buchtungen an  der  Nasenscheidewand  oder  einem  Vorfall  der  Nasen- 
schleimhaut verwechselt  werden.  Diese  Zustände  bilden  aber  nie  beweg- 
liche Geschwülste  und  werden  sich  durch  das  Gesicht  oder  die  Unter- 
suchung mit  dem  kleinen  Finger  oder  einer  Sonde  leicht  erkennen  lassen. 
—  Ursachen.  Das  häufige  Vorkommen  der  Nasenpolypen  beruht  auf 
den  vielfachen  äussern  Reizungen  ,  welchen  die  Nasenschleimhaut  ausge- 
sezt  ist ,  auf  der  sehr  gef  ässreichen  und  lockern  Beschaffenheit  dieser 
Membran  und  auf  den  auch  aus  innern  Ursachen  sehr  häufig  vorkommen- 
den hyperämischen  und  entzündlichen  Zuständen  der  Nasenschleimhaut. 
Man  trifft  sie  vorzugsweise  bei  lymphatischen  Individuen  und  in  feuchten 
dunkeln  Wohnungen.  —  Prognose.  Diese  hängt  theils  von  ihrer 
Natur ,  theils  von  ihrem  Size  ab.  Weiche  Polypen  geben  eine  bessere 
Prognose  als  feste,  welche  schwerer  zu  entfernen  sind  und  leicht  bösartig 
werden.  Je  zugänglicher  die  Stelle  ist,  wo  der  Polyp  sizt,  je  beweglicher 
und  freier  derselbe  ist,  um  so  leichter  kann  er  entfernt  werden,  und  je 
vollständiger  dieses  geschieht,  desto  weniger  ist  seine  Wiederkehr  zu  be- 
fürchten. —  Behandlung.  Im  Entstehen  begriffene  Polypen  kann 
man  versuchen  in  ihrer  weiteren  Entwicklung  zu  hemmen  und  zwar  durch 
Blutegel  in  die  Nasenöffnungen ,  Einsprizungen  kalter  adstringirender 
Flüssigkeiten,  wie  von  Essig  und  Wasser,  Aq.  calcis,  Auflösungen  von 
Alaun ,  Salmiak ,  schwefelsaurem  Zink  und  Kupfer ,  Abkochungen  von 
Eichenrinde  etc.  ;  durch  Betupfen  der  kranken  Stelle  mit  Opiumtinktur, 
Höllensteinlösung;  durch  Schnupfpulver  aus  Marum  verum  und  Hb. 
majoranae  ana,  aus  C  a  1  o  m  e  1  *)ß  auf  S  a  c  c  h.  5ij,  aus  Ratanhia  und 
Eichenrinde  ana  mit  einem  Zusaz  von  Alaun  etc. ;  endlich  durch  Druck 
mit  Bourdonnets   oder  Röhren.      Diese  Mittel  können  bei  einer  schwam- 


684  NASE,  KRANKHT.  DERS.  POLYPEN. 

migen  Auflockerung  der  Schleimhaut  von  Nuzen  sein ,  bei  der  wirklichen 
Bildung  von  Polypen  nüzen  sie  aber  nichts  mehr ;  hier  kann  nur  auf  ope- 
rativem Wege  Hülfe  geschafft  werden.  —  Man  kann  die  Nasenpolypen  durch 
Ausreissen,  Abbinden  und  Abschneiden  entfernen  oder  sie  durch  Caute- 
risation  zerstören.  —  Das  Ausreissen  ist  die  allgemeinste  und  auch 
die  geeignetste  Heilmethode ,  wenn  der  Polyp  nicht  zu  tief  sizt ,  seine 
Basis  nicht  zu  breit  und  nicht  zu  fest  ist.  Man  benüzt  dazu  die  Polypen- 
zangen, deren  es  gerade  und  gekrümmte,  zerlegbare  und  feststehende  gibt. 
Sie  müssen ,  namentlich  wenn  es  sich  um  fibröse  Polypen  handelt ,  sehr 
stark  sein,  und  scharfe  Zahne  besizen  ,  .  damit  sie  sich  weder  biegen  noch 
abgleiten.  —  Bei  der  Operation  sizt  der  Kranke  mit  etwas  zurückgebeug- 
tem Kopfe  dem  Fenster  gegenüber ;  der  Operateur  stellt  sich  vor  und  ein 
wenig  rechts  von  ihm  auf  und  drückt  mit  dem  Daumen  der  auf  der  Stirn 
desselben  ruhenden  linken  Hand  die  Nasenspize  aufwärts.  Nachdem  der 
Kranke  den  Polypen  durch  Schnauben  stark  vorwärts  getrieben  hat,  führt 
man  die  geschlossene  Zange  bis  zur  Wurzel  des  Polypen  ein,  umfasst  die- 
sen ,  indem  man  sie  öffnet ,  oder  schiebt  die  halbgeöffneten  Branchen  an 
dem  Körper  des  Polypen  bis  zur  Wurzel  aufwärts.  Nach  Umständen 
führt  man  auch  einen  Arm  der  Zange  nach  dem  andern  ein.  Nun  wird 
die  Zange  geschlossen  und  ein  leichter  Zug  mit  ihr  ausgeübt.  Gibt  der 
Polyp  nach  ,  so  schiebt  man  die  Zange  an  ihm  weiter  hinauf  und  fasst 
ihn  von  Neuem  möglichst  nahe  an  seiner  Insertionsstelle.  Manche  Po- 
lypen können  mit  einem  Zuge  ausgerissen  werden  :  meist  bedarf  es  aber 
einer  drehenden  Bewegung  der  Zange,  um  die  beabsichtigte  Lösung  mög- 
lichst nahe  an  der  Insertionsstelle  zu  bewerkstelligen.  Mit  einer  ge- 
krümmten Zange  lässt  sich  das  Abdrehen  nicht  ausführen  ;  alsdann  unter- 
stüzt  man  das  Ausreissen  durch  Abquetschen ,  indem  man  die  Zange  wie- 
derholt kräftig  schliesst.  —  Oft  wird  mit  einem  Male  der  Polyp  mit  sei- 
ner ganzen  Wurzel  hinweggenommen ,  und  beim  Schnauben  ist  dann  die 
Nase  völlig  frei.  Nicht  selten  wird  aber  der  Polyp  unvollständig  ausge- 
zogen ,  und  es  muss  dann  die  Zange  so  oft  eingeführt  werden ,  bis  alle 
Polypenreste  entfernt  sind.  Sind  mehrere  Polypen  vorhanden,  so  reisst 
man  diese  auf  gleiche  Weise  nach  einander  aus.  —  Ist  der  Polyp  zu 
gross,  um  ihn  auf  die  angegebene  Weise  zu  fassen,  so  zieht  man  ihn  mit- 
tels einer  Kornzange,  Pincette,  eines  Doppelhakens  oder  einer  durchge- 
zogenen Fadenschlinge  hervor  und  sucht  dann  die  Zange  einzuführen,, 
oder  man  zerquetscht  den  Polypen  oder  zerkleinert  ihn  durch  Excision 
oder  Cauterisation.  Sizt  ein  Polyp  tief  in  der  Nase  ,  so  kann  man  ihn 
bisweilen  dadurch  zugänglicher  machen,  dass  man  mittels  der  Bellocq'- 
schen  Röhre  in  die  Choane  ein  Bourdonnet  bringt ,  dieses  dann  durch 
einen  Faden  vorzieht  und  den  Polypen  dadurch  nach  vorn  treibt ;  zuweilen 
gelingt  es  ,  den  in  der  Nähe  der  Choanen  wurzelnden  Polypen  mit  dem 
in  den  Mund  eingeführten  Zeigefinger  der  linken  Hand  durch  den  Pha- 
rynx  der  Zange  entgegen  zu   drängen   oder  wenigstens  sein  Ausweichen 


NASE,  KRANKHT.  DERS. POLYPEN.  685 

nach  hinten  zu  verhüten.  Bei  sehr  hohem  Size  und  bedeutender  Grösse 
eines  Polypen  kann  es  nöthig  werden,  die  Nase  neben  dem  Septum  bis  zu 
den  Nasenknochen  zu  spalten,  um  sich  Raum  zum  Anlegen  der  Zange  zu 
schaffen  ;  die  Wunde  vereinigt  man  nachher  mit  blutigen  Heften.  —  Das 
Ausziehen  des  Polypen  mit  einer  Ligatur  steht  dem  mit  der  Zange  nach. 
—  Die  dem  Ausreissen  der  Polypen  folgende  Blutung  ist  meist  nicht  von 
Bedeutung.  Das  Entfernen  der  Polypenreste  ist  das  sicherste  Blutstil- 
lungsmittel ;  nächstdem  lässt  man  kaltes  Wasser,  Wasser  mit  Essig,  The- 
dens  Schusswasser  etc.  einschnauben  oder  einsprizen ,  oder  man  drückt 
einen  in  styptische  Flüssigkeit  getauchten  Charpietampon  mit  der  Pincette 
an  die  blutende  Stelle  etc.  Steht  die  Blutung  hierauf  nicht,  so  verstopft 
man  die  vordere  und  hintere  Nasenöffnung  mit  Hülfe  der  B  e  1 1  o  c  q'schen 
Röhre  (s.  Blutung).  —  Tritt  Eiterung  in  der  Nasenhöhle  ein,  so  sprizt 
man  ein  schleimiges  Decoct  ein ;  bei  sehr  langer  Dauer  derselben  ge- 
braucht man  Myrrhentinktur  mit  Rosenhonig  zum  Bepinseln.  —  Häufig 
entsteht  der  Polyp  von  Neuem  und  es  kann  seine  wiederholte  Entfernung 
nöthig  werden ,  womit  man  aber  nur  gar  zu  oft  keine  Radicalheilung  er- 
zielt;  hier  muss  auf  Umbildung  der  kranken  Schleimhaut  hingewirkt, 
namentlich  müssen  die  Polypenreste  gründlich  zerstört  werden.  In  dieser 
Absicht  macht  man  adstringirende  Einsprizungen ,  cauterisirt  die  kranke 
Stelle  oder  zieht  mittels  der  B  eil oc  q'schen  Röhre  ein  Haarseil  durch 
den  Nasengang ,  welches  man  mehrere  Wochen  liegen  lässt  und  nach 
Massgabe  der  Reizung  mit  milden  oder  reizenden  Salben  bestreicht.  — 
Das  Abbinden  der  Nasenpolypen  ist  schwierig  auszuführen ,  für  den 
Kranken  lästig  und  schmerzhaft,  schlägt  oft  fehl,  und  es  können  durch 
die  Ausbreitung  der  Entzündung  von  der  zusammengeschnürten  Stelle 
aus  bedeutende  Zufälle  entstehen.  Ebenso  kann  die  Anschwellung  des 
Polypen ,  so  wie  später  der  eintretende  Verjauchungsprocess  nicht  blos 
sehr  belästigend ,  sondern  auch  gefährlich  werden.  Dasselbe  ist  daher 
nur  ausnahmsweise  vorzunehmen  und  zwar :  wenn  der  Polyp  eine  breite 
feste  Basis  hat,  wenn  heftige  Blutungen  zu  befürchten  stehen,  wenn  die 
Grösse  desselben  die  Anwendung  der  Zange  nicht  zulässt ,  endlich  wenn 
der  Kranke  furchtsam  ist.  —  Zur  Ausführung  der  Operation  hat  man 
verschiedene  Verfahren  angegeben.  Als  Ligatur  bedient  man  sich  eines 
Metalldrahtes  ,  einer  seidenen  oder  hänfenen  Schnur.  Zur  Einführung 
der  Ligatur  benüzt  Levret  einen  einfachen  Cylinder,  dessen  vordere 
Oeffnung  zur  Isolirung  der  Schlingenenden  durch  einen  Steg  getrennt  ist. 
Ragt  der  Körper  des  Polypen  nach  vorn ,  so  legt  er  die  Ligatur  zu  einer 
Schlinge  zusammen  und  schiebt  diese  mittels  einer  gespaltenen  Sonde 
durch  die  vordere  Nasenöffnung  so  viel  wie  möglich  um  die  Wurzel  des 
Polypen  herum ,  lässt  dann  die  Sonde  von  einem  Gehülfen  halten  und 
schiebt  die  Enden  der  Schlinge  durch  den  Cylinder ,  so  dass  zwischen 
ihnen  der  Steg  zu  liegen  kommt.  Nun  bringt  er  den  Cylinder  bis  zur 
Wurzel  des  Polypen ,    drängt  ihn  gegen  diese  an ,    während  er  die  Enden 


686  NASE,  KRANKHT.  DERS.  POLYPEN. 

der  Schlinge  gegen  sich  zieht,  lässt  die  Sonde  fortnehmen  und  windet  die 
Schlingenenden  um  Ringe,  die  sich  am  untern  Ende  des  Cylinders  befin- 
den. Hat  man  eine  Drahtschlinge  benüzt ,  so  dreht  man  jezt  noch  den 
Cylinder  mehrmals  um  seine  Achse ,  löst  die  Drahtenden  von  den  Ringen 
und  entfernt  den  Cylinder ;  bei  Benuzung  einer  Schnur  bleibt  dieser  lie- 
gen. —  Ragt  der  Körper  des  Polypen  in  den  Rachen,  so  schiebt  man  die 
Drahtschlinge  durch  die  Nase  bis  in  den  Rachen  ,  zieht  sie  mittels  einer 
Kornzange  oder  eines  stumpfen  Hakens  in  den  Mund,  breitet  sie  daselbst 
zu  einem  Oval  aus  und  leitet  sie ,  während  deren  Enden  allmälig  aus  der 
Nase  gezogen  werden ,  so ,  dass  sie  sich  über  den  Polypen  streift  und  zu 
dessen  Wurzel  hinaufgleitet.  Ehe  man  die  Schlinge  anzieht,  ist  es  räth- 
lich ,  einen  Faden  an  sie  zu  befestigen  ,  um  sie  zurückziehen  zu  können, 
wenn  man  den  Polypen  verfehlt  hat.  Ist  der  Polyp  gefasst,  so  steckt  man 
die  Schlingenenden  durch  den  Cylinder  und  verfahrt  wie  oben  angegeben 
ist.  Wenn  bei  Polypen  im  hintern  Theile  der  Nasenhöhle  das  eben  be- 
schriebene Verfahren  nicht  gelingt ,  so  kann  man  nach  B  o  y  e  r  verfahren. 
Man  führt  die  B  e  1 1  o  c  q'sche  Röhre  an  der  einen  Seite  des  Polypen 
durch  die  Nase,  befestigt  an  die  vorgeschobene  Feder  im  Munde  das  eine 
Ende  der  Ligatur,  zieht  dann  die  Feder  zurück  und  die  Röhre  und  somit 
die  Ligatur  zur  Nase  heraus.  Nachdem  dieses  Ende  von  der  Feder  ge- 
löst ist,  führt  man  die  Röhre  auf  der  andern  Seite  des  Polypen  durch  die 
Nase ,  befestigt  an  ihrer  Feder  das  andere  Ligaturende ,  und  zieht  auch 
dieses  zur  NasenöfFnung  heraus.  Somit  hat  man  den  Polypen  umschlun- 
gen;  nun  steckt  man  die  Enden  der  Ligatur  durch  den  Levr  et 'sehen 
Cylinder  und  verfährt  wie  oben.  —  Noch  mehr  Sicherheit  gewährt  das 
Verfahren  von  B.  Langenbeck  mit  zwei  Schlingen.  Eine  Schlinge 
wird  durch  den  Schlund  in  die  Nase  und  zum  Nasenloch  heraus  in  der 
Art  eingeführt,  dass  die  beiden  Fadenenden  zum  Munde  heraus,  das  ge- 
schlossene Schlingende  aber  zur  Nase  heraushängt.  Die  zweite  Schlinge 
liegt  gerade  umgekehrt.  Die  eine  kommt  auf  die  eine  Seite  oder  ober- 
halb ,  die  andere  auf  die  andere  Seite  oder  unterhalb  des  Polypenstiels 
zu  liegen.  Nun  werden  die  Fadenenden,  welche  aus  dem  Munde  heraus- 
hängen ,  durch  die  eben  da  befindliche  Schlinge  gesteckt ;  dasselbe  ge- 
schieht am  Nasenloch.  Dann  werden  die  Fadenenden  aus  dem  Munde 
und  die  andern  aus  der  Nase  hervor  und  straff*  angezogen.  Der  Knoten, 
den  die  gegen  einander  gezogenen  Schlingen  bilden ,  muss  den  Stiel  des 
Polypen  umschnüren.  —  Sehr  bequem  lässt  sich  auch  eine  Schlinge  an 
einen  im  vordem  Theile  der  Nase  wurzelnden  Polypen  mit  einer  Korn- 
zange bringen ,  die  an  den  Enden  ihrer  Branchen  mit  einem  Einschnitte 
zur  Aufnahme  der  Fadenschlinge  versehen  ist.  Die  Zange  wird  mit  dem 
übergelegten  Faden  geschlossen  in  die  Nasenhöhle  eingeführt  und ,  wenn 
man  an  der  Wurzel  des  Polypen  angekommen  ist,  allmälig  geöffnet.  Hier- 
durch wird  die  Schlinge  gebildet,  die,  wenn  man  die  Fäden  nunmehr 
spannt ,   die   Wurzel   des  Polypen  umfassen  muss.      Die  Fäden  befestigt 


NASE,  KRANKHT.  DERS. 


STEINE.  687 


man  nach  entfernter  Zange  mit  einem  Schlingenschnürer  (s.  A  bb  in  d  en). 
Chassaignac  wendet  seinen  Ecraseur  an  (s.  diesen  Art.).  —  Die  un- 
mittelbar nach  ihrer  Anlegung  sehr  straff  angezogene  Ligatur  wird  in 
kurzer  Zeit  lockerer,  sie  inuss  daher  jezt,  und  so  oft  sie  wieder  erschlafft, 
an  jedem  folgenden  oder  alle  zwei  Tage  stärker  angezogen  werden.  Tritt 
im  Verlaufe  dieser  Procedur  eine  starke  Blutung  ein ,  oder  wird  der 
Schmerz  heftig  oder  die  Anschwellung  beunruhigend,  so  muss  die  Ligatur 
starker  geschnürt  werden;  das  Nachlassen  der  Unterbindungsseh  nur  würde 
alle  jene  Erscheinungen  noch  vermehren.  Der  zusammengeschnürte  Po- 
lyp verfault  unter  beträchtlichem  Gestank  und  dem  Ergüsse  einer  scharfen 
Jauche  ,  deren  Verschlucken  sehr  üble  Folgen  haben  kann.  Man  wird 
deshalb  gut  thun,  wenn  es  möglich  ist,  gleich  nach  der  Unterbindung  oder 
bei  der  nachfolgenden  Anschwellung  den  grössten  Theil  des  Polypen  ab- 
zuschneiden und  durch  Einsprizen  oder  Ausspülen  von  Alaunlösungen, 
verdünntem  Chlorwasser  u.  dgl.  die  fauligen  Massen  unschädlich  zu  machen. 
In  der  Zeit ,  wo  der  Polyp  dem  Abfallen  nahe  ist ,  muss  der  Kranke  be- 
sonders bewacht  werden ,  damit  nicht ,  wenn  der  Polyp  in  den  Rachen 
fällt,  Erstickungszufälle  veranlasst  werden.  —  Das  Abschneiden  der 
Nasenpolypen  ist  nur  räthlich  ,  wenn  der  Polyp  im  vordem  Theile  der 
Nasenhöhle  wurzelt  und  er  mit  einem  dünnen  flechsigen  Stiel  aufsizt. 
Das  Abschneiden  kann  mit  der  Scheere ,  einer  schneidenden  Zange  oder 
einem  geknöpften  schmalen  Messer  geschehen.  Man  fasst  den  Polypen 
mit  einer  Pincette  oder  einem  Haken,  zieht  ihn  an,  führt  das  schneidende 
Instrument  an  der  zugänglichsten  Stelle  zur  Wurzel  des  Polypen  und 
schneidet  diese  möglichst  nahe  an  ihrem  Boden  ab.  Gewöhnlich  folgt 
eine  starke  Blutung,  die  man  auf  die  früher  angegebene  Weise,  nötigen- 
falls aber  durch  das  Glüheisen  stillt.  Dieses,  so  wie  auch  Aezmittel,  die- 
nen auch  zur  Verhütung  der  Wiederkehr  des  Gewächses.  —  Die  Caute- 
risation  ganzer  Polypen  ist  nur  angezeigt  bei  Polypen ,  welche  eine 
starke  Blutung  befürchten  lassen,  ferner  bei  sarkomatösen  Polypen.  Nur 
das  Glüheisen  findet  hierbei  Anwendung,  und  zwar  bedient  man  sich  dazu 
eines  Troicarts  mit  weiter  und  kurzer  Canüle.  Leztere  wird,  mit  feuchter 
Leinwand  umgeben,  an  den  Polypen  gebracht  und  dann  das  weissglühend 
gemachte  Stilet  durch  die  ganze  Länge  des  Polypenkörpers  gestossen. 
Der  Polyp  wird  grösstenteils  durch  die  folgende  suppurative  Entzündung 
zerstört.  Die  gewöhnlich  eintretende  heftige  Reaction  erheischt  eine 
strenge  antiphlogistische  Behandlung.  Zurückbleibende  Polypenreste 
kann  man,  wenn  sie  grösser  sind,  ausreissen,  kleine  sucht  man  wegzuäzen. 
—  Mit  grossem  Nuzen  wird  auch  bei  den  Nasenpolypen  die  galvano- 
caustische  Schneideschlinge  nach  Middeldorpf(s.  Electrothera- 
p  i  e)  angewendet ;  sie  vereinigt  die  Vortheile  des  Schnitts  und  der  Liga- 
tur, ohne  deren  Nachtheile  zu  haben. 

Nasensteine,    Rhinolithen,    nennt  man   Concremente  aus 
den  in  dem  Nasenschleime  enthaltenen  Salzen.      Sie  bestehen  namentlich 


688  NECROSIRUNG. 

aus  phosphorsaurem  und  kohlensaurem  Kalk  und  Magnesia.  Nicht  selten 
bilden  fremde  Körper,  wie  Kirschkerne  u.  dgl.  die  Grundlage  (den  Kern) 
dieser  Concremente.  —  Sie  erregen  zuweilen  Entzündung  in  ihrer  Um- 
gebung und  in  Folge  davon  einen  oft  sehr  übelriechenden  Ausfluss  ,  An- 
schwellung und  Schmerzhaftigkeit  der  entsprechenden  Nasenhälfte ,  Ver- 
engerung und  Verstopfung  des  Thränensacks  etc.  Bei  der  Untersuchung 
mit  der  Sonde  geben  sie  sich  durch  einen  dumpfen  Ton  zu  erkennen.  — 
Die  Behandlung  besteht  in  der  Entfernung  der  Steine.  Man  sucht 
sie  mit  einer  geeigneten  Zange  zu  fassen  und  auszuziehen.  Selten  ge- 
lingt es,  sie  durch  Niesen  zu  entfernen. 

Nase,  künstliche,  Nasus  artificialis.  Wenn  die  Um- 
stände den  organischen  Wiederersaz  der  verloren  gegangenen  Nase  nicht 
erlauben,  so  kann  die  Entstellung  nur  durch  eine  künstliche  Nase  gehoben 
werden.  Die  Materialien ,  welche  zu  künstlichen  Nasen  benuzt  werden, 
sind  verschieden ;  man  nimmt  dazu  Holz ,  Silber-  oder  Goldblech ,  Elfen- 
bein, Papier  mache.  Das  beste  Material  zu  künstlichen  Nasen  ist  Silber- 
oder Goldblech,  weil  diese  Metalle  bis  zur  Dünne  des  Papiers  geschlagen 
und  in  jede  beliebige  Form  getrieben  werden  können.  —  Die  künstliche 
Nase  muss  in  allen  Verhältnissen  mit  dem  Gesichte  übereinstimmend  ge- 
formt sein,  deshalb  ist  es  nöthig,  vorher  ein  Modell  von  Wachs  oder  Thon 
anzufertigen ;  sie  muss  ferner  genau  nach  der  Gesichtsfarbe  des  Kranken 
gemalt  sein  ;  da,  aber  die  Gesichtsfarbe  häufig  wechselt ,  so  ist  es  nöthig, 
dass  das  betreffende  Subject  Nasen  von  verschiedener  Färbung  besize.  — 
Die  Befestigung  der  künstlichen  Nasen  geschieht  durch  an  ihrer  innern 
Seite  angebrachte  Federn,  die  in  die  Nasenöffnung  hineingreifen  ;  solcher 
Art  ist  die  künstliche  Nase  von  Franz.  Man  sieht  auch  solche,  die  an 
eine  gewöhnliche  Brille  befestigt  sind  und  mit  dieser  angesezt  und  abge- 
nommen werden  können. 

NecrOSirUIlg  (von  vmqocö,  ich  tödte).  Mit  diesem  Namen  be- 
zeichnet man  die  Zerstörung  (Mortification)  von  Geweben ,  welche  ent- 
weder dadurch  zu  Stande  kommen  kann,  dass  ihre  Structur  durch  hinzu- 
tretende äussere  oder  innere  Schädlichkeiten  vernichtet  wird  oder  dass 
ihre  Elemente  selbst  sich  zersezen.  Der  erstere  Fall  tritt  bei  Einwirkung 
äzender  Substanzen ,  ferner  durch  Eiter ,  Jauche,  schmelzendes  Exsudat, 
der  leztere  bei  Erweichung  und  dem  örtlichen  Tode  (Brand)  ein.  Sonach 
kann  die  Necrosirung  eines  Gewebes  aus  innern  Ursachen  eine  durch  Ver- 
eiterung,  Verjauchung,  Schmelzung,  Zerweichung  und  Brand  sein.  Die 
ersteren  Zerstörungsprocesse  gehen  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  aus  der 
Entzündung  hervor,  insofern  die  Producte  einer  solchen  (wie  Eiter,  Jauche) 
das  Mittel  zur  Auflösung  des  Gewebes  abgeben.  Erweichung  und  Brand 
kann  dagegen  eben  so  gut  entzündlichen  Ursprungs  sein ,  als  ohne  alle 
Entzündung  auftreten.  Für  alle  diese  verschiedenen  Arten  von  Zerstö- 
rungsprocessen  lässt  sich  entweder  eine  rein  örtliche  oder  eine  allgemeine 


NERVENENTZÜENDUNG.  689 

(in  der  Blutbeschaffenheit  liegende ,  dyscrasische)  Ursache  auffinden. 
Unter  den  Dyscrasien  sind  es  vorzüglich  die  typhöse ,  tuberculöse,  kreb- 
sige ,  pyämische ,  puerperale ,  septische  und  syphilitische  Krase ,  welche 
theils  durch  Ablagerungen  (Localisation)  ,  theils  durch  bedeutende  Ver- 
schlechterung des  Bluts  zu  Gewebszerstörungen  Veranlassung  geben.  Bei 
einigen  derselben  wird  manchmal  das  die  Zerstörung  bedingende  Product 
ganz  unmerklich ,  das  andere  dagegen  unter  heftigen  Entzündungssym- 
ptomen abgesezt.  S.  die  Artikel  Erweichung,  Brand,  Eite- 
rung etc. 

Nervenentzündung,  Neuritis.  Entzündungsfähig  sind 
blos  die  dem  fibrösen  System  angehörenden  Nervenscheiden,  das  Nerven- 
mark leidet  nur  secundär  mit,  was  jedoch  die  wichtigsten  functionellen 
Störungen  herbeiführt.  Das  in  Mitleidenschaft  gezogene  Nervenmark 
zeigt  eine  röthliche  Färbung  und  im  weiteren  Verlaufe  eine  punkt-  oder 
striemenförmige  Extravasaten.  Je  nach  der  Beschaffenheit  des  Exsu- 
dats bildet  sich  weisse  oder  rothe  Erweichung  des  Markes;  auch  zur  Ab- 
scessbildung,  Verjauchung  und  schwieligen  Verhärtung  des  Markes  kann 
es  kommen.  Das  Neurilem  bietet  mehr  oder  weniger  intensive ,  vorwal- 
tend streifige  Röthung,  Anschwellung  mit  seröser  Infiltration  und  Locke- 
rung des  Gewebes  dar ,  so  dass  sich  die  Nervenbündel  leichter  trennen 
lassen.  —  Veranlassung  zu  Nervenentzündungen  geben  mechanische  Ver- 
lezungen,  sehr  häufig  Erkältung ,  seltener  treten  sie  spontan  als  dyscrasi- 
sche Entzündungen  auf.  Durch  Verlezungen  entsteht  mehr  die  acute 
Form,  durch  Rheumatismus  mehr  die  chronische.  Eine  sehr  häufige  Ver- 
anlassung ist  auch  der  Uebergang  der  Entzündung  von  benachbarten 
Theilen  auf  die  Nerven ,  so  namentlich  bei  Caries ,  bei  chronischen  Ge- 
schwüren der  Weichtheile.  —  Symptome.  Die  Nervenentzündung 
charakterisirt  sich  durch  äusserst  heftige ,  andauernde  Schmerzen  nach 
dem  Verlaufe  der  ergriffenen  Nerven  ;  oft  äussern  sich  diese  aber  nur  an 
den  peripherischen  Ausbreitungen  derselben,  und  können  so  in  Bezug  auf 
den  Siz  der  Entzündung  leicht  täuschen.  Die  den  entzündenden  Nerven 
bedeckende  Haut  ist,  besonders  wenn  er  oberflächlich  liegt,  geröthet,  von 
höherer  Temperatur  und  etwas  angeschwollen ;  gewöhnlich  sind  auch 
Fieberbewegungen  zugegen.  Von  der  Neuralgie  unterscheidet  sich  die 
Nervenentzündung  durch  den  Schmerz ,  der  bei  der  erstem  plözlich  auf- 
tritt und  bald  stechend ,  bald  brennend ,  bald  zerrend  und  drückend  ist, 
während  er  bei  der  Entzündung  andauernd  ist  und  seine  Natur  nicht  ver- 
ändert ;  auch  werden  die  Schmerzen  bei  der  Neuritis  durch  Druck  ge- 
steigert, bei  der  Neuralgie  nicht.  —  Wenn  die  Zertheilung  nicht  gelingt, 
so  tritt  in  Folge  des  comprimirenden  oder  zerstörenden  Exsudats  bei  der 
Neuritis  früher  oder  später  Lähmung  ein.  —  Behandlung.  Sie  be- 
steht in  örtlichen  Blutentziehungen  durch  Schröpf  köpfe  und  Blutegel,  Ab- 
führungen, Brechweinstein  in  getheilten  Gaben,  Mercur,  bei  acuten  Fällen 
Burger,  Chirurgie.  44 


690  NEUBILDUNGEN. 

Calomel  und  Mercurialfrietionen  ,  bei  chronischen  Sublimat ,  bei  heftigen 
Schmerzen  Opium ,  später  kräftigen  Ableitungen  durch  wiederholte  Zug- 
pflaster oder  Moxen  ;  beim  Nachlasse  der  Symptome  belebende ,  die  Er- 
regbarkeit hebende  Mittel,  wie  die  Ammoniumpräparate,  Moschus,  Casto- 


Neubildllllgeil.  Die  Neugebilde,  denen  wir  im  Körper  zwischen 
den  normalen  Geweben  oder  an  der  Stelle  derselben  begegnen,  sind  ent- 
weder ganz  neu  erzeugte  (eigentliche  Neub  il  d  u  n  gen  ,  Afterbil- 
dungen, Pseudoplasmata),  oder  durch  Umwandlung  eines  andern 
(physiologischen  oder  pathologischen)  Gewebes  entstandene  (Entartun- 
gen, Metamorphosen).  Die  ersteren  können  mit  dem  normalen 
Gewebe,  in  welches  sie  eingelagert  sind ,  entweder  verschmelzen  und  mit 
ihm  weiter  wachsen  oder  sie  können  dasselbe  auf  verschiedene  Weise  be- 
einträchtigen und  selbst  ganz  verdrängen.  —  Hinsichtlich  ihrer  Zusammen- 
sezung  sind  die  Neugebilde  entweder  organischer  oder  unorgani- 
scher Natur ;  die  ersteren  folgen  in  ihrer  weiteren  Ausbildung  den  Bil- 
dungsgesezen  des  organischen  Lebens  ,  sind  höher  oder  niedriger  organi- 
sirt  und  stellen  auf  der  höchsten  Organisationsstufe  ein  physiologisches 
Gewebe  bei  der  Regeneration  verloren  gegangener  Theile  dar ,  während 
für  die  lezteren ,  welche  nach  den  Gesezen  des  reinen  Chemismus  ent- 
stehen, die  vollkommenste  Gestalt,  welche  sie  erreichen  können,  die  des 
Krystalls  ist.  —  Jedes  Neugebilde  entsteht  aus  einem  formlosen  (amor- 
phen) stets  anfangs  flüssigen  und  vom  Blute  ausgeschiedenen  Bildungs- 
stoffe (Plasma).  Den  Bildungsstoff  für  unorganische  Neugebilde  bezeich- 
net man  als  Mutterlauge,  den  für  organische  als  Cytoblastem, 
Blastem.  —  Von  den  organisirten  Neubildungen  war  schon  in  den  Ar- 
tikeln Cysten,  Geschwülste  etc.  die  Rede  ;  es  wird  daher  hier  nur 
von  den  nicht  organisirten  gehandelt  werden. 

Die  nicht  organisirten  Neubildungen  sind  vorwaltend 
reich  an  unorganischen  Bestandtheilen ,  bestehen  vorzugsweise  aus  Kry- 
stallen,  krystallinischen  Massen  oder  unorganischen  fein-  oder  grobkörni- 
gen Niederschlägen,  die  sich  zu  grösseren  Gebilden  (Concretionen, 
Concrementen)  vereinigen ,  und  entwickeln  sich ,  meist  nach  rein 
chemischen  Gesezen  in  der  Regel  aus  flüssigem  Plasma  (Mutterlauge), 
welches  die  Stoffe ,  aus  denen  die  nachherige  Neubildung  besteht ,  aufge- 
löst enthält.  —  Sie  kommen  bald  in  offenen  oder  geschlossenen  Höhlen, 
bald  im  Parenchym  der  Organe  vor.  Die  erstem  erscheinen  in  der  Regel 
vollkommen  isolirt ,  ohne  Zusammenhang  mit  den  umgebenden  Theilen, 
sind  gewöhnlich  hart  und  von  mineralischem  Gefüge  und  heissen  auch 
Steine,  Calculi.  —  Die  nähern  chemischen  Bestandteile  dieser  Neu- 
bildungen sind  :  Proteinstoffe,  Fette  untl  zwar  Elain  und  Elainsäure,  Mar- 
garin  und  Margarinsäure ,  Cholestearin ,  vielleicht  auch  Stearin  und  noch 
unbekannte   Mollecularfettkörnchen  ;    Kalk  salze    und   zwar^  kohlensaurer, 


NEUBILDUNGEN.  691 

basisch-phosphorsaurer  und  oxalsaurer  Kalk ;  phosphorsaure  Ammoniak- 
Magnesia,  Harnsäure ,  harnsaure  Salze  und  zwar  harnsaures  Natron,  Kali, 
Ammoniak  und  harnsaurer  Kalk ;  Farbstoffe ,  nämlich  Gallenfarbstoff, 
körniges  Pigment  und  Schwefeleisen;  Cystin,  Kieselsäure,  endlich  Nieder- 
schläge von  organischen  Stoffen  und  Salzen  mit  alcalischer  Basis ,  wie 
Chlornatrium,  schwefelsaures  und  phosphorsaures  Kali  und  Natron  etc.  — 
Die  Entstehung  dieser  Neubildungen  beruht  zunächst  darauf,  dass  die 
Bedingungen,  durch  welche  Stoffe  gelöst  erhalten  werden,  aufhören.  Dies 
kann  geschehen:  l)  durch  chemische  Veränderungen  der  gelösten  Sub- 
stanzen oder  der  Lösungsmittel,  2)  durch  Verminderung  des  Lösungs- 
mittels ,  des  Wassers ,  sei  es  auf  dem  Wege  der  Verdunstung  oder  der 
Exosmose,  der  Resorption  etc.  ;  hierdurch  dicken  sich  die  übrig  bleiben- 
den festern  Theile  ein  und  vertrocknen,  wie  dies  bisweilen  mit  dem  Inhalte 
der  Schleim-  und  Talgdrüsen ,  mit  den  Secreten  im  äussern  Gehörgange, 
an  der  Glans  penis  etc.  geschieht;  3)  durch  Abnahme  der  Tempera- 
tur, durch  Abkühlung,  indem  einzelne  Stoffe,  z.  B.  gewisse  Fettarten,  nur 
bei  höherer  Temperatur  flüssig  sind ,  bei  Erkältung  aber  fest  werden  und 
sich  ausscheiden.  —  Die  Concretionen  in  Absonderungsflüssigkeiten 
(Steinkrankheit,  Lythiasis)  bilden  sich  aus  Niederschlägen  in 
diesen  und  zwar  indem  entweder  eine  grössere  Menge  des  Niedergeschla- 
genen für  sich  oder  unter  Vermittlung  eines  Bindemittels  (Schleim  u.  dgl.) 
eine  zusammenhängende  krystallinische  Masse  bildet,  oder  indem  sich  eine 
unorganische  Substanz  auf  einen  fremden  Körper  niederschlägt.  Um  die 
erste  Anlage  einer  Concretion  (Kern,  der  aus  einem  fremden  ,  von  aus- 
sen eingedrungenen  Körper ,  oder  aus  einem  Blut- ,  Schleim-,  Faserstoff- 
coagulum  etc.  bestehen  kann)  können  sich  dann  allmälig  neue  Bestand- 
theile  von  derselben  oder  anderer  Art  als  die  des  Kerns,  schichtweise  oder 
in  Blättern,  Höckern,  Spizen  etc.  niederschlagen.  Auf  diese  Art  entsteht 
die  verschiedene  Grösse,  Form,  Consistenz  und  Textur  der  Concretionen. 
Man  nennt  dieselben  bei  etwas  grösserem  Unifange  Steine,  Calculi, 
wenn  sie  klein  und  zahlreich  sind  Sand,  Gries.  —  Die  Steine  liegen 
entweder  locker  in  den  Höhlen,  oder  sind,  indem  sie  dieselben  ganz  aus- 
füllen ,  eingekeilt  und  fest ,  oder  sie  sind  durch  ein  Bindemittel  an  die 
Wand  befestigt ,  oder  sie  werden  von  der  Wand  gleichsam  eingekapselt 
(eingesackt).  Es  gibt  Gallen-  ,  Harn- ,  Speichel- ,  Thränen-,  Prostata-, 
Darmsteine.  —  Die  Concretionen,  welche  man  im  Parenchym  der  Organe 
findet ,  bilden  sich  aus  Stoffen  hervor,  die  vom  Blut  ausgeschieden  wurden, 
und  zwar  sowohl  aus  der  allgemeinen  Ernährungsflüssigkeit,  als  aus  patho- 
logischen Exsudaten;  da  nun  diese  nicht  von  so  verschiedener  Art  als  die 
Bestandtheile  der  Se-  und  Excretionsstoffe  sind ,  so  zeigen  diese  Concre- 
tionen in  ihrer  Zusammensezung  keine  so  grosse  Mannigfaltigkeit.  Sie 
bestehen  hauptsächlich  aus  Erdsalzen  (phosphor-  und  kohlensaurem  Kalk, 
phosphorsaurer  Ammoniak-Magnesia,  kohlensaurer  Magnesia,  Kieselerde), 
seltener  aus  alcalinischen  Salzen  (Chlornatrium ,  phosphor-  und  schwefel- 

44* 


692 


NEUBILDUNGEN.   GALLENSTEINE. 


saurem  Natrium  etc.),  wozu  sich  nicht  selten  Fette  (besonders  Cholestearin) 
gesellen  ;  auch  harnsaures  Natron  findet  sich  bisweilen  darin.  Es  kom- 
men solche  Fremdbildungen  gewöhnlich  in  Folge  rein  örtlicher  Processe, 
durch  Freiwerden,  Niederschlagen  und  Zurückbleiben  der  Salze  zu  Stande ; 
doch  sind  sie  auch  bisweilen  Folgen  von  Blutalterationen ,  von  abnormer 
Menge  eines  Salzes  im  Blute  (harnsaure ,  phosphorsaure  ,  gichtische  Dia- 
these) und  Ausscheidung  desselben.  —  Die  Formen ,  unter  denen  diese 
Concretionen  auftreten ,  sind  :  Niederschläge  auf  organische  oder  fremde 
Stoffe  (Incru Stationen)  oder  in  Flüssigkeiten  (Verkreidung), 
oder  zwischen  die  Elemente  organisirter  Theile  (Verknöcherung). 
Hierher  gehören  (theilweise)  die  Gelenkmäuse ,  die  Verknöcherungen  in 
den  Arterien  und  Venen,  im  Eiter,  Tuberkel,  Krebs.  —  Die  Ursachen 
zur  Bildung  von  Concretionen  sind  mannigfaltig.  Bisweilen  entstehen 
sie  nur  in  Folge  der  zufälligen  Anwesenheit  eines  fremden  Körpers  ;  an- 
dere Male  ist  es  eine  fehlerhafte  Blutcrase ,  welche  zur  Steinbildung  dis- 
ponirt.  Ausserdem  können  sich  Concretionen  bilden  bei  der  Erweichung 
organisirter  Neubildungen,  indem  sich  Fette  und  unauflösliche  Salze  aus- 
scheiden ;  bei  eintretender  Fäulniss,  wobei  zur  Bildung  von  Krystallen  aus 
phosphorsaurer  Ammoniak-Magnesia ,  bei  Erkältungen ,  wo  zur  Ausschei- 
dung von  Margarinkrystallen  Anlass  gegeben  wird  etc.  —  Die  Zufälle, 
welche  diese  Fremdbildungen  veranlassen,  hängen  von  dem  Siz,  der  Form 
und  der  Grösse  derselben  ab.  Zuweilen  verursachen  sie  keine  oder  we- 
nig Beschwerden,  in  den  meisten  Fällen  jedoch  verstopfen  sie ,  besonders 
bei  einigem  Umfange ,  Höhlen  und  Kanäle ,  reizen  die  Umgebung  und 
rufen  dadurch  nicht  selten  Nervenzufälle ,  Entzündung ,  Eiterung ,  Ver- 
schwärung  und  Brand  hervor.  Durch  diese  Vorgänge  wird  das  Concre- 
ment  bisweilen  ausgestossen  oder  eingekapselt  und  dadurch  mehr  oder 
weniger  unschädlich  gemacht ;  auch  kann  es  durch  Hinzutreten  von  Flüs- 
sigkeiten in  Folge  von  Exsudation  wieder  aufgelöst  werden  ;  heftige  Rei- 
zung kann  aber  auch  den  Tod  herbeiführen.  Zuweilen  werden  bösartige 
organisirte  Neubildungen  durch  Verkalkung  unschädlich  gemacht.  —  Die 
sogenannten  Verknöcherungen  haben  besonders  die  nachtheiligen  Folgen, 
dass  sie  die  Theile  ihrer  Weichheit,  Elasticität  etc.  berauben  und  dadurch 
zu  ihren  Verrichtungen  mehr  oder  weniger  untauglich  machen,  z.  B.  Ver- 
knöcherungen an  den  Arterienhäuten ,  Sehnen  etc.  —  Behandlung. 
Wenn  das  Concrement  sich  an  einer  zugänglichen  Stelle  befindet  und  Zu- 
fälle erregt,  so  muss  es  entfernt  werden.  Diese  Entfernung  kann  je  nach 
dem  Size  und  der  Beschaffenheit  des  Concrements  auf  verschiedene  Weise 
geschehen,  durch  Ausschneiden,  durch  Zertrümmerung,  durch  Ausziehen, 
durch  Auflösung  mittels  chemischer  Mittel  oder  der  Electrolyse. 

1)  Gallensteine,  Gallenconcretionen,  Calculi  bili- 
ar e  s  ,  entstehen  bald  durch  lange  Zurückhaltung  und  Verdickung  nor- 
maler Galle  ,  bald  bei  zu  grossem  Reichthum  der  Galle  an  gewissen  Be- 
standteilen, die  sich  dann  leicht  fällen.    Sie  können  sich  in  allen  Theilen 


NEUBILDUNGEN.   GALLENSTEINE.  693 

des  Gallenapparats,  ausserhalb  oder  innerhalb  der  Leber  entwickeln ,  be- 
sonders aber  in  der  Gallenblase,  zumal  wenn  diese  Divertikel  hat  oder  in 
ihrem  Ausführungsgange  verstopft  ist.  Sie  sind  bald  einfach ,  bald  zu 
zwei  und  mehr,  ja  manchmal  in  unglaublich  grosser  Anzahl  zugegen.  Von 
ihrem  Entstehungsorte  können  sich  die  Gallensteine  verschiedene  Wege 
bahnen ,  der  gewöhnlichste  ist  durch  den  Ductus  cholodochus  in 
den  Darm.  Nicht  selten  sind  sie  aber  an  die  Wand  des  Gallenbehälters 
befestigt  oder  von  dieser  eingesackt.  Hinsichtlich  ihrer  Grösse  ,  Gestalt 
und  Farbe  variiren  sie  ebenso,  wie  hinsichtlich  ihres  Gewichts,  ihrer  Con- 
sistenz  und  chemischen  Beschaffenheit.  Die  Substanzen ,  woraus  die 
Gallensteine  bestehen,  sind  eingedickte  Galle,  Gallenfett,  Gallenfarbstoff 
und  Kalksalze.  Diese  Bestandteile  treten  in  sehr  verschiedenen  Ver- 
hältnissen, oft  noch  mit  Schleim  und  Epithelium,  Gallensäure  und  Marga- 
rin  etc.  verbunden ,  zur  Bildung  der  Gallensteine  zusammen.  Manche 
dieser  Steine  bestehen  nur  oder  wenigstens  vorzugsweise  aus  einer  dieser 
Substanzen,  andere  sind  aus  concentrischen  Schichten  derselben  zusammen- 
gesezt ;  in  einigen  liegt  der  Kern  (welcher  aus  einem  fremden  Körper 
oder  aus  Schleim,  Epithelium  und  Gallenfarbstoff  bestehen  kann)  im  Cen- 
trum, in  andern  excentrisch ,  bisweilen  finden  sich  zwei  Kerne.  Je  mehr 
dem  Gallenstoff  Gallenfett  beigemischt  ist,  desto  regelmässiger  ist  der 
krystallinische  Bau  und  um  so  heller  auch  die  Färbung  der  Steine,  so  dass 
die  ganz  dunkeln  oft  nichts  als  eine  verdickte  erhärtete  Galle  zu  sein 
scheinen,  während  die  ganz  weissen  krystallhellen,  perlmutterähnlich  glän- 
zenden aus  reinem  Gallenfett  bestehen.  Die  Farbe  der  Gallensteine  wech- 
selt indessen  nach  den  verschiedenen  Mischungsverhältnissen  sehr :  man 
findet  sie  von  weiss  ,  hellgelb  bis  ins  Schwärzliche  gehend  ;  andere  sind 
grau,  grün,  noch  andere  gefleckt  oder  gestreift.  Sie  sind  sehr  leicht  und 
von  einer  seifenartigen  Beschaffenheit.  ■ —  Ursachen.  Alles,  was  eine 
Entmischung  der  Galle  und  eine  Neigung  derselben  zu  festen  Gerinnun- 
gen hervorzubringen  vermag,  kann  zur  Entstehung  von  Gallensteinen  Ver- 
anlassung geben,  daher  Stockungen  im  Pfortadersystem,  anhaltendes  Sizen, 
der  Genuss  schwerer  festmachender  Speisen  und  Getränke ,  anhaltender 
Kummer ,  Sorgen  etc.  Deshalb  geht  die  Krankheit  auch  so  häufig  mit 
Hämorrhoiden  und  Gicht  einher  und  ist  das  vorgerückte  Alter  mehr  als 
das  jugendliche,  fette  Subjecte  mehr  als  magere,  das  männliche  Geschlecht 
mehr  als  das  weibliche  zu  ihr  disponirt.  Oertlich  wirkende  Ursachen 
sind  Druck  auf  die  Lebergegend  und  Gallengänge  durch  Geschwülste, 
Anhäufung  von  Koth  etc.  ,  wodurch  der  Abfluss  der  Galle  ein  Hinderniss 
erfährt.  —  Symptome.  Sie  sind  mannigfacher  Art:  dumpfer  drücken- 
der Schmerz  im  rechten  Hypochondrium  ,  Gefühl  von  Vollsein  in  der 
Magengegend,  Mangel  an  Appetit,  Uebelkeit,  Erbrechen,  Verstopfung  oder 
Diarrhöe  mit  Abgang  weisser  gallenloser  Stoffe  ,  gelbliche  Gesichtsfarbe 
oder  selbst  Gelbsucht.  Früher  oder  später  geht ,  nachdem  sich  plözlich 
ein  heftiger  Schmerz  unter  der  Leber  eingestellt  hat,  der  von  Krämpfen, 


694  NEUBILDUNGEN.   GALLENSTEINE. 

Erbrechen ,  Ohnmächten ,  kaltem  Schweisse,  Schluchzen  und  Zittern  der 
Glieder  begleitet  ist,  ein  Gallenstein  mit  dem  Stuhle  ab.  Diese  Erschei- 
nungen können  sich ,  wenn  mehrere  Steine  vorhanden  sind ,  von  Zeit  zu 
Zeit  wiederholen  ,  wobei  der  Kranke  aber  in  Folge  der  gestörten  Leber- 
function  und  Verdauung  abmagert  und  am  Ende  auch  wohl  in  eine  allge- 
meine Wassersucht  verfällt.  Bei  grosser  Abmagerung  fühlt  man  bis- 
weilen am  Leberrande  die  mit  Steinen  angefüllte  Gallenblase  als  eine 
harte  und  schmerzlose  Geschwulst.  Ist  der  Stein  zu  gross,  um  durch  den 
Gallengang  in  den  Darmkanal  gelangen  zu  können,  so  veranlasst  er  durch 
seinen  Reiz  nicht  selten  Entzündung  an  der  untern  Fläche  der  Leber  mit 
tödtlichen  Zerstörungen ,  wenn  der  sich  bildende  Abscess  sich  nicht  in 
einen  Darm  öffnet  oder  nach  Verwachsung  der  Gallenblase  mit  den  Bauch- 
decken sich  einen  Weg  nach  aussen  bahnt  (s.  Gallenblasenfistel). 
Indessen  veranlassen  Gallensteine  in  der  Gallenblase  auch  sehr  oft  gar 
keine  Krankheitssymptome.  —  Prognose.  Sie  ergibt  sich  aus  dem 
Gesagten  von  selbst.  —  Behandlung.  Sie  zerfällt  in  eine  radicale 
und  in  eine  palliative.  Erstere  beabsichtigt  die  Entfernung  der  Gallen- 
steine, sei  es  dadurch,  dass  man  sie  im  Körper  aufzulösen  sucht,  oder  auf 
blutigem  Wege.  Als  directes  Lösungsmittel  hat  das  D  u  r  a  n  d  e '  sehe 
einen  gewissen  Namen  erlangt ;  es  besteht  aus  3  Theilen  Schwefeläther 
und  2  Theilen  rectificirtem  Terpentinöl  und  erhält  der  Kranke  davon  täg- 
lich einige  Mal  12 — 2  0  Tropfen  in  einer  Tasse  Molken  oder  Fleisch- 
brühe. Rationeller  ist  es  ,  den  Stockungen  in  der  Pfortader  etc.  neben 
einer  passenden  Lebensordnung  durch  auflösende  Mittel  entgegen  zu  wir- 
ken ;  solche  Mittel  sind  :  Extract.  graminis,  taraxaei,  mille- 
folii,chelidonii  majoris,  Feltauri,  Ammoniacum,  Asa 
f  o  e  t  i  d  a  ,  Seife  ,  Neutral  -  und  Mittelsalze  >  Antimonial-  und  Mercurial- 
präparate.  Von  grossem  Nuzen  sind  auch  die  auflösenden  Mineralwasser 
von  Karlsbad ,  Marienbad ,  Ems,  Selters,  Salzbrunnen  etc.  Zur  directen 
Entfernung  der  Gallensteine  hat  man  Brechmittel,  erschütternde  Bewegun- 
gen durch  Fahren  und  Reiten  und  die  Excision  derselben  empfohlen. 
Alle  diese  Verfahren  sind  mit  der  grössten  Vorsicht  in  Anwendung  zu 
bringen,  namentlich  aber  die  Excision  nur  dann  erlaubt,  wenn  man  über- 
zeugt ist,  dass  die  Gallenblase  bereits  fest  mit  den  Bauch  Wandungen  ver- 
wachsen ist.  Die  Palliativkur  hat  es  blos  mit  der  Bekämpfung  der  Sym- 
ptome zu  thun.  Krampfhafte  Zufälle ,  welche  namentlich  durch  Erkäl- 
tungen und  Gemüthsbewegungen  hervorgerufen  werden,  bekämpft  man 
durch  kleine  Gaben  Opium,  das  Do  wer 'sehe  Pulver,  ölige  Emulsionen, 
Abkochungen  aus  Leinsamen ,  Hanfsamen  oder  Mohnköpfen  ,  Kalisatura- 
tionen ,  Brausepulver  ,  Valeriana ,  krampfstillende  Klystiere ,  Umschläge, 
Einreibungen  ,  Bäder  etc.  Gegen  Erbrechen  gibt  man  die  P  o  t  i  o  R  i  - 
v  e  r  i ,  bei  mehr  saurer  Beschaffenheit  sind  Absorbentia  angezeigt.  Tritt 
an  die  Stelle  des  Krampfes  Entzündung ,  so  sind  allgemeine  und  örtliche 
Blutentziehungen,  der  innere  Gebrauch  des  Nitrum,    des  Calomel,  der  er- 


NEUBILDUNGEN.   —    HARNSTEINE.  695 

öffnenden  Mittelsalze,  der  Fruchtsäuren,  vorzüglich  Tamarinden,  in  Ver- 
bindung mit  Bädern,  Umschlägen,  Einreibungen  der  grauen  Quecksilber- 
salbe am  Plaze.  Kommt  es  zur  Abscessbildung,  so  beschleunigt  man  die 
Eiterung  und  öffnet  den  Abscess  ,  sobald  man  die  Fluctuation  des  Eiters 
deutlich  fühlt ,  um  einem  Erguss  desselben  nach  innen  zuvorzukommen ; 
über  die  weitere  Behandlung  s.  d.  Art.  Gallenblasen fi steh 

2 .  Harnsteine,  Calculi  urinarii.  Die  Niederschläge  aus 
dem  Harn  sind  entweder  pulverig  oder  krystallinisch  (Gries)  oder  feste 
grössere  Concretionen  (Steine) ,  welche  entweder  durch  Niederschlagen 
von  Harnbestandtheilen  um  einen  fremden  Körper,  oder  durch  Vereinigung 
des  Harngrieses  gebildet  werden.  Als  Bedingung  zu  dem  Zustandekom- 
men dieser  Concretionen  nehmen  die  Einen  einen  Ueberschuss  an  Harn- 
säure, die  Andern  einen  ungebundenen  Zustand  derselben  an.  —  Die  all- 
gemeinen Bestandtheile  der  Harnsteine  sind:  Harnsäure,  harnsaures 
Ammoniak,  harnsaure  Magnesia,  harnsaurer  Kalk,  harnige  Säure  (Xanthin, 
Harnoxyd),  Blasenoxyd  (Cystin),  phosphorsaurer  Kalk,  phosphorsaure  Am- 
moniak-Magnesia, kohlensaurer  Kalk,  sauerkleesaurer  Kalk.  Ausser  den 
genannten  Stoffen  nehmen  oft  auch  noch  Schleim ,  Proteinstoffe ,  Fett, 
Blutcoagula  Theil  an  der  Bildung  der  Harnsteine.  In  der  Mehrzahl  der 
Fälle  gehen  gleichzeitig  mehrere  Bestandtheile  in  die  Bildung  derselben 
ein ,  und  zwar  so ,  dass  sie  entweder  innig  mit  einander  gemischt  sind, 
oder  sich  schichtweise  um  einander  lagern.  Der  Kern  besteht  gewöhnlich 
aus  einem  andern  Stoff,  als  der  übrige  Theil  des  Steins,  meist  aus  Harn- 
säure oder  aus  organischer  Materie  ,  die  durch  ihr  Vertrocknen  den  Kern 
locker  machen ,  oder  eine  Höhlung  im  Innern  des  Steins  erzeugen  kann. 
Zuweilen  bildet  ein  fremder,  von  aussen  in  die  Harnwege  gelangter  Kör- 
per (Catheterstückchen ,  Erbsen  etc.)  den  Kern  des  Steins.  Bisweilen 
wird  mit  Hülfe  eines  Bindemittels  ein  Stein  aus  Gries  oder  mehreren  klei- 
nen Steinchen  zusammengesezt.  —  Eintheilung  der  Harnsteine. 
Man  theilt  die  Harnsteine  ein  nach  ihrem  Size ,  nach  der  Art ,  wie  sie  in 
den  Harnwegen  bestehen,  nach  ihren  äussern  Verschiedenheiten  und  nach 
ihrer  chemischen  Zusammensezung.  —  Nach  dem  Orte,  wo  sich  die 
Harnsteine  befinden,  unterscheidet  man  :  Nierensteine,  Steinein 
den  Harnleitern,  Blasensteine  und  Steine  in  der  Harn- 
roh  r  e.  —  Nach  der  Art  ihres  Verhaltens  in  den  Harnwegen  unter- 
scheidet man :  freie,  eingesackte  und  angewachsene  Steine. 
—  Die  äussern  Merkmale  der  Harnsteine  sind  sehr  verschieden, 
doch  geben  sie  über  ihre  chemische  Beschaffenheit  immer  einigen  Auf- 
schluss.  Steine,  die  aus  Harnsäure  bestehen,  sind  gewöhnlich  sehr 
hart,  von  nicht  beträchtlicher  Grösse,  rundlich  und  glatt,  zuweilen  höcke- 
rig ,  von  blätterigem  Gefüge  ,  gelblich,  röthlich  oder  rothbraun  von  bei- 
gemengtem Harnfarbstoff  (seltener  weiss  aus  reiner  Harnsäure).  —  Die 
aus  harns  aurem  Ammoniak  haben  ungefähr  dieselbe  Form ,  sind 
nur  klein,  von  lehmgelber  oder  röthlichgelber,  selten  von  weisslicher  Farbe, 


696  NEUBILDUNGEN.   GRIES. 

mit  glatter  oder  feinwarziger  Oberfläche ,  erdigem  oder  geschichtetem 
Bruche.  — ■  Die  aus  phosphorsaurem  Kalk  bestehenden  Steine  zei- 
gen gewöhnlich  eine  polirte,  grauweisse  oder  blassbraune  Oberfläche;  ihr 
Gefüge  besteht  aus  regelmässigen  gestreiften  Lamellen.  Der  Stein  aus 
einer  Mischung  von  phosphorsaurem  Kalk  und  phosphorsau- 
rer Ammoniak-Magnesia  ist  klein ,  weisslich ,  leicht  zerreiblich, 
erdig  oder  kreidig ,  porös  oder  geschichtet,  oft  mit  glänzendem  krystalli- 
nischen  Ueberzuge.  —  Die  kleesauren  Steine  sind  entweder  von 
rauher,  höckeriger,  warziger  Oberfläche,  meist  dunkelbraun  oder  schwarz, 
und  bisweilen  sehr  gross  und  hart  (M aulbeersteine),  oder  sie  sind 
kleiner,  blässer  und  glatt  (Hanfsamensteine).  —  Steine  aus  B  1  a  - 
s  e  n  o  x  y  d  haben  eine  gelbliche  Farbe,  glatte  Oberfläche  und  ein  krystal- 
linisches  Ansehen  auf  dem  Bruche.  —  Die  harnsauren  Steine  kommen 
am  häufigsten  vor;  diesen  zunächst  stehen  die  kleesauren,  aufweiche  die 
phosphorsauren  Steine  folgen. 

Gries,  Harnsand,  Arena  urinaria,  nennt  man  den  pulve- 
rigen Sand  oder  kleine  krystallinische  Steinchen  von  verschiedener  Farber 
Form  und  Anzahl ,  welche  mit  dem  Urin  ausgeleert  werden.  Er  besteht 
gewöhnlich  aus  Harnsäure  oder  harnsaurem  Ammoniak,  in  welchem  Falle 
er  eine  rothe,  oder  aus  kleesaurem  Kalk,  wo  er  eine  dunkle ,  schwärzlich- 
grüne, oder  aus  phosphorsaurem  Kalk ,  wo  er  eine  weisse ,  oder  aus  phös- 
phorsaurer  Ammoniak-Magnesia,  wo  er  eine  graue,  oder  endlich  aus  Blasen- 
oxyd ,  wo  er  eine  glänzend  gelbliche  Farbe  hat.  —  Der  harn  saure 
Gries  kommt  vor  beim  Ueberwiegen  der  Harnsäure  und  bei  verminderter 
Temperatur  des  Urins.  Eine  Vermehrung  der  Harnsäure  findet  statt 
durch  Mangel  an  Bewegung  bei  dem  Genuss  stickstoffreicher  thierischer 
Nahrungsmittel,  starker,  saurer  Weine ,  Liqueure  etc.  ;  die  in  den  Nieren 
abgeschiedene  Harnsäure  schlägt  sich  bei  vermindertem  wässerigem  Ve- 
hikel als  rother  Harngries  nieder.  —  Im  hohen  Alter  nimmt  die  Tempe- 
ratur des  Urins  von  selbst  ab,  und  ist  daher  auch  hier  der  Gries  eine  häu- 
fige Krankheit.  —  Die  seltenen  kleesauren  Concretionen  kommen 
vorzugsweise  beim  häufigen  Genüsse  von  Pflanzenstoffen  vor.  —  Die 
Concretionen  aus  phosphorsaurem  Kalk  oder  aus  phosphor- 
saurer Ammoniak-Magnesia  bedürfen  zu  ihrer  Entstehung  nur 
einer  vorherrschenden  Alcalescenz  im  Urin ,  welche  die  überschüssige 
Phosphorsäure  an  sich  zieht.  Einen  solchen  Urin  findet  man  nicht  selten 
bei  Kindern  in  den  ersten  Lebensjahren  ,  indem  in  dieser  Periode  phos- 
phorsaurer Kalk  in  Menge  gebildet  wird ;  dann  aber  auch  bei  Personen, 
welche  an  anomaler  Gicht  und  an  Blasenkatarrh  leiden.  —  Die  sehr  sel- 
ten vorkommenden  Concretionen  aus  Blasenoxyd  sind  noch  wenig  ge- 
kannt. —  Ursächliche  Momente.  Nicht  selten  lässt  sich  eine 
erbliche  Anlage  nachweisen ,  die  bei  einzelnen  Arten  des  Grieses  in 
genauer  Beziehung  zur  Gicht  steht.  Aus  lezterem  Grunde  ist  auch  das 
häufige  Vorkommen  in  einzelnen  Gegenden  und  in  höherem  Alter  erklär- 


NEUBILDUNGEN.   GRIES.  697 

lieh.  Bei  Kindern  steht  die  Gries-  und  Steinbildung  mit  scrophulöser 
und  rhaehitischer  Anlage  in  Verbindung,  daher  auch  bei  ihnen  die  Harn- 
concretionen  mehr  aus  phosphorsaurem  Kalk  und  phosphorsaurer  Ammo- 
niak-Magnesia bestehen ,  während  bei  alten  Gichtkranken  das  entgegen- 
gesezte  Verhältniss  stattfindet.  Was  Scropheln,  Rhachitis  und  Gicht  er- 
zeugt, wie  z.  B.  der  Genuss  schwerverdaulicher  Nahrungsmittel ,  grobe 
Mehlspeisen  ,  saures  Bier ,  saurer  Wein ,  Mangel  an  Bewegung,  opulente 
ausschweifende  Lebensweise,  der  Genuss  starker  Weine  etc.  vermag  auch 
Gries-  und  Steinbildung  herbeizuführen.  —  Die  Zufälle  des  Grieses 
sind  sehr  verschieden.  Oft  erzeugt  er  gar  keine  Beschwerden ,  sehr  oft 
sind  aber  auch  vor  und  bei  seinem  Abgange  Nieren  -  und  Harnleiter- 
schmerzen zugegen,  denen  sich  grosse  Unruhe,  Schlaflosigkeit  und  Fieber 
hinzugesellen.  Nicht  selten  ist  auch  eine  wirkliche  Nierenentzündung, 
eine  gänzlich  unterdrückte  Harnsecretion  oder  blutiges  Harnen  mit  bren- 
nenden stechenden  Schmerzen  zugegen.  Leztere  vermehren  sich  bei  auf- 
rechter Stellung  des  Kranken  und  bei  Bewegungen,  und  können  sich  dann 
längs  der  Uretheren  bis  zum  After ,  zur  Schamgegend  und  in  die  Ge- 
schlechtstheile  verbreiten.  In  den  meisten  Fällen  ist  damit  Störung  in 
den  Digestionsorganen,  Säure  des  Magens,  Flatulenz  etc.  oder  ein  Gefühl 
von  Hize ,  Trockenheit  im  Schlünde  und  Rachen  verbunden.  —  Be- 
handlung. Liegt  der  Krankheit  eine  vermehrte  Säurung  des  Urins  zu 
Grunde,  so  müssen  zunächst  alle  stickstoffreichen  Nahrungsmittel ,  beson- 
ders gesalzenes  oder  getrocknetes  Fleisch,  alle  säuerlichen  Früchte,  Weine 
etc.  vermieden  und  dagegen  für  gehörige  Thätigkeit  der  Haut,  des  Darm- 
kanals und  für  Körperbewegung  gesorgt  werden.  Die  vorherrschende 
Säure  selbst  suche  man  durch  Alealien  zu  neutralisiren,  wozu  das  kohlen- 
saure Kali,  Natrum,  Magnesia,  Kalkwasser,  besonders  aber  eine  Auflösung 
des  Borax  dient.  Dabei  lässt  man  eine  wässerige  pflanzliche  Diät  gemes- 
sen und  viel  Wasser  trinken ;  besonders  eignen  sich  die  alcalinischen 
Säuerlinge,  wie  die  Wasser  von  Selters,  Fachingen,  Wildungen,  Geilnau, 
so  wie  die  warmen  salinisch-alcalinischen  Wasser  von  Töpliz ,  Karlsbad, 
Ems  etc. ,  welche  durch  Beförderung  der  Urinsecretion  heilsam  wirken. 
—  Sind  die Harnconcretionen  alc alischer  Natur,  so  müssen entgegen- 
gesezt  wirkende  Mittel  in  Gebrauch  gezogen  werden.  Man  wendet  neben 
Fleischdiät  Säuren  an  ,  wobei  jedoch  zu  berücksichtigen  ist ,  dass,  wenn 
der  Kranke  mehr  Säure  gebraucht ,  als  zur  Tilgung  der  alcalischen  Be- 
schaffenheit des  Urins  und  zur  Auflösung  der  erdigen  abgesezten  Salze 
erforderlich  ist ,  zwar  der  weisse  Gries  schwindet ,  dagegen  aber  rothery 
harnsaurer  zum  Vorschein  kommt.  —  Entstehen  in  Folge  des  Grieses 
Zufälle  der  Reizung  und  des  Krampfes  ,  so  wendet  man  neben  Beobach- 
tung der  grössten  Ruhe,  bei  entzündlichem  Zustande  allgemeine  und  ört- 
liche Blutentziehungen  und  innerlich  antiphlogistische  Salze  in  Verbindung 
mit  Oelemulsionen  etc.,  bei  krampfhaften  Beschwerden  Opium,  Hyoscyamusr 
erweichende  Cataplasmen  auf  die  Nierengegend,  Klystiere  und  Bäder  an. 


698  NEUBILDUNGEN.    NIERENSTEINE. 

Die  Nierensteine,  Calculi  renales,  sind  gewöhnlieh  der 
Anfang  der  Steinbildimg  in  den  Harnwerkzeugen.  Sie  bilden  sich  in 
dem  Nierenbecken  und  in  den  Nierenkelchen ,  zeigen  eine  verschiedene 
Gestalt  und  Beschaffenheit ,  kommen  einzeln  und  in  Mehrzahl  vor  und 
bieten  dann  in  lezterem  Falle  abgeschliffene  Flächen  dar.  —  So  lange 
die  Nierensteine  klein  sind ,  bestehen  sie  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  aus 
Harnsäure  ■  später  legt  sich  um  sie  eine  Kruste  von  phosphorsaurem  Am- 
moniak, Magnesia  und  Kalk  an.  —  Diagnose.  Diese  ist  zweifelhaft. 
So  lange  die  Steine  klein  sind ,  verursachen  sie  wenig  Schmerzen ,  mit 
ihrem  Wachsthum  stellt  sich  ein  dumpfer ,  drückender  Schmerz  in  der 
Nierengegend  ein ;  sind  sie  eckig,  so  ist  dieser  Schmerz  heftiger,  reissend 
und  erstreckt  sich  gegen  die  Weichen  und  bis  in  den  Schenkel ;  nicht 
selten  erfolgen  Blutungen  und  alle  Erscheinungen  einer  Nierenkolik.  Be- 
wegungen des  Körpers  und  Druck  auf  die  Nierengegend  vermehren  den 
Schmerz.  Sehr  oft  gesellen  sich  die  Zeichen  eines  entzündlichen  Zu- 
standes  ,  Durst ,  Unruhe  ,  Leibesverstopfung  hinzu.  Zuweilen  kommt  es 
zur  Vereiterung  der  Nieren,  was  sich  durch  den  Abgang  eines  eiterartigen, 
blutigen  Urins  kund  gibt.  Abscesse  ,  welche  sich  bilden,  können  sich  in 
den  Mastdarm  oder  nach  aussen  öffnen  und  ihren  Inhalt :  Nierensteine, 
Harn,  Eiter  durch  diese  Oeffnungen  entleeren.  —  Ursachen.  Sie  sind 
die  des  Harngrieses.  Besondere  Veranlassungen  sind  Stockungen  im 
Pfortadersystem,  Hämorrhoiden,  gestörte  Gicht ,  chronische  Nierenkrank- 
heiten etc.  — ■  Prognose.  Sie  ist  immer  zweifelhaft.  Gehen  auch 
viele  kleine  Steine  ab  ,  so  ist  man  doch  nie  sicher ,  dass  nicht  einnial  die 
zurückbleibenden  nachtheilige  Einwirkungen  äussern  werden.  —  Be- 
handlung. Bezweckt  man  eine  Auflösung  der  Nierensteine  oder  die 
Beseitigung  der  Neigung  zur  Steinbildung,  so  geschieht  dies  auf  die  beim 
Harngries  angegebene  Weise.  Dies  gelingt  jedoch  höchst  selten,  und 
meistens  kann  man  sich  nur  auf  die  Verminderung  der  Zufälle  beschrän- 
ken,  zu  welchem  Behufe  man  Aderlässe,  Blutegel,  Bäder,  erweichende 
Klystiere,  besänftigende  Einreibungen  und  Umschläge  etc.,  innerlich  Emul- 
sionen mit  Nitrum ,  Opium ,  Hyoscyamus  bei  sparsamer  Diät  und  vielen 
kühlendschleimigen  Getränken  in  Gebrauch  zieht.  Bei  Eiterungen  in  den 
Nieren  empfehlen  sich  Selters-  und  Spaawasser  mit  Milch,  Kalkwasser  mit 
Milch,  Molken  ,  isländisches  Moos ,  China  etc.  nebst  nährender  Diät.  — 
Bildet  sich  ein  Abscess  mit  der  Tendenz,  nach  aussen  sich  zu  öffnen,  was 
sich  durch  einen  tauben,  klopfenden  Schmerz  in  der  Nierengegend,  so  wie 
durch  die  Bildung  einer  ödematösen  und  später  fluctuirenden  Geschwulst 
daselbst  zu  erkennen  gibt,  so  öffnet  man*  denselben  durch  einen  ergiebigen 
Schnitt,  so  dass  man  mit  dem  Finger  oder  einer  Zange  eingehen  und  die 
vorhandenen  Steine  entfernen  kann.  Festsizende  Steine  lässt  man  an 
Ort  und  Stelle  und  wartet  ab  ,  bis  sie  von  der  Eiterung  locker  werden, 
-worauf  man  sie  auszieht.  —  Eine  etwa  schon  bestehende  Fistel,  die  zu 
einem    Stein    führt ,    erweitert   man   durch  Pressschwamm  oder  durch  das 


NEUBILDUNGEN.   BLASENSTEINE.  699 

Messer.  Die  Nachbehandlung  geschieht  nach  allgemeinen  Regeln.  — 
Wenn  sich  ein  Stein  aus  der  Niere  in  den  Harnleiter  senkt  und  dort  stek- 
ken bleibt  (Calculus  uretericus),  so  entstehen  mehr  oder  minder 
heftige  Zufälle ,  je  nachdem  durch  den  Stein  der  Fortgang  des  Urins 
völlig  oder  nur  zum  Theil  gehindert  ist.  Es  stellen  sich  Schmerzen 
längs  des  Verlaufs  des  Harnleiters  ein ,  welche  bei  der  Berührung  sehr 
vermehrt  werden.  Durch  den  angesammelten  Urin  wird  oft  der  Harn- 
leiter ausserordentlich  ausgedehnt.  Gelangt  der  Stein  in  die  Blase ,  so 
lassen  die  Schmerzen  auf  einmal  nach.  Die  Behandlung  ist  der  bei  den 
Nierensteinen  gleich. 

Die  Blasensteine,  Calculi  vesicales,  entstehen  entweder 
ursprünglich  in  den  Nieren  und  sezen  ihr  Wachsthum  in  der  Harnblase 
fort ,  nachdem  sie  in  diese  gelangt  sind ,  oder  sie  bilden  sich  in  dieser 
selbst ,  und  zwar  indem  sich  entweder  die  Harnbestandtheile  um  einen 
fremden  Körper  niederschlagen  ,  oder  durch  Anhäufung  und  Vereinigung 
von  Harn gries.  —  Die  Form  der  Harnblasensteine  ist  meistens  eine 
länglich-platte  oder  eiförmige,  ihre  Oberfläche  ist  glatt,  höckerig  oder 
eckig,  oft  auf  verschiedene  Weise  facettirt.  Ihre  Grösse  variirt  zwischen 
der  einer  Mandel  und  der  eines  Hühnereies  ,  doch  kann  sie  auch  viel  be- 
trächtlicher sein.  Gewöhnlich  ist  nur  ein  Stein  in  der  Blase,  häufig  sind 
aber  deren  mehrere ,  selbst  viele  vorhanden  ,  in  welchem  Falle  sie  abge- 
schliffene Flächen  zeigen.  Sie  liegen  entweder  frei  in  der  Blase  oder 
sind  an  den  Blasenwänden  festgehalten  ;  lezteres  geschieht  entweder  durch 
Befestigung  mittels  eines  Faserstoffexsudats  an  dieselben  (angewach- 
sene Steine),  oder  indem  sie  von  der  Wand  derselben  mehr  oder  we- 
niger umkapselt  werden  (eingesackte  Steine).  In  lezterem  Falle 
kann  sich  der  Stein  in  einem  von  ihm  gebildeten  Diverticulum  der  Blase 
oder  in  einer  Hernie  derselben  befinden.  Zuweilen  gelangt  der  Stein 
auch  bei  seinem  Austreten  aus  den  Ureteren  zwischen  die  Häute  der 
Blase,  wo  er  sich  dann  vergrössert.  —  Symptome.  Beschwerliches, 
schmerzhaftes,  oft  nur  in  besondern  Körperstellungen  mögliches  Harnen ; 
zuweilen  plözliches  Unterbrechen  des  Harnflusses.  Mit  dem  Drange  zum 
Uriniren  verbindet  sich  häufig  ein  drückendes  Gefühl  im  Mittelfleische 
und  Mastdarme.  Kleine  Steine ,  welche  in  die  Blasenmündung  eindrin- 
gen können ,  erregen,  ebenso  wie  eckige ,  weit  heftigere  Schmerzen,  als 
grosse  und  glatte  ;  grosse  Steine,  welche  eine  vollkommene  Zusammenzie- 
hung der  Blase  nicht  gestatten ,  haben  nicht  selten  ein  beständiges  Ab- 
träufeln des  Urins  zur  Folge.  Mit  der  Zeit  bewirkt  die  in  der  Blase  un- 
terhaltene constante  Reizung  einen  schleichenden  Entzündungszustand 
und  damit  krankhafte  Veränderungen  in  derselben  ;  ihre  AVände  werden 
unter  fortdauerndem  vermehrten  Schleimabgange  nach  und  nach  verdickt, 
ziehen  sich  zusammen,  die  Steine  werden  von  Pseudomembranen  umfasst 
und  festgehalten ,  oder  es  entsteht  eine  Verschwärung  der  Schleimhaut, 
wo   dann   der   unter   heftigem  Brennen   abgehende  Urin   nicht  selten  mit 


700  NEUBILDUNGEN.  BLASENSTEINE. 

Blut,  Eiter  und  Schleim  vermischt  ist.  Zuweilen  verbreitet  sich  die  Ent- 
zündung auf  die  Nachbartheile,  was  zur  Entstehung  von  Blasen-,  Mast- 
darm- und  Blasenscheidenfisteln  führen  kann ,  durch  welche  der  Stein 
manchmal  ausgeführt  wird.  Gewöhnlich  nehmen  auch  die  Geschlechts- 
organe an  der  Reizung  der  Blase  Antheil ;  es  stellt  sich  ein  spannendes 
Gefühl  in  den  Hoden  und  ein  sehr  schmerzhafter  Kizel  und  ein  Brennen 
in  der  Harnröhrenmündung  ein ,  weshalb  auch  derartige  Kranke  das 
Glied  häufig  fassen  und  vom  Körper  abziehen ,  was  nicht  selten  zu  häufi- 
gen Erectionen,  Pollutionen  etc.  Veranlassung  gibt.  Die  schmerzhaften 
und  drückenden  Gefühle  in  der  Harnblase ,  dem  Mastdarme  und  dem 
Mittelfleische  nehmen  bei  erschütternden  Bewegungen  des  Körpers,  beim 
Fahren ,  Reiten ,  selbst  schon  bei  längerem  Gehen  zu  ,  und  nebenbei  er- 
folgt ein  Gefühl  von  Betäubung  im  Oberschenkel.  —  Die  bisher  aufge- 
führten Erscheinungen  lassen ,  da  auch  andere  Krankheiten  der  Blase 
diese  mit  dem  Steine  gemein  haben  können,  die  Gegenwart  eines  solchen 
in  der  Blase  blos  vermuthen ;  es  müssen  deshalb  zur  Sicherung  der  Dia- 
gnose noch  andere  Zeichen  zu  Hülfe  genommen  werden ,  und  diese  erge- 
ben sich  aus  der  Untersuchung  des  Harns  oder  der  Blase.  Ersterer  macht 
verschiedene  Sedimente ,  welche  die  oben  beim  Griese  angegebene  ver- 
schiedene Beschaffenheit  zeigen  können.  Grössere  Blasensteine  können 
durch  den  Mastdarm  und  durch  die  Scheide  oft  deutlich  gefühlt  werden, 
dabei  darf  man  sich  aber  durch  Geschwülste,  verhärtete  Faeces,  Umbeu- 
gungen  der  Gebärmutter ,  Knochenauswüchse  etc.  nicht  täuschen  lassen. 
Das  wichtigste  Erforschungsmittel  bleibt  jedoch  die  metallene  Sonde, 
indem  sie ,  in  die  Blase  eingeführt  und  mit  dem  Steine  in  unmittelbare 
Berührung  gebracht,  ein  hörbares  Geräusch  vernehmen  lässt.  Aber  auch 
selbst  diese  Untersuchung  kann  in  manchen  Fällen  nur  ein  zweifelhaftes 
oder  gar  kein  Resultat  geben ,  z.  B.  bei  sehr  kleinen  oder  bei  eingesack- 
ten und  angewachsenen  Steinen.  Da  es  von  der  Grösse ,  Beschaffenheit 
und  Lage  des  Steins  abhängt,  ob  man  leichter  oder  schwieriger  mit  dem 
Schnabel  der  Sonde  denselben  berühren  kann ,  so  muss  man  bei  der  Un- 
tersuchung nach  verschiedenen  Richtungen  sanft  in  der  Blase  herumfüh- 
len, den  Kranken  bei  voller  und  leerer  Blase  und  in  verschiedenen  Lagen 
und  Stellungen  sondiren.  Kleine  Steine  entschlüpfen  manchmal,  so  dass 
man  sie  das  eine  Mal  fühlen  kann,  das  andere  Mal  wieder  nicht ;  grössere 
Steine  fühlt  man  dagegen,  wenn  sie  frei  sind,  immer  wieder.  Auch  über 
die  grössere  oder  geringere  Härte  des  Steins  gibt  die  Untersuchung  mit 
der  Sonde  einigen  Aufschluss  ;  harte  Steine  geben  einen  hellen ,  weiche 
einen  dumpfen  Klang.  —  Prognose.  Sie  ist  im  Allgemeinen  nicht 
ungünstig,  so  lange  nicht  krankhafte  Veränderungen  der  Nieren  oder  der 
Blase  eingetreten  sind.  —  Behandlung.  Diese  kann  nur  in  der  Ent- 
fernung des  Steins  bestehen  ,  was  man  auf  verschiedene  Weise  ins  Werk 
sezen  kann,  nämlich  1 )  durch  den  innerlichen  Gebrauch  steinauflösender 
Mittel;  2)  durch  auflösende  Einsprizungen  in  die  Blase;  3)  durch  die  An- 


NEUBILDUNGEN.  BLASENSTEINE.  701 

wendung  der  galvanischen  Säule ;  4)  durch  Ausziehen  des  Steins  durch 
die  Harnröhre  :  5)  durch  die  Zertrümmerung  des  Steins  in  der  Harnblase 
und  6)  durch  die  Operation  des  Steinschnitts.  —  Die  steinauflösen- 
den Mittel  (Remedia  lithontriptica)  haben  zwar  nicht  die  ihnen 
zuweilen  beigelegte  Wirksamkeit,  Steine  in  der  Blase  auflösen,  wohl  aber  sind 
sie  geeignet,  durch  Verbesserung  der  Diathesis  calculosa  das  wei- 
tere Wachsthum  des  Steins  zu  verhüten  und  die  durch  denselben  verur- 
sachten Zufälle  zu  mindern.  Die  Mittel  sind  dieselben ,  wie  sie  oben 
bei  der  Behandlung  des  Grieses  angegeben  wurden ,  nämlich  je  nach  der 
chemischen  Beschaffenheit  des  Urins  Säuren  oder  Alealien ,  deren  Ge- 
brauch man  hier  so  lange  fortsezt ,  bis  der  Urin  weder  alcalisch,  noch 
sehr  vorwaltend  sauer  reagirt.  Den  Umständen  angemessen  verbindet 
man  damit  Eisenmittel,  China,  Uva  ursi,  Plantago  latifolia, 
Ononis  spinosa  etc.  nebst  der  entsprechenden  Diät,  womit  man  eine 
Verbesserung  der  Gesammtconstitution  und  Herstellung  der  Integrität  der 
Blase  bezweckt.  —  Die  auflösenden  Einsprizungen  in  die  Blase 
werden  entweder  in  der  Absicht  unternommen,  um  auf  die  gereizten  oder 
in  Verschwärung  begriffenen  Blasenhäute  unmittelbar  einzuwirken ,  oder 
um  als  steinauflösende  Mittel  zu  dienen.  In  ersterer  Absicht  macht  man 
sie  aus  Oel ,  aus  Abkochungen  von  schleimigen  Stoffen ,  aus  einem  D  e- 
coct.  uvae  ursi  etc.;  in  lezterer  Beziehung  wendet  man  bei  Steinen  aus 
Harnsäure  und  harnsaurem  Ammonium  eine  verdünnte  Lauge,  bei  solchen 
aus  Phosphaten  verdünnte  Salzsäure  und  bei  solchen  aus  oxalsaurem  Kalk 
verdünnte  Salpetersäure  an.  Nach  B.  B  r  o  d  i  e  haben  Einsprizungen 
aus  Salpetersäure  (2  —  21  2  Gh\  auf  ^j  destillirtes  Wasser)  die  doppelte 
Wirkung ,  die  Entzündungserscheinungen  der  Blase  zu  mildern  und 
schmelzbare  Steine  aufzulösen.  Die  Einsprizungen  selbst  geschehen 
mittels  der  Sprize  und  eines  eingelegten  elastischen  Catheters.  G  r  u  i  t  h  u  i- 
sen  und  C 1  o  q  u  e  t  haben  eigene  Vorrichtungen  erfunden,  um  einen  steten 
Wasserstrom  in  die  Blase  gehen  zu  lassen,  und  um  kräftiger  auf  den  Stein 
zu  wirken,  ohne  die  Blase  selbst  durch  die  auflösenden  Mittel  zu  reizen, 
hat  E  o  b  i  n  e  t  einen  Apparat  angegeben,  wodurch  der  Stein  in  einen  von 
Därmen  gefertigten  Sack  eingeschlossen  und  die  Einsprizungen  mit  einer 
Sonde  mit  doppeltem  Gange  gemacht  werden.  Diesem  ähnlich  ist  das 
von  ihm  Lithymenie  genannte  Verfahren  von  Dusmenil.  —  Die 
Auflösung  des  Steins  mittels  einer  galvanischen  Säule 
zu  bewirken  (nach  Demortiers  und  G  r  u  i  t  h  u  i  s  e  n),  ist  bis  jezt  blos 
beim  Vorschlage  und  bei  Versuchen  geblieben.  —  Die  Ausziehung 
des  Steins  durch  die  Harnröhre  ist  nur  bei  Weibern,  der  Kürze 
und  Ausdehnbarkeit  der  Harnröhre  wegen ,  gut  thunlich.  Bei  Männern 
ist  nur  bei  kleinen  Steinen  daran  zu  denken.  Immer  muss  eine  Erwei- 
terung der  Harnröhre  vorher  gehen ,  welche  man  durch  immer  dickere 
elastische  Sonden ,  bei  Weibern  auch  mittels  besonderer  Dilatatoren  ins 
Werk  sezt.      Ist  die  Urethra  gehörig  erweitert ,   so  muss  der  Kranke  den 


702  NEUBILDUNGEN.   THRAENENSTEINE. 

Urin  anhalten  ,  sich  nach  vorn  iiberbengen  und  indem  man  die  Sonde 
schnell  auszieht ,  wird  der  kleine  Stein  zuweilen  mit  dem  Strahle  des 
Urins  ausgetrieben.  Geht  es  so  nicht,  so  zieht  man  ihn  mit  einer  Zange 
aus,  wozu  man  sich  der  von  H  u  n  t  e  r  oder  C  o  o  p  e  r ,  der  Weis  s'schen 
Werkzeuge,  der  zwei-  oder  dreiarmigen  Zange  von  Civiale,  des  geglie- 
derten Steinlöffels  von  Leroy  d'Etiolles  etc.  bedienen  kann.  Auch 
die  zweiarmigen  lithotriptischen  Instrumente  kann  man  hierzu  gebrauchen. 
■ —  Man  hat  sich ,  besonders  beim  Weibe ,  vor  einer  zu  raschen  und  be- 
deutenden Erweiterung  der  Harnröhre  zu  hüten,  um  einem  Unvermögen, 
den  Urin  zurückzuhalten,  vorzubeugen.  - — •  Ueber  die  Steinzertrüm- 
merung und  den~S  tei  ns  chnitt  s.  diese  Artikel. 

S.teine  in  der  Harnröhre  verhalten  sich  wie  fremde  Körper 
daselbst.  S.  diesen  Artikel.  —  Bei  Phimosen  kommt  es  nicht  selten 
zur  Bildung  von  Steinen  unter  der  Vorhaut ,  Calculi  praepu- 
tiales. 

3.  Speichelsteine,  Calculi  salivales,  sind  runde  oder 
längliche  Concretionen,  die  sich  aus  dem  Speichel  in  den  Se-  und  Excre- 
tionskanälen  der  Speicheldrüsen  bilden.  Sie  sind  in  der  Regel  von  er- 
diger, kreidiger  Beschaffenheit,  nicht  krystallinisch,  von  weisslicher  Farbe 
und  von  der  Grösse  einer  kleinen  Linse  bis  zu  der  einer  welschen  Nuss. 
Sie  bestehen  hauptsächlich  aus  Kalksalzen ,  phosphor-  und  kohlensaurem 
Kalke,  welche  durch  thierische  Materien  (Schleim,  Prote'instoffe)  verbun- 
den sind.  —  Die  Bildung  der  Speichelsteine  beruht  auf  einer  krankhaften 
Veränderung  des  Speichels.  Ist  er  sehr  schleimhaltig  oder  mit  zu  viel 
Erden  vermischt,  so  ist  er  am  geeignetsten,  noch  innerhalb  des  Körpers 
steinigte  Concretionen  zu  bilden ,  welche  Disposition  man  bei  Trinkern, 
beim  Genüsse  vieler  fader ,  schleimiger  Nahrung ,  so  wie  nach  grösseren 
Mercurialkuren  bemerkt  haben  will.  Gelegenheitsursache  kann  Alles 
werden,  was  den  freien  Abfluss  des  Speichels  aus  seinen  Gängen  hindert : 
Entzündung  der  Schleimhaut ,  Verwachsung  der  Ansf  ührungsgänge  ,  ein 
Druck  auf  dieselben  von  aussen  etc.  —  Das  Erkennen  der  Speichelsteine 
macht,  wenn  sie  nur  einigermassen  gross  sind,  keine  Schwierigkeiten,  da 
sie  eben  so  leicht  gefühlt,  als  gesehen  werden  können.  In  der  Regel  be- 
kommt man  jedoch  erst  von  ihrem  Dasein  Kunde,  wenn  den  Kranken  eine 
Speichelnstel  oder  Froschgeschwulst  (die  häufigen  Folgen  von  Speichel- 
steinen) belästigt.  Sie  müssen  entfernt ,  Ranula  und  Speichelnstel  aber 
nach  den  Regeln  der  Kunst  behandelt  werden.  —  Der  Zahn-  oder 
Weinstein,  Tartarus  dentium,  ist  dem  Speichelstein  nahe  ver- 
wandt;  er  ist  theils  ein  Niederschlag  aus  dem  Speichel  innerhalb  der 
Mundhöhle  auf  die  Zähne  und  das  Epithelium,  theils  aus  dem  Secrete  der 
sogenannten  Weinstein drüsen.  Zu  seiner  Auflösung  empfiehlt  sich  das 
Kali   carbonicum. 

4.  Thränen  stein  e,  C  al  c  u  li  lacrym  ales,  Dacryolithi, 
bilden  sich  aus  den  Thränen  innerhalb  der  Thränendrüse,  im  Auge,  Thrä- 


NEUBILDUNGEN. DARMSTEINE.  703 

nensacke  oder  Thränenkanale  ;  sie  bestehen  hauptsachlich  aus  phosphor- 
saurem Kalke  und  Augenbutter.  Nach  ihrem  Size  oder  ihrer  Grosse  ver- 
anlassen die  Thränensteine  Entzündung  und  Blenorrhoe  des  Bulbus  ,  des 
Augenlids  und  ebenso  des  Thränensacks  oder  auch  eine  Verstopfung  des 
leztern,  die  Entstehung  einer  Thränenfistel.  Ihre  Ursachen  sind  entweder 
eine  qualitative  Abänderung  der  Thranen  selbst,  oder  fremde  in  das  Auge 
oder  in  die  Nase  gelangte  Körper,  wodurch  die  Veranlassung  zur  Abschei- 
dung der  erdigen  Bestandteile  aus  den  Thranen  gegeben  wird.  —  Man 
entfernt  den  Stein  und  verhindert  die  Neigung  zur  Wiederkehr  durch  den 
innerlichen  Gebrauch  des  Kali  carbonicum  oder  tartaricum. 

5.  Prostatasteine  (Prostatasand)  kommen  in  den  Gängen  der 
Vorsteherdrüse  oft  in  beträchtlicher  Anzahl  im  vorgerückten  Alter  vor  ; 
sie  sind  stets  klein,  höchstens  Stecknadelkopf-  bis  eibsengross,  sehr  hart 
und  glänzend,  von  schwärzlicher,  brauner,  roth-  oder  gelbbrauner  Farbe, 
krystallinisch  oder  geschichtet ;  sie  bestehen  aus  phosphorsaurem  Kalk 
und  thierischer  Materie.  —  Wenn  die  fremden  Körper  ein  gewisses  Vo- 
lum erreicht  haben ,  so  leidet  der  Kranke  an  Harnbeschwerden  und  hat 
eine  unbehagliche  Empfindung  an  dem  Blasenhalse  ;  sie  können  aber  auch, 
ohne  die  geringste  Beschwerde  zu  verursachen,  zugegen  sein.  Man  er- 
kennt sie  zuweilen  durch  die  Einführung  des  Catheters.  Dupuytren 
entfernte  solche  Steine  ,  welche  Fisteln  am  Damm  erzeugt  hatten,  durch 
den  Schnitt ;  besser  ist  es ,  sie  mittels  Zangen  ,  wie  der  Weiss'  sehen 
oder  schaufeiförmiger  Lithotrite  durch  die  Harnröhre  zu  entfernen.  — 
Aehnliche  Concretionen  kommen  bisweilen  in  den  Samenbläschen 
und  -Kanälen  vor. 

6.  Darmsteine,  nämlich  solche,  die  sich  im  Darmkanale  selbst 
erzeugt  haben,  kommen  beim  Menschen  selten  vor.  Am  häufigsten  findet 
man  sie  im  Dick-  und  Blinddarm,  namentlich  im  Wurmfortsaze.  Einige 
der  Darmconcretionen  entstehen  durch  Verkreidung  eines  Faserstoffexsu- 
dats oder  Blutcoagulums  ;  andere  durch  Niederschlagen  von  Kalksalzen 
aus  den  Darmflüssigkeiten  auf  Speisereste  oder  fremde  Körper  (Kirsch-T 
Gurken- ,  Kürbiskerne  etc.)  ;  noch  andere  durch  Zusammenlöthung  von 
Speiseresten.  Ihre  Farbe  ist  meist  braun,  doch  findet  man  sie  auch 
braun-,  roth-  oder  blassgelb,  aschgrau  und  selbst  weiss  ,  je  nach  der  Ver- 
schiedenheit ihrer  Bestandtheile.  Ihre  Oberfläche  ist  bald  glatt  und  po- 
lirt,  bald  rauh,  gefurcht.  —  Am  häufigsten  liegen  sie  frei  im  Darmkanale, 
und  nur  selten  sind  sie  mit  einer  dünnen  Schicht  Haut  umgeben  und  an 
die  innere  Darmwand  befestigt.  —  Diese  Steine  bedingen  oft  hartnäckige 
Obstruetionen ,  andere  Male  anhaltende  Diarrhöen  ,  blutige  Stuhlgänge, 
heftige  Koliken,  Ekel  und  Erbrechen.  Sizen  sie  fest,  so  verursachen  sie 
einen  mehr  oder  minder  fixen  Schmerz  und  Druck ;  zuweilen  fühlt  man 
sie  als  eine  harte  umschriebene  Geschwulst.  Oft  erregen  sie  gar  keine 
Beschwerden  ;  häufig  werden  sie  durch  Erbrechen  oder  mit  dem  Stuhl 
ausgeleert.       Im   Mastdarm   angelangt   erregen   die   grösseren   Steine  ge- 


704  NEURALGIE. 

wohnlich  mancherlei  Beschwerden,  ein  beständiges  Drangen ,  wehenartige 
Schmerzen,  wo  man  sie  dann  ausziehen  muss.  Schlimmer  als  diese  Zu- 
fälle sind  Entzündung ,  Vereiterung  und  Brand  des  Darmkanals  ,  welche 
diese  Steine  zuweilen  erregen ;  meist  ist  der  Tod  die  Folge  dieser  Zu- 
stände. —  Man  sucht  die  Steine  durch  Abführmittel  zu  entfernen ,  mit 
welchen  man  auflösende  Mittel,  wie  Kali  causticum,  Aqua  calci  s, 
Seife,  Acidum  n  i  t  r  i  c  u  m  ,  die  Thermen  von  Karlsbad,  Töpliz,  Ems  etc. 
verbindet.  Steine  im  Mastdarm  entfernt  man  mit  geeigneten  Zangen, 
wobei  es  bei  sehr  grossen  Steinen,  wenn  man  sie  nicht  zu  zerbrechen  vermag, 
nöthig  werden  kann,  den  Afterschliessmuskel  einzuscheiden,  was  am  besten 
nach  beiden  Seiten  hin  oder  an  seinem  hintern  "Winkel  geschieht.  —  Etwa 
durch  den  Reiz  des  Steins  hervorgerufene  Entzündungszustände  oder 
Krampfzufälle  des  Darms  bekämpft  man  mit  Oelemulsionen ,  anodynen 
Einreibungen  und  Umschlägen  auf  den  Bauch,  derartigen  Klystieren  etc. 

—  Zur  Vermeidung  der  Wiederkehr  empfiehlt  man  eine  leicht  verdauliche 
Fleischnahrung ,  Sorge  für  den  regelmässigen  Stuhl ,  eisenhaltige  Säuer- 
linge, alcalische  Mineralwasser,  besonders  Marienbad  etc. 

Neuralgie  (vsvqov  ,  Nerv ,  und  uAyog ,  Schmerz) ,  Nerven- 
schmerz. Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man  Schmerzen  von  bedeu- 
tender Intensivität,  welche  im  Verlaufe  eines  bestimmten  Nerven  auftreten. 

—  Das  wesentlichste  Symptom  einer  Neuralgie  ist  ein  heftiger ,  plöz- 
lich  auftretender  Schmerz ,  welcher  den  Nerven  vom  Stamme  gegen  die 
Peripherie  hin  wie  Feuer  durchläuft.  Derselbe  ist  bald  blos  stechend, 
bald  brennend  und  stechend  zugleich  und  wird  durch  Druck  niemals  ver- 
mehrt. Nach  dem  Aufhören  des  Schmerzes  bleibt  in  dem  ergriffenen 
Theile  ein  Gefühl  von  Ameisenkriechen  oder  Eingeschlafensein  zurück. 
Zuweilen  geht  dem  Auftreten  des  Schmerzes  ein  allgemeiner  Frost  und 
eine  örtliche  Kälteempfindung  an  der  leidenden  Stelle  voraus  und  nicht 
selten  sind  mit  der  neuralgischen  Affection  krankhafte  Zuckungen  in  den 
Muskeln  der  schmerzhaften  Gegend  verbunden  ;  die  schmerzhaften  Theile 
sind  manchmal  auch  etwas  geröthet,  angeschwollen  und  heisserals  im  ge- 
sunden Zustande.  Die  Dauer  der  Neuralgien  ist  verschieden,  von  einigen 
Minuten  bis  über  eine  Stunde ;  zuweilen  ist  dann  der  Kranke  auf  einige 
Stunden  völlig  schmerzfrei.  Bisweilen  ist  die  Neuralgie  remittirend,  bis- 
weilen intermittirend.  —  Die  Stellen  des  Nervenstrangs  ,  welche  am  ge- 
wöhnlichsten neuralgisch  afficirt  werden,  sind  die,  wo  der  Nerv  aus  einem 
Loch,  aus  einem  Knochenkanal,  einem  Muskel,  einer  Fascie  hervortritt, 
um  sich  von  hier  aus  zu  verzweigen.  —  Ursachen.  Besonders  dispo- 
nirt  eine  nervöse  Constitution ,  das  weibliche  Geschlecht  und  das  mittlere 
Lebensalter  zu  Neuralgien.  Gelegenheitsursachen  sind  plözliche  Erkäl- 
tungen durch  Zugluft  bei  erhiztem  Körper,  die  Einwirkung  feuchter  Kälte, 
z.  B.  durchnässte  Kleidungsstücke,  Liegen  auf  feuchtem  Boden,  mecha- 
nische Reizung  der  Nerven,  Druck  durch  Geschwülste,  Metallvergiftungen 


NE  UROMA.  705 

und  psychische  Einwirkungen.  —  Die  anatomischen  Untersuchungen 
haben  bis  jezt  noch  kein  hinreichendes  Licht  über  das  Wesen  der  Krank- 
heit verbreitet.  Am  häufigsten  hat  sie  ihren  Siz  in  den  Aesten  des  5. 
Paars.  — ■  Die  Prognose  ist  im  Allgemeinen  nicht  ungünstig;  die  Neu- 
ralgien sind  zwar  immer  sehr  lästige  und  langwierige  doch  fast  immer 
heilbare  Leiden  ;  indessen  können  sie  auch  in  Folge  der  anhaltend  hefti- 
gen Schmerzen  durch  Hectik  den  Tod  herbeiführen.  —  Behandlung. 
Etwa  noch  fortwirkende  Ursachen  müssen,  wenn  es  möglich  ist,  entfernt 
werden.  Gegen  den  Schmerz  selbst  zieht  man  die  verschiedenen  Narco- 
tica,  vorzüglich  Opium,  Belladonna,  Hyoscyamus ,  Strammonium  (Rp. 
Extr.  strammon.  gr.  i — ij,  Sacch.  alb.  gr.  x.  M.  f.  pulv.  D.  tal. 
dos.  No.  iv.  S.  Täglich  1  Pulver),  Veratrin  (Rp.  Veratrini  gr.  j, 
Extr.  hyosc.  pulv. ,  Rad.  liquir.  ana  gr.  xij.  M.  f.  p  iL  No.  xij. 
S.  Alle  3  Stunden  1  Pille  zu  nehmen),  Blausäure,  welche  Mittel  man  auch 
endermatisch  anwendet,  in  Gebrauch.  Ausser  diesen  Mitteln  sind  empfoh- 
len :  kohlensaures,  salpetersaures  Silber,  Sublimat,  Chinin,  Aether,  Casto- 
reum ,  Vinum  colchici,  Terpentinöl ,  besonders  aber  Ammonias 
Valeriana e.  Mit  diesen  Mitteln  verbindet  man  Einreibungen  von 
Tinct.  stramnionii,  von  Aconit  (R p.  A c o n i t i n i  gr.  viij  ,  A 1  c  o  - 
holis  5ij.  D.  S.  In  die  schmerzhaften  Stellen  einzureiben),  Chloroform 
mit  Ol.  olivarum  etc.  Die  meiste  Hülfe  gewähren  Hautreize ,  beson- 
ders fliegende  Blasenpflaster,  in  der  Nähe  des  Schmerzes  auf  die  Haut  ge- 
sezt.  Noch  kräftiger  wirkt  die  Moxa  und  das  glühende  Eisen.  Ausser- 
dem hat  man  Aderlässe  und  topische  Blutentziehungen  (nur  passend  bei 
vollblütigen  Subjecten),  so  wie  die  Acupunctur,  Electropunctur,  Galvano- 
caustik ,  heisse  Dämpfe  ,  Douchen,  Bäder  empfohlen.  Sind  diese  Mittel 
erfolglos  angewendet  worden ,  so  bleibt  noch  die  Durchschneidung 
des  schmerzenden  Nerven  übrig ,  von  der  aber  nur  Hülfe  zu  erwarten  ist, 
wenn  das  Leiden  nicht  von  dem  unzugänglichen  Centralende  des  Nervens 
ausgeht.  S.  Neurotomia  und  vergl.  auch  die  Art.  Gesichts- 
schmerz und  Hüftweh. 

Neuroma,  Nervengeschwulst.  Man  versteht  hierunter  jede 
an  einem  Nerven  auftretende ,  von  ihm  ausgehende  Geschwulst  von  ver- 
schiedener Form  und  Grösse,  welche  bald  von  der  Nervensubstanz  selbst, 
bald ,  und  zwar  in  der  Mehrzahl  der  Fälle,  vom  Neurilem  ausgeht.  Am 
häufigsten  findet  man  sie  an  den  oberflächlichen  Nerven.  Sie  sind  zu- 
weilen an  vielen,  manchmal  an  allen  Nerven  des  Körpers  verbreitet.  Die 
Geschwulst  hat  eine  spindelförmige  oder  kugelige  Gestalt  und  kann  bis 
zu  einem  Durchmesser  von  6  Zoll  steigen.  —  Diese  Geschwülste  sind  ge- 
wöhnlich die  Ursache  heftiger  plözlich  auftretender  Schmerzen  oder  Zuk- 
kungen,  besonders  wenn  sie  aussen  berührt  oder  der  Nerv  durch  Muskel- 
bewegung in  Spannung  versezt  wird.  Selbst  epileptische  Zufälle  hat  man 
auf  solche  Einwirkungen  erfolgen  sehen.  Zuweilen  ist  auch  ein  Gefühl 
Burger,  Chirurgie.  40 


706  NEUROTOMIA. 

von  Ameisenkriechen  oder  Taubheit  vorhanden.  Sie  wachsen  bald  lang- 
sam, bald  schnell;  in  lezterem  Falle  sind  die  Schmerzen  ungemein  heftig. 
Gewöhnlich  treten  die  Schmerzen  beim  Neurom  in  einzelnen  Anfällen  auf, 
zwischen  denen  mehr  oder  weniger  schmerzensfreie  Pausen  von  verschie- 
dener Dauer  eintreten.  Bringt  man  an  dem  betreffenden  Nerv  oberhalb 
der  Geschwulst  einen  Druck  an,  so  ruft  ein  auf  die  Geschwulst  ausgeübter 
Druck  keinen  Schmerz  hervor.  —  Die  Neurome  stellen  sich  bald  als  feste, 
knorpelartige  Geschwülste  dar  und  zeigen  ein  faserig-sehniges  Gewebe, 
bald  erscheint  dieses  mehr  speckartig,  oder  die  Geschwulst  ist  ein  Hohl- 
gebilde,  enthält  im  Innern  eine  wässerige  oder  sulzige,  gallertartige  Masse. 
Die  meisten  Neurome  scheinen  den  Fasergeschwülsten  anzugehören.  Zu- 
weilen beruht  die  Geschwulst  nur  auf  einer  Verdickung  der  Nervenschei- 
den. Die  Nervenschläuche  findet  man,  je  nach  der  ursprünglichen  Ent- 
wicklungsstelle der  Neubildung,  bald  im  Innern  derselben,  bald  mehr  seit- 
lich ,  bald  aus  einander  gedrängt  peripherisch  über  die  Geschwulst  ver- 
laufend. —  Die  häufigste  Veranlassung  der  Neurome  ist  eine  äussere 
Verlezung ,  ein  Stoss  ,  Schlag,  Druck  etc.  Hierdurch  wird  eine  Entzün- 
dung mit  Exsudatbildung  hervorgerufen ,  oder  ein  kleines  Extravasat  be- 
wirkt und  dadurch  entweder  zur  Bildung  von  Fasergewebe,  oder  zu  einer 
Cyste  Veranlassung  gegeben.  Zuweilen  entwickeln  sich  die  Neuroma 
spontan  aus  noch  unbekannten  Ursachen.  —  Prognose.  Nur  sehr 
selten  verschwindet  das  Neurom  von  selbst ;  gewöhnlich  ist  es  eine  hart- 
näckige, sehr  lästige  Krankheit.  Am  günstigsten  ist  die  Prognose,  wenn 
die  Geschwulst  noch  nicht  lange  besteht  und  traumatischen  Ursprungs 
ist.  —  Behandlung.  Diese  sei  beim  Beginn  des  Leidens  antiphlo- 
gistisch ;  später  kann  nur  von  der  Exstirpation  Hülfe  erwartet  werden. 
S.  Neurotomia.  —  Hat  das  Neurom  seinen  Siz  in  dem  Hauptnerven- 
stamm  eines  Gliedes,  so  bleibt  nichts  übrig,  als  zu  amputiren,  was  aber 
auch  nicht  immer  von  Erfolg  ist. 

Neurotomia  (rsvQog,  Nerv,  ixn&T€fj,V(ü,  ich  schneide),  der  Ner- 
vens  chnitt  und  Ne  ur  e  c  to  mia  (vevgog^  ix  [aus]  und  ts/u reo)  ,  die 
Nervenausschneidung  oder  Resection  sind  zwei  Operations- 
weisen ,  welche  in  den  meisten  Fällen  einen  und  denselben  Zweck ,  näm- 
lich die  Unterbrechung  der  Leitungsfähigkeit  eines  Nerven  an  einer  Stelle 
seines  peripherischen  Verlaufs,  und  auch  einerlei  Indicationen  haben;  nur 
ist  die  Nervenresection  bei  Neuromen  allein  anwendbar ,  während  sie  in 
allen  übrigen  Fällen  nur  den  Zweck  hat,  das  schnelle  Wiederverwachsen 
der  zusammengehörigen  Enden  des  durchschnittenen  Nerven  zu  verhin- 
dern. —  Die  Indicationen  dieses  also  nur  zweierlei  Modificationen 
einer  Operationsmethode  darbietenden  chirurgischen  Eingriffs  sind:  1) 
Entzündungen  eines  peripheren  Nerven ,  welche  von  einem  localen  Ent- 
zündungsherde ausgeht  und  durch  ihr  ungehindertes  Weiterschreiten 
gegen   die   Nervencentra   Gefahr   droht  (Tetanus)  ;    2)  bei  umschriebenen 


NIESEMITTEL.  707 

Krämpfen  (so  beim  Stottern  der  Nervus  hypoglossus);  3)  Neural- 
gien ,  deren  Grund  im  peripheren  Verlaufe  eines  Nerven  gesucht  werden 
kann,  und  wo  der  Reiz  nicht  auf  örtlichem  Druck,  entzündlicher  Schwel- 
lung, Neubildung ,  einem  Aneurysma,  einem  Knochenleiden ,  einem  Zahn 
etc.  beruht.  Eine  Hauptbedingung  für  die  Ausführung  der  Operation 
ist  die  anatomische  Zugänglichkeit,  und  bei  gemischten  Nerven  auch,  dass 
die  Verlezung  eines  solchen  Nerven  nicht  dem  Leben  Gefahr  drohe,  z.  B. 
des  Nerv,  vagus,  phrenicus.  4)  Neurome.  —  Die  Neurotomie. 
wird  subcutan  (vorzüglich  im  Gesicht)  oder  nach  Blosslegung  des  zu 
durchschneidenden  Nerven  vollführt.  Es  sind  dabei  im  Allgemeinen  fol- 
gende Regeln  zu  beachten  :  1)  die  Lage  des  Theiles  muss  eine  solche 
sein,  dass  beim  Aufheben  des  entblössten  Nerven  keine  Zerrung  eintritt. 
2)  die  Blosslegung  des  Nerven  muss  (bei  Neuralgie)  oberhalb  des  Ur- 
sprungs aller  der  von  den  neuralgischen  Schmerzen  ergriffenen  Aeste  vor- 
genommen werden.  3)  Nachdem  man,  durch  anatomische  Kenntnisse  ge- 
leitet, den  Nerven  gefunden  und  entblösst  hat,  muss  man  sich  durch  Rei- 
zung desselben  noch  vollständige  Gewissheit  darüber  verschaffen ,  dass 
man  wirklich  ihn  und  nicht  einen  andern  Strang  vor  sich  hat.  4)  Man 
durchschneidet  den  Nerven  zunächst  so  hoch  als  möglich  gegen  seinen 
Ursprung  hin  mit  einem  Zuge.  Zur  Verhinderung  der  Wiederverwach* 
sung  der  getrennten  Enden  schneidet  man  nur  ein  Stück  von  dem  Nerven 
aus  ;  statt  dieser  Operation  cauterisirte  man  auch  die  Nervenenden  oder 
legte  einen  fremden  Körper  dazwischen.  —  Operirt  man  wegen  eines 
Neuroms ,  so  legt  man  die  Geschwulst  bloss ,  durchschneidet  alsdann  den 
Nerven  zuerst  ober  -  und  hierauf  unterhalb  der  Geschwulst  und  präparirt 
leztere  aus.      Die  Wunde  heilt  man  durch  erste  Vereinigung. 

Niesemittel,  Sternutatoria,  auch  E  r  r  h  i  n  a  ,  Ptarmica. 
Man  versteht  darunter  Mittel ,  welche  auf  die  Nasenschleimhaut  applicirt 
werden,  theils  um  auf  diese  abzuleiten,  theils  sie  örtlich  zu  erregen,  theils 
endlich  fremde,  in  die  Nasenhöhle  gelangte  (Insecten,  Erbsen  etc.),  theils 
in  ihr  erzeugte  Körper  (Krusten,  Häute)  auszutreiben.  In  ersterer  Absicht 
kommen  sie  (als  revulsorische  Reizmittel)  bei  Kopfschmerzen  (Migräne), 
bei  chronischer  Hirnwassersucht,  bei  rheumatischen  Zahn-  und  Ohren- 
schmerzen, bei  der  catarrhalischen  und  rheumatischen  Taubheit,  bei  chro- 
nischen, rheumatischen  und  gichtischen  Augenentzündungen,  bei  der  Epi- 
lepsie ,  um  den  nahen  Anfall  zu  verhüten ,  bei  der  Manie  und  Hypochon- 
drie zur  Anwendung.  Als  örtlich  erregende  Mittel  bedient  man  sich 
ihrer  bei  chronischem  Schnupfen,' bei  chronischer  Auflockerung  der  Nasen- 
schleimhaut und  Neigung  zur  Bildung  von  Polypen,  so  wie  zur  Verschrum- 
pfung  solcher.  Contraindicirt  sind  die  Niesemittel  bei  zarten  Kindern 
und  Frauen ,  bei  Gehirncongestionen  ,  bei  Vollblütigkeit ,  Neigung  zum 
Blutspeien  und  Schlagfluss,  bei  entzündlichem  Zustande  der  Nasenschleim- 
haut, bei  inneren  Entzündungen,  bei  Bruchkranken  und  Schwangeren.  — 

45* 


708  NOMA. 

Man  wendet  sie  bald  in  tropfbarflüssiger  oder  elastischflüssiger  (Dampf 
und  Gas),  bald  in  trockener  pulveriger,  bald  in  Salbenform  an.  Die  tropf- 
barflüssigen werden  entweder  eingesprizt ,  oder  eingepinselt  oder  einge- 
schnupft, oder  mittels  damit  getränkter  Charpie  oder  Badeschwammstücke 
eingebracht.  Die  elastischflüssigen  werden  entweder  mittels  eines  Trich- 
ters oder  Rohrs  in  die  Nase  geleitet ,  wie  die  Dämpfe,  oder  eingeathmet, 
wie  die  Gasarten.  Die  Pulver  werden  entweder  durch  einen  Federkiel 
u.  dgl.  eingeblasen,  oder  geschnupft,  die  salbenf  örmigen  mittels  Charpie- 
wieken  applicirt.  —  Die  hauptsächlichsten  Niesemittel  sind  die  Pulver 
vonRad.  convallariae  majalis,  Hb.  betonicae  officinalis, 
majoranae,  mari  veri,  Rad.  iridis  florentini,  Asarum  eu- 
ropaeum,  Hb.  nicotianae,  Rad.  hellebori  albi,  valeria- 
nae,  calami  aromatici,  Cortex  chinae,  Flor,  lavendulae 
etc.  Ausser  diesen  pflanzlichen  Stoffen  werden  noch  verschiedene  andere, 
wie  Kohle,  Chlorkalk,  Calomel,  Zucker,  weisser  Vitriol  etc.  als  Niesemittel 
benuzt.  —  Compositionen:  Rp.  Hb.  majoranae,  —  mari 
veri,  Flor,  lilior.  convall. ,  Rad.  irid.  florent.  ana.  M.  — 
Rp.  P  ulv.  r  ad.  asari  europ.,  —  f  lor.  convall.  maj. ,  E  laeo- 
sacch.  orig.  maj.  ana  3j-  M.  S.  Schnupfpulver.  —  Rp.  Pulv.  rad. 
asar.  europ.,  Hb.  orig.  maj.  ana  ^j  ,  Calomel  ^ß,  Sacch.  albi 
3j.  M.  S.  6  Mal  täglich  1  Prise  zu  nehmen  (längere  Zeit  gebraucht,  er- 
regt dieses  Pulver  ein  wohlthätiges  Nasenbluten).  —  Rp.  Pulv.  herb, 
betonicae,  —  rad.  asar.,  —  —  hellebor.  alb.  ana.  M.  — 
Rp.  Pulv.  carbon.  ligni^j,  —  r  a  d.  irid.  f  1  or  ent.  ^]3.  M.  f. 
pulv.  S.  Schnupfpulver  (gegen  übelriechende  Absonderung  der  Nasen- 
schleimhaut bei  Kindern).  —  Mechanisch  reizt  man  die  Nasenschleimhaut 
mit  einem  Federbart,  Haarpinsel,  Grashalm  etc. 

Noma  (jj  vofirj ,  ein  um  sich  fressendes  Geschwür)  ,  Wasser- 
krebs,  Cancer  aquaticus,  Mundbrand,  Stomacace  gan- 
graenosa, ist  eine  brandige  Entzündung ,  welche  unter  gewissen  Ver- 
hältnissen,  am  häufigsten  bei  Kindern  vom  1.  bis  10.  Lebensjahre,  am 
Zahnfleische ,  an  Mund-  und  Wangentheilen ,  seltener  an  den  weiblichen 
Gesehlechtstheilen  und  am  After  auftritt.  —  Symptome  und  Ver- 
lauf. Die  Krankheit  beginnt  entweder  aussen  an  der  Wange  oder 
Lippe,  oder  innen  auf  der  Schleimhaut  dieser  Theile  und  am  Zahnfleische. 
—  Wenn  die  Noma  von  der  Mundfläche  ausgeht,  so  erscheint  die  Schleim- 
haut in  bald  kleinerem ,  bald  grösserem  Umfange  entzündet  und  aufge- 
lockert, manchmal  mit  Exsudaten  bedeckt,  oder  es  sind  Geschwüre  vor- 
handen. Im  ersten  Fall  bilden  sich  an  der  entzündeten  Stelle  in  Folge 
des  eingetretenen  Brandes  bleifarbene  aschgraue  Flecken ,  die  einsinken 
und  ein  Geschwür  darstellen.  Im  leztern  Falle  bekommen  die  bereits 
vorhandenen  Geschwüre  ein  missfarbiges  Aussehen  und  nehmen  an  Um- 
fang zu.     In  beiden  Fällen  greift  die  brandige  Zerstörung  rasch  um  sich, 


NOMA.  709 

das  Zahnfleisch  löst  sich  von  den  Zähnen  und  Kieferknochen  los,  die  nieist 
ödematös  aufgetriebenen  Lippen  und  Wangen  werden  durchbohrt ,  die 
Speicheldrüsen  sind  angeschwollen ,  aus  dem  Munde  und  den  brandigen 
Oeffnungen  fliesst  in  grosser  Menge  ein  höchst  übelriechender  Speichel, 
und  überhaupt  verbreiten  die  brandigen  Theile  einen  furchtbaren  Ge- 
stank, die  Zähne  fallen  aus  und  die  entblössten  Knochen  werden  nekro- 
tisch; das  Uebel  macht  gewöhnlich  so  reisseude  Fortschritte,  dass  in  we- 
nigen Tagen  ein  grosser  Theil  der  weichen  Gesichtstheile  zerstört  sein 
und  die  Mundhöhle  sammt  den  naheliegenden  Knochen  blossliegen  kann. 
Zuweilen  wird  der  Brand  frühzeitig  durch  eine  eiternde  Demarkationslinie 
begrenzt  und  es  kann  Heilung  mit  einer  geringen  Entstellung  des  Gesichts 
erfolgen  ;  häufig  greift  der  Brand  aber  wieder  aufs  Neue  um  sich  und  sezt 
seinen  zerstörenden  Weg  fort.  In  andern  Fällen  schreitet  die  brandige 
Zerstörung  langsamer  vorwärts,  und  es  vergehen  Monate,  bis  ein  bedeu- 
tender Substanzverlust  erfolgt.  Schmerzen  sind  in  der  Regel  keine  vor- 
handen, nur  ein  leichtes  Jucken  und  Brennen  in  der  Umgegend  des  Bran- 
digen. —  Entwickelt  sich  die  Noma  von  aussen  ,  so  zeigt  sich  auf  der 
Wange  oder  Lippe  zuerst  ein  röthlicher  Fleck  mit  harter ,  glänzend  ge- 
rötheter  Umgebung,  bald  wird  diese  Stelle  dunkler,  missfarbig,  sinkt  ein 
und  stellt  damit  ein  brandiges  Geschwür  dar.  Oder  in  der  Dicke  der 
Wange ,  der  Lippe  macht  sich  eine  entzündliche  Verhärtung  mit  ödema- 
töser  Anschwellung  dieser  Theile  bemerklich  ;  der  Entzündungsherd  er- 
weicht sich ,  die  Haut  über  demselben  wird  livid  und  missfarbig ,  und  es 
erfolgt  nun  nach  aussen  oder  nach  innen  ein  Durchbruch  und  gänzliche 
Durchbohrung ,  worauf  der  Absterbungsprocess  sich  auf  das  Zahnfleisch 
ausdehnt  und  die  Zerstörung  in  beschriebener  Weise  fortschreitet.  — 
Aehnliche  brandige  Zerstörungen  kommen  zuweilen  auch  an  den  Ge- 
schlechtstheilen  und  am  After  unter  den  gleichen  Umständen  vor.  —  Das 
Allgemeinbefinden  ist  bei  dieser  Krankheit  oft  gar  nicht  getrübt,  es  ist 
kein  Fieber  vorhanden  und  die  Verdauung  ist  nicht  gestört.  Der  Grund 
dieser  geringen  Reaction  liegt  ohne  Zweifel  darin ,  dass  bei  gelähmten 
Gefässen  und  Nerven  keine  Resorption  von  Brandjauche  stattfindet ,  und 
die  brandige  Zerstörung  ziemlich  schmerzlos  erfolgt.  In  andern  Fällen 
jedoch  entstehen  nach  der  deutlichen  Entwicklung  des  Brandes  typhöse 
Erscheinungen,  welche  am  Ende  der  ersten  oder  zweiten  Woche  den  Tod 
herbeiführen.  —  Die  Diagnose  ist  in  der  Regel  mit  keinen  Schwierig- 
keiten verbunden.  Der  Ort  des  Vorkommens,  die  rasche  Zerstörung  und 
der  aashaft  riechende  Speichelfluss  werden  immer  auf  die  richtige  Spur 
leiten.  —  Ursachen.  Eine  Disposition  zur  Noma  haben  schlecht  ge- 
nährte, schwächliche,  aufgedunsene,  überhaupt  cachektische  Kinder,  die 
unreinlich  gehalten  werden ,  schlechte  Nahrung  gemessen  und  an  scor- 
butischer  Dyserasie  leiden.  Daher  findet  man  das  Uebel  nur  bei  der 
niedern  Volksklasse,  in  ungesunden  Wohnungen  und  in  Sumpf-  und 
Küstengegenden.    Gelegenheitsursachen  sind  :  unvorsichtiger  Quecksilber- 


710  %  NOMA. 

gebrauch,  Zahnverderbniss  und  der  Vorgang  des  Zahnwechsels  ;  ferner  die 
Gegenwart  von  Mundgeschwüren  in  Verbindung  mit  Verdauungsstörungen 
und   Erkältungen ;    am  häufigsten  erscheint  sie   im  Gefolge  von  Masern, 
Scharlach   und  Typhus.       Zu  bemerken  ist ,   dass  bei  Scorbutischen  die 
Gesichtsnoma   meistens   auf  der  Schleimhaut ,   nach  Hautausschlägen  da- 
gegen von  aussen  beginnt.    —   F  r  o  r  i  e  p  fand  zahlreiche  Gährungspilze, 
die  er  als  die  Ursache  der  Entstehung  und  Verbreitung  des  Wasserkrebses 
ansieht.  —   Ausgänge.      Die  Noma  führt  bei  Kindern  meistens  durch 
Erschöpfung  und   Colliquation   oft   schon  nach    8  bis    14  Tagen,   selbst 
früher ,   zuweilen   aber   auch   erst  nach  Monaten  zum  Tode.      Tritt  unter 
sehr  günstigen  Verhältnissen  Heilung  ein,  so  wird  der  Brand  begrenzt  und 
abgestossen ,   und   es    erfolgt  mit  mehr  oder  weniger  Entstellung  Vernar- 
bung.      Das   Verlorengegangene  ersezt   sich   durch    Granulationsbildung, 
Narbencontraction  und  Ausdehnung  der  umliegenden  Theile. —  Die  Pro- 
gnose ist  im  Allgemeinen  ungünstig,  da  die  Heilung  sehr  zweifelhaft  ist 
und  jedenfalls  mit  Entstellung  des  Gesichts  erfolgt.  —  Behandlung. 
Das  Erste  ist  Sorge  für  bessere  Nahrung ,    gesundere  Luft  und  Reinlich- 
keit.  Dann  gibt  man  bei  bestehenden  gastrischen  Unreinlichkeiten  Brech- 
und   leichte  Abführmittel,   bei   scorbutischem   Zustande   antiscorbutische 
Mittel ;  zur  Unterstüzung  der  Kräfte  China,  Cascarille  und  Mineralsäuren. 
Die   örtliche   Behandlung  besteht   darin  ,    an   die  Stelle  der  gangränösen 
Entzündung  eine  eiterbildende  zu  sezen,  was  man  durch  scharfe  und  äzende 
Mittel  oder  das  Glüheisen  ins  Werk  sezt.      Zu  dem  Ende  bepinselt  man 
die  kranke  Stelle,  so  wie  die  nächste  Umgebung  mit  Mineralsäuren,  Holz- 
säure, Kreosot,  Chlor  (z.B.  Rp.  Acid.  nitrici  ^ij,  Syr.  moror.  §ij. 
M.  S.  Pinselsaft.  —   Rp.  Acid.  muriat.  3j,  Deco  ct.  malv.  ex  5ij- 
pt.  §vj,  Meli,  rosar.  g.  M.  S.  Gurgelwasser.  —  Rp.  Acid.  pyro- 
lignos.  5iß,  Meli,  rosar.  §j.  M.  S.  Zum  Bepinseln.  —  Rp.  Chlor  i 
liquid.,  Syr.  berberid.  ana  gj.    M.  S.   Pinselsaft),  oder  macht  Um- 
schläge mit   concentirter   Auflösung  von   Zink-   oder   Kupfervitriol  (Rp. 
Cupr.    sulphur.    5ij  ,  P  u  1  v.    chinae    5$  ,   A  q.   simpl.  §iv.  M.  S. 
Zwei   Mal  täglich   davon   aufzulegen),   Chlorkalk   (Rp.    Calcar.  oxy- 
muriat.    §ß  ,   Aq.    fönt.  <j£ij.    M.   solv.   e  t  co  1.  p  er  1  in  t  e  am.    S. 
Alle  2  Stunden  überzuschlagen),  Alaun,  Campher  u.  dgl.     Das  kräftigste 
Mittel,  um  das  Fortschreiten  des  Brandes  zu  hemmen,  ist  die  nachdrück- 
liche  Application   des    Glüheisens.       Stösst   sich  der  Brandschorf  ab  ,   so 
fährt  man   mit  den  scharfen  und  äzenden  Mitteln  in  gemässigtem  Grade 
fort,  bis  sich  eine  reine  wunde  Fläche  zeigt.   Je  nachdem  sich  eine  starke 
entzündliche  Reizung  oder  mehr  ein  reizloser  Zustand  zeigt,   macht  man 
Bleifomente,    oder  legt  trockene  aromatische  Substanzen  auf  die  leidende 
Gesichtshälfte.      Dabei  muss  der  Mund  fleissig  mit  geistigen,  säuerlichen, 
gerbstofFhaltigen  Flüssigkeiten ,    oder  einer  Auflösung  von  Chlorkalk  aus- 
gespült oder  gesprizt,  und  das  Verschlucken  des  Speichels  und  der  Brand- 
jauche möglichst  verhütet  werden. 


OBERKIEFERHOEHLE.  ENTZUENDUNG  DERS.  711 


o. 


Oberkieferhöhle,  Krankheiten  derselben.  Der  Sinus 
m  axillaris  ist  der  Siz  sehr  verschiedener  krankhafter  Zustände,  welche 
meistens  von  einer  Entzündung  ihren  Ausgang  nehmen,  welche  hinwiederum 
in  der  auskleidenden  Schleimhaut  oder  in  der  Beinhaut  sich  entwickeln 
kann. 

Entzündung  der  Oberkieferhöhle,  Infi  a.nimatio  si- 
nus  maxillaris  s.  antri  Highmori.  Diese  gibt  sich  durch  einen 
brennenden,  klopfenden  oder  bohrenden  Schmerz  in  der  Tiefe  der  Wange 
zu  erkennen ,  welcher  sich  von  dem  Zahnrande  bis  an  die  Augenhöhlen 
verbreitet  und  durch  äusserlichen  Druck  nicht  vermehrt  wird.  Nach  der 
Beschaffenheit  der  Entzündung  ist  dieser  Schmerz  entweder  sehr  heftig, 
anhaltend  mit  Wärmeentwicklung,  Kopfschmerzen  und  Fieberbewegungen 
verbunden,  oder  er  ist  gering ,  mehr  dumpf  mit  dem  Gefühl  von  Schwere 
in  der  Wange  und  wird  dann  gewöhnlich  für  eine  catarrhalische  Affection 
gehalten.  —  Die  acute  Entzündung  der  Kieferhöhle  kann  zu  einer 
schnellen  Anfüllung  dieser  Höhle  mit  Eiter  mit  nachfolgender  Necrose 
führen  ;  die  chronische  hat  meist  die  sogenannte  Wassersucht 
oder  den  A  b  s  c  e  s  s  der  Highmorshöhle  (Hydrops  s.  Absces- 
sus  antri  maxillaris)  zur  Folge  ,  welche  je  nach  dem  Siz  der  Ent- 
zündung in  der  Schleim-  oder  Beinhaut  in  der  Höhle  selbst  oder  zwischen 
den  verschiedenen  Schichten  der  Höhlenwandungen  auftreten  kann  und 
sich  ausser  den  oft  dunklen  Erscheinungen  der  Entzündung  nur  durch  die 
Anschwellung  und  den  Ausfluss  der  Flüssigkeit  aus  der  Nasenhöhle,  wenn 
die  Oeffnung  des  Antrum  nicht  versperrt  ist,  zu  erkennen  gibt.  Die  An- 
schwellung, welche  nach  allen  Seiten  vor  sich  geht ,  erreicht  oft  eine  im- 
mense Ausdehnung,  besonders  wenn  die  Flüssigkeit  nirgends  hin  Abfluss 
hat.  Manchmal  bahnt  sie  sich  einen  Weg  durch  einen  Alveolus  oder 
durchbricht  an  einer  beliebigen  Stelle  unter  cariöser  Zerstörung  die  Wand 
der  Kieferhöhle.  —  Ursachen.  Diese  können  sein:  äussere  Gewalt- 
thätigkeiten,  Erkältung,  Masern  und  Blattern,  rheumatisches,  gichtisches, 
scrophulöses,  syphilitisches  Leiden ,  Caries  der  Zähne ,  Verlezung  des  Al- 
veblarrandes  beim  Zahnausziehen  etc.  —  Prognose.  Wird  die  Ent- 
zündung frühzeitig  bemerkt ,  so  ist  ihre  Zertheilung  durch  eine  zweck- 
mässige Behandlung  zu  erzielen.  Ist  es  aber  schon  zur  Bildung  vonEnt- 
zündungsproducten  gekommen,  so  ist  die  Kur  immer  langwierig  und  nicht 
selten  nur  unter  Entstellungen  möglich.  —  Behandlung.  Bei  einer 
blos  catarrhalischen  Entzündung  reicht  man  mit  milden  Mitteln,  besonders 
lauen  Dämpfen  aus.  Bei  tiefergreifenden  Entzündungen  müssen  örtlich 
antiphlogistische  Mittel,  wie  Blutegel,  kalte  Umschläge,  Einreibungen  der 
grauen   Quecksilbersalbe    nebst    Ableitungen  in   Gebrauch  gezogen  und 


712  OBERKIEFERHOEHLE*    EROEFFNUNG  DERS. 

nebenbei  die  etwa  zu  Grunde  liegenden  Dyscrasien ,  cariöse  Zähne  etc. 
beseitigt  werden.  Ist  es  zur  Bildung  von  Eiter  etc.  gekommen,  so  muss 
diesem  Abfluss  verschafft  und  zu  diesem  Behufe  die  Kieferhöhle  eröffnet 
werden. 

Die  Eröffnung  der  Kieferhöhle,  Per fo ratio  s.  Trepa- 
natio  antri  Highmori,  kann  von  drei  verschiedenen  Stellen  aus  ge- 
schehen ,  nämlich  von  einer  Zahnhöhle  aus ,  an  der  vordem  Fläche  des 
Kieferknochens  und  vom  harten  Gaumen  her.  1)  Durchbohrung 
einer  Zahnhöhle.  Die  Alveolen,  durch  welche  man  in  die  Kiefer- 
höhle gelangen  kann,  sind  die  vom  2.  bis  4.  Backenzahn.  Fehlt  einer 
dieser  Zähne ,  so  hat  man  nur  die  schon  bestehende  Oeffnung  im  Grunde 
des  Zahnfleisches  zu  vergrössern,  indem  man  einen  Troicart,  ein  Perforativ- 
trepan  oder  eine  eiserne  Sonde  hindurch  stösst.  Fehlt  kein  Zahn,  so  muss 
einer  der  genannten  Zähne  ausgezogen  werden ,  wozu  man  wo  möglich 
einen  schadhaften  wählt.  Zuweilen  ist  dieses  Ausziehen  eines  Zahns  hin- 
reichend ,  um  der  Flüssigkeit  einen  Ausweg  zu  eröffnen ,  oft  aber  muss 
man  nach  dem  Ausziehen  erst  noch  die  Perforation  ausführen.  Nach 
Entleerung  der  Höhle  wird  die  Oeffnung  durch  einen  Pfropf  verstopft,  um 
das  Eindringen  von.  Speisen  in  dieselbe  zu  verhüten.  —  Der  Erfolg  dieser 
Operation  ist  meistens  günstig,  indem  die  Kieferhöhle  an  ihrer  tiefsten 
Stelle  geöffnet  wird ;  auch  ist  die  Ausführung  der  Operation  sehr  leicht 
und  es  bleibt  keine  Narbe.  —  2)  Anbohrung  der  vordem  Wand 
der  Kieferhöhle.  Man  wählt  dazu  die  Fossa  canina  als  die 
dünnste  Stelle  des  Knochens.  Man  legt  sie  vom  Munde  aus  bloss,,  indem 
man  nöthigenfalls  die  Wange  vom  Zahnfleisch  etwas  ablöst;  durchschnei- 
det dann  die  Weichtheile  bis  auf  den  Knochen ,  entfernt  das  Periosteuin 
und  durchdringt  den  Knochen  etwa  %.fo  Zoll  oberhalb  des  freien  Bandes 
des  Zahnrandes  mit  dem  Perforativ  oder  Troicart.  —  Man  nimmt  die 
Perforation  auch  an  der  Eminent ia  malaris  vor ,  indessen  ist  hier 
der  Knochen  viel  dicker.  Man  macht  diese  Operation,  wenn  die  Zähne 
gesund  sind,  sehr  eng  an  einander  stehen ,  die  Alveolen  fest  verschlossen 
sind  und  der  Mund  wegen  der  Grösse  der  Backengeschwulst  nicht  geöffnet 
werden  kann.  —  3)  Durchbohrung  des  Gaumentheils  des 
Oberkiefers.  Man  nimmt  diese  Operation  vor ,  wenn  der  Gaumen 
stark  hervorgetrieben  ist,  oder  wenn  sich  daselbst  eine  in  die  Kieferhöhle 
führende  Fistel  befindet.  Man  wählt  den  fluctuirendsten  Punkt  zur  Per- 
foration ,  immerhin  muss  diese  aber  im  Bereiche  der  Backenzähne  ausge- 
führt werden ,  weil  man  mehr  gegen  die  Mittellinie  hin  nicht  in  die  Kie- 
fer- ,  sondern  in  die  Nasenhöhle  gelangen  würde.  —  Nach  Vollführung 
der  einen  oder  der  andern  Operation  befördert  man  den  Abfluss  des  In- 
halts durch  Einsprizungen  von  lauem  Wasser  oder  Chamilleninfus,  welche 
man  später  mit  Auflösungen  von  Sublimat ,  Zinkvitriol  oder  Höllenstein 
vertauscht.  Gelingt  es  auf  diese  Weise  nicht ,  die  Secretion  der  Höhle 
aufzuheben,  so  kann  man  nach  dem  Vorgange  von  Weinhold  ein  Haar- 


OBERKIEFERHOEHLE.    —    GESCHWUELSTE  IN  DERS.  713 

seil  durchziehen.  Die  mit  dem  Haarseile  (einer  wollenen  Schnur  u.  dgl.) 
versehene  Nadel  wird  zu  diesem Behufe  an  der  Fossa  canina  ein-  und 
an  der  Gaumenwand  in  der  Nähe  des  Alveolarfortsazes  ausgestochen  und 
die  Schnur  nachgezogen.  Je  nach  dem  durch  das  Haarseil  bewirkten 
Grade  der  Reizung ,  wird  es  verdickt  oder  verdünnt,  mit  reizenden  oder 
milden  Salben  bestrichen  oder  auch  ganz  entfernt ,  wo  möglich  aber  bis 
die  Höhle  mit  gesunden  Granulationen  sich  zu  füllen  anfangt,  liegen  ge- 
lassen. 

Geschwülste  der  Oberkiefer  höhle.  Diese,  höchst  ver- 
schieden in  ihrer  Structur,  lassen  sich  doch  bei  ihrem  Entstehen  nicht  von 
einander  unterscheiden  und  zeigen  auch  in  ihrem  weiteren  Verlaufe  sehr 
viel  Analoges.  Sie  können  gut  -  und  bösartig  sein ,  sich  in  der  Kiefer- 
höhle ursprünglich  entwickeln ,  oder  von  einer  benachbarten  Höhle  aus, 
wie  von  den  Nasenhöhlen ,  Zahnhöhlen  etc.  in  diese  eingedrungen  sein. 
Es  kommen  fibröse  und  sarkomatöse  Geschwülste,  Enchondrome,  Knochen- 
geschwülste, endlich  Krebsgeschwülste  verschiedener  Art  hier  vor.  —  Das 
Auftreten  dieser  Afterbildungen  gibt  sich  ,  wenn  sie  nicht  frühzeitig  aus 
bestehenden  OefFnungen ,  z.  B.  aus  offenen  Alveolen  herauswuchern  kön- 
nen, durch  eine  Ausdehnung  der  Wandungen  der  Kieferhöhle  zu  erkennen, 
welche  bald  rasch ,  bald  langsam ,  bald  im  ganzen  Umfange  der  Höhle, 
bald  nur  nach  einzelnen  Richtungen  hin,  wo  die  Wandungen  am  schwäch- 
sten sind,  wie  nach  vorn  gegen  die  Nasen-  und  Augenhöhle,  aber  auch 
gegen  den  Gaumen  etc.  hin,  erfolgt,  wodurch  bedeutende  Verunstaltungen 
des  Gesichts  und  weiterhin  beträchtliche  und  gefährliche  Funktionsstörun- 
gen, wie  durch  Verengerung  der  Nasenhöhle  Behinderung  der  Respiration, 
des  Thränenflusses,  Verdrängen  des  Augapfels  etc.  bewirkt  werden.  Unter 
fortdauerndem  Wachsthum  des  Aftergebildes  kommt  es  zur  Erweichung, 
Verdünnung  und  endlich  zum  Durchbruche  der  Knochenwände ;  jenes 
dringt  nun  rasch  durch  die  Oeffnung  hervor ,  tritt  in  die  Nasenhöhle,  den 
Mund  und  die  Schlundhöhle  und  kann  endlich  auch  von  der  Nasen-  und 
Augenhöhle  aus  aufwärts  zum  Gehirn  gelangen  und  Compression  des  lez- 
tern  bedingen. —  Die  bösartigen  Neubildungen  charakterisiren  sich  durch 
ein  sehr  rasches  Wachsthum.  —  Ursachen.  Sie  kommen  mit  denen 
der  Entzündung  der  Oberkieferhöhle ,  aus  der  sie  sich  in  den  meisten 
Fällen  entwickeln,  überein.  —  Prognose.  Sie  ist  nicht  die  günstig- 
ste ;  die  Kur  ist  immer  langwierig  und  nur  auf  operativem  Wege  Hülfe 
möglich.  Günstiger  ist  die  Prognose  bei  gutartigen  als  bei  bösartigen 
Neugebilden ,  leztere  liegen  bei  grosser  Ausdehnung  nicht  selten  ausser 
den  Grenzen  der  Kunsthülfe.  —  Behandlung.  Man  eröffnet  die 
Kieferhöhle  ergiebig  und  entfernt  die  Aftergebilde  oder  zerstört  sie,  was 
man  durch  Ausreissen ,  Ausschneiden  ,  Abbinden  oder  Cauterisation  ins 
Werk  sezt.  Auch  die  Anwendung  des  Haarseils  wurde  in  Gebrauch  ge- 
zogen. Da  aber  meist  der  Knochen  an  der  Erkrankung  Antheil  nimmt, 
so  ist  es  gerathen,  statt  der  vorgenannten  Verfahrungsweisen,  je  nach  der 


714  OEDEM. 

Ausdehnung  des  Leidens  ,  die  partielle  oder  totale  Resection  des  Ober- 
kiefers vorzunehmen ,  welche  Operationen  sich  vielfach  als  gefährlich  er- 
wiesen haben.      S.  Resection. 

Oedema  (von  oidsoo,  ich  schwelle  an),  das  Oedem,  die  Was- 
sergeschwulst. Hierunter  versteht  man  eine  durch  Erguss  von 
Blutwasser  in  die  Maschen  des  Bindegewebes  gebildete  Geschwulst.  Hat 
dieser  Erguss  seinen  Siz  im  Unterhautbindegewebe  und  ist  er  über  einen 
grossen  Theil  der  Körperoberfläche  verbreitet ,  so  nennt  man  eine  solche 
Wasseransammlung  Anasarca.  —  Am  häufigsten  trifft  man  das  Oedem 
in  dem  Unterhautbindegewebe  an  ;  es  wird  aber  auch  in  dem  submucösen 
und  subserösen  Bindegewebe  beobachtet ;  selbst  das  im  Innern  der  Organe 
gelegene  kann  davon  ergriffen  werden.  Diejenigen  Gegenden  des  Kör- 
pers, wo  unter  der  Haut  kein  Fettpolster  liegt,  werden  am  häufigsten  vom 
Oedem  ergriffen,  und  fällt  dieses  am  stärksten  in  die  Augen,  so  am  Hoden- 
sack, an  den  Augenlidern  etc.  Häufig  ist  das  Oedem  der  Vorläufer  all- 
gemeiner Wassersucht.  - —  Die  ödematöse  Anschwellung  entsteht  entweder 
in  Folge  von  Hyperämie  und  Entzündung  (hyperämisches,  ent- 
zündliches Oedem,  Oedema  hyperaemicum,  inflamma- 
torium,  calidum)  oder  von  Schwäche  der  Haargef  ässe ,  Dünnflüssig- 
keit des  Blutes ,  mechanischen  Hindernissen  in  der  Rückführung  des 
Bluts  (kaltes  Oedem,  O  e  dema  frigi  dum).  Das  entzündliche 
Oedem  erscheint  bald  mit  schwacher  schleichender  Entzündung,  bald  aber 
auch  im  Gefolge  heftiger,  in  Eiterung  oder  Brand  übergehender  Entzün- 
dungen ,  und  dann  im  Umfange  des  eigentlichen  Entzündungsherdes ,  wo 
es  dann  oft  die  verborgenen  Entzündungen  und  Abscesse  anzeigt.  Das 
kalte  ist  entweder  aus  einem  entzündlichen  hervorgegangen ,  oder  ur- 
sprünglich als  kaltes  aufgetreten.  Sehr  häufig  tritt  lezteres  als  Oedema 
p  e  d  u  m  auf.  —  Das  Oedem  charakterisirt  sich  durch  eine  grössere  oder 
geringere  weiche,  teigige  Anschwellung,  worin  der  Fingerdruck  eine  Zeit 
lang  zurückbleibt ;  die  Haut  erscheint  glänzend.  Bei  kaltem  Oedem  ist 
die  Haut  blass  oder  weiss  und  fühlt  sich  kühl  an,  beim  entzündlichen  ist 
sie  leicht  geröthet ,  heiss  und  es  sind  prickelnde  und  heftige  Schmerzen 
zugegen,  wozu  sich  bei  empfindlichen  Personen  oder  grosser  Ausdehnung 
auch  Fieber  gesellen  kann.  —  Das  Oedem  ist  bald  nur  ein  vorübergehen- 
der Krankheitszustand,  der  mit  dem  Aufhören  der  Ursache,  z.  B.  Druck 
auf  die  Venenstämme ,  verschwindet ,  bald  dauert  es  mit  abwechselnder 
Besserung  und  Verschlimmerung  an  ,  wird  habituell ,  bald  nimmt  die  In- 
filtration immer  mehr  zu ,  wenn  die  Ursache  nicht  gehoben  werden  kann, 
es  kommt  zu  einer  übermässigen  Ausdehnung ,  endlich  zur  Entzündung 
und  brandigen  Zerstörung  der  Theile.  Das  entzündliche  Oedem  führt 
öfters  zu  einer  Art  von  Zellgewebshypertrophie ;  man  beobachtet  dies 
nicht  selten  in  der  Nähe  entzündeter  Gelenke  und  in  der  Umgebung  chro- 
nischer  Fussgeschwüre.    - —   Die  Behandlung  des  Oedems  muss  nach 


OHRENKRANKHEITEN. 


715 


den  zu  Grunde  liegenden  Ursachen  eine  verschiedene  sein.  Bei  entzünd- 
licher Reizung  wendet  man  massige  Antiphlogose  an,  und  gibt  in  dieser 
Absicht  innerlich  Calomel  und  reibt  die  graue  Salbe  ein.  Bei  dem  kalten 
Oedem  entfernt  man  alle  mechanischen  Circulationshindernisse ,  beseitigt 
daher  drückende  Geschwülste,  zu  fest  angelegte  Verbände  etc.  und  ordnet 
eine  horizontale  Lage  an.  Der  GefässerschlafFung  und  der  mangelhaften 
Resorption  wirkt  man  durch  eine  methodische  Compression  (bei  den  un- 
tern Extremitäten  durch  Einwickelungen  mit  Binden,  durch  Schnürstrümpfe), 
durch  die  Anwendung  gelind  reizender  Mittel,  wie  der  trockenen  Wärme, 
durch  Auflegen  von  Tüchern,  Baumwolle,  Mehl  etc.,  ferner  trockener  aro- 
matischer Fomentationen  mit  ätherisch- öligen  Kräutern  ,  Räucheruugen, 
spirituöser  flüchtiger  Einreibungen  (z.  B.  Rp.  Ol.  terebinth.,  Liq. 
ammon.  caust.,  Spirit.  camphor.  ana  ^ß.  M.  S.  zum  Einreiben; 
oder  Rp.  Bals.  vitae  extern.  Jß ,  Spirit.  camphor.  5J  , 
—  me*ith.  Jij  ,  Tinct.  opii  simpl.  Jöj.  M.  S.  zum  Einreiben), 
nasser  warmer,  aromatischer  oder  geistiger  Fomentationen  etc.  entgegen. 
Hat  die  Wasseransammlung  Hautentzündung  bewirkt,  so  dienen  dagegen 
lauwarme  Bleifomente  oder  erweichende  Cataplasmen.  —  Wenn  die  An- 
sammlung einen  sehr  hohen  Grad  erreicht  hat  und  heftige  spannende 
Schmerzen  verursacht,  so  verschafft  man  der  Flüssigkeit  durch  seichte 
Einschnitte  mit  der  Lancette  Ausfluss.  Nur  bei  grosser  Körperschwäche, 
bei  Dissolution  der  Säfte ,  bei  Disposition  zu  erysipelatöser  Entzündung 
unterlässt  man  die  Einschnitte ,  d%  sie  unter  diesen  Umständen  leicht 
Hautentzündung  und  selbst  Brand  zur  Folge  haben.  —  Neben  der  örtli- 
chen Behandlung  sind ,  abgesehen  von  der  dem  Oedem  etwa  zu  Grunde 
liegenden  Krankheit,  gelind  eröffnende  und  harntreibende  Mittel  von  Nuzen. 

Ohrenkrankheiten.  Das  Ohr  erleidet  eine  Reihe  von  Krank- 
heiten, die  ausser  dem,  dass  viele  derselben  höchst  schmerzhaft  sind,  noch 
dadurch  eine  grössere  Bedeutung  erlangen,  dass  sie  nicht  selten  den  Ver- 
lust des  Gehörs  zur  Folge  haben.  Es  ist  deshalb  eine  genaue  Kenntniss 
derselben  sehr  wünschenswerth ,  diese  zu  erlangen  aber  oft  nicht  leicht, 
da  manche  von  ihnen  keine  materiellen  Veränderungen  veranlassen,  an- 
dere bei  der  versteckten  Lage  des  Organs  nur  schwer  zugänglich  sind. 
Es  müssen  deshalb  alle  zu  Gebote  stehenden  Mittel  in  Anwendung  gebracht 
werden ,  um  sich  über  eine  bestehende  Krankheit  Licht  zu  verschaffen. 
Das  unerlässlichste  dieser  Mittel  ist  eine  genaue  Untersuchung  des  Gehör- 
gangs. Bei  nicht  verengtem  oder  zu  sehr  gebogenem  Gehörgang  reicht 
die  blosse  Besichtigung  hin,  den  ganzen  Gehörgang  bis  an  das  Trommel- 
fell zu  überblicken.  Zu  diesem  Zwecke  sezt  man  den  Kranken  so,  dass 
die  Strahlen  der  Sonne  in  den  Gehörgang  fallen,  fasst  die  Ohrmuschel 
des  Kranken  und  zieht  das  Ohr  nach  hinten  und  oben  und  gleicht  auf 
diese  Weise  die  erste  Biegung  des  Gehörorgans  aus.  Verschliesst  der 
Tragus   die  äussere  Oeffnung ,   so   zieht  man   diesen  durch  Spannen   der 


716  OHRENKRANKHEITEN.  ENTZUENDUNG. 

Haut  auf  dem  Jochbogen  ab.  Durch  Oeffnen  des  Mundes ,  wodurch  der 
Condvlus  des  Unterkiefer  weiter  nach  vorn  rückt,  kann  der  Kranke  etwas 
zur  Erweiterung  des  Gehörganges  beitragen.  —  Ist  der  Gehörgang  aber 
verengt,  stark  gekrümmt,  das  Trommelfell  sehr  tief  gelegen,  so  reicht 
diese  einfache  Procedur  nicht  aus ,  sondern  man  muss  den  Ohrspiegel  zu 
Hülfe  nehmen.  Man  bringt  diesen  geschlossen  so  tief  in  den  Gehörgang 
ein,  als  es  dessen  Weite  und  Empfindlichkeit  zulässt  oder  der  Zweck  der 
Untersuchung  es  verlangt ,  worauf  dessen  Branchen  durch  einen  gelinden 
Druck  auf  die  Zangenarme  ein  wenig  entfernt  werden.  Man  gibt  nun 
dem  Kopfe  des  Patienten  eine  solche  Stellung,  dass  die  Strahlen  des  (na- 
türlichen oder  künstlichen)  Lichts  gehörig  in  das  Speculum  einfallen.  — 
Zur  Untersuchung  der  Paukenhöhle  gibt  es  nur  einen  Weg,  nämlich  durch 
die  Eustachische  Röhre ,  und  zwar  geschieht  dies  durch  die  Einführung 
eines  Catheters  durch  diese.  Ueber  die  Ausführung  dieser  Operation  s. 
den  Art.  Catheterismus. 

Ohrentzündung,  Otitis  (von  ovg,  wtoc,  das  Ohr).  Wie  jede 
andere  Entzündung  eines  zusammengesezten  Organs ,  so  tritt  auch  die 
Entzündung  des  Ohrs  nicht  in  einer  einzigen  Gestalt  auf,  sondern  wird 
theils  durch  das  Gebilde ,  das  sie  eben  begreift ,  theils  durch  den  mehr 
oder  minder  tiefen  Siz  modificirt.  Hierauf  gründet  sieh  die  Eintheilung 
derselben  in  mehrere  Gattungen  und  Arten.  —  Die  Ohrentzündungen 
sind  im  Allgemeinen  von  einem  äusserst  heftigen  Schmerz  begleitet ,  der 
seinen  Grund  in  der  geringen  Dehnbarkeit  der  entzündeten  Gewebe  fin- 
det, welche  Einschnürung  der  geschwollenen  Stellen  hervorruft.  Dies 
steigert  sich,  je  weiter  nach  innen' die  Entzündung  ihren  Siz  hat;  denn 
der  Widerstand  jener  Gewebe  nimmt  zu  und  die  Empfindlichkeit  wird  um 
so  lebhafter.  In  demselben  Verhältnisse,  wie  die  Entzündung  gegen  das 
Labyrinth  vorrückt,  wird  sie  auch  gefährlicher,  theils  weil  die  betroffenen 
Theile  immer  zarter  und  für  die  Funktion  des  Organs  immer  wichtiger 
werden,  theils  weil  die  Folgen  der  Entzündung  immer  schwerer  zu  besei- 
tigen sind.  —  Man  unterscheidet  zunächst  3  Formen  von  Entzündungen  : 
1)  Entzündung  des  äussern  Gehörgangs,  Otitis  ext  ern  a. 
Diese  Entzündung,  welche  entweder  die  Folge  von  äussern  Einwirkungen 
(Wunden,  Contusionen,  Erkältungen)  oder  von  innern  Ursachen  (nament- 
lich der  scrophulösen  Diathese)  ist,  beschränkt  sich  entweder  auf  die  aus- 
kleidende Membran  des  Gehörgangs,  oder  sie  hat  ihren  Siz  in  den  tieferen 
Schichten  desselben.  Bei  der  oberflächlichen,  sich  nur  auf  die 
Oberhaut  des  Gehörgangs  erstreckenden  Entzündung  empfindet  der  Kranke 
Jucken,  auch  wohl  wirkliche  Schmerzen  im  Ohre  und  in  der  Umgebung 
desselben,  Sausen  im  Ohre,  welches,  so  wie  eine  oft  plözlich  eintretende 
Schwerhörigkeit  die  Folge  der  vermehrten  Absonderung  und  Anhäufung 
von  Ohrenschmalz  ist.  Nach  der  Entfernung  dieses  Ohrenschmalz- 
pfropfes, welches  der  einzig  nöthige  therapeutische  Eingriff  bei  dieser 
Entzündung  ist  und  welche  durch  Einsprizungen  lauwarmem  Wasser,  zu- 


OHRENKRANKHEITEN. 


ENTZUENDUNG.  717 


weilen  nach  vorgängigem  Eintröpfeln  von  lauem  Oel  ins  Ohr ,  ins  Werk 
gesezt  wird ,  erscheint  der  durch  den  Ohrspiegel  betrachtete  Gehörgang 
zuweilen  schwach  geröthet,  oft  auch  ganz  normal.  —  Erstreckt  sich  die 
Entzündung  auf  die  Lederhaut,  so  tritt  nach  einem  lebhaften  Jucken 
ein  heftiger  Schmerz  und  eine  Anschwellung  ein ,  welche  den  Gehörgang 
mehr  oder  weniger  verschliesst,  wodurch  eine  Harthörigkeit  bedingt  wird, 
welche  nicht  selten  von  Sausen  und  Klingen  in  den  Ohren  begleitet  ist. 
Nach  Verfluss  von  wenigen  Tagen  stellt  sich  ein  weisslicher ,  gelblicher 
oder  grünlicher ,  zuweilen  etwas  blutiger  Ausfluss  ein,  der  bisweilen  ohne 
Geruch  und  Schärfe ,  andere  Male  sehr  stinkend  und  so  scharf  ist ,  dass 
er  die  benachbarten  Theile  roth  und  wund  macht.  Der  Verlauf  dieser 
Entzündung ,  welche  nie  in  die  Tiefe  greift ,  ist  meist  langsam.  Diese 
Entzündung  ist  es  besonders,  welche  zur  Entwicklung  von  Polypen  Veran- 
lassung gibt.  —  Bei  sehr  lebhaften  Schmerzen  ist  ein  antiphlogistisches 
Verfahren  angezeigt ;  nebenbei  muss  eine  etwa  bestehende  Diathese  be- 
kämpft werden.  Die  örtliche  Behandlung  besteht  zuerst  in  der  Einspri- 
zung  von  lauem  Wasser,  später  im  Eintröpfeln  von  Bleiwasser  oder  einer 
Lösung  von  schwefelsaurem  Zink.  Bei  langer  Dauer  der  Krankheit  er- 
weisen sich  Ableitungen,  namentlich  Einreibungen  der  Brech weinsteinsalbe 
auf  den  Zizenfortsaz  nüzlich.  Eine  dauernde  Anschwellung  des  Gehör- 
gangs wird  durch  Betupfen  mit  Höllenstein  und  das  Einlegen  kleiner 
Pre&sschwammcylinder  oder  Kautschukröhren  bekämpft.  —  Die  E  n  t  - 
zündung  des  Bindegewebes,  Phlegmone  des  Gehörgangs 
characterisirt  sich  durch  einen  anfangs  dumpfen,  aber  bald  sehr  heftig 
spannend ,  reissend  werdenden  Schmerz  ,  der  sich  von  der  Tiefe  des  Ge- 
hörgangs aus  auf  den  Kopf  fortpflanzt  und  durch  die  geringste  Bewegung 
des  Unterkiefers  vermehrt  wird.  Damit  ist  heftiges  Fieber ,  namentlich 
Abends  verbunden.  Bald  folgt  eine  partielle  oder  totale  VerSchliessung 
des  Gehörgangs,  in  welchem  man  meist  nach  vorn  eine  harte,  gespannte, 
schmerzhafte  Geschwulst  bemerkt.  Das  Sausen  ist  bei  dieser  Form  von  Ent- 
zündung heftig  und  das  Gehör  fast  ganz  aufgehoben.  Es  folgt -stets 
Eiterung  und  die  Entleerung  des  Eiters  bewirkt  sofortigen  Nachlass  der 
Erscheinungen.  Die  Eiterung  hört  nach  wenigen  Tagen  auf  und  das 
Gehör  wird  fast  immer  wieder  hergestellt.  —  Kommt  man  bald  dazu,  so 
kann  man  durch  Ansezen  von  Blutegeln  in  die  Nähe  des  Ohrs ,  Abführ- 
mittel ,  reizende  Fussbäder  etc.  die  Zertheilung  versuchen ,  die  indessen 
selten  gelingt.  Zur  Beförderung  der  Eiterung  dienen  erweichende  Um- 
schläge, das  Eintröpfeln  von  mildem  Oel,  Einsprizungen  von  Malven-  oder 
Leinsamendecoct.  —  Eine  Entzündung  des  Knochens  und  der 
Knochenhaut  kommt  meist  bei  scrophulösen  Kindern ,  so  wie  nach 
Scharlach  und  Masern  vor.  Das  entzündliche  Stadium  geht  in  der  Re- 
gel unbemerkt  vorüber;  ein  jauchiger  Ausfluss  ohne  beträchtliche  Schmer- 
zen macht  auf  das  Leiden  erst  aufmerksam  und  wenn  man  nun  das  Ohr 
untersucht ,   so   findet  man  in  der  Tiefe  des  Gehörgangs   eine  kleine  Ge- 


718 


OHRENKRANKHEITEN.  ENTZUENDUNG. 


schwulst,  in  welche  man  mit  einer  Sonde  eindringen  kann ,  mit  der  man 
eine  entblösste  rauhe  Knochenfläche  fühlt.  Bei  längerer  Dauer  und  Ver- 
nachlässigung breitet  sich  die  Eiterung  auf  den  Processus  mastoi- 
deus  aus,  wobei  das  Trommelfell,  die  Gehörknöchelchen  und  somit  das 
Gehör  vollständig  vernichtet  wird.  Im  Gehörgange  wuchern  üppige  Gra- 
nulationen auf,  welche  denselben  verschliessen.  —  Die  Behandlung  be- 
steht neben  der  Berücksichtigung  der  zu  Grunde  liegenden  Dyscrasie  in 
reinigenden  Injectionen,  Breiumschlägen,  Betupfen  der  Granulationen  mit 
Höllenstein,  Einlegen  von  Pressschwamm.  —  2)  Entzündung  des 
Trommelfells,  Myringitis.  Diese  kommt  seltener  für  sich  allein, 
öfter  hingegen  in  Verbindung  mit  Entzündung  des  Gehörgangs  und  der 
Trommelhöhle  vor.  Diese  Entzündung  kann  acut  oder  chronisch  ver- 
laufen. Je  nach  der  Intensität  der  Entzündung  ist  bei  der  acuten 
Form  der  Schmerz  bald  blos  juckend  ,  spannend  oder  gelind  stechend, 
bald  reissend  ,  bohrend;  dabei  ist  Schwerhörigkeit  zugegen,  der  Kranke 
klagt  über  Klopfen  und  Tönen  im  Ohr ,  nnd  das  Gehör  zeigt  eine  grosse 
Empfindlichkeit  gegen  jedes  Geräusch.  Das  Trommelfell  zeigt  sich, 
durch  den  Ohrspiegel  gesehen ,  weniger  glänzend ,  als  im  normalen  Zu- 
stande und  bald  heller,  bald  dunkler  geröthet.  Späterhin  ist  es  von  Gra- 
nulationen (polypösen  Wucherungen)  überzogen  und  wird  an  einzelnen 
Stellen  von  kleinen  Geschwürchen  durchbohrt ;  damit  ist  eine  eiterige 
Absonderung  von  milder  Beschaffenheit  verbunden.  In  den  höhern  Gra- 
den der  Myringitis  stellt  sich  Fieber  ein.  Die  Krankheit ,  welche 
meistens  in  Folge  von  Erkältung ,  zuweilen  nach  reizenden  Injectionen 
entsteht,  kann  in  Zertheilung,  aber  auch  bei  Vernachlässigung  unter  fort- 
schreitender Zerstörung  in  die  chronische  Form  übergehen.  —  Die  Be- 
handlung besteht  in  dem  Anlegen  zahlreicher  Blutegel  in  der  Gegend 
des  Ohrs,  Eintröpfeln  von  Oel,  Breiumschlägen  auf  das  Ohr  ;  man  lässt  ge- 
schärfte Fussbäder  nehmen  und  gibt  innerlich  antiphlogistische  Abführ- 
mittel. Nach  gebrochener  Heftigkeit  der  Entzündung  lässt  man  Brech- 
weinsteinsalbe auf  den  Zizenfortsaz  einreiben  und  träufelt  nach  vorsichti- 
ger Reinigung  des  Gehörgangs  mittels  lauer  milder  Injectionen  schwache 
Lösungen  von  essigsaurem  Blei,  schwefelsaurem  Zink  u.  dgl.  ein.  Frische 
und  nicht  sehr  ausgedehnte  Durchlöcherungen  des  Trommelfells  können 
bei  einer  solchen  Behandlung  wieder  verheilen ;  starkes  Schnäuzen  u.  dgl. 
muss  aber  untersagt  werden.  —  Die  chronische  Trommelfe  11- 
entzündung  kann  aus  der  acuten  hervorgehen ,  aber  auch  von  vorn- 
herein als  solche  auftreten,  wo  sie  dann  die  Folge  von  Dyscrasien,  beson- 
ders der  scrophulösen  ist.  Meist  macht  erst  ein  Ausfluss  aus  dem  Gehör- 
gang auf  die  Krankheit  aufmerksam.  Die  Beschaffenheit  und  Menge 
des  ausfliessenden  Eiters  ist  höchst  verschieden.  Bald  ist  er  geruchlos 
und  dick,  bald  stinkend  und  dünn.  Bei  der  Untersuchung  mit  dem  Spe- 
culum  findet  man  das  Trommelfell  matt,  graugelb  oder  durch  alle  Abstu- 
fungen  des  Roth  hindurch   geröthet,   seine  Oberfläche  rauh,    von   einem 


OHREXKRAXKHEITEX.   ENTZUENDUXG.  719 

pannusavtigen  Aussehen,  aufgelockert,  weiterhin  mit  polypösen  Wucherun- 
gen bedeckt ,  welche  sehr  gef  ässreich  und  empfindlich  sind  und  nicht 
selten  den  ganzen  Gehörgang  ausfüllen,  in  welchem  Falle  sie  Schwindel, 
Schwere  des  Kopfs  und  Neigung  zum  Erbrechen  erregen.  Dass  in  allen 
diesen  Fallen  das  Hörvermögen  in  grösserem  oder  geringerem  Grade  ge- 
stört sein  muss,  versteht  sich  von  selbst.  Das  Ohrenbrausen  und  Ohren- 
klingen ist  unbeträchtlich.  —  Zuweilen  kommt  es  zu  Durchlöcherungen, 
manchmal  zur  Zerstörung  des  ganzen  Trommelfells,  wo  dann  die  der  äus- 
sern Luft  zugängliche  Trommelhöhle  alsbald  von  Entzündung  ergriffen 
wird ,  welche  sich  nicht  selten  bis  auf  den  Knochen  selbst  erstreckt ,  so 
dass  Caries  des  Felsenbeins  und  weiterhin  Entzündung  der  Dura  mater 
und  des  Gehirns  die  Folge  sein  kann.  Furchtbare  Kopfschmerzen,  Läh- 
mungen des  Facialis  ,  Erbrechen  ,  Frostanfälle ,  Delirien  kündigen  den 
Uebergang  der  Entzündung  auf  die  knöchernen  Wände  der  Paukenhöhle 
an.  —  Behandlung.  Bei  Steigerung  der  Zufälle  legt  man  wieder- 
holt Blutegel  an,  und  zieht  des  Weiteren  Ableitungsmittel  auf  den  Zizen- 
fortsaz  in  Gebrauch.  In  das  Ohr  träufelt  man  nach  vorsichtiger  Reini- 
gung des  Gehörgangs  lauwarme  schwache  Auflösungen  von  essigsaurem 
Blei  oder  schwefelsaurem  Blei,  welche  man  später  mit  Höllensteinsolutio- 
nen  vertauscht.  Bleibt  eine  Verdickung  des  Trommelfells  zurück ,  so 
kann  man  dagegen  Bepinselungen  mit  Opiumtinktur  ,  0.1.  j  e  c  o  r  i  s 
Aselli,  Jod  etc.  versuchen  und  wenn  dies  Nichts  nüzt,  so  bleibt  noch, 
die  künstliche  Perforation  dieser  Membran  übrig,  welche  in- 
dessen meist  unwirksam  ist.  Man  perforirt  am  vordem  untern  Theil  des 
Tympanum.  —  Polypöse  Wucherungen  beseitigt  man  durch  Betupfen 
mit  schwefelsaurem  Kupfer,  Höllenstein,  Eisenchlorid.  Bei  Durchlöche- 
rungen des  Trommelfells  muss,  um  das  innere  Ohr  gegen  kalte  Luft  und 
fremde  Körper  zu  schüzen ,  der  Gehörgang  mit  Charpie  oder  AVoile  ver- 
stopft werden.  —  3)  Entzündung  des  inner n  Ohrs,  Otitis  in- 
terna. Bei  dieser  Entzündung  ist  gewöhnlich  nur  die  Schleimhaut 
entzündet,  welche  die  Paukenhöhle ,  die  innere  Fläche  des  Trommelfells,, 
die  Zellen  des  Zizenfortsazes  und  die  Tuba  Eustachii  bekleidet.  In 
bösen  Fällen  leiden  aber  auch  das  Labyrinth,  die  benachbarten  Schädel- 
knochen, die  Häute  des  Gehirns,  ja  dieses  selbst  bald  mehr  bald  weniger 
mit  an  der  Entzündung  und  ihren  Folgen  (s.  oben).  Diese  Krankheit 
beginnt  gewöhnlich  plözlich  mit  mehr  oder  weniger  heftigen  Schmerzen 
in  der  Tiefe  des  leidenden  Ohrs.  Diese  sind  zuweilen  dumpf  und  span- 
nend, in  andern  Fällen  lebhaft  brennend,  stechend,  reissend,  klopfend; 
sie  verstärken  sich  anfallsweise,  sind  auch  zuweilen  anhaltend,  in  der  Re- 
gel aber  Nachts  heftiger,  als  am  Tage.  Die  Gegend  des  Processus, 
mastoideus  ist  nicht  selten  besonders  schmerzhaft  und  gegen  Druck 
empfindlich.  Häufig  verbreiten  sich  die  Schmerzen  über  den  Kopf  der 
leidenden  Seite,  werden  beim  Kauen,  Husten  etc.  stärker,  oft  fast  uner- 
träglich.   Dabei  grosse  Empfindlichkeit  des  Ohrs  gegen  Geräusch,  Sausen. 


720  OHRENKRANKHEITEN.  ENTZUENDUNG. 

in  demselben,  Schwerhörigkeit,  Schwindel.  Im  äussern  Gehörgang  ist 
dabei  nichts  Abnormes  zu  entdecken.  Einige  klagen  über  Kizel  und 
Brennen  im  Halse  (von  der  ergriffenen  Tuba  Eustachii  herrührend) 
in  der  Gegend  der  Mandel ;  die  Schleimhaut  der  Rachenhöhle  ist  hier  oft 
geröthet.  Dabei  fehlen  Fiebersymptome,  Mangel  an  Appetit,  Angst,  Un- 
ruhe etc.  bei  den  höheren  Graden  nicht.  Verschwinden  auch  diese  Sym- 
ptome, so  bleibt  doch  immer  ein  gewisser  Grad  von  Schwerhörigkeit  und 
etwas  Ohrensausen  zurück,  welche  sich  periodisch  bei  nasskaltem  Wetter 
vermehren  und  sich  erst  allmählig  verlieren.  Andere  leiden  periodisch 
an  den  Symptomen  einer  gelinden  Otitis  interna  mit  Schwerhörig- 
keit,  die  nach  8  — 14  Tagen  ohne  allen  Ausnuss  oft  mit  einem  Knall 
wieder  verschwinden.  Dieser  Zustand  ist  nichts  Anderes  als  ein  Katarrh 
des  mittlem  Ohrs  und  der  Tuba ,  welcher  nicht  selten  mit  einem  ausge- 
breiteten Katarrh  der  Nasen-  und  Schlundhöhle  zusammenhängt.  - —  Bei 
den  höheren  Graden  dieser  Entzündung  dagegen  erfolgt ,  nachdem  die 
heftigsten  Schmerzen  in  der  Tiefe  des  Ohrs  4 — 8  Tage  angehalten ,  die 
Ruhe  des  Kranken  Tag  und  Nacht  gestört  und  sich  nicht  selten  bis  zu 
einem  fürchterlichen  Grade  gesteigert  hatte ,  plözlich  ein  gelber  eiterar- 
tiger, oft  mit  Blut  gefärbter  Ausnuss  aus  dem  kranken  Ohre.  Hiernach 
lassen  die  Schmerzen  sogleich  nach,  verlieren  sich  aber  keineswegs  ganz. 
Im  guten  Falle  ist  der  Ausfluss  weisslich ,  gelblich ,  dünn ,  nicht  stin- 
kend ,  massig ,  mit  einiger  Schwerhörigkeit  verbunden ,  Symptome  ,  die 
sich  im  Verlaufe  von  4 —  6  Wochen  ganz  verlieren.  Bei  andern  Kranken 
der  Art  erneuern  sich  die  Zeichen  der  Otitis  interna  von  Zeit  zu 
Zeit  bald  in  gelinderem,  bald  in  heftigerem  Grade  ;  der  Ausnuss  wird  ha- 
bituell, grüngelb,  dicklich,  oder  wässerig,  blutig,  meistens  übelriechend, 
zuweilen  unausstehlich  stinkend,  mit  kleinen  abgestorbenen  Knochenstück- 
ehen vermengt,  und  so  scharf,  dass  er  die  benachbarten  Theile  wund 
macht.  Die  meisten  Kranken  dieser  Art  sind  schwerhörig,  besonders  bei 
nasskalter  Witterung  ,  zuweilen  ganz  taub  auf  dem  leidenden  Ohre  und 
haben  beständiges  Sausen  in  demselben.  Das  Trommelfell  ist  mehr  oder 
weniger  zerstört ,  die  Sonde  dringt  gewöhnlich  bis  in  die  Paukenhöhle 
ein,  wo  man  die  Wandungen  derselben  häufig  entblösst,  rauh,  cariös  fin- 
det. Nicht  selten  kommt  es  zur  Entwicklung  polypöser  Auswüchse ,  es 
stellt  sich  Fieber  ein,  die  Kranken  klagen  über  heftige  reissende  Schmer- 
zen und  sterben  apoplectisch.  —  Ein  zweiter  Weg,  auf  welchem  der 
Eiter  seinen  Ausweg  nimmt ,  ist  die  Eustachische  Röhre  ;  dies  geschieht 
jedoch  sehr  selten,  und  nur  wenn  diese  Röhre  nicht  an  der  Entzündung 
Theil  genommen  hat.  Der  dritte  Weg ,  auf  welchem  der  Eiter  seinen 
Ausweg  sucht,  ist  der  durch  den  Processus  mastoideus.  An  die- 
sem Fortsaze  zeigt  sich  ein  dumpfer,  bohrender,  stechender  Schmerz,  der 
beim  Druck  vermehrt  wird  ;  die  Zellen  desselben  werden  allmählig  zer- 
stört ,  endlich  bildet  sich  eine  fistulöse  Oeffnung ,  aus  der  sich  der  Eiter 
unter  das  Pericranium  und  die  über  demselben  liegenden  Gebilde  ergiesst 


OHRENKRANKHEITEN.   ENTZUENDUNG.  721 

und  nun  eine  sehr  gespannte,  heisse,  glänzend  rotbe  Geschwulst.  End- 
lich kommt  es  unter  heftigen,  spannenden,  zerrenden  und  klopfenden,  sich 
über  Kopf,  Hals  und  Nacken  verbreitenden  Schmerzen,  nicht  selten  unter 
Betäubung  und  Convulsionen  zum  Durchbruch,  und  die  eingeführte  Sonde 
fühlt  die  cariöse  Stelle  und  dringt  zuweilen  selbst  bis  in  die  Trommel- 
höhle. Zuweilen  werden  die  Zellen  des  Zizenfortsazes  zerstört ,  ohne 
dass  es  zum  Aufbruch  nach  aussen  kommt ,  und  jene  werden  dann  mit 
dem  Eiter  in  die  Trommelhöhle  und  von  hier  durch  das  Ohr  nach  aussen 
geführt.  Nach  eingetretener  Eiterung  verschwinden  zunächst  die  Kopf- 
und  Ohrenschmerzen,  erst  später  das  Ohrenklingen,  das  Ohrenbrausen  und 
die  Empfindlichkeit  für  Schalle.  In  Folge  der  Durchbohrung  des  Trom- 
melfells, des  Verlusts  der  Gehörknöchelchen,  des  Verschlusses  der  Eusta- 
chischen Röhre  und  anderer  meist  gar  nicht  erkennbarer  Texturverände- 
rungen  bleibt  nun  das  Gehör  mehr  oder  weniger  stumpf  oder  wird  ganz 
aufgehoben.  —  Ursachen  sind:  äussere  Schädlichkeiten,  Contusion, 
fremde  Körper  im  Ohre,  Erkältung,  Dyscrasien,  Scropheln,  Syphilis  etc., 
unregelmässig  verlaufende  Exantheme,  Scharlach,  Masern,  Varicellen,  Ge- 
sichtsrose, Porrigo.  —  Behandlung.  Sie  besteht  anfangs  in  einer 
strengen  Antiphlogose,  Venaesection,  dann  zahlreiche  Blutegel  in  die  Um- 
gebung des  Ohrs,  kalte  Umschläge  auf  den  Kopf,  Laxantia  aus  Jalappa 
mit  Calomel,  Neutralsalze,  kalte  Essigklystiere,  um  abzuleiten.  Späterhin 
Salmiak,  kleine  Gaben  Calomel  und  Digitalis,  um  den  Rest  der  Entzün- 
dung oder  die  etwaigen  Exsudationen,  Auflockerung  der  Membranen  etc. 
zu  tilgen ;  zugleich  warme  Dämpfe  von  Flieder-  oder  Kamillenthee  in  das 
Ohr ,  und  in  der  Zwischenzeit  Bedeckung  des  Ohrs  mit  einem  trockenen 
warmen  aromatischen  Kräuterkissen,  oder  bei  grosser  Empfindlichkeit  mit 
erweichenden  Cataplasmen.  Dabei  macht  man  nach  Massgabe  der  zu 
Grunde  liegenden  Schädlichkeit  Ableitungen ,  bei  Rheumatismus  Vesi- 
cantia  in  den  Nacken ,  bei  gestörten  Kopfausschlägen  Einreibungen  von 
Brechweinsteinsalbe  auf  den  Kopf.  Bei  Verdacht  eines  plastischen  Er- 
gusses in  der  Pauke  lässt  man  Ungt.  neapolitanum  in  die  Umge- 
gend des  Ohrs  einreiben.  Entleert  sich  der  Eiter  nicht  durch  freiwilligen 
Riss  des  Trommelfells ,  so  schneidet  man  dasselbe  mit  einer  Staarnadel 
ein ,  oder  sticht  es  mit  einem  feinen  Troicart  an.  Hat  sich  hinter  dem 
Ohr  über  dem  Warzenfortsaze  eine  Geschwulst  entwickelt,  so  öffnet  man 
sie  mit  grosser  Vorsicht ,  um  die  bestehende  Caries  in  ihrer  Entwicklung 
nicht  zu  steigern.  Bei  Caries  in  der  Pauke  macht  man  Einpinselungen  mit 
Höllenstein  durch  den  äussern  Gehörgang  und  Einsprizungen  durch  die 
Tuba.  Die  Behandlung  des  habituell  gewordenen  Ohrenflusses ,  so  wie 
der  Ohrpolypen  s.  in  den  entsprechenden  Artikeln.  —  Endlich  ist  noch 
der  Entzündung  der  Eustachischen  Röhre,  Syringitis, 
zu  gedenken ,  die  für  sich  allein ,  häufiger  aber  in  Verbindung  mit  der 
Otitis  vorkommen  und  sehr  störende  Veränderungen  in  dieser  Rohre 
zur  Folge  haben  kann,  —  Symptome.  Der  Kranke  empfindet  anhal- 
Burger,  Chirurgie.  46 


722  OHRENKRANKHEITEN.  ENTZUENDUNG. 

tende  heftig  stechende  Schmerzen,  welche  aus  dem  hintern  und  seitlichen 
Theile  des  Rachens  in  das  Innere  des  Ohrs  hineinschiessen ,  sich  selbst 
bis  in  den  Gehörgang  verbreiten  und  durch  jede  Bewegung  der  Kinnlade 
und  der  Schlingwerkzeuge  gesteigert  werden.  Hiermit  ist  ein  Gefühl 
von  Verstopfung  und  Völle,  höchst  lästiges  Sausen,  Brausen  und  Klingen 
im  Ohre  und  Harthörigkeit  verbunden.  Ist  diese  Entzündung  mit  Otitis 
interna  verbunden ,  so  zeigt  sie  die  weiteren  Symptome  dieser.  War 
sie  aus  einer  Halsentzündung  entstanden ,  so  kommen  zu  den  genannten 
Symptomen  noch  die  der  Angina.  —  Die  Entzündung  der  Eustachischen 
Röhre  hat  entweder  nur  eine  vermehrte  Schleimabsonderung  (Katarrh  der 
Tuba)  oder  eine  Verengerung  oder  endlich  eine  Verwachsung  derselben 
zur  Folge.  Der  Katarrh  der  Tuba  gibt  sich  durch  Schwerhörigkeit 
zu  erkennen,  die  sich  bei  warmer  trockener  Witterung  bessert,  bei  feuch- 
tem Wetter  verschlimmert.  Zuweilen  verschwindet  sie  für  längere  Zeit 
bei  einer  Erschütterung  des  Körpers  ,  wie  Niesen  u.  dgl.  plözlich  ganz, 
zuweilen  mit  einem  Knalle.  Die  Auscultation  des  Ohrs  ergibt,  wenn 
man  durch  den  Katheter  Luft  in  die  Tuba  einbläst ,  ein  starkes  Schleim- 
rasseln. Kann  der  Schleim ,  sei  es  durch  Einblasen  durch  den  Katheter 
oder  durch  den  Kranken  selbst ,  indem  er  die  Mund-  und  Nasenöffnung 
schliesst,  entfernt  werden,  so  bessert  sich  sofort  das  Gehör  sehr  bedeutend 
und  das  Ohrentönen  hört  auf.  In  dem  wiederholten  Einblasen  von  Luft 
besteht  auch  die  Behandlung  dieses  Leidens.  Man  wendet  zu  diesem 
Behufe  die  sogenannte  Luftpresse  (eine  Art  von  Sprize)  oder  eine  ge- 
wöhnliche Sprize  an,  deren  Rohr  man  in  den  eingelegten  Katheter  einsezt. 
Ausser  dem  einfachen  Einblasen  von  Luft,  empfiehlt  Kramer  schwache 
Lösungen  von  Jodkalium  (gr.  x  —  xx  in  Aq.  des  tili  at.  5$)  in  ge- 
ringer Quantität  durch  den  Katheter  in  die  Tuba  einzublasen.  Nebstdem 
ist  es  von  Nuzen ,  die  häufig  zu  Grund  liegende  scrophulöse  Diathese  zu 
bekämpfen  und  der  Neigung  zu  Katarrhen  durch  tonische  Mittel ,  so  wie 
durch  Abhärtung  mittels  kalter  Waschungen  etc.  entgegenwirken.  • — 
Die  Verengerung  der  Tuba  ist  Folge  einer  chronisch  entzündlichen 
Anschwellung  der  Schleimhaut  des  genannten  Kanals.  Schwerhörigkeit 
ist  die  Folge ,  Ohrenbrausen  kann  vorhanden  sein  oder  fehlen.  Oft  ist 
die  Verengerung  in  einer  Vergrösserung  der  Follikeln  begründet,  welche 
die  Schleimhäute  der  Rachentheile  ,  der  Tubamündung  und  des  Tubaka- 
nals bedecken.  Die  Einführung  des  Katheters  ist  mit  Schwierigkeit  ver- 
bunden ;  entweder  gelingt  es  gar  nicht,  mit  demselben  in  die  Rachenmün- 
dung der  Tuba  einzudringen  ,  oder  er  fällt ,  wenn  man  seinen  Schnabel 
eingeführt  zu  haben  glaubt,  wieder  heraus.  Ist  die  Einführung  aber  ge- 
lungen, so  findet  man  beim  Lufteinblasen  einen  sehr  grossen  Widerstand 
und  hört  die  Luft  nur  in  dünnem  Strahle  ohne  Schleimrasseln  eindringen. 
Das  Eintreiben  von  Luft  bessert  das  Gehör  nicht.  Genauere  Auskunft 
über  den  Grad  und  die  Ausdehnung  der  Verengerung  gibt  die  Untersu- 
chung mit  Darmsaiten ,  welche  man   durch  einen  Katheter  einführt.  — 


OHRENKRANKHEITEN.  OHRENFLUSS.  723 

Die  Behandlung  besteht  in  dem  Einblasen  des  oben  genannten  Jodwas- 
sers. Eine  mechanische  Erweiterung  der  Tuba  lässt  ihre  Reizbarkeit 
nicht  zu.  Um  der  Luft  den  Zutritt  zur  Pauke  zu  verschaffen ,  hat  man 
die  Perforation  des  Trommelfells  empfohlen,  welche  indessen  den  von  ihr 
gehegten  Erwartungen  nicht  entsprochen  hat.  —  Verwachsung  der 
Tuba.  Die  subjectiven  Symptome  unterscheiden  sich  wenig  oder  gar 
nicht  von  denen  der  Verengerung ;  der  Kranke  hört  schwer ,  klagt  über 
Ohrensausen ,  das  aber  auch  manchmal  fehlt.  Nur  durch  die  Untersu- 
chung mittels  Darmsaiten  ist  man  im  Stande ,  die  Diagnose  festzustellen. 
Findet  man  die  Mündung  des  Kanals  nicht,  so  ist  dies  ein  Beweis,  dass 
das  Hinderniss  vor  dem  Orificium  liegt ,  der  Katheter  findet  dann  durch 
Anschwellung  der  Schleimhaut  keinen  Anhalt  an  dem  Wulst  der  Mün- 
dung. Die  Krankheit  kann  angeboren,  aber  auch  die  Folge  der  brandi- 
gen Braune  oder  syphilitischer  Halsgeschwüre  sein.  Sie  ist  meistens  un- 
heilbar. Die  zur  Heilung  vorgeschlagenen  Mittel  sind  :  Perforation  des 
Trommelfells  ,  oder ,  wenn  die  Verwachsung  tief  liegt ,  soll  man  die  ver- 
wachsene Stelle  mit  einem  Stilet,  welches  durch  den  Katheter  bis  zu  der- 
selben hingeführt  wird ,  dnrchbohren ,  oder  das  Aezmittel  auf  ähnliche 
Weise  auf  die  verwachsene  Stelle  wirken  lassen. 

Ohren fluss,  Otorrhoea  (von  ovg,  (orog,  das  Ohr  und  qsoo, 
ich  fliesse).  Hierunter  versteht  man  einen  chronischen  Ausfluss  aus  dem 
Gehörgange,  der  mit  Störungen  des  Gehörorgans  in  verschiedenen  Graden 
verbunden  ist.  Die  Quelle  des  abnormen  Secrets  befindet  sich  entweder 
im  Gehörorgane  selbst  (idiopathische  Otorrhoe),  oder  dieselbe 
liegt  ausserhalb  des  Gehörorgans  ,  in  den  angrenzenden  Theilen  (sym- 
ptomatische Otorrhoe).  Im  ersten  Falle  entsteht  das  Uebel  ent- 
weder durch  eine  Aifection  der  den  äussern  Gehörgang  constituirenden 
Gebilde  (Otorrhoea  externa),  oder  es  entwickelt  sich  in  Folge  eines 
Leidens  der  das  innere  Ohr  zusammensezenden  Organtheile  (Otorrhoea 
interna).  Im  andern  Falle,  wo  sich  die  Quelle  des  Secrets  in  den  be- 
nachbarten Theilen  ,  gewöhnlich  in  den  nahegelegenen  Drüsen ,  oder  im 
Gehirn  oder  dessen  Häuten  befindet,  dringt  die  krankhafte  Materie  in  das 
Gehörorgan  ein  und  entleert  sich  durch  den  Gehörgang  nach  aussen. 
Die  sogenannten  Cerebralotorrhoen,  welche  ihren  ursprünglichen  Herd  im 
Gehirn  haben ,  geben  den  Eiter  durch  die  natürlichen  oder  durch  krank- 
hafte Oeffnungen  im  Felsenbein  an  das  innere  Ohr  ab ,  von  wo  er  sich 
einen  Weg  durch  den  Gehörgang  oder  selten  durch  die  Eustachische 
Röhre  bahnt ;  gewöhnlich  sind  Zerstörungen  in  den  genannten  Theilen, 
wie  Caries  des  Felsenbeins,  des  Zizenfortsazes  etc.  die  Folge  davon.  Bei 
jedem  Ohrenfluss  ist  die  Untersuchung  des  Gehörgangs  mit  demSpeculum 
nicht  zu  versäumen.  —  Mit  der  Otorrhoe,  die  ihren  Siz  im  Gehörorgan 
hat ,  sind  mannichfache  Veränderungen ,  besonders  der  auskleidenden 
Schleimhaut  verbunden ;  man  findet  sie  heller  oder  dunkler  geröthet ,  in 
der  Textur  mehr   oder  weniger  verändert ,   aufgelockert ,   mit  polypösen 

46* 


724  OHRLABPPCHENDURCHBOHRÜNG. 

Wucherungen  besezt.  Der  Ausfluss  ist  bald  serös  ,  milchig,  schleimig, 
bald  eiterig,  gelb  oder  grün,  blutig  gestreift,  süsslich  oder  widerlich  am- 
moniakalisch  riechend.  Bei  Kindern  von  schwächlicher ,  lymphatischer, 
scrophulöser  Constitution  trifft  man  sehr  häufig  einen  schleimigen  Ohren- 
fluss  an,  der  oft  Jahre  lang  jeder  Behandlung  widersteht ,  dann  aber  von 
selbst  aufhört  oder  mit  der  Pubertät  verschwindet.  —  Die  Behandlung 
muss  vor  Allem  auf  die  Entfernung  des  zu  Grund  liegenden  Leidens  ge- 
richtet werden ,  indem  man  erst  dann  hoffen  kann  ,  die  fehlerhafte  Secre- 
tion  im  Ohre  zu  beseitigen.  Man  reicht  zu  diesem  Behufe  die  entspre- 
chenden antidyscrasischen  Mittel,  dazwischen  Purganzen  und  erhält  Vesi- 
catorstellen  hinter  dem  Ohr  lange  in  Eiterung.  Daneben  lässt  man  den 
äussern  Gehörgang  mit'  lauer  Milch,  schwachem  Seifenwasser  aussprizen 
und  gehörig  reinigen.  Polypöse  Excrescenzen  werden  durch  Höllenstein 
entfernt  und  der  durch  Auflockerung  verengte  Gehörgang  wird  durch 
Pressschwamm  erweitert.  Dauert  der  Ausfluss  dessenungeachtet  fort,  so 
werden  Einsprizungen  von  Auflösungen  des  Höllensteins  (Rp.  Nitrat, 
argenti  crystall.  gr.  j,  Aq.  destill,  ^j,  solve  S.  Lauwarm  ein- 
zusprizen),  Zinks  (Rp.  Acetat.  zinci  5ß — j,  solv.  inAq.  chamom. 
5viij  adde:  Tinct.  opii  croc.  3j  —  ij,  Acid.  pyrolignosi  *)j  — 
5j.  S.  Lauwarm  einzusprizen),  Bleis,  der  Myrrhe  (Rp.  Infus,  hb.  mil- 
lefol.  ex  5üj  par.  5ÜJ  ,  colat.  adde:  Li  quam,  myrrh.  5j-  S. 
3  Mal  täglich  einzusprizen)  etc.  gemacht  oder  folgende  Mischungen  in 
den  Gehörgang  gebracht :  R  p.  Ammoniicaustic.  liquid,  gtt.  vj, 
Tinct.  opii  simpl.  gtt.  x,  Ol.  amygd.  dulc.  ^j.  M.  S. .  1/2 — 1 
Theelöffel  voll  in  das  Ohr  zu  giessen ;  Rp.  Merc.  sublim,  corros. 
gr.  j,  Tinct.  galb.  5j,  Aq.  rosar.  3jj.  D.  S.  Einige  Tröpfen  in  das 
Ohr  zu  träufeln  und  mit  Baumwolle  zu  verstopfen;  Rp.  Kali  caust. 
sicci  gr.  J/2  solv.  in  Aq.  calcar.  ^ß  adde:  Tinct.  opii  simpl. 
gtt.  xx.  D.  S.  Ebenso;  Rp.  Bals.  p  er  u  vi  an.  3 j  ,  Cupriacet. 
cryst.  gr.  v,  Ungt.  cerei  5ij-  M.  f.  Liniment.  S.  Auf  Baumwolle 
in  das  innere  Ohr  zu  bringen. 

Ohrläppchendurchbohrung,  Per fo ratio  auriculae. 
Diese  Operation  gehört  vorzugsweise  der  Chirurgia  cosmetica  an. 
Von  vielen  Aerzten  der  frühern  Zeit  ist  sie  als  ein  Ableitungsmittel,  bei 
verschiedenen  Krankheiten,  die  am  Kopfe  vorkommen,  namentlich  bei 
chronischen  Entzündungen  und  Ausflüssen  des  Ohrs ,  bei  chronischen 
Augenentzündungen  und  bei  rheumatischen  Zahn-  und  Kopfschmerzen 
empfohlen  worden.  Der  Reiz  dieser  Operation ,  so  wie  die  durch  sie  be- 
dingte Eiterung  ist  indessen  zu  gering  und  vorübergehend,  um  sie  als  ab- 
leitendes Mittel  zu  empfehlen.  Als  Contraindication  ist  ein  ohnehin  schon 
geschwüriger  Zustand  des  Ohrs ,  so  wie  grosse  und  mit  Schwächlichkeit 
verbundene  Reizbarkeit  bei  Kindern  anzusehen.  H  u  f  e  1  a  n  d  sah  nach 
der  Operation  bei  einem  neugeborenen  Kinde  Trismus  und  den  Tod  er- 
folgen. —   Die  Instrumente ,   deren  man  sich  zur  Durchbohrung  bedient, 


OHRENKRANKHEITEN. OHRPOLYPEN.  725 

sind  sehr  vielfältig,  und  von  einer  gewöhnlichen  Nähnadel  bis  zu  einem 
Troicart  und  Locheisen  verschieden.  Am  besten  macht  man  sie  mit  einer 
etwa  l1^  Zoll  langen,  dreischneidigen,  stählernen  Nadel,  deren  hinteres 
stumpfes  Ende  einige  Linien  tief  ausgehöhlt  ist ,  um  einen  Gold-  oder 
Bleidraht  aufnehmen  zu  können.  Zur  Fixirung  des  Ohrläppchens  bedient 
man  sich  eines  pincettenf  örmigen  Instruments ,  dessen  Arme  gegen  die 
Spize  hin  zum  Durchlassen  der  Nadel  durchbrochen  sind.  Zuvörderst 
muss  man  die  Stelle,  wo  man  durchbohren  will,  mit  Dinte  und  nie  zu  tief 
bezeichnen,  um  das  Ausreissen  des  Ohrläppchens  zu  vermeiden ;  auch  hat 
man  darauf  zu  sehen ,  dass  die  Löcher  beider  Ohrläppchen  genau  an  der- 
selben Stelle  angemerkt  werden.  Bedient  man  sich  dieser  beiden  Instru- 
mente ,  so  fasst  man  mit  der  Pincette ,  das  Ohrläppchen  so ,  dass  der 
schwarze  Punkt  in  das  Loch  derselben  kommt.  Hierauf  sezt  man  die 
Spize  der  mit  dem  Gold-  oder  Bleidraht  bewaffneten  Nadel  in  das  Loch 
des  Klämmerchens  perpendiculär  auf,  durchsticht  das  Ohrläppchen  und 
zieht  die  beölte  Nadel  mit  dem  Drahte  durch.  Hierauf  entfernt  man 
beide  Instrumente  und  biegt  den  Draht  zu  einem  Ringe  zusammen.  In 
Ermangelung  der  Klammer  sezt  man  auf  die  hintere  Seite  des  Ohrläpp- 
chens ein  Korkstück  oder  ein  Stück  Seife,  um  einen  Stüzpunkt  zu  erhalten 
und  durchsticht  die  bezeichnete  Stelle.  Ist  die  Nadelspize  durch  das 
Ohrläppchen  in  die  Unterlage  eingedrungen,  so  nimmt  man  diese  hinweg 
und  zieht  dann  die  Nadel  und  den  Draht  durch.  Benuzt  man  eine  ge- 
wöhnliche,  gehörig  dicke  Nähnadel  oder  ein  sonstiges  spizes  Instrument, 
was  ganz  wohl  angeht ,  so  führt  man  den  Draht  oder  auch  sogleich  den 
Ohrring  nach  zurückgezogener  Nadel  in  die  gemachte  Oeffnung  ein. 
Durch  vorheriges  Reiben  des  Ohrläppchens  zwischen  den  Fingern  kann 
es  unempfindlicher  gemacht  werden.  —  Einige  Tage  nach  der  Operation 
löst  man  vorsichtig  die  Krusten,  die  sich  an  der  Wunde  bilden,  bestreicht 
den  Draht  mit  Oel  und  bewegt  ihn  etwas.  So  fährt  man  täglich  fort, 
bis  nach  etwa  8  Tagen  der  Stichkanal  überhäutet  und  zur  Aufnahme 
eines  Ohrringes  geeignet  ist.  —  Beabsichtigt  man  behufs  der  Derivation 
Entzündung  und  Eiterung  in  höherin  Grade  zu  erregen ,  so  bedient  man 
sich  einer  mit  einer  lanzenförmigen  Spize  und  einem  Oehr  versehenen 
Nadel,  und  zieht  in  das  Oehr  einen  Seiden-  oder  Wollenfaden,  welcher  in 
der  Wunde  einige  Tage  liegen  bleibt ,  mit  etwas  Oel  getränkt  oder  mit 
einem  reizenden  Mittel  überzogen  und  dann  häufig  hin  und  her  bewegt 
wird.  Damit  fährt  man  so  lange  fort,  als  die  Eiterung  unterhalten  wer- 
den soll.  Stellen  sich  nach  dieser  Operation  grosse  Schmerzen  ,  heftige 
Entzündung  des  Ohrläppchens,  bedeutende  Geschwulst  und  Eiterung  ein, 
so  macht  man  Bleiwasserumschläge  und  entfernt ,  wenn  man  damit  nicht 
zum  Ziele  kommt,  den  Draht. 

Ohrpolypen  sizen  auf  den  Wandungen  des  Meatus  audi- 
torius  extern us  oder  auf  dem  Trommelfell  auf.  Gewöhnlich  ist  ihre 
Gegenwart  von  einem  purulenten  Ohrenfluss  begleitet.      Der  Kranke  em- 


726  OHRENKRANKHEITEN.  OHRENSCHMALZ. 

pfmdet  ein  fortwährendes  Ohrensausen  und  ein  Gefühl  von  Völle  und 
Schwere  im  Ohr.  Mit  der  weitern  Entwicklung  des  Polypen  stellt  sich 
mehr  oder  weniger  Uebelkeit  und  endlich  gänzliche  Taubheit  ein.  Die 
weichen  Polypen  zeigen  die  bekannten  Veränderungen  beim  Wechsel  der 
Witterung.  —  Behandlung.  So  lange  die  Polypen  noch  in  ihrer 
Entwicklung  begriffen  sind ,  mehr  in  polypösen  Excrescenzen  bestehen, 
kann  man  ihre  Rückbildung  durch  die  Anwendung  von  reizenden,  adstrin- 
girenden  und  austrocknenden  Mitteln ,  wie  schwefelsaurem  Zink  und  Ku- 
pfer, Alaun,  Höllenstein,  essigsaurem  Blei,  Eisenchlorid,  Opiumtinktur  etc. 
versuchen.  Weiter  vorgeschrittene  Polypen  entfernt  man  durch  Ab- 
drücken, Abschneiden,  Abbinden,  Abdrehen,  Zerquetschen  und  Cauteri- 
sation.  —  Das  Abdrücken  kann  man  bei  weichen  dünngestielten  Po- 
lypen vornehmen  und  zwar  vermittels  eines  Ohrlöifels,  den  man  an  die 
Basis  desselben  bringt  und  mit  welchem  man  diese  von  der  Gehörwand 
abdrückt.  —  Das  Abschneiden  ist  nur  ausführbar ,  wenn  der  Polyp 
am  Anfang  des  Gehörgangs  sizt ,  wo  man  ihn  mit  Pincette  oder  Haken 
fasst ,  vorzieht  und  mit  einer  C  o  o  p  e  r '  sehen  oder  der  Daniel'  sehen 
Augenscheere  wegschneidet.  Die  Blutung  wird  durch  Injectionen  mit 
kaltem  Wasser  gestillt  und  dann  die  Wurzelstelle  mit  Höllenstein  oder 
Bleiessig  geäzt.  —  Das  Abbinden  passt  besonders  bei  tief-  und  nament- 
lich auf  dem  Trommelfell  aufsizenden  Polypen.  Bei  nach  hinten  und 
oben  gezogener  Ohrmuschel  bringt  man  mittels  einer  einfachen  und  dün- 
nen Röhre,  aus  deren  einem  Ende  eine  Schlinge  und  aus  dem  andern  die 
Enden  derselben  hängen ,  die  Schlinge  über  den  Polypen  und  mit  einer 
gespaltenen  Sonde  an  den  Stiel ,  worauf  man  die  Fadenenden  anzieht.  — 
Das  Abdrehen  und  Ausreissen  eignet  sich  nur  für  Polypen  ,  die 
nicht  zu  tief  in  dem  Gehörgang,  und  namentlich  nicht  auf  dem  Trommel- 
fell wurzeln,  die  einen  dünnen  Fuss  haben,  und  noch  Raum  zur  Anlegung 
einer  Polypenzange  lassen.  Am  besten  gebraucht  man  die  Zange  von 
Dupuytren,  welche  zerlegbar  und  über  den  Griffen  zwei  Mal  recht- 
winklig gebogen  ist ,  damit  die  Hand  nicht  die  Einsicht  benehme.  Man 
bringt  eine  Branche  nach  der  andern  an  den  Fuss  des  Polypen ,  schliesst 
dann  die  Zange  und  dreht  den  Fuss  unter  leichtem  Anziehen  ab.  —  Das 
Zerquetschen  der  Polypen  passt  für  kleinere  tief  im  Gehörgange  oder 
am  Trommelfell  sizende  Polypen ,  denen  auf  keine  andere  Weise  beizu- 
kommen ist.  Man  fasst  denselben  mit  der  ebengenannten  Zange  und 
zerdrückt  ihn  damit  dergestalt,  dass  hernach  Absterbung  eintritt.  —  Die 
Cauterisation  durch  Aezmittel  oder  das  glühende  Eisen  passt  nur 
bei  Polypenresten.  —  Nach  der  Entfernung  des  Polypen  macht  man  noch 
einige  gelind  adstringirende  Einsprizungen  und  schüzt  den  Gehörgang 
gegen  äussere  Einflüsse. 

Ohrenschmalz,  verhärtetes,  entsteht  sowohl  durch  Nach- 
lässigkeit und  Unreinlichkeit,  als  auch  durch  eine  fehlerhafte.  Absonderung, 
welcher  ältere  Personen,   namentlich  gichtische,  häufig  unterworfen  sind. 


OHRENKRANKHEITEN.   OHRENSCHMERZ.  727 

Wenn  es  sieh  übermässig  in  dem  Gehörgange  anhäuft ,  so  verwandelt  es 
sich  in  eine  harte,  schwärzlich-braune  Masse,  welche  entweder  in  einzel- 
nen Stückchen  vorhanden  ist  oder  den  ganzen  Gehörgang  wie  eine  Röhre 
ausfüllt.  Wenn  eine  Durchlöcherung  des  Trommelfells  zugegen  ist,  so 
findet  man  es  bisweilen  nicht  nur  in  dem  äussern  Gehörgang,  sondern 
auch  im  mittleren  Ohr  angehäuft.  Diese  Anhäufung  von  verhärtetem 
Ohrenschmalz  verursacht,  weil  es  das  Eindringen  des  Schalls  verhindert, 
mehr  oder  weniger  Schwerhörigkeit ,  selbst  völlige  Taubheit ,  auch  ist  es 
immer  mit  Klingen  ,  Brausen  etc.  im  Ohre ,  zuweilen  mit  einem  schmerz- 
haften Gefühl  von  Spannung  und  Schwere  daselbst  verbunden ,  welche 
Empfindungen  besonders  während  des  Kauens  wahrgenommen  werden.  — 
Die  Anwesenheit  solcher  Ansammlungen  lässt  sich  durch  das  Gesicht ,  so 
wie  mittels  einer  Sonde,  am  besten  mit  einem  Ohrspiegel  nachweisen.  — 
Ist  nicht  etwa  gleichzeitig  eine  AiTection  der  Trommelhöhle  oder  eine 
Krankheit  des  sensiblen  Apparats  vorhanden ,  so  wird  durch  die  Entfer- 
nung des  angehäuften  Ohrenschmalzes  das  Hörvermögen  sogleich  wieder- 
hergestellt ;  bei  einer  gleichzeitigen  Anhäufung  im  mittlem  Ohr  wird  die- 
ser Zweck  erst  durch  Einsprizungen  in  die  Tuba  Eustachii  erreicht. 
Durch  Einsprizungen  von  lauem  Wasser ,  welchen  man  bei  grosser  Härte 
der  Masse  einige  Zeit  das  tägliche  Eintröpfeln  von  Mandelöl  in  das  Ohr 
vorhergehen  lassen  kann ,  befördert  man  dieselben  ,  wenn  es  nöthig  er- 
scheint, unter  Beihülfe  eines  Ohrlöffels  oder  einer  Pincette  heraus.  Die 
nach  der  Entfernung  des  verhärteten  Ohrenschmalzes  zurückgebliebene 
Itöthe  des  Trommelfells  oder  der  Wandungen  des  Gehörgangs  weicht  einer 
Auflösung  von  Pluinb.  a  c  e  t.  gr.  j  in  Wasser  ^j  zum  Einträufeln.  — 
Andererseits  ist  eine  zu  geringe  Absonderung  des  Ohrenschmalzes 
nicht  minder  nachtheilig  für  das  Gehör.  Anfangs  hören  die  Kranken  bei 
trockenem  schönem  Wetter  noch  leidlich  und  nur  bei  feuchter,  trüber  und 
nebliger  Atmosphäre  ist  das  Gehör  auffallender  beeinträchtigt.  Mit  der 
Zeit  aber  wird  das  Uebel  so  intensiv,  dass  die  Schwerhörigkeit  an  Taub- 
heit grenzt.  In  diesem  Falle  muss  die  Thätigkeit  der  Drüsen  im  Gehör- 
gange belebt  und  damit  ihre  Absonderung  vermehrt  werden ,  was  man 
durch  Aether-  und  Joddämpfe,  so  wie  durch  Tragen  eines  mit  Glycerin 
angefeuchteten  Stückchens  Waschschwamm  im  Gehörgang  ins  Werk  sezt. 
Ohrenschmerz,  Ohrenzwang,  Otalgia  (von  uvgy  Ohr  und 
alyoc,  Schmerz).  Hierunter  wird  nicht  der  durch  Krankheiten  (Otitis 
etc.)  bedingte  Schmerz,  sondern  eine  Neuralgie  des  Ohrs  verstanden,  wo- 
bei jede  nachweisbare  materielle  Störung  fehlt.  Die  nervöse  Otalgie  hat 
das  Charakteristische,  dass  der  Schmerz  sich  nicht  wie  bei  Otitis  stufen- 
weise entwickelt ,  sondern  schnell  einen  hohen  Grad  erreicht  und  ebenso 
plözlich  wieder  verschwindet ;  nicht  selten  ändert  er  seinen  Siz  und  wüthet, 
nachdem  er  das  Ohr  verlassen  hat ,  in  einem  andern  Theile  des  Kopfs. 
Die  Untersuchung  des  Ohrs  zeigt  den  Gehörgang  nicht  geröthet ,  nicht 
geschwollen ,    das   Trommelfell   normal   durchsichtig.      Der  Schmerz  tritt 


728  OHRENKRANKHEITEN.    OHRVERSCHLIESSUNG. 

entweder  in  den  Nervenfäden  der  innern  Ohrtheile  oder  in  dem  den  D  u- 
ctus  Fallopii  versehenden  Theile  des  Nerv,  facialis  oder  in  den 
Verästelungen  des  Gehörnerven  selber ,  oder  in  der  Chorda  tynipani 
auf.  Die  D  a u er  der  Otalgia  nervosa  ist  sehr  ungleich ,  manchmal 
verschwindet  sie  nach  kurzer  Zeit  plözlich ,  andere  Male  hat  sie  neural- 
gische oder  rheumatische  Schmerzen  im  Gesicht  oder  im  Kopf  oder  selbst 
in  entfernteren  Körpertheilen  zur  Folge.  —  Die  Ursachen  der  Otalgie 
sind  dieselben ,  wie  die  anderer  nervöser  Affectionen ;  bei  Frauen  kommt 
sie  viel  häufiger  als  bei  Männern  vor  ;  sie  begleitet  zuweilen  die  ersten 
Perioden  der  Schwangerschaft.  Oft  steht  sie  mit  Störung  in  den  ersten 
Wegen,  mit  Rheumatismus,  namentlich  des  Gesichts,  Kopfs  oder  Nackens,, 
Zahnschmerzen  etc.  in  Verbindung.  Sie  wechselt  zuweilen  mit  Ischias,, 
ist  bisweilen  durch  einen  cariösen  Zahn  bedingt.  —  Behandlung.  Zu- 
nächst muss  diese  gegen  die  dem  Leiden  zu  Grunde  liegenden  Ursachen 
gerichtet  werden ,  bei  Rheumatismus  reicht  man  Colchicum  mit  Opium, 
einen  schadhaften  Zahn  zieht  man  aus  etc.  ;  örtlich  wendet  man  narkoti- 
sche Dämpfe  in  den  Gehörgang  und  die  Tuba  an ,  macht  Cataplasmen. 
bringt  schmerzstillende  Mittel  in  das  Ohr,  z.  B.  Rp.  Ol.  amygdal. 
dulc.  ^ß,  Ol.  hyosc.  coct.  5ß,  Extr.  opii  aq.  gr.  iij,  M.  exact. 
S.  Tropfenweise  in  den  Gehörgang  zu  bringen;  oder:  Rp.  Opii  puri 
gr.  iij,  Croci  opt.  gr.  x,  Myrrhae  3ß  ,  Ol.  amygdal.  dulc.  rec. 
Jij,  Succ.  malvae  ^ß.  M.  S.  Ebenso;  —  oder:  Rp.  Chloroform 
3 j  ,  Ol.  amygdal.  dulc.  5j-  M.  S.  In  die  Nähe  des  schmerzhaften 
Ohrs  einzureiben  und  auf  Baumwolle  getröpfelt  in  das  Ohr  zu  bringen. 

Ohrverschliessung,  Imperforatio  auris,  Atresia 
meatus  auditorii  extern i.  Der  Gehörgang  kann  entweder  durch 
eine  Membran ,  oder  durch  eine  Fleischmasse ,  oder  durch  eine  knorpel- 
artige oder  knöcherne  Substanz  verschlossen  sein.  In  allen  diesen  Fällen 
ist  Schwerhörigkeit  oder  Taubheit  die  Folge.  Bisweilen  ist  die  häutige 
Verwachsung  tiefer  im  Gehörgange,  in  der  Nähe  des  Trommelfells  gelegen 
und  man  erkennt  dies  erst  bei  näherer  Untersuchung.  Die  Operation 
darf  bei  Kindern  nicht  früher  unternommen  werden,  als  sie  sprechen  kön- 
nen, ausgenommen  in  dem  Falle  einer  häutigen  oberflächlichen  Verwach- 
sung ,  wo  man  sie  bei  Kindern  von  sechs  Monaten  verrichten  kann.  Bei 
einer  solchen  Verwachsung  sticht  man  ein  gerades  bis  auf  zwei  Linien 
von  der  Spize  eingewickeltes  Bistouri  in  die  Haut  ein  und  vergrössert, 
wenn  Raum  genug  dazu  vorhanden  ist ,  die  OefFnung  durch  einen  Kreuz- 
schnitt ;  mit  einer  Hohlscheere  schneidet  man  von  den  Schnittlappen  so 
viel  als  thunlich  ist  aus.  —  Ist  die  Verwachsung  tiefer  gelegen  ,  so  lässt 
man  von  einem  Gehülfen  die  Ohrmuschel  etwas  in  die  Höhe  ziehen  und 
bedient  sich  des  Bistouri's  auf  die  oben  angegebene  Weise ,  oder  auch 
eines  Troicarts.  Man  legt  alsdann  eine  in  Oel  getränkte  Charpiewieke 
in  die  Wundöffnung,  füllt  die  Ohrmuschel  mit  Charpie  aus,  legt  eine 
Compresse  darüber  und  befestigt  das  Ganze  mit  einem  Kopftuche.   Wenn 


OHRENKRANKHEITEN. SCHWERHOERIGKEIT.  729 

die  Verwachsung  in  einer  fleischigen,  tief  eindringenden  Masse  besteht,  so 
trennt  man  mit  einem  geraden,  umwickelten  Bistouri  durch  kleine  wieder- 
holte Schnitte  nach  der  Richtung  des  Gehörgangs  diese  Masse,  doch  dringe 
man  nicht  tiefer  als  einen  halben  Zoll  ein ,  der  Zweck  mag  erreicht  sein 
oder  nicht,  im  leztern  Fall  operirt  man  erst  weiter,  wenn  das  erst  Getrennte 
überhäutet  ist.  Darf  man  sich  des  Messers  nicht  bedienen ,  so  wendet 
man  den  Höllenstein  an,  den  man,  von  einer  Röhre  umgeben  auf  die  Mitte 
der  fleischigen  Masse  einwirken  lässt.  Bei  knorpeliger  oder  knöcherner 
Verwachsung  kann  man,  aber  nur  wenn  beide  Gehörgänge  verschlossen 
sind  ,  einen  Troicart  vorsichtig  und  langsam  in  der  Richtung  des  Gangs 
höchstens  15  bis  18  Linien  weit  führen.  Verminderter  Widerstand  zeigt 
an,  dass  man  das  Hinderniss  durchdrungen  hat.  Für  die  erste  Zeit  lässt 
man  die  (kurze)  Röhre  des  Troicarts  liegen,  später  zieht  man  Wieken  in 
Gebrauch. 

Nervöse  Schwerhörigkeit,  Dysecoia,  Baryecoia  (von 
SvCy  übel,  schwer,  ßaovg,  schwer,  und  axovio,  ich  höre) ,  nennt  man  eine 
Verminderung  des  Hörvermögens  ,  welche  die  Folge  einer  AfFection  der 
für  das  Gehörorgan  bestimmten  sensiblen  Apparate  ist.  Längere  Zeit 
fortbestehendes  dynamisches  Leiden  des  Gehörnervens  bedingt  auch  ein 
organisches  Leiden  desselben.  In  der  Regel  findet  man  bei  diesem  Lei- 
den den  Gehörgang  frei  und  ohne  Ohrenschmalz ,  oder  das  angehäufte 
Ohrenschmalz  bringt  ebenso  wenig  Verschlimmerung,  als  die  Entfernung 
desselben  Besserung.  Trommelhöhle  und  Eustachische  Trompete  sind 
gesund,  frei ,  injicirte  Luft  dringt  brausend  in  die  Trommelhöhle  und  an 
das  Trommelfell.  —  Die  Schwerhörigkeit  tritt  entweder  plözlich  oder  all- 
mälig  auf ;  zuweilen  treten  Remissionen ,  oft  in  kurzen  Zwischenräumen, 
meist  aber  auch  von  kurzer  Dauer  ein.  Oft  ist  das  Hörvermögen  bedeu- 
tend stärker ,  wenn  der  Schwerhörige  einem  starken  gleichmässigen  Ge- 
räusche ausgesezt  ist,  z.  B.  beim  Fahren  in  einem  geschlossenem  Wagen. 
Nicht  selten  leiden  solche  Schwerhörige  an  einer  eigenthümlichen  Em- 
pfindlichkeit gegen  scharfe  gellende  Töne  (H  y  p  e  r  a  c  u  s  i  s)  und  häufig 
tritt  im  Verlaufe  des  Leidens  Ohren  tönen  hinzu,  welches  in  der  Regel 
oft  in  sehr  quälender  Weise  fortdauert,  wenn  auch  vollständige  Taubheit 
eingetreten  ist.  —  Ursachen.  Prädisponirend  dazu  sind:  Erblichkeit, 
allgemeine  Schwäche  des  Nervensystems ,  hohes  Alter.  Veranlassende 
Ursachen  sind :  Alles,  was  die  Thätigkeit  im  Allgemeinen  herabzustimmen 
vermag,  deprimirende  AfFecte,  Säfteverluste,  übermässige  Blutentziehungen, 
Diarrhöen,  zu  lange  fortgeseztes  Stillen,  Eiterungen  etc.  ;  Missbrauch  nar- 
kotischer Mittel ,  Unterleibsstockungen  ,  Hämorrhoiden  ,  Gicht,  plözliche 
Erkältungen  des  erhizten  Kopfs,  Sonnenstich,  Erkrankungen  des  Gehirns, 
namentlich  der  dem  Acusticus  zugehörigen  Centraltheile ,  endlich  gewalt- 
same Erschütterungen  des  Schädels,  starke  Explosionen  etc.  Beider 
Behandlung  nehme  man  zunächst  auf  das  Allgemeinbefinden  Rück- 
sicht ,    beseitige  Stockungen ,   hebe  allgemeine  Schwäche ,  regle  die  Diät, 


730  OHREN,   KUENSTLICHE. 

schüze  die  Ohren  vor  Erkältung  etc.  Die  örtliche  Behandlung  bleibt  je- 
doch Hauptsache.  Man  wirkt  auf  den  Gehörnerven  selbst  ein.  Dies  ge- 
schieht durch  die  Tuba  Eustachi i.  Man  treibt  mittels  des  Ohrkathe- 
ters zunächst  Wasserdunst  oder  eine  erwärmte  Lösung  von  Gummi  ara- 
bicum, welcher  man  später  */8  bis  */2  Gran  Extractum  hyoscyami 
zusezt,  in  Zwischenräumen  von  1  bis  2  Tagen  durch  diese  Röhre  in  die 
Trommelhöhle  ein.  Die  Milderung  des  Ohrentönens  ist  der  Massstab 
für  die  Fortschritte  der  Besserung.  Bei  einem  Schwächezustand  können 
später  kleine  Quantitäten  von  Aether,  Chloroform,  Moschustinktur,  Jod, 
Salmiak  mit  Wasserdünsten  gemischt  eingeblasen  werden.  —  Schlagen 
alle  Heilversuche  fehl ,  so  kann  man  zur  Erleichterung  für  die  Schwer- 
hörigen Hörrohre  und  Hörmaschinen,  acustische  Werkzeuge ,  welche  den 
Schall  durch  die  festen  Theile  zu  den  Gehirnnerven  leiten ,  gebrauchen 
lassen. 

Onreil,  künstliche  und  Hörmaschinen.  Bei  der  An- 
wendung der  künstlichen  Ohren  hat  man  den  Zweck,  die  durch  den  Ver- 
lust der  Ohrmuschel  entstandene  Entstellung  zu  heben  und  den  von  ihnen 
aufgefangenen  Schall  in  den  Gehörgang  zu  leiten.  Man  verfertigt  sie 
aus  Papiermache,  Leder,  Holz,  Kupfer,  Silber,  Gold  etc.  Die  metallenen 
sind  die  geeignetsten,  weil  sie  bessere  Schallleiter  sind.  Sie  müssen  dem 
andern  Ohr  in  allen  Stücken  ähnlich  sein.  Die  Befestigung  geschieht 
theils  durch  ein  von  der  Muschel  ausgehendes  in  die  Mündung  des  Ge- 
hörgangs passendes  Röhrchen ,  theils  durch  eine  über  den  Scheitel  weg- 
gehende elastische  Stahlfeder.  —  Die  Hörmaschinen,  Instru- 
menta acustica,  haben  den  Zweck,  das  Gehör,  es  mag  auf  mecha- 
nische oder  dynamische  Weise  gestört  sein,  zu  unterstüzen.  Man  unter- 
scheidet: 1)  die  Ohrklemmen  und  Ohrkissen.  Sie  habenden 
Zweck ,  die  unter  einem  ungünstigen  Winkel  zum  Kopfe  gestellte  Ohr- 
muschel vorwärts  zu  drücken  ,  damit  sie  die  Schallstrahlen  besser  aufzu- 
fangen im  Stande  ist.  2)  die  Schallleitungs röhren,  Tubuli 
soniferi.  Sie  finden  ihre  Anwendung,  wenn  der  Gehörgang  zu  eng 
ist.  Sie  bestehen  aus  einem  Röhrchen  aus  Kautschuk,  Guttapercha  oder 
besser  aus  Silberblech,  das  am  äussern  Ende  einen  kleinen  Rand  hat.  3) 
die  S  ch  all  fang  er  oder  Hörschalen.  Sie  sollen  bezwecken,  die 
Oberfläche  des  äussern  Ohrs  zu  vergrössern ,  um  eine  grössere  Menge 
Schallwellen  aufzufangen  und  gewissermassen  verstärkt  in  den  Gehörgang 
zu  leiten.  Ihre  Form  ist  verschieden.  Bald  stellen  sie  nur  muschel- 
f  örmige  Schalen ,  bald  über  das  Ohr  zu  stülpende  Kapseln ,  bald  auch 
kleine  ,  mit  einem  kurzen  oder  langen  gewundenen  Zuleitungsrohr  ver- 
sehene Trichter  dar.  Man  hat  sie  aus  den  verschiedenartigsten  Stoffen 
gefertigt :  aus  elastischem  Gummi ,  Muscheln ,  Eisen-,  Messing-,  Kupfer- 
und  Silberblech.  Ihre  Befestigung  geschieht  mittels  Federn  und  Bändern. 
4)  die  Hörrohre,  Tubae  acusticae.     Bei  ihrer  Anwendung  beab- 


OHREN,   KUENSTLICHE.  731 

sichtigt  man  ,  eine  grössere  Menge  von  Schallwellen ,  als  die  Ohrmuschel 
aufzunehmen  vermag ,  in  das  Ohr  zu  leiten  und  die  auf  die  Wände  des 
Instruments  veranlassten  Schwingungen  zu  verstärken  und  zu  modificiren. 
Sie  müssen,  um  diesen  Zwecken  zu  entsprechen,  eine  weite  Oeffnung  haben 
und  aus  einem  geeigneten  Metall  bestehen.  —  Man  hat  die  Hörrohre  aus 
verschiedenen  Materialien  verfertigt,  aus  elastischem  Harz,  Leder,  Papier- 
mache, Holz,  Hörn,  Elfenbein,  Glas,  Eisenblech,  Messing,  Kupfer,  chine- 
sichem  Klangmetall,  Silber,  Gold.  Die  nicht  metallischen  sind  nur  einer 
geringen  Vibration  fähig  und  geben  mithin  schlechte  Hörrohre ,  doch 
können  sie  benuzt  werden,  wo  es  sich  nur  um  eine  stärkere  Zuleitung  von 
Schallwellen  in  das  Ohr  handelt.  Ihr  Inwendiges  hat  am  besten  eine 
parabolische  Gestalt ,  damit  die  parallel  aufsteigenden  Schallstrahlen 
gleichsam  wie  in  einem  Brennpunkt  concentrirt,  und  so  durch  die  in  den 
äussern  Gehörgang  gesteckte  Röhre  dem  innern  Ohr  zugeführt  werden. 
—  Man  hat  den  Hörrohren  verschiedene  Formen  gegeben ;  die  meisten 
haben  eine  trichterförmige  Gestalt,  andere  die  eines  Posthorns,  wie  das 
von  Nuck.  Deckers  Instrumentum  acusticum  besteht  aus 
einem  kleinen  gewundenen  Trichter.  An  den  Bändern  sind  Löcher,  um 
dasselbe  mittels  Bändern  an  die  Haare  zu  befestigen.  Andere  werden 
durch  eine  über  den  Scheitel  gehende  Stahlfeder  festgehalten,  noch  andere 
werden  im  Augenblicke  des  Gebrauchs  mit  der  Hand  an  das  Ohr  gebracht. 
Wir  besizen Hörrohre  von  Arneman,  Heister,  Bell,  Brambilla, 
Bernstein,  Curtis,  Krünitz  u.  A.  —  5)  Akustische  Werk- 
zeuge, die  den  Schall  durch  die  festen  Theile  zu  den  Ge- 
hörnervenleiten. Es  ist  bekannt ,  dass,  wenn  man  einen  festen  in 
Schwingung  versezten  Körper  an  die  Zähne  oder  an  den  Schädel,  ja  selbst 
an  entfernte  Theile  des  Körpers  anlegt,  die  Schwingungen  sich  von  diesen 
Theilen  bis  zum  Gehörnerven  fortpflanzen  und  von  diesem  empfunden 
werden.  Wenn  man  einen  silbernen  Löffel  an  einen  Faden  befestigt, 
diesen  zwischen  den  Zähnen  hält  und  dann  den  Löffel  schlägt,  indem  man 
zugleich  die  Ohren  verschliesst ,  so  hört  man  einen  ziemlich  starken, 
glockenähnlichen  Ton.  .  Ebenso  vernimmt  man  sehr  leicht  den  Klang 
eines  musikalischen  Instruments,  z.  B.  eines  Klaviers,  wenn  man  das  eine 
Ende  eines  Stabs  auf  den  Resonanzboden  sezt,  das  andere  aber  zwischen 
die  Zähne  nimmt  oder  nur  einen  Theil  des  Kopfs  damit  berührt.  Hieraus 
ist  die  Idee  hervorgegangen,  sich  tauben  Personen  hörbar  zu  machen,  in- 
dem man  zwischen  ihre  Zähne  und  auch  die  der  mit  ihnen  sprechenden 
Personen  Leiter  bringt,  die  aus  festen  Körpern  bestehen,  z.  B.  hölzerne 
Stäbe  ;  Stahl  ist  noch  besser.  Da  man  aber  mit  dem  fremden  Körper 
zwischen  den  Zähnen  an  der  Articulation  der  Töne  gehindert  ist,  so  schlug 
1 1  a  r  d  ein  besonderes  Werkzeug  vor.  Es  ist  eine  Art  Sprachrohr  aus 
Holz  in  Pyramidenform ,  das  an  dem  Ende ,  welches  von  dem  Tauben  in 
den  Mund  genommen  wird  ,  sich  in  ein  Mundstück,  wie  bei  einer  Clari- 
nette  endigt.      Die  andere  Seite  endigt  in  einen  Ansaz ,  in  den  der  Spre- 


732 


PANARITIUM. 


cliende  blos  seinen  Mund  hält ,  ohne  ihn  zu  berühren  ;  auch  darf  das  In- 
strument nicht  mit  den  Händen  gehalten ,  sondern  muss  an  einem  Faden 
aufgehängt  oder  auf  eine  hölzerne ,  auf  dem  Boden  stehende  Gabel  auf- 
gelegt werden.  Ein  anderes  complicirteres  Instrument  gibt  ein  Unge- 
nannter an. 

Ozaena,  s.  Nasengeschwür. 

P. 

PaedarthrOCaCe,  s.  Knochengeschwülste  No.  7. 

Panaritium,  Entzündung  des  Nagelgliedes,  Wur  m. 
Hierunter  versteht  man  die  Entzündung  der  fibrösen  Gewebe  der  Finger 
und  Zehen  ,  die  in  der  Regel  mit  lebhaften  Schmerzen  verbunden  ist  und 
eine  entschiedene  Neigung  zur  Eiterbildung  hat.  Häufiger  kommt  diese 
Krankheit  an  den  Fingern  als  an  den  Zehen  und  häufiger  an  dem  Nagel- 
als  an  einem  andern  Gliede  vor ;  selten  leidet  mehr  als  ein  Finger  zu 
gleicher  Zeit ,  der  kleine  Finger  bleibt  meist  verschont  und  der  Daumen 
wird  seltener  befallen,  als  die  übrige  Hand.  —  Nach  dem  Siz  der  Ent- 
zündung in  den  verschiedenen  Gebilden  des  Fingers  und  der  davon  ab- 
hängenden Heftigkeit  der  Erscheinungen  unterscheidet  man  drei  Arten 
oder  Grade  von  Panaritien.  —  Der  erste  Grad,  Panaritium  c  u  - 
taneum  sizt  in  dem  Zellgewebe  unter  der  Haut,  und  zwar  meistens  an 
dem  kolbigen  Ende  des  Fingers.  Dasselbe  erscheint  mehr  oder  weniger 
roth  und  ist  massig  geschwollen.  Der  Kranke  klagt  über  Spannen  ,  klo- 
pfenden Schmerz  und  Hize  im  Fingergliede ;  bald  bildet  sich  Eiter ,  der 
aber  bei  dicker  Haut  schwer  durch  Schwappung  zu  entdecken  ist ,  oder 
der  angesammelte  Eiter  durchbricht  die  Cutis  und  bildet  dann  eine  durch- 
scheinende Eiterblase.  —  Der  zweite  Grad,  Panaritium  tendi- 
n  e  u  m  befällt  vorzugsweise  die  Sehnenscheiden  und  beginnt  mit  dumpfen 
spannenden  Schmerzen  an  der  Volarfläche  des  Fingers,  die  in  kurzer  Zeit 
sehr  heftig  und  reissend  werden  und  sich  rasch  über  den  ganzen  Arm  und  bis 
zur  Achselhöhle  verbreiten.  An  dem  Finger  selbst  bemerkt  man  nur  geringe 
Geschwulst;  diese  dehnt  sich  mehr  auf  den  übrigen  Theil  der  Hand,  selbst 
auf  den  Vorderarm  aus  ;  gewöhnlich  ist  auch  heftiges  Fieber  damit  ver- 
bunden. Die  Härte  und  Geschwulst  der  Bedeckung  verhindert  auch  hier 
oft  die  deutliche  Wahrnehmung  des  Eiters.  Nicht  selten  bilden  sich  Ab- 
scesse  am  Handgelenk  und  am  Vorderarm.  Es  kann  zur  Zerstörung  der 
Flechse  und,  durch  Uebertritt  der  .Entzündung  auf  das  Periosteum,  selbst 
zu  der  des  Knochens  kommen.  —  Beim  dritten  Grade,  Panari- 
tium periostei,  sizt  die  Entzündung  in  der  Beinhaut ;  bei  völliger 
Abwesenheit  von   Geschwulst  sind   die  peinigendsten   Schmerzen  in   der 


PANZERHAND SCHUH.  733 

Tiefe  des  Fingers  zugegen ,  die  sich  nie  über  die  Handwurzel  hinaus  er- 
strecken. Ist  aber  Eiterbildung  erfolgt ,  dann  schwillt  die  ganze  Hand 
beträchtlich  auf;  am  leidenden  Finger  oder  auch  über  die  ganze  Hand 
fort  bildet  sich  oft  eine  ödernatöse  Anschwellung ,  der  Eiter  bahnt  sich 
in  der  Vola  manus  viele  Fistelgange  und  eröffnet  sich  endlich  einen 
Weg  nach  aussen.  Die  Untersuchung  mit  der  Sonde  zeigt  den  Knochen 
cariös  oder  nekrotisch.  —  Zuweilen  geht  ein  geringerer  Grad  in  einen 
höhern  über.  —  Manche  Schriftsteller  führen  die  an  der  Nagelwurzel 
vorkommende  oberflächliche  Entzündung  und  Eiterung  (Nagelge- 
schwür, Umlauf,  Onychia)  als  ersten  Grad  des  Panaritium  auf. 
Wir  haben  sie  bei  den  Nagelkrankheiten  abgehandelt.  —  Ursachen. 
Sie  sind  meist  örtliche,  wie  Contusionen,  Verlezungen  mit  feinen  stechen- 
den Instrumenten,  äzende  oder  scharfe  Stoffe,  schneller  Temperaturwech- 
sel etc.  Sehr  oft  sind  die  Ursachen  nicht  bekannt,  und  nicht  selten  kom- 
men bei  einem  Individuum  nach  einander  mehrere  Panaritien  an  verschie- 
denen Fingern  vor.  —  Behandlung.  Beim  ersten  Grade  sucht 
man  die  Entwicklung  des  Panaritium  durch  Blutegel ,  kalte  oder  Blei- 
wasserumschläge, Einreibung  von  Quecksilbersalbe  aufzuhalten,  nachdem 
man  etwaige  fremde  Körper  entfernt  hat.  Vermindern  sich  die  Symptome 
bis  zum  vierten  Tage  nicht ,  so  schneidet  man  den  Finger  ein ,  wodurch, 
wenn  auch  kein  Eiter  entleert  wird  ,  der  Kranke  durch  die  Entspannung 
der  Theile  und  die  Blutung  sehr  erleichtert  wird.  Auf  die  Eröffnung 
lässt  man  erweichende  Umschläge  und  Pflaster  folgen.  Bildet  sich  eine 
Eiterblase ,  so  öffnet  man  diese  und  trägt  die  Haut  nach  Massgabe  ihres 
Absterbens  mit  der  Scheere  ab.  Bildet  sich  schwammiges  Fleisch,  so  be- 
tupft man  es  mit  Höllenstein ;  häufig  verschwindet  es  auch,  wenn  man  die 
Oeffhung  im  Finger  erweitert.  —  Das  Panaritium  tendineum  for- 
dert dieselbe  Behandlung  wie  das  cutaneum,  nur  darf  die  Incision 
nicht  über  den  dritten  Tag  verschoben  werden,  weil  sonst  die  Flechse  zer- 
stört wird.  Der  Einschnitt  muss  bis  in  die  Sehnenscheide  dringen.  Die 
an  der  Hand  etc.  sich  bildenden  Abscesse  müssen  frühzeitig  geöffnet  und 
nach  allgemeinen  Regeln  behandelt  werden.  Der  Verlust  der  Flechse 
hat  immer  den  der  Bewegung  des  betroffenen  Glieds  zur  Folge.  —  Beim 
Panaritium  periostei  können  nur  frühzeitige  Einschnitte  bis  auf 
den  Knochen  diesen  vor  Zerstörung  bewahren.  Auf  diese  lässt  man  er- 
weichende Umschläge  folgen  und  den  Finger  in  Chamilleninfus ,  bei 
schlechter  Eiterung  in  Lauge  baden.  Nicht  selten  stösst  sich  die  erste 
Phalanx  ganz  ab  ,  wodurch  der  Finger  etwas  breiter  und  kürzer  wird. 
War  das  zweite  oder  dritte  Fingerglied  ergriffen ,  so  kann  die  Exarticu- 
lation  des  Fingers  nothwendig  werden. 

Panzerhandschuh,  C  h  i  r  o  t  h  e  c  a  ,  ist  ein  zur  Einwicklung 
eines  oder  mehrerer  Finger  bestimmter  Verband.  Man  hat  nach  Ver- 
schiedenheit des  Zweckes  einen  halben  oder   unvollkommenen  und  einen 


734 


PAPPVERBAND. 


ganzen  oder  vollkommenen  Panzerhandschuh. —  Zn  dem  halben  Pan- 
zerhandschuh, der  Finger  binde,  Chirothecaincompleta 
s.  Fascia  digitalis,  nimmt  man  eine  6  Fuss  lange  ,  3/4  Zoll  breite, 
einköpfige  Binde,  macht  am  Ulnarrande  anfangend  einige  Zirkelgänge  um 
das  Handgelenk ,  geht  dann  schief  über  den  Rücken  der  Hand  nach  dem 
Radialrand  derselben  und  zwischen  dem  Zeige-  und  Mittelfinger  durch, 
um  das  erste  Gelenk  des  Mittelfingers  herum  und  wieder  schief  über  den 
Handrücken  zurück ,  so  dass  die  Binde  sich  auf  dem  Gelenke  des  Mittel- 
fingers kreuzt.  Dieser  Gang  wird  nun  entweder  wiederholt  oder  die  Binde 
nach  der  ersten  Tour  mit  Zirkelgängen  um  das  Handgelenk  beendigt.  — 
Diese  Binde  kann  auch  auf  gleiche  Weise  an  jedem  andern  Finger  ange- 
legt werden.  —  Dieser  Verband ,  welcher  früher  nach  Verrenkungen  der 
ersten  Phalangen  angewendet  wurde  ,  ist  allenfalls  noch  zur  Befestigung 
kleiner  Verbandstücke  an  dieser  Stelle  der  Finger  und  auf  dem  Handrücken 
zu  benuzen.  —  Der  ganze  Panzerhandschuh,  Chirotheca 
completa  s.  Fascia  pro  fractura  et  luxatione  digitorum 
erfordert  eine  Binde  von  der  gleichen  Länge  und  Breite ,  wie  der  halbe, 
welche  dann  aber  nur  zur  Einwicklung  eines  Fingers  hinreicht ;  für  jeden 
weiteren  Finger  muss  sie  4  Fuss  länger  sein.  Man  fängt  wie  bei  der 
vorigen  an ,  geht  zum  kranken  Finger  und  umgibt  diesen  bis  zu  seiner 
Spize  mit  Hobeltouren ,  geht  mit  gleichen  Gängen  an  diesem  wieder  zu- 
rück ,  über  den  Handrücken  zur  Handwurzel  und  schliesst  da  die  Binde 
mit  Zirkelgängen.  Diese  Gänge  wiederholt  man  an  so  vielen  Fingern, 
als  nöthig  ist,  wobei  nur  zu  beobachten  ist ,  dass  man  nach  der  Umwick- 
lung eines  jeden  Fingers  jedesmal  vorher  einen  Zirkelgang  um  die  Hand- 
wurzel macht,  ehe  man  zum  nächsten  übergeht.  —  Diese  Binde  kann 
nach  Luxationen  und  Fracturen ,  so  wie  Verbrennungen  der  Finger  in 
Anwendung  gebracht  werden  ;  auch  beginnt  man  mit  ihr  die  Einwicklung 
der  obern  Extremität. 

PappVerband.  Hierunter  versteht  man  einen  Verband ,  bei 
dem  mittels  Klebemitteln  die  einzelnen  Theile  unbeweglich  mit  einander 
verbunden  werden,  um  einem  Lockerwerden  desselben  und  damit  seinem 
baldigem  Wechsel  vorzubeugen.  Je  nach  den  Mitteln,  die  zur  Unbeweg- 
lichmachung  des  Verbandes  benuzt  werden ,  hat  er  verschiedene  Namen 
erhalten,  wie  Kleister-,  Dextrin-,  Gypsklebeverband  etc. 
Am  häufigsten  wird  der  von  S  e  u  t  i  n  eingeführte  Stärkmehlkleister  zum 
Steifen  des  Verbandes  benuzt :  er  klebt  die  Verbandstücke  leicht  zusam- 
men und  macht  sie  beim  Trocknen  so  fest  wie  Holz,  während,  wenn  eine 
Erneuerung  des  Verbandes  nöthig  wird,  ihre  Entfernung  vermittels  lauem 
Wasser  leicht  zu  bewerkstelligen  ist.  —  Die  Regeln  für  die  Anlegung 
des  Kleisterverbandes  sind  folgende  :  die  Binden,  die  benuzt  werden,  müs- 
sen von  Leinenzeug  gemacht  und  dieses  darf  weder  zu  fein  noch  zu  grob 
sein  ;  am  besten  eignet  sich  gewöhnliche  Hausleinwand.      Die  Breite  und 


PAPPVERBAND.  735 

Länge  der  Binden  richtet  sieh  nach  der  Grösse  des  zu  verbindenden  Glie- 
des. —  Der  Kleister  wird  aus  Stärkmehl  bereitet,  indem  dieses  entweder 
mit  Wasser  gekocht  oder  einfacher,  nachdem  die  Stärke  in  einem  eisernen 
Hafen  geröstet  worden  ist ,  in  kaltem  Wasser  aufgelöst  wird.  Andere 
Klebestoffe ,  die  theils  für  sich  ,  theils  in  Verbindung  mit  Stärkmehl  zum 
Steifen  der  Verbandstücke  vorgeschlagen  worden  sind,  sollen  weiter  unten 
kurz  erwähnt  werden.  Welchen  Stoff  man  aber  auch  wählen  mag,  immer 
muss  das  Augenmerk  des  Wundarztes  darauf  gerichtet  sein ,  dass  diese 
Stoffe  nicht  in  unmittelbare  Berührung  mit  der  Haut  kommen,  indem  sie 
leicht  rosenartige  Entzündungen  auf  dieser  erregen.  Der  gekochte  Klei- 
ster darf  nicht  zu  dick ,  aber  auch  nicht  zu  dünn  sein  ;  im  ersten  Falle 
lässt  er  sich  nicht  gut  aufstreichen,  im  zweiten  klebt  er  zu  wenig.  Eine 
Consistenz,  bei  welcher  er  sich  aus  einem  Löffel  langsam  ausgiessen  lässtr 
ohne  in  grösseren  Massen  daran  hängen  zu  bleiben,  ist  die  passendste. 
Der  gewöhnliche  Buchbinderkleister  ist  viel  zu  dick.  Im  Nothfall  kann 
man  sich  statt  des  Stärkmehls  des  gewöhnlichen  Getreidemehls  bedienen; 
man  verdünnt  es  zuerst  mit  kaltem  ,  hernach  mit  siedendem  Wasser.  — 
Als  Schienen  gebraucht  man  starke  Pappe ,  deren  Ränder  man  schief  ab- 
reisst,  damit  sie  nicht  drücken;  für  die  knöchernen  Hervorragungen  bringt 
man  Ausschnitte  an.  Je  nach  der  Form  und  Grösse  des  Gliedes  hat  man 
2  bis  3  Schienen  nöthig ;  eine  grössere  Anzahl  ist  nicht  dienlich,  weil  sie 
sich  bei  der  Anlegung  des  Verbandes  schwer  halten  lassen,  ohne  überein- 
ander geschoben  zu  werden.  Man  nehme  sie  so  breit ,  dass  zwischen 
ihnen  nur  fingerbreite  Zwischenräume  bleiben ,  wenn  sie  angelegt  sind. 
Ihre  Länge  richtet  sich  nach  der  Länge  des  gebrochenen  Knochens  und 
nach  der  Stelle  des  Bruchs  ;  befindet  sich  dieser  nahe  an  einem  Gelenke, 
so  ist  es  gut ,  die  Schienen  einige  Zoll  über  dieses  hinausreichen  zu  las- 
sen ;  sonst  ist  es  hinreichend ,  wenn  die  Schienen  so  lang  sind ,  als  der 
gebrochene  Knochen.  —  Bei  der  Application  legt  man ,  nach  besorgter 
Einrichtung  und  Coaptation  der  Knochenfragmente,  von  unten  beginnend, 
nach  der  ganzen  Länge  des  Glieds  eine  Rollbinde  an ,  wobei  man  die  zu 
häufige  Wiederholung  der  Umschläge  vermeidet  und  die  Vorsprünge  durch 
Watte  u.  dgl.  schüzt.  Wenn  man  am  obern  Theile  des  Gliedes  ange- 
kommen ist ,  so  steigt  man  mit  neuen  Bindengängen  in  der  Weise  herab,, 
dass  man  die  erste  Lage  mit  einer  zweiten  Schichte  bedeckt,  die  diesmal 
leicht  gestärkt  wird.  Bei  dem  Endigen  der  Binde  schlägt  man  das  Ende 
derselben  ein,  um  es  später  leicht  zu  finden.  Vor  der  Application  der  ersten 
Lagen  der  Binde  legt  man  unmittelbar  auf  die  Haut  und  in  der  Längenrichtung 
des  gebrochenen  Gliedes  ein  einen  Querfinger  breites  leinenes  Band,  nach- 
dem man  es  vorher  mit  einem  fetten  Stoffe  bestrichen  hat ,  in  der  Weise 
auf,  dass  beide  Enden  desselben  den  Verband  oben  und  unten  einige 
Querfinger  überragen;  es  hat  dieses  Band  den  Zweck,  den  Grad  des  von 
dem  Verbände  ausgeübten  Drucks  anzuzeigen.  —  Nachdem  dies  ge- 
schehen ,   legt  man  die  flüchtig  in  laues  Wasser  getauchten  Pappschienen 


736  PAPPVERBAND. 

in  hinreichender  Anzahl  an.  Diese  Schienen  sind  zuvor  auf  ihren  beiden 
Seiten  mit  Starkekleister  bestrichen  worden.  Zwischen  diese  Schienen 
und  die  Vertiefungen  auf  der  Oberfläche  des  Gliedes  legt  man  Ausfüllun- 
gen, damit  der  Druck  überall  ein  gleichförmiger  ist.  Die  Schienen  wer- 
den alsdann  durch  Gehülfen  am  Plaze  gehalten  und  der  Wundarzt  geht, 
indem  er  eine  Rollbinde  ergreift ,  deren  Ränder  leicht  mit  Stärke  bestri- 
chen worden  sind,  an  die  Anlegung  einer  dritten  Lage  von  Bindengängen, 
die  zur  Befestigung  der  Pappendeckel  bestimmt  sind.  Der  mit  der  Er- 
haltung der  Coaptation  beauftragte  Gehülfe  formt  diese  Gänge  mit  Hülfe 
seiner  Finger  in  dem  Masse  nach  der  Gestalt  des  Gliedes  ,  wie  der  Ope- 
rateur seine  Binde  abrollt.  Diese  dritte  Bindenschicht  kann  spiralförmig 
angelegt  werden,  um  dem  Pappendeckel  eine  feste  Form  zu  geben.  Als- 
dann bestreicht  der  Gehülfe  mittels  des  Pinsels  oder  der  Wundarzt  mit 
der  Hand  die  Oberfläche  des  Verbandes  mit  einer  leichten  und  gleichför- 
migen Lage  Stärke  und  schliesst  mit  einer  lezten  methodisch  angelegten 
Bindentour.  —  Die  Finger  und  ein  Theil  der  Hand ,  wenn  es  sich  von 
der  obern  Extremität  handelt,  die  Zehen,  wenn  man  es  mit  der  untern  zu 
thun  hat,  bleiben  frei  und  werden  hierauf  mit  schmalen  Binden  unter  der 
Gestalt  des  Panzerhandschuhs  eingewickelt.  Man  lässt  nur  die  äussersten 
Spizen  dieser  Organe  frei ,  um  darnach  den  Zustand  der  von  dem  Ver- 
bände bedeckten  Theile  beurtheilen  zu  können.  —  Wenn  der  Verband 
beendigt  ist,  so  streicht  der  Wundarzt  mit  der  flachen,  mit  Stärke  bedeck- 
ten Hohlhand  längs  des  ganzen  Verbandes  nach  einander  von  unten  nach 
oben  und  von  oben  nach  unten,  hernach  im  Kreise  herum,  so  dass  zuerst 
die  dachziegelförmigen  Ränder  der  Hobelgänge  erhoben  und  gestärkt, 
hernach  niedergedrückt  und  endlich  die  Falten  verstrichen  werden.  — 
Wenn  es  sich  von  einem  Gliede  handelt,  das  zu  erheben  gefährlich  wäre, 
und  besonders  bei  manchen  Brüchen  der  untern  Extremität  kann  man 
sich  statt  der  Rollbinde  der  in  vier  Lagen  geordneten  Streifenbinde  von 
S  c  u  1 1  e  t  bedienen.  Die  erste  Lage  wird  wie  in  dem  vorhergehenden 
Falle  angelegt,  d.  h.  ohne  gestärkt  zu  werden,  mit  Ausnahme  der  äussern 
Schicht,  aber  erst,  wenn  die  Streifen  völlig  aufgelegt  sind,  damit  sie  unter 
sich  anhängen.  Zwischen  die  zweite  und  dritte  Lage  kommen  die  Papp- 
schienen zu  liegen ;  man  stärkt  sie  und  verfährt  im  Uebrigen  wie  bei  der 
Rollbinde.  —  Als  allgemeine  Regel  gilt,  dass  das  oberhalb  des  Sizes  des 
Bruchs  gelegene  Gelenk  immer  mit  in  den  Verband  gefasst  werden  soll, 
um  die  Bewegungen  dieses  Gelenkes  zu  verhindern,  welche  sich  den  Frag- 
menten mittheilen  und  sie  dislociren  könnten.  —  Ist  der  Verband^  ange- 
legt, so  können  die  Gehülfen  die  Extension  und  Contraextension  aufgeben, 
wenn  man  es  mit  einem  Querbruche  zu  thun  hat.  Bis  zur  Austrocknung 
legt  man  starke  Papp-  oder  andere  Schienen  auf  den  Verband  an ,  damit 
die  gebrochenen  Theile  in  der  vollkommensten  Unbeweglichkeit  erhalten 
werden.  Das  Glied  bringt  man  auf  einem  Spreu-  oder  anderen  Kissen 
in  eine  zuträgliche  Lage  und  wartet  die  Austrocknung  ab  ,   welche  in  3  0 


PAPPVERBAND.  737 

bis  4  0  Stunden  zu  Stande  kommt.  Man  kann  sie  durch  Anlagerung 
heisser  Körper,  erwärmter  Backsteine,  mit  heissem  Wasser  gefüllter  Krüge 
etc.  beschleunigen.  Nach  der  Vertrocknung  des  Verbandes  nimmt  man 
die  Schuzschienen  weg.  —  Bei  den  mit  Wunden  oder  Abscess  complicir- 
ten  Fracturen  schneidet  man  entweder  mittels  gekrümmter  Scheeren  kleine 
Einschnitte  in  die  Bindentouren  und  schneidet  auch  die  Pappe  aus,  wenn 
sie  solche  Theile  bedeckt ,  oder  wenn  der  Theil  oft  untersucht  werden 
muss,  so  legt  man  gegenüber  der  Wunde  etc.  ein  Fenster  an,  indem  man 
auf  einen  Längenschnitt  zwei  quere  fallen  lässt  und  die  hierdurch  gebil- 
dete Klappe  beliebig  öffnet  und  schliesst ,  oder  endlich  indem  man  den 
ganzen  Verband  auf  die  weiter  unten  angegebene  Weise  der  Länge  nach 
aufschneidet.  Welche  von  diesen  drei  Arten  man  auch  wählen  mag,  der 
Verband  ist  der  Durchtränkung  mit  Eiter  und  der  Erweichung  ausgesezt 
und  bietet  nicht  mehr  die  genügende  Festigkeit ,  oder  die  innere  Lage 
verhärtet  durch  Vertrocknung  des  Eiters ,  und  zeigt  eine  Rauhheit ,  eine 
Härte,  welche  fähig  ist,  das  Glied  zu  excoriiren.  Um  den  erstem  dieser 
Nachtheile  zu  vermeiden ,  verstärkt  man  den  Verband  äusserlich  mittels 
Schienen  von  Zink ,  Weissblech  oder  noch  besser  von  Guttapercha ,  da 
diese  Substanz  sich  um  das  Glied  formt.  Zur  Vermeidung  des  zweiten 
belegt  man  ihn  mit  Wachstaffet  oder  Guttapercha-  Blättern ,  oder  man 
zieht  auch ,  wenn  man  die  Klappen  geöffnet  hat ,  die  beschmuzten  Band- 
streifen aus  und  ersezt  sie  durch  eine  besondere  Leinwand ,  oder  man 
zieht  sie  nicht  aus ,  sondern  legt  Compressen  oder  Watte  dazwischen. 
Alles  dieses  wird  überflüssig,  wenn  man  aus  dem  unabsezbaren  Verbände 
einen  abnehmbaren  unverrücklichen  macht,  d.  h.  denselben 
der  Länge  nach  aufschneidet.  Dies  kann  aber  auch  von  Nuzen  sein,  ohne 
dass  gerade  eine  Wunde  zugegen  ist ;  der  Verband  kann  da  oder  dort 
drücken  und  dadurch  Schmerzen  verursachen ;  er  kann  zu  weit  werden, 
indem  das  Glied  abschwillt.  Die  Durchschneidung  geschieht  am 
zweiten  bis  dritten  Tage ,  sobald  der  Verband  seine  ganze  Festigkeit  er- 
langt hat  und  zwar  führt  man  sie  in  dem  Zwischenräume  der  beiden 
Schienen  auf  dem  eingelegten  Bande  (Compressimeter)  ,  das  als  Führer 
dient  (und  welchem  man  deshalb  eine  entsprechende  Lage  gegeben  hat), 
mit  einer  starken  Scheere  aus.  Nach  vollführter  Durchschneidung  ist  der 
Verband  zweiklappig  geworden  und  man  kann  das  Glied  leicht  unter- 
suchen. Zu  diesem  Behufe  legen  zwei  Gehülfen,  der  eine  oberhalb,  der 
andere  unterhalb  der  Bruchstelle  den  Daumen  der  einen  Hand  an  eine 
der  Klappen  und  verhindern  dann ,  indem  die  Finger  zwischen  die  andere 
Klappe  und  das  Glied  gleiten ,  dass  die  erstere  sich  von  diesem  entfernt. 
Der  Wundarzt  entfernt  dann  die  erhobene  Klappe ,  was  durch  den  untern 
Zwischenraum  möglich  gemacht  wird  ,  an  welchem  sie  sich  wie  um  ein 
Charnier  dreht.  Er  untersucht  die  entsprechende  Seite  des  Gliedes,  wäh- 
rend dieser  Zeit  ist  diese  Klappe  durch  die  Hände  der  Gehülfen  ersezt. 
Nach  beendigter  Untersuchung  bringt  man  sie  wieder  an  ihren  Plaz  und 
Burger,  Chirurgie.  47 


738  PAPPVERBAND. 

untersucht  die  andere  Seite  auf  dieselbe  Weise.  Wenn  ein  zu  starker 
örtlicher  Druck  statt  hat ,  was  sich  durch  Böthe  kundgibt ,  so  legt  man 
Watte  dazwischen  und  wenn  die  Form  zu  hart  ist,  so  erweicht  man  sie  im 
Niveau  der  verdächtigen  Stelle  leicht  mit  Wasser ,  schweift  die  Pappe  et- 
was aus ,  streicht  Falten  aus ,  oder  legt  Watte  unter ;  fremde  Körper  im 
Werg  oder  in  der  Watte  entfernt  man.  Nach  beendigter  Untersuchung 
werden  die  Klappen  wieder  zusammengerückt ;  wenn  sie  sich  an  gewissen 
Punkten  den  Umrissen  des  Gliedes  nicht  mehr  anschmiegen  ,  so  erweicht 
man  sie  an  diesen  Stellen  durch  Befeuchten  mit  lauem  Wasser  oder  man 
füllt  die  leeren  Räume  mit  Watte  aus.  Wenn  ihre  Ränder  sich  nicht 
mehr  berühren-,  so  legt  man  Watte  oder  eine  der  Länge  nach  zusammen- 
gelegte Compresse  dazwischen ;  wenn  sie  reiten,  so  lässt  man  sie  entweder 
wie  sie  sind  und  füttert  sie  aus ,  oder  man  schneidet  einen  hinreichenden 
Längenstreifen  davon  ab.  Man  befestigt  sie  hierauf  mittels  einer  ge- 
stärkten Rollbinde,  welche  den  Verband  von  Neuem  ebenso  unverrückbar 
macht ,  wie  vorher.  Will  man  nach  dem  Gliede  sehen ,  oder  hat  ein 
Schwinden  stattgefunden,  was  man  durch  die  Percussion  erkennt ,  welche 
einen  hellen  Klang  gibt,  so  macht  man  in  der  gehörigen  Ordnung  die 
Rollbinde  los,  untersucht  die  Theile  auf  die  oben  angegebene  Weise  und 
legt  sie  wieder  an,  worauf  man  sie  nach  Bedürfniss  mit  neuen  gestärkten 
Kreistouren  wieder  zusammenzieht.  —  In  den  Fällen,  wo  Wunden,  Fisteln, 
Geschwüre  etc.  bestehen,  bringt  man,  wenn  man  während  der  Anfertigung 
des  Verbandes  keine  Oeffnungen  oder  Fenster  angelegt  hat ,  um  der  se- 
cernirten  Flüssigkeit  Austritt  zu  gestatten ,  Klappen  an ,  indem  man,  von 
dem  Längendurchschnitte  ausgehend,  zwei  seitliche  Trennungen,  die  eine 
über  die  andere  unter  dem  Niveau  der  Wunde ,  macht.  —  Der  Pappver- 
band hinterlässt  gern,  namentlich  wenn  er  über  Gelenke  weggeht,  Steifig- 
keit in  diesen ;  es  ist  deshalb  gerathen,  frühzeitig  Bewegungen  damit  vor- 
zunehmen ,  was  man  dadurch  ins  Werk  sezt ,  dass  man  den  Verband  im 
Niveau  der  Gelenke  in  seiner  vordem  Circumferenz  einschneidet ,  hinten 
aber  unversehrt  lässt,  welcher  leztere  Theil  dann  nach  Art  eines  Charniers 
gebogen  werden  kann.  Während  der  Bewegungen  werden  die  Klappen, 
welche  die  Bruchstücke  umgeben,  einander  stark  genähert.  —  Es  ist  hier 
der  Ort,  von  einigen  Modifikationen  zu  sprechen,  welchen  der  vorstehende 
Verband  unterworfen  wurde  ,  theils  in  der  Absicht ,  eine  schnellere  Ver- 
trocknung  desselben  herbeiführen ,  theils  ihn  wohlfeiler  herzustellen.  — 
Velpeau  schlug  statt  der  Stärke  die  Anwendung  des  Dextrins  vor. 
Dieses  wird  mit  etwas  Weingeist  angefeuchtet  und  mit  der  nöthigen 
Menge  Wasser  verdünnt.  Die  Verbandstücke  werden  damit  getränkt. 
Diese  trocknen  rascher  als  mit  Stärke,  werden  aber  auch  härter  und  da- 
mit beleidigender  als  mit  dieser.  Lafargue  bereitet  einen  Kitt  aus 
gleichen  Theilen  Gyps  und  noch  warmer  Stärke,  welcher  rasch  (in  2 — 4 
Stunden)  erhärtet.  Statt  der  Pappeschienen,  welche  einer  schnellen  Ver- 
trocknung  im  Wege  stehen,  wendet  Lafargue  Eisendrähte  von  i/3  bis 


PAPPVERBAND.  739 

*/12  Zoll  Stärke  an.  Diese  Modification ,  welche  ihr  Erfinder  Gyps- 
Stärkeverband  nennt ,  hat  das  Unangenehme ,  dass  beim  Verbinden  sich 
ein  Staub  verbreitet ,  welcher  das  Bett  beschmuzt  und  die  Bettleinwand 
verdirbt.  Eine  ähnliche  Modification  ist  die  von  Pirogoff  (s.  Gyps- 
verband).  Liraauge  wandte  arabisches  Gummi,  A.  Smee  eine 
Mischung  von  Kreide  und  arabischem  Gummi  an.  In  der  neuesten  Zeit 
hat  man  auch  das  Collodium  und  Auflösungen  der  Guttapercha  in  Schwe- 
felalcohol  und  Chloroform  vorgeschlagen.  Leztere  Stoffe  vertrocknen 
zwar  sehr  rasch,  sie  haben  aber  einen  übermässigen  Preis  und  dann  dürfte 
auch  der  penetrante  Geruch  von  ihrer  Anwendung  abhalten.  —  Lau- 
gier verfertigte  seinen  Verband  aus  Papier,  um  eine  weniger  kostspielige 
und  leichter  sich  zu  verschaffende  Substanz  als  die  Leinwand  zu  haben. 
Er  benuzt  Theerpapier,  dass  er  in  Streifen  schneidet ,  welche  er  in  mehr- 
fachen Lagen  und  verschiedenen  Richtungen  ohne  Anwendung  von  Schie- 
nen auf  das  Glied  klebt.  Aguilson  bedeckt  das  Glied  vorher  mit 
einem  in  Wasser  getauchten  Leinwandstreifen,  de  Lavacherie  mit 
einem  Stück  Klebepflaster.  Dieser  Verband  ist  der  Zerreisung  ausge- 
sezt ;  auch  ist  das  Theerpapier  schwerer  zu  erhalten  als  Leinwand ,  und 
wird  der  Verband  gewechselt,  so  muss  jedesmal  neues  Papier  dazugenom- 
men  werden,  was  bei  der  Leinwand  nicht  der  Fall  ist.  Ueber  eine  weitere 
Modification  des  Pappverbandes,  den  Wattverband,  s.  diesen  Artikel. 
—  Ausser  den  genannten  Klebstoffen  wurden  noch  Eiweiss  und  Mehl, 
Tischlerleim ,  Eiweiss ,  Gyps  .und  Fischleim ,  Käse ,  Kalk  und  Wasser, 
Töpfererde  etc.  angewendet ,  Substanzen ,  welche  der  Stärke  nachstehen, 
welche  dem  Wundarzte  aber  bisweilen  als  kostbare  Aushülfsmittel  dienen 
können.  —  Um  den  Verband  entfernen  zu  können,  ohne  ihn  aufzuschnei- 
den, weicht  man  ihn  mit  lauwarmem  Wasser  auf  und  nimmt  die  einzelnen 
Theile  desselben  behutsam  weg.  Wenn  keine  besondern  Umstände  zur 
Wegnahme  des  Verbandes  nöthigen  ,  so  kann  man  den  ersten  Verband 
unbedingt  bis  an  das  Ende  der  Kur  liegen  lassen.  Selbst  ein  Locker- 
werden desselben  ist  keine  Anzeige  zu  seiner  Erneuerung ,  wenn  er  nur 
gleich  das  erste  Mal  gehörig  fest  angelegt  wurde ,  weil  die  Consolidirung 
des  gebrochenen  Knochens  durch  den  Kleisterverband  viel  rascher  als  bei 
dem  gewöhnlichen  Verbände  vor  sich  geht.  Sollte  man  indessen  bei  einem 
zu  bedeutenden  Schwinden  des  Gliedes  nicht  ganz  beruhigt  sein,  so  bleibt 
immer  die  leicht  ausführbare  Durchschneidung  des  Verbandes  und  die 
damit  gegebene  Möglichkeit,  ihn  nach  Bedürfniss  zu  verengen,  übrig.  — 
Die  Vorzüge  des  Papp  Verbandes  sind  folgende:  1)  die  zu  seiner  Herstel- 
lung nöthigen  Materialien  sind  leicht  zu  beschaffen ;  2)  er  ist  leicht  und 
bequem  und  gewährt  eine  Sicherheit,  wie  kein  anderer  Verband;  3)  er 
umschliesst  das  Glied  so  fest  und  genau,  dass  dasselbe  ohne  Schmerzen 
bewegt  werden  und  der  Kranke  selbst  Orsveränderungen  vornehmen  kann; 
4)  durch  seinen  gleichmässigen  Druck  verhütet  er  die  übergrosse  Ge- 
schwulst und  Entzündung   und  begünstigt   die  Resorption  der  ergossenen 

47* 


740  PARASITEN. 

Flüssigkeiten.  Dazu  kommt  noch ,  dass  man  ihn  ,  wie  schon  bemerkt, 
selten  oder  gar  nicht  zu  wechseln  braucht  und  dass  mit  ihm  eine  schnel- 
lere Consolidation  des  gebrochenen  Knochens  erzielt  wird.  Von  unbe- 
rechnenbarem  Nuzen  ist  er  bei  Deliranten  ,  Epileptischen  ,  Blödsinnigen, 
Kindern  und  überhaupt  solchen,  denen  eine  lange,  ruhige  Lage  im  Bette 
unmöglich  ist.  —  Complicationen  der  Fracturen  wurden  bis  vor  Kurzem 
als  Contraindicationen  für  die  festen  Verbände  angesehen  ;  gegenwärtig 
stimmen  die  meisten  Wundärzte  darin  mit  einander  überein ,  dass  sie  es 
gerade  sind,  welche  sich  am  wirksamsten  gegen  die  verschiedenen  Com- 
plicationen erweisen  (s.  Wattverband  und  Schienen). 

Paracentesis ,  s.  Punction. 
Paraphimosis,  s.  Euthe. 

Parasiten,  Schmarozerthiere.  Die  parasitischen  Thiere 
zerfallen ,  je  nachdem  sie  aussen  am  Körper ,  oder  im  Innern  leben,  in 
Epizoen  (Läuse  und  Milben)  und  E  ntoz  o  en  (Eingeweidewürmer). 
Von  den  erstem  interessiren  den  Wundarzt  zunächst  die  Milben  (Aca- 
rina),  von  denen  besonders  zu  nennen  sind  :  1)  die  Kräzmilbe  (Aca- 
rus  scabiei,  Sarcoptes  hominis),  und  2)  die  Haarsackmilbe 
(Acarus  folliculorum,  comedonum).  Die  Kräzmilbe  ist  die 
einzige  Ursache  der  Kräze  ;  die  Haarsackmilbe  ist  weniger  schädlich,  ver- 
anlasst bisweilen  Entzündung  und  Vereiterung  der  Haarsäcke  und  Talg- 
drüsen. —  Von  den  Entozoen  hat  es  die  Chirurgie  nur  mit  einigen  Gat- 
tungen zu  thun ,  welche  entweder  in  geschlossenen  Höhlen  gewisser  Or- 
gane, oder  auch  im  eigentlichen  innern  Gewebe  der  Organe  des  mensch- 
lichen Körpers  leben.  Diese  sind  :  aus  der  Ordnung  der  Blasenwür- 
mer (Cystica),  der  Ecchinococcus  hominis  und  der  Cysti- 
cercus cellulosae  (s.  Cysten),  und  aus  der  Ordnung  der  Rund- 
würmer (Nematoidea)  die  Filaria  medinensis.  Von  den 
zwei  erstem  war  schon  in  dem  Artikel  Cysten  die  Rede ,  es  wird  also 
hier  nur  von  dem  lezten  gehandelt  werden.  —  Die  Filaria  s.  Vena 
medinensis,  der  Medina-,  Faden-  oder  Guineawurm  kommt 
nur  in  heissen  Landstrichen,  besonders  von  Guinea  vor,  wird  aber  von  da 
bisweilen  nach  Europa  verschleppt.  Der  Fadenwurm  hat  seinen  Aufent- 
halt beim  Menschen  im  subcutanen  Bindegewebe,  besonders  an  den  Füs- 
sen, aber  auch  an  andern  Orten,  am  Rücken,  an  den  Oberschenkeln,  in 
der  Nase,  im  Auge  etc.  Er  sizt  bald  mehr  oberflächlich,  meistens  kreis- 
oder  schlangenf  örmig  gewunden ,  bisweilen  auch  ziemlich  gerade  ausge- 
streckt ;  bald  tiefer ,  zwischen  den  Muskeln ,  um  die  Sehnen  herumge- 
schlungen etcv  Er  ist  matt  weiss  ,  auch  graulich  oder  bräunlich  ,  cylin- 
drisch,  Kopf-  und  Schwanzende  verschmälern  sich  ;  der  Mund  ist  kreisrund 
und  mit  vier  kleinen  Papillen  versehen.  Er  kommt  bis  zu  12  Fuss  Länge 
vor  und  zeigt  je  nach  der  verschiedenen  Länge  die  Dicke  eines  Rosshaars 
bis  zu  der  einer  dicken  Guitarrensaite.   Der  Fadenwurm  kann  sich,  indem 


PARULIS.  741 

er  heranwächst,  mehrere  Monate,  selbst  einige  Jahre  im  menschlichen  Kör- 
per ohne  Beschwerde  für  denselben  aufhalten.  Erwachsen  verursacht  er 
aber  grosse  Schmerzen  und  kann  Abmagerung  und  selbst  den  Tod  verur- 
sachen. Gewöhnlich  sucht  er  sich  indessen  einen  Ausweg  aus  dem  Kör- 
per durch  die  Haut ,  in  welcher  er  durch  die  andrängende  Spize  seines 
Kopfendes  eine  Entzündung  und  Eiterung  erregt,  die  Stelle  in  eine  Pustel 
erhebt,  mit  dem  Kopfe  hervorbricht  und  sich  zolllang  und  länger  hinaus- 
schiebt. — -  Man  sucht  den  Wurm  zu  entfernen,  indem  man  das  zu  Tage 
getretene  Ende  so  weit  herauszuziehen  sucht ,  dass  man  es  um  ein  Stäb- 
chen oder  einen  Pflastercylinder  winden  kann ,  das  man  dann  täglich  ein 
bis  zwei  Mal  behutsam  dreht,  bis  der  Wurm  ausgezogen  ist,  wobei  man 
aber  möglichst  eine  Abreissung  vermeidet  und  daher  bei  dem  geringsten 
Widerstände  anhält.  Das  hervorgezogene  Stück  befestigt  man  jedesmal 
mit  Heftpflaster  oder  einer  Compresse  über  der  Wunde.  Eine  Zerreis- 
sung  des  Wurms  veranlasst  die  übelsten  Zufälle ;  das  zurückgebliebene 
Ende  kann  nur  in  Folge  einer  langen  und  beschwerlichen  Eiterung,  gegen 
die  man  erweichende  Cataplasmen  und  vorzüglich  die  von  Kuhmist  rühmt, 
herausbefördert  werden;  zuweilen  tritt  selbst  Brand  ein.  Liegt  der  Wurm 
oberflächlich,  so  dass  man  ihn  fühlt,  so  kann  man  auf  ihn  einschneiden, 
ihn  dann  ergreifen  und  herausziehen. 

Parotis,  s.  Speicheldrüse. 

Jr&rullS,  (naoa,  bei,  neben,  und  ovXov,  Zahnfleisch),  die  Zahn- 
fleischgeschwulst. Man  versteht  hierunter  eine  entzündliche  An- 
schwellung des  Zahnfleisches,  welche  meistens  von  einer  Entzündung  des 
Periosts  ausgeht  und  von  furchtbar  reissenden  Schmerzen  begleitet  ist. 
Die  Anschwellung  ist  gewöhnlich  nicht  beträchtlich  und  auf  das  Zahn- 
fleisch beschränkt ;  manchmal  verbreitet  sie  sich  jedoch  auch  über  die  be- 
nachbarten Theile,  namentlich  die  Wange.  Sich  selbst  überlassen  kommt 
es  unter  Nachlassen  der  heftigen  Schmerzen  zur  Eiterbildung  mit  schnel- 
lem Durchbruche  an  einer  oder  mehreren  kleinen  Stellen,  aus  denen  dann 
noch  lange  Zeit  hindurch  dünner  Eiter  entleert  wird.  Bei  sehr  heftiger 
Entzündung  und  Verzögerung  der  Entleerung  des  Eiters  kann  oberfläch- 
liche Nekrose  des  Kieferrandes  die  Folge  sein.  —  Die  Ursache  ist 
meist  ein  cariöser  Zahn ,  zuweilen  Quetschungen  beim  Zahnausziehen, 
rheumatische  Leiden  etc.  —  Behandlung.  Ist  das  Uebel  noch  im 
Entstehen  ,  so  wird  es  durch  das  Ansezen  eines  oder  mehrerer  Blutegel 
oder  besser  einer  kräftigen  Scarification  des  Zahnfleisches  oft  schnell  be- 
seitigt. Gelingt  die  Zertheilung  nicht ,  so  befördert  man  die  Eiterung 
durch  Auflegen  von  in  Milch  gekochten  und  aus  einander  gerissenen  Fei- 
gen, Datteln,  grossen  Rosinen,  und  sobald  man  die  geringste  Fluctuation 
wahrnimmt,  so  macht  man  ohne  Zögern  einen  tiefen  Einschnitt,  um  dem 
Eiter  Abfluss  zu  verschaffen  und  Nekrose  des  Kieferrandes  zu  verhüten. 
Die  Nachbehandlung  besteht  in   dem  Ausspülen   des  Mundes   mit  lauem 


742  PHLEGMASIA  ALBA  DOLENS. 

Wasser.  —  Wenn  sich  diese  Geschwulst  mehrmals  an  derselben  Stelle 
reproducirt ,  so  ist  anzunehmen ,  dass  dem  Leiden  ein  cariöser  Zahn  zu 
Grunde  liegt ;  man  muss  ihn  daher  ausziehen,  was  aber  erst  nach  Heilung 
der  Parulis  geschehen  darf. 

Pferdefuss,  s.  Klumpfuss. 

PhimOSis,  s.  Ruthe. 

Phlegmasia  alba  dolens,  weisse  schmerzhafte  Schen- 
kelgeschwulst. Mit  diesem  Kamen  bezeichnet  man  eine  Krankheit, 
welche  sich  durch  eine  weissliche ,  ödematöse,  meist  schnell  auftretende 
und  höchst  schmerzhafte  Anschwellung  des  Schenkels  kund  gibt.  Man 
trifft  sie  vorzugsweise  bei  Wöchnerinnen,  bei  denen  sie  meist  einige  Tage 
nach  der  Geburt  oder  wenigstens  vor  der  4.  bis  5.  Woche  auftritt;  doch 
kommt  die  Krankheit  auch  bei  Frauen  ausser  dem  Wochenbette  und  bei 
Männern  vor.  Sie  befällt  nur  ein  Bein  und  zwar  meistens  das  linke  ; 
zuweilen  hat  man  ein  Befallenwerden  des  andern  Gliedes  nach  dem  Ab- 
schwellen des  erst  ergriffenen  beobachtet.  —  Man  unterscheidet  eine  ent- 
zündliche und  nicht  entzündliche  Form.  Die  entzündliche  Schen- 
kelgeschwulst beruht  wesentlich  auf  einer  Entzündung  der  Schenkelvenen, 
zuweilen  auch  der  Lymphgefässe  des  Schenkels  und  in  seltenen  Fällen 
auf  einer  entzündlichen  Infiltration  des  Schenkelbindegewebes ,  welche 
ohne  vorausgegangene  Entzündung  der  Gef  ässe  vorkommen  kann  ,  nicht 
selten  aber  von  einer  Entzündung  der  Zellhaut  der  Vene  ihren  Ausgang 
nimmt.  Die  Infiltration  des  Zellgewebes  ist  je  nach  den  Umständen 
serös,  plastisch  serös,  blutig  serös,  zuweilen  mit  einzelnen  mehr  oder  we- 
niger grossen  und  verbreiteten  Eiterherden.  Diese  Form  der  Schenkel- 
geschwulst wird  am  häufigsten  bei  Wöchnerinnen  angetroffen.  ■ —  Die 
nicht  entzündliche  Form  beruht  auf  einer  spontanen  Gerinnung 
oder  Stockung  des  Blutes  in  den  Schenkelvenen  oder  einer  Stauung  der 
Lymphe ,  wodurch  das  Oedem  und  durch  dieses  die  farblose  Geschwulst 
bedingt  wird  ;  die  Geschwulst  kann  übrigens  auch  eine  livide  bläuliche 
Färbung  annehmen ,  wenn  die  venöse  Stase  auf  die  oberflächlichen  Capil- 
largefässe  übergreift.  Diese  Form  der  Schenkelgeschwulst  findet  sich 
gewöhnlich  nicht  bei  Wöchnerinnen,  sondern  bei  mechanischen  Hinder- 
nissen in  der  oberhalb  gelegenen  Bahn  der  Venen  und  Lymphgefässe  oder 
am  Schlüsse  erschöpfender  Krankheiten  (bei  Typhus,  Exanthemen,  Tuber- 
kulose etc.).  —  Ursachen.  Die  Entzündung  der  Schenkelvenen 
kann  durch  dieselben  Ursachen  zu  Stande  kommen ,  wie  die  der  Venen 
überhaupt.  Im  Wochenbette  nimmt  man  gewöhnlich  eine  Erkältung  an. 
Es  muss  hier  diese  Venenentzündung  vorzugsweise  häufig  entstehen,  weil 
sich  die  Phlebitis  vom  Venenplexus  des  Uterus  leicht  auf  die  Schenkel- 
gef ässe  verbreiten  kann.  —  Symptome.  Die  Femoralphlebitis  bei 
Wöchnerinnen  kündigt  sich  durch  Frost ,  Abgeschlagenheit ,  Fieber, 
Schlaflosigkeit   an ;   bald   entsteht  Schmerz   und  Gespanntheit   des   einen 


PHLEGMASIA  ALBA  DOLENS.  743 

Schenkels  vom  Bauche  bis  zum  Knie ,  oft  über  das  ganze  Bein.  Gemei- 
niglich schwillt  darauf  das  leztere  sehr  rasch ,  oft  über  Nacht,  und  zwar 
von  oben  nach  unten  ;  auch  die  Schamlippe  der  Seite  schwillt  mit  an. 
Die  Haut  wird  gespannt,  weiss,  glänzend.  Zugleich  nimmt  der  Schmerz 
zu,  das  Fieber  steigert  sich  und  zeigt  mehr  und  mehr  den  Character  des 
nervösen  oder  torpiden.  —  Es  hängt  von  den  Producten  der  Phlebitis 
und  etwaigen  Complicationen  ab,  welchen  Ausgang  die  Krankheit  nimmt. 
Bei  Eintritt  von  Pyärnie  ist  derselbe  fast  sicher  tödtlich  ;  wo  der  gebildete 
Eiter  in  den  Venen  eingebalgt  ist ,  kann  die  Kranke  durch  Aufbrechen 
der  Abscesse  gerettet  werden.  In  den  günstigen  und  wie  es  scheint  häu- 
figeren Fällen,  wo  nur  Verstopfung  und  Obliteration  der  Vene  und  keine 
Eiterbildung  erfolgt ,  nimmt  das  Oedem  und  damit  die  Geschwulst  nach 
kürzerem  oder  längerem  Bestehen  ab  ,  oft  unter  starker  Ausdehnung  der 
Venen  des  Beins  und  Bauchs,  durch  welche  eine  ersezende  Collateralcir- 
culation  hergestellt  wird.  Nicht  selten  bleibt  die  Geschwulst  auch  chro- 
nisch zurück  und  es  kann  die  Haut  zu  versch wären  anfangen.  —  Be- 
handlung. Bei  der  entzündlichen  Schenkelgeschwulst  hat  die 
Behandlung  der  acuten  Venen-  und  Lymphgefässentzündung  einzutreten, 
mit  Berücksichtigung  der  Ausbreitung  der  Entzündung  auf  das  Bindege- 
webe. Daher  zieht  man  neben  vollkommener  Ruhe  und  erhöhter  Lage 
des  Schenkels  nach  dem  Grade  und  der  Ausdehnung  der  Entzündung 
wiederholte  örtliche  Blutentziehungen  mit  Blutegeln  oder  Schröpf  köpfen, 
bei  heftiger  Spannung  Scarificationen  und  nach  der  Beschaffenheit  des 
Fiebers  und  dem  Kräftezustande  eine  Aderlässe,  sodann  erweichende  und 
narkotische  Bähungen  und  Breiumschläge  in  Gebrauch.  Nach  Mässigung 
der  entzündlichen  Erscheinungen  zeigen  sich  Einreibungen  der  Quecksil- 
bersalbe, bei  heftigen  Schmerzen  mit  narkotischen  Zusäzen  z.  B.Digitalis- 
extract  und  Bilsenkrautöl,  später  fliegende  Vesicantia  von  Nuzen.  Inner- 
lich reicht  man  für  den  Anfang  salinische  Abführmittel,  Brechweinstein, 
Calomel,  bei  massigem  Fieber  und  geringerer  Entzündung  Nitrum,  Digi- 
talis, Potio  Riveri  mit  Nitrum,  Opium  mit  Nitrum.  Kommt  Suppurations- 
fieber,  so  gibt  man  China,  Mineralsäuren,  Chlor.  Ist  die  Entzündung 
gebrochen  ,  so  muss  die  Behandlung  gegen  das  zurückbleibende  Oedem 
gerichtet  werden.  Zu  diesem  Behufe  wickelt  man  das  ganze  Glied  mit 
einer  Flanellbinde  massig  fest  ein  und  bedeckt  dieses  mit  Wachstaffet. 
Daneben  lässt  man  die  Resorption  befördernde  Mittel,  Jodsalbe,  reizende 
Linimente  einreiben  und  gibt  innerlich  Diuretica,  namentlich  Salpeter  und 
Fingerhut,  schweisstreibende  Mittel,  Campher,  Ipecacuanha,  Antimon  etc., 
zeitweise  ein  massiges  Abführmittel ,  endlich  Jodpräparate.  —  Bei  der 
nicht  entzündlichen  Schenkelgeschwulst  kann  man  gleich  mit  den 
die  Resorption  befördernden  Mitteln  beginnen.  Neben  einer  geeigneten 
Lage  und  der  methodischen  Compression  wendet  man  Bähungen  mit 
Essig ,  erwärmtem  Wein  ,  Dampfdouchen  ,  aromatische  oder  harzige  Bä- 
hungen  und  Räucherungen ,   alcalinische,   salinische  oder  Jodbäder ,   rei- 


744  PHOSPHORNEKROSE  DER  KIEFER. 

zende  Einreibungen,  wie  mit  flüchtiger  Salbe,  mit  Terpentinöl,  mit  Jod- 
tinktur etc. ,  in  hartnäckigen  Fällen  Hautreize ,  namentlich  fliegende 
Blasenpflaster  an.  Daneben  darf  die  innerliche  Anwendung  der  ver- 
schiedenen die  Secretion  antreibenden  Mittel  nicht  versäumt  werden. 

PhoSphomekrOSe  der  Kiefer.  Diese  neue  ,  erst  seit  der 
Einführung  der  Streichhölzerfabrication  bekannte  Krankheit  beruht  auf 
der  Einathmung  der  in  solchen  Fabriken  herrschenden  theils  mit  phos- 
phoriger, theils  auch  mit  Phosphorsäure  geschwängerten  Luft.  Sie  zeigt 
sich  bei  Personen,  welche  längere  Zeit  in  derartigen  Fabriken  gearbeitet 
haben ,  und  wird  unter  Vermittlung  der  mit  Phosphorsäure  gesättigten 
Mundflüssigkeit  erzeugt.  Sie  beginnt  mit  Zahnschmerzen  in  cariösen 
Zähnen,  deren  Gegenwart  ein  wesentliches  Bedingniss  für  ihre  Entste- 
hung zu  sein  scheint ;  diese  Annahme  wird  wenigstens  durch  die  Beob- 
achtung wahrscheinlich  gemacht,  dass  die  Fälle  von  Phosphornekrose  viel 
seltener  geworden  sind,  seit  man  Arbeiter  mit  cariösen  Zähnen  nicht  mehr  zu- 
gelassen hat.  Doch  ist  damit  nicht  die  Möglichkeit  geläugnet,  dass  die 
Phosphorsäure  nicht  auch  zwischen  dem  Zahnfleische  und  dem  Zahnhalse 
in  die  Tiefe  dringen  könne.  —  Die  nächste  Wirkung  der  Phosphorsäure 
ist  die  Erregung  einer  bald  acuten ,  bald  mehr  chronischen  Entzündung 
der  Zahn-  und  Alveolarbeinhaut ,  welche  sich  eben  durch  den  genannten 
Zahnschmerz  zu  erkennen  gibt.  Dieser  Schmerz  verbreitet  sich  bald 
über  mehrere  Zähne ,  oft  über  die  ganze  Kieferhälfte  ,  ist  von  einer  An- 
schwellung des  Zahnfleisches  und  Neigung  desselben  zu  Blutungen  ,  so 
wie  von  Schwellung  der  Lymphdrüsen  des  Halses  gefolgt;  weiterhin 
werden  die  Zähne  wacklig  und  fallen  aus,  und  unter  fortschreitender  An- 
schwellung des  Zahnfleisches  und  der  Wange  bricht  ersteres  endlich  an 
mehreren  Stellen  auf  und  wird  geschwürig.  Mit  der  Sonde  kann  man 
den  entblössten  Knochen  fühlen ,  der  endlich  mit  der  Ausbreitung  des 
Uebels  mehr  oder  weniger  aus  dem  Zahnfleisch  hervorragt  und  unter  star- 
ker Eiterung  ausgestossen  wird.  Die  Periostitis  kann  eine  solche  Aus- 
dehnung erreichen,  dass  am  Ende  der  ganze  Ober-  und  Unterkiefer, 
selbst  das  Keilbein  und  ein  Theil  des  Stirnbeins  ergriffen  wird.  In  der 
Regel  findet  in  der  Umgebung  des  kranken  Knochenstücks  eine  reichliche 
Osteophytenbildung  statt ,  wodurch  die  Natur  die  Verluste  zu  ersezen 
strebt ;  nicht  selten  werden  aber  diese  Neubildungen  bald  auch  in  den 
Kreis  der  Zerstörungen  mit  hineingezogen  und  damit  das  Bestreben  der 
Natur,  wenigstens  theilweise,  wieder  vereitelt.  —  Mit  diesen  örtlichen 
Störungen  gehen  allgemeine  Hand  in  Hand  :  die  Kranken  fiebern,  kommen 
schnell  von  Kräften  und  die  langwierige  oft  Jahre  lange  Eiterung  und  die 
dabei  nicht  selten  sich  entwickelnde  Lungentuberculose  reiben  sie  häufig 
auf.  —  Behandlung.  Man  sucht  sich  vor  der  Krankheit  durch  Vor- 
binden von  Masken  und  nassen  Schwämmen  vor  den  Mund,  durch  fleissige 
Reinigung   desselben ,   so   wie   durch    die   Entfernung   schadhafter  Zähne 


PLASTISCHE  OPERATIONEN.  745 

oder  wenigstens  durch  Ausfüllung  derselben  mit  Wachs  oder  einem  Zahn- 
kitt zu  schiizen.  Stellen  sich  Zahnschmerzen  ein,  so  verlässt  der  Arbeiter 
am  besten  die  Phosphorräume.  Hat  sich  bereits  Periostitis  ausgebildet, 
so  verfährt  man  antiphlogistisch  durch  kalte  Umschläge,  Blutegel  an  das 
Zahnfleisch,  reichliche  Scarificationen  desselben,  selbst  durch  einen  Ader- 
lass.  Mit  dem  Zahnausziehen  hat  man  sich  in  Betreff  von  Kieferver- 
lezungen in  Acht  zu  nehmen,  bediene  sich  daher  nur  der  Zange  und 
unterlasse  es  bei  heftiger  Entzündung  ganz.  Im  weiteren  Verlaufe  sind 
die  entstehenden  Phlegmonen  frühzeitig  zu  incidiren  ;  das  Gleiche  hat  zu 
geschehen ,  wenn  bereits  Abscesse  bestehen.  Des  Weiteren  sorge  man 
für  Reinigung  des  Mundes  und  überlasse  die  Abstossung  des  Sequesters 
der  Natur.  Nur  wenn  dieser  vollkommen  gelöst  ist ,  entferne  man  ihn 
mit  den  Fingern  oder  der  Kornzange.  Ragt  ein  todtes  Knochenstück  in 
störender  Weise  hervor ,  so  kann  man  es  vorsichtig  mit  einer  scharfen 
Zange  abtragen.  —  Die  innere  Behandlung  richte  sich  nach  den  Um- 
ständen. 

Plastische  Operationen,  operative  Plastik,  plasti- 
sche Chirurgie,  Chirurgia  cur  forum.  Die  organische  Plastik 
beabsichtigt  die  fehlenden  Theile  des  Körpers  durch  andere  lebende 
Theile,  und  zwar  fast  ausschliesslich  durch  Hautstücke,  welche  anderswo- 
her entnommen  und  an  der  Stelle  desDefects  an-  oder  eingeheilt  werden, 
zu  ersezen.  Das  zum  Ersaz  des  Defects  bestimmte  Hautstück  (E  r  s  a  z  - 
läppen)  kann  entweder  von  demselben  Körper  hergenommen  werden 
(Autoplastik),  oder  auch  von  einem  andern  entlehnt  sein  (Hetero- 
plastik).  —  Das  characteristische  Merkmal  der  in  Rede  stehenden 
Operationen  ist  also  im  Allgemeinen  die  Transplantation  eines  Hautstücks, 
welches  aus  seinem  bisherigen  Zusammenhange  durch  das  Messer  getrennt 
und  mit  frisch  wund  gemachten  Hauträndern  an  einer  andern  Stelle  durch  die 
Naht  vereinigt  wird,  um  es  daselbst  anzuheilen.  Die  verschiedenen  Grundme- 
thoden, deren  man  sich  bei  plastischen  Operationen  überhaupt  bedienen  kann, 
lassen  sich  im  Allgemeinen  als  folgende  bezeichnen  :  J  )  Das  Herbeizie- 
hen der  Haut  aus  der  nächstenNähe  nach  Abtrennung  derselben 
von  dem  unter  ihr  liegenden  Gewebe,  wodurch  die  Haut  viel  verschiebbarer 
und  ausdehnbarer  und  hinreichend  wird  zur  Deckung  des  Defects.  Von 
ähnlicher  Wirkung  sind:  2)  seitliche  Einschnitte  (nach  Dief- 
fenbach)  mit  oder  ohne  Abtrennung  der  Haut  von  ihrer  Unterlage. 
Man  macht  auf  einer  oder  auf  beiden  Seiten  des  Defects  einen  Schnitt, 
der  mehr  oder  minder  parallel  mit  der  Wunde  sich  hinzieht ;  hierdurch 
wird  die  allzugrosse  Spannung  in  den  zusammengenähten  Partien  vermin- 
dert und  das  Herbeiziehen  der  Haut  überhaupt  möglich  gemacht ;  die 
Schnitte  selbst  werden  der  Eiterung  überlassen.  3)  Seitliche  Ver- 
schiebung eines  Hautlappens.  Von  dem  einen  Ende  der 
Wunde   aus ,    welche  bedeckt   werden   soll ,    niuss    in   diesen  Fällen   ein    / 


746  PLASTISCHE  OPERATIONEN. 

Schnitt  in  Winkelform  3  Halbkreisform  etc.  geführt  werden ,  welcher  die 
eine  Seite  der  Wunde  zu  einem  verschiebbaren  Lappen  macht.  4)  Trans- 
plantation durch  allmählige  Weiterpflanzung  des  Lap- 
pens. Roux  verpflanzte  einen  von  der  Unterlippe  genommenen,  und 
für  die  Wangenbildung  bestimmten  Hautlappen  einstweilen  auf  die  Ober- 
lippe, Hess  ihm  Zeit  sich  einigermassen  heimisch  zu  machen  und  pflanzte 
ihn  dann  weiter.  Auf  diese  Weise  wird  es  möglich ,  Hautlappen  nach 
Theilen  hinzuschaffen,  in  deren  Nachbarschaft  keine  Haut  zum  Ersaze  zu 
finden  ist.  5)  Transplantation  eines  gestielten  Lappens, 
d.  h.  eines  Hautstücks,  das  nur  durch  eine  kleine  Brücke,  einen  Stiel 
(Nutrix)  mit  dem  Mutterboden  im  Zusammenhange  bleibt  (erste  in- 
dische Methode).  Dieser  Lappen  erfährt ,  um  an  seinen  neuen 
Standort  zu  gelangen,  eine  Drehung  an  dem  Stiele,  welcher  schliesslich, 
wenn  die  Anheilung  erfolgt  ist,  durchschnitten  wird.  S.  Rhinoplas- 
tik.  6)  Entlehnung  der  Haut  von  einem  entfernt  liegen- 
den Körpertheile.  Dabei  wird  entweder  die  Stelle  des  Defects  die- 
sem Körpertheile  genähert,  z.  B.  der  Oberarm  der  Nase,  und  zwar  erst 
nachdem  der  zu  ersezende  Theil  vollständig  gebildet  ist  (italienische 
oder  Tagliacozzi'sche  Methode)  oder  ohne  diese  Vorbereitung 
(deutsche  oder  Gräfe 'sehe  Methode),  oder  aber  es  wird  ein 
gänzlich  aus  seinem  Zusammenhange  gelöstes  Hautstück  zur  Ausgleichung 
eines  Defects  verwendet  (zweite  indische  Methode).  Vergl. 
Rhinoplastik.  ■ —  Bei  der  Bildung  der  Ersazlappen  müssen  verschie- 
dene Umstände  berücksichtigt  werden.  Zuerst  muss  die  Beschaffen- 
heit der  Haut,  aus  welcher  man  den  Lappen  nehmen  will ,  wohl  er- 
wogen werden.  Je  grösser  ihr  Gef  ässreichthum ,  ihre  Derbheit  und 
Dehnbarkeit,  je  geringer  ihre  Contractilität ,  desto  brauchbarer  ist  sie  im 
Allgemeinen  zu  plastischen  Operationen.  Die  Haut  der  Extremitäten 
eignet  sich,  weil  ihr  diese  Eigenschaften  abgehen,  nicht  zu  solchen  Ope- 
rationen, nur  die  Vola  manus  und  die  Planta  pedis  machen  hierin 
eine  Ausnahme.  Die  Haut  des  Rückens  und  der  Baucbwand  ist  schon 
besser ,  am  geeignetsten  ist  aber  die  des  Gesichts ,  namentlich  gilt  dies 
von  der  Haut  der  Stirne  und  Nase  ;  sie  eignet  sich  ihrer  Derbheit  und  ge- 
ringen Contractionsvermögens  wegen  besonders  zu  gestielten  Lappen, 
während  die  leicht  verschiebbare  und  dehnbare  Haut  der  Wangen  und 
Lippen  sich  mehr  zum  Ersaz  vonDefecten  durch  Hautverschiebung  eignet. 
—  Bei  dem  Ausschneiden  des  Ersazlappens  muss  auf  das  Einschrumpfen 
desselben  Bedacht  genommen  werden.  Je  nach  der  grösseren  oder  ge- 
ringeren Dicke  der  Haut  wird  man  das  Modell  oder  die  Bezeichnung  der 
Endpunkte  für  den  Hautlappen  um  ein  Viertheil  bis  ein  Dritttheil  grösser 
machen  müssen,  als  die  angestellte  Messung  ergab.  —  Von  Wichtigkeit 
sind  die  Veränderungen ,  welche  der  transplantirte  Hautlappen  durch- 
läuft. Unmittelbar  nach  seiner  Ablösung  erblasst  er,  wird  kühl  und  con- 
trahirt  sich ,   worauf  er   nicht  selten  durch  den  gehinderten  Rückfuss  des 


POLYPEN.  747 

Blutes  durch  die  Venen  des  Stiels  eine  bläuliche  Färbung  bekömmt. 
Angeheftet  bekömmt  er  wieder  etwas  natürliche  Röthe  und  Wärme, 
welche  sich  nach  einiger  Zeit  bis  zur  Entzündung  steigern  können,  womit 
auch  eine  Anschwellung  des  Lappens  verbunden  ist.  Alles  dies  ist  in 
massigem  Grade  erwünscht.  Denn  wenn  sich  die  blaue  Färbung  erhält, 
so  kann  dies  ebenso  zum  brandigen  Absterben  des  Lappens  führen ,  als 
wenn  er  blass  und  schlaff  bleibt.  Bei  zu  hoher  Steigerung  der  entzünd- 
lichen Zufälle  macht  man  kalte  Umschläge  und  sezt  einige  Blutegel  an. 
Nach  einigen  Tagen  lässt  dieser  Zustand  wieder  nach  und  der  Lappen 
erhält  nach  und  nach  die  natürliche  Hautfarbe.  Bemerkenswert!!  ist, 
dass  der  Kranke  nicht  selten  bei  Berührung  des  Lappens  in  der  ersten 
Zeit  die  Empfindung  davon  an  der  früheren  Stelle  des  Lappens  hat,  was 
seine  Erklärung  darin  findet ,  dass  in  dem  Hautlappen  unverlezte 
Nervenäste  verlaufen.  —  Der  günstigste  Zeitpunkt  für  die  Anheftung 
ist,  wenn  das  Aussickern  des  Blutes  aus  den  Wundrändern  des  Ersazlap- 
pens  aufgehört  hat.  Zur  Vereinigung  bedient  man  sich  der  blutigen 
Naht  und  zwar  je  nach  der  Localität  der  umschlungenen  oder  Knopfnaht. 
—  Ein  besonderes  Verfahren  wird  nothwendig ,  wenn  die  eine  Seite  des 
Ersazlappens  frei,  d.  h.  unangeheftet  bleibt,  wie  es  bei  dem  organischen 
Ersaze  der  Nase,  der  Lippen  etc.  der  Fall  ist,  indem  ein  solcher  frei  blei- 
bender Rand  in  Folge  der  Narbencontraction  sich  so  bedeutend  zurück- 
zieht, dass  der  Zweck  der  Operation  vereitelt  werden  kann.  Um  dies  zu 
verhüten  gibt  es  verschiedene  Wege:  entweder  macht  man  den  Lappen  in 
der  Richtung  des  frei  bleibenden  Randes  absichtlich  zu  lang,  oder  man 
schlägt  diesen  Rand  um  und  heftet  ihn  an  (s.  Rh  in  oplas  tik)  ,  oder 
umsäumt  ihn  mit  benachbarter  Schleimhaut.  Lezteres  Verfahren  kommt 
nicht  blos  da  in  Anwendung ,  wo  es  sich  von  dem  Zurückweichen  eines 
freien  Hautrandes  handelt,  sondern  auch  überall  da ,  wo  das  Verwachsen 
neu  gebildeter  Oeffnungen  verhütet  werden  soll ,  wie  bei  der  Operation 
des  verschlossenen  Mundes,  der  Lippenbildung  etc.      S.  diese  Artikel. 

PlattfilSS,  s.  K 1  u  m  p  f  u  s  s. 

PolypGIl,  Polypi  (ttoIvc ,  viel,  novg,  Fuss)  werden  gestielte 
Auswüchse  der  verschiedensten  Form  und  Grösse  genannt ,  welche  sich 
auf  den  Schleimhäuten  der  verschiedenen  Höhlen  entwickeln.  Sie  haben 
ursprünglich  nur  einen  Fuss  ,  mit  welchem  sie  auf  der  Schleimhaut  auf- 
sizen ,  doch  können  sie  Verwachsungen  mit  ihrer  Schleimhauthöhle  oder 
mit  der  Oberfläche  anderer  Polypen  eingehen  und  so  wirklich  vielfüssige 
Gewächse  darstellen.  Die  Gestalt  der  Polypen  ist  im  Beginne  ihrer  Ent- 
stehung meist  birnförmig ;  in  ihrer  weiteren  Entwicklung  können  sie  in 
Folge  des  Drucks  der  umschliessenden  Höhlen  die  mannigfaltigsten  Verän- 
derungen erfahren  ;  nicht  selten  kriechen  sie  oft  weithin.  —  Man  theilt 
die  Polypen  nach  ihrem  Size  in  Polypen  der  Nase,  des  Uterus,  des  Mast- 
darms etc. ;  nach  ihrer  Structur  in  weiche  und  harte  Polypen.  —  Die 


748 


POLYPEN. 


weichen,  Schleim-  oder  Blasenpolypen  sind  im  Allgemeinen 
weisslich  graue  oder  gelbliche,  halbdurchscheinende  Gewächse,  die  von 
einem  Schleimhautepithelium  umhüllt  sind  und  im  Innern  aus  lockerem 
Bindegewebe  bestehen,  das  grössere  Zellenräume  bildet,  in  welchen  eine 
eiweissartige  Flüssigkeit  enthalten  ist.  Drückt  man  solche  Polypen  zu- 
sammen, so  zerreisst  das  zarte  Gewebe  ,  die  Flüssigkeit  ergiesst  sich  und 
das  Gewächs  fällt  zusammen!  Diese  Polypen  wachsen  gewöhnlich  schnell, 
vergrössern  sich  bei  feuchter ,  vermindern  sich  bei  trockener  Witterung 
und  sind  häufig  zu  gleicher  Zeit  mehrfach  vorhanden.  Ihre  Entstehung 
scheint  besonders  durch  Erschlaffung  der  Schleimhaut  begünstigt  zu  wer- 
den, und  gewöhnlich  gehen  dieser  als  veranlassende  Ursachen  anhaltende 
oder  öfters  wiederkehrende  hyperämische  oder  entzündliche  Zufälle  der 
Schleimhaut  voraus,  welche  sich  durch  Anschwellung  derselben,  durch 
periodische  Blutungen,  veränderte  Secretion  u.  s.  w.  aussprechen. 
Der  chronischen  Schleimhautentzündung  liegen  oft  dyscrasische  Zu- 
stände zu  Grunde.  Unter  solchen  Umständen  bildet  sich  im  sub- 
mucösen  Zellgewebe  reichlicheres  Exsudat,  die  Schleimhaut  wird 
stellenweise  emporgehoben,  diese  Aufwulstung  vergrössert  sich  zur  Ge- 
schwulst, welche  nach  und  nach  durch  freie  Entwicklung  nach  einer 
Richtung  hin  und  durch  Hängen  eine  gestielte  Form  erhält.  —  Die.  har- 
ten, Fleisch-  oder  Faserpolypen  enthalten  viel  weniger  Flüssig- 
keit^ bestehen  grösstentheils  aus  Fasern  und  zeigen  alle  die  Modificatio- 
nen ,  welche  man  bei  den  Fasergeschwülsten  antrifft ,  nämlich  bald  zeigt 
der  Polyp  ein  mehr  oder  minder  gef  ässreiches  Bindegewebe,  bald  gleichen 
die  Fasern  mehr  den  einfachen  Muskelfasern ,  bald  mehr  denjenigen  der 
fibrösen  Gebilde,  was  eine  mehr  oder  minder  grosse  Derbheit  der  Polypen 
bedingt  und  die  Unterscheidung  in  Fleisch-  und  Faserpolypen  begründet. 
Sie  dringen  tiefer  in  das  submucöse  Gewebe  als  die  vorhergehenden  ein 
und  gelangen  selbst  auf  das  Periost.  Deshalb  haften  sie  auch  fester  auf 
ihrer  Unterlage.  Sie  bleiben  häufig  klein ,  zuweilen  erreichen  sie  aber 
auch  eine  beträchtliche  Grösse ,  gestalten  sich  dann  weniger  nach  der 
Höhle ,  in  der  sie  sich  entwickeln ,  sondern  treiben  oft  durch  Druck  die 
knöchernen  Wandungen  der  Höhle  auseinander.  Ihre  Oberfläche  ist 
meist  glänzend,  bisweilen  mit  Furchen  und  Einschnitten  versehen,  oft  ver- 
breiten sich  auch  erweiterte  grosse  Gef  ässe  über  sie  hin,  in  welchem  Falle 
sie,  besonders  wenn  sie  eingeklemmt  sind,  ein  rothes  oder  bläuliches  Aus- 
sehen haben  und  nicht  selten  zu  bedeutenden  Blutungen  Anlass  geben.  — 
Die  Fleischpolypen  verdanken  ihre  Entstehung  fast  immer  einer  par- 
tiellen Schleimhautwucherung,  veranlasst  durch  chronische  Entzündung,  sie 
erscheinen  daher  anfangs  als  warzenartige  Excrescenzen,  die  erst  nach  und 
nach  eine  gestielte  Form  annehmen  ;  zuweilen  entwickeln  sie  sich  auch  aus 
weichen  Polypen.  Man  findet  sie  auf  allen  Schleimhäuten,  besonders  an  der 
Uebergangsstelle  zur  äussern  Haut.  Die  fibrösen  Polypen  entwickeln 
sich  bald   aus   den  Fleischpolypen ,   wenn  das  Gebilde  zusammengepresst 


POLYPEN. 


749 


wird,  bald  und  zwar  gewöhnlich  entstehen  sie  ursprünglich  als  solche  aus 
tieferen  Schichten  und  erhalten  einen  schleimhäutigen  Ueberzug  nur  durch 
Hervordrängung  der  Schleimhaut.  Diese  Form  der  harten  Polypen  zeigt 
sich  einerseits  an  Schleimhäuten,  welche  über  Knochen  hingehen ,  wie  an 
der  hintern  und  obern  Pharynxwand  und  in  den  Nasenhöhlen,  wo  sie  mit 
der  Beinhaut  und  den  Knochen  zusammenhängen,  andererseits  ,  und  dies 
am  häufigsten,  in  der  Gebärmutter,  wo  sie  von  deren  Fleischsubstanz  aus- 
gehen. —  Eine  dritte  Art  von  Polypen  sind  die  bösartigen,  welche 
man  als  s  c  i  r  r  h  ö  s  e  und  f  u  n  g  ö  s  e  unterscheidet ;  es  ist  dies  ein  Krebs 
oder  Markschwamm  ,  der  sich  in  der  Form  von  Polypen  entwickelt.  — 
Prognose.  Die  weichen  Polypen ,  die  einen  weniger  heftigen  Druck 
auf  ihre  Umgebungen  ausüben  und  sich  leichter  entfernen  lassen,  sind  bei 
weitem  gefahrloser  als  die  harten.  Je  breiter  die  Basis  des  Polypen  ist, 
um  so  schwieriger  ist  seine  Entfernung ;  dasselbe  ist  der  Fall,  je  entfern- 
ter sie  von  den  Eingängen  der  Höhle  wurzeln  und  je  mehr  ihre  Grösse 
die  Anwendung  der  geeigneten  Instrumente  erschwert.  Recidive  sind 
auch  bei  vollständiger  Entfernung  nicht  selten ,  immer  aber  um  so  mehr 
zu  besorgen,  wenn  ein  Stück  bei  der  Operation  zurückgeblieben  ist.  — 
Weit  verbreitete  Eiterung  und  Versch wärung ,  veranlasst  durch  zahlreiche 
Polypen,  häufig  wiederkehrende  Blutungen  können  nebst  den  heftigen, 
diese  Zufälle  begleitenden  Schmerzen  zur  Todesursache  des  Kranken 
werden.  —  Behandlung.  So  lange  der  Polyp  noch  klein  und  weich 
ist ,  kann  man  versuchen ,  eine  Zurückbildimg  desselben  herbeizuführen. 
In  dieser  Absicht  richtet  man  seine  Thätigkeit  gegen  die  veranlassenden 
Ursachen,  sezt  Blutegel  in  der  Nähe  an,  macht  Einsprizungen  von  kaltem 
Wasser,  von  Alaun,  schwefelsaurem  Zink  und  Eisen,  Bleizucker,  Höllen- 
stein, bringt  einen  Druck  an  etc.  Man  verliere  aber  mit  diesen  Mitteln 
nicht  viel  Zeit  und  hüte  sich,  das  Uebel  damit  noch  schlimmer  zu  machen. 
Zuverlässiger  ist  die  Entfernung  der  Polypen  auf  operativem  Wege  ;  diese 
wird  bewirkt  durch  Ausreissen,  Abbinden,  Abschneiden,  Zerstörung  durch 
Aezmittel  oder  das  Glüheisen,  durch  Zerquetschen,  Einziehen  eines  Haar- 
seils ;  häufig  ist  die  Combination  einzelner  dieser  Verfahren  nothwendig. 
Die  Wahl  der  einzelnen  Operationsmethoden  hängt  von  der  Besonderheit 
des  Falls  ab.  —  Das  Ausreissen  eignet  sich  besonders  für  diejenigen 
Polypen ,  welche  einen  dünnen  und  zugängigen  Stiel  haben  und  an  einer 
unnachgiebigen  Wand  sizen,  welche  dem  Zuge  nicht  folgt.  Man  bedient 
sich  hierzu  der  Zange  oder  Schlinge  und  dreht  oder  reisst  sie  geradezu 
ab.  Das  Ausreissen  ist  eine  einfache  Operation  und  gewährt  den  Vor- 
theil ,  dass  der  Polyp  mit  der  Wurzel  entfernt  wird,  daher  seltener  Reci- 
dive folgen  uud  weniger  leicht  Blutung  eintritt.  —  Das  Abbinden  der 
Polypen  mit  einer  einfachen ,  um  die  Basis  gelegten,  oder  mit  mehreren 
um  und  durch  die  Basis  geführten  Schlingen  ist  umständlich,  länger 
dauernd  und  schmerzhaft,  auch  verursacht  es  heftige  Anschwellung  und 
Zersezung   des   Polypen ,   sichert   aber  vor  Blutungen.      Es  ist  daher  nur 


750  PRURIGO. 

bei  blutreichen  Polypen,  die  an  beweglichen  Wandungen  sizen,  eine  breite 
Wurzel  haben  und  für  Werkzeuge  zum  Ausreissen  oder  Ausschneiden 
nicht  zugänglich  sind,  angezeigt.  Wo  das  E  er  as  em  e  nt  lin  e  air  e 
(s.  Abbinden)  und  die  galvanocaustische  Schneideschlinge  (s.  Elec- 
trotherapie)  anwendbar  sind,  kann  die  Entfernung  der  Polypen  schnel- 
ler und  mit  weniger  Beschwerde  für  den  Kranken  als  auf  die  gewöhnliche 
Weise  bewerkstelligt  werden.  —  Das  Abschneiden  ist  nur  da  mög- 
lich ,  wo  man  der  Wurzel  des  Polypen  gut  beikommen  und  auch  nach- 
her blutstillende  Mittel  anwenden  kann,  da  hier  am  ehesten  Blutung 
zu  fürchten  ist.  Recidive  stellen  sich  nach  dieser  Operationsmethode 
gern  ein ,  wenn  die  zurückbleibende  Wurzel  nicht  nach  der  Exstirpation 
noch  durch  Aezmittel  oder  das  Feuer  zerstört  wird.  —  Zuweilen  ist  eine 
partielle  Abschneidung  eines  Polypen  als  Hülfsoperation  nothwendig  ,  um 
den  nöthigen  Eaum  für  eine  der  andern  Methoden  zu  gewinnen.  Auch 
kann  man  einen  Polypen  vorerst  umbinden  und  dann  abschneiden ,  um 
Blutung  zu  verhindern.  —  Die  übrigen  Operationsmethoden  finden  nur 
eine  sehr  beschränkte  Anwendung.  Das  A  e  z  e  n  und  besonders  das 
Brennen  mit  dem  Glüheisen  ist  nur  auf  die  sogenannten  bösartigen 
Polypen  beschränkt  und  wird  des  Weitern  zur  Zerstörung  von  Polypen- 
resten  und   zur  Stillung  von  Blutungen  nach  andern  Operationen  benuzt. 

—  Das  Zerquetschen  passt  nur  bei  Blasenpolypen  zur  Verkleinerung 
derselben,  um  Raum  zu  schaffen  für  einen  leichteren  Angriff  ihrer  Basis. 

—  Das  Einziehen  eines  Haarseils  empfahl  Weinhold  bei  Polypen 
der  Highmorshöhle,  und  Hoffmann  beseitigte  dadurch  einen  Polypen 
in  der  Stirnhöhle. 

Prurigo,  Pruritus,  Jucken  der  Haut.  Dieses  eigenthüm- 
liche  Leiden  des  Hautorgans  begleitet  symptomatisch  mehrere  Exantheme 
besonders  chronischer  Form,  kommt  jedoch  als  eine  selbstständige  und 
für  sich  bestehende  x^ffection  besonders  an  den  Genitalien  (Pruritus 
partium  genitalium)  alter  Wittwen  und  Jungfrauen  (Prurigo 
vulvae),  am  After  junger  Knaben  und  Erwachsener  (Prurigo  podi- 
c  i  s),  am  Mittelfieische  und  After  der  Gicht-  und  Goldaderkranken  (P  r  u- 
ritus  arthriticus,  haemorrhoidalis)  vor  und  kann  bei  atra- 
bilärer  oder  psorischer  Schärfe  so  heftig  und  hartnäckig  werden,  dass  der 
Kranke  bei  Tag  und  Nacht  keine  Ruhe  hat  und  endlich  an  der  Abzehrung 
sterben  kann.  —  Behandlung.  Diese  muss  zuerst  auf  Entfernung 
der  Ursachen,  z.  B.  Menstrualstockungen,  Ascariden,  psorische,  gichtische 
Dyscrasien  gerichtet  werden ;  sind  diese  beseitigt,  dann  erst  schreite  man 
zu  örtlichen  Mitteln,  Waschungen  mit  dem  Seifen wasser  der  Kokosnussöl- 
seife,  schwachen  Sublimatlösungen  in  Rosenwasser,  Sublimat  gr.  ij  auf 
A  q.  c  a  1  c  i  s  5 j  ;  eine  starke  Auflösung  von  Borax  in  Wasser  zum  Waschen 
und  Einsprizen  4  —  5  Mal  des  Tags  (Rp.  Borac.  5ij  ,  Aq.  de  still, 
^vj,  Aq.  laur  o  ceras  i  5j.    M.)  ,   von  chlorsaurem  Natron  (Rp.  Natr. 


PSEUDARTHROSIS.  751 

chlorat.  5ij,  A  q.  des  tili,  ^iv,  solve.  S.  Zum  Waschen)  bei  Pru- 
ritus vulvae  junger  Mädchen  in  der  Pubertätsentwicklung  und  bei 
Frauen  nach  Ausbleiben  der  Reinigung ;  von  Kali  bicarbonicum, 
Kali  sulphuratum  (Rp.  Kali  bicarbon.  5j  ,  —  sulphurat. 
5ij  ,  A  q.  destill,  ^jsolv.  S.  Waschwasser),  Waschungen  mit  ver- 
dünntem aromatischen  Essig ,  Schwefellebersolution ,  bei  Pruritus  a  r  - 
thriticus  Einreibungen  von  Kalkwasser  mit  Weingeist,  bei  Prurigo 
senilis  Infrictionen  der  Pix  liquida  (^j)  mit  Opium  (5j)  und  Fett 
(^iv),  innerlich  Vinum  colchici  5ß  täglich.  Bei  Pruritus  glan- 
d  i  s  nach  geheilten  Trippern  legt  man  ein  kleines  Blasenpflaster  auf  das 
Mittelfleisch ,  bringt  Bougies  in  die  Harnröhre  und  macht  Waschungen 
mit  Bleizucker ,  Eisenvitriol  oder  Sublimat.  Bei  Pruritus  vulvae 
applicirt  man  einige  Blutegel  in  die  Nähe  der  Schamtheile  ,  wäscht  diese 
Öfters  mit  einer  Solution  von  Kali  bicarbonicum  in  Gerstenwasser 
und  lässt  Copaivabalsam  zu  2  0  Tropfen  einige  Mal  täglich  nehmen.  — 
Einige  weitere  gerühmte  Zusammensezungen  sind :  Rp.  Jodureti  sul- 
phur.  »)j — 5ß,  Ungt.  rosat.  ^j.  M.  f.  liniment.  S.  In  die  jucken- 
den Stellen  einzureiben.  —  Rp.  Sulphat.  zinci  arte  f  a  ct.  5ij, 
solv.  in  Infus,  flor.  althaeae  ex  5ß  par.  5vj.  S.  Waschwasser 
(bei  Prurigo  pudendi  et  prurigo  haemorrhoidalis).  —  Rp. 
Kreosoti  5ß  ,  Aq.  destill.  Jvj.  M.  S.  ZuFomenten  (bei  Prurigo 
scroti).  —  Rp.  Jodii  puriss.  gr.  xv,  Kali  hydrojod.  *)ij  solv. 
in  Aq.  de  still.  3jv,  adde  Alcohol.  5J.  M.  S.  Alle  2  Stunden  die 
juckenden  Stellen  mittels  eines  Waschschwämmchens  damit  zu  befeuchten 
(bei  Prurigo  perinaei  et  vulvae;  im  lezteren  Falle  sehr  verdünnt). 

PseudarthrOSis  (ipavfyg,  falsch,  aQ&QOOGig,  Gelenk),  fal- 
sches, widernatürliches  Gelenk,  heisst  jeder  veraltete ,  nicht 
durch  Knochenmasse,  sondern  nur  durch  ein  bandartiges  Gebilde  zur  Ver- 
einigung gekommene  Knochenbruch ,  wodurch  an  der  Stelle  des  Bruchs 
eine  widernatürliche  Beweglichkeit ,  wie  von  einem  daselbst  befindlichen 
Gelenke,  entsteht.  —  Die  falschen  Gelenke  machen  das  davon  befallene 
Glied  mehr  oder  weniger  unbrauchbar.  —  Die  Stellung  der  Bruchenden 
in  dem  widernatürlichen  Gelenke  zu  einander  kann  eine  sehr  verschiedene 
sein  und  darnach  auch  seine  Festigkeit  und  Beweglichkeit.  Bald  stehen 
die  Bruchenden  gegen  einander ,  berühren  sich  mit  mehr  oder  weniger 
Oberfläche,  und  sind  entweder  nur  durch  eine  fibröse  Masse  mit  einander 
verbunden,  so  dass  die  Verbindung  einer  Synehondrose  gleicht ;  oder  die 
Bruchenden  sind  glatt,  überknorpelt,  von  einer  serösen  und  fibrösen  Kap- 
sel umschlossen ,  die  eine  der  Synovia  ähnliche  Flüssigkeit  enthält ,  und 
das  Gelenk  hat  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  einer  Diarthrose.  Bei 
dieser  Art  von  Gelenk  findet  man  bisweilen  einen  Zwischenknorpel  und 
die  Bruchenden  so  verändert,  dass  das  eine,  gewöhnlich  das  beweglichere, 
eine  Gelenkhöhle,  das  andere  einen  Gelenkkopf  darstellt.     Zuweilen  sind 


752  PSEUDARTHROSIS. 

die  Brückenden  in  gar  keiner  directen  Verbindung  mit  einander,  sondern 
durch  zwischenliegende  Weichtheile  von  einander  getrennt  und  mit  diesen 
durch  ligaruentöse  Massen  verwachsen ,  was  immer  eine  sehr  grosse  Be- 
weglichkeit zur  Folge  hat.  Nicht  immer  fehlt  bei  den  Pseudarthrosen 
die  Callusbildung  ganz  ,  sondern  es  finden  sich  mitunter  sehr  merkliche 
Callusgeschwülste.  —  Die  Ursachen  des  falschen  Gelenks  sind  ent- 
weder örtliche  oder  allgemeine  constitutionelle.  Zu  den  ersten  gehören : 
schlechte  Einrichtung  des  Bruchs,  zu  lockerer  Verband,  häufige  Bewegung 
des  Bruchs  ,  zu  fester  Verband  und  zu  lange  fortgesezte  Anwendung  der 
Kälte,  wodurch  die  Exsudatbildung  und  Organisation  derselben  behindert 
werden ;  ferner  zwischen  den  Bruchenden  liegende  Weichtheile ,  lose 
Knochensplitter  etc.  Zu  den  allgemeinen  Ursachen  sind  zu  rechnen : 
zu  wenig  nährende  Diät ,  hohes  Alter ,  Schwangerschaft,  gewisse  dyscra- 
sische  Zustände ,  namentlich  scorbutische ,  syphilitische,  mercurielle,  car- 
cinomatöse  Dyscrasie.  —  Die  Bildung  der  Pseudarthrosen  geht  unter 
der  Einwirkung  der  genannten  Ursachen  entweder  in  der  Weise  vor  sich, 
dass  gleich  ursprünglich  das  Exsudat  keine  Tendenz  zur  Verknöcherung 
hat,  sondern  sich  zu  fibrösem  Gewebe  umgestaltet,  oder  dass  das  Exsudat 
bis  zur  knorpligen  Beschaffenheit  gelangt ,  dann  aber  in  solcher  verharrt, 
oder  endlich,  dass  verknöcherter  Callus  durch  Resorption  wieder  zu  einer 
frühern  Bildungsstufe  zurückkehrt  und  knorplig  wird.  —  Der  Zeitpunkt, 
wenn  eine  feste  Vereinigung  bei  Knochenbrüchen  zu  Stande  kommt,  ist 
zwar  sehr  verschieden ,  doch  kann  man  das  widernatürliche  Gelenk  als 
ausgebildet  betrachten ,  wenn  schon  sechs  und  mehr  Monate  verflossen 
sind  ,  ohne  dass  eine  feste  Vereinigung  eingetreten  ist.  —  Behand- 
lung. Diese  hat  die  Aufgabe,  die  Verknöcherung  der  nicht  vereinigten 
Bruchstelle  herbeizuführen ,  oder  wenn  dies  nicht  gelingt ,  dem  Knochen 
durch  geeignete  Verbände  eine  solche  Festigkeit  zu  geben,  dass  er  wenig- 
stens einigermassen  seinen  Verrichtungen  nachkommen  kann.  In  ersterer 
Absicht  zieht  man ,  je  nach  den  zu  Grunde  liegenden  Ursachen  innere, 
auf  die  Callusbildung  wirkende  Mittel  in  Gebrauch,  fixirt  die  Bruchenden 
gehörig,  sezt,  wenn  die  milderen  Mittel  nicht  zum  Ziele  führen,  die 
Bruchenden  in  Entzündungszustand,  oder  entfernt  oder  zerstört  die  sie 
verbindende  Zwischensubstanz.  —  Innere  Mittel  finden  neben  einem  pas- 
senden Verbände  ihre  Anwendung,  wenn  bei  zögernder  oder  mangelhafter 
Verknöcherung  oder  eintretender  Rückbildung  allgemeine  Krankheitsver- 
hältnisse zu  Grunde  liegen,  und  müssen  nach  der  Natur  dieser  verschieden 
sein.  Bei  mangelhafter  Ernährung  reicht  man  neben  einer  nahrhaften 
Diät  tonisirende  Mittel,  China,  Eisen  u.  dgl. ;  die  bestehenden  Dyscrasien 
müssen  ihrer  Natur  nach  behandelt  werden.  —  Ist  häufige  Bewegung  der 
Bruchenden  die  wahrscheinliche  Ursache  der  Nichtvereinigung ,  so  kann 
besonders  bei  frischen  Synchondrosen  ein  anhaltender  fester  Contentiv- 
verband,  bestehend  in  einem  Schienen-  oder  Pappverbande,  oder  bei 
Schiefbrüchen   eine  permanente   Extension  in  Verbindung  mit  einem  die 


PSEUDARTHROSIS.  753 

Verriickung  der  Bruchenden  hindernden  Verbände  versucht  werden.  — 
Erreicht  man  auf  diesem  Wege  seinen  Zweck  nicht ,  so  sucht  man  eine 
Entzündung  und  Ausschwizung  an  der  Bruchstelle  zu  erregen.  Die  hierzu 
dienenden  Mittel  sind  zahlreich  und  bestehen:  1)  in  der  Anwendung  von 
Reizmitteln  auf  die  Decken  der  Bruchstellen ;  solche  Mittel  sind :  Ein- 
reibungen von  geistigen  Mitteln,  Bestreichen  mit  Jodtinktur,  Blasenpflaster, 
die  Anwendung  von  Aezmitteln  ;  2 )  in  dem  Aneinanderreihen  der 
Bruchenden,  welches  man  so  lange  fortsezt,  bis  die  Bruchstelle  empfind- 
lich wird,  worauf  man  die  Bruchenden  in  anhaltender  Ruhe  erhält.  Einige 
Hessen  auch  bei  gebrochenem  Ober-  oder  Unterschenkel  die  Kranken  mit 
einem  festen  Verbände  versehen  umhergehen.  Dieses  Verfahren  passt 
wie  das  vorige  nur  bei  frischen  Fällen;  3)  in  der  Einführung  von 
Nadeln  zwischen  die  Bruchenden ,  die  man  entweder  längere  oder  kür- 
zere Zeit ,  je  nach  dem  Eintritte  der  Reaction ,  liegen  lässt ,  oder  aber 
mittels  deren  Spize  man  durch  Hin-  und  Herbewegen  die  ligamentösen 
Verbindungen  zu  trennen  sucht.  B  i  o  n  d  i  gebraucht  in  lezterer  Absicht 
ein  nadeiförmiges  zweischneidiges  Messerchen;  4)  in  der  Anbohrung 
der  Bruchenden  und  Einführung  von  elfenbeinernen  Zapfen  in  die  Bohr- 
kanäle nach  Dieffenbach.  Die  Zapfen  bleiben  an  Ort  und  Stelle,  bis 
Reaction  eintritt,  worauf  man  sie  mit  einer  Zange  auszieht;  5)  in  der 
Einführung  eines  Haarseils,  das  man,  je  nachdem  man  nur  Entzün- 
dung und  plastische  Ausschwizung,  oder  aber  zugleich  Vereiterung,  somit 
Zerstörung  der  zwischen  den  Bruchenden  befindlichen  faserigen  oder 
knorpeligen  Massen  bewirken  will ,  kürzere  oder  längere  Zeit  beibehält. 
Das  temporäre  Haarseil  passt  bei  veralteten  Synchondrosen ,  das  liegen- 
bleibende bei  Diarthrosen,  bei  denen  die  Resection  nicht  auszuführen  ist. 
Zur  Operation,  bei  welcher  man  die  Bruchenden  aus  einander  ziehen  lässt, 
bedient  man  sich  einer  starken  Nadel ,  die  man  unter  Vermeidung  von 
Nerven,  Gefässen  und  Sehnen  zwischen  den  Bruchenden  durchsticht  und 
die  Schnur  einzieht.  Die  Nachbehandlung  ist  wie  bei  dem  Haarseil  über- 
haupt (s.  d.).  Das  temporäre  Haarseil  entfernt  man  nach  einigen  Tagen, 
das  liegenbleibende  lässt  man  am  Plaze,  bis  die  Bruchstelle  sich  zu  con- 
solidiren  anfängt;  6)  in  der  Anwendung  einer  Ligatur.  Dieses  von 
Somme  vorgeschlagene  Verfahren  besteht  in  der  allmäligen  Durchschnei- 
dung der  fibrösen  Zwischensubstanz  mittels  eines  Silberdrahts.  Die 
kranke  Extremität  wird  an  der  Stelle  der  Pseudarthrose  an  deren  einer 
Seite  mit  einem  langen  Troicart  durchbohrt ,  das  Stilet  zurückgezogen 
und  an  dessen  Stelle  das  eine  Ende  eines  langen  Silberdrahts  durch  die 
Canüle  hindurchgeführt.  Alsdann  wird  auch  diese  entfernt  und  der  Troi- 
cart auf  der  andern  Seite  des  falschen  Gelenks  in  derselben  Richtung 
durch  das  Glied  gestossen,  und  zwar  so ,  dass  seine  Spize  durch  dieselbe 
Ausstichstelle,  wie  beim  ersten  Male  hervortritt.  Nach  weggenommenem 
Stilet  wird  der  Silberdraht  in  der  Art  durch  die  Canüle  gezogen,  dass  die 
beiden  Enden  des  Drahts  sich  inBerühung  befinden,  auf  der  andern  Seite 
Burger,  Chirurgie.  48 


754  PSEUDARTHROSIS. 

aber  eine  Schlinge  bilden ,  welche  die  Zwischensubstanz  umfasst.  Die 
Weichtheile,  welche  sich  zwischen  den  beiden  Einstichspunkten  befinden, 
werden  nun  in  der  Richtung  von  dem  einen  zum  andern  bis  auf  den 
Knochen  durchschnitten,  die  Drahtschlinge  aber  allmälig  immer  fester  zu- 
sammengedreht, so  dass  durch  sie  die  von  ihr  umfassten  Weichtheile,  ins- 
besondere also  die  fibröse  Zwischensubstanz  zusammengeschnürt  und 
durchschnitten  werden.  Somme  erzielte  mit  diesem  Verfahren  die  Con- 
solidation  bei  einem  Schenkelbruche  innerhalb  6  Wochen  ;  während  der 
Kur  lag  das  Glied  in  einer  Bruchlade;  7)  in  dem  Zerreissen  oder 
Zerbrechen  der  Zwischensubstanz,  welches  nach  Günther  geschieht, 
indem  man  die  Bruchstelle  stark  über  das  Knie  biegt.  Führen  auch  diese 
Mittel  nicht  zum  Ziele ,  so  bleibt  nur  die  directe  Entfernung  oder  Zer- 
störung der  die  Bruchenden  verbindenden  fibrösen  und  cartilaginösen 
Zwischenmasse  übrig.  Dies  wird  durch  die  Resection  und  Cauterisation 
ins  Werk  gesezt.  —  Behufs  der  Resection  wird  die  Bruchstelle  durch 
einen  hinreichenden  Längenschnitt  an  der  Seite  des  Glieds,  wo  der  Kno- 
chen am  oberflächlichsten  liegt  und  Gef  ässe  und  Nerven  geschont  werden 
können,  blossgelegt ,  von  den  umgebenden  und  verbindenden  Theilen  ge- 
trennt ,  zur  Wunde  herausgedrückt ,  die  Weichtheile  durch  eine  unterge- 
legte Platte  gesichert  und  dann  der  fibröse  oder  knorpelige  Ueberzug  mit 
der  Säge,  Knochenscheere,  Kneipzange  oder  dem  Messer  abgetragen ,  bis 
eine  reine  Knochenfläche  sich  darbietet.  Kann  man  nicht  beide  Bruch- 
enden aus  der  Wunde  herausführen ,  so  resecirt  man  blos  das  eine  und 
scarificirt  oder  cauterisirt  das  andere.  Nach  der  Operation  bringt  man 
die  Knochenenden  in  gehörige  Lage ,  vereinigt  die  Wunde  nach  gestillter 
Blutung  durch  Heftpflaster  oder  die  Naht  und  legt  einen  provisorischen 
Bruchverband  an ;  im  Uebrigen  verfährt  man  wie  bei  einem  mit  einer 
Wunde  complicirten  Bruche.  Die  Resection  ist  eine  Operation,  die  den 
beabsichtigten  Zweck  am  gründlichsten  erfüllt,  aber  auch  das  eingreifend- 
ste Verfahren  unter  allen  blutigen  Eingriffen  bei  der  Pseudarthrose.  Man 
unternimmt  sie  daher  nur,  wenn  mildere  Verfahren  fruchtlos  versucht  wor- 
den sind,  hauptsächlich  bei  Diarthrosen.  Die  üblen  Folgen ,  welche  ein- 
treten können  ,  sind  heftig  ausgebreitete  Entzündung  ,  profuse  Eiterung, 
Pyämie,  Caries  etc.  Die  Resection  bedingt  immer  Verkürzung  des  Glieds. 
—  Die  Cauterisation  wird  entweder,  wie  bereits  oben  angegeben 
wurde,  blos  aushülfsweise,  oder  aber  für  sich  allein  angewendet.  In  lez- 
terer  Absicht  legt  man  die  Bruchfläche  bloss  und  lässt  Aezmittel ,  z.  B. 
Spiessglanzbutter,  Chlorspiessglanz,  Spiritus  nitri  fumans,  Aezkali 
etc.  längere  oder  kürzere  Zeit  nach  vorheriger  Wegnahme  der  membra- 
nösen  Masse  auf  die  Knochenenden  einwirken.  B  a  r  t  o  n  legt  das  falsche 
Gelenk  vor  dem  Aezen  nicht  bloss,  sondern  äzt  zuerst  die  Decken  durch, 
und  dann  die  zwischen  den  Knochenenden  liegende  ligamentöse  Masse. 
Mayor  stach  einen  dicken  Troicart  zwischen  den  Bruchenden  durch  und 
Hess  die  Canüle  8  Stunden  lang  liegen ,  während  welcher  Zeit  mehrmals 


PSOASENTZUENDUNG.  755 

ein  bis  zur  Temperatur  des  siedenden  Wassers  erhizter  Eisenstab  in  sie 
eingeführt,  wurde.  —  Schlagen  alle  diese  Mittel  fehl ,  so  kann  nur  von 
einer  palliativen  Hülfe  die  Rede  sein,  indem  man  dem  Gliede  einige  Festig- 
keit giebt.  Dieses  erreicht  man  durch  geeignete  Verbände.  Am  besten 
eignen  sich  hierzu  gepolsterte  Metallschienen ,  die  so  eingerichtet  sein 
müssen,  dass  das  Hauptgefäss  des  Gliedes  nicht  comprimirt  wird.  Bail- 
1  i  f  hat  einen  solchen  Verband  angegeben.  An  den  obern  Extremitäten 
ist  ein  solcher  Verband  von  Nuzen,  an  den  untern  dagegen  kann  man  der 
Krücke  nicht  entbehren. 

Psoasentztindung,  Psoitis.  Diese  Entzündung  hat  ihren 
Siz  in  dem  Musculus  psoas  und  quadratus  lumborum  und  in 
dem  sie  umgebenden  Zellgewebe.  —  Symptome.  Diese  sind  ver- 
schieden, je  nachdem  das  Leiden  acut  oder  chronisch  auftritt.  Im  ersten 
Fall  fühlt  der  Kranke  zuweilen  plözlich  Schmerzen  in  den  Lenden  und 
kann  nur  mit  Beschwerde  gehen,  oder  es  geht  den  Schmerzen,  die  sich 
nur  allmälig  verstärken,  eine  prickelnde  Empfindung  voraus.  Der  Schmerz 
erstreckt  sich  auf  den  Schenkel  hinunter ,  oft  bis  zum  Knie.  Er  wird 
heftiger ,  wenn  der  Kranke  den  Schenkel  aufheben  oder  strecken ,  über- 
haupt den  Körper  gerade  richten  will ,  was  ihn  nöthigt,  den  Schenkel  in 
halber  Beugung  zu  erhalten.  Die  äussere  Berührung  der  Lendengegend 
vermehrt  den  Schmerz  nicht.  Meistens  ist  heftiges  Fieber  zugegen.  Die 
chronische  Psoitis  dagegen  entzieht  sich ,  zumal  in  ihrem  Beginne ,  nicht 
selten  der  Wahrnehmung.  Die  Schmerzen  sind  wenig  constant,  bestehen 
oft  nur  in  einem  leichten  Prickeln ,  die  Bewegungen  des  Schenkels  er- 
regen nur  ein  unbestimmtes  Unbehagen  und  das  Gehen  ist ,  wenn  der 
Körper  etwas  vorgebeugt  ist,  nicht  gehindert.  Dagegen  ist  das  Umdrehen 
im  Liegen  und  das  Heben  schwerer  Lasten  oft  sehr  empfindlich.  Das 
Fieber  ist  gering  oder  fehlt  ganz.  —  Ursachen.  Sie  sind  äussere 
Gewalttätigkeiten  ,  heftige  Anstrengungen  ,  Erkältung ,  Rheumatismus, 
Gicht,  dyscrasische  Leiden  aller  Art.  —  Ausgänge.  Diese  sind  :  Zer- 
theilung ,  welche  meist  gelingt ,  wenn  das  oft  gelind  auftretende  Leiden 
nicht  vernachlässigt  wird ;  Eiterung ,  wobei  die  anfangs  sehr  heftigen 
Schmerzen  unter  Frostanfällen  gelinder  werden,  das  entzündliche  Fieber 
einen  schleichenden  Charakter  annimmt  und  der  gewöhnlich  über  eine 
weite  Strecke  des  Zellgewebes  sich  verbreitende  Eiter  sich  einen  Ausweg 
nach  aussen  sucht  (Pso  as -Ab  s  ce  s  s).  In  chronischen  Fällen  lässt  sich 
der  Eintritt  der  Eiterung  schwer  erkennen  und  dieselbe  wird  erst  offen- 
bar, wenn  der  Eiter  bis  unter  die  Haut  vorgedrungen  ist.  Dieser  Con- 
gestionsabscess  kommt  an  sehr  verschiedenen  Stellen  zu  Tage,  unter  dem 
Poupart'schen  Bande ,  in  der  Nähe  des  Mastdarms ,  auf  dem  Rücken  etc. 
Sehr  häufig  ist  mit  der  Eiterung  Caries  der  Lendenwirbel  verbunden, 
welche  indessen  Ursache  oder  Folge  der  Eiteransammlung  sein  kann.  — 
Prognose.     Sie  ist  bei  der  acuten  Form  nicht  ungünstig,  insofern  hier 

48* 


756  PULSADERGESCHWULST. 

die  gewöhnlich  zeitig  nachgesuchte  Hülfe  in  den  meisten  Fällen  die  Zer- 
theilung  möglich  macht ;  bedenklich  ist  sie  dagegen  bei  der  chronischen 
Psoitis,  die  manchmal  so  schleichend  auftritt ,  dass  man  sie  erst  bemerkt, 
wenn  schon  Eiterung  und  anderweitige  Zerstörungen  eingetreten  sind.  — 
Behandlung.  Sie  richtet  sich  nach  dem  Grade  der  Entzündung  und 
ihrer  Ursache.  Bei  heftiger  Entzündung  und  bestehender  Plethora  lässt 
man  zur  Ader ,  sonst  sezt  man  Blutegel  oder  Schröpfköpfe.  Daneben 
Ruhe,  Aufenthalt  im  Bette,  innerlich  Salpeter,  kühlende  Abführmittel  oder 
Calomel.  Mindert  sich  die  Entzündung,  so  wendet  man  flüchtige  Salben 
und  Blasenpflaster  an.  Bei  mehr  schleichendem  Verlaufe  zieht  man  je 
nach  der  Ursache  warme  Bäder ,  Dampfbäder ,  Tropf bäder ,  Vesicantien, 
flüchtige  Salben,  Guajac,  Schwefel,  Dower'sches  Pulver,  Campher  etc. 
und  in  hartn äckigen  Fällen  Moxen  oder  Acetas  morphii  auf  die  mit 
Acidum  sulphuricum  entblösste  Haut  in  Gebrauch.  —  Geht  die 
Entzündung  in  Eiterung  über,  so  kann  man  versuchen,  den  sich  bildenden 
Abscess  durch  lange  offen  gehaltene  Blasenpflaster  oder  Fontanellen  in 
der  Lendengegend  und  eine  innere  stärkende  Behandlung  zu  zertheilen. 
Gelingt  dies  nicht  und  wird  der  Abscess  immer  grösser ,  so  öffnet  man 
ihn  unter  den  in  dem  Artikel  Senkungsabscess  angegebenen  Cau- 
telen.      Die  Nachbehandlung  muss  eine  stärkende  sein. 

PlÜSadergeSChwulst,  Schlagadergeschwulst,  Aneu- 
rysma (ai'svqvvoo ,  ich  erweitere)  nennt  man  jede  mit  der  Höhle  einer 
Arterie  communicirende  ,  Blut  enthaltende  Geschwulst.  Man  theilt  die 
Pulsadergeschwülste  ein:  1)  nach  den  Ur  s  achen  in  sp  o  nt  an  e  und 
traumatische,  je  nachdem  eine  organische  Veränderung  oder  eine 
äussere  Verlezung  die  Ursache  ist;  2)  nach  ihrem  Size  in  äussere  und 
innere,  die  sich  an  den  Arterien  des  Kopfes ,  Halses  und  den  Glied- 
massen ,  oder  innerhalb  der  grossen  Körperhöhlen  bilden ;  3)  nach  dem 
Wesen  oder  den  pathologischen  Veränderungen  der  Arterien  in  wahre 
und  falsche,  je  nachdem  die  Geschwulst  durch  Ausdehnung  der  Arte- 
rienhäute oder  durch  Verwundung  derselben  entstanden  ist. 

I.  Das  wahre  oder  spontane  Aneurysma,  Aneur.  verum, 
welches  in  der  Erweiterung  sämmtlicher  Arterienhäute  besteht ,  kommt 
unter  vier  Hauptformen  vor,  welche  oft  mit  einander  verbunden  sind  oder 
in  einander  übergehen.  Sie  sind  :  1)  das  s  a  ckf  ör  m  i  ge  Ane  ury  s  ma, 
A.  sacciforme,  wo  die  Arterie  an  einem  Punkte  ihres  Umfangs  eine 
sackförmige  Hervorragung  zeigt ;  2 )  das  spindelförmige  Aneu- 
rysma ,  A.  fus  i  forme  ,  wo  der  ganze  Umfang  des  Arterienrohrs  eine 
Erweiterung  erlitten  hat,  die  aber  nach  unten  und  oben  abnimmt  (A.  dif- 
fusum); 3)  das  cylinder förmige  Aneurysma,  A.  cylindroi- 
d  e  u  m ,  wo  eine  grössere  Strecke  des  arteriellen  Kanals  gleichmässig  aus- 
gedehnt ist  (A.  circumscriptum);  4)  das  ästige  oder  varix- 
ähnliche   Aneurysma,    A.   racemosum,    cirsoideum,   ana- 


PULSADERGESCHWULST.  757 

stomos  ium,  anastomoticum,  per  anastomosin,  Varix  ar- 
te r  i  a  1  i  s  ,  wo  ein  grösserer  Theil  eines  Gef  ässes  oder  ein  ganzer  Ast 
ausgedehnt  ist ,  schlangenf  orange  Windungen  macht  und  stellenweise  oft 
sackförmig  erweitert  ist ;  in  den  schwammigen  Theilen  der  Knochen  bil- 
den sie  zuweilen  eine  Auftreibung  ,  welche  unter  dem  Namen  der  a  n  e  u  - 
rysmatischen  Knochengeschwulst  bekannt  ist.  —  Die  Wan- 
dungen der  erweiterten  Arterien  erleiden  mit  der  Zeit  mannigfaltige  Ver- 
änderungen. Haben  die  Arterienhäute  eine  sehr  bedeutende  Ausdehnung 
erfahren ,  so  zeigen  sich  die  Fasern  der  Mittelhaut  bisweilen  so  aus  ein- 
ander gewichen,  dass  die  innere  und  die  Zellenhaut  sackförmig  hervor- 
treten, was  man  das  A.  herniosum,  auch  A.  mixtum  internum 
nennt.  Am  häufigsten  findet  man  die  innere  und  mittlere  Arterienhaut 
zerstört  und  die  äussere  allein  den  Sack  der  Pulsadergeschwulst  bildend, 
was  das  A.  mixtum  ext  ernu  m  darstellt.  Ist  die  äussere  Haut  zer- 
stört und  die  mittlere  und  innere  sackförmig  hervorgetreten,  so  bezeichnet 
man  dies  mit  dem  Namen  des  A.  proptoticum.  Eine  seltene  Art  von 
Aneurysma  ist  endlich  das  A.  dissecans,  bei  welchem  nach  Trennung 
der  innern  und  mittlem  Gefässhaut  das  Blut  zwischen  die  Schichten  der 
leztern ,  so  wie  auch  zwischen  sie  und  die  äussere  Gefässhaut  eindringt 
und  durch  eine  zweite,  von  der  ersten  oft  ziemlich  weit  entfernte  OefFnung 
wieder  in  das  Gef ässrohr  zurückkehrt.  —  Vorkommen.  Aetiolo- 
g  i  e.  Das  spontane  Aneurysma  kann  an  mehreren  Stellen  zugleich  vor- 
kommen. Bei  Frauen  findet  man  es  weniger  als  bei  Männern,  was  seinen 
Grund  darin  hat ,  dass  die  Frauen  sich  nicht  so  starken  Anstrengungen 
aussezen ,  als  die  Männer.  Die  Aneurysmen  erscheinen  selten  vor  der 
Pubertät;  die  meisten  findet  man  zwischen  dem  3  0.  und  5  0.  Jahre.  Am 
häufigsten  kommen  sie  an  der  Art.  poplitaea,  der  A.  femoralis, 
carotis,  subclavia  und  axillaris  vor.  —  Als  Ursachen  der 
Aneurysmen  werden  angegeben  :  die  herpetische,  scrophulöse,  scorbutische, 
rheumatische ,  gichtische  Diathese ,  der  Missbrauch  spirituöser  Getränke, 
starke  Krümmungen  der  Arterien,  oberflächliche  Lage  derselben ,  heftige 
Anstrengungen  des  Körpers  oder  eines  Körpertheils.  Die  nächsten  Ur- 
sachen sind  Entartungen  der  Arterienhäute  in  Folge  des  atheromatösen 
Processes  (s.  den  Art.  Arterien);  wenn  das  Atherom  sich  in  das  Ge- 
f ässrohr  entleert  hat,  so  dringt  das  Blut  in  die  dadurch  entstandene  Lücke 
ein ,  dehnt  die  allein  noch  bestehende  nachgiebige ,  aufgelockerte  äussere 
Arterienhaut  aus  und  die  Bildung  des  Aneurysma  ist  damit  im  Wesent- 
lichen erfolgt.  —  Diagnose.  Das  wahre  Aneurysma  stellt  eine  Ge- 
schwulst dar,  welche  im  Laufe  einer  Arterie  oder  ganz  in  der  Nähe  einer 
solchen  gelegen  ist,  so  lange  sie  noch  klein  ist,  eine  abgerundete  oder  ei- 
förmige Gestalt  hat ,  sich  elastisch  anfühlt ,  isochronisch  mit  dem  Herz- 
schlag pulsirt  und  auf  Druck  verschwindet,  um  nach  Aufhebung  desselben 
sofort  wieder  zu  erscheinen.  Auf  einen  zwischen  der  Geschwulst  und 
dem  Herzen  angebrachten  Druck  hört  die  Pulsation  auf  und  die  Geschwulst 


758  PULSADERGESCHWULST. 

wird  weicher  ;  das  Gegentheil  findet  statt ,  wenn  man  unterhalb  der  Ge- 
schwulst einen  Druck  ausübt.  Bei  der  Auscultation  hört  man  ein  eigen- 
thümliches  Reibungsgeräusch,  ahnlich  dem  durch  eine  Raspel  veranlassten. 
Gewöhnlich  ist  die  aneurysmatische  Geschwulst  schmerzlos  und  die  sie 
bedeckende  Haut  anfangs  unverändert.  —  Je  mehr  das  Aneurysma  an 
Umfang  zunimmt,  desto  fester  pflegt  dasselbe  zu  werden,  die  Pulsationen 
werden  immer  schwächer  und  hören  endlich  ganz  auf;  es  ist  dies  die 
Folge  der  Ablagerung  concentrischer  Gerinnungen  im  Sacke.  —  Wenn 
die  Geschwulst  einen  bedeutenden  Umfang  erreicht  hat,  so  wirkt  sie  durch 
Druck  und  Ausdehnung  nachtheilig  auf  die  sie  umgebenden  Theile,  nach 
deren  Beschaffenheit  Krämpfe  ,  Schmerzen  ,  Lähmungen ,  Varicosität  und 
Wassersucht ,  Obliterationen  von  Arterien ,  Zerstörung  von  Knochen  etc. 
herbeigeführt  werden.  —  Die  Entwicklung  der  wahren  Aneurysmen  geht 
meist  langsam  vor  sich ;  Gemüthsaufregungen,  körperliche  Anstrengungen 
etc.  führen  eine  rasche  Zunahme  herbei.  —  Differentielle  Dia- 
gnose. Das  sackförmige  Aneurysma  lässt  sich  von  dem  cylinder-  oder 
spindelförmigen  leicht  durch  die  Art  der  Begrenzung  unterscheiden,  so- 
dann sind  die  leztern  leichter  und  schneller  durch  Druck  zum  Verschwin- 
den zu  bringen ,  als  die  sackförmigen ,  dagegen  ist  bei  den  leztern  das 
Reibungsgeräusch  deutlicher  als  bei  den  cylinder-  und  spindelförmigen. 
Sackförmige  Pulsadergeschwülste ,  die  eine  enge  Communikationsöffnung 
haben,  lassen  sich  schwieriger  und  nicht  so  vollständig  entleeren,  als  solche 
mit  weiter  Oeffnung.  ■ —  Wenn  sich  in  dem  aneurysmatischen  Sacke  viel 
geronnenes  Blut  angehäuft  hat  und  die  Geschwulst  hierdurch  fester  ge- 
worden ist,  auch  die  Pulsationen  und  das  Reibungsgeräusch  in  demselben 
mehr  und  mehr  verschwunden  sind ,  so  ist  die  Unterscheidung  derselben 
von  irgend  einer  andern  in  der  Nähe  einer  grossen  Arterie  liegenden  Ge- 
schwulst oft  höchst  schwierig  und  ohne  Berücksichtigung  der  Anamnese 
geradezu  unmöglich.  Andererseits  hat  man  sich  zu  hüten ,  Geschwülste, 
welche  in  der  Nähe  von  Arterien  oder  auf  solchen  liegen  und  denen  von 
diesen  Pulsationen  mitgetheilt  werden,  für  Aneurysmen  zu  nehmen.  Be- 
sonders ist  es  der  Markschwamm ,  welcher  nicht  selten  zu  Täuschungen 
Veranlassung  gegeben  hat.  —  Prognose.  Das  Aneurysma  ist  immer 
eine  bedeutende  und  gefährliche  Krankheit.  Die  meisten  innern  Puls- 
adergeschwülste sind  unheilbar,  und  nur  jene  bieten  Hoffnung  zur  Lebens- 
rettung dar ,  welche  die  mechanische  Kunsthülfe  zulassen ,  obgleich  die 
Behandlung ,  welche  man  ihnen  entgegensezt ,  selbst  nicht  ohne  Gefahr 
ist.  Je  mehr  das  Aneurysma  die  Folge  dyscrasischer  Krankheiten ,  je 
älter,  kränker,  schwächer  das  Individuum  ist,  desto  schlimmer  ist  die 
Prognose,  besonders  wenn  mehrere  Aneurysmen  vorhanden  sind.  —  Von 
den  Ausgängen  und  der  Behandlung  wird  nach  der  Besprechung 
der  übrigen  Aneurysmen  im  Zusammenhange  die  Rede  sein. 

II.    Das  falsche  oder  traumatische  Aneurysma,  A.  spu- 
rium  s.   traumaticum  ist   die  Folge  einer  äussern  Gewalt  und  tritt 


PULSADEEGESCHWULST.  759 

unter  verschiedenen  Formen  auf.  Ergiesst  sich  das  Blut  in  das  Um- 
hüllungszellgewebe und  ^_zeigt  sich  dabei  anfangs  keine  bestimmte  Ab- 
grenzung ,  so  nennt  man  dies  ein  Aneurysma  spurium  primiti- 
vum  s.  diffusum.  Wird  das  Blut  in  einer  Höhle  zurückgehalten, 
welche  sich  früher  oder  spater  nach  der  Verwundung  einer  Arterie  aus- 
bildete,  so  ist  dies  ein  A.  spurium  consecutivum  s.  circum- 
scriptum.  Ist  mit  der  Arterie  eine  nebenliegende  Vene  verwundet 
worden,  so  dass  arterielles  Blut  in  die  Vene  fliesst,  so  hat  man  ein  arte- 
riell-venöses Aneurysma;  geht  dabei  das  Blut  unmittelbar  in  die 
Vene  über  und  dehnt  diese  aus ,  so  bezeichnet  man  dies  als  aneurys- 
matischen  Varix;  bildet  das  Blut  aber  in  dem  Bindegewebe  einen 
Sack,  bevor  es  in  die  Vene  übertritt ,  so  nennt  man  dies  ein  varicöses 
Aneurysma. 

1)  Das  Aneurysma  spurium  primitivum  s.  diffusum 
bildet  sich  anfänglich  nur  innerhalb  der  Arterienscheide ,  spater  breitet 
sich  aber  das  Blut  aus,  indem  es  sich  in  das  Bindegewebe,  in  die  Zwischen- 
räume der  Muskeln  und  zwischen  die  Muskelbündel  ergiesst.  Die  Ur- 
sachen sind  schräge,  schmale  und  tiefe  Stichwunden,  wo  das  Blut  wegen 
mangelndem  Parallelismus  zwischen  der  Haut-  und  Arterienwunde  nicht 
oder  nur  in  sehr  geringer  Menge  nach  aussen  treten  kann ,  oder  Stich- 
wunden der  Arterie  ohne  Verlezung  der  Haut  durch  Knochensplitter  bei 
Fracturen,  Zerreissung  der  Arterien  bei  der  Einrichtung  alter  Luxationen, 
endlich  das  Bersten  eines  spontanen  Aneurysma.  —  Die  Diagnose 
bietet  zuweilen  Schwierigkeiten  dar.  Ist  auch  eine  Wunde  da,  so  strömt 
das  Blut  doch  nicht  in  der  Weise  arterieller  Blutungen  hervor ;  es  kann 
einige  Zeit  verfliessen,  bis  sich  eine  Geschwulst  bildet.  Diese  zeigt  sich 
zuerst  nach  dem  Laufe  des  verwundeten  Gef  ässes  und  verbreitet  sich  dann 
nach  allen  Richtungen ;  besonders  nach  den  abhängigen  und  reichlich 
mit  Bindegewebe  versehenen  Theilen.  Diese  Geschwulst  ist  nicht  um- 
schrieben, anfangs  ziemlich  weich,  unschmerzhaft,  ohne  Veränderung  der 
Hautfarbe ;  nach  Verfluss  von  einiger  Zeit  nimmt  die  Haut  aber  eine  bläu- 
liche Färbung  an.  In  der  Tiefe  fühlt  man  regelmässige  Pulsationen  und 
beim  Auflegen  der  Hand  ein  schwirrendes  Geräusch.  Wenn  das  A.  dif- 
fusum durch  das  Zerreissen  einer  Arterie  ohne  äussere  Wunde  verur- 
sacht wird ,  so  tritt  die  Geschwulst  sehr  schnell  ein ,  der  Schmerz  ist  im 
Augenblick  des  Zufalls  sehr  heftig,  die  Geschwulst  nicht  umschrieben  und 
die  zitternde  Bewegung  in  derselben  deutlicher.  —  Erschöpfende  Blutun- 
gen und  Brand  sind  häufig  die  Folgen  dieses  Aneurysma.  Es  kann  je- 
doch das  in  das  Glied  infiltrirte  Blut  resorbirt  und  die  Arterienwunde  an- 
fangs durch  den  Blutpfropf  und  dann  durch  coagulable  Lymphe  verstopft 
werden  und  so  heilen  ,  oder  eine  A.  spur,  c  o  n  s  e  c  u  t.  veranlassen.  — 
Das  A.  diffusum  ist  um  so  gefährlicher,  je  grösser  die  verwundete  Ar- 
terie oder  je  näher  sie  dem  Hauptstamme  ist  und  je  mehr  Blut  schon  aus- 
getreten ist. 


760  PULSADERGESCHWULST. 

2)  Aneurysma  spurium  consecutivums.  circum  scri- 
ptum ist  eine  durch  arterielles  Blut  gebildete,  umschriebene,  mit  zelligen 
Wandungen  versehene  Geschwulst ,  welche  mittels  einer  alten  Wundöff- 
nung mit  einer  Arterie  communicirt.  Die  Ursache  ist  eine  kleine  Wunde 
einer  Arterie,  welche  nur  wenig  Blut  aussickert,  oder  auch  von  selbst  sich 
geschlossen  hat,  oder  in  Folge  eines  Drucks  verschlossen  gehalten  wurde. 
In  lezterem  Falle  können  Monate ,  selbst  Jahre  vergehen ,  ohne  dass  sich 
etwas  Verdächtiges  zeigt.  Nun  löst  sich  aber  der  Blutpfropf  oder  die 
verschliessende  Lymphe  allmälig,  das  Blut  sickert  in  die  Arterienscheide 
hinein,  dehnt  diese  aus,  verdrängt  und  verdichtet  das  angrenzende  Binde- 
gewebe und  bildet  so  um  sich  eine  Cyste ,  einen  Sack,  der  ein  beträcht- 
liches Volumen  erreichen  kann.  Die  sich  äusserlich  darstellende  Ge- 
schwulst wächst  oft  sehr  langsam  ,  ist  aber  immer  genau  umschrieben, 
halbkugelig,  hart  und  dunkel  pulsirend.  —  Die  Zeichen  der  falschen 
consecutiven  Pulsadergeschwülste  unterscheiden  sich  wenig  von  den  der 
spontanen.  Es  würde  oft  unmöglich  sein,  diese  Geschwülste  von  einander 
zu  unterscheiden,  ohne  die  anamnestischen  Zeichen  zu  Hülfe  zu  nehmen. 
Es  finden  sich  dieselben  Pulsationen,  dieselbe  Erweiterung,  dasselbe  Ge- 
räusch. Jedoch  ist  dem  in  Rede  stehenden  Aneurysma  ein  eigentüm- 
liches Schwirren  oder  Zischen ,  Susurrus,  eigen  ,  das  man  fühlen  und 
selbst  hören  kann  und  welches  durch  den  Durchgang  des  Blutes  durch 
die  enge  Oeffnung  der  Arterie  entsteht.  Der  Sack  ist  hier  immer  dünner 
als  bei  dem  wahren  Aneurysma  und  enthält  Blutgerinnsel,  welches  schicht- 
weise gelagert  ist ;  je  näher  der  Arterienöffnung ,  desto  flüssiger  wird  das 
Blut.  Meist  findet  sich  über  der  Geschwulst  eine  Narbe ,  die  Folge  der 
früheren  Verlezung ;  sie  kann  aber  auch  fehlen ,  wenn  eine  Quetschung 
die  Ursache  war.  Die  Oeffnung  der  Arterie  ist  stets  grösser  als  im  Ent- 
stehen und  rund  oder  oval.  —  Die  falschen  consecutiven  Aneurysmen 
sind  unter  gleichen  Umständen  weniger  gefährlich  als  die  spontanen,  denn 
erstere  sind  eine  rein  örtliche  Krankheit ;  wenn  man  sie  operirt,  so  ist  man 
sicher,  die  Arterienhäute  gesund  zu  finden.  Mit  der  Zeit  bringen  sie  in 
den  umgebenden  Theilen  ähnliche  Störungen  wie  die  spontanen  Aneurys- 
men hervor,  nur  bedürfen  sie  dazu  längerer  Zeit. 

3)  Aneurysma  arterio  s  o- venös  um  ,  An.  per  transfu- 
sionem.  Dieses  besteht  in  der  Ausdehnung  einer  Vene  durch  arteriel- 
les Blut ,  welches  aus  einer  neben  ihr  liegenden  Arterie  in  Folge  einer 
Wunde  der  beiderseitigen  Gefässwände  in  die  Vene  tritt.  Die  Wunde 
der  Vene ,  welche  mit  der  Hautwunde  in  Verbindung  steht ,  wird  durch 
Druck  oder  auf  andere  Weise  geschlossen ,  diejenige  aber ,  welche  der 
Arterienwunde  entspricht ,  bleibt  offen.  Das  arterielle  Blut  tritt  deshalb 
entweder  zunächst  in  das  Bindegewebe,  welches  die  Arterie  mit  der  Vene 
verbindet  und  von  da  in  die  Vene ,  oder  es  fliesst  direct  in  leztere  und 
dehnt  sie  aus  ;  im  ersten  Fall  entsteht  ein  Aneurysma  varicosum, 
im  zweiten  ein  Varix  aneurysmaticus.  —  Die  häufigste  Veran- 


PULSADERGESCHWULST.  761 

lassung  zum  arteriell  -  venösen  Aneurysma  gibt  ein  Aderlass  in  der  Arm- 
beuge ,  wobei  Vene  und  Arterie  zugleich  verlezt  werden ;  an  andern  Kör- 
perstellen wird  es  zuweilen  durch  Degenstiche,  Schrotschüsse  etc.,  endlich 
durch  Contusionen  hervorgebracht,  in  welchem  Falle  die  Gefässwände  in 
Folge  von  Schwärung  durchbrechen  und  so  die  Communication  hergestellt 
wird.  Auch  führt  man  Fälle  an ,  wo  diese  Aneurysmen  nicht  in  Folge 
von  Verwundungen  entstanden  sind,  sondern  wo  ein  gewöhnliches  Aneu- 
rysma sich  durch  Ulceration  in  eine  angrenzende  Vene  öffnete.  —  a)  Der 
Varix  aneurysmaticus  zeigt  sich  zuerst  unter  der  Form  einer  um- 
schriebenen, nicht  sehr  umfänglichen,  eiförmigen,  über  dem  Verlaufe  einer 
Arterie  und  Vene  gelegenen  Geschwulst.  Man  fühlt  darin  mit  den  P  Um- 
schlägen isochronische  Pulsationen.  Diese  sind  den  in  den  Pulsaderge- 
schwülsten stattfindenden  nicht  gleich :  sie  werden  von  einem  Schwirren 
oder  eigenthümlichen  Zischen  begleitet,  das  man  fühlen  und  hören  kann. 
Die  verlezte  Vene ,  so  wie  die  nahe  gelegenen  erweitern  sich  ober-  und 
unterhalb  der  Geschwulst.  Man  bemerkt  darin  ebenfalls  das  erwähnte 
Schwirren  und  eine  undulirende  Bewegung,  die,  je  weiter  man  sich  von 
dem  Varix  aneurysmaticus  entfernt,  schwächer  werden.  Die  Ge- 
schwulst verschwindet  ganz  oder  fast  ganz,  wenn  man  sie  comprimirt  und 
erscheint  wieder,  wenn  man  den  Druck  aufhebt.  Ein  Druck  oberhalb  der 
Geschwulst  vermindert ,  ein  solcher  unterhalb  vergrössert  sie.  Ist  die 
Krankheit  alt  und  der  Varix  umfänglich  geworden ,  so  erweitert  sich  der 
obere  Theil  der  Arterie  und  diese  verläuft  gewunden ,  auch  pulsirt  sie 
starker,  während  unterhalb  des  Aneurysma  das  Gegentheil  eintritt.  Die 
Wandungen  der  Arterie  sind  verdünnt,  die  der  Vene'  verdickt ;  leztere  er- 
weitert sich  ebenfalls  in  verschiedener  Form  ,  bald  flaschenf  örmig ,  bald 
eiförmig,  bald  cyliuder-  oder  spindelförmig.  —  b)  Das  Aneurysma 
varicosum,  bei  welchem  das  arterielle  Blut  nicht  unmittelbar  in  die 
Vene  übertritt ,  ist  eine  Abart  des  Varix  aneurysmaticus,  nach 
dessen  Auftreten  sich  zwischen  ihm  und  der  verlezteu  Arterie  ein  A  n. 
spur,  consecut.  bildet,  entweder  weil  die  Arterie  und  Vene  nicht  fest 
vereinigt  waren  oder  weil  die  Schrägheit  der  Venenwunde  oder  die  ange- 
wendete Compression  das  Blut  verhindert ,  in  die  Vene  leicht  einzudrin- 
gen ;  dadurch  wird  das  die  beiden  Gef  ässe  verbindende  Bindegewebe  zu 
einem  aneurysmatischen  Sacke  ausgedehnt,  durch  welchen  die  beiden  von 
einander  entfernten  Gefässe  mit  einander  communiciren.  —  Ziemlich 
schnell  nach  der  Entstehung  des  Varix  aneurysmaticus  bildet  sich 
unter  oder  neben  seiner  zitternden  Geschwulst  eine  zweite  harte ,  tiefer 
gelegene,  einfach  pulsirende  Geschwulst  von  begrenztem  Umfange.  Wenn 
man  die  Arterie  oberhalb  der  Geschwulst  comprimiren  lässt  und  den  Va- 
rix aneurysmaticus  zusammendrückt,  so  fühlt  man  auf  oder  neben 
der  Arterie  noch  eine  harte  ,  nicht  wegdrückbare  Geschwulst ,  die  nach 
aufgehobener  Compression  der  Arterie  pulsirt  und  den  nachgebenden  Fin- 
ger das  Einströmen  des  Blutes  in  die  Vene  als  Schwirren  fühlen  lässt.  — 


762  PULSADERGESCHWULST. 

Zur  Untersuchung  der  beiden  Varietäten  des  arteriell-venösen  Aneurysma 
gilt,  dass  der  Varix  aneurysmaticus  weich  und  ganz  oder  fast 
ganz  durch  die  Compression  verschwindet,  ein  doppeltes  Blasegeräusch 
und  ein  Gefühl  von  Schwirren  zeigt  und  gewöhnlich  stationär  bleibt,  wo- 
gegen das  An.  varicosum  eine  harte,  umschriebene,  pulsirende,  mehr 
oder  weniger  umfängliche  Geschwulst ,  die  sich  ziemlich  schnell  gebildet 
hat,  darbietet,  und  welche  auf  Druck  niemals  ganz  verschwindet. 

Ausgänge  der  Aneurysmen.  Wird  ein  Aneurysma  sich 
selbst  überlassen ,  so  kommt  es  früher  oder  später  zur  Berstung  der  Ge- 
schwulst mit  Blutung.  Diese  Berstung  ist  entweder  die  Folge  der  über- 
mässigen Ausdehnung  und  Verdünnung  des  aneurysmatischen  Sacks  oder 
eines  entzündlich-brandigen  Processes.  Ersteres  ist  bei  innern,  lezteres 
bei  äussern  unter  die  Haut  gekommenen  Aneurysmen  der  Fall.  Die  in 
Folge  der  Berstung  eines  aneurysmatischen  Sacks  entstehende  Blutung 
ist  meistens  tödtlich,  und  zwar  entweder  durch  die  Menge  des  ergossenen 
Blutes,  oder  durch  den  Erguss  in  eine  Körperhöhle.  Nur  dadurch  kann 
die  nächste  Gefahr  beseitigt  werden,  wenn  die  Blutung  durch  eine  ein- 
tretende Ohnmacht  oder  Coagulation  des  Bluts  in  dem  gerissenen  Sacke 
von  selbst  steht,  oder  wenn  sie  ein  An.  spur,  diffus,  bildet.  ■ —  In 
seltenen  Fällen  tritt  auch  eine  spontane  Heilung  ein,  und  zwar  indem  ent- 
weder der  aneurysmatische  Sack  mit  seinem  compacten  Gerinnsel  die  Ar- 
terie zusammendrückt  und  unwegsam  macht ,  oder  indem  sich  der  Sack 
durch  schichtweise  Ablagerungen  von  Blutcoagulum  allmählig  füllt,  wobei 
in  seltenen  Fällen  das  Gefässrohr  wegsam  bleiben  kann,  oder  endlich  in- 
dem es  in  Folge  einer  heftigen  Entzündung  des  Sacks  und  seiner  Umge- 
bung zu  einem  plastischen  Verschluss  der  Arterie  kommt. 

Behandlung.  Diese  zerfällt  in  eine  dynamische  und  in  eine 
mechanische.  Die  erstere  hat  zum  Zweck,  mittels  der  geeigneten  Mittel 
die  Coagulation  des  Bluts  in  dem  aneurysmatischen  Sacke  allein  oder  zu- 
gleich in  der  betreffenden  Arterie  und  Contraction  in  dem  Sacke  herbei- 
zuführen, so  dass  dieser  obliterirt  und  sich  verkleinert.  Die  meisten  der 
hierher  gehörigen  Mittel  wurden  von  V  a  1  s  a  1  v  a  empfohlen,  weshalb  man 
sie  unter  dem  Namen  der  Methode  von  Valsalva  zusammenfasst.  Sie 
soll  die  Kraft  und  die  Masse  des  Bluts  verringern ,  um  den  Blutandrang 
nach  dem  Sack  zu  massigen  und  durch  die  langsamere  Circulation  den 
Absaz  von  Faserstoff  in  dem  Sack  zu  begünstigen  und  so  den  Process  der 
Naturheilung  nachzuahmen.  Die  Mittel  hierzu  sind :  wiederholte  kleine 
Aderlässe,  die  grösste  Ruhe  des  Körpers  und  Gemüths,  kühles  Verhalten, 
strenge  Diät,  kühlende  das  Gef ässsystem  beruhigende  Mittel,  als  Nitrum, 
Alaun,  vegetabilische  und  mineralische  Säuren,  Tamarinden  Limonade, 
Digitalis,  Belladonna,  Blausäure,  Mercur,  Zink,  Eisen,  Blei,  kalte  Fomen- 
tationen  von  Eis,  Alaunlösung,  Essig,  Abkochungen  adstringirender  Pflan- 
zenstoffe  mit  Alaun,  adstringirende  Pflaster,  die  wiederholte  Application 
von  Moxen,    die  Einführung  einer  erhizten  Nadel,   die  Acupunctur,  Elec- 


PULSADERGESCHWULST.  763 

tropunctur  (s.  Acupunctu r)  etc.  Die  zuerst  angeführten  Mittel  wur- 
den meist  nur  bei  innern,  den  mechanischen  Bülfsmitteln  unzugänglichen 
Aneurysmen  in  Anwendung  gebracht;  dieselben  sind  indessen  nur  bei  In- 
dividuen mit  guter  Blutbereitung  passend.  ■ —  Die  mechanische  Be- 
handlung bezweckt  die  bleibende  Unterbrechung  des  Kreislaufs  und  sind 
die  Mittel  hierzu  folgende:  1)  Die  Compression.  Sie  eignet  sich 
besonders  bei  Aneurysmen  der  Extremitäten.  Sie  wird  entweder  auf  die 
Geschwulst,  oder  oberhalb  oder  unterhalb  derselben,  oder  endlich  auf 
alle  diese  Stellen  zugleich  ausgeübt.  —  Um  die  Geschwulst  selbst  zu  compri- 
miren,  bedient  man  sich  am  besten  des  Verfahrens  von  G  u  a  1 1  a  n  i :  man 
bedeckt  die  Geschwulst  mit  Charpie  und  legt  darüber  dicke,  in  der  Form 
eines  X  gelagerte  Longuetten.  Eine  andere  lange  und  dicke  Longuette 
wird  oberhalb  der  Geschwulst  nach  dem  Verlauf  der  Arterie  angelegt  und 
das  Ganze  mittels  einer  von  unten  nach  oben  geführten  Rollbinde  massig 
befestigt.  Dieser  Verband  wird  mit  einer  Mischung  von  Essig  und  Was- 
ser oft  befeuchtet.  Es  ist  gut,  wenn  das  ganze  Glied  eingewickelt  wird. 
Vortheilhafter  ist  es,  die  Arterie  nur  oberhalb  der  Geschwulst  zu  compri- 
miren,  wenn  leztere  schmerzhaft  und  entzündet  ist ;  ganz  besonders  eignet 
sich  dieses  Verfahren,  wenn  die  Arterie  oberflächlich  liegt  und  einen  Stüz- 
punkt  an  einem  Knochen  hat.  Man  gebraucht  hierzu  bruchbandähnliche 
Compressorien,  durch  welche  das  Glied  nur  von  zwei  Seiten  zusammenge- 
drückt wird  (s.  den  Art.  Turn  ik  et).  —  Die  Compression  unterhalb  der 
Arterie  hat  sich  als  nuzlos  erwiesen ,  neben  dem,  dass  eine  Berstung  des 
Sacks  veranlasst  werden  kann.  —  Die  bei  weitem  wirksamste  Compres- 
sion ist  die,  welche  sich  auf  alle  die  genannten  Punkte  zugleich  erstreckt. 
Man  legt  längs  des  Laufs  der  Arterie  Longuetten  an  und  wickelt  das 
ganze  Glied  von  unten  nach  oben  mit  Binden  oder  noch  besser  nach 
v.  Winter  mit  Longuetten  von  vierfacher  Leinwand  von  der  Länge  ei- 
nes ganzen  Betttuchs  ein.  —  Bei  dem  arteriell-venösen  Aneurysma  muss 
die  Compression  vorzüglich  die  Arterie  betreffen.  —  Die  Compression  ist 
als  ein  oft  schwieriges ,  lange  dauerndes ,  häufig  auch  unsicheres  und 
schmerzhaftes  Mittel  auf  anfangende  kleine  Aneurysmen  zu  beschränken. 
—  2)  Die  Unterbindung  der  aneurysmatischen Arterie  ist  die  zuver- 
lässigste Behandlungsart  und  kann  auf  dreifache  Weise  geschehen : 
a)  durch  Unterbindung  des  Hauptstamms  zwischen  der  aneurysmatischen 
Geschwulst  und  dem  Herzen  ,  H  u  n  t  e  r'sche  Methode  ;  b)  durch  Eröff- 
nung des  Sacks  und  Unterbindung  der  Arterie  ober-  und  unterhalb  des- 
selben,  Methode  von  Antyllus;  c)  durch  Unterbindung  der  betreffen- 
den Arterie  unterhalb  der  aneurysmatischen  Geschwulst ,  Methode  von 
Brasdor.  —  Die  Unterbindung  ist  angezeigt,  wenn  die  Compression 
nicht  anwendbar  ist,  oder  erfolglos  versucht  wurde,  wenn  das  Aneurysma 
aufzubrechen  droht,  bei  dem  An.  spurium  diffusum,  wenn  die  Blut- 
ergiessung  bedeutend  ist.  —  Die  meiste  Aussicht  auf  Erfolg  bieten  kleine 
Aneurysmen  kleinerer  Arterien.      Zweifelhaft  ist   der  Erfolg ,   wenn   die 


764  •  PULSADERGESCHWULST. 

Geschwulst  sehr  umfangreich  und  der  zu  unterbindende  Gefässstamm 
gross  ist,  wenn  mehrere  Pulsadergeschwülste  zugegen  sind,  insofern  dann 
ein  krankhafter  Zustand  der  Arterienhäute  vorauszusezen  ist,  wenn  der 
Kranke  sehr  bejahrt  ist ,  oder  das  Glied  der  Einwicklung  unterworfen 
worden  ist ,  in  welchen  Fällen  eine  rasche  und  ergiebige  Ausbildung  des 
Collateralkreislaufs  nicht  gehofft  werden  kann.  —  Ueber  die  Ausführung 
der  verschiedenen  Unterbindungen  s.  den  Art.  Unterbindung  der 
Gefässe.  —  Ist  die  Unterbindung  einer  Arterie  nicht  ausführbar  und 
liegt  das  Aneurysma  so,  dass  man  die  Amputation  machen  kann,  so  ist  der 
Theil  zur  Erhaltung  des  Lebens  zu  entfernen ,  namentlich  wenn  durch 
Plazen  des  Sacks  und  die  verbreitete  Blutinfiltration  Brand  zu  befürchten 
ist,  oder  dieser  aus  dieser  Ursache  oder  in  Folge  der  Obliteration  der  Ar- 
terie etc.  schon  begonnen  hat ,  oder  wenn  ein  Knochen  oder  ein  Gelenk 
tief  zerstört  ist. 

Von   den  Pulsadergeschwülsten   im   Besondern. 

1)  Aneurysma  anonymae.  Traumatische  Aneurysmen  wur- 
den an  diesem  Gefässstamm  nicht  beobachtet ,  da  Verlezungen  desselben 
den  Tod  fast  augenblicklich  zur  Folge  haben.  Spontane  Aneurysmen 
können  an  dem  ganzen  Verlaufe  dieses  Stamms  vorkommen.  Treten  sie 
am  obern  Tbeil  desselben  auf,  so  kommt  unter  Schmerzen  oberhalb 
des  Sterno-claricular-gelenkes  eine  Geschwulst  zum  Vorschein,  welche  un- 
ter allmähligem  Wachsthum  stärker  pulsirt,  durch  den  Druck  Athmungs- 
und  Schlingbeschwerden  verursacht  und  die  Pulsation  in  der  rechten  C  a- 
r  o  t  i  s  und  Subclavia  schwächer  erscheinen  lässt ;  zuweilen  wird  der 
Radialpuls  am  rechten  Arm  ganz  unfühlbar  und  dieser  ist  in  Folge  des 
gehinderten  Rückflusses  des  venösen  Bluts  schmerzhaft  und  ödematös  an- 
geschwollen. In  einem  höhern  Grade  des  Uebels  treten  Schwindel,  Ohn- 
mächten, unruhiger  Schlaf  hinzu.  Von  einem  Aneurysma  an  der  Wurzel 
der  Carotis  dextra  unterscheidet  es  sich  dadurch,  dass lezteres  zuerst 
zwischen  den  beiden  Portionen  des  Sternomastoideus  erscheint  und 
seinen  Ein  Üuss  nur  auf  die  Carotis  uad  ihre  Aeste  beschränkt,  ohne  die 
Pulsationen  in  der  Subclavia  zu  beeinträchtigen.  —  Bei  einem  tiefe- 
ren Size  kann  dieses  Aneurysma  lange  Zeit  der  Beachtung  entgehen. 
Wenn  es  eine  bedeutende  Grösse  erreicht  hat ,  so  tritt  es  als  eine  Ge- 
schwulst am  Halse  hinter  der  Portio  sternalis  des  Kopfnickers  her- 
vor. —  Die  Behandlung  dieser  Aneurysmen  besteht  in  der  Anwen- 
dung der  Methode  von  V  a  1  s  a  1  v  a  oder  in  der  Unterbindung  nach 
Brasdor   (s.   Unterbindung). 

2)  Aneurysma  art.  carotis.  Die  spontanen  Aneurysmen 
haben  gewöhnlich  ihren  Siz  an  der  Spaltungsstelle  der  Carotis  com- 
munis, seltener  an  ihrem  Ursprung.  Sie  wachsen  schnell  und  können 
eine  solche  Grösse  erreichen ,  dass  sie  fast  die  ganze  Länge  des  Halses 
einnehmen.  Durch  Druck  auf  die  benachbarten  Gebilde,  namentlich  den 
Nerv,  vagus   entstehen  bald  Husten,   Athemnoth,   Heiserkeit,   Schling- 


PULSADERGESCHWULST.  765 

besch werden  und  durch  die  Beeinträchtigung  des  Blutlaufs  Schmerzen 
und  Klopfen  im  Kopf,  Ohnmächten  etc.  —  Traumatische  Aneurysmen 
fordern  die  Hunte  r'sche  Unterbindungsmethode.  Nicht  ganz  selten 
wurde  am  Halse  der  Var ix   aneurysmaticus  beobachtet. 

3)  Aneurysma  art.  subclavia  e.  Die  gewöhnlichen  Aneu- 
rysmen der  Subclavia  sind  spontane,  Die  pulsirende  Geschwulst  liegt 
in  dem  von  dem  Schlüsselbeine ,  dem  M.  sternomastoideus  und  m. 
trapezius  begrenzten  dreieckigen  Räume,  selten  unter  dem  Schlüssel- 
bein. Die  Art.  axillaris  und  ihre  Aeste  pulsiren  schwächer,  während 
das  Klopfen  der  Carotis  normal  ist ;  der  Kranke  hat  Schmerzen  ,  ein 
Gefühl  von  Taubheit  und  Kälte,  so  wie  eine  lähmungsartige  Schwäche  in 
dem  entsprechenden  Gliede,  dazu  Athemnoth,  Erstickungszufälle,  Schling- 
beschwerden. In  hohem  Grade  kommt  es  zur  Zerstörung  der  Wirbel. 
Die  zahlreichen  Aeste  lassen  nicht  wohl  eine  Ligatur  anlegen;  es  bleibt 
mithin  nur  die  Valsalva'sche  Methode,  die  Anwendung  der  Kälte  und  die 
Electropunctur  übrig. 

4)  Aneurysma  art.  axillaris  ist  selten  ein  spontanes  ,  son- 
dern häufiger  traumatischen  Ursprungs  (Degenstich,  Zerreissung  bei  der 
Einrichtung  alter  Schulterluxationen).  Es  vergrössert  sich  wegen  der 
geringen  Resistenz  der  umgebenden  Theile  gewöhnlich  schnell ;  die  Ge- 
schwulst hebt  den  grossen  Brustmuskel  in  die  Höhe,  verbreitet  sich  gegen 
das  Schlüsselbein  und  drückt  dieses  nach  oben.  Die  Geschwulst  ist  hart, 
glänzend  ,  blau ,  dunkel  oder  gar  nicht  pulsirend.  Der  Arm  ist  schwer, 
ödematös  angeschwollen,  empfindungslos,  der  Puls  kaum  fühlbar;  dabei 
findet  sich  Ziehen  im  Halse ,  im  Rücken  und  in  der  Brust ,  Athmungsbe- 
schwerden,  grosse  Angst,  Husten,  Ohrensausen,  Kopfschmerz,  Schlaflosig- 
keit. —  Die  Art.  subclavia  muss  ober-  und  unterhalb  des  Schlüssel- 
beins unterbunden  wurden. 

5)  Aneurysma  art.  brachialis  ist  in  der  bei  weitem  gross- 
ten  Mehrzahl  der  Fälle  ein  traumatisches  und  meistens  die  Folge  eines 
unglücklichen  Aderlasses.  Da  die  Wunde  gewöhnlich  sehr  klein  ist,  so 
kann  durch  einen  festen  und  lange  Zeit  fortgesezten  Druckverband  voll- 
ständige Heilung  erlangt  werden.  Reicht  man  damit  nicht  aus ,  oder  ist 
das  Aneurysma  schon  weiter  gediehen,  so  muss  die  Art.  brachialis 
unterbunden  werden,  und  zwar  wenn  der  Siz  des  Aneurysma  an  den  bei- 
den untern  Dritttheilen  der  Arterie  ist,  oberhalb  und  unterhalb  desselben, 
um  die  Blutzufuhr  durch  die  Collateraläste  sicher  abzuschneiden. 

6)  Aneurysmata  art.  radialis  et  ulnar is.  Sie  kommen 
sehr  selten  vor  und  fordern ,  wenn  sie  im  obern  Theile  des  Vorderarms 
ihren  Siz  haben ,  die  Unterbindung  der  Art.  brachialis,  wenn  am 
untern  Theile  die  Unterbindung  der  betreffenden  Arterie  nahe  am  aneu- 
rysmatischen  Sacke,  weil  die  bedeutenden  Anastomosen  in  der  Handfläche 
hinreichen  würden ,  durch  das  Zurückströmen  des  Bluts  das  Aneurysma 
zu  unterhalten. 


766  PULSADERGESCHWULST. 

7)  Aneurysmata  manus  sind  meistens  traumatischen  Ur- 
sprungs und  nicht  immer  leicht  zu  erkennen,  da  sie  nicht  immer  pulsiren. 
Bei  kleinen  und  im  Anfang  reicht  die  Compression  mittels  graduirter 
Compressen  aus ,  bei  grösseren  unterbinde  man  das  zuführende  Gef äss 
dicht  an  der  Geschwulst,  oder  schneide  auch  den  Sack  (nach  Antyl- 
lus)  ein.  Führt  diese  Behandlungsweise  nicht  zum  Ziele,  so  sollte  die 
Art.  brachialis  unterbunden  werden,  da  bei  einer  Unterbindung  der 
Radialis  oder  Ulnar is  die  Blutzufuhr  durch  die  Interossea 
unterhalten  werden  kann. 

8)  Aneurysma  art.  iliacae.  Spontane  Aneurysmen  kommen 
an  den  grossen  Aesten  der  1 1  i  a  c  a  häufig,  am  Stamme  der  1 1  i  a  c  a  com- 
munis dagegen  niemals  vor.  Am  häufigsten  sind  Aneurysmen  der 
Iliaca  externa.  Sie  entwickeln  sich  rasch,  treten  unter  dem  Fallo- 
pischen  Bande  hervor  und  stellen  dann  eine  pulsirende,  hier  und  da  fluc- 
tuirende  Geschwulst  dar,  und  könnten  deshalb  mit  anderweitigen  Geschwül- 
sten ,  Abscessen,  besonders  aber  mit  Markschwamm  verwechselt,  werden. 
Man  unterbindet  die  Iliaca  externa  oberhalb  der  Geschwulst ;  fehlt 
es  hierzu  an  Raum ,  so  ist  vorgeschlagen  worden ,  entweder  die  Iliaca 
communis  oder  aber  nach  dem  Brasdo r'schen  Verfahren  unterhalb 
der  Geschwulst  zu  unterbinden. 

9)  Aneurysma  art.  is  chia  dicae  et  glutae.ae.  Die  Aneu- 
rysmen werden,  sind  sie  spontan  entstanden,  der  tiefen  Lage  der  betref- 
fenden Gefässe  wegen  erst  erkannt,  wenn  sie  eine  bedeutende  Grösse  er- 
reicht haben.  Ausser  den  allgemeinen  Zeichen  der  Aneurysmen  stellen 
sich  bald  Schmerzen,  Ameisenkriechen,  Schwerbeweglichkeit  in  dem  be- 
treffenden Beine  in  Folge  des  Drucks  auf  den  Nerv,  ischiadicus 
ein.      Sie  fordern  die  Unterbindung  nach  der  Methode  des  Antyllus. 

10)  Aneurysma  art.  cruralis.  Spontane  Aneurysmen  kom- 
men an  dieser  Arterie  häufig  vor  und  können  beim  Siz  in  der  Schenkel- 
beuge leicht  mit  Abscessen ,  namentlich  mit  den  sogenannten  kalten, 
welche  langsam  und  ohne  erkennbare  Entzündungserscheinungen  entstan- 
den sind ,  verwechselt  werden.  Besonders  häufig  trifft  man  diese  Aneu- 
rysmen im  obern  Dritttheile  des  Schenkels  an.  Der  Umstand,  dass  nach 
der  Unterbindung  der-A.  cruralis  nicht  selten  Nachblutungen  beobach- 
tet werden  und  dass  namentlich  am  obern  Theil  des  Schenkels  ein  an- 
dauernder Druck  auf  die  Arterie  ausgeübt  werden  kann ,  hat  Versuche 
der  Art  ausführen  lassen,  die  von  dem  glänzendsten  Erfolg  begleitet  wa- 
ren. Wird  die  Unterbindung  nöthig,  so  macht  man  sie  bei  Aneurysmen 
im  mittlem  und  untern  Drittel  über  dem  Abgange  der  Profunda,  bei 
nahe  am  Po  up  art'schen  Bande  sizenden  ist  die  Iliaca  externa  zu 
unterbinden. 

11)  Aneurysma  art.  poplitaeae  ist  selten  traumatischen  Ur- 
sprungs ,  wohingegen  die  spontanen  Aneurysmen  nirgends  häufiger  sind 
als  hier.      Man  schreibt   die  Häufigkeit  des  Vorkommens  dieser  Aneurys- 


PÜNCTION.  767 

men  der  Dehnung  zu ,  welcher  die  Art.  poplitaea  bei  der  Streckung  des 
Schenkels  ausgesezt  ist:  nachHyrtl  liegt  der  Grund  in  der  Einwirkung  des 
Muse,  poplitaeus,  so  wie  des  Tibialis  posticus  und  des  F  1  e- 
xor  digitorum  longus,  welche  durch  Andrücken  der  Arterie  gegen 
ihre  Unterlage  diese  bei  der  Beugung  einknicken  und  verengen,  wodurch 
der  darüber  liegende  Theil  der  Arterie  einem  stärkeren  Druck  von  Seiten 
des  Blutstroms  ausgesezt  sei,  was,  oft  wiederholt,  endlich  die  Erweiterung 
der  Poplitaea  herbeiführe.  Die  Geschwulst  entgeht  der  tiefen  Lage 
der  Arterie  wegen  lange  Zeit  der  Beachtung  des  Kranken ,  obgleich  sie 
sich  leicht  nach  allen  Seiten  ausdehnen  kann.  Sie  kann  einen  grossen 
Umfang  erreichen  und  zerstört  am  Ende  die  Gelenkenden  des  Femur  und 
der  Tibia.  In  Folge  des  Drucks  entsteht  Ameisenkriechen ,  Einschlafen 
des  Fusses,  dumpfer  Schmerz,  Ausdehnung  der  Venen  des  Unterschenkels 
und  Oedem ,  zuweilen  tritt  Brand  ein.  Die  Behandlung  besteht  in  der 
Unterbindung  der  Art.  cruralis;  bevor  man  jedoch  an  diese  geht,  thut 
man  wohl ,  die  permanente  Compression  zu  versuchen ,  die  man  an  ver- 
schiedenen Stellen  der  Cruralis  gleichzeitig  mit  Bruchband,  Compres- 
sorium  und  Turniket  ausübt,  ohne  eine  Stelle  lange  zu  belästigen.  Auch 
die  Electropunctur  der  Geschwulst  kann  allein  oder  in  Verbindung  mit 
der  Compression  in  Gebrauch  gezogen  werden. 

12)  Aneurysmata  cruris  sind  höchst  selten  und  bieten,  wenn 
sie  vorkommen,  nur  dunkle  Zeichen  dar.  Die  Compression  ist  bei  ihnen 
nicht  wohl  ausführbar ;  bei  solchen  im  obern  Theil  des  Unterschenkels 
muss  die  Cruralis  unterbunden  werden ;  im  untern  Theile  kann  die 
Compression  versucht  werden :  die  Ligatur  legt  man  nahe  am  Sack  an 
oder  operirt  nach  der  Methode  des  Antyllus. 

Punction,  das  Anstechen,  Durchstechen,  der  Stich, 
Punctio,  Parencentesis  (von  Traqa ,  durch,  und  xsvtuco  ,  ich 
steche),  heisst  diejenige  chirurgische  Operation,  vermittels  welcher  man 
eine  tropfbare  Flüssigkeit  oder  Gas  aus  einer  Höhle  entfernt  oder  die 
Natur  einer  Geschwulst  erforscht.  Ersteres  geschieht  mit  dem  Bistouri, 
mit  der  Lancette  ,  oder  dem  Troicart ,  lezteres  blos  mit  dem  Troicart, 
wozu  man  gewöhnlich  sehr  dünne ,  sogenannte  Explorativtroicarts  ge- 
braucht. Die  Operation  ist  indicirt,  wenn  die  Ansammlung  irgend  einer 
Flüssigkeit  (Wasser,  Blut,  Eiter,  Harn  etc.)  in  solcher  Menge  stattfindet, 
dass  die  Nachbargebilde  durch  den  erregten  Druck  in  ihren  Verrichtun- 
gen gestört  und  die  etwa  anzuwendenden  therapeutischen  Heilmittel  in 
ihren  Wirkungen  behindert  werden ,  wenn  durch  übermässige  Anfüllung 
der  Behälter  leztere  selbst  zu  zerbersten  drohen ,  oder  endlich  wenn 
durch  die  Zersezung  der  Flüssigkeiten  eine  Entzündung  der  Behälter, 
welche  dann  sehr  leicht  in  Brand  übergeht ,  oder  sonst  eine  nachtheilige 
Einwirkung  auf  den  Organismus  zu  befürchten  wäre.  Die  Punction  ist 
in  vielen  Fällen   nur   ein  Palliativmittel ,  wodurch  man  dem  Kranken  Er- 


768  PÜNCTION. 

leichterung  und  Verlängerung  des  Lebens  verschaffen  kann.  Deshalb 
muss  sie  auch  bisweilen  unter  den  ungünstigsten  Aussichten  unternom- 
men werden,  wie  z.  B.  bei  einer  Harnverhaltung,  wo  in  Folge  ihrer  Un- 
terlassung der  Tod  des  Kranken  unausbleiblich  hätte  eintreten  müssen. 
Um  eine  radicale  Heilung  des  Kranken  möglichst  zu  bewirken,  verschiebe 
man  die  Operation  überhaupt  nie  zu  lange  und  wiederhole  sie  so  oft  als 
neue  Ansammlungen  erfolgen,  welche  durch  ihren  Druck  auf  die  Organe 
deren  Function  ebenso ,  wie  die  Wirkung  der  Mittel  beeinträchtigen. 
Andererseits  operire  man  aber  auch  nie  früher ,  als  bis  man  sich  durch 
das  Gefühl  der  Fluctuation  und  alle  anderen  Hülfsmittel  von  dem  wirk- 
lichen Dasein  eines  Flüssigkeit  überzeugt  hat.  Kommt  es  endlich  zur 
Operation  ,  so  suche  man  die  Stichstelle  möglichst  nahe  dem  Grunde  der 
Höhle  anzubringen  ,  oder  wenn  dies  wegen  zu  befürchtender  Verlezung 
wichtiger  Organe  und  Gef  ässe  nicht  thunlich  ist ,  dem  Kranken  eine 
solche  Stellung  zu  geben ,  dass  dadurch  der  Abfluss  des  Secrets  begün- 
stigt wird.  Dabei  übt  man,  wo  es  die  Localität  gestattet,  einen  solchen 
Druck  auf  die  Umgebung  der  zu  eröffnenden  Höhle  mit  den  flachen 
Händen  aus ,  dass  das  Fluidum  der  Spize  des  Instruments  entgegenge- 
drängt wird.  Als  Folge  der  plözlichen  Entleerung  der  Flüssigkeit  und 
des  dadurch  aufgehobenen  Drucks  auf  die  geschwächten  Organe  findet 
eine  vermehrte  Blutströmung  nach  denselben  und  nicht  selten  ein  Blut- 
austritt statt,  weshalb  es  räthlich  erscheint,  jede  zu  schnelle  Entleerung 
zu  vermeiden  und  wo  es  angeht ,  den  Druck  durch  einen  äusserlich  ange- 
brachten Gegendruck  zu  ersezen.  —  Zur  Punction  mit  dem  Bistouri 
benüzt  man  ein  gerades  Messer  mit  schmaler  spizer  Klinge.  Der  Zeige- 
finger wird  auf  einer  der  Flächen  der  Klinge,  je  nach  der  Tiefe,  die  man 
dem  Stiche  geben  will,  verschieden  weit  vorgeschoben.  Will  man  den 
Eintritt  der  Luft  möglichst  verhüten ,  so  verschiebt  man  vorher  die  Haut 
(s.  subcutane  Operationen).  Handelt  es  sich  von  einem  nicht 
sehr  tiefen  Einstich ,  so  kann  er  auch  mit  der  Lancette  ausgeführt 
werden ,  welche  man ,  rechtwinklig  zum  Hefte  gestellt ,  so  zwischen  dem 
rechten  Zeigefinger  und  Daumen  an  der  Klinge  hält,  dass  ihr  Spizentheil 
so  weit  hervorragt,  als  er  eingesenkt  werden  soll.  —  Die  Punction  mit 
dem  Troicart  hat  das  Wesentliche,  dass  nach  Durchstechung  der  Wan- 
dung einer  Höhle  eine  Röhre  zurückbleibt ,  die  zum  Theil  in  der  Höhle 
steckt  und  durch  welche  dann  die  Flüssigkeit  ausfliesst,  welche  aber 
auch  nicht  selten  zur  Einbringung  von  ArzneistofFen  in  die  Höhle  benüzt 
wird.  Der  Troicart  verhindert  dadurch ,  dass  seine  Röhre  liegen  bleibt, 
die  Verschiebung  der  einzelnen  Schichten  der  Höhlenwandung,  so  wie 
auch  das  Zusammenfallen  sehr  ausgedehnter  Höhlen,  wodurch  in  beiden 
Fällen  der  Abfluss  der  Flüssigkeit  aufgehoben  werden  würde.  Bei  seiner 
Anwendung  fasst  man  ihn  so  ,  dass  sein  Griff  zwischen  den  Ballen  des 
Daumens  und  kleinen  Fingers  ruht  und  daselbst  von  den  drei  lezten  Fin- 
gern angedrückt  wird,  während  der  Daumen  auf  der  Stelle,  wo  Stiel  und 


PUNCTION  DES  HYDROCEPHALUS.  769 

Canüle  zusammenstossen ,  aufgesezt  wird ,  der  Zeigefinger  aber  auf  der 
Canüle  mehr  oder  weniger  weit  gegen  die  Spize  vorgeschoben  ist ,  je 
nach  der  Tiefe ,  bis  zu  welcher  das  Instrument  eingeführt  werden  soll. 
In  dieser  Stellung  sticht  man  den  Troicart  senkrecht  ein  und  schiebt  ihn 
so  weit  vor,  bis  man  durch  Bewegungen  merkt,  dass  der  in  der  Höhle  be- 
findliche Theil  des  Troicart  frei  bewegt  werden  kann;  bei  dünnen  Wan- 
dungen erkennt  man  das  Eingedrungensein  des  Troicarts  an  dem  Auf- 
hören des  Widerstandes.  Nachdem  dies  geschehen  ist,  hält  man  die  Ca- 
nüle mit  der  linken  Hand  fest  und  zieht  das  Stilet  mit  der  rechten  Hand 
aus.  Die  Canüle  bleibt  solchergestalt  in  der  Wunde  stecken  und  ihr 
Kanal  ist  frei,  um  einer  zu  entleerenden  Flüssigkeit  Abfluss  zu  gestatten. 
Stockt  der  Abfluss,  so  untersucht  man  mittels  einer  Bougie,  einer  Sonde 
etc.,  ob  sie  verstopft  sei,  und  beseitigt  eiu  etwa  vorhandenes  Hinderniss, 
oder  man  bewegt  die  Canüle  vorsichtig  hin  und  her,  wobei  sie  aber  stets 
von  den  Fingern  der  linken  Hand  in  der  Art  fixirt  wird,  dass  weder  ein 
Herausgleiten,  noch  ein  zu  tiefes  Eindringen  möglich  ist.  Will  man  die 
Canüle  ausziehen ,  so  fasst  man  sie  mit  der  rechten  Hand ,  während  man 
mit  den  Fingern  der  linken  Hand  die  Haut  in  der  Umgegend  der  Stich- 
wunde fixirt  und  sanft  gegen  die  Canüle  andrückt ,  theils  um  eine  Zer- 
rung der  Haut  zu  vermeiden,  theils  um  gleich  nach  der  Ausziehung  der 
Canüle  die  Wunde  zu  schliessen  und  den  Eintritt  von  Luft  zu  verhüten. 
Um  das  Eindringen  von  Luft  ganz  unmöglich  zu  machen ,  haben  K  e  y  - 
bard,  Guerin  und  Schuh  an  ihren  Troicarts  besondere  Vorrichtungen 
angebracht ,  von  denen  bei  den  besondern  Operationen ,  für  welche  sie 
bestimmt  sind,  die  Rede  sein  soll.  —  Wie  schon  oben  erwähnt,  werden 
besondere  dünne  Troicarts  zur  Exploration,  ob  und  was  für  eine  Flüssig- 
keit in  einer  Geschwulst  vorhanden  ist,  benüzt. 

Punction  des  Hydrocephalus.  Diese  Operation  besteht 
darin ,  dass  man  die  Schädeldecken  durchsticht  und  aus  dem  sehr  ausge- 
dehnten Arachnoidalsacke  etwas  Serum  entleert.  Man  benüzt  dazu  einen 
sehr  dünnen  Troicart ,  eine  Lancette  oder  eine  Staarnadel.  Der  Opera- 
teur erhebt  die  Haut  des  Schädels  in  der  Gegend  einer  Fontanelle ,  und 
zwar  am  zweckmässigsten  an  der  grossen  Fontanelle ,  die  beim  Hydroce- 
phalus eine  ausserordentliche  Ausdehnung  gewinnt ,  in  eine  Falte  und 
verschiebt  die  Haut  nach  irgend  einer  Richtung ;  sticht  dann  ent- 
weder rechts  oder  links  von  der  Mittellinie,  um  dem  Processus  fal- 
ciformis  auszuweichen,  eines  der  genannten  Instrumente  in  die 
Höhle  der  Arachnoidea.  Man  lässt  nun  das  Instrument  (bei  der  Anwen- 
dung eines  Troicarts  dessen  Röhre)  in  der  Wunde  stecken  und  lässt  die 
Flüssigkeit  in  kleinen  Portionen  allmählig  unter  sanfter  Compression  des 
Schädels  ausfliessen.  Hierauf  wird  das  Instrument  zurückgezogen,  die  Haut- 
falte losgelassen,  wodurch  sich  die  StichöfFnung  in  der  Haut  von  der  Stich- 
Öffnung  in  der  Fontanelle  verschiebt.  Die  Hautwunde  bedeckt  man  mit 
einem  einfachen  Klebpflaster ,  wobei  sie  gewöhnlich  sehr  bald  heilt.  — 
Bürger    Chirurgie.  49 


770  PUNCTION  DER  BRUSTHOEIILE. 

Während  des  Abfliessens  des  Wassers  muss  der  betreffende  Kranke  fort- 
während überwacht  werden,  die  geringsten  Erscheinungen  von  Sopor  oder 
Convulsionen  gebieten  das  sofortige  Aussezen  der  Operation  und  Schlies- 
sen  der  Wunde.  —  Nach  der  Operation  legt  man  einen  gleichmässigen 
Corapressivverband  um  den  ganzen  Schädel  an.  —  Diese  Operation  hat 
von  jeher  eine  sehr  verschiedene  Beurtheilung  erfahren.  Die  Einen  er- 
klären sie  für  ein  wirksames  aber  Gefahr  und  selbst  den  Tod  bringendes 
Unternehmen,  Andere  halten  sie  für  nicht  gefährlich,  wohl  aber  für  er- 
folglos, da  damit  wohl  ein  Krankheitszustand,  nicht  aber  dessen  Ursache 
beseitigt  werde ,  derselbe  also  wiederkehren  müsse.  Immerhin  bleiben 
in  den  meisten  Fällen  Störungen  des  Gehirns  und  eine  Vergrösserung 
des  Schädels  zurück.  Jedenfalls  müssen,  soll  die  Operation  einige  Aus- 
sicht auf  Erfolg  darbieten,  die  Nähte  noch  offen  und  die  Schädelknochen 
noch  beweglich  sein. 

Punction  der  Brusthöhle,  Bruststich,  Operation 
des  Empyems,  Punctio  s.  Paracentesis  thoracis,  Thora- 
centesis,  Operatio  einpyematis  heisst  die  kunstgemässe  Eröff- 
nung der  Pleurahöhle  und  wird  dieselbe  unternommen ,  wenn  durch  An- 
sammlung von  Flüssigkeiten  oder  Gasen  in  der  Brusthöhle  die  Function 
der  Lungen  und  des  Herzens  in  dem  Grade  gestört  wird  ,  dass  dem  Le- 
ben Gefahr  droht  und  wenn  das  Angesammelte  weder  durch  die  Naturthä- 
tigkeit  noch  durch  eine  zweckmässige  innere  Behandlung  entfernt  werden 
kann.  —  Contraindicationen  der  Operation  sind :  unheilbare  Brustkrank- 
heiten, allgemeine  Wassersucht,  grosse  Entkräftung  des  Kranken  in  Folge 
einer  langen  Dauer  des  Uebels  oder  colliquativer  Zufälle ,  hohes  Alter. 
Die  Operationsstelle  ist  eine  verschiedene:  bei  wässerigen  Ansammlungen 
wählt  man  in  der  Regel  den  möglichst  tiefsten  Punkt  der  Brusthöhle,  bei 
eiterigen  bestimmt  der  Siz  der  Krankheit  die  Stelle  der  Operation.  Hat 
man  die  Wahl,  so  führt  man  die  Operation  im  5.  oder  6.  Intercostal- 
raume,  entsprechend  der  grössten  Convexität  der  Rippen  aus.  Wenn  die 
Intercostalräume  nicht  deutlich  sichtbar  sind,  so  macht  man  den  Einstich 
senkrecht  unter  der  Achselhöhle ,  etwas  tiefer  als  die  Brustwarze.  Die 
Operation  wird  entweder  mit  dem  Troicart  oder  durch  den  Schnitt  vorge- 
nommen. Der  Kranke  muss  unterrichtet  werden ,  dass  er  während  der 
Operation  nicht  spricht  und  wenn  er  Hustenreiz  empfindet ,  dieses  durch 
Zeichen  angibt.  Bei  der  Operation  sizt  er  nach  vorn  geneigt ,  die  Ell- 
bogen auf  die  Schenkel  gestüzt.  Bei  der  Operation  mit  dem  Troicart 
bezeichnet  der  an  der  zu  operirenden  Seite  des  Kranken  stehende  Opera- 
teur die  Stelle  des  Einstichs  ,  indem  er  die  Spize  des  Zeigefingers  der 
linken  Hand  auf  den  obern  Rand  derjenigen  Rippe  aufsezt,  über  welcher 
eingestochen  werden  soll.  Nun  fasst  er  einen  massig  starken  Troicart 
auf  die  oben  angegebene  Weise  und  sticht  ihn  dicht  über  dem  Nagel  des 
aufgesezten  Fingers  rasch  ein ,  bis  die  Verminderung  des  Widerstandes 
zeigt,    dass   die   Spize   des   Instruments   die   Brustwand   durchbohrt  hat. 


FUNCTION  DER  BRUSTHOEHLE.  771 

Hierauf  wird  der  Stachel  entfernt ,  die  Canüle  während  jeder  Inspiration 
durch  Auflegen  des  Fingers  geschlossen ,  um  den  verderblichen  Luftein- 
tritt ,  der  nur  während  der  Inspiration  statt  finden  kann ,  zu  verhüten. 
Ebenso  muss  die  Canüle  während  eines  etwa  eintretenden  Hustenanfalls 
geschlossen  werden.  Um  den  Lufteintritt  ganz  unmöglich  zu  machen, 
hat  man  verschiedene  Vorrichtungen  am  Troicart  angebracht.  Die  ein- 
fachste ist  die  von  R  e  y  b  a  r  d  angegebene.  Man  befestigt  an  der  Ca- 
nüle des  Troicarts  ein  nasses ,  vollkommen  zusammengedrücktes  Stück 
Kazendarm  ;  dieser  gestattet  das  Austreten  der  Flüssigkeit,  sinkt  aber, 
sobald  der  Druck  der  Luft  das  Uebergewicht  über  den  Andrang  der  Flüs- 
sigkeit ,  welche  von  innen  her  ausströmt ,  gewinnt ,  zusammen  und  ver- 
schliesst  die  Oeffnung  der  Canüle  ventilartig.  Complicirter,  obwohl  dem 
Hauptzweck  vollkommen  entsprechend ,  ist  der  sogenannte  Trogapparat 
von  S  c  o  d  a  und  Schuh.  Die  Canüle  dieses  Troicarts  ist  mit  einem 
starken  Handgriff'  versehen  und  kann  in  der  Nähe  des  äussern  Endes 
durch  einen  Hahn  geschlossen  werden.  Diese  Absperrung  wird  gleich 
nach  dem  Ausziehen  des  Stilets  vorgenommen  und  dann  ein  kleiner  Kasten 
angesezt,  der  nahe  am  Boden  eine  Oeffnung  besizt,  welche  genau  auf  die 
Oeffnung  der  Canüle  passt ;  eine  zweite  mit  einem  kleinen  Abzugsrohre 
versehene  Oeffnung  befindet  sich  einige  Linien  über  dem  Niveau  der  Ca- 
nülenöffhung ,  so  dass  also  nur  eine  sehr  geringe  Menge  Flüssigkeit  aus 
dem  Thorax  in  den  Trog  entleert  zu  sein  braucht,  um  den  Lufteintritt  in 
die  Canüle  zu  verhüten,  was  überdies  noch  durch  ein  vor  der  auf  die  Ca- 
nüle passenden  Oeffnung  als  Ventil  angebrachtes  Stückchen  Leder  ge- 
schieht. —  Guerin  pumpt  die  Flüssigkeit  mit  einer  in  die  Canüle  des 
Troicarts  passenden  Sprize  ,  S  t  a  n  s  k  y  mittels  eines  mit  einem  Gummi- 
rohr in  Verbindung  stehenden  Schröpf kopfs  aus  der  Pleurahöhle  aus.  — 
Bei  der  Eröffnung  der  Brusthöhle  durch  den  Schnitt  macht  man  dem 
obern  Rande  der  Rippe  entsprechend  in  querer  Richtung  einen  2  bis 
2>/2  Zoll  langen  Schnitt  durch  die  nach  oben  verschobene  Haut.  Diesen 
Schnitt  sezt  man  vorsichtig  durch  die  Muskeln  in  der  Weise  fort ,  dass 
die  Länge  desselben,  je  tiefer  man  eindringt,  immer  abnimmt,  wobei  man 
sich  hütet ,  der  obern  Rippe  zu  nahe  zu  kommen ,  weil  an  ihrem  untern 
Rande  die  Arteriaintercostalis  verläuft.  Ist  auf  diese  Weise  die 
Pleura  blossgelegt  und  fühlt  man  mit  dem  Finger  deutlich  Fluctuation, 
so  sticht  man  sie  mit  dem  Bistouri  an  oder  erhebt  sie ,  wenn  es  möglich 
ist,  mit  der  Pincette  hügelf  örmig  und  schneidet  das  Erhobene  an,  worauf 
man  die  Oeffnung  mit  dem  Knopfbistouri  erweitert.  Die  Flüssigkeit  lässt 
man  über  eine  Kartenblattrinne,  durch  eine  eingeführte  Canüle  oder  einen 
elastischen  Catheter  abniessen.  Der  Verband  besteht  in  dem  Einlegen 
eines  halbausgefranzten ,  beölten  Leinwandläppchens  zwischen  die  Wund- 
ränder der  Pleura ,  ohne  dass  es  in  die  Brusthöhle  hineinhängt ;  darüber 
kommt  ein  gefenstertes  Pflaster ,  Charpie  und  Compresse  zu  liegen.  — 
Die  Eröffnung   der  Pleura  durch  den  Schnitt  passt  nur  in  solchen  Fällen, 

49* 


772  PÜNCTION  DES  HERZBEUTELS. 

wo  man  vollkommen  überzeugt  ist,  dass  man  es  mit  einem  abgekapselten 
Erguss  zu  thun  hat ,  indem  die  bei  jeder  Inspiration  in  die  Pleurahöhle 
eindringende  Luft  die  Wiederausdehnung  der  Lunge  verhindert.  Zur 
Reinigung  der  Eiterhöhle  und  zur  Verbesserung  des  Eiters  hat  man  rei- 
nigende und  reizende  Einsprizungen  empfohlen.  —  Bezüglich  der  Menge 
der  zu  entleerenden  Flüssigkeit  gilt  Folgendes.  Ist  das  Exsudat  das  Pro- 
duct  einer  erst  kürzlich  abgelaufenen  Pleuritis  ,  so  entleert  man  so  viel, 
als  von  selbst  ausfliesst;  ist  das  Exsudat  aber  das  Product  einer  chroni- 
schen Pleuritis,  localer  oder  centraler  Hindernisse  des  Kreislaufs,  so  darf 
man  nur  wenig  entleeren ,  nicht  mehr  als  hinreicht ,  der  comprimirten 
Lunge  Raum  zu  schaffen  ;  die  Entleerung  einer  zu  grossen  Menge  würde 
die  Entstehung  einer  Pleuritis  oder  eine  rasche  Erneuerung  des  Exsudats 
zur  Folge  haben.  —  Bei  Pneumothorax  nimmt  man  die  Punction 
mit  einem  sehr  feinen  Troicart  vor,  die  Canüle  wird  ebenfalls  während  der 
Inspiration  geschlossen.  —  Ueble  Ereignisse  wahrend  der  Opera- 
tion sind:  Ohnmächten,  Verlezung  der  Lungen  und  der  Art.  interco- 
s  t  a  1  i  s  ,  Lufteintritt ,  Aufhören  des  Abflusses  ,  bevor  die  entsprechende 
Menge  Flüssigkeit  entleert  ist.  Die  Ohnmacht  beseitigt  man  durch  die 
geeigneten  Mittel.  Die  Verlezung  der  Lunge  verhütet  man  durch 
das  genaue  Befühlen  der  blossgelegten  Pleura ;  sollte  sie  jedoch  stattge- 
funden haben,  so  erfordert  sie  eine  strenge  antiphlogistische  Behandlung. 
Die  Verlezung  der  Art.  intercostalis  vermeidet  man  leicht, 
wenn  man  die  Mittellinie  des  Intercostalraums  einhält  und  die  Muskeln 
schichtenweise  trennt.  Sollte  sie  statt  finden,  so  hält  man  mit  der  Ope- 
ration inne ,  öffnet  namentlich  die  Pleura  nicht ,  um  einem  Bluterguss  in 
die  Pleurahöhle  vorzubeugen  und  sucht  die  Blutung  durch  eine  temporäre 
Compression  mit  dem  Finger  oder  durch  Schliessung  der  Wunde  zum 
Stillstande  zu  bringen ,  worauf  man  erst  zur  Vollendung  der  Operation 
schreiten  darf.  —  Luft  eintritt,  welcher  auf  die  angegebene  Weise 
verhütet  werden  kann ,  erfordert  die  Anwendung  der  Antiphlogose.  — 
Die  Unterbrechung  des  Ausflusses  kann  herrühren :  von  einer  Ver- 
stopfung der  Canüle  durch  Coagula ,  von  einer  Vorlagerung  des  Pericar- 
diums  oder  der  Lunge  vor  die  Mündung  der  Canüle,  von  der  Dickflüssig- 
keit des  Inhalts  ;  im  ersten  Fall  reinigt  man  die  Canüle  mit  einer  Bougie 
oder  einer  Knopfsonde,  im  zweiten  ändert  man  die  Richtung  der  Canüle, 
im  lezten  bei  Hämathorax  oder  Pyothorax  nicht  selten  eintretenden  Falle 
muss  man  die  Eröffnung  durch  den  Schnitt  vornehmen. 

Punction  des  Herzbeutels,  Herzbeutelstich,  Pun- 
ctio  s.  Paracentesis  pericardii.  Diese  höchst  selten  in  Aus- 
führung gekommene  Operation  ist  nur  dann  angezeigt,  wenn  ein  Erguss 
im  Herzbeutel ,  welcher  auf  andere  Weise  nicht  entfernt  werden  kann, 
dem  Leben  unmittelbar  Gefahr  droht.  Es  ist  immer  eine  sehr  gefähr- 
liche Operation,  deren  Erfolg  nicht  im  Einklang  mit  der  gesezten  Gefahr 
steht ,   denn  sie  kann  nur  die  ergossene  Flüssigkeit  entleeren ,   aber  nicht 


PUNCTION  DER  BAUCHHOEHLE.  773 

die  Ursachen  aufheben,  welche  die  Exsudation  bedingen,  diese  wird  sich 
daher  in  den  meisten  Fällen  reproduciren.  ■ —  Die  Operation  wird  auf 
ähnliche  Weise ,  wie  dieParacentesis  pectoris  ausgeführt.  Die 
Stelle  hierzu  ist  nach  der  Ausdehnung  des  Herzbeutels  und  nach  der 
Deutlichkeit  der  Fluctuation  eine  verschiedene.  Senac  wählte  den 
Zwischenraum  zwischen  der  2.  nnd  3.  Rippe,  in  welchem  er  zwei  Zoll 
vom  Sternum  entfernt  den  Troicart  einstach.  Desault  legte  das  Peri- 
cardium  zwischen  der  6.  und  7.  Rippe  bloss  und  stach  es  dann  mit  der 
Spize  des  Bistouri  an.  Larrey  punktirte  links  in  dem  Räume  zwischen 
dem  Knorpel  der  7 .  Rippe  und  dem  Schwertknorpel.  Riolan,  Skielde- 
r  u  p  und  L  a  e  n  n  e  c  trepanirten  das  Brustbein  und  eröffneten  den  Herz- 
beutel durch  die  Trepanöffnung  hindurch.  Richerand  machte  sogar 
den  Vorschlag ,  behufs  einer  Radicalheilung  nach  der  Punction  reizende 
Einsprizungen  in  den  Herzbeutel  zu  machen.  —  Die  Nachbehandlung 
richtet  sich  nach  der  Verschiedenheit  der  Grundkrankheit  und  nach  der 
durch  die  Operation  hervorgerufenen  Reaction  des  Gesammtorganismus. 

Punction  der  Bauchhöhle,  Bauchstich,  Punctios. 
Paracentesis  abdominis.  Diese  Operation ,  welche  meist  nur  als 
eine  palliative  Hülfe  betrachtet  werden  darf,  kommt  zur  Anwendung, 
wenn  durch  die  Menge  der  in  der  Peritonäalhöhle  oder  in  einem  Cysten- 
raume  angesammelten  Flüssigkeit  die  Organe  der  Bauch-  und  Brusthöhle 
bedeutend  in  ihrer  Function  beeinträchtigt  werden.  In  der  Regel  bedient 
man  sich  dazu  des  Troicarts  und  nur  in  seltenen  Fällen  wird  man  sich 
veranlasst  finden,  mittels  einer  Incision  allmälig  und  schichtweise  trennend 
bis  an  das  Bauchfell  vorzudringen.  —  Die  Stelle,  wo  man  den  Bauch- 
stich vornimmt,  ist  entweder  der  Mittelpunkt  einer  Linie,  welche  man  sich 
vom  Nabel  zur  obern  vordem  Darmbeingräte  (vorzugsweise  auf  der  linken 
Seite)  gezogen  denkt,  oder  der  Punkt,  wo  sich  eine  vom  Nabel  horizontal 
zum  Rücken  geführte  Linie  mit  einer  zweiten  kreuzt ,  welche  man  vom 
vordem  Ende  der  lezten  falschen  Rippe  zum  Kamme  des  Darmbeins  zieht. 
Da  jedoch  bei  der  besonders  nach  vorn  stattfindenden  Ausdehnung  der 
Bauchwand  oft  der  Muse,  reetus  an  Breite  gewinnt  und  die  A  r  t.  e  p  i  - 
g  a  s  t  r  i  c  a  seitwärts  verschoben  wird  ,  so  kann  bei  der  Punction  an  der 
leztangegebenen  Stelle  nicht  blos  ein  dickerer  Theil  der  Bauchwand 
durchstochen  werden  müssen,  sondern  es  kann  auch  eine  Arterienverlezung 
erfolgen.  Aus  diesen  Gründen  scheint  die  Punction  in  der  weissen  Linie, 
2  bis  3  Zoll  unter  dem  Nabel ,  wo  die  Bauchwand  gewöhnlich  am  dünn- 
sten und  keine  Gefässverlezung  zu  befürchten  ist,  den  Vorzug  zu  ver- 
dienen. Wenn  an  den  bezeichneten  Stellen  Verhärtungen  der  Einge- 
weide gefühlt  werden ,  so  wählt  man  eine  andere  und  zwar  eine  solche, 
wo  sich  die  deutlichste  Schwappung  zeigt ;  bei  Saekwassersuchten  die 
fluetuirendste  Stelle ,  immer  mit  Rücksicht  auf  die  Art.  epigastrica; 
den  Nabel ,  wenn  er  blasig  vorgetrieben  ist ;  den  Hodensack,  bei  gleich- 
zeitiger Hydrocele  congenita  oder  einer  freien  Hernie  ;  die  Mutter- 


774  FUNCTION   DER   RAUCHHOEHLE. 

scheide  ,  wenn  sie  an  einer  Stelle  sackförmig  vorgetrieben  ist ,  und  man 
völlig  gewiss  ist,  dass  sich  in  diesen  Sack  nicht  die  Blase  oder  ein  Darm- 
theil  hineingesenkt  hat.  ■ —  Bei  der  Operation  befinde  sich  der  Kranke 
in  einer  halbsizenden  ,  bei  grosser  Schwäche  in  einer  mehr  horizontalen 
Lage  im  Bette,  mit  der  zu  operirenden  Seite  gegen  den  Rand  des  Bettes 
hingewendet.  Um  den  Unterleib  legt  man  zwei  Handtücher  so  an ,  dass 
sie  die  Punctionsstelle  zwischen  sich  frei  lassen  und  ihre  Enden  sich  auf 
dem  Rücken  kreuzen.  Diese  werden  von  zwei  zu  den  Seiten  des  Kran- 
ken stehenden  Gehülfen  gefasst  und  in  entgegengesezter  Richtung  massig 
fest,  angezogen.  Ist  der  Bauch  massig  gefüllt,  so  lässt  man  ihn  von  einem 
Gehülfen  von  beiden  Seiten  her  nach  der  Punctionsstelle  hin  zusammen- 
drücken ,  damit  hier  seine  Wand  von  den  Eingeweiden  mehr  entfernt 
werde.  Der  Operateur  fasst,  an  der  Seite  des  Einstichs  stehend,  einen 
gehörig  dicken  Troicart  mit  der  rechten  Hand  nach  den  oben  gegebenen 
Regeln  und  sticht  ihn  mit  einem  raschen  Druck  senkrecht  durch  die 
Bauchwand  ein  ,  bis  er  an  der  Verminderung  des  Widerstands  erkennt, 
dass  seine  Spize  in  die  Peritonäalhöhle  eingedrungen  ist,  worauf  das  Stilet 
entfernt  und  die  Flüssigkeit  entleert  wird.  Während  des  Abfliessens  der 
Flüssigkeit  ziehen  die  Gehülfen  die  Handtücher  in  dem  Masse  zusammen, 
als  das  Wasser  sich  entleert ;  dieser  Zug  darf  indessen  nicht  zu  stark  sein, 
er  hat  nicht  die  Bestimmung ,  das  Wasser  auszupressen ,  sondern  es  soll 
durch  ihn  nur  der  Druck  ersezt  werden,  den  die  Flüssigkeit  auf  die  Bauch- 
eingeweide ausgeübt  hat ,  um  Congestionen  zu  denselben  zu  vermeiden. 
Im  Allgemeinen  muss  man  sich  zur  Regel  machen,  wenn  die  Bauchdecken 
durch  eine  sehr  bedeutende  Menge  Flüssigkeit  in  hohem  Grade  gespannt 
sind,  nur  so  viel  von  derselben  (ein  Drittel  bis  die  Hälfte)  abzulassen,  als 
eben  hinreicht ,  um  die  Beschwerden  zu  mindern,  denn  in  solchen  Fällen 
hat  die  Bauchwand  eine  solche  Erschlaffung  erlitten,  dass  die  Entleerung 
einer  grösseren  Menge  unvermeidlich  Veranlassung  zu  einer  erneuerten 
raschen  Exsudation  oder  zu  einer  ausgebreiteten  Peritonitis  geben  würde. 
—  Der  Ausfluss  muss  durch  Schliessen  der  Canüle  von  Zeit  zu  Zeit  unter- 
brochen werden.  Stockt  derselbe  plözlich,  so  führt  man  eine  Sonde  ein, 
oder  gibt  auch  dem  Kranken  eine  andere  Lage  oder  der  Canüle  eine  an- 
dere Richtung.  Sobald  sich  Respirationsbeschwerden  oder  Husten  ein- 
stellen ,  muss  die  Operation  beendet  werden ,  denn  sie  sind  ein  Zeichen, 
dass  sich  die  comprimirten  Lungen  nicht  mehr  der  durch  Herabsteigen 
des  Zwerchfells  erreichten  Erweiterung  des  Thorax  entsprechend  ausdeh- 
nen können,  und  dass  in  Folge  dessen  Congestionen  zu  denselben  stattfinden 
können.  —  Ist  die  nöthige  Menge  entleert,  so  entfernt  man  die  Canüle, 
indem  man  die  Bauch  wand  mit  den  Fingern  der  linken  Hand  über  dieselbe 
zurückschiebt.  Die  Wunde  wird  mit  einem  Stück  Heftpflaster  bedeckt. 
Die  beiden  Handtücher  werden  wie  Rollbinden  um  den  Unterleib  ange- 
legt, und  dadurch  ein  massiger  Druck  ausgeübt.  Der  Kranke  muss  einige 
Tage   das   Bett   hüten  ;    sollten   sich   Erscheinungen  einer  Peritonitis  ein- 


PUNCTION  DER  BAUCHHOEHLE.  775 

stellen,  so  muss  die  entsprechende  örtliche  und  bei  grösserer  Ausbreitung 
die  allgemeine  Antiphlogose  eingeleitet  werden.  Tritt  Ohnmacht  ein,  so 
muss  die  Canüle  so  lange  geschlossen  werden  ,  bis  der  Kranke  durch  An- 
wendung geeigneter  Mittel  wieder  zu  sich  gekommen  ist.  In  dem  höchst 
seltenen  Fall  einer  Blutung  verfährt  man  je  nach  der  Quelle  derselben 
verschieden;  ist  ein  Eingeweide  verlezt,  in  welchem  Falle  Blut  mit  Was- 
ser gemischt  ausfliesst ,  oder  ist  in  Folge  der  schnellen  Ueberf  üllung  der 
Gef  ässe  eine  Berstung  erfolgt,  wo  das  Blut  erst  gegen  das  Ende  der  Ent- 
leerung des  Wassers  ausfliesst ,  so  lässt  man  die  Handtücher  recht  fest 
zusammenziehen  und  kalte  Umschläge  machen;  ist  aber  die  Art.  epi- 
gastrica  oder  einer  ihrer  Zweige  verlezt  worden ,  was  man  daran  er- 
kennt, dass  das  Blut  erst  nach  entfernter  Canüle  nach  aussen,  oder  häu- 
figer unter  den  Zufällen  der  innern  Blutung  nach  innen  sich  ergiesst ,  so 
sucht  man  das  angesammelte  Blut  zu  entleeren  ,  worauf  man  eine  feste 
Wieke,  ein  Stückchen  trockenen  Schwamm  oder  eine  Wachsbougie  in  die 
WTunde  einführt,  oder  die  Bauchwand  an  dieser  in  eine  Falte  erhebt  und 
bis  zur  Stillung  der  Blutung  comprimirt  hält ,  oder  auch  die  Stichwunde 
umsticht.  —  In  Bezug  auf  die  Punction  an  den  andern  oben  angegebenen 
Stellen  gilt  Folgendes.  Bei  der  Punction  durch  den  Nabel  sticht  man 
den  Troicart  durch  die  Mitte  der  blasigen  Ausdehnung  und  den  erweiter- 
ten Nabelring;  man  kann  auch  ein  Bistouri  einstechen  (2  —  2*/2  Linien 
tief)  und  durch  Umdrehen  des  Bistouri's  eine  kleine  Lappenwunde  bilden. 
Die  Punction  durch  den  Hodensack  verrichtet  man  ähnlich  der  Ope- 
ration der  Hydrocele.  Bei  der  Punction  durch  die  Mutter  scheide 
legt  man  die  Kranke  quer  über  das  Bett,  mit  dem  Steisse  an  dessen  Rand, 
lässt  die  Schenkel  weit  aus  einander  halten,  die  Füsse  auf  Schemel  sezen, 
und  legt  die  Handtücher  wie  oben  an  ,  um  das  Wasser  noch  mehr  in  die 
Scheide  zu  treiben.  Der  Wundarzt  geht  nun  mit  dem  linken  Zeigefinger 
in  die  Scheide  ein,  legt  diesen  an  die  fluctuirendste  Stelle  an,  leitet  dahin 
den  Troicart  und  stösst  ihn  ein.  —  Bei  der  Sackwassersucht  sticht 
man  nach  gehöriger  Spannung  der  Geschwulst  an  der  niedersten  Stelle 
des  Umfangs,  in  dem  die  Fluctuation  zu  fühlen  ist,  ein.  Ist  das  Wasser 
in  mehreren  Säcken  enthalten,  so  suche  man,  nachdem  der  Troicart  in 
einen  derselben  eingestochen  und,  nach  zurückgezogenem  Stilet,  das  Was- 
ser entleert  ist ,  die  andern  Säcke  gegen  die  innenliegende  Bohre  hinzu- 
drücken und  mit  dem  aufs  Neue  eingeführten  Stilet  zu  öffnen  ,  oder  man 
punktire  die  einzelnen  Behälter.  —  Um  eine  Radicalheilung  des  Hy- 
drops ascites  zu  erzielen,  hat  man  die  Punctionen  mit  reizenden  Ein- 
sprizungen  verbunden,  in  der  Absicht,  eine  Peritonitis  zu  erregen,  welche 
durch  Sezung  eines  plastischen  Exsudats  Verwachsung  der  Bauchfellblätter 
zu  Stande  bringen  soll.  Dieses  gefährliche  Verfahren  ist  gegenwärtig 
verlassen. 

Die   Punction   des   wassersüchtigen   Ovariums  wird  nach  den  bei 
der  Sackwassersucht  angegebenen  Regeln  vollführt.    Sie  wird  häufig  durch 


776  PÜNCTION  DER  GF.BAERMUTTEK. 

den  dicken  gallertartigen  Inhalt  vereitelt,  indem  dieser  durch  die  Canüle 
nicht  ausfliessen  kann. 

Punction  der  Gallenblase,  Gallenblasenstich  oder 
Schnitt,  Punctio  vesicae  feile  ae,  Laparocholecysteo- 
tomia  QMJiuqa,  Bauch,  /oA^5  Galle,  xvGug,  Blase)  ist  angezeigt,  wenn 
bei  einem  vorhandenen  Hydrops  vesicae  felleae  die  etwa  ent- 
stehenden Schmerzen  oder  ein  drohendes  Bersten  der  überfüllten  Blase 
und  somit  ein  bevorstehender  Erguss  der  Galle  in  die  Bauchhöhle  eine 
schnelle  Hülfe  erfordern ,  vorausgesezt ,  dass  man  die  Ueberzeugung  von 
der  Verwachsung  der  Blase  mit  dem  Bauchfelle  hat.  Diese  ist  zu  ver- 
muthen ,  wenn  schon  mehrmalige  Entzündungszufälle  stattfanden ,  und 
wenn  die  unter  den  kurzen  Rippen  hervortretende  Geschwulst  nicht  be- 
weglich und  verschiebbar  ist.  Da  die  genannte  Verwachsung  indessen 
nie  mit  vollster  Sicherheit  dargethan  werden  kann ,  so  ist  räthlich  ,  die 
Operation  nur  bei  dringender  Gefahr  vorzunehmen.  —  Man  spannt  die 
Haut  über  der  von  der  Gallenblase  gebildeten  Geschwulst,  durchschneidet 
erstere  der  Länge  nach  1 1/2  Zoll  und  dringt  mit  immer  kürzer  werden- 
den Schnitten  bis  auf  das  Bauchfell ;  nachdem  man  sich  von  der  gewünsch- 
ten Verwachsung  mittels  des  eingeführten  Fingers  überzeugt  hat ,  sticht 
man  an  der  fluctuirendsten  Stelle  einen  Troicart  oder  eine  Lanzette  ein  ;  er- 
sterer  gewährt  mehr  Sicherheit.  Die  kleine  Wunde  wird  durch  ein 
Bourdonnet  offen  erhalten  ,  bis  der  Ausführungsgang  in  den  Darmkanal 
wieder  wegsam  ist.  Sind  Steine  in  der  Blase,  so  erweitert  man  die  Wunde, 
aber  erst  nach  vorübergegangener  Entzündungsperiode,  und  nicht  blutig, 
sondern  mit  Pressschwamm  bis  zur  hinlänglichen  Grösse ,  um  die  Steine 
ausziehen  zu  können.  Während  der  Operation  entstehende  Blutungen 
stillt  man  durch  kaltes  Wasser  oder  durch  die  Unterbindung.  Entsteht 
ein  Erguss  von  Galle  in  die  Bauchhöhle,  so  erweitert  man  die  Wrunde  oder 
macht  den  Bauchschnitt ,  im  Nothfall  schleimige  Einsprizungen  bei  einer 
den  Abfluss  begünstigenden  Lage  des  Kranken.  Die  nachfolgende  Ent- 
zündung der  Unterleibsorgane  erfordert  eine  ihnen  entsprechende  Be- 
handlung. Die  Wunde  heilt  gewöhnlich  unter  einem  blos  deckenden 
Verbände.  Bleiben  nach  der  glücklich  abgelaufenen  Operation  Fisteln 
oder  eine  Eiterung  zurück ,  so  sind  gewöhnlich  verborgene  Steine  schuld, 
die  oft  spät  von  selbst  ausgestossen  werden.  —  Sollte  man  der  Verwach- 
sung nicht  ganz  sicher  sein,  so  lässt  man  die  Troicartröhre,  die  man  nach 
Abfluss  der  Flüssigkeit  verstopft,  so  lange  liegen,  bis  die  gewünschte 
Verwachsung  erfolgt  ist ;  Charpie  und  eine  Leibbinde  erhalten  sie  in  ihrer 
Lage. 

Punction  der  Gebärmutter,  Punctio  s.  Paracentesis 
uteri,  ist  angezeigt  bei  Wassersucht  des  schwangern  oder  nicht  schwan- 
gern Uterus,  wenn  das  Wasser  in  der  Höhle  desselben  und  in  dem  Grade 
angehäuft  ist ,  dass  grosse  Beschwerden  und  selbst  gefährliche  Zufälle 
entstehen,  so  wie  bei  Ansammlung  des  Menstrualblutes  in  Folge  von  Atre- 


PUNCTION  DER  HARNBLASE.  777 

sie  des  Muttermundes,  Mangel  der  Scheide  etc.,  vorausgesezt ,  dass  das 
Angesammelte,  wie  bei  der  Gebärmutterwassersucht,  nicht  auf  eine  andere, 
weniger  eingreifende  Weise  entleert  werden  kann.  Man  verrichtet  die 
Operation  durch  den  Muttermund ,  den  Grund  der  Scheide ,  die  vordere 
Bauchwand  und  den  Mastdarm.  Die  geeignetste  Stelle  zur 'Operation 
ist  der  Muttermund.  Ist  dieser  nicht  verwachsen  und  steht  er  etwas 
tief,  so  leitet  man  auf  dem  in  die  Scheide  eingeführten  linken  Zeigefin- 
ger eine  geknöpfte  Sonde,  einen  weiblichen  Catheter  etc.  ein  und  durch- 
dringt damit  den  Muttermund.  Bei  einer  Verwachsung  verfährt  man, 
wie  es  bei  der  Gebärmutterverschliessung  angegeben  ist.  —  Bietet  der 
wassersüchtige  Uterus  im  Grunde  der  Scheide  die  deutlichste  Fluc- 
ti! ation,  so  kann  man  mittels  eines  langen  dünnen  Troicarts  von  dort  aus, 
aber  möglichst  nahe  dem  Gebärmutterhalse ,  einstechen.  Durch  den 
Mastdarm  könnte  man  so,  wie  es  beim  Harnblasenstich  gelehrt  werden 
wird,  operiren,  wenn  die  Geschwulst  hier  deutlich  durchzufühlen  ist  und 
Umstände  die  Wahl  einer  der  bisher  genannten  Stellen  verbieten.  —  An 
der  vordem  Bauchwand  wird  die  Operation  gemacht,  wenn  die  fluc- 
tuirende  Geschwulst  hier  sehr  deutlich  fühlbar  und  sowohl  der  Mutter- 
mund wie  der  Uterus  vom  Grunde  der  Scheide  aus  nicht  hinlänglich  zu- 
gänglich ist.  Man  operirt  am  besten  in  der  weissen  Linie,  in  der  Mitte 
zwischen  Nabel  und  Schambeinfuge ,  nachdem  vorher  die  Harnblase  ent- 
leert worden  ist.  Man  verfährt  wie  beim  Bauchstiche,  nur  benuzt  man 
einen  gebogenen  (F  1  e  u  r  a  n  t '  sehen)  Troicart,  der  bis  zu  der  gehörigen, 
aus  dem  Gefühl  des  verminderten  Widerstandes  abzumessenden  Tiefe  ein- 
gestochen wird.  Der  Uterus  contrahirt  sich  während  der  Entleerung, 
weswegen  es  nöthig  ist ,  die  Troicartröhre  noch  tiefer  einzuschieben.  — 
lieber  Verband  und  Nachbehandlung  gilt  das  beim  Bauchstich  und  der 
Eröffnung  des  Gebärmuttermundes  Gesagte. 

Punction  der  Harnblase,  Blasenstich,  Punctio  s. 
Paracentesis  vesicae  urinariae,  ist  angezeigt ,  wenn  .durch  die 
Zurückhaltung  des  Urins  eine  so  bedeutende  Ausdehnung  der  Blase  er- 
folgt, dass  Brand,  Zerreissung  derselben  ,  Extravasaten  des  Urins  zu  be- 
fürchten sind,  und  auf  keine  Weise  der  Abfluss  desselben  auf  dem  natür- 
lichen Wege  bewerkstelligt  werden  kann.  Diese  Operation  ist  bei  Ge- 
schicklichkeit im  Catheterisiren  selten  nöthig ,  vorkommenden  Falls  aber 
zur  Lebensrettung  unentbehrlich.  Sie  bietet  keine  erheblichen  Gefahren 
dar,  verwundet  nicht  bedeutend,  wenn  man  sie  macht,  ehe  die  Entzündung 
einen  hohen  Grad  erreicht  hat,  oder  die  Blase  dem  Bersten  nahe  ist.  Es 
gibt  drei  Methoden,  den  Blasenstich  zu  machen,  nämlich  :  über  der  Scham- 
beinverbindung ,  durch  den  Mastdarm  ,  bei  Weibern  durch  die  Scheide, 
endlich  durch  das  Mittelfleisch.  —  Bei  dem  Blasenstich  über  dem 
Schambogen  nimmt  der  Kranke  eine  halbsizende  Lage  an.  Ein  Ge- 
hülfe fixirt,  nachdem  die  Haare  vom  Schambeine  weggenommen  sind,  die 
Blase  durch  seine  zu  den  Seiten  derselben  angelegten  Hände  in  der  Mit- 


778  PÜNCTION  DER  HARNBLASE. 

tellinie ,  der  zur  rechten  Seite  des  Kranken  stehende  Wundarzt  sezt  den 
linken  Zeigefinger  über  der  Schambeinvereinigung  auf  und  sticht  dicht 
am  Nagel  desselben  einen  halbkreisförmig  gebogenen  Troicart ,  mit  der 
Concavität  nach  unten  gerichtet,  senkrecht  durch  die  Bauchwand  in  die 
Blase  ein  ;  während  des  Vorschiebens  desselben  wird  das  Heft  etwas  ge- 
hoben, damit  er  seiner  Krümmung  entsprechend  eindringe.  Das  Aufhören 
des  Widerstands  zeigt  ihm  an ,  dass  er  in  die  Blase  eingedrungen  ist, 
wozu  je  nach  der  Dicke  der  Bauchwand  ein  Eindringen  von  2  bis  4  Zoll 
nöthig  ist.  Bei  sehr  fetten  Personen ,  wo  die  Blase  nicht  deutlich  fühl- 
bar ist ,  hat  man  angerathen ,  dieselbe  zuerst  durch  einen  Einstich  bloss- 
zulegen,  was  jedoch  überflüssig  ist.  Nach  vollführtem  Einstich  zieht  man 
das  Stilet  mit  der  Rechten  aus ,  während  man  mit  der  andern  Hand  die 
Röhre  etwas  weiter  einschiebt.  Nun  lässt  man  den  Urin  ausfliessen  und 
befördert  dies  durch  eine  seitliche  Lage  des  Kranken  und  durch  Druck 
auf  die  Bauchwand  ,  wobei  man  nach  Verhältniss  des  Abflusses  die  Röhre 
noch  etwas  tiefer  einschiebt.  Der  Abfluss  des  Urins  muss  öfters  unter- 
brochen werden ,  damit  die  durch  die  grosse  Ausdehnung  in  ihrer  Con- 
tractilität  gelähmte  Blase  Zeit  gewinnt,  sich  activ  zusammenzuziehen.  Ist 
zu  fürchten  ,  dass  sich  die  Blase  zu  sehr  contrahiren  und  von  der  Röhre 
abstreifen  werde,  so  entleere  man  sie  nicht  ganz.  Nach  beendigtem  Ab- 
flüsse führt  man  eine  andere  unten  geschlossene  und  seitlich  durchlöcherte, 
oben  mit  einer  Platte  versehene  Röhre  durch  die  erste  ein ,  damit  deren 
scharfer  Rand  die  Blase  nicht  reizen  könne,  befestigt  beide  durch.  Bänder 
an  einander ,  die  man  durch  ihre  Ringe  führt,  legt  eine  gespaltene  Com- 
presse  unter  die  Platte  der  erstem,  befestigt  diese  durch  Heftpflasterstrei- 
fen und  durch  den  senkrechten  Theil  einer  T-Binde ,  dessen  Köpfe  man 
erst  unter ,  dann  über  ihr  kreuzt  und  an  den  horizontalen  ansticht ,  und 
verstopft  endlich  die  äussere  OeiTnung  der  Röhre  durch  einen  Korkstöpsel. 
—  Nach  der  Operation  lässt  man  den  Kranken  eine  ruhige  Lage  beob- 
achten und  lässt  den  Urin  alle  3  bis  4  Stunden,  aber  nie  ganz  ab.  Nach 
7  bis  8  Tagen  zieht  man  die  Röhren  behufs  der  Reinigung  ans ;  man 
nimmt  dabei  erst  die  innere  Röhre  weg,  schiebt  durch  die  andere  eine 
lange  elastische  Bougie,  zieht  sie  sehr  behutsam  über  diese  aus  und  bringt 
sie  ,  nachdem  sie  gereinigt ,  auf  derselben  wieder  in  die  Wunde  ,  worauf 
man  die  Bougie  entfernt  und  die  zweite  Röhre  wieder  einlegt.  Entzünd- 
liche Zufälle  behandelt  man  nach  den  Regeln  der  Kunst.  —  Während 
dieser  Nachbehandlung  muss  man  auf  alle  Weise  suchen,  den  natürlichen 
Gang  für  den  Urin  wiederzustellen.  Hat  man  dies  erreicht,  so  zieht  man 
die  Röhre  aus  und  führt  einen  Catheter  durch  die  Harnröhre,  der  bis  zur 
Heilung  der  StichöfFnung,  die  man  mit  einem  Heftpflaster  bedeckt,  liegen 
bleibt.  Bisweilen  muss  die  Röhre  Jahre  lang  und  selbst  wohl  das  Leben 
hindurch  getragen  werden,  in  welchem  Falle  es  zweckmässig  ist,  sie  durch 
ein  Röhrchen  von  Guttapercha  zu  ersezen,  das  aber  oft  gewechselt  werden 
muss ,    da   es    durch   den   Urin   sehr   brüchig  gemacht  wird.  —   Bei  dem 


FUNCTION  DER  HARNBLASE.  779 

Blasenstich  durch  den  Mastdarm  wird  der  Kranke ,  nachdem  dessen 
Mastdarm  durch  ein  Klystier  gereinigt  ist ,  auf  den  Rand  des  Bettes  so 
gelegt,  dass  die  herabhängenden  Schenkel  von  zwei  Gehülfen  gebeugt 
und  aus  einander  gehalten  unterstüzt  werden  können.  Während  ein  Ge- 
hülfe oberhalb  der  Schambeine  mit  der  einen  Hand  die  Blase  nach  unten 
drängt ,  mit  der  andern  Hand  das  Scrotum  erhebt ,  bringt  der  Wundarzt 
den  beölten  Zeigefinger  der  linken  Hand  in  den  Mastdarm  bis  über  die 
Prostata  weg  und  sezt  1/2  Zoll  über  dieser  die  Fingerspize  gegen  die 
Mittellinie  der  fluetuirenden  Blase.  Dann  fasst  er  den  gebogenen  Troi- 
cart, dessen  Stiletspize  in  die  Röhre 'zurückgezogen  ist,  mit  der  rechten 
Hand ,  führt  ihn  mit  gegen  die  Schambeine  gerichteter  Concavität  längs 
des  linken  Zeigefingers  in  den  Mastdarm ,  zu  der  von  jenem  markirten 
Stelle  und  drückt  ihn  hier ,  den  Griff  nach  dem  Steissbeine  neigend ,  an. 
Nun  stösst  er  das  Stilet  ganz  in  die  Röhre,  schiebt  beide  l1/2Zoll  weiter 
in  die  Blase  hinein ,  wobei  sie  die  Richtung  gegen  den  Nabel  verfolgen 
müssen ,  entfernt  den  Finger  aus  dem  Mastdarm ,  hält  die  Röhre  unver- 
rückt und  zieht  das  Stilet  aus.  Nachdem  der  Urin  abgelassen  ist ,  be- 
festigt man  die  Röhre  durch  Bändchen  an  eine  T-Binde.  - —  DiePunction 
durch  die  Scheide,  wäre ,  wenn  sie  sich  als  nothwendig  erwiese  ,  ganz 
so  auszuführen ,  wie  durch  das  Rectum.  Die  liegenbleibende  Röhre  er- 
hält ihre  Unterstüzung  durch  Ausfüllen  der  Scheide  mit  Charpie.  —  Der 
Blasenstich  durch  den  Damm  ist  das  älteste  Verfahren,  wird  aber  gegen- 
wärtig wenig  mehr  geübt.  Es  wird  dabei,  während  der  Kranke  wie  zum 
Steinschnitt  gelagert  ist ,  entweder  die  Harnröhre  und  der  Blasenhals  ge- 
radezu geöffnet,  oder  der  Einschnitt  in  den  Blasenhals  auf  einer  gefurch- 
ten Leitungssonde  gemacht  (1  a  Boutonniere),  oder  die  Blase  an  ihrem 
Körper  mit  einem  geraden  langen  Troicart  eingestochen,  welcher  entweder 
geradezu  in  der  Mitte  einer  Linie ,  die  man  sich  vom  Sizknorren  bis  zur 
Rhaphe  zwei  Linien  von  dem  Rande  des  Afters  gezogen  denkt ,  zuerst 
parallel  mit  der  Achse  des  Körpers  und  dann  die  Spize  etwas  einwärts  ge- 
richtet ,  eingestossen  wird ;  oder  man  macht  auf  der  linken  Seite  der 
Rhaphe,  1/2  Zoll  von  ihr  entfernt,  einen  l^zölligen  Einschnitt,  welcher 
unter  dem  Bulbus  urethrae  anfängt  und  neben  der  Mündung  des 
Afters  endigt ,  durch  das  Zellgewebe  und  die  Muskeln  ;  während  nun  ein 
Gehülfe  die  Blase  nach  unten  drängt,  vergewissert  man  sich  mit  dem  in 
die  Wunde  eingebrachten  Zeigefinger  der  linken  Hand  von  der  Lage  der 
Blase,  und  stösst  von  diesem  geleitet ,  einen  dicken  Troicart ,  etwas  nach 
oben  gerichtet ,  in  die  Blase.  Nach  entleertem  Urin  wird  die  äussere 
Wunde  sanft  mit  Charpie  ausgefüllt,  die  Röhre  verstopft  und  wie  bei  dem 
Blasenstich  durch  den  Mastdarm  befestigt.  —  Wenn  die  Ursache  der 
Harnretention  ausserhalb  der  Harnröhre  oder  in  dem  von  aussen  nicht  zu- 
gänglichen prostatischen  Theile  derselben  liegt,  so  gibt  man  in  der  Mehr- 
zahl der  Fälle  dem  Blasenstiche  über  der  Schamfuge  den  Vorzug,  wenn 
anders  nicht   die  Fluctuation   sich  hier  sehr  undeutlich  zu  erkennen  gibt, 


780  PYAEMIE. 

ferner  die  Gegend  daselbst  nicht  krank  oder  sehr  schmerzhaft  ist,  in  wel- 
chem Falle  man  den  Blasenstich  durch  den  Mastdarm  vorzieht,  voraus- 
gesezt,  dass  der  Mastdarm,  die  Prostata  und  der  Blasenhals  nicht  der  Siz 
irgend  eines  Leidens  sind.  Liegt  die  Ursache  der  Retention  dagegen  in 
dem  zugänglichen  Theile  der  Harnröhre,  z.  B.  in  einer  Strictur,  in  der 
Anwesenheit  eines  Harnsteins  oder  anderweitiger  fremder  Körper,  so  schnei- 
det man  auf  die  betreffende  Stelle  von  aussen  ein  und  beseitigt  das  Hin- 
derniss  direct.  Bei  einer  Strictur  ist  dieses  Verfahren  zugleich  das  sicher- 
ste Mittel  zur  Heilung  derselben.      S.  Harnröhrenstricturen. 

PyälXlie,  eiterige  Infection,  Eitergährung,  Pyae- 
mia,  Infectio  purulenta.  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man 
eine  Blutkrankheit,  welche  durch  die  Aufnahme  von  Eiter  in  die  Blutmasse 
bedingt  wird.  Die  Krankheit  charakterisirt  sich  durch  functionelle  Stö- 
rungen und  anatomisch  nachweisbare  Veränderungen  im  ganzen  Organis- 
mus, welche  als  Krankheitsbild  unter  dem  Namen  Eitertyphus,  auch 
eiterige  Diathese,  metastatische  Abscesse,  Eitermeta- 
stase u.  dgl.  zusammengefasst  werden.  —  Ueber  die  Art  und  Weise, 
wie  der  Eiter  in  das  Blut  gelangt,  weichen  die  Ansichten  auseinander. 
Die  Einen  glauben ,  dass  der  Eiter  an  der  Stelle  der  Verlezung  von  den 
Gef ässen  aufgenommen  und  weiter  geführt  werde,  und  zwar  sowohl  durch 
Aufsaugung  (zunächst  des  Eiterserums  und  dann  auch  der  zerfallenen 
Eiterkörperchen)  als  auch  durch  Eintritt  von  Eiter  in  offenstehende ,  in 
Eiterherde  hineinragende  Venen.  Andere  sind  der  Meinung ,  dass  der 
Eiter  erst  im  Gef ässsystem  (namentlich  durch  Phlebitis  suppura- 
tiva) gebildet  und  dann  mit  dem  Blute  vermischt  werde.  Dass  auch 
gewisse  flüchtige  Bestandtheile  des  Eiters  eine  Eiterinfection  bewirken 
können,  dafür  scheint  zu  sprechen,  dass  in  Spitälern,  wo  viele  Kranke  mit 
eiternden  Wunden  liegen ,  fast  alle  frischen  Wunden  mit  Eiterung  heilen 
(Diathesis  purulenta).  - —  Der  durch  den  Zutritt  der  Luft  oder 
durch  innere  Ursachen  scharf  gewordene  Eiter  ist  geeigneter  zur  Erzeu- 
gung der  eiterigen  Blutinfection,  als  ein  milder  Eiter.  —  Man  nimmt  an, 
dass  der  in  das  Blut  aufgenommene  Eiter  auf  verschiedenen  Wegen  wie- 
der aus  demselben  ausgeschieden  werden  könne ,  nämlich :  durch  das  ur- 
sprünglich schon  eiterbildende  Organ  (Wunden ,  Geschwüre ,  Hautaus- 
schläge) ,  durch  die  secernirenden  Organe  und  zwar  am  häufigsten  durch 
die  Nieren  ,  und  endlich  durch  Ablagerungen  in  verschiedene  Theile  des 
Körpers.  Die  leztere  Art  der  Ausscheidung  ist  die  bedenklichste ;  der 
Eiter  tritt  sowohl  in  den  verschiedenen  innern  Organen,  und  hier  meistens 
in  der  Form  zahlreicher  kleiner  Abscesse,  wie  im  Bindegewebe  und  in  den 
grossen  serösen  und  in  den  Gelenkhöhlen  auf;  in  dem  ersteren  bildet  er 
nicht  selten  grössere  Eiterherde ,  in  den  Höhlen  serös-eiterige  Ergüsse. 
Die  Bildung  dieser  Eiteransammlungen ,  welche  unter  dem  Namen  der 
metastatischen  Abscesse  bekannt  sind ,  geht  auf  folgende  Weise 


PYAEMIE.  781 

vor  sich  :  Zuerst  entsteht  in  dem  Gewebe  eines  Organs  ein  Bluterguss, 
eine  fast  schwarz  gefärbte  Ecchymose.  Dieses  ergossene  Blut  wandelt 
sich  in  kurzer  Zeit  in  einen  kleinen  Eiterherd  um ,  welcher  sich  in  einer 
scharf  abgegrenzten  Höhle  befindet,  die  sich  bald  mit  einer  Abscessmem- 
bran  auskleidet.  Am  häufigsten  finden  sich  diese  Abscesse  in  der  Lunge, 
nächst  dem  im  Bindegewebe ,  in  der  Milz  ,  der  Leber,  den  Muskeln,  den 
Nieren,  dem  Gehirn  und  dem  Herzen.  Eiterige  Ergüsse  von  grösserem  Um- 
fang finden  sich  nur  im  Bindegewebe  der  Extremitäten ;  in  demjenigen 
des  Rumpfs  fast  nur  bei  Wöchnerinnen  ,  welche  an  Entzündung  der  Ute- 
rinvenen litten.  Der  Eiter  ist  in  diesen  Ergüssen  gewöhnlich  schlecht, 
während  er  in  den  eingekapselten  Abscessen  in  der  Regel  gut  ist.  Die 
Ergüsse  der  serösen  Höhlen  sind  meistens  von  seröser  Beschaffenheit.  Sie 
entstehen  mit  derselben  Schnelligkeit ,  wie  die  metastatischen  Abscesse 
und  können  zuweilen  schnell  verschwinden,  um  bald  darauf  wieder  zu  er- 
scheinen. Die  diese  Ergüsse  einschliessenden  Gewebe  sind  zuweilen  nor- 
mal, andere  Male  geröthet,  erweicht  oder  verhärtet.  —  Die  Ursache  dieser 
Eiterbildungen  finden  die  Einen  darin,  dass  die  Eiterkörperchen  die  engen 
Capillargef  ässe  nicht  passiren  können,  daher  stecken  bleiben  und  dadurch 
eine  örtliche  Entzündung  bedingen,  die  in  Eiterung  übergeht.  Nach  An- 
dern bedingt  das  durch  die  Mischung  mit  dem  Eiterserum  eigenthümlich 
veränderte  Blut  Reizung ,  Entzündung  und  zulezt  Eiterung.  —  Bei  der 
Eitervergiftung  zeigt  das  Blut  eine  bedeutende  Verminderung  an  Faser- 
stoff", so  dass  es  nicht  mehr  gerinnt,  sondern  eine  schmierige  Gallerte  dar- 
stellt ;  die  Blutkörperchen  werden  zum  Theil  aufgelöst,  erscheinen  rissig 
und  höckerig  und  die  Farbe  des  Bluts  ist  rothbraun.  —  Virchow 
spricht  sich  in  neuester  Zeit  über  die  Eiterinfection  des  Blutes  folgender- 
massen  aus :  Die  Anwesenheit  des  Eiters  im  sogenannten  pyämischen 
Blute  lässt  sich  nicht  positiv  darthun.  Viele  Fälle,  wo  man  mikroskopisch 
die  eingedrungenen  Eiterkügelchen  zu  sehen  glaubte ,  waren  Leukämien 
oder  Polyleucocythaeniien  (Vermehrung  der  weissen  Blutkörperchen).  Farb- 
lose Blutkörperchen ,  wie  Eiterzellen ,  sind  der  verschiedensten  Modifica- 
tionen  fähig  ;  beide  lassen  sich  nicht  speeifisch  von  einander  unterschei- 
den. —  Durch  Injection  fauliger  Substanzen  in  das  Blut  lässt  sich  aller- 
dings eine  tödtliche  Krankheit  erzeugen  (S  e  d  i  1 1  o  t  's  Septihämie)  ,  aber 
nicht  das  Symptomenbild  der  Pyämie,  lezteres  auch  nur  in  seltenen  Fällen 
durch  Injection  von  achtem  Eiter.  Der  sogenannte  Veneneiter ,  welchen 
man  als  Ursache  der  nach  einer  purulenten  Phlebitis  eintretenden  Pyämie 
ansah ,  ist  gar  kein  Eiter ,  sondern  ein  Detritus  von  Faserstoff  und  Blut- 
körperchen aus  dem  zerfallenen  Thrombus.  —  Der  Uebergang  von  Eiter 
in  das  Blut  lässt  sich  fast  niemals  nachweisen ,  mit  Ausnahme  jener  selte- 
nen Fälle ,  wo  eine  Aspiration  desselben  möglich  war ,  oder  wo  Abscesse 
in  das  Innere  einer  Gef  ässhöhle  hinein  durchbrachen ,  und  gerade  in  sol- 
chen Fällen  wurden  gar  keine  pyämischen  Erscheinungen  beobachtet.  — 
Man  muss  überhaupt  die  unter  dem  Namen  Pyämie  zusammengefassten 


782  PYAEMIE. 

Phänomene  in  zwei  Reihen  sondern,  von  denen  die  eine  mehr  mechanisch 
(durch  Embolie),  die  andere  mehr  chemisch  (durch  Infection)  zu  erklären 
ist.  Es  kommen  Fälle  von  ausgedehnten  Eiterungen  vor ,  wo  troz  des 
heftigsten  pyärnisch-typhösen  Fiebers  gar  nichts  zu  dessen  Erklärung  auf- 
gefunden wird.  Es  gibt  ferner  Fälle  ausgebreiteter  eiteriger  Diathese, 
wo  die  Section  eine  Menge  von  sogenannten  Metastasen  nachweist,  wäh- 
rend bei  Lebzeiten  gar  keine  pyämischen  Symptome  beobachtet  worden 
waren.  Es  gibt  Fälle  von  sehr  ausgebreiteten  Eiterungen ,  wo  der  Tod 
nach  wiederholten  Schüttelfrösten  eintrat,  ohne  dass  die  Section  Spuren 
einer  allgemeineren  Infiltration  zeigte.  Es  gibt  endlich  Fälle ,  wo  man 
bei  Lebzeiten  eine  Pyämie  diagnosticirt ,  und  nach  dem  Tode  nur  eine 
Embolie  findet.  —  Der  nach  seiner  Aufsaugung  jene  Infection  bedingende 
Stoff  ist  wahrscheinlich  eigenthümlicher  Art ,  von  Eiterkügelchen ,  Eiter- 
saft und  gewöhnlichen  Fäulnissstoffen  noch  verschieden.  Man  muss  von 
der  einfachen  Septihämie  noch  unterscheiden  die  Ichorrhämie,  die 
Aufnahme  verdorbener  Säfte  aus  eiternden  und  brandigen  Stellen,  wie  sich 
oft  unter  epidemischem  Einflüsse  zu  erzeugen  pflegen.  Diese  Ichorrhämie 
ist  es  vorzugsweise,  welche  eine  Neigung  zur  Hervorbringung  entzünd- 
licher ,  diphtherischer ,  erysipelatöser  und  eiteriger  Processe  und  Meta- 
stasen bedingt ,  eine  phlogogene  Diathese ,  eine  Eitersucht.  —  Sym- 
ptome. Die  Pyämie  beginnt  gewöhnlich  mit  einem  Schüttelfrost  von 
verschiedener  Stärke  und  Dauer ,  dem  häufig ,  jedoch  nicht  immer,  Hize 
und  dann  Schweiss,  gleichfalls  von  verschiedener  Dauer,  oft  von  erneuer- 
ten Frostanfällen  unterbrochen,  folgen.  Diese  sogenannten  perniciö- 
sen  Frostanfälle,  Febris  intermittens  perniciosa,  erschei- 
nen ohne  regelmässigen  Typus ,  kommen  oft  mehrmals  des  Tags  wieder 
und  nicht  selten  mehrerere  Tage  hinter  einander.  Besteht  eine  Wunde, 
so  wird  diese  sogleich  mit  dem  ersten  Frostanfall  missfarbig,  ihre  Ränder 
werden  schlaff,  die  Eiterung  stockt,  die  ganze  Wundfläche  erscheint  trok- 
ken  und  verbreitet  einen  üblen  Geruch ;  hatte  die  Vernarbung  bereits  be- 
gonnen ,  so  springt  die  Narbe  wieder  auf  und  ihre  Ränder  hängen  schlaff 
herab.  Mit  den  Frostanfällen  ist  ein  Darniederliegen  der  Kräfte ,  Be- 
täubung ,  Mangel  an  Appetit ,  trockene ,  schwärzlich  belegte  Zunge  und 
icterische  Färbung  der  Haut  und  der  Augen  verbunden.  Oft  stellt  sich 
Durchfall  mit  höchst  stinkenden  Ausleerungen  ein.  —  In  der  Mehrzahl 
der  Fälle  wird  die  Krankheit  unter  Steigerung  der  angeführten  Symptome 
schnell  tödtlich.  Zuweilen  bessert  sich  auch  der  Zustand  wieder,  aber 
meist  nur ,  um  der  baldigen  Wiederkehr  der  Krankheitserscheinungen 
Plaz  zu  machen ,  was  sich  mehrmals  wiederholen  kann  und  dann  schliess- 
lich doch  zum  Tode  führt.  Nur  in  höchst  seltenen  Fällen  hat  die  Besse- 
rung Bestand  und  der  Kranke  geneset.  —  Behandlung.  Sie  ist  zu- 
nächt  eine  causale  ;  man  sucht  die  Ursache  der  Krankheit  zu  heben  durch 
Sorge  für  Entleerung  des  stagnirenden  Eiters ,  durch  Einschnitte  und 
Gegenöffnungen;    durch  Einsprizungen ,   Bäder  und  Fomentationen  sucht 


QUETSCHUNG.  783 

man  die  Resorption  scharfer  Jauche  zu  vermindern ,  unterdrückte  Eite- 
rungen und  Schleimflüsse  wieder  herzustellen,  man  amputirt  Glieder,  deren 
Heilung  nicht  erwartet  werden  kann,  zur  rechten  Zeit ;  Patienten,  welche 
durch  Spitalluft  cachectisch  geworden  sind,  bringt  man  auf  das  Land.  Ist 
es  nicht  möglich,  auf  directem  Wege  zu  helfen,  so  reicht  man  Brech-  und 
Abführmittel ,  Chinarinde  und  Säuren ,  Chinin  und  Chininsalze.  Dabei 
muss  die  Diät  geregelt  werden  mit  Vermeidung  alles  Erhizenden ;  die 
Nahrung  j<ei  leicht  verdaulich  und  möglichst  nahrhaft. 


Q- 


HUetSChUllg,  Contusio,  Quassatio,  nennt  man  die  durch 
eine  stumpfwirkende  Gewalt  herbeigeführte  Verlezung  des  innern  Ge- 
f  üges  eines  Gewebes^  ohne  gleichzeitige  Trennung  der  Oberhaut.  —  Dem 
Grade  nach  können  die  Quetschungen  höchst  verschieden  sein ,  wonach 
sich  auch  die  Erscheinungen  richten.  War  die  einwirkende  Gewalt 
nicht  bedeutend ,  so  empfindet  der  Kranke  einen  drückenden  Schmerz  in 
dem  Theile ;  dieser  schwillt  an  und  wird  durch  Infiltration  von  Blut  blau 
gefärbt  (Blutunterlaufung ,  Ecchymosis);  wirkte  die  Gewalt  stärker 
ein ,  so  ist  der  drückende  Schmerz  lebhafter ;  in  Folge  der  Zerreissung 
grösserer  Gefässe  bilden  sich  Blutextravase  (Ecchymoma,  s.  diesen 
Art.)  ,  die  blauschwarz  durch  die  Haut  scheinen ,  wenn  sie  oberflächlich 
liegen ,  die  ausserdem  fluctuiren  und  die  Geschwulst  vermehren.  Der 
tiefliegende  Bluterguss  zeigt  sich  oft  erst  ziemlich  spät ,  namentlich  bei 
der  Lage  unter  einer  Aponeurose.  Dabei  leidet  die  Function  des  Theils 
mehr  oder  weniger  stark  mit.  Bei  sehr  intensiver  Einwirkung  der  äussern 
Gewalt  tritt  der  höchste  Grad  der  Quetschung  ein ;  der  Theil  fühlt  sich 
matschig  an,  er  wird  unempfindlich  und  seiner  Functionen  beraubt.  Sind 
alle  organischen  Theile  in  eine  fast  gleichartige,  breiige  Masse  verwandelt, 
so  bezeichnet  man  dies  als  Zermalmung,  Conquassatio.  —  Die- 
sen primären  Erscheinungen ,  die  vorzüglich  in  einer  Verminderung  der 
Vitalität  bestehen ,  folgen  dann  bald  die  secundären  Symptome :  die  der 
Reaction  oder  völligen  Ertödtung  der  Vitalität.  —  Ist  die  Texturverände- 
rung unbedeutend,  so  tritt  eine  massige  Entzündung  auf,  die  sich  meistens 
zertheilt,  und  auch  das  ergossene  Blut  wird  nach  und  nach  unter  allmäli- 
ger  Farbenveränderung  des  verlezten  Gewebes  resorbirt.  —  Bei  einem 
höheren  Grade  von  Quetschung  ist  die  Reaction  gewöhnlich  bedeutender, 
Schmerz  und  Geschwulst  steigern  sich  anfangs,  und  in  der  Umgebung 
des  Extravasats  fühlt  man  entzündliche  Härte.  Die  sich  bildende  Ent- 
zündung zeigt  eine  grosse  Neigung  zum  Uebergang  in  Eiterung  und 
Brand.  Extravasate,  selbst  bedeutendere  können  resorbirt  werden ;  oft 
bleibt  jedoch  ein  festes   fibrinöses   Coagulum   zurück ,    das   organisations- 


784  QUETSCHUNG. 

fähig  ist,  oder  in  Eiterung  umgewandelt  wird,  oder  endlich  auch  noch 
durch  Resorption  schwindet.  —  Im  höchsten  Grad  von  Quetschung  ist 
Brand  unvermeidlich.  —  Ursachen.  Alle  mechanischen  Gewalten, 
welche  durch  Stoss  oder  Druck  wirken,  können  Quetschung  veranlassen. 
Die  quetschende  Einwirkung  bringt  in  verschiedenen  Geweben,  je  nach 
ihren  mechanischen  Eigenschaften,  ungleiche  Zerstörungen  hervor,  gerin- 
gere in  elastischen,  stärkere  in  weichen,  wenig  cohärenten  Geweben.  Da- 
her ist  häufig  bei  Quetschungen  die  Haut  ziemlich  unversehrt,  während 
tiefere  Theile  in  hohem  Grade  gelitten  haben,  auch  leiden  die  Weichtheile 
immer  mehr,  wenn  sie  gegen  einen  Knochen  gedrückt  werden  und  im  Mo- 
mente der  Einwirkung  erschlafft  sind.  Viel  kommt  dabei  auch  darauf 
an ,  ob  die  Gewalt  mehr  gerade  oder  in  einem  grösseren  oder  kleinern 
Winkel  den  Theil  berührte.  ■ —  Prognose.  In  den  leichteren  Fällen 
und  wo  das  Ecchymoma  nicht  zu  beträchtlich  wurde,  ist  die  Contusion 
nicht  gefährlich  ;  in  den  höheren  Graden  kann  aber  die  Quetschung  an 
und  für  sich  oder  durch  die  später  eintretende  Eiterung  oder  Gangräne- 
scenz  den  Verlust  des  gequetschten  Theils  oder  selbst  den  Tod  herbei- 
führen. In  Eingeweiden  haben  sie  bisweilen  organische  Krankheiten  zur 
Folge.  —  Behandlung.  Bei  leichteren  Graden  von  Quetschung  reicht 
man  mit  der  Anwendung  von  Kälte  und  einem  leichten  Druckverbande 
aus.  Bei  stärkeren  und  ausgebreiteteren  Contusionen  ist  eine  energische 
und  anhaltende  antiphlogistische  Behandlung  nothwendig ,  um  dem  Ein- 
tritte heftiger  Entzündung  vorzubeugen.  Man  zieht  demgemäss  das  kalte 
Wasser  in  der  Form  von  Umschlägen  und  Aufgiessungen ,  so  wie  Um- 
schläge von  Essig  und  Wasser,  Bleiwasser,  Salzsolutionen,  die  Schmuk- 
ker' sehen  Fomentationen  in  Gebrauch.  Diese  Mittel  wirken  belebend, 
befördern  die  Zusammenziehung  des  atonisch  gewordenen  Gewebes,  hem- 
men das  weitere  Austreten  von  Blut  und  begünstigen  die  Aufsaugung  des 
ergossenen.  Ausser  diesen  Mitteln  können  örtliche  und  allgemeine  Blut- 
entziehungen ,  innerlich  kühlende  Mittelsalze  etc.  nöthig  werden.  —  Ist 
die  Gefahr  der  Entzündung  beseitigt,  das  ergossene  Blut  aber  noch  nicht 
vollständig  resorbirt,  so  wendet  man  gelind  reizende ,  zertheilende  Mittel 
an,  wie  Umschläge  von  aromatischen  Aufgüssen  mit  oder  ohne  WTein,  von 
Essig  und  Salmiak,  von  Theden's  Schusswasser,  von  Arnica  etc.,  und 
geht  dann  zu  Waschungen  aus  Spiritus  camphoratus,  sapona- 
tus,  serpylli,  Balsam,  vitae  Hoffm.  extern,  etc.  über,  wickelt 
die  Theile  gleichmässig  mit  einer  drückenden  Binde  ein  und  gibt  innerlich 
Arnica  mit  Mittelsalzen ,  bei  grosser  Sensibilität  des  Kranken  auch  mit 
einem  Zusaze  von  Opium.  Tritt  Eiterung  ein,  so  behandelt  man  die  Ge- 
schwulst wie  einen  Abscess  und  öffnet  frühzeitig.  Bleibt  in  den  gequetsch- 
ten Theilen  grosse  Schwäche  zurück ,  so  fährt  man  mit  den  reizenden 
Einreibungen  und  dem  Druckverbande  fort ,  oder  lässt  die  kalte  Douche 
darauf  einwirken.  —  Gelingt  die  Aufsaugung  und  Zertheilung  einer  Blut- 
geschwulst nicht,  so  macht  man  einen  Einschnitt  und  behandelt  die  Wunde 


REIFMACHENDE  MITTEL.  785 

ihrer  Beschaffenheit  gemäss.  —  Ist  ein  Gliedtheil  in  dem  Masse  zer- 
quetscht, dass  Brand  unvermeidlich  folgen  muss,  so  ist  die  Amputation 
angezeigt. 


R. 


Rachenpolyp,  Polypus  faucium  s.  pharyngis.  Er 
kann  in  dem  hintern  Theile  der  Nasenhöhle  wurzeln  und  sich  gegen  die 
Rachenhöhle  entwickeln  oder  er  entsteht  auf  der  hintern  Wand  des  hän- 
genden Gaumens  oder  von  den  Wänden  des  Pharynx  selbst.  Er  ist  mei- 
stens von  fester,  fleischiger  Beschaffenheit  und  sizt  gewöhnlich  mit  einem 
kurzen  und  dicken  Stiele  auf.  —  Diese  Polypen  geben  sich  zu  erkennen 
durch  Druck  und  Reizung  der  Rachengebilde  ,  durch  Husten ,  Würgen, 
Hinderniss  beim  Athmen  und  Schlingen.  Bei  nicht  zu  tiefem  Size  sind 
sie ,  wenn  sie  sich  etwas  vergrössern ,  leicht  durch  das  Gesicht  zu  erken- 
nen. —  Behandlung.  Das  Ausreissen  dieser  Polypen  ist  wegen 
der  Nachgiebigkeit  des  Bodens,  auf  dem  sie  wurzeln,  nicht  räthlich  und 
höchstens  bei  solchen  mit  langem  dünnen  Stiele  zu  wagen ;  das  Abschnei- 
den kann  meist  nur  unvollständig  geschehen  und  ist  der  meist  heftigen 
Blutung  wegen  nicht  ohne  Gefahr ;  wenn  sie  nicht  zu  hoch  oder  zu  tief 
sizen,  fasst  man  sie  mit  einem  scharfen  Haken,  zieht  sie  hervor  und  trägt 
sie  mittels  eines  grösstentheils  umwickelten  Bistouris  durch  sägeförmige 
Züge  ab:  Die  Blutung  wird  durch  Gurgeln  mit  kaltem  Wasser,  Wasser 
und  Essig  u.  dgl.  gestillt.  Das  Abbinden  ist  die  zweckmässigste  Be- 
handlungsweise  ,  es  ist  aber  oft  sehr  schwierig  und  geschieht ,  wie  es  bei 
den  Nasenpolypen  angegeben  wurde.  Passend  ist  die  Combination  des 
Abbindens  mit  dem  Abschneiden.  Sizt  der  Polyp  in  der  Speiseröhre 
selbst,  so  kann  er  nur  durch  Würgen  in  die  Mundhöhle  getrieben  werden 
und  erregt  daselbst  sehr  bald  Erstickungsgefahr,  daher  man  in  diesem 
Falle  vor  der  Operation  durch  die  Pharyngotomie  einen  künstlichen  Luft- 
weg bilden  muss.  Man  sucht  diese  Polypen  mittels  einer  Schlinge ,  die 
durch  die  Nase  eingeführt  wird ,  zu  fassen  ,  und  bringt  dann  einen  ge- 
krümmten ,  langen  L  e  v  r  e  t'schen  Cylinder  in  Anwendung.  Man  kann 
sich  auch  mit  Vortheil  der  galvanocaustischen  Schneideschlinge  bedienen. 
S.  Electrotherapie. 

Reifmachende  Mittel,  Maturantia,  oder  eiterungs- 
befördernde,  eiterbildende  Mittel,  Suppurativa,  Suppurantia. 
Hierunter  versteht  man  verschiedene  örtliche  Mittel,  welche  die  Eiterung  in 
entzündlichen  Geschwülsten ,  die  sich  in  der  Haut  oder  nahe  unter  ihr 
befinden,  befördern.  Es  gibt  selbstverständlich  keine  Substanz,  welche 
die  Eigenschaft  besizt ,  Eiter  zu  bilden.  Dieser  kann  sich  nur  in  Folge 
Burger,  Chirurgie.  50 


786  REINIGENDE  MITTEL. 

eines  gewissen  Grades  von  Entzündung  bilden.  Es  kann  sich  also  nur 
davon  handeln  ,  Mittel  anzuwenden ,  welche  diesen  erforderlichen  Grad 
von  Entzündung  herbeiführen,  und  da  der  bestehende  Grad  der  Entzün- 
dung ein  verschiedener  sein  kann ,  so  müssen  auch  die  anzuwendenden 
Mittel  verschiedene  sein.  Ist  die  Entzündung  zu  stark,  d.  h.  überschrei- 
tet sie  den  Grad  ,  bei  welchem  sich  Eiter  bilden  kann ,  so  sind  reizmil- 
dernde,  schleimige,  erweichende  Mittel  (s.  dies.  Art.)  die  eigentlichen 
Maturantia;  ist  die  Entzündung  dagegen  zu  gering,  d.  h.  erreicht  sie 
den  zur  Eiterbildung  nöthigen  Grad'  nicht,  oder  fehlt  sie  ganz,  dann  sind 
erregende  Mittel  nöthig ,  um  den  zu  schwachen  Entzündungsprocess  zu 
vermehren  oder  den  fehlenden  hervorzurufen.  Solche  Mittel  sind  :  Zwie- 
bel (gebraten  für  sich  allein  oder  in  Verbindung  mit  andern  Mitteln, 
s.  unten),  Pfeffer,  Meerrettig ,  Senf,  Löffelkraut,  Ranunkelarten  etc., 
welche  gewöhnlich  mit  erweichenden  Kräuterpulvern  in  Brei-  oder  Teig- 
form ,  Seife ,  welche  in  Breiform  für  sich  oder  mit  andern ,  namentlich 
scharfen  Mitteln  (s.  unten)  in  Anwendung  kommen.  Endlich  sind  noch 
die  natürlichen  Balsame  ,  die  Harze  und  Schleimharze ,  und  unter  diesen 
besonders  das  Gummi  elemi,  galbanum,  ammoniacum,  der  Ter- 
pentin ,  das  Fichtenharz  ,  Pech  etc.  zu  nennen ,  welche  in  vielfachen  Zu- 
sammensezungen ,  z.B.  als  Einplas  tr.  diachylon  compositum, 
malacticum,  citrin  um,  deammoniaco,  foetidum,  Ungt. 
fuscum,  basilicum  etc.,  so  wie  häufig  als  sogenannte  Haus-  oder  Fa- 
milienpflaster, welche  meistens  mit  dem  Empl.  citrinum  übereinkom- 
men, in  Gebrauch  sind. 

Rp.  Spec.  emollient.  proca-     Rp.    Sapon.    dornest,    s.    nigr. 

taPL  dÄ)  5"J 

Pulv.  sem.  s  inap.  A  q.  fervid.  51J 

Cepar.  assatar.  ana  ^j  Cepar.  assatar. 

M.  f.  C  a t  a p  1.  F a r  i n.     sem.     s  i n a p.    ana 

5ÜJ. 

M.  f.  Catapl. 

Reinigende  Mittel,  Abstergentia,  Detergentia  s. 
Detersiva,  Mundificantia,  Rhyptica.  Diese  Mittel  zerfallen 
in  zwei  Gattungen ,  und  zwar  in  solche ,  welche  zur  Reinigung  frischer 
Wunden  von  fremden  Körpern  oder  eiternder  Wunden  und  Geschwüre 
von  Unreinigkeiten  in  ihrer  Umgebung  dienen  und  welche  gemeinhin  als 
Abwasch  mittel,  Abluentia,  bezeichnet  werden,  und  in  solche, 
welche  die  Bestimmung  haben,  eine  Eiterfläche  von  schlechter  Beschaf- 
fenheit in  eine  gutbeschaffene  umzuwandeln.  Es  sind  dies  die  eigentli- 
chen Digestiva,  oder  sofern  sich  bei  ihrer  Anwendung  eine  gute  Gra- 
nulation, junges  Fleisch  erzeugt ,  die  fleisch  machenden  Mittel, 
Incarnantia  s.  Sarcotica.  -  Nur  von  diesen  wird  hier  die  Rede 
sein.  —  Der  Grund  der  Unreinigkeit  einer  Wunde  oder  eines  Geschwürs 


RESECTION.  787 

kann  ein  verschiedener  sein  und  nach  dieser  Verschiedenheit  müssen  auch 
die  Mittel,  welche  den  ordnungsniässigen  Zustand  wiederherstellen  sollen, 
verschieden  sein.  Die  Unreinigkeit  einer  eiternden  Flache  kann  beru- 
hen :  auf  zu  geringer  oder  zu  starker  Entzündung  oder  auf  einer  brandi- 
gen Zerstörung.  Der  erstere  Zustand  nimmt  erregende,  der  zweite  reiz- 
mildernde ,  erweichende ,  der  lezte  fäulnisswidrige  Mittel  in  Anspruch. 
Die  zwei  lezten  Gattungen  von  Mitteln  haben  in  den  entsprechenden  Ar- 
tikeln schon  ihre  Erledigung  gefunden;  es  wird  deshalb  hier  nur  von  den 
erstem  gehandelt  werden.  Zu  den  hierher  gehörigen  Mitteln  sind  zu 
rechnen  :  verschiedene  balsamische  und  harzige  Mittel ,  wie  der  B  a  1  s  a  - 
mum  Arcaei,  Bals,  sulphuris  terebinth.,  Ungt.  digesti- 
vum,  basilicum,  de  styrace,  Empl.  de  spermate  ceti  etc.,  der 
Peru-,  Tolubalsam,  der  Theer,  Russ,  die  Myrrhe,  Aloe  ;  einige  ätherisches 
Oel  haltige  Pflanzen,  wie  Chamillenblumen  und  Calmuswurzeln;  Chlor,  und 
zwar  das  Chlorwasser,  Chlorkalk  (5j — ij  ad  5VÜJ  Wasser),  Chlornatrium  ; 
einige  Natronsalze,  wie  Borax,  Salmiak,  Salpeter,  Kochsalz;  endlich  ver- 
schiedene Caustica  in  verdünntem  Zustande,  so  das  Aezkali  ('/2  —  6  gr. 
auf  ^j  Flüssigkeit,  zu  Verbandwassern,  Einsprizungen  und  Pinselsäften), 
der  Höllenstein  (gr.  */4 — »2  gr.  auf  ^j  Aq.)  ,  Sublimat  (gr.  j — ij  auf  ^j 
Flüssigkeit)  ,  der  rothe  und  weisse  Präcipitat  Qj  —  3j  auf  5jj  Fett)  ,  der 
Grünspan,  das  Chlorzink  (gr.  j — ij  auf  5j  Aq.)  etc.  ;  der  weisse  Zucker 
(als  Streupulver). 

ReSGCtlOll,  Resectio.  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man 
die  theilweise  oder  gänzliche  Entfernung  eines  oder  mehrerer  Knochen 
mit  Zurücklassung  der  sie  bedeckenden  Weichtheile.  Die  Entfernung 
krankhafter  Knochen  kann  an  den  Gelenkenden  oder  in  der  Continuität 
der  Knochen  vorgenommen  werden  ;  man  bringt  die  Resectionen  daher 
unter  zwei  Hauptklassen,  nämlich  :  I.  Aussägung  kranker  Knochenstücke 
aus  einem  Knochen,  Resectio  ossium  partialis.  Diese  zerfällt 
wieder :  1)  in  die  Abtragung  der  Gelenkenden,  Resectio  ossium  in 
articulis,  Decapitatio  ossium;  2)  in  die  Entfernung  kranker 
Stücke  aus  der  Continuität  der  Knochen,  Resectio  ossium  partia- 
lis, Resectio  in  continuitate  ossium,   R.  extra  articulos. 

—  IL  Exstirpation  eines  ganzen  kranken  Knochens  durch  Aufhebung 
seiner  Gelenkverbindungen,  Resectio  ossium  totalis,  Exstirpa- 
tio  ossium.  —  Der  nächste  Zweck  der  Operation  ist  zwar  immer  die 
Entfernung  des  kranken  Knochens  ,  allein  bei  Gliedmassen  hat  die  Re- 
section  noch  einen  entfernteren ,  aber  höchst  wichtigen  Zweck ,  nämlich 
die  Erhaltung   der  Gliedmassen   und  eines  grossen  Theils  ihrer  Function. 

—  Die  Krankheitszustände ,  welche  im  Allgemeinen  die  Operation  erhei- 
schen, sind:  1)  organische  Krankheiten  der  Knochen: 
a)  Necrose,  wenn  dieselbe  wenigstens  den  grössten  Theil  eines  oder 
beider   Gelenktheile   einnimmt ;    b)   C  a  r  i  e  s  ,   wenn   dieselbe  mehr   oder 

50* 


788  RESECTION  DER  GELENKKOEPFE. 

weniger  örtlich  ist,  d.  h.  wenn  kein  auffallendes  Allgemeinleiden  dieselbe 
an  mehreren  Stellen  erzeugt  und  unterhält ;  c)  Krebse,  wenn  die  allge- 
meine Erkrankung  nicht  zu  sehr  entwickelt  ist;  d)  gutartige  Neu- 
bildungen, wie  centrale  Knochenenchondrome  u.  dgl.,  wenn  sie  nicht  an 
sich  exstirpirbar  sind.  2)  Mechanische  Verlezungen:  a)  Ge- 
lenkzerschmetterungen; b)  complicirte  Beinbrüche  mit 
losen  Knochensplittern ,  oder  wenn  ein  die  Haut  perforirendes  Knochen- 
stück ,  selbst  nach  der  Erweiterung  der  Wunde  nicht  reponirt  werden 
kann ;  c)  irreponible  Luxationen,  bei  denen  der  Gelenkkopf 
gegen  Nerven  und  Gefässe  drückt;    d)   Pseudarthrosen. 

I.  Abtragung  des  Gelenkendes  der  Knochen  oder 
der  Gelenkköpfe,  Resectio  ossium  inarticulis,  Decapi- 
tatio  ossium,  Amputatio  epiphysium.  —  Die  Indi  c  atio- 
n  e  n  zur  Ausführung  der  Gelenkresectionen  lassen  sich  nicht  auf  eine 
scharf  begrenzte  Weise  geben.  Im  Allgemeinen  beschränken  sie  sieb 
auf  Krankheiten  der  Gelenkenden  der  Knochen,  deren  Heilung  auf  andere 
Weise  nicht  erzielt  werden  kann;  zu  diesen  Krankheiten  gehören:  1)  Lu- 
xationen mit  Zerreissung  der  weichen  Theile,  durch  welche  der  luxirte 
Gelenkkopf  so  hervorgetreten  ist ,  dass  er  nicht  wieder  reponirt  werden 
kann.  2)  Zerschmetterung  der  Gelenkenden  der  Knochen, 
ohne  Betheiligung  der  Continuität  derselben  und  ohne  Verlezung  der 
Hauptnerven.  Zerreissung  des  Arterienstamms  contraindicirt  die  Opera- 
tion nicht,  da  nach  der  Unterbindung  desselben  die  Heilung  erfolgen 
kann.  3)  Schusswunden  der  Gelenke,  wenn  die  Kugel  in  einem 
Gelenkkopfe  eingekeilt  oder  dieser  zermalmt ,  der  Körper  des  Knochens 
aber  weder  zersplittert ,  noch  ein  oder  mehrere  Mal  der  Länge  nach 
herabgespalten  ist,  wenn  die  Kugel  nicht  sonst  zu,  entfernen  ist.  4)  Ca- 
ries  an  den  Gelenkenden  der  Knochen ,  welche  die  Grenzen  der 
Gelenktheile  nicht  überschreitet,  und  wenn  alle  anderen  Mittel  erschöpft 
sind.  5)  Necrose  der  Gelenktheile,  die  meistens  mit  Caries 
verbunden  ist.  6)  Ankylosis  vera,  wenn  dadurch  das  Gelenk  un- 
brauchbar oder  hindernd  ist,  z.  B.  bei  Ankylosen  des  Ellbogen-  oder 
Kniegelenks.  7)  Pseudarthrosis,  wenn  der  ausgetretene  Gelenk- 
kopf auf  wichtige  Gefässe  und  Nerven  drückt  und  das  Glied  unbrauchbar 
macht ,  z.  B.  bei  der  Lage  des  Oberschenkelkopfs  auf  dem  horizontalen 
Ast  des  Schambeins.  8)  Entartung  des  ganzen  Gelenks  durch 
Osteosarkom  ,  Markschwamm  u.  dgl.,  wenn  sie  die  Grenzen  des  Gelenks 
nicht  überschreitet.  —  Contraindicationen  sind  :  l)Fracturen 
unterhalb  der  Gelenkköpfe.  2)  Nicht  reponible  Ver- 
renkungen ohne  Hautwunden  und  falsche  Gelenke ,  welche  den  Ge- 
brauch des  Gliedes  nicht  ganz  aufheben.  3)  Zerschmetterungen 
der  Gelenke,  wenn  sich  die  Splitter  leicht  entfernen  lassen ,  oder 
wenn  sie  mit  Fissuren  der  Diaphyse  verbunden  sind.  4)  Caries  und 
sarkomatöse  Entartungen  der  Knochen ,   welche  sich  weit  über  den  Kno- 


RESECTION  DER  GELENKKOEPFE.  789 

chenkörper  oder  auf  angrenzende  Theile  erstrecken ,  die  durch  Exstirpa- 
tion  nicht  entfernt  werden  können,  z.  B.  auf  die  Pfanne  bei  Leiden  des 
Hüftgelenks  etc.  —  Die  Prognose  hängt  hauptsächlich  von  folgenden 
Momenten  ab  :  1 )  von  der  Schwierigkeit  der  Operation  oder  der  Lage 
des  zu  resecirenden  Gelenks;  in  dieser  Beziehung  gestaltet  sich  die  Pro- 
gnose am  günstigsten  bei  der  Resection  des  Oberarmkopfs ,  weil  sie  am 
leichtesten  ausführbar  ist.  Schwieriger  und  von  ungewisserem  Erfolge 
ist  die  Operation  an  andern  Gelenken ,  besonders  am  Hüftgelenke. 
2)  Von  der  Schwierigkeit,  das  einzuschlagende  Operationsverfahren  mit 
Zuverlässigkeit  vorauszubestimmen ;  es  muss  indessen  ein  Operateur  auch 
bei  einer  bestimmten  Operationsmethode  auf  unvorhergesehene  Umstände 
gefasst  sein.  3)  Von  der  Gefahr,  welche  die  Resection  nicht  blos  für 
den  betreffenden  Theil ,  sondern  auch  für  das  Leben  des  Kranken  mit 
sich  führt,  z.  B.  wegen  der  Nähe  grosser  Gefäss-  und  Nervenstämme. 
4)  Von  den  der  Operation  folgenden  Zufällen ,  die  nicht  selten  gefahr- 
drohend sind.  Endlich  muss  auch  die  Ungewissheit  des  Erfolgs  der 
Operation  bei  Feststellung  der  Prognose  berücksichtigt  werden.  —  Der 
Erfolg  der  Operation  ist  verschieden ,  indem  in  einigen  Fällen  Heilung 
durch  Ankylose,  Callusbildung  erfolgt,  was  Steifheit  und  Unbrauchbarkeit 
des  Gliedes  zur  Folge  hat,  während  in  andern  Heilung  durch  Bildung  ei- 
nes künstlichen  Gelenks  erfolgt.  Der  leztere  Fall  ist  der  günstigste,  in- 
dem dadurch  das  Glied  seine  Beweglichkeit  einigermassen  behält ;  in  den 
ersten  Fällen  bleibt  das  Glied  untauglich.  Die  nothwendig  zurückblei- 
bende Verkürzung  des  Glieds  äussert  seinen  Nachtheil  besonders  an  den 
untern  Extremitäten  ,  da  hier  ein  hinkender  oder  schleppender  Gang  die 
Folge  dieser  Operationen  ist.  —  Zur  Ausführung  der  verschiedenen 
Arten  von  Resectionen  bedarf  man  folgende  Instrumente  und  Verbandge- 
räthe :  ein  Turniket ,  mehrere  starke  convexe  und  gerade  Scalpelle  mit 
convexer  Spize,  ein  kleines  etwas  convexes  Amputationsmesser,  Pincetten, 
Bogen-  und  Messersägen  ,  Knochenscheeren ,  eine  Knochenzange  ,  Feile, 
Brenneisen,  stumpfe  Haken,  mehrere  Meissel,  Spatel  von  Hörn  oder  Holz, 
die  zur  Amputation  oder  Exarticulation  der  Gliedmassen,  woran  die  De- 
capitation  verrichtet  wird  ,  nöthigen  Instrumente,  Schienen  verschiedener 
Art,  eine  Wundsprize,  kaltes  Wasser,  endlich  Unterbindungsgeräthe,  Heft- 
pflasterstreifen,  Compressen ,  Binden,  Spreukissen,  Wachstuch  etc.  — 
Vor  der  Operation  wird,  der  Kranke  in  eine  passende  Lage  gebracht,  wo- 
bei man  besonders  ,  wenn  die  Operation  sehr  schmerzhaft  und  langwierig 
ist,  darauf  sehen  muss,  dass  das  Gelenk  mit  möglichst  wenig  Unbequem- 
lichkeit für  den  Kranken  festgehalten  werden  kann.  —  Die  Opera- 
tion selbst  besteht  aus  folgenden  drei  Acten :  1 )  Haut-  und  Muskel- 
schnitt, oder  Trennung  der  weichen  Theile  von  den  Gelenkköpfen. 
Das  Gelenk  muss  im  Allgemeinen  an  derjenigen  Stelle  geöffnet  werden, 
welche  am  wenigsten  von  Muskeln,  Gefässen  und  Nerven  bedeckt  ist  und 
wo   man   am  schnellsten  und  leichtesten  zum  kranken  Knochen  gelangen 


790  RESECTION  DER   GELENKKOEPFE. 

kann.  Den  Schnitt  mache  man  so  gross  ,  als  zur  Entblössung  des  Ge- 
lenks und  Entfernung  der  Knochenenden  erforderlich  ist.  Die  Richtung 
des  Schnitts  ist  verschieden ;  je  nach  Umständen  macht  man  einfache 
Langen-  oder  Querschnitte,  lappenf  örmige ,  elliptische,  winkelförmige 
oder  Kreuzschnitte  etc.  Man  suche  bei  diesen  Schnitten  die  Sehnen 
und  Muskeln ,  die  zur  Fortdauer  der  normalen  Bewegung  unentbehrlich 
sind,  so  viel  als  möglich  zu  schonen,  und  habe  bei  ihnen  stets  die  etwa 
nothwendig  werdende  Amputation  oder  Exarticulation  vor  Augen.  Die 
gebildeten  Lappen  werden  nun  von  den  Knochen  genau  abgetrennt  und 
zurückgeschlagen  und  die  Wundlefzen  entweder  durch  stumpfe  Haken 
oder  durch  die  Finger  der  Gehülfen  auseinander  gezogen ,  das  Gelenk 
eingeschnitten,  die  Bänder  getrennt,  der  Gelenkkopf  luxirt  und  bis  zur 
Grenze  des  Krankhaften  von  den  noch  festsizenden  weichen  Theilen  ge- 
trennt und  die  Beinhaut  durchgeschnitten.  Wo  es  möglich  ist,  schneide 
man  das  Gelenk  sogleich  mit  den  Hautschnitten  ein  und  nehme  die  Ge- 
lenkbänder mit  den  Haut-  und  Muskellappen  weg.  Nachdem  die  Gefässe 
unterbunden ,  bringt  man  zwischen  den  Knochen  und  die  Weichtheile  ei- 
nen Holz-  oder  Hornspatel,  oder  eine  Bleiplatte,  einen  Leder-  oder  Lein- 
wandstreifen, und  drückt  dadurch  die  Weichtheile  vom  Knochen  weg,  um 
sie  vor  Verlezung  zu  schüzen  ;  aus  demselben  Grunde  müssen  auch  die 
Wundlefzen  durch  stumpfe  Hacken  abgezogen  oder  durch  die  Finger  zur 
Seite  gehalten  werden.  —  2)  Trennung  des  Knochens.  Man  be- 
dient sich  dazu  der  Sägen,  welche  man  je  nach  der  Grösse  und  Beschaf- 
fenheit des  Gelenkes  wählt.  Man  benuzt  die  grössere  und  kleinere  Bo- 
gensäge, so  wie  die  geraden  und  concaven  Messersägen.  Man  hat  darauf 
zu  achten,  dass  alles  Krankhafte  des  Knochens  hinweggenommen ,  dieser 
namentlich  auch  bis  zur  Entblössung  der  Beinhaut  entfernt  werde.  — 
3)  Vereinigung  der  Wunde  und  Verband.  Man  suche  die 
Vereinigung  per  primam  intentionem  zu  bewirken,  was  meistens 
gelingt ,  insoweit  dies  bei  dem  bestehenden  Substanzverlust  überhaupt 
möglich  ist ;  meistens  erfolgt  sie  nur  äusserlich.  An  den  Extremitäten 
bewirkt  man  die  Vereinigung  auf  folgende  Weise :  die  Knochenenden 
des  Gelenks  werden  mit  einander  in  Berührung  gebracht ,  oder  doch  ein- 
ander so  viel  als  möglich  genähert,  worauf  die  Wundränder  an  einander 
gezogen  und  mit  Knopfnähten  vereinigt  werden.  Die  Naht  muss  durch 
Haut  und  Muskeln  gehen ,  ein  Theil  der  Wundspalte  muss  jedoch  offen 
bleiben ,  um  dem  Wundsecret  freien  Abflugs  zu  lassen.  Das  Ausfüllen 
der  durch  den  Knochenverlust  entstandenen  Höhle  mit  geölter  Charpie 
ist  überflüssig.  Die  Wunde  belegt  man  mit  Charpie,  die  mit  einer  mil- 
den Salbe  bestrichen  ist,  darüber  Compressen,  und  umgibt  den  Theil  mit 
einer  passenden  Binde.  An  den  Extremitäten  legt  man  zur  bessern  Be- 
festigung und  Sicherung  des  Gliedes  Schienen  an  und  lagert  es  auf  Spreu- 
kissen. —  Die  üblen  Ereignisse  sind  bei  den  Resectionen  dieselben 
wie  bei  Amputationen   (s.  d.  Art.).      Nur   in  Bezug  auf  die  Eiterung  ist 


RESECTION  DES  UNTERKIEFERGELENKS.  791 

zu  bemerken,  dass  dieselbe  viel  bedeutender  ist  und  somit  die  Gefahren, 
welche  diese  mit  sich  bringt,  hier  grösser  ist,  als  bei  der  Amputation. 
Hierher  gehören  :  Eitersenkungen ,  profuse  Eiterung  und  Anämie ,  oder 
Pyämie.  —  Nach  der  Heilung  der  äusseren  Wunde  kann  das  Glied  durch 
Schrumpfen  der  Exsudate  im  Innern  so  verdreht  werden ,  dass  es  un- 
brauchbar ist  und  amputirt  werden  muss. 

1.  Abtragung  des  Unter kiefergelenks,  Resectio  a  r  - 
ticuli  s.  Decapitatio  maxillae  inferioris.  —  Die  I  n  d  i  c  a  - 
tion  für  diese  Operation  liefern  in  der  Regel  Geschwülste  am  Unterkie- 
fer ,  namentlich  alle  unter  dem  Namen  der  Exostosen  und  des  Osteosar- 
koms zusammengestellten ;  viel  seltener  wird  die  Operation  durch  Caries 
und  Nekrose  indicirt.  Zuweilen  wird  sie  durch  bedeutende  Zerschmette- 
rung des  aufsteigenden  Asts  und  seiner  Fortsäze  nothwenclig.  —  Die  Un- 
terbindung der  Carotis  communis  zur  Verhütung  einer  gefährlichen 
Blutung  aus  ihren  Aesten  wird  in  neuerer  Zeit  als  eine  an  sich  schon  le- 
bensgefährliche Operation  allgemein  unterlassen ;  die  Compression  der- 
selben genügt.  —  Behufs  der  Ausführung  der  Operation  beginnt  man 
den  Schnitt  am  Mundwinkel  der  leidenden  Seite  und  führt  ihn  dann  längs 
der  Basis  des  Knochens  bis  vor  das  Ohr  und  den  Processus  condy- 
loideus.  Durch  diesen  Schnitt  wird  die  Art.  maxi  11.  externa 
durchschnitten  ,  welche  man  sofort  unterbindet.  -.  Auf  das  hintere  Ende 
des  vorgenannten  Schnittes  lässt  man  nun  einen  senkrechten  fallen, 
welcher  an  der  Wurzel  des  Jochbogens  beginnt.  Dieser  bis  auf  den 
Knochen  dringende  Schnitt  trennt  die  vordere  Partie  der  Parotis ,  die 
Backenzweige  der  A.  facialis  und  häufig  auch  den  Stamm  der  A.  t  em- 
por alis  superficialis,  welche  man  ebenfalls  gleich  unterbinden 
kann.  Hierauf  wird  der  Lappen  von  der  Spize  nach  seiner  Basis  losprä- 
parirt ,  wobei  man  sich  mit  dem  Scalpell  dicht  am  Knochen  hält,  jener 
dann  nach  der  Stirne  zu  umgeschlagen  und  der  Knochen  vorn  durchsägt. 
Dadurch  wird  der  abzulösende  Knochentheil  beweglicher  und  dem  Messer 
zugänglicher.  Zunächst  durchschneidet  man  nun  mit  einem  geknöpften 
Bistouri,  welches  man  hart  am  Process.  cor  onoideus  hinaufgleiten 
lässt,  die  Sehne  des  Muse,  t  empor  alis.  Demnächst  wird  das  Li- 
gamentum laterale  externum  durchschnitten  und  die  Kapsel  von 
aussen  geöffnet.  Durch  rotirende  Bewegungen  drängt  man  dann  den 
Gelenkkopf  des  Unterkiefers  hervor  und  durchschneidet  die  Kapsel  in  ih- 
rem ganzen  Umfang  mit  kurzen  Messerzügen  oder  mit  einer  Cooper'- 
schen  Scheere.  Der  Pterygoideus  externus  wird  von  seiner  In- 
sertionsstelle  am  Halse  des  Proc.  condyloideus  abgelöst ;  indem 
man  weiter  mit  dem  Messer  am  Knochen  hinabgleitet,  löst  man  die  übri- 
gen Weichtheile,  namentlich  den  Pterygoideus  internus  und  das 
Lig.  laterale  intern  um.  Hält  man  sich  mit  dem  Messer  hart  am 
Knochen ,  so  kann  man  die  Verlezung  der  M  axillaris  interna  und 
der  Carotis  externa  vermeiden.    Dagegen  werden  mehrere  Aeste  der 


792  RESECTION  DES  OBERARMKOPFS. 

erstem ,  namentlich  die  Alveolaris  inferior,  Temporaiis  pro- 
funda und  Masseterica  wohl  immer  durchschnitten  werden  müssen, 
welche  man  dann  auch  ihrer  heftigen  Blutung  wegen  sogleich  nach  ihrer 
Durchschneidung  unterbindet.  —  Ist  der  Knochen  entfernt  und  die  Blu- 
tung gestillt ,  so  wird  die  Wunde  mittels  der  umschlungenen  Naht  verei- 
nigt. Man  kann  in  der  Gegend  des  Winkels  des  Unterkiefers  eine  kleine 
Stelle  offen  lassen,  um  dem  Eiter  bessern  Abfluss  zu  verschaffen.  —  Ist 
die  Decapitation  auf  beiden  Seiten  angezeigt,  so  muss  die  Maxi  IIa  in- 
ferior in  der  Mitte  durchsagt  und  dann  die  Querschnitte  und  die, Aus- 
schälung des  Knochens  nach  den  angegebenen  Regeln  gemacht  werden. 

2.  Abtragung  des  Brustbeinendes  des  Schlüssel- 
beins, Decapitatio  claviculae  in  extrem  i  täte  sternali. 
Diese  Operation  wurde  besonders  wegen  Luxationen  und  Splitterbrüchen 
ausgeführt.  Die  Verbindungen  der  Clavicula,  ihre  Lage  an  den  grössten 
venösen  und  arteriellen  Gefässen  machen  diese  Operation  zu  einer  der 
schwierigsten  und  gefährlichsten  in  der  Chirurgie.  Man  legt  das  Schlüs- 
selbein entweder  durch  einen  einfachen  seiner  Eichtung  folgenden  Schnitt 
oder  durch  einen  solchen  Schnitt  bloss,  dass  ein  länglich  viereckiger  Lap- 
pen entsteht.  Zwei  halbmondförmige  Schnitte  sind  weniger  zweck- 
mässig. Nach  der  Trennung  der  Gelenkverbindungen  des*  Knochens  sägt 
man  diesen  durch.  Der  Verlezung  des  längs  der  Clavicula  laufenden 
Theils  der  Vena  jugularis  anterior  wird  schwer  auszuweichen 
sein.  Bei  der  Auflösung  des  abgesägten  Knochenstücks  hat  man  sich 
immer  dicht  am  Knochen  zu  halten,  um  die  Verlezung  der  unterliegenden 
Gefässe  zu  vermeiden.  Nach  der  Unterbindung  der  Gefässe  vereinigt 
man  die  Wunde ,  legt  Charpie  auf  und  bringt  einen  Verband  wie  beim 
Schlüsselbeinbruch  an. 

3.  Abtragung  des  Acromialendes  des  Schlüssel- 
beins, Decapitatio  extremitatis  claviculae  acromialis. 
W  u  z  e  r  legte  den  Knochen  durch  zwei  sich  rechtwinklig  über  dem  Acro- 
mio-Claviculargelenke  kreuzende  Schnitte  bloss  ,  trennte  die  vier  Haut- 
lappen ab,  öffnete  dann  jenes  Gelenk,  ging  mit  dem  Messer  flach  an  der 
untern  Seite  des  Knochens  entlang  bis  zur  Eesectionsstelle  und  durch- 
sägte hier  das  Schlüsselbein  auf  einem  untergeschobenen  Eiemen.  Aehn- 
lich  verfuhr  Velpeau  in  einem  Fall  von  Nekrose,  wogegen  er  in  einem 
andern  einen  Bogenschnitt  mit  ab-  und  einwärts  gewandter  Convexität 
machte  und  nach  Ablösung  des  Lappens  sowohl  das  kranke  Ende  des 
Schlüsselbeins  wie  den  angrenzenden  Theil  des  Acromion  mittels  der 
Kettensäge  wegnahm. 

4.  Abtragung  des  Oberarmkopfs,  Decapitatio  ossis 
brachii  in  articulo  humeri.  Die  Operation  besteht  in  der  Tren- 
nung des  Oberarmkopfs  aus  seiner  Gelenkverbindung  mit  dem  Schulter- 
blatte und  Absa'gung  vom  übrigen  Knochen.  Die  Indication  zur  Opera- 
tion kann   sich   durch  einen   der  oben   angegebenen  Krankheitszustände 


RERECTION  DES  OBER  ARMKOPFS.  793 

ergeben.  —  Die  Verfahren  zur  Biossieg ung  des  Knochens  sind 
äusserst  mannigfaltig;  sie  lassen  sich  in  zwei  Gruppen  theilen  und  zwar 
in  solche  mit  einem  Längenschnitte  und  in  solche  mit  Lappen- 
bildung. Der  Längenschnitt  verläuft  entweder  in  der  Mitte  des 
Deltamuskels  bis  nahe  an  seine  Insertion  (W  h  i  t  e),  odern  vorn  und  innen 
über  die  grösste  Convexität  des  Gelenks  (M  algaigne,  Robert, 
B.  Langenbeck).  Der  einfache  Schnitt  hat  den  Vortheil,  dass  er 
eine  einfache  Wunde  sezt ,  die  ohne  Nähte  sich  vereinigen  lässt.  .  Na- 
mentlich entblössen  die  Schnitte  an  der  Vorder-  und  Innenseite  des  Ge- 
lenks und  besonders  der  Schnitt  von  Robert  (s.  unten)  dasselbe  der 
Art,  dass  der  Gelenkkopf  von  allen  Seiten  leicht  zugänglich  ist.  —  Der 
Lappenschnitt  wird  auf  die  mannigfaltigste  Weise  gemacht ;  es  wird 
gebildet :  ein  viereckiger  Lappen  aus  dem  Deltamuskel,  und  zwar  mit  un- 
terer Basis  i — '  (M  orea  u),  und  mit  oberer  Basis  i i  (M  a  n  n  e ,  R  o  u  x, 

Boy  er);  ein  halbmondförmiger  Lappen  mit  oberer  Basis  ^  (Morrel, 
Schuh,  Wattmann);  ein  dreieckiger  Lappen  und  zwar  mit  oberer 
Basis  mittels  eines  V  Schnitts  (Sanson,  Begin),  mit  hinterer  oberer 
Basis  mittels  eines  Y  Schnitts  (S  y  m  e  ;  von  der  Mitte  des  W  h  i  t  e'schen 
Schnitts  geht  ein  Schnitt  schief  nach  rück-  und  aufwärts) ,  mit  hinterer 
Basis  durch  einen  *~]  oder  p  Schnitt ;  auch  kann  durch  Verlängerung 
des  Querschnitts   der  Wunde   eine  — |~~- Form   gegeben   werden   (Buzai- 

r  i  e  s ) ;    ein    doppelter    dreieckiger   Lappen    mittels    eines Schnitts 

(Bromfiel  d).  —  Man  gibt  dem  Lappenschnitte  den  Vorzug  beiA^er- 
grösserten  Gelenkköpfen,  weil  er  das  Gelenk  ergiebig  blosslegt,  und  unter 
diesen  zieht  man  besonders  den  dreieckigen  Lappen  von  Sanson  und 
Begin  den  andern  vor,  weil  die  Schnitte  parallel  den  Fasern  des  Delta- 
muskels laufen ,  womit  eine  die  spätem  Bewegungen  weniger  beschrän- 
kende Narbe  erzielt  wird.  —  Bei  der  Operation  sizt  der  Kranke  auf  ei- 
nem Stuhl ,  mit  der  gesunden  Seite  gegen  die  Lehne ,  ein  Gehülfe  steht 
hinter  der  kranken  Schulter  und  ein  zweiter  zur  Seite  des  Operateurs. 
Dieser  nimmt  seinen  Stand  an  der  kranken  Seite.  —  Längenschnitt 
von  Robert.  Der  Operateur  ergreift  mit  der  linken  Hand  den  zu  ope- 
rirenden  Oberarm  ,  drückt  ihn  etwas  rückwärts  und  den  Ellbogen  etwas 
näher  zum  Stamme ,  sticht  hierauf  ein  starkes  Scalpell  an  der  vordem 
obern  Seite  des  Oberarmkopfs  dicht  am  vordem  Rande  der  Clavicula  bis 
auf  den  Hals  des  Schulterblatts  ein  ,  legt  nun  das  Messer  etwas  nieder 
und  zieht  es  mit  einem  kräftigen  Zuge  über  die  vordere  innere  Seite  des 
Gelenkkopfs  bis  nahe  zur  Insertion  des  Deltamuskels  herab.  Die  Schnitt- 
ränder werden  mit  stumpfen  Haken ,  welche  in  der  Gegend  des  Gelenk- 
kopfes angesezt  werden,  abgezogen.  Nun  rotirt  der  Operateur  den  Ober- 
arm nach  rückwärts  und  schneidet  vor  dem  Tuberculum  anterius 
die  Kapsel  und  die  Sehne  des  M.  s  ubscapu  lar  is  durch,  hierauf  rotirt 
er  den  Kopf  nach  einwärts  und  durchtrennt  hinter  dem  Tuberculum 
posterius  die  drei  Sehnen  der  M.  M.  supraspinatus,   i  n  f  r  a  s  p  i- 


794  RESECTION  DES  ELLBOGENGELENKS. 

n  a  t  u  s  und  teres  minor  sammt  der  Kapsel  und  der  langen  Biceps- 
sehne.  Dann  wird  der  Gelenkkopf  hervorgehoben ,  seine  untern  und  in- 
nern  Adhäsionen  getrennt,  hierauf  die  Beinhaut  an  der  Durchsägungsstelle 
kreisförmig  eingeschnitten  und  der  Knochen  abgesägt,  während  die  Weich- 
theile  durch  eine  Holzplatte  oder  einen  Bindenstreifen  vor  der  Einwirkung 
der  Säge  geschiizt  werden.  —  Wenn  es  sich  als^nothwendig  herausstellen 
sollte,  die  Exarticulation  des  Arms  vorzunehmen,  so  Hesse  sich  von  diesem 
Schnitt  aus  leicht  der  Ovalärschnitt  (s.  Amputation)  bilden.  — 
Lappenschnitt  nach  Sanson,  Begin.  Nachdem  der  Kranke 
wie  oben  gesezt  ist ,  führt  der  Operateur  zwei  kräftige  Schnitte ,  die  bis 
an  den  Knochen  dringen ,  deren  einer  unter  der  Spina  scapulae, 
deren  anderer  dicht  an  der  Aussenseite  des  Proc.  coracoideus  be- 
ginnt. Beide  gehen  convergirend  nach  unten,  und  treffen  sich  dicht  über 
der  Insertion  des  Deltamuskels.  Der  hierdurch  gebildete  dreieckige  Lap- 
pen wird  lospräparirt  und  nach  oben  zurückgeschlagen ,  worauf  man  die 
Exarticulation  und  Absägung  wie  bei  dem  vorhergehenden  Verfahren  be- 
sorgt. Die  Wunde  wird  mittelst  der  Knopfnaht  vereinigt ;  darüber  legt 
man  Charpie ,  welche  man  mit 'Heftpflasterstreifen  befestigt.  Ein  Ver- 
band ,  der  dem  D  e  s  a  u  1  t'schen  für  den  Schlüsselbeinbruch  ähnlich  ist, 
befestigt  den  Arm  in  der  nöthigen  Lage. 

5.  Resection  im  Ellbogengelenke,  Resectio  ossium 
in  articulo  cubiti.  Diese  Operation  bringt  fast  unter  allen  Re- 
sectionen  dem  Operirten  den  grössten  Vortheil ,  indem  der  Gebrauch  des 
Vorderarms,  besonders  wenn  nicht  mehr  als  l^Zoll  von  jedem  Knochen 
entfernt  werden,  fast  so  möglich  ist,  wie  vor  der  Operation.  Die  Indica- 
tionen  sind  im  Allgemeinen  dieselben  wie  für  die  übrigen  Resectionen  ; 
besonders  häufig  sind  es  schwere  Verlezungen  dieses  Gelenks,  welche  die 
Operation  nöthig  machen.  Contraindicirt  ist  die  Resection ,  wenn  das 
Gelenkleiden  die  Wegnahme  von  4  —  5  Zoll  langen  Knochenstücken 
nothwendig  macht,  indem  dann  der  hängende  Theil  des  Vorderarms  eher 
lästig  und  nachtheilig,  als  vortheilhaft  wirkt.  —  Zur  Erzielung  eines  gün- 
stigen Resultats  ist  es  wesentlich,  den  Nerv,  ulnaris  zu  schonen.  — 
Man  unterscheidet  diese  Resection  in  die  totale  und  partielle,  je 
nachdem  die  Enden  von  allen  drei ,  im  Gelenk  verbundenen  Knochen, 
oder  nur  von  einzelnen  derselben  abgetragen  werden ,  beide  hängen  aber 
in  der  Ausführung  zu  sehr  zusammen,  um  sie  hier  zu  scheiden.  —  Auch 
bei  dieser  Operation  wurden,  wie  bei  der  vorhergehenden,  die  mannigfal- 
tigsten Schnitte  empfohlen  ;  wir  begnügen  uns ,  nur  einige ,  welche  die 
einfachste  Verwundung  sezen,  näher  auszuführen.  —  Vorbereitung. 
Der  Kranke  liegt  auf  dem  Bauche ,  auf  einem  unter  die  Brust  geschobe- 
nen Kissen,  oder  wenn  es  thunlich  ist,  sizt  er  mit  der  gesunden  Seite  ge- 
gen die  Lehne  des  Stuhls  gerichtet.  In  beiden  Fällen  wird  der  Ober- 
arm etwas  abgezogen  und  rückwärts  gestellt  und  in  dieser  Stellung  von 
einem  Gehülfen  fixirt.      Der   Operateur  fasst   mit   der  linken  Hand  den 


RESECTION   DES  ELLBOGENGELENKS.  795 

Vorderarm  am  obern  Drittel.  —  Verfahren  von  Wattman.  Wäh- 
rend ein  Gehülfe  die  Haut  am  Ellbogen  emporzieht,  macht  der  Operateur  mit 
einem  convexen  Scalpell  einen  Schnitt,  welcher  am  linken  Arm  etwa  drei 
Linien  vor  dem  äussern  Knorren  beginnt ,  schräg  über  das  Köpfchen  des 
Radius  bis  über  einen  Zoll  unter  die  Spize  des  Olecranon  geht ;  ein  zwei- 
ter , ähnlicher  Schnitt  beginnt  vor  dem  innern  Knorren  und  geht  in  der- 
selben Richtung  in  den  ersten  Schnitt  über.  Am  rechten  Arm  werden 
dieselben  Schnitte  in  umgekehrter  Ordnung  geführt.  Der  so  umgränzte 
halbmondförmige  Lappen  wird  bis  über  die  Spize  des  Olecranon  losprä- 
parirt  und  nach  oben  geschlagen.  Nun  sucht  der  Operateur  durch  pas- 
sive Pro-  und  Supinationsbewegungen  das  Köpfchen  des  Radius  auf, 
schneidet  über  demselben  quer  in  das  Gelenk,  bis  das  Messer  an  der  Ulna 
festgehalten  wird ,  worauf  der  Vorderarm  so  rotirt  wird ,  dass  die  Sehne 
des  Triceps  nach  aussen  vom  Olecranon  gespannt  wird,  welche  man  sammt 
dem  Kapselbande  durchschneidet.  Nun  umgeht  man  die  Spize  des  Ole- 
cranon ,  bis  das  Messer  am  innern  Rande  der  Incisura  sigmoidea 
angelangt  ist,  wo  dann  die  hier  noch  befindlichen  Adhäsionen  durch  kurze 
Messerzüge,  während  die  Schneide  gegen  den  Knochen  gerichtet  wird,  los- 
getrennt werden.  Während  dem  muss  die  Rotation  des  Vorderarms  nach 
aussen  fortgesezt  werden.  Nun  verfolgt  der  Operateur,  mit  dem  Messer 
hart  am  Knochen  gehend ,  die  Ulna  bis  unter  den  Kronenfortsaz.  Da- 
durch ist  der  Nerv,  ulnaris  geschont ,  ohne  dass  er  gesehen  oder  ge- 
zerrt wird.  Er  kann  dann  bequem  über  den  innern  Knorren  noch  vor- 
wärts geschoben  werden.  Hierauf  trennt  man  die  Adhäsionen  der  Kapsel 
an  der  Vorderfläche  der  Knochen  und  kann  durch  Ablösen  der  Muskula- 
tur die  Knochen  so  weit  biossiegen ,  als  sie  abgesägt  werden  sollen.  ■ — ■ 
Verfahren  nach*  Liston.  Man  macht  an  der  Aussenseite  des  Ul- 
narnerven einen  drei  Zoll  langen  Schnitt ,  welcher  die  Haut  bis  auf  die 
Fascie  trennt.  Dieser  Schnitt  muss  dicht  oberhalb  der  Spize  des  Ole- 
cranon ,  an  der  Innenseite  der  Sehne  des  Muse,  triceps  beginnen ,  und, 
hart  am  innern  Rand  des  Olecranon  hin  verlaufend ,  unterhalb  desselben, 
entsprechend  der  Crista  ulnae,  ein  wenig  mehr  nach  aussen  geführt 
werden.  Ein  zweiter  Schnitt  verläuft  von  der  Gegend  des  Humeroradial- 
gelenks  quer  über  das  Olecranon  bis  zur  Mitte  des  erstem,  so  dass  der 
Schnitt  die  Form  eines  liegenden  T  hat.  Nach  Bedüffniss  kann  man  dem 
freien  Ende  des  ersten  Schnitts  noch  einen  kleinen  rechtwinklig  auf-  oder 
abwärts  gehenden  Schnitt  beifügen.  Nach  Ablösung  der  Lappen  ver- 
fährt man  des  AVeitern  wie  bei  dem  vorhergehenden  Verfahren.  —  Beide 
vorgenannte  Verfahren  lassen  die  Resection  einzelner ,  wie  sämmtlicher 
das  Gelenk  zusammensezender  Knochen  zu.  Zu  bemerken  ist  indessen, 
dass  man  die  Ulna  nicht  gern  allein  resecirt ,  weil  der  Radius  allein  eine 
sehr  schlechte  Stüze  abgibt  und  leicht  eine  Ankylose  eintritt.  Dagegen 
erweist  sich  die  Resection  des  Radius ,  besonders  bei  veralteten  Luxatio- 
nen, von  grossem  Nuzen.   —  Nach  der  Resection  und  Unterbindung  blu- 


796  RESECTION  IM  HANDGELENKE. 

tender  Gefässe  werden  die  Wundränder  durch  Heftpflaster  und  die  blu- 
tige Naht  vereinigt  und  die  Sehne1  des  Triceps  mit  in  die  Naht  gefasst, 
um  sie  zur  Verwachsung  zu  bringen  und.  damit  die  Zurückziehung  des 
Muskels  zu  verhindern,  welche  die  freie  Bewegung  des  Arms  beeinträch- 
tigen würde.  Die  Wunde  wird  leicht  mit  Charpie  bedeckt  und  mit  Bin- 
dentouren lose  befestigt ,  der  Arm  aber  so  gelagert,  dass  die  Resections- 
wunde  die  tiefste  Stelle  einnimmt.  Anfangs  bleibt  der  Arm  im  stumpfen 
Winkel  liegen,  später  beugt  man  ihn  bis  zum  rechten  Winkel,  dann  legt 
man  ihn  in  eine  Schärpe.  Leztere  Stellung  des  Arms  ist  die  geeignetste 
für  den  Fall,  dass  Ankylose  eintreten  sollte  ;  dabei  muss  sich  die  Hand 
in  der  Mittelstellung  zwischen  Pro-  und  Supination  befinden. 

6.  Abtragung  der  Vorderarmknochen  im  Handge- 
lenke, Resectio  ossium  antibrachii  in  articulo  manus. 
Auch  diese  Resectionen  zerfallen  in  partielle  und  totale  ;  bei  den  erstem 
werden  die  Gelenkenden  der  Vorderarmknochen  zusammen  oder  einzeln 
entfernt ,  bei  der  totalen  die  Gelenkenden  beider  Vorderarmknochen  und 
die  entsprechenden  Handwurzelknochen.  —  Am  besten  dringt  man  von 
der  Radial-  und  Ulnarseite  auf  die  Knochen  ein,  da  an  der  Volarseite  so- 
wohl die  beiden  ernährenden  Arterien ,  als  auch  die  grösste  Masse  der 
Weichtheile  liegen,  auf  dem  Handrücken. aber  die  möglichst  zu  schonen- 
den Strecksehnen  verlaufen.  Es  haben  daher  die  Operationsverfahren 
mittels  zweier  am  Ulnar-  und  Radialrande  geführter  Längenschnitte  den 
Vorzug  und  unter  diesen  ist  dasjenige  von  Bourgery  das  zweckmässig- 
ste  und  am  wenigsten  verlezende.  Die  Ausführung  desselben  ist  fol- 
gende :  nachdem  ein  Gehülfe  die  Hand  und  den  Vorderarm  fixirt,  macht 
der  Operateur  einen  Längenschnitt  an  dem  Radialrande  und  einen  zweiten 
am  Ulnarrande  des  Vorderarms ,  je  nach  der  Grösse  der  zu  entfernenden 
Knochen  von  1V2 — 3,  auch  mehr  Zoll.  Nun  wird  die  Hand  gegen  dieRük- 
kenfläche  gebeugt  und  die  Streckmuskeln  dicht  vom  Knochen  lospräparirt.  Ist 
dies  von  beiden  Seiten  geschehen,  so  führt  man  zwischen  die  Sehnen  und 
den  Knochen  eine  Compresse  oder  einen  Leinwandstreifen,  isolirt  dann  die 
Palmarweichtheile  ebenso  vom  Knochen ,  während  die  Hand  gegen  die 
Palmarfläche  gebeugt  wird,  zieht  ebenso  hier  zwischen  Sehnen  und  Kno- 
chen einen  Leinwandstreifen  hindurch  und  lässt  die  Weichtheile  durch 
diese  beiden  Streifen  abziehen.  Bei  der  Lospräparirung  der  Palmar- 
weichtheile ist  in  der  Gegend  des  Proc.  styloideusradii  besondere 
Vorsicht  zu  empfehlen,  um  nicht  die  Art.  radialis  zu  verlezen.  Nach- 
dem nun  die  Weichtheile  weggezogen  wurden ,  kann  man  entweder  das 
Gelenk  eröffnen ,  durch  Seitwärtsbiegung  der  Hand  die  Knochen  hervor- 
treten lassen  und  dann  diese  mit  der  Bogensäge  absägen,  oder  man  durch- 
trennt zuerst  die  Knochen  über  dem  Gelenk  mittels  der  Kettensäge  und 
exarticulirt  später ,  oder,  wenn  man  auch  die  Handwurzelknochen  entfer- 
nen will,  so  kann  man  das  Gelenk  e  n  m  a  s  s  e  ,  ohne  zu  enucleiren,  rese- 
ciren.    —    Düblet    verfuhr    ähnlich  ,    nur  exarticulirte    er  zuerst   die 


RESECTION  DER  MITTELHANDKNOCHEN  UND  PHALANGEN.  797 

Ulna  und  sägte  sie  über  einer  untergeschobenen  Platte  durch  ,  dann  ex- 
articulirte  er  ebenso  den  Radius  und  sägte  ihn  auch  ab.  Bei  diesem  Ver- 
fahren ist  die  Durchschneidung  sämmtlicher  Strecksehnen  schwer  zu  ver- 
meiden. —  R  o  u  x  fügte  zu  den  zwei  Längenschnitten  nach  unten  zwei 
kleine  Querschnitte  hinzu,  die  sich  nicht  berühren,  sondern  nur  bis  an  die 
Seiten  des  Bündels  der  nicht  zu  verlezenden  Extensorensehnen  gehen  ; 
diese  Schnittführung  gewährt  mehr  Raum.  —  Nach  der  Stillung  der  Blu- 
tung legt  man  an  den  Winkeln  beider  Wunden ,  je  nach  der  Grösse  der 
Wunde,  2  —  3  Hefte  an,  die  Mitte  beider  Wunden  lässt  man  etwa  1  Zoll 
lang  offen,  weil  die  Wunde  ohne  Eiterung  nicht  heilt ;  um  das  Verkleben 
dieser  Stelle  zu  verhüten,  legt  man  einen  Leinwandstreifen  ein.  Hierauf 
bringt  man  den  Vorderarm  in  Pronation  und  legt  ihn  in  dieser  Stellung 
auf  ein  mit  Wachstuch  überzogenes  Spreukissen.  —  Die  Resection  des 
Radius  und  der  Ulna  für  sich  geschieht  durch  einen  entsprechenden  Län- 
genschnitt, Durchsägung  des  Knochens  und  Wegnahme  des  Gelenkendes. 
Der  Gebrauch  der  Hand  leidet  nicht  bedeutend. 

7.  Resection  d  er  Gelenkenden  d  er  Mitteln  an  dkn  o  - 
chen  und  Phalangen,  Resectio  ossium  metacarpi  et  pha- 
langum  digitorum  in  articulis.  Bei  der  Resection  des 
Metacarpo-Phalangeal-Gelenks  der  Mittelhandknochen 
ist  der  zweckmässigste  Schnitt  ein  ^  förmiger.  Man  führt  an  der  Dorsal- 
seite zwei  Schnitte ,  welche  über  dem  Gelenk  beginnen  und  divergirend 
nach  abwärts  nach  den  Fingerfalten  gehen  und  bis  nahe  an  den  freien 
Rand  derselben  reichen.  Der  so  umschriebene  dreieckige  Lappen  wird 
mit  Schonung  der  Strecksehne  nach  abwärts  lospräparirt  und  nach  unten 
geschlagen.  Hierauf  löst  man  die  Zwischenknochenmuskeln  von  der 
Seite  des  Gelenks  los,  enucleirt  von  beiden  Seiten  das  Gelenk,  luxirt  den 
Kopf  unter  der  Strecksehne  hervor  und  sägt  den  Phalangenkopf  und  wenn 
es  nöthig  ist  auch  den  Kopf  des  Mittelknochens  ab.  —  Bei  Zeige-  und 
kleinem  Finger  kann  man  den  Lappen  aii  den  freien  Rand  desselben  stel- 
len, und  das  Gelenkende  blos  von  einer  Seite  eröffnen.  —  Bei  der  Re- 
section der  Basis  des  Mittelhandknochens,  welche  beson- 
ders dadurch  erleichtert  wird,  dass  bei  Caries  ,  welche  die  häufigste  Indi- 
cation  dazu  abgibt ,  die  Bänder  grösstentheils  oder  ganz  zerstört  sind, 
bildet  man  am  zweckmässigsten  einen  T-Schnitt  in  die  Weichtheile,  indem 
man  zuerst  einen  3 — 4  Linien  über  dem  Gelenkende  beginnenden,  iy2 
Zoll  langen  Schnitt  an  der  Dorsalseite  führt ,  auf  dessen  oberem  Ende 
man  einen  queren,  etwa  lj2  Zoll  langen  Schnitt  gehen  lässt.  Nach  Los- 
präparirung  der  so  umgrenzten  zwei  dreieckigen  Lappen  enucleirt  man 
das  Gelenk  und  trennt  mittels  der  Kettensäge  oder  L  i  s  t  o  n '  sehen  Zange 
die  Basis  des  Knochens  ab.  —  Die  Resection  der  Phalangen  ge- 
währt dem  Kranken  wenig  Nuzen ,  vielmehr  werden  die  unter  der  Resec- 
tionsstelle  gelegenen  Fingertheile  hinderlich  und  unbrauchbar.  Bei  die- 
sen Resectionen  handelt  es  sich  hauptsächlich  darum ,   sowohl  die  Streck- 


798  RESECTION  DES  HUEFTGELENKS. 

als  die  Beugesehne  zu  erhalten,  deshalb  eignen  sich  zwei  seitliehe  Schnitte 
längs  des  Radial-  und  Ulnarrandes  am  besten,  die  man  so  führt,  dass  ihre 
Mitte  dem  Gelenke  entspricht.  Nach  Lostrennung  der  Streck-  und  Beuge- 
sehne enucleirt  man  das  G-elenk  von  der  Seite,  fixirt  den  Kopf,  schüzt  die 
Weichtheile  durch  eine  -Compresse  oder  einen  Spatel  und  sägt  mit  einer 
feinen  Säge  den  Knochen  ab.  —  Malgaigiie  bildet  einen  V förmigen 
Schnitt  mit  der  Basis  nach  unten. 

8.  Resectionen  im  Hüftgelenke  ,  Re  s  e  cti  on  es  i  n  ar- 
ticulo  coxae.  Man  versteht  hierunter  die  Ausschneidung  des  obern 
Theils  des  Oberschenkelknochens  und  zwar  mit  oder  ohne  gleichzeitige 
Hinwegnahme  der  Gelenkpfanne  des  Hüftknochens.  Diese  Resectionen 
sind  entweder  partielle,  worunter  man  die  Entfernung  eines  kleineren  oder 
grösseren  Stücks  des  Oberschenkelknochens  ,  die  Decapitatio  ossis 
femoris,  versteht  und  die  totale  Resection ,  oder  die  Entfernung  des 
Gelenktheils  des  Oberschenkelknochens  und  der  entsprechenden  Gelenk- 
pfanne. —  Caries  wie  Verlezungen  können  diese  Operation  nöthig 
machen.  —  Der  Kranke  liegt  bei  der  Operation  entweder  auf  der  gesun- 
den Seite  oder  auf  dem  Rücken  ;  und  im  lezteren  Falle  mit  der  kranken 
Seite  an  dem  Rande  des  Tisches.  —  Nach  Roux  soll  man  auf  der  äus- 
sern Seite  des  Gelenks  einen  viereckigen  Lappen  bilden  und  nach  oben 
hin  ablösen  und  zurückschlagen,  dann  das  Kapselband  trennen,  den 
Schenkelkopf  durch  Einwärtsbiegen  des  Knies  aus  der  Pfanne  heben  und 
das  Ligamentum  teres  durchschneiden  r  endlich  den  Schenkelkopf 
auf  einem  unter  ihn  gebrachten  Spatel  durchschneiden.  H  e  w  s  o  n  machte 
den  Lappen  halbmondförmig  mit  abwärts  gerichteter  Convexität  undVel- 
p  e  a  u  ,  welcher  dasselbe  Verfahren  vorschlägt ,  will  den  Schnitt  von  der 
vordem  obern  Darmbeingräte  bis  zum  Sizknorren  führen.  Rossi  rieth 
zu  einem  dreieckigen  Lappen  mit  hinterer  oberer  Basis  (~ ])  un(l  Jäger 
bestimmt  diesen  dahin,  dass  ein  etwa  5  Zoll  langer  Schnitt  über  den  gros- 
sen Trochanter  abwärts  und  von  seinem  obern  Ende  ein  zweiter  4  Zoll 
langer  nach  hinten  und  unten  geführt  werde,  so  dass  ein  dreieckiger  Lap- 
pen mit  hinterer  unterer  Basis  entsteht  (~~~|)-  Aehnlich  ist  Textors 
Vorschlag,  wie  bei  der  Ovalärmethode  einen  ^  Schnitt  zu  machen,  der  den 
grossen  Trochanter  einfasst.  L  i  n  h  a  r  d  führt  längs  des  hintern  Randes 
des  Trochanter  major  einen  4 — 5  Zoll  langen  Schnitt  herab,  von 
dessen  unterem  das  Ende  des  M.  glutaeus  nicht  erreichenden  Ende  aus 
ein  zweiter  parallel  den  Fasern  des  Glutaeus  nach  aussen  und  oben  in 
der  Richtung  gegen  das  Steissbein  verläuft.  Der  auf  diese  Weise  gebil- 
dete Lappen  enthält  blos  den  Glutaeus  maximus.  —  White,  Seu- 
tin  und  Oppenheim  wollten  nur  einen  5  —  6  Zoll  langen  Längsschnitt 
über  den  grossen  Trochanter  herab  machen,  von  ihm  aus  die  Muskeln,  die 
Gelenkkapsel  und  das  Lig.  teres  durchschneiden  und  aus  ihm  den  Kopf 
herausdrängen.  —  Unter  den  genannten  Verfahrungsarten  ist  der  ein- 
fache Längsschnitt  wohl   der  am  wenigsten  verwundende ,   er  bietet  aber 


RESECTION  DES  KNIEGELENKS. 


799 


zu  wenig  Raum  für  die  Durchschneidung  der  Gelenkbänder  und  den  freie» 
Gebrauch  der  Säge ,  er  passt  daher  nur  in  jenen  Fällen ,  wo  die  Gelenk- 
bänder schon  zerstört  sind  (Luxatio  spontane  a)  oder  bei  aufge- 
hobener Continuität  der  Knochen,  also  bei  Schusswunden  und  Fracturen. 
Der  viereckige  und  der  halbmondförmige  Lappen  geben  eine  viel  zu  grosse 
Wunde  ,  der  vordere  Schnitt  des  ^  Schnitts  von  T  e  x  t  o  r  ist ,  sobald  er 
nur  die  Haut  trifft ,  unnüz ;  es  bleiben  nun  noch  die  dreieckigen  Lappen 
von  Jäger,  R  o  s  s  i  und  L  i  n  h  a  r  d  übrig ,  die  dem  Zwecke  vollkommen 
entsprechen,  und  von  denen  besonders  der  des  Leztern  sehr  schonend  ist. 
—  Bei  oberflächlicher  Caries  der  Pfanne  nimmt  man  ihren  Rand  mit  dem 
Osteotom ,  der  Hey'  sehen  Säge  oder  dem  Meissel  weg  und  brennt  den 
tieferen  Theil  der  Gelenknache  mit  dem  Glüheisen  aus.  —  Nach  gestill- 
ter Blutung  vereinigt  man  die  Wunde  mit  Ausnahme  des  untern  Winkels 
mit  blutigen  Heften  und  Heftpflasterstreifen ,  legt  darüber  Charpie  und 
eine  Compresse,  welche  man  mit  einer  Binde  befestigt.  Der  ganze  Schen- 
kel wird  dann  in  eine  bequeme  Lage  gebracht  und  unter  Vermeidung 
jeden  Drucks  in  einer  leichten  Ausdehnung  erhalten,  damit  das  obere  Ende 
des  Femur  in  der  Nähe  des  alten  Gelenks  adhärire.  Dabei  muss  anfangs 
ein  antiphlogistisches  Regimen  beobachtet  werden. 

9.  Resection  des  Kniegelenks,  Resectio  articuli 
genu,  Decapitatio  ossium  in  articulogenu.  Man  resecirt 
je  nach  Umständen  blos  einen  Knochen  oder  beide;  die  Patella  wird  ganz 
oder  theilweise  weggenommen  oder  zurückgelassen ,  je  nachdem  sie  er- 
krankt ist.  ■ —  Die  knöcherne  Vereinigung,  welche  wohl  selten  erfolgt,  ist 
das  günstigste  Resultat.  Soll  diese  Operation  ein  halbwegs  brauchbares 
Glied  zurücklassen,  so  ist  es  nothwendig ,  dass  man  noch  einen  Theil  der 
Epiphyse  zurücklässt ,  denn  sonst  erfolgt  keine  oder  eine  gänzlich  un- 
brauchbare Vereinigung  der  kleinen  ,  einander  gegenüberstehenden  Kno- 
chenflächen. Sie  ist  daher  contraindicirt ,  wenn  sich  das  Knochenleiden 
(Caries  ,  Markschwamm ,  complicirte  Brüche  etc.)  über  einen  grösseren 
Theil  der  Knochen  erstreckt.  —  Operationsmethoden.  Park 
führte  bei  gestrecktem  Knie  einen  senkrechten  ,  4  Zoll  langen ,  über  die 
Mitte  der  Kniescheibe  herablaufenden  Schnitt  und  halbirte  ihn  auf  der 
Mitte  der  Patella  durch  einen  Querschnitt.  Diese  wurde  entfernt  und 
sofort  exarticulirt  und  abgesägt.  —  Moreau  machte  zwei  seitliche  zwei 
Zoll  lange  Schnitte  und  verband  sie  durch  einen  unter  der  Kniescheibe 
weglaufenden  Querschnitt.  Wenn  auch  die  Tibia  resecirt  werden  soll, 
so  können  die  beiden  senkrechten  Schnitte  abwärts  verlängert  werden,  wo 
dann  der  Schnitt  eine  H-Form  erhält.  Crampton  operirte  auf  dieselbe 
Weise  und  schnitt  von  dem  obern  Lappen  den  Theil,  welcher  die  erkrankte 
Kniescheibe  enthielt ,  quer  weg ,  da  er  zu  lang  war.  Jäger,  Begin 
und  Sanson  machen  ganz  denselben  Schnitt ,  nur  bilden  sie ,  bei  halb- 
flectirtem  Knie ,  zuerst  den  Querschnitt ,  der  bis  in  das  Gelenk  dringt, 
untersuchen   dasselbe   und  bilden   dann  nach  Umständen  die  senkrechten 


800  RESECTION  DES  FUSSGELENKS. 

Schnitte  nach  auf-  oder  abwärts.  T  e  x  t  o  r  begnügt  sich  mit  dem  Quer- 
schnitt, der  auch,  wenn  ein  Theil  derEpiphysen  zurückbleiben  kann,  voll- 
kommen ausreichend  ist.  Der  Schnitt  dringt  bei  dem  rechtwinklig  ge- 
bogenen Knie  gleich  in  das  Gelenk  und  bis  an  die  Seitenbänder.  Diese 
werden  nun  durchschnitten,  dann  die  Kreuzbänder  und  endlich  bei  forcir- 
ter  Beugung  der  hintere  Theil  der  Kapsel  und  die  Insertionen  der  MM. 
gastrocnemius  und  poplitaeus  mit  hart  am  Knochen  geführter 
Messerklinge  abgeschnitten.  Während  die  obern  Weichtheile  retrahirt 
werden ,  durchsägt  der  Operateur  beide  Knorren  zugleich  und  dann  die 
Epiphyse  der  Tibia.  —  S  y  m  e  bildet  zwei  halbmondförmige  Schnitte, 
welche  die  Kniescheibe  'einschliessen  und  an  den  Seitenligamenten  zu- 
sammenstossen.  Ist  die  Kniescheibe  gesund,  so  ist  der  eine  Schnitt  über- 
flüssig. —  Die  Wunde  wird  bis  auf  eine  kleine  Lücke  an  einem  Wund- 
winkel, die  durch  einen  eingeführten  Leinwandstreifen  offen  erhalten  wird, 
mittels  der  Knopfnaht  vereinigt.  Die  operirte  Extremität  wird  am  zweck  - 
mässigsten  in  eine  gut  gefütterte  Lade  gebracht.  Der  Apparat  sammt 
dem  Unterschenkel  müssen  in  einer  Ebene  liegen.  —  Kömmt  die  Ver- 
einigung der  Knochenenden  durch  eine  ligamentöse  Zwischenmasse  zu 
Stande,  so  ist  das  Glied  unbrauchbar,  und  man  kann  demüebel  nur  durch 
Maschinen  abhelfen. 

Soll  das  obere  Ende  der  Fibula  für  sich  allein  resecirt  werden, 
so  macht  man  nach  Bourgery  einen  viereckigen  Lappen  mit  hinterer 
Basis,  präparirt  diesen  los  ,  durchsägt  die  Fibula  und  trennt  dann  ihre 
Gelenkverbindung  und  die  Sehne  des  Biceps ,  wobei  man  sich  zu  hüten 
hat,'  den  naheliegenden  Nervus  peronaeus  zu  verlezen. 

10.  Resection  d  es  F  u  s  s  gelen  ks  ,  Eesectio  ossium  in 
articulo  pedis.  Diese  Operation  besteht  in  der  Entfernung  eines 
oder  beider  Knöchel  mit  oder  ohne  Sprungbein  und  ist  diesemnach  die 
Resection  eine  totale,  wenn  beide  Unterschenkelknochen  nebst  dem  Sprung- 
bein resecirt  werden,  oder  eine  partielle,  wenn  die  Gelenkenden  des  Unter- 
schenkels zusammen  oder  einzeln  entfernt  werden.  Zu  bemerken  ist  in- 
dessen ,  dass  die  Tibia  allein  nicht  wohl  resecirt  werden  kann ,  weil  das 
Gelenk  dann  keine  hinreichende  Stüze  hat.  —  Die.Operation  kann  nöthig . 
"werden  wegen  traumatischer  Affectionen  ,  namentlich  wegen  complicirter 
Luxationen  und  Fracturen  und  wegen  organischer  Knochenkrankheiten. 
—  Man  operirt  nach  Moreau  und  Jäger  folgendermassen  :  der  auf 
'dem  Rücken  liegende  Kranke  legt  seinen  Fuss  auf  ein  erhabenes  hartes 
Kissen.  Der  Operateur  führt  längs  der  Fibula  einen  senkrechten  3  Zoll 
langen  Schnitt  bis  unter  den  Knöchel  und  lässt  von  hier  aus  einen  Quer- 
schnitt bis  zurnM.  peronaeus  tertius  gehen;  hierauf  präparirt  er  die 
Haut  etwas  zurück,  trennt  dann  die  Fascie  am  hintern  und  vordem  Rande 
der  Fibula,  lässt  die  blossgelegten  Sehnen  des  Peronaeus  longus  und 
b r e v i s  mit  einem ,  die  der  Extensoren  und  des  Peronaeus  tertius 
mit  einem  andern  stumpfen  Haken  abziehen  und  isolirt  hart  am  Knochen 


RESECT10N  DES  FUSSGELENKS.  801 

sich  haltend  die  Fibula.  Ist  der  Operateur  noch  im  Bereiche  des  Zwi- 
schenknochenraumes ,  so  führt  er  die  Kettensäge  hinter  die  Fibula  ;  wäre 
aber  die  Resection  unter  dem  Zwischenknochenraume  zu  verrichten,  so  muss 
er  einen  starken  scharfen  Meissel  anwenden.  Ist  die  Fibula  durchsägt,  so  wird 
sie  exarticulirt.  Nun  lässt  man  den  Fuss  auswärts  wenden,  macht  längs  dem 
hintern  Rande  derTibia  einen  gleichen  senkrechten  und  einen  hier  bis  zumM. 
tibialis  anticus  sich  erstreckenden  Querschnitt  wie  an  der  Fibula,  trennt 
auch  hier  die  Weichtheile  dicht  am  Knochen  los,  exarticulirt  das  Schienbein, 
dreht  den  Fuss  stark  nach  aussen ,  luxirt  dadurch  das  untere  Ende  der 
Tibia  nach  innen ,  schiebt  zwischen  diese  und  die  Weichtheile  ein  Holz- 
stäbchen oder  einen  Leinwandstreifen  und  durchsägt  den  Knochen  mit  der 
Bogensäge.  —  Vom  Astragalus  trägt  man  alles  Schadhafte  mittels  Ketten- 
säge und  Meissel  ab.  Man  resecirt  die  Fibula  auch  dann ,  wenn  sie  ge- 
sund ist ,  weil  sie  für  sich  keine  hinreichende  Stüze  gewährt  und  eine 
Verdrehung  des  Fusses  nach  innen  verursachen  kann. —  Die  Wunde  wird 
bis  auf  eine ,  etwa  zollgrosse  Lücke  ,  durch  welche  Eiter  abfliessen  kann, 
durch  die  Knopf-  oder  umschlungene  Naht  vereinigt,  hierauf  der  Fuss  mit 
der  S  c  u  1 1  e  t '  sehen  Binde  umgeben  und  da«3  Glied  zwischen  zwei  knie- 
förmig  gebogenen  Schienen  ruhig  liegen  gelassen.  —  Ankylose  ist  das 
günstigste  Resultat.  Eine  wenn  auch  noch  so  geringe  Beweglichkeit  ist 
nachtheilig.  —  Wenn  das  untere  Ende  der  Fibula  allein  zu  reseciren  ist, 
so  macht  man  nach  der  obigen  Angabe  den  ersten  Act  der  Operation. 

11.  Res  e  ction  d  er  Gel  enken  d  en  d  e  r  Mitt  e  1  f  usskn  o- 
chen  und  Zehenglieder,  Resectio  ossium  metatarsi  et 
phalangum  digitorum  pedis.  Diese  Operation  wird  gewöhnlich 
nicht  vorgenommen,  nur  am  ersten  Mittelfussknochen  wurde  sie  einigemal 
ausgeführt.  Es  ist  aber  hierbei  zu  bemerken ,  dass  nicht  mehr  als  ein 
Drittel  des  Mittelfussknochens  entfernt  werden  darf,  sonst  wird  die  noth- 
wendig  erfolgende  Contractur  der  Zehe  nach  oben  oder  nach  innen  dem 
Kranken  mehr  Schaden  als  Nuzen  bringen.  Der  zweckmässigste  Schnitt 
hat  die  H  Form ;  der  horizontale  Schnitt  fällt  an  die  innere  blosse  Seite 
des  Knochens,  die  beiden  senkrechten  kurzen  Schnitte  über  die  Trennungs- 
stellen des  Knochens  heraus. 

II.  Theilweise  Ausrottung  der  Knochen  in  ihrer  Con- 
tinuität,  Abtragung  s  ch  adh  af  t  er  Kno  ch  e  n  s  t  ü  ck  e  ,  Re- 
sectio o  s  s  ium  extra  arti  cu  los  ,  Res  ectio  in  continuitate 
ossium.  Diese  Operationen  haben  den  Zweck,  ein  krankes  Knochen- 
stück aus  der  Continuität  des  Knochens  zu  entfernen.  Die  Indicationen 
zu  denselben  sind :  Caries  und  andere  Entartungen  der  Knochen ,  welche 
nur  auf  einen  Theil  dieses  beschränkt ,  nicht  von  allgemeinen ,  noch  in 
voller  Wirksamkeit  stehenden  Ursachen  abhängig  sind  und  andern  Ver- 
fahren nicht  weichen ;  complicirte  Fracturen,  wobei  die  Bruchenden  durch 
die  Haut  gedrungen  und  nicht  zurückzubringen  oder  nicht  reponirt  zu  er- 
halten, oder  aber  von  der  Beinhaut  entblösst  sind  ;  falsche  Gelenke,  wenn 
Burger,  Chirurgie.  ^1 


802  RESECTION  DES   OBERKIEFERS. 

alle  andern  Mittel  fehlgeschlagen  sind.  —  Contraindicirt  ist  die  Opera- 
tion bei  Fracturen  mit  langen  Fissuren  und  bedeutender  Zersplitterung, 
oderZerreissung  des  Hauptnervens,  bei  oberflächlicher  Caries,  oder  wo  der 
Theil  durch  seine  tiefe  Lage  schwer  zugänglich  ist ;  bei  Knochenaffectio- 
nen,  die  nur  in  der  Knochenhaut  wurzeln  und  daher  vom  Knochen  getrennt 
werden  können,  bei  gestielten  und  gutartigen  Exstosen ,  die  man  nur  ab- 
zusägen oder  abzumeisseln  braucht ,  ohne  etwas  von  dem  Mutterboden  zu 
entfernen ,  endlich  bei  Necrose.  —  Bei  der  Operation  selbst  muss  zur 
Entblössung  des  Knochens  die  Stelle  gewählt  werden,  von  wo  aus  man  am 
leichtesten  und  ohne  bedeutende  Verlezung  von  Gefässen,  Nerven,  Mus- 
keln und  Sehnen  zu  der  leidenden  Stelle  gelangen  kann. 

1.  Theil  weis  es  Au  s  s  chnei  den  d  es  Ob  erkief  er  s  ,  Ex- 
cisio  et  Resectio  maxillae  superioris  partialis.  Die  Ope- 
ration ist  indicirt :  bei  Caries,  tiefwurzelnden  Exostosen,  Aftergebilden  in 
der  Highmorshöhle  und  bei  fest  auf  der  vordem  Wand  aufsizenden  Speck- 
und  Knochengeschwülsten.  Sie  darf  jedoch  nicht  gemacht  werden,  wenn 
sich  das  Leiden  über  die  Grenzen  der  Oberkieferhöhle  erstreckt.  —  Die 
häufigste  partielle  Resection  ist  die  Entfernung  des  Alveolar-  und  Gaumen- 
fortsazes  mit  einem  Theile  des  Körpers  ,  seltener  die  Resection  des  Joch- 
oder Nasenfortsazes  und  der  untern  Augenhöhlenwand.  Der  Kranke  sizt 
während  der  Operation,  damit  das  Blut  nicht  in  den  Schlund  gelangt  und 
Erstickungszufälle  veranlasst.  Er  lehnt  seinen  Kopf  an  einen  hinter  ihm 
stehenden  Gehülfen ,  welcher  denselben  fixirt  und  nöthigenfalls  zugleich 
die  Art.  maxillaris  externa  am  Rande  des  Unterkiefers  comprimirt. 

—  Wenn  der  Alveolar-  und  Gaumenfortsaz  und  nur  ein  kleiner 
Theil  des  Körpers  vom  Oberkiefer  zu  entfernen  sind ,  so  kann  man  die 
Resection  von  der  vordem  Mundhöhle  aus  verrichten,  ohne  die  Wange  zu 
spalten.  Man  lässt  zu  diesem  Behufe  die  Lippe  von  einem  Gehülfen 
nach  oben  umschlagen ,  trennt  auch  wohl  Lippe  und  Wange  noch  eine 
Strecke  weit  vom  Kiefer  ab ,  zieht  nun  an  der  Grenze  des  Kranken  einen 
Zahn  aus  und  sezt  an  die  Zahnzelle  einen  festen  geraden  Meissel  an,  mit 
dessen  Hülfe  man  drückend  oder  mit  Hammerschlägen  den  Gaumenfortsaz 
durchtrennt.  Hierauf  schneidet  man  mit  einem  schiefschneidigen  Hohl- 
meissel  die  Knochenplatten  des  Körpers  an  der  Grenze  des  Kranken  ab, 
bis  das  so  umgrenzte  Knochenstück  beweglich  wird ,  worauf  man  seine 
Adhäsionen  am  weichen  Gaumen  mit  dem  Messer  trennt  und  es  entfernt. 

—  Wäre  die  Geschwulst  zu  gross ,  als  dass  man  von  der  vordem  Mund- 
höhle aus  bequem  operiren  könnte ,  so  müsste  die  Wange  einge- 
schnitten werden,  und  zwar  gibt  ein  schräg  von  einem  Augenwinkel 
gegen  den  kranken  Wundwinkel  hin  geführter  Schnitt  nicht  allein  einen 
gehörigen  Raum,  sondern  auch  eine  schöne  Vereinigung,  der  dadurch  ent- 
stehende Lappen  wird  nach  der  Nase  hin  lospräparirt  und  hierauf  die  Ex- 
stirpation  vorgenommen.  Nach  der  Exstirpation  werden  die  Wundränder 
mittels  der  Knopf-  oder  umschlungenen  Naht  vereinigt.  —  Die  Resection 


RESECTION  DES  OBERKIEFERS.  803 

anderer  Theile  des  Oberkiefers  werden  selten  für  sich  allein  nöthig ,  son- 
dern die  sie  bedingenden  Leiden  lassen  sich  in  der  Regel  nur  durch 
Ausschneiden  des  ganzen  Oberkiefers  beseitigen.  Um  diese 
Operation  ins  Werk  zu  sezen ,  spaltet  man  nach  Dieffenbach  die 
Oberlippe  und  die  ganze  knorpelige  Nase  auf  der  dem  kranken  Oberkiefer 
zugewandten  Seite  mit  einem  Zuge  und  verlängert  diesen  Schnitt  nothigen- 
falls  bis  zur  Höhe  des  innern  Augenwinkels.  Gegen  das  Ende  dieses  ver- 
ticalen  Schnitts  führt  man  rechtwinklig  eine  bis  auf  den  Knochen  drin- 
gende Incision  vom  innern  Augenwinkel  aus  ,  durch  welchen  die  innere 
Commissur  der  Augenlider  gespalten  wird.  Der  so  umschnittene  grosse 
Lappen,  welcher  aus  der  Hälfte  der  Nase,  dem  untern  Augenlide,  der  hal- 
ben Oberlippe  und  der  ganzen  Wange  besteht ,  wird  mit  starken  Messer- 
zügen von  seiner  Unterlage  abgelöst.  Vorsichtig  wird  dann  die  Conjunc- 
tiva  an  der  Grenze  des  Augenlids  getrennt.  Wenn  die  Geschwulst  weit 
nach  aussen  ragt,  oder  der  Operateur  für  die  Durchschneidung  des  Pro- 
cessus zygomaticus  nicht  hinreichend  Raum  zu  haben  fürchtet ,  so 
wird  von  der  äussern  Commissur  der  Augenlider  anfangend  ein  horizon- 
taler Schnitt  in  die  Schläfenhaut  geführt,  wodurch  die  vollständige  Ent- 
blössung  der  vordem  Fläche  des  Oberkiefers  erlangt  wird.  —  Bei  dieser 
Spaltung  des  Gesichts  in  der  Mittellinie  wird  der  Nervus  facialis, 
der  Ductus  stenonianus  und  die  Art.  maxillaris  externa 
geschont ,  deren  Verlezung  bei  andern  Schnittführungen  nicht  immer  zu 
vermeiden  ist.  —  Wenn  die  Geschwulst  sehr  stark  nach  aussen  oder  nach 
unten  und  aussen  hervorragt ,  oder  die  Haut  der  Wange  gegen  das  Joch- 
bein hin  entweder  fest  mit  ihr  verwachsen  oder  schon  von  ihr  durchbrochen 
ist ,  so  spaltet  man  nach  Velpeau  die  Wange  durch  einen  halbmond- 
förmigen oder  schräg  aufsteigenden  Schnitt,  der  in  der  Nähe  des  Mund- 
winkels beginnt  und  zum  Jochbein  aufsteigt.  Hierdurch  erhält  man,  na- 
mentlich gegen  die  Fissura  orbitalis  inferior  hin  den  nöthigen 
Raum,  wie  auch  bei  gehörigem  Vordringen  des  Schnitts  gegen  den  innern 
Augenwinkel  und  Ablösung  der  knorpeligen  Nase  der  Nasenfortsaz  des 
Oberkiefers  zugängig  gemacht  wird.  Nur  werden  bei  dieser  Schnittfüh- 
rung die  vordem  Aeste  des  N.  facialis  durchschnitten,  was  eine  Läh- 
mung der  Gesichtsmuskeln  zur  Folge  hat.  Der  Speichelgang  kann  bei 
gehöriger  Vorsicht  geschont  werden.  —  Nach  der  Blosslegung  des  Kno- 
chens muss  dieser  von  den  drei  Verbindungen  mit  den  übrigen  Gesichts- 
knochen getrennt  werden.  Der  Operateur  beginnt  mit  der  Durchschnei- 
dung des  Jochfortsazes ,  welche  am  bequemsten  mit  der  Kettensäge  ge- 
schieht, die  man  ohne  Schwierigkeit  mit  einer  passenden  Nadel  hinter  dem 
Jochbogen  durch  die  Fissura  orbitalis  inferior  in  die  Augenhöhle 
und  durch  den  vordersten  Theil  der  lezten  wieder  herausführt.  Nach  der 
Durchtrennung  der  äussern  Verbindung  des  Oberkiefers  trennt  der  Ope- 
rateur die  Verbindung  des  Nasenfortsazes  mit  dem  Oberkiefer  und  Stirn- 
bein ,   wozu  gleichfalls  die  Kettensäge  benuzt  werden  kann ,  welche  man 

51* 


804  RESECTION  DES  UNTERKIEFERS. 

von  der  Augenhöhle  aus  durch  das  perforirte  Thränenbein  in  die  Nase 
und  durch  die  Apertur  a  pyriformis  wieder  herausleitet.  Beide 
Durchtrennungen  lassen  sich  auch  mit  der  Stichsäge  ausführen ,  welche 
für  die  Durchschneidung  des  Gaumenfortsazes  unbedingt  den  Vorzug  ver- 
dient. Es  bleibt  nur  noch  eine  ganz  kleine  knöcherne  Verbindung  des 
Kiefers  übrig ,  nämlich  die  des  Pyramidenfortsazes  vom  Gaumenbein  mit 
dem  Processus  pterygoideus  des  Keilbeins.  Sollte  diese  Ver- 
bindung bei  geringen  Bewegungen  nicht  abbrechen,  so  kann  man  sie  mit 
einem  Hohlmeissel ,  den  man  dicht  an  der  Tuberositas  maxillae 
superioris  einführt,  lostrennen.  Sind  einzelne  Theile  des  Oberkiefers 
zu  erhalten,  so  lassen  sich  oft  andere  Instrumente,  wie  die  Knochenscheere, 
der  Meissel  und  das  Meisseimesser  vortheilhafter  benuzen.  — ■  Nach  der 
Durchschneidung  der  Verbindungen,  die  mittels  der  Säge  sehr  leicht  und 
rasch  geschieht ,  zeigt  der  Oberkiefer  bereits  Beweglichkeit ,  bevor  man 
aber  die  gänzliche  Trennung  vornimmt,  trennt  man  den  Nerv,  infra- 
orbitalis  sammt  der  Arterie  bei  ihrem  Eintritt  in  den  Halbkanal.  Man 
fasst  ihn  nun  mit  einer  starken  Hakenzange ,  zieht  ihn  vor  und  durch- 
schneidet noch  die  Schleimhautadhäsionen  in  der  Gegend  der  Choane  und 
des  weichen  Gaumens.  Hierauf  wird  die  Wunde  durch  Einsprizungen 
von  kaltem  Wasser  gereinigt.  Sollte  sich  eine  grössere  arterielle  Blu- 
tung, z.  B.  aus  der  Art.  m axillaris  interna  einstellen,  so  müssten 
solche  Gef  ässe  gefasst  und  unterbunden ,  oder  die  Blutung  durch  das 
Glüheisen ,  welches  jedenfalls  bereit  sein  muss,  gestillt  werden.  Hierauf 
wird  die  Wunde  mittels  der  umschlungenen  oder  Knopfnaht  vereinigt ; 
nachdem  man  in  die  Höhle  einen  Charpieballen  eingelegt  hat.  —  Ausser 
den  genannten  Schnitten  in  den  Weichtheilen  sind  noch  solche  von  ver- 
schiedener Form  gebräuchlich  ;  Kreuz  -  und  Ovalairschnitte  kommen  am 
häufigsten  in  Anwendung.  G  e  n  s  o  u  1  macht  einen  H  förmigen  ,  Gu- 
thrie einen  i i  förmigen,  noch  Andere  bilden  einen  dreieckigen  [_^  oder 

T  oder  V  oder  \  Schnitt ;  keiner  von  diesen  gibt  aber  eine  so  schöne 
Vereinigung,  wie  der  oben  näher  beschriebene  Schnitt  von  D  ieffen - 
b  a  c  h ,  der  ausserdem  noch,  wie  schon  bemerkt ,  vor  der  so  entstellenden 
Gesichtslähmung ,  vor  der  Speichelfistel  und  vor  grösseren  Blutungen 
schüzt.  —  Die  Heilung  der  Wunden  erfolgt  gewöhnlich  per  prima m 
intentionem.  —  Sogar  die  Ausschneidung  beider  Oberkiefer  in  einer 
Sizung  ist  mehrmals  mit  glücklichem  Erfolg  unternommen  worden,  zuerst 
von  Heyfelder,  dann  von  Maisonneuve.  —  Heyfelder  und 
Michon  entfernten  den  Körper  und  Augenhöhlentheil  des  Oberkiefers, 
mit  Erhaltung  des  Gaumen  -  und  Alveolarfortsazes ,  Langenbeck  den 
Nasenfortsaz. 

2.  Theilweise  Abtragung  des  Unterkiefers,  Resec- 
tio  s.  Excisio  maxillae  inferioris  partialis.  Diese  Opera- 
tion wird  durch  folgende  Zustände  bedingt :  Neubildungen  im  Knochen, 
und  zwar  gutartige ,  wenn  sie  durch  ihre  Masse  nachtheilig  wirken  und 


RESECTION  DES  UNTERKIEFERS.  805 

nicht  für  sich  exstirpirt  werden  können ;  Krebse ,  welche  im  Knochen 
selbst  entstanden  sind  ;  Caries,  wenn  sie  blos  örtlich  ist  und  jeder  andern 
Behandlang  widerstehend  weiterschreitet ;  Zerschmetterungen  des  Unter- 
kiefers ,  bei  welchem  eine  vollkommene  Vereinigung  oder  Brauchbarkeit 
des  Kiefers  nicht  zu  erwarten  steht.  Eine  Gegenanzeige  der  Operation 
ist  die  Anschwellung  der  Submaxillar-  oder  Sublingualdrüsen  oder  ande- 
rer benachbarter  Drüsen.  —  Je  nach  dem  Size  der  Erkrankung,  ihrer  Be- 
schaffenheit und  Ausdehnung  ist  das  operative  Verfahren  verschieden. 
Eegel  ist  es ,  alles  Kranke  zu  entfernen ,  und  dies  bestimmt  sowohl  die 
Schnitte  durch  die  Haut,  wie  die  Durchsägungsstellen.  Man  kann  blos 
den  Alveolarrand  wegnehmen,  oder  die  Excision  des  mittlem  Theils  oder 
die  Excision  der  Hälfte  des  Körpers  des  Unterkiefers  machen.  Von  der 
Wegnahme  eines  Theils  des  Körpers  mit  dem  Aste  war  bei  den  Decapi- 
tationen  die  Rede  und  von  der  Wegnahme  des  ganzen  Unterkiefers  wird 
bei  der  Exstirpation  der  Knochen  gesprochen  werden.  —  a)  Resection 
des  Alveolarrandes.  Ist  nur  ein  kleiner  Theil  des  vordem  Alveo- 
larrandes  erkrankt,  so  zieht  man  an  der  Grenze  des  Erkrankten  an  jeder 
Seite  einen  Zahn  aus  und  sägt  mit  einer  feinen  Blattsäge ,  im  Gesunden 
bleibend,  ein  dreieckiges  Stück  aus  dem  Zahnhöhlenrande  aus,  welches  die 
Gestalt  eines  V  hat.  Die  zuweilen  sehr  bedeutende  Blutung  aus  der  Di- 
ploe  wird  mit  einem  kleinen  Glüheisen  gestillt ,  wobei  Lippen  und  Zunge 
durch  Leinwandläppchen  geschüzt  werden.  —  Enthält  der  kranke  Theil 
mehr  als  vier  Zähne,  so  sägt  man  nach  Dieffenbach  den  Kieferrand 
an  jeder  Seite  in  horizontaler  Richtung  ein  und  stammt  das  kranke  Stück 
mit  einem  flachen  Meissel  aus.  —  Ist  der  seitliche  Alveolarrand  erkrankt, 
so  zieht  man  den  Mundwinkel  dieser  Seite  mit  einem  stumpfen  Haken 
weit  nach  aussen,  sägt  dann  den  Alveolarrand  an  der  vordem  Grenze  ein, 
trennt  die  Wange  vom  Knochen ,  sezt  einen  an  der  Seite  schneidenden 
Meissel  von  der  Form  eines  Messers  in  horizontaler  Richtung  an  die  äus- 
sere Seite  an  und  sprengt  den  Zahnhöhlenfortsaz  durch  einen  kräftigen 
Hammerschlag  ab.  Gewöhnlich  ist  ein  nochmaliges  Aufsezen  des  Instru- 
ments an  die  innere  Seite  des  Knochens  nöthig ,  um  diesen  glatt  abzu- 
trennen. Die  Adhäsionen  der  Weichtheile  trennt  man  mit  dem  Messer 
und  die  Blutung  stillt  man  mit  dem  Glüheisen.  —  b)  Resection  des 
mittlem  oder  Kinntheils  des  Unterki  e  fers.  Die  Stellung 
des  Kranken  ist  wie  bei  der  Resection  des  Oberkiefers.  Man  spaltet  die 
Lippe  in  der  Mittellinie  bis  unter  das  Kinn  herab,  wobei  der  Schnitt  bis 
auf  den  Knochen  dringt.  Fehlt  es  an  Raum  zum  Durchsägen,  so  verlän- 
gert man  den  Schnitt  gegen  das  Zungenbein  hin ,  welcher  Schnitt  aber 
nur  durch  Haut  und  Zellgewebe  gehen  darf.  Die  Weichtheile  werden 
nun  nach  beiden  Seiten  hin  bis  zur  Grenze  des  Gesunden  hart  am  Kno- 
chen abgelöst,  so  dass  alle  Arterien  in  dem  sogleich  zurückzuschlagenden 
Lappen  nnverlezt  bleiben.  Bevor  man  an  die  Durchsägung  des  Knochens 
geht,  sticht  man  mittels  einer  Heftnadel  ein  starkes  Fadenbändchen  durch 


806  RESECTION  DES  UNTERKIEFERS. 

das  Frenulum  linguae,  um  damit,  wenn  es  nöthig  wäre,  das  Zurück- 
sinken der  Zunge  verhindern  zu  können  ;  ebenso  zieht  man  vorher  an  bei- 
den Grenzen  der  Erkrankung  einen  Zahn  aus.  Nun  schabt  man  die 
Knochenhaut  mit  einem  Schabeisen  ab  und  sägt  den  Knochen  auf  der  einen 
Seite  und  dann ,  bevor  er  hier  ganz  von  der  Säge  durchdrungen  ist ,  auf 
der  andern  durch ,  worauf  man  erst  den  andern  Sägenschnitt  beendigt. 
Hierdurch  bleibt  das  Knochenstück  bis  auf  den  lezten  Augenblick  fest  er- 
halten. Der  Sägenschnitt  muss  etwas  schräg  von  aussen  nach  innen 
gehen ,  damit  die  Enden ,  wenn  sie  sich  berühren  können ,  einander  mit 
Flächen  und  nicht  mit  Kanten  berühren.  Zu  dieser  Durchsägung  bedie- 
nen sich  die  Einen  der  Bogensäge,  wobei  sich  der  Operateur  erhöht  hin- 
ter den  Kranken  stellt ,  Andere  der  Kettensäge ,  in  welchem  Falle  der 
Knochen  von  innen  heraus  durchsägt  wird.  Um  das  so  vom  übrigen 
Knochen  getrennte  Stück  auszuschälen,  fasst  man  es  mit  der  linken -Hand 
und  zieht  es  ab ,  ein  Gehülfe  spannt  die  Zunge  mit  dem  Fadenbändchen 
an.  Dann  geht  man  mit  einem  kurzschneidigen,  starken  Knochenmesser 
von  der  linken  Seite  her  hinter  dem  losen  Knochen  ein,  trennt  ihn,  indem 
man  schabend  an  seiner  innern  Fläche  fortgeht,  von  den  Weichgebilden 
und  unterbindet  jezt  schnell  die  blutenden  Gefässe.  Sollte  eine  störende 
Blutung  aus  der  Art.  alveolaris  inferior  an  der  Schnittfläche  des 
Knochens  erfolgen ,  so  verschliesst  man  ihren  Kanal  durch  einen  Wachs- 
pfropf. Die  Wunde  wird  durch  die  umschlungene  Naht  vereinigt  und 
der  durch  die  Zunge  gezogene  Faden  durch  den  Mund  herausgeführt  und 
an  der  Wange  festgeklebt.  —  Ist  die  Haut  an  der  Operationsstelle  er- 
krankt ,  oder  ist  sie  wegen  grosser  Ausdehnung  der  unterliegenden  Haut 
im  Ueberfluss  vorhanden ,  so  macht  man  einen  V  Schnitt ,  oder  man  lässt 
die  verticalen  Schnitte  nur  bis  zum  Kinnrande  gehen  und  macht  an  der 
Basis  des  Unterkiefers  eine  quere  Incision ,  so  dass  ein  |  Schnitt  ent- 
steht ,  was  den  Knochen  in  grösserer  Ausdehnung  zu  entblossen  erlaubt. 
—  c)  Resection  des  ganzen  horizontalen  Theils  (Bogen  s) 
des  Unterkiefers.  Diese  Operation  ist  nur  durch  die  Grösse  des 
herauszunehmenden  Stücks  von  der  vorigen  verschieden.  Zur  Blosslegung 
des  Knochens  wird  längs  der  Basis  des  Unterkiefers  ein  Schnitt  geführt 
(dem  man  nötigenfalls  einen  senkrechten  durch  die  Lippe  beifügt)  ,  der 
Lappen  abgelöst  und  in  die  Höhe  geschlagen.  —  d)  Resection  einer 
Seitenhälfte  oder  eines  Theils  derselben.  Hier  bleibt  das 
Kinn  und  der  Gelenktheil  des  Knochens  zurück.  Man  spaltet  die  Unter- 
lippe ,  führt  von  dem  Ende  dieses  Schnitts  längs  des  untern  Kieferrandes 
einen  zweiten  bis  etwa  i/2 — 1  Zoll  über  die  Grenze  der  Krankheit  hin- 
aus ,  trennt  diesen  dreieckigen  Lappen  los ,  schlägt  ihn  nach  hinten  und 
oben  und  sägt  das  kranke  Knochenstück,  nachdem  man  den  entsprechen- 
den Zahn  ausgezogen  hat,  mit  der  Kettensäge  aus;  hierauftrennt  man 
den  Knochen  von  seinen  Adhäsionen,  stillt  die  Blutung,  wobei  gewöhnlich 
die  Art.   maxillaris  externa  unterbunden  werden  muss ,  und  ver- 


RESECTION  DES   SCHULTERBLATTS.  807 

einigt  die  Wunde  schliesslich  mittels  der  umschlungenen  Naht.  —  Bei 
den  vorgenannten  Resectionen  treten  zuweilen  durch  Zurückziehen  der 
Zunge  Erstickungszuf  alle  ein,  welchen  man  durch  eine  gehörige  Fixirung 
der  Zunge  durch  das  Fadenbändchen  vorbeugen  kann.  Dieser  kann  so- 
gar noch  später,  während  des  Vernarbungsprocesses  eintreten.  Man  thut 
daher  wohl ,  den  Kranken  gut  zu  überwachen  und  ihm  bis  zur  völligen 
Vernarbung  eine  Seitenlage  mit  erhöhtem  Kopfe  zu  empfehlen.  Ein  wei- 
terer Uebelstand  der  Unterkieferresectionen  ist  der ,  dass  die  Kranken 
ausser  Stande  sind ,  feste  Nahrungsmittel  zu  geniessen ,  oder  sie  können 
sie  wenigstens  nicht  gehörig  kauen  und  einspeicheln ,  was  Ernährungs- 
störungen zur  Folge  haben  kann.  Nur  wenn  das  resecirte  Stück  durch  neue 
Knochenmasse  ersezt  wird,  ist  die  Möglichkeit  zu  späterer  normaler  Func- 
tion der  Mandibula gegeben;  es  geschieht  dies  indessen  gewöhnlich  nicht. 

3.  Theilweise  Wegnahme  des  Schlüsselbeins,  R  e  - 
sectio  claviculae  partialis.  Die  Operation  hat  den  Zweck,  einen 
Theil  des  Schlüsselbeins  mit  Zurücklassung  der  beiden  Gelenkenden  zu 
entfernen.  Indicirt  ist  die  Operation  bei  Zersplitterung  der  Clavicula, 
Entartungen  derselben,  Aneurysmen  der  Art.  subclavia  unterhalb  des 
Schlüsselbeins  und  grosser  Schwierigkeit  der  Aufsuchung  der  Arterie.  — 
Während  der  Operation  hat  man  sich  vor  einer  Verlezung  der  V  e  n  a  j  u- 
g u  1  a r i s  und  subclavia,  linkerseits  auch  des  Ductus  thoraci- 
c  u  s  zu  hüten.  Sie  ist  übrigens  ziemlich  einfach.  —  Bei  Caries  macht 
man  einen  Querschnitt  längs  des  Schlüsselbeins  und  von  beiden  Enden 
dieses  Schnitts  zwei  kleine  Längenschnitte  nach  oben  und  unten  und  prä- 
parirt  darauf  die  Weichtheile  zurück,  wobei  man  die  Schneide  immer  dicht 
am  Knochen  führt.  Bei  entarteter  Haut  macht  man  zwei  elliptische 
Schnitte  nach  der  Länge  des  Knochens ,  welche  das  Entartete  einschlies- 
sen  ;  eine  beträchtliche  unter  der  Haut  liegende  Geschwulst  muss  durch 
einen  Hautschnitt  gespalten  werden.  Nach  der  Blosslegung  des  Knochens 
durchsägt  man  ihn  entweder  von  aussen  nach  innen  mittels  der  H  e  y  '- 
sehen  Säge ,  oder  von  innen  nach  aussen  mit  der  Knochensäge ,  nachdem 
man  einen  Spatel  oder  ein  Lederstück  unter  den  Knochen  geschoben  hat. 
Die  Wundränder  werden  nach  der  Durchsägung  und  Reinigung  der  Wunde 
mit  Heftpflaster  vereinigt ,  darüber  legt  man  Charpie  und  Compressen 
und   dann  den  D  es  a  ult 'sehen  Verband  für  den  Schlüsselbeinbruch  an. 

4.  Theilweise  Wegnahme  des  Schulterblatts,  Re- 
sectio  scapulae  partialis.  Man  versteht  unter  dieser  Operation 
die  theilweise  Entfernung  des  Schulterblatts  mit  Zurücklassung  der  Spina 
scapulae  und  der  Gelenkfläche  oder  lezterer  allein.  —  Die  Indicationen 
zu  dieser  Operation  sind :  Zersplitterungen  in  Folge  von  Schusswunden 
und  Fracturen,  Caries  ;  Osteosarcom  und  Osteosteatom,  sofern  diese  nicht 
blos  auf  der  Scapula  aufsizen  und  von  ihr  abpräparirt  werden  können ; 
Markschwamm.  Die  Operation  ist  weder  sehr  schwierig,  noch  gefahrvoll, 
wenn  eine  Geschwulst  sich  nicht   etwa  tief  in  die  Achselhöhle  hinein  er- 


808  RESECTION  DES  SCHULTERBLATTS. 

streckt ;  auch  bleibt  von  ihr  kein  bedeutender  Nachtheil  für  die  Brauch- 
barkeit des  Arms  zurück.  Sie  zerfällt  :  in  die  Wegnahme  einzelner  Fort- 
säze,  Ränder,  Winkel ,  in  die  Ausschneidung  eines  kleineren  oder  grösse- 
ren Stückes  aus  der  Fläche  des  Schulterblatts  (Trepanatio  scapu- 
1  a  e)  und  in  die  Entfernung  des  ganzen  Schulterblatts  mit  Ausnahme  eines 
kleineren  oder  grösseren  Stücks  des  Gelenktheils  (Amputatio  scapu- 
lae).  —  a)  Resection  des  Acromions.  Man  macht  nach  dem 
Verlaufe  des  untern  Randes  des  Knochens  einen  halbmondförmigen  Schnitt, 
trennt  den  Hautlappen  und  die  an  diesen  Fortsaz  sich  anheftenden  Mus- 
keln ab  und  schneidet  ihn  mit  der  Knochenzange ,  der  Kettensäge  oder 
dem  Osteotom  durch ,  worauf  man  ihn  nach  aussen  zieht  und  aus  seiner 
Verbindung  mit  dem  Schlüsselbein  löst.  Ist  die  Gelenkfläche  des  leztern 
Knochens  oberflächlich  erkrankt ,  so  kann  man  sie  mit  der  Knochenzange 
entfernen.  —  b)  Resection  der  Schulter  gräte.  Meistens  ge- 
nügt ein  Querschnitt  nach  dem  Verlaufe  der  Gräte,  der  je  nach  Erforder- 
niss  durch  Hinzufügung  zweier  kleiner  Verticalschnitte  in  einen  oder  zwei 
viereckige  Lappen  verwandelt  wird.  Bei  Geschwülsten  richtet  man  sich 
nach  der  Eigenthümlichkeit  des  Falls.  Nach  Abtrennung  der  Muskeln 
wird  die  kranke  Stelle  der  Gräte  mittels  der  Velpeau' sehen  Knochen- 
zange ,  der  Martin'  sehen  Glockensäge  oder  des  Osteotoms  entfernt. 
Muss  die  ganze  Spina  weggenommen  werden ,  so  durchschneidet  man  zu- 
erst den  Hals  des  Acromions  und  dann  die  Basis  des  Vorsprungs  mit  dem 
Osteotom.  —  c)  Resection  des  Winkels  oder  Randes  des 
Schulterblatts.  Man  legt  die  kranke  Stelle  durch  einen  geeigneten 
Schnitt  bloss ,  der  nach  Bedürfniss  eine  L  oder  T  Form  haben ,  oder  ein 
Kreuzschnitt  sein  kann.  Nach  Ablösung  der  Hautlappen  schneidet  man 
die  Insertionen  der  Muskeln  hart  am  äussern  und  hintern  Rande  des  Kno- 
chens ab  und  durchsägt  diesen,  wozu  am  besten  das  Osteotom  passt.  Nach 
der  Durchsägung  des  Knochens  löst  man  ihn  von  dem  Muse,  subcapu- 
larisab.  —  d)  Resection  eines  Stücks  aus  der  Fläche  des 
Schulterblatts.  Geschieht  wegen  mechanischer  Zerstörung  eines 
Theils  des  Knochens  in  der  Fossa  supra-  oder  infraspinata  und 
zwar  nach  allgemeinen  Regeln.  —  e)  Resection  des  Körpers  des 
Schulterblatts.  Diese  Operation  besteht  in  der  Entfernung  des 
grössern  Theils  des  Körpers  mit  Erhaltung  des  Gelenktheils  der  Scapula. 
—  Die  zweckmässigste  Schnittführung  ist  die  von  Ried:  Ein  Längen- 
schnitt wird  in  der  Richtung  des  innern  Randes  des  Schulterblatts  von 
dem  obern  bis  gegen  den  untern  Winkel  herabgeführt,  ein  zweiter  paral- 
leler aber  um  zwei  Dritttheile  kürzerer  Schnitt  läuft  vom  Halse  des  Acro- 
mions gegen  die  Mitte  des  äussern  Randes  des  Schulterblatts  herab,  ohne 
die  hier  gelegenen  Muskeln  zu  trennen ,  beide  Schnitte  werden  durch 
einen  dritten ,  auf  der  Höhe  der  Spina  geführten  Querschnitt  vereinigt. 
Nach  Abtrennung  der  an  der  Spina  sich  befestigenden  Muskeln  werden 
die  MM.  supra-  und  infraspinatus  zugleich  mit  den  vorgezeichneten 


RESECTION  DER  RIPPEN.  809 

Hautlappen  von  dem  hintern  Rande  und  den  entsprechenden  Flachen  des 
Schulterblatts  abgelöst  und  mit  stumpfen  Haken  nach  oben  und  unten 
auseinander  gehalten.  Man  gewinnt  durch  dieses  Verfahren,  ohne  dass 
man  die  genannten  Muskeln  zu  trennen  braucht ,  genügenden  Raum  zur 
Durchsägung  des  Knochens.  Diese  wird  ausserhalb  der  Grenze  der  Zer- 
störung mit  einer  schneidenden  Zange ,  einer  Säge  oder  dem  Osteotom 
ins  Werk  gesezt.  Je  nach  der  Ausdehnung  der  Krankheit  sägt  man  den 
Knochen  schräg  durch  die  Spina  und  die  beiden  F  o  s  s  a  e  durch  oder  die 
Trennung  muss  durch  den  Hals  des  Gelenkfortsazes  gehen ,  in  welchem 
Falle  aber  die  Durchschneidung  des  Acromion  vorhergehen  muss.  Nach 
vollendeter  Trennung  des  Knochens  wird  er  in  die  Höhe  gehoben  und 
von  innen  nach  aussen  von  dem  unterliegenden  und  den  an  den  Rändern 
sich  inserirenden  Muskeln  gelöst  und  entfernt.  —  Nach  beendigter  Re- 
section  wird  die  Blutung  gestillt,  wobei  die  Unterbindung  von  Aesten  der 
Art.  transversa  scapulae  und  der  A.  dorsalis  scapulae  nö- 
thig  werden  kann ,  die  Wunde  bis  auf  den  untern  Winkel  vereinigt  und 
der  Arm  durch  einen  Verband  in  ruhiger  Lage  erhalten.  Nach  Umstän- 
den macht  man  einige  Tage  lang  kalte  Umschläge. 

5.  Theil  weise  W  e  gnahme  einer  Rippe,  Resectie  Co- 
starum partialis.  Indicationen  zu  der  Operation  sind:  Caries  und 
Nekrose,  seltener  Fracturen  mit  Wunde  und  Splitterung,  womit  Verlezung 
der  Pleura  und  der  Lunge  gegeben  ist ;  Exostosen  und  Afterbildungen 
der  Knochen.  —  Die  Operation  ist  in  ihrer  Ausführung  ziemlich  ein- 
fach ;  der  Kranke  wird,  wenn  ein  Stück  einer  Rippe  aus  dem  vordem  Theil  des 
Thorax  entfernt  werden  soll,  auf  den  Rücken,  wenn  aber  aus  dem  hintern 
Theil  desselben ,  auf  den  Bauch  gelegt ,  befindet  sich  die  Stelle  aber  auf 
einer  Seite,  so  liegt  er  auf  der'entgegengesezten  auf  einem  untergescho- 
benen Polster,  um  die  Intercostalräume  zu  vergrössern.  Ein  in  der  Rich- 
tung der  Rippe  verlaufender  Schnitt,  dem  man  nötigenfalls  einen  Quer- 
schnitt am  Ende  oder  in  der  Mitte  befügt,  legt  die  Rippe  bloss,  worauf 
man  die  Intercostalmuskeln  sowohl  an  ihrem  obern,  als  untern  Rande  be- 
hutsam abtrennt  und  die  Pleura  in  der  ganzen  Ausdehnung  der  wegzu- 
nehmenden Partie  mit  einem  etwas  gekrümmten  Spatel,  von  der  Rippe 
ablöst.  Nun  wird  der  Knochen  durchtrennt ,  wozu  man  bei  jungen  Sub- 
jecten  die  Knochenscheere  benüzen  kann  ,  sonst  aber  eignet  sich  hierzu 
die  Kettensäge  oder  auch  eine  Messersäge ;  wenn  die  Rippe  auf  einer 
Seite  durchsägt  ist ,  so  muss  man  bei  der  Durchsägung  der  andern  Seite 
das  wegzunehmende  Stück  an  dem  abgesägten  Ende  mit  einer  Zange 
fassen ,  um  es  gehörig  zu  fixiren.  Findet  bereits  eine  Continuitätstren- 
nung  der  Rippe  statt,  so  löst  man  zuerst  die  Pleura  und  trägt  dann  ein 
Ende  um  das  andere  unter  Fixirung  mit  einer  Zange  auf  die  eben  ange- 
gebene Weise  ab.  Die  Blutung  aus  der  Art.  in  t  er  cos  t  a  lis  ist  meist 
unbedeutend  oder  fehlt  auch  ganz  ;  sollte  die  Blutung  stärker  sein ,  so 
zieht  man  das  Gefäss  hervor  und  torquirt  oder  unterbindet  es  ;  man  kann 


810  RERECTION  DES  BRUSTBEINS. 

auch  ein  Fadenbändchen  um  das  hintere  Ende  der  durchsägten  Kipp« 
binden  und  die  Arterie  so  comprimiren.  Bei  der  Operation  hat  man 
die  Verlezung  der  Pleura  möglichst  zu  vermeiden,  was  bei  frischen  Frae- 
turen  am  ehesten  geschieht ,  da  sie  hier  nicht  verdickt  ist,  wie  bei  Caries 
u.  dgl.  Nach  der  Operation  schliesst  man  die  Wunde  sorgfältig,  etwa  ein- 
tretende Entzündung  der  Pleura  erheischt  eine  streng  antiphlogistische 
Behandlung.  Der  Substanzverlust  des  Knochens  ersezt  sich  durch  einen 
fibrösen  Strang ;  wo  die  Beinhaut  erhalten  wurde,  darf  man  den  vollstän- 
digen Wiederersaz  des  ausgeschnittenen  Knochenstücks  erwarten.  In 
Fällen,  wo  die  Pleura  verlezt  wurde,  verwächst  die  Oberfläche  der  Lunge 
mit  den  Rändern  der  Oeffnung.  —  Wenn  ein  Rippenknorpel  entfernt 
werden  soll,  so  kann  das  mit  dem  Scalpell  geschehen. 

8.  Theilweise  Wegnahme  der  Wirbel,  Resectiover- 
tebrarum  partialis.  Der  Zweck  dieser  Operation  ist ,  einen  frac- 
turirten  und  eingedrückten  Bogen  eines  oder  mehrerer  Wirbel  zu  entfer- 
nen. Symptome  des  Drucks  (Lähmung)  und  Crepitation  können  die 
Operation  indiciren.  Die  Prognose  hängt  von  dem  Zustande  des  Rük- 
kenmarks  und  seiner  Häute,  besonders  von  dem  Grade  der  Erschütterung 
und  der  darauf  folgenden  Entzündung  ab.  Man  legt  den  betreffenden 
Wirbel  durch  einen  Kreuzschnitt  bloss,  trennt  die  Muskeln  von  den  Fort- 
säzen  ab  ,  hält  Haut  und  Muskeln  durch  stumpfe  Haken  zur  Seite  und 
sägt  den  Bogen  mit  der  Ketten-  und  Hey'schen  Säge  aus.  Die  Nachbe- 
handlung muss  sich  besonders  gegen  die  Erschütterung  und  die  Entzün- 
dung des  Rückenmarks  und  seiner  Häute  so  wie  gegen  die  symptomati- 
schen Lähmungen  richten. 

7.  Theilweise  Wegnahme  des  Brustbeins,  Trepana- 
tio,  Per fo ratio  et  Resectio  sterni.  Die  Durchbohrung  des 
Brustbeins  wurde  bei  Ansammlungen  von  Flüssigkeiten  im  Mediastinum, 
bei  fremden  Körpern ,  bei  Caries  des  Brustbeins,  bei  Beinbrüchen  dieses 
Knochens  empfohlen. —  Die  Operation  ist  der  Hauptsache  nachfolgende: 
nachdem  sich  der  Kranke  am  Rande  eines  Bettes  oder  Tisches  auf  den 
Rücken  gelegt  hat,  macht  man  einen  einfachen  Längenschnitt,  kreuz- 
öder T  förmigen  Schnitt  in  die  Haut,  präparirt  diese  zurück  und  entblösst 
den  Knochen  an  der  Stelle,  welche  entfernt  werden  soll,  mittels  des 
Schabeisens,  worauf  der  Knochen  mittels  des  Trepans  so  weit  durchbohrt 
wird,  dass  die  Scheibe  beweglich  ist,  welche  man  sofort  mit  demTirefond 
fasst  und  mit  einem  Knopfbistouri  von  den  unterliegenden  Theilen  ab- 
löst. Bestehende  Ansammlungen  sucht  man  durch  eine  passende  Lage 
des  Kranken  und  mittels  des  Schwamms,  fremde  Körper  oder  eingedrückte 
Knochenstücke  mit  der  Hand ,  einem  Hebel  oder  einer  Zange  zu  entfer- 
nen. Nach  der  Operation  legt  man  einen  Verband  an ,  welcher  dem  bei 
der  Trepanation  des  Hirnschädels  ähnlich  ist.  —  Die  Resection  des 
Brustbeins   wurde  bei  Brüchen  desselben  mit  Dislocation ,  namentlich  bei 


RESECTIÖN  (EXSTIHPATION)  DER    KNOCHEN.  811 

veralteten   zuweilen  geübt.      Die  Art  der  Ausführung  hängt  von  dem  ge- 
gebenen Falle  ab. 

8.  Theilweise  Wegnahme  der  Beckenknochen,  Ex- 
cisio  ossium  pelvis  partialis.  Als  Indicationen  für  diese  Ope- 
rationen kann  man  Caries  und  Exostosen  des  Hüftbeinkamms  und  des  ab- 
steigenden Asts  des  Schambeins  betrachten.  Man  entblösst  die  leidende 
Stelle  durch  einen  Schnitt  bis  auf  den  Knochen,  löst  die  Beinhaut  mit 
den  Muskeln  hinreichend  los  und  sägt  die  Stelle  mit  einer  Hey  sehen 
Säge  V  förmig  aus. 

9.  Theilweise  Wegnahme  der  Knochen  der  Extre- 
mitäten, Resectio  ossium  extremitatum  partialis.  Die 
Operation  ist  hauptsächlich  in  folgenden  Fällen  angezeigt:  1)  bei  be- 
schränkter Caries ,  zumal  wenn  die  Haut  über  der  cariösen  Stelle  zerstört 
ist ;  2)  bei  Exostosen  ,  welche  gestielt  sind  oder  doch  keine  zu  grosse 
Basis  haben  ;  3)  bei  complicirten  Fracturen,  wenn  die  Bruchenden  durch 
die  Weichtheile  hervorgetreten  sind  und  nicht  reponirt  werden  können, 
oder  wenn  sie  durch  ihre  spizen  Enden  die  Weichtheile  in  Entzündung 
und  Eiterung  versezen.  Am  Öftersten  macht  sich  die  Reseetion  in  der- 
gleichen Fällen  an  der  Tibia  und  Fibula,  sodann  am  Oberarm-  und  Ober- 
schenkelbein ,  endlich  am  Mittelhandknochen  des  Daumens  nothwendig ; 
4)  bei  schlecht  geheilten  oder  gar  nicht  zur  Vereinigung  gekommenen 
Brüchen.  Auchlässt  sich  hierher  die  Abtragung  hervorstehender  Kno- 
chenenden am  Amputationsstumpfe  rechnen.  Der  Erfolg  nach  der  Re- 
section  in  der  Continuität  des  Oberarm-  und  Oberschenkelknochens  ist 
insofern  zweifelhaft,  als  es  immer  ungewiss  ist,  in  wie  weit  der  Knochen 
wieder  Festigkeit  erhält ;  dagegen  gestaltet  sich  die  Prognose  bei  der  Re- 
section  eines  Vorderarm-  oder  Unterschenkelknochens  besser,  da  der  an- 
dere unverlezte  Knochen  noch  eine  Stüze  für  das  Glied  abgibt.  — •  Bei 
diesen  Operationen  handelt  es  sich  entweder  um  die  Wegnahme  einer 
oberflächlichen  Schichte  des  Knochens  (bei  Caries,  Exostosen)  oder  einer 
ganzen  Wand  (Trepanation  bei  Necrose,  Knochenabscessen),  wobei  die 
Continuität  der  Knochen  erhalten  wird ,  oder  um  die  Wegnahme  eines 
Stücks  aus  der  ganzen  Dicke  eines  Knochens.  Die  zwei  ersteren  Opera- 
tionsverfahren sind  nur  an  den  dickeren  Knochen  ausführbar,  die  lezteren 
an  diesen  wie  an  den  dünnen.  Bei  allen  wird  der  Knochen  unter  mög- 
lichster Schonung  der  Nerven ,  Gef  ässe  und  Muskeln  durch  einen  Län- 
gen- oder  V  förmigen  Schnitt  blossgelegt  und  der  schadhafte  Theil  des- 
selben je  nach  der  Art  der  Erkrankung  mit  dem  Osteotom ,  der  Ketten-, 
Messer-  oder  einer  andern  geeigneten  Säge  oder  mit  dem  Trepan  ent- 
fernt. Ist  bei  Fracturen  das  eine  Ende  des  Knochens  nach  aussen  ge- 
treten, so  erweitert  man  nötigenfalls  die  Wunde  und  sägt  das  hervorge- 
tretene Knochenende  ab. 

III.  Gänzliche  Wegnahme  oder  Exstirpation  der 
Knochen,  Resectio  ossium  totalis  s.  Exstirpatio  ossium. 


812  RESECTION   (eXSTIRPATIOn)  DER  MITTELHANDKNOCHEN. 

Man  begreift  hierunter  die  Auslösung  ganzer  Knochen  aus  den  umgeben- 
den Weichgebilden  und  den  beiderseitigen  Gelenkverbindungen.  Man 
macht  diese  Operation  bei  Caries,  welche  einen  ganzen  Knochen  oder  den 
grössten  Theil  desselben  einnimmt,  bei  complicirter  Verrenkung  und  Zer- 
schmetternng  eines  Knochens  durch  Schusswunden.  Es  versteht  sich 
aber  von  selbst,  dass  diese  Operation  nicht  an  allen  Knochen  ausgeführt 
werden  kann,  sondern  nur  an  solchen,  die  zur  Stiize  des  Körpers  oder  ei- 
nes einzelnen  Gliedes  nicht  unumgänglich  nothwendig  sind,  deren  Mangel 
somit  durch  andere  Knochen  ersezt  werden  kann.  Die  Operation  ist  da- 
rum weder  am  Oberarm-  noch  Oberschenkelknochen  ausführbar;  dagegen 
hat  man  sie  am  Schlüsselbein,  am  Unterkiefer,  am  Radius,  an  der  Knie- 
schneibe  und  an  den  Hand-  und  Fusswurzelknochen  mit  Erfolg  verrichtet. 

1 .  Auslösung  des  Schlüsselbeins,  Resectio  clavicu- 
lae  totalis  s.  Exstirpatio  claviculae.  Man  macht  einen 
Schnitt  längs  des  Knochens ,  der  sich  über  die  beiden  Enden  desselben 
hinauserstreckt :  an  seine  beiden  Enden  fügt  man  noch  zwei  kleine  Verti- 
calschnitte  hinzu  und  präparirt  den  so  gebildeten  länglich  viereckigen 
Lappen  zurück,  wodurch  der  Knochen  vollkommen  entblösst  wird;  hierauf 
exarticulirt  man  das  Sternal-  oder  Acromialende ,  indem  man  es  mit  der 
linken  Hand  fasst,  um  es  aufzuheben,  während  man  mit  der  rechten  Hand 
den  Knochen  aus  seinen  Verbindungen  an  der  untern  Fläche  löst.  In 
einem  Falle  ersezte  sich  das  weggenommene  Schlüsselbein  vollkommen 
wieder.  Der  Verband  wird  wie  bei  der  partiellen  Resection  des,  Schlüs- 
selbeins bestellt. 

2.  Auslösung  des  Unterkiefers,  Resectio  totalis  s. 
Exstirpatio  maxillae  inferior is.  Man  macht  einen  horizonta- 
len Schnitt  längs  der  Basis  des  Unterkiefers  und  zwei  verticale  vor  jedem 
Ohr  abwärts,  die  sich  mit  jenem  vereinigen.  Die  Weichtheile  werden  in 
der  Richtung  nach  oben  von  dem  Knochen  abgelöst,  die  Kinnlade  in  der  Mitte 
durchsägt  und  dann  eine  Hälfte  nach  der  andern  auf  die  bei  der  Abtragung 
des  Unterkiefergelenks  angegebene  Weise  exarticulirt  und  ausgeschält. 

3.  Auslösung  des  Radius,  Resectio  totalis  s.  Exstir- 
patio radii.  Man  bringt  den  Vorderarm  in  halbe  Beugung ,  macht 
längs  der  äussern  vordem  Seite  des  Radius  einen  Längenschnitt,  durch 
welchen  lezterer  blossgelegt  wird ;  hierauf  durchschneidet  man  etwas  un- 
ter seiner  Mitte  die  ihn  bedeckenden  Weichtheile,  zieht  die  Muskeln  aus 
einander  und  durchsägt  ihn  mit  einer  Kettensäge.  Schliesslich  schält 
man  die  beiden  Fragmente  mit  Schonung  der  Gefässe  und  Nerven  aus. 
Reicht  der  Längenschnitt  nicht  hin ,  so  kann  man  an  seinen  Enden  noch 
kleine  Querschnitte  machen.  —  Die  Exstirpation  der  Ulna  würde 
den  Vorderarm  gänzlich  unbrauchbar  machen,  da  die  breite  Gelenkfläche 
der  Ulna  die  Verbindung  zwischen  Ober-  und  Vorderarm  fast  allein  ver- 
mittelt. 

4.  Auslösung  der  Mittelhandknochen,  Resectio  to- 


RESECTION  (EXSTIRPATION)  DER  KNIESCHEIBE.  813 

talis  s.  Exstirpatio  ossium  metacarpi.  Unter  allen  Mittel- 
handknochen ist  der  des  Daumens  der  einzige ,  welcher  mit  Erfolg  fin- 
den Kranken  exstirpirt  werden  kann.  Bei  der  Ausführung  dieser  Ope- 
ration wird  die  Hand  des  Patienten  in  die  Mittellage  zwischen  Pro-  und 
Supination  gebracht  und  in  dieser  Lage  von  einem  Gehülfen  fixirt.  Der 
Operateur  zieht  den  Daumen  an,  sticht  ein  schmales  Bistouri  in  der  drei- 
eckigen Grube  zwischen  die  Sehnen  des  Extensor  longus  und  bre- 
vis  pollicis  und  zwar  lezterer  näher,  um  die  Verlezung  des  Volarasts 
der  Art.  radialis  zu  vermeiden,  bis  auf  das  Os  multangulum  majus 
ein,  legt  dann  die  Schneide  horizontal  auf  und  führt  einen  Schnitt  genau 
auf  der  Mittellinie  der  Rückenfläche  des  Mittelhandknochens  bis  über 
das  Metacarpo  -  Phalangealgelenk ;  dieser  Schnitt  verläuft  zwischen  den 
Sehnen  der  beiden  Extensoren  des  Daumens  und  trennt  am  leztgenann- 
ten  Gelenke  die  Verbindung  dieser  Sehnen ,  wodurch  deren  Abziehung 
erleichtert  wird.  Ein  Gehülfe  zieht  nun  die  Hautränder  mit  den  Sehnen 
mittels  stumpfer  Haken  ab ,  worauf  der  Operateur  die  Insertion  des 
Muse,  opponens  an  dem  Radialrande  des  Mittelhandknochens  mit  kur- 
zen Messerzügen  ablöst.  Am  Metacarpocarpalgelenke  angekommen  wird 
das  Gelenk  quer  eingeschnitten  und  einerseits  die  Sehne  des  Abductor 
longus,  andererseits  der  Abductor  indicis  losgetrennt.  Ist  das 
Hand wurzelgelenk  eröffnet,  so  drückt  der  Operateur  von  der  Palmarseite 
den  Knochen  durch  die  Wunde  empor ,  löst  ihn  von  seinen  untern  Adhä- 
sionen und  eröffnet  schliesslich  vorsichtig ,  ohne  die  beiden  Strecksehnen 
zu  verlezen,  das  Metacarpo-Phalangealgelenk.  Die  Wunde  wird  bis  auf 
eine  kleine  Stelle ,  in  welche  man  ein  Leinwandläppchen  einlegt ,  mit 
Knopfnähten  vereinigt,  der  Daumen  etwas  vorgezogen  und  an  den  Ballen 
der  Hand  eine  Longuette  gelegt  und  darüber  Heftpflaster  gewickelt.  In 
die  Hohlhand  gibt  man  einen  Charpieballen. 

5.  Auslösung  der  Handwurzelknochen,  Resectio  to- 
talis s.  Exstirpatio  ossium  carpi.  Diese  Operation,  welche  an 
verschiedenen  Knochen  mit  günstigem  Erfolg  ausgeführt  wurde ,  lässt 
keine  bestimmten  Vorschriften  zu ,  nur  gilt  als  Regel,  dass  man,  wenn  es 
möglich  ist,  den  Schnitt  parallel  mit  den  Strecksehnen  führt. 

6.  Auslösung  des  Wadenbeins,  Resectio  totalis  s. 
Exstirpatio  fibulae.  Man  macht  längs  des  Wadenbeins  einen 
Schnitt  vom  Capitulum  dieses  Knochens  bis  zum  äussern  Knöchel,  trennt 
sodann  die  Muskeln  von  der  vordem  und  hintern  Seite  los,  durchsägt  den 
Knochen  in  seiner  Mitte,  worauf  man  die  beiden  Stücke  exarticulirt.  Bei 
der  Eröffnung  des  obern  Kapselgelenks  hat  man  sich  vor  der  Eröffnung 
des  Kniegelenks  zu  hüten.  Bei  der  Operation  werden  die  Art.  tibia- 
lis  postica  und  der  Nerv,  peronaeus  verlezt. 

7.  Auslösung  der  Kniescheibe,  Resectio  totalis  s. 
Exarticulatio  patellae.      Man   legt   die  Kniescheibe  durch  einen 


814  ROSE. 

Kreuzschnitt  bloss,  löst  sie  aus  und  vereinigt  dann  die  Wunde  genau  mit 
Heftpflaster. 

8.  Auslösung  der  Fusswurzelknochen,  Resectio  to- 
talis s.  Exstirpatio  ossium  tarsi.  Diese  Operationen  finden 
ihre  Anwendung  bei  Zerschmetterungen  der  Fusswurzelknochen  durch 
Schüsse,  Luxationen  mit  Zerreissung  der  Bänder,  ferner  bei  Caries.  Die 
Schnittführung  wird  bei  diesen  Operationen  von  dem  gegebenen  Fall  be- 
stimmt. —  Am  häufigsten  wurde  die  Excision  des  Talus  unternommen 
und  zwar  bei  Luxation  dieses  Knochens  mit  Zerreissung  der  ligamentösen 
Theile  und  der  Integumente  ;  sie  ist  indicirt,  wenn  sich  eine  solche  Luxa- 
tion nicht  reponiren  lässt  und  wenn  nicht  Complicationen  die  Amputation 
des  Unterschenkels  fordern.  Gewöhnlich  ist  bei  schon  vorhandenen  Zer- 
reissungen  nur  eine  nachhelfende  Trennung  der  Verbindungen  zur  gänz- 
lichen Lösung  des  Knochens  erforderlich,  doch  kann  auch  bei  unverlezter 
Haut  diese  eingeschnitten  werden,  was  nach  Rognetta  mit  einem  halb- 
mondförmigen Schnitt  zu  thun  ist,  der  sich  mit  seiner  Convexität  weit 
gegen  die  Zehen  erstreckt  und  einen  grossen  Lappen  abtrennen  lässt. 
Man  kann  auch  bei  mit  der  Luxation  verbundener  Fractur  einen  etwa  mit 
der  Tibia  noch  fest  verbundenen  Theil  des  Knochens  zurücklassen.  Der 
Fuss,  der  nach  der  Excision  des  Talus  in  einem  rechten  Winkel  zum  Un- 
terschenkel erhalten  werden  muss  ,  erlangt  eine  ziemliche  Brauchbarkeit 
wieder.  Jäger  und  D  i  e  z  exstirpirten  den  Talus  wegen  Caries  zugleich 
mit  einem  Theile  des  Fersenbeins  und  dem  Schiffbein;  von  Lezterem 
wurde  der  Knochen  durch  einen  Kreuzschnitt  zwischen  dem  innern  Knö- 
chel und  dem  Os  naviculare  blossgelegt  und  von  dem  Talus  vor  sei- 
ner Auslösung  erst  der  Fortsaz  mit  dem  Osteotom  abgesägt.  - —  Auch  die 
übrigen  Tarsalknochen  können  einzeln  oder  zu  mehreren  exstir- 
pirt  werden,  doch  ist  die  totale  Excision  des  Fersenbeins  nicht  rathsam, 
weil  der  Fuss  so  an  Brauchbarkeit  verliert,  dass  man  besser  die  Ampu- 
tatio  cruris  macht.  Dünn  exstirpirte  mehrere  Fusswurzel-  und  Mit- 
telfussknochen  und  erhielt  dadurch  die  Zehen  und  den  übrigen  Fuss. 
Auch  Moreau  sen.  nahm  mit  günstigem  Erfolg  das  Würfelbein ,  das 
dritte  Keilbein,  das  hintere  Ende  des  vierten  Mittelfussknochens ,  die  in- 
nere Seite  des  Endes  vom  fünften,  und  endlich  die  Gelenkfläche  des  vor- 
dem Fortsazes  des  Fersenbeins,  Wattmann  die  drei  Keilbeine,  Vel- 
p  e  a  u  die  Hälfte  des  Würfelbeins  und  die  Basis  des  fünften  Mittelfuss- 
knochens weg. 

B>OSe,  Rothlauf,  Erysipelas  (von  igvöog,  roth  und  TtsXag, 
Geschwulst).  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man  eine  mit  Fieber  ver- 
laufende, diffuse,  gewöhnlich  unter  Abschuppung  der  Epidermis  in  Zer- 
theilung  ausgehende  Entzündung  der  Haut  und  ihrer  Lymphgefässe. 
Nach  B 1  a  n  d  i  n  unterscheidet  sich  das  Erysipelas  von  dem  Erythem  da- 
durch, dass  bei  lezterem  nur  die  Haut,  nicht  aber  die  Lymphgefässe  ent- 


ROSE,  815 

zündet  sind.  —  Oertliche  Symptome.  Das  Rothlauf  beginnt 
an  einer  Stelle  mit  einer  leichten  rosigen  Röthe ,  die  sich  schnell  weiter 
verbreitet ;  die  Röthe  ist  gleichförmig,  beim  Fingerdrucke  verschwindend, 
an  den  Rändern  sich  allmählig  verlierend  und  hier  ins  Gelbliche  spielend. 
Mit  der  Röthe  ist  eine  vermehrte  Wärme ,  ein  brennender ,  prickelnder 
Schmerz  und  Geschwulst  verbunden.  Kommt  es  zur  Exsudation ,  so  ist 
das  Exsudat  immer  ein  flüssiges ,  welches  die  Oberhaut  in  grösseren  oder 
kleineren  Blasen  erhebt  (Blasenrose,  Blatterrose,  Erysipelas 
b  u  1 1  o  s  u  in).  Im  weiteren  Verlaufe  der  Krankheit  wird  der  dünne,  farb- 
lose durchsichtige  Bläscheninhalt  trüb,  dicklich  und  gelb,  die  Blasen  bre- 
chen auf,  der  Inhalt  entleert  sich  und  vertrocknet  auf  der  Haut  zu  dünnen 
harren,  anfangs  gelblichen,  später  braunen  Krusten,  die  wenn  sie  abfallen, 
die  unterliegende  Haut  wieder  völlig  gesund  erscheinen  lassen.  Zuweilen 
sammelt  sich  die  exsudirte  Flüssigkeit  in  grosser  Menge  in  den  Zwischen- 
räumen des  Gewebes  der  Lederhaut  und  des  Unterhautbindegewebes  an, 
wodurch  die  Geschwulst  sehr  bedeutend  wird  (Erysipelas  oedema- 
tosum);  die  Röthe  ist  in  diesem  Fall  gewöhnlich  blass.  ■ —  Die  Entzün- 
dung kann  sich,  während  sie  an  ihrer  ursprünglichen  Stelle  verläuft,  auf  einen 
benachbarten  Theil  ausdehnen,  dort  denselben  Process  durchmachen  und 
so  nach,  und  nach  über  weite  Körperstrecken  fortschreiten  (wandernde 
Rose,  Erysipelas  erraticum,  ambulans).  Das  Rothlauf  kann 
auch  plözlich  zurücktreten,  wenn  es  heftig  ist,  und  dann  sind  innere 
Organe  oder  eine  innere  Haut  in  grosser  Ausdehnung  gefährdet.  — 
Greift  das  Rothlauf  tiefer ,  geht  es  auf  das  Zellgewebe  über,  so  bezeich- 
net man  es  als  phlegmonöses,  Erysipelas  phlegmonosum; 
es  characterisirt  sich  durch  eine  grössere  Intensität  der  Symptome.  — 
Allgemeine  Symptome.  In  den  meisten  Fällen  kündigt  sich  die 
Rose  durch  allgemeines  Uebelbefinden ,  Schmerzen  und  Schwere  in  den 
Gliedern,  Frösteln  und  zuweilen  auch  einen  starken  Frost  an  ;  dazu  kom- 
men Kopfschmerzen,  unruhiger  Schlaf,  Mangel  an  Appetit,  belegte  Zunge, 
Durst,  Uebelkeit,  Druck  in  der  Herzgrube,  Erbrechen  und  Durchfall  oder 
Verstopfung,  endlich  Fieber.  Zuweilen  erscheinen  diese  Zufälle  nicht 
vor  der  örtlichen  Krankheit,  sondern  mit  dieser  zugleich  oder  später. 
Alle  diese  Erscheinungen  verändern  ihren  Character  zuweilen,  sobald  sich 
das  örtliche  Leiden  entwickelt  hat.  Der  bis  dahin  starke  und  volle  Puls 
wird  schwach  und  klein ,  die  Zunge  braun  und  trocken ,  der  Kopf  einge- 
nommen ,  —  das  entzündliche  oder  gastrische  Fieber  geht  in  ein  typhö- 
ses über  und  der  Kranke  stirbt  unter  murmelnden  Delirien.  —  Ursa- 
chen, Die  nächsten  Ursachen  sind:  Reizungen  der  Haut  durch  Insecten- 
stiche,  Feuer,  Kälte,  Sonnenhize,  reizende  Medicamente  etc.  die  entfern- 
teren Ursachen  sind  :  heftige  Gemütsbewegungen ,  tiefer  Verdruss ,  ein 
starker  Zornanfall,  ferner  Störungen  der  Verdauung  durch  schlechte  Nah- 
rung, starke  Gewürze ,  Missbrauch  geistiger  Getränke  etc.  Das  häufige 
Vorkommen   der  Rose   im  Frühjahr  deutet  darauf  hin ,    dass  gewisse  ath- 


816  ROSE. 

mosphärische  Verhältnisse  die  Entwicklung  derselben  begünstigen  ;  auch 
tritt  sie  bei  einem  eigentümlichen  zeitweise  herrschenden  Krankheits- 
character  epidemisch  auf,  indem  zu  solchen  Zeiten  die  unbedeutendste 
Operation  ,  der  Stich  eines  Blutegels ,  Veranlassung  zum  Erscheinen  des 
Erysipelas  gibt.  —  Ausgänge.  Der  Uebergang  in  Eiterung  ist  selten, 
ebenso  der  Brand.  Der  gewöhnliche  Ausgang  ist  in  Zertheilung ;  man 
kann  diesen  vorhersagen,  wenn  die  Symptome  in  ihrer  höchsten  Entwick- 
lung nicht  über  den  vierten  Tag  hinaus  bestehen  bleiben.  Allmählig  ver- 
schwinden Schmerz,  Röthe  und  Hize ;  die  Geschwulst  bleibt  länger,  ja  ist 
nicht  selten  sehr  hartnäckig.  Man  darf  alsdann  eine  Entzündung  des 
darunter  liegenden  Zellgewebs  voraussezen  und  die  Bildung  einer  gewis- 
sen Menge  von  Eiter  erwarten.  Solche  leichte  Ergüsse  beruhen  aber 
nicht  auf  dem  eigentlichen  phlegmonösen  Erysipelas  (Phlegmone  dif- 
fusa), welches  unter  stürmischeren  Zufällen  einhergeht.  S.  Zellge- 
websentzündung.  —  Prognose.  Das  ohne  alle  Complicationen 
erscheinende  Erysipelas  gibt  eine  gute  Prognose;  bedenklicher  ist  sie  da- 
gegen, wenn  vorher  schon  eine  andere  Krankheit  bestand;  dann  bedingt 
aber  diese  die  Gefahr.  Nicht  gut  ist  es,  wenn  diese  Rose  sich  mit  einer 
Wunde  verbindet ,  besonders  wenn  diese  in  der  Nähe  des  Gehirns  statt 
hat.  Das  Erysipelas  kann  andere  Krankheiten  entscheiden,  z.  B.  Rheu- 
matismus und  alte  Hautausschläge.  - —  Behandlung.  Da  das  Erysi- 
pelas mit  seltenen  Ausnahmen  unter  gastrischen  Störungen  beginnt  und 
in  allen  bedeutenderen  Fällen  die  Kranken  eine  entschiedene  Neigung  zu 
Erbrechen  haben ,  so  thut  man  am  besten ,  die  Behandlung  mit  einem 
Brechmittel  zu  beginnen  und  dann  bei  angemessener  antiphlogistischer 
Diät  säuerliche,  kühlende  Abführmittel  folgen  zu  lassen.  Ist  das  Fieber 
verschwunden,  der  Darmkanal  rein,  so  gibt  man  schweisstreibende  Mittel. 
Nur  in  jenen  Fällen ,  wenn  die  Rose ,  vorzüglich  im  Gesicht ,  von  einem 
heftigen  inflammatorischen  Fieber  begleitet  ist ,  wo  der  Kopf  sehr  einge- 
nommen ,  die  erysipelatöse  Stelle  geschwollen  und  schmerzhaft  ist ,  muss 
man  den  Brechmitteln  allgemeine  und  örtliche  Blutentziehungen  voraus- 
schicken und  sie  durch  warme  Fussbäder ,  Senfumschläge  um  die  Waden 
unterstüzen.  Hierbei  darf  man  aber  nie  ausser  Acht  lassen,  dass  die 
Rose,  selbst  bei  einem  heftigen  inflammatorischen  Fieber,  nie  ein  so  streng 
antiphlogistisches  Verfahren  erträgt,  wie  andere  Entzündungskrankheiten, 
indem  sie  bei  Erschöpfung  der  Kranken  leicht  zurücktritt.  Besizt  das 
Rothlauf  einen  nervösen,  fauligen  Character,  so  behandelt  man  das  Fieber 
mit  China,  Salmiak,  Wein,  Campher,  Säuren  und  andern  stärkenden  anti- 
septischen Mitteln.  ■ —  Eine  örtliche  Behandlung  ist  bei  den  leichteren 
Formen  in  der  Regel  nicht  erforderlich,  nur  muss  man  den  afficirten  Theil 
vor  nachtheiligen  äusseren  Einwirkungen  schüzen.  Dies  geschieht  am 
zweckmässigsten  durch  die  Anwendung  trockener  Wärme  mittels  erwärm- 
ter Säckchen  mit  Kleien  ,  Mehl  oder  Kräutern  ,  Watte  etc.  Neuerdings 
sind  Bestreichungen   mit  Collodium ,   mit  Höllensteinsalbe  erfolgreich  an- 


ROTZ-  UND  WURMKRANKHEIT.  817 

gewendet  worden.  Die  wandernde  Rose  wird  durch  einen  an  ihrer  Grenze 
gezogenen  Strich  mit  Höllenstein  aufgehalten.  Feuchte  Wärme ,  fettige 
und  ölige  Mittel  werden  leicht  nachtheilig ;  am  verderblichsten  wirkt  aber 
die  Kälte ,  da  sie  leicht  eine  Versezung  auf  edle  Organe  herbeiführen 
kann.  Nur  die  Blatterrose  und  ihre  Varietäten  machen  eine  Ausnahme 
und  erfordern,  besonders  bei  mehr  chronischem  Verlaufe  die  Anwendung 
der  feuchten  Wärme  in  einem  schicklichen  Vehikel ,  wozu  ßust  das 
G o u  1  a r d'sche  Wasser  mit  einem  geringen  Zusaz  von  Tinct.  opii  em- 
pfiehlt. —  Bei  dem  Erysipelas  oedematosum  wendet  man  neben 
der  gewöhnlichen  Behandlung  den  Compressivverband  an.  —  Das  Ery- 
sipelas phlegmonosum  nimmt  eine  eingreifendere  Antiphlogose  in 
Anspruch,  daher  allgemeine  und  örtliche  Blutentziehungen,  Einreibungen 
der  Mercurialsalbe  und  Ueberschläge  von  Bleiwasser.  Am  sichersten 
wirken ,  wenn  die  Haut  glänzend  und  dunkelroth  ist ,  durch  die  Haut  in 
das  unterliegende  Zellgewebe  dringende  Einschnitte ,  auf  welche  man  er- 
weichende Umschläge  folgen  lässt.  Ebenso  verfährt  man,  wenn  Brand 
entstanden  ist.  Kommt  es  zur  Eiterung,  so  entleert  man  den  Eiter  durch 
nicht  zu  grosse  Einschnitte ,  macht  dann  Umschläge  von  Chamilleninfus 
und  verbindet  später  mit  trockener  Charpie  oder  milden  Salben.  Die 
allgemeine  Behandlung  muss  sich  nach  den  Erscheinungen  richten. 

Rotz-  Und  Wurmkrankheit.  Unter  Rotz  derPferde, 
Rotzkrankheit,  Malleus  humidus,  Ozaena  maligna  con- 
tagiosa, versteht^  man  einen  bösartigen  Catarrh  der  Nasenschleimhaut 
bei  Einhufern,  welcher  mit  einem  eiterigen  Ausfluss  aus  der  Nase  verbun- 
den ist ,  zu  welchem  sich  später  an  der  Nasenschleimhaut  sizende  Ge- 
schwüre gesellen,  welche  die  Knochen  und  Knorpel  zerstören.  Die  um- 
liegenden Lymphgefässe  und  Lymphdrüsen  schwellen  an,  und  die  Thiere 
gehen  früher  oder  später  unter  typhösen  Erscheinungen  zu  Grunde. 
Diese  Krankheit  entsteht  entweder  durch  Ansteckung  oder  spontan  bei 
schlechter  Fütterung  oder  Strapazen,  wo  sie  sich  allmählig  aus  einem  gut- 
artigen Nasenkatarrh  entwickelt.  —  Dasselbe  Contagium ,  auf  wunde 
Stellen  gebracht,  erzeugt  den  sogenannten  W  u  r  m.  Dieser  äussert  sich 
besonders  durch  Erkranken  der  Lymphgefässe,  der  Lymphdrüsen  und  der 
äussern  Haut.  Man  bemerkt  Stränge,  Flecken  oder  Höcker  auf  der  Haut 
und  die  angeschwollenen  Lymphgefässe  gehen  in  Eiterung  oder  Erwei- 
chung über.  Darauf  folgt  endlich  auch  Vers ch war ung ;  zuweilen  findet 
Verschliessung  der  oberflächlichen  Venen  statt.  —  Beide  Krankheits- 
zustände  sind  entweder  acut  oder  chronisch.  —  Leute,  welche  mit  rotz- 
kranken Pferden  umgehen  und  von  dem  eiterigen  Nasenschleime  oder  dem 
Abscesseiter  berührt  werden ,  oder  diese  Substanzen  gar  in  eine  Wunde 
bringen,  sind  in  Gefahr,  von  einer  ähnlichen  Krankheit  befallen  zu  werden 
wie  die  genannten  Thiere.  —  Wird  das  Rotzgift  auf  die  Nasenschleim- 
haut gebracht ,  so  entstehen  nach  einigen  Tagen  fieberhafte  Zufälle  mit 
Burger,  Chirurgie.  52 


818  KOTZ-  UND  WURMKRANKHEIT. 

Gastricismus,  heftigen  Kopfschmerzen  und  Schwindel  verbunden  ;  es  ent- 
steht ein  dünner  Ausfluss  aus  der  Nase,  der  bald  dicker  und  endlich 
scharf  wird  ;  das  Gesicht  schwillt  auf,  der  Patient  wird  soporös  und  stirbt 
8  —  14  Tage  nach  dem  Erscheinen  der  ersten  Zufälle.  —  Wird  das 
Rotzgift  auf  wunde  oder  mit  dünner  Oberhaut  bekleidete  Stellen  gebracht, 
so  entstehen  nach  einigen  Tagen  fieberhafte  Erscheinungen  mit  Mattig- 
keit, Abgeschlagenheit.  Appetitlosigkeit,  Schwindel  und  abwechselnd  Frost 
und  Hize.  Dann  stellen  sich  reissende  und  ziehende  Schmerzen  an  ver- 
schiedenen Körpertheilen  und  Anschwellung  und  Steifigkeit  einzelner  Ge- 
lenke ein.  Dabei  steigern  sich  die  gastrischen  Erscheinungen  bis  zum 
eintretenden  Erbrechen  von  schleimigen  und  galligen  Massen.  Die 
Kranken  leiden  an  grosser  Angst,  Unruhe  und  Schlaflosigkeit  und  schwi- 
zen  viel.  An  der  afficirten  Stelle  bildet  sich  gleichzeitig  eine  harte, 
dunkelrothe  Entzündungsgeschwulst  oder  Furunkeln  ähnliche ,  blaurothe 
Knollen ;  dabei  entzünden  sich  die  benachbarten  Lymphgef  ässe  und 
Lymphdrüsen.  In  glücklichen  Fällen  bilden  sich  Abscesse  und  es  erfolgt 
Heilung.  In  der  Regel  bilden  sich  immer  neue  Geschwülste ,  pustulöse 
Hautausschläge ,  Eiteransammlungen  in  Gelenken ,  Eiterablagerungen  in 
den  Lungen,  brandiges  Absterben  der  entzündeten  Hautstellen  oder  Ge- 
schwüre ,  zuweilen  Ausflüsse  aus  der  Nase ,  typhöse  Fiebererscheinungen, 
Sopor  ,  und  der  Tod  erfolgt  sanft  oder  unter  Convulsionen.  Diese  Er- 
scheinungen können  sehr  acut  oder  sehr  chronisch  auftreten.  - —  Bei  der 
Section  findet  man  den  Körper  sehr  abgemagert,  kaum  eine  Spur  von 
Todtenstarre ;  die  Fäulniss  tritt  sehr  rasch  ein.  Unter  den  brandigen 
Hautstellen  zeigt  sich  das  Zellgewebe  verjaucht ,  die  Bänder  einzelner 
Gelenke  verdickt  und  Eiter  in  diesen.  In  den  Lungen  findet  man  He- 
patisation mit  beginnender  zerstreuter  Abscessbildung.  War  die  Nasen- 
schleimhaut der  Siz  der  AfFection ,  so  findet  man  Entzündung  und  Ulce- 
ration  auf  dieser,  und  zuweilen  auch  in  den  angrenzenden  Sinus.  —  Mit 
dem  Secrete  des  menschlichen  Rotzes  kann  man  durch  Impfung  bei 
Pferden  Rotz  erzeugen;  auch  soll  eine  Uebertragung  von  einem  Men- 
schen auf  den  andern  möglich  sein.  —  Die  Krankheit  hat  eine  grosse 
Aehnlichkeit  mit  der  Pyämie.  —  Prognose.  Der  einmal  ausgebildete 
Rotz  ist  durchaus  tödtlich.  —  Behandlung.  Diese  muss  vor  Allem 
suchen ,  das  Gift  an  der  angesteckten  Stelle  frühzeitig  durch  nachdrück- 
liche Anwendung  des  Glüheisens  oder  leicht  zerfliessender  oder  flüssiger 
Aezmittel  (Aezkali ,  Salpetersäure)  zu  zerstören.  Ist  die  Nasenschleim- 
haut ergriffen,  so  cauterisire  man  mit  trockenem  Höllenstein  alle  erreich- 
baren Punkte  der  Nasenhöhle  und  lasse  Auflösungen  von  Sublimat ,  Höl- 
lenstein, Jodkali  oder  Chlorkalk  aufschnaufen  oder  einsprizen.  Auf  die 
sich  bildenden  Geschwülste  macht  man  erweichende  Umschläge  und  Ein- 
reibungen von  Quecksilber-  und  Jodsalbe,  legt  Mercurialpflaster  auf.  Die 
Abscesse  muss  man  frühzeitig  öffnen  ;  zum  Verband  benüzt  man  Creosot- 
wasser.      Innerlich  gibt  man  die  mineralischen  Säuren ,   das  Chlornatron, 


RUECKGRATSVERKRUEMMUNG.  819 

Chlorwasser,  Creosot.  In  leichteren  Fällen,  in  denen  die  Krankheit  nicht 
mit  dem  Tode  endete,  schien  in  den  ersten  Tagen  das  Calomel  und  später 
die  innere  und  äussere  Anwendung  des  Terpentinöls  und  der  Ammonium- 
präparate von  Nuzen  zu  sein. 

Rückgratsspalte,  Spina  bifida.  Diese  oft  mit  Wasser- 
sucht der Rückenmarksarachnoidea  (Hydrorrhachis)  combinirte Miss- 
bildung besteht  in  Nichtvereinigung  oder  unvollkommener  Bildung ,  ja 
Mangel  der  beiden  Hälften  der  Wirbelbögen,  wobei  die  Rückenhaut  auch 
gespalten  oder  ungespalten  sein  kann ;  sie  betrifft  bald  nur  einen  oder 
mehrere  (besonders  Lenden-)  Wirbel ,  bald  die  ganze  Wirbelsäule  ;  ihr 
Entstehen  liegt  in  einer  Bildungshemmung  oder  in  Wassersucht  des  Rük- 
kenmarkkanals.  Durch  die  Spalte  tritt  eine  Geschwulst  hervor,  welche 
je  nach  der  Ausdehnung  des  Sübstanzverlusts  der  Wirbel  grösser  oder 
kleiner,  rundlich  oder  länglich  ist,  breit  oder  gestielt  aufsizt,  beuteiförmig, 
manchmal  getheilt,  stets  aber  weich  ist  und  deutlich  fluctuirt,  unter  Druck 
verschwindet,  aber  sogleich  wieder  hervortritt,  wenn  der  Druck  nachlässt. 
Die  sie  bedeckende  Haut  ist  anfangs  ungefärbt,  aber  stets  sehr  dünn  ;  sie 
entzündet  sich  bald  und  verschwärt ;  manchmal  fehlt  sie  auf  der  Mitte  der 
Geschwulst  und  es  liegen  die  Rückenmarkdecken  frei  da.  Die  Kinder 
leiden  gewöhnlich  an  allgemeiner  Abmagerung  und  Schwäche  und  an  par- 
tiellen Lähmungen  der  untern  Gliedmassen ,  der  Schliessmuskeln  des  Af- 
ters und  der  Blase.  —  Die  Krankheit  ist  meist  unheilbar ;  die  Oeffnung 
der  Geschwulst  (durch  Punction,  Einziehen  eines  Haarseils,  Ausschneidung 
der  ganzen  Geschwulst)  läuft  meist  tödtlich  ab,  ebenso  die  Unterbindung 
derselben.  Am  besten  ist  es,  einen  gelind  drückenden  Verband,  bestehend 
aus  Charpie ,  Compressen  und  einer  passenden  Binde  anzuwenden.  Die 
Compression  muss  aber,  wenn  sie  nüzen  soll,  ausdauernd  und  ohne  Unter- 
brechung stattfinden. 

Rückgratsverkrümmung,  Curvatura  columnaever- 
tebralis.  Die  Rückensäule  ist  häufig  Verkrümmungen  unterworfen, 
und  können  diese  in  verschiedenen  Richtungen  hin  erfolgen.  In  lezter 
Hinsicht  unterscheidet  man  :  1)  die  Achsen  drehung  der  Wirbel- 
säule, Spondylostrophosis;  2)  die  Verkrümmung  nach 
hinten,  Cyphosis,  Gippus,  Buckel;  3)  nach  vorn,  Lordo- 
sis; 4)  nach  der  Seite,  Scoliosis.  —  Sobald  durch  irgend  einen 
Umstand  die  Richtungslinie  der  Körperschwere  verändert  wird,  muss  die 
Wirbelsäule  eine  entsprechende  Abweichung  der  Richtung  eingehen,  um 
das  Balancement  zu  erhalten,  und  oft  zieht  wieder,  immer  unter  denselben 
nothwendigen  Bedingungen,  jede  erstere  andere  entgegengesezt  gerichtete, 
secundäre  Compensationskrümmungen  nach  sich.  —  Mit  diesen  verschie- 
denen Formabweichungen  sind  mehr  oder  minder  bedeutende  Lagever- 
änderungen der  Brust-  und  Unterleibsorgane,  so  wie  auch  zuweilen  nach- 
theilige Einwirkungen  auf  das  Rückenmark  und  dessen  Nerven  verbunden, 

52* 


820  RÜECKGRATSVERKRUEMMUNG. 

in  deren  Folge  man  nicht  selten  Beeinträchtigung  der  Respiration  und 
der  Herzbewegung ,  so  wie  der  verschiedenen  Unterleibsorgane ,  daraus 
hervorgehende  Neigung  zu  Congestions-  und  Entzündungszuständen  der 
Athmungsorgane  und  hydropische  Beschwerden,  auch  Lähmungen  der  un- 
tern Extremitäten  oder  Atrophie  derselben  beobachtet. —  Die  Achsen- 
drehung der  Wirbelsäule,  Spondilostrophosis,  zeigt  sich 
gewöhnlich  als  eine  obere  und  eine  untere,  deren  Mittelpunkt  sich  in  der 
Regel  an  der  Stelle  zwischen  dem  lezten  Brust-  und  ersten  Lendenwirbel 
befindet,  welche  bekanntlich  die  meiste  Beweglichkeit  gestattet.  An  die- 
ser Formveränderung ,  welche  gleichsam  eine  spiralförmige  Windung  der 
Wirbelsäule  darstellt ,  nehmen  der  Kopf,  der  Brustkorb  und  die  Becken- 
knochen Theil.  Der  Kopf  folgt  der  Richtung  der  obern  Halswirbel,  die 
Rippen  erscheinen  auf  der  einen  Seite  mehr  oder  weniger  vorwärts  gerich- 
tet, auf  der  entgegengesezten  dagegen  mit  ihren  Winkeln  hinterwärts  her- 
ausstehend. Ebenso  ist  der  normale  Stand  der  ungenannten  Beine  des 
Beckens  geändert.  Bei  dieser  Verkrümmung  befinden  sich  die  Wirbel- 
körper und  Zwischenknorpel  noch  in  vollkommen  senkrechter  Stellung, 
und  sie  kann  daher  durch  zweckmässige  Vorkehrungen  oft  noch  beseitigt 
werden.  —  Die  Verkrümmung  der  Wirbelsäule  nach  hinten, 
Cyphosis,  welche  den  eigentlichen  Buckel,  Gibbus,  darstellt,  be- 
steht darin ,  dass  sich  die  obern  Wirbelknochen  den  untern  nähern ,  wo- 
durch die  Convexität  des  Bogens  der  Wirbelsäule  nach  hinten ,  die  Con- 
cavität  dagegen  nach  vorn  gerichtet  wird.  Die  Cyphosis  kommt  haupt- 
sächlich in  den  Rückenwirbeln  vor,  wo  sie  eine  weitere  Entwicklung  der 
hier  auch  im  normalen  Zustande  stattfindenden  Wölbung  ist ;  doch  findet 
man  sie  auch  an  den  Lenden-  und  Halswirbeln.  Die  Wirbelknochen,  an 
welchen  sich  diese  Verkrümmung  bildet,  werden  nach  und  nach  an  ihrer 
vordem  Fläche  abgeschliffen  und  verlieren  daselbst  an  ihrer  Höhe  ;  bei 
höheren  Graden  des  Uebels  tritt  selbst  Ankylose  ein.  Die  Rippen  wer- 
den ,  wenn  die  Rückenwirbel  betroffen  sind ,  gerader  gezogen,  als  sie  im 
Normalzustande  sind ,  dabei  verlieren  sie  ihre  natürliche  Breite  und  er- 
scheinen mehr  abgerundet.  Die  Schulterblätter  bekommen,  je  nach  dem 
Siz  der  Krankheit,  eine  veränderte  Lage.  Hat  das  Uebel  an  dem  untern 
Theile  der  Wirbelsäule  statt ,  so  entstehen  dadurch  Verunstaltungen  des 
Beckens.  Die  Rückenmuskeln  sind  widernatürlich  ausgedehnt  und  meist 
geschwunden,  die  Bauchmuskeln  dagegen  contrahirt  und  verdickt.  —  Die 
Verkrümmung  der  Wirbelsäule  nach  vorn,  Lordosis,  die 
seltenste  Rückgratsabweichung,  zeigt  die  Convexität  des  Bogens  der  Wir- 
belsäule nach  vorn  gerichtet.  Sie  kommt  fast  nur  an  den  untern  Rücken- 
und  den  Lendenwirbeln  vor,  und  die  von  ihr  erregten  Beschwerden  sind 
die  des  Hängebauchs.  —  Die  Verkrümmung  der  Wirbelsäule 
nach  der  Seite,  Scoliosis,  ist  die  am  häufigsten  vorkommende 
Form.  Bei  ihr  weichen  die  Wirbelknochen  nach  der  rechten  oder  linken 
Seite  hin  aus,  wodurch  die  eine  Seite  convex,  die  andere  concav  wird ;  die 


RUECKGRATSVERKRUEMMUNG.  821 

Schulter  der  convexen  Seite  steht  etwas  höher  als  die  andere ,  ebenso  ist 
die  convexe  Hüfte  etwas  breiter  und  voller,  als  die  entgegengesezte.  Am 
gewöhnlichsten  kommt  die  Scoliose  an  den  Rückenwirbeln  vor.  Das  Be- 
streben, den  obern  Theil  des  Körpers  im  Gleichgewicht  zu  erhalten ,  gibt 
meistens  Veranlassung  zu  einer  Gegenkrümmung ,  so  dass  also  eine  dop- 
pelte Seitenkrümmung  besteht.  Mit  der  Zunahme  der  Ausweichung  nach 
der  Seite  stellt  sich  auch  eine  Verdrehung  der  Wirbel  um  ihre  Axe  ein, 
in  der  Weise,  dass  die  vordere  Fläche  nach  der  einen ,  die  hintere  etwas 
nach  der  entgegengesezten  Seite  sich  wendet.  An  der  Scoliose  nehmen 
auch  die  Rippen ,  das  Brustbein  und  die  Beckenknochen  Antheil.  Die 
Rippen  sind  an  der  ausgehöhlten  Seite  der  Krümmung  gerader,  dünner, 
und  liegen  näher  an  einander,  an  der  Convexität  der  Krümmung  aber  er- 
scheinen sie  hinten  stärker  gewölbt,  weiter  von  einander  entfernt  und  dik- 
ker ,  als  im  normalen  Zustande.  Das  Brustbein  ist  meistens  schief  und 
nach  der  Seite  der  Concavität  der  Krümmung  hingezogen.  Bei  der  ein- 
fachen Seitenkrümmung  steht  der  derselben  entgegengesezte  Darmknochen 
höher ;  ist  die  Krümmung  mehrfach  ,  so  richtet  sich  die  Schiefheit  der 
Beckenknochen  immer  nach  der  untersten  Krümmung.  —  Von  den  be- 
schriebenen vier  Hauptformen  der  Rückgratsverkrümmungen  kommen  öf- 
ters zwei  in  Verbindung  vor ;  namentlich  gilt  dies  von  der  Cyphosis 
und  Scoliosis.  —  Ursachen.  Es  besteht  entweder  gestörter  Anta- 
gonismus der  Muskeln,  oder  verminderte  Festigkeit  der  Knochen  und  Bän- 
der ;  nicht  selten  sind  beide  Factoren  thätig.  Die  häufigste  Ursache  der 
Rückgratsverkrümmungen  ist  unregelmässige  Muskelaction ,  weil  sie  nicht 
nur  für  sich  allein  dieselben  hervorbringen  kann ,  sondern  auch ,  weil  sie 
dann,  wenn  das  Knochensystem  durch  krankhafte  Erweichung  und  andere 
Krankheitsprocesse  Geneigtheit  dazu  besizt ,  als  dieselben  beförderndes 
Mittel  wirkt.  Fehlerhafte  Muskelaction  tritt  ein:  bei  allgemeiner  Muskel- 
schwäche, bei  Krampf,  Lähmung,  Verkürzung,  einseitigem  Gebrauch  der 
Muskeln.  Ferner  gehört  hierher :  verhinderte  Ausbildung  der  Streck- 
muskeln, z.  B.  durch  Schnürleibchen,  so  dass  sie  nicht  das  Uebergewicht 
des  Körpers  nach  vorn  auszugleichen  vermögen  ;  anhaltend  eingebogenes 
Liegen,  Stehen  auf  einem  Fusse,  Sizen  auf  einem  Hinterbacken  mit  Ueber- 
schlagen  des  einen  Beins,  Arbeiten  und  Essen  an  einem  hohen  Tisch  mit 
einem  Arme ,  einseitige  Uebungen  etc.  Das  Balancement  der  Theile  der 
Wirbelsäule  ist  sogar  so  empfindlich,  dass  Narbencontractionen  an  benach- 
barten Körperstellen  oder  irgend  welche  Veränderungen  anliegender  Or- 
gane ,  wodurch  Abweichungen  in  der  Richtungslinie  der  Schwere  hervor- 
gerufen werden,  Verkrümmungen  der  Wirbelsäule  veranlassen.  So  bilden 
sich  diese  bei  Heilung  grosser  Cavernen ,  oder  pleuritischer  Ergüsse ,  bei 
allen  ursprünglich  nur  die  Form  des  Brustkastens  verändernden  Krank- 
heiten ,  bei  angeborner  oder  erworbener  Verkürzung  eines  Beins ,  Krank- 
heiten der  Hüfte,  durch  welche  die  Stellung  des  Beckens  verändert  wird. 
—  Die  Rückgratsverkrümmungen   sind   selten  angeboren ;   am  häufigsten 


822  RUECKGRATSVERKRUEMMUNG. 

* 

entstehen  sie  im  kindlichen  Alter ;  oft  entwickeln  sie  sich  auch  ,  nament- 
lich beim  weiblichen  Geschlecht,  in  der  Zeit  der  eintretenden  Geschlechts- 
reife. In  den  spätem  Lebensaltern  ist  das  des  Greisenalters  denselben 
am  meisten  unterworfen.  —  Prognose.  Sie  ist  nur  günstig,  wenn  das 
Leiden  in  seinen  Anfängen  erkannt  und  zweckmässig  behandelt  wird.  Bei 
höheren  Graden  desselben  gelingt  es  selten  ,  eine  vollkommene  Heilung 
herbeizuführen  ;  man  darf  meistens  zufrieden  sein,  wenn  dem  Fortschrei- 
ten des  Uebels  Einhalt  gethan  wird.  Das  Gleiche  gilt  von  den  Verkrüm- 
mungen, die  bei  vorgerücktem  Lebensalter  bestehen.  Liegt  die  Ursache 
der  Verkrümmung  in  einem  krankhaften  Leiden  der  Knochen ,  so  ist  die 
Prognose  ungünstiger,  als  wenn  fehlerhafte  Muskelaction  zu  Grunde  liegt. 
Besteht  Ankylose  der  Wirbel,  so  ist  die  Heilung  unmöglich.  Mehrfache 
Verkrümmungen  sind  schwieriger  zu  heilen,  als  einfache.  Die  Cypho- 
s  i  s  gewährt  die  ungünstigste  ,  die  L  o  r  d  o  s  i  s  die  günstigste  Prognose. 
—  Behandlung.  Diese  muss  zunächst  gegen  die  dem  L>ebel  zu 
Grund  liegenden  Ursachen  gerichtet  sein ,  worauf  man  zur  Wiederher- 
stellung der  natürlichen  Form  der  Wirbelsäule  mechanische  Vorrichtungen 
in  Verbindung  mit  einer  geregelten  Gymnastik,  und  unter  Umständen  die 
subcutane  Durchschneidung  der  contrahirten  Muskeln  in  Anwendung 
bringt.  —  Ist  die  Verkrümmung  durch  Muskelschwäche  bedingt ,  so  sind 
innere  und  äussere  roborirende  Mittel  angezeigt ;  liegt  sie  in  ungleicher 
Action  der  Muskeln ,  so  müssen  in  die  zusammengezogenen  Muskeln  er- 
weichende ,  in  die  erschlafften  reizende  Einreibungen  gemacht  werden, 
womit  man  zugleich  Manipulationen  verbindet.  Beruht  die  Verkrümmung 
auf  einer  gestörten  Innervation  ,  so  zeigen  sich  der  Electromagnetismus 
und  die  Electropunktur  von  Nuzen.  Deuten  die  vorhandenen  Schmerzen 
auf  ein  congestives  oder  entzündliches  Leiden  in  den  Wirbelbeinen  und 
den  Zwischenknorpeln  ,  so  ist  die  Anwendung  von  Blutegeln ,  Schröpf- 
köpfen ,  Vesicatorien  ,  Fontanellen ,  Moxen  angezeigt.  Dabei  darf  der 
Kranke  nur  in  der  Rückenlage  verweilen.  —  Der  Gebrauch  von 
Maschinen  ist  nur  in  den  Fällen  nüzlich ,  in  welchen  sie  als  Unter- 
stüzungsmittel  einer  therapeutischen  Behandlung  im  engern  Sinne 
dazu  dienen,  den  gestörten  Antagonismus  der  Muskeln  zu  reguliren, 
verkürzte  Muskeln  allmälig  auszudehnen  und  verlängerten  und  er- 
schlafften Contraction  zu  gewähren ,  oder ,  wo  sie  den  geschwächten 
Muskeln  eine  künstliche  Stüze  geben ,  durch  künstlichen  Druck  eine 
Ausgleichung  der  stattfindenden  Abweichungen  zu  bewirken,  —  Die  Ma- 
schinen, welche  man  bei  Rückgratsverkrümrnungen  in  Anwendung 
bringt,  wirken  theils  durch  Druck,  theils  durch  Ausdehnung,  theils 
durch  Druck  und  Ausdehnung  zugleich.  Die  durch  D  r  u  c  k  wirkenden 
(H  e  ister 'sches  Kreuz,  Schnürleiber)  trifft  der  Vorwurf,  dass  sie  überall 
gleich  fest  anliegen ,  den  Druck  hauptsächlich  nur  auf  die  Scapula  und 
Rippen  ausüben ,  und  die  Thätigkeit  der  Muskeln  stören ,  indem  sie  das 
mechanisch   ausüben ,    was   durch   lebendige  Muskelthätigkeit  geschehen 


RUTHE.  KRANKHT.  DERS.  823 

sollte ;  bedingt  nothwendig  können  die  Schniirleibchen  aber  werden  bei 
Personen ,  bei  denen  durch  Gewöhnung  an  sie  die  Rückenmuskeln  den 
nöthigen  Tonus  schon  verloren  haben.  Die  durch  Ausdehnung  wir- 
kenden Maschinen  (Escarpolette  ,  Streckapparate  von  Venel,  Schre- 
ger,  Lafond,  Maisonabe,  Shawu.  A.  sind  in  vielen  Fällen  un- 
genügend, da  sie  nur  indirect  auf  die  Wirbelsäule  wirken,  und  auch  häufig 
nachtheilig,  da  sie,  wenn  sie  wirken  sollen,  eine  Zugkraft  entwickeln  müs- 
sen. Die  durch  Druck  und  Zug  zugleich  wirkenden  Maschinen,  wie 
die  von  Schmid,  Jörg,  Gräfe,  Chelius  und  B  1  ö  m  e  r  entsprechen 
dagegen  den  Anforderungen  besser.  Die  tragbaren  reichen  nur  für  die 
geringeren  Grade  der  Rückgratsverkrümmungen  aus.  ,  Die  besten  sind 
diejenigen,  welche  ihren  Stüzpunkt  auf  dem  Becken  nehmen.  Bei  bedeu- 
tenderen Graden  der  Krankheit  müssen  wirkliche  Extensionsmaschinen 
angewendet  werden.  —  Die  mit  der  Anwendung  der  Maschinen  in  Ver- 
bindung zu  sezenden  gymnastischen  Uebungen  tragen  theils  zur 
Beseitigung  der  Muskelschwäche  bei ,  theils  gewähren  sie  ein  Gegenge- 
wicht für  die  gezwungene  Unthätigkeit  während  der  Anwendung  der  Ex- 
tensionsapparate ,  theils  kräftigen  sie  endlich  die  wieder  gerade  gerichte- 
ten Theile,  und  geben  dadurch  der  Heilung  Dauer.  Es  müssen  aber  diese 
Uebungen  in  allmäliger  Steigerung  angestellt  und  auf  alle  Muskeln  aus- 
gedehnt werden.  Hierher  gehören  Bewegungen  auf  der  Schaukel,  Uebun- 
gen am  Knüppelseile,  Spiele  am  freien  Seile  und  am  Klettermaste,  Spiele 
an  der  gerade  und  schräg  gespannten  Strickleiter ,  Schwimmen  etc.  — 
Als  ein  wesentliches  Unterstüzungsmittel  in  der  Behandlung  der  Rück- 
gratsverkrümmungen  wird  die  subcutane  Durchschneid  ung  der 
contrahirten  Muskeln  angesehen ,  welche  besonders  von  Guerin 
in  sehr  grosser  Ausdehnung  in  Ausführung  gebracht  worden  ist.  M. 
Langenbeck  hält  indessen  die  Myotomie  bei  Rückgratsverkrümmungen 
für  eine  rein  unnöthige  Operation,  da  eine  Kraft,  die  hinreichend  ist,  auf 
das  Knochengerüste  zu  wirken,  auch  jedenfalls  verkürzte  Muskeln  zu  deh- 
nen vermöge.  Hierzu  sind  aber  nach  demselben  die  seither  gebräuch- 
lichen Apparate  wenig  brauchbar ,  und  er  construirte  deshalb  eine  neue 
Vorrichtung,  dem  die  Idee  eines  horizontalen  Drucks  auf  die  vorspringen- 
den Theile  der  Wirbelsäule ,  während  der  Kranke  in  aufrechter  Stellung 
sich  befindet,  zu  Grunde  liegt.  Gleichwohl  dürfte  nicht  ausser  Acht  ge- 
lassen werden ,  dass  durch  die  Myotomie  die  Kur  wesentlich  abgekürzt 
werden  kann. 

xiirthe,  Krankheiten  derselben.  Die  Krankheiten ,  von 
denen  hier  gehandelt  wird ,  betreffen  die  Abnormitäten  der  Vorhaut ,  so 
wie  die  krebsigen  Entartungen  des  männlichen  Glieds;  von  den  Abnormi- 
täten der  Gestaltung  des  leztern  war  in  dem  Artikel  Hypospadie  und 
E  p  i  s  p  a  d  i  e  die  Rede  und  die  syphilitischen  Affectionen  werden  in  dem 
Artikel  Syphilis  ihre  Erledigung  finden. 


824  RUTHE.  —  KREBS  DERS. 

Krebs  des  männlichen  Glieds,  Cancer  penis,  beginnt 
meist  an  der  Vorhaut  und  Eichel  mit  harten  Knoten  oder  Warzen,  welche 
anfangs  mit  gar  keinen  Schmerzen  verbunden  sind,  später  aber,  besonders 
unter  dem  Einfluss  der  hier  häufigen  Irritationen  schmerzhaft  werden  und 
in  Ulceration  übergehen.  Das  innere  Blatt  der  Vorhaut  ist  besonders  bei 
alten  Leuten  der  Reizung  ausgesezt,  weil  hier  in  Folge  des  Zurückziehens 
und  Schwindens  des  Penis  der  Urin  fast  immer  über  den  Rand  der  Vor- 
haut abfliesst.  Bevor  sich  das  Uebel  auf  die  Eichel  fortsezt ,  kann  das 
Präputium  zu  einer  bedeutenden  Masse  entarten  und  sich  vorn  ganz  ver- 
schliessen,  während  der  Urin  aus  den  geschwürigen  Löchern  seiner  Seiten 
abfliesst.  Greift  die  Ulceration  weiter  um  sich,  so  kann  das  ganze  Glied 
bis  hinauf  zum  Schoossbogen  zerstört  werden.  Die  sich  bildenden  Ge- 
schwüre sind  tief  und  von  scirrhösen  Hauträndern  umgeben ,  der  Grund 
derselben  ist  mit  blumenkohlartigen  schwammigen  Excrescenzen  besezt, 
es  wird  eine  stinkende  Jauche  abgesondert,  es  stossen  sich  ganze  faserige 
Lappen  ab  und  nicht  selten  treten  durch  Corrosion  der  Gefässe  starke 
Blutungen  ein.  Heftige  Schmerzen  erstrecken  sich  durch  den  Penis  bis 
in  die  Blase,  den  Mastdarm  und  bis  in  die  Schenkel ;  beim  Uriniren  ver- 
mehren sie  sich ;  die  Haut  des  Penis  ist  mit  varicösen  Venen  durchzogen, 
die  nahe  gelegenen  Drüsen  sind  angeschwollen ,  der  Kranke  hat  keinen 
Schlaf,  fiebert,  magert  ab  und  ist  des  Lebens  überdrüssig.  In  andern 
Fällen ,  obwohl  seltener ,  beginnt  der  Krebs  als  scirrhöse  Induration  im 
Parenchym  des  Penis  und  kann  unter  Umständen  nach  der  Urethra  zu  auf- 
brechen und  verschwären ,  wobei  Blut  und  Jauche  aus  derselben  ausflies- 
sen.  —  Was  die  Diagnose  betrifft,  so  kommt  es  besonders  darauf  an, 
krebsige  Ulceration  von  gewissen  phagedänischen  Schankern  zu  unter- 
scheiden, die  zuweilen  ein  carcinomatöses  Aussehen  bekommen,  mit  fun- 
gösen  Auswüchsen,  harten  umgeworfenen  Rändern,  lancinirenden  Schmer- 
zen und  Anschwellung  der  nahegelegenen  Drüsen ,  die  aber  einer  anti 
syphilitischen  Behandlung  weichen.  —  Der  Krebs  des  Penis  ist  vorzugs- 
weise eine  Krankheit  des  höheren  Alters  und  seine  Entstehung  wird  durch 
Unreinlichkeit ,  besonders  bei  langer  und  enger  Vorhaut  begünstigt.  — 
Prognose.  Diese  hängt  wesentlich  davon  ab ,  ob  das  Uebel  als  Haut- 
krebs oder  aus  einem  Scirrhus  sich  entwickelt  hat ;  ist  ersteres  der  Fall, 
sind  Hoden,  Drüsen  etc.  noch  nicht  ergriffen,  so  kann  man  radicale  Hei- 
lung hoffen;  andernfalls  ist  der  Erfolg  immer  zweifelhaft.  —  Behand- 
lung. Wie  bei  allen  krebsigen  Leiden  lässt  sich  auch  hier  von  einer 
pharmaceutischen  Behandlung  Nichts  erwarten,  sondern  man  muss  zum 
Messer  greifen.  Ist  die  Ulceration  auf  die  Vorhaut  beschränkt ,  so  ge- 
nügt die  Excision  des  erkrankten  Theils  derselben.  Hat  sie  aber  bereits 
die  Eichel  oder  den  Körper  des  Penis  ergriffen,  so  ist  die  Amputation  das 
einzige  Mittel. 

Ablösung  des  männlichen  Glieds,  Amputatio  penis, 
ist  indicirt  durch  bösartige  Neubildungen ,    wenn  selbe  nicht  das  Product 


RUTHE. AMPUTATION  DERS. 


825 


eines  dyscrasischen  Leidens  sind  und  sie  vereinzelt  dastehen,  ferner  wenn 
sich  nicht  schon  eine  secundäre  Dyscrasie  entwickelt  hat ;  durch  gutartige 
Neubildungen ,  wenn  selbe  die  Funktion  des  Penis  wesentlich  beeinträch- 
tigen und  dem  Kranken  durch  Grösse  und  Gewicht  lästig  werden,  voraus- 
gesezt,  dass  dieselben  nicht  für  sich  entfernbar  sind ;  durch  Gangrän  des 
Penis  in  seiner  ganzen  Dicke.  Von  dem  Penis  muss  man  immer  möglichst 
viel  zu  erhalten  suchen,  indem  dadurch  der  Ausfluss  des  Urins  erleichtert 
und  selbst  noch  Zeugungsfähigkeit  erhalten  wird.  —  Das  Verfahren  bei  der 
Amputation  des  Penis  ist  verschieden,  je  nachdem  die  Operation  am  vor- 
dem oder  hintern  Theile  der  Ruthe  vorgenommen  werden  soll.  —  Bei 
der  Operation  am  hängenden  Theil  des  Penis  wird  der  Kranke  so 
auf  einen  Tisch  gelagert ,  dass  der  Steiss  an  den  Rand  des  Tisches  zu 
liegen  kommt.  Der  Operateur  fasst  den  wegzunehmenden  Theil  des 
Penis ,  welcher ,  im  Fall  er  ulcerirt  ist ,  in  ein  Leinwandläppchen  einge- 
wickelt werden  kann ,  zwischen  Zeige  -  und  Mittelfinger  und  drückt  den 
Penis  von  oben  nach  abwärts  flach  ;  dasselbe  thut  ein  zur  Seite  stehender 
Gehülfe ,  wobei  nach  keiner  Seite  hin  die  Haut  abgezogen  werden  darf. 
Nun  führt  der  Operateur  ein  kleines  Amputationsmesser  unter  dem  platt- 
gedrückten Penis  nach  dessen  linkem  Rande  und  trennt  von  diesem  aus 
den  Penis  in  einem  oder  zwei  Zügen  durch.  Der  Gehülfe  comprimirt 
noch  fort  den  Stumpf  des  Penis,  und  nun  werden  die  sprizenden  Arterien 
unterbunden.  Es  sind  deren  meistens  vier,  die  beiden  Art.  dorsales 
penis  und  die  beiden  Art.  c  orp  oris  cavernos. ,  häufig  aber  auch 
mehr.  Die  Blutung  aus  den  Corpor.  cavernos.  wird  meistens  durch 
kaltes  Wasser  gestillt.  Ist  die  Blutung  gestillt,  so  legt  man  nach  Watt- 
mann drei  Knopfnahthefte,  welche  die  Urethra  hervorziehen  und  mit  der 
Haut  vereinigen ;  die  so  ausgestülpte  Urethra  kann  sich  dann  nicht  mehr 
retrahiren.  Das  erste  Heft  legt  man  nach  oben  an  ;  man  sticht  an  der 
obern  Wand  der  Urethra  von  der  Schleimhautfläche  die  Heftnadel  durch, 
zieht  den  Faden  nach  und  sticht  dieselbe  Nadel  an  der  Haut  nach  oben 
durch.  Hierauf  wird  der  Faden  geknüpft.  Ebenso  verfährt  man  mit 
zwei  Heften  nach  unten  zu  ,  rechts  und  links.  R  i  c  o  r  d  schneidet  die 
Urethra  sammt  der  Haut  an  der  untern  Wand  ein,  schlägt  die  Lappen  um 
und  näht  sie  an.  —  Bei  der  Operation  an  der  Wurzel  des  Penis  wird 
durch  eine  ähnliche  Anheftung  der  Urethra  an  die  äussere  Haut,  die  eben 
angegeben  wurde  ,  die  Zurückziehung  der  erstem  verhindert  und  dadurch 
die  Operationen  mit  mehrfachem  Schnitte  nach  Schreger  und  L  a  n  - 
genbeck  überflüssig  gemacht.  Demarque  verfuhr  in  einem  Falle, 
wo  sich  die  Entartung  ziemlich  weit  rückwärts  erstreckte,  folgendermas- 
sen  :  An  der  Wurzel  des  Penis  wurden  zwei  halbelliptische  Schnitte  ge- 
führt;  die  Spizen  der  Ellipse  sahen  nach  oben  und  unten;  hierauf  wurden 
die  Corpora  cavernosa  von  den  Schenkeln  des  Schambogens  los- 
präparirt.  Die  Urethra  wurde  von  der  untern  Fläche  des  Penis  eine  Strecke 
weit  nach  vorn  losgelöst,  der  frei  hängende  Theil  der  Urethra  an  der  un- 


826  RUTHE. PHIMOSIS. 

tern  Wand  gespalten ,  die  Lappen  umgeschlagen  und  an  die  Hautwund- 
ränder geheftet.  Die  Heilung  erfolgte  vollständig.  —  In  einem  Falle, 
wo  die  Entartung  sich  über  das  ganze  Mittelfleisch  erstreckte,  ging  Watt- 
mann folgendermassen  zu  Werke  :  zuerst  wurde  das  Scrotum  mit  dem 
Bistouri  gespalten,  der  Penis  an  seiner  Wurzel  durch  einen  Bogenschnitt 
mit  einem  Scalpell  umgangen,  hierauf  die  Corpora  cavernosa  von 
den  Schenkeln  des  Schambogens  abgetrennt,  die  Urethra  dicht  hinter  dem 
Bulbus,  weil  auch  dieser  entartet  war,  abgeschnitten.  Nachdem  die  Blu- 
tung gestillt  war ,  wurde  die  Urethra  in  den  hintern  Wundwinkel  einge- 
näht und  hierauf  das  Scrotum  durch  die  Knopfnaht  vereinigt.  —  Ausser 
dem  Schnitt  hat  man  zuweilen  den  Penis  auch  durch  Abbinden  ent- 
fernt. Dieses  Operations  verfahren  steht  dem  Schnitt  aber  entschieden 
nach  ;  es  ist  nicht  allein  schmerzhafter  als  der  Schnitt,  sondern  es  ist  auch 
die  Begrenzung  des  Substanzverlusts  eine  unsichere  und  die  Abstossung 
des  gangränösen  Theils  dauert  lange.  In  wiefern  diese  gerügten  Nach- 
theile durch  die  Anwendung  des  Ecraseur  lineaire  (s.  den  Art. 
Abbinden),  der  galvanocaustischen  Schneideschlinge  (s.  den  Artikel 
Electrotherapie)  vermieden  werden,  muss  die  Erfahrung  lehren.  — 
Der  so  sehr  gefürchteten  Blutungen  wegen  empfahl  B  o  n  n  e  t  die  Ampu- 
tation mit  glühenden  Messern.  —  Da  es  zuweilen  vorkommt,  dass  die 
carcinomatöse  Gesclnvulst ,  wie  sehr  sie  auch  den  Umfang  des  Penis  ver- 
mehrt, doch  nicht  seine  ganze  Dicke  einnimmt,  sondern  von  der  lange  der 
Entartung  widerstehenden  fibrösen  Hülle  der  Corpora  cavernosa 
begrenzt  wird,  so  schlug  Lisfranc  vor,  nur  das  Entartete  wegzuneh- 
men. —  Eintretende  Nachblutungen  stillt  man  durch  kaltes  Wasser, 
nachträgliche  Unterbindungen,  styptische  Mittel  und  nötigenfalls  mittels 
des  Glüheisens.  Heftige  Entzündung  erfordert  Blutegel,  Harnver- 
haltung die  Anwendung  des  Catheters.  —  Nicht  selten  sieht  man  nach 
der  Amputation  des  Penis  ,  selbst  bei  solchen ,  bei  denen  die  Zeugungs- 
kraft schon  erloschen  ist,  Melancholie  entstehen. 

Verwachsung  und  Verengerung  der  Vorhaut.  Eine 
abnorme  Verengerung  der  Vorhaut ,  so  dass  sie  nicht  mit  Leichtigkeit 
über  die  Eichel  zurückgezogen  werden  kann,  heisst  Phimosis,  und 
wenn  die  zu  enge  Vorhaut  über  die  Eichel  zurückgezogen  wird  und 
nicht  wieder  hervorgebracht  werden  kann,  so  nennt  man  den  Zustand 
P  ar  ap  himosis. 

A.  Phimo  sis  (von  (pifjoco ,  ich  schnüre  zusammen).  Die  Phi- 
nosis  kommt  angeboren ,  als  Fehler  der  ersten  Bildung,  und  zufällig  durch 
Entzündung  der  Eichel  und  der  Vorhaut  vor.  —  In  Betreff  der  ange- 
borenen Phimosis  ist  zu  bemerken ,  dass  sich  bei  den  meisten 
Kindern  im  naturgemässen  Zustande  eine  so  enge  Vorhaut  findet,  dass 
sie  nicht  über  die  Eichel  zurückgezogen  werden  kann;  bei  der  fortschrei- 
tenden Ausbildung  der  Geschlechtstheile  und  namentlich  zur  Zeit  der 
Mannbarkeit,   verschwindet  aber  diese  Verengerung,   welche  deshalb  nur 


RUTHE.  PHIMOSIS.  827 

dann  in  der  Kindheit  als  krankhaft  zu  betrachten  ist ,  wenn  sie  dem  Aus- 
flusse des  Urins  hinderlich  wird  und  die  Oeffnung  der  Vorhaut  enger  ist, 
als  die  Harnröhre  selbst ;  es  sammelt  sich  alsdann  immer  etwas  Urin 
hinter  der  Vorhaut  an ,  reizt  diese  ,  und  gibt  dadurch  Veranlassung  zu  Ex- 
coriationen ,  Verwachsungen  mit  der  Eichel ,  Verdickungen  der  Vorhaut 
und  Steinbildung  unter  derselben.  Ein  zu  kurzes  ,  oder  zu  weit  nach 
vorn  sich  erstreckendes  Bändchen  kann  der  Entwickelung  der  Vorhaut 
hinderlich,  und  mithin  die  Ursache  einer  Phimosis  sein.  —  Zuweilen  ist 
die  Vorhaut  ganz  geschlossen  (Atresiapraeputii),  in  welchem  Falle 
dieselbe  durch  den  sich  ansammelnden  Urin  zu  einer  ovalen ,  durchsich- 
tigen Geschwulst  ausgedehnt  wird ,  ein  Zustand ,  der  tödtlich  werden 
kann,  wenn  nicht  zeitig  Hülfe  geschafft  wird.  —  Die  erworbene 
Phimosis,  welche  besonders  bei  solchen  Personen  vorkommt ,  die  eine 
lange  und  enge  Vorhaut  haben,  ist  entweder  entzündlich  oder  nicht  ent- 
zündlich.—  Die  entzündliche  Phimosis  gibt  sich  zu  erkennen 
durch  die  bekannten  Erscheinungen  einer  mehr  oder  minder  heftigen 
Entzündung;  diese  ist  aber  entweder  erysipelatös  oder  phlegmonös.  Bei 
jener  ist  die'Röthe  blass  ,  die  Geschwulst  umfangreich ,  teigig  und  öde- 
matös ,  die- Vorhaut  sieht  durchsichtig  und  glänzend  aus.  Die  phleg- 
monöse Phimosis  ist  dunkler  geröthet ,  die  Geschwulst  geringer ,  aber 
härter  und  gespannter ,  der  Schmerz  stärker ,  besonders  beim  Uriniren 
und  bei  Erectionen.  Die  Absonderung  des  Schleims  der  Vorhaut  und 
der  Eichel  ist  bei  beiden  Formen  vermehrt,  aber  dessen  Entleerung  be- 
hindert. Die  Entzündung  kann  sich  nicht  allein  auf  die  Eichel  fort- 
pflanzen ,  sondern  auch  auf  das  ganze  männliche  Glied ,  die  Mündung 
der  Vorhaut  kann  ganz  verschlossen  und  die  Aussonderung  des  Harns 
völlig  gehindert  werden.  Endlich  kann  es  zur  Bildung  von  Abscessen 
und  Fisteln  mit  ulceröser  und  brandiger  Zerstörung  der  Vorhaut  kommen, 
wobei  die  Eichel  nicht  selten  durch  die  in  der  Vorhaut  entstandene 
Oeffnung  tritt.  Mit  diesen  örtlichen  Erscheinungen  ist  ein  der  Heftig- 
keit derselben  entsprechendes  fieberhaftes  Allgemeinbefinden  verbunden. 
—  Nicht  immer  nimmt  indessen  die  entzündliche  Phimose  diesen  Ver- 
lauf; sie  kann  bei  einer  zweckmässigen  Behandlung  zertheilt  werden, 
oder  sie  geht  unter  Nachlass  der  Schmerzen,  Röthe  und  Geschwulst  in 
die  chronische  Form  der  Verhärtung  über.  Durch  Ausschwizung  in  das 
Zellgewebe  zwischen  die  beiden  Blätter  der  Vorhaut ,  vorzüglich  in  der 
Nähe  der  Mündung  derselben,  werden  diese  Theile  verdichtet  und  ver- 
härtet, verlieren  ihre  zellige  Structur  und  Dehnbarkeit,  erscheinen  wulstig 
und  selbst  knorpelartig ;  oder  es  bleiben  in  der  Umgebung  früherer  Ge- 
schwüre ,  Abscesse  und  Fisteln ,  harte  Narben  ,  nach  brandiger  Zerstörung 
unförmliche  Lappen  zurück.  Zuweilen  verwächst  die  Vorhaut  mit  der 
Eichel  an  Stellen ,  wo  früher  Geschwüre  waren ,  oder  die  Eichel  bleibt 
höckerig,  warzig,  geschwürig,  verschrumpft,  oder  erreicht  einen  bedeu- 
tenden  Umfang.    —    Die    Ursachen    sind    mechanische   Verlegungen, 


828  RUTHE.   PHIMOSIS. 

Reizungen  der  Vorhaut  und  Eichel  durch  äussere  Gewalt ,  schmerzhafter 
Coitus  ,  Excoriationen,  Verbrennung,  Erfrierung,  Geschwüre  an  der  Vor- 
haut und  Eichel ,  verschiedene  Exantheme  an  der  Vorhaut ,  Zerreissung 
des  Bändchens ,  fremde  Körper  unter  der  Vorhaut ,  vernachlässigte  Rein- 
lichkeit, Anhäufung  und  Verderbniss  des  Smegma  unter  der  Vorhaut  und 
zurückgehaltene  scharfe  Flüssigkeiten ,  daher  bei  Tripper  und  Eicheltripper 
und  syphilitischen  Geschwüren.  —  Behandlung.  Wenn  die  Verhaut  ganz 
verschlossen  ist ,  so  macht  man  an  dem  vordem  untern  Theile  der  von 
dem  angesammelten  Urin  gebildeten  Geschwulst,  der  Harnröhrenmündung 
gegenüber  mit  einem  spizen  Messer  einen  Einstich ,  ohne  jedoch  die  Ei- 
chel zu  verlezen.  Bei  einem  geringeren  Grade  von  (nicht  entzündlicher) 
Verengerung  kann  man  diese  durch  ölige  Einreibungen  und  örtliche  An- 
wendung erschlaffender  Mittel ,  Baden  in  warmen  milden  Flüssigkeiten, 
so  wie  durch  öfters  wiederholte  Retractionen  heben  und  eine  Erweiterung 
der  Vorhaut  herbeiführen;  langsamer  und  schmerzhafter  geschieht  dies 
durch  Pressschwamm  oder  durch  besondere  Dilatatorien ;  bei  einem 
höhern  Grade  von  Verengerung  ist  die  Operation  angezeigt.  —  Bei  der 
entzündlichen  Phimose  wendet  man  ,  wenn  die  Entzündung  erysipe- 
latöser  Art  ist,  örtlich  Aqua  Goulardi,  oder,  wo  keine  Nässe  ertragen 
wird ,  trockene  zertheilende  Kräuter ,  bei  ruhiger  Lage  im  Bette ,  und 
mit  Unterstützung  der  Genitalien  an.  Bei  der  phlegmonösen  Phimose 
macht  sich  eine  strenge  Antiphlogose  nothig ;  bei  jungen  robusten  Per- 
sonen nach  Umständen  Aderlass ,  Blutegel  an  den  Damm ,  kalte  Um- 
schläge ,  antiphlogistische  Abführmittel ;  dann  örtliche  und  allgemeine 
laue  Bäder,  wiederholte  laue  Einsprizungen  von  Blei-  und  Kalkwasser 
zwischen  Vorhaut  und  Eichel,  besonders  in  den  Fällen,  wo  sich  fremde 
Körper ,  Smegma  ,  Geschwüre  etc.  daselbst  befinden.  Bei  grosser  Reiz- 
barkeit eignen  sich  laue  narkotische  Fomentationen  von  Hyoscyamus  und 
Cicuta ,  von  Aqua  Goulardi  mit  T i n  c t.  o  p  i i  etc.  Wo  es  nur 
immer  angeht,  hat  man  bei  der  entzündlichen  und  mit  syphilitischen  Ge- 
schwüren verbundenen  Phimose  jeden  operativen  Eingriff  möglichst  zu 
meiden  ;  abgesehen  von  dem  dabei  stattfindenden  heftigen  Schmerz  wird 
die  Entzündung  gesteigert ,  selbst  bis  zum  Brande ,  es  entstehen  oft  be- 
deutende Blutungen ,  die  Schnittflächen  ulceriren  und  besezen  sich  auch 
wohl  mit  schwer  zu  tilgenden  Auswüchsen.  Nur  da,  wo  die  Vorhaut  so 
eng  ist ,  dass  weder  der  Urin ,  noch  die  krankhaften  Secrete  ausfliessen 
können ,  ist  eine  Erweiterung  der  Oeffnung  der  Vorhaut  angezeigt ,  wozu 
jedoch  ein  kleiner  Schnitt  hinreicht.  Hat  sich  ein  Abscess  zwischen  der 
Vorhaut  gebildet ,  der  auf  keine  andere  Weise  entleert  werden  kann ,  so 
muss  derselbe  zeitig  mit  der  Lancette  geöffnet  und  von  dieser  Oeffnung 
aus  durch  Einsprizungen  gereinigt  werden!  Ist  der  entzündliche  Zustand 
schon  vorüber  und  die  natürliche  Oeffnung  der  Vorhaut  verengt,  so  ist 
es  rathsam ,  die  Oeffnung  des  Abscesses  bis  zur  Vorhautmündung  zu  ver- 
längern, oder  die  Vorhaut  gänzlich  abzutragen;  dies  muss  auch  geschehen, 


RUTHE.   PHIMOSIS.  829 

wenn  die  Vorhaut  durch  Brand  durchlöchert  und  die  Eichel  durch  diese 
hindurchgedrungen  ist.  —  Sehr  ausgedehnte  und  feste  Verwachsun- 
gen zwischen  Vorhaut  und  Eichel  lässt  man  am  besten  unberührt,  und 
erweitert  durch  den  Schnitt  und  eingelegte  Bougies  nur  die  Harnröhren- 
mündung ,  um  dem  Urin  freien  Abfluss  zu  verschaffen.  —  Zuweilen  ver- 
hindert nicht  sowohl  eine  enge  Vorhaut,  als  vielmehr  ein  zu  weit  nach 
vorn  ragendes  Vorhautbändchen  die  Entblössung  der  Eichel.  Werden 
hiedurch  die  Erectionen  und  der  Beischlaf  schmerzhaft  gemacht ,  so 
durchschneidet  man  es  mit  dem  Messer  oder  der  Scheere ,  während  man 
es  nach  zurückgezogener  Vorhaut  nach  unten  zieht.  —  Bei  einem  höhern 
Grade  von  Verengerung  ist  die  Operation  der  Phimose  angezeigt, 
eine  Operation ,  welche  zwar  schmerzhaft ,  aber  mit  keiner  Gefahr  ver- 
bunden ist ,  besonders  wenn  man  sie  in  einem  chronischen  Zustande  der 
Phimose  und  nicht  vor  den  Pubertätsjahren  unternimmt.  Es  gibt  drei  Me- 
thoden, diese  Operation  zu  verrichten;  diese  sind:  1)  die  Spaltung  der 
Vorhaut;  2)  die  Incision  des  innern  Blattes  des  Praeputiums 
und  3)  die  ringförmige  Abtragung,  Circumcision  der 
Vorhaut.  —  Die  Spaltung  der  Vorhaut  passt  nur  in  den  Fällen 
von  Phimose ,  wo  keine  beträchtliche  Verlängerung  der  Vorhaut  vor 
der  Eichel  stattfindet  und  ist  da  indicirt ,  wo  die  Verengerung  durch 
das  äussere  und  innere  Blatt  des  Präputiums  zugleich  bedingt  ist.  Die 
Spaltung  wird  entweder  an  der  einen  oder  der  andern  Seite  des  Frenu- 
lums  ,  gewöhnlich  aber  nach  oben  vorgenommen ,  wodurch  die  Symetrie 
der  Form  am  wenigsten  gestört  wird.  Der  Operateur  führt  zwischen 
Vorhaut  und  Eichel  eine  Hohlsonde  ein  und  schiebt  sie  bis  zur  Umbeu- 
gungsstelle  des  Präputiums  vor ;  auf  derselben  wird  nun  ein  spizes  Bi- 
stouri bis  an  ihr  Ende  vorgeschoben ,  durch  die  Vorhaut  gestochen ,  und 
dieses  nun  mit  einem  kräftigen  Zuge  durch  Zurückziehen  des  Bistouri's 
von  hinten  nach  vorn  gespalten.  Die  Blutung  wird  durch  kaltes  Wasser 
gestillt  und  dann  entweder  ein  mit  kaltem  Wasser  befeuchtetes  Plu- 
masseau  zwischen  die  Spaltränder  gelegt  oder  besser  die  Ränder  der 
beiden  Vorhautblätter  mit  Knopfnähten  vereinigt.  Das  Glied  wird  mit 
einer  T-Binde  nach  dem  Bauche  aufgerichtet  erhalten.  —  Es  ist  nicht 
immer  nöthig,  die  Vorhaut  bis  zur  Umschlagsstelle  zu  spalten;  die  Länge 
des  Schnitts  richtet  sich  nach  dem  Orte  der  Einschnürung.  —  Ist  das 
Präputium  sehr  verdickt ,  so  ist  es  gut ,  die  beiden  durch  die  Incision 
gebildeten  Winkel  desselben  abzutragen.  Oefters  ergibt  sich  nach  der 
Incision  die  Notwendigkeit ,  das  Präputium  ganz  zu  entfernen ,  wenn 
sich  nämlich  auf  demselben  ausgebreitete  Geschwüre  vorfinden.  ■ —  Die 
Spaltung  des  innern  Blatts  der  Vorhaut  reicht  in  einzelnen 
Fällen  von  angeborener  Phimosis  aus ,  wenn  die  Untersuchung  ergibt, 
dass  die  angeborene  Enge  dieses  Blatts  die  Ursache  derselben  ist.  Die 
Vorhaut  wird  so  viel  als  möglich  zurückgeschoben  und  beide  Blätter  an 
der  Umbeugungsstelle  des  äussern  Blatts  zum  innern  etwa  in  der  Länge 


830  RUTHE.    —    PARAPHIMOSIS. 

von  zwei  Linien  mit  der  nach  oben  gerichteten  Schneide  eines  schmalen 
spizen  Bistouris  getrennt.  Dadurch  wird  es  möglich,  die  Vorhaut  weiter 
umzustülpen ,  und  so  eine  weitere  Partie  des  innern  Blatts  zur  Ansicht 
gebracht,  welche  durch  Fortsezung  des  Schnitts  mit  dem  Messer  oder 
der  Scheere  getrennt  wird.  So  wird  die  Spaltung  des  innern  Blatts  so 
weit  nach  rückwärts  fortgesezt ,  bis  das  Präputium  sich  leicht  und  voll- 
kommen umstülpen  lässt.  Verband  ist  keiner  nöthig ;  während  der  Hei- 
lung lässt  man  die  Vorhaut  öfters  zurückschieben ,  damit  die  Narbe  die 
entsprechende  Ausdehnung  erlangt.  —  Die  Circumcision  ist  ange- 
zeigt:  bei  gesunder  verengter  Vorhaut,  wenn  sie  ungewöhnlich  lang  und 
dick  ist ;  wenn  sich  auf  der  verengten  Vorhaut  ausgebreitete  Geschwüre 
vorfinden ;  wenn  die  Verengerung  durch  Verhärtung  und  callöse  Be- 
schaffenheit der  Vorhaut  bedingt  ist ,  endlich  bei  nicht  verengerter ,  sehr 
langer  und  dicker  Vorhaut ,  welche  den  Beischlaf  stört  und  zu  Excoria- 
tionen  der  Eichel  und  der  innern  Lamelle  führt.  Der  Operateur  fasst 
den  vorragenden  Theil  der  Vorhaut  zwischen  die  Nägel  des  Zeigefingers 
und  Daumens ,  zieht  sie  hervor  und  schneidet  den  vorgezogenen  Theil  in 
einem  Zuge  mit  dem  Bistouri  quer  vor  der  Eichel  durch  ,  ohne  aber  diese 
zu  verlezen.  Mehrere  Wundärzte  bedienen  sich  zum  Fassen  des  abzu- 
tragenden Theils  der  Zangen,  Klemmen  oder  spiziger  Häkchen,  Ricord 
einer  gefensterten  Kornzange,  durch  deren  Fenster  er  Fäden  zu  nachheri- 
ger  Bildung  von  Heften  einzieht.  Vor  den  Armen  dieser  Instrumente, 
welche  die  Eichel  vor  Verlezung  schüzen ,  wird  die  Vorhaut  abgeschnit- 
ten. Das  äussere  Blatt  der  leztern  zieht  sich  stark,  das  innere  wenig 
zurück ;  zeigt  sich  dieses  leztere  verengt  und  dicht  an  der  Eichel  an- 
liegend ,  so  kann  man  es  jenem  gleich  abtragen  oder  der  Länge  nach 
spalten  und  dann  nach  dem  Hautrande  hin  umschlagen.  Chassaignac 
führt  5  —  8  feine  Nadeln  mit  Fäden  durch  die  Vorhaut ,  stielt  sie  ge- 
wissermassen  und  quetscht  sie  dann  mit  seinem  Ecraseur  (s.  Abbinden) 
ab.  Bei  der  Beschneidung  der  Juden  wird  dieses  Blatt  immer  mit 
den  Nägeln  zerrissen.  Verband  wie  bei  der  Spaltung  der  Vorhaut,  nur 
muss  während  der  Heilung  die  Vorhaut  öfter  zurückgezogen  werden,  da- 
mit sie  sich  nicht  wieder  verenge.  —  Die  Nachbehandlung  bei  der  Ope- 
ration der  Phimosis  ist  antiphlogistisch ,  erst  kalte  Umschläge ,  dann  lauer 
Fliederthee  mit  Bleiwasser ,  zulezt  dieses  allein. 

B.  Paraphimosis  {Traga,  jenseits,  und  cpifjow),  der  spani- 
sche Kragen,  entsteht  durch  gewaltsames  Zurückziehen  der  zu  engen 
Vorhaut  hinter  die  Eichel,  so  dass  jene  nun  nicht  wieder  nach  vorn  über 
die  Eichel  geschoben  werden  kann.  Zuweilen  ist  die  Vorhaut  nicht  so 
eng ,  dass  sie  nicht  wieder  vorgeschoben  werden  könnte ,  allein  in  Folge 
der  Reizung,  welche  auf  die  Vorhaut  selbst  und  auf  die  Eichel  durch  die 
Zurückziehung  entsteht,  und  der  Stagnation  der  Säfte,  entwickelt  sich 
eine  Anschwellung  dieser  Theile,  so  dass  es  nun  nicht  mehr  möglich  ist, 
die  Vorhaut   über  die  Eichel  vorzubringen.    —    Die  Vorhaut  ist  bei  der 


RUTHE.  PARAPHIMOSIS.  831 

Paraphimose  meistenteils  so  umgestülpt,  dass  ihre  innere  Lamelle  die 
äussere  wird  und  sich  in  wulstigen  Querfalten  um  den  Hals  der  Eichel 
herumschnürt ;  die  Vorhautmündung  liegt  in  der  Regel  hinter  diesen 
Wülsten  als  ein  enger  fester  Ring  in  der  Tiefe ,  und  hinter  diesem  das 
äussere,  sehr  faltige  Vorhautblatt,  das  sich  in  die  äussere  Haut  des  Penis 
fortsezt.  Bisweilen  ist  auch  die  Vorhaut  nicht  umgestülpt ,  sondern  ein- 
fach retrahirt ;  dies  geschieht  besonders  bei  Personen ,  welche  beständig 
die  Vorhaut  zurückgezogen  und  die  Eichel  entblösst  tragen,  wenn  sich 
durch  zufällige  Veranlassung  ein  Missverhältniss  zwischen  Vorhaut  und 
Eichel  entwickelt.  Die  Vorhautmündung  liegt  hier  dicht  hinter  der 
Eichel  als  ein  fest  anliegender  Ring,  unter  welchen  man  von  der  Eichel- 
krone aus  mit  einer  Sonde  gelangen  kann;  die  Vorhaut  ist  dabei  nicht  so 
anfgewulstet ,  und  diese  Wülste  sind  von  der  äussern  Haut  bedeckt.  In 
andern  Fällen  ist  die  Vorhaut  nur  theilweise  umgestülpt.  —  Die  Zufälle 
bei  der  Paraphimose  sind  verschieden,  je  nachdem  die  Verengerung  der  Vor- 
haut in  einem  höhern  oder  geringern  Grade  besteht,  die  Vorhaut  und  Eichel 
bereits  vorher  entzündet  oder  ulcerirt  waren  oder  nicht.  Je  enger  die 
Oeffnung  der  Vorhaut  war,  desto  heftiger  und  schneller  entstehen  die  Er- 
scheinungen von  Strictur ,  Geschwulst  und  Entzündung ,  welche  wie  bei 
der  Phimosis  erysipelatös  oder  phlegmonös  sein  und  sich  über  das  ganze 
Glied  verbreiten  kann.  In  sehr  acuten  Fällen  schwillt  die  Eichel  mit 
dem  ganzen  Gliede  unter  den  Symptomen  der  heftigsten  Schmerzen ,  von 
starkem  Fieber  mit  Nervenzufällen,  Harnverhaltung  und  schnellem  Ueber- 
gang  in  Brand  an.  Die  Krankheit  erreicht  zuweilen  in  wenigen  Stunden 
einen  hohen  Grad  von  Ausbildung;  in  andern  Fällen,  wo  die  Einschnü- 
rung nicht  so  stark  ist,  bedarf  sie  selbst  mehrerer  Tage,  um  zu  einem  mas- 
sigen Grade  zu  gelangen ,  auf  dem  sie  auch  stehen  bleibt.  Wenn  die 
Paraphimose  sich  selbst  überlassen  bleibt ,  so  kann  bei  einer  nicht  be- 
trächtlichen Einklemmung  die  Entzündung  sich  allmählig  zertheilen,  auch 
wenn  keine  Reposition  vorgenommen  wird  ;  die  Vorhaut  verwächst  hinter 
der  Eichel  und  es  bleibt  eine  unheilbare  Missstaltung  zurück.  In  der 
Regel  tritt  jedoch  in  Folge  des  fortdauernden  Drucks  und  Reizes,  den  die 
Vorhautmündung  macht,  Verschwärung  dieses  Theils  ein,  wodurch  die 
Einschnürung  gehoben  wird.  Brand  tritt  in  der  Regel  nur  ein,  wenn  die 
betreffenden  Theile  schon  vorher  entzündet  waren ,  z.  B.  in  Folge  von 
Tripper,  syphilitischen  Geschwüren.  —  Die  Behandlung  hat  zunächst 
die  Aufgabe,  die  Einschnürung  zu  beseitigen.  —  Dies  geschieht,  wenn 
die  Entstehung  des  Uebels  noch  neu ,  keine  Verwachsung  oder  andere 
Veränderung  entstanden  ist ,  durch  die  Reposition  auf  unblutigem  WTege. 
Bei  bestehender  Entzündung  muss  man  den  Manipulationen  nach  Mass- 
gabe ihrer  Heftigkeit  Aderlässe,  Blutegel,  Scarificationen,  kalte  Umschläge 
u.  dgl.  vorausgehen  lassen,  halte  sich  aber  nicht  zu  lange  damit  auf.  Die 
Reposition  der  umgestülpten  Vorhaut  kann  man  auf  verschiedene  W'eise 
zu  bewirken  suchen.      Nach  Richter   drückt  man  mit  drei  Fingern  der 


832  RUTHE.   PARAPHIMOSIS. 

rechten  Hand  die  Eichel  einige  Minuten ,  um  sie  zu  verkleinern ,  worauf 
man  sie,  während  man  mit  drei  hinter  der  Einschnürung  angelegten  Fin- 
gern der  linken  Hand  die  Vorhaut  vorzuschieben  sucht,  zurückdrückt. 
Nach  v.  W  a  1 1  h  e  r  soll  man  die  aufgeworfenen  Wülste  des  innern  Haut- 
blattes gleichmässig  zurückdrängen,  so  das  innere  Blatt  einstülpen  und 
die  ganze  Vorhaut  umkehren.  Sanson  und  Begin  fassen  die  Ruthe 
mit  der  linken  Hand ,  drücken  die  angeschwollene  Eichel  zuerst  mit  den 
Fingern  der  andern  Hand  zusammen  und  treiben  sie  dann  zurück,  während 
im  nämlichen  Augenblick  die  Vorhaut  hervorgezogen  wird.  Cullerier 
drückt  die  Eichel  mit  den  Fingern  der  einen  Hand  zusammen  und  mit 
der  andern  übt  er  einen  gleichen  Druck  auf  den  Vorhautwulst  aus  ,  wo- 
durch die  Feuchtigkeiten  genöthigt  werden ,  unter  dem  einschnürenden 
Bande  rückwärts  zu  treten.  Wenn  die  Theile  sich  abgespannt  und  er- 
schlafft zeigen ,  bringt  er  etwas  Mandelöl  auf  die  Eichel  und  zieht  dann 
durch  eine  gleichzeitige  Bewegung  mit  einer  Hand  die  Vorhaut  vor  und 
schiebt  mit  der  andern  die  Eichel  zurück.  F  r  i  c  k  e  und  Chassaignac 
fassen  die  Ruthe  mit  der  vollen  Hand ,  kneten  die  Eichel  mit  der  andern 
und  drängen  sie  dann  in  den  Wulst  hinein.  Bei  allen  diesen  Technicis- 
men  erleichtert  das  Bestreichen  der  Eichel  mit  Oel  und  das  Eintauchen 
des  ganzen  Glieds  des  Kranken  und  der  Hände  des  Operateurs  in  kaltes 
Wasser  die  Manipulationen.  —  Verchiedene  Aerzte  legen ,  um  die  An- 
schwellung zu  vermindern,  eine  Binde  um  das  Glied,  nach  deren  Abnahme 
sie  schnell  die  Reposition  machen,  Andere  benüzen  hierzu  Pflasterstreifen, 
womit  der  Penis  vom  Orificium  aus  bis  über  die  Geschwulst  hinaus  einge- 
wickelt wird.  In  hartnäckigen  Fällen  haben  sich  auch  narkotische  Ein- 
reibungen und  Umschläge,  besonders  von  Hyoscyamus,  Belladonna,  Cicuta, 
die  Kaltwasserdouche ,  auf  welche  man  die  Repositionsversuche  folgen 
lässt,  hülfreich  erwiesen.  Schlägt  dieses  alles  fehl,  so  ist  die  Operation 
angezeigt.  —  Diese  Operation  verrichtet  man  auf  folgende  Weise :  hat 
die  Einschnürung  hinter  den  Wülsten  der  Vorhaut  ihren  Siz,  so  lässt  man 
diese  nach  vorn,  die  äussere  Haut  des  Penis  aber  nach  hinten  ziehen,  um 
die  einschnürende  Stelle  in  der  Tiefe  sichtbar  zu  machen.  Gleich  hinter 
dieser  Stelle  erhebt  man  die  äussere  Haut  mit  einer  Pincette  zu  einer 
Querfalte,  durchschneidet  diese  und  bringt  durch  die  Oeffnung  eine  feine, 
vorn  etwas  gekrümmte  Hohlsonde ,  welche  man  im  Zellstoffe  unter  der 
Einschnürung  fortschiebt,  bis  man  sie  hinter  der  Eichelkrone  fühlt, 
worauf  man  die  einschnürende  Stelle  mittels  eines  schmalen  Bistouris 
auf  der  Hohlsonde  spaltet.  Ist  die  Einschränkung  zu  stark,  um  die 
Hohlsonde  unter  sie  zu  bringen,  so  muss  man  bei  möglichster  Entblössung 
des  einschnürenden  Rings  diesen  behutsam  von  aussen  nach  innen  durch- 
schneiden, wobei  man  sich  aber  vor  Verlezung  des  schwammigen  Körpers 
und  seiner  Membran,  so  wie  der  Eichelkrone  hüten  muss,  und  wo  möglich 
nicht  auf  dem  Rücken  des  Penis  schneidet ;  es  können  solche  Incisionen 
an  mehreren  Stellen  nöthig  werden.      Lange  zieht  es  vor ,   die  Wülste 


SCHAMFUGENSCHNITT.  833 

der  innern  Lamelle  mit  der  Scheere  abzutragen,  worauf  es  leicht  sei,  un- 
ter die  äussere  Lamelle  der  Vorhaut  zu  gelangen.  —  Sizt  der  einschnü- 
rende Vorhauttheil  hinter  der  Eichel ,  so  führt  man  von  dieser  aus  auf 
einer  Hohlsonde  ein  schmales  Bistouri  ein  und  spaltet  sie  von  vorn  nach 
hinten.  —  Nach  der  Einschneidung  der  Vorhaut  versucht  man  die  Repo- 
sition derselben ;  hindert  dies  Geschwulst  und  Entzündung,  so  macht  man 
Scarificationen  in  die  ödematösen  Wülste  und  kalte  Umschläge  und  repo- 
nirt  erst  später.  Nach  Stillung  der  Blutung  verbindet  man  die  Wunde 
einfach  mit  Charpie ,  lasst  kalte  Umschläge  fortsezen ,  das  Glied  gegen 
den  Bauch  aufgerichtet  halten  und  die  Vorhaut  oft  hin-  und  herschieben. 
Ulceration  und  Brand  der  eingeklemmten  Theile  werden  nach  allgemei- 
nen Regeln  behandelt.  —  Ist  eine  Verwachsung  der  Wülste  eingetreten, 
so  bleibt  zur  Entfernung  der  Missstältung  nur  die  gänzliche  Abtragung 
der  verwachsenen  Masse  übrig,  wenn  man  sie  nicht  sich  selbst  überlassen 
will,  was  man  ohne  grossen  Nachtheil  thun  kann. 

Die  Bildung  einer  neuen  Vorhaut,  Postioplastik, 
nahm  Dieffenbach  vor,  indem  er  das  äussere  Blatt  bis  *-/g  Zoll 
hinter  die  Eichelkrone  ablöste ,  das  innere  Blatt  wegschnitt  und  das 
äussere  Blatt  nach  innen  umschlug ,  das  sich  nach  seiner  Anheilung  all- 
mählig  verlängerte. 


s. 

SarCOma,    s.  Fasergeschwulst. 

ScarinCiren ,  Scarificatio,  wird  diejenige  Operation  ge- 
nannt ,  bei  welcher  Stiche  oder  Einschnitte  von  gewöhnlich  nur  geringer 
Tiefe  und  Länge  in  irgend  einen  Theil  des  Körpers  gemacht  werden,  um 
Blut  oder  pathologische  Flüssigkeiten  zu  entleeren ,  Spannung  zu  heben 
oder  Reizung  hervorzubringen.  Man  bedient  sich  zu  dieser  Operation 
derLancette,  des  Bistouris  oder  besonderer  Werkzeuge,  der  Scarificatoren. 
—  Das  Verfahren  ist  verschieden  je  nach  den  Theilen  ,  die  man  scarifi- 
cirt.  —  Am  häufigsten  wird  die  Operation  an  der  Haut  verrichtet ,  um 
Blut  zu  entleeren ,  was  jedoch  gewöhnlich  in  Verbindung  mit  Schröpfen 
geschieht.  Um  in  der  Haut  angesammelte  Flüssigkeiten  zu  entleeren, 
reichen  meistens  seichte  Schnitte  mit  der  Lancette  hin.  Nächst  der  Haut 
scarificirt  man,  um  örtlich  Blut  zu  entleeren,  hauptsächlich  solche  Theile, 
welche  für  die  Application  von  Blutegeln  nicht  leicht  zugänglich  sind,  wie 
z.  B.  die  Conjunctiva,  das  Zahnfleisch,  die  Zunge,  die  Mandeln  etc.  — 
Die  Einschnitte  müssen  wo  möglich  parallel  neben  einander  gemacht 
werden,  da  gekreuzte  überaus  schmerzhaft  sind. 

SchamfugenSChllitt,  Synchondrotomia,  Symphyse o- 
Burger,  Chirurgie.  53 


834  SCHAMFUGENSCHNITT. 

tomia.  Bei  dieser  Operation  wird  die  Symphyse  der  Schambeine  ge- 
trennt, um  Erweiterung  des  kleinen  Beckens  und  damit  Geburt  auf  natür- 
lichem Wege  möglich  zu  machen.  Sie  soll  den  Kaiserschnitt  ersezen, 
erweitert  aber  die  verengte  Conjugata  nur  wenig  und  sezt  überdies  die 
hintern  Kreuzdarmbeinverbindungen  einer  nachtheiligen  Zerrung  aus ; 
wenn  diese  einmal  verknöchert  sind,  was  nach  zurückgelegtem  40.  Le- 
bensjahr der  Fall  ist,  so  ist  sie  absolut  contraindicirt.  Dazu  kommt  noch, 
dass  nicht  selten  die  nahe  liegenden  Theile,  als  Harnblase,  Harnröhre  etc. 
leicht  auf  zeitlebens  nachtheilige  Weise  verlezt  werden ,  Caries  herbeige- 
führt wird,  oder,  bei  nicht  wieder  erfolgender  Vereinigung  der  Scham- 
beinfuge, ein  lebenslängliches  Hinken  zurückbleibt.  Alle  diese  Umstände 
sprechen  nicht  zu  Gunsten  der  Operation,  die  auch  nicht  viele  Anhänger 
gefunden  hat.  —  Die  Operation  an  sich  bietet  keine  Schwierigkeiten  dar ; 
die  beste  Zeit  für  ihre  Ausführung  ist  das  Ende  der  zweiten  Geburtspe- 
riode, wo  der  Muttermund  vollkommen  erweitert  und  somit  nach  getrenn- 
ter Symphyse  ein  tieferes  Herabsteigen  der  Gebärmutter  zu  erwarten  ist. 
Die  Operation  wird  auf  dem  Querlager  unter  gehöriger  Befestigung  der 
Kranken  ausgeführt.  Vorher  werden  die  Schamhaare  abrasirt,  Mastdarm 
und  Blase  entleert,  und  der  Catheter  in  der  Blase  gelassen,  um  mit  ihm 
die  Harnröhre  von  einem  Gehülfen  nach  links  drücken  zu  lassen,  um  sie 
vor  Verlezung  zu  sichern.  Genau  über  der  von  aussen  und  innen  er- 
forschten Stelle  der  Schamfuge  durchschneidet  man  die  weichen  Theile, 
Y2  Zoll  über  dem  obern  Schambeinrande  anfangend  bis  zur  Clitoris,  die 
man  nicht  verlezen  darf,  und  darauf  die  vordere  bandartige  Verbindung 
bis  auf  den  Knorpel.  Nachdem  man  die  gewöhnlich  sehr  geringe  Blu- 
tung gestillt  hat,  fühlt  man  noch  einmal  nach  dem  Knorpel,  den  man  an 
seiner  Weichheit  erkennt,  und  schneidet  ihn  dann  mit  einem  stumpfspi- 
zigen  Messer  in  vorsichtigen  Zügen  von  aussen  nach  innen  und  von  oben 
nach  unten  durch ,  wobei  man  mit  dem  Finger  den  untern  Wundwinkel 
der  Haut  und  die  Clitoris  herabdrückt;  endlich  trennt  man  mit  einem  con- 
vexen  Messer  und  der  Blase  und  Harnröhre  wegen  unter  grösster  Vorsicht 
die  hintere  ligamentöse  Verbindung.  Fände  man  die  Symphyse  verknö- 
chert ,  so  müsste  man  sie  vorsichtig  mit  einer  geraden  geknöpften  Säge 
durchtrennen.  Während  der  Trennung  der  Symphyse  sucht  ein  Gehülfe 
durch  einen  seitlichen  Druck  auf  die  Darmbeine  ein  plözliches  und  zu 
starkes  Auseinanderweichen  der  Schambeine  zu  verhindern.  Die  nöthige 
Erweiterung  des  Beckens  bewirkt  man  dadurch  ,  dass  man  die  Schwan- 
gere die  Knie  in  die  Höhe  stellen  und  allmählig  nach  aussen  rollen  lässt, 
bis  zwischen  den  Schambeinen  ein  Raum  von  höchstens  21/2  Zoll  ent- 
steht ;  Gewalt  darf  dabei  nicht  angewendet  werden ;  wenn  die  Schambeine 
nicht  von  selbst  auseinander  weichen ,  so  sind  wahrscheinlich  die  hintern 
Darmbeinverbindungen  verknöchert.  Nach  Beendigung  der  Geburt,  wäh- 
rend welcher  man  einen  Gürtel  um  das  Becken  legt ,  hält  man  die  hinter 
der  Schamfuge   liegenden   Theile   mit   einem   Spatel   nieder,   bringt   die 


SCHAMLIPPE,  KRANKHT.  DEES.   ENTZUENDUNG.  835 

Schambeine  möglichst  genau  an  einander  und  erhält  sie  so  durch  um  das 
Becken  geführte  Heftpflaster  und  eine  Vereinigungsbinde  aneinander  ge- 
schlossen. Die  Wunde  wird  vereinigt  und  einfach  verbunden  ;  auch  die 
Knie  werden  durch  eine  Binde  zusammengehalten.  Die  Nachbehandlung 
wird  den  Umständen  angepasst.  Die  Schambeine,  welche  bisweilen  einen 
Zoll  von  einander  entfernt  bleiben,  verbinden  sich  durch  eine  hinreichend 
feste  Zwischenmasse  ;  bleiben  sie  ganz  unvereinigt ,  so  müssen  sie  fort- 
dauernd durch  eine  passende  Bandage  zusammengehalten  werden. 

Schamlippe,  Krankheiten  derselben.  Die  Schamlippen 
können  von  Entzündung  befallen  werden  und  der  Siz  einer  Reihe  von  Ge- 
schwülsten sein  ,  die  entweder  ohne  Veränderung  der  Hautfarbe ,  ohne 
Entzündungserscheinungen  auftreten ,  wie  die  Schamlippenbrüche  (siehe 
Bruch),  oder  mehr  oder  weniger  entzündlicher  Natur  sind.  Solche  sind  : 
ödematöse  Anschwellungen,  Blutgeschwülste,  Abscesse  (idiopathische  und 
Congestionsabscesse)  Milchmetastasen,  Blutaderknoten,  Neubildungen  ver- 
schiedener Art,  wie  abgegrenzte  Geschwülste  ,  warzenartige  Auswüchse, 
polypöse  Gewächse,  endlich  krebsige  Entartungen.  Ausserdem  beobach- 
tet man  chronische  Exantheme ,  Verwachsungen ,  so  wie  eine  excessive 
Bildung  der  Lefzen. 

Die  Entzündung  der  Lefzen,  Inflammatio  vulvae, 
Nymphitis  zeigt  die  gewöhnlichen  Erscheinungen  der  Entzündung : 
Schmerz  beim  Berühren  und  Gehen,  Röthe ,  Hize ,  Geschwulst.  Oft  ist 
nur  die  Schleimhaut  der  Lefzen,  andere  Male  sind  aber  auch  die  tieferen 
Theile  derselben  ergriffen.  Im  erstem  Falle  ist  die  Entzündung,  meistens 
weniger  heftig ,  geht  gern  in  einen  chronischen  Zustand  über  und  gibt 
Veranlassung  zu  langwierigen  Schleimflüssen  ;  im  zweiten  erfolgt  baldige 
Zertheilung  oder  bei  heftiger  oder  fortwirkender  Ursache  Abscessbildung, 
selbst  Brand,  wodurch  leicht  grössere  oder  kleinere  Zerstörungen  entste- 
hen. Stärkere  Grade  pflanzen  sich  gern  auf  die  Harnröhre,  den  Kizler 
und  andere  benachbarte  Theile  fort.  —  Die  Ursachen  sind  gewöhnlich 
mechanische  :  Einschiebung  fremder  Körper  bei  Onanie,  roher  Beischlaf, 
schwere  Entbindung,  weisser  Fluss ,  syphilitische  Ansteckung ,  Flechten- 
schärfe, scrophulöse  Constitution.  —  Die  Behandlung  hat  vor  Allem 
wo  möglich  die-  Ursachen  zu  entfernen ,  was  bei  ruhigem  Verhalten  und 
mildernden  Mitteln  oft  zur  Beseitigung  des  Uebels  genügt.  Hohe  Grade 
von  besonders  in  die  Tiefe  greifenden  Entzündungen  erfordern  bisweilen 
allgemeine  und  örtliche  Blutentziehungen,  so  wie  innerlich  kühlende  und 
gelind  eröffnende  Mittel.  Daneben  erweichende  Bähungen  und  Um- 
schläge,  laue  Halbbäder  etc.,  so  wie  Ruhe  und  schmale  Kost.  —  Den 
häufig  zurückbleibenden  Schleimfluss  behandelt  man  mit  schwach 
adstringirenden  Flüssigkeiten  ;  bei  längerer  Dauer  wendet  man  stärker  ad- 
stringirende  Waschungen,  sodann  Waschungen  mit  Lösungen  des  salpeter- 
sauren Silbers  (gr.  ij — iij  auf  ^j)  oder  Höllenstein  in  Substanz  an. 

53* 


836         SCHAMLIPPE,  KRANKHT.  DERS.  EXANTHEME. 

Abscesse  öffnet  man  bald  und  behandelt  sie  nach  allgemeinen 
Regeln ;  dasselbe  gilt  von  den  Congestionsabscessen  und  Milch- 
metastasen. 

Die  ödematösen  Anschwellungen  sind  meist  ein  Symptom 
der  Wassersucht  der  untern  Extremitäten ,  doch  kommen  sie  auch  allein 
vor,  wie  beim  Hodensack.  Man  kann  die  Schamlippen  mit  einer  Nadel 
anstechen  und  macht  trockene  aromatische  Fomentationen. 

Brand  der  Schamlippen  tritt,  ausser  nach  hochgradigen  Ent- 
zündungen ,  zuweilen  als  Complication  oder  als  Nachkrankheit  bei  Kin- 
dern mit  exanthematischen  Fiebern,  mit  Typhus  etc.  auf.  Oertlich  wen- 
det man  anfangs  Chlorkalkpulver  oder  Höllenstein,  später  Mineralsäuren, 
Aezkali  etc.,  besonders  aber  das  Glüheisen  an ,  um  dem  Umsichgreifen 
des  Brandes  Einhalt  zu  thun. 

Blutgeschwülste  der  Schamlippen  entstehen  meist  bei 
Geburten  in  Folge  der  Berstung  von  varicösen  Venen  und  erreichen  bis- 
weilen eine  ausserordentliche  Grösse.  Kleinere  kann  man  durch  aroma- 
tische Weinumschläge  zu  zertheilen  suchen ,  grössere  öffnet  man  durch 
einen  ergiebigen  Einschnitt,  entleert  das  Blutgerinnsel  und  macht  reini- 
gende Einsprizungen  ;  nötigenfalls  füllt  man  die  Höhle  mit  Charpie  aus. 

Chronische  Exantheme  breiten  sich  entweder  von  der  Um- 
gegend auf  die  äussern  Genitalien  aus  oder  sie  entstehen  an  diesen  und 
beschränken  sich  auf  dieselben.  Sie  sind  sehr  selten ,  treten  meist  nach 
dem  4  0 .  Lebensjahre  und  besonders  gern  bei  Fettleibigen,  bei  Unreinlichen, 
mit  Blenorrhoe  Behafteten  auf.  Bisweilen  knüpft  sich  ihr  Ausbruch  an 
die  Menstruation,  die  Schwangerschaft  oder  auch  das  Wochenbett.  Die 
gewöhnlichen  Formen ,  welche  zur  Beobachtung  kommen ,  gehören  dem 
Herpes,  dem  E  c  z  e  m ,  dem  Liehen  und  der  Prurigo  an.  Sie 
kommen  sowohl  an  der  Aussenseite  der  Genitalien ,  wie  auch  an  der 
Schleimhautfläche  zum  Ausbruch.  An  lezterem  Orte  führen  sie  nicht 
selten  zur  Excoriation  und  Geschwürsbildung.  Der  Ausbruch  ist  manch- 
mal von  Fieberbewegungen  und  gastrischen  Zufällen  begleitet.  Sie  ver- 
ursachen ein  lästiges  Jucken  und  Brennen,  bisweilen  bedeutende  Schwel- 
lung ,  Harnschmerz  und  Blennorhoe.  Schlimm  ist  der  Herpes  exe- 
d  e  n  s,  welcher  hier  bisweilen  grosse  Zerstörungen  anrichtet.  —  Behand- 
lung. Bei  manchen  Kranken  ist  ein  diätetisches  Verfahren  und  die 
Beseitigung  begleitender  Symptome  zur  Bekämpfung  des  Uebels  genü- 
gend. Bei  beträchtlicher  Schwellung  und  entzündlicher  Reizung  können 
topische  Blutentleerungen  in  der  Umgebung ,  Fomentationen  mit  schlei- 
migen und  öligen  Mitteln  mit  narkotischem  Zusaze  in  Anwendung  gezo- 
gen werden.  Bei  intensivem  Pruritus  zeigt  sich  bisweilen  der  örtliche 
Gebrauch  des  Kirschlorbeerwassers  ,  der  Blausäure  und  des  Bleiwassers, 
einer  Lösung  des  Morphium  sehr  nüzlich.  Bei  atonischem  Zustande  und 
grösserer  Hartnäckigkeit  müssen  Aezmittel  angewendet  werden ;  solche 
sind :  Sublimat,  Höllenstein  in  Auflösung,  lezterer  auch  in  Substanz,  Jod- 


SCHAMLIPPE,  KRANKHT.  DEES.   —  POLYPEN.  837 

tinktur ,  Kreosot ;  bei  intensiverer  Blenorrhoe  zeigen  sich  zusammenzie- 
hende Mittel,  Waschungen  mit  Rosenwasser ,  mit  Tanninlösung,  Lohex- 
tract,  mit  Go  u  1  ar  cl'schem  Wasser,  schwefelsaurer  Eisenlösung  wirksam. 
Bei  constitutionellen  Störungen  wird  eine  allgemeine  Behandlung  noth- 
wendig ,  welche  dem  constitutionellen  Leiden  entspricht.  Bei  Herpes 
exedens  ist  namentlich  Jodkali  und  Jodeisen  empfohlen.  —  Die  Kran- 
ken sind  sehr  vor  dem  Aufkrazen  der  juckenden  Stelle  zu  warnen,  da 
dieses  nicht  selten  zur  Masturbation  führt. 

Verwachsungen  können  die  grossen  Schamlippen,  so  wie  auch 
die  Nymphen  betreifen  und  angeboren  oder  erworben  sein.  Leichte  Ver- 
klebungen lassen  sich  zuweilen  auf  unblutige  Weise  durch  Auseinander- 
ziehen der  beiden  Schamlippen  trennen,  worauf  man  deren  Wiederverkleb ung 
durch  Einlegen  frischer  Charpie  und  sorgfaltiges  Reinigen  der  Theile 
vom  Harne  verhütet.  Bei  innigeren  Verwachsungen  der  Schamlippen  ist 
dagegen  ein  blutiges  Verfahren  nothwendig,  welches  darin  besteht ,  dass 
man  über  der  Mitte  der  Verwachsung  genau  in  der  Richtung  der  Median- 
linie mit  einem  spizen  Messer  einsticht  und  auf  der  nun  hinter  die  Ver- 
wachsung geführten  Hohlsonde  den  Schnitt  nach  hinten  und  vorn  verlän- 
gert. Wird  die  Vereinigung  durch  eine  beträchtliche  zelligfibröse  Zwi- 
schensubstanz vermittelt,  so  trägt  man  diese  ab.  Die  Nachbehandlung  ist 
die  oben  angegebene.  Bei  narbiger  Verengerung  und  Schrumpfung  der 
äussern  Scham  in  Folge  von  Brandwunden  kann  nur  durch  Hautüberpflan- 
zung ähnlich  wie  bei  der  Operation  des  verwachsenen  Mundes  Hülfe  ge- 
schafft werden. 

Die  Vergösserung  der  Nymphen  kann  die  Folge  eines  patholo- 
gischen Zustandes  oder  einer  einfachen  Hypertrophie  sein.  Dieser  ab- 
norme Zustand  fordert  bisweilen  deshalb  Abhülfe ,  weil  durch  die  anhal- 
tende Friction  dieser  Theile  durch  die  Kleider  und  durch  die  Schenkel, 
durch  häufiges  Benezen  mit  Harn  Beschwerden  hervorgerufen  werden  oder 
weil  durch  dieselben  für  die  Geschlechtsverbindung  Hindernisse  erwach- 
sen. Die  besagte  Abhülfe  besteht  in  der  Amputation  der  Nym- 
phen, welche  bei  dünnhäutiger  Beschaffenheit  derselben  in  der  einfachen 
Abtragung  der  über  die  Labia  majora  hervorragenden  Partie  mittels 
der  Scheere  bestehen  kann ,  während  bei  Verdickung  und  bedeutender 
Breite  der  Nymphen  das  Verfahren  von  Velpeau  empfehlenswerth  ist, 
wornach  vor  der  Amputation  an  der  Basis  der  Nymphen  Hefte  mittels 
feiner  Nadeln  durchgeführt  werden,  welche  nach  der  Abtragung  der  über- 
liegenden Partie  über  der  Amputationswunde  geknüpft  werden ,  wodurch 
die  Blutung  gemässigt  und  die  Wundfläche  verringert  wird.  Bei  dieser 
Abtragung  bedient  man  sich  des  Messers. 

Polypen  kommen  an  der  Schleimhautfläche  der  äussern  Genitalien, 
jedoch  nicht  sehr  häufig,  vor.  Fibröse,  sogenannte  sarkomatöse 
Geschwülste  finden  sich  etwas  häufiger  und  können  diese  einen  sehr 
bedeutenden  Umfang  erreichen.      Noch  häufiger  trifft  man  Cysten  mit 


838  SCHEIDENKRANKHEITEN.   ENTZUENDUNG. 

dem  verschiedenartigsten  Inhalte,  so  wie  Fettgeschwülste  an.  Alle 
diese  Neubildungen  zeigen  nichts  Abweichendes  von  den  gleichartigen 
Geschwülsten  *  an  andern  Körperstellen  und  lassen  sich  ihrer  grossen 
Zuo-änglichkeit  wegen  leicht  entfernen,  was  auf  die  bei  den  verschiedenen 
Geschwülsten  im  Allgemeinen  angegebene  Weise  geschieht. 

Krebsbildung  kommt  an  den  äussern  Genitalien  ziemlich  selten 
vor.  Der  primitive  Krebs  hat  seinen  Siz  gewöhnlich  in  dem  Gewebe  einer 
grossen  Schamlippe,  wo  er  einen  scharf  umschriebenen,  sich  allmälig  ver- 
grössernden  Knoten  bildet ,  der  mit  der  Zeit  unbeweglich  und  ungleich- 
förmig wird  und  endlich  unter  Erweichung  aufbricht  und  ein  Geschwür 
mit  harten  aufgeworfenen  Rändern  hinterlässt,  das  sich  immer  weiter  aus- 
breitet. —  Die  Exstirpation  ist  das  einzige,  höchst  zweifelhafte  Mittel, 

Scheid©,  Krankheiten  derselben.  Ausser  den  Verlezun- 
gen,  welche  an  einem  andern  Orte  (s.  Wunden)  ihre  Erledigung  finden, 
kommen  in  der  Scheide  Entzündungskrankheiten  mit  ihren  Ausgängen, 
Bildungs-  und  Entwicklungsfehler,  wie  Atresien,  Kloakenbildungen,  ferner 
Fisteln,  Dislocationen,  Brüche  und  Fremdbildungen  vor. 

Scheidenentzündung,  Inflammatio  vaginae.  Die 
häufigste  Form  von  Entzündung  ist  die  catarrhalische,  Colpitis, 
Elytritis,  Coleitis.  Der  Scheidenkatarrh  kann  entweder  ein  pri- 
märer oder  einfacher  gutartiger,  durch  locale  Reizung  (Onanie,  rohen 
Beischlaf,  Würmer,  Pessarien  etc.)  erzeugter  sein ,  oder  was  häufiger  der 
Fall  ist,  er  wird  durch  Trippercontagium  und  syphilitisches  Gift  hervor- 
gerufen, oder  er  begleitet  die  mannigfaltigsten  örtlichen  Krankheiten,  wie 
Geschwüre,  Afterbildungen  etc.  der  Scheide  ,  des  Uterus,  des  Mastdarms, 
der  Blase.  ■ —  Der  Catarrh  bietet  auf  der  Schleimhaut  der  Scheide  die- 
selben Kennzeichen  dar,  wie  auf  andern  Schleimhäuten  und  stellt  sich  da- 
selbst bald  in  der  acuten ,  bald  in  der  chronischen  Form  dar.  —  Den 
acuten  Scheidencatarrh  begleitet  bei  hochgradiger  Entzündung 
eine  intensive  kirschrothe  Färbung ,  beträchtliche  Schwellung  und  Auf- 
lockerung der  Schleimhaut,  welche  bei  unsanfter  Berührung  leicht  blutet, 
mehr  oder  weniger  schmerzhaft  ist  und  sich  wärmer  anfühlt.  In  einzel- 
nen Fällen  stösst  sich  hierbei  das  Epithelium  stellenweise  ab  und  es  bil- 
den sich  Excoriationen  ;  hierzu  gesellt  sich  eine  Vermehrung  und  patho- 
logische Veränderung  des  vorhandenen  Secrets.  Dieses  anfangs  von  se- 
röser Beschaffenheit  trübt  sich  später,  wird  undurchsichtig,  blenorrhoisch, 
eiterförmig  oder  auch  jauchig  mit  Epitheliumtrümmern ,  Bluttheilchen,  so 
wie  mit  dem  Secret  der  Talgdrüsen  vermengt ,  wozu  sich  noch  häufig  das 
fadenziehende  Secret  der  Gebärmutter  beimischt.  Dasselbe  ist  von  mil- 
derer oder  schärfer  Beschaffenheit  und  dadurch  mehr  oder  minder  schmerz- 
hafte Constrictionen  der  Vulva ,  Harn-  und  Stuhldrang ,  peinlicher  Pruri- 
tus und  Geschlechtsaufregung  bedingt. —  Der  chronische  Catarrh 
geht  entweder   aus    der  acuten  Form  hervor  oder  er  tritt  als  solcher  pri7 


SCHEIDENKRANKHEITEN»  ENTZUENDUNG.  839 

mär  auf.  Die  Schleimhaut  wird  selbst  bei  längerer  Dauer  nur  massig 
hypertrophirt,  missfarbig,  ist  reichlich  mit  varicösen  Gef  ässen  durchzogen 
und  bisweilen  stellenweise  excoriirt ,  erscheint  übrigens  blass  und  ist  mit 
einem  Gemenge  von  Eiter,  Blut,  glasartigem  Schleim  und  Epithelium  be- 
deckt ;  manchmal  ist  die  Schleimhaut  dunkelbraun  pigmentirt ,  andere 
Male  granulirt.  —  Nicht  selten  verknüpfen  sich  intensivere  catarrhalische 
Entzündungen  der  Scheide  mit  einem  gleichartigen  Uterusleiden.  Auch 
bei  der  chronischen  Form  bestehen  die  oben  namhaft  gemachten  Be- 
schwerden, wie  Neigung  zum  Wundwerden,  Pruritus,  Beschwerden  beim 
Gehen  ,  Schmerz  beim  Coitus.  —  Scrophulöse  Dyscrasie  gibt  häufig  zu 
diesem  Uebel  Anlass.  —  Bei  längerer  Dauer  des  Scheidenkatarrhs  bildet 
sieh  das  catarrhalische  Geschwür ;  auch  kann  derselbe  zur  Atresie  der 
Scheide  und  des  äussern  Muttermundes,  so  wie  in  Folge  der  Erschlaffung 
der  Vagina  zur  Intussusception  derselben  und  zum  Prolapsus  des  Uterus 
Veranlassung  geben.  —  Behandlung.  Bei  den  intensiveren  frischen 
Entzündungsfällen  ist  zunächst  die  Antiphlogose,  ein  strenges  diätetisches 
Regime  ,  insbesondere  ruhiges  Verhalten  im  Bette ,  das  geeignetste  Ver- 
fahren. Bei  bestehender  Uterusaffection  können  allgemeine  Blutentzie- 
hungen nöthig  werden ,  sonst  reicht  man  mit  Örtlichen  aus  ,  welche  am 
besten  in  der  Perinäalgegend  durch  Blutegel  bewirkt  werden.  Daneben 
wendet  man  Cataplasmen  auf  die  Schooss-  und  untere  Bauchgegend  an 
und  gibt  innerlich  kühlende  und  gelind  eröffnende  Mittel.  Bei  fort- 
dauernder acuter  Reizung  ,  grosser  Empfindlichkeit ,  intensiver  Röthung 
und  Schwellung  der  Theile  macht  man  häufige  Injectionen  mit  lauwarmen 
schleimigen  und  narkotischen  Flüssigkeiten  und  wenn  diese  nicht  genügen, 
zieht  man  das  salpetersaure  Silber  in  Substanz  oder  in  Lösung  (mit  Char- 
pie  applicirt)  in  Gebrauch.  Lezteres  Mittel  erweist  sich  auch  bei  Con- 
strictionen  des  Vaginalmundes  nüzlich.  —  Die  chronische  Form  erfordert 
neben  grosser  Reinlichkeit  und  Beseitigung  etwa  zu  Grund  liegender  Ur- 
sachen (Chlorose ,  Scrophulöse ,  Gicht,  Hämorrhoiden,  Würmer  etc.)  und 
durch  die  Lebensweise  bedingter  Störungen  des  Gesammtorganismus,  den 
Gebrauch  kühler  Sizbäder ,  massig  adstringirender  Waschungen  und  In- 
jectionen ,  wie  Lösungen  des  essigsauren  Bleies ,  des  salzsauren  oder 
schwefelsauren  Eisens,  des  Tannins.  Bei  grosser  Ausdehnung  des  Uebels 
und  reichlicher  Secretion  die  trockene  Tamponade  der  Scheide,  wozu  ge- 
krämpelte  Baumwolle  oder  Charpie  benuzt  wird ,  in  hartnäckigen  Fällen 
aber  mit  Hypertrophie  der  Vaginalwand  und  deren  Prolapsus  die  Einfüh- 
rung eines  mit  Alaun  bestreuten  Tampons,  welche  Tampons  man  mit  Hülfe 
des  Speculum  einführt.  Bei  vorhandener  grosser  Schmerzhaftigkeit  der 
ergriffenen  Theile,  bei  lästigem  Pruritus  ,  bei  Constriction  der  Vulva  oder 
sich  häufig  einstellender  Geschlechtsaufregung  sind  mit  diesen  Mitteln 
äusserlich  und  manchmal  auch  innerlich  die  Narcotica  zu  verbinden  und 
wo  diese  nicht  genügen ,  entspricht  bisweilen  eine  etwas  intensivere  Cau- 
terisation  mit  Höllenstein.     Gegen  Excoriationen  und  insbesondere  gegen 


840  SCHEIDENKRANKHEITEN.    —    FISTELN. 

drohende  Atresien  der  Genitalien  ist  nebstbei  das  Einlegen  von  Charpie- 
bäuschchen ,  welche  in  Bleiwasser  getaucht ,  oder  bei  grosser  Reizbarkeit 
mit  einer  milden  Salbe  bestrichen  sind ,  zu  empfehlen.  —  Neben  allem 
Diesen  sind  warme  Bäder  nicht  zu  versäumen.  —  Eine  croupöse  Ent- 
zündung der  Vagina  findet  sich  noch  am  häufigsten  beim  Puerperal- 
processe  im  Gefolge  des  Uterinalcroups  ;  bisweilen,  doch  höchst  selten,  er- 
scheint sie  secundär  bei  Typhus,  Exanthemen,  Pyämie.  Die  sich  in  Folge 
dieser  Entzündung  nicht  selten  bildenden  Abscesse  müssen  frühzeitig  ge- 
öffnet und  nach  allgemeinen  Regeln,  behandelt  werden. 

Scheiden  fisteln,  Fistulae  vaginales.  Die  anatomischen 
Verhältnisse ,  in  welchen  die  Scheide  zu  den  angrenzenden  Hohlgebilden 
steht ,  machen  es  erklärlich ,  dass  hier  pathologische  Verbindungen  vor- 
kommen. Die  Hohlgebilde ,  welche  mit  der  Scheide  in  Communication 
treten,  sind  der  Darmkanal  und  die  Harnblase,  welche  dann  ihre  Contenta 
in  die  Scheide  ergiessen.  Man  unterscheidet  diesem  nach  Darmfisteln 
und  Harnfisteln  der  Scheide.  Von  den  leztern  war  schon  bei  den  Harn- 
fisteln die  Rede ;  hier  werden  also  nur  die  in  die  Scheide  mündenden 
Darmfisteln  besprochen  werden.  —  Eine  Communication  des  Darmkanals 
mit  der  Scheide  kann  sich  sowohl  von  Seiten  des  dünnen  wie  des  dicken 
Darms  ergeben,  am  gewöhnlichsten  jedoch  ist  die  mit  dem  Endstücke  des 
Mastdarms,  wogegen  die  mit  dem  Dünndarme  zu  den  grössten  Seltenheiten 
gehören.  Da  die  leztere  überdies  kein  einen  Erfolg  versprechendes  Ver- 
fahren gestattet ,  so  kann  eine  nähere  Besprechung  dieser  Form  füglich 
unterlassen  und  diese  der  häufiger  vorkommenden  Mastdarmscheidenfistel 
zugewendet  werden.  —  Die  Mastdarmscheiden fistel,  Fistula 
recto-vaginalis  kann  die  Folge  sein  von  Verlezungen  des  Mastdarms 
und  der  Scheide  bei  schweren  Geburten  ,  von  fremden  Körpern  im  Mast- 
darme, von  Ulcerationen ,  welche  die  Wandungen  des  Mastdarms  und  der 
Scheide  zerstören  oder  von  Abscessen,  die  zwischen  beiden  gelegen,  nach 
beiden  Richtungen  perforiren.  Am  häufigsten  sind  sie  Ueberreste  des 
durch  die  Naht  nicht  gänzlich  vereinigten  zerrissenen  Damms  und  des 
Mastdarms.  —  Die  Erscheinungen  der  Mastdarmscheidenfisteln  sind 
unwillkürlicher  Abgang  von  Fäcalstoffen  und  von  Darmgas  durch  die  Va- 
gina ,  Reizung  der  Umgebung  der  Fistel  durch  die  abfliessenden  Fäcal- 
stoffe,  Bildung  von  Kothabscessen  am  Perinäum  u.  s.  w.  —  Die  Fistel 
kann  von  verschiedener  Grösse  und  Form  sein ,  zeigt  sich  bald  cal- 
lös,  bald  weich  und  sizt  bald  dicht  über  dem  Damm,  bald  höher  oben.  — 
Die  Heilung  der  Fistel  ist  immer  schwierig,  da  sie  durch  die  Dünnheit 
der  durchbrochenen  Wandungen ,  durch  ihr  Bedecktsein  mit  Schleimhaut 
auf  beiden  Seiten,  durch  die  sich  stets  aus  dem  Mastdarm  in  die  Scheide 
drängenden  Excremente  und  Winde  erschwert  wird.  Trozdem  sind  meh- 
rere Naturheilungen  dieser  Fistel  bekannt.  Von  operativen  Methoden 
wurden  empfohlen  :  die  Caute  risation,  die  Naht,  die  Durch- 
schneidung des  Sphincters,  die  Unterbindung,  das  Haar- 


SCHEIDENKKANKIIEITEN.    —   GESCHWUELSTE.  841 

seil,  die  Autoplastik  und  die  Compression.  —  Die  Caute- 
risation, welche  nur  bei  kleinen  Fisteln  passt,  geschieht  am  besten  mit 
dem  Glüheisen.  Man  äzt  zuerst  im  Mastdarm  mit  Höllenstein  und  einen 
Tag  später  in  der  Scheide  mit  einem  flachkugeligen  Eisen  ,  mit  welchem 
man  die  Umgegend  brennt ,  während  man  den  Fistelring  mit  einem  klei- 
nen hakenförmigen  Glüheisen  inwendig  umgeht.  Mastdarm  und  Scheide 
werden  dann  mit  Charpie  ausgestopft.  Die  eiternde  Wunde  verbindet 
man  bald  mit  einer  milden,  bald  mit  einer  reizenden  Salbe  bis  zur  Schlies- 
sung der  Oeffnung.  Heilt  ein  callöser  Rand  nicht ,  so  greift  man  aber- 
mals zum  Glüheisen  oder  wendet  die  Schnür-  oder  Knopfnaht  an.  ■ —  Die 
Naht  wurde  schon  auf  verschiedene  Weise  mit  wechselndem  Erfolg  in 
Anwendung  gezogen.  Bei  etwas  grösseren  spaltenförmigen  Fisteln  ist 
die  Knopfnaht  am  zweckmässigsten.  Man  trägt  die  mit  einem  feinen 
Häkchen  erhobenen  Fistelränder  ab,  führt  kleine  stark  gekrümmte  Nadeln 
mittels  eines  Nadelhalters  durch  dieselben  und  verknüpft  dann  die  einge- 
zogenen Fäden.  Schliesslich  füllt  man  den  untern  Theil  des  Mastdarms 
und  der  Scheide  mit  Charpie  aus.  In  der  ersten  Zeit  constipirt  man  die 
Kranke  mit  Opium  und  gibt  wenig  Nahrung.  Ist  die  Operation  theilweise 
oder  ganz  misslungen,  so  entfernt  man  die  Suturen  und  cauterisirt ,  wenn 
die  Oeffnung  klein  ist ,  oder  wiederholt  die  Naht  bei  einer  grösseren.  — 
Bei  kleinen  Oeffnungen  empfiehlt  sich  die  Schnürnaht  in  Verbindung  mit 
der  Cauterisation.  Auch  die  umwundene  und  die  Kürschnernaht  wurden 
versucht.  —  Die  Durchschneid ung  des  Sphincters  wurde  in 
Verbindung  mit  der  Naht  und  der  Cauterisation  in  Anwendung  gebracht. 
Bei  diesem  Verfahren  überhäuten  aber  die  getrennten  Theile  gern.  — 
Die  Unterbindung  wird  wie  bei  der  completen  Mastdarmfistel  ausge- 
führt. —  Das  H  a  a  r  s  e  i  1  wurde  von  B  a  r  t  o  n  einmal  mit  Glück  ange- 
wendet. —  Die  Autoplastik  besteht  nach  vorausgegangener  Auf- 
frischung der  Fistelränder  in  der  Anlegung  von  Knopfnähten  und  darauf 
folgenden  Längen-  und  Transversalincisionen  in  die  hintere  Vaginalwand, 
um  die  Weichtheile  zu  erschlaffen.  Auch  hat  man  vorgeschlagen  ,  eine 
Scheidenhaut  in  die  Oeffnung  zu  transplantiren.  —  Die  Compression 
wurde  theils  mit  zangenartigen  Instrumenten  ,  welche  die  Fistel  von  dem 
Mastdarm  und  der  Scheide  aus  zusammendrückten  (C  ul ler  i  er),  theils 
mit  durchlöcherten  Platten  von  Elfenbein  ,  die  über  beiden  Mündungen 
der  Fistel  durch  eine  Naht  vereinigt  wurden  (N  e  1  a  t  o  n)  ,  ins  Werk 
gesezt. 

Scheidengeschwülste.  —  a)  Polypen.  Die  hier  vorkom- 
menden Polypen  sind  gewöhnlich  sogenannte  Schleimpolypen ,  kommen 
selten  und  dann  meistens  vereinzelt  vor  und  erreichen  selten  eine  ansehn- 
liche Grösse.  Sie  können  in  jeder  Gegend  der  Vagina  wurzeln ,  werden 
aber  am  häufigsten  an  ihrer  hintern  Wand  beobachtet.  Sie  sind  meist 
dünngestielt  und  von  birnf  örmiger  Gestalt.  —  So  lange  sie  innerhalb  der 
Scheide   verweilen ,   erregen   sie  so  wenig  Beschwerden ,    dass  die  Kranke 


842  SCHEIDENKKANKHEITEN.   GESCHWUELSTE. 

von  dieser  Abnormität  häufig  gar  nichts  ahnt.  Erst  dann,  wenn  die  zu- 
nehmende Geschwulst  in  den  Vaginalmund  tritt,  werden  die  Kranken  die- 
selbe gewahr  und  durch  das  unangenehme  Gefühl  des  Hervorgleitens 
eines  Körpers  aus  den  Genitalien  belästigt  und  bei  der  Vollführung  des 
Coitus  gehindert.  Hierzu  gesellen  sich  bisweilen  schmerzhafte  Zerrung 
in  der  Beckengegend  ,  Blenorrhoe ,  und  wenn  der  Polyp  an  der  vordem 
Wand  haftet,  Harndrang.  —  Eine  Verwechslung  mit  Uteruspolypen, 
Prolapsus  vaginae,  ungewöhnlich  grossen  Condylomen  oder  ander- 
artigen breitaufsizenden  Vegetationen,  Cysten ,  krebshaften  Wucherungen 
etc.  ist  bei  genauer  Untersuchung  nicht  wohl  möglich. . —  Behand- 
lung. Diese  ist  höchst  einfach ,  indem  die  sehr  zugänglichen  Afterpro- 
ducte  durch  die  Ligatur  oder  durch  Abschneiden  leicht  zu  entfernen  sind. 
b)  Fibröse  Geschwülste.  Auch  diese  sind  eine  seltene  Erschei- 
nung ,  wenn  sie  aber  auftreten ,  so  können  sie  bisweilen  eine  bedeutende 
Grösse  erreichen.  Sie  haben  ihren  Siz  in  der  Faserhaut  der  Scheide  und 
bilden  meist  rundliche  oder  abgeplattete  harte  Geschwülste ,  welche  ent- 
weder in  gleicher  Weise  in  die  Beckenhöhle  und  in  den  Scheidenkanal 
protuberiren  oder  sich  vorzugsweise  in  lezterer  Richtung  entwickeln.  In 
seltenen  Fällen  erheben  sie  sich  immer  mehr,  nehmen  eine  gestielte  Form 
an  und  ragen  polypenähnlich  aus  der  Vagina  hervor.  —  Die  Symptome 
dieser  Fibroide  sind,  so  lange  sie  noch  nicht  sehr  umfangreich  geworden 
sind,  von  sehr  untergeordneter  Bedeutung ;  werden  sie  dagegen  beträcht- 
lich gross ,  so  treten  Zufälle  der  Zerrung  und  der  Compression.  der  be- 
theiligten Gebilde  auf.  Die  Behandlung  kann  nur  in  der  Exstirpa- 
tion  dieser  Geschwülste  bestehen ,  welche  aber  nur  möglich  ist ,  wenn  sie 
mehr  oder  weniger  beweglich  und  leicht  zugängig  sind.  ■ —  c)  Cysten 
und  Fettgeschwülste.  Ebenso  selten,  wie  die  vorher  erwähnten 
Fremdbildungen  sind  die  Cysten  der  Vagina,  namentlich  die,  welche  sich 
in  den  Wandungen  der  Scheide  selbst  entwickeln.  Etwas  häufiger  trifft 
man  sie  in  dem  umgebenden  Zellgewebe  der  Scheide.  Sie  wachsen  sehr 
langsam  und  erregen  deswegen  nur  wenig  Beschwerden.  Sie  sind  von 
verschiedenem  Inhalte.  —  Behandlung.  Kleine  Cysten  und  Fett- 
geschwülste lässt  man  am  besten  unberührt ,  grössere  entfernt  man  durch 
das  Messer.  —  d)  K  r  e  b  s.  Der  Krebs  der  Scheide  ist  gewöhnlich  ein 
fortgeleiteter,  vom  Cervicaltheile  des  Uterus  ausgehender ,  sehr  selten  ein 
primitiver  ;  lezterer  kann  sowohl  ein  fibröser  als  ein  medullärer  sein,  welche 
beide  Formen  manche  Eigentümlichkeiten  darbieten.  Der  fibröse  Krebs 
bietet  Knollen  und  Auswüchse,  welche  hahnenkammförmige,  auchkolbige, 
derbe  Excrescenzen  bilden.  Bei  medullärer  Infiltration  erheben  sich 
bisweilen  zahlreiche,  leicht  blutende,  warzige  oder  polypenähnliche  Wu- 
cherungen ,  welche  manchmal  den  ganzen  Scheidenkanal  ausfüllen.  Mit 
diesem  Uebel  sind  verschiedene  Beschwerden  ,  Dysurie ,  erschwerte  De- 
fäcation,  Hämorrhoidalzufälle,  Schmerzen  in  einer  oder  der  andern  Becken- 
seite oder  in  den  untern  Extremitäten,  so  wie  Oedeme,  Excoriationen  der 


SCHEIDENKRANKHEITEN.    —   GESCHWUERE.  843 

Genitalien  etc.  verbunden.  —  Behandlung.  Diese  kann  in  den  mei- 
sten Fallen  nur  in  einer  Mässigung  der  genannten  Zufälle  bestehen.  Zu 
diesem  Zwecke  macht  man  reichliche  Einsprizungen  von  schleimigen  oder 
narkotischen  Flüssigkeiten,  von  Blei-  und  Kalkwasser;  ferner  leitet  man 
Jaucheherde  in  der  Umgebung  der  Vagina  nach  aussen  ab  ,  sezt  hei  Hä- 
morrhoidalbeschwerden  Blutegel,  sorgt  für  gehörigen  Stuhlgang  und  ord- 
net daneben  eine  geeignete  Diät  an. 

Scheidengeschwüre.  Auf  der  Schleimhaut  der  Scheide  trifft 
man  von  Geschwüren :  das  catarrhalische  Folliculargeschwür ,  das  soge- 
nannte phagedänische  und  das  syphilitische  Geschwür.  —  Das  catar- 
rhalische oder  folliculäre  Geschwür  findet  sich  am  häufigsten 
unmittelbar  hinter  dem  Scheideneingange ,  doch  auch  am  Grunde  der 
Scheide ,  selten  am  übrigen  Theile  derselben.  Es  ist  rund ,  hat  dünne, 
schlaffe,  unterminirte ,  blassgraue  Ränder  und  eine  mit  dünnem  Eiter  be- 
deckte Basis.  Durch  den  Zusammenftuss  mehrerer  solcher  Geschwüre 
entsteht  eine  weite  buchtige  Geschwürsfläche ,  mit  atonischem  oder  ere- 
thischem Charakter.  Befällt  ein  solches  ausgebreitetes  Geschwür  das 
Scheidengewölbe  und  greift  es  von  hier  auf  die  Vaginalportion  des  Uterus, 
so  hat  man  das  sogenannte  phagedänische  Geschwür  des  Mutter- 
mundes ,  welches  sich  also  vom  catarrhösen  Geschwür  nur  darin  unter- 
scheidet ,  dass  es  an  der  Vaginalportion  sizt.  Bei  der  Heilung  des  folli- 
culären  Scheidengeschwürs  bildet  sich  eine  strahlige ,  unregelmässige, 
glänzende  Narbe  ,  welche  nicht  selten  eine  Verengerung  der  Scheide  und 
selbst  eine  Verwachsung  derselben  herbeiführt.  —  Das  syphilitische 
Geschwür,  der  Schanker,  tritt  an  den  weiblichen  Genitalien  in 
seinen  beiden  Arten,  d.  h.  als  primärer  und  secundärer  auf,  und  zeigt 
ebenso  die  verschiedenen  Formen  dieser  Geschwüre,  nämlich:  die  einfache, 
die  indurirte  oder  Hunter  'sehe  und  die  phagedänische  Form.  Er  findet 
sich  mehr  an  den  äussern  Theilen  der  Vulva  als  im  Innern  der  Scheide  ; 
oberhalb  des  Scheideneingangs  gehört  er  zu  den  grössten  Seltenheiten. 
Das  Charakteristische  der  Schankergeschwüre ,  der  aufgeworfene  scharfe 
Rand,  der  speckige  Grund,  die  umgebende  Kupferröthe,  ihre  meist  runde 
Form  etc.  unterscheiden  sie  von  den  übrigen  hier  vorkommenden  Ge- 
schwüren. —  Behandlung  des  catarr haiischen  Geschwürs. 
Diese  kommt  mit  derjenigen  des  chronischen  Catarrhs  der  Scheide  über- 
ein, wobei  es  nur  nöthig  ist,  neben  den  dort  angegebenen  Inj ectionen  die 
angeführten  Substanzen  mittels  Charpie  in  beständigem  Contact  mit  dein 
Geschwür  zu  erhalten.  —  Die  drohende  Atresie  bekämpft  man  durch  das 
Einlegen  von  Charpiewieken.  —  Bei  dem  syphilitischen  Ge- 
schwüre genügt,  wenn  es  primär  ist,  eine  örtliche  Behandlung,  welche 
von  einer  allgemeinen  nur  so  weit  zu  unterstüzen  ist ,  als  hierdurch  die 
örtliche  Wirkung  der  Heilmittel  gefördert  wird.  Eine  wichtige  Bedin- 
gung für  den  Fortschritt  der  Heilung  ist  ruhiges  Verhalten  im  Bette,  die 
grösste  Reinlichkeit  und  eine  entsprechende  Diät.  Die  verschiedenen  Formen 


844  SCHEIDENKRANKHEITEN.  ATRESIEN. 

der    Schanker    fordern    die    in    dem    Artikel    Syphilis    angegebenen 
Mittel. 

Scheide nver Schliessung  und  Verengerung.  Die  Ver- 
se h  1  i  e  s  s  u  n  g  der  Scheide,  Atresia  vaginae,  ist  entweder  Feh- 
ler der  ersten  Bildung  oder  später  durch  Verwachsung  entstanden.  Im 
ersten  Falle  kann  die  Verschliessung  bedingt  sein  (abgesehen  von  der 
Verwachsung  der  Schamlippen ;  s.  diesen  Artikel)  durch  das  Hymen 
(Atresia  hymenaea),  welches  ohne  Oeffnung  und  zugleich  in  seiner 
Structur  derber  und  fester  ist ,  oder  durch  eine  ähnliche  häutige  Ver- 
schliessung mehr  oder  weniger  hoch  in  der  Scheide  (Atresia  vaginae 
membranacea),  oder  der  Eingang  dieser  ist  von  einer  fleischigen 
Masse  verschlossen.  —  In  dem  zweiten  Falle  ist  die  Verwachsung  die 
Folge  von  Ulcerationen  und  Verlezungen  der  Wandungen  der  Scheide. 
—  Die  angeborne  Verschliessung  der  Scheide  wird ,  wenn  nicht  zugleich 
die  Harnröhrenmündung  verschlossen  ist,  selten  vor  der  Pubertät  entdeckt. 
Es  entstehen  alsdann ,  wenn  die  monatliche  Reinigung  eintritt ,  Rücken- 
schmerzen, ein  Drücken  ,  Spannen  ,  eine  Schwere  in  den  Geburtstheilen, 
Ausdehnung  des  Unterleibs,  öfterer  Drang  zum  Urinlassen,  beschwerlicher 
Stuhlgang  etc.  ,  und  die  Reinigung  kommt  nicht  zum  Vorschein.  Diese 
Beschwerden  erscheinen  anfangs  nur  alle  vier  Wochen  und  verlieren  sich 
wieder.  Endlich  aber ,  wenn  die  Anhäufung  des  Blutes  bedeutend  wird, 
verschwinden  diese  Beschwerden  nicht  mehr,  sondern  vermehren  sich  alle 
vier  Wochen  und  verbinden  sich  mit  allgemeinen  Zufällen,  wie  Beängsti- 
gungen, Schmerzen  im  Unterleibe,  Schwindel,  Schlaflosigkeit,  wehenartiges 
Drängen  gegen  die  Geburtstheile.  Wird  dem  angehäuften  Blute  kein 
Ausfluss  verschafft ,  so  kann  es  sich  endlich  einen  Weg  durch  die  F  a  1  - 
lopi'schen  Röhren  in  die  Unterleibshöhle  bahnen,  oder  es  kann  sich  die 
Menstruation  auf  einem  ungewöhnlichen  Wege  einstellen.  Die  örtliche 
Untersuchung  der  Scheide  lässt  das  Uebel  leicht  entdecken.  Wo  die 
Verschliessung  durch  das  Hymen  oder  eine  blosse  Haut  bedingt  ist ,  zei- 
gen sich  diese  durch  das  angesammelte  Blut  sackförmig  ausgedehnt,  her- 
abgedrückt und  fluetuirend.  —  Die  Verengerung  der  Scheide, 
Strictura  vagina,  erstreckt  sich  entweder  durch  die  ganze  Scheide, 
oder  sie  ist  nur  auf  eine  Stelle  beschränkt.  Im  ersten  Falle  ist  sie  Folge 
einer  gehemmten  Entwicklung  dieser  Theile ,  in  dem  zweiten  gewöhnlich 
die  Folge  von  Verlezungen  der  Scheide  mit  Substanzverlust,  bei  schweren 
Geburten,  wenn  ein  Theil  durch  Brand  zerstört  ist,  bei  Ulcerationen  ,  wo 
sich  bei  der  Narbenbildung  der  Kanal  der  Scheide  zusammenzieht ,  oder 
es  bilden  sich  bandartige  Streifen  oder  partielle  Verwachsungen.  Ander- 
weitige Verengerungen  sind  solche  ,  wenn  in  einer  verschliessenden  Haut 
oder  in  dem  Hymen  kleine  Oeffnungen  sind  ,  lezteres  dazu  noch  von  un- 
gewöhnlich fester  Beschaffenheit.  Die  Verengerung  der  Scheide  kann 
dem  Abflüsse  des  Menstrualblutes ,  dem  Beischlafe  hinderlich  sein.  — 
Die   Behandlung   der  Verschliessung  der  Scheide  besteht  in 


SCHEIDENKRANKHEITEN.  VORFALL.  845 

der  Eröffnung  derselben  bis  zu  dem  Grade ,  dass  sie  ihren  Functionen 
vorstehen  kann,  und  in  der  Verhinderung  der  Wiederverwachsung.  Bei 
vollständig  geschlossenem  Hymen  sticht  man  ,  während  ein  Gehülfe  die 
Schamlefzen  auseinander  hält,  dasselbe  mit  der  Lancette  oder  einem  Troi- 
cart  in  seinem  Mittelpunkte  oder  hervorragendsten  Theile  durch  und  er- 
weitert die  Oeffhung ;  ist  die  Membran  sehr  dick ,  so  spaltet  man  sie  ins 
Kreuz  und  trägt  die  vier  Lappen  ab.  Ist  kein  Menstrualblut  hinter  dem 
Hymen  ,  so  muss  man ,  um  die  Harnröhre  zu  vermeiden  ,  in  diese  einen 
Catheter  legen  und  mit  dem  convexen  Bistouri  mittels  seichter  Schnitte 
die  Membran  durchdringen.  Bei  Verwachsung  der  Scheide  in  der  Tiefe 
führt  man  den  beölten  Zeigefinger  bis  zur  verwachsenen  Stelle,  sezt  ihn 
auf  den  Mittelpunkt  derselben,  leitet  ein  gerades,  schmales,  bis  gegen  die 
Spize  umwickeltes  Messer  oder  das  Pharyngotom  oder  Oslanders  Hy- 
sterotom  ein  und  stösst  es  in  der  Richtung  des  Scheidenkanals  durch  die 
verschlossene  Stelle.  Die  Stichöffnung  erweitert  man  auf  der  Sonde  oder 
dem  Finger ,  wobei  man  sich  vom  Mastdarm  und  von  der  Blase  fern  hal- 
ten muss.  Nach  der  Eröffnung  sprizt  man  laues  Wasser  und  erweichende 
Decocte ,  bei  üblem  Gerüche  mit  einem  Zusaze  von  Myrrhentinktur  ein, 
was  man  später  mit  einem  Chinadecocte  mit  Essig,  Camphergeist  etc.  ver- 
tauscht. Zur  Verhütung  des  Wiederverwachsens  bringt  man  eine  gehörig 
dicke  beölte  Charpiewieke  in  die  Scheide.  Tritt  Verengerung  ein ,  so 
wirkt  man  ihr  mit  Quellschwamm  entgegen.  Etwa  eintretende  entzünd- 
liche oder  krampfhafte  Reizung  behandelt  man  nach  allgemeinen  Regeln. 
—  Bei  der  Verengerung  der  Scheide  durch  theilweise  verschliessende 
Membranen  bringt  man  in  die  Oeffnungen  dieser,  z.  B.  des  Hymens,  eine 
Hohlsonde  und  spaltet  sie  mit  dem  geknöpften  Messer  in  angemessener 
Ausdehnung.  Bei  tiefer  sizenden  Häuten  verfährt  man  auf  die  oben  ange- 
gebene Weise.  Querlaufende  Streifen  trennt  man  mit  einer  stumpfspizi- 
gen  Scheere  unter  Leitung  des  Fingers.  Ist  die  Mutterscheide  nur  ver- 
engt, so  muss  sie  unblutig  erweitert  werden,  wozu  man  sich  der  gesalbten 
Charpiewieken,  der  Bougies,  des  Pressschwamms,  weniger  gut  metallener 
Röhren  und  stellbarer  Dilatatoren,  z.  B.  des  Weiss 'sehen  bedient.  — 
Bei  erfolgenden  Geburten  dehnt  sich  eine  solche  verengte  Scheide  ge- 
wöhnlich in  dem  nöthigen  Grade  aus  ;  sollte  dies  indessen  nicht  geschehen, 
so  kann  man  die  verengte  Stelle  seitlich  einschneiden  oder  auch  einen 
Schnitt  in  das  Mittelfleisch  führen. 

Scheidenvorfall,  Prolapsus  vaginae,  nennt  man  den 
Zustand ,  wo  der  häutige  Scheidenkanal  ganz  oder  zum  Theil  zwischen 
oder  vor  die  Schamlefzen  tritt.  —  Der  Vorfall  ist  entweder  vollstän- 
dig oder  unvollständig,  je  nachdem  die  Mutterscheide  in  ihrem 
ganzen  Umfange  oder  nur  eine  Stelle  an  der  einen  oder  der  andern,  ge- 
wöhnlich der  vordem  Seite  herabsinkt.  — -  Symptome  und  Diagnose. 
Bei  dem  allmälig  entstehenden  Vorfall  empfinden  die  Kranken  zuerst  eine 
ungewohnte  Vollheit  im  Becken,  mit  dem  Gefühl,  als  wolle  etwas  aus  der 


846  SCHIENEN. 

Mutterscheide  herausfallen.  Die  weiteren  Zeichen  bestehen  in  Störung 
der  Functionen  des  Mastdarms  und  der  Blase,  welche  eine  lästige  Zerrung 
erleiden.  Hierdurch  ist  ein  fortwährender  Harndrang  oder  schmerzhaftes 
Harnen,  ebenso  ein  lästiger  Drang  zum  Stuhlgang  bedingt.  —  Der  un- 
vollkommene Scheidenvorfall  bildet  einen  blinden  Sack  ohne  eine 
Oeffnung ,  neben  welchem  man  den  Finger  in  die  OefFnung  der  Scheide 
einführen  kann.  Der  vollkommene  Vorfall  zeigt  sich  als  ein  der  in- 
nern  Fläche  der  Scheide  an  Farbe  und  Weichheit  ähnlicher  Ring,  welcher 
bei  allmäliger  Verlängerung  eine  cylinderförmige  Gestalt  bekommt  und 
am  untern  Ende  eine  OefFnung  hat ,  in  welche  man  den  Finger  einführen 
und  den  Muttermund  fühlen  kann.  —  Bei  längerer  Dauer  der  Scheiden- 
vorfälle werden  sie  trocken  und  blässer,  auch  können  sie  sich  entzünden, 
in  Ulceration  übergehen  etc.  —  Ursachen.  Sie  sind  wiederholte 
Wochenbetten,  anhaltender  weisser  Fluss,  häufiger  Coitus,  Geschwülste  in 
der  Nachbarschaft  der  Scheide,  heftiges  Drängen  etc.  —  Behandlung. 
Die  Reposition  geschieht  leicht  mit  dem  beölten  Zeigefinger.  Bestehen- 
der entzündlicher  Zustand  muss  vorher  durch  Bäder ,  emollirende  Um- 
schläge ,  Rückenlage  etc.  beseitigt  werden.  Nach  der  Reposition  bringt 
man  Schwämme,  mit  adstringirenden  Substanzen  befeuchtet,  in  die  Scheide 
ein,  macht  Einsprizungen  mit  diesen  Mitteln  (z.  B.  Decoct.  quercus, 
Salicis,  hippocastani,  absinthii,  calami  aromatici  etc.) 
und  lässt  später  einen  Mutterkranz  tragen.  Bei  veralteten ,  auf  keine 
Weise  zurückzuhaltenden  Scheidenvorfällen  muss  man  seine  Zuflucht  zu 
den  bei  dem  Vorfall  der  Gebärmutter  angegebenen,  die  Verschliessung  der 
Scheide  bezweckenden  Operationen  nehmen. 

Schienen ,  Ferulae,  Assulae,  sind  längliche,  mehr  oder  we- 
niger feste  Verbandstücke,  welche  bestimmt  sind,  den  Theilen  eine  feste 
und  unverrückbare  Lage  und  Richtung  zu  geben  und  diese  darin  zu  er- 
halten. Sie  werden  aus  sehr  verschiedenem  Material  angefertigt  und  fin- 
den hauptsächlich  bei  Knochenbrüchen  und  Verkrümmungen  der  Knochen, 
so  wie  bei  Verkrümmungen  der  Glieder  durch  Contraction  der  Muskeln 
ihre  Anwendung.  Diejenigen  Schienen,  welche  gegen  gebrochene  Kno- 
chen angewendet  werden  ,  müssen  einige  Biegsamkeit  haben ,  &o  dass  sie 
sich  dem  kranken  Theil  in  etwas  anschmiegen ,  dürfen  aber  dabei  einer 
gewissen  Steifigkeit  nicht  entbehren ,  damit  sie  ihrem  Zwecke  gemäss  im 
Stande  sind,  die  gebrochenen  Knochen  in  unverrückter  Lage  zu  erhalten. 
Die  Schienen  dagegen ,  welcher  man  sich  bei  verkrümmten  Knochen  be- 
dient, müssen  durchaus  steif  und  unbiegsam  sein.  —  Die  Länge  und  Breite 
der  Schienen  richtet  sich  nach  der  Länge  und  Dicke  des  Glieds.  Die 
Länge  betreffend,  so  sind  namentlich  bei  Knochenbrüchen  zu  kurze  Schie- 
nen nicht  im  Stande,  das  gebrochene  Glied  in  ganz  unverrückter  Lage  zu 
erhalten,  sie  müssen  daher  immer  von  einem  Ende  des  gebrochenen  Theils 
bis  an  das  andere  oder  über  dieses  hinausreichen ;  bei  Brüchen  des  Ober- 


8CHIENEN.  847 

Schenkels  reicht  sogar  eine  solche  Länge  nicht  hin ,  sondern  sie  müssen 
vom  Hüftgelenk  bis  über  den  Fuss  gehen.  —  Die  Breite  der  Schienen 
richtet  sich  nach  der  Dicke  des  Gliedes ;  es  sind  übrigens  schmälere 
Schienen,  von  2  bis  3  Querfinger  Breite  ,  zweckmässiger  als  ganz  breite, 
sie  legen  sich  weit  besser  an  und  belästigen  viel  weniger ,  nur  ist  es  nö- 
thig,  wenn  es  die  Dicke  des  Gliedes  erfordert,  mehrere  derselben  anzu- 
legen. —  Man  theilt  die  Schienen  in  biegsame  und  unbiegsame. 
Zu  den  b  ie  gs  amen  gehören  :  1)  die  Pf  1  as  t  er  s  chi  ene  n  ;  sie  be- 
stehen aus  einem  Stücke  Heftpflaster  von  der  erforderlichen  Länge  und 
Breite,  auf  welches  schmale  Holzspäne  (Schusterspäne)  in  kleinen  Zwischen- 
räumen geklebt  sind ,  die  hinwiederum  mit  einem  gleich  grossen  Stück 
Heftpflaster  bedeckt  werden ;  der  Rand  beider  ist  mit  einem  Pflasterstrei- 
fen besäumt.  Aehnlich  diesen  sind:  2)  die  Lederschienen  mit  auf- 
geleimten dünnen  und  schmalen  Holzstäbchen  von  Gooch  und  Mar- 
tini, 3)  die  F  is  chb  ein  s  chien  en  von  B  runs  und  L  ö  ff  ler ,  be- 
stehend aus  zwischen  zwei  Tücher  genähten  Fischbeinstäbchen ;  4)  Rohr- 
schienen von  Bromfield,  wie  die  vorigen;  5)  Holzstäbchen- 
schienen von  L  a  u  r  e  r  ,  schmale  Lindenholzstäbchen  sind  durch  Bind- 
faden mit  einander  verbunden ;  6)  Gitterschienen  von  Braun,  aus 
Weidenstäbchen  und  7)  Schilfschienen  von  Assalini,  wie  die  von 
L  a  u  r  e  r  bereitet ;  alle  diese  Schienen  schmiegen  sich  den  Theilen  gut 
an,  sind  aber  umständlich  zu  bereiten.  8)  Schienen  von  Baum- 
rinde, wurden  früher  häufig  angewendet;  9)  Filzschienen  von 
Smith;  der  Filz  wird  in  Schellackfirniss  getaucht  und  vor  der  Applica- 
tion durch  Wasserdampf  geschmeidig  gemacht;  10)  Schienen  von 
elastis  chem  Harz  von  Picke  1 ;  sind  zu  nachgiebig  ;  11)  Gutta- 
perchaschienen; die  besten  Schienen ,  da  sie  sich  nicht  allein  dem 
Gliede  anpassen,  sondern  auch,  erkaltet,  die  nöthige  Resistenz  haben.  Vor 
der  Application  wird  die  gehörig  zugeschnittene  Schiene  in  heissem  Was- 
ser erweicht,  an  das  vorher  mit  Leinwand  umhüllte  fracturirte  Glied  mit- 
tels einer  Binde  gebunden  und  dann  kalte  Umschläge  um  das  Glied  ge- 
macht, um  die  weiche  Masse  schnell  hart  zu  machen  ;  bis  dies  geschehen, 
kann  man  bei  grosser  Neigung  des  Bruches  zur  Dislocation  das  Glied 
durch  hölzerne  Schienen  in  der  gegebenen  Lage  erhalten.  Sollen  diese 
Schienen  entfernt  werden,  so  werden  sie  mit  in  heisses  Wasser  getauchten 
Flanelllappen  umwickelt ,  wodurch  sie  sich  wieder  erweichen  und  dann 
leicht  abnehmen  lassen.  S.  Gutta  percha;  12)  Pappschienen, 
sind  die  am  häufigsten  in  Anwendung  kommenden;  sie  haben  den  Vortheil, 
dass  sie  sehr  wohlfeil,  für  jeden  betreffenden  Fall  leicht  zu  bereiten  sind, 
auch  dass  sie  sich  dem  Theil  genau  anschmiegen  ;  nur  werden  sie  durch 
Feuchtigkeit  erweicht  und  verlieren  dann  ihre  Widerstandsfähigkeit.  Man 
schneidet  sie  in  der  nöthigen  Form  und  Grösse  zu,  taucht  sie  flüchtig  in 
Wasser  und  legt  sie ,  nachdem  man  sie  in  Leinwand  eingehüllt  hat ,  an. 
Der  umgebende  Verband  passt   sie   dem  Gliede  gut  an  und  trocken  ge- 


848  SCHILDDRUESEN.   ENTZUENDUNG. 

worden  behalten  sie  die  angenommene  Form  bei.  Sharp  leimte 
Pappe  zusammen  und  versah  die  für  jedes  Glied  zubereitete  Schiene  an 
ihrer  Aussenseite  mit  Knöpfen  und  Riemen.  In  der  neuesten  Zeit  hüllt 
Carret  das  gebrochene  Glied  in  ein  einziges  grosses  Stück  nasse 
Pappe  ein,  welche  er  mit  einer  angefeuchteten  Rollbinde  befestigt.  13) 
Leder  schienen  von  H  o  f  e  r  und  Brünninghausen;  ersterer 
hämmert  sie  nach  der  Form  des  Gliedes,  letzterer  Hess  sie  aus  gebrann- 
tem Leder  concav  bereiten,  auspolstern  und  mit  Schnallen  und  Riemen 
versehen ;  sie  sind  sehr  kostspielig  und  wiederstehen  der  Nässe  nicht. 
14)  Zinnschienen,  sie  legen  sich  nicht  genau  an;  15)  Stahl- 
schienen (englische  Schienen)  ,  bestehen  aus  zollbreiten  dünnen  Stä- 
ben ,  die  mit  Flanell  oder  Barchent  umwickelt  sind ;  sie  rosten  leicht ; 
16)  Blechschienen,  sie  werden  wie  die  vorigen  bereitet;  17)  Draht- 
schienen von  Mayor;  sie  bestehen  aus  einem  Rahmen  von  stärkerem 
Draht ,  welcher  mit  schwächerem  Draht  überflochten  wird ,  sie  sollen  2/3 
des  Glieds  der  Quere  nach  umfassen;  sie  schmiegen  sich  gut  an  und  wer- 
den mit  Verbandtüchern  befestigt.  —  Zu  den  unbiegsamen  Schienen 
gehören:  1)  die  Holz  schienen  nach  Theden,  Desaultu.  A.  ; 
man  bereitet  sie  aus  Fichten-,  Tannen-,  Linden-  und  Nussbaumholz  und 
wendet  sie  entweder  platt  oder  ausgehöhlt  an;  bei  ihrer  Anwendung  füllt 
man  die  Ungleichheiten  des  Gliedes  mit  Compressen ,  Werg ,  Spreukissen 
aus.  Diese  Schienen  sind  sehr  brauchbar ,  nur  müssen  sie  neben  der 
gehörigen  Stärke  die  hinreichende  Breite  und  Länge  haben;  gewöhnlich 
braucht  man  zwei ,  oft  von  ungleicher  Länge  ,  manchmal  nur  eine  oder 
auch  drei  oder  vier;  2)  die  Schienen  von  Weissblech  und  Kupfer 
werden  gewöhnlich  nur  bei  verkrümmten  Gliedern  angewendet,  in  welchem 
Falle  sie  aber  gut  gefüttert  sein  müssen ,  um  ihren  Druk  zu  mindern. 
Sie  sind  leicht  concav  und  an  der  äussern  Seite  mit  Klammern  zur  Auf- 
nahme der  Befestigungsriemen  versehen. 

Schilddrüse,  Krankheiten  derselben.  Da  von  den  Ge- 
schwülsten der  Schilddrüse  schon  in  dem  Artikel  Kropf  die  Rede  war, 
so  wird  hier  nur  von  der  Entzündung  dieser  Drüse  gesprochen  werden. 

Die  Entzündung  der  Schilddrüse,  Inflammatio  glan- 
dulae  thyreoideae  s.  Thyreoideitis ,  ist  eine  höchst  seltene  Krank- 
heit, welche  nicht  selten  als  entzündlicher  Kropf  (Struma  inflani- 
matoria)  bezeichnet  wird.  —  Symptome.  An  der  vordem  Seite  des 
Halses  entwickelt  sich ,  der  Lage  und  Gestalt  der  Schilddrüse  entspre- 
chend und  schnell  steigend ,  eine  rothe ,  heisse ,  besonders  bei  der  Be- 
rührung sehr  schmerzhafte  Anschwellung ,  welche  sich  rasch  auf  die  um- 
gebenden Theile  ausdehnt  und  mit  Athem-  und  Schlingbeschwerden 
verbunden  ist;  im  Verlaufe  der  Entzündung  gesellen  sich  Fieber,  Einge- 
nommenheit des  Kopfs ,  ein  lästiges  Klopfen  der  Halsarterien  und  Ohren- 
sausen hinzu.    —    Die  Krankheit  kann  sich   in   Zertheilung ,   dauernde 


SCHLEIMBEUTELWASSERSUCHT.   SCHLINGEN.  849 

Anschwellung,  Eiterung  und  Brand  endigen.  Die  Zertheilung  'erfolgt 
nur  bei  einer  zweckmässigen  Behandlung,  Eiterung  ist  selten;  der  in  der 
Tiefe  gebildete  Abscess  kann  in  die  Luftröhre  oder  in  den  Oesophagus 
durchbrechen  oder  sich  in  das  Mediastinum  senken;  noch  seltener  ist 
Brand.  Die  Ursachen  dieser  Entzündung  sind  vorzugsweise  plözliche 
Erkältungen,  auch  Quetschungen.  —  Die  Behandlung  muss  eine  streng 
antiphlogistische  sein  ;  daher  nach  Umständen  Aderlass ,  Blutegel ,  Cata- 
plasmen,  Einreibung  von  Queksilbersalbe ,  innerlich  salinische  Mittel,  be- 
sonders Nitrum  und  salinische  Abführmittel,  Calomel  etc.  Abscesse  müssen 
frühzeitig  geöffnet  werden.  —  Nicht  selten  kommen  auch  Abscesse 
der  Schilddrüse  ohne  vorausgegangene  Entzündungserscheinungen  in  Folge 
von  Typhus  und  Pyämie ,  namentlich  bei  Purperal-Pyämie  vor. 

SchleimbeutelwaSSerSUCht,  Hydrops  bursarum  mu- 
cosarum,  s.  Cysten  und  Wasser  balg  geschwulst  der  Knie- 
scheibe. 

Schlingen,  Laquei,  werden  gewöhnlich  bei  Verrenkungen  und 
Beinbrüchen  gebraucht,  um  vermittels  derselben  die  Ausdehnung  und  Ge- 
genausdehnung zu  machen ,  namentlich  in  solchen  Fällen ,  wo  der  Wider- 
stand der  Muskeln  sehr  gross  ist  und  die  Hände  der  Gehülfen  nicht 
ausreichen  ,  oder  der  Raum  nicht  gross  genug  ist ,  um  mehrere  Hände 
anbringen  zu  können.  —  Man  verwendet  zu  Schlingen  Handtücher,  Bän- 
der von  Zwirn ,  Barchent ,  Gurt  oder  Leder ,  gedrehte  oder  geflochtene 
Stricke  von  baumwollenem  Garn.  —  Vor  der  Anlegung  der  Schlinge 
muss  die  Haut  des  Gliedes  da ,  wo  die  Schlinge  angelegt  werden  soll, 
so  viel  als  möglich  zurückgezogen  und  die  Stelle  gut  mit  Compressen 
bedeckt  werden ,  damit  der  Druck  möglichst  gemindert  werde.  Zur  An- 
legung der  Schlinge  sucht  man  eine  solche  Stelle  aus ,  welche  derselben 
einen  festen  Halt  sichert  und  das  Abgleiten  verhindert.  Die  passendsten 
Orte  sind  über  den  Gelenken.  —  Es  gibt  mehrere  Arten ,  die  Schlingen 
anzulegen.  Folgende  sind  die  empfehlungswerthesten:  man  nimmt  ein 
4  bis  6  Ellen  langes  ,  drei  Finger  breites  ,  starkes  Band  oder  Handtuch, 
legt  es  so  auf  das  Glied,  so  dass  zwei  Schlingen  entstehen;  auf  jeder  Seite 
des  Glieds  hängt  eine  Schlinge  und  ein  Ende  des  Bandes  einander  gegen- 
über; hierauf  führt  man  unter  dem  Theil  weg  jedes  seiner  Schlinge 
gegenüberliegende  Ende  dieser  zu ,  steckt  es  durch  diese  durch ,  zieht 
es  an  und  übergibt  die  Enden  an  Gehülfen  oder  bindet  sie  zusammen 
und  bildet  dadurch  eine  Schleife ,  an  der  man  die  Gehülfen  ziehen  lässt. 
Will  man  die  gleiche  Schlinge  nur  einfach  machen,  so  bildet  man  nur 
eine  Schleife  und  steckt  beide  Enden  durch  diese.  —  Oder  man  bildet 
mit  dem  mittleren  Theil  eines  Bandes  um  das  Glied  einen  losen  Ring, 
neben  welchen  die  Bandenden  herabhängen ,  führt  dann  ein  Ende  durch 
den  hängenden  Theil  des  Rings  und  das  andere  Ende  in  entgegenge- 
sezter  Richtung  zwischen  jenem,  dasselbe  von  hinten  umgehend,  und 
Bürger,,  Chirurgie.  54. 


850  SCHROEPFEN. 

dem  Ringe  durch.  —  Oder  man  fasst  das  Glied  in  eine  halbe  Schlinge, 
so  dass  auf  einer  Seite  desselben  ein  kürzeres  und  auf  der  andern  ein 
längeres  Ende  sich  befindet ,  führt  dann  das  längere  Ende  nach  dem 
kürzeren ,  um  dieses  herum ,  und  wieder  nach  der  andern  Seite  ,  bildet 
hier  eine  freie  Halbschlinge ,  geht  dann  mit  dem  längern  Ende  gegen  das 
kürzere  um  das  Glied  herum  und  durch  die  freie  Halbschlinge.  Die 
Zugenden  müssen"  an  die  Seiten  des  Gliedes  zu  liegen  kommen. 

Schornsteinfegerkrebs,  s.  Ho  den  sack. 

Schreibekrampf,  s.  Fingerkrampf. 

Schröpfen,  Applicatio  cucurbitarum.  Man  unterschei- 
det das  unblutige  oder  trockene  Schröpfen,  Applicatio 
cucurb.  sine  incisione,  und  das  blutige  Schröpfen,  Appl.  cu- 
curb.  cum  incisione,  Cucurbitae  cruentae.  —  Das  trockene 
Schröpfen  (Schröpfen  im  engern  Sinne  des  Worts)  besteht  in  einer 
Anziehung  von  Blut  nach  irgend  einer  Hautstelle ,  welche  dadurch  ge- 
schieht ,  dass  man  vermittels  besonderer  Apparate ,  worin  eine  Luftver- 
dünnung bewirkt  wird ,  gewissermassen  einen  Saugapparat  in  Anwendung 
bringt.  —  Man  benutzt  das  Schröpfen  theils  um  eine  örtliche  Reizung 
hervorzubringen ,  theils  um  örtliche  Blutanhäufung  zu  bewirken  und  da- 
durch entfernten  Theilen  Blut  zu  entziehen,  oder  um,  wie  bei  vergifteten 
Wunden,  die  Resorption  des  Gifts  zu  verhindern.  —  Die  Apparate  zum 
Schröpfen  sind  sehr  verschieden.  Im  Allgemeinen  sind  es  hohle  gläserne 
oder  metallene  Gefässe  mit  einer  OefFnung ,  womit  dieselben  aufgesezt 
oder  durch  welche  ganze  Glieder  gesteckt  werden.  Die  Luft  wird  ent- 
weder durch  Wärme ,  oder  durch  Aussaugen ,  oder  mittels  eines  beson- 
dern Pumpwerks  verdünnt.  Ein  kleineres  Gefäss  nennt  man  Schröpf- 
kopf, Cucurbita,  Ventosa,  ein  grösseres  für  die  untern  Extremi- 
täten Schröpfstiefel.  Die  gewöhnlichen  Schröpfköpfe  sind  ver- 
schieden grosse ,  runde  cylinderförmige  Gefässe  von  der  Gestalt  einer 
Glocke ;  sie  sind  gewöhnlich  von  Glas ,  doch  gibt  es  auch  welche  von 
getriebenem  Messing.  Im  Nothfall  kann  ein  Tassenkopf  oder  ein  Trink- 
glas als  Schröpfkopf  benüzt  werden.  Der  Schröpf-  oder  Blechstiefel 
von  J  u  n  o  d  ist  ein  Apparat ,  welcher  die  Form  eines  Stiefels  hat  und 
an  seinem  obern  Ende  mit  einem  schnürbaren  Stück  Leder  versehen  ist, 
um  ihn  luftdicht  um  das  Glied  schliessen  zu  können ;  unter  dem  Knie 
ist  eine  Luftpumpe  angebracht  zur  Entfernung  der  Luft.  Die  Wirkung 
des  Juno  d'schen  Verfahrens  (H  a  e  m  o  s  p  a  s  i  e)  ist  eine  kräftige.  Aehn- 
liche  Apparate  wie  J  u  n  o  d  haben  Erpenbeck  und  B  o  n  n  a  r  d  ange- 
geben. —  Die  Application  der  Schröpfköpfe  geschieht  folgendermassen : 
man  steckt  mehrere ,  vorher  in  warmes  Wasser  getauchte  Schröpfköpfe 
einzeln  an  die  drei  lezten  Finger  der  linken  Hand ,  fasst  mit  deren  Dau- 
men und  Zeigefinger  eine  brennende  Lampe ,  nimmt  dann  jeden  Schröpf- 


SCHROEPFEN.  85 1 

köpf  einzeln  in  die  rechte  Hand,  benezt  die  Applicationstelle  durch 
kreisförmiges  Reiben  mittels  des  Schröpfkopfs,  und  macht  nun  denselben, 
ihn  einige  Augenblicke  über  der  Flamme  der  Lampe  haltend ,  genügend 
luftleer.  Sobald  man  glaubt ,  dass  das  hinlänglich  geschehen  sei ,  stülpt 
man  ihn  rasch  und  gleichsam  mit  einem  Wurfe  auf  die  bestimmte  Stelle, 
die  vorher,  wenn  es  nöthig  ist,  rasirt  und  in  eine  geeignete  Lage  ge- 
bracht worden  ist.  Man  hüte  sich ,  ihn  zu  sehr  zu  erwärmen ,  da  man 
sonst  dem  Kranken  unnöthige  Schmerzen  verursachen  würde.  Weitere 
Verfahren  der  Luftverdünnung  sind :  Einlegen  eines  Kügelchens  von 
Werg ,  Flachs ,  Baumwolle  etc.  in  den  Grund  des  Schröpfkopfes  und 
Entzündung  desselben ,  worauf  lezterer  im  Augenblicke  der  stärksten 
Verbrennung  auf  die  Hautstelle  gestürzt  wird  ;  zur  bessern  Verbrennung 
kann  das  Brennmaterial  mit  Spiritus  befeuchtet  werden  ;  Eintröpfeln  ei- 
niger Tropfen  Aether  in  den  Schröpfkopf  und  Entzündung  desselben. 
Man  darf  nicht  besorgen ,  den  Kranken  zu  verbrennen ,  indem  der  bren- 
nende Körper  im  Augenblicke  erlischt ,  wenn  die  Ventose  auf  die  Haut 
gesezt  wird.  Da  die  Luftverdünnung  durch  das  Feuer  oft  sehr  unvoll- 
ständig ist,  namentlich  wenn  die  nöthige  Uebung  fehlt,  so  hat  man  an 
dem  Schröpfkopfe  eine  mittels  eines  Hahns  verschliessbare  Röhre  ange- 
bracht ,  an  welche  eine  Saugpumpe  angesezt  werden  kann.  Einfacher 
und  weniger  kostspielig  ist  der  Schröpf  köpf  von  W  i  e  1  a  n  d  ;  es  läuft 
dieser  oben  in  eine  kurze  gläserne  Röhre  aus  ,  die  mit  einer  Blase  zuge- 
bunden ist ;  beim  Gebrauche  wird  diese  leztere  leicht  eingestochen  und 
dann  durch  Saugen  mit  dem  blossen  Munde  oder  mittels  eines  elastischen 
Saugrohrs  die  Luft  aus  dem  Schröpfkopfe  entfernt.  Die  Zahl  der  auf- 
zusezenden  Schröpf  köpfe  hängt  von  dem  Operationszwecke  ab.  Man 
applicirt  6  ,  12  ,  24  und  noch  mehr  und  nimmt  sie,  wenn  eine  gehörige 
Congestion  in  den  von  ihnen  bedeckten  Hautpartien  erzeugt  ist ,  wieder 
ab.  Um  eine  stärkere  Reizung  zu  bewirken ,  sezt  man  die  Schröpf  köpfe 
wiederholt  auf.  Man  entfernt  den  Schröpfkopf,  indem  man  mit  den 
Fingerspizen  die  Haut  am  Rande  desselben  abdrückt ,  um  die  Luft  wieder 
eindringen  zu  lassen.  —  Bei  Anwendung  des  Schröpfstiefels  wird  das 
Glied  in  diesen  hineingesteckt ,  derselbe  mit  dem  Ring  von  Leder  luft- 
dicht verschlossen  und  vermittels  der  Luftpumpe  mehr  oder  weniger  luft- 
leer gemacht.  —  Das  blutige  Schröpfen  besteht  in  der  Scarifica- 
tion  der  durch  die  Schröpfköpfe  bewirkten  gerötheten  Hügel.  Dies  ge- 
schieht gewöhnlich  vermittels  des  Schröpf s  chn  epp er s  ,  kann  aber 
auch ,  namentlich  wenn  man  eine  bedeutende  Blutentziehung  bewirken 
will ,  mittels  des  Bistouris  geschehen.  Der  Schröpfschnepper  wird ,  nach- 
dem die  Flinten  nach  Erforderniss  mehr  oder  weniger  stark  vortretend 
gestellt  und  die  Feder  des  Schnäppers  aufgezogen  hat ,  auf  die  geröthete 
Hautstelle  fest  aufgesezt  und  der  Drücker  dann  losgedrückt.  Beabsich- 
tigt man  eine  starke  Blutentziehung ,  so  sezt  man  den  Schnäpper  noch 
einmal   in   der  Weise   auf,   dass  die   neuen  Einschnitte   die   alten  schräg 

54* 


852  SCHRUNDEDL. 

oder  rechtwinklig  durchkreuzen.  Nach  geschehener  Scarification  sezt 
man  den  Schröpf  köpf,  wie  das  erste  Mal  von  Neuem  auf  und  lässt  ihn 
so  lange  bis  sein  Raum  zu  zwei  Dritttheilen  mit  Blut  gefüllt.  Nun  nimmt 
man  ihn  vorsichtig  ab ,  giesst  das  Blut  in  ein  bereit  gehaltenes  Gefäss, 
reinigt  das  Glas  und  sezt  es  so  oft  wieder  auf,  bis  der  Blutfluss  aufhört 
oder  bis  man  genug  entzogen  zu  haben  glaubt.  Ist  die  Operation 
vollendet,  so  wird  die  geschröpfte  Stelle  reingewaschen,  abgetrocknet 
und  mit  einer  Compresse  bedeckt  oder  freigelassen.  —  In  ähnlicher 
Weise  wendet  man  die  Blutsauger  oder  künstlichen  Blutegel 
an.  Das  bekannteste  Instrument  dieser  Art  ist  das  von  Salandiere; 
ein  neueres  ist  von  Alexandre. 

Schrunden,  Risse,  Spalten,  Rhagades  (qayac,  Spalte), 
Fissurae  nennt  man  lange  schmale  Verschwärungen ,  welche  am  häu- 
figsten an  den  Händen  und  Füssen ,  dann  aber  auch  an  solchen  Stellen 
vorkommen ,  wo  die  äussere  Haut  mit  der  Schleimhaut ,  wie  dies  an  den 
Winkeln  der  Augenlieder ,  der  Nasenflügel ,  des  Mundes ,  an  den  Ge- 
schlechtstheilen  und  am  After  geschieht ,  sich  verbindet.  —  Als  Ur- 
sache nimmt  man  Temperaturwechsel  und  grobe  Handarbeiten  an.  Dies 
gilt  besonders  von  den  Hautspalten  an  den  Lippen  und  Händen.  Weit 
öfter  sind  diese  Risse  Symptome  einer  tiefgewurzelten  Syphilis  ,  Scrophu- 
losis  oder  leprösen  Cachexie.  Bei  alten  Leuten  trägt  die  zunehmende 
Sprödigkeit  der  Haut ,  bei  hydropischen  die  übermässige  Anspannung 
derselben  und  bei  stillenden  Frauen  die  Zartheit  der  Brustwarzen  ge- 
wöhnlich die  alleinige  Schuld.  Nach  der  ihnen  zu  Grunde  liegenden  all- 
gemeinen Dyscrasie  ändern  sie  ihren  Character  und  erscheinen  somit  bald 
als  trockene  Risse,  bald  als  schmale  längliche  und  nässende 
Geschwüre,  bald  als  weiche,  bald  als  harte  mit  callösen 
Rändern  umgebene,  bald  als  flache  oder  tiefe,  als  schmer- 
zende oder  schmerzlose  Hautschrunden.  —  Sie  sind  unter 
jeder  Gestalt  ein  sehr  unangenehmes  ,  oft  sehr  beschwerliches  ,  nie  je- 
doch ein  gefahrdrohendes  Uebel,  wofern  nicht  die  Gefahr  mit  der  Grund- 
krankheit gegeben  ist.  —  Bei  der  Behandlung  müssen  wir  zunächst 
ihre  Ursache  zu  beseitigen  suchen ,  und  daher  auch  in  Uebereinstimmung 
mit  der  innern  Behandlung  die  äussere  leiten  ;  haben  sie  gutartiges  Aus- 
sehen ,  so  sind  einfache ,  die  Haut  gelind  und  geschmeidig  haltende  Sal- 
ben ausreichend;  sind  sie  mit  callösen  und  schmerzenden  Rändern  um- 
geben ,  so  empfehlen  sich  Bähungen  aus  erweichenden  und  narkotischen 
Kräuterdecocten ,  so  wie  dergleichen  Salben ,  wobei  man  auch  wohl  die 
callösen  Ränder  mit  dem  Messer  abträgt  und  die  Theile  reinlich  hält. 
Theden  fand  bei  hartnäckigen  Hautschrunden  an  der  Hand  Waschungen 
mit  einer  scharfen  Lauge  aus  buchener  Holzasche  von  Nuzen ,  N  ä  d  e  - 
1  i  n  lässt  mit  auffallend  raschem  Erfolg  eine  Mischung  von  Glycerin 
mit  Hirschunschlitt  gebrauchen  und  nicht  minder   wirksam  zeigt  sich  bei 


SCHWAEMMCHEN.  853 

Schrunden    aus   Kälte   folgende  Mischung  :    Jfy  AI  cohol  s  ulphur.  3j 
Ol.  papav.  ^j.  M.  S.   Die  Hände  früh  und  Abends  zu  bestreichen,  neben 
Tragen   von   Handschuhen.      Ueber    die   Behandlung    der  Risse    an   den 
Brustwarzen  und  dem  After  s.  die  Art.  Brustwarzen,   wunde,   und 
A  ft  er  f  i  s  s  ur. 

Schultergelenkentzündung  ,Omarthrocace,  durchläuft 
die  Stadien,  wie  die  Coxalgie.  —  Im  Anfange  zeigt  sich  ein  ziehender 
Schmerz ,  der  in  der  Nähe  der  Achselhöhle  von  der  vordem  untern 
Fläche  des  Schultergelenks  beginnt  und  sich  an  der  innern  Seite  des 
Oberarms  bis  zur  Ellbogenbeuge  erstreckt  und  sich  bei  Bewegungen  und 
Druck  wie  auch  bei  Nacht  vermehrt;  dabei  ermüdet  der  Arm  leicht 
Dieser  Zustand  kann  Wochen ,  oft  Monate  lang  dauern ,  bis  sich  endlich 
das  Gefühl  der  Ermüdung  so  steigert ,  dass  es  an  Lähmung  grenzt  und 
selbst  die  Berührung  der  Kleider  Schmerzen  verursacht.  Dabei  beugt 
sich  der  Arm  im  Ellbogengelenk ,  steht  vom  Körper  ab  und  ist  schlaff 
und  abgemagert.  Untersucht  man  nun  die  kranke  Schulter,  so  findet 
man  sie  tiefer  stehend,  weniger  abgerundet  und  man  fühlt  den  Gelenkkopf 
in  der  Achselhöhle ;  der  kranke  Arm  erscheint  länger.  Jm  weitern  Ver 
laufe,  der  Krankheit  geht  der  Zustand  von  Subluxation  in  wirkliche  Aus- 
renkung über ,  womit  die  gewölbte  Form  der  Schulter  ganz  verschwindet, 
das  Acromion  stärker  hervortritt  und  der  Gelenkkopf  tiefer  in  der  Achsel- 
höhle gefühlt  wird.  Indem  dieser  dann  allmälig  nach  oben  gegen  das  Schlüs- 
selbein weicht,  wird  der  Arm  etwas  verkürzt  und  nach  hinten  gerichtet. 
Die  örtliche  Entzündung  geht  endlich  in  Eiterung  über ;  die  Weichge- 
bilde der  Schulter  schwellen  bedeutend  an ,  der  Eiter  bildet  sich  einen 
Weg  nach  aussen  und  es  entstehen  fistulöse  Gänge.  Es  kommt  zur  ca- 
riösen  Zerstörung  des  Oberarmkopfs,  der  Gelenkhöhle  der  Rippen  etc. 
und  die  eintretende  profuse  Eiterung  zehrt  die  Kräfte  des  Kranken  auf. 
In  glücklichen  Fällen  bildet  sich  ein  neues  Gelenk  für  den  Oberarmkopf 
oder  Ankylose  desselben  mit  dem  Schulterblatte.  —  Ursachen,  Pro- 
gnose und  Behandlung  kommen  mit  denen  bei  der  Coxalgie  über- 
ein. —  Die  Resection  des  kranken  Kopfes  bietet  hier  noch  mehr  Aussicht 
auf  einen  glücklichen  Erfolg ,  als  bei  der  Coxalgie. 

Schwänimchen,  A  p  h  t  h  a  e  (a<p#cu,  von  utttttcö,  ich  entzünde) 
sind  kleine  weissliche  Bläschen,  welche  auf  der  innern  Schleimhaut,  be- 
sonders der  Mundhöhle  ,  entstehen  ,  auf  einem  dunkelrothen  entzündeten 
Grunde  sizen ,  schnell  in  schwammige  weisse  Borken  übergehen  und  sich 
sodann  gewöhnlich  nach  einigen  Tagen  abschuppen.  Dieses  Uebel, 
welches  am  häufigsten  bei  ganz  kleinen  Kindern ,  aber  auch  bei  Erwach- 
senen vorkommt ,  nimmt  gewöhnlich  seinen  Ursprung  aus  gastrischen  Un- 
reinigkeiten ;  Säure  im  Magen  ,  schlechte  Milch ,  Unreinlichkeit  der  Haut 
und  dadurch  gestörte  Funktion  derselben ,  verdorbene  feuchte  Luft, 
schneller  Wechsel   der  Temperatur ,  vernachlässigte  Reinigung  des  Mun- 


854  SCHWAEMMCHEN. 

des ,  das  beständige  Liegenlassen  der  Schlozer ,  das  Liegenlassen  des 
Kindes  an  der  Brust  der  Mutter,  wenn  dasselbe  auch  nicht  trinkt,  z.  B. 
im  Schlafe  etc.  erzeugen  dieses  Uebel  bei  neugeborenen  Kindern  am 
öftersten.  —  Oft  brechen  die  Schwärnmchen  ohne  vorhergegangenes  Un- 
wohlsein aus,  zuweilen  gehen  ihnen  gastrische  Affectionen  und  auch  Fie- 
ber voran.  Im  Anfange  sind  es  nur  wenige  Bläschen  und  weissliche 
Borken ,  bei  weiterem  Fortschreiten  des  Uebels  aber  werden  die  Zunge, 
die  innere  Seite  der  Lippen  etc.  dicht  mit  ihnen  bedekt.  Die  Kinder 
saugen  nun  nicht  mehr,  indem  sie  wohl  die  Brustwarzen  ergreifen,  sie 
aber  schnell  wieder  loslassen  ,  auch  ist  das  Schlingen  erschwert  und  die 
Kranken  empfinden  einen  brennenden  Schmerz  in  der  Mundhöhle ,  welche 
auch  heiss  und  trocken  wird.  Waren  bisher  keine  gastrischen  Er- 
scheinungen vorhanden,  so  gesellen  sie  sich  nunmehr  hinzu,  bestehend 
in  Erbrechen  von  saurem  Magensaft,  Empfindlichkeit  der  Magengegend, 
Koliken ,  Durchfällen.  Zuweilen  wird  die  Stimme  heiser  und  es  stellen 
sich  selbst  Schluchzen  und  Zuckungen  ein.  —  Zuweilen  beschränken  sich 
die  Schwämmchen  nicht  auf  die  Mundhöhle ,  sondern  verbreiten  sich 
auch  bis  in  die  Rachenhöhle,  die  Speiseröhre,  auch  hat  man  sie  auf  der 
innern  Fläche  des  Magens,  des  Darmkanals  bis  in  den  After  angetroffen. 

—  Gewöhnlich  schuppen  sich  die  Schwämmchen  in  wenigen  Tagen  ab, 
ohne  dass  so  bedeutende  Zufälle  erregt  worden  sind ;  nach  der  Ab- 
stossung  der  Borken  bleibt  nur  noch  einige  Zeit  eine  rothe,  empfindliche 
Stelle  zurück.  Den  Tod  können  Schwämmchen  herbeiführen  durch  Er- 
schöpfung der  Kräfte  in  Folge  der  Durchfälle,  des  Erbrechens  und  der 
almiäligen  Abmagerung ,  wie  auch  durch  den  Uebergang  in  den  nervösen 
putriden  Zustand  ,  wobei  sie  eine  dunkle  und  selbst  schwärzliche  Farbe 
annehmen.      Zuweilen   tödten   sie   auch   durch  Erregung  von  Zuckungen. 

—  Die  Schwämmchen  sind  entweder  eine  blos  örtliche  Krankheit  des 
Mundes  oder  sie  sind  Symptome  gastrischer  Unreinigkeiten ,  galliger 
Fieber  oder  eines  scorbutischen  putriden  Zustandes ,  oder  abzehrender 
erschöpfender  Krankheiten ,  oder  einer  krankhaften  Reizung  der  Speichel- 
drüsen ,  zuweilen  auch  eine  kritische  Erscheinung  in  catarrhali sehen  Af- 
fectionen.  Daher  ist  die  Prognose  bei  dieser  Kranheit  verschieden; 
im  Allgemeinen  sind  die  Schwämmchen  bei  Erwachsenen  stets  eine  be- 
denklichere Erscheinung  als  bei  Kindern  ;  die  zu  Grunde  liegende  Aff'ec- 
tion  kommt  bei  der  Prognose  hauptsächlich  in  Betracht.  —  Die  Be- 
handlung ist  theils  örtlich,  theils  allgemein  gegen  die  Ursachen  ge- 
richtet. Liegt  Mangel  an  Reinlichkeit  des  Mundes  zu  Grunde ,  so  sorge 
man  dafür  durch  fleissiges  Auswaschen  mit  kaltem  Wasser  oder  einem 
Aufgusse  von  Herba  serpylli,  salviae,  malvae,  ausserdem  be- 
streicht man  die  krankhaften  Stellen  mit  Rosenhonig,  Honig  oder  Maul- 
beersyrup  rein  oder  mit  einem  Zusaz  von  Borax,  z.  B.  B  o  r  a  c.  5j-, 
Meli,  rosat.  ^j.  M.  D.  S.  Mundsaft,  und  wenn  dies  nicht  genügen 
sollte ,   von   verdünnter   Schwefel  -  oder  Salzsäure   Czu  10  —  2  0  Tropfen 


SCROPHELKRANKHEIT.  855 

auf  ^j  Saft)  oder  von  Alaun  oder  Zinkvitriol  (von  ersterem  ^j — 5ß,  von 
lezterera  gr.  x  auf  ^j  Saft).  In  hartnackigen  Fällen  erweist  sich  nach 
Trousseau  eine  Auflösung  von  5  Gramm,  carbonisirtem  salpetersauren 
Silber  in  3  0  Gramm.  A  q.  destill.,  womit  man  die  kranken  Stellen  be- 
pinselt, sehr  nüzlich.  Sind  die  Seh  wammchen  missfarbig,  so  wählt  man 
vorzüglich  die  genannten  Mineralsäuren,  so  wie  auch  Chlor,  z.  B.  Rp. 
Aq.  oxymuriat.  ^ß,  Syr.  alth.  ^j.  S.  Pinselsaft,  und  sezt  auch  den 
genannten  Säftchen  etwas  Chamillen-  oder  Chinaextract  zu.  Innerlich 
gibt  man  den  Kindern  säuretilgende  und  gelind  abführende  Mittel ,  Ma- 
gnesia ,  und  Rhabarber,  Manna  ;  daneben  eine  nicht  zu  reichliche ,  aber 
gute  Nahrung.  Bei  Erwachsenen  richtet  sich  die  Behandlung  nach  der 
den  Schwämmchen  zu  Grunde  liegenden  Affection. 

Schwerhörigkeit,    s.   Ohrenkrankheiten. 

Scrophelkrailkheit,  S  c  r  o  p  h  e  1  n,  S  c  r  o  p  h  e  1  s  u  c  h  t,  S er o- 
phulosis.  Hierunter  versteht  man  eine  auf  einer  bestimmten,  aber 
noch  durchaus  unbekannten  Beschaffenheit  des  Blutes  (Scropheldyscrasie) 
beruhende  Krankheit.  Die  meisten  Aerzte  halten  Scropheln  und  Tuber- 
kel für  identisch  ;  sicher  wenigstens  ist  es,  dass  Scropheln  und  Tuberkeln 
in  vielen  wesentlichen  Punkten  völlig  übereinkommen.  —  Die  Anlage  zu 
Scropheln  ist  theils  angeboren,  theils  erworben.  Die  Nachkommen  kränk- 
licher Eltern,  welche  erst  in  spätem  Jahren  Kinder  zeugten ,  selbst  scro- 
phulös,  syphilitisch  oder  gichtisch  waren,  oder  an  der  Lungenschwindsucht 
litten.  Erworben  wird  die  Scrophelkrankheit  durch  unzweckmässige  phy- 
sische Erziehung,  Mangel  der  Muttermilch,  Auffüttern  mit  Mehlbrei,  durch 
Unreinlichkeit,  Feuchtigkeit,  Kälte,  unreine  Luft,  durch  Mangel  an  Fleisch- 
hahrung,  Uebermass  von  Kartoffeln  und  Brod.  —  Die  Anlage  zu  Scro- 
pheln gibt  sich  zu  erkennen  durch  schwächlichen  Körperbau,  schwache 
Muskeln,  blasse  Gesichtsfarbe,  Neigung  zum  Schnupfen,  Husten  und  ga- 
strische Unordnungen.  Die  schon  in  der  Entwicklung  begriffene  Scro- 
phulosis  schliesst  man  aus  einem  aufgetriebenen  Bauche ,  wenig  entwik- 
keltem  Thorax,  einer  aufgetriebenen  Nase,  geschwollener  Oberlippe,  blei- 
cher unelastischer  Haut ,  Verlangen  nach  Brod  und  Kartoffeln ,  Neigung 
zu  intercurrenten  Fiebern  ,  zu  Verstopfung ,  Trägheit  oder  leichter  Ermü- 
dung. Diese  Erscheinungen  werden  modificirt  durch  das  Temperament, 
die  Lebensweise  und  Erziehung  der  Kinder ;  phlegmatische  Naturen  wer- 
den noch  träger,  sanguinische  dagegen  zeigen  nicht  selten  verfrühte  gei- 
stige Entwicklung  ;  hierauf  gründet  sich  die  Eintheilung  der  Scropheln 
in  eine  torpide  und  erethische  Form.  —  Im  weiteren  Verlaufe 
entstehen  Anschwellungen  der  lymphatischen  Drüsen,  theils  der  Mesente- 
rialdrüsen ,'  theils  auch  vorzüglich  der  am  Halse  gelegenen  Lymphdrüsen, 
die  erstem  kommen  besonders  vor,  wenn  die  Scropheln  Folge  unzweck- 
mässiger Nahrung,  derUeberfüllung  des  Darmkanals  mit  rohen  und  schwer 
verdaulichen  Stoffen  sind.      Die  Drüsenanschwellungen  am  Halse,  welche 


856  SCROPHELKRANKHEIT. 

meist  mit  einer  Blennorhoe  der  Nasenschleimhaut  verbunden  sind,  entste- 
hen theils  unter  deutlichen  Entzündungszufällen ,  theils  ganz  allmälig 
ohne  dieselben.  Anfangs  bestehen  dieselben  in  einer  hypertrophischen 
Anschwellung,  im  weitern  Verlaufe  kommt  es  zur  Ablagerung  einer  gelb- 
lich grauen  Substanz  von  der  Consistenz  eines  weichen  Käses  in  der  Sub- 
stanz der  Drüse  (scrophulöse  Tuberkelmaterie),  welche  oft  lange  Zeit  da- 
rin lagert,  ohne  die  Tendenz  zur  Ausstossung  zu  erregen,  dann  aber  ent- 
weder Eiterung  veranlasst  und  langsam  ausgeleert  wird  oder  in  Verkreidung 
übergeht.  —  Aus  diesen  Drüsentuberkeln  bilden  sich  die  meisten  scro- 
phulösen  Abscesse  und  Geschwüre,  welche  sich  auszeichnen  durch 
unregelmässige ,  unterminirte  blaue  Ränder ,  einen  schwammigen  Grund, 
Secretion  von  dünnem  der  geronnenen  Milch  ähnlichem  Eiter  und  durch 
hässliche  Narbenbildung,  wie  man  -sie  vorzüglich  am  Halse  finden  kann. 
Bei  der  erethischen  Form  der  Scropheln  sind  diese  Geschwüre  meist  von 
lebhaften  Entzündungserscheinungen  begleitet  und  haben,  wenigstens  an- 
fänglich, einen  fressenden  Character.  —  Weitere  Localaffectionen  sind 
Hautausschläge ,  die  sich  an  verschiedenen  Körperstellen  ,  besonders  im 
behaarten  Theil  des  Kopfs  zeigen  ,  in  Gestalt  von  Knoten  und  Pusteln, 
namentlich  bei  unreinlich  gehaltenen  Kindern  auftreten  ,  und  eine  eigen- 
tümliche ,  durch  grosse  Lichtscheu  ausgezeichnete  Augenentzündung. 
Bei  weiterem  Fortschreiten  der  Krankheit  werden  sehr  oft  die  Knochen 
ergriffen ;  eine  auftretende  Periostitis  endet  gewöhnlich  mit  Eiterung, 
consecutiver  Caries  und  Nekrose  ,  Ablagerung  neuer  Knochenmasse  zwi- 
schen dem  Periost  und  dem  Knochen.  Nicht  selten  werden  die  Gelenke 
befallen ,  wobei  gewöhnlich  ein  chronisch  entzündlicher  Character  vor- 
herrscht ;  hat  die  Phlegmasie  ihren  Siz  in  den  oberflächlichen  Partien  um 
die  Gelenke  herum,  so  entstehen  Abscesse  und  Geschwüre;  wird  die  Sy- 
novial rnembr  an  ergriffen ,  so  verdickt  sie  sich  ,  es  entsteht  Vascularität, 
Eiterbildung,  fungöse  und  fibrös-plastische  Ablagerung  mit  den  weiteren 
Folgen  der  Gelenkeiterung.  —  Die  chronisch  entzündeten  Schleimhäute 
können  ebenfalls  in  Verschwärung  übergehen;  durch  Ausbreitung  der 
Versch wärung  der  Schneide  r'schen  Haut  auf  die  Nasenknorpel  können 
diese  zerstört  werden.  —  Die  Schleimhaut  des  Darmkanals  wird  nicht 
selten  geschwürig ;  es  entstehen  eiterig-blutige  Abgänge,  welche  den  Tod 
zur  Folge  haben  können.  —  Haben  sich  bei  sehr  schwachen  scrophulösen 
Individuen  erst  Geschwüre  in  grösserer  Zahl  gebildet,  so  kann  sich  zu  derscro- 
phulÖsenDyscrasie  noch  die  eiterige  hinzugesellen,  wodurch  die  bei  den  Scro- 
phulösen so  häufigen  kalten  Abscesse  entstehen.  —  Die  gefährlichste  Art  der 
Ablagerung  des  Tuberkelstoffs  ist  die  auf  die  Lungen ,  welche  zur  Lun- 
genschwindsucht die  Veranlassung  gibt.  —  Prognose.  Bei  der  Vor- 
hersage hat  man  alle  Verhältnisse  genau  ins  Auge  zu  fassen,  um  sie  mit 
einiger  Sicherheit  stellen  zu  können.  Alter  und  Constitution  des  Kran- 
ken, Grad  der  Ausbildung  der  Krankheit,  Wichtigkeit  des  ergriffenen  Or- 
gans, Kräftezustand  des  Kranken,  äussere  Verhältnisse  und  Complicationen 


SCROPHELKRANKHErT.  857 

spielen  die  wichtigste  Rolle.  —  Die  Prognose  ist  nicht  ungünstig,  wenn 
die  Grundverhältnisse  beseitigt  werden  können,  wozu  mannigfache  Mittel 
zu  Gebote  stehen.  Im  Speciellen  hängt  die  Prognose  von  dem  Grade 
der  Ausbildung  und  den  verschiedenen  Affeetionen  selbst  ab.  Schleim- 
hautscropheln ,  Hautausschläge  (mit  Ausnahme  des  Lupus)  sind  leichter 
zu  beseitigen,  als  Drüsen-  und  Knochenscropheln.  Günstiger  ist  die  Pro- 
gnose ,  wenn  die  Scropheln  erst  in  spätem  Jahren  ausbrechen  ,  und  man 
sie  als  erworbene  erkennt,  als  solche  im  ersten  oder  auch  im  zweiten  Le- 
bensjahre ,  wo  erbliche  Anlage  mit  im  Spiele  ist.  Die  torpide  Form  ist 
schwieriger  zu  beseitigen,  als  die  erethische,  auch  macht  sie  gern  Reci- 
dive.  —  Behandlung.  Diese  muss  vorzugsweise  diätetisch  sein ; 
ohne  diese  helfen  Arzneien  nichts.  Bei  erethisch  Scrophulösen  passt  eine 
milde,  mehr  vegetabilische ,  bei  torpid  Scrophulösen  eine  etwas  reizende, 
mehr  animalische  Nahrung  in  hinreichender ,  aber  nicht  übermässiger 
Quantität.  In  beiden  Fällen  sind  der  Genuss  reiner  Luft,  tägliche  Bewe- 
gung ,  warme  Bekleidung ,  Regelmässigkeit  der  ganzen  Lebensweise  und 
häufiges  Baden  in  lauem  Wasser ,  Salzwasser ,  Kräuteraufguss,  Malz- 
absud, Schwefel-  oder  Eisenwasser  von  der  günstigsten  Wirkung.  Durch 
pharmaceutische  Mittel  sucht  man  besonders  die  einzeln  hervortretenden 
Erscheinungen  der  Scrophelkrankheit  zu  beseitigen.  Zu  dem  Ende  reicht 
man  bei  vorwaltender  Schwäche  der  Digestionsorgane,  mangelhafter  Assi- 
milation und  Ernährung  Amara,  wie  Columbo,  Gentiana,  Hopfen  etc.,  so 
so  wie  die  leichteren  Eisenpräparate,  Leberthran  etc. ;  bei  grosser  Schlaff- 
heit der  Theile  und  profusen  Secretionen,  namentlich  Schleimflüssen,  passen 
adstringirende  Mittel,  Wallnussblätter,  Tannin,  Eichelkaffee  u.  dgl.  ;  bei 
vorwaltender  Schärfe  einzelner  Secretionen  sind  Säure  tilgende  Mittel, 
wie  Alealien,  kohlensaure  Magnesia,  präparirte  Austernschalen  u.  dgl.  an- 
gezeigt ;  bei  grosser  Reizbarkeit  des  Nervensystems  und  aufgeregtem  Ge- 
fässzustande  gibt  man  beruhigende  und  besänftigende  Mittel,  Digitalis, 
Cicuta,  Bilsenkraut ,  Blausäure  etc.  ;  bei  Anschoppungen  in  den  Lymph- 
drüsen, pathologischen  Ausscheidungen  auf  die  äussere  Haut,  müssen  re- 
solvirende  Mittel  gereicht  werden.  Unter  diesen  sind  die  Alealien,  Salze 
in  Verbindung  mit  auflösenden  bittern  Mitteln  ,  besonders  aber  die  Anti- 
monial-,  Quecksilber-  und  Jodpräparate  und  der  Schwefel  die  vorzüglich- 
sten. Jod  passt  nur  bei  torpiden  Individuen  und  zwar  ist  das  Jodkali 
geeigneter,  als  das  Jod  selbst ;  die  gefahrloseste  Anwendung  des  Jods  ist 
die  durch  den  Gebrauch  des  Leberthrans.  Die  jod-  und  bromhaltigen 
Mineralwasser  erweisen  sich  gleichfalls  von  Nuzen ,  wie  auch  künstliche 
Jodbäder.  —  Bei  scrophulösen  Entzündungen,  z.  B.  bei  Augen-  oder  Ge- 
lenkentzündungen wendet  man,  um  der  ulcerösen  Zerstörung  der  ergriffe- 
nen Organe  vorzubeugen ,  Ableitungsmittel  auf  den  Darmkanal  und  die 
Haut  an.  In  dieser  Absicht  zieht  man  Blasenpflaster,  Einreibungen  von 
Brechweinsteinsalbe ,  Abführungen  von  Calomel  und  Jalappe  oder  Senna- 
infus   mit  Magnesia   sulph urica  neben   den   gegen  das  Grundübel 


858  <"  SEHNENZEKREISSUNG. 

gerlcbteteji  Mitteln  in  Gebrauch.  —  Drüsenanschwellungen 
sucht  man  theils  durch  die  allgemeinen  Mittel  und  durch  Warra- 
halten ,  theils  durch  Einreibungen  von  Unguent.  d  i  g  i  t  a  1  i  s  ,  m  e  r  - 
curiale,  Chlorkalkfomente,  das  Empl.  cicutae,  mercuriale, 
Empl.  saponis  mit  Camphor ,  Jodsalbe  zu  zertheilenj  daneben  Salz-, 
Schwefel-  und  Sublimatbäder.  —  Die  scrophulösen  Geschwüre 
müssen  nach  ihrem  Vitalitätszustande  behandelt  werden.  Der  entzünd- 
liche Zustand  derselben  erheischt  ein  örtliches  antiphlogistisches  Verfah- 
ren durch  kalte  Umschläge,  Blutegel  und  die  oben  angeführten  Abführ- 
mittel. Gewöhnlich  sind  diese  Geschwüre  der  Mehrzahl  nach  torpid  und 
nehmen  dann  eine  reizende  Behandlung  in  Anspruch;  man  verbindet  sie 
in  diesem  Fall  mit  trockener  Charpie  oder  mit  Aqua  nigra,  phage- 
daenica,  Chlorkalk- ,  Sublimat- ,  Chlorzink-  oder  Höllensteinsolution, 
Jod  in  Auflösung  oder  Salbenform,  Decocten  von  Eichen-,  Kastanien-, 
Rhabarberrinde,  einem  Aufguss  von  Wallnussblättern.  Erschlaffende  und 
fette  Salben  sind  nachtheilig.  Sind  die  Geschwüre  sinuös  und  in  der 
Umgebung  verhärtet,  wie  gewöhnlich  bei  den  Drüsengeschwüren,  so  müs- 
sen die  halbabgestorbenen  Ränder  sternförmig  bis  an  die  gesunde  Haut 
eingeschnitten  oder  völlig  abgetragen  werden.  —  Fressen  die  Geschwüre 
sehr  um  sich,  so  betupft  man  dieselben  mit  Höllenstein  oder  Opium- 
tinktur. —  Die  mancherlei  Hautausschläge,  die  sich  zu  der  Scro- 
phelsucht  gesellen,  weichen  dem  innern  Gebrauche  von  Aethiops  m  i- 
n  e  r  a  1  i  s,  blutreinigenden  Getränken  aus  J  a  c  e  a,  S  t  i  p  i  t.  d  u  1  c  a  m  a  r. 
u.  dgl.  und  einer  guten  Diät.  —  Die  Behandlung  der  scrophulösen 
Knochenkrankheiten  besteht  in  der  Darreichung  der  Antiscrophu- 
losa  mit  Asand,  von  Leberthran  etc.  und  in  Bädern,  die  mit  Sabina  und 
Acorus  wirksamer  gemacht  werden. 

SehnenzerreisSimg ,  Rupturatendinum.  Diese  verhält 
sich  im  Allgemeinen,  wie  eine  Sehnenwunde  (s.  den  Art.  Wunde).  Am 
häufigsten  kommt  die  Z  e  r  r  e  i  s  s  u  n  g  der  Achillessehne  vor.  Sie 
kann  vollständig  oder  unvollständig  sein.  Im  lezteren  Falle  klagt  der 
Kranke  über  heftigen  Schmerz,  welcher  lange  anhält ,  bei  der  Streckung 
des  Fusses  sich  mindert  und  bei  der  Beugung  desselben  zunimmt.  An 
der  Stelle  des  Risses  fühlt  man  eine  kleine  Querfurche.  Ist  die  Sehne 
ganz  durchrissen ,  so  hört  der  Kranke  im  Augenblicke  der  Zerreissung 
einen  Knall ,  er  hat  ein  Gefühl ,  als  wenn  er  in  ein  Loch  in  dem  Boden 
getreten  wäre ,  das  Fussgelenk  nimmt  den  höchsten  Grad  von  Beugung 
an  und  kann  nicht  gestreckt  werden.  Bei  der  Untersuchung  findet  man 
die  beiden  Sehnenenden  von  einander  abstehend,  und  zwischen  denselben 
eine  Vertiefung,  welche  bei  der  Beugung  des  Fusses  breiter  wird  und  sich 
durch  die  Beugung  des  Knies  und  Streckung  des  Fusses  verkleinert ;  die 
WTade  ist  in  die  Höhe  gezogen.  ■ —  Die  Ursache  ist  meistens  ein  Fehl- 
tritt oder  Fehlsprung ,  wobei  der  Schwerpunkt  hinter  den  Ruhepunkt  des 
Körpers   fällt  und  nun   durch  die  kräftigste  Muskelanstrengung  das  Zu- 


SEHNENZERREISSUNO.  859 

rückfallen  des  Körpers  verhütet  werden  soll. —  Die  Prognose  ist  nicht 
schlecht.  —  Die  Behandlung  besteht  in  der  gegenseitigen  Annähe- 
rang der  beiden  Sehnenenden  und  in  der  Erhaltung  dieser  Lage  bis  zur 
Verheilung  derselben.  Dieser  Indication  entspricht  die  Beugung  des 
Unterschenkels ,  die  Ausstreckung  des  Fusses  und  die  Verminderung  der 
Contraction  der  Wadenmuskeln.  Dieser  Absicht  entsprechen  zwei  Gat- 
tungen von  Verbänden  ,  die  Einwieklungen  und  die  S  c  h  u  h  -  oder 
Pantoffelverbände.  —  Unter  den  Einwieklungen  nimmt  der  Ver- 
band von  Wardenburg  die  erste  Stelle  ein.  Er  besteht  in  Folgendem: 
der  Fuss  wird  hinreichend,  jedoch  nicht  stark  gestreckt,  das  Kniegelenk 
sehr  massig  gebogen  und  die  Vertiefungen  um  die  Sehne  mit  Charpie 
ausgefüllt.  Dann  legt  man  an  die  Beugeseite  des  Gliedes  eine  Longuette, 
welche  von  der  Kniekehle  bis  über  die  Zehen  hinausreicht  und  befestigt 
sie  durch  eine  drei  Finger  breite  Binde  ,  mit  welcher  man  den  Unter- 
schenkel, nachdem  man  vorher  einige  Zirkelgänge  über  der  Wade  ge- 
macht hat,  von  oben  herunter  einwickelt  bis  zu  der  Stelle  der  Verlezung, 
wo  man  die  Binde  beendigt.  Wenn  die  Wadenmuskeln  stark  zurückge- 
zogen sind,  so  legt  man  unter  die  ersten  Bindengänge  einige  dicke  Com- 
pressen,  um  die  Muskeln  mit  grösserer  Kraft  zu  comprimiren.  Nachdem 
die  Longuette  straff  angezogen  ist ,  umwickelt  man  sie„  und  die  Wurzeln 
der  Zehen  einige  Male  mit  einer  zweiten  Binde ,  schlägt  das  Ende  der 
Longuette  um,  befestigt  es  mit  einigen  Zirkelgängen,  steigt  dann  mit 
Hobelgängen  bis  zu  den  Knöcheln  und  endlich  mit  einer  oder  zwei  Tou- 
ren über  die  obere  Binde  hinweg.  Zwei  starke  Schienen,  von  denen  die 
eine  in  die  Kniebeuge ,  die  andere  auf  den  Bücken  des  Fusses  zu  liegen 
kommt ,  sichern  die  Stellung  des  Gliedes.  Dieses  wird  auf  ein  Polster 
auf  die  Seite  gelegt.  Das  Bestreichen  dieses  Verbandes  mit  Kleister  gibt 
ihm  mehr  Festigkeit.  - —  Aehnliche,  aber  in  ihrer  Wirkung  unzuverlässi- 
gere Verbände  haben  angegeben  :  Petit,  B  o  y  e  r,  Mursinna,  U  y  1- 
hörn,  welcher  leztere  statt  der  Binden  Heftpflasterstreifen  benüzt.  — 
Die  P  ant  o  f  f  el  v  er  b  an  de  bestehen  im  Allgemeinen  aus  einem  vorn 
offenen  Schuh,  dessen  Hintertheil  mit  einem  am  Knie  umgelegten  Gurte 
durch  Riemen  in  Verbindung  steht;  auf  diese  Weise  sind  die  Verbände 
von  Petit,  Ravaton  und  Monro  beschaffen.  Bei  einem  von  v.  Gräfe 
angegebenen  Verbände  steht  der  Pantoffel  durch  eine  stellbare  Eisen- 
stange mit  einer  gepolsterten  Blechschiene  in  Verbindung ,  welche  aus 
zwei  durch  ein  Charnier  mit  einander  verbundenen  Stücken  besteht  und 
welche  die  hintere  Fläche  des  Oberschenkels  und  die  Wade  einnimmt. 
Diese  Vorrichtung  erlaubt  eine  beliebige  Streckung  des  Fusses  und  Beu- 
gung des  Knies,  während  das  Wadenstück  der  Schiene  den  Zusammenzie- 
hungen der  Wadenmuskeln  entgegenwirkt.  Diesen  Verband ,  welcher 
allen  Indicationen  entspricht,  trägt  der  Kranke  bis  zur  festen  Vereinigung, 
wozu  3  bis  4  Wochen  erforderlich  sind  ,  worauf  noch  einige  Zeit  ein 
Schuh  mit   hohem  Absaz  getragen  wird.    —     Eine  zweckentsprechende, 


860  SENKUNGSABSCES8. 

aber  complicirte  Vorrichtung  hat  Delpech  angegeben,  während  ein  von 
Major  herrührender  Verband  den  höchsten  Grad  von  Einfachheit,  aller- 
dings auf  Kosten  seiner  Brauchbarkeit,  darbietet.  Eine  Tuchbinde  wird, 
nachdem  dem  Gliede  die  nöthige  Stellung  gegeben  ist ,  mit  ihrer  Mitte 
auf  die  Rückenfläche  des  Fusses  gelegt,  die  Enden  auf  die  Fusssohle  ge- 
führt, da  gekreuzt ,  dann  an  der  hintern  Fläche  des  Unterschenkels  zum 
untern  Theile  des  Oberschenkels  geleitet  und  daselbst  an  eine  über  dem 
Knie  herumgebundene  Tuchbinde  befestigt.  —  Auf  die  Wirkung  der 
Wadenmuskeln  ist  bei  diesem  Verbände  keine  Rücksicht«  genommen. 

Senkungs-    oder    Congestionsabseess ,    Abscessus 

congestivus  s.  per  congestionem.  Man  versteht  darunter  Eiter- 
ansammlungen ,  welche  nicht  da  entstanden  sind ,  wo  sie  zum  Vorschein 
kommen ,  sondern  an  einem  von  dieser  Stelle  mehr  oder  weniger  entfern- 
ten Orte.  Die  Gegenwart  des  Eiters  ist  daher  ein  Symptom  eines  ander- 
weitigen Leidens,  weshalb  diese  Eiteransammlung  auch  den  Namen  sym- 
ptomatischer Abscess  führt.  Dieser  Abscess  kommt  zu  Stande, 
indem  sich  der  Eiter  da,  wo  er  gebildet  wird ,  nicht  nach  aussen  oder  in 
eine  Höhle  entleeren  kann  und  sich  dann  vermöge  seiner  eigenen  Schwere 
in  die  tiefer  gelegenen  Theile,  meistens  nach  dem  Verlaufe  der  Muskeln, 
Gefässe  und  Nerven  senkt.  Der  Eiter  legt  oft  einen  sehr  langen  Weg 
zurück  und  läuft  bei  sich  darbietenden  Hindernissen  zuweilen  in  entge- 
gengesezten  Richtungen  aus ,  in  welcher  Beziehung  man  diese  Eiteran- 
sammlung auch  Verbreitungsabscess  genannt  hat.  —  Diese  Abs- 
cesse  kommen  am  häufigsten  an  der  untern  Körperhälfte ,  namentlich  in 
der  Regio  inguinalis,  femoralis,  lumbalis,perinaealis, 
s  a  c  r  a  1  i  s  etc.  vor,  doch  zuweilen  auch  am  Halse,  zwischen  den  Schulter- 
blättern, selten  am  Schädel.  —  Der  Siz  des  Abscesses  ist  immer  das  Zell- 
gewebe, der  des  Eiterherdes  meist  in  den  Knochen,  namentlich  der  Wir- 
belsäule. —  Symptome.  Allgemeine  Erscheinungen,  welche  auf  einen 
stattgehabten  Eiterungsprocess  hindeuten ,  gehen  der  Bildung  der  Sen- 
kungsabscesse  immer  voraus,  sie  sind  aber  meist  so  unmerklich  ,  dass  sie 
unbeachtet  bleiben ;  so  ein  drückender,  stechender  Schmerz,  Taubheit  des 
Theils.  Kommt  die  Eiteransammlung  zu  Tage,  so  zeigt  sie  sich  als  eine 
langsam  wachsende,  weiche,  fluctuirende,  schmerzlose,  halbkugelförmige 
Geschwulst  mit  unveränderter  Hautfarbe.  Durch  Druck  oder  nach  der 
Lage  des  Kranken  kann  die  Geschwulst  verkleinert  oder  vergrössert  wer- 
den. Beim  ferneren  Verlaufe  des  üebels  nimmt  die  Geschwulst  an  Grösse 
zu,  die  Hautdecken  werden  entzündet,  verdünnen  sich  und  werden  endlich 
durchbrochen.  Der  Inhalt,  der  sich  in  grösserer  Menge  zeigt,  als  es  die 
Grösse  der  Geschwulst  erwarten  Hess  ,  besteht  aus  einem  weniger  guten, 
grauröthlichen  Eiter,  vermischt  mit  Zellgewebe,  erdigen  Bestandteilen, 
zuweilen  abgestossenen  Knochentheilen.  —  Der  Aufbruch  solcher  Abs- 
cesse  ist  häufig  mit  bedeutenden  Folgen  verknüpft ;  meistens  tritt  in  Folge 


SPEICHELDRUESEN,  KRANKHT.  DERS.  861 

des  Lufteintritts  ein  copiöser  Eiterfluss  ein  ,  der  Eiter  wird  dünner,  stin- 
kend, jauchig;  die  Verdauung  leidet,  der  Appetit  schwindet  und  es  stellt 
sich  hektisches  Fieber  ein,  das,  ist  der  Grund  des  Uebels  nicht  zu  besei- 
tigen ,  unter  den  allgemeinen  Symptomen  der  Colliquation  und  Wasser- 
sucht dem  Leben  des  Kranken  ein  Ziel  sezt.  —  Ursachen.  Diese  sind 
immer  Eiterung ,  Verschwärung  oder  Verjauchung  eines  tieferliegenden 
Theils,  Tuberculosis,  meistens  Caries  eines  Knochens,  am  häufigsten  der 
Wirbel,  doch  auch  der  Schädelknochen,  der  Rippen,  des  Brustbeins  etc. 
—  Prognose.  Sie  ist  ungünstig,  weil  der  Grund  des  primären  Uebels 
gewöhnlich  ein  constitutionelles  Leiden  ist ,  meistens  hektisches  Fieber 
eintritt ,  und  durch  den  Eiter  noch  andere  Theile  zerstört  werden.  — 
Behandlung.  Die  hauptsächlichste  Aufgabe  der  Behandlung  muss 
sein,  die  Quelle  des  Eiters  zu  vernichten.  Zu  diesem  Behufe  sucht  man 
die  Kräfte  des  Kranken  möglichst  zu  erhalten  und  zu  stärken.  Betreffs 
der  localen  Behandlung  sucht  man  durch  kräftige  Ableitung  eineUmstim- 
mung  in  dem  erkrankten  Theile  herbeizuführen.  In  dieser  Absicht  sezt 
man  in  der  Nähe  des  Eiterherdes  eine  Fontanelle,  oder  wendet  das  Aez- 
mittel  oder  das  Glüheisen  an ,  und  unterhält  längere  Zeit  eine  Eiterung  ; 
den  Aufbruch  des  Abscesses  sucht  man  möglichst  lange  zu  verhindern, 
was  durch  Ansezen  von  Blutegeln ,  Auflegen  von  Bleiwasser ,  durch  ein 
von  Zeit  zu  Zeit  gegebenes  Abführmittel  und  Ruhe  ins  Werk  gesezt  wird. 
Hierdurch  gelingt  es  zuweilen,  den  drohenden  Aufbruch  zu  verhüten  und 
den  Kranken  entweder  ganz  herzustellen,  oder  doch  Jahre  lang  am  Leben 
zu  erhalten.  Der  Eiter  im  Abscess  vertrocknet  dabei  entweder  zu  einer 
käseartigen  Masse,  oder  es  bricht  dieser  erst  auf,  nachdem  die  Caries  be- 
reits geheilt  ist  oder  so  abgenommen  hat,  dass  die  dadurch  erzeugte  Ab- 
sonderung in  einer  die  Kräfte  nicht  aufreibenden  Menge  statt  hat.  —  Ist 
der  Aufbruch  nicht  mehr  zu  verhüten ,  so  ist  die  künstliche  Eröffnung 
des  Abscesses  angezeigt ,  der  aber  nicht  auf  einmal  entleert  werden  darf, 
und  wobei  jeder  Lufteintritt  in  seine  Höhle  verhindert  werden  muss.  Dies 
erreicht  man  dadurch,  dass  man  den  Stich  entweder  subcutan  macht ,  in- 
dem man  das  Messer  unter  der  Haut  fortschiebt ,  den  Einstich  macht, 
dann  die  Haut  wieder  los  lässt ,  oder  endlich  den  Einstich  unter  Wasser 
macht.  Auch  mit  einem  kleinen  Troicart  kann  die  Eröffnung  vorgenom- 
men werden ;  nur  muss  man  die  Vorsicht  beobachten,  das  Stilet  nur  lang- 
sam zu  entfernen,  und  erst  dann,  wenn  der  Eiter  demselben  gefolgt  ist; 
noch  sicherer  geht  man ,  wenn  man  sich  hierzu  eines  Ventiltroicarts  (s. 
Punction)  bedient.  Nach  geschehener  Entleerung  schliesst  man  so- 
gleich die  Oeffnung  und  macht  Umschläge  von  Bleiwasser.  Der  Eiter 
sammelt  sich  nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  wieder  an  und  kann  auf 
ähnliche  Weise  noch  öfter  entleert  werden.  Ist  spontaner  Aufbruch  er- 
folgt, so  verfährt  man  nach  allgemeinen  Regeln. 

Speicheldrüsen,     Krankheiten    derselben.      Von  den 


862  SPEICHELDRUESEN,  ENTZUENDUNG  DERS. 

Speicheldrüsen  erkrankt  die  Parotis  am  häufigsten  und  hier  tritt  gern  Ent- 
zündung mit  ihren  Folgen  auf;  auch  kann  diese  Drüse  der  Siz  sehr  ver- 
schiedener Geschwülste  sein ,  und  zwar  gutartiger ,  wie  Balggeschwülste, 
Faser-  und  Fettgeschwülste,  besonders  aber  Enchondrome,  und  bösartiger, 
wie  Krebsgeschwülste. 

Entzündung  der  Ohrspeicheldrüse,  Inflamm  a  t  i  o 
glandulae  parotidis,  Parotitis  (ttuqwtiq  ,  von  ttuqu,  ,  neben 
und  01/^,  wrog,  das  Ohr),  auch  Angina  s.  Cynan  che  parotid  ea, 
Mumps,  Bauernwezel,  Ziegenpeter  genannt,  ist,  mit  Ausnahme 
der  Fälle  von  directer  Verwundung ,  stets  von  einer  allgemeinen  Erkran- 
kung abhängig  oder  doch  mit  ihr  im  innigsten  Zusammenhange.  — 
Symptome.  Die  Krankheit  kündigt  sich  gewöhnlich  durch  catarrha- 
lische  Zufälle,  wiederholte  Schauer,  Mattigkeit,  Gliederschmerzen  etc.  an. 
Bald  darauf  stellt  sich  Anschwellung  einer  oder  beider  Ohrspeicheldrüsen 
ein ,  die  sich  meistens  nicht  auf  diese  beschränkt ,  sondern  auch  auf  die 
Sübmaxillar-  und  Sublingualdrüsen  und  zuweilen  selbst  auf  die  Mandeln 
sich  erstreckt.  Die  Geschwulst  erscheint  mehr  ödematös  als  prall  und 
erstreckt  sich  vom  äussern  Ohr  zu  den  Seitentheilen  des  Halses.  Die 
Haut  über  der  Geschwulst  behält  gewöhnlich  ihre  natürliche  Farbe,  oder 
sie  ist  schwach  rosenartig  entzündet  und  glänzend  und  brennend  heiss. 
Die  Schmerzen  steigen  mit  der  Zunahme  der  Geschwulst  und  werden 
durch  Bewegung  des  Unterkiefers  vermehrt ;  meistens  ist  damit  einiges 
Fieber  verbunden.  —  Die  Krankheit  hat  bald  mehr  einen  acuten ,  bald 
mehr  chronischen  Verlauf.  —  Ursachen.  Das  Leiden  tritt  häufig 
epidemisch  auf,  namentlich  bei  feuchtem,  nasskaltem,  veränderlichem 
Wetter  und  befällt  vorzugsweise  Kinder,  seltener  junge  Leute.  Die 
hauptsächlichste  Veranlassung  zu  ihm  gibt  daher  Erkältung,  doch  tritt 
dasselbe  auch  bei  der  Mercurialkrankheit ,  in  Folge  zurückgetriebener 
Hautausschläge ,  äusserer  Gewalttätigkeiten  etc.  auf.  Nicht  selten  er- 
scheint es  im  Gefolge  von  typhösen  Fiebern,  oft  mit,  oft  ohne  Besserung 
derselben.  —  Ausgänge.  In  der  Regel  endigt  die  Krankheit  in  Zer- 
theilung,  selten  in  Eiterung  und  Verhärtung.  —  In  sehr 
schweren  Fällen  mit  heftigem  Fieber  erfolgt  gern  eine  Versezung; 
es  verschwindet  nämlich  die  Ohrendrüsengeschwulst ,  und  nach  einem 
neuen  Fieberanfalle  mit  heftigem  Frost  bildet  sich  bei  Männern  eine  ent- 
zündliche Anschwellung  der  Hoden,  bei  Weibern  der  Schamlefzen  und 
Brüste  mit  Jucken  und  Brennen  in  diesen  Theilen  und  Schmerzen  in  den 
Lenden  und  dem  Schoosse  ;  oder  die  Entzündung  wirft  sich  auf  andere 
Theile,  es  entsteht  Schlafsucht,  heftiges  Kopfweh,  Irrereden,  Affectionen 
der  Brust,  Erbrechen,  allgemeine  Hautwassersucht.  Manchmal  bleibt  die 
Entzündung  der  Parotis  neben  jener  der  Genitalien  fortbestehen,  zuweilen 
wechselt  das  Leiden  dieser  mit  den  Kopfzufällen  ab.  —  Prognose. 
Sie  ist  in  den  leichteren  Graden  der  Krankheit  im  Allgemeinen  günstig, 
in  höheren  Graden   und   bei   erfolgten  Versezungen   auf  die  Geschlechts- 


SPEICHELDRUESENEXSTIRPATION.  863 

theile  zweifelhaft  oder  bedenklich,  bei  Versezangen  auf  das  Gehirn ,  die 
Lungen,  den  Magen,  die  Gedärme  gefahrlich  zu  stellen.  Die  im  Anfange 
der  typhösen  Fieber  auftretende  Entzündung  der  Ohrspeicheldrüse  (sym- 
ptomatische Parotitis)  gibt  eine  schlechte,  die  sich  gegen  das  Ende 
derselben  entwickelnde ,  die  kritischer  Natur  ist ,  dagegen  eine  gute 
Prognose.  —  Behandlung.  In  gelinderen  Graden  erfolgt  die  Zer- 
theilung  gewöhnlich  leicht  unter  Anwendung  trockener  Wärme  mittels 
gewärmter  Tücher,  Flanell,  Watte  oder  Kräutersäckchen  und  leichter  dia- 
phoretischer Mittel.  Bei  höheren  Graden  von  Entzündung ,  heftigen 
Schmerzen  und  grösserer  Ausdehnung  der  Geschwulst  zieht  man  allge- 
mein und  örtlich  antiphlogistische  Mittel  in  Gebrauch ,  wie  Aderlässe, 
Blutegel,  Einreibungen  der  Quecksilbersalbe,  erweichende  Umschläge  etc. 
Ist  der  Kranke  aber  sehr  schwach ,  neigt  das  Fieber  mehr  zum  typhösen, 
so  gibt  man  leichte  Aufgüsse,  von  Valeriana,  Melisse  mit  Minderer's  Geist, 
Camphor  etc.  —  Wenn  die  Entzündungszufäile  verschwunden  sind  und 
die  Zertheilung  zu  träge  vor  sich  geht,  so  wendet  man  reizende  Mittel  an, 
wie  die  flüchtige  Salbe,  die  Quecksilbersalbe  mit  Camphor,  reizende  Pfla- 
ster. —  Kommt  es  zur  Eiterung ,  so  unterstüzt  man  die  Zeitigung  des 
Abscesses  und  öffnet  ihn ,  sobald  man  deutlich  Fluctuation  fühlt.  Die 
symptomatischen  wie  die  kritischen  Parotidengeschwülste  scheinen  mehr 
Aussichten  für  den  Kranken  zu  gewähren ,  wenn  Eiterung  eintritt.  — 
Droht  Versezung,  so  sucht  man  die  Affection  durch  Sinapismen,  Blasen- 
pflaster festzuhalten ;  hat  sie  sich  auf  die  Geschlechtstheile  geworfen ,  so 
müssen  diese  warm  gehalten ,  in  Flanell  gehüllt  und  auf  die  Parotis  ein 
Blasenpflaster  gelegt  werden ;  hat  Versezung  auf  das  Gehirn  stattgefun- 
den ,  so  legt  man  auf  den  Hodensack  und  die  Parotis  Blasenpflaster  und 
wirkt  dem  Kräftezustand  angemessen  auf  die  Haut. 

Speicheldrüsenexstirpation.  Diese  Operation  kann  bei 
der  Ohrspeicheldrüse  ,  wie  bei  der  Submaxillar-  und  Sublingualdrüse  nö- 
thig,  und  durch  Entartungen  oder  durch  Vergrösserungen  dieser  Drüsen, 
welche  durch  Druck  nachtheilig  auf  die  Umgebung  einwirken,  bedingt 
werden.  Contraindicationen  dieser  Operation  sind,  wenn  die  Umgebung 
der  Drüsen  so  entartet  ist,  dass  eine  reine  Exstirpation  unmöglich  ist  und 
wenn,  z.  B.  beim  Krebs  ,  Spuren  eines  ursächlichen  oder  secundären  All- 
gemeinleidens vorhanden  sind. 

Exstirpation  der  Ohrspeicheldrüse.  Diese  betrifft  entweder  nur 
einenTheil  dieser  Drüse  oder  die  ganze  Drüse.  Wenn  es  sich  nur  von  der  Weg- 
nahme oberflächlich  auf  der  Parotis  liegender  und  abgegrenzter  Afterbil- 
dungen handelt ,  so  bietet  die  Operation  keine  Schwierigkeit  und  Gefahr 
dar ;  anders  ist  es  schon ,  wenn  diese  mehr  oder  weniger  innige  Verbin- 
dungen mit  der  Drüse  eingegangen  haben,  denn  in  diesem  Falle  rnuss 
ein  Theil  der  Drüse  selbst  entfernt  werden  ,  womit  die  Verlezung  nicht 
unbedeutender  Gefässe  und  Nerven  gegeben  ist.  Bei  der  Exstirpation 
der  ganzen  Drüse   aber  kommt   zu   der  Gefahr  einer  gewaltigen  Blutung 


864  SPEICHELDRUESENEXSTIRPATION. 

(aus  der  Carotis  externa  und  ihren  Aesten)  noch  die  einer  tief  ge- 
gen den  Hals  vordringenden,  lang  dauernden  Eiterung,  abgesehen  davon, 
dass  durch  die  unvermeidliche  Verlezung  des  Nerv,  facialis  eine  ent- 
stellende Lähmung  der  Gesichtshälfte  mit  ihren  Folgen ,  Speichelfluss, 
Erschwerung  des  Kauens  und  Unmöglichkeit  die  Augenlider  zu  schliessen, 
herbeigeführt  wird.  Nichtsdestoweniger  ist  die  Operation  vorkommenden 
Falls  als  Lebensrettungsmittel  indicirt ;  die  Blutung  ist  zu  bemeistern 
und  die  Lähmung  der  Gesichtshälfte  kommt  dem  Zwecke  der  Operation 
gegenüber  nicht  in  Betracht;  zuweilen  verschwindet  sie  später.  Der 
Erfolg  der  Operation  war  in  den  bekannt  gewordenen  Fällen  im  Ganzen 
günstig.  —  Behufs  der  Ausführung  der  Operation  legt  man  den 
Kranken  horizontal  auf  die  gesunde  Seite  mit  etwas  gesenktem  Kopfe, 
damit  die  Geschwulst  hervortrete.  Nach  der  Grösse  der  Geschwulst  und 
nach  der  Beschaffenheit  der  Haut  macht  man  durch  diese  einen  Längen-, 
Kreuz-  oder  Ovalschnitt  und  löst  die  Hautdecken  von  der  vordem  Ge- 
schwulstmasse ab.  Nun  fasst  man  den  Tumor  mit  einem  Haken ,  zieht 
ihn  vor  und  löst  ihn  mit  vorsichtigen  Messerzügen  von  seiner  Grundfläche 
ab,  wobei  man  'entweder  die  fibröse  Drüsenkapsel,  wenn  sie  gesund  ist, 
zurücklässt ,  im  andern  Falle  sie  aber  mit  wegnimmt.  Muss  die  Drüse 
ganz  oder  doch  grösstentheils  entfernt  werden ,  so  beginnt  man  die  Aus- 
schälung derselben  am  zweckmässigsten  von  ihrem  untern  hinteren  Rande 
aus ,  an  welchem  man  sie  dann  emporhebt  und  bis  zur  Eintrittsstelle  der 
Carotis  ablöst.  Dieses  Gefäss  wird  hierauf  hervorgezogen  und  unter- 
bunden, über  der  Ligatur  abgeschnitten  und  die  Geschwulst  vollends  ent- 
fernt. Bei  der  Loslösung  der  Drüse  gebraucht  man  die  Schneide  des 
Messers  so  wenig  als  möglich ,  immer  aber  mit  der  grössten  Vorsicht ; 
blutende  Gefässe  unterbindet  man  sogleich. —  Die  Tiefe  der  Wunde  lässt 
bei  der  totalen  Exstirpation  keine  Vereinigung  per  primam  inten- 
tionem  zu  ;  man  füllt  sie  mit  Charpie  aus  und  sucht  sie  vom  Grunde 
auf  durch  Granulationsbildung  zur  Heilung  zu  führen  ;  bei  partiellen  Ex- 
stirpationen  steht  dagegen  der  schnellen  Vereinigung  der  Wunde  nichts 
im  Wege ;  man  vereinigt  sie  daher  mittels  der  Knopf-  oder  umschlungenen 
Naht,  wobei  man  nur  den  untern  Wundwinkel  offen  lässt ,  um  dem  Eiter 
Abfluss  zu  verschaffen.  —  Nachblutungen,  Entzündungen,  Eiterung,  Tris- 
mus  etc.  werden  nach  allgemeinen  Regeln  behandelt.  —  Unzweckmässig 
ist  es ,  die  Parotidengeschwnlst  durch  mehrfach  eingezogene  Ligaturen 
einzuschnüren  und  auf  diese  Weise  zu  entfernen. 

Exstirpation  der  Unterkieferdrüse.  Es  hängt  von  ihrer 
vorzugsweisen  Entwicklung  gegen  den  Hals  oder  gegen  die  Mundhöhle 
ab  ,  ob  man  sie  von  der  einen  oder  von  der  andern  Seite  angreifen  soll. 
Bei  der  Exstirpation  vom  Halse  her  muss  der  Patient  den  Mund  geschlos- 
sen und  den  Kopf  hintenüber  gebeugt  halten.  Der  Operateur  durchtrennt 
Haut  und  Platysma  myoides  in  der  Richtung  der  grössten  Ausdeh- 
nung der   Geschwulst.       Die   zu   Tage  tretende  Fascia  colli  wird  an 


SPEICHELFISTEL  865 

einer  Stelle  eingerizt  und  auf  der  Hohlsonde  gespalten.  Dies  muss  be- 
sonders nach  hinten  vorsichtig  geschehen,  damit  nicht  die  Vena  facia- 
lis communis  verlezt  werde.  Nun  geht  man  an  die  Ausschälung  der 
Drüse,  was  mit  dem  Scalpellhefte  geschehen  kann;  schliesslich  zieht  man 
den  Ductus  Whartonianus  vor,  isolirt  ihn,  was  mit  besonderer  Vor- 
sicht geschehen  muss  ,  da  er  dicht  am  Nerv,  lingualis  liegt ,  und 
durchschneidet  ihn.  Die  Art.  maxillaris  externa,  an  der  hintern 
untern  Seite  der  Drüse  gelegen,  kann  bis  zu  Ende  der  Operation  geschont 
oder  auch  gleich  nach  dem  Hautschnitt  unterbunden  werden.  —  Um  die 
Drüse  vom  Mund  aus  zu  entfernen,  spaltet  man  die  Schleimhaut,  zieht  die 
Drüse  mit  einer  Hakenzange  hervor  und  löst  sie,  dicht  an  ihr  schneidend, 
mit  der  Coop  er 'sehen  Scheere  aus  ihren  Verbindungen. 

Exstirpation  der  Unterzungendrüse.  Der  Kranke  sizt 
mit  weit  geöffnetem  Munde,  der  Operateur  steht  ihm  gegenüber  und  spal- 
tet die  Schleimhaut  längs  der  ganzen  Ausdehnung  der  dicht  an  der  Seite 
der  Zunge  liegenden  Drüse.  Hierauf  wird  mittels  des  Scalpellhefts  das 
Bindegewebe  zwischen  der  äussern  Seite  der  Drüse  und  dem  Unterkiefer 
getrennt ,  dann  die  Drüse  am  hintern  Ende  mittels  eines  spizigen  Hakens 
oder  der  M  u  s  e  u  x '  sehen  Zange  gefasst,  und  so  allmälig  die  Adhäsionen 
derselben  theils  stumpf,  theils  schneidend  getrennt.  —  Die  Schleimhauträn- 
der können  mittels  einer  Knopfnaht  vereinigt  werden. 

Speichelfistel,  F  i  s  t  u  1  a  s  a  1  i  v  a  1  i  s.  Hierunter  versteht  man 
eine  widernatürliche  Oeffnung  in  der  äussern  Wangengegend ,  welche  mit 
dem  Speichelgange  der  Parotis  oder  mit  dieser  Drüse  selbst  in  Verbin- 
dung steht  und  Speichel  austreten  lässt.  —  Fistelbildungen  an  den  übri- 
gen Speicheldrüsen  gehören  zu  den  grössten  Seltenheiten.  —  Dia- 
gnose. Die  Speichelfisteln  werden  an  ihrer  Lage ,  an  der  mit  callösen 
Rändern  umgebenen  Oeffnung  und  vorzüglich  an  dem  Ausfluss  einer  zähen, 
durchsichtigen  Flüssigkeit  erkannt,  deren  Menge  durch  Sprechen  und 
Kaubewegungen  vermehrt  wird.  Dieser  oft  wiederholte  Speichelverlust 
schadet  der  Verdauung  und  kann  selbst  Erschöpfung  herbeiführen.  — 
Die  Fisteln  der  Ohrspeicheldrüse  geben  sich  durch  ihre  Lage  in  der  Nähe 
des  Ohrs ,  einen  geringeren  Ausfluss  von  Speichel ,  ferner  dadurch  zu  er- 
kennen, dass  die  Untersuchung  mit  der  Sonde  den  Stenon 'sehen  Gang 
unverlezt  zeigt.  —  Die  Speichelgangfisteln  sind  die  bei  weitem  häufig- 
sten. —  Ursachen.  Diese  sind:  zufällige  Verlezungen  der  Parotis 
oder  ihres  Gangs ,  Ulcerationen  in  diesen  Gebilden ,  endlich  Verstopfung 
des  Speichelgangs  durch  steinige  Concremente.  In  lezterem  Falle  bildet 
sich  nach  dem  Laufe  des  Stenon'  sehen  Ganges  eine  fluetuirende  Ge- 
schwulst ,  welche  sich  nach  und  nach  vergrössert ,  aufbricht  und  den 
Speichel  entleert.  —  Behandlung.  Sie  ist  verschieden ,  je  nachdem 
die  Fistel  an  der  Speicheldrüse  oder  an  dem  Speichelgange  besteht.  ■ — 
Die  Speicheldrüsenfistel  wird  gewöhnlich  durch  einen  anhaltenden 

Bürger,  Chirurgie.  55 


866  SPEICHELFISTEL. 

Druck  geheilt ,  indem  dadurch  die  Secretionsthätigkeit  der  Drüse  unter- 
drückt wird.  Man  legt  auf  dieselbe  eine  kegelförmige  Compresse  und 
befestigt  sie  mit  der  Halfterbinde,  welche  zugleich  die  Kiefer  geschlossen 
erhält.  Bei  der  jedesmaligen  Erneuerung  des  Verbandes  reibt  man  in 
der  Umgegend  der  Fistel  Campheröl  ein,  betupft  selbst  leztere  mit  Höllen- 
stein. Zuweilen  reicht  man  mit  dem  wiederholten  Betupfen  mit  Lapis 
infernalis  allein  aus.  —  Die  Behandlung  der  Speichelgang- 
fistel besteht  entweder  in  der  Wiederherstellung  des  natürlichen  Weges 
für  den  Speichel ,  oder  in  der  Bildung  eines  neuen  Speichelganges  oder 
doch  einer  neuen  OefTnung,  um  den  Speichel  direct  in  die  Mundhöhle  zu 
leiten  oder  in  der  Obliteration  des  Ductus  Stenonianus,  oder  in 
der  künstlichen  Atrophie  der  Parotis.  —  1)  Wiederherstellung 
des  Stenon'schen  Ganges.  Dieses  Verfahren  ist  nur  anwendbar, 
wenn  der  untere  Theil  des  Speichelganges  noch  offen  ist,  was  man  mittels 
einer  vom  Munde  aus  in  denselben  eingeführten  feinen  Sonde,  oder  durch 
Einsprizungen  in  die  Fistelöflnung  erkennt.  Man  hat  verschiedene  Me- 
thoden :  a)  Vereinigung  der  Ränder  der  frischen  Trennung  durch  die  um- 
wundene Naht,  in  welcher  Absicht  man  1  —  3  feine  Insectennadeln  ein- 
legt ;  ist  die  Wunde  nicht  frisch,  so  macht  man  erst  die  Ränder  der  Fistel- 
Öffnung  wund,  b)  Einführung  eines  Fadens  mittels  einer  feinen  geöhrten 
Sonde  durch  das  untere  Stück  des  Speichelganges  und  Nachziehen  einer 
feinen  Mesche  mittels  des  aus  dieser  herauslaufenden  Fadens ;  ist  der 
Gang  gehörig  erweitert,  so  zieht  man  die  Mesche  aus  der  Fistelöffnung 
zurück,  worauf  sich  diese  von  selbst  oder  unter  Anwendung  eines  Causti- 
cums  schliesst;  bald  darauf  entfernt  man  die  Mesche  ganz.  Andere  füh- 
ren Faden  und  Mesche  von  der  Fistel  aus  in  den  Speichelgang,  c)  Cau- 
terisation  der  fistulösen  OefTnung  entweder  mittels  des  Glüheisens ,  wo- 
durch man  einen  Schorf  sezt,  der  die  OefTnung  so  lange  verstopft  und  den 
Speichel  auf  gewöhnlichem  Wege  abzufliegen  zwingt ,  bis  unter  dem 
Schorfe  die  Granulationen  die  OefTnung  verschlossen  haben ,  oder  man 
äzt  mit  Höllenstein,  um  denselben  Zweck  zu  erreichen ,  was  indessen  nur 
bei  ganz  kleinen  Fisteln  ausreicht.  d)  Compression  der  Fistel  oder  des 
Stücks  des  Duct.  stenonianus,  welches  auf  dem  Masseter  liegt. 
Dient  nur  dazu,  das  Durchmessen  des  Speichels  während  der  Heilung  zu 
verhindern.  e)  Obturation  der  Fistel ,  nach  M  a  1  g  a  i  g  n  e  mit  einem 
Goldplättchen ,  welches  mit  Pech  über  der  OefTnung  befestigt  wird,  nach 
Rodolpho-Rodolphi  mit  Collodium.  Endlich  wurde  die  Fistel 
durch  eine  plastische  Operation  geschlossen.  ■ —  2)  Bildung  eines 
neuen  Speichelganges.  Diese  Operation  wird  vorgenommen,  wenn 
der  Mundtheil  des  Stenon'  sehen  Ganges  unwegsam  ist.  Man  verfährt 
dabei  auf  verschiedene  Weise:  a)  man  durchsticht  entweder  mittels  eines 
feinen  Troicarts  oder  irgend  einer  spizigen  Sonde  von  der  Fistel  aus  die 
Backe  in  schiefer  Richtung  nach  vorne  und  innen.  In  diesen  so  gebilde- 
ten Kanal  zieht  man  einen  Bleidraht  oder  eine  Darmsaite  ein ,    führt  die- 


SPEISEROEHRENSCHNITT.  867 

selbe  beim  Munde  hervor  und  klebt  das  vordere  Ende  an  der  Wange  fest; 
das  hintere  Ende  soll  jedoch  nicht  durch  die  Fistel  gehen,  weil  sonst  die 
Heilung  verhindert  wird.  Damit  die  fremden  Körper  nicht  in  die  Mund- 
höhle schlüpfen,  soll  das  hintere  Ende  derselben  von  der  Fistel  aus  in  das 
hintere  Ende  des  Speichelgangs  eingeführt  werden,  was  aber  sehr  schwer 
auszuführen  ist ;  es  ist  daher  besser,  das  aus  dem  Munde  hängende  Stück 
der  Darmsaite  mit  dem  aus  der  Fistel  hervortretenden  zu  verknüpfen,  und 
diese  Verbindung  so  lange  zu  lassen,  bis  man  den  neuen  Gang  genug  er- 
weitert und  überhautet  glaubt,  worauf  man  die  Darmsaite  durch  den  Mnnd 
herauszieht ;  schliesslich  wird  die  Fistelöffnung  angefrischt  und  geheftet, 
b)  Man  durchbohrt  von  der  Fistel  aus  die  Wange  an  zwei  Punkten  und 
führt  einen  Faden ,  Bleidraht  oder  eine  Darmsaite  in  der  Weise  durch 
diese  Oeffungen,  dass  die  beiden  Enden  derselben  in  die  Mundhöhle  hin- 
einragen. Nun  werden  die  Wundränder  der  Fistel  frisch  gemacht  und 
mittels  der  umschlungenen  Naht  vereinigt.  Die  in  die  Mundhöhle  hinein- 
ragenden Enden  des  fremden  Körpers  lässt  man  entweder  einfach  liegen, 
bis  die  äussere  Wunde  fest  geschlossen  ist  und  die  zwei  inneren  Oeffnun- 
gen  hinlänglich  weit  sind,  oder  man  knüpft  oder  dreht  sie  zusammen  und 
lässt, die  Schlinge  durchschneiden,  wodurch  eine  grosse  Oeffnung  entsteht, 
welche  sicher  offen  bleibt.  Dieses  von  S  e  g  u  i  s  e  herrührende  Verfahren 
ist  das  gebräuchlichste.  Einfacher  ist  es  noch,  den  Faden  mit  zwei  Na- 
deln ,  die  an  seine  beiden  Enden  gefädelt  sind  und  von  der  Fistel  aus 
durch  die  Backenschleimhaut  durchgestochen  werden  ,  einzuführen.  c) 
Lange nbeck  hat  empfohlen ,  die  hinter  der  Fistel  gelegene  Partie  des 
Ductus  Stenonianus  blosszulegen,  den  Gang  an  der  Fistel  oder  un- 
mittelbar hinter  ihr  quer  durchzuschneiden  und  in  eine  künstliche  Oeff- 
nung der  Mundhöhle  einzunähen.  - —  3)  Obliteration  des  Ductus 
Stenonianus.  Maisonneuve  will  eine  solche  durch  Druck  zwi- 
schen Parotis  und  Fistel  erzielt  haben,  was  sehr  zweifelhaft  ist.  V  i  b  o  r  g 
suchte  das  Gleiche  durch  Unterbindung  des  Speichelgangs  zwischen  Drüse 
und  Fistel  zu  erreichen.  —  4)  Atrophirung  der  Parotis.  Die 
Compression  wird  hier  auf  die  Drüse  selbst  ausgeübt.  Dieselbe  ist  aber 
nicht  allein  schwer  auszuführen ,  sondern  auch  so  schmerzhaft ,  dass  sie 
nicht  auf  die  Länge  ertragen  wird.  —  Bis  zur  völligen  Verheilung  der 
äussern  Fistelöffnung  muss  die  Bewegung  des  Unterkiefers  möglichst  unter- 
bleiben, daher  auch  die  Kranken  mit  flüssigen,  durch  eine  Röhre  beige- 
brachten Speisen  ernährt  werden.  —  Die  Anschwellung  des  S  t  e  n  o  n  '  - 
sehen  Ganges  zu  einer  fluetuirenden  Geschwulst  sucht  man  durch  Ein- 
führen einer  feinen  Sonde  zu  beseitigen  ;  gelingt  dies  nicht,  so  öffnet  man 
die  Geschwulst  vom  Munde  aus  mit  der  Lancette.  Einen  im  Speichel- 
gang befindlichen  Stein  schneidet  man  nach  innen  aus. 

SpeiserÖhrenSChnitt,   Oesophagotomia  (von  oißocpayog, 
Speiseröhre,  To/ut],  Schnitt).      Man  versteht  hierunter  die  Einschneidung 

55* 


868  SPEISEROEHRENSCHNITT. 

des  Halstheils  der  Speiseröhre  nach  Durchschneidung  der  sie  hier  decken- 
den weichen  Theile  ,  um  entweder  einen  fremden  Körper  aus  ihr  zu  ent- 
nehmen oder  einen  künstlichen  Weg  für  die  Einführung  von  Nahrungs- 
mitteln zu  bilden.  —  Indicirt  ist  die  Operation:  1)  bei  einem  in  dem 
Halstheile  der  Speiseröhre  festsizenden  fremden  Körper,  wenn  er  bedenk- 
liche Zufälle  veranlasst  und  weder  nach  oben  ausgezogen ,  noch  abwärts 
gestossen  werden  kann,  oder  wegen  seiner  giftigen  oder  anderweitig  schäd- 
lichen Beschaffenheit  nicht  in  den  Magen  gelangen  darf;  2)  bei  Veren- 
gerungen ,  Aftergebilden  und  andern ,  auf  eine  bestimmte  Zeit  unüber- 
windlichen Hindernissen  für  den  Durchgang  der  Speisen,  wenn  sie  an  der 
Speiseröhre  nicht  tiefer  als  hinter  dem  Ringknorpel  sizen  und  dieselbe  so 
verschliessen,  dass  auch  eine  elastische  Röhre  vom  Rachen  aus  nicht  mehr 
durch  sie  geführt  werden  kann.  —  Gegenanzeigen  sind :  zu  tiefer  Siz  des 
fremden  Körpers  als  auch  der  Verengerung  und  hochgesteigerte  Entzün- 
dung oder  gar  Brand  der  zu  operirenden  Theile.  —  Es  gibt  zwei  Ope- 
rationsmethoden, die  sich  durch  die  Verschiedenheit  der  Ein- 
schnittsstelle unterscheiden :  man  schneidet  nämlich  entweder  am  vordem 
Rande  des  Sternocleidomastoideus(Guattani),  oder  zwischen 
beiden  Köpfen  dieses  Muskels  (E  c  k  o  1  d)  ein.  Als  dritte  Methode  wird 
die  Operationsweise  von  Vacca  Berlin  ghieri  angegeben,  bei  welcher 
nach  Blosslegung  des  Oesophagus  am  vordem  Rande  des  Sternoclei- 
domastoideus  jener  durch  ein  besonderes  Instrument,  den  Ectropoe- 
sophag ,  in  die  Wunde  gedrängt  und  oberhalb  des  Knopfs  desselben  ein- 
geschnitten wird.  Dieses  Instrument ,  so  wie  andere  an  seiner  Stelle  be- 
nuzte Vorrichtungen  (Katheter ,  Bougies  etc.)  sind  überflüssig ,  wenn  die 
Speiseröhre  durch  fremde  Körper  ausgedehnt  ist.  —  Die  Operation  ist 
schwierig  und  ohne  Vorsicht  und  Geschicklichkeit  sehr  gefährlich  ,  denn 
es  können  sehr  wichtige  Theile ,  namentlich  die  Art.  carotis,  Vena 
jugularis  interna,  die  obere,  mehr  noch  die  untere  Schilddrüsen- 
arterie ,  unterwärts  die  Venajugularis  thoracica,  welche  manch- 
mal hoch  liegt ,  verlezt  werden,  ebenso  der  Nerv,  recurrens,  dessen 
Verlezung  erschwertes  Sprechen  und  selbst  Stimmlosigkeit ,  wenn  auch 
nicht  bleibend,  erzeugen1  kann.  Bei  guten  anatomischen  Kenntnissen  und 
sicherer  Hand  sind  diese  Theile  zu  vermeiden  und  es  werden  nur  die 
Haut,  der  breite  Halsmuskel ,  Zellstoff  und  die  Speiseröhre  nebst  einigen 
auf  ihr  laufenden  Fäden  vom  N.  v  a  g  u  s  durchschnitten ,  Verlezungen, 
welche  an  sich  zwar  nicht  gefährlich  sind,  aber  es  werden  können,  indem 
manchmal  Eitersenkungen  nach  der  Brust  hin  und  Schlundverengerung 
entstehen.  Diese  Schwierigkeiten  und  Gefahren  der  Operation  dürfen 
jedoch  von  ihrer  Ausführung  nicht  abhalten  ;  bei  den  oben  geschilderten 
von  fremden  Körpern  erregten  Zufällen  ist  sie  als  einziges  Lebensrettungs- 
mittel unerlässlich.  —  Ist  ein  fremder  Körper  im  Oesophagus  und  von 
aussen  fühlbar,  so  macht  man  auf  der  Seite  ,  wo  dieses  am  meisten  statt 
hat,  den  Einschnitt ;  andernfalls  operirt  man  auf  der  linken  Seite,  weil  der 


SPEISEROEHPENSCHNITT.  869 

Oesophagus  mehr  auf  ihr ,  als  auf  der  rechten  liegt.  Ueberdies  macht 
man  bei  fremden  Körpern  den  Schnitt  wo  möglich  in  gleicher  Höhe  mit 
ihrem  Size ,  bei  Verengerungen  stets  unterhalb  derselben  und  hiernach 
richtet  sich  hauptsächlich  die  Wahl  des  Verfahrens.  —  Behufs  der  Aus- 
führung der  Operation  sizt  der  Kranke  auf  einem  Lehnstuhl  oder  liegt 
im  Bette  in  der  Nähe  des  rechten  Bettrandes  ;  der  Kopf  wird  nach  hinten 
und  der  Seite,  an  welcher  nicht  operirt  wird ,  geneigt  und  von  einem  da- 
hinter stehenden  Gehülfen  fixirt.  Der  an  der  rechten  Seite  des  Kranken 
stehende  Operateur  macht  mit  dem  convexen  Scalpell  einen  Schnitt  vom 
Ringknorpel  bis  zum  Manubrium  sterni;  sollte  dieser  Raum  sehr 
klein  sein ,  wie  bei  kurzhalsigen  Menschen ,  so  müsste  entweder  der 
Schnitt  nach  oben  verlängert  oder ,  die  Wunde  dadurch  geräumiger  ge- 
macht werden ,  dass  man  vom  untern  Ende  des  Schnittes  nach  aussen 
einen  Querschnitt  führt ,  welcher  nebst  der  Haut  den  Sternocleido- 
mastoideus  an  seinem  Ursprünge  abschneidet.  Der  genannte  Muskel 
wird  nun  mit  einem  stumpfen  Haken  nach  aussen  gezogen  und  die  Fas- 
cia media  colli  am  äussern  Rande  der  Schilddrüse  auf  der  Hohlsonde 
in  der  ganzen  Ausdehnung  der  Wunde  gespalten.  Hierauf  wird  das  Zell- 
gewebe zwischen  der  Carotis  und  der  Schilddrüse  mittels  des  Scalpellstiels 
durchtrennt,  der  am  Kopfnicker  angesezte  Haken  tiefer  eingesezt,  so  dass 
die  Gef  ässe  mittels  desselben  abgezogen  werden ,  und  mit  einem  zweiten 
stumpfen  Haken  die  Schilddrüse  nach  innen  gezogen.  Man  sieht  nun 
deutlich  den  Muse,  longissimus  colli  auf  der  Wirbelsäule  und  den 
Oesophagus  als  rundlich  platt  gedrückten  Wulst  an  der  Innenseite  der 
Trachea  vorragen.  Der  auch  an  seinen  blassen  Muskelfasern  und  an  den 
Schlingbewegungen  erkennbare  Oesophagus  wird  mit  einem  spizen  Bi- 
stouri angestochen  und  der  Schnitt  parallel  mit  seinen  Längenfasern  nach 
abwärts  verlängert ;  hierauf  sezt  man  zwei  kleine  stumpfe  Haken  in  die 
Muskelwunde  des  Oesophagus  ein  und  fasst  die  sich  nun  vorwölbende 
Schleimhaut  mit  der  Pincette  und  schneidet  mit  dem  Bistouri  oder  der 
Scheere  eine  Oeffnung  in  dieselbe.  Von  dieser  Oeffnung  aus  erweitert 
man  die  Wunde  nach  auf-  und  abwärts  zur  hinlänglichen  Grösse.  Be- 
findet sich  ein  grosser  fremder  Körper  in  der  Speiseröhre  ,  so  schneidet 
man  gerade  auf  diesen  ein.  Hat  man  blos  deshalb  operirt,  um  den  Kran- 
ken nähren  zu  können  ,  so  braucht  die  Oeffnung  in  der  Schleimhaut  nur 
so  gross  zu  sein,  als  der  Durchmesser  der  Schlundbougie.  Hat  man  einen 
fremden  Körper  zu  entfernen,  so  muss  die  Wunde  dem  entsprechend  gross 
sein.  —  Will  man  sich  eines  Ectropoesophags  bedienen ,  so  kann  dieser 
vor  dem  Hautschnitt  oder  nach  Blosslegung  des  Oesophagus  eingeführt 
werden ;  nachdem  man  den  federnden  Theil  hat  vortreten  lassen ,  schnei- 
det man  auf  ihm  ein.  —  Nach  der  Eröffnung  der  Speiseröhre  richtet  sich 
das  weitere  Verfahren  nach  dem  Zwecke ,  den  man  damit  erreichen  will. 
Hat  man  es  mit  einem  fremden  Körper  zu  thun,  so  zieht  man  ihn  mit  einer 
gewöhnlichen  starken  Polypen-  oder  Kornzange  aus.      AVurde  operirt,  um 


870  SPEISEROEHRENVERENGERUNG. 

Nahrangsmittel  in  den  Magen  zu  bringen,  so  führt  man  eine  Schlund- 
bougie  ein ,  durch  welche  man  dem  Kranken  so  lange  flüssige  Nahrungs- 
mittel einfiösst,  bis  der  normale  Weg  hergestellt  ist.  —  Die  Wunde  lässt 
man  durch  Eiterung  heilen.  Diejenige  der  Speiseröhre  schliesst  sich 
meist  am  8 — -10.  Tage;  in  den  ersten  8  Tagen  bekommt  der  Kranke  gar 
keine  Nahrung  und  muss  seinen  Durst  blos  durch  saure  Mittel  zu  stillen 
suchen.  Nach  dem  10.  Tage  kann  man  mit  Fleischbrühe  beginnen  und 
so  nach  und  nach  festere  Nahrungsmittel  geben.  —  Etwa  eintretende 
Nachblutung,  heftige  Entzündung  werden  nach  allgemeinen 
Regeln  behandelt.  Eitersenkungen  erfordern  Gegenöffhungen. 
Zurückbleibende  Verengerung  der  Speiseröhre  machen  den  Gebrauch 
der  Bougies  nöthig.  Eine  Schlundfistel  sucht  man  durch  öftere 
Cauterisationen  zum  Verschluss  zu  bringen. 

Speiseröhrenverengerung,  strictura  s.  Stenosis  oc- 

s  o  p  h  a  g  i ,  ist  eine  nicht  häufig  vorkommende  Krankheit ,  deren  Wesen 
in  den  meisten  Fällen  in  einer  partiellen  Verdichtung,  callösen  Umbildung 
und  Verhärtung  der  Schleimhaut  und  des  unter  ihr  gelegenen  Zellstoffs 
besteht.  Das  die  Krankheit  veranlassende  Moment  ist  gewöhnlich  eine 
chronische  Entzündung.  Ausser  diesem  können  Verengerungen  des  Oeso- 
phagus hervorgebracht  werden  durch  Narben  nach  Verwundungen  der 
Speiseröhre ,  durch  polypöse  und  andere  Auswüchse ,  durch  varicöse  Be- 
schaffenheit der  Gef  ässe ,  durch  Geschwülste  ,  welche  die  Speiseröhre  zu- 
sammendrücken und  durch  Krampf.  Hierauf  beruht  die  Eintheilung  in 
entzündliche,  organische  und  spastische  Verengerungen.  —  Die  Verenge- 
rung kann  sich  nur  auf  kleine  Stellen ,  oder  auf  eine  Wand  beschränken, 
oder  sie  erstreckt  sich  über  eine  Strecke  von  mehreren  Zollen,  oder  rings 
um  die  ganze  Peripherie,  und  kann  als  eine  callöse,  knorpelige,  scirrhöse 
etc.  Verengerung  auftreten.  —  Der  Siz  der  Verengerung  ist  am  häufig- 
sten im  obersten  Theile  der  Speiseröhre ,  nächstdem  im  untersten ,  nahe 
der  Cardia  ,  am  seltensten  im  mittlem  Theile.  —  Wichtig  sind  die  Ver- 
änderungen, welche  der  Oesophagus  oberhalb  und  unterhalb  der  Strictur 
erleidet.  Sobald  leztere  einen  etwas  bedeutenderen  Grad  erreicht  hat, 
wird  der  dicht  darüber  gelegene  Theil  der  Speiseröhre  durch  die  an  die- 
ser Stelle  angehäuften  und  stockenden  Nahrungsmittel  immer  mehr  erwei- 
tert, so  dass  sich  schliesslich  eine  Tasche  entwickelt,  die  eine  Art  Kropf 
darstellt,  in  welchem  durch  den  beigemengten  Speichel  sogar  ein  Theil 
der  Verdauung  eingeleitet  werden  kann.  Unterhalb  der  Strictur  befindet 
sich  der  Oesophagus  in  einem  stark  zusammengezogenen  Zustande ,  so 
dass  seine  Wandungen  sich  gleichmässig  berühren,  ohne  jedoch  den  ein- 
geführten Körpern  ein  grösseres  Hinderniss  entgegenzusezen.  Bei  diesen 
einfachen  räumlichen  Veränderungen  bleibt  es  aber  nicht.  In  Folge  der 
beständigen  Reizung  der  verengten  Stelle  kommt  es  meistens  zu  einer 
chronischen  Entzündung   der  Schleimhaut ;    dieselbe   erscheint   geröthet, 


SPEISEROEHRENVERENGERUNG.  871 

blutet  leicht  und  geht  oft  in  Verschwörung  über.  Dadurch  kann  eine 
weit  greifende  Zerstörung  und  endlich  selbst  eine  Perforation  des  Oeso- 
phagus herbeigeführt  werden.  Gewöhnlich  verwachst  die  Speiseröhre  fest 
mit  der  Luftröhre  und  der  Wirbelsaule.  —  Symptome.  Die  Zeichen 
beziehen  sich  zunächst  auf  die  gestörte  Räumlichkeit  bei  der  Aufnahme 
von  Nahrungsmitteln  und  die  dadurch  bedingten  Schlingbeschwerden 
(Dysphagia),  gestalten  sich  aber  nach  dem  verschiedenen  Size  der 
Krankheit  und  nach  ihrer  bereits  erlangten  Höhe  sehr  verschieden.  Im 
Anfange  macht  sich  beim  Schlingen  nur  eine  spannende  Empfindung  an 
der  kranken  Stelle  bemerklich,  die  sich  aber  bald  zu  brennenden  Schmer- 
zen, einem  Gefühl  von  Druck,  Trockenheit  steigert.  Jeder  etwas  grös- 
sere Bissen  verweilt  jezt_  an  der  beengten  Stelle,  über  welche  er  nur  durch 
nochmaliges  Schlucken  unter  Strecken  des  Halses  oder  unter  Beihülfe 
eines  äusserlich  angebrachten  Drucks  weggeht.  Endlich  aber  wird  die 
Enge  so  gross,  dass  sie  nur  noch  Flüssigkeiten  oder  dünne  Breie  hindurch" 
lässt ,  feste  Bissen  aber  gewöhnlich  bald  darauf  durch  eine  antiperistalti- 
sche  Bewegung  des  Schlundes  wieder  auswirft.  Dieses  Auswerfen  der 
verschluckten  Substanzen  erfolgt ,  wenn  der  Siz  des  Uebels  im  obersten 
Theil  der  Speiseröhre  ist ,  schneller  als  bei  tieferem  Size ,  wo  die  Nah- 
rungsmittel gewöhnlich  in  dem  unempfindlichen  mittleren  Theile  der 
Speiseröhre  lange  Zeit  verweilen  und  ihn  in  der  oben  beschriebenen  Weise 
sackförmig  ausdehnen.  Wahrend  in  dem  ersten  Falle  die  ausgeworfenen 
Speisen  ziemlich  unverändert,  nur  mit  vielem  Schleim  gemischt  zu  Tage 
kommen ,  zeigen  sie  sich  im  lezteren  Fall  mehr  oder  weniger  verändert, 
breiartig,  mit  Schleim  ,  Blut  oder  Eiter  vermischt.  Zuweilen  werden  die 
durch  unvollständige  Brechbewegungen  in  die  Mundhöhle  zurückgeführ- 
ten Speisen  wiederholt  gekaut  und  gehen  nun  in  dem  mehr  flüssigen  und 
besser  verkleinerten  Zustande  endlich  durch  die  Strictur  hindurch.  Ge- 
wöhnlich steigern  sich  die  Schlingbeschwerden  fort  und  fort ,  manchmal 
lassen  aber  auch  die  Symptome  nach  und  der  Kranke  kann  besser  schlin- 
gen ;  eine  solche  Besserung  ist  aber  nie  von  Dauer  und  kann  nur  durch 
Verschwärung  und  dadurch  bedingte  Ablösung  der  verengten  Substanz  zu 
Stande  kommen.  Bei  längerem  Bestehen  der  Strictur  entwickeln  sich 
immer  Störungen  des  Allgemeinbefindens,  die  bei  den  gewöhnlichen  fibrö- 
sen Stricturen  von  der  Behinderung  der  Nahrungszufuhr,  bei  den  durch 
Carcinome  bedingten  von  der  Einwirkung  der  Krebsjauche  abhängig  sind. 
—  Die  krampfhafte  Verengerung  der  Speiseröhre  ist  Vorbote, 
Symptom  oder  Folgezustand  von  Krankheiten  im  Bereiche  des  Nerven- 
systems, so  namentlich  der  Hysterie,  Hypochondrie,  Hydrophobie,  Trismus, 
Tetanus  etc.  Kaltes  Getränk,  zornige  Erregung,  auch  anderweitige  Ge- 
müthsbewegungen,  die  Anwesenheit  von  Würmern  im  Darmkanal  und  be- 
sonders im  Magen  können  sie  bei  reizbaren  nervösen  Personen  herbeifüh- 
ren. Sie  ist  durchaus  unabhängig  von  Veränderungen  in  dem  Gewebe 
der  Speiseröhre,  sie  kann  daher  zeitweise  gänzlich  fehlen  und  die  Schlund- 


872  SPEISEROEHRENVBRENGERUNG. 

sonde  kann  mit  Leichtigkeit  durch  den  ganzen  Verlauf  der  Speiseröhre 
hindurch  geschoben  werden.  Tritt  sie  ein,  was  plözlich  beim  Genüsse 
bald  dieses  bald  jenes  Nahrungsmittels,  bald  nach  kaltem,  bald  nach  war- 
mem Getränke  geschieht,  so  werden  die  genossenen  Speisen,  wenn  die 
Zusammenschnürung  im  obern  Theile  der  Speiseröhre  statt  hat ,  sogleich, 
bei  tieferem  Size  erst  spater  wieder  ausgebrochen.  —  Zur  richtigen  E  r  - 
kennt niss  des  Uebels  ist  ausser  den  oben  angegebenen  Kennzeichen 
eine  genaue  Untersuchung  mittels  des  eingeführten  Fingers  oder  einer 
Bougie ,  eines  Fischbeinstäbchens  mit  einem  Knopfe ,  einer  metallenen 
biegsamen  Knopfsonde,  einer  D  upuy  tr  en'schen  Explorationssonde 
nothwendig,  um  sich  von  der  Gegenwart,  dem  Size,  der  Ausdehnung  etc. 
einer  Verengerung  zu  überzeugen.  Bei  der  Einführung  dieser  Instru- 
mente drückt  man  die  Zunge  des  Kranken  nieder  und  geht  mit  dem  In- 
strumente schnell  über  die  Zungenwurzel  und  den  Kehldeckel  weg  in  den 
Schlund.  Stösst  man  mit  diesem  auf  einen  Widerstand  ,  so  drückt  man 
es  etwas  gegen  denselben  an ,  um  entweder  einen  Abdruck  der  Verenge- 
rung zu  erhalten  oder  um  diese  zu  durchdringen,  wodurch  man  die  Weite 
derselben  kennen  lernt.  —  Prognose.  Diese  ist  selten  günstig.  Wenn 
auch  manche  Heilungen  von  Speiseröhrenstricturen  bekannt  sind.,  so  weiss 
man  doch  von  bei  weitem  mehr,  die  jedem  Heilverfahren  trozten.  —  Be- 
handlung. In  den  Fallen ,  wo  die  Veränderung  der  Schleimhaut  des 
Oesophagus  durch  chronische  Entzündung  bedingt  ist,  ist  im  Anfang  eine 
antiphlogistische  Behandlung,  eine  wiederholte  Anwendung  von  Blutegeln, 
der  fortgesezte  innerliche  Gebrauch  von  Salmiak ,  Cicuta ,  Quecksilber, 
Jodkali  und  eine  angemessene  Ableitung  (Fontanelle,  Eiterband,  Brech- 
weinsteinsalbe) angezeigt.  In  vielen  Fällen  kann  die  Behandlung  blos 
palliativ  sein,  indem  dadurch  das  Einflössen  von  Nahrungsmitteln  bezweckt 
wird.  Die  eigentliche  Behandlung  dieser  Stricturen  ist  eine  chirurgische 
und  besteht  in  der  allmäligen  Erweiterung,  in  der  Cauterisation  der  Stric- 
tur,  in  der  Oesophagotomie  und  selbst  in  der  Anlegung  einer  Magenfistel. 
—  Die  allmälige  Erweiterung  geschieht  mit  den  schon  genann- 
ten Bougies,  mit  geknöpften  Metallsonden,  mit  Darmsaiten  ,  mit  metalle- 
nen und  elastischen  Röhren  und  mit  besonderen  Diktatoren ,  wie  solche 
von  Bloock,  Jameson,  Fletscher,  Chelius  u.  A.  angegeben 
wurden.  Die  elastischen  Sonden  (Schlundröhren)  verdienen  vor  allen  den 
Vorzug,  da  sie  neben  der  mechanischen  Erweiterung  auch  noch  den  Vor- 
theil  der  Hinleitung  von  Nahrungsmitteln  nach  dem  Magen  gewähren.  Sie 
haben  je  nach  der  Weite  des  noch  vorhandenen  Lumens  der  Strictur  die 
Dicke  eines  Catheters  bis  die  des  kleinen  Fingers.  Die  Einführung  die- 
ser Sonden  (Catheterismu-s  oesophagi),  welche  ,  wie  schon  be- 
merkt, nicht  nur  zu  dem  Zwecke  der  Erweiterung,  sondern  auch  zur  Son- 
derung der  Speiseröhre  und  behufs  der  Einflössung  von  Nahrungsmitteln 
vorgenommen  wird  ,  geschieht  am  besten  durch  den  Muud.  Der  Kranke 
sizt  dabei  auf  einem  niedrigen  Stuhle,  den  Kopf  hintenüber  fixirt.    Nach- 


SPEIPEROEHRENVERENGEJirNG.  873 

dem  er  den  Mund  stark  geöffnet  hat ,  zieht  der  Operateur  die  Zungen- 
wurzel mit  Zeige-  und  Mittelfinger  der  linken  Hand  vorwärts,  fasst  das 
einzuführende  Instrument  wie  eine  Schreibfeder,  legt  es  zur  linken  Seite 
der  Zungenwurzel  auf  und  schiebt  es,  indem  er  die  Hand  etwas  aufhebt, 
nach  rück-  und  abwärts  rasch  durch  den  Isthmus  faucium  gegen  die 
hintere  Wand  des  Pharynx.  Gewöhnlich  treten  in  diesem  Momente 
Brechneigungen  ein ,  man  hält  so  lange  inne ,  bis  diese  etwas  be- 
schwichtigt sind ,  worauf  man  mit  dem  Vorschieben  des  Instruments  fort- 
fährt ,  bis  man  aus  der  Länge  des  eingedrungenen  Theils  oder  aus  dem 
Widerstände  schliessen  kann,  dass  man  an  dem  gewünschten  Orte  ist. 
An  der  Strictur  angekommen ,  muss  man  äusserst  vorsichtig  zu  Werke 
gehen ,  um  die  Schleimhaut  nicht  zu  verlezen.  —  Die  Einführung 
der  Sonde  wird  erleichtert ,  wenn  man  sie  mit  einem  Stilet  versieht 
und  dieses  dann,  wenn  man  an  dem  Isthmus  faucium  angekommen 
ist ,  auszieht ,  während  man  mit  der  andern  Hand  die  Sonde  tiefer  ein- 
schiebt. Krümmt  sich  die  Sonde  nicht  gehörig  nach  der  hintern  Wand 
des  Oesophagus ,  so  kann  man  sie  mit  Hülfe  der  durch  den  Mund  ein- 
gebrachten Finger ,  eines  stumpfen  Hakens  oder  einer  Zange  in  den 
Schlund  leiten.  Wird  ihr  längeres  Verweilen  im  Schlünde  von  dem 
Kranken  ertragen,  so  führt  man  sie  zur  Bequemlichkeit  des  leztern  besser 
durch  die  Nase  als  durch  den  Mund  ein ,  oder  man  kann,  da  diese  Ein- 
führung sehr  schwierig  ist,  nach  Boy  er  das  obere  Ende  der  durch  den 
Mund  eingeführten  Sonde  mit  Hülfe  des  B  eil  o  cq 'sehen  Instruments 
rückwärts  durch  die  Nase  führen.  —  Die  Dauer  des  Liegenbleibens  der 
Sonde  richtet  sich  nach  der  Reizbarkeit  des  Kranken ;  man  geht  allmälig 
zu  dickeren  Sonden  über..  —  Das  Eindringen  der  Sonde  wird  mehrmals 
schnell  hintereinander  in  einer  Sizung  wiederholt.  Solcher  Sizungen  aber 
müssen  täglich  wenigstens  zwei  stattfinden ,  bis  man  die  normale  Weite 
erreicht  hat;  von  da  an  lässt  man  grössere  Zwischenräume  eintreten,  sezt 
aber  die  Einführung  der  Sonde  auch  später  nie  ganz  aus  ,  weil  die  Ver- 
engerung sonst  schnell  zurückkehrt.  —  Hat  man  die  Absicht,  durch  die 
Sonde  dem  Magen  Nahrungsmittel  zuzuführen ,  so  überzeuge  man  sich, 
ob  man  nicht  etwa  in  die  Luftröhre  gelangt  ist,  wovon  man  sich  durch 
ein  besonderes  Gurgeln  ,  durch  Schmerz  ,  Husten  ,  besonders  aber  durch 
die  Bewegung  einer  Lichtflamme  vor  der  Sondenöffhung  Gewissheit  ver- 
schafft. —  Die  Cauterisation  ist  theils  bei  sehr  enger  Strictur,  theils 
in  der  Hoffnung  einer  schnelleren  und  dauernderen  Beseitigung  des 
Hindernisses  in  Ausführung  gebracht  worden.  Es  muss  dazu  ein  nicht 
zerfliessendes  Aezmittel  angewendet  werden,  welches  auf  die  bei  den 
Harnröhrenstricturen  angegebene  Weise  einer  Sonde  einverleibt  und  an- 
gewendet wird.  Es  ist  jedoch  grosse  Vorsicht  dabei  nöthig.  Zweck- 
mässig verbindet  man  Cauterisation  und  Erweiterung  miteinander.  —  In 
verzweifelten  Fällen  hat  man  sogar  die  Oesophago tomie  vorgeschla- 
gen  und  in   Ausführung    gebracht ;    meistens    hat  man   damit  nur  eine 


874  STEINSCHNITT. 

palliative  Hülfe  im  Auge ,  die  Bildung  einer  Fistel ,  durch  welche  das 
Schlundrohr  eingeführt  und  der  Kranke  ernährt  wird.  Man  hat  aber 
auch  eine  Radicalheilung  versucht  und  zu  diesem  Behufe  die  Speiseröhre 
entweder  an  der  Stelle  der  Strictur  selbst  (Watson)  oder  oberhalb  der- 
selben geöffnet  (Lavacherie)  und  in  ersterem  Falle  auf-  und  abwärts 
täglich  Schlundsonden  eingeführt ,  im  zweiten  eine  bequemere  und  siche- 
rere Einwirkung  der  durch  die  Oesophagusfistel  eingeführten  Dilatations- 
Instrumente  zu  erreichen  gehofft.  Es  sind  darüber  zur  Zeit  zu  wenige 
Fälle  bekannt ,  um  ein  bestimmtes  Urtheil  fällen  zu  können.  Selbstver- 
ständlich wäre  eine  solche  Operation  nur  auszuführen ,  wo  die  Veren- 
gerung noch  am  Halse  sässe ;  über  die  Ausführung  der  Operation  s.  den 
Art.  Speis eröhren schnitt.  —  Bezüglich  der  Anlegung  einer  Magen- 
fistel s.  den  Art.  Magenschnitt. 

Speiseröhrenpolyp,  Polypös  oesophago  Wie  in  der  Ra- 
chenhöhle, so  können  auch  weiter  abwärts  in  der  Speiseröhre  gestielte  Ge- 
wächse vorkommen  ,  welche  als  Speiseröhrenpolypen  bezeichnet  und  be- 
schrieben worden  sind.  Die  Beschwerden ,  die  sie  veranlassen  ,  können 
anfangs  den  Verdacht  einer  Strictur  erregen.  Bei  tiefsizenden  Polypen 
muss  man  sich  durch  Einführung  einer  Schlundsonde  Gewissheit  zu  ver- 
schaffen suchen,  was  oft  nicht  leicht  ist.  Glücklicher  Weise  sizen  sie 
aber  meistens  in  der  Gegend  des  Ringknorpels  oder  dicht  darunter  und 
von  da  werden  sie  durch  den  von  ihnen  erregten  Brechreiz  unter  Husten 
und  Würgen  in  die  Mundhöhle  hinaufgeschleudert,  wo  sie  dann  leicht 
erkannt  werden.  —  Die  Behandlung  dieser  Polypen  ist  die  bei  den 
Rachenpolypen  angegebene. 

Spina  bifida  s.  Rückgratspalte. 

Starrkrampf  s.  Wunden. 

Steatoma  s.  Fettgeschwulst,  2. 
Steinbildung  s.  Neubildung. 

SteinSChnitt,  Lithotomia  {li&og ,  Stein,  zopr] ,  Schnitt), 
Blasenschnitt,  Cystotomia  (xvGxig ,  Blase) ,  nennt  man  die 
kunstgemässe  Eröffnung  der  Harnblase  an  irgend  einer  Stelle,  um  Steine 
oder  fremde  von  aussen  eingedrungene  Körper  zu  entfernen.  —  Gegen- 
anzeigen für  die  Operation  sind  :  ein  unheilbares  Erkranktsein  der  Blase 
und  benachbarter  Organe,  Vereiterung  der  Nieren,  Einsackung  des  Steins, 
ein  sehr  hoher  Grad  von  Schwäche  und  Zehrfieber,  Wassersucht.  Auf- 
zuschieben ist  die  Operation :  bei  Kindern  unter  drei  Jahren ,  bei  einem 
höhern  Grade  von  Entzündung  der  Blase  oder  ihrer  Umgebung,  bei  einem 
heftigen  Paroxysmus  von  Steinschmerzen  ,  besonders  in  Verbindung  mit 
bedeutender  Affection   der  Digestionsorgane ,   Erbrechen  etc. ,   bei   Stric- 


STEINSCHNITT. 


875 


turen  der  Harnröhre,  bis  deren  Lumen  wieder  hergestellt  ist,  endlich  bei 
jeder  zufalligen  oder  vorübergehenden  Krankheit.  —  Man  hat  die  zahl- 
reichen Operationsverfahren  beim  Steinschnitte  auf  verschiedene  Weise 
einzutheilen  versucht;  die  bekannteste  Eintheilung  ist  die  in  den  Stein- 
schnitt: 1)  mit  der  kleinen,  2)  mit  der  grossen,  3)  mit  der  hohen 
Geräthschaft,  4)  in  den  Seitensteinschnitt,  5)  in  den  Steinschnitt 
in  der  Rhaphe  und  6)  durch  den  Mastdarm.  Die  übersichtlichste 
Eintheilung  ist  die  von  B  l  a  s  i  u  s  ;  nach  dieser  zerfallt  der  Steinschnitt 
in  3  Klassen  mit  8  Methoden  beim  Manne  und  9  beim  Weibe. 


Steinschnitt  beim  Manne. 

Cystosomatotomia,  Einschnei- 
dung des  Blase nkörpers: 

1)  Epicystotomia  ,    Einschnei- 
dung über  den  Schambeinen. 

2)  Hypocystotomia, Einschnitt 
vom  Damme  aus. 


II.  Cystauchenotomia ,  Einschnei- 
dung des  membranösen  Theils 
der  Harnröhre ,  der  Prostata,  des 
Blasenhalses  u.  selbst  des  Blasen- 
körpers : 

3)  Urethrocystotomia,  (Sei- 
tensteinschnitt) schräger,  seit- 
licher Einschnitt  vom  Damme 
aus. 

4)  Verticalschnitt,  gerader 
Schnitt  in  der  Mittellinie  vom 
Damme  aus. 

5)  Transversalschnitt, querer 
Schnitt  durch  Damm ,  Prostata 
•und  Blasenhals. 

6)  Proctocystotomia,  Schnitt 
vom  Mastdarm  aus. 

III.  Urethrocystaneurysmatoto- 

mia,  Einschneidung  der  Harn- 
röhre vom  Damme  aus  und  un- 
blutige Erweiterung  der  Wunde 
bis  in  die  Blase : 


Steinschnitt  beim  Weibe. 

I.  Cystosomatotomia, 

1)  Epicystotomia, 

2)  Colpocystotomia,  Ein- 
schneidung des  Blasenkörpers 
von  der  Scheide  aus. 

3)  Vestibularschnitt,  Ein- 
schnitt zwischen  Urethra  und 
Schambogen. 

II.  Cystauchenotomia,  Spaltung  der 
Harnröhre  und  des  Blasenhalses  : 


4)  Seitensteinschnitt, schräge 
Spaltung  nach  unten  u.  aussen. 

5)  Horizontalschnitt,  ho- 
rizontale Spaltung  nach  einer 
oder  zwei  Seiten. 

6)  Verticalschnitt,  Spaltung 
nach  auf-  oder  abwärts. 

III.     Urethrocystaneurysmatoto- 
mia, 


8  76  STEINSCHNITT. 

7)  Maria  nischer  Stein-  7)Marianischer  Stein- 
schnitt, Schnitt  durch  den  s  chn  itt,  Spaltung  der  Harn- 
Bulbus  und  einen  kleinen  röhre  schräg  nach  unten  und 
Theil  der  Pars  raembra-  aussen  und  unblutige  Erwei- 
nacea  Urethra e.  terung  der  Wunde. 

8)  Lecat' scher  Stein  sehn  itt ,  8)  Horizontalschnitt,  ho- 
Schnitt  durch  diePars  mem-  rizontale  Spaltung  nach  einer 
branacea  und  einen  Theil  oder  zwei  Seiten  mit  unblu- 
der  Prostata.  tiger  Erweiterung. 

9)Verticalschnitt  ,  Spal- 
tung nach  oben  ,  ebenfalls  mit 
unblutiger  Erweiterung. 

Ausser  diesen  Methoden  gibt  es  noch  eine  Menge  Varianten,  welche 
so  weit  es  nöthig  erscheint ,  später  berührt  werden  sollen.  Einige  von 
diesen  Methoden  sind  gegenwärtig  ausser  Gebrauch  ,  weil  man  sich  über- 
zeugt hat ,  dass  dieselben  theils  in  der  Ausführung  schwierig ,  unsicher 
und  beinahe  unausführbar  ohne  Verlezung  wichtiger  Organe ,  theils  in 
ihren  Folgen  gefährlich,  sehr  oft  tödtlich  gewesen  sind,  z.  B.  die  Hypo- 
cystotomie  und  die  M  a  r  i  a  n  i  s  c  h  e  Methode.  Andere  sind  noch  nicht 
durch  die  Erfahrung  hinreichend  geprüft,  um  über  ihren  Werth  entschei- 
den zu  können ,  wie  der  Transversalschnitt.  Bei  dem  Verticalschnitt  kann 
der  Incision  der  Urethra  und  des  Blasenhalses  nur  eine  geringe  Aus- 
dehnung gegeben  werden  ,  er  hat  aber  den  Vortheil  der  geringeren  Blu- 
tung. Die  Proctocystotomie  bietet  manche  Vortheile,  aber  auch  manche 
Nachtheile ,  welche  später  angeführt  werden  sollen.  Als  allgemein  für 
zweckmässig  anerkannte  Methoden  sind  der  Seitensteinschnitt  und  der 
Steinschnitt  über  den  Schambeinen ,  doch  darf  bei  lezterem  nicht  ausser 
Acht  gelassen  werden ,  dass  eine  Verlezung  des  Bauchfells  möglich  ist 
und  zuweilen  zu  Harninfiltrationen  mit  ihren  Folgen  Veranlassung  ge- 
geben wird,  auch  der  Stein,  wenn  er  zerbricht,  schwerer  zu  entfernen  ist. 
Die  Lecat 'sehe  Methode  ist,  namentlich  nach  der  Vereinfachung,  die 
sievonRust  undChelius  erfahren  hat,  häufig  in  Gebrauch,  passt 
nur  bei  kleinen  Steinen.  —  In  Nachstehendem  werden  die  hauptsächlich- 
sten Operationsmethoden  von  anatomischem  Standpunkte  aus,  nebst  einer 
kurzen  Würdigung  jeder  Methode,  so  wie  ihrer  Vorzüge  und  Nachtheile 
angegeben  werden.        ' 

A.  Steinschnitt  beim  Manne.  1)  Hoher  Blasen- 
schnitt, Sectio  alta,  Epicystotomia.  Diese  Methode  ist  an- 
gezeigt bei  sehr  grossen  Steinen  oder  bei  kleinen  Steinen  mit  bestehenden 
Krankheiten  der  Perinaealorgane  ,  wohin  insbesondere  Neubildungen  der 
Prostata  und  varicöse  Zustände  des  Plexus  venosus  prost aticus 
gehören,  welche  lezteren  die  Untersuchung  durch  den  Mastdarm  erkennen 
lässt :     überdies    bei    Kindern    unter    acht    Jahren ,    wo    am  Perinaeum 


STEINSCHNITT.  877 

keine  entsprechend  grosse  Wunde  gebildet  werden  kann.  —  Contraindi- 
cirt  ist  die  Methode,  wenn  die  Blase  sehr  eontrahirt ,  oder  wegen  Verhär- 
tung und  Verdickung  ihrer  Wände  wenig  ausdehnbar  ist,  wie  dies  bei 
Steinen  ,  die  lange  in  der  Blase  verweilten  und  bei  den  meisten  Personen 
über  6 0  Jahren  der  Fall  ist.  —  Die  nöthigen  Instrumente  sind :  ein 
Scalpell ,  ein  spizes  und  ein  geköftes  Bistouri ,  zwei  stumpfe  Haken ,  eine 
Pfeilsonde,  oder  statt  dieser  ein  spizes  Doppelhäkchen ,  Steinzange  und 
Steinlöffel.  Ausserdem  Wasser ,  Schwämme  ,  Oel  etc.  —  Der  Kranke 
liegt  horizontal  auf  einem  Bette  oder  Tische  ziemlich  nahe  am  Rande, 
an  welchem  der  Operateur  steht.  Gegenüber  von  ihm  steht  ein  Gehülfe  ; 
wenn  der  Kranke  narkotisirt  ist ,  braucht  man  keine  weiteren  Gehülfen. 
—  Vor  der  Operation  werden  die  Haare  des  Schambergs  abrasirt  und 
der  Kranke  lässt  den  Urin.  Injectionen  in  die  Blase  sind  unnüz,  denn 
sie  bewirken  die  von  ihnen  erwartete  Erhebung  der  Blase  über  die  Sym- 
physe nicht.  —  Operation.  Will  man  sich  der  Pfeilsonde  bedienen, 
so  bringt  man  sie  mit  zurückgezogenem  Stilet  wie  einen  Catheter  durch 
die  Urethra  (nach  vorausgegangenem  Seitensteinschnitte  durcft  die  Damm- 
wunde) in  die  Blase  und  lässt  sie  so  halten ,  dass  sie  beim  folgenden 
Act  nicht  im  Wege  ist.  Der  Operateur  macht  nun  mit  dem  convex 
schneidenden  Scalpelle  einen  Schnitt  in  die  Bauchdeken ,  welcher  2  \j% 
Zoll  über  der  Symphyse  der  Schambeine  beginnt  und  etwa  ^/2  Zoll  über 
den  Rand  der  Schambeinvereinigung  nach  abwärts  reicht.  Dieser  Schnitt 
dringt  bis  auf  die  Linea  alba,  welche  durch  ihre  Dichtigkeit  und 
weisse  Farbe  leicht  von  der  anstossenden  Aponeurose  des  Rectus  ab- 
d  o  in  i  n  i  s  und  Pyramidalis  unterschieden  werden  kann.  Dicht  neben 
der  Linea  alba  und  unmittelbar  am  Rande  der  Schanibeinvereinigung 
rizt  der  Operateur  mit  dem  Scalpelle  die  Scheide  des  Rectus  und  Pyra- 
midalis ein  und  spaltet  sie  auf  der  Hohlsonde  mit  dem  Bistouri.  In- 
dem man  den  frei  gewordenen  Rand  der  genannten  Muskeln  mit  einem 
stumpfen  Haken  nach  aussen  zieht ,  erblickt  man  im  Boden  der  Wunde 
eine  dünne  fibröse  Haut  (Fascia  transversa),  welche  sich  nach  innen 
in  die  Linea  alba  verliert.  Diese  Haut  sticht  man  dicht  am  Rande 
der  Symphyse  an,  führt  eine  Hohlsonde  unter  sie  und  spaltet  sie. 
Nun  erblickt  man  das  subperitonäale  Fett  und  kann  leicht  mit  den  Fin- 
gern hinter  der  Symphyse  bis  zu  den  Ligamentis  pubo-prosta- 
t  i  c  i  s  gelangen.  Man  kehrt  nun  die  Finger  so  um ,  dass  ihre  Rückseite 
gegen  die  Symphyse  hinsieht ,  spannt  auf  diese  Weise  die  vordere  Blasen- 
wand und  schüzt  das  Peritonaeum.  Sollte  der  oben  beschriebene  Schnitt 
nicht  Raum  genug  gewähren ,  so  trennt  man  mit  dem  Knopfbistouri  die 
beiden  M.  M.  recti  theilweise  oder  vollständig,  wo  möglich  ohne  Ver- 
lezung  der  Haut  ab.  —  Die  auf  die  oben  angegebene  Weise  gespannte 
vordere  Blasenwand  wird  nun  nach  Stillung  der  Blutung  durch  kaltes 
Wasser  behufs  ihrer  Einschneidung  entweder  unter  Vermittlung  der  Pfeil- 
sonde  oder   mit  Hülfe   des   spizen    Häckchens    geöffnet.       Hat    man    die 


878  STEINSCHNITT. 

Pfeilsonde  eingeführt,  so  neigt  man  jetzt  den  Griff  derselben  so  zwischen 
die  Schenkel  des  Kranken  ,  dass  ihr  Schnabel  knapp  oberhalb  der  Scham- 
beinfuge fühlbar  und  die  Blasenwand  durch  ihn  selbst  etwas  in  die 
Wunde  gedrängt  wird.  Man  fasst  ihn  nun  von  den  Seiten  her  zwischen 
Daumen  und  Zeigefinger  der  linken  Hand  mit  der  ihn  bedeckenden 
Blasenwand,  lässt  den  Gehülfen  das  Stilet  vorschieben,  ergreift  dieses 
mit  den  den  Sondenschnabel  haltenden  Fingern  und  spaltet  auf  seiner 
Rinne  die  Blasenwand  bis  zur  Schambeinfuge  herab.  Einfacher  ist  das 
Verfahren  mit  dem  Häkchen  :  man  sticht  dieses  in  die  vordere  Blasen- 
wand ein ,  spannt  dieselbe  nach  oben ,  sticht  unterhalb  des  Häkchens  das 
spize  Bistouri  in  die  Blase ,  sezt  den  linken  Zeigefinger  in  die  gemachte 
Oeffnung  ein  und  erweitert  diese  abwärts  mit  dem  Knopf bistouri.  — 
Nach  der  gehörigen  Eröffnung  der  Blase  auf  die  eine  oder  die  andere 
Weise  sezt  man  stumpfe  Haken  an  die  Ränder  der  Blasenwunde  und 
lässt  diese  gegen  die  Bauchwand  und  von  einander  ziehen.  — -  Nun  führt 
man  auf  dem  linken  Zeigefinger  die  Steinzange  ein  und  sucht  den  Stein 
zu  fassen.  Ist  der  Stein  gross,  so  ist  dies  mit  keinen  Schwierigkeiten 
verbunden  ;  ist  jedoch  der  Stein  klein  und  die  Blase  sehr  geräumig ,  so 
ist  das  Fassen  schwer.  Man  muss  dann  sondirend  mit  den  Armen  der 
Zange  den  Stein  aufsuchen,  an  dieser  Stelle  durch  Niederdrücken  der 
Zange  ein  Grübchen  in  die  Blase  bilden  und  den  nachfallenden  Stein 
in  diesem  Augenblicke  mit  der  Zange  fassen  ;  bei  nicht  sehr  geräumiger 
Blase  ist  auch  bei  kleinen  Steinen  deren  Auffindung  leicht.  Das  Aus- 
ziehen des  Steins  kann  auch  dadurch  erleichtert  werden ,  dass  man  von 
einem  Gehülfen  einen  Finger  in  den  Mastdarm  bringen  lässt.  Beim 
Herausführen  der  Zange  müssen  die  glatten  Flächen  der  Zangenlöffel  den 
Wundrändern  zugewendet  werden.  — -  Zur  Verkleinerung  der  Wunde 
können  am  obern  Wundwinkel  zwei  Knopfnahthefte  angelegt  werden, 
welche  übrigens  auch  das  Vorfallen  des  Peritonäums  in  die  Wunde  ver- 
hüten. Der  Kranke  wird  ins  Bett  gebracht,  die  Wunde  mit  einer  feuch- 
ten Compresse  bedeckt ,  Patient  liegt  entweder  auf  dem  Rücken  oder  auf 
der  Seite  mit  angezogenen  Schenkeln.  Nach  Günther's  und  Pitha's 
Erfahrungen  ist  die  so  sehr  gefürchtete  Harninfiltration  sehr  selten  und 
daher  alle  die  zur  Verhütung  derselben  angewendeten  Mittel ,  wie  das 
Einlegen  eines  ausgefranzten  Bändchens ,  einer  Canüle  u.  dgl.  in  die 
Blasenwunde ,  eines  Catheters  in  die  Harnröhre  ,  das  Heften  der  Wunde 
etc.  überflüssig ,  sie  sind  sogar  manchmal  schädlich.  —  Der  hohe  Stein- 
schnitt gewährt  den  Vortheil,  dass  Steine  von  allen  Grössen  leicht  und 
bequem  für  den  Operateur  entfernt  werden  können,  die  Operation  an  sich 
keine  bedeutende  Verwundung  sezt  und  keine  Verlezung  eines  bedeutenden 
Gefässes  zu  befürchten  ist.  Durch  eine  bessere  Kenntniss  des  Verhältnisses 
des  Peritonäums  zur  Blase  sind  die  aus  der  Verlezung  des  erstem  sich 
ergebenden  Gefahren  bedeutend  gemindert  ,  weshalb  auch  die  Methode 
in  neuester  Zeit  viel  mehr  Anhänger  gefunden  hat ,   als   sie   früher  hatte. 


STEINSCHNITT,  879 

Nicht  ausser  Acht  darf  indessen  gelassen  werden,  dass  das  Bauchfell  bis- 
weilen sehr  weit  herabreicht. 

2)  Seitensteinschnitt,  Sectio  lateralis,  Lithoto- 
mia  urethro-prostatica.  Indicirt  ist  diese  Methode  bei  Steinen 
von  geringer  oder  mittlerer  Grösse  (bis  zu  einem  Durchmesser  von  etwa 
18  Linien),  unter  der  Voraussezung,  dass  die  verschiedenen  am  Damme 
liegenden  Theile  gesund  sind.  —  Nöthige  Instrumente  sind:  eine 
an  der  convexen  Seite  gefurchte  Leitungssonde  (Itinerarium) ,  welche 
möglichst  dick  sein  niuss,  damit  der  häutige  Theil  der  Harnröhre  mög- 
lichst gespannt  sei.  Ein  convexes  Scalpell  mit  vollkommen  geradem 
Rücken;  ein  Knopfbistouri  oder  ein  gerades  schmales  geknöpftes  Messer, 
welches  bloss  1  Zoll  vom  Knöpfchen  rückwärts  schneidet ;  gerade  und 
krumme  Steinzangen  ,  Steinlöffel  und  bei  Kindern  ein  Gorgeret.  Nicht 
selten  wird  noch  das  Lithotome  cache  von  Frere  Cöme  benüzt.  Dieses 
Instrument  dient  vorzüglich  dazu,  den  hintern  Halbring  der  Blasenmün- 
dung der  Urethra  einzuschneiden.  Es  wird  nach  der  Durchtrennung  des 
häutigen  Theils  der  Harnröhre  in  der  Furche  des  Itinerariums  durch  die 
Blasenmündung  der  Urethra  hindurchgeführt ,  dann  durch  Druck  auf  die 
Klinge  hervorgedrückt ,  und  im  Herausziehen  der  Vorsprung  an  der  Bla- 
senmündung der  Urethra  durchschnitten.  Dieses  Instrument  ist  über- 
flüssig und  die  ganze  Operation  wird  am  besten  mit  dem  convexen 
Scalpell  gemacht.  —  Der  Kranke  wird  horizontal  mit  etwas  erhöhtem 
Kopf  und  Schultern  auf  einen  Tisch  oder  ein  Querbrett  so  gelagert,  dass 
die  untere  Hälfte  des  Kreuzbeins  über  den  Rand  des  Tisches  oder 
Bettes ,  welcher  gut  gepolstert  sein  muss ,  hervorsteht.  Die  Ober-  und 
Unterschenkel  werden  gebeugt  und  von  der  Mittellinie  abducirt.  Die 
Hände  und  Füsse  werden  mittels  weicher  Seiden-  oder  Wollschnüre  zu- 
sammengebunden, damit  der  Kranke  nicht  mit  den  Händen  Bewegungen 
machen  kann.  In  dieser  Lage  werden  die  untern  Extremitäten  von 
zwei  Gehülfen  erhalten ,  indem  dieselben  an  der  Aussenseite  der 
Extremität  stehen ,  das  Knie  in  die  Achselhöhle  legen ,  den  Arm 
an  die  Innenseite  des  Unterschenkels  anlegen  und  mit  der  andern 
Hand  den  Fuss  so  fassen ,  dass  die  Hohlhand  über  dem  Fussrücken 
liegt.  Ein  dritter  Gehülfe,  der  an  der  rechten  Seite  des  Kran- 
ken hinter  dem  einen  der  oben  genannten  Gehülfen  stehen  muss , 
hält  die  Leitungssonde  und  zieht  das  Scrotuin  in  die  Höhe.  — 
Operation.  Der  Operateur  beginnt  damit,  dass  er,  zwischen 
den  Beinen  des  Kranken  stehend,  die  Leitungssonde  einführt  und 
sich  von  der  Gegenwart  des  Steins  noch  ein  Mal  überzeugt ;  hierauf 
stellt  er  die  Leitungssonde  so,  dass  der  gerade  Theil  derselben  und  der 
Griff  einen  rechten  Winkel  mit  der  Längenachse  des  Körpers  bilden, 
dabei  aber  der  Griff  nach  der  rechten  Seite  des  Kranken  geneigt  ist ;  der 
Schnabel  der  Sonde  darf  nur  einige  Linien  in  die  Blase  hineinragen.  In 
dieser  Lage  muss  der  Gehülfe  mit  der  rechten  Hand  das  Instrument  fest- 


880  STEINSCHNITT. 

halten ,  während  er  mit  der  linken  das  emporgehobene  Scrotum  straff*  an- 
zieht, um  den  Bulbus  Urethra  hinaufzuziehen  und  die  Pars  m  e  m- 
branacea  anzuspannen.  Nun  lässt  sich  der  Operateur  auf  ein  Knie  nieder, 
fühlt  nach  der  Richtung  des  aufsteigenden  Astes  des  Sizbeins  ,  nach  der 
Leitungssonde,  die  man  allenfalls  momentan  an  den  Damm  drücken  lässt, 
die  aber  nicht  immer  gef  ühlfc  wird,  und  merkt  sich  das  Verhältniss  beider 
zu  einander  und  zum  After.  Dann  legt  er  den  Zeigefinger  der  linken 
Hand  auf  die  Rhaphe  unterhalb  ihrer  Mitte,  den  Daumen  auf*  den  Sizknor- 
ren ,  spannt  die  Haut  in  dieser  Richtung  an  und  führt ,  links  von  der 
Rhaphe,  3 — 4  Linien  von  ihr  entfernt  und  bei  Erwachsenen  12  — 14,  bei 
jüngeren  Personen  9  — 12,  bei  Kindern  5—7  Linien  oberhalb  des  Afters 
beginnend ,  einen  Schnitt  parallel  mit  dem  aufsteigenden  Sizbeinast  und 
mindestens  6  Linien  überall  von  ihm  entfernt  schräg  nach  dem  auf  dem 
Sizknorren  ruhenden  Daumen  (bis  zur  Höhe  des  Afters)  durch  die  Haut 
und  das  subcutane  Zellgewebe.  Mit  der  Spize  des  linken  Zeigefingers 
geht  der  Operateur  in  die  Wunde  ein  und  überzeugt  sich  von  der  Dicke 
der  Weichtheile,  welche  die  Leitungssonde  bedecken  ;  fühlt  er  noch  eine 
dicke  Schicht  von  Weichtheilen  darüber  liegen ,  so  wiederholt  er  die 
Schnitte,  bis  eine  ganze  dünne  Lage  über  der  Leitungssonde  liegt.  Hier- 
bei werden  der  M.  transversus  perinaei,  nebst  den  vordem  Fasern 
des  Levator  ani  getrennt  und  indem  man  zwischen  den  M.  ischio- 
und  bulbocavernosus  eindringt,  der  leztere  eingeschnitten.  Nach- 
dem der  häutige  Theil  der  Harnröhre  auf  diese  Weise  blossgelegt  ist, 
sucht  der  Operateur  den  mit  dem  Rücken  nach  dem  linken  Schambeine 
des  Kranken  gekehrten  Nagel  des  Zeigefingers  in  die  Furche  der  Leit- 
sonde einzudrücken  und  lässt  leztere  mit  dem  Griffe  etwas  nach  rechts 
neigen  und  das  ganze  Instrument  gegen  den  untern  Rand  der  Symphyse 
emporziehen.  Hierauf  schneidet  er  durch  eine  kurze  hebeiförmige  Be- 
wegung des  Messers  auf  die  Furche  der  Leitsonde  ein ,  wobei  die  Spize 
des  Messers  dicht  an  den  Nagel  des  Zeigefingers  angelegt  und  durch  die- 
sen gewissermassen  geleitet  wird.  Fühlt  der  Operateur ,  dass  die  Spize 
des  Messers  in  der  Furche  der  Leitsonde  sich  befindet ,  so  legt  er  den 
Rücken  des  Messers  in  die  Furche,  wobei  die  Schneide  desselben  etwas 
nach  der  linken  Seite  des  Kranken  hingewendet  ist,  und  schiebt  dasselbe 
bis  an  das  Ende  der  Furche  vor.  Während  dieser  ganzen  Procedur  darf 
die  Spize  des  Messers  ,  so  wie  der  derselben  zunächst  gelegene  Theil  des 
Rückens  nicht  ausser  Berührung  mit  der  Leitsonde  kommen,  daher  muss 
das  Instrument  bei  der  Ausführung  dieses  Schnitts  mit  seinem  Griffe  ei- 
nen Bogen  beschreiben,  so  dass  es,  am  Ende  der  Furche  angelangt,  voll- 
kommen horizontal  oder  selbst  mit  dem  Griffe  etwas  abwärts  steht.  In 
derselben  Richtung,  mit  welcher  das  Messer  vorgeschoben  wurde,  wird  es 
zurückgezogen.  Mit  diesem  Schnitte  wird  die  Prostata  und  der  Blasen- 
hals (oder  vielmehr  der  hintere  Halbring  der  Blasenmündnng,  da  es  nach 
den   neuesten   anatomischen  Untersuchungen  keinen  Blasenhals  gibt)  zer- 


STEINSCHNITT.  881 

schnitten.  Nach  Beendigung  dieses  Schnitts  führt  man  den  linken  Zeige- 
finger in  die  Wunde ,  um  sich  zu  überzeugen ,  ob  die  Blase  eröffnet  und 
ob  die  Wunde  geräumig  genug  sei.  Kann  der  Operateur,  wenn  auch  nur 
mühsam ,  den  Zeigefinger  in  die  Blase  einführen,  so  wird  die  Leitsonde 
entfernt.  Wäre  die  Wunde  zu  klein,  so  dass  der  Zeigefinger  einen  Wi- 
derstand beim  Vordringen  in  die  Blase  findet ,  so  nimmt  man  das  Knopf- 
bistouri oder  das  oben  bezeichnete  knopfförmige  Messer  und  erweitert 
die  Wunde ;  das  Messer  wird  hierbei  flach  mit  der  Seite  nach  links  ge- 
kehrt, auf  der  gegen  den  linken  Sizknorren  des  Kranken  gerichteten  Vo- 
larfläche  des  Zeigefingers  eingeführt.  Sobald  das  Knöpfchen  über  die 
Widerstand  leistende  Stelle  hinausgebracht  ist,  dreht  man  das  Messer  mit 
der  Schneide  nach  links  und  unten  und  drückt  mit  dem  Zeigefinger  auf 
den  Rücken  des  Instruments  und  erweitert  auf  diese  Weise  in  der  Rich- 
tung des  ursprünglichen  Schnitts.  Das  Instrument  wird  wieder  flach  auf 
den  Zeigefinger  aufgelegt  und  herausgezogen.  —  Wenn  man  sich  mit  dem 
linken  Zeigefinger  überzeugt  hat,  dass  die  Wunde  geräumig  genug  ist,  so 
sucht  man  mit  dem  Zeigefinger  an  den  Stein  zu  gelangen  und  führt 
hierauf  die  erwärmte  und  beölte  Steinzange  geschlossen  ein.  Bei  Kin- 
dern ,  wo  der  Kleinheit  der  Wunde  wegen  neben  dem  Zeigefinger  die 
Steinzange  nicht  eingeführt  werden  kann,  bringt  man  zuerst  ein  Gorgeret 
ein  und  dann  auf  diesem  die  Steinzange.  —  Wenn  man  mit  dem  Finger 
den  Stein  erreichen  kann,  und  derselbe  nicht  gross  ist,  so  ist  gewöhnlich 
die  Herausnahme  des  Steins  leicht.  Man  fixirt  dann  den  Stein  mit  dem 
Finger,  öffnet  die  Zange,  welche  gewöhnlich  die  obere  Seite  des  Steins 
berührt ,  hebt  die  Griffe  der  Zange  etwas ,  worauf  der  Stein  gewöhnlich 
von  selbst  hineinfällt.  Man  schliesst  dann  die  Zange  ;  aus  dem  Abstände 
der  Schenkel  derselben  erkennt  man ,  ob  man  den  Stein  zu  nahe  am 
Schlosse ,  oder  wenn  derselbe  oval  ist ,  im  ungünstigen  Durchmesser  ge- 
fasst  hat.  In  diesem  Falle  führt  man  den  Finger,  ohne  die  Zange  zu 
öffnen,  unterhalb  der  Zange  in  die  Wunde  und  sucht,  während  man  ganz 
wenig  die  Zange  öffnet,  dem  Steine  die  rechte  Richtung  zu  geben.  Kann 
man  jedoch  den  Stein  nicht  mit  den  Fingern  erreichen,  oder  musste  man 
wie  bei  Kindern,  das  Gorgeret  einführen,  so  fasst  man  die  Zange,  nach- 
dem sie  eingeführt  ist,  mit  beiden  Händen ,  so  dass  jeder  Schenkel  von 
einer  Hand  gehalten  wird ,  und  sucht  mit  der  geschlossenen  Zange  den 
Stein  sondirend  auf,  wobei  die  Blätter  der  Zange  nach  auf-  und  abwärts 
gerichtet  sind.  Hat  man  den  Stein  gefunden ,  so  dreht  man  die  Zange 
so,  dass  die  Blätter  nach  rechts  und  links  gerichtet  sind,  öffnet  die  Zange, 
während  man  zu  gleicher  Zeit  die  Griffe  der  Zange  erhebt ;  dadurch  drückt 
man  mit  den  Blättern  eine  Vertiefung  in  die  Blase,  welche  von  den  geöff- 
neten Zangenblättern  umfasst  ist ;  der  Stein  fällt  hinein  und  wird  leicht 
gefasst.  Nicht  selten  gelingt  es ,  Steine  mit  dem  Steinlöffel  und  dem 
Finger  zu  entfernen.  —  Bei  hohem  Stande  der  Blasenmündung  der  Ure- 
thra muss  man  sich  der  gekrümmten  Steinzange  bedienen,  welche  man  so 
Burger,  Chirurgie.  56 


882  STEINSCHNITT. 

einführt ,  dass  die  Concavität  nach  unten  gerichtet  ist ;  man  kann  das 
Fassen  des  Steins  dadurch  erleichtern ,  dass  man  einen  oder  zwei  Finger 
in  den  Mastdarm  einführt  und  die  untere  Blasenwand  nach  oben  drückt. 
Häufig  werden  Steine  im  Scheitel  der  Blase  festgehalten  ;  in  diesem  Falle 
müssen  die  Griffe  der  umgekehrt  eingebrachten  krummen  Zange  stark  ge- 
senkt werden.  —  Sehr  grosse  Steine  kann  man  mit  einer  starken  mit 
Zähnen  versehenen  Steinzange  oder  einem  Steinzertrümmerungsinstru- 
mente  zerbrechen ;  etwas  kleinere  Steine,  welche  aber  doch  in  der  Blasen- 
wunde Widerstand  finden ,  lassen  sich  oft  leichter  mit  zwei  vorn  gegen 
einander  gehaltenen  Steinlöffeln  entfernen.  Auch  zerlegbare  Zangen 
werden  angewendet.  —  Ist  der  Stein  eingesackt,  so  sucht  man  ihn  durch 
Hebel  oder  einen  Steinsucher  mit  Hülfe  des  Fingers  aus  seiner  häutigen 
Hülle  herauszuheben  ;  gelingt  dies  auf  keine  Weise  ,  so  schneidet  man 
diese  Hülle  so  viel  als  nöthig  ein ,  wozu  man  sich  am  besten  des  C  o  o  - 
per'schen  Herniotoms  bedienen  kann.  Man  hüte  sich  aber,  über  den 
Stein  hinaus  zu  schneiden,  wodurch  die  Blase  durchlöchert  werden  könnte. 
—  Hat  die  Blase  sich  um  den  Stein  zusammengezogen ,  so  dass  man  ihn 
nicht  fassen  kann ,  so  verschaffe  man  sich  durch  den  Finger  Raum,  oder 
führe  die  Zange  geschlossen  bis  zum  Steine  ein  und  öffne  sie  nach  ver- 
schiedenen Richtungen.  Ist  Blasenkrampf  vorhanden,  was  dadurch  ge- 
schehen kann,  dass  der  Urin  lange  vor  der  Operation  zurückgehalten  und 
bei  der  Operation  plözlich  entleert  wurde ,  so  muss  man  diesen  durch  in- 
nere und  äussere  Anwendung  krampfstillender  Mittel,  Einsprizungen  von 
erwärmtem  Oel  in  die  Blase  erst  heben,  und  gelingt  dieses  nicht,  so  muss 
man  mit  der  Steinausziehung  warten.  —  Sobald  der  Stein  entfernt  ist,  so 
untersucht  der  Operateur  die  Blase  mit  dem  Finger,  ob  nicht  ein  anderer 
Stein  oder  Fragmente  von  solchem  in  der  Blase  vorhanden  sind ;  abge- 
schliffene Stellen  an  dem  ausgezogenen  Steine  deuten  auf  die  Anwesen- 
heit eines  weiteren  oder  wohl  auch  noch  mehrerer  Steine  hin.  Man  zieht 
die  Steine  aus ,  Fragmente  entfernt  man  mit  dem  Steinlöffel  oder  durch 
Einsprizungen  in  die  Blase.  Zunächst  stillt  man  die  Blutung.  Eine 
etwas  bedeutendere  Blutung  kann  nur  aus  der  Art.  haemorrhoida- 
lis  media  oder  anterior  und  dem  Plexus  venosus  prostati- 
cus  stattfinden.  Man  wendet  kaltes  Wasser  oder  die  Tamponade  an. 
Den  während  der  Operation  vorfallenden  Mastdarm  reponirt  man  und  lässt 
ihn  bis  zur  Beendigung  dieser  zurückhalten.  Gegen  die  Verlezung  des 
Mastdarms  ,  wenn  sie  einmal  erfolgt  ist,  lässt  sich  erst  zu  Ende  der  JBei- 
lung  oder  gar  erst  nach  Ausbildung  der  Mastdarmharnröhrenfistel  etwas 
versuchen,  doch  meist  vergeblich.  —  Nachdem  der  Damm  gereinigt  und 
der  Kranke  losgebunden  ist,  wird  dieser  zu  Bette  gebracht  und  mit  an- 
gezogenen Schenkeln  auf  die  linke  Seite  gelegt.  Gegen  die  Wunde  legt 
man  einen  mit  kaltem  Wasser  getränkten  Schwamm,  den  man  öfters  und 
namentlich  recht  häufig  in  den  ersten  3  bis  4  Tagen  reinigt  und  von 
Neuem  anfeuchtet ,   indem  dadurch  am  besten  der  Nachblutung  und  Ent- 


STEINSCHNITT.  883 

zündung  vorgebeugt  wird.  —  Tritt  Nachblutung  ein,  so  macht  man 
zunächst  von  der  Kälte  eine  intensivere  Anwendung,  reicht  dies  nicht  hin, 
so  tamponirt  man.  Nicht  selten  erfolgt  die  Blutung  in  die  Blasenhöhle, 
in  welchem  Falle  sie  häufig  lange  nicht  entdeckt  wird,  wenn  Blutharnen 
nicht  aufmerksam  macht,  sodass  oft  erst  Erscheinungen  von  Anämie  auf 
die  Untersuchung  der  Regio  hypogastrica  über  den  Schambeinen 
führen.  Die  Entfernung  des  Blutcoagulums  durch  Einsprizungen  lau- 
warmen Wassers  muss  erst,  nachdem  die  Blutung  stille  steht,  vorgenom- 
men werden.  Eine  schlimme  Erscheinung  und  die  häufigste  Ursache  des 
tödtlichen  Ausgangs  des  Lateralschnitts  ist  Phlebitis  des  Plexus 
v  e  n  o  s  u  s  prostaticus;  sie  ist  die  Folge  der  Aufnahme  von  Urin  oder 
Eiter  in  die  klaffenden  Venenmündungen.  —  Die  Wunde  heilt  häufig  in 
8  bis  10  Tagen  ,  bedarf  aber  oft  auch  3  bis  4  Wochen.  Anfangs  geht 
der  Urin  durch  die  Wunde  ab ,  dieser  Abfluss  vermindert  sich  aber  bald 
und  nach  etwa  8  bis  1 0  Tagen  geht  der  Urin  gänzlich  oder  doch  fast 
gänzlich  durch  die  Harnröhre  ab;  man  bedeckt  dann  die  Wunde  mit  trok- 
kener  Charpie  und  einer  Compresse  und  befestigt  sie  mit  einer  T-Binde  ; 
die  Vernarbung  befördert  man  schliesslich  durch  Betupfen  mit  Höllen- 
stein ;  droht  die  Entstehung  von  Fisteln ,  so  legt  man  einen  elastischen 
Catheter  durch  die  Harnröhre  ein. 

3.  Transversalschnitt,  Sectio  bilateralis.  Diese  von 
Dupuytren  herrührende  Operationsmethode  soll  als  Ersazmittel  des 
früher  so  sehr  gefürchteten  hohen  Blasenschnitts  bei  sehr  grossen  Stei- 
nen ,  welche  durch  den  Seitensteinschnitt  nicht  entfernt  werden  können, 
dienen.  Sie  sezt  eine  bedeutende  Verwundung,  so  wie  eine  der  Heilung 
ungünstige  Wunde  und  ist  von  heftiger  Blutung  begleitet.  Sie  ist  nur 
dann  zulässig,  wenn  der  hohe  Steinschnitt  wegen  Krankheiten  der  Blase, 
des  Peritonäums  und  der  Bauchdecken  nicht  ausführbar  ist.  —  Die  Lage 
des  Kranken  und  die  Stellung  des  Operateurs  ist  wie  beim  Seitenstein- 
schnitt; auch  die  Instrumente  sind  dieselben,  nur  wird  hier  ein  doppeltes 
Lithotome  cache  mit  zwei  der  Fläche  nach  parabolisch  gekrümmten  Klin- 
gen angewendet,  ein  Instrument,  das  zwar  nicht  absolut  nothwendig  ist, 
aber  mit  Vortheil  benüzt  werden  kann.  —  Die  Leitungssonde ,  deren 
Furche  in  der  Mitte  am  breitesten  und  tiefsten  ist  und  in  ein  olivenför- 
miges  Ende  ausläuft ,  wird  genau  senkrecht ,  der  Furche  der  Raphe  ent- 
sprechend gerichtet ,  der  Operateur  macht  mit  dem  Scalpell  6  bis  7  Li- 
nien vor  dem  Mastdarm  eine  Bogenschnitt ,  von  einem  Sizknorren  zum 
andern.  Dieser  Schnitt ,  dessen  Concavität  gegen  den  After  gerichtet 
ist ,  dringt  durch  die  Haut  und  das  subcutane  Zellgewebe  ;  hierauf  wird 
die  sehnichte  Verbindung  des  Sphincter  ani  externus  mit  den 
M.  M.  bulbocavernosis  und  M.  M.  transversis  perinaei  in 
der  Richtung  des  Hautschnitts  durchschnitten  und  der  Operateur  dringt 
mit  dem  Scalpellhefte  und  dem  Finger  zwischen  Mastdarm  und  der  Cap- 
sula pelvo-prostatica  ein  und  trennt  das   Zellgewebe.      Schliess- 

56* 


884  STEINSCHNITT. 

lieh  wird  zu  beiden  Seiten  der  M.  levator  ani  eingeschnitten,  um  den 
nöthigen  Raum  zu  gewinnen.  Der  Schnitt  erhält  je  nach  der  vermuthli- 
chen  Grösse  des  Steins  eine  Länge  von  12 — 2  0  Linien.  Man  sieht  nun 
die  Prostata  mit  ihrem  fibrösen  Ueberzuge  und  fühlt  die  Leitsonde  im 
häutigen  Theile  der  Harnröhre.  Der  Operateur  zieht  mit  dem  Zeigefinger 
der  linken  Hand  den  Bulbus  urethrae  sammt  dem  obern Wundrande 
empor  und  schneidet  vor  der  Spize  der  Prostata  den  membranösen  Theil 
der  Harnröhre  mit  der  in  die  Rinne  der  Leitsonde  eingesezten  Spize  des 
Messers  in  einer  Länge  von  3—4  Linien  ein.  Unter  Beihülfe  des  Na- 
gels des  linken  Zeigefingers  wird  das  Zünglein  des  geschlossenen  Litho- 
toms  in  die  Furche  der  Leitsonde  eingeführt,  jenes  nach  Ausziehung  der 
Leitsonde  durch  einen  Druck  der  Hand  geöffnet  und  horizontal  ausgezo- 
gen ,  indem  man  seinen  Griff  allmählig  senkt ,  wodurch  Prostata  und  der 
hintere  Halbring  der  Blasenmündung  der  Urethra  nach  beiden  Seiten  hin 
in  der  Richtung  der  äussern  Wunde  eingeschnitten  werden.  Die  sehr  ge- 
räumige Wunde  erlaubt  die  grössten  Steine  auszuziehen.  —  Statt  des 
Cystotome  cache  kann  man  sich  auch  eines  gewöhnlichen  Knopfbistouris 
oder  auch  eines  Pott  'sehen  Fistelmessers  bedienen ,  nur  muss  in 
diesem  Falle  der  Griff  der  Leitsonde  beim  rechten  Schnitt  nach 
links  und  beim  linken  Schnitte  nach  rechts  gewendet  werden ,  so- 
bald der  erste  Einschnitt  auf  die  Leitsonde  gemacht  worden  ist. 
—  Wattmann  lässt,  wenn  er  nach  gemachtem  Seitensteinschnitt  findet, 
dass  die  Wunde  nicht  geräumig  genug  für  den  Stein  ist ,  den  Griff  der 
Leitsonde  stark  nach  der  linken  Seite  neigen  und  schneidet  in  der  Rich- 
tung gegen  den  rechten  Sizknorren  mit  dem  Knopfbistouri  ähnlich  dem 
beim  Seitensteinschnitt  gemachten  Schnitte  durch  die  Prostata.  Er  nennt 
dieses  Verfahren  den  innern  Bilateralschnitt.  —  Vidal  de  Cassis 
hat  einen  Quadrilateralschnitt  angegeben;  er  besteht  darin,  dass 
die  Prostata  durch  einen  Kreuzschnitt  in  vier  Lappen  getheilt  wird.  Die- 
ser Schnitt  gewährt  nicht  mehr  Raum  als  der  Dupuytre  n'sche.  —  Zur 
Stillung  der  Blutung  hat  Dupuytren  ein  Compressorium  angegeben, 
das  aus  zwei  stark  von  einander  federnden  Armen  besteht,  welche  ge- 
schlossen in  die  Wunde  gebracht  und  in  dieser  aus  einander  gelassen 
werden. 

Mast  darm-Blasenschnitt ,  Sectio  r  ect  o  -  ve  s  icalis. 
Die  Indication  dieser  von  S  a  n  s  o  n  angegebenen  Methode  fällt  mit  der 
des  Bilateralschnitts  zusammen.  Sie  hat  den  Vorzug  vor  diesem ,  dass 
sie  eine  sehr  geringe  Blutung  verursacht,  und  leicht  und  bequem  auszu- 
führen ist ;  dagegen  hat  sie  den  Nachtheil,  dass  durch  Einlegen  der  vor- 
dem Harnröhren-  und  Blasenwand  in  die  Wunde  die  Heilung  dieser  sehr 
erschwert ,  selbst  unmöglich  gemacht  wird.  —  Lage  des  Kranken  und 
Stellung  des  Operateurs  sind  dieselben,  wie  bei  allen  Steinschnitten  am 
Damme.  Die  Leitungssonde  wird  eingebracht  und  senkrecht  nach  auf- 
wärts gehalten.      Der  Operateur  führt  den   Weis  s'schen  Spiegel  in   den 


STEINSCHNITT.  885 

Mastdarm  und  erweitert  durch  denselben  den  After.  Nachdem  der  nach 
dem  Steissbein  gerichtete  Griff  des  Spiegels  einem  Gehülfen  übergeben 
worden  ist ,  fühlt  der  Operateur  mit  dem  Zeigefinger  der  linken  Hand 
an  der  vordem  Mastdarmseite  die  Leitsonde ,  sticht  ein  spizes  Bistouri 
oder  Scalpell  durch  die  genannte  Wand  und  die  Prostata  gerade  auf  die 
Leitsonde  ein ,  worauf  er  das  Messer ,  mit  der  Schneide  gegen  die  Leit- 
sonde gerichtet,  nach  vorn  herauszieht  und  damit  die  vordere  Mastdarm- 
wand, die  Harnröhre  und  die  Sphincteren  des  Afters  durchschneidet.  Das 
übrige  Verfahren  ist  wie  bei  andern  Steinschnitten. 

B.  Steinschnitt  beim  Weibe.  Die  Kürze  und  Weite  der 
weiblichen  Harnröhre  erlaubt  die  unblutige  Entfernung  von  Steinen  weit 
mehr,  als  es  bei  der  männlichen  Harnröhre  der  Fall  ist.  Kleinere  Steine 
bis  zur  Grösse  einer  Wallnuss  können  durch  die  Harnröhre  ausgezogen 
werden.  Die  Operation  betreffend,  so  sind  hier  dieselben  Punkte  zu  be- 
rücksichtigen, wie  beim  Manne,  nur  ist  es  räthlich,  die  Scheide  zu  scho- 
nen, wo  es  nicht  im  Plane  liegt,  sie  mit  in  den  Operationsact  hineinzuzie- 
hen. —  Der  Körper  der  Blase  kann  sowohl  über  der  Symphyse 
(Epicystotomie)  als  auch  unter  der  Symphyse  (Vestibularschnitt)  einge- 
schnitten werden.  Lezteres  geschieht  durch  einen  bogenförmigen  Schnitt 
im  Vorhofe  zwischen  der  Clitoris  und  dem  obern  Rande  der  äussern 
Harnröhrenmündung.  Dieser  Schnitt  öffnet  die  vordere  Blasenwand. 
An  der  hintern  Wand  lässt  sich  der  Körper  der  Blase  so  wenig  einschnei- 
den als  beim  Manne  ,  ohne  dass  das  Peritonäum  verlezt  wird.  —  Von 
der  Urethra  aus  ist  der  Blasenschnitt  auf  verschiedene  Weise  in 
Ausführung  gebracht  worden  und  zwar :  a)  Spaltung  der  Urethra  schief 
in  der  Richtung  gegen  den  aufsteigenden  Sizbeinast  an  derselben  Stelle 
wie  beim  Seitensteinschnitte  des  Mannes  (Seiten steinschnitt, 
Sectio  lateralis);  b)  Spaltung  der  Urethra  in  der  Mittellinie  sammt 
der  vordem  Wand  der  Scheide  (Colpocystotomie,  Scheiden- 
blasenschnitt);  c)  Spaltung  der  Urethra  in  die  Quere  nach  beiden 
Seiten  (Transversalschnitt);  d)  Spaltung  der  Urethra  nach  oben 
und  unten  (Verticalschnitt).  —  Was  nun  den  Werth  dieser  einzel- 
nen Methoden  betrifft,  so  gilt  von  der  Epicystotomie  im  Allgemeinen  das- 
selbe, was  von  ihr  beim  Manne  gesagt  wurde.  Der  Vestibularschnitt  ver- 
dankt seine  Entstehung  der  Furcht  vor  der  Verlezung  des  Peritonäums  bei 
der  Epicystotomie ;  da  diese  Furcht  aber ,  wie  oben  aus  einander  gesezt 
wurde,  eine  eingebildete  ist ,  so  ist  derselbe  entbehrlich ,  und  dies  um  so 
mehr,  als  er  bei  weitem  weniger  Baum  für  die  Ausziehung  des  Steins  ge- 
währt als  die  Epicystotomie  und  auch  eine  viel  grössere  Verlezung  sezt, 
namentlich  werden  die  meisten  Gef ässe  verlezt ,  darunter  auch  oft  die 
Art.  pudenda  communis,  die  allerdings  beim  Weibe  nicht  die 
Stärke,  wie  beim  Manne  hat.  —  Der  seitliche  HarnrÖhrenblasenschnitt 
verursacht  eine  bedeutendere  Blutung,  als  der  Harnröhrenscheidenschnitt, 
namentlich   durch   die  venösen  Geflechte ,   welche  hinter  und  unter  der 


886  STEINZERTRUEMMERUNG. 

Clitoris  liegen.  Dagegen  ist  aber  bei  dem  Scheidenharnröhrenschnitt  die 
Ausbildung  einer  Blasenscheidenfistel  viel  leichter  möglich,  diese  aber  oft 
zu  vermeiden,  wenn  auch  die  äussere  Harnröhrenmündung  durchschnitten 
wird.  Der  Transversalschnitt  und  der  Verticalschnitt  nach  oben  gewähren 
7A\  wenig  Raum  für  die  Ausziehung  grösserer  Steine.  —  Eine  Incon- 
tinentia u  r  i  n  a  e  ist  nicht  selten  die  Folge  der  Harnröhrenblasen- 
schnitte.  —  Wir  betrachten  nachstehend  einige  der  gebräuchlichsten 
Operationsniethoden. 

1.  Hoher  Blasenschnitt,  Sectio  alta,  Epicystotomia. 
Er  ist  angezeigt  bei  grossen  Steinen  über  1 5  Linien  Durchmesser. 
Schwangerschaft  und  Wochenbett  sind  Gegenanzeigen.  Die  Operation 
wird  auf  dieselbe  Weise  verrichtet  wie  beim  Manne. 

2.  Seiten  steinschnitt,  Sectio  lateralis.  Die  Kranke 
wird  ebenso  wie  beim  Steinschnitt  des  Mannes  gelagert.  Der  Operateur 
führt  in  die  Harnröhre  eine  starke  Hohlsonde  ein,  richtet  die  Furche  der- 
selben gegen  den  linken  oder  rechten  Sizknorren  und  führt  in  der  Furche 
derselben  ein  starkes  Knopf  bistouri  ein.  Hierauf  senkt  er  den  Griff  des 
Bistouri's  ,  ohne  das  Knöpfchen  aus  der  Furche  zu  entfernen  und  schiebt 
das  Messer  in  dieser  Richtung  eine  kurze  Strecke  vor.  Dann  hebt  er  den 
Griff  des  Bistouri's  wieder  und  zieht  dasselbe  zurück.  Der  Gehülfe  senkt 
den  Griff  der  Hohlsonde  und  der  Operateur  geht  mit  dem  linken  Zeige- 
finger in  die  Wunde  ein.  Sollte  der  hintere  Halbring  der  Blasenmün- 
dung der  Urethra  nicht  genügend  eingeschnitten  sein,  so  wird  dies  mit 
dem  entweder  auf  der  Hohlsonde  oder  am  Finger  eingeführten  Knopf- 
messer nachgeholt.  Hierauf  folgt  die  Ausziehung  des  Steins.  —  Sollte 
sich  eine  bedeutende  Nachblutung  aus  den  venösen  Gef  ässen  zeigen ,  so 
muss  eine  zeitweilige  Tamponade  der  Wunde  vorgenommen  werden. 

3.  Scheidenblasenschnitt,  Sectio  vagino-vesicalis. 
Die  Lagerung  der  Kranken  und  die  Stellung  des  Operateurs  ist  dieselbe. 
Man  führt  eine  starke  Hohl  -  oder  eine  offene  Leitungssonde  durch  die 
Harnröhre  in  die  Blase  und  ein  hölzernes  Gorgeret  in  die  Scheide,  so  dass 
die  Instrumente  da ,  wo  der  Einschnitt  gemacht  wird  mit  den  Spizen  zu- 
sammenstossen  ,  und  lässt  sie  von  einem  Gehülfen  festhalten.  Der  Ope- 
rateur sticht  das  wie  eine  Schreibfeder  gehaltene  gerade  Bistouri  durch 
die  untere  Harnröhrenwand  und  die  vordere  Wand  der  Scheide  und 
schneidet  diese  so  weit  auf  der  Furche  nach  hinten  ein,  als  es  die  Grösse 
des  Steins  erfordert.  Ein  Verband  wird  nicht  angelegt.  —  Diese  sehr 
einfache  und  leicht  auszuführende  Operation  hat  den  Nachtheil,  dass  meist 
eine  unvollkommene  Heilung  erfolgt  und  dann  eine  Incontinentia  urinae 
oder  eine  Harnröhrenscheidenfistel  zurückbleibt. 

Steinzertrümmerung,  Lithotritie,  Lithotripsis  ()a- 

■9-og,  Stein,  TQiipig,  Zerreibung),  heisst  ein  Verfahren,  durch  welches  Harn- 
steine in  der  Blase  mittels  durch  die  Harnröhre  eingeführter  Instrumente 


STEINZERTRUEMMERUNG.  887 

auf  mechanischem  Wege  so  verkleinert  werden ,  dass  sie  durch  die  Harn- 
röhre entleert  werden  können.  —  Die  zu  dieser  Operation  verwendeten 
Instrumente  (Lithotritoren)  beruhen  auf  den  Grundsäzen ,  dass  sie  von 
einem  Umfange  seien,  um  bequem  in  die  Harnröhre  eingeführt  werden  zu 
können,  dass  sie,  in  der  Blase  angelangt,  gehörig  geöffnet  werden  können, 
den  Stein  gehörig  erfassen  und  festhalten,  und  endlich  dass  sie  im  Stande 
seien,  den  Stein  zu  Pulver  zu  zertrümmern  oder  doch  in  sehr  kleine  Theile 
zu  zerkleinern.  —  Die  zahlreichen  zu  diesem  Zweck  erfundenen  Instru- 
mente lassen  sich  in  Beziehung  auf  ihre  Wirkungsweise  am  füglichsten 
unter  drei  Klassen  zusammenstellen:  1)  der  gefasste  Stein  wird  ange- 
bohrt, um  ihn  zerbrechlicher  zu  machen  und  dann  zu  zerdrücken;  2)  er 
wird  von  der  Peripherie  gegen  das  Centrum  allmälig  zerstört ;  3)  er  wird 
geradezu  durch  Druck  oder  Stoss  von  der  Peripherie  gegen  das  Centrum 
zertrümmert.  Zur  ersten  Klasse  gehören  die  Instrumente  von  Gruit- 
huisen,  Civiale,  Leroy  d'Etoille,  Heurteloup,  Rigal, 
Pravaz,  Benvenuti;  zu  der  zweiten  Eldgerton,  Meyrieu, 
Recamier,  Rigal;  zur  dritten  Amussat,  Heurteloup,  Jacob- 
son, Leroy.  —  Die  erste  Art ,  den  Stein  zu  zerstören ,  wurde  zuerst 
durch  wiederholte  Bohrungen  nach  verschiedenen  Richtungen  ins  Werk 
gesezt ,  worauf  das  zurückbleibende  Gerüste  des  Steins  gedrückt  wurde. 
Später  wurden ,  um  das  Verfahren  zu  vereinfachen ,  Bohrer  angewendet, 
die  in  die  Blase  eingeführt ,  in  ihrem  Durchmesser  sich  erweitern  Hessen, 
so  dass  weniger ,  selbst  nur  eine  einzige  Bohrung  zur  Aushöhlung  des 
Steins  nöthig  waren.  Zum  Zerbrechen  der  zurückbleibenden  Schale  gab 
Heurteloup  seinen  Prise-coque,  eine  zweiarmige  Zange,  an.  Endlich 
sollte  der  allmälig  sich  vergrössernde  Bohrer  den  Stein  selbst  zersprengen. 
—  Die  zweite  Art ,  den  Stein  zu  zerstören ,  bestand  in  der  Bearbeitung 
desselben  durch  feilenartig  wirkende  Instrumente.  —  Die  dritte  Art  ist 
die  eigentliche  Steinzertrümmerung ,  welche  durch  Druck  oder  stoss  weise 
wirkende  Kraft  ins  Werk  gesezt  wird.  Das  zweckmässigste  Instrument 
zu  diesem  Zweck  ist  der  Percuteur  courbe  von  Heurteloup.  Die 
wirkende  Kraft  dieses  Instruments  ward  ursprünglich  durch  den  Hammer 
erzeugt ;  die  spätere  Vervollkommnung ,  vermöge  welcher  das  Instrument 
durch  den  Hammer  und  die  Schraubenwirkung  in  Thätigkeit  gesezt  wer- 
den kann,  stammt  von  Amussat  und  S  e  g  a  1  a  s  her  ;  die  gebräuchlichen 
Varietäten  der  gebrochenen  Schraubenmutter  sind  Angaben  von  Civiale, 
Leroy  und  Charrierre,  von  lezterem  rührt  der  Schlüssel  a  pignon 
her.  —  Gegenwärtig  wird  die  Steinzertrümmerimg  mittels  der  Percus- 
sion  nur  allein  noch  geübt,  weshalb  wir  uns  auf  die  Beschreibung  dieser 
Methode  beschränken.  Die  dazu  erforderlichen  Instrumente  sind :  ein 
gezahnter  Percuteur  mit  gebrochener  Schraube  oder  auch  mit  dem  Schlüs- 
sel a  pignon ;  dieser  dient  zum  Zertrümmern  der  grössern  Stücke ;  man 
braucht  auch  häufig  zu  diesen  einen  Hammer ;  ein  löffeiförmiger  Percu- 
teur mit  einem  Schlüssel  ä  pignon  zum  Zerdrücken  kleinerer  Fragmente ; 


888  STEINZERTRUEMMERUNG. 

auch  können  mit  demselben  kleinere  Stücke  ausgezogen  werden ;  eine 
Sprize,  welche  circa  4  Unzen  Flüssigkeit  fasst  und  ein  Injectionscatheter, 
in  welchen  die  Sprize  hineinpasst  und  der  mit  einem  Hahne  zum  Ab- 
sperren und  weiten  Fenstern  am  Schnabel  versehen  ist.  —  In  der  Regel 
gelingt  es  selten ,  den  Stein  mit  einem  Male  ganz  zu  zertrümmern ;  es 
muss  dieses  mehrmals  hintereinander  geschehen.  Der  jedesmalige  Ope- 
rationsact  heisst  Sizung ;  die  Dauer  einer  solchen  Sizung  richtet  sich  nach 
der  Empfindlichkeit  des  Kranken  und  den  eintretenden  Zufällen  ;  5  —  6 
Minuten  und  mehr.  • —  Beim  Manne  bietet  die  Operation  mehr  Schwierig- 
keit dar  als  beim  Weibe. 

Lithotritie  beim  Manne.  Der  Operation  müssen  Vorberei- 
tungen vorausgehen,  welche  sich  besonders  auf  die  Harn-  und  Geschlechts- 
organe beziehen.  Diese  müssen  mit  möglichster  Sorgfalt  untersucht  wer- 
den ;  und  zwar  sowohl  nrit  dem  Catheter,  wie  mit  dem  Percuteur.  Findet 
man  dabei  die  Harnröhrenmündung  so  enge,  dass  sie  selbst  das  Einführen 
des  Instruments  verhindert ,  so  muss  sie  erweitert  werden.  Zu  diesem 
Behufe  führt  man  eine  Hohlsonde  mit  nach  unten  gekehrter  Furche  in  die 
Harnröhre  ein  und  nimmt  die  Erweiterung  mit  dem  Knopf bistouri  vor. 
Man  legt  dann  einen  ziemlich  dicken  Catheter  in  die  Mündung  der  Harn- 
röhre und  wartet  die  Vernarbung  der  Schnittwunde  ab.  Stricturen  in  der 
Urethra  selbst  müssen  immer  zuvor  auf  die  bekannte  Weise  beseitigt  wer- 
den. Ist  die  Harnröhre  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  eng  (d.  h.  bei  Er- 
wachsenen nicht  auf  4  Linien  Durchmesser  auszudehnen),  ist  sie  empfind- 
lich, so  dass  die  Einführung  und  noch  mehr  das  Liegenlassen  von  Instru- 
menten in  ihr  Schmerzen  und  Contraction  verursacht ,  so  muss  man  eine 
oder  mehrere  Wochen  vor  der  Operation  elastische  Bougies  von  zuneh- 
mender Stärke  einlegen  ;  den  Schluss  der  Vorkur  macht  man  mit  metalle- 
nen Sonden.  Eine  hohe  Lage  der  Blasenmündung  der  Urethra  verhindert 
in  manchen  Fällen  das  Fassen  des  Steins  vollkommen ;  hiergegen  lässt 
sich  nichts  thun.  Auch  eine  bedeutende  Prostatahypertrophie  ,  nament- 
lich des  mittlem  Lappens,  kann  die  Operation  verhindern.  Ein  zu  gros- 
ser und  zu  harter  Stein  verbieten  die  Operation  gleichfalls.  In  gleicher 
Weise  kann  eine  ausserordentliche  Reizbarkeit  der  Blase,  häufig  mit  Hy- 
pertrophie derselben  verbunden ,  die  Operation  manchmal  unmöglich 
machen  ;  insbesondere  weil  mit  diesen  Zuständen  eine  so  geringe  Capaci- 
tät  der  Blase  verbunden  ist,  dass  sie  kaum  4  Unzen  Flüssigkeit  fasst. 
Man  kann  versuchen  durch  vorsichtige  Einsprizungen ,  laue  Bäder,  anti- 
phlogistische Diät,  Einreibungen  von  Narcoticis  in  die  Dammgegend  etc. 
diese  Zustände  zu  heben,  in  der  Regel  gelingt  dies  aber  nicht.  —  Zur 
Entleerung  des  Mastdarms  erhält  der  Kranke  l — 2  Stunden  vor  der  Ope- 
ration ein  Klystier.  —  Bei  der  Operation  liegt  der  Kranke  horizontal  im 
Bette,  den  Steiss  erhöht  durch  ein  keilförmiges  mit  dem  dicken  Theil 
nach  unten  gerichtetes  Kissen.  Das  rechtwinklige  Bett  von  Heurte- 
1  o  u  p  ist  unzweckmässig.   —  Der  Operateur  steht  an  der  rechten  Seite 


STEINZERTRUEMMERUNG.  889 

des  Kranken ,  ihm  gegenüber  ein  Gehülfe ,  welcher  die  Bestimmung  hat, 
das  Instrument,  wenn  der  Operateur  den  Stein  gefasst  hat,  zu  fixiren.  Be- 
sondere Vorrichtungen  hierzu  sind  überflüssig.  —  Operation.  Nach 
der  Lagerung  und  Anästhesirung  des  Kranken  (welche  leztere  indessen 
einige  Wundärzte  verwerfen,  weil  dadurch  die  Empfindlichkeit  des  Kran- 
ken, der  einzige  Massstab  für  die  Beendigung  einer  Sizung ,  aufgehoben 
sei)  beginnt  der  Operateur  damit ,  dass  er  den  Catheter  in  die  Blase  ein- 
führt und  durch  denselben  sehr  langsam  4  Unzen  lauwarmes  Wasser  oder 
schleimiges  Decoct  einsprizt.  Die  Sprize  wird  entfernt ,  der  Hahn  des 
Catheters  geschlossen  und  dieser  langsam  ausgezogen  ;  um  den  Abfluss 
der  Flüssigkeit ,  welche  die  Aufgabe  hat ,  durch  Ausdehnung  der  Blase 
diese  vor  der  Berührung  der  Instrumente  und  Steinfragmente  zu  schüzen, 
zu  verhindern ,  wird  die  Urethra  hinter  dem  Schnabel  der  Sonde ,  sobald 
dieser  die  Blase  verlassen  hat,  comprimirt.  —  Unmittelbar  nach  der  Her- 
ausnahme des  Catheters  bringt  man  ganz  wie  diesen  den  erwärmten  und 
beölten  gezahnten  Percuteur  ein ,  sucht  mit  ihm  den  Stein  auf  und  eröff- 
net ihn  dann  neben  diesem,  indem  man  sowohl  die  weibliche  Branche  vor-, 
als  die  männliche  zurückzieht.  Hat  man  den  Stein  nicht  gefasst,  was  man 
daran  sieht ,  dass  sich  das  Instrument  leicht  und  vollkommen  schliesst, 
so  öffnet  man  das  Instrument  wieder  und  drückt  es  an  der  hintern  Blasen- 
wand sanft  aber  schnell  nieder ,  worauf  der  Stein  nicht  selten  vermöge 
seiner  Schwere  zwischen  die  Branchen  fällt.  Sollte  man  auf  diese  Weise 
den  Stein  nicht  gefasst  haben ,  so  sucht  man  ihn,  indem  man  das  Instru- 
ment nach  rechts  und  links,  nach  oben  und  unten  senkt  und  neigt,  auf. 
—  Wenn  man  beim  Schliessen  des  Instruments  Widerstand  fühlt  und  an 
der  Scala  ein  Abstehen  der  beiden  Branchen  erkennt ,  so  hat  man  den 
Stein  gefasst.  Hat  man  den  (in  der  Voruntersuchung  als  nicht  sehr  gross 
erkannten)  Stein  in  einem  sehr  ungünstigen  Durchmesser  ergriffen ,  was 
man  an  dem  sehr  grossen  Abstände  der  Branchen  bemerkt,  so  Öffnet  man 
das  Instrument  ein  klein  wenig  und  sucht  dem  Steine  durch  leichte  er- 
schütternde Bewegungen  eine  andere  Lage  zu  geben,  wozu  man  auch  den 
in  den  Mastdarm  eingeführten  Zeigefinger  zu  Hülfe  nehmen  kann.  Nicht 
selten  geschieht  es ,  dass  der  Stein  ,  wenn  man  die  Branchen  des  Instru- 
ments stark  gegen  einander  drückt ,  wieder  entschlüpft ;  in  diesem  Falle 
war  er  zu  nahe  an  seinen  Rändern  gefasst ;  alsdann  wird  die  nochmalige 
Ergreifung  nothwendig.  Sobald  man  den  Stein  gefasst  hat,  so  überzeugt 
man  sich  durch  Bewegungen  des  Instruments,  ob  man  nicht  mit  dem  Stein 
die  Blasenschleimhaut  mit  ergriffen  hat ;  eine  seitliche  Neigung  des  In- 
struments unter  gleichzeitiger  Ermässigung  des  den  Stein  fixirenden 
Druckes  befreit  jene.  —  Ist  der  Stein  gut  gefasst ,  so  wird  die  Schraube 
geschlossen  und  der  Operateur  beginnt  zu  drehen  ;  widersteht  der  Stein 
diesem  Drucke,  so  öffnet  er  die  Schraube,  hält  das  Instrument ,  nachdem 
seine  Branchenschnäbel  in  die  Mitte  der  Blase  gebracht  worden  sind,  mit 
seiner   linken  Hand  geschlossen   und  schlägt  auf  die  oberste  Scheibe  mit 


890  STE1NZERTUUEMMERUNG* 

dem  Hammer.  Der  Hammer  makss  von  weichem  Eisen  und  die  Hammer- 
schläge kurz,  nicht  sehr  stark  sein.  Je  härter  der  Stein  ist,  um  so  schwä- 
cher, kürzer  und  häufiger  müssen  die  Hammerschläge  sein ,  weil  dadurch 
der  Stein  eher  in  kleine  Fragmente  bricht,  wodurch  die  gesammte  Opera- 
tion abgekürzt  wird.  —  Diese  Manipulationen  (zuerst  Compression,  dann 
Percussion)  wiederholt  man  so  oft,  bis  man  mit  dem  gezahnten  Instrumente 
kein  grösseres  Fragment  mehr  findet,  ein  heftiges  Verlangen  des  Operir- 
ten  zum  Uriniren  sich  einstellt,  oder  wenn  man  glaubt,  dass  die  Fortsez- 
zung  dieser  Manipulationen  eine  zu  grosse  Beleidigung  der  Blase  sezen 
würde.  Man  sucht  hierauf  durch  öfteres  Oeffnen  und  Schliessen  des  In- 
struments die  zwischen  den  Branchen  befindlichen  Trümmer  möglichst  zu 
entfernen  und  zieht  dann  das  geschlossene  Instrument  wieder  heraus. 
Hierauf  führt  man ,  während  die  Urethra  wieder  wie  bei  der  Injection 
comprimirt  wird,  das  löffeiförmige  Instrument  ein  und  sucht  mit  demsel- 
ben die  kleineren  Fragmente  durch  dieselben  Handgriffe ,  wie  dies  oben 
beim  Fassen  des  Steins  gesagt  wurde,  auf  und  zerdrückt  dieselben  mittels 
des  Schlüssels  a  pignon.  Wenn  man  dieses  einige  Male  wiederholt  hat, 
so  zieht  man  auch  dieses  Instrument  heraus  und  die  Sizung  ist  beendigt. 
—  Bei  zweckmässigem  Verfahren  fühlt  der  Kranke  in  der  Regel  wenig 
Schmerzen,  der  gewöhnlichste  Zufall  ist  ein  heftiger  Drang  zum  Uriniren, 
der  sich  wohl  so  steigern  kann,  dass  man  die  Sizung  aufheben  muss  ;  zu- 
weilen verschwindet  dieser  Drang  aber  auch  ,  wenn  man  das  Instrument 
einige  Augenblicke  ruhig  hält  und  einige  Tropfen  Urin  aus  der  Harnröhre 
neben  dem  Instrument  hervorfliessen.  Wird  durch  die  Contraction  der 
Blase  der  grösste  Theil  der  Flüssigkeit  ausgetrieben,  so  kann  dessenunge- 
achtet beim  Eintreten  einiger  Passivität  der  Blasenmuskeln  der  schon  ge- 
fasste  Stein  unter  der  erforderlichen  Vorsicht  bearbeitet  werden.  —  Die 
fernere  Zersplitterung  oder  Zermalmung  der  Steinfragmente,  oder  des  nur 
verkleinerten  Steins  muss  in  den  folgenden  Sizungen  geschehen.  Man 
bestimmt  die  Dauer  des  Zwischenraums  zwischen  jeder  Sizung  je  nach 
dem  Allgemeinbefinden  des  Kranken  und  den  der  ersten  Operation  folgen- 
den Symptomen,  er  stellt  sich  auf  3  bis  8  Tage  und  bei  hohem  Alter  auf 
1  4  Tage.  Im  Allgemeinen  lässt  sich  als  Grundsaz  aufstellen ,  dass  kür- 
zere und  häufigere  Sizungen  besser  ertragen  werden,  als  längere  Sizungen, 
wenn  sie  in  grösseren  Zwischenräumen  vorgenommen  werden.  — ■  Nach 
der  Operation  stellen  sich  am  häufigsten  ein  :  Fieberbewegungen,  entzünd- 
liche Reizung  und  Anschwellung  der  Schleimhaut  der  Blase  und  Harn- 
röhre, der  Prostata,  der  Genitalien  und  Leistendrüsen,  indessen  weichen 
diese  Zustände  bald  einem  den  Umständen  angepassten  antiphlogistischen 
Verfahren  neben  warmen  Bädern,  Ruhe  und  Unterstüzung  der  Geschlechts- 
theile  durch  ein  Suspensorium.  —  Unmittelbar  nach  der  Operation  tritt 
ein  heftiger  Drang  zum  Uriniren  ein  ;  dieses  ist  ungemein  schmerzhaft  und 
sparsam,  der  Urin  blutig,  meist  ohne  Spur  von  steiniger  Beimischung,  erst 
später  wird    der  Urin  reichlicher,   es  geht  mehr  Sand  und  nach  und  nach 


STEINZERTRUEMMERUNG.  891 

grössere  Fragmente  ab.  Runde ,  weiche  und  kleine  Steinfragmente  bis 
höchstens  4  Linien  Durchmesser  gehen  gut  durch  die  Harnröhre  ab  und 
verursachen  nur  zuweilen  ein  augenblickliches  Stocken  des  Harnabflusses. 
Sind  dagegen  die  abgehenden  Steinfragmente  eckig,  hart,  so  reizen,  zer- 
ren, ja  verwunden  sie  zuweilen  die  Harnröhre,  bleiben  gern  an  verschiede- 
nen Punkten,  am  häufigsten  in  der  Fossa  navicularis  stecken ,  hin- 
dern das  freie  Ausströmen  des  Urins ,  machen  dem  Kranken  heftige 
Schmerzen,  erzeugen  Blutung,  entzündliche  Reizung  und  Entzündung  der 
verlezten  Partie.  —  Zur  Entfernung  der  steckenbleibenden  Steinfrag- 
mente bedient  man  sich  ,  wenn  sie  im  cavernösen  Theile  der  Harnröhre 
stecken  und  sich  nicht  festgestochen  haben,  der  Hunter'  sehen  Zange 
oder  des  Steinlöffels  von  Leroy;  steckt  ein  Fragment  an  der  Eichelmün- 
dung der  Harnröhre,  so  muss  diese  ,  wenn  sie  zu  klein  ist,  eingeschnitten 
werden.  Hat  der  Stein  seinen  Siz  im  gekrümmten  Theil  der  Harnröhre, 
so  soll  man  ihn  mittels  eines  dicken  Catheters  in  die  Blase  zurückstossen, 
oder  mittels  einer  kräftigen  Einsprizung  zurücktreiben  ;  schlägt  dies  fehl, 
so  muss  man  die  Urethrotomie  vornehmen.  —  Noch  ist  eines  Unfalls  zu 
gedenken ,  der  sich  zuweilen  ereignet ,  nämlich  das  Brechen  oder  Biegen 
des  Instruments  ,  was  durch  schlechten  Bau  oder  bei  zu  harten  Steinen 
geschehen  kann.  Ein  nur  wenig  gebogenes  Instrument  lässt  sich  häufig 
durch  die  Harnröhre  herausziehen ,  wenn  man  den  Griff  des  Instruments 
im  Herausziehen  stark  gegen  den  Bauch  neigt.  Starke  gebogene  Instru- 
mente machen  den  Blasenschnitt  nöthig. 

Die  Lithotritie  beim  Weibe  unterscheidet  sich  von  der  Ope- 
ration beim  Manne  in  folgenden  Stücken:  1)  ist  häufig  keine  Injection 
nöthig;  2)  kann  das  Fassen  des  Steins  dadurch  sehr  erleichtert  werden, 
dass  der  Gehülfe  durch  zwei  in  die  Scheide  eingeführte  Finger  den  Stein 
entgegendrücken  kann;  dieser  muss  in  den  Seitentheilen  der  Blase,  welche 
gleichsam  Taschen  bilden,  aufgesucht  werden;  3)  ist  das  Zermalmen  klei- 
nerer Stüke  nicht  in  dem  Masse  nöthig ,  wie  beim  Manne  und  man  kann 
selbst  grössere  Fragmente  gleich  nach  der  Zertrümmerung  entfernen. 

Indicationen  zur  Lithotritie.  Die  Anwendung  dieser 
Operation  beruht  hauptsächlich  auf  der  Möglichkeit,  mit  entsprechenden 
Instrumenten  durch  die  Harnröhre  in  die  Blase  zu  gelangen,  den  Stein  zu 
fassen,  zu  zerkleinern  und  die  Steinreste  zu  entfernen.  Sie  ist  daher  vor 
dem  12.  Jahre  nicht  anwendbar,  weil  die  Enge  der  Urethra  ein  zu  schwa- 
ches Instrument  fordern  würde.  Eine  weitere  Bedingung  für  die  Opera- 
tion ist ,  dass  der  Stein  nur  massig  hart  ist ,  so  dass  es  gelingt ,  ihn  bei 
jedesmaliger  Sizung  in  viele  Fragmente  zu  theilen.  Härtere  Steine  zer- 
springen in  grosse  Stücke,  welche  durch  die  Urethra  nicht  abgehen  kön- 
nen ;  das  Aufsuchen  und  Zertrümmern  dieser  Fragmente  ist  einestheils 
viel  schwieriger,  anderntheils  gefährlicher,  weil  zu  viele  Sizungen  nöthig 
werden.  —  Die  Contraindicatioen  ergeben  sich  zum  Theil  aus  dem 
eben   Angeführten  ;    des    Weitern    verbieten    die   Operation   Krankheiten 


892  STEINZERTRUEMMERUNG. 

der  Blase,  der  Harnröhre  und  der  Prostata  (s.  oben),  so  wie  ein  zu  gros- 
ser Umfang  des  Steins.  —  Beim  weiblichen  Geschlecht  gelingt  die  Ope- 
ration weit  besser,  weil  der  Abgang  der  Fragmente  erleichtert  ist.  —  Die 
Lithotritie  kann  unter  sonst  günstigen  Umstanden  besonders  da  mit  Vor- 
theil  in  Anwendung  gebracht  werden,  wo  die  Kranken  eine  grosse  Furcht 
vor  dem  Steinschnitt  haben ,  indessen  ist  sie  durchaus  nicht  so  schmerz- 
und  gefahrlos,  als  sie  von  einigen  übertriebenen  Vertheidigern  hingestellt 
wurde. 

Bei  weichen  sehr  brüchigen  Steinen  hat  Denamiel  ein  Verfahren 
angegeben,  welches  er  Lithothlibie  nennt.  Man  führt  einen  starken 
Catheter  oder  eine  Steinsonde  in  die  Blase ,  den  Zeigefinger  einer  Hand 
in  den  Mastdarm  ,  sucht  mit  dem  Catheter  über  den  Stein  zu  kommen 
und  denselben  durch  den  Druck  des  Fingers  gegen  das  Instrument  zu 
zerdrücken. 

StirnhÖhlenkrankheiten.  In  der  Stirnhöhle  kommen  Ver- 
schwörungen der  Schleimhaut  und  Afterbildungen  vor,  welche  so  ziemlich 
unter  den  gleichen  Symptomen,  nämlich  heftigem  Schmerz  im  Vorderkopf 
und  in  der  Gegend  der  Nasenwurzel  mit  der  Empfindung  von  Druck  und 
Schwere  auftreten.  - —  Die  Verschwärung  entsteht  entweder  durch 
Fortpflanzung  von  der  Nasenhöhle  aus  oder  sie  ist  die  Folge  einer  primä- 
ren Entzündung  der  die  Wandungen  der  Sinus  frontales  auskleiden- 
den Membran,  deren  Product  dann  eiterig  wird.  Nicht  selten  sind  Ver- 
schwärung und  Eiterungen  in  der  Stirnhöhle  von  einem  primären  Knochen- 
leiden abhängig,  namentlich  von  syphilitischer  Caries.  Ist  die  Communi- 
cation  zwischen  Stirn-  und  Nasenhöhle  offen,  so  fliesst  der  Eiter  in  leztere 
und  durch  diese  nach  aussen  ab.  Wenn  aber  die  Communication  nach 
der  Nase  hin  nicht  durchgängig  ist ,  so  greift  unter  dem  Drucke  der  an- 
gesammelten Flüssigkeit  die  Entzündung  auf  die  knöchernen  Wände  über, 
die  porotisch  gewordenen  Knochen  geben  nach,  die  Höhle  wird  nach  vorn 
und  hinten  vergrössert  und  durch  die  Verdrängung  der  hintern  Tafel 
Hirndruck  bedingt.  Endlich  wird  die  vordere  Knochentafel  durchbrochen 
und  es  kommt  zur  Entwicklung  von  Fisteln.  Seltener  erfolgt  der  Durch- 
bruch nach  hinten ,  wodurch  Entzündung  des  Gehirns  und  seiner  Häute 
herbeigeführt  wird.  —  An  Neubildungen  kommen  in  der  Stirnhöhle 
hauptsächlich  Polypen,  dann  auch  Hydatiden  vor.  Diese  After- 
bildungen haben  in  ihrem  weiteren  Wachsthum  dieselben  Folgen,  wie  die 
Ansammlung  einer  Flüssigkeit ,  sind  deshalb  von  solchen  nicht  wohl  zu 
unterscheiden ,  es  wäre  denn ,  dass  ein  in  die  Nasenhöhle  hineinragendes 
Stück  der  Neubildung  der  Untersuchung  zugänglich  würde.  —  Die  Be- 
handlung kommt  bei  sämmtlichen  Arten  von  Erkrankungen  darin  mit 
einander  überein,  dass  diese  die  Eröffnung  der  Stirnhöhle  fordern, 
und  weicht,  nur  darin  ab ,  dass  bei  flüssigen  Ansammlungen  häufig  das 
einfache   Durchbohren   der  Knochenwand   mittels   eines  Perforativtrepans 


SUBCUTANE  OPERATIONEN.  '  893 

oder  eines  troicart-  oder  pfriemenartigen  Instruments  genügt,  wahrend 
bei  Polypen  u.  dgl.  ein  Stück  des  Knochens  mit  einem  kleinen  Kronen- 
trepan  ausgesägt  werden  muss.  Bestehen  Knochenfisteln ,  so  erweitert 
man  diese  nach  Bedürfniss  mit  einem  Linsenmesser.  Nach  der  Entfer- 
nung des  Aftergebildes  macht  man  reinigende ,  später  adstringirende  Ein- 
sprizungen.  Daneben  müssen  etwa  bestehende  Dyscrasien  berücksichtigt 
werden. 

Strolllade  ,  Thorulus  stramineus,  Lectulus,  Fanon, 
nennt  man  ein  Verbandstück ,  welches  man  zur  Unterstüzung  von  Bein- 
brüchen, hauptsächlich  der  untern  Extremitäten  benuzt;  sie  soll  dem  Ver- 
bände mehr  Festigkeit  geben  und  namentlich  das  Ein-  oder  Auswärts- 
fallen des  gebrochenen  Gliedes  verhüten.  Man  hat  zwei  Arten  derselben, 
wahre  und  falsche.  —  Die  wahren  Strohladen,  Lectuli  s.  Tho- 
ruli straminei  veri,  sind  Cylinder,  welche  entweder  aus  einem  dick 
mit  Stroh  umwickelten  Stabe  oder  auch  bloss  aus  glattgelegtem  Stroh, 
welches  in  Form  eines  Cylinders  durch  einen  umgewickelten  Faden  zu- 
sammengehalten wird  ,  bestehen.  Zwei  solcher  Cylinder  bringt  man  auf 
die  Ränder  eines  nach  der  Dicke  des  Gliedes  verschieden  breiten  Stücks 
Leinwand  (Strohladentuch)  und  rollt  sie  gegen  einander,  bis  eine  dem 
aufzunehmenden  Gliede  an  Breite  entsprechende  Leinwandrinne  gebildet 
ist,  die  man  unterlegt  und  mit  Bändern  befestigt.  —  Die  falschen 
Strohladen,  Lectuli,  Thoruli  spurii,  faux  Fanons,  dienen 
zur  Unterstüzung  der  wahren  und  werden  unter  diese  gelegt ;  das  verlezte 
Glied  ruht  dabei  schwebend  auf  dem  Strohladentuche.  Ursprünglich  be- 
diente man  sich  dazu  runder  Stäbe ,  da  diese  aber  keine  sichere  Lage 
gaben,  so  gebrauchte  man  zuerst  ausgehöhlte  viereckige,  später  dreieckige. 
Die  Befestigung  geschieht  mit  Bändern.  —  Der  Strohladenverband  ist 
gegenwärtig  wenig  mehr  im  Gebrauch  ;  statt  desselben  bedient  man  sich 
jezt  häufig  flacher  Schienen,  die  man  nach  Art  der  wahren  Strohladen  in 
die  zwei  Seiten  eines  Leinwandstücks  einwickelt  und  den  Zwischenraum 
zwischen  ihnen  und  dem  Gliede  mit  Spreukissen  ausfüllt.  Eine  der  Länge 
der  Schienen  angemessene  Anzahl  Bänder  befestigt  das  Ganze. 

Subcutane  Operationen.  Man  versteht  hierunter  Trennun- 
gen unter  der  Haut  liegender  Gebilde  mit  möglichst  geringer  Verlezung 
der  erstem,  in  der  Absicht,  jeden  Zutritt  von  Luft  zu  der  Wunde  zu  ver- 
hüten. —  Neben  dem,  dass  die  subcutanen  Verwundungen  keine  Neigung 
zur  Entzündung,  noch  seltener  zur  Eiterung  besizen,  welches  leztere  nur 
geschieht ,  wenn  man  zu  grosse  Oeffnungen  in  die  Haut  gemacht  hat ,  so 
dass  Luft  eintreten  konnte ,  haben  sie  noch  die  weiteren  Vortheile ,  dass 
sie  sehr  schnell  vollzogen  werden  können,  wenig  schmerzhaft  sind ,  wenig 
oder  gar  keine  constitutionelleren  Symptome  verursachen,  wegen  der  ge- 
ringen Verlezung  der  so  erregbaren  Haut  und  der  Ausschliessung  der  at- 
mosphärischen Luft  die  verlezten  Theile  rasch  heilen    und  schliesslich  zu 


894  SUBCUTANE   OPERATIONEN. 

ihrer  Ausführung  nur  einen  sehr  einfachen  Apparat  brauchen.  Wesent- 
liche Bedingung  ist  es  daher,  dass  man  nicht  allein  die  Hautöffnung  mög- 
lichst klein  macht ,  sondern  diese  Oeffnung  auch  möglichst  entfernt  von 
der  innern  Wunde  anlegt.  —  Die  häufigste  Anwendung  findet  der  Unter- 
hautschnitt behufs  der  Durchschneidung  verkürzter  Muskeln  und  Sehnen  ; 
doch  ist  er  allmälig  auf  Cysten ,  Hydatiden,  Ganglien,  Hygrome,  Ranula, 
Gelenkmäuse,  Abscesse,  Blutgeschwülste  etc.  ausgedehnt  worden,  bei  wel- 
chen die  Haut  verzogen,  die  schmale  Messerklinge  eingestochen,  die  be- 
treffenden Höhlen  eingeschniten,  der  Inhalt  ausgedrückt  und  der  Wund- 
kanal wie  die  kranke  Höhle  durch  einen  Compressivverband  zur  Verwach- 
sung gebracht  wird.  Das  Nähere  hierüber  s.  die  betreffenden  Artikel. 
Hier  bleibt  uns  nur  übrig,  von  der  Durchschneidung  der  Sehnen, 
Tenotomia,  zu  sprechen.  —  Zur  Durchschneidung  dieser  Theile  (wie 
überhaupt  zu  allen  subcutanen  Operationen)  bedient  man  sich  eines  schma- 
len Messers,  welches,  weil  es  am  häufigsten  zur  Trennung  von  Sehnen  be- 
nuzt wird,  den  Namen  T  e  n  o  t  o  m  führt.  Das  gebräuchlichste  Instrument 
ist  ein  schmales,  spiziges  (einem  Federmesser  ähnliches),  sichelförmig  ge- 
krümmtes Messer.  Weniger  häufig  gebraucht  wird  ein  geradschneidiges 
an  der  Spize  stumpf  abgerundetes  Tenotom.  Das  erstgenannte  Instru- 
ment gewährt  den  Vortheil,  dass  man  mit  ihm  die  Hautwunde  anlegen 
und  zugleich  den  subcutanen  Schnitt  ausführen  kann ,  während  man  bei 
dem  zweiten  die  Haut  vorher  mit  einem  andern  spizen  Messer  anstechen 
muss ,  was  die  Operation  verlängert.  —  Man  kann  die  Sehnen  in  der 
Richtung  von  innen  nach  aussen  (subtendinös)  oder  von  aussen  nach  in- 
nen (subcutan)  durchschneiden.  Im  erstem  Falle  führt  man  das  Messer 
flach  unter  der  Sehne  weg ,  wendet  die  Schneide  nach  oben  und  trennt 
die  Sehne  nach  der  Haut  zu ;  im  andern  Falle  bringt  man  das  Messer 
zwischen  die  Hautbedeckung  und  Sehne  ein,  dreht  die  Schneide  nach  ab- 
wärts und  schneidet  in  die  Tiefe ,  wobei  man  sich  zu  hüten  hat ,  andere 
Theile,  als  welche  man  zu  trennen  beabsichtigt,  zu  verlezen.  Beim  Vor- 
dringen des  Messers  vermeide  man  das  Ausstechen  auf  der  entgegenge- 
sezten  Seite.  Die  kleine  Hautwunde  darf,  um  den  Lufteintritt  möglichst 
zu  vermeiden,  der  innern  Verwundung  nicht  entsprechen.  Man  erreicht 
dies  am  sichersten,  indem  man  an  dem  einem  Rande  der  zu  durchschnei- 
denden Sehne  eine  Hautfalte  bildet,  an  deren  Basis  das  Tenotom  einge- 
führt wird.  Lässt  man  die  Hautfalte  los  ,  so  befindet  sich  alsdann  die 
Hautwunde  in  ziemlicher  Entfernung  von  der  Sehnenwunde.  Wo  sich 
aber  keine  Falte  bilden  lässt,  da  muss  man  ohne  Weiteres  die  Stichwunde 
in  hinreichender  Entfernung  von  dem  subcutan  zu  durchschneidenden 
Theile  anlegen,  so  dass  das  Tenotom  sich  einen  kleinen  Kanal  bis  zu  sei- 
nem eigentlichen  Bestimmungsorte  zu  bahnen  hat.  Um  die  Sehne  (oder 
den  Muskel)  möglichst  vollkommen  und  allein  zu  durchschneiden ,  muss 
sie  durch  passive  Ausdehnung  angespannt  werden.  Dies  geschieht  ent- 
weder vor  dem  Einführen  des  Tenotoms ,  wenn  man  von  der  Tiefe  gegen 


SYPHILIS. 


895 


die  Oberfläche  schneidet,  oder  ini  entgegengesezten Falle  nach  demselben. 
Zur  Durchschneidung  selbst  wird  das  Heft  des  Tenotoms ,  wenn  man  von 
der  Oberfläche  gegen  die  Tiefe  schneidet ,  schreibfederförmig  in  die  rechte 
Hand  genommen  und  die  Sehne  in  hebeiförmigen  Bewegungen  durch- 
schnitten ,  wobei  man  mit  dem  Daumen  oder  Zeigefinger  der  linken 
Hand  an  der  Durchschneidungstelle  auf  die  Haut  aufdrückt.  —  Wenn 
man  von  der  Tiefe  nach  der  Oberfläche  schneidet,  so  hält  man  das  Te- 
notom  etwa  wie  ein  Federmesser  beim  Zuschneiden  einer  Feder  oder 
eines  Bleistifts,  und  drückt  mit  dem  Daumen  der  das  Messer  führenden 
Hand  die  Sehne  der  Schneide  entgegen,  wodurch  der  Druck  des  Messers 
gegen  die  Haut  gemässigt  und  die  Verlezung  der  leztern  verhütet  wird. 
—  Nach  der  vollständigen  Durchschneidung  der  Sehne,  welche  unter 
einem  hörbaren  Krachen  erfolgt ,  wird  das  Tenotom  wieder  flach  heraus- 
geführt und  dann  sogleich  der  Daumen  der  linken  Hand  in  den  Zwischen- 
raum der  zurückgezogenen  Sehnenenden ,  wobei  gewöhnlich  einige  Luft- 
blasen entweichen  ,  dann  auf  die  Wunde  gedrückt  und  diese  mit  einem 
kleinen  Charpieballen  und  einem  Heftpflaster  bedeckt.  —  Mit  Ausnahme 
der  Fälle  ,  wo  man  eine  gewaltsame  Streckung  vornehmen  will ,  heginnt 
man  die  mechanische  Ausdehnung  an  der  durchschnittenen  Sehne  erst 
5  —  6  Tage  nach  der  Operation.  Als  Verband  für  die  Nachbehandlung 
eignet  sich  der  Kleisterverband,  wo  er  anwendbar  ist,  am  besten. 

Syphilis,  Die  Syphilis  ist  eine  Krankheit,  welche  nie  von  selbst 
entsteht ,  sondern  jedesmal  aus  der  Uebertragung  eines  specifisch  viru- 
lenten Stoffs,  des  venerischen  Giftes,  entspringt.  Sie  entwickelt 
sich  ferner  nur  von  dem  Punkte  aus ,  auf  welchen  dieser  virulente  Stoff 
eingewirkt  hat,  und  manifestirt  sich:  1)  durch  einen  Chanker  und  durch 
gewisse  damit  verbundene  Localzufälle ,  2)  durch  allgemeine  Zufälle, 
welche  eintreten ,  sobald  nach  einer  gewissen  Incubationszeit  vom  Chan- 
ker aus  der  virulente  Stoff  in  die  Säftemasse  gedrungen  ist  (allgemeine 
Lustseuche).  Diese  allgemeinen  Zufälle  sind :  a)  frühzeitige  oder  se- 
cundäre ,  b)  später  eintretende  oder  tertiäre  Zufälle.  —  Das  syphilitische 
Gift  gehört  zu  den  fixen  Contagien  und  haftet  an  dem  übrigen  Secrete 
syphilitischer  Affectionen.  Dasselbe  ist  seiner  Natur  nach  völlig  unbe- 
kannt. Die  stärkste  Ansteckungsfähigkeit  besizt  der  Eiter  von  primären 
syphilitischen  Affectionen,  namentlich  Geschwüren,  besonders  während 
diese  sich  noch  vergrössern.  Sorgfältig  aufbewahrt,  behält  das  syphili- 
tische Secret  längere  Zeit  seine  ansteckende  Kraft.  Durch  Verbreitung 
verliert  es  nicht  an  Wirksamkeit,  es  reproducirt  sich  in  jedem  Geschwür. 
Die  Krankheit  lässt  sich  auch  durch  Einimpfen  fortpflanzen,  sobald  sie 
aber  eine  allgemeine  geworden  ist,  ist  sie  nicht  mehr  inoculabel.  Iedes 
Alter  und  jede  Constitution  besizt  Empfänglichkeit  für  das  Gift,  und 
diese  wird  durch  ein-  oder  mehrmalige  Ansteckung  nicht  getilgt,  nur 
ist  diese  Empänglichkeit  nicht  bei  allen  Subjecten  gleich  stark.    Die  An- 


896  SYPHILIS. 

steckung  erfolgt  durch  wunde  oder  mit  feiner  Oberhaut  bedeckte  Stellen. 
—  Man  theilt  die  Syphilis  in  primäre  und  s  e  c  u  n  d  ä  r  e  ,  und  zwar 
nennt  man  sie  primär,  wenn  die  Zeichen  der  Ansteckung  unmittelbar 
nach  derselben  an  der  Ansteckungsstelle  erscheinen ,  secundär  aber, 
wenn  sie  später  an  Stellen ,  die  nicht  unmittelbar  mit  den  Contagien  in 
Berührung  kamen,  zum  Vorschein  kommen.  Ricord  macht  aus  den  Er- 
scheinungen der  secundären  Syphilis  zwei  Stadien  und  nimmt  demnach 
eine  primäre,  secundäre  und  tertiäre  Syphilis  an.  Primärer 
Zufall,  der  Chanker,  Folge  der  direkten  Wirkung  des  Giftes.  Er  re- 
producirt  dasselbe  und  pflanzt  sich  mittels  desselben  auf  dem  Wege  der 
Contagion  von  einem  kranken  Individuum  auf  ein  gesundes  fort,  ebenso 
durch  die  Inoculation,  oder  auch  an  dem  Individuum  selbst  von  einer 
Stelle  auf  die  andere.  —  Successive  Zufälle,  d.  h.  solche,  die  nach 
und  nach  oder  durch  blosse  Ausdehnung  des  ersten  örtlichen  Symptoms 
auftreten,  wie  z.  B.  neue  Chanker,  rein  entzündliche  oder  virulente 
Drüsengeschwülste.  —  Secundäre  Zufälle  oder  Zufälle  allgemeiner 
Infection ,  wo  das  Gift  eine  Modifikation  erlitten  und  die  syphilitische 
Constitution  erzeugt  hat.  Diese  Zufälle  entwickeln  sich  auf  der  Haut, 
den  Schleimhäuten ,  in  den  Augen ,  den  Hoden  etc.  und  treten  selten 
früher  als  nach  zweiwöchiger  Dauer  des  primären  Zufalls ,  des  Chankers 
auf,  in  der  Regel  aber  erst  4,  6,  8  Wochen  darauf  oder  noch  weit  später. 
Diese  secundären  Erscheinungen  können  unbestreitbar  von  der  Mutter 
auf  das  Kind  erblich  übertragen  werden.  Die  Kinder  tragen  dann  nach 
der  Geburt  allgemeine,  denen  der  Mutter  analoge  Symptome  an  sich,  ohne 
primäre  Afiectionen  erlitten  zu  haben  und  ohne  dass  man  dieselben  etwa 
auf  Rechnung  von  Sympathien  bringen  darf,  welche  durch  die  Ge- 
schlechtsorgane des  Vaters  oder  der  Mutter  zwei  oder  drei  Monate  nach 
der  Geburt  auf  sie  eingewirkt  hätten.  —  Tertiäre  Zufälle,  welche  in 
unbestimmten  Zeitabschnitten ,  in  der  Regel  aber  lange  Zeit  nach  dem 
Aufhören  des  primären  Leidens  auftreten.  Sie  zeigen  sich  bei  der  Mehr- 
zahl der  Kranken  nur ,  wenn  schon  secundäre  Symptome  der  Krankheit 
vorhanden  gewesen  oder  noch  vorhanden  sind,  was  zu  richtiger  Feststel- 
lung der  Diagnose  nicht  übersehen  werden  darf.  In  die  Reihe  der  ter- 
tiären Zufälle  hat  man  zu  stellen :  den  Nodus ,  die  tiefen  Tuberkel,  die 
Tuberkel  des  Zellgewebs ,  die  Periostosen,  die  Exostosen,  die  Caries, 
die  Necrosen ,  die  syphilitischen  Tuberkel  des  Gehirns ,  manche  innere 
Affectionen ,  die  bisher  noch  unvollkommen  dargestellt  sind. 

1.  Chanker.  Die  primär  syphilitischen  Geschwüre  (Ulcera 
syphilitica  s.  venerea  primaria)  kommen  am  häufigsten  an  den 
Geschlechtstheilen ,  bald  einzeln,  bald  in  Mehrzahl  vor  und  sind  durch 
Ansteckung  beim  Coitus  entstanden.  Gewöhnlich  zeigen  sie  sich  beim 
Manne  an  der  Eichel  und  an  der  innern  Fläche  der  Vorhaut ,  besonders 
in  der  Nähe  des  Frenulums  ;  seltener  an  der  äussern  Fläche ;  beim  Weibe 
am  Scheideneingange  in  der  Fossa  navicularis,  an  der  innern  Fläche 


SYPHILIS.  897 

der  grossen  und  kleinen  Schamlippen  ,  an  der  Commissur ,  seltener  tiefer, 
in  der  Scheide ,  an  der  Clitoris  etc.  Selten  erfolgt  die  Ansteckung  an 
den  Brustwarzen  durch  Säuglinge,  an  den  Lippen  und  dem  Munde  durch 
Küssen ,  durch  Trinkgeschirre  ,  Tabakspfeifen  u.  dgl.  —  Nach  erfolgter 
Ansteckung  tritt  die  Geschwürentwicklung  bald  sogleich  in  den  ersten 
2  4  Stunden  oder  erst  nach  mehreren  Tagen ,  und  zwar  auf  wunden  Stel- 
len schneller ,  als  auf  mit  der  Oberhaut  bedeckten  ein.  Excoriirte  Stel- 
len entzünden  sich  und  wandeln  sich  unmittelbar  in  Geschwüre  um.  Auf 
von  der  Oberhaut  bedeckten  Stellen  macht  sich  zuerst  ein  rother  Fleck 
bemerklich ,"  und  der  Angesteckte  empfindet  hier  ein  leichtes  Jucken, 
Stechen  oder  Brennen.  Bald  bemerkt  man  die  Entwicklung  eines  zuge- 
spizten  gelben  Bläschens  (Chankerbläschen)  oder  Knötchens,  weiches  die 
Grosse  eines  Stecknadelknopfs  oder  Hirsenkorns  erreicht ,  dann  aufbricht 
und  ein  Geschwürr  darstellt.  Die  Schwärung  greift  hierauf  in  dem  auf 
die  eine  oder  die  andere  Art  zu  Stande  gekommenen  Geschwüre  noch 
einige  Zeit  um  sich,  dieses  ist  schmerzhaft,  hat  eine  runde  Form,  scharfe, 
wie  abgeschnittene  Ränder ,  einen  rothen  Saum ,  einen  speckigen  Grund 
und  sondert  in  reichlicher  Menge  einen  bald  dünnen,  häufiger  aber  einen 
dicken  weissgelblichen  oder  gelblichgrünen  Eiter  von  eigenthümlichem  Ge- 
rüche ab.  Unter  günstigen  Verhältnissen  hört  der  fressende  Character 
des  Geschwürs  nach  einiger  Zeit  auf,  dasselbe  wird  stationär,  dann  tritt 
eine  Besserung  des  Aussehens  ein ,  die  Absonderung  wird  sparsamer ,  die 
wunde  Stelle  granulirt  und  überhäutet  sich  endlich  unter  Bildung  einer 
vertieften  Narbe.  Bisweilen  findet  auch  eine  abwechselnde  Besserung 
und  Verschlimmerung  statt ,  ehe  es  zur  Vernarbung  kommt.  Die  Dauer 
dieses  Vorgangs  ist  gewöhnlich  3  —  8  Wochen.  —  Die  hier  gegebene 
einfache  Form  von  Chanker  erleidet  nach  dem  Size  des  Uebels  und  in 
Folge  besonderer  Beschaffenheit  des  xlnsteckungsstoffes  mannigfache  Ab- 
weichungen, von  denen  die  wichtigsten  folgende  sind :  a)  das  erhabene 
oder  wuchernde  Geschwür  (Ulcus  elevatum  s.  Condyloma- 
tos  um).  Auf  einer  hypertrophisch  erhabenen  Hautstelle  von  dunkel- 
rother  Farbe  bildet  sich  ein  Geschwür,  dessen  weisslicher ,  oft  schwam- 
miger Grund  der  Hautfläche  gleich  oder  noch  höher  ist  und  dessen 
Ränder  sieh  über  die  Haut  erheben.  Dieses  Geschwür  hat  seinen  Siz 
auf  der  äussern  Haut,  vorzüglich  wo  sie  in  die  Schleimhaut  übergeht, 
daher  am  Rande  der  Schleimhaut,  an  den  Schamlefzen,  am  Hodensack  etc. 
Bald  zeigt  das  Geschwür  gleich  von  Anfang  einen  wuchernden  Character, 
bald  erst  im  spätem  Verlaufe.  Es  heilt  langsam  mit  Hinterlassung  einer 
vertieften  Narbe.  —  Es  hat  immer  Zufälle  allgemeiner  Syphilis  zur 
Folge.  —  b)  Der  verhärtete,  callöse  oder  Hunter'sche  Chan- 
ker (Ulcus  callosum  s.  Hunteri).  Der  Grund  des  Geschwürs  ist 
tief,  sehr  hart,  knorpelartig,  weniger  speckig;  die  Ränder  sind  erha- 
ben ,  wie  abgebissen ,  zackig  oder  auch  abgerundet ,  auswärts  gestülpt, 
kupfer-  oder  dunkelroth;  die  Absonderung  ist  gering  und  ebenso  die  Em- 
Burger,  Chirurgie.  57 


898  SYPHILIS. 

pfindlichkeit.  Der  Verlauf  solcher  Geschwüre  ist  immer  langsam  und 
nach  der  Heilung  bleibt  die  Härte  oft  noch  lange  zurück.  Besonders 
Geschwüre  auf  der  Eichel  nehmen  zuweilen  diese  Beschaffenheit  an,  theils 
spontan  ,  theils  nach  angewandter  Aezung.  Sekundäre  Zufälle  erfolgen 
häufig  auf  diese  Geschwüre ;  das  Verschwinden  der  zurückbleibenden 
Härte  deutet  die  Beseitigung  der  allgemeinen  Lues  an.  —  c)  Der  fres- 
sende Chanker  (Ulcus  phagadaenicum)  stellt  ein  unregel- 
mässiges Geschwür  dar ,  welches  sich  rasch  in  die  Breite  und  Tiefe  ver- 
grössert.  Der  Grund  dieses  Geschwürs  ist  sehr  vertieft ,  ungleich  und 
mit  einem  zähen,  graugrünlichen,  speckigen,  festsizenden  Ueberzug  be- 
deckt ;  die  Ränder  sind  blauroth ,  wie  abgebissen ,  aufgewulstet ,  oft  um- 
gestülpt ;  es  ist  sehr  schmerzhaft  und  hat  nicht  selten  starke  Blutungen 
aus  angefressenen  Gefässen  im  Gefolge.  Es  kommt  besonders  bei  Män- 
nern am  Frenulum  und  am  Collum  glandis,  bei  Weibern  an  der 
innern  Seite  der  Lefzen  vor.  Bei  cachectischen  Individuen,  besonders 
Säufern ,  tritt  das  syphilitische  Geschwür  häufig  gleich  anfangs  unter 
dieser  Form  auf,  doch  können  auch  die  milderen  Formen  durch  Diätfeh- 
fehler, Unreinlichkeit,  unzweckmässigen  Merkurialgebrauch  phagadänisch 
werden.  Sekundäre  Zufälle  erfolgen  häufig.  —  d)  Der  brandige 
Chanker.  Dieser  ist  entweder  eine  Abart  des  vorigen,  wobei  der 
Grund  des  Geschwürs  theilweise  brandig  wird,  oder  er  ist  das  Resultat 
einer  zu  milderen  Geschwüren  hinzugetretenen  erysipelatösen  Entzün- 
dung ,  welche  sich  über  die  äussern  Geschlechtstheile  ausbreitet  und  die- 
selben manchmal  in  2  4  Stunden  in  eine  schwarze  leblose  Masse  verwan- 
delt, nach  deren  Abstossung  die  wunde  Fläche  bald  zu  granuliren  und 
zu  heilen  beginnt.  Häufig  bleiben  bei  dieser  Form  von  Geschwüren  die 
secundären  Zufälle  aus ,  weil  der  Boden  zerstört  wurde ,  auf  dem  das  sy- 
philitische Gift  Wurzel  gefasst  hatte ,  doch  ist  dies  nur  der  Fall ,  wenn 
eine  solche  Zerstörung  eintritt,  ehe  das  Gift  in  den  Körper  aufgenommen 
werden  konnte.  Veranlassung  zu  der  brandigen  Entzündung  geben  grobe 
Diätfehler ,  besonders  im  Trinken  bei  schon  vorhandenen  Geschwüren ; 
Nichtbeachtung  der  entzündlichen  Erscheinungen  und  besonders  ihres 
erysipelatösen  Characters ,  ferner  der  Einfluss  einer  schlechten  Hospital  - 
und  Kerkerluft. 

2)  Secundär  syphilitische  Affectionen.  Die  syphi- 
litische Infection  hat  entweder  keine  weiteren  Folgen,  oder  aber  es  findet 
zugleich  vom  Geschwüre  aus  ein  Uebergang  des  Chankergifts  in  die 
Lymph  -  und  Blutgefässe  statt ,  wodurch  Entzündung  der  benachbarten 
Lymphgefässe  und  Drüsen  entsteht.  Die  nächste  Folge  ist  eine  An- 
schwellung der  leztern  (meist  der  Leistendrüsen)  ,  Bubo  venereus, 
welche  sich  wieder  zertheilen  ,  oder  aber  in  Eiterung  übergehen  können. 
—  Im  weiteren  Verlaufe  geht  das  syphilitische  Gift  in  die  ganze  Con- 
stitution über ,  in  Folge  dessen  eine  eigenthümliche  Blutkrase  veranlasst 
wird,  welche  unter   dem  Namen   syphilitische  Dyscrasie,    all- 


SYPHILIS.  899 

gemeine  Syphilis  oder  Lustseuche  (Syphilis  secundaria, 
universalis,  Lues  venerea)  bekannt  ist  und  welche  sich  durch 
verschiedene  Erscheinungen  offenbart  Als  solche  sind  eine  Reihe  von 
Hautausschlägen  (Syphiliden),  Schleimhautentzündungen  und  Ge- 
schwüre ,  so  wie  pseudoplastische  Bildungen ,  wohin  die  Condylome, 
Schleimplatten  und  syphilitischen  Tuberkel  gehören ,  zu  bezeichnen.  — 
Wir  betrachten  einige  dieser  secundären  Affectionen  näher.  a)  Der 
syphilitische  Bubo,  Bubo  venereu s,  die  Anschwellung  und 
Entzündung  der  Lymphdrüsen ,  gehört  in  die  erste  Reihe  der  secundären 
syphilitischen  Zufälle.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  ist  der  Bubo  eine 
Folgeerscheinung  des  Chankers ;  durch  vielfache  Erfahrungen  ist  aber 
dargethan ,  dass  das  syphilitische  Gift  auch  auf  andere  Weise  aufge- 
nommen und  der  Bubo  dadurch  erzeugt  werden  kann.  —  Der  virulente 
primäre  syphilitische  Bubo  entsteht  meistens  bei  noch  offenem  Chanker- 
geschwür  und  zwar  selten  in  den  ersten  Tagen  des  syphilitischen  Ge- 
schwürs,  dessen  Eiter  ihn  erzeugt.  Am  häufigsten  tritt  er- nach  der 
ersten  oder  noch  öfter  nach  der  zweiten  Woche ,  zuweilen  noch  später 
auf.  —  Der  Kranke  empfindet  zuerst  eine  unangenehme  Spannung  und 
einen  von  dem  Geschwüre  aus  sich  aufwärts  erstreckenden  Schmerz. 
Dieser  steigert  sich,  eine  Leistendrüse  schwillt  an  und  zeigt  sich  als  ein 
kleiner  umschriebener  Knoten  ,  der  innerhalb  8  —  1 0  Tagen ,  oft  auch 
rascher ,  die  Grösse  eines  Taubeneies  erreicht  und  auch  dessen  Form 
zeigt.  Mit  der  Zunahme  der  Geschwulst  vermehren  sich  auch  die  Schmer- 
zen ,  erstrecken  sich  jedoch  nicht  über  dieselbe  hinaus ,  erschweren  das 
Gehen  und  Druck  vermehrt  sie.  Die  Geschwulst  hat  eine  umschriebene 
kupferrothe  Farbe ,  welche  nie  über  ihre  Ausdehnung  hinausgeht.  Unter 
Frösteln  und  pulsirendem  Schmerze,  selten  unter  Fieberbewegungen  geht 
die  anfangs  sich  hart  anfühlende  Geschwulst  in  Eiterung  über ,  indem 
sie  am  erhabensten  Punkte  weich ,  teigig  wird  und  sich  zuspizt.  Oft 
röthet  sich  die  Geschwulst  erst  mit  der  Bildung  des  Eiters.  Zuweilen 
bilden  auch ,  besonders  bei  stark  entzündeten  Bubonen ,  die  Lymphge- 
fässe  zwischen  der  Drüse  und  dem  Chanker  rothe,  knotige  Stränge,  in 
welchen  sich  wieder  kleine  Abscesse  entwickeln ,  die  sich  in  venerische 
Geschwüre  umwandeln.  Unter  den  gewöhnlichen  Ercheinungen  kommt 
der  Bubo  zur  Reife ,  wobei  die  Röthe  immer  saturirter  und  kupferartig 
wird ,  öffnet  sich  an  einer  oder  mehreren  Stellen ,  gibt  anfangs  einen  oft 
gutarig  scheinenden  Eiter ,  bald  aber  breitet  sich  die  zum  Geschwür  wer- 
dende Eiterfläche  rasch  im  Umfange  aus  ,  die  unterminirten  Ränder  wer- 
fen sich  um  und  weVden  wie  der  Grund  weiss  und  speckig.  —  Einen 
etwas  veränderten  Verlauf  zeigt  der  mehr  atonische  Bubo ,  der  bei  schlaf- 
fen ,  cachectischen ,  geschwächten  Individuen  vorkommt.  Er  sieht  mehr 
blauroth  aus  ,  zerstört ,  bevor  er  aufbricht ,  die  Theile  in  der  Tiefe  in 
einem  bedeutenden  Umfange ,  oder  die  Eiterung  bleibt  aus  ,  er  bricht  an 
mehreren   Stellen   auf  und  geht   in  Verhärtung   und   fistulöse   Entartung 

57* 


900  SYPHILIS. 

über ;  zuweilen  erfolgt  Uebergang  in  Brand.  —  b)  Die  syphiliti- 
schen Hau  tau  schlage,  Syphiliden,  zeigen  im  Allgemeinen  die 
characteristischen  Elementarformen  der  Krankheiten  des  Hauptgewebes, 
treten  demnach  bald  als  Entzündungen  mit  Congestion  wie  Roseola, 
Erythem  a,  Urticaria  syphilitica,  bald  als  Entzündungen  mit 
Ergiessung ,  als  Bläschenausschlag,  (vesiculäre  Syphilis)  etc.  auf.  —  Die 
syphilitischen  Hautausschläge  kommen  in  der  Regel  mit  jenen  Sympto- 
men zusammen,  welche  die  secundäre  Syphilis  bezeichnen  und  nach  län- 
geren Zwischenräumen  der  primär  vorangegangenen  Ansteckung  folgen; 
nur  selten  entwickeln  sie  sich ,  wenn  noch  primäre  Zufälle  zugegen  sind, 
auch  zeigen  sie  sich  zuweilen  durch  erbliche  Uebertragung  nach  der  Ge- 
burt. Ihr  Verlauf  ist  meistens  chronisch  und  nur  in  den  wenigen  Fällen, 
wenn  sie  zu  der  congestiven  Gruppe  gehören  oder  gleichzeitig  mit  pri- 
mären Affectionen  erscheinen  ,  sind  sie  von  Zeichen  acuter  Entzündung 
begleitet.  —  Am  häufigsten  entwickeln  sie  sich  an  den  Theilen  des  Kör- 
pers ,  welche  dem  Einflüsse  der  Luft  ausgesezt  sind ,  und  in  welchen  also 
die  Capillarcirculation  am  lebendigsten  ist.  Wir  finden  sie  deshalb  oft 
am  Gesicht ,  an  der  Stirn ,  am  Halse ,  an  den  Handgelenken  und  an  den 
Händen.  Die  für  characteristisch   gehaltene   dunkle  Kupferfarbe  der 

Syphiliden  erscheint  meistentheils  erst  sehr  spät  und  oft  nur  in  den 
Flecken  derselben,  welche  auf  die  Heilung  der  Formen  folgen,  c)  Secun- 
däre Schleim  ha  u  tentzünduu  gen  und  Geschwüre.  Es  ge- 
hören hieher  Entzündungen  und  Verschwärungen  in  der  Rachen-  und 
Nasenschleimhaut  (Angina  syphilitica)  und  ähnliche  Erscheinungen 
am  After.  Die  Röthe  dieser  Entzündungen  zeichnet  sich  durch  runde, 
umschriebene ,  dunkle ,  kupferfarbige  Flecken  aus ,  die  von  einzelnen 
dicken  Gefässen  durchzogen  sind.  Zuweilen  sizen  auf  den  entzündeten 
Stellen  weisse  Flecke ,  die  sich  bei  genauerer  Untersuchung  als  kleine 
Bläschen  ausweisen,  die,  wenn  sie  absterben,  einen  oberflächlichen  Schorf 
erzeugen.  Zuweilen  zeigen  sich  auch  grössere  Papeln  und  Pusteln.  Im 
Allgemeinen  ist  die  Entzündung  schmerzlos  und  nur  ein  lästiges  Gefühl 
von  Trockenheit  und  Rauhigkeit  im  Halse  zugegen ,  weshalb  auch  die 
Sprache  rauh  ist.  Bei  auf  die  Nase,  den  Gaumen,  die  Stimmrize ,  die 
Mündung  der  Tuba  Eustachii  fortschreitender  Entzündung  wird  die 
Nase  trocken,  die  Ohrtrompete  verstopft ;  die  Luft  geht  nur  schwer  durch 
die  Nase ,  die  Schleimhaut  der  Nase  wird  empfindlicher  und  sondert  viel 
eitrigen  Schleim  ab.  Die  Stimme  wird  zum  Nasenton ,  und  wenn  die 
Stimmrize  ergriffen  ist ,  klanglos  ;  die  Augen  beginnen  zu  thränen ,  das 
Gehör  leidet  etc.,  dagegen  sind  fieberhafte  Symptome  nur  selten  zugegen. 
—  Ueberlässt  man  die  Schleimhautentzündungen  sich  selbst,  so  schreiten 
sie  in  der  Regel  immer  weiter  aus ,  oder  erscheinen  auch  an  entfernten 
Punkten  des  Körpers ,  z.  B.  am  Afterrande ,  dem  Warzenhofe  etc.  — 
Die  Entzündung  geht  entweder  unter  Abstossung  der  weissen  Flecken  in 
Genesung  über  oder   es   tritt  Verschwärung   ein.    —    Die   sich   bildenden 


SYPHILIS.  901 

Secundärgeschwüre  gleichen  im  Wesentlichen  den  primären  Ge- 
schwüren ,  sie  können  unter  den  Zeichen  des  verhärteten  Chankers 
auftreten ,  oder  sie  verlaufen  auch  wohl  wie  die  phagadänischen  Ge- 
schwüre und  oft  wie  solche  die  durch  Entzündung  brandig  geworden 
sind.  —  Im  Halse  richten  sie  nicht  selten  bedeutende  Zerstörungen  an; 
der  hängende  Gaumen  wird  zerstört  und  damit  die  Stimme  auf  eine  ganz 
eigenthümliche  AVeise  verändert ;  ergreift  die  Zerstörung  den  Schlund 
und  Kehlkopf,  so  wird  die  Stimme  rauh  und  klanglos  (Raucedo  syphi- 
litica); im  weiteren  Fortschreiten  des  Uebels  kann  es  zur  Zerstörung  der 
Muscheln  ,  Nasenbeine  ,  Gaumenbeine  ,  Wirbelkörper  etc.  kommen.  Zu 
diesen  örtlichen  Leiden  gesellen  sich  in  Folge  der  Resorption  der  Jauche 
bald  bedeutende  Störungen  des  Allgemeinbefindens,  hectisches  Fieber, 
caehectisches  Aussehen  ,  Abmagerung  etc.,  endlich  Phthisis.  —  Ge- 
schwüre am  After  sind  meist  spaltförmig,  haben  scharfe  Ränder  und 
sind  mit  Schmerzen  bei  der  Stuhlausleerung  und  Tenesmus  verbunden. 
—  Geschwüre  der  äussern  Haut  entstehen  aus  Abscessen  des 
Unterhautzellgewebes,  entzündeten  Hauttalgsäcken  oder  aus  verschwären- 
den Hautausschlägen.  Sie  sizen  je  nach  ihrer  Entstehungs weise  bald  nur 
oberflächlich ,  bald  greifen  sie  mehr  in  die  Tiefe  ;  an  den  Händen  und 
Füssen  treten  sie  nicht  selten  als  Risse  und  Schrunden  auf.  —  Diese 
Geschwüre  haben  das  Eigenthümliche ,  dass  sie  oft  an  der  einen  Stelle 
heilen ,  dagegen  andere  Partien  ergreifen  und  sich  häufig  in  regelmässig 
geschlängelten  oder  kreisförmigen  Linien ,  durch  welche  gesunde  Haut- 
stellen eingeschlossen  werden ,  nach  und  nach  über  grosse  Hautstrecken 
ausbreiten.  —  Von  den  Condylomen  wurde  in  einem  besondern  Ar- 
tikel gesprochen. 

3).  Tertiäre  syphilitische  Affectionen.  Sie  treten  meist 
nur  erst  eine  lange  Zeit  nach  der  primären  Affection  auf,  und  da  an- 
dere Ursachen  ganz  ähnliche  Krankheiten  erzeugen  können,  so  ist  es  bis- 
weilen unmöglich,  sie  zu  unterscheiden.  Nicht  contagiös  ,  vererben  sie 
sich  nur  dadurch ,  dass  sie  in  der  Organisation  und  Constitution  der 
Kinder  krankhafte  Umstimmungen  ohne  specifischen  Character  erzeugen, 
die  man  zu  den  gewöhnlichen  Scropheln  rechnen  kann.  Die  Rieord'- 
sche  Lehre  aber ,  dass  unter  den  syphilitischen  Formen  und  Krankheiten 
nur  der  Chanker  contagiös  und  inoculirbar  sei ,  wird  von  vielen  Autoren 
bestritten ,  und  es  wird  auch  die  Ansteckungsfähigkeit  und  Inoculirbar- 
keit  der  secundären  und  tertiären  Syphilisformen  behauptet ,  so  wie  ihre 
Uebertragbarkeit  von  den  Eltern,  auf  die  Kinder.  —  Die  tertiären  Zu- 
fälle haben  nach  R  i  c  o  r  d  zum  Siz  das  subcutane  Zellgewebe  ,  die  fibrö- 
sen ,  knochigen  und  knorpeligen  Texturen ,  die  Muskeln ,  die  Nerven- 
substanz und  die  parenchymatösen  Organe ,  kurz  den  Organismus  in 
seiner  Totalität.  Zwischen  dem  Hervortreten  der  Uebergangssymptome 
und  den  ersten  Tertiärzufällen  finden  unendlich  viele  Uebergänge  statt, 
aber   einer   der  Hauptcharactere   aller  Erscheinungen   dieser  Periode  be- 


902  SYPHILIS. 

steht  in  der  Tendenz ,  sich  auf  die  tiefliegenden  Theile  zu  concentriren 
und  nicht  nach  aussen  zu  treten ,  wie  es  gerade  umgekehrt  bei  den  se- 
eundären  Erscheinungen  der  Fall  ist.  —  Die  Zufälle ,  welche  die  ter- 
tiäre Syphilis  hervorruft ,  sind:  a)  tiefe  Tuberkel  in  der  Haut 
und  den  p  a  r  e  n  c  h  y  m  a  t  ö  s  e  n  O  r  g  a  n  e  n ,  G  u  m  ra  i  g  e  w  ä  c  h  s  e ,  T  u  - 
mores  gummös  i.  Sie  haben  ihren  Siz  in  dem  subcutanen,  submucö- 
sen  oder  interstitiellen  Zellgewebe,  Sie  sind  meistens  mit  Scropheln 
oder  herpetischen  Affectionen  complicirt ,  verlaufen  langsam  und  oft 
schmerzlos  ,  entstellen  die  Theile  ,  auf  welchen  sie  sizen ,  verhärten  sich 
erst ,  um  dann  in  einen  Zustand  von  Erweichung  überzugehen  ?  worauf 
die  Schwärung  bald  folgt.  Sie  kommen  nicht  selten  in  Mehrzahl  vor. 
Sie  haben  öfters  das  Aussehen  scirrhöser  oder  carcinomatöser  Verhärtun- 
gen. —  b)  K  n  o  c  h  e  n  s  c  h  m  e  r  z  e  n ,  Dolores  o  s  t  e  o  c  o  p  i ,  kommen 
überall  im  Knochengewebe  ,  in  den  tiefern ,  wie  obern  Schichten ,  in  den 
flachen  und  Röhrenknochen,  in  den  Gelenkenden  wie  im  Schafte  vor. 
Sie  treten  meistens  des  Nachts  auf  und  sind  immer  an  derselben  Stelle 
des  Knochens  fixirt.  Witterungswechsel  bringt  sie  häufig  zur  Entwick- 
lung. Häufig  folgt  Periostose  auf  sie.  —  c)  Die  Periostosen  ent- 
stehen meistens  an  der  Stelle  des  Knochens  ,  wo  der  Siz  des  Schmerzes 
ist.  Sie  stellen  mehr  oder  weniger  umschriebene  Geschwülste  dar,  welche 
gewöhnlich  ihren  Siz  auf  den  an  der  Oberfläche  des  Körpers  liegenden 
Knochen,  an  der  Tibia ,  Clavicula ,  Ulna,  dem  Radius,  den  Schädelkno- 
chen etc.  und  vorzüglich  auf  den  Punkten  haben ,  wo  diese  Knochen  der 
Haut  am  meisten  genähert  sind.  Gebildet  wird  die  Geschwulst  von  dem 
Periosteum ,  welches  sich  erhebt  und  in  Folge  einer  Ablagerung  von 
plastischen  Stoffen  zwischen  Periosteum  und  Knochen ,  oder  in  Folge 
einer  exsudirten,  der  Synovia  ähnlichen  Flüssigkeit  von  dem  Knochen  ab- 
löst. Im  ersten  Falle  ,  wo  die  Geschwülste  eine  gewisse  Festigkeit  zei- 
gen ,  nennt  man  sie  Tophi,  Nodi;  im  zweiten,  wo  sie  mehr  oder  we- 
niger fluctuiren,  Gummata  oder  gummöse  Periostosen,  d)  Exo- 
stose n.  Sie  kommen  vorzüglich  an  den  compacten  Theilen  der  Kno- 
chen vor  und  es  gehen  ihnen  syphilitische  Knochenschmerzen  voraus. 
Sie  sizen  entweder  an  der  Oberfläche  des  Knochens  oder  im  Parenchym 
desselben  oder  bei  den  Röhrenknochen  in  der  Markhöhle.  Diesemnach 
gibt  es  äussere  oder  Periostealexostosen  und  innere  oder 
Medullär exostosen.  Die  Exostosen  können  sich  zertheilen,  ver- 
härten oder  in  Eiterung  übergehen.  Lezterer  Ausgang  tritt  namentlich 
ein,  wenn  die  der  Krankheit  zu  Grunde  liegende  Entzündung  in  dem 
schwammigen  Gewebe  der  Knochen  ihren  Siz  hatte,  und  Caries  oder 
Necrose  ist  dann  die  Folge.  —  e)  Sehnen-  und  Muskelverkür- 
zungen. Sie  beruhen  auf  einer  Texturveränderung  des  Muskels, 
bestehend  zuerst  in  Hypertrophie,  dann  Atrophie  eines  Gewebes.  — 
f)  Affectionen  der  Nerven.  Die  Syphilis  kann  auf  das  Gehirn 
und  Rückenmark  wirken  und  dadurch  Motilitäts-  und  Sensibilitätsstörungen 


SYPHILIS.  903 

hervorrufen  (Paraplegie  ,  Epilepsie  ,    Catalepsie  ,   chronische  Nervenübel). 
—  g)  Hodenanschwellung  und  Affectionen  des  Auges. 

Behandlung  der  Syphilis  im  Allgemeinen. — Prophy- 
lactische  Kur.  Zur  Verhütung  der  Ansteckung  hat  man  aus  dem 
Bereiche  der  medicinischen  Mittel  theils  äussere,  theils  innere  Mittel  em- 
pfohlen. Von  diesen  haben  die  leztern  (Mercurialien)  gar  keinen ,  die 
erstem  nur  einen  beschränkten  Werth.  —  Dasjenige  Individuum,  das 
sich  vor  der  Ansteckung  schüzen  will ,  muss  die  Prophylactica  vor  und 
nach  dem  Beischlaf  brauchen.  Zu  diesem  Zwecke  sind  die  Pudenda  (beim 
Manne  die  Gl  ans  penis)  mit  adstringirenden  Mitteln,  z.  B.  Alaunauf- 
lösungen ,  Essig ,  Bleizuker ,  Weingeist ,  Viinim  aromatic u m ,  gerb- 
stoffhaltigen  aromatischen  Substanzen,  Citronensaft,  Terpenthin,  nament- 
lich bei  einer  so  empfindlichen  Oberhaut  des  Penis,  dass  sie  bei  einer 
jeden  Friction  wund  wird,  zu  waschen.  Nach  vollzogenem  verdächtigen 
Coitus  muss  die  Sorgfalt  für  Reinlichkeit  verdoppelt  und  die  Genitalien 
mit  alcalischen  Auflösungen,  Seife,  Chlorauflösungen  gewaschen  werden; 
diese  Mittel  müssen  aber  schwach  genommen  werden ,  dass  sie  nicht 
reizen ,  doch  aber  auch  stark  genug ,  dass  sie  die  Eigenschaft  behalten, 
die  krankhaften  Stoffe ,  die  sich  angesezt  haben  können ,  zu  zersezen 
(Chlor  5j  auf  ]  Pfd.  Wasser,  Kali  caust.  gr.  j — jj  auf  ^j  Wasser). 
Das  Urinlassen  nach  dem  Beischlaf  mag  auch  einigen  Nuzen  gewähren. 
Jede  erfolgte  Trennung  des  Zusammenhangs  muss  sorgfältig  cauterisirt 
werden.  Die  Condoms  schüzen  ,  so  lange  sie  nicht  reissen ,  gut.  —  Die 
Verhütung  der  Ausbildung  einer  syphilitischen  Dyscrasie  geschieht  durch 
eine  allgemeine  Behandlung ,  und  diese  hat  einzutreten ,  sobald  eine  ört- 
liche Affection  eintritt.  —  Es  gibt  verschiedene  Mittel  und  Wege ,  durch 
welche  der  syphilitischen  Dyscrasie  entgegengewirkt  werden  kann:  1.) 
durch  eine  strenge  Diät.  Man  beabsichtigt  damit ,  den  Organismus 
auf  eine  geringere  Lebensthätigkeit  zurückzuführen ,  wodurch  ein  Ab- 
sterben des  dem  Körper  Fremdartigen  und  Aufgedrungenen  bedingt 
wird.  2)  Durch  die  Anwendung  von  Arzneimitteln,  welche  die  verschie- 
denen Se-  und  Excretionen  befördern  und  den  Faserstoffgehalt  des  Bluts 
vermindern.  Hieher  gehören  vorzüglich  Holztränke  und  antiphlogistische 
Abführmittel.  3)  Durch  die  Anwendung  von  Arzneimitteln ,  welche 
theils  die  Ausscheidungen  nach  aussen  vermehren  ,  theils  eine  specifische 
Wirkung  auf  die  syphilitische  Dyscrasie  äussern.  Hieher  gehören  das 
Quecksilber ,  das  Jod  ,  das  Chlorzink ,  das  Gold ,  Silber ,  Kupfer ,  und 
die  Salpetersäure.  —  Ein  warmes  Verhalten  und  Vermeidung  der  Erkäl- 
tungen ist  bei  allen  Kuren  der  Syphilis  am  Plaze.  Die  verschiedenen 
antisyphilitischen  Kurmethoden  werden  häufig  mit  einander  in  Anwen- 
dung gebracht.  —  Die  Behandlung  der  Syphilis  ohne  Anwendung  spe- 
cifischer  Mittel ,  bloss  durch  Entziehung  der  Nahrung  und  Gebrauch  von 
ausleerenden  Mitteln,  nennt  man  die  einfache.  Diese  Methode  beschränkt 
sich  entweder  bloss   auf  die  Entziehung   der  Nahrung ,   indem   man   den 


904  SYPHILIS» 

Kranken  bei  warmem  Verhalten  taglieh  nur  zwei  bis  drei  Mal  leichte  Suppe 
mit  etwas  Weissbrod  gemessen  lässt ;  oder  man  verbindet  mit  dieser  magern 
Dia',  behufs  der  Bethätigung  der  Urin-  und  Hautsecretion  den  Gebrauch 
vegetabilischer  Mittel,  der  Holztränke ,  wie  der  Sarsaparill- ,  Sandried-, 
Klettenwurzel,  des  Guajacholzes  etc.,  oder  endlich  reicht  man  neben  ma- 
gerer  Diät  Auflösungen  von  Glauber-  oder  Bittersalz  ,  täglich  oder  alle 
zwei  Tage,  zur  Bewirkung  von  3  —  4  flüssigen  Stühlen.  Die  genannten 
Holztränke  wendet  man  theils  allein,  theils  in  mehrfachen  Zusammensez- 
zungen  an,  unter  welchen  das  Z  i  t  tm  a  n  n  '  sehe  Decoct  das  bekannteste 
ist  (s.  den  Schluss  dieses  Art.).  Besondere  Hungerkuren  haben  angegeben  : 
F.  H  o  f  f  m  a  n  n  ,  Wieslow,  O  s  b  e  c  k  ,  S  t  r  u  v  e  u.  A.  —  Die  einfache 
Behandlung  hat  sich  bei  primären  syphilitischen  Geschwüren ,  wenn  sie 
einfach  sind,  ausreichend  erwiesen,  die  Ausbildung  der  syphilitischen  Dys- 
crasie  zu  verhindern.  Selbst  wenn  diese  entstanden  ist,  zeigt  sich  die 
einfache  Behandlung  ,  wenn  sie  mit  gehöriger  Consequenz  durchgeführt 
wird,  wirksam.  Sie  hat  den  Vortheil,  dass  sie  weniger  nachtheilige  Fol- 
gen hat,  als  die  eingreifenderen.  Kurmethoden.  —  Unter  den  speeifi- 
sehen  Heilmitteln  der  Syphilis  nimmt  das  Q  u  e  c  ks  i  lb  er  den  ersten 
Rang  ein  ;  es  wird  entweder  innerlich  oder  äusserlich  angewendet.  Bei 
den  primären  Affectionen  gibt  man  innerlich  die  leichten  Quecksilberprä- 
parate, wie  das  Calomel,  den  Mercurius  solubilis  Hahne  manni. 
Bei  Personen,  die  sich  nicht  halten  können,  oder  bei  rasch  um  sich  grei- 
fenden Geschwüen  ,  passt  der  Sublimat ,  der  häufig  nach  der  Dzondi'- 
schen  Methode  (s.  unten)  zur  Anwendung  kommt.  Bei  hartnäckigen,  um 
sich  fressenden  Geschwüren,  Caries  etc.  greift  man  zum  rothen  Präcipitat ; 
er  hilft  oft  da,  wo  der  Sublimat  nicht  ausreicht,  auch  bewirkt  er  weniger 
leicht  Speichelfluss  als  dieser.  Das  Cyanquecksilber,  von  Parent  empfoh- 
len, soll,  sich  nicht  so  leicht  zersezen  wie  der  Sublimat.  —  Die  äusser- 
lich e  Anwendung  des  Quecksilbers  findet  theils  in  den  Fällen  statt ,  wo 
der  Kranke  dieses  nicht  erträgt ,  theils  bei  hartnäckiger  allgemeiner  Sy- 
philis, besonders  Knochenkrankheiten,  wo  andere  Heilverfahren  vergebens 
versucht  worden  sind.  Man  benuzt  entweder  methodische  Einreibungen 
der  grauen  Salbe  (bekannt  unter  dem  Namen  Inunctionskur,  Fric- 
t  i  o  n  s  -  oder  Schmierkur,  s.  unten)  ,  oder  Sublimatbäder  oder  Räu- 
cherungen mit  Zinnober.  —  Eine  gewöhnliche  Folge  der  Anwendung  des 
Quecksilbers  ist  der  Eintritt  eines  Speichelflusses,  und  man  schliesst 
gewöhnlich  auf  eine  heilsame  Wirkung  des  Mittels,  wenn  er  sich  einstellt ; 
tritt  er  ein ,  so  muss  die  Kur  unterbrochen  werden.  —  Die  Anwendung 
des  Quecksilbers  führt  manche  Unbequemlichkeiten  und  Nachtheile  mit 
sich,  ja  sein  schädlicher  Einfluss  kann,  namentlich  bei  Nichtbeachtung  der 
allgemeinen  Kurregeln  und  bei  einem  unzweckmässigen  Gebrauche  so  be- 
deutend sein,  dass  für  das  ganze  Leben  ein  krankhafter  Zustand  des  Or- 
ganismus zurückbleibt ;  die  Anwendung  dieses  Mittels  erfordert  daher 
viele  Vorsicht.    —   Nächst   dem  Quecksilber  ist  das  Jod  eines  der  wirk- 


SYPHILIS. 


905 


samsten  Mittel,  besonders  bei  den  secundären  und  tertiären  Formen  der 
Syphilis,  hartnäckigen  Mund-,  Nasen-  und  Rachengeschwüren,  Haut-  und 
Knochenkrankheiten.  Es  erweist  sich  besonders  wirksam ,  wenn  die  sy- 
philitische Dyscrasie  mit  mercurieller,  scrophulöser  oder  herpetischer  Dys- 
crasie  complicirt  ist.  Man  bedient  sich  gewöhnlich  des  Jodkali's  ;  wäh- 
rend seines  Gebrauchs  vermeidet  man  amylumhaltige  Nahrungsmittel 
(Mehlspeisen,  Kartoffeln).  —  Chlor  zink,  Gold,  Silber,  Kupfer 
und  die  Salpetersäure  haben  sich  gleichfalls  heilkräftig  gegen  die 
Syphilis  gezeigt ,  doch  werden  diese  Mittel  nur  selten  in  Gebrauch  ge- 
zogen. 

1)  Behandlung  der  primären  Syphilis.  Der  ei  nf  ache 
Chanker  kann  in  einzelnen  Fällen  durch  die  Naturheilkraft  beseitigt 
werden;  da  jedoch  dieses  nicht  immer  geschieht  und  so  lange  die  Heilung 
nicht  geschehen ,  der  Kranke  der  allgemeinen  Infection  ausgesezt  bleibt, 
so  ist  es  jederzeit  erforderlich,  dem  Uebel  so  zeitig  als  möglich  entgegen- 
zutreten. Der  Chanker  verlangt  bei  seinem  ersten  Auftreten  unter  allen 
Umständen  die  abortive  Methode.  Kommt  man,  was  indessen  selten  der 
Fall  ist ,  dazu ,  so  lange  noch  die  Pustel  besteht,  so  theilt  man  diese  und 
cauterisirt  ihre  Basis  nachdrücklich  mit  Höllenstein  ;  man  kann  die  Pustel 
auch  ausschneiden  ,  wobei  aber  lieber  etwas  zu  viel  als  zu  wenig  wegge- 
nommen wird.  Am  häufigsten  kommt  das  schon  bestehende  Chankerge- 
schwür  zur  Behandlung  ;  dieses  muss  gleichfalls  cauterisirt  werden.  Zeigen 
sich  in  Folge  einer  Ansteckung  mehrere  Schleimbälge  angeschwollen ,  so 
muss  man  sie  aufschneiden  und  mit  Höllenstein  äzen.  Sind  die  Gewebe, 
wo  der  Chanker  sizt ,  nur  etwas  angeschwollen,  hat  er  selbst  schon  eine 
gewisse  Ausdehnung  gewonnen ,  so  wirkt  der  Höllenstein  nicht  mehr  tief 
genug  und  die  Ausschneidung  kann  nicht  mehr  über  die  inficirten  Gewebe 
hinausdringen.  In  solchen  Fällen  empfiehlt  R  i  c  o  r  d  das  Aezkali  oder 
noch  besser  die  Wiener  Aezpaste  ;  man  darf  diese  jedoch  nicht  weiter  als 
etwa  1  —  2  Linien  auf  die  gesunden  Gewebe  ausdehnen.  In  Folge  der 
Anwendung  dieser  Aezmittel  werden  die  cauterisirten  Theile  gern  ödema- 
tös  und  schwellen  sehr  an  ,  weshalb  man  sie  auch  in  den  Fällen  nicht  in 
Gebrauch  ziehen  darf,  wo  man  einen  Chanker  an  der  innern  Fläche  der 
Vorhaut  oder  auf  der  Eichel  bei  schon  vorhandener ,  mehr  oder  weniger 
starker  Phimosis  äzen  müsste.  C  ollmann  äzt  mit  Essigsäure,  welche 
er  mit  einem  Glasstäbchen  auftupft.  —  So  lange  der  Chanker  in  der 
Verschwärungsperiode  bleibt ,  muss  man  die  Aezung  mit  Höllenstein  so 
oft  wiederholen ,  als  man  nach  dem  Abfallen  der  künstlich  erzeugten 
Schorfe  am  Grunde  oder  an  den  Rändern  die  dieser  Periode  angehörigen 
Kennzeichen  findet.  Wo  Vernarbung  eintritt,  darf  diese  durch  das  Aez- 
mittel nicht  zerstört ,  sondern  dieses  nur  auf  die  eiternden  Stellen  ange- 
wendet werden.  Zum  Verbände  bedient  man  sich  der  Charpie  mit  aro- 
matischem Weine.  Das  Geschwür  wird  sorgfältig  mit  dem  Weine  ge- 
waschen und  dann  mit  der  nur  leicht  mit  dem  Weine  getränkten  Charpie 


906  SYPHILIS. 

bedeckt.  Bleibt  die  Absonderung  aber  dennoch  sehr  reichlich ,  so  ver- 
bindet man  mit  der  weinigen  Abkochung  der  Gerberlohe.  Verursacht  der 
aromatische  Wein  Schmerzen,  so  sezt  man  ihm  8  — 10  Gran  Extr.  opii 
g  u  m  m  osura  bei.  Versiegt  die  Eiterung  ganz  und  gar  ,  und  das  Ge- 
schwür wird  daher  stationär ,  so  sezt  man  den  Wein  für  den  Augenblick 
aus,  verbindet  mit  einer  erweichenden  Abkochung  und  kehrt  nach  einigen 
Tagen  wieder  zum  Wein  zurück ,  mit  welchem  man  bis  zur  Vernarbung 
fortfahrt.  Ist  die  Heilung  so  weit  vorgeschritten ,  dass  eben  nur  noch 
das  Oberhäutchen  fehlt ,  ocler  eine  ganz  kleine  Fläche  unvernarbt  bleibt, 
dann  bestreicht  man  solche  Stellen  leicht  mit  Höllenstein.  Während  die- 
ser Behandlung  beobachte  der  Kranke  die  grösstmögliche  Ruhe  und  eine 
angemessene  Diät.  Bei  kräftigen,  zur  Entzündung  geneigten  Individuen 
sind  ein  schwächendes  Regimen,  karge  Diät,  verdünnende,  kühlende  Ge- 
tränke, selbst  antiphlogistische  Mittel  passend  ;  bei  schwachen,  lymphati- 
schen, herabgekommenen  Subjecten  muss  dagegen  eine  massig  erregende 
Lebensweise  und  im  Allgemeinen  Alles  ,  was  die  Fehler  der  Constitution 
verbessern  oder  einem  begleitenden  krankhaften  Zustande  abhelfen  kann, 
angewendet  werden.  —  Zurückbleibende  Verhärtungen  nach  der  Heilung 
verbieten  die  Ausübung  des  Coitus  bis  zu  deren  Verschwinden ,  indem 
sonst  leicht  Recidive  eintreten.  In  solchen  Fällen  muss  man  wie  bei 
secundären  oder  tertiären  Syphilisformen  verfahren.  —  Ist  die  Harnröhre 
der  Siz  des  Chankers  und  begleiten  ihn  Symptome  eines  acuten  Trippers, 
so  verfährt  man  zuerst  antiphlogistisch  :  Blutegel  an  das  Perinäum  und 
an  den  Schamberg ,  örtliche  erweichende  Bäder  mit  Opium ,  allgemeine 
Bäder ,  reichliches  Getränk ;  zur  Vermeidung  der  Erectionen  gibt  man 
jeden  Abend  zwei  aus  Campher  und  Opium  bereitete  Pillen.  Sind  die 
Entzündungssymptome  beseitigt ,  so  wird  aromatischer  Wein ,  zuerst  mit 
gleichen  Theilen  einer  Mohnkopf abkochung  und  dann  rein,  in  die  Harn- 
röhre gesprizt.  Oft  kann  man  gleich  von  Anfang  an  die  Geschwüre  der 
Harnröhre  mittels  des  Aezmittelträgers  mit  Höllenstein  äzen.  Ein  an  der 
Mündung  des  Kanals  sizendes  Geschwür  behandelt  man ,  wie  es  oben  an- 
gegeben wurde.  Chanker  in  der  Tiefe  der  Scheide ,  am  Muttermunde 
oder  im  Innern  des  Uterus  cauterisirt  man  durch  den  Mutterspiegel  und 
macht  Injectionen  von  aromatischem  Weine,  oder  legt  damit  befeuchtete 
Charpie  oder  Leinwand  ein.  Chanker  im  Mastdarm  und  am  After  hält 
man  sehr  reinlich  und  bringt  die  Verbandmittel  mittels  Wieken  an  Ort 
und  Stelle.  —  Der  hypertrophische  Chanker  erfordert  im  Wesent- 
lichen dieselbe  Behandlung :  sondert  er,  was  gewöhnlich  der  Fall  ist,  sehr 
reichlich  ab,  so  kann  man  ihn  auchmit  Kalkwasser  verbinden.  Für  die  spä- 
teren Stadien  muss  bei  dieser  wie  bei  der  vorhergehenden  Form  eine  in- 
nerliche Mercurialbehandlung  eingeleitet  werden.  Man  reicht  am  besten 
den  milden  und  den  Organismus  am  wenigsten  angreifenden  Mercurius 
solubilis  Hahne  manni  und  zwar  2  Gran  täglich ,  mit  jedem  Tage 
um  1   Gran  steigend;    man   fährt  damit  so  lange  fort,    bis   sich  Vorboten 


SYPHILIS.  907 

der  Salivation  (7  —  8  Tage)  äussern,  worauf  man  nach  erfolgter  Heilung 
zur  Sicherheit  noch  8  Tage  lang  täglich  1  Gran  nehmen  lässt.  —  Beim 
H  u  n  t  e  r  '  sehen  Chanker  muss  die  Behandlung  vorzüglich  gegen  die 
Verhärtung  gerichtet  sein ,  da  sie  die  Bildung  der  Narbe  hindert  und  so 
lange  sie  besteht ,  immer  Recidive  zu  besorgen  sind.  Einfache  und  un- 
schmerzhafte verhärtete  Chanker  müssen  täglich  2  —  3  Mal  mit  einer 
Salbe  aus  Calomel  4  part. ,  Opiumsalbe  4 — 6  p.  und  Fett  3  0  p.  verbun- 
den werden.  Ist  die  Eiterung  stark ,  so  wäscht  man  das  Geschwür  vor 
dem  Verbände  mit  aromatischem  Wein  ;  ble'ibt  sie  zu  reichlich  ,  so  ver- 
bindet man  nur  mit  Wein.  Bei  gereiztem  und  entzündlichem  Zustande 
wendet  man  eine  concentrirte  Opiumlösung,  so  wie  erweichende  und  anti- 
phlogistische Mittel  an ,  bis  das  Geschwür  zu  einem  einfachen  Zustande 
zurückgeführt  ist.  In  der  Periode  des  Wiederersazes  ,  wo  die  Fleisch- 
wärzchen gerne  schwammig  werden  oder  wuchern ,  zeigen  sich  leichte 
Aezungen  mit  Höllenstein  oder  eine  Zinksolution  von  Nuzen.  Gegen  die 
nach  der  Vernarbung  zurückbleibende  Verhärtung  wendet  man  ein  Blasen- 
pflaster und  Mercurialsalbe  an.  Das  Ausschneiden  der  Verhärtung  ist 
nicht  räthlich.  Da  die  Heilung  des  verhärteten  Chankers  meist  eine  lange 
Zeit  in  Anspruch  nimmt,  so  ist  es,  um  seeundären  Zufällen  vorzubeugen, 
räthlich,  mit  der  örtlichen  Behandlung  eine  innerliche  zu  verbinden.  Am 
besten  eignet  sich  hier  der  Sublimat,  den  man  zu  1/6 — 1/4  gr.  gibt  und 
allmälig  bis  auf  %  gr.  steigt,  daneben  Holztränke;  bei  schwächlichen 
Personen  eignet  sich  besser  Jodkalium  mit  Holztränken.  —  Der  phage- 
dänische  Chanker  fordert  tiefgehende  Cauterisationen  mit  nachfol- 
gendem Verband  von  aromatischem  Wein.  Bei  entzündlichem  Zustande 
wendet  man  erweichende  und  narkotische  Abkochungen,  warme  schleimige 
Bäder  nebst  einer  passenden  Diät  und  Ruhe  an  ;  Blutegel  dürfen  nur  in 
einiger"  Entfernung  von  dem  Geschwür  angesezt  werden.  Bei  grosser 
Reizbarkeit  und  Schmerz  zieht  man  innerlich  und  äusserlich  Opium  in 
Gebrauch.  Aber  auch  hier  ist  der  Höllenstein  das  wirksamste  Beruhi- 
gungsmittel und  beste  Antiphlogisticum.  Bleibt  der  phagedänische  Chan- 
ker stehen  oder  schreitet  er  immer  fort,  so  wendet  man  gegossenes  Wachs, 
Digestivsalbe,  Cantharidenpulver  oder  Salbe  oder  die  Pasta  Viennen- 
s  i  s  an ,  bis  sich  das  Geschwür  reinigt  und  gesunde  Fleischwärzchen  ent- 
stehen ,  worauf  man  wie  beim  gewöhnlichen  Chanker  verfährt.  Merkur 
wird  für  gewöhnlich  nicht  gereicht ;  wenn  indessen  die  Krankheit  troz  der 
angezeigten  Mittel  fortschreitet ,  so  gibt  man  erst  Jod  mit  Holztränken 
und  wenn  auch  hierbei  keine  Heilung  erfolgt,  so  greift  man  zum  Merkur. 
—  Weitere  bei  dieser  Chankei  form  empfohlene  äussere  Mittel  sind  :  S  o- 
1  u  t.  z  i  n  c  i  a  c  e  t.  ,  A  r  g  e  n  t.  n  i  t  r  i  c,  K  a  1  i  o  x  y  m  u  r  i  a  t.,  Ferrum 
sulp  hur.,  Aq.  phagedaenica  nigra,  Acidum  pyroligno- 
sum,  Vinum  camphoratum,  Einstreuen  von  rothem  Präcipitat,  Sal- 
ben davon  etc.  —  Beim  brandigen  Chanker  fordert  zunächst  nur 
die  ihm  zu  Grunde  liegende  Entzündung  Berücksichtigung.    Durch  starke 


908  SYPHILIS. 

Venäseötionen  oder  Brech-  und  Abführmittel  und  darauf  Opium  sucht 
man  dem  Brande  Grenzen  zu  sezen.  Ist  dies  gelungen  und  stellt  sich 
ein  Sinken  der  Kräfte  ein ,  so  ist  China  und  gute  Nahrung  zu  reichen. 
Das  zurückbleibende  Geschwür  wird  nach  seinem  Charakter  behandelt. 

2)Behandlung  der  secundär  syphilitischen  Erschei- 
nungen. Diese  hat  zum  Zwecke ,  die  Ausbildung  der  syphilitischen 
Diathese  zu  verhindern  und  wenn  sich  diese  entwickelt  hat,  die  secundären 
Zufälle  zu  beseitigen.  —  Die  Bubonen  behandelt  man  nach  ihrem 
Entzündungszustande.  Sind  sie  sehr  schmerzhaft ,  so  macht  man  Um- 
schläge von  Bleiwasser,  sezt  Blutegel,  lässt  selbst  zur  Ader  und  gibt  Ab- 
führmittel. Zertheilt  sich  auf  diese  Art  die  Entzündung ,  so  lässt  man 
Quecksilber  in  die  Oberschenkel  einreiben.  Behufs  der  Zertheilung  der 
Bubonen.  die  immer  angestrebt  werden  muss,  hat  man  verschiedene  Mit- 
tel in  Anwendung  gebracht.  Fricke  u.  A.  wenden  Druck  auf  dieselben 
an  ;  man  benuzt  dazu  entweder  mit  Leinwand  umwickelte  Bleiplatten, 
Holzplatten  ,  Steine  oder  ein  Bruchband.  Wird  die  Compression  nicht 
ertragen  ,  so  legt  man  ein  Vesicator  auf  die  Geschwulst ,  und  wenn  dies 
die  gehörige  Wirkung  nicht  thut ,  so  legt  man  nach  der  Entfernung  der 
Epidermis  auf  die  entblösste  Haut  einen  mit  einer  Auflösung  von  Subli- 
mat 0j  auf  ^j  A  q.  d  e  s  t  i  1 1.)  durchfeuchteten  Charpiebausch.  L  u  t  i  n 
und  R  o  b  i  n  fanden  die  Einreibung  einer  Höllensteinsalbe  (nach  R  o  b  i  n 
1  Theil  in  Wasser  gelösten  Höllenstein  auf  1 5  Theile  Fett)  ;  K  o  1 1  - 
m  a  y  e  r  von  Zinkchlorid  in  Salbenform  ,  Parker  eine  starke  Auflösung 
von  Jod  und  Jodkalium  (R p.  J  o  d  i  n.  *)j,  H  y  d  r  o  j  o  d.  p  o  t  a  s  s  a  e  ^jj, 
Aq.  de  still,  ^j.  S.  Morgens  und  Abends  aufzustreichen)  von  ausge- 
zeichnetem Nuzen.  —  Kommt  es  zur  Eiterung,  so  befördert  man  diese 
durch  erweichende  Cataplasmen,  durch  Mercurial-  und  Cicutapflaster  und 
öffnet  den  Bubo  frühzeitig  durch  einen  Lancettstich.  Diese  Mittel  die- 
nen auch  zur  Schmelzung  im  Umkreise  des  Bubo  nach  Eröffnung  dessel- 
ben. Bei  schon  entarteter  Haut  kann  die  Eröffnung  des  Bubo  auch  mit- 
tels des  Aezmittels  gemacht  werden.  —  Bei  atonischem  Zustande  des  er- 
öffneten Bubo  legt  man  trockene  Charpie  auf  oder  befeuchtet  dieselbe 
mit  Sublimat-  oder  Chlorzinksolution ,  oder  streut  Cantharidenpulver  oder 
rothen  Präzipitat  ein.  Die  innerliche  Behandlung  richtet  sich  nach  der 
Constitution  und  dem  Kräftezustand  des  Kranken  ;  bei  grosser  Schwäche 
und  starker  Eiterung  gibt  man  bittere  und  tonische  Mittel  neben  einer 
stärkenden  Lebensweise.  R  i  c  o  r  d  gibt  in  solchen  Fällen  und  bei  scro- 
phulöser  Complication  Jodeisen  ,  10,  15 — '2  0  Gr.  täglich  in  Verbindung 
mit  Hopfen  -  oder  Seifenwurzeltisane.  Complicationen  mit  Scorbut  er- 
fordern Tonica  und  Mineralsäuren ,  solche  mit  Rheumatismus  schweiss- 
treibende Tisanen,  Vinum  colchici,  Tartarus  stibiatus.  —  Die 
syphilitischen  Hautausschläge  erfordern  eine  allgemeine  und 
örtliche  Behandlung,  die  sich  nach  dem  Charakter  der  Hautaffection  und 
der  allgemeinen  Reaction  zu  richten  hat ;  im  Allgemeinen  ist  sie  entweder 


SYPHILIS. 


909 


eine  umstimmende  oder  ausleerende  oder  eine  Combination  beider.  Vor 
der  eigentlichen  Behandlung  ist  es  nöthig,  die  Absonderungen  zu  regeln ; 
ferner  ist  eine  zweckmässige  Diät  und  Regimen  anzuordnen  und  der  Ein- 
fluss  einer  ungünstigen  Temperatur  zu  vermeiden.  Wenn  den  Ausschlä- 
gen Fieber,  grosse  Aufregung  vorhergeht  oder  sie  davon  begleitet  werden, 
so  muss  vorher  die  antiphlogistische  Behandlung  angewendet  werden.  — 
Die  eigentliche  Behandlung  besteht  vorzugsweise  in  der  Darreichung  des 
Jods  und  seiner  Präparate,  insbesondere  des  Jodkali's ,  welches  Wilson 
bei  allen  Formen  des  Exanthems  zu  gr.  iij  täglich ,  und  im  erforderlichen 
Falle  steigend  gibt.  Nächst  dein  Jod  empfiehlt  B  i  e  1 1  das  doppelte 
Chlorquecksilber  :  R  p.  B  i  c  h  1  o  r  e  t.  h  y  d  r  a  r  g.  gr.  xij  ,  O  p  i  i  gr.  xx  f. 
pil.  No.  3  6.  S.  Alle  Morgen  eine  steigend  zu  nehmen,  aber  von  Zeit  zu 
Zeit  auszusezen,  wenn  die  Eingeweide  zu  sehr  angegriffen  werden.  Auch 
Zusainmensezungen  von  Jod  und  Quecksilber  sind  in  hartnäckigen  Fällen 
zuträglich ,  nach  G  i  b  e  r  t  in  folgender  Form  :  Rp.  Deutero-jodureti 
hy  dr  ar  g.  p.  j,  Kali  hy  droj  o  d.  p.  5  0,  Aq.  destill,  p.  50,  s  ol  ve, 
filtra  et  adde  Syr.  simpl.  p.  2400.  M.  Diese  Mittel  müssen  in 
hartnäckigen  Fällen ,  namentlich  bei  den  schuppigen  Ausschlägen ,  durch 
andere,  wie  Mercurialbäder  und  Zinnoberräucherungen  oder  eine  Sehwefel- 
und  Calomelsalbe  unterstüzt  werden.  Bei  den  ulcerativen  oder  tiefgehen- 
den syphilitischen  Hautübeln  sind  bei  gereiztem  Zustand  erweichende  oder 
gallertartige  Bäder,  erweichende  Cataplasmen  oder  Fomente,  bei  reizlosem 
Zustande  Tonica  und  äusserlich  der  aromatische  Wein  angezeigt.  Bäder 
sind  immer  ein  unerlässliches  Mittel ;  man  kann  einfache  W'asserbäder 
oder  Kleienbäder  in  Gebrauch  ziehen  oder  auch  arzneiliche  Bäder  anwen- 
den. Man  sezt  diesen  Bädern  zu :  Kali  causticum  (^ß  — j  auf  das 
Bad),  grüne  Seife  (1  Pfund),  Salzsäure  (^ij — iv)  ,  Kochsalz  (2  Pfund), 
Chlor  uretum  calcis  (^ij — iv),  Schwefelsäure  (^ij  —  iv),  Alaun  (^ij), 
Zincum  sul'pliuricum  (5^)?  Salpetersäure  (ijij — iv).  Die  gebräuch- 
lichsten Bäder  sind  die  mit  Kleien  und  Seife.  Sind  Bäder  nicht  anzu- 
wenden ,  so  muss  man  sie  durch  Waschungen  ersezen ,  wozu  Hancke 
Chlorzinklösung  empfiehlt.  Auch  Salben  werden  mit  Nuzen  angewendet, 
sie  dürfen  aber  nicht  austrocknend  sein.  Am  geeignetsten  ist  eine  Jod- 
oder Jodquecksilbersalbe,  Emery  gebraucht  eine  Theersalbe  (^ij  Theer 
auf  ^j  Fett);  bei  empfindlicher  Haut  passen  aber  diese  Salben  nicht.  — 
Die  seeundären  Geschwüre  werden  wie  die  Chanker  behandelt. 
Die  Geschwüre ,  welche  ihren  Siz  im  Halse  haben ,  erheischen ,  wenn 
sie  die  indurirte  Form  zeigen ,  eine  Mercurialbehandlung  nebst  schweiss- 
treibenden  Mitteln  und  Gargarismen  aus  Cicuta  und  Solanum  nigrum 
mit  Chlor  oder  Chlorzinklösung.  Bei  phagedänischem  Charakter  der 
Geschwüre  müssen  narkotische ,  opiumhaltige  Gurgelwässer  und  nach  ge- 
hobener Entzündung  Cauterisatiou  mit  Salzsäure,  Sublimat,  Jod  und  Gur- 
gelwässer mit  China  in  Gebrauch  gezogen  werden.  Bei  Zerstörung  des 
Zäpfchens  wartet  man  dessen  Abfallen  nicht  ab,  sondern  schneidet  es  weg. 


910  SYPHILIS. 

3)  Behandlung  der  tertiären  syphilitischen  Affe  c- 
tionen.  Nach  Ricord  kann  man  die  tertiären  Zufälle  vermeiden, 
wenn  man  nach  der  Behandlung  der  secundären  Syphilis  mit  Quecksilber 
Jod  als  Nachkur  gebraucht.  Die  Erfahrung  muss  erst  die  Richtigkeit 
dieses  Ausspruchs  bestätigen.  Thatsache  aber  ist  es  ,  dass  sich  bei  der 
tertiären  Syphilis  die  Jodpräparate  äusserst  nüzlich  zeigen.  Unter  diesen 
zahlreichen  Präparaten  sind  es  besonders  zwei,  das  Jodkali  und  das  Eisen- 
protojodür,  welche  in  Betracht  kommen.  Ricord  gibt  das  Jodkali  zu 
16  —  5  0  Gran  täglich,  wenn  es  Magenschmerzen  macht,  mit  einem  Zusaze 
von  Opiumtinktur.  Zweckmässig  wird  auch  Jod  mit  Quecksilber  verbun- 
den. Bei  heruntergekommenen  Kranken  werden  mit  Vortheil  schweiss- 
treibende  Mittel  angewendet ,  unter  diesen  besonders  die  Sarsaparillde- 
cocte,  das  F  e  1 1  z  '  sehe ,  P  o  1 1  i  n  i '  sehe  ,  Z  i  1 1  m  a  n  n '  sehe  Decoct ,  der 
S  y  r  o  p  de  Laffecteur  (s.  unten).  —  Die  syphilitischen  Knochen- 
schmerzen, Periostosen,  Exostosen.  Die  Knochenschmerzen 
weichen,  wenn  man  frühzeitig  einschreiten  kann,  dem  Gebrauche  des  Jod- 
kali oft  sehr  schnell.  Widersteht  er  diesem,  so  schaffen  fliegende  Blasen- 
pflaster schnell  Erleichterung.  Bei  entzündlicher  Reizung  sezt  man  Blut- 
egel an  und  macht  erweichende  und  narkotische  Umschläge.  Im  weiteren 
Verlaufe  dienen  wieder  Blasenpflaster,  bei  Geschwulstbildung  Ueberschläge 
von  Jodlösung  (T  i  n  c  t.  j  o  d  i  5j  ,  A  q.  d  e  s  t  i  1 1.  ^j)  ,  Einreibungen  der 
Phosphorsäure  (gr.  ij  auf  ^ij  Mandelöl)  oder  einer  dergleichen  Salbe 
(Phosphor  gr.  i — ij  auf  ^j  Fett).  Ist  die  Osteitis  in  Eiterung  oder  Caries 
übergegangen,  so  hilft  Jodkali  nicht  mehr  ;  man  wendet  dann  das  Z  i  1 1  - 
mann' sehe  oder  Feltz'sche  Decoct  an  und  verbindet  örtlich  damit 
Jodauflösung  und  verfährt  des  Weitern,  wie  es  bei  der  Caries  angegeben 
ist.  —  Die  tiefen  Tuberkel  des  Zellgewebes  erheischen  die  An- 
wendung des  Jodkali  und  bitterer  Mittel;  örtlich  wendet  man  das  Empl. 
de  Vigo  c.  Mercurio  an  oder  bedeckt  sie  mit  einem  Blasenpflaster 
und  legt  nach  der  Entfernung  der  Epidermis  einen  Charpiebausch ,  der 
in  eine  Solution  von  1  Theil  Sublimat  und  3  0  Theilen  Wasser  getaucht 
ist,  auf.  Ulcerirte  Tuberkel  verbindet  man  mit  einer  Mischung  von  2 
Theilen  Jodtinktur  in  10  0  Theilen  destillirtem  Wasser  mit  einem  Zusaz 
von  Jodkalium.  —  Die  Muskel  Verkürzungen  erfordern  die  innere 
Behandlung  der  tertiären  Syphilis.  Die  Hodenanschwellung  weicht 
in  den  früheren  Perioden  der  innern  Anwendung  des  Jodkali  neben  gleich- 
zeitiger Einwicklung  des  Hodens  mit  Pflasterstreifen;  kommt  es  zur  Ent- 
artung des  Hodens,  so  entfernt  man  ihn  mit  dem  Messer. 

Einige  zusammengesezte  antisyphilitische  Kur- 
methoden.  —  I  n  u  n  c  t  i  o  n  s  k  u  r.  Die  sogenannte  Schmierkur  ist  bei 
veralteter  Syphilis  angezeigt,  wenn  diese  eine  solche  Ausdehnung  erreicht 
hat ,  dass  nur  von  einer  völligen  Umstimmung  des  Organismus  etwas  er- 
wartet werden  kann.  Da  sie  aber  troz  ihrer  sehr  eingreifenden  Wirkung 
ein   nicht   immer   sicheres    und   wegen   dieser   ein   nicht  ganz  gefahrloses 


SYPHILIS. 


911 


Mittel  ist ,  so  wird  sie  gegenwärtig  bei  weitem  nicht  mehr  so  häufig  wie 
früher  namentlich  nicht  mehr  in  dem  ausgedehnten  Umfange,  wie  die  ur- 
sprüngliche Vorschrift  lautet ,  angewendet.  Die  bekannteste  Form  der 
Inunctionskur  ist  die  von  R  u  s  t  modificirte  L  o  u  v  r  i  e  r'sche.  —  Diese 
Kur  besteht  aus  der  Vorbereitungs-  und  eigentlichen  Schmierkur.  Die 
erstere  wird  durch  Bäder,  Abführmittel  und  eine  strenge  Diät  ins  Werk 
gesezt ,  um  die  Empfänglichkeit  für  die  Aufnahme  des  Quecksilbers  zu 
steigern  und  die  Resorptionsthätigkeit  im  ganzen  Körper  anzuregen.  Der 
Kranke  nimmt  zuerst  ein  Abführmittel  (Calomel  gr.  ij — iij,  Jalappa  gr. 
v — x,  auf  einmal  zu  nehmen)  ,  dann  jeden  folgenden  Tag  ein  Bad ,  wel- 
ches nicht  wärmer  als  2  9°  R.  sein  darf.  Ohne  dringende  Umstände  lasse 
man  immer  zwölf  Bäder ,  nur  wo  die  Zerstörung  eines  wichtigen  Theils 
zu  besorgen  ist ,  weniger  nehmen ;  schlaffe,  aufgedunsene  Personen  lässt 
man  nur  über  den  andern  Tag  ein  Bad  nehmen.  Während  des  Gebrauchs 
der  Bäder,  so  wie  später  während  der  Einreibungen  gebe  man  dem  Kran- 
ken täglich  drei  Mal  eine  leicht  eingekochte  Suppe  mit  einem  halben 
Quart  Fleischbrühe  mit  Grüze  ,  Gerste ,  Reis ,  in  den  ersten  Tagen  auch 
etwas  eingekochtes  süsses  Obst  oder  Gemüse;  Personen,  die  es  wünschen, 
können  Morgens  statt  der  Suppe  eine  Tasse  Kaffee  erhalten  :  das  Getränk 
besteht  aus  einer  Abkochung  der  Sarsaparille  oder  Species  pro  De- 
co c  t.  lignoriim,  in  2  4  Stunden  nicht  über  drei  Pfund.  Nur  selten 
wird  man  nöthig  haben,  bei  alten  schwächlichen  Personen  eine  kräftigere 
Diät,  weiche  Eier,  Fleischbrühe,  ein  Glas  guten  alten  Wein  zu  geben.  Bei 
Frauen  muss  die  Vorbereitungskur  so  eingerichtet  werden,  dass  sie  mit 
dem  Eintritte  der  Menstruation  beendigt  wird  ;  die  eigentliche  Kur  be- 
ginnt man  dann  nach  deren  Aufhören.  Tritt  die  Menstruation  während 
der  Kur  ein ,  so  sezt  man  diese  bis  nach  dem  Aufhören  derselben  aus. 
Nach  dem  beendigten  Gebrauche  der  Bäder  wird  ein  zweites  Abführmit- 
tel gereicht  und  dann  zu  den  Einreibungen  der  Mercurialsalbe  geschrit- 
ten. —  Zwölf  Einreibungen  kommen  gewöhnlich  zur  Anwendung ;  doch 
lässt  sich  hierüber  nichts  Bestimmtes  festsezen  ;  die  Zahl  der  Einreibun- 
gen muss  sich  nach  den  Umständen  richten.  Sie  werden  jeden  dritten 
Tag,  nach  Umständen  auch  erst  den  vierten  Tag  in  den  frühen  Morgen- 
stunden bis  zum  13.  oder  14.  Tage,  an  welchen  sich  die  kritischen  Per- 
tubationen und  Ausscheidungen  durch  die  Haut ,  den  Darmkanal ,  die 
Urinwege  einzustellen  pflegen,  in  der  Weise  gemacht,  dass  an  der  betref- 
fenden Stelle  bis  zur  vollkommenen  Durchdringung  je  1 — 2  Drachmen 
Unguentum  hydrargyri  cinereum  eingerieben  werden.  Die 
Ordnung ,  in  welcher  die  Einreibungen  gemacht  werden ,  ist  folgende  : 
am  1.  Tage  in  die  Unterschenkel,  am  3.  in  die  Oberschenkel,  am  6.  in 
die  Arme  bis  zur  Schulter ,  am  8 .  in  den  Rücken  ,  am  1  0 .  wieder  in  die 
Unterschenkel,  am  12.  in  die  Oberschenkel,  am  14.  in  die  Arme.  Sind 
endlich  die  kritischen  Bestrebungen  und  Ausscheidungen  zwischen  dem 
13.  und  15.  Tage  erschienen  und  vorübergegangen,   so  werden  vom  16. 


912  SYPHILIS. 

bis  zum  2  5.  Tage  einen  Tag  um  den  andern  die  Einreibungen  nach  der 
obigen  Reibenfolge  fortgesezt ,  nur  mit  dem  Unterschiede ,  dass  sie  am 
späten  Abend  gemacht  werden  und  dass  in  den  Zwischentagen  Morgens 
eine  Purgauz  gereicht  wird.  Am  2  6 .  Tage  erhalt  der  Kranke  des  Mor- 
gens ein  Bad,  wird  sorgfältig  gereinigt,  abgetrocknet,  mit  reiner  Wäsche 
versehen,  da  er  diese  während  der  Kur  nicht  wechseln  darf,  in  ein  ande- 
res Zimmer  und  in  ein  reines  Bett  gebracht.  —  Während  der  Kur  darf 
das  Zimmer  nicht  gelüftet  werden ,  dessen  Temperatur  immer  auf 
18°  R.  erhalten  werden  muss.  Kritische  Reactionen  treten  gewöhnlich 
am  15.  Tage  ein;  der  Kranke  wird  ängstlich,  unruhig,  beklommen,  der 
Puls  matt,  die  Zunge  sehr  belegt,  der  Unterleib  aufgetrieben.  Es  stellen 
sich  Herzklopfen,  Kolikschmerzen,  unruhiger  Schlaf,  selbst  stille  Delirien 
ein ,  dann  tritt  kritischer  Schweiss  ,  der  oft  2  4  Stunden  dauert,  ein,  die 
Zufälle  verschwinden,  und  der  Kranke  fühlt  sich  wieder  wohl  und  heiter. 
Während  der  Schweisskrise  bleibt  der  Kranke  zu  Bette ,  nimmt  ein  dia- 
phoretisches Getränk  und  vermeidet  jede  Störung  der  Krise.  Es  können 
während  der  Kur  mancherlei  Zufälle  eintreten,  welche  ihre  Unterbrechung 
oder  Verminderung  der  Einreibungen  erfordern.  Wird  die  Reaction  be- 
reits vor  der  3 .  Einreibung  zu  stark ,  und  treten  schon  Fieberbewegun- 
gen, ermattende  Schweisse,  grosse  Schwäche,  Ohnmächten  ein,  was  sich 
bei  nervenschwachen  und  an  nahrhafte  Kost  gewöhnten  Personen  häufig 
ereignet,  so  gibt  man  etwas  Wein,  kräftige  Suppen,  Anodyna,  Valeriana- 
infus  ;  verschwinden  aber  hierauf  die  Zufälle  nicht,  so  muss  man  die  Kur 
unterbrechen.  Das  Gleiche  hat  zu  geschehen,  wenn  sich  der  Speichel- 
fluss  schon  vor  der  3.  Einreibung  einstellt,  da  er  sonst  zu  hoch  steigen 
würde;  er  stellt  sich  gewöhnlich  zwischen  der  3.  und  4.  Einreibung  ein, 
tritt  er  aber  nach  der  5.  Einreibung  nicht  ein,  so  steigt  man  mit  der 
Salbe  «bis  zu  2  l/2  Drachmen  ;  bleibt  er  gänzlich  aus  ,  so  stellen  sich  für 
ihn  gewöhnlich  andere  Krisen  ein,  die  Kur  ist  aber  nicht  sicher,  stärkere 
Einreibungen,  um  den  Speichelfluss  zu  erzwingen ,  sind  unzweckmässig  ; 
es  darf  nicht  mehr  als  2  bis  3  Pfund  Speichel  täglich  entleert  werden. 
Die  örtlichen  Beschwerden  bei  derselben  mindert  man  am  besten  durch 
häufiges  Ausspülen  des  Mundes  mit  lauem  Wasser,  einem  Infus  um 
sambuci  oder  salviae  und  durch  Bepinseln  der  Mundgeschwüre  mit 
Campheröl  (Ol.  amygdalar.  ^j,  Camphor.  5j)  ;  ausserdem  gebraucht  man 
eröffnende  Klystiere.  Eintretende  Blutungen  aus  dem  Munde,  die  übri- 
gens wohlthätig  wirken,  so  wie  eine  stärkere  Mundaffection ,  werden  nach 
allgemeinen  Regeln  behandelt.  Der  Kranke  muss  übrigens  häufig  den 
Mund  öffnen,  um  ein  Zusammenwachsen  der  entzündeten  Theile  zu  ver- 
hüten. Ist  der  Ausbruch  der  Salivation  nach  der  3.  Einreibung  tumul- 
tu arisch  und  gefahrdrohend,  so  sezt  man  die  nächste  Einreibung  aus  und 
macht  am  9 .  Tage  eine  in  den  Rücken  und  am  1  2 .  eine  in  die  Ober-  und 
Unterschenkel  zugleich ,  worauf  man  in  der  gewöhnlichen  Ordnung  fort- 
fährt ;    hilft   dies  nichts ,   so  sezt  man  die  nächste  Einreibung  noch  einen 


SYPHILIS.  913 

Tag  langer  aus,  und  macht  erst  am  1  5 .  oder  1  (i .  Tag,  wenn  die  Hautkrise 
eingetreten  ist,  die  erste  Abendeinreibung.  Magenbeschwerden,  die  durch 
das  Hinunterschlucken  des  Speichels  entstehen,  weiden  bald  durch  eine 
Dosis  Ipecacuanha  (gr.  xij)  gehoben.  Erfolgt  eine  Unterbrechung  der 
Schweisskrisis ,  so  ist  stets  für  den  Kranken  die  Gefahr  gross ;  er  wird 
sehr  aufgeregt ,  von  Brustkrämpfen  oder  Convulsionen  befallen,  der  Puls 
erscheint  klein,  zusammengezogen,  aussezend,  und  der  Athem  ist  beklom- 
men ;  kann  man  durch  Anwendung  warmer  Bäder ,  Frictionen  mit  cam- 
phorirten  Tüchern ,  durch  Senfpflaster ,  Diaphoretica  und  nöthigenfalls 
durch  ein  Brechmittel  die  Hautthätigkeit  nicht  wieder  herstellen,  so  stirbt 
der  Kranke  gewöhnlich  in  kurzer  Zeit  an  Schlagfluss  oder  Convulsionen. 
Dasselbe  findet  mejist  in  den  Fällen  statt,  wo  die  Salivation  unterdrückt 
wurde.  Während  der  Abendfrictionen  sei  man  mit  den  Laxanzen  vor- 
sichtig,  weil  sie  leicht  den  Speichelfluss  unterdrücken,  oder  Metastasen 
nach  dem  Unterleibe ,  schmelzende  Diarrhoen  erzeugen.  Aussezen  der 
Kur ,  aromatische  Fomente  und  Einreibungen  des  Unterleibs ,  Opium, 
Kampher,  Moschus  etc.  sind  in  solchen  Fällen  nothwendig,.  Man  wählt 
daher  zu  den  Laxanzen  gelinde  Mittel,  wie  Manna,  Tamarinden,  Rheum 
etc.  Treten  bei  der  Kur  gar  keine  Krisen  ein,  so  ist  sie  ohne  Erfolg  und 
kann  später  wiederholt  werden.  Nach  Beendigung  der  Kur  gehe  man 
vorsichtig  zum  Genüsse  einer  bessern  Kost  und  freier  Luft  über.  —  In 
ähnlicher  Art ,  wie  die  graue  Quecksilbersalbe  ,  hat  man  eine  Salbe  aus 
weissem  Präcipitat  mit  ziemlich  gleichem  Erfolge  angewandt.  —  Zitt- 
mann'sches  Deco  ct.  Die  Vorschrift  zu  diesem  häufig  gebrauchten 
Mittel  ist  folgende  :  R  p.  Rad.  s  a  r  s  a  p  a  r  i  1 1.  conc.  5jxij  ,  infund. 
Aq.  commun.  ^xxxij  ,  e  t  digere  per  hör.  xij,  tum  additis 
Sacchari  albi,  AI  um.  ana  5vj,  Hydrarg.  chlor  at.  initis  (C  a- 
1  o  m  e  1 )  Jß  ,  C  i  n  n  a  b  a  r.  praepar.  5j  ,  sacculo  1  i  n  t  e  o  i  n  c  1  u  - 
sis,  coque,  usque  dum  ^xxiv  remanserint,  sub  finem 
coctionis  addendoSem.  anisivulg.,  Sem.  foeniculi,  sin- 
gulorum  contusorum  gß  ,  Fol.  s  e  n  n.  5ÜJ  ,  Rad.  glycyrrh. 
glabr.  conc.  ^jß,  exprime  et  cola.  Liquoren!  obtentum 
etper  aliquod  tempus  sepositum  decanta.  S.  Decoctum 
Zittmanni  fortius.  Ferner  R  p.  Rad.  s  a  r  s  a  p.  §vj  ,  cumSpe- 
ciebus  ex  Decocto  fortiori  tfrxxiv  mixtas  coque  cumAq. 
commun.  ^xxxij,  d  u  m  ftxxiv  remanserint;  sub  finem  coctio- 
nis addendo  Cort.  fruct.  citri,  - —  cassiae  cinnamom., 
—  cardamomi  minor.,  Rad.  glycyrrhiz.  glabr.  singulo- 
rum  contus.  et  concis.  5üj ,  exprime  et  cola.  Liquorem 
obtentum  et  per  aliquod  tempus  sepositum  decanta.  S. 
Decoct.  Zittmanni  mitius.  —  Der  Gebrauch  dieses  Decocts  ist 
folgender:  Am  ersten  Tage  ein  Laxans  aus  Calomel  und  Jalappe,  und 
dieses  alle  5  Tage  wiederholt ;  werden  die  Stühle  aber  in  Folge  des  De- 
cocts zu  häufig,  so  gibt  man  es  den  Umständen  nach.  Am  2.  Tage  Mor- 
Burger,  Chirurgie.  ob 


914  SYPHILIS. 

o-ens  lU  Quart  starkes  Decoct  wann  im  Bette  getrunken  und  wartet  der 
Kranke  im  Bette  den  Schweiss  ab ;  Nachmittags  l/2  Quart  schwaches  De- 
coct kalt,  Abends  vor  dem  Schlafengehen  wieder  i/2  Quart  starkes  Decoct 
kalt;  so  wird  8  Tage  lang  fortgefahren.  Nun  ruht  der  Kranke  6  —  8  Tage 
aus  und  wendet  dann,  wenn  er  noch  nicht  geheilt  ist,  die  Kur  zum  zwei- 
ten Male  an.  Die  Diät  ist  dabei  sehr  eingeschränkt  und  nur  dünne 
Suppen,  wenig  mageres  gebratenes  Fleisch  und  weisses  Brod  mit  ein  we- 
nig Butter  gestattet.  —  Jedesmal  nach  Beendigung  des  Schweisses  nimmt 
der  Kranke  vorsichtig  ein  reines  Hemd ,  trinkt ,  wenn  er  daran  gewöhnt 
ist,  eine  Tasse  Kaffee  ohne  Milch,  und  kann  im  erwärmten  Zimmer  herum- 
gehen ;  er  kann  auch  nach  Tische  eine  Tasse  schwarzen  Kaffee  trinken. 
Gegen  Kolikschmerzen  sind  einige  Tropfen  Hoffmann's  Geist  zuträg- 
lich. Man  kann  nach  Beendigung  der  Kur  noch  einige  Zeit  eine  Abko- 
chung der  Species  lignorum  oder  von  Sarsaparilla  trinken  lassen. 
Nach  Umständen  kann  man  auch  die  Kur  14 — 21  Tage  ununterbrochen 
fortführen.  —  Die  Wirkungen  dieses  Decocts  sind  5  —  6  dünne  Stuhl- 
ausleerungen und  mehr  oder  weniger  starke  Schweisse  ;  seltener  wirkt  es 
auf  die  Harnabsonderung.  Gewöhnlich  sind  alle  Erscheinungen  der  se- 
cundären  Syphilis,  ja  der  tertiären,  in  10  — 12  Tagen  verschwunden.  — 
Strunz  wendet  an  der  Stelle  des  Z i 1 1 m a n n'schen  Decocts  ein  De- 
coct. sarsaparill.  composit.  (Rp.  Rad.  sarsap. ,  Caric. 
a  r  e  n  a  r.  ,  S  p  e  c  i  e  r.  1  i  gn  o  r.  ana  3ij  ;  c  o  q.  c.  A  q.  s.  q.  ad  rema- 
nent.  ^ j  ;  sub  finem  coctionis  adde  Fo  1.  s  enn  ae  5j-  Cola) 
an,  welches  täglich  des  Morgens  zur  Hälfte  warm  im  Bette,  zur  Hälfte  des 
Nachmittags  kalt  getrunken  wird.  Nach  Massgabe  der  Häufigkeit  der 
Stuhlausleerungen  wird  die  Dosis  der  Senna  modificirt.  Die  Wirkung 
dieses  Decocts  soll  ganz  dem  Zittm  an  n'schen  Decocte  gleichkommen. 
—  Feltz's  Tisane.  Rp.  Antimon,  crud.  £iv,  Rad.  sarsap. 
Jij,  Rad.  chinae^j,  Hb.  heder  ae  terestr.,  Hb.  buxi,  Ich- 
thyocoll.  ana  Jjß;  coq.  c.  Aq.  commun.  ^xij,  ad  rem  an.  ^vj. 
Hiervon  verbraucht  der  Kranke  täglich  2  ^  in  3  Dosen :  ein  Glas  um 
7  Uhr  Morgens,  das  zweite  um  2  Uhr  Nachmittags,  das  dritte  um  9  Uhr 
Abends.  Dabei  halte  er  zwei  Mahlzeiten  um  1 1  Uhr  und  6  Uhr  aus 
Suppe ,  Rindfleisch  und  gekochten  Zwetschgen  bestehend.  Die  Kur 
dauert  2  4 — 3  0  Tage.  Cullerier  hat  die  obige  Formel  vereinfacht : 
Rp.  Rad.  sarsap.  conc.  5ÜJ ,  Ichthyocoll.  gß ,  Antimon, 
p  u  1  v.  ^iv ,  A  q.  commun.  ^vj  ,  coq.  ad  reman.  ^iij .  Die  Kur 
dauert  nach  Umständen  40 — 5 0  Tage.  —  Das  Pollinische  Decoct 
enthält  Sarsaparille,  Guajac,  Wallnussschalen  und  Schwefelantimon.  — 
Syrop  (Roob)  de  Laffecteur.  Dieses  Geheimmittel  gegen  die  Sy- 
philis besteht  nach  Savuresi  aus  folgender  Composition  :  Rad.  sar- 
sap. p  art.  iij,  L ign.  Gu aj  a  c,  Rad.  ch  inae,  Lign.  s  as  s  afr.  ana 
p.  ij  ,  Chinae  flav.  p.  j,  Flor,  boraginis  p.  V2 j  Sem.  anis. 
p.  y9,    Syr.  album.    ovor.  dep.  p.    x;    coq.  c.  Aq.  fönt.  p.  4  6*^ 


THRAENENFISTEL.  915 

pr.  horas  u  s  q.  ad  rem.  p.  !/8.  Diese  Flüssigkeit  wird  noch  kochend 
ohne  die  drei  lezten  Ingredienzien  durchgeseiht ,  das  Residuum  mit  dem 
gleichen  Quantum  Wasser  auf  1/3  eingekocht  und  ein  drittes  Mal  ebenso 
verfahren  ;  dann  werden  alle  drei  Decocte  in  denselben  Kessel  gegossen 
und  1 0  Theile  Syrup  hinzugesezt ,  die  ganze  Mischung  bis  auf  2/3  der 
Masse  eingekocht,  durchgeseiht  und  nochmals  gesotten.  Hierauf  giesst 
man  sie  kochend  in  ein  Gef  äss  ,  in  welchem  sich  die  vorgeschriebenen 
Quantitäten  Anis  und  Boretsch  in  einem  Beutel  befinden ,  bedeckt  das 
Ganze,  wartet  bis  es  erkaltet,  und  füllt  es  auf  Flaschen.  —  Nach  einer 
Vorbereitungskur ,  bestehend  in  einem  Getränk  aus  Gerste  oder  wilder 
Cichorie,  leichter  Diät,  nötigenfalls  einem  Brechmittel  und  am  4.  Tage 
einem  gelinderen  Abführmittel  und  kurz  darauf  einer  Tasse  Kräuter- 
bouillon, so  wie  einem  täglichen  Klystier ,  fängt  der  Kranke  am  5.  Tage 
mit  dem  Roob  an,  von  dem  Männer  täglich  gewöhnlich  6,  Frauen  4  Ess- 
löffel voll  Morgens  und  ebenso  viel  vier  Stunden  nach  Tisch  nehmen  ;  in 
der  Zwischenzeit  trinkt  er  halbstündlich  ein  gewöhnliches  Glas  voll  Sar- 
saparillabkochung. Die  Nahrung  besteht  in  leichten  Fleischspeisen  und 
wenig  Brod.  Diese  Kur  dauert  8  — 10  Tage,  worauf  man  sie  einige 
Tage  unterbricht  und  dann  von  Neuem  beginnt ;  der  Sarsaparilltrank  wird 
indessen  während  der  Unterbrechung  fortgesezt.  In  der  Regel  reichen 
8  Flaschen  des  Decocts  hin ,  doch  können  in  hartnäckigen  Fällen  auch 
12,  15,  2  0  nöthig  werden.  Zum  Beschluss  der  Kur  wird  noch  14  Tage 
lang  Sarsaparilldecoct  getrunken  und  durch  zwei  Tage  ein  Abführmittel 
genommen.  —  Einige  weitere  Kurmethoden  gegen  Syphilis  sind  kurz  fol- 
gende :  Die  Weinhold'sche  grosse  Quecksilberkur:  alle 
3  Tage  2  0  Gran  Calomel  in  getheilter  Dosis  7  bis  8  Mal ,  und  den  an- 
dern Tag ,  wenn  kein  Stuhl  erfolgt ,  ein  Laxans  aus  Jalappe  und  Kali 
tartaricum  ana  15  —  2  0  Gran.  —  Bergs  Methode  mit  rothem  Prä- 
cipitat :  1  gr.  Präcipitat  wird  mit  5ij  Stibium  sulphur.  nigr.  in  8  Theile 
getheilt  und  Morgens  und  Abends  ein  Pulver  genommen  und  dabei  Holz- 
trank getrunken.  Alle  4  Tage  wird  die  Gabe  verdoppelt,  bis  täglich 
2  gr.  verbraucht  wird.  —  Dzondi's  Sublimatpillen  (Rp.  M  er  cur. 
sublimat.  c  o  r  r  o  s.  gr.  xij  ,  s  o  1  v.  i  n  A  q.  d  e  s  t  i  1 1.  q.  s.,  M  i  c  a  e 
panis  albi,  Sacch.  alb.  ana  q.  s.  u t  f i a n t  pilul.  pond.  gr.  j 
Nr.  2  4  0).  Man  beginnt  mit  4  Stück,  erhöht  jede  folgende  Dosis,  die 
einen  Tag  um  den  andern  gereicht  wird,  um  2  Stück,  so  dass  der  Kranke 
am  Ende  der  Kur  3  0  Stück  (l1/?  gr-  Sublimat)  erhält. 


T. 

Telangiectasia  ,    s.  Gef  äs  sge  schwulst. 

Thränenfistel ,     Fistula    lacrimalis,     Dacryosyrinx. 

58* 


916  THRAENENFISTEL. 

Man  unterscheidet  eine  Thränendrüsenfistel  und  eine  Thräneneaekfistel. 
—  Die  Thränendrüsenfistel,  Fistula  glandulae  lacryma- 
lis,  kommt  sehr  selten  vor  und  macht  sich  durch  eine  haarfeine  Oeffnung 
am  obern  Augenlide  in  der  Nähe  des  Schläfenwinkels  kenntlich,  aus  wel- 
cher täglich  einige  Tropfen  einer  klaren  durchsichtigen  Thränenfeuchtig- 
keit  hervorsickern.  Man  hat  gerathen ,  die  Fistel  durch  Einsprizen  von 
reizenden  Flüssigkeiten  oder  durch  Einführen  eines  feinen  Höllenstein- 
stifts zum  Verschluss  zu  bringen  ;  es  ist  aber  am  rathsamsten ,  das  ohne- 
hin mit  keinen  namhaften  Beschwerden  verbundene  Uebel  unberührt  zu 
lassen.  —  Die  Thr  an  ens  a  ckfistel ,  Fistula  sacci  lacr  y  ma- 
us ,  welche  eine  häufigere  Erscheinung  als  die  vorige  und  mit  vielen  Be- 
schwerden verbunden  ist ,  besteht  in  einer  widernatürlichen  Oeffnung  des 
Thränensacks ,  aus  welcher  Thränenfeuchtigkeit  ausfliesst.  Man  unter- 
scheidet eine  äussere  Thränensackfistel ,  wenn  sich  die  Oeffnung  auch 
über  die  äussern  Bedeckungen  erstreckt ,  so  dass  der  flüssige  Inhalt  des 
Sacks  auf  dem  Gesicht  hervortritt,  und  eine  innere  Fistel ,  wo  die  äus- 
seren Bedeckungen  nicht  durchbrochen  sind ,  die  von  dem  Thränensacke 
ausgehende  Oeffnung  nicht  auf  dem  Gesichte  ausmündet,  sondern  in  die 
Nase  geht.  Die  innern  Fisteln  sind  schwer  zu  erkennen ,  machen  sich 
aber  am  besten  durch  deutlich  wahrnehmbare  verdünnte  Stellen  der  Haut 
über  dem  geschwollenen  Thränensacke  kenntlich,  die  in  Folge  eines  lange 
dauernden ,  sehr  schmerzhaften  Entzündungsprocesses  entstanden  sind ; 
auch  schneuzt  der  Kranke  Thränen  aus.  —  Oft  ist  die  Fistelöffnung  nahe 
unter  dem  runden  Augenliderbande  gelegen ;  nicht  selten  finden  sich 
mehrere  Fistelgänge.  Dann  und  wann  liegt  die  innere  Oeffnung  der 
Fistel  höher  als  die  äussere ,  so  dass  das  Einführen  einer  Sonde  schwer 
oder  unmöglich  wird.  Ihre  Oeffnungen  sind  bisweilen  callös,  andere  Male 
mit  Fleischwucherungen  umgeben.  Die  Weite  des  Kanals  variirt  von 
der  Dicke  eines  Haars  bis  zu  der  eines  Gänsekiels.  Die  äussern  Fisteln 
ergiessen  entweder  unausgesezt,  oder  periodisch,  wenn  eine  Ansammlung 
statt  gefunden  hat ,  mit  Thränen  vermischten  Schleim ,  Eiter ,  Jauche, 
Blut,  bisweilen  auch  reine  Thränen.  —  Complicirt  findet  man  dieses  Lei- 
den gewöhnlich  mit  Entzündung ,  Schleim-  oder  Eiterfluss  des  Thränen- 
sacks und  der  Lider,  mit  fleischigen  Wucherungen  der  genannten  Theile, 
selten  mit  Caries  des  Thränenbeins,  die  am  sichersten  durch  Untersuchung 
mit  der  Sonde  erkannt  wird ,  wobei  sich  die  rauhe  Knochenstelle  fühlbar 
macht ,  wohl  auch  fehlende  Theile  bemerkt  werden ,  gewöhnlich  aber 
schon  aus  den  wuchernden ,  schwammigen  ,  leichtblutenden  Rändern  des 
Geschwürs  und  dem  Ausflusse  einer  dünnen  übelriechenden  Jauche  ver- 
muthet  werden  kann.  Noch  seltener  ist  die  Verbindung  mit  Unwegsam- 
keit der  Thränenpunkte  und  Röhrchen ,  die  sich  dadurch  zu  erkennen 
gibt,  dass  aus  dem  gefüllten  Thränensacke  und  bei  Versperrung  der  Fistel 
nichts  durch  die  Thränenröhrchen  in  das  Auge  gedrückt  werden  kann. 
Ver Schliessung  des   Nasenkanals    ist  hingegen   eine   sehr   ge- 


THRAENENFISTEL.  917 

wohnliche  Complication,  wodurch  in  der  einen  Seite  der  Nase  ein  Gefühl 
von  Trockenheit,  als  wenn  Staub  darin  wäre,  erregt,  und  Stockungen  der 
Thränen  im  Thränensacke  ,  Auftreibung,  Entzündung,  Verschwärung  des- 
selben ,  Thränenträufeln  etc.  hervorgebracht ,  auch  dem  Grade  der  Ver- 
Schliessung  nach  die  Durchdrückung  der  im  Thränensacke  angehäuften 
Flüssigkeiten  unmöglich  gemacht  wird.  Diese  Unwegsamkeit  des  Nasen- 
kanals ,  welche  die  häufigste  Veranlassung  zu  Thränenfisteln  gibt ,  kann 
bedingt  sein  :  durch  Ansammlung  von  zähem  Schleim,  Blut,  Eiter,  auch 
wohl  Absezung  erdiger  Stoffe  aus  den  Thränen ,  durch  Auflockerung  und 
Wucherungen  der  auskleidenden  Schleimhaut,  durch  Verwachsung  dieser 
und  durch  Exostosen  des  knöchernen  Theils  des  Nasenkanals.  —  Dyscra- 
sien  mancherlei  Art,  besonders  aber  scrophulöse,  gichtische ,  herpetische, 
finden  sich  oft  im  Verein  mit  dem  in  Rede  stehenden  Leiden.  —  Be- 
handlung. Vor  Allem  müssen  etwa  bestehende  Dyscrasien  berücksich- 
tigt werden.  Dann  muss  der  Zustand  der  Thränenpunkte,  der  Thränen- 
kanälchen  und  des  Ductus  nasalis  erforscht  werden.  Völlig  ge- 
schlossene Thränenpunkte  lassen  keine  Herstellung  zu  ;  wenn  indessen  nur 
einer  offen  ist ,  so  übernimmt  dieser  die  Function ;  sind  sie  nur  verklebt 
oder  durch  Entzündung  geschlossen ,  so  sucht  man  sie  durch  Injectionen 
mit  der  A  n  e  l'schen  Sprize  oder  der  vorsichtig  eingebrachten  A  n  e  1 '  - 
sehen  Sonde  zu  öffnen.  Ergibt  die  Untersuchung  des  Nasenkanals  eine 
Verstopfung  mit  Schleim  oder  eine  Auflockerung  seiner  häutigen  Wand, 
so  kommt  man  oft  mit  einem  lange  fortgesezten  Ausspülen  und  Aussprizen 
mit  lauwarmem,  später  kaltem  Wasser  und  Baden  des  Auges,  welche  Be- 
handlung auch  für  die  Thränenfistel  im  Allgemeinen  die  geeignetste  ist, 
am  besten  zum  Ziele.  Bei  Irritation  und  Aufwulstung  der  Nasenschleim- 
haut lässt  man  A  q.  saturnina  und  Aq.  salviae  mit  Extra  ct.  opii 
aquos.  in  die  Nase  einschnaufen  oder  damit  befeuchtete  Wieken  in  die- 
selbe hineinschieben  und  ein  in  dieselbe  Mischung  getauchtes  Leinwand- 
läppchen  auf  die  Fistelöffnung  legen.  In  das  Auge  selbst  wird  eine  Lö- 
sung des  Plumbum  aceticum  (Gr.  ij — iv,  Aq.  destill,  ^ß)  täg- 
lich 4 — 5  Mal  eingetröpfelt.  Nach  Milderung  der  Reizung  lässt  man 
eine  Alaunlösung  aufschnauben ,  um  die  im  Nasenschlauche  angesammel- 
ten Schleimpfröpfe  zu  lösen.  Wo  die  Fistel  sehr  dünn  ist,  oder  ihre  in- 
nere und  äussere  Oeffnung  nicht  in  gleicher  Höhe  liegen ,  oder  wo  deren 
mehrere  oder  unvollkommene  vorhanden  sind  ,  oder  wo  Caries  des  Thrä- 
nenbeins  damit  complicirt  ist ,  thut  man  wohl ,  die  vordere  Wand  des 
Thränensacks  und  seine  Bedeckungen  auf  die  unten  anzugebende  Weise 
zu  spalten ,  damit  Eiter  und  Jauche  einen  freien  Abfluss  haben  und  man 
freier  zu  der  innern  Fläche  des  Thränensacks  oder  dem  Thränenbeine  ge- 
langen kann.  Man  wendet  dann  entweder  die  schon  genannten  Mittel 
als  Einsprizungen  in  Thränensack  und  Nasenkanal  an  oder  bringt  die  er- 
forderlichen Salben  oder  Flüssigkeit  auf  Charpiebäuschchen  auf  die  kran- 
ken Theile.      Quecksilber-,   Zink-  und  Terpenthinsalben ,  so  wie  das  ver- 


918  THRAENENFISTEL. 

dünnte  oder  unverdünnte  flüssige  Laudanum ,  bei  Caries  Asa  foetida 
und  Myrrhe  thun  hier  gute  Dienste.  Verzögern  callöse  Ränder  das  Zu- 
heilen der  Fistel ,  so  werden  sie  mit  Höllenstein  oder  T  i  n  c  t.  j  o  d  i  be- 
tupft. Dieffenbach  pflanzte  ein  Hautstück  von  der  Nase  auf  die 
Fistel  über.  —  Die  Unwegsamkeit  des  Nasenkanals  ist,  wie  schon  er- 
wähnt ,  eine  der  gewöhnlichsten  Ursachen  und  Complicationen  der  Thrä- 
nensackfistel ;  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  wird  es  also  vornehmlich  darauf 
ankommen,  diese  zu  beseitigen.  Oft  ist  man  bei  einiger  Ausdauer  durch 
die  bereits  angeführte  Behandlungsweise  im  Stande,  die  Freimachung  des 
Nasenkanals  zu  bewirken ,  womit  man  den  von  Zeit  zu  Zeit  zu  wiederho- 
lenden Versuch  verbindet,  die  im  Nasenkanal  stockenden  Flüssigkeiten  in 
die  Nase  hinabzudrücken,  was  namentlich  dann  leicht  bewirkt  wird,  wenn 
nur  Atonie  zu  Grund  liegt.  Der  Druck  muss  bei  gefülltem  Thränensack 
und  mit  Schnelligkeit,  während  die  Fistel  verklebt  ist,  mit  der  Spize  des 
Zeigefingers  geschehen.  Reicht  der  Druck  nicht  hin ,  so  sucht  man  den 
Nasenkanal  vom  Sacke  aus  durch  eine  feine  mit  einem  dünnen  Knopfe 
versehene  fischbeinerne  oder  silberne  Sonde  zu  öffnen ,  indem  man 
diese  unter  quirlender,  sanfter  Bewegung  vorwärts ,  bei  einem  Hinderniss 
vor-  und  rückwärts  schiebt.  Ist  die  Fistelöffnung  zu  eng,  oder  die  beiden 
Oeffnungen  nicht  in  gleicher  Höhe  gelegen,  oder  die  Oeffnung  nicht  nahe 
am  Augenliderrande,  so  muss  man  den  Sack  aufschneiden ,  was  ebenfalls 
am  besten  geschieht,  wenn  er  gefüllt  ist,  was  man  durch  Verklebung  der 
Fistel  zu  erreichen  sucht.  Man  bedient  sich  dazu  eines  schmalen,  gera- 
den sehr  spizen  Bistouris  ,  welches  man ,  während  die  Augenlider  nach 
aussen  gezogen  werden ,  nahe  unter  dem  Augenliderbande  schnell  ein- 
sticht und  die  Wunde  nach  unten  zu  in  der  Länge  von  3 — 4  Linien  und 
in  der  Richtung  der  bei  vielen  Augenlidern  vorhandenen  Falte  erweitert. 
Die  Sonde  führt  man  erst  horizontal  bis  an  die  innere  Wand  des  Thra- 
nensacks,  wendet  sie  dann  nach  oben  und  gibt  ihr  eine  senkrechte  etwas 
nach  innen  gehende  Richtung.  Theils  ein  kizelndes  Gefühl  in  der  Nase, 
wenn  die  Sonde  daselbst  anlangt ,  theils  das  Hervortreten  von  Luft  aus 
der  Fistel ,  wenn  man  den  Kranken  nach  Zurückziehung  der  Sonde  bei 
geschlossenem  Mund  und  Nase  schnaufen  lässt,  dienen  als  Beweis  der  ge- 
lungenen Operation  ;  zuweilen  treten  ein  paar  Tropfen  Blut  aus  der  Nase 
hervor.  Schlagen  wiederholt  angestellte  Versuche  fehl ,  den  Nasenkanal 
zu  eröffnen,  so  kann  man  sich  einer  spizigen  metallenen  Sonde  bedienen, 
um  den  Kanal  mit  möglichster  Vorsicht  und  strenger  Innehaltung  der  nor- 
malen Richtung  wegsam  zu  machen.  Ist  er  frei,  so  wird  eine  präparirte 
gerade  E-Violinsaite ,  die  man  am  äussersten  Ende  im  Munde  etwas  er- 
weicht und  6 — 8  Zoll  weit  mit  Mandelöl  bestrichen  hat,  in  den  Nasen- 
kanal etwa  6  Zoll  weit  eingeschoben ,  das  übrige  Stück  aber  zusammen- 
gerollt und  in  einem  kleinen  Läppchen  an  der  Stirn  des  Kranken  befe- 
stigt. In  den  Thränensack  legt  man  eine  mit  milder  Salbe  bestrichene 
Wieke  und  bedeckt  die  Oeffnung  mit  einem  englischen  Pflaster.      Nach 


THRAENENFISTEL.  919 

ein  paar  Stunden,  wenn  das  in  die  Nase  gelangte  Ende  der  Saite  erweicht 
ist ,  sucht  es  der  Operirte  aus  der  Nase  hervorzuziehen.  Dies  geschieht 
am  leichtesten  ,  indem  er  es  durch  Schnauben  hervortreibt ,  worauf  er  es 
mit  dem  Finger  oder  mit  dem  Knopfe  einer  Stecknadel  oder  dergl.  heraus- 
befördert und  dann  mit  einem  Pflasterstreifen  an  der  Seite  des  Nasenflü- 
gels befestigt.  Tags  darauf  werden  die  Pflaster  losgeweicht ,  die  Wieke 
entfernt ,  mit  einer  geeigneten  Flüssigkeit  Einsprizungen  gemacht ,  ein 
hinlänglich  grosses  Stück  der  Saite  aufgerollt  und  von  dieser  nun ,  nach 
vorheriger  Bestreichung  mit  Oel  oder  einem  passenden  Arzneimittel 
(weisser  oder  rother  Quecksilbersalbe  etc.)  durch  Ziehen  am  untern  Ende 
ein  frisches  Stück  in  den  Nasenkanal  eingezogen.  Der  ausgezogene 
Theil  der  Saite  wird  abgeschnitten,  das  Ende  aber  wie  vorher  am  Nasen- 
flügel befestigt.  Dies  wiederholt  man  täglich,  bis  die  E-Saite  verbraucht 
ist ,  worauf  man  zu  einer  A-Saite  und  zulezt  zu  einer  D -Saite  übergeht ; 
den  Beschluss  macht  man  mit  einem  Bleidraht.  Der  Kanal  hat  seine 
normale  Beschaffenheit,  wenn  das  in  ihn  Gelegte  leicht  darin  beweglich, 
der  Kranke  bei  geschlossenem  Mund  und  Nase  Luft  aus  dem  Thränen- 
sack  treiben  kann  und  eine  in  lezteren  gesprizte  Flüssigkeit  bei  vorge- 
beugtem Kopfe  in  vollem  Strome  aus  der  Nase  kommt.  Ein  solches  Re- 
sultat wird  selten  vor  6  Monaten,  bisweilen  erst  nach  Jahresfrist  erreicht. 
—  Gelingt  es  nicht,  den  Nasenkanal  offen  zu  erhalten,  so  legt  man  ein 
goldenes  Röhrchen  ein ,  worüber  man  den  Thränensack  zum  Schliessen 
bringt.  —  Auch  die  Cauterisation  des  Nasenkanals  hat  man  ausge- 
führt und  zwar  sowohl  vom  Thränensacke  wie  von  der  Nase  aus  ;  erstere 
ist  sicherer  ausführbar.  Die  Cauterisation  wurde  mit  dem  Glüheisen 
und  mit  Aezmitteln  vorgenommen.  Bei  blennorrhoischem  Zustande  der 
Schleimhaut  des  Nasenkanals  erweisen  sich  die  Aezmittel,  namentlich 
Höllenstein  von  Nuzen.  —  Die  verwundendste  Methode  ist  die  Bildung 
eines  künstlichen  Thränenwegs  mittels  Durchbohrung 
des  Thränenbeins.  Sie  ist  angezeigt,  wenn  der  Nasenkanal  an  sei- 
nem obern  Theil  verwachsen  ist,  wenn  die  Verwachsung  knöchern  ist  und 
wenn  anderweitige  unentfernbare  Hindernisse  in  der  Nase  die  Wiederher- 
stellung des  Nasenkanals  unmöglich  machen.  —  Behufs  der  Ausf  ührung 
dieser  Operation  öffnet  man  zuerst  den  Thränensack  auf  die  oben  ange- 
gebene Weise ,  führt  dann  einen  kleinen  Troicart  (ohne  Röhre)  in  den 
Sack,  sezt  ihn  auf  dessen  untern  und  hintern  Theil ,  dicht  vor  der  Crista 
des  Thränenbeins  ,  richtet  ihn  schräg  von  oben  nach  unten  und  von  vorn 
nach  hinten  gegen  den  Zizenfortsaz  der  andern  Seite  und  drängt  ihn  in 
dieser  Richtung  unter  rotirender  Bewegung  durch  das  Thränenbein  und 
die  dasselbe  an  beiden  Seiten  deckenden  Weichtheile  ,  so  dass  die  Troi- 
cartspize  unterhalb  des  vordem  Endes  der  mittlem  Nasenmuschel  zwischen 
ihr  und  dem  Nasen fortsaze  des  Oberkiefers  in  die  Nase  gelangt.  Fühlt 
man,  dass  man  durchgedrungen  ist ,  hat  der  Kranke  Kizel  und  Reiz  zum 
Niesen,  so  zieht  man  den  Troicart  drehend  zurück ;  fliessen  einige  Tropfen, 


920  TÜROMBOSIS. 

so  wie  eine  in  den  Thränensaek  gesprizte  Flüssigkeit  aus  der  Nase,  so 
ist  man  von  der  geschehenen  Durchbohrung  überzeugt.  Es  wird  hierauf 
eine  Darmsaite  in  die  Nase  eingelegt,  der  Verband  auf  die  oben  ange- 
gebene Weise  bestellt  und  des  Weitern  wie  oben ,  bis  zur  Vernarbung 
fortgefahren.  Einige  heilten  ein  Röhrchen  ein.  —  Die  sämmtlichen  vor- 
genannten Verfahren  sind  nur  anwendbar ,  wenn  die  Thränenpunkte  und 
Kanälchen  von  normaler  Beschaffenheit  und  Thätigkeit  sind.  Ist  dies 
nicht  der  Fall ,  so  bleibt  nur  die  Cauterisation  und  Verödung 
des  Thränensacks  übrig ,  wobei  lezterer  längs  seiner  ganzen  äussern 
Wand  geöffnet ,  getrocknet  und  nachdem  er  auf  seiner  ganzen  innern 
Seite  bis  in  den  Nasenkanal  mit  Höllenstein  geäzt  worden  ist ,  mit  Oel 
bepinselt  und  mit  Charpie  ausgefüllt  wird.  Die  weitere  Behandlung  be- 
zweckt die  Verheilung  des  Sacks  und  der  Wunde  durch  Granulation. 
Diese  Methode  hat  zwar  ein  unheilbares  Thränenträufeln  zur  Folge ,  da 
die  Thränen  nicht  mehr  durch  den  Sack  können.  Dieses  ist  aber  gegen- 
über den  bei  den  andern  Methoden  häufig  vorkommenden  Nachtheilen 
(wie  Recidiven  etc.)  nur  ein  geringes  Uebel. 

ThrOHlbosis,  Pfropfbildung.  Man  versteht  hierunter  die 
spontane  Verschliessung  einer  verlezten  Arterie  durch  Coagulation  des 
Blutes  an  der  Stelle  der  Verwundung.  Der  Vorgang  ist  hiebei  folgender: 
die  Enden  der  getrennten  Arterie  ziehen  sich ,  wenn  diese  ganz  getrennt 
ist ,  in  die  sie  umkleidende  zellige  Scheide  zurück ,  zugleich  erleidet  das 
getrennte  Ende  der  Arterie  eine  circuläre  Zusammenziehung.  Durch  diese 
Contraction  wird  der  Blutstrahl  feiner  und  durch  die  Zurückziehung  der 
Arterie  das  sie  mit  ihrer  Scheide  verbindende  Zellgewebe  gedehnt  und 
an  ihrer  innern  Oberfläche  uneben.  In  diese  Unebenheit  sezt  sich  das 
Blut  gleichsam  ein ,  coagulirt  und  bildet  so  einen  Blutpfropf  vor  dem 
Gefässlumen  (Coagulum  externum),  das  zulezt  den  Blutstrom 
ganz  hemmt.  Innerhalb  des  Gefässlumens  entsteht  nun  ein  zweites  Coa- 
gulum (Coagulum  internum,  Thrombus),  das  sich  bis  zum 
nächsten  Seitenaste  erstreckt  und  eine  Kegelgestalt  zeigt ,  deren  Spize 
nach  dem  Herzen  hinsieht.  Dieser  Thrombus  durchläuft  mancherlei  Me- 
tamorphosen. In  der  ersten  Periode  seines  Bestehens  erscheint  er  frei 
in  der  Höhle  des  Gefässes  liegend  ,  oder  ist  mit  der  Gefässwand  nur  lose 
durch  eine  zähe  Flüssigkeit  (Faserstoff,  Eiweissstoff ,  Serum)  verbunden. 
Nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit ,  je  nach  der  Grösse  des  Thrombus  und 
des  Gefässes  bildet  sich  zwischen  der  Gefässwand  und  dem  Körper  und 
der  Basis  des  Thrombus  eine  Exsudation  von  Faserstoff  aus  der  innersten 
Gefässhaut ,  mit  welcher  er  in  Folge  hievon  verwächst.  Diese  Verwach- 
sung wird  allmälig  fester ,  die  Gefässwand  legt  sich  immer  inniger  an 
den  Thrombus  an,  der  leztere  aber  verkleinert  sich  in  allen  seinen  Durch- 
messern ,  wie  das  Gefässende ,  in  dem  er  enthalten  ist ,  weil  dasselbe 
durch  die  Kraft  des  Blutstroms   nicht  mehr  wie   früher  ausgedehnt  wird. 


TI?AGBEUTEL.  921 

Hiernach  bildet  sich  auch  über  der  Spize  des  Thrombus  von  der  Peri- 
pherie der  innersten  Gefässwand  aus  das  Exsudat  weiter,  und  über  dem 
Thrombus  schliesst  sich  auf  solche  Weise  die  Höhle  des  Gefässes,  dass 
die  innerste  Gefässhaut  über  dem  Thrombus  einen  Blindsack  bildet ,  und 
dass  der  Thrombus  mit  dem  flüssigen  Blute  des  Gef  ässstumpfes  jezt  ganz 
ausser  Berührung  gesezt  ist.  Endlich  verliert  das  Gefässende  seine  Tex- 
tur ,  schrumpft  mit  dem  Thrombus  immer  mehr  zusammen ,  die  zwischen 
den  Gefässhäuten  ergossene  plastische  Lymphe  wird  resorbirt  und  das 
Gefässende  bildet  mit  dem  contrahirten  Thrombus  ein  fibröses ,  bandar- 
tiges Stück.  Diese  Veränderung  erfolgt  bei  kleinen  Gefässen  in  2  0  —  2  2, 
bei  grösseren  in  40  —  5  0  Tagen.  —  Da  sich  der  Blutpfropf  immer  nur 
bis  zum  nächsten  Seitenaste  erstreckt ,  niemals  darüber  hinaus ,  so  muss 
er  sehr  kurz  sein ,  wenn  ein  Arterienast  in  der  Nähe  der  Arterienwunde 
abgeht ;  er  kann  selbst  ganz  fehlen  ,  wodurch  das  Bestreben  der  Natur, 
die  Blutung  zu  stillen,  vereitelt,  immerhin  aber  zu  Nachblutungen  Ver- 
anlassung gegeben  wird.  —  Es  bedarf  kaum  der  Erwähnung,  dass  bei 
Venenverlezungen  der  Blutpfropf  sich  viel  leichter  bildet ,  als  bei  Ver- 
wundungen von  Arterien. 

Tragbeutel ,  Suspensoria,  sind  Verbandstücke ,  welche  zur 
Unterstüzung  hängender  Körpertheile  dienen.  Ehedem  bezeichnete  man 
eine  Binde,  welche  zur  Unterstüzung  der  Brüste  benuzt  wurde,  als  Sus- 
pensorium mammillare.  Gegenwärtig  ist  dieses  Verbandstück  fast 
ausschliesslich  nur  noch  beim  Hodensack  im  Gebrauche.  —  Man  bereitet 
den  Tragbeutel  für  den  Hodensack  gewöhnlich  aus  Leinwand  ,  Barchent 
oder  Leder  ;  sehr  zweckmässig  werden  auch  gewobene  und  andere  ela- 
stische Stoffe  dazu  verwendet.  Er  besteht  aus  einem  Bauchgurte  und 
der  Tasche  für  den  Hodensack.  —  Der  Bauchgurt  besteht  aus  doppelter 
Leinwand ,  ist  zwei  Querfinger  breit  und  wird  auf  der  Seite  zusammenge- 
bunden ,  geschnallt  oder  geknöpft ;  hinten  ist  er  mit  Knöpfen  für  die 
Schenkelbänder  versehen.  —  Den  Beutel  oder  die  Tasche  bereitet  man 
am  einfachsteh  aus  zwei  länglich  viereckigen,  der  Grösse  des  Hodensacks 
entsprechenden  Stücken  Leinwand,  die  man  aufeinander  legt,  das  eine 
Eck  einer  der  längeren  Seiten  stark  abrundet  und  dann  die  beiden  Stücke 
an  den  abgerundeten  Rändern  zusammennäht.  Den  hintern  Theil  des  auf 
diese  Art  gebildeten  Sackes  schneidet  man  halbmondförmig  aus.  Die 
obere  gerade  bleibende  Seite  der  Tasche  näht  man  ,  nachdem  man  vorher 
eine  Oeffnung  zur  Aufnahme  des  männlichen  Glieds  in  den  obern  Theil 
der  vordem  Seite  der  Tasche  geschnitten  hat ,  an  den  Bauchgurt.  An 
das  untere  Eck ,  da  wo  der  convexe  Rand  mit  dem  halbmondförmigen 
zusammenstösst ,  befestigt  man  zwei  Bänder.  Diese  werden  bei  der  An- 
legung ,  die  sich  im  Uebrigen  aus  der  Beschreibung  des  Verbandstücks 
ergibt,  entweder  zwischen  den  Schenkeln  hindurch  nach  hinten  geführt 
und  in  die  dort  am  Leibgurte   befindlichen  Knöpfe   eingehängt ,   oder  zu 


922  TRANSFUSION  UND  INFUSION. 

beiden  Seiten  des  Hoclensacks  heraufgeleitet  und  an  Bänderschlingen, 
die  man  zu  diesem  Behufe  an  der  Bauchseite  des  Gürtels  angebracht  hat, 
geknüpft.  —  Ist  die  Tasche  zu  weit  ausgefallen ,  oder  wird  sie  es  im 
Verlauf  der  Behandlung  dadurch,  dass  sich  der  Umfang  des  Scrotum 
vermindert ,  so  legt  man  auf  ihren  Grund  eine  gehörig  dicke  Compresse, 
welche  den  leeren  Raum  zwischen  dem  Hodensacke  und  der  Tasche  aus- 
füllt. —  Sehr  einfach  ist  es ,  wenn  man  ein  dreizipfliges  Taschentuch 
über  die  Hüften  bindet  und  den  Hodensack  auf  die  Mitte  der  Basis  des 
Dreiecks  legt  und  dann  die  Spize  desselben  aufwärts  gegen  die  Ruthe 
schlägt.  Oder  man  bindet  ein  zusammengelegtes  Taschentuch  um  die 
Hüften  und  befestigt  mittels  Nadeln  vorn  an  dasselbe  die  Enden  eines 
zweiten  Tuches  ,  dessen  Mitte  den  Hodensack  aufnimmt  und  in  der  Höhe 
erhält.  —  Nicht  allein  die  meisten  Krankheiten  der  Hoden ,  der  Samen- 
stränge, des  Hodensacks  und  des  männlichen  Gliedes  erfordern  das  Tragen 
eines  Suspensoriums  ,  um  diese  Theile  zu  unterstüzen  und  anhaltend  in 
die  Höhe  zu  heben ,  sondern  es  ist  selbst  für  viele  Gesunde  ,  bei  denen 
die  Hoden  durch  ihre  Beschäftigung  erschüttert  werden ,  z.  B.  beim  Rei- 
ten, Springen,  Tanzen,  rathsam,  sich  eines  Suspensoriums  zu  bedienen, 
um  Quetschung  und  Anschwellung  der  Hoden  zu  vermeiden.  Zu  lezterm 
Behufe  werden  gewöhnlich  Suspensorien  benüzt ,  die  von  dicker  Seide 
oder  Baumwolle  gestrickt  oder  aus  Kautschuck  bereitet  sind.  Die  ein- 
fachen Tuchsuspensorien  können  nur  zur  Befestigung  von  Breiumschlägen 
u.  dgl.  benüzt  werden.  —  Fritschi  hat  ein  complicirteres  Suspen- 
sorium angegeben ,  mittels  dessen  das  Scrotum  nach  der  Operation  des 
Wasserbruchs  comprimirt  werden  soll.  Der  Beutel  stellt  ein  (seidenes 
oder  leinenes)  Nez  dar ,  welches  von  in  verschiedenen  Richtungen  ver- 
laufenden Bandzügen  durchzogen  ist,  welche  das  Scrotum  von  allen  Sei- 
ten gleichmässig  zusammen  zu  drücken  erlauben.  —  Noch  ist  des  Trag- 
beutels für  den  Nabelbruch  zu  gedenken,  welcher  von  Fabriz  von 
Hilden  angegeben,  von  Scarpa  verbessert  wurde.  Er  besteht  aus 
einem  entsprechend  grossen  gut  gefütterten  Sacke ,  welcher  durch  breite 
Riemen ,  die  von  vorn  nach  hinten  verlaufen  ,  mit  einem  kurzen  Leibchen 
in  Verbindung  steht.  Der  Rock  wird  aus  elliptischen  Stücken  zusammen- 
gesezt. 

Transfusion  Und  Infusion.  Unter  Transfusion  versteht  man 
die  Operation  ,  vermittels  welcher  fremdes  Blut  in  das  Blutgef  ässsystem 
eines  lebenden  Individuums  gebracht  wird ;  unter  Infusion  die  Einbrin- 
gung von  arzneilichen  Stoffen  in  die  geöffnete  Vene  eines  Menschen.  — 
Die  Transfusion  macht  man  hauptsächlich,  um  bei  Verblutungen  verloren 
gegangenes  Blut  zu  ersezen  und  dadurch  zu  beleben  ,  viel  seltener  zur 
Beseitigung  anderer  Krankheitszustände.  —  Die  Infusion  wird  ausge- 
führt, wenn  in  dringenden  Fällen  nothwendige  Arzneimittel  durch  den 
Mund  nicht  beigebracht  werden  können,  wie  z.  B.  Brechmittel  bei  frem- 


TREPANATION. 

den  Körpern  im  Schlünde  und  in  der  Speiseröhre,  bei  Vergiftungen  etc., 
narkotische  Substanzen  bei  Trismus ,  Wasserscheue  etc.  —  Bei  der 
Transfusion  wird  eine  Vene  wie  beim  Aderlass  geöffnet  und  in  die- 
selbe entweder  Blut  aus  einer  Arterie  eines  andern  Individuums  durch  be- 
sondere Röhrenapparate  geleitet  (unmittelbare  Transfusion), 
oder  venöses  Blut ,  nachdem  es  einem  Andern  abgelassen  ,  mittels  einer 
Sprize  eingesprizt  (mittelbare  Transfusion,  Transfusio  in- 
fus oria).  Das  abzulassende  Blut  muss  schnell  entleert,  in  einer  er- 
wärmten Schale  aufgefangen ,  schnell  in  die  erwärmte  Sprize  gezogen 
und  langsam  ,  gleichmässig  ,  mit  Vermeidung  der  Einsprizung  von  Luft, 
eingesprizt  werden.  Man  darf  die  Sprize  nie  ganz  entleeren,  da  sie  zu- 
lezt  meistens  nur  Coagulum  enthält.  Zweckmässiger  ist  es  nach  J.  Mül- 
ler das  Blut  durch  Schlagen  oder  Quirlen  seines  Faserstoffs  zu  berau- 
ben ,  wodurch  ihm  die  Neigung  zum  Gerinnen  genommen  wird ,  es  auch 
sehr  leicht  auf  der  normalen  Temperatur  erhalten  werden  kann.  Es 
dürfen  immer  nur  geringe  Quantitäten  und  in  Pausen  von  einigen  Mi- 
nuten eingeprizt  werden.  —  Bei  der  Infusion  wird  eine  Vene  ergiebig 
geöffnet ,  während  sie  oberhalb  und  unterhalb  dieser  Stelle  comprimirt 
wird,  und  alsdann  die  Sprize  in  der  Richtung  des  Blutstroms  in  die  Vene 
eingeführt.  Nun  wird  die  in  der  Sprize  enthaltene  erwärmte  Flüssigkeit 
langsam  und  gleichmässig  eingesprizt ,  wobei  man  sehr  darauf  achten 
muss ,  dass  keine  Luft  eingesprizt  wird  ,  weshalb  man  nicht  unterlassen 
darf,  bevor  man  die  Spize  der  Sprize  einsezt ,  aus  dieser,  während 
man  sie  gerade  empor  hält ,  einen  Theil  der  Flüssigkeit  auszusprizen. 
Die  Substanzen  ,  welche  man  durch  die  Infusion  in  den  Körper  bringt, 
gelangen  nicht  bloss  ganz  direct  mit  dem  Blute  in  Berührung ,  sondern 
werden  auch  so  schnell  den  Centralorganen  des  Nervensystems  zugeführt, 
dass  ihre  Dosis  sehr  sorgfältig  erwogen  und  im  Allgemeinen  auf  1/3  der 
für  die  gewöhnliche  Darreichung  der  Arzneimittel  bestimmten  Gabe  her- 
abgesezt  werden  muss.  —  Die.  Operation  wird  mit  der  Anlegung  des 
Aderlassverbandes  geendet.  —  Nicht  selten  entsteht  in  Folge  dieser  Ope- 
rationen eine  heftige  Aufregung  des  ganzen  Körpers,  oft  von  Fieberfrost 
oder  von  Erbrechen  und  Durchfall  begleitet ,  und  zuweilen  Phlebitis. 

Trepanation,  Trepanatio,  ist  die  kunstgemässe.  Durchboh- 
rung eines  Knochens  ,  im  engern  Sinne  der  Schädelknochen.  Wir  werden 
hier  nur  von  der  lezteren  handeln ;  von  der  Durchbohrung  des  Brustbeins, 
des  Schulterblatts  ,  der  Rückenwirbel  ,  cylindrischer  Knochen  war  schon 
in  verschiedenen  Artikeln  die  Rede.  —  Die  Durchbohrung  der 
Schädelknochen,  Trepanatio  cranii,  ist  eine  Operation  ,  ver- 
mittels welcher  man  eine  Stelle  des  Schädels  von  den  Weichtheilen  ent- 
blösst ,  ein  Knochenstück  durch  Bohrinstrumente  herausnimmt,  um  ent- 
weder die  Knochentheile  selbst,  weil  sie  angegriffen  sind,  oder  durch  die  hie- 
durch  entstandene  Knochenöffnung  aus   der  Schädelhöhle  fremde  Körper, 


924  TREPANATION. 

die  auf  das  Gehirn  nachtheilig  wirken ,  als  Knochensplitter ,  Extravasate 
von  Blut,  Wasser  etc.  zu  entfernen,  oder  aber  ein  eingedrücktes  Knochen- 
stück wieder  emporzuheben.  —  Bei  keiner  Operation  standen  sich  die 
Ansichten  der  Wundärzte  so  schroff  gegenüber  als  bei  der  Trepanation. 
Während  eine  Partei  sie  als  völlig  gefahrlos  schilderte  und  rücksichtslos 
bei  allen  Kopfverlezungen  trepanirte ,  stellte  sie  eine  andere  als  geradezu 
lebensgefährlich  hin  und  verwarf  sie  demgemäss  ganz  und  gar ;  zwischen 
diesen  hat  sich  jedoch  eine  gemässigte  Partei  gebildet  und  bis  jezt  er- 
halten ,  welche  der  Trepanation  ihr  Recht  in  der  Reihe  der  Operationen 
einräumte  ,  und  die  Indicationen  auf  das  richtige  Mass  beschränkte.  — 
Die  Wundärzte  haben  sich  namentlich  mit  der  Frage  viel  beschäftigt,  ob 
man  bei  mechanischen  Verlezungen  des  Schädels  die  Operation  jedesmal 
so  früh  als  möglich ,  und  wenn  noch  keine  Zufälle  von  Druck  und  Rei- 
zung des  Hirns  da  sind  ,  unternehmen  (Früh  -  oder  prophylactische  Tre- 
panation) oder  ob  man  die  Trepanation  erst  dann  vornehmen  soll,  wenn 
sich  bereits  Gehirnstörungen  als  Folge  der  Verlezung  gezeigt  haben 
(Spättrepanation).  Für  die  erstere  Ansicht  wurde  namentlich  die 
Brüchigkeit  der  innern  Glastafel  geltend  gemacht,  welche  häufig  im 
Innern  eine  grössere  Splitterung  zeigt,  als  man  äusserlich  vermuthen 
sollte.  Es  gibt  ebenso  viele  tüchtige  Vertheidiger  der  einen  wie  der  an- 
dern Ansicht.  —  Indicirt  ist  die  Operation  bei  folgenden  frischen 
Verlezungen:  l)  bei  Fissuren  und  Contrafissuren,  wenn  sie  mit  einer  be- 
deutenden Verlezung  der  Glastafel  und  Blutextravasat  vorkommen  ;  lez- 
teres  erkennt  man  aus  dem  fortwährenden  Hervortreten  von  Blut  durch 
die  Fissur,  bei  gleichzeitigen  Erscheinungen  von  Hirndruck;  ersteres 
lasst  sich  nur  vermuthen,  aber  nicht  erkennen;  2)  bei  Hirnschalenbrüchen 
mit  Eindruck ;  sie  sind  die  häufigsten  Indicationen  zur  Trepanation  ;  man 
darf  aber  nicht  vergessen  ,  dass  das  Gehirn  sich  einem  ziemlich  starken 
Eindruck  accomodiren  kann  ,  andererseits  Erscheinungen  von  Hirndruck 
von  der  Gehirnerschütterung  herrühren  können :  3)  bei  Diastase  der 
Nähte ,  im  Falle  ein  bedeutendes  Extravasat  damit  verbunden  ist ;  in 
diesem  Falle  muss  man  unmittelbar  neben  der  Naht  trepaniren  ;  4)  bei 
fremden  Körpern,  wie  Kugeln,  Bleistücken,  Steinfragmenten,  welche  auf 
andere  Weise  nicht  entfernt  werden  können  ;  5)  bei  Hiebwunden  mit 
stumpfen  Säbeln  mit  Eindruck;  6)  bei  Extravasaten,  wenn  ihr  Siz  mit 
grosser  Wahrscheinlichkeit  ermittelt  werden  kann ,  sie  zugänglich  sind 
und  die  Erscheinungen  des  Hirndrucks  bedeutend  sind.  Ferner  bei  Tex- 
turkrankheiten,  wie  7)  bei  Caries ,  wenn  sie  klein,  vollkommen  örtlich 
und  durchdringend  ist ;  8)  bei  Necrose ,  wenn  sie  eine  totale  ist ,  die 
innere  Tafel  in  grösserer  Ausdehnung  ergriffen  hat  als  die  äussere  und 
ein  nachtheiliger  Einfluss  des  Eiters  auf  die  Hirnhäute  zu  fürchten  ist ; 
9)  bei  Exostosen  an  der  innern  Glastafel,  welche  durch  ihren  Druck 
Convulsionen,  Epilepsie  u.  dgl.  hervorrufen,  vorausgesezt  dass  ihr  Siz 
genau   bekannt   ist.    —    Als   Contraindicationen  gelten :    das  Ausdehnen 


TREPANATION.  925 

der  Verlezungen  auf  die  Basis  cranii;  wenn  bei  Schädelverlezungen 
so  viel  Raum  vorhanden  ist ,  dass  Extravasate  leicht  abfliessen ,  lose 
Brnchstüche ,  fremde  Körper  leicht  entfernt  werden  können;  wenn  der 
Patient  im  Sterben  liegt.  —  Die  Stelle  der  Trepanation  wird  durch 
die  Krankheit  oder  durch  die  Verlezung  bestimmt ,  und  kann  niemals  ge- 
wählt werden ;  so  viel  jedoch  die  vollkommene  Erreichung  des  Zwecks 
erlaubt ,  vermeide  man  aus  anatomischen  Gründen  die  Nähte ,  den  schup- 
pigen Theil  des  Schläfenbeins ,  den  Hinterhauptshöcker ,  den  vordem 
Winkel  des  Seitenwandbeins.  Bei  Extravasaten  ,  Caries  ,  Exostosen  etc. 
trepanirt  man  genau  über  deren  Spize  ;  ist  es  sehr  verbreitet ,  so  sezt 
man  mehrere  Kronen  in  Zwischenräumen  von  etwa  1  Zoll  an.  Bei  Brü- 
chen und  Eindrücken  trepanirt  man  dicht  am  Bande  derselben ,  so  dass 
die  Krone  .den  Rand  nicht  berührt ;  bei  kleinen  Brüchen ,  eingeheilten 
Kugeln  etc.  umfasst  man  diese  ganz  mit  der  Trepankrone.  Bei  Verle- 
zungen der  Nähte  sezt  man  die  Krone  zu  beiden  Seiten  derselben  an. 
—  Die  Zahl  der  anzusezenden  Trepankronen  hängt  von  der  Ausdehnung 
der  Verlezung,  des  Extravasats,  der  Knochenverderbniss  etc.  ab.  Im 
Allgemeinen  müssen  so  viele  Kronen  angewendet  werden  ,  als  erforderlich 
sind ,  dass  alles  Krankhafte  vollständig  entfernt  werden  kann ;  in  den 
meisten  Fällen  werden  wohl  sechs  ausreichen,  obschon  man  zuweilen 
auch  mehr  anzusezen  genöthigt  war.  Wenn  mehre  Kronen  angewendet 
werden,  so  sezt  man  diese  in  der  Regel  so  nahe  an  einander  auf,  dass 
nur  ein  Zwischenraum  von  einigen  Linien  zwischen  den  einzelnen  Oeff- 
nungen  bleibt  und  entfernt  dann  diese  knöchernen  Brücken  mittels  einer 
geeigneten  Säge  (der  Hey'schen  oder  der  Kettensäge).  —  Die  Operation 
zerfällt  in  folgende  Acte:  1)  in  die  Blosslegung  des  Knochens;  2)  in 
die  Durchbohrung  desselben;  3)  in  die  Herausnahme  des  Knochenstücks 
und  4)  in  verschiedene  Verrichtungen,  welche  zur  Erreichung  des  Zwecks 
nöthig  werden  können.  —  Die  Stelle  wird  rasirt  und  die  Haare  am 
ganzen  Kopf  werden  kurz  abgeschnitten.  Der  Hautschnitt  ist  ein  Län- 
genschnitt, wenn  er  ausreicht,  oder  ein  Kreuzschnitt.  Muss  der  Schläfen- 
nmskel  durchschnitten  werden,  so  macht  man  einen  V- Schnitt  mit  nach 
oben  gerichteter  Basis.  Nach  Ablösung  der  Schädeldecken ,  die  immer 
möglichst  zur  Bedeckung  zu  erhalten  sind ,  stillt  man  die  Blutung, 
schneidet  dann  die  Beinhaut  in  dem  Umfang  der  anzusezenden  Trepan- 
krone ein  und  schabt  sie  von  der  Peripherie  gegen  das  Centrum  mit  der 
Rugine  oder  dem  scharfen  Scalpellstiele  ab ;  Einige  spalten  sie  kreuz- 
weise und  schaben  die  Ecken  zurück.  Nach  der  Reinigung  der  bloss- 
gelegten  Knochenstelle  geht  man  an  die  Durchbohrung  des  Knochens, 
welche  man  entweder  mit  dem  Bogentrepan  oder  mit  dem  Handtrepan 
(Trephine)  verrichtet.  Bei  dem  Gebrauche  des  Bogenirepans  nimmt  man 
eine  entsprechende  Krone ,  schiebt  die  Pyramide  etwa  1  ]/2  —  ^  Linien 
über  die  Sägezähne  vor,  stellt  sie  fest  und  befestigt  die  Krone  an  dem 
Bogen.      Nun  fasst    man    den   Trepanbogen    wie    eine   Schreibfeder  am 


926  TREPANATION. 

untersten  Theile  des  Stiels ,  sezt  die  Pyramide  auf  die  Mitte  der  bloss- 
gelegten  Knochenstelle  und  bringt  den  Trepan  in  eine  verticale  Richtung. 
Man  legt  alsdann  die  linke  Hohlhand  auf  die  Scheibe  des  Bogens  und 
drückt  das  Instrument  ganz  sanft  nieder ;  Zeige-  und  Mittelfinger  und 
Daumen  der  rechten  ergreifen  die  Hülse  am  mittleren  Theil  des  Bogens 
und  drehen  von  rechts  nach  links  so  lange  massig  schnell  herum,  bis  sich 
eine  hinlänglich  tiefe  Furche  gebildet  hat ,  so  dass  die  Krone  auch  ohne 
Pyramide  sicher  darin  läuft.  Man  nimmt  nun  den  Trepan  ab  ,  stellt  die 
Pyramide  zurück ,  reinigt  die  Furche  mittels  der  Bürste  von  den  Säge- 
spänen und  lässt  auch  die  Krone  von  den  Spänen  reinigen.  In  die  von 
der  Pyramide  gebildete  Oeffnung  schraubt  man  den  Tirefond  ein  und 
wieder  aus  (der  Heine'  sehe  Tirefond  lässt  den  Schraubentheil  zurück), 
sezt  alsdann  den  Trepan  auf  die  oben  angegebene  Weise,  diesmal  mit  zu- 
rückgestellter Pyramide,  in  die  Furche  und  führt  ihn  wie  früher  so  lange 
herum  ,  bis  man  an  den  blutigen  Spänen  und  an  einem  dumpferen  Tone 
bei  dem  Sägen  erkennt,  dass  man  in  dieDiploe  eingedrungen  ist;  die  ge- 
nannten Zeichen  fehlen  indessen  auch  oft.  Von  nun  an  muss  man  den 
Trepan  öfter,  jedoch  stets  auf  die  oben  beschriebene  Art  und  Weise 
abnehmen  und  wieder  aufsezen ,  die  Krone  und  Furche  reinigen  und 
die  Tiefe  der  leztern  mit  einem  zugespizten  Federkiele  jedesmal  ge- 
nau in  ihrem  ganzen  Umfange  untersuchen.  Findet  man  die  Furche 
auf  einer  Seite  weniger  tief  als  auf  einer  andern ,  so  neigt  man  den 
Trepan  beim  Herumdrehen  mehr  nach  dieser  flacheren  Stelle  ,  um  eine 
gleichmässige  Tiefe  zu  erlangen.  Je  tiefer  man  eindringt,'  um  so 
vorsichtiger  muss  man  trepaniren ;  man  mässigt  daher  den  Druck 
der  linken  Hand  und  untersucht  schon  nach  einigen ,  3  —  4  maligen,  zu- 
lezt  selbst  nach  einmaligem  Umdrehen  des  Trepans  die  Furche ,  bis  man 
sie  an  mehreren  Stellen  durchdringend  findet  und  das  Knochenstück  bei 
dem  Drucke  mit  dem  Nagel  des  linken  Zeigefingers  Beweglichkeit  zeigt. 
Die  Durchsägung  der  innern  Tafel  gibt  sich  durch  ein  Knistern  zu  erken- 
nen. —  Benuzt  man  die  Trephine,  so  fasst  man  sie  an  ihrem  Quergriffe 
mit  voller  Hand,  legt  den  ausgestreckten  Zeigefinger  an  die  äussere  Fläche 
der  Krone,  sezt  sie  mit  vorgeschobener  Pyramide  senkrecht  auf  den  Mittel- 
punkt der  auszubohrenden  Knochenstelle  und  dreht  sie  mit  massigem 
Druck  in  Halbkreisen  von  rechts  nach  links  und  von  links  nach  rechts 
durch  blosse  Pro  -  und  Supination  der  Hand ,  wobei  man  den  Oberarm 
nicht  bewegt ,  herum ,  bis  sich  eine  Furche  gebildet  hat.  Das  Zurück- 
stellen der  Pyramide,  das  Einschrauben  des  Tirefond,  die  häufige  Unter- 
suchung der  Furche,  das  Reinigen  derselben  und  der  Krone  etc.  geschieht 
auf  dieselbe  Weise ,  wie  es  bei  dem  Gebrauche  des  Bogentrepans  ange- 
geben wurde.  Die  Trephine  wirkt  langsamer  und  erschütternder  als  der 
Bogentrepan  und  ermüdet  den  Operateur  sehr.  —  Wenn  man  wegen  einer 
eingekeilten  Kugel  oder  eines  lockern  Knochenstücks  etc. ,  welche  man 
mit   der  Krone  ganz  umfasst,  trepanirt ,   so  kann  man  die  Pyramide  nicht 


TREPANATION.  927 

anwenden,  sondern  man  bedient  sich  zur  sichern  Leitung  der  Krone  eines 
Kronenführers,  d.  h.  einer  mit  einer  kreisförmigen  Oeffnung  versehenen 
Scheibe  von  Kork  oder  Sohlenleder  mit  einem  breiten  Rande,  so  dass  sie 
mit  den  Fingerspizen  festgehalten  werden  kann.  In  die  Oeffnung  der 
Scheibe  sezt  man  die  Krone  und  dreht  sie  so  oft  herum  ,  bis  man  eine 
hinreichende  Furche  gebildet  hat ,  dann  entfernt  man  die  Scheibe.  Es 
gibt  auch  besondere  Kronenleiter  von  Metall.  —  In  neuester  Zeit  hat 
man  sich  zuweilen  zur  Trepanation  statt  des  Trepans  oder  der  Trephine 
ausser  andern  namentlich  des  Osteotoms  von  Heine  bedient.  —  In  Er- 
mangelung eigentlicher  Trepanationsinstrumente  kann  man  zur  Eröffnung 
des  Schädels  eine  Scheibensäge  oder,  wenn  auch  diese  fehlt,  eine  Rugine 
oder  selbst  ein  Stück  Glas  nehmen ,  und  den  Knochen  so  lange  damit 
schaben ,  bis  eine  Oeffnung  gebildet  ist.  —  Ist  es  erforderlich ,  an  den 
Stirnhöhlen  zu  trepaniren,  so  müssen  zwei  Kronen  gebraucht  werden  und 
zwar  muss  die  Krone ,  welche  die  äussere  Lamelle  durchtrennt ,  grösser 
sein.  —  Um  das  auf  die  eine  oder  andere  Weise  ausgesägte  Knochenstück 
herauszunehmen,  schraubt  man  den  Tirefond  ganz  sachte  in  die  vorläufig 
für  denselben  gebildete  Oeffnung  oder ,  wenn  man  sich  des  Heine'schen 
Tirefonds  bedient  hat,  den  Handgriff  in  den  zurückgebliebenen  Schrauben- 
theil ein,  löst  das  bewegliche  Knochenstück  durch  sanftes  Hin-  und  Her- 
neigen von  seinen  Anhängen  und  hebt  es  heraus.  Lose  Knochenstücke 
etc.,  bei  denen  der  Tirefond  nicht  eingeschraubt  werden  kann,  hebt  man 
mit  einer  Zange  oder  dem  Hebel  heraus.  —  Nach  der  Herausnahme  des 
Knochenstücks  fühlt  man  mit  dem  linken  Zeigefinger  nach  dem  Rande 
der  Schädelöffnung,  der  meistens  Unebenheiten  oder  scharfe  Spizen  zeigt. 
Zu  ihrer  Entfernung  fasst  man  das  Linsenmesser  in  die  volle  Faust,  bringt 
den  linsenförmigen  Knopf  desselben  zwischen  Dura  mater  und  Schädel 
und  ebnet  den  Rand,  indem  man  die  Schneide  an  dem  Umfange  der  Kno- 
chenöffnung kräftig  umherführt.  • —  Das  weitere  Verfahren  richtet  sich 
nach  der  indicirenden  Krankheit.  Wäre  ein  Knocheneindruck  vorhanden, 
so  führt  man  ein  Elevatorium  vorsichtig  zwischen  Dura  mater  und  dem 
Knochen  ein,  und  erhebt  sehr  sanft  und  behutsam  das  eingedrückte  Kno- 
chenstück, indem  man  den  Zeigefinger  der  linken  Hand  unter  das  Eleva- 
torium schiebt,  und  so  denselben  als  Hypomochlion  benuzt.  ■ —  Fremde 
Körper,  Knochensplitter  etc.  entfernt  man  mit  den  Fingern  ,  der  Pincette 
oder  Kornzange,  jedoch  ohne  Gewalt ;  sizen  sie  in  der  Dura  mater  fest, 
so  schneidet  man  diese,  aber  nur  so  weit  ein ,  als  nothig  ist ,  um  jene  zu 
lösen.  Bei  der  Extraction  der  Splitter  vergesse  man  nie,  dass  die  Split- 
terbrüche an  der  innern  Seite  des  Schädels  stets  ausgedehnter  sind ,  als 
an  der  äusseren.  —  Extravasate  oder  Eiteransammlungen  entfernt  man 
durch  eine  zweckmässige  Lage  des  Kopfes ,  durch  Aufsaugen  mit  einem 
feuchten  Schwamm  ,  oder  einem  Pinsel  von  Charpie ,  oder  einer  Sprize. 
Liegt  das  Extravasat  unter  der  Dura  mater ,  bildet  es  eine  mehr  oder 
minder  deutliche  Erhebung  und  zeigt  diese  Haut  eine  gelbliche,  bläuliche 


928  TREPANATION. 

oder  schwärzliche  Färbung ,  so  sticht  man  sie  mit  einem  geraden  spizen 
Bistouri  mit  aufwärts  gerichteter  Schneide  an  und  verlängert  den  Einstich 
mit  demselben  Messer  oder  mit  einer  Scheere.  Hat  der  Erguss  seinen 
Siz  in  der  Hirnsubstanz  selbst ,  so  kann  man  bis  zu  1  Zoll  Tiefe  in  die- 
selbe einschneiden.  Eine  sichere  Diagnose  solcher  Ergüsse  ist  aber  häufig 
unmöglich.  Breitet  sich  das  Extravasat  weiter  aus,  als  die  Trepanöffnung, 
so  bleibt  meistens  nichts  anderes  übrig ,  als  noch  weitere  Kronen  aufzu- 
sezen.  Das  Gleiche  hat  zu  geschehen,  wenn  man  wegen  eines  Extrava- 
sats oder  Gehirnabscesses  trepanirt  und  den  Herd  des  Leidens  ganz  ver- 
fehlt hat.  —  Blutungen  aus  dem  Sinus  ,  welche  nicht  selten  die  Folge 
einer  Verlezung  durch  Knochensplitter  sind ,  stillt  man  durch  trockene 
Charpie  und  angemessenen  Druck;  Blutungen  aus  der  Art.  meningea 
media  sucht  man  durch  Druck ,  mittels  eines  Wachskegels  oder  durch 
die  Compressorien  von  Faulquier  oder  von  v.  Gräfe  (s.  T u r  n  i k e  t) 
zu  stillen.  —  Verlezungen  der  Dura  mater  durch  den  Trepan  bewirken 
gewöhnlich  eine  heftige  Entzündung  derselben  und  erfordern  deshalb  eine 
streng  antiphlogistische  Behandlung.  —  Der  Verband  nach  der  Trepa- 
nation sei  so  einfach  als  möglich.  In  die  Knochenöffnung  drückt  man 
ein  mit  Oel  getränktes  Leinwandläppchen  ein ,  legt,  darüber  ein  Plumas- 
seau  von  weicher  Charpie  und  hält  das  Ganze  mit  einer  Compresse  und 
einem  Kopftuche  fest.  Der  Kranke  soll  auf  der  trepanirten  Seite  liegen, 
so  dass  Extravasate  ausfliessen  können.  Die  fernere  Behandlung  muss 
allgemein  und  örtlich  antiphlogistisch  sein  ;  körperliche  und  geistige  Ruhe, 
dunkles  Zimmer,  strenge  Diät,  kalte  Umschläge  auf  den  Kopf  und  unter 
Umständen  allgemeine  oder  örtliche  Blutentziehungen  mit  gleichzeitigem 
Gebrauche  innerer  antiphlogistischer  Mittel.  Der  Verband  wird  täglich 
1  oder  2  Mal  erneuert,  je  nachdem  es  der  Ausfluss  nöthig  macht.  Wenn 
nach  der  Trepanation  keine  besonderen  Zufälle  entstehen,  so  sieht  man 
gewöhnlich  am  2 —  3.  Tage  die  äussere  Fläche  der  D  ur  a  m  at  er  mit 
einer  gelben ,  schwer  abziehbaren  Exsudatschicht  überzogen.  In  dieser 
Schichte  bilden  sich,  während  ein  Theil  derselben  zu  Eiter  zerfliesst,  leb- 
hafte Granulationen ,  welche  sich  mit  den  von  den  Sägerändern  und  der 
Beinhaut  herkommenden  Fleischwärzchen  verbinden ;  aus  diesen  Granu- 
lationen bildet  sich  eine  fibroide  Zwischensubstanz,  welche  die  Lücke  im 
Schädel  erfüllt  und  in  welcher  sich  häufig  grössere  oder  kleinere  unregel- 
mässige Verknöcherungen  bilden.  Gleichwohl  bleibt  an  dieser  Stelle  ein 
schwacher  Punkt,  durch  welchen  man  mitunter  die  Bewegungen  des  Ge- 
hirns wahrnimmt ,  weshalb  es  gerathen  ist ,  dieselbe  längere  Zeit  durch 
ein  Stück  gekochten  Sohlenleders,  eine  Kautschukplatte  oder  eine  gefüt- 
terte Metallplatte  sowohl  gegen  äussere  Einflüsse  als  auch  gegen  Druck 
des  Gehirns  zu  schüzen.  —  Häufig  kommt  es  aber  nicht  zu  einem  solchen 
Verschlusse  der  Knochenöffnung ,  sondern  das  Gehirn  drängt  sich  durch 
die  Trepanöffnung  hervor ;  dies  geschieht  namentlich  gern  bei  Verlezun- 
gen  der  Dura  mater,   seltener  bildet   diese  einen  üeberzug  über  das 


TUBERKELN.  929 

hervorgedrängte  Gehirn.  Diesen  Zustand  bezeichneten  die  altern  Chirur- 
gen mit  dem  Namen  Gehirn  schwamm.  Man  wendet  dagegen  eine 
leichte  Compresssion  mit  Charpie  an ,  so  lange  bis  die  Granulationen  an 
der  Wunde  dicht  genug  sind,  um  das  Hervortreiben  zu  verhindern.  Häufig 
necrosirt  ein  Theil  der  hervorgetriebenen  Gehirnmasse,  wo  sich  dann  nicht 
selten  eine  bedeutende  Meningitis  entwickelt.  Auch  von  heftigen  Blu- 
tungen ist  ein  solcher  Zustand  zuweilen  begleitet. 

Tripper,  s.  Harnröhrenentzündung. 

Tuberkeln,  Tubercula.  Unter  Tuberkel  versteht  man  ein 
nicht  eingebalgtes ,  in  Knötchenform  ,  seltener  als  Infiltrat  auftretendes 
Product,  welches  bei  einer  bestimmten  ,  aber  noch  durchaus  unbekannten 
Beschaffenheit  des  Blutes  (Tuberculosis)  erzeugt  wird.  Es  tritt  ur- 
sprünglich als  flüssiges  (proteinhaltiges)  Exsudat  auf,  und  wird  erst  in 
Folge  von  theilweiser  Resorption ,  Coagulation  und  Organisation  zur  Tu- 
berkelmasse. —  Die  Tuberkelmasse  bietet  dreierlei  Bestandteile  dar, 
nämlich  :  eine  formlose,  ziemlich  consistente,  klebrige  und  durchscheinende 
graue  Masse,  die  Grundsubstanz;  in  ihr  entwickeln  sich :  Elemen- 
tarkörner von  der  verschiedensten  Grösse,  meist  runder  Form,  weiss- 
lich  grauer  oder  gelblicher  Farbe  und  undurchsichtig  trübe ;  chemisch 
verhalten  sie  sich  verschieden ,  und  zwar  wie  Protein- ,  Fett-  und  Kalk- 
körnchen ;  Kern-  und  Zellenbildungen.  Die  beschriebenen  Ele- 
mente finden  sich  in  verschiedenen  Fällen  in  sehr  verschiedenen  Verhält- 
nissen vor.  —  Der  Proteinkörper  der  Tuberkelmasse  ist  bald  mehr  fibri- 
nös, bald  mehr  albuminös.  Diesen  Verhältnissen  entsprechend,  sind  auch 
die  physikalischen  Eigenschaften  derselben  verschieden.  Sie  erscheint 
bald  derb,  undurchsichtig,  gelblich,  formlos  oder  nur  körnig,  schollige 
Gebilde  enthaltend  ,  bald  graulichweiss  ,  durchscheinend  ,  weich  mit  vor- 
waltendem Zellengebilde ,  unter  welchem  auch  deutliche  Kernzellen  vor- 
kommen ;  überhaupt  zeigt  das  Exsudat  einen  höheren  Grad  von  Organi- 
sation. Darnach  lässt  sich  eine  gelbe,  faserstoffige,  formlose 
oder  körnige,  und  eine  grauliche,  ei  w  ei  sss  t  o  f  f  i  ge  ,  zellige 
Tuberkelmasse  unterscheiden ;  dieses  Verhalten  ist  aber  nicht  immer  rein, 
sondern  oft  gemischt.  Bei  der  Abscheidung  der  Tuberkelmasse ,  welche 
unter  den  Symptomen  einer  chronischen  Entzündung ,  die  allerdings  zu- 
weilen unbemerkt  vorübergehen,  zu  Stande  kommt,  werden  entweder  die 
Gewebe  gleichmässig  durchdrungen  (tuberkulöse  Infiltration), 
oder  es  findet  eine  mehr  oder  weniger  gehäufte  Ablagerung  statt,  die  bald 
als  ein  ganz  kleines  Knötchen  (Miliartuberkel),  bald  in  grösseren 
Massen  von  rundlicher  Form  (Tuberkelconglomerate,  'Tuber- 
kelknoten) erscheint.  Entweder  sind  nur  einzelne  Tuberkel  vorhan- 
den, oder  ein  Gewebe,  ein  Organ  ist  mit  solchen  übersäet  und  sieht  dann 
wie  granulirt  aus  (Tuberkelgranulation).  —  Das  durch  Coagula- 
tion und  theilweise  Organisation  fest  gewordene  Exsudat  (rohe  Tuber- 
Burger,  Chirurgie,  £j9 


930  TUBERKELN. 

kelmasse)  verbleibt  längere  oder  kürzere  Zeit  in  diesem  Zustande,  und 
geht  dann  weitere  Veränderungen  ein,  die  theils  zu  andern  pathologischen 
Zuständen,  theils  zur  Heilung  führen.  Unter  Ausscheidung  von  Fett  und 
Salzen,  sowie  unter  Bildung  einer  dem  Pyin  ähnlichen  Substanz  erweicht  die 
Tuberkelmaterie  ,  wird  vom  Centrum  her  mehr  oder  weniger  flüssig ,  die 
Kernzellen  verwandeln  sich  in  Körnerzellen ,  wobei  die  grauweisse  Tuber- 
kelmasse gelblich  wird,  die  Körnerzellen  zerfallen  und  man  sieht  lose  bei- 
sammenliegende Molekularkörner  in  Masse ,  untermengt  mit  Fetttropfen, 
Fett-  und  Kalkkrystallen  und  abgestorbenen  Gewebspartikeln.  In  der 
nächsten  Umgebung  entsteht  Entzündung ,  Eiterung  und  Schwärung,  und 
Entzündungsproducte  vermengen  sich  mit  der  zerflossenen  Tuberkelmasse. 
In  andern  Fällen  werden  die  flüssigen  Bestandtheile  der  erweichten  Sub- 
stanz resorbirt,  und  nur  die  ausgeschiedenen  Kalksalze  mit  wenig  organi- 
scher Substanz  bleiben  als  eine  weissgraue  ,  trockene,  mörtelartige  Con- 
cretion  zurück  (Verkr  e  i  d  u  n  g).  Eine  weitere  Metamorphose  des  Tu- 
berkels ,  welche  aber  nur  der  einfach  faserstoffige  Tuberkel  eingeht ,  ist 
seine  Zusammenschrumpfung  zu  einer  hornartigen  Masse  (Verhornung). 
—  Kann  sich  die  erweichte  Tuberkelmasse  durch  Verschwärung  nach  aus- 
sen entleeren,  so  ist  eine  Vernarbung  der  Tuberkelhöhle  und  damit  Hei- 
lung möglich.  Die  tuberculösen  Cavernen  kleiden  sich  mit  einer  Mem- 
bran aus,  die  unaufhörlich  Eiter  secernirt.  ■ —  Tuberkelmasse  kommt  in 
allen  gef  ässhaltigen,  selbst  pathologischen  Theilen  vor,  sie  lässt  sich  aber 
in  manchen  Organen  besonders  gern  nieder ;  am  häufigsten  kommt  sie  in 
der  Lunge  vor.  Sie  tritt  bald  acut,  bald  allmälig  auf.  Das  Wachsthum 
der  Tuberkelmasse  geschieht  durch  Anlagerung  neuen  Stoffs  im  Umfang 
des  alten.  —  Die  nächste  Ursache  zur  Tuberkelbildung  ist  noch  un- 
bekannt. Man  hat  unter  anderem  eine  eigenthümliche  chemische  Con- 
stitution des  Blastems  angenommen ,  welche  dasselbe  zu  höherer  Organi- 
sation ungeschickt  macht,  oder  es  sind  äussere  Einflüsse,  die  auf  verschie- 
dene Weise  die  Organisirung  hindern.  Im  ersten  Falle  kann  die  Qualität 
des  Exsudats  in  einer  eigenthümlichen  Blutkrase  (nach  Einigen  wahr- 
scheinlich der  scrophulösen),  oder  aber  in  demExsudationsprocesse  selbst 
begründet  sein.  —  Gelegenheitsursachen  geben  äussere  Verlez- 
zungen,  wie  Stoss,  Quetschungen  etc.  ab,  sowie  Erkältungen.  —  Die  B  e- 
handlung  ist  dem  grössten  Theile  nach  eine  innere.  Wo  Tuberkeln 
an  zugänglichen  Stellen  vorkommen  und  Geschwülste  bilden,  werden  diese 
exstirpirt ,  oder ,  wenn  die  Masse  erweicht  ist ,  wie  Abscesse  behandelt. 
Zur  Beförderung  der  Erweichung  dienen  Cataplasmen  und  gelind  reizende 
Pflaster.  Der  aufgebrochene  Tuberkel  fordert  meist  Reizmittel  (Ein- 
streuen von  rothem  Präcipitat).  Um  die  meist  hässliche  Narbe  zu  ver- 
hüten ,  muss  die  Vernarbung  sorgfältig  geleitet  und  dem  Hervorwuchern 
schlaffer  Granulationen  durch  Höllenstein  begegnet  werden.  —  Zu  den 
kräftigsten  innern  Mitteln  gehören  Salmiak,  Jodkali  und  Leberthran. 


TURNIKET.  931 


Turiliket,  Aderpresse,  Arterienpresse,  Tourniquet, 
Tomaculum,  Torcular,  Praelum,  ist  ein  Instrument,  mit  wel- 
chem man  die  Circulation  des  Blutes  entweder  in  einem  ganzen  Theile 
oder  nur  in  einem  einzelnen  Gefassstamme  für  eine  bestimmte  Zeit  auf- 
zuheben oder  doch  zu  hemmen  vermag.  Sein  Zweck  ist  theils ,  um,  wie 
bei  Verwundungen,  Zeit  zu  gewinnen,  alles  was  zu  einer  dauernden  Blut- 
stillung nöthig  ist,  herbeizuschaffen  und  den  erforderlichen  Verband  zu 
besorgen,  theils  um  Kranke  bei  grösseren  Operationen,  wie  Amputationen 
u.  dgl. ,  vor  Verblutung  zu  schüzen.  —  Die  Turnikets  zerfallen  1)  in 
solche  für  die  Extremitäten  und  2)  in  solche  für  den  Kopf  und  Rumpf. 
—  I.  Turnikets  für  die  Extremitäten.  Man  theilt  diese  ein  : 
1)  in  solche,  welche  das  Glied  in  allen  Punkten  drücken  und  allen  Zu- 
und  Rückfluss  des  Blutes  hindern.  Dies  bewirken  die  Band- ,  Knebel-, 
Schnallen-,  Keil-  und  Federturnikets  ;  2)  in  solche,  welche  vorzüglich  nur 
auf  den  Hauptstamm  eines  Gliedes  drücken ,  ohne  den  Collateralkreislauf 
gänzlich  zu  unterbrechen.  Hierher  gehört  das  Schrauben-,  Wellen-  und 
Windenturniket ;  3)  in  solche ,  welche  nur  einen  bestimmten  Arterien- 
stamm zusammendrücken  ,  ohne  alle  Beeinträchtigung  der  Seitengefässe. 
Dies  geschieht  durch  die  Griifturnikets.  —  1)  Turnikets,  welche 
den  Blutlauf  in  allen  Ge  fassen  eines  Glied  eshemmen. 
Diese  finden  ihre  Anwendung  hauptsächlich  in  den  Fällen,  wenn  das  Blut 
bei  einer  Verwundung  aus  mehreren  Gef  ässen  strömt ,  indem  man  damit 
Zeit  gewinnen  will,  die  Quelle  der  Blutung  aufzusuchen  und  diese  durch 
geeignete  Mittel  zum  Stillstand  zu  bringen.  Man  gebraucht  sie  ferner 
bei  Operationen,  wo  eine  starke  Blutung  zu  befürchten  ist,  vorzüglich  bei 
Amputationen.  Da  sie  aber  das  Glied  dermassen  zusammenschnüren, 
dass  nicht  nur  der  Blutlauf,  sondern  auch  die  Circulation  der  übrigen 
Säfte  und  die  Function  der  Nerven  aufgehoben  wird ,  so  dürfen  sie  nie 
lange  liegen  bleiben,  wenn  das  Glied  nicht  absterben  soll.  Es  gibt  meh- 
rere Arten  derselben :  a)  das  B  andturniket.  Es  besteht  aus  einem 
etwa  1 1  /2  Ellen  langen  und  2  Zoll  breiten ,  starken  Gurte,  der  an  einem 
Ende  einen  fest  umnähten  Schliz  von  1  *]2  Zoll  Länge  hat,  an  dem  andern 
Ende  fast  bis  zur  Hälfte  gespalten  und  umstochen  ist.  Ueber  diesen  Gurt 
wird  eine  länglich  viereckige  Pelotte,  auf  deren  oberer  Fläche  eine  lederne 
Oese  ist ,  geschoben  und  auf  die  Arterie  gelegt ,  hierauf  der  eine  Theil 
des  gespaltenen  Endes  des  Gurtes  durch  den  Schliz  gesteckt ,  fest  ange- 
zogen und  mit  dem  andern  Theil  in  einen  Knoten  gebunden.  —  Noch 
einfacher  und  auf  der  Stelle  lässt  sich  einTurniket  mit  einem  halsbinden- 
artig zusammengelegten  Sacktuch  herstellen,  indem  man  in  der  Mitte  die- 
ses Tuches  einen  festen  Knoten  macht ,  diesen  auf  das  zu  comprimirende 
Gefäss  legt,  die  beiden  Enden  über  diesen  Knoten  hinführt  und  sie  dann 
verknüpft.  —  b)  das  K  n  e  b  e  1 1  u  r  n  i  k  e  t.  M  o  r  e  1 1  führte  einen  festen 
Gurt  um   das  Glied ,   welchen   er   nach  Vereinigung  seiner  Enden  mittels 

59* 


932  TURNIKET. 

eines  durchgesteckten  hölzernen  Knebels  hinlänglich  zusammenschnürte. 
Wo  ein  stärkerer  Druck  einwirken  sollte,  wurde  eine  Compresse  oder  eine 
aufgerollte  Binde  untergeschoben.  Später  fügte  man  diesem  Gurte  eine 
runde  Scheibe  von  Leder ,  Hörn  etc.  bei ,  um  die  Stelle ,  wo  der  Knebel 
den  Gurt  zusammendreht,  vor  Quetschung  zu  sichern.  Henkel  versah 
diese  Platte  mit  zwei  Schnüren ,  womit  der  angespannte  Knebel  befestigt 
wird.  Eine  feste  Lederpelotte ,  auf  welcher  sich  eine  Schnalle  zur  Be- 
festigung des  Gurtes  befindet,  verstärkt  die  Wirkung  dieses  sehr  brauch- 
baren Turnikets.  —  c)  Das  Schnallenturniket  besteht  in  seiner 
ursprünglichen  Form  aus  einem  Gurte ,  welcher  durch  eine  Schnalle  be- 
festigt wird ;  auf  die  zu  comprimirende  Arterie  kommt  eine  Bindenrolle 
zu  liegen.  Später  wurde  eine  besondere  Pelotte  beigefügt,  welche  an 
den  Gurt  geschoben  wurde;  auch  erlitt  die  Schnalle  mannigfache  Ver- 
änderungen ;  es  wurde  eine  vierwinklige  Schnalle  benüzt ,  die  Schenkel 
der  Schnalle  mit  Walzen  versehen  etc.  So  entstanden  die  Schnallen- 
turnikets  von  Assalini,  von  Rust,  von  v.  Gräfe.  d)  Das  Keil- 
turniket  von  Krombholz  besteht  aus  zwei  ovalen  Platten ,  die  an 
den  beiden  abgerundeten  Enden  durch  zwei  runde  Messingstäbe  mit  ein- 
ander verbunden  sind  ;  über  diese  Stäbe  läuft  das  Band ,  das  durch  einen 
zwischen  die  Platten  und  die  walzenförmigen  Stäbe  einzuschiebenden 
Keil  an  die  leztere  angedrückt  und  dadurch  am  Nachlassen  verhindert 
wird.  —  e)  Das  Federt urniket  besteht  aus  einem  Stahlbogen  oder 
einer  Stahlfeder ,  die  an  ihren  beiden  Enden  Riemen  trägt ,  durch  deren 
Vereinigung  die  Stahlfeder  zusammengedrückt  wird.  Klein  schloss  die 
aus  zwei  beweglichen  Stücken  bestehenden  Stahlbogen  mit  einer  gezähn- 
ten Stange.  Eines  dieser  Stücke  trägt  eine  Pelotte.  Diese  und  die  vo- 
rige Art  von  Turniket  sind  ganz  ausser  Gebrauch.  ■ —  2)  Turnikets, 
welche  vorzüglich  auf  den  Hauptstamm  eines  Gliedes 
wirken.  Die  in  Bede  stehenden  Turnikets  umgeben  zwar  das  betref- 
fende Glied  auch  kreisförmig  mit  einem  Bande,  schnüren  dasselbe  aber 
nicht  im  ganzen  Umfange  gleichförmig  zusammen,  wie  die  bisher  genann- 
ten ,  sondern  äussern  ihre  Wirkung  besonders  auf  den  Hauptstamm  der 
Arterie,  wobei  sie  sich  auf  der,  der  Arterie  gegenüberliegenden  Stelle  an- 
stüzen.  Hierdurch  bleiben  die  Seitenäste  der  Arterien  ziemlich  frei,  was 
die  Folge  hat,  dass  man  sie  länger  einwirken  lassen  kann.  Ihre  Einrich- 
tung ist  von  der  Art,  dass  der  Wundarzt  ohne  Gehülfen  sie  auf  einen  ver- 
schiedenen Grad  stellen  und  den  Blutlauf  in  der  comprimirten  Arterie 
nach  Erforderniss  hemmen  oder  freilassen  kann.  Es  gehören  hierher : 
a)  das  Schraubenturniket.  Es  besteht  aus  zwei  Platten,  welche 
mittels  einer  durch  sie  senkrecht  durchgehenden  Schraube,  die  mit  einem 
Griffe  versehen  ist ,  einander  genähert  oder  von  einander  entfernt  werden 
können.  Ein  um  das  Glied  geführtes  und  mit  einer  Pelotte  versehenes 
Gurtband  wird  an  die  obere  Platte  befestigt  und  diese  Schlinge  durch 
Umdrehen  der  Schraube  verengt  oder  erweitert.    Garengeot's,  Petit's 


TURNIKET.  933 

und  Morand's  Instrumente  sind  von  Holz.  P 1  a 1 1 n e r  brachte  einen, 
P  e  r  e  t  zwei  aufrechte  ,  durch  die  obere  Platte  gehende  Stäbe  in  der  un- 
tern an ,  wodurch  beide  Platten  in  gleicher  Richtung  erhalten  werden. 
An  zwei  Rändern  der  obern  Platte  befinden  sich  Schnallen,  in  welche  der 
in  der  Mitte  gepolsterte  Riemen  geschnallt  wird.  H  e  ist  er  Hess  die 
Schraube  und  Brambilla  das  ganze  Instrument  aus  Stahl  verfertigen. 
Eine  zweckmässige,  den  Engländern  zugeschriebene  Veränderung  besteht 
in  der  Einfügung  von  beweglichen  Walzen  an  den  Seiten  der  Platten  ; 
die  Bewegungen  des  Gurts  sind  hierdurch  viel  freier.  Das  gegenwärtig 
am  allgemeinsten  in  Gebrauch  befindliche  Schraubenturniket  besteht  aus 
zwei  messingenen  Platten,  die  aber  stark  ausgeschnitten  sind ,  so  dass  sie 
nur  noch  in  der  Mitte  zusammenhängen.  Durch  diesen  zusammenhängen- 
den Theil  läuft  die  in  der  untern  Platte  beweglich  befestigte  Schraube, 
mittels  welcher  die  Compression  bewirkt  wird.  In  den  Ausschnitten  der 
Platten  befinden  sich  Rollen,  zwischen  welchen  der  Gurt  durchläuft.  Die- 
ser wird  mit  dem  Instrument  in  Verbindung  gebracht,  dann  um  das  Glied 
und  über  die  comprimirende  Pelotte  herumgeführt  und  schliesslich  durch 
eine  Schnalle  vereinigt.  —  b)  Das  Winden turniket  ist  als  eine 
Modifikation  des  Knebelturnikets  zu  betrachten,  bei  dem  die  Aufwicklung 
des  Bandes  entweder  über  den  QuergrifF  oder  über  die  Spindel  selbst  ge- 
schieht. An  der  Basis  dieser  Spindel ,  an  ihrem  Einsenkungspunkte  in 
die  Tragplatte  befindet  sich  ein  Sperrrad,  welches  durch  einen  Sperrhaken 
an  der  Rückwärtsdrehung  gehindert  wird.  In  der  Platte  sind  2  Längen- 
ausschnitte ,  durch  welche  das  Band  läuft.  Solche  Turnikets  haben  an- 
gegeben Savigny,  Zittier,  Bell,  welcher  leztere  zwei  Walzen,  über 
welche  das  Band  geht,  hinzufügte.  Diese  Turnikets  haben  den  Fehler, 
dass  man  nicht  viele  Umdrehungen  mit  ihnen  machen  kann.  —  c)  Das 
Wellenturniket,  Turniket  mit  liegender  Winde  (im  Gegen- 
saze  von  dem  vorigen ,  welches  eine  stehende  Winde  hat)  ,  auch  eng- 
lisches Turniket  genannt,  ist  eine  Modification  des  vorigen.  Die 
Walze  ist  zwischen  zwei  Seitenplatten  befestigt,  welche  durch  eine  untere 
Platte  zusammengehalten  wird.  Die  Umdrehung  geschieht  auf  der  Seite 
durch  einen  geflügelten  Schlüssel,  welcher  durch  Sperrrad  und  Sperrfeder 
befestigt  wird.  Hierher  gehören  die  Turnikets  von  Westphalen, 
Knauer,  Freeke,  Rymer.  Dieses  Turniket  hat  nicht  die  Nach- 
theile des  vorigen.  —  3)  Turnikets,  welche  den  Blutlauf  in 
einem  einzigen  Gefässstamme  unterbrechen.  Diese,  welche 
mit  freier  Hand  auf  die  zu  comprimirende  Arterie  aufgedrückt  werden 
und  daher  den  gemeinschaftlichen  Namen  Griffturniket  führen ,  bestehen 
aus  einer  Stahlstange,  die  an  dem  einem  Ende  mit  einem  Handgriffe ,  an 
dem  andern  mit  einer  Pelotte  versehen  ist.  Leztere  wird  auf  die  Arterie 
(die  Art.  cruralis  bei  ihrem  Austritte  unter  dem  P  o  up  art'  sehen 
Bande,  auch  die  Art.  subclavia)  aufgesezt  und  von  der  den  Handgriff 
voll   umfassenden   Hand   aufgedrückt.       Die    wenigen   derartigen  Instru- 


934  TURNIKET. 

mente  unterscheiden  sich  nur  durch    den  Bau   der  Pelotte.      Sie  sind  von 
Ehrlich,  Brünninghausen  und  Hesselbach. 

IL  Turnikets  für  den  Kopf  und  Rumpf.  Diese  Instru- 
mente, welche  sowohl  im  Bau  als  in  der  Art  der  Anwendung  von  den  bis 
jezt  aufgeführten  gänzlich  abweichen,  führen  den  Namen  Compresso- 
r i e n.  Hierher  gehören  :  Foulquier's  Compressorium  für  die  Arte- 
rien oder  Venenblutleiter  der  Dura  mater;  es  besteht  aus  einem  senk- 
rechten Stücke,  mit  welchem  drei  Querplatten,  die  mittlere  (Druckplatte) 
beweglich,  verbunden  sind;  eine  Schraube  geht  durch  die  oberste  Quer- 
platte und  befestigt  sich  in  der  Druckplatte ,  welche  sie  auf  und  ab  be- 
wegt. Bei  der  Anwendung  wird  die  untere  mit  Schwamm  belegte  Platte 
unter  die  Hirnhaut  und  die  blutende  Arterie  geschoben ,  die  Druckplatte 
kommt  aussen  auf  den  Knochen  zu  liegen  und  indem  man  diese  nun  mit 
der  Schraube  gegen  den  Knochen  andrückt,  wird  die  Compression  bewirkt. 
V,  Graefe's  Compressorium  für  die  Art.  meningea  ist  diesem  ähn- 
lich, ebenso  das  von  Ferg  und  Hager.  —  Bell's  Compressorium  für 
die  Art.  temporalis  besteht  aus  einer  Stahlfeder,  welche  mit  ihrer 
Mittte  auf  das  Hinterhaupt  zu  liegen  kommt  und  deren  Enden  auf  der 
Stirn  mit  Riemen  vereinigt  werden;  auf  die  Wunde  kommt  eine  gestufte 
Compresse  zu  liegen.  Es  liegt  nicht  sicher.  Butter  befestigt  eine 
Pelotte  durch  wagerecht  und  senkrecht  um  den  Kopf  gehende  Bänder  und 
nähert  sie  durch  eine  Stellschraube  der  Arterie.  —  Für  die  blutende 
Zahnhöhle  hat  F  o  u  c  o  u  ein  metallenes,  viereckiges  Kästchen  angege- 
ben ,  welches  die  Bestimmung  hat ,  den  Tampon  an  die  Zahnhöhle  anzu- 
drücken. Es  umfasst  den  der  blutenden  Zahnhöhle  gegenüberliegenden 
Theil  der  andern  Kinnlade  und  drückt  durch  eine  mechanische  Vorrich- 
tung auf  die  vorher  mit  Schwamm  oder  Charpie  gefüllte  blutende  Alveole. 
—  Robert's  Compressorium  besteht  dem  Wesen  nach  aus  einem  Querbal- 
ken, der  an  seinem  vordem  Ende  einen  halbmondförmig  ausgeschnittenen 
wagerecht  abgehenden  Zapfen,  den  Stopfer,  trägt,  welcher  auf  die  blutende 
Zahnhöhle  zu  liegen  kommt.  Das  andere  Ende  des  Querbalkens  geht 
zum  Munde  heraus  und  wird,  wenn  die  Blutung  aus  dem  Oberkiefer  statt 
hat ,  mit  einem  von  einem  Stirnbande  herabsteigenden  senkrechten  Stabe 
mittels  einer  Schraube,  welche  auch  das  Andrücken  des  Querstabs  auf  die 
blutende  Alveole  vermittelt ,  in  Verbindung  gesezt  ;  hat  die  Blutung  aus 
dem  Unterkiefer  statt,  so  tritt  der  aus  dem  Munde  kommende  Stab  mit 
einem  zweiten  zusammen ,  der  seinen  Stüzpunkt  unter  dem  Kinn  nimmt  ; 
eine  Schraube  drückt  diese  zwei  Stäbe  gegen  einander  und  damit  den 
Stopfer  auf  die  vorher  mit  trockener  C%arpie  ausgefüllte  Zahnhöhle.  — 
Das  Compressorium  von  Lampe  für  die  Art.  ranina  besteht  aus  ei- 
nem stählernen  Bügel ,  vermittels  dessen  ein  Druck  auf  die  Zunge  und 
unter  dem  Kinn  unter  Vermittlung  einer  Schraube  ausgeübt  wird.  Ein 
unpractisches  Instrument.  —  Jourdain's  Compressorien  gegen  Blu- 
tungen  aus   dem  Gaumen   sind  höchst  complicirt  und  dem  Zwecke 


UNTERBINDUNG  DER  GEFAESSE.  935 

nicht  entsprechend. —  Die  Corapressorien  für  die  Halsgef ässe  sind  bügel- 
artig construirt ,  so  dass  die  übrigen  Organe  von  dem  Drucke  verschont 
bleiben.  Fast  alle  Verschieben  sich  leicht ,  da  der  Druck  nicht  an  den 
entgegengesezten  Punkten  angebracht  ist,  so  Löffler's,  Chapert's 
für  die  Ven.  jugularis,  Blakett's  für  die  Carotis.  —  Für  die 
Art.  intercostalis  ist  von  Lotterie  eine  metallene ,  S-förmig  ge- 
bogene Platte  angegeben ,  deren  eines  mit  einem  Stückchen  Eichen- 
schwamm versehenes  Ende  in  die  Wunde  und  hinter  die  Rippe  und  deren 
anderes  vermittels  eines  Gurts  an  den  Brustkorb  befestigt  wird ;  eine 
Rinne  in  der  Platte  dient  zum  Abflüsse  des  Bluts.  Quesnay  bediente 
sich  schon  früher  einer  dünnen  elfenbeinernen  Platte.  Bellocq's 
Compressorium  wirkt  durch  eine  Schraube,  die  zwei  Metallplatten  wie  an 
den  Compressorien  für  die  Arterien  der  Dura  mater  gegen  die  Rippe 
treibt,  und  in  Härder's  Compressorium  werden  zwei  Metallplatten  nach 
der  Idee  des  Knebelturnikets  gegen  einander  getrieben.  v.  Graefe 
bediente  sich  eines  für  die  Arterie  der  harten  Hirnhaut  gefertigten  Com- 
pressoriums.  —  Die  Compressorien  für  die  Art.  epigastrica  realisi- 
ren  sämmtlich  die  Idee ,  die  Arterie  mit  den  Bauchdecken  zwischen  zwei 
pincettenartig  gespaltenen  Armen  zu  comprimiren;  JÜhopart,  Schind- 
ler und  Hesselbach  haben  solche  Instrumente  angegeben.  —  Du- 
puytren's  Compressorium  für  die  beim  Steinschnitte  verlezte  P u d e n d a 
stellt  eine  Pincette  dar,  deren  Branchen,  mit  Eichenschwamm  überzogen, 
geschlossen  in  die  Wunde  gebracht  werden,  wo  sie  durch  das  Federn  der 
Arme  Druck  auf  das  Gef äss  ausüben.  —  Steidele's  Compressorium 
für  die  Art.  spermatica  besteht  in  einem  zangenartigen  Instrumente, 
dessen  Arme  durch  eine  Schraube  zusammengedrückt  werden.  —  R  u  d  - 
torffer's  Compressorium  für  das  männliche  Glied  besteht  aus  einem 
von  zwei  Seiten  offenen  Blechgehäuse ,  in  welchem  der  darin  liegende 
Penis  von  einer  mittels  Welle  und  Kurbel  in  Bewegung  gesezten  Schlinge 
zusammengedrückt  wird. 


u 


Ueberbein,  &.  Cysten. 

Unterbindung  der  GefäSSe,  Ligaturavasorum,  nennt 
man  die  Zusammenschnürung  eines  Gefässes  mittels  eines  um  dasselbe 
geführten  Fadens  ,  wodurch  es  mechanisch  und  nach  einiger  Zeit  orga- 
nisch verschlossen  wird,  um  den  Durchgang  der  Flüssigkeiten  durch  das- 
selbe zu  hemmen.  Man  wendet  die  Unterbindung  gegenwärtig  meistens 
nur  noch  bei  Arterien  an,  da  die  Unterbindung  der  Venen  nach  Verwun- 
dungen ,  z.  B.  bei  Amputationen  häufig  Entzündung,  Eiterung  und  dann 
einen   tödtlichen  Ausgang  nach  sich  zog,   und  die  Blutung  aus  grösseren 


936  UNTERBINDUNG  DER   GEFAESSE. 

Venen  gewöhnlich  auf  angewendeten  Druck  bald  von  selbst  stehen.  Ueber 
die  Anwendung  der  Ligatur  bei  einem  krankhaften  Zustande  der  Venen 
s.  die  Artikel  Varix  und  Varicocele.  —  Die  Unterbindung  der 
Lymphgefässe  ist  selten  nothwendig  und  ebenso  selten  ausführbar.  — 
Die  unmittelbare  Folge  der  Unterbindung  ist  eine  Zerreissung  der  beiden 
innern  Membranen  der  Arterie,  wobei  sie  sich,  ihrer  Elasticität  folgend, 
gegen  die  Achse  des  Gefässrohrs  umkrämpen.  Dem  Blutstrome  aber  ist 
durch  die  Ligatur  ein  Hinderniss  gesezt ;  das  Blut  stockt  bis  zu  dem 
nächsten  Aste  aufwärts;  es  gerinnt,  und  das  Gerinnsel  heftet  sich  zu- 
nächst an  den  rauhen  Rändern  der  zerrissenen  und  nach  innen  umge- 
krämpten  innern  Gefässhäute  fest.  Je  weiter  aufwärts,  desto  mehr  wird 
das  Gerinnsel  noch  von  dem  andrängenden  Blute  bewegt  und  umspült ; 
daher  ist  seine  Gestalt  die  eines  Kegels ,  dessen  Basis  an  der  Unterbin- 
dungsstelle festhaftet,  dessen  freie  Spize  aber  in  der  Richtung  gegen  das 
Herz  bis  zur  Abgangsstelle  des  nächsten  Astes  sich  hinerstreckt.  Ueber 
die  weiteren  Vorgänge  im  Innern  der  Arterie  s.  den  Art.  Thrombosis. 
Wie  im  Lumen  des  unterbundenen  Gef  ässes  ,  so  erfolgt  auch  ausserhalb 
desselben  ein  Lympherguss  an  der  Ligaturstelle,  so  dass  die  Arterie  da- 
von wie  mit  einem  breiten  Ringe  oder  einer  eiförmigen  Geschwulst ,  in 
welcher  nur  eine  Oeffnung  für  die  Ligaturfäden  zurückbleibt,  umgeben 
wird.  Weil  aber  die  mechanische  Reizung  durch  den  Unterbindungs- 
faden fortdauert,  so  entsteht  an  der  von  der  Ligatur  umschlossenen  Stelle 
der  Arterie  eine  beschränkte  Eiterung ,  wodurch  früher  oder  später  die 
Ligatur  mit  dem  durch  dieselbe  gefassten  Gef  ässtheil  ausgestossen  wird : 
die  zurückbleibende  kleine  Eiterhöhle  schliesst  sich  darauf  durch  Granu- 
lation oder  durch  ein  plastisches  Exsudat.  —  Ausser  diesen  Örtlichen  Er- 
scheinungen ,  welche  nach  Unterbindungen  von  Arterien  wahrgenommen 
werden,  sehen  wir  aber  auch,  namentlich  bei  Unterbrechung  der  Circula- 
tion  in  grösseren  Gef  ässen ,  ein  besonderes  Streben  der  Natur ,  die  be- 
wirkte Störung  auszugleichen.  Zunächst  wird  der  Theil,  zu  welchem  die 
Arterie  verläuft,  beträchtlich  kühler*  einige  Zeit  daraufnimmt  die  Tem- 
peratur wieder  zu  und  steigt  oft  sogar  über  die  normale  Höhe.  Lässt  diese 
Erhöhung  der  Temperatur  lange  auf  sich  warten,  so  hat  man  zu  befürch- 
ten, dass  der  Theil  brandig  werde.  Auch  sind  alle  Muskeln,  welche  durch 
Aeste ,  die  unterhalb  der  Unterbindungsstelle  entspringen  ,  versorgt  wer- 
den ,  gleich  nach  der  Unterbindung  und  in  der  nächsten  Zeit  darauf  ge- 
lähmt. —  Höchst  interessant  ist  nun  der  Vorgang,  durch  welchen  nach 
der  Unterbrechung  des  Hauptarterienstamms  eines  Körpertheils  der  Kreis- 
lauf in  demselben  wieder  hergestellt  wird.  Nach  einem  physikalischen 
Geseze  strömt  eine  Flüssigkeit  stärker  dahin  ,  wo  sie  am  wenigsten  Hin- 
dernisse findet ;  so  wird  auch  hier  das  Blut  in  grösserer  Menge  und  mit 
verstärkter  Gewalt  gegen  die  oberhalb  der  verschlossenen  Stelle  entsprin- 
genden Aeste  getrieben.  Die  Folge  davon  ist,  dass  sich  diese  sehr  schnell 
erweitern   und  zwar  unter  gleichzeitiger  Verdichtung  ihrer  Wandungen, 


UNTERBINDUNG  DER  GEFAESPE.  937 

woher  es  kommt ,  dass  auch  derjenige  Abschnitt  der  Extremität,  welcher 
aus  dem  unterhalb  der  Unterbindungsstelle  gelegenen  Theile  des  Gef ässes 
sein  Blut  erhalten  sollte,  vollständig  wieder  damit  versehen  wird.  Diese 
erweiterten  Arterienäste ,  welche  mit  den  unterhalb  der  Ligatur  entsprin- 
genden aufsteigenden  Zweigen  anastomosiren,  erhalten  alsdann  den  Namen 
Collateralgefässe  und  der  durch  sie  hergestellte  Blutlauf  heisst 
Collateralkreislauf.  Zu  bemerken  ist,  dass  durch  eine  zu  mäch- 
tige und  schnelle  Entwicklung  des  Collateralkreislaufs  der  Erfolg  der  Un- 
terbindung vereitelt  werden  kann,  indem  er  dem  kranken  Theile  des  Ge- 
f ässes  schneller  wieder  Blut  zuführt,  ehe  derselbe  hergestellt  ist.  —  Von 
grosser  Wichtigkeit  und  Gefahr  sind  die  nicht  selten  auf  Unterbindungen 
folgenden  Nachblutungen  aus  der  Operationswunde.  Der 
Grund  dieser  liegt  in  den  meisten  Fällen  in  der  Anwesenheit  eines  nahe 
oberhalb  der  Unterbindungsstelle  abgehenden  Asts ,  wodurch  die  Bewe- 
gung des  Bluts  in  der  Nähe  der  Ligaturstelle  unterhalten  und  somit  die 
Thrombusbildung  gehindert  wird.  Ausser  diesen  können  auch  mangel- 
hafte Gerinnungsfähigkeit  des  Bluts,  Verschwärung  der  Arterie  in  grösse- 
rer Ausdehnung,  eiteriges  Zerfallen  des  Thrombus  selbst,  Durchschneidung 
der  Arterie  durch  die  Ligatur,  bevor  sich  ein  hinreichend  festes  Gerinnsel 
gebildet  hat ,  was  besonders  bei  krankhaften  Arterienhäuten  zu  erwarten 
ist,  eine  Nachblutung  an  der  Unterbindungsstelle  unterhalten.  Man  muss 
alsdann  sofort  das  entsprechende  Ende  der  Arterie  zum  zweiten  Male  un- 
terbinden, wobei  es  aber  gerathen  ist,  dies  in  einiger  Entfernung  von  der 
ersten  Unterbindung  zu  thun ,  da  theils  die  Entzündung  an  dieser  Stelle, 
theils  eine  anderweitige  Erkrankung  der  Arterie  die  Ligatur  nicht  mit 
Erfolg  anlegen  lassen.  —  Bei  der  Unterbindung  einer  Vene  durchschnei- 
det die  Ligatur  die  innere  Haut  derselben  nicht ;  sie  zieht  sie  in  Längen- 
falten und  hinterlässt  einen  sichtbar  ausgezackten  Kreis,  der  anfangs  als 
Trennung  des  Zusammenhangs  erscheint,  es  aber  bei  genauerer  Untersu- 
chung nicht  ist.  —  Die  Indicationen  zur  Unterbindung  der  Arterien 
im  Allgemeinen  sind:  1)  Blutungen  nach Verlezungen  grösserer  Arterien, 
aber  auch  kleiner ,  welche  auf  eine  andere  Weise  nicht  gestillt  werden 
können,  2)  zu  befürchtende  Blutungen  bei  grösseren  Operationen,  wo  der 
Blutverlust  lebensgefährlich  werden  kann,  3)  Aneurysmen  und  Telean- 
giectasien  unter  den  bei  diesen  Krankheiten  angegebenen  Bedingungen, 
4)  Afterorganisationen  und  Degenerationen ,  um  ihnen  den  Nahrungsstoff 
zu  entziehen.  —  Die  Operation  ist  verschieden ,  je  nachdem  es  sich 
von  der  Unterbindung  blutender  Gefässmündungen  oder  von  der  Unter- 
bindung von  Arterien  in  ihrer  gänzlich  oder  doch  theilweise  ungetrennten 
Continuität  handelt,  wozu  jene  in  der  Regel  erst  mittels  Durchschneidung 
der  sie  bedeckenden  Weichgebilde  blossgelegt  werden  müssen. 

A.  Unterbindung  blutender  Gefässenden.  Hierbei 
wird  das  Gef äss  entweder  allein  in  die  Schlinge  gefasst ,  isolirte  oder 
unmittelbare  Unterbindung,    oder  auch  die  zunächst  liegenden 


938  UNTERBINDUNG  DER  GEFAESSE. 

Weichtheile ,  mittelbare  Unterbindung  oder  Umstechung. 
Leztere  Art  von  Unterbindung  ist  schmerzhafter  und  unsicherer ,  als  die 
isolirte,  daher  möglichst  zu  vermeiden.  —  1)  Isolirte  Unterbin- 
dung. Der  Operationsbedarf  besteht  in  einer  gewöhnlichen  oder  besser 
in  einer  Sperrpincette  oder  auch  in  einem  scharfen  Haken  (Arterienha- 
ken, Tenaculu  m),  ferner  doppelten  gewichsten  Fäden  aus  ungebleich- 
tem Zwirn  für  grössere ,  einfachen  für  kleinere  Arterien ,  Schwämmen, 
kaltem  Wasser.  —  Die  Wunde  wird  gereinigt,  der  Operateur  sucht  das 
sprizende  Gefäss  auf  und  fasst  es  mit  der  Pincette  in  einem  gegen  die 
Längenachse  etwas  stumpfen  Winkel  so,  dass  durch  Schliessen  der  Pin- 
cetten  das  Lumen  des  Gefässes  ganz  geschlossen  und  zwischen  den 
Branchen  der  Pincette  ganz  gesehen  wird.  Das  Mitfassen  von  Nerven 
muss  besonders  vermieden  werden,  überhaupt  die  Arterie  so  rein  als  mög- 
lich gefasst  werden.  Ein  Gehülfe  zieht  nun  die  Arterie  etwas  hervor  und 
stellt  die  Pincette  in  einen  rechten  Winkel  gegen  das  Gefäss  ;  es  wird 
dadurch  das  Mitfassen  der  Pincettenarme  in  die  Ligatur  vermieden.  Der 
Gehülfe  verhindert  dieses  auch  leicht  dadurch  ,  dass  er  den  Nagel  seines 
Zeigefingers  vor  der  Spize  der  Pincette  auf  die  Arterie  sezt.  Nun  führt 
der  Operateur  den  Faden  unter  der  Arterie  durch,  schlingt  ihn  über  die- 
ser in  einen  einfachen  Knoten  zusammen  und  fasst  die  Schlinge  zu  beiden 
Seiten  nahe  an  der  Mitte  mit  Daumen  und  Zeigefinger ;  er  schiebt  die- 
selbe ferner  an  dem  Gefäss  möglichst  hoch  hinauf,  legt  sich  die  beiden 
Fadenenden  in  die  flachen  Hände  oder  wickelt  sie  sich  um  die  Ringfinger, 
dreht  die  Hände  um  und  sezt  die  beiden  Zeigefinger  auf  die  Mitte  der 
Ligatur ,  dann  schiebt  er  sie  bis  dicht  an  die  Wundfläche  und  zieht  sie 
gehörig  fest  zusammen.  Ueber  diesen  einfachen  Knoten  wird  sodann  auf 
die  gleiche  Weise  ein  zweiter  geschürzt.  Man  erleichtert  sich  die  Unter- 
bindung bei  engen  und  tiefen  Wunden  durch  Erweiterung  der  AVunde 
oder  durch  Blosslegung  der  Arterie  von  der  Wunde  aus  ;  auf  der  andern 
Seite  darf  auch  kein  zu  grosses  Stück  der  Arterie  gefasst  werden ,  um 
nicht  unnöthiger  Weise  ein  grosses  Stück  derselben  zu  opfern.  Schliess- 
lich schneidet  man  das  eine  Fadenende  nahe  am  Knoten  ab  und  führt 
das  andere  auf  dem  nächsten  Wege  aus  der  Wunde  heraus ,  um  es  unter 
Vermeidung  von  Anspannung  auf  der  Haut  mittels  Heftpflasterstreifen 
oder  Collodium  zu  befestigen.  —  Operirt  man  ohne  Gehülfen,  so  fasst 
man  mit  einer  Arterienpincette  das  Gefäss  und  schliesst  diese  mittels  der  ihr 
eigenthümlichen  Vorrichtung.  Dann  lässt  man  sie  entweder  am  Gefäss 
hangen  oder  hält  sie  mit  den  Zähnen  und  schürzt  auf  die  oben  angege- 
bene Weise  die  Ligatur.  In  Ermangelung  einer  Arterienpincette  schliesst 
man  eine  gewöhnliche  mit  den  Zähnen ,  was  gelingt ,  wenn  man  sie  weit 
in  den  Mund  nimmt.  —  Benüzt  man  den  Arterienhaken,  welcher 
besonders  für  kleinere  Arterien  und,  wo  das  Gefäss  sich  vollkommen  iso- 
liren  lässt,  passt,  so  durchbohrt  man  das  Gefäss  quer  (bei  grösseren  Ge- 
fässen  genügt  es  auch,    wenn  man  nur  eine  Wandung  durchsticht),  zieht 


UNTERBINDUNG  DER  GEFAESSE.  939 

es  hervor  und  verfährt  dann  ganz  wie  bei  der  Pincette.  —  2)  Umste- 
chung. Man  macht  von  ihr  Gebrauch,  wo  man  das  Gefäss  nicht  her- 
vorziehen und  es  selbst  durch  blutige  Erweiterung  der  Wunde  nicht  zu- 
gänglich machen  kann.  Sie  wird  verschieden  gemacht,  je  nachdem  das 
getrennte  Gefäss  in  der  Mitte  einer  grössern  z.  B.  Amputationswunde 
oder  nahe  an  der  Haut  liegt.  Im  ersteren  Falle  sticht  man  eine  Heft- 
nadel etwa  2  —  3  Linien  von  der  Arterie  entfernt  und  ebenso  weit  unter 
derselben  ein ,  lässt  die  Nadel  einen  Halbkreis  in  der  Tiefe  beschreiben, 
zieht  die  Nadel  nach  und  thut  dasselbe  auf  der  zweiten  Seite,  nur  sticht 
man  die  Nadel  über  der  Arterie  ein  und  unter  ihr  aus.  Man  kann  auch 
zwei  Nadeln  an  einem  Faden  benüzen.  Umgibt  der  Faden  so  das  Ge- 
fäss, so  schürzt  man  die  hervorhängenden  Enden  desselben  in  einen  Kno- 
ten, welchen  man  tief  hineindrückt,  schnürt  damit  die  Gefässmündung 
nebst  den  nächsten  Weichgebilden  zusammen  und  macht  darüber  einen 
zweiten  Knoten.  Selten  werden  mehr  als  zwei  Umstechungen  zur  gänz- 
lichen Umgehung  des  Gefässes  nothwendig  sein.  —  Liegt  das  Gefäss  an 
der  Oberfläche,  so  sticht  man  die  Nadel  an  der  Seite  der  Arterie  ein,  geht 
hinter  ihr  herum  und  an  der  andern  Seite  heraus,  worauf  man  den  Faden 
zusammenschnürt.  —  An  dem  aus  der  Wunde  geführten  Fadenende  wird 
nach  erfolgter  Verschwärung  des  durch  den  Knoten  zusammengeschnür- 
ten Gefässrings  die  ganze  alsdann  lose  liegende  Ligatur  leicht  und  sicher 
aus  der  Wunde  entfernt.  Gewöhnlich  sind  8  — 14  Tage  zur  Lösung  der- 
selben erforderlich.  Gewalt  darf  bei  der  Entfernung  niemals  angewen- 
det werden. 

B.  Unterbindung  in  der  Conti nuität  der  Arterien. 
Diese  Operation  erfordert  Blosslegung  der  Arterie  an  einer  Stelle  ihres 
Verlaufs.  Sie  ist  ange  z  e  i  g  t :  1)  bei  bedeutenden  arteriellen  Blutun- 
gen aus  frischen  oder  nicht  frischen  Wunden ,  wo  das  blutende  Lumen 
nicht  gesehen,  nicht  erreicht  werden  kann,  entweder  weil  die  Auffindung 
wegen  Zertrümmerung  des  Gefässes  unmöglich  ist,  oder  weil  die  Gewebe 
durch  Entzündungsproducte  etc.  so  unkenntlich  wurden ,  dass  die  Auffin- 
dung der  blutenden  Mündung  zu  lange  dauern  und  der  Kranke  ein  Opfer 
des  Blutverlusts  werden  müsste;  2)  bei  frischen  Hieb-  oder  Schnittwun- 
den ,  wenn  ein  grosser  Zweig  einer  Arterie  so  nahe  am  Hauptstamm  ab- 
getrennt ist ,  dass  am  Lumen  keine  Ligatur  angelegt  werden  kann ; 
3)  wenn  in  einer  frischen  Wunde  mehrere  Zweige,  die  einzeln  nicht  un- 
terbunden werden  können,  bluten  ;  4)  bei  Blutungen  aus  grösseren  Arte- 
rien ,  die  in  zerfallenden ,  nicht  exstirpirbaren  Neubildungen  liegen ; 
5)  bei  parenchymatösen  Blutungen  in  Folge  ulceröser  oder  brandiger 
Zerstörung  von  Organen  ,  welche  von  einer,  höchstens  zwei  Arterien  mit 
Blut  versorgt  werden;  6)  als  Voract  grösserer  Operationen,  bei  denen 
man  eine  gefährliche  Blutung  fürchtet  und  wo  die  Compression  unmög- 
lich ist;  7)  bei  grossen  Teleangiectasien ,  die  nicht  exstirpirbar  sind; 
8)  bei  Aneurysmen.    —    Man  gebraucht  ausser  den  gewöhnlichen  Instru- 


940  UNTERBINDUNG  DER  GEFAESSE. 

menten  für  chirurgische  Präparation :  eine  Aneurysmanadel ,  Fäden, 
stumpfe  Haken,  Hohlsonde,  Schwämme,  kaltes  Wasser.  —  Operation. 
Nachdem  man  sich  theils  durch  auf  die  Anatomie  gestüzte  Kennzeichen, 
theils  durch  die  Pulsationen  über  die  Lage  der  zu  operirenden  Arterie 
Gewissheit  verschafft  hat,  beginnt  man  die  Blosslegung  derselben  mit  ei- 
nem Hautschnitt ,  der  bei  oberflächlichen  Arterien  möglichst  parallel  mit 
der  Richtung  derselben  läuft,  bei  tieferen  die  Richtung  der  Arterie  mehr 
oder  weniger  kreuzt ,  und  welcher  entweder  von  freier  Hand ,  indem  die 
Haut  mittels  Daumen  und  Zeigefinger  gespannt  wird,  oder  unter  Bildung 
einer  Hautfalte  gemacht  wird.  Alle  tieferen  Schnitte  müssen ,  wo  mög- 
lich ,  in  derselben  Richtung  geschehen  ,  um  die  Bewegungen  des  Instru- 
ments in  der  Tiefe  der  Wunde  während  der  Operation  nicht  zu  hindern. 
Diese  weitere  Durchtrennung  muss,  wo  es  nur  immer  thunlich  ist,  in  Mus- 
kelzwischenräumen geschehen  ;  man  sucht  den  als  Wegweiser  zur  Arterie 
dienenden  oder  sie  bedeckenden  Muskelrand  auf  und  entblösst  denselben 
in  der  ganzen  Ausdehnung  der  Hautwunde,  indem  man  die  ihn  bedecken- 
den Fascien  und  Bindegewebsschichten  in  der  Richtung  seiner  Fasern 
theils  spaltet,  theils  ganz  hinwegnimmt.  Zu  diesem  Behufe  wird  mit  der 
Pincette  zuerst  ein  kleiner  Kegel  der  zu  entfernenden  Gewebe  gefasst 
und  emporgehoben ,  mit  flachgeführtem  Messer  abgetragen ,  durch  diese 
Oeffnung  eine  Hohlsonde  eingeführt  und  auf  dieser  die  Spaltung  vorge- 
nommen. Lockeres  Bindegewebe  kann  man  mit  dem  Scalpellheft  und 
Finger  zerreissen.  Je  tiefer  man  dringt ,  desto  vorsichtiger  führe  man 
das  Messer  und  desto  sorgfältiger  reinige  man  die  Wunde  von  Blutgerinn- 
seln und  stille  jede  irgend  erhebliche  Blutung ,  bevor  man  weiter  geht. 
Die  so  frei  gemachten  Muskelränder  werden  mittels  Wundhaken  von  Ge- 
hülfen aus  einander  gehalten  und  so  das  weitere  Vordringen  zur  Arterie 
erleichtert.  Ist  man  endlich  bis  zu  der  gemeinsamen  Gefässscheide, 
durch  welche  die  Arterie  mit  den  sie  begleitenden  Venen  und  oft  auch 
Nerven  verbunden  wird ,  gelangt ,  so  wird  die  erstere  isolirt,  indem  man 
die  Scheide  mit  der  Pincette  hügelartig  erhebt,  die  erhobene  Falte  mit 
flach  gehaltenem  Messer  abträgt,  in  die  Oeffnung  die  Hohlsonde  einführt 
und  auf  ihr  ein  wenig  dilatirt.  Einige  ziehen  es  vor,  die  erhobene  Falte 
der  Gefässscheide  mit  der  Hohlsonde  zu  zerreissen.  Wie  man  auch  ver- 
fährt, die  Oeffnung  in  der  Arterienscheide  darf  nicht  grösser  sein,  als  zur 
Einführung  der  Unterbindungswerkzeuge  durchaus  erforderlich  igt,  uni 
die  zur  Ernährung  der  Arterie  nöthige  Blutzufuhr  nicht  zu  beeinträchti- 
gen. Indem  man  nun  den  einen  Rand  der  in  der  Gefässscheide  ange- 
brachten spaltf  örmigen  Oeffnung  mit  der  Pincette  fasst,  den  andern  aber 
mit  der  Spize  der  Hohlsonde  oder  dem  Scalpellstiele  von  der  Arterie  äb- 
zerrt,  dringt  man  mit  den  gedachten  Instrumenten  dicht  an  der  Arterie 
immer  weiter  in  die  Tiefe ,  bis  man  sie  endlich  ganz  unter  der  Arterie 
hindurch  zur  entgegengesezten  Seite  hinführen  kann.  Am  besten  dringt 
man   mit  der  Sonde   immer  von  der  Seite  der  Vene  aus  unter  die  Arterie. 


UNTERBINDUNG  DER  GEFAESSE. 


941 


—  Ist  die  Arterie  auf  solche  Weise  isolirt,  so  wird  der  Unterbindungs- 
faden um  sie  herumgeführt.  Man  bedient  sich  hierzu  der  Aneurysma- 
nadel  (meistens  der  Deschamp' sehen)  ,  im  Nothfall  kann  man  auch 
eine  Oehrsonde  dazu  benüzen ,  die ,  um  sie  entsprechend  biegen  zu  kön- 
nen, von  Silber  sein  muss.  Der  Ligaturfaden ,  welcher  aus  zwei  parallel 
neben  einander  liegenden  mit  Wachs  bestrichenen  Zwirnsfäden  besteht, 
kann  in  das  zu  seiner  Führung  bestimmte  Instrument  entweder  vor  oder 
nach  dem  Acte  der  Durchschiebung  desselben  unter  der  Arterie  eingefä- 
delt werden ;  lezteres  ist  bei  tieferen  Arterien  schwieriger.  Schiebt  man 
den  Faden  mit  dem  Instrumente  durch ,  so  fasst  man  denselben ,  sobald 
das  Oehr  zum  Vorschein  gekommen  ist,  mit  der  Pincette,  zieht  ihn  etwas 
vor  und  hält  ihn  fest,  während  die  Nadel  zurückgezogen  wird.  Die  Un- 
terbindungsnadel  wird  von  der  Seite  der  Vene  aus,  um  diese  nicht  zu  ver- 
lezen,  herumgeführt,  wobei  man  so  lange,  bis  die  Nadel  unter  der  Arterie 
ist,  den  betreffenden  Rand  des  Spaltes  in  der  Arterienscheide  mit  der 
Pincette  etwas  anspannt.  Um  sicher  zu  sein,  ob  man  auch  wirklich  unter 
der  Arterie  ist,  drückt  man  diese  auf  der  Nadel  zusammen,  in  welcher  die 
Pulsationen  unter  der  Operationsstelle  cessiren  ;  auch  hebt  man  nach  ein- 
gezogenem Faden  das  Gefäss  mit  diesem  etwas  in  die  Höhe  und  sieht  zu, 
ob  man  dies  allein  gefasst  hat.  Sollte  man  die  Vene  oder  den  Nerven 
mitgefasst,  oder  gar  nicht  die  Arterie  umgangen  haben,  worauf  man  nicht 
sorgfältig  genug  untersuchen  kann ,  so  nimmt  man  die  Ligatur  weg  und 
legt  sie  zweckmässiger  ein.  Hat  man  die  Arterie  mit  der  Nadel  verlezt, 
so  muss  man  sie  an  einer  höhern  Stelle  mit  der  Nadel  umgehen.  Immer 
schiebt  man  die  Ligatur  bis  an  die  obere  Grenze  der  isolirten  Stelle  und 
schlingt  den  Faden  in  einen  einfachen  Knoten.  Ist  der  Knoten  fest  zu- 
sammengezogen, so  untersucht  man  mit  dem  Finger,  ob  die  Arterie  unter 
der  Ligatur  noch  pulsirt ;  ist  dies  nicht  der  Fall,  so  schürzt  man  den 
zweiten  Knoten  und  zieht  ihn  fest  zusammen,  indem  man  die  Enden  des 
Fadens  mit  Daumen  und  Mittelfinger  hält  und  mit  den  Zeigefingern  in 
der  Nähe  des  Knotens  die  Fäden  anspannt.  Des  Weitern  verfährt  man 
wie  bei  der  Unterbindung  blutender  Gef  ässenden.  —  Die  Wunde  schliesst 
man  so  weit,  als  es  die  nothwendig  eintretende  Eiterung  erlaubt.  Ist  der 
Hauptstamm  eines  Gliedes  unterbunden  worden ,  so  muss  das  operirte 
Glied  so  gelagert  werden ,  dass  die  Arterie  nicht  gespannt  ist,  auch  alle 
Muskeln  möglichst  erschlafft  sind.  Bei  bedeutend  niederer  Temperatur 
des  Gliedes,  umgibt  man  dasselbe  mit  warmen  Tüchern,  Flanell,  erwärm- 
ten Kräuter-,  Sand-  oder  Kleiensäckchen  etc,  ;  um  die  Erweiterung  und 
und  Entwicklung  der  Collateraläste  zu  begünstigen. 

Anwendung  der  Ligatur    zur  Heilung  von   Aneurysmen. 

1)  Unterbindung  unmittelbar  am  Aneurysma  mit 
gleichzeitiger  Eröffnung  und  Entleerung  der  Geschwulst. 
Methode  des  Antyllus.  Man  spaltet ,  nachdem  zuvor  der  Blut- 
lauf in  der  aneurysmatischen  Arterie  oberhalb  der  Geschwulst  durch  An- 


942  UNTERBINDUNG  DER  GEFAESSE. 

legung  eines  Turnikets  gehemmt  ist ,  die  das  Aneurysma  bedeckende 
Haut  längs  der  Arterie  in  der  Weise  ,  dass  der  Schnitt  die  Geschwulst 
oben  und  unten  überschreitet,  schneidet  dann  in  derselben  Richtung,  nur 
in  etwas  geringerer  Ausdehnung ,  die  Sackwandungen  ein ,  entfernt  alles 
Blut  aus  der  Höhle  des  Sacks  und  sucht  nun  die  obere  Arterienmündung 
auf,  wozu  man,  wenn  die  Auffindung  Schwierigkeiten  haben  sollte  ,  durch 
Lüftung  des  Turnikets  das  Blut  etwas  sprizen  lässt ,  führt  in  die  Mün- 
dung eine  Sonde  oder  einen  weiblichen  Catheter ,  hebt  damit  die  Schlag- 
ader etwas  auf,  isolirt  diese  und  unterbindet  sie.  Auf  gleiche  Weise  ver- 
fährt man  mit  dem  untern  Arteriende.  Die  Höhle  des  Sacks  füllt  man 
alsdann  mit  trockener  Charpie  aus ,  zieht  den  Sack  mit  Heftpfiasterstrei- 
fen  etwas  zusammen  und  bedeckt  das  Ganze  mit  einer  Compresse  und 
Binde.  —  Diese  Methode  ist  in  Bezug  auf  die  radicale  Beseitigung  des 
Aneurysma  die  sicherste ,  zugleich  aber  wegen  der  Grösse  und  Tiefe  der 
Wunde  und  der  langen  Dauer  der  Eiterung  die  gefährlichste.  Dazu 
kommt  noch  ,  dass ,  wenn  die  Arterie  in  der  Umgegend  des  Aneurysma 
nicht  vollkommen  gesund  ist,  was  bei  allen  Pulsadergeschwülsten,  die 
nicht  traumatischen  Ursprungs  sind,  vorausgesezt  werden  muss ,  gern 
Nachblutungen  folgen.  Sie  ist  daher  grösstenteils  verlassen  und  findet 
nur  in  einigen  bestimmten  Fällen ,  so  wie  in  gewissen  Körpergegenden 
noch  Anwendung ,  nämlich  :  wenn  bei  einem  falschen  diffusen  Aneurysma 
eine  grosse  Menge  coagulirtes  Blut  vorhanden  ist ,  dessen  Resorption 
keine  Wahrscheinlichkeit  hat ,  ferner  wenn  die  aneurysmatische  Ge- 
schwulst brandig  zu  werden  und  aufzubrechen  droht,  endlich  bei  Aneu- 
rysmen auf  der  Dorsal-  und  Volarfläche  der  Hände  und  Füsse.  —  2) 
Unterbindung  der  Arterien  zwischen  dem  Herzen  und 
der  aneurysmatischen  Geschwulst.  Methode  von  Hun- 
ter. Die  wesentlichen  Principien  dieser  Methode  sind ,  die  Arterien 
in  hinreichender  Entfernung  von  dem  Aneurysma  zu  unterbinden ,  um 
sicher  zu  sein ,  dasss  die  Ligatur  keinen  kranken  Theil  des  Gef  ässes 
trifft  und  die  Unterbindung  an  einer  Stelle  auszuführen  ,  wo  dass  Gefäss 
leicht  aufzufinden  und  zu  isoliren  ist.  Die  Operation  selbst  wird  in  der 
oben  angegebenen  Weise  gemacht.  Gewöhnlich  hört  nach  der  Unter- 
bindung die  Pulsation  im  aneurysmatischen  Sacke  auf,  dieser  fällt  zu- 
sammen ,  verkleinert  sich  nach  und  nach  und  verschwindet  zulezt  ganz. 
Nicht  selten  kehren  aber  nach  einiger  Zeit ,  wenn  der  Collateralkreislauf 
sich  einstellt,  Pulsationen  im  Sacke  in  schwächerem  Grade  wieder  und 
dieser  füllt  sich  etwas  mit  Blut.  Meistens  ist  die  Blutströmung  nicht 
bedeutend  und  hört  zulezt  von  selbst  auf.  Nur  bei  Aneurysmen  in  der 
Armbuge ,  auf  der  Dorsal  -  und  Volarfläche  der  Hand  und  des  Fusses 
können  die  zahlreichen  Anastomosen  so  viel  Blut  zuführen ,  dass  das 
Aneurysma  unterhalten  wird ,  in  welchem  Fall  noch  ein  Mal  dem  Sacke 
näher  oder  unterhalb  desselben  eine  Ligatur  angelegt  werden  muss.  — 
Bei  günstigem  Erfolge  der  Operation  geschieht  der  Verschluss  des  Aneu- 


UNTERBINDUNG  DER  GEFAESSE, 


943 


rysma  durch  Blutgerinnsel,  (s.  d.  Art.  Pulsadergeschwülste),  welches 
in  der  Regel  auf  dem  Wege  der  Resorption  allmälig  verschwindet ;  zu- 
weilen tritt  aber  auch  Eiterung  in  der  Geschwulst  und  nach  erfolgtem 
Aufbruch  Heilung  durch  Granulation  ein. —  3)  Unterbindung  zwi- 
schen der  Geschwulst  und  dem  peripherischen  Theil  der 
Arterie.  Methode  von  Brasdor.  Diese  Methode  kommt  zur  An- 
wendung, wo  das  Aneurysma  so  gelagert  ist,  dass  der  Gefässstamm  zwi- 
schen der  Geschwulst  und  dem  Herzen  nicht  mehr  erreicht  werden  kann. 
Dies  ist  der  Fall  bei  den  Aneurysmen  an  der  Carotis  communis, 
der  Art.  anonyma,  subclavia  und  iliaca  externa.  Die  Unter- 
bindung wird  hier  unterhalb  des  aneurysmatischen  Sacks  vorgenommen, 
in  der  Absicht,  durch  die  Stockung  des  Bluts  Veranlassung  zur  Coagu- 
lation  desselben  im  Aneurysma  zu  geben  und  somit  Obliteration  herbei- 
zuführen. Der  Versuch  gelang  zu  wiederholten  Malen  bei  Aneurysmen 
der  Carotis  communis;  Unterbindungen  der  Art.  cruralis  wegen 
Aneurysmen  dieser  oder  der  Art.  iliaca  schlugen  bis  jezt  fehl.  Der 
Grund  hievon  ist  hauptsächlich  darin  zu  suchen,  dass  die  Iliaca  ex- 
terna Zweige  abgibt ,  welche  dem  aneurysmatischen  Sacke  Blut  zufüh- 
ren ,  was  bei  der  Carotis  communis  nicht  der  Fall  ist.  Eine  Bedingung 
des  Gelingens  der  Operation  scheint  auch  zu  sein ,  dass  der  aneurysma- 
tische  Sack  eine  hinreichende  Festigkeit  besizt ,  um  dem  Andringen  des 
Bluts  bis  zur  erfolgten  Gerinnung  zu  widerstehen.  Etwa  aus  der  Puls- 
adergeschvvulst  entspringende  grössere  Aeste  müssen  unterbunden  werden. 
—  Die  Unterbindung  selbst  wird  wie  bei  der  vorigen  Methode  aus- 
geführt. 

Unterbindung   der   einzelnen  Arterien. 

1)  Unterbindung  des  Truncus  anonym  us.  Diese  bis 
jezt  immer  mit  unglücklichem  Ausgange  vollzogene  Operation  wird  auf 
folgende  Weise  ausgeführt :  man  lässt  den  Kopf  des  Kranken  ein  wenig 
nach  hinten  beugen  und  macht  auf  der  rechten  Seite  des  Halses  einen 
2,/2  —  3  Zoll  langen  Einschnitt  an  dem  innern  Rande  des  Stern oclei- 
domastoideus,  der  bis  auf  !y2  Zoll  auf  das  Manubrium  sterni 
herabgeht.  Ein  Gehülfe  zieht  mittels  stumpfer  Wundhaken  die  Wund- 
ränder auseinander.  Der  Operateur  trennt  das  Zellgewebe  und  die 
Fascia  colli,  dringt  dann  mit  dem  linken  Zeigefinger  zwischen  den 
Sternaltheil  des  Kopfnickers  und  den  Muse,  sternohyoideus  nicht 
weit  über  dem  obern  Rande  des  Brustbeins  zur  Carotis.  Nun  lässt  man 
den  Kopf  stark  zurückbeugen  und  geht  mit  dem  Finger  an  der  Carotis 
herab ,  wo  man  an  der  innern  Fläche  des  Manubrium  sterni  die 
Vena  subclavia  dextra  als  eine  blaue  Wulst  findet.  Mit  Hülfe 
des  Scalpellstiels  dringt  man  tiefer  bis  zur  Art.  anonyma,  geht  mit 
dem  linken  Zeigefinger  von  innen  nach  aussen  unter  dieselbe  l/2  Zoll 
weiter  hinab ,  bringt  mit  der  Rechten  eine  Unterbindungsnadel  um  die 
Arterie  und  unterbindet  sie. 


944  UNTERBINDUNG  DER  GEFAESSE. 

2)  Unterbindung  der  Carotis  communis.  Der  Kranke 
liegt  horizontal  mit  erhöhtem  nach  der  gesunden  Seite  hingeneigtem 
Kopfe.  Man  macht  am  innern  Rande  des  M.  sternocleidoma- 
stoideus  einen  2 1/2  Zoll  langen  Schnitt,  welcher,  je  nachdem  man 
höher  oder  tiefer  unterbinden  will,  von  der  Höhe  des  Schildknorpels  oder 
auch  tiefer  anfängt ,  und  über  oder  auf  dem  Sternalende  des  Schlüssel- 
beins endigt,  und  welcher  Haut,  Platysma  myoides  und  die  Fas- 
cia colli  durchdringt.  Der  dadurch  blossgelegte  Sternoclei- 
domastoideus  wird  erschlafft,  indem  man  das  Kinn  nach  der  kran- 
ken Seite  drehen  lässt ,  worauf  man  das  lockere  Zellgewebe ,  welches 
diesen  Muskel  mit  dem  M.  sternohyoideus  verbindet ,  trennt  und 
beide  Muskel  von  einander  ziehen  lässt.  Im  Grunde  der  Wunde  sieht 
man  nun  den  M.  omohyoideus  quer  über  die  Gefässscheide,  in  welcher 
Carotis,  Venajugularis  interna  und  Nerv,  vagus  zusammen- 
liegen ,  und  auf  derselben  den  Ramus  descendens  nervi  hypo- 
g  1  o  s  s  i  verlaufen.  Je  nachdem  man  oberhalb  ,  wo  es  am  leichtesten 
ist,  oder  unterhalb  des  M.  omohyoideus  unterbinden  muss,  lässt  man 
diesen  Muskel  nach  innen  oder  aussen  verziehen.  Hindert  er ,  so  durch- 
schneidet man  ihn.  Man  lässt  dann  die  Jugularvene  nach  aussen  drücken 
und  zugleich  am  obern  Wundwinkel  comprimiren  ,  um  sie  zu  entleeren 
und  öffnet  die  Scheide  auf  der  Carotis  selbst  auf  die  oben  (S.  9  4  0.)  an- 
gegebene Weise.  Nach  gehöriger  Isolirung  der  Arterie  wird  die  Unter- 
bindungsnadel  von  aussen  nach  innen  dicht  hinter  derselben  herumge- 
führt und  der  eingezogene  Faden  zusammengeschnürt.  —  Die  während 
der  Operation  blutenden  Gefässe  unterbindet  man  sogleich ,  um  sich  eine 
freie  Ansicht  der  Wunde  zu  erhalten.  —  Der  Kranke  hält  sieh  ruhig  im 
Bette  mit  etwas  erhöhtem  und  vorwärts  gebeugtem  Kopfe. 

3)  Unterbindung  der  Art.  carotis  externa.  Diese  Ar- 
terie eignet  sich  der  vielen ,  in  kurzen  Distanzen  aus  der  Vordergegend 
derselben  entspringenden  Zweige  wegen  nicht  gut  zur  Unterbindung, 
weshalb  man  es  gewöhnlich  vorzieht ,  die  Carotis  communis  zu 
unterbinden.  Nicht  selten  findet  man  die  Ligatur  dieser  Arterie  als 
Voract  bei  der  Exstirpation  der  Parotis  emfohlen.  —  Nach  Dietrich 
macht  man  parallel  dem  innern  Rande  des  Sternocleidomastoideus  und 
*/j  Zoll  vor  ihm,  einen  Querfinger  vom  untern  Rande  des  Unterkiefers 
beginnend,  einen  2  Zoll  langen  Schnitt  durch  die  Haut,  das  Platysma 
myoides  und  die  F  a  s  c  i  a  colli.  Im  obern  Winkel  der  Wunde  er- 
scheint der  M.  digastricus  und  der  M.  hypoglossus,  welche 
sammt  der  Glandula  submaxillaris  nach  oben  gezogen  werden; 
die  V.  V.  thyreoidea,  subungualis  und  facialis  werden 
nach  unten ,  die  Carotis  interna  und  V.  jugularis  interna, 
so  wie  auch  die  Art.  pharyngea  ascendens  nach  aussen  und  der 
Stamm  der  V.  facialis  nach  innen  gezogen.  Die  nun  zum  Vorschein 
kommende   Carotis  externa   wird   auf   die  bekannte  Weise  blossge- 


UNTERBINDUNG  DER  GEFAESSE. 


945 


legt  und   die  Ligatur  mit  einer   stärk  gekrümmten  Aneurysmanadel  von 
aussen  nach  innen  herumgeführt. 

Die  Aeste  der  Carotis  externa,  nämlich :  die  Art.  t  h  y  - 
reoidea  superior  (welche  man  vorzugsweise  zur  Heilung  des  Kropfs 
unterbindet)  ,  die  Art.  1  i  n  g  u  a  1  i  s  und  die  Art.  m  axillaris  ex- 
terna können  alle  durch  den  für  ihren  Hauptstamm  angegebenen  Schnitt 
blossgelegt  werden.  —  Für  die  Art.  thy  reoide  a  sup  erior  hat  man 
noch  ein  anderes  Verfahren  angegeben,  nämlich  einen  Querschnitt  unter 
dem  grossen  Hörn  des  Zungenbeins.  —  Die  Unterbindung  der  Art.  ma- 
xillaris  externa  geschieht  leichter  am  Winkel  des  Unterkiefers ,  wo 
man  sie  deutlich  etwa  3  —  4  Linien  vom  vordem  Rande  des  Masseters 
fühlt.  Der  Einschnitt  wird  senkrecht  dem  Rande  dieses  Muskels  ent- 
sprechend am  besten  unter  Erhebung  einer  Hautfalte ,  da  die  Arterie  sehr 
oberflächlich  liegt ,  gemacht.  —  Die  Art.  temporalis  legt  man  am 
besten  durch  einen  zolllangen  zwischen  dem  Ohre  und  dem  Kieferge- 
lenke verlaufenden  vertikalen  Schnitt  bloss. 

4)  Unterbindung  der  Art.  subclavia.  Die  Unterbindung 
dieses  Gefässes  bietet  sowohl  anatomisch  als  chirurgisch  fast  unübersteig- 
liche  Hindernisse  dar :  es  ist  bei  ihr  die  Vena  jugularis,  der  N. 
phrenicus,  recurrens  vagi,  die  Pleura  gefährdet ,  neben  dem 
dass  es  sehr  fraglich  ist,  ob  es ,  besonders  an  der  sehr  kurzen  rechten 
Subclavia,  zu  einer  ausreichenden  Thrombusbildung  kommen  werde.  — 
Es  gibt  drei  Unterbindungsmethoden  für  die  Subclavia :  an  der  innern 
Seite  der  Scaleni ,  zwischen  ihnen  und  an  der  äussern  Seite  derselben. 
—  Die  Schnitte  für  die  Unterbindung  an  der  innern  Seite 
der  Scaleni  fallen  ganz  mit  denen  für  die  Unterbindung  der  Art. 
anonyma  zusammen.  Man  zieht  die  Arterie  vor,  um  die  Ligatur  an 
ihrer  innersten  Seite ,  bevor  sie  noch  einen  Zweig  abgibt ,  unterbinden 
zu  können.  —  Unterbindung  zwischen  den  Mm.  scaleni s. 
Man  führt  vom  Sternalende  der  Clavicula,  der  Richtung  dieser  folgend  und 
ein  wenig  über  ihr,  einen  etwa  2,/a  Zoll  langen  Schnitt  nach  auswärts, 
welcher  die  Haut  und  das  Platysma  myoides  trennt.  Nun  schneidet 
man  den  Claviculartheil  des  Sternocleidomastoideus  vorsichtig  (wegen 
der  V.  jugularis  anterior)  auf  der  Hohlsonde  ein ,  lässt  die  V.  j  u- 
gularis  interna  nach  innen  ziehen  und  durchtrennt  den  M.  sca- 
lenus  anticus  etwas  über  der  ersten  Rippe  und  wo  möglich  nicht 
vollständig,  wodurch  noch  am  ehesten  die  sonst  fast  unvermeidliche  Ver- 
lezung  des  N.  Phrenicus,  so  wie  der  Art.  mammaria  interna 
umgangen  wird.  —  Unterbindung  an  der  äussern  Seite  der 
M.  scaleni.  Nachdem  die  Schulter  des  Kranken  so  viel  als  möglich 
nach  unten  gedrückt  ist,  macht  man  einen  Schnitt,  welcher  in  die  Mitte 
des  Dreiecks  fällt,  welches  vom  hintern  Bauche  des  M.  omohyoide.us, 
dem  hintern  Rande  des  M.  sternocleidomastoideus  und  dem 
Schlüsselbein  gebildet  wird ;  man  sezt  daher  das  Scalpell  2  Zoll  über 
Burger,  Chirurgie.  QQ 


.946  UNTERBINDUNG  DER  GEPAESSE. 

dem  Schlüsselbein  am  hintern  Theil  der  Clavicularportion  des  Kopfnickers 
an,  führt  es  nach  aussen  und  unten  schief  bis  zur  Mitte  des  obern  Ran- 
des der  Clavicula  und  trennt  so  Haut  und  Platysma  myoides.  Da- 
bei hat  man  sich  zu  hüten ,  die  V.  jugularis  externa  oder  die  V. 
transversa  scapulae  und  colli  zu  verlezen.  Dann  trennt  man 
das  Zellgewebe  mit  dem  Scalpellhefte,  damit  die  sich  mit  dem  M.  omo- 
hyoideus  kreuzende  Art.  transversa  colli  und  die  vor  der  Art. 
subclavia  laufende  A.  transversa  scapulae  nicht  verlezt  werde, 
von  denen  die  Erhaltung  des  Arms  grösstentheils  abhängt.  Man  geht 
nach  dem  äussern  Rande  des  M.  scalenus  anticus,  der  etwas  vor 
dem  äussern  Rande  des  Sternocleidomastoideus  hervorragt  und 
findet  die  Art.  in  dem  Winkel,  welchen  jener  Muskel  mit  der  ersten 
Rippe  macht ,  an  der  äussern  Seite  des  an  lezterer  befindlichen  Tuber- 
culums.  Man  isolirt  mit  dem  Scalpellstiele  die  Arterie  von  der  Vene 
und  dem  Plexus  brachialis  und  führt  den  Ligaturfaden  mit  einer 
kleinen  aber  stark  gekrümmten  Aneurysmanadel  von  der  innern  Seite  her 
um  den  auf  der  Rippe  liegenden  Theil  der  Arterie  herum. 

5)  Unterbindung  der  Art.  mammaria  interna.  Man 
macht  einen  Schnitt  in  der  Mitte  des  Zwischenrippenraums,  der  einige 
Linien  einwärts  vom  Seitenrande  des  Sternums  beginnt  und  sich  2  Zoll 
lang  nach  aussen  erstreckt,  durch  die  Haut,  denM.  pectoralis  major 
und  den  intercostalis  internus,  dann  durchtrennt  man  das  Zell- 
gewebe mit  Pincette  und  Hohlsonde ,  isolirt  so  die  Arterie  von  ihren  zwei 
Venen  und  legt  die  Ligatur  an. 

6)  Unterbindung  der  Art.  axillaris.  Man  kann  diese 
Unterbindung  unter  dem  Schlüsselbein  oder  in  der  Achselhöhle  vornehmen. 
—  Unterbindung  unter  dem  Schlüsselbein  (auch  Unter- 
bindung der  Art.  subclavia  unterhalb  des  Schlüsselbeins  genannt). 
Der  Kranke  sizt ,  die  Schulter  der  leidenden  Seite  wird  rück  -  und  ab- 
wärts gedrückt  und  ein  Gehülfe  steht  zur  etwaigen  Compression  der  Art. 
subclavia  gegen  die  erste  Rippe  bereit.  Man  macht  durch  die  Haut 
und  den  untern  Theil  des  Platysma  myoides  einen  Schnitt  längs 
dem  untern  Rande  des  Schlüsselbeins ,  welcher  1  Zoll  von  dessen  Ster- 
nalende  anfängt  und  3  —  4  Zoll  bis  zu  der  Furche  geht ,  welche  sich 
zwischen  M.  pectoralis  major  und  deltoideus  befindet;  die 
an  dem  vordem  Rande  des  leztern  liegende  Vena  cephalica  muss 
geschont  werden.  In  derselben  Richtung  und  Länge  wird  der  Cla- 
viculartheil  des  grossen  Brustmuskels  durchschnitten  und  etwas  nach  ab- 
wärts umgeschlagen,  worauf  nach  vorsichtiger  Trennung  der  Fascia 
coraco-clavicularis  der  Pectoralis  minor  erscheint ,  welcher 
vom  Processus  coracoideus  abwärts  laufend ,  den  äussern  Winkel 
des  Schnitts  kreuzt.  Bringt  man  die  Fingerspize  zwischen  seinen  obern 
Rand  und  den  untern  Rand  des  Schlüsselbeins ,  so  findet  man  die  Ar- 
terie ;   an  ihrer  äussern  Seite  liegt  der  Plexus  brachialis,  an  der 


UNTERBINDUNG  DER  GEFAESSE.  947 

innern  die  Vena  subclavia,  welche  die  Arterie  einigermassen  deckt. 
Man  sondert  nun  mittels  des  Scalpellstiels  die  Theile  sorgfältig  von  der 
Arterie  und  bringt  von  der  auf  die  Seite  gezogenen  Vene  aus ,  also  von 
innen  und  unten  nach  aussen  und  oben  die  Unterbindungsnadel  um  die 
Arterie  herum.  Die  Ligatur  muss  oberhalb  des  Ursprungs  der  A  a.  tho- 
racic a  e  angelegt  werden,  weil  diese  sonst  die  Thrombusbildung  hindern 
würden,  -r—  Unterbindung  von  der  Achselhöhle  aus.  Der 
Arm  wird  stark  abducirt  und  gegen  den  Kopf  erhoben  und  nach  Ent- 
fernung der  Haare  am  innern  Rande  des  M.  coracobrachialis  (vor- 
dere Achselfalte)  die  Haut  in  einer  Länge  von  2  —  3  Zoll  eingeschnitten 
und  hierauf  die  Fascia  in  derselben  Richtung  auf  der  Hohlsonde  ge- 
spalten Unmittelbar  hinter  dem  hiedurch  entblössten  innern  Rande 
des  Coracobrachialis,  etwas  nach  innen  von  ihm ,  trifft  man  auf 
die  von  den  zwei  Ursprungswurzeln  des  Nerv,  medianus  umfasste  Ar- 
terie ,  welche  man  mit  der  Spize  einer  gut  gerundeten  Hohlsonde  isolirt 
und  unterbindet. 

7)  Unterbindung  der  Art.  brachialis.  Man  macht ,  wenn 
die  Unterbindung  der  Arterie  in  der  Mitte  des  Oberarms  vollzogen  wer- 
den soll ,  bei  rechtwinklig  vom  Stamme  abducirtem  Arme  längs  dem 
Ulnarrande  des  M.  b  i  c  e  p  s  einen  2  Ifa  Zoll  langen  Hautschnitt ,  trennt 
dann  in  derselben  Ausdehnung  die  Fascia  superficialis,  was  am 
besten  auf  der  Hohlsonde  geschieht.  Unmittelbar  unter  der  Fascie  liegt 
die  Arterie  am  Rande  des  M.  biceps,  zwischen  ihren  beiden  Venen,  an 
ihrer  Ulnarseite  der  N.  cutaneus  medius,  auf  ihr  oder  auch  an 
einer  ihrer  Seiten  der  N.  medianus  und  an  ihrer  Radialseite  der  N. 
cutaneus  externus.  Man  sondert  die  Arterie  von  ihren  Umgebungen 
und  unterbindet  sie.  —  In  der  Armbeuge  macht  man  den  Einschnitt 
dicht  am  innern  Rande  der  Sehne  des  Biceps  ,  gerade  über  der  daselbst 
fühlbaren  Vertiefung  und  findet  die  Arterie  nach  Trennung  der  Aponeu- 
rose  an  der  äussern  Seite  des  N.  medianus. 

8)  Unterbindung  der  Art.  ulnar is.  a)  Am  obern 
Theile  des  Vorderarms.  Man  macht  an  dem  Radialrande  des 
Flexor  carpi  ulnaris,  den  man  durch  abwechselnde  Beugung  und 
Streckung  der  Hand  stärker  hervortreten  macht ,  einen  2  Zoll  unterhalb 
des  Condylus  humer i  internus  beginnenden  2 1/.2  Zoll  langen 
Schnitt  durch  die  Haut  und  durchschneidet  in  derselben  Richtung  und 
Länge  die  Fascia  antibrachii.  Nach  aussen  von  dem  genannten 
Muskel  tritt  nun  der  Flexor  digitorum  sublim  is  zu  Tage, 
welcher,  wenn  er  mit  dem  Flexor  carpi  ulnaris  verwachsen  ist,  von 
diesem  getrennt  wird.  Diese  zwei  Muskeln  werden  mit  Wundhaken  aus- 
einander gezogen ,  worauf  zwischen  ihnen  in  der  Tiefe  in  Begleitung  von 
zwei  Venen  und  dem  N.  ulnaris  (an  der  Ulnarseite)  die  Arterie  er- 
scheint, welche  sofort  isolirt  und  unterbunden  wird.  —  b)  Am  untern 
Dritttheile   des  Vorderarms   verläuft  die   Art.    ulnaris   mehr 

60* 


948  UNTERBINDUNG  DER  GEFAESSE. 

oberflächlich  zwischen  der  Sehne  des  Flexor  carpi  ulnaris  und 
der  des  Flexor  digitorum  sublimis,  von  ersterer  etwas  bedeckt. 
Ein  zwischen  diesen  beiden  Muskeln  verlaufender ,  Mg  Zoll  oberhalb  des 
Os  pisiforme  endender,  lVg  —  2  Zoll  langer  Schnitt  durch  Haut 
und  Fascie  legt  die  Arterie  bloss. 

9)  Unterbindung  der  Art.  radialis,  a)  Am  obern 
Theile  des  Vorderarms.  Man  macht  etwa  lll2  Zoll  unter  der 
Armbeuge  und  nahe  unterhalb  der  Insertion  der  Sehne  des  M.  b  i  c  e  p  s 
längs  der  schiefen  Richtung  des  Ulnarrandes  vom  M.  supinator  lon- 
gus  einen  Hautschnitt  von  2  —  2 1jl2  Zoll ,  trennt  in  derselben  Richtung 
die  Fascia  antibrachii,  gelangt  dann  zu  dem  innern  Rande  des 
genannten  Muskels,  schiebt  diesen  etwas  nach  aussen  und  durchschneidet 
das  unter  ihm  gelegene  tiefe  Blatt  der  Fascia  antibrachii,  unter 
welchem  die  nach  innen  vom  Pronator  teres  und  Palmaris  lon- 
gus  begrenzte  und  von  zwei  Venen  begleitete  Arterie  liegt.  —  b)  Am 
untern  Theile  des  Vorderarms  fühlt  man  die  Arterie  deutlich  - 
pulsiren ,  und  macht ,  um  sie  zu  entblössen ,  einen  1/2  Zoll  über  dem 
Handgelenke  endenden,  l1/2  Zoll  langen  Schnitt,  welcher  an  der  Ra- 
dialseite der  Sehne  des  Flexor  carpi  radialis  durch  Haut  und 
Fascie  geführt  wird.  Zwischen  jener  Sehne  und  der  des  Supinator 
1  o  n  g  u  s  findet  man  die  Arterie. 

10)  Unterbindung  der  Aorta  abdominalis.  Diese  kann 
nur  in  der  Strecke  zwischen  der  Bifurcation  und  dem  Ursprünge  der  Art. 
mesaraica  inferior  vorgenommen  werden.  —  Kopf  und  Brust 
liegen  hoch,  die  Oberschenkel  gegen  das  Becken  gebeugt,  die  Bauch- 
höhle wird  durch  einen  3  —  4  Zoll  langen  Schnitt ,  welcher  nahe  an 
der  Linea  alba  zur  linken  Seite  des  Nabels  geführt  wird  und  diesen 
mit  einer  leichten  Concavität  umgeht.  Man  schneidet  zunächst  nur 
bis  auf's  Bauchfell  und  spaltet  dieses  dann  mit  grosser  Vorsicht,  um 
einen  Vorfall  der  Gedärme  zu  verhüten.  Hierauf  wird  der  Darmkanal 
so  viel  als  möglich  nach  Rechts  gedrängt,  der  Zeigefinger  auf  die  Aorta 
gesezt  und  das  sie  bedeckende  Blatt  des  Peritonaeum  mit  dem  Nagel 
zerrissen.  Derselbe  Finger  muss  auch  unter  die  Arterie  zu  dringen  su- 
chen ,  so  dass  auf  ihm  die  Unterbindungsnadel  um  das  Gef  äss  herumge- 
führt werden  kann.  Zweckmässiger- als  dieses  A.  C  o  op  er 'sehe  Ver- 
fahren ist  es ,  das  Bauchfell  nicht  zu  öffnen ,  sondern  dasselbe  von  der 
Seite  her,  nach  Ausführung  eines  links  von  der  lezten  Rippe  nach  der 
Spina  ilei  anterior  super i o r  geführten  gekrümmten  Schnitts, 
bis  zur  Arterie  hin  zu  verdrängen.  Auf  diese  Weise  operirten  J.  Murray 
und  Candido  Borges. 

11)  Unterbindung  der  Art.  iliaca  communis.  Von  den 
verschiedenen  Schnittführungen ,  welche  zur  Blosslegung  dieser  Arterie 
angewendet  wurden,  gewährt  der  von  Dumreicher  den  meisten  Raum. 
Der  4 — 5  Zoll  lange  Schnitt  beginnt   21/2   Zoll  oberhalb   der  Richtung 


UNTERBINDUNG  DER  GEFAESSE.  949 

einer  Linie ,  welche  man  sich  von  der  Spina  i  1  e  i  a  n  t.  sup.  quer  zur 
Linea  alba  gezogen  denkt,  einige  Linien  vom  Rande  des  M.  rectus 
abdominis,  und  endigt  schief  verlaufend  an  der  genannten  Spina 
i  1  e  i.  Dieser  Schnitt  durchtrennt  die  Haut  und  die  muskulösen  Bauch- 
wandungen bis  auf  die  Fascia  transversa;  in  diese  macht  man  in 
der  Nähe  der  Cr  ist  a  ilei  einen  kleinen  Einschnitt,  führt  durch  diesen 
eine  Hohlsonde  ein  und  erweitert  den  Schnitt.  Das'  Peritonäum  löst  man 
mit  den  Fingern  ab,  drängt  dasselbe  von  der  Umschlagsstelle  aus  gegen 
den  Nabel  hin  und  lässt  es  hier  mit  breiten  Spateln  fixiren,  während  man 
den  Kranken  nach  der  gesunden  Seite  hin  wenden  lässt.  Mit  dem  Peri- 
tonäum werden  gleichzeitig  der  Ureter  und  die  Vasa  spermatica  auf- 
wärts geschoben.  Die  Arterie  findet  man  gewöhnlich  sehr  leicht ,  auch 
ist  sie  leicht  zu  isoliren,  schwieriger  ist  jedoch  wegen  der  Tiefe  der  Wunde 
das  Herumführen  der  Nadel.  Diese  wird  wegen  der  Lage  der  Venen 
rechterseits  von  aussen  nach  innen,  linkerseits  von  innen  nach  aussen  ge- 
führt. —  M  o 1 1  und  U h d  e  führen  den  Schnitt  längs  des  Poupart'- 
schen  Bandes. 

12)  Unterbindung  der  Art.  i  1  i  a c a  interna.  Es  ist  hier 
zunächst  dasselbe  Verfahren  einzuschlagen,  wie  für  die  Unterbindung  der 
Iliaca  communis.  Hat  man  die  Theilungsstelle  erreicht,  so  muss 
man  auf  der  Iliaca  interna  selbst  mit  dem  Zeigefinger  abwärts  drin- 
gen, um  die  Ligatur  in  einiger  Entfernung  von  jener  anlegen  zu  können 
und  somit  einer  völligen  Thrombusbildung  sicher  zu  sein.  Das  Anlegen 
der  Ligatur  ist  mit  grossen  Schwierigkeiten  verbunden. 

13)  Unterbindung  der  Art.  iliaca  externa.  Das  zweck- 
raässigste  Verfahren  ist  folgendes  :  Nachdem  der  Kranke  horizontal ,  mit 
etwas  erhöhtem  Steisse,  an  dem  Rand  des  Bettes  gelagert  ist ,  trennt  der 
an  der  leidenden  Seite  stehende  Operateur  die  Bedeckungen  durch  einen 
Schnitt,  welcher  sich  parallel  dem  Po  upart 'sehen  Bande,  8 — 1  0  Linien 
über  ihm ,  in  einer  Länge  von  2  !/2  Zoll  so  erstreckt ,  dass  die  Mitte  des 
Schnittes  der  Mitte  dieses  Bandes  entspricht.  Nach  gestillter  Blutung 
schneidet  man  unter  Anwendung  der  Hohlsonde  zuerst  die  oberflächliche 
Schicht  der  Bauchmuskeln  und  nachdem  man  diese  sammt  dem  Samen- 
strang mit  einem  Wundhaken  nach  aufwärts  gezogen  hat ,  vorsichtig ,  um 
das  Bauchfell  nicht  zu  verlezen,  voni  äussern  Wundwinkel  her  die  Fas- 
cia transversa  durch.  Nun  sieht  man  das  subperitonäale  Zellgewebe, 
in  welchem  die  Art.  epigastrica  und  ihre  zwei  Venen  fast  von  der 
Mitte  des  P  o  u  p  a  r  t '  sehen  Bandes  schief  aufsteigen.  Dieses  Zellgewebe 
durchtrennt  man  mit  den  Fingern  und  drängt  den  ganzen  Peritonäalsack 
sammt  den  darin  enthaltenen  Eingeweiden  nach  oben  und  innen,  wo  man 
ihn  am  besten  mit  Spateln  fixiren  lässt.  Der  Operateur  dringt  nun  mit 
dem  Finger  im  untern  Wundwinkel  zum  Rande  des  kleinen  Beckens,  wel- 
cher hier  vom  Psoas  gebildet  wird.  Dort  findet  man  die  Arterie  und 
verfolgt  sie  bis  zu  der  Stelle ,   wo  sie  unterbunden  werden  soll ,  aufwärts. 


950  UNTERBINDUNG  DER  GEFAESSE. 

Hier  wird  sie  an  einer  kleinen  Stelle  vorsichtig  mit  stumpfen  Instrumenten 
mit  Schonung  der  an  ihrer  innern  Seite  gelegenen  Vene  entblösst  und 
schliesslich  von  der  Venenseite  her  die  Aneurysmanadel  um  die  Arterie 
herumgeführt. 

14)  Unterbindung  der  Art.  epigastrica.  Nach  V e  1  - 
p  e  a  u  macht  man  einen  2  Zoll  langen  Schnitt  durch  die  Haut  parallel 
mit  der  Richtung  des  F  a  1 1  o  p  i '  sehen  Bandes  ,  dann  durch  die  Aponeu- 
rose  des  M.  obliquus  externus.  Hierauf  zieht  man  die  untern 
Fasern  des  M.  o b  1  i q.  int.  aus  einander ,  indem  man  sie  in  die  Höhe 
hebt ,  und  legt  den  Samenstrang  bloss.  Nun  folgt  man  seiner  obern 
Flache ,  um  zum  äussern  Leistenring  zu  gelangen.  Das  innere  Leisten- 
band ,  auf  dessen  hinterer  Fläche  die  Arterie  liegt ,  durchschneidet  man 
mit  dem  Scalpell  oder  zerreisst  es  mit  der  Sonde,  so  dass  die  Arterie 
blossgelegt  wird,  welche  in  einem  bisweilen  ziemlich  dichten  Gewebe  ein- 
gehüllt ist.  Man  lässt  die  Wundränder  auseinander  halten ,  isolirt  die 
Arterie  von  ihren  beiden  Venen ,  zwischen  welchen  sie  liegt  (ist  nur  eine 
Vene  vorhanden,  so  liegt  diese  an  der  innern  Seite  der  Arterie)  und  unter- 
bindet sie.  —  Dieterich  schlägt  vor,  einen  2  Zoll  langen  geraden  Ein- 
schnitt 4  Querfinger  über  der  Schamfuge  und  2  Zoll  von  der  Linea  alba 
nach  aussen  entfernt  durch  die  Haut  und  Muskeln  zu  machen  ,  worauf 
man  die  Arterie  auf  einem  aponeurotischen  Blatte  mit  1  oder  2  Venen 
finden  werde. 

15)  Unterbindung  der  Art.  spermatica.  Maunoir, 
welcher  die  Unterbindung  dieser  Arterie  bei  Sarcocele  zuerst  ausgeführt 
hat ,  macht  in  der  Richtung  des  Samenstrangs  unterhalb  des  Bauchrings 
mit  oder  ohne  Faltenbildung  einen  Einschnitt  von  1 1/2  Zoll  Länge  ;  man 
isolirt  die  Arterie ,  unterbindet  jede  Arterie  doppelt  und  schneidet  sie 
zwischen  den  Ligaturen  durch.  Dieses  Verfahren  ist  wegen  der  Isolirung 
der  Arterien  sehr  schwierig.  Zweckmässiger  ist  es  nach  D  i  e  t  e  r  i  c  h ,  die 
Arterie  oberhalb  des  Bauchrings  aufzusuchen.  Man  'macht  zu  diesem 
Behufe  2  Querfinger  breit  von  der  Symphys.  oss.  pubis  nach  aussen 
entfernt  dicht  oberhalb  des  äussern  Bauchrings  einen  Einschnitt,  den  man 
2  Zoll  lang  etwas  schief  nach  aussen  und  oben  fortführt.  Nach  Tren- 
nung des  Zellgewebes  und  des  M.  obliquus  extern.,  intern,  und 
transversus  löst  man  das  Bauchfell  von  seiner  zelligen  Verbindung 
und  findet  nun  den  Samenstrang  blossgelegt ;  durch  vorsichtige  und  feine 
Schnitte  theilt  man  dessen  häutige  Hüllen.  Man  isolirt  nun  die  Arterie, 
welche  an  der  äussern  Seite  des  Vas  deferens  und  vor  demselben 
nach  abwärts  läuft ,  unterbindet  sie  doppelt  und  durchschneidet  sie  zwi- 
schen den  Ligaturen. 

16)  Unterbindung  der  Art.  glutaea,  ischiadicaund 
pudenda  interna.  Man  macht  einen  tiefen  Schnitt  in  der  Richtung 
einer  Linie,  welche  von  der  Crista  ilei  zwei  Zoll  über  und  vor  der 
Spina  ilei  posterior  superior   anfängt  und  am  Tuber  i  s  c  h  i  i 


UNTERBINDUNG  DER  GEF AESSE.  951 

endet ;  der  Schnitt  wird  bogenförmig  geführt ,  so  dass  seine  Concavität 
gegen  das  O  s  sacrum  gerichtet  ist.  Nachdem  man  bis  auf  den  M. 
pyriformis  vorgedrungen  ist,  findet  man  von  oben  nach  unten  fort- 
schreitend: die  Art.  glutaea  zwischen  dem  obern  Rande  der  Incisura 
ischiadica  und  dem  M.  pyriformis,  die  Art.  ischiadica  an 
der  Basis  des  Sizbeinstachels  und  die  Art.  pudenda  interna  im  un- 
tern Wundwinkel  an  der  Stelle,  wo  sie  um  das  Lig.  sacro-spinosum 
einen  Bogen  bildet.  —  Handelt  es  sich  von  der  Unterbindung  der  Art. 
glutaea,  so  wird  eine  geringere  Verwundung  gesezt ,  wenn  man  den 
Schnitt  von  der  Spina  ilei  post.  sup.  gegen  den  hintern  Rand  des 
Trochanter  major  führt,  indem  dieser  Schnitt  genau  den  Fasern 
des  M.  glutaeus  maximus  entspricht;  er  muss  aber  wegen  der  Dicke 
der  Schichten  wenigstens  4  Zoll  betragen. 

17)  Unterbindung  der  Art.  femoralis  s.  cruralis.  ,  Die 
Art.  cruralis  folgt  einer  Linie  ,  welche  man  von  der  Mitte  des  F  a  1  - 
lopi' sehen  Bandes  zum  hintern  Rande  des  Condylus  internus  fe- 
rn o  r  i  s  zieht.  Von  dem  genannten  Bande  angefangen  lässt  sich  die  Ar- 
terie bis  fast  gegen  das  Ende  des  obern  Drittels  mit  den  Fingern  ver- 
folgen ,  indem  die  Pulsation  derselben  gefühlt  werden  kann.  Von  dem 
Ende  des  obern  Drittels  an  liegt  die  Arterie  etwas  tiefer ,  vom  M.  sar- 
torius  bedeckt,  in  der  Furche  zwischen  dem  Vastus  internus  und 
Adductor,  welche  sich  dadurch  leicht  erkennen  lässt ,  dass  man  den 
Knochen  mit  den  Fingern  umgreift ,  so  dass  die  neben  einander  gelegten 
Fingerspizen  dicht  an  dem  Knochen  vorübergleiten.  —  Die  Wahl  der 
Stelle  richtet  sich  nach  der  indicirenden  Krankheit.  —  a)  Unterbin- 
dung dicht  am  Fallopi'schen  Bande  oder  im  Schenkel- 
buge. Man  macht  bei  ausgestrecktem  Schenkel  einen  Schnitt  durch 
die  Haut  und  das  subcutane  Bindegewebe,  welcher  in  der  Mitte  zwischen 
der  Spina  ant.  sup.  ilei  und  der  Symphysis  ossium  pubis  am 
Fallopi'schen  Bande  anfängt  und  sich  2 — 3  Zoll  abwärts  erstreckt. 
Ist  die  Fascia  superficialis  noch  nicht  getrennt ,  so  geschieht  dies 
jezt  auf  der  Hohlsonde,  das  Gleiche  geschieht  mit  dem  nun  zum  Vorschein 
kommenden  Processus  falciformis  fasciae  latae.  Mit  dem 
lezten  Schnitt  öffnet  man  häufig  die  Gef ässscheide ,  wo  nicht,  so  schlizt 
man  sie  besonders  auf,  worauf  die  nun  deutlich  sichtbare  Arterie  von  der 
an  ihrer  innern  Seite  liegenden  Vene  getrennt  und  von  innen  nach  aussen 
mit  der  Nadel  umgangen  wird.  —  b)  Unterbindung  im  mittleren 
Drittel  des  Schenkels.  Der  an  der  äussern  Seite  des  Gliedes  ste- 
hende Operateur  verfolgt  vom  Fallopi'schen  Bande  aus  die  klopfende 
Arterie  mit  den  Fingern  nach  innen  herab,  bis  dahin,  wo  er  sie  nicht  mehr 
fühlt.  Hier  deckt  der  innere  Rand  des  M.  sartorius  die  Arterie  und 
an  diesem  Punkte,  d.  h.  in  dem  Winkel ,  welcher  durch  den  M.  adduc- 
tor medius  und  vastus  internus  gebildet  wird  ,  muss  der  Schnitt 
enden.      Es  fängt  dieser  eine  kleine  Handbreite  von  der  Schenkelbeuge 


952  UNTERBINDUNG  DER  GEFAESSE. 

an  und  geht  etwa  3  Zoll  lang  bis  zum  innern  Rande  des  M.  sartorius 
herab.  Die  Scheide  des  Sartorius  wird  in  derselben  Ausdehnung  geöffnet 
und  nachdem  er  entblösst  ist ,  an  seinem  innern  Rande  auch  das  tiefe 
Blatt  der  Fascia  lata  auf  der  Hohlsonde  gespalten,  worauf  die  Arterie 
in  der  Tiefe  erscheint ,  welche  man  vom  N.  saphenus  und  der  nach 
hinten  gelegenen  Vene  isolirt  und  von  der  Seite  der  leztern  aus  unter- 
bindet. 

18)  Unterbindung  der  Art.  poplitaea.  Bei  dieser  selten 
nöthig  werdenden  Operation  liegt  der  Kranke  auf  dem  Bauche  und  das 
Bein  ist  im  Kniegelenk  gestreckt ,  so  dass  die  beiden  die  Kniekehle  be- 
grenzenden Muskel-  und  Sehnenstränge  deutlich  hervorspringen.  In  der 
Mitte  der  Kniekehle,  ein  wenig  nach  innen  zu,  macht  man  von  oben  nach 
unten  einen  3  Zoll  langen  Schnitt  durch  die  Haut,  das  Zellgewebe  und 
die  Fascie.  Die  Vena  saphena  und  den  N.  ischiadicus  lässt  man 
nach  aussen  halten.  Man  geht  nun  mit  dem  Scalpellstiele  tiefer ,  trennt 
das  Fett  und  Zellgewebe,  gelangt  so  zur  Vena  poplitaea,  welche  über 
der  Arterie  oder  an  deren  äusserer  Seite  liegt.  Die  Aufsuchung  des  Ge- 
fässes  geschieht  besser  in  der  untern  Hälfte  als  weiter  oben,  weil  die  Ar- 
terie dort  oberflächlicher  liegt.  Bei  der  Umführung  der  Ligatur,  welches 
von  aussen  nach  innen  geschieht,  lässt  man  den  Unterschenkel  beugen. 

19)  Unterbindung  der  Art.  tibialisantica.  Man  lässt 
den  mit  ausgestrecktem  Bein  auf  dem  Rücken  liegenden  Kranken  Be- 
wegungen mit  dem  Fusse  und  den  Zehen  machen,  um  die  Sehne  des  M. 
tibialis  anticus  deutlicher  zu  machen.  An  der  äussern  Seite  dieses 
Muskels  oder,  wo  dieser  nicht  deutlich  zu  fühlen  ist,  einen  Finger  breit 
vom  äussern  Rande  der  Tibia,  schneidet  man,  wo  man  will,  in  einer  Länge 
von  3  —  4  Zoll  ein,  sucht  das  erste  Muskelinterstitium  auf,  durchtrennt 
mit  dem  Finger  und  dem  Scalpellhefte  das  lockere  Bindegewebe ,  lässt 
mit  einem  stumpfen  Haken  den  Exten  so  r  digitor.  pedis  longus 
und  im  untern  Drittel  den  Extensor  hallucis  longus  nach  aus- 
wärts ziehen  und  sucht  am  Zwischenknochenbande  die  nun  freie  Arterie 
von  dem  Nerven  und  ihren  zwei  Venen  zu  isoliren ,  was  sehr  schwierig 
ist.  —  Die  Unterbindung  der  Art.  pediaea  wird  unmittelbar  am Fuss- 
gelenk  durch  einen  Schnitt,  welcher  zwischen  die  Sehnen  des  Extensor 
hallucis  und  Extensor  digitor  um  pedis  communis  longus 
fällt,  ausgeführt ;  weiter  nach  vorn  kann  die  Arterie  auch  an  der  äussern 
Seite  des  Extensor  brevis  hallucis  blossgelegt  werden. 

2  0)  Unterbindung  der  Art.  tibialis  postica.  Am 
obern  Drittel  des  Unterschenkels,  wo  der  tiefen  Lage  des  Gefässes 
wegen  die  Operation  sehr  schwierig  ist ,  verfährt  man  folgendermaßen  : 
Nachdem  der  Kranke  auf  den  Bauch  gelegt  ist ,  macht  der  an  der  innern 
Seite  des  Gliedes  stehende  Operateur  an  dem  innern  Rande  des  Schien- 
beins einen  Schnitt  von  3 — 4  Zoll  Länge  durch  die  Haut,  welcher  vom 
hintern  untern  Theile   der  innern  Tuberosität  anfängt.      Sollte  die  Ven. 


UNTERSCHIENENVERBAND.  953 

saphena  magna  im  Bereiche  des  Schnittes  sein,  so  präparirt  er  die- 
selbe etwas  los  und  zieht  sie  nach  innen,  dann  durchschneidet  er  mit  dem 
Scalpell  die  Fascie  und  die  Fleischfasern  des  S  o  1  e  u  s  ,  welcher  dann  mit 
einem  stumpfen  Haken  abgezogen  wird ,  worauf  eine  sehr  dicke  Aponeu- 
rose,  aus  Sehnenfasern  des  Soleus  und  der  Fascia  cruris  bestehend, 
zu  Gesicht  kommt.  Diese  wird  in  der  ganzen  Länge  des  Schnittes  durch- 
trennt, und  man  sieht  nun  deutlich  die  Arterie  von  ihren  zwei  Venen  um- 
geben ,  der  M.  t  i  b  i  a  1  i  s  liegt  weiter  nach  aussen  ;  man  hebt  nun  das 
Gefässpaket  mit  der  Hohlsonde  oder  der  Aneurysmanadel  etwas  empor 
und  isolirt  und  unterbindet  die  Arterie.  —  Am  mittlem  Drittel  des 
Unterschenkels  macht  man  in  der  Mitte  zwischen  der  Achillessehne  und 
dem  innern  Rande  des  Schienbeins  einen  Längenschnitt  von  2  Zoll,  trennt 
die  Haut  und  das  oberflächliche  Fascienblatt ,  durchreisst  mit  dem  Scal- 
pell das  Zellgewebe,  welches  über  dem  tieferen  Blatte  der  Fascia  cru- 
r  i  s  liegt ,  dann  durchtrennt  man  dieses  Blatt  selbst  in  der  Mitte  der 
Wunde  und  es  wird  die  Arterie  sammt  ihren  Venen  sichtbar ,  welche  so 
isolirt  wird ,  wie  im  vorigen  Falle.  —  Am  leichtesten  ist  die  Unterbin- 
dung dieser  Arterie  in  der  Knöchelgegend,  da  sie  hier  oberflächlich 
liegt.  Man  macht  in  der  Mitte  zwischen  dem  Fersenhöcker  und  dem 
innern  Knöchel  einen  krummen ,  mit  der  Concavität  gegen  den  leztern 
hinsehenden  Schnitt,  welcher  die  Haut  und  Fascie  durchtrennt  und  findet 
gleich  unter  dieser  Fascie  die  Arterie  an  ihrer  vordem  und  hintern  Seite 
von  einer  Vene  umgeben.  Hinter  diesem  Gefässpaket  liegt  der  N.  t  i  - 
b  i  al  i  s. 

21)  Unterbindung  der  Art.  peronaea.  Man  kann  die 
Unterbindung  in  der  Wadengegend  und  in  der  Gegend  der  Achillessehne 
vornehmen.  Bei  beiden  Arten  liegt  der  Kranke  auf  dem  Bauche  mit  dem 
kranken  Unterschenkel  auf  einem  Polster ,  über  dessen  Rand  der  Fuss 
herabhängt ;  der  Operateur  steht  oder  sizt  an  der  Aussenseite  der  kranken 
Extremität.  Operirt  man  in  der  Wadengegend,  so  macht  man  längs 
der  Kante  der  Fibula,  etwa  2  Zoll  von  derselben  entfernt,  einen  Einschnitt 
durch  die  Haut  und  Fascie  von  2  Zoll  Länge,  trennt  den  Soleus  von  der 
Fibula  ab,  legt  stumpfe  Haken  in  die  Wunde,  durchtrennt  das  tiefe  Blatt 
der  Fascia  cruris,  findet  die  Arterie  von  zwei  Venen  umgeben  in  der 
Tiefe  von  1  Zoll  und  isolirt  dieselbe.  —  In  der  Achillessehnen- 
gegend macht  man  am  Rande  der  Fibula  einen  Hautschnitt  von  2  Zoll 
Länge,  durchtrennt  die  Fascie,  zieht  die  Sehne  desM.  peronaeus  lon- 
g  u  s  zur  Seite  und  findet  nach  Durchtrennung  des  tiefen  Blatts  der  Fascie 
die  Arterie  von  2  Venen  umgeben,  dicht  an  der  innern  Kante  der  Fibula. 

UnterSChienenverband,  Hyponarthecie  (vtto,  unter, 
ru,Q$r)'£ ,  Schiene).  Man  versteht  hierunter  solche  Beinbruchverbände, 
welche  der  gebrochenen  Gliedmasse  vorzugsweise  zur  sichern  und  beque- 
men Lagerung  dienen,  dabei  aber  einen  Theil  derselben  unbedeckt  lassen. 


954  UNTERSCHIENENVERBAND. 

Zuweilen  wird  mit  dieser  Lagerung  ein  stellenweise  wirkender  Druck 
oder  eine  geringe  Ausdehnung  verbunden ;  sie  sind  daher  nur  bei  ganz 
einfachen  Brüchen ,  bei  welchen  keine  grosse  Neigung  zur  Verschiebung 
der  Bruchstücke  besteht  oder  bei  complicirten  Knochenbrüchen  anwend- 
bar. —  Die  hierher  gehörigen  Verbände  sind  höchst  verschieden  und  las- 
sen sich  der  Hauptsache  nach  in  Kissen,  Rinnen,  Laden,  Unter- 
lagsbrettchen,  doppelt  geneigte  Ebenen,  Hängematten 
und  Schweben  abtheilen ;  zuweilen  sind  mehrere  dieser  Formen  in 
einem  Apparate  vereinigt.  —  1)  Kissen,  Pulvinar.  Sie  werden  in 
der  Regel  mit  Spreu  oder  Häckerling  gefüllt.  Das  gebrochene  Glied 
wird  in  eine  in  der  Mitte  des  Kissens  gebildete  Furche  gelegt,  die  Seiten- 
tlieile  aufwärts  geschlagen ,  von  allen  Seiten  sanft  angedrückt  und  das 
Kissen  durch  zwei  unter  ihm  durchgeführte  Bänder  zunächst  unter  und 
über  der  Bruchstelle  festgebunden.  Zeigt  sich  eine  Neigung  zur  Dis- 
location,  so  wendet  man  mehr  Bänder  an  und  schiebt  zwischen  diese  und 
das  Kissen  dünne  Holzstäbe  ein.  Dieser  Spreukissenverband  wird 
gegenwärtig  nur  noch  bei  complicirten  und  einfachen  Brüchen  während 
der  Entzündungsperiode  angewendet.  —  2)  Rinnen  oder  Hohlschie- 
nen. Es  sind  dies  gleichmässig  ausgehöhlte  Vorrichtungen ,  in  welchen 
die  untere  Hälfte  des  Umfangs  des  Gliedes  ruht.  Sie  werden  aus  dem 
verschiedensten  Material  angefertigt :  in  der  frühesten  Zeit  benüzte  man 
dazu  Holz,  später  machte  man  solche  aus  Weissblech,  Kupfer,  Blei,  Zink, 
gekochtem  Leder,  Pappe;  in  der  neuesten  Zeit  verwendet  man  mit  gros- 
sem Nuzen  Gutta  percha  dazu  (s.  diesen  Artikel,  so  wie  den  Art.  Kap- 
selverband). Vor  der  Einführung  der  Gutta  percha  hatten  schon 
M  a  y  o  r  und  Bonnet  von  Rinnen  aus  Eisendraht  Gebrauch  gemacht, 
namentlich  hat  M  a  y  o  r  dieser  Art  von  Verbandstücken  eine  grosse  Aus- 
dehnung gegeben  (über  die  Anfertigung  derselben  s.  den  Art.  Schienen). 
—  Vor  ihrer  Anlegung  müssen  die  Rinnen  mit  Compressen,  Charpie  oder 
Baumwolle  gut  ausgepolstert ,  und  an  den  passenden  Stellen  mit  Binden 
(die  starreren  mit  Riemen)  an  die  Extremität  befestigt  werden.  Sie  ge- 
währen zwar  eine  bequeme  Lagerung  des  Gliedes,  sind  aber  doch  nur  zum 
provisorischen  Verband  zweckmässig ,  da  sie  der  Verrückung  der  Bruch- 
enden nicht  gehörig  entgegenwirken.  —  3)  Kästen  oder  Laden. 
Diese  unterscheiden  sich  von  den  Rinnen  dadurch ,  dass  sie  einen  mit 
zwei  ebenen  und  parallelen  Seitenwänden  verbundenen  Boden  darbieten. 
Sie  werden  wie  diese  im  Innern  ausgepolstert,  gewähren  aber  dem  Gliede 
eine  sicherere  Lage ,  namentlich  verhüten  sie  das  Umfallen  der  in  ihnen 
gelagerten  Extremität  nach  innen  oder  aussen  zuverlässiger ,  weil  sie  mit 
einer  breiten  ebenen  Fläche  auf  der  Lagerstätte  ruhen.  Sie  sind  zum 
Auseinanderlegen  ihrer  Wände  und  zum  Verändern  in  der  Länge  und 
Breite  eingerichtet.  Auch  wurde  besonders  die  den  Kasten  am  untern 
Theile  schliessende  senkrechte  Wand,  das  Sohlenstück,  erhöht  und 
gefenstert,   um  sowohl  die  Stellung  des  Fusses  zu  sichern,  als  auch  um 


UNTERSCHIENENVERBANI).  955 

mittels  durchgerührter  Binden  eine  massige  Ausdehnung  des  Fusses  gegen 
das  Sohlenstück  vorzunehmen ,  während  die  Schwere  des  Körpers  als 
Gegengewicht  wirkt.  Baudens  versah  auch  die  Seitenwände  mit  Lö- 
chern ,  um  Binden  durchzuführen  und  auf  die  quer  verschobenen  Bruch- 
stücke einen  seitlich  wirkenden  Druck  ausüben  zu  können.  Kluge 
richtete  das  gefensterte  Sohlenstück  beweglich  ein ,  um  eine  geringe  Ex- 
tension ausführen  zu  können.  Einen  ähnlichen  Kasten,  der  auch  nur  an 
seinem  oberen  Ende  in  halber  Höhe  geschlossen  ist ,  benüzte  Förster 
zu  seinem  Sandverbande.  Der  Kasten  wird  zur  Hälfte  mit  feuchtem 
Sand  gefüllt ,  darauf  die  gebrochene  Gliedmasse  gelegt  und  dann  noch 
soviel  Sand  zugeschüttet ,  bis  dieselbe  zum  grössten  Theile  bedeckt  und 
hierdurch  befestigt  wird.  In  ähnlicher  Weise  wurde  flüssiger  Gyps  ange- 
wendet. S.  den  Art.  Gypsverband.  —  Die  Laden  gewähren  zwar 
dem  Gliede  eine  sichere  Lagerung  und  bieten  auch  den  Vortheil,  dass  ein 
Theil  desselben  frei  und  dem  Auge  blossgelegt  bleibt ,  indessen  sind  sie 
unzureichend,  einer  entschiedenen  Neigung  zur  Dislocation  der  Bruch- 
enden gehörig  entgegen  zu  wirken.  Sie  passen  daher  nur  bei  Brüchen, 
die  zur  Erhaltung  der  Coaptation  einer  geringen  Unterstüzung  bedürfen, 
oder  bei  solchen ,  die  eine  heftige  Anschwellung  und  Entzündung  erwar- 
ten lassen.  —  4)  Brett  chen  und  geneigte  E  b  enen.  Siesollen 
namentlich  bei  complicirten  Brüchen  dem  auf  sie  gelegten  Gliede  eine 
sichere  Lage  gewähren.  Die  Bretter  sind  entweder  so  lang  und  breit  wie 
das  Bett  und  werden  unter  die  Matraze  gelegt  oder  sie  sind  kleiner  und 
kommen  nur  unter  Kissen  zu  liegen ,  auf  denen  die  kranke  Extremität 
ruht;  sie  sind  also  nur  als  eine  Ergänzung  der  gewöhnlichen  Verbände  zu 
betrachten.  Eine  selbstständigere  Stellung  erhielten  sie ,  als  man  zwei 
Bretter  in  einem  stumpfen  Winkel  zusammenstellte ,  wodurch  die  geneig- 
ten Ebenen  entstanden  sind  ;  in  einer  solchen  Zusammensezung  waren  sie 
geeignet,  indem  sie  die  ganze  untere  Extremität  mit  gebeugtem  Knie  und 
Hüftgelenk  aufnahmen,  einige  Ausdehnung  an  derselben  auszuüben.  Die 
ursprüngliche  geneigte  Ebene  von  C  o  o  p  e  r  besteht  aus  zwei  geneigten 
Brettern ,  die  auf  einem  länglich  viereckigen  Holzrahmen  ruhen.  Die 
beiden  langen  Seitentheile  des  Rahmens  sind  an  ihrem  untern  Abschnitte 
gekerbt,  so  dass  sie  zwei  Kammstangen  darstellen,  zwischen  deren  Zähne 
der  unterste  Rand  des  Unterschenkelbretts  sich  hineinlegt.  Die  Ober- 
schenkelschiene steht  mit  dem  obersten  Querstück  des  Rahmens  durch 
Charniere  in  beweglicher  Verbindung.  Durch  Verrückung  des  untern 
Brettes  in  den  Kerben  des  Rahmens  wird  der  Winkel  der  beiden  geneig- 
ten Flächen  ,  die  durch  Charniere  beweglich  verbunden  sind ,  verändert. 
Diese  doppelt  geneigte  Ebene ,  welche  beide  Glieder  zumal  trägt ,  wurde 
im  Laufe  der  Zeit  mannigfach  verbessert.  Hind  fügte  an  den  Seiten 
Löcher  hinzu ,  welche  Pflöcke  aufnehmen ,  die  das  Glied  in  der  Lage  er- 
halten. Weitere  Veränderungen  sind:  die  Trennung  der  Ober-  und 
Unterschenkelbretter  in  mehrere   Theile ,    in   der  Weise ,    dass  sie  nach 


956  URTICATIO. 

Belieben  verlängert  und  verkürzt  werden  können ,  die  Beifügung  einer 
beweglichen  Fusssohle  oder  eines  Petit' sehen  Stiefels  (Dumreiche r), 
um  eine  gradweise  Ausdehnung  am  Fusse  auszuüben.  —  Vor  der  Anwen- 
dung belegt  man  die  Bretter  mit  Kissen.  —  5)  Hangematten  und 
Schweben.  Die  Hängematten  werden  entweder  aus  einem,  auf  einem 
Rahmen  ausgespannten  Stück  Leinwand  gefertigt,  oder  besser  aus  Gurten 
oder  Bindenstreifen,  die  man  quer  über  den  Rahmen  spannt ,  damit  man 
sie  einzeln  abnehmen  und  durch  neue  ersezen  kann,  wenn  sie  beschmuzt 
sind.  Solche  Hängematten  haben  angegeben:  I.  L.  Petit,  Posch, 
B.  Bell,  J.  Roe.  In  einem  solchen  Apparate  liegt  das  Glied  mittels 
ringsum  angebrachter  Matrazenpolster  vollkommen  horizontal  und  der 
Fuss  kann  gegen  ein  Sohlenstück  befestigt  oder  leicht  ausgedehnt  werden. 
Der  Vorzug  der  Hängematten  besteht  darin,  dass  sie  dem  Gliede  eine  be- 
queme Lage  gewähren,  dass  sie  eine  allseitige  Besichtigung  des  Gliedes 
zulassen,  so  wie  ohne  Störungen  der  Bruchenden  den  Verband  von  Wun- 
den etc.  erlauben.  —  Hängt  man  die  Unterlage,  mag  sie  wie  sie  will  be- 
schaffen sein,  an  Schnüren  auf,  so  dass  sie  frei  in  der  Luft  schwebt,  so 
ist  es  eine  Schwebe,  man  kann  demnach  Rinnen,  Kästen,  Bretter,  ge- 
neigte Ebenen,  Hängematten  in  Schweben  umzuwandeln.  Man  hängt  die 
Schweben  an  die  Zimmerdecke  ,  an  den  Betthimmel  oder  an  eigends  ge- 
fertigte Gerüste  und  sie  werden  meistens  bei  Brüchen  des  Unterschenkels, 
seltener  bei  solchen  des  Oberschenkels  und  hier  und  da  auch  bei  compli- 
cirten  Brüchen  des  Armes  gebraucht.  Die  Zahl  solcher  Vorrichtungen 
ist  Legion:  wir  nennen  nur  die  Verbände  von  Löffle  r,  Braun,  Faust, 
Sauter,  Günther,  Tober,  E  ichh  eimer- Graf  e  ,  v.  Bier- 
kowski  etc.  Die  bekannteste  unter  den  Schweben  ist  die  von  Sauter. 
—  Die  Schwebe  bildet  für  das  Glied  ein  kleines  besonderes  Bett ,  wel- 
ches, indem  es  den  ihm  mitgetheilten  horizontalen  Bewegungen  folgt,  sich 
im  Gleichgewicht  erhält.  Hieraus  folgt ,  dass  diese  Bewegungen ,  wenn 
sie  nicht  zu  ungestüm  und  heftig  sind,  vor  sich  gehen  können,  ohne  dass 
die  Fragmente  in  der  Lage,  in  welcher  sie  sich  befinden,  gestört  würden. 
Die  allgemeinen  Bewegungen  im  Bette  können  mithin  erlaubt  werden ; 
der  Verlezte  kann  sich  aufrichten  oder  aufgerichtet  werden,  um  seine  na- 
türlichen Bedürfnisse  zu  befriedigen ,  oder  sich  sein  Bett  machen  zu  las- 
sen. Man  kann  ihn  sogar  aufheben  und  auf  einen  nebenstehenden  Tisch 
sezen,  wenn  es  nöthig  sein  sollte ,  das  Bett  zu  wechseln.  Der  Schwebe- 
verband gewährt  noch  den  weiteren  Vortheil ,  dass  er  von  allen  Seiten 
eine  Besichtung  und  Reinigung  des  Gliedes  zulässt,  auch  dass  der  Ver- 
band ohne  Verrückimg  der  Bruchstücke  gewechselt  werden  kann.  Er  fin- 
det daher  hauptsächlich  bei  complicirten  und  mehrfachen  Brüchen ,  bei 
denen  die  Complication  die  Hauptsache  ist ,  Anwendung ;  nur  bei  sehr 
schiefen  Brüchen  genügt  er  oft  nicht. 

Urticatio.     Man  versteht  hierunter  das  Peitschen  eines  Kör- 


VARICOCELE. 


957 


pertheils  mit  frischen  Nesseln,  um  eine  lebhafte  Reizung  in  demselben 
zu  erregen.  Es  wird  durch  eine  aus  der  Stachelspize  der  Pflanze  drin- 
gende Flüssigkeit  zuerst  eine  brennende ,  dann  juckende  Empfindung, 
und  nach  einer  Minute  etwa  eine  oft  3 — 4  Linien  über  die  Haut  sich  er- 
hebende Geschwulst  hervorgebracht,  welche  leztere  nach  l*/2 — 2  Stunden 
sich  wieder  verliert.  Man  hat  die  Urtication  hauptsächlich  in  folgenden 
Krankheitsformen  empfohlen  und  angewendet :  bei  Lähmungen ,  welche 
von  Adynamie  (der  Nerven)  entstanden  sind,  daher  sie  auch  bei  Impotenz, 
welche  auf  Lähmung  der  Nerv,  spermatic.  beruht ,  empfohlen  wird  ; 
bei  paralytischen  Urinbeschwerden ,  bei  Rheumatismus ,  Gicht  und  Neu- 
ralgien ;  ferner  bei  zurückgehaltenen  und  bei  zurückgetretenen  acuten 
Exanthemen.  Entzündete  Theile  darf  man  nicht  berühren.  —  Man  be- 
dient sich  stets  frischer  Nesseln  (am  besten  der  Urtica  urens,  d  i  - 
oica.  und  pilulifera)  und  nimmt  zu  jedesmaliger  Anwendung  so  viel, 
dass  der  krankhaft  afficirte  Ort  mit  dem  dadurch  erzeugten  Exanthem 
völlig  bedeckt  wird,  wozu  eine  massige  Handvoll  hinreicht.  Damit 
streicht  man  gegen  die  Richtung  der  Borsten  an  den  Nesseln,  oder  man 
peitscht  oder  schlägt  mit  massiger  Kraft  so  lange  ,  bis  der  Ausschlag  er- 
scheint. Mit  Ausnahme  des  Kopfs ,  Gesichts  und  Halses  können  alle 
Theile  des  Körpers  mit  Nesseln  gepeitscht  werden. 


V. 


VailCOCele,  Krampfaderbruch,  Cirsocele,  nennt  man 
eine  varicöse  Anschwellung  der  Venen  des  Samenstrangs,  und  im  höhern 
Grade  auch  der  des  Nebenhodens  und  des  Hodens.  —  Symptome. 
Die  Krankheit  beginnt  mit  einem  lästigen  Gefühl  von  Druck  und  Schwere 
in  der  Umgebung  des  Samenstrangs,  auf  welche  Schmerzen  folgen ,  die 
sich  nach  dem  Verlaufe  des  Samenstrangs  und  bis  in  die  Lendengegend 
erstrecken.  Bei  der  Untersuchung  findet  man  nach  dem  Verlaufe  des 
Samenstrangs  eine  ungleiche,  durch  mehrere  Stränge  gebildete  Anschwel- 
lung, welche  sich  bis  zum  Leistenringe  und  bisweilen  in  diesen  hineiner- 
streckt ,  bei  einer  leichten  Compression  und  in  der  Rückenlage  sich  ver- 
mindert und  bei  längerem  Stehen  sich  vergrössert.  In  höheren  Graden 
des  Uebels  pflanzt  sich  der  varicöse  Zustand  auf  den  Nebenhoden  und 
selbst  auf  den  Hoden  fort,  welcher  sich  vergrössert,  schwerer  und  endlich 
in  eine  weiche ,  teigartige  Masse  verwandelt  wird.  In  diesem  Zustande 
verliert  er  die  Fähigkeit ,  einen  gesunden  Samen  abzusondern  und  atro- 
phirt  endlich,  ein  Ausgang,  der  nicht  selten  von  Melancholie  gefolgt  ist. 
Der  Hodensack  wird  schlaff'  und  länger ,  der  Kranke  fühlt  eine  schmerz- 
hafte Schwere  im  Hoden ,  welches  Gefühl  sich  bis  in  die  Lendengegend 
verbreitet,  besonders  wenn  derselbe  längere  Zeit  steht.    —   Diagnose. 


958  VARICOCELE. 

Bei  grosser  Ausdehnung  zeigt  der  Krampfaderbrueh  einige  Aehnlichkeit 
mit  einem  Nezbruche ,  der  indessen  nicht  durch  einfachen  Druck  ver- 
schwindet ,  wie  der  erstere  und  nicht  die  angeschwollenen  Venenstränge, 
die  sich  bei  diesem  dem  Gefühl  wie  ein  Haufen  Würmer  darbieten,  zeigt.  — 
Ursachen.  Der  Varicocele  liegt  meistens  eine  Atonie  der  Venenhäute  zu 
Grunde,  welche  entweder  durch  bedeutende  Congestionen,  als  Folge  ge- 
schlechtlicher Ausschweifungen  oder  durch  mechanische  Einflüsse,  wie  si- 
zende  Lebensart,  Anschwellungen  und  Verhärtungen  im  Unterleibe,  ein  den 
Samenstrang  drückendes  Bruchband,  besondere  Beschäftigungen  etc.  her- 
vorgebracht wird.  Nicht  selten  kann  gar  keine  Ursache  aufgefunden 
werden.  —  Das  Uebel  kommt  viel  häufiger  auf  der  linken  als  auf  der 
rechten  Seite  vor ,  was  man  dem  Drucke  der  Flexura  sigmoidea 
coli  im  ausgedehnten  Zustande  zuschreibt.  Zuweilen  steht  es  in  Ver- 
bindung mit  Hämorrhoidalbeschwerden.  —  Man  beobachtet  die  Krank- 
heit am  öftesten  bei  jüngeren  Personen  zwischen  dem  15.  und  3  0.  Jahre. 
—  Prognose.  Die  Varicocele  ist  eine  mehr  lästige  als  gefährliche 
Krankheit.  Schlimm  ist  die  Prognose  nur  in  Bezug  auf  die  Heilbarkeit 
des  Leidens,  indem  es  nur  selten  gelingt,  eine  völlige  Heilung  desselben 
herbeizuführen,  selbst  wenn  das  Uebel  auch  erst  einen  geringen  Grad  er- 
reicht hat.  —  Behandlung.  Diese  besteht  für  die  niedern  Grade  der 
Krankheit  in  der  Unterstüzung  des  Hodens  durch  eitf  gutanliegendes  Sus- 
pensorium und  der  wiederholten  täglichen  Anwendung  kalter  adstringi- 
render  Ueberschläge  von  Bleiwasser,  Alaunsolution ,  aromatischen  Decoc- 
ten  ,  öfteren  Waschungen  mit  diesen  Mitteln  oder  mit  Liquor  rnine- 
ralis  Hofm.,  Naphtha  etc.  Dabei  muss  der  Kranke  jede  Anstrengung 
und  anhaltendes  Stehen  vermeiden.  —  Mit  dieser  Behandlung  wird  das 
Uebel  zwar  nicht  gehoben ,  aber  es  können  damit  die  Beschwerden  des 
Kranken  vermindert  und  dem  Fortschreiten  desselben  Einhalt  gethan 
werden.  —  Hat  die  Krankheit  schon  einen  höhern  Grad  erreicht,  und 
verursacht  sie  bedeutende  Beschwerden ,  so  hat  man  in  der  Absicht  der 
radicalen  Heilung  verschiedene  Verfahrungsweisen  angegeben  ,  die  eine 
Verödung  der  varicösen  Venen  oder  ihre  directe  Entfernung  bezwecken. 
Es  gehören  dahin  :  die  Exstirpation,  die  Unterbindung  der  varicösen  Ge- 
fässe,  die  Unterbindung  der  Art.  spermatica,  die  Cauterisation ,  die 
Punction,  die  Compression  und  die  Verkürzung  des  Hodensacks.  —  Die 
Exstirpation  ist  eine  sehr  schwierige ,  unter  Umständen  gefährliche 
und  nicht  durchaus  vor  Recidiven  sichernde  Operation.  Sie  passt  höch- 
stens bei  umschriebenen  varicösen  Knoten  ,  welche  sich  mit  den  Fingern 
von  dem  übrigen  Samenstrang  absondern  lassen.  —  Die  Operation  be- 
steht im  Wesentlichen  darin ,  dass  man  durch  einen  Schnitt  längs  dem 
Samenstrange  die  allgemeinen  Bedeckungen  trennt ,  die  so  entblössten 
varicösen  Gef  ässe  mit  den  Fingern  fasst ,  möglichst  von  den  gesunden 
Venen,  der  Samenarterie  und  dem  Vas  deferens  absondert,  und  ohne 
diese  Theile  zu  verlezen,  herausschneidet,  nachdem  man  ihren  zurückblei- 


VARICOCELE.  959 

benden  Theil  vorher  oben  und  unten  mit  einer  Ligatur  umgeben ,  oder 
dies  auch  unterlassen  hat.  Die  Wunde  wird  mit  Heftpflaster  vereinigt 
und  mit  Charpie  und  Compresse  bedeckt.  Der  Kranke  verbleibt  in  ho- 
rizontaler Lage,  wobei  der  Hodensack  durch  einen  Tragbeutel  oder  durch 
untergelegte  Compressen  u.  dgl.  unterstüzt  wird.  —  Die  Unterbin- 
dung hat  dieselben  Schwierigkeiten,  wie  die  Exstirpation  und  bietet  die- 
selbe Gefahr  der  Phlebitis  wie  diese,  wenn  man  auch  nur  einen  der  ange- 
schwollenen Venenstämme  unterbindet.  Zur  Ausführung  dieser  Opera- 
tion macht  man  längs  des  Samenstrangs  unter  Bildung  einer  Hautfalte 
einen  l1/«, — 2  Zoll  langen,  in  der  Nähe  des  Leistenrings  beginnenden 
Schnitt  durch  die  Scrotalhaut ,  spaltet  dann  vorsichtig  die  gemeinschaft- 
liche Scheidenhaut  und  den  Cremaster  und  entblösst  dadurch  die  Venen 
des  Samenstrangs.  Von  diesen  fasst  man  eine  der  stärksten,  sondert  sie 
von  den  übrigen  Gef  ässen  ab  und  bringt  unter  sie  mit  einer  geeigneten 
Nadel  einen  Zwirnfaden,  den  man  mit  einem  doppelten  Knoten  fest  zu- 
bindet. Ist  die  Varicocele  gross  ,  so  unterbindet  man  auf  diese  Weise 
2  —  3  Venenstränge.  Der  Ligaturfaden,  von  dem  man  ein  Ende  dicht 
am  Knoten  abschneidet,  wird  aussen  angeklebt  und  eitert  in  wenigen  Ta- 
gen aus  ;  die  Wunde  vereinigt  man,  damit  sie  wenigstens  zum  Theil  durch 
Adhäsion  heile.  —  Ricord  unterbindet  subcutan  (s.  Venen  er  we  i- 
terung).  Raynaud  sticht,  nachdem  die  varicösen  Venen  mit  den 
Nerven  isolirt  sind,  hinter  denselben  eine  krumme  Nadel  mit  einem  ge- 
wichsten Faden  durch  das  Scrotum  und  knüpft  ihn  über  einem  kurzen 
dicken  Leinwandcy linder  mittels  einer  Schleife  zu.  Am  2.  oder  3.  Tage 
wird,  wenn  die  indessen  entstandene  Entzündung  nicht  zu  heftig  ist,  der 
Faden  über  einen  neuen  Cylinder  fester  zugeknüpft ,  und  dies  fortgesezt, 
bis  nach  15  — 18  Tagen  die  Gefässe  und  Nerven  des  Samenstrangs  nebst 
ihren  Hüllen  durchschnitten  sind,  worauf  die  noch  übrige  Hautbrücke  auf 
einer  Hohlsonde  mittels  des  Messers  getrennt  wird.  Die  Wunde  heilt 
rasch.  V  i  d  a  1  benüzt  dazu  einen  Silberfaden  ,  welchen  er  mit  einer 
Schrauben  Vorrichtung  zusammenschnürt.  —  Die  Unterbindung  der 
Art.  spermatica  ist  wegen  der  Kleinheit  derselben  und  ihrer  innigen 
Verbindung  mit  den  übrigen  Gebilden  des  Samenstrangs  sehr  schwierig 
und  weil  sie  sich  oft  sehr  hoch  schon  theilt  und  dann ,  was  dem  Opera- 
teur sehr  leicht  entgehen  kann,  zwei  Art.  spermaticae  vorhanden 
sind ,  unsicher.  Man  legt  sie  durch  einen  unmittelbar  vor  dem  Bauch- 
ring beginnenden  Schnitt  von  1  y2  Zoll  Länge  bloss  und  unterbindet  sie 
möglichst  hoch.  —  Die  Cauterisation  wird  nach  B  o  n  n  e  t  auf  fol- 
gende Weise  ausgeführt :  vor  der  Application  des  Aezmittels  werden  die 
Venen  vom  Ductus  deferens  isolirt,  dieser  mit  den  Fingern  nach  hin- 
ten geschoben ,  während  man  jene  zugleich  nach  vorn  zieht.  Um  die 
temporäre  Wirkung  der  Finger  permanent  zu  machen,  unterhält  man  mit- 
tels zweier  durch  Schrauben  verbundener  länglicher,  zwischen  die  genann- 
ten Gebilde  gelegter  Metallplatten  die  Isolirung.      Nun  wird  der  Samen- 


960  VARICOCELE. 

sträng  durch  eine  2  —  3  Zoll  lange  Incision  bossgelegt,  dessen  aponeuro- 
tische  Scheide  eingeschnitten  und  die  so  frei  gelegten  Venen  mit  der 
Chlorzinkpaste  belegt.  Die  Aezpaste  bleibt,  je  nach  der  Ausdehnung  der 
Venen  3  6 — 4  8  Stunden  und  selbst  noch  länger  liegen.  Der  Cauterisa- 
tion  folgt  nur  massiger  Schmerz  und  unbedeutende  oder  auch  gar  keine 
Reactionserscheinungen.  Die  darauf  eintretende  Entzündung  soll  stets 
auf  den  Ort  der  Application  beschränkt  bleiben  ,  nie  Phlebitis  oder  Eite- 
rung erfolgen  uhd  die  AVunde  in  10  — 12  Tagen  vernarben.  Um  sämmt- 
liche  Venen  zu  treffen  muss  dlas  Aezmittel  in  einzelnen  Fällen  2  —  3  Mal 
applicirt  werden.  Während  der  Vernarbung  contrahirt  sich  der  Samen- 
strang bedeutend ,  und  die  feste  fibröse  Narbe  zieht  den  Hoden  ziemlich 
stark  nach  oben.  B  o  n  n  e  t  sah  von  dieser  Behandlung  immer  gründ- 
liehe Heilung  und  nie  Recidive  oder  andere  Uebelstände.  —  Die  Pun- 
ktion besteht  entweder  in  einem  einfachen  Anstechen  der  varicösen 
Venen  mit  der  Lancette,  oder  zweckmässiger  wird  nach  F  r  i  c  k  e  ein  Ve- 
nenstrang fixirt,  nebst  der  vordem  und  hintern  Wand  des  Scrotum  mit 
einer  gewöhnlichen  Nähnadel  durchstochen,  damit  ein  geölter  Zwirnfaden 
eingezogen  und  dieser  ganz  locker  zusammengeknüpft.  Dies  geschieht 
nach  Bedürfniss  auch  noch  an  andern  Venensträngen.  Nach  1  —  2  Tagen 
werden  die  Fäden  entfernt ,  durch  deren  Reiz  eine  Ausschwizung  plasti- 
scher Lymphe  in  den  Venenwandungen  hervorgebracht  und  diese  verstärkt 
und  zu  lebhafterer  Contraction  angeregt  werden  sollen.  Das  Verfahren 
verdient  in  leichteren  Fällen  angewendet  zu  werden.  —  Kuh  sticht  Na- 
deln durch  die  einzelnen  Venen  und  fixirt  diese  durch  auf  sie  gesezte 
Korkstöpsel.  —  Die  Compr  ess  io  n  der  varicösen  Venen  wirkt  haupt- 
sächlich dadurch,  dass  sie  das  Blut  in  den  kranken  Gefässen  hemmt  und 
coaguliren  macht,  doch  bleibt  dabei  in  der  Regel  ein  entzündlicher  Pro- 
cess  und  dessen  Mitwirkung  nicht  aus.  —  Man  macht  die  Compression 
mit  oder  ohne  Verwundung  der  Haut.  Das  Erstere  oder  die  unmit- 
telbare Compression  geschieht  nach  Davat  undFrank  in  der  Art, 
dass  ein  varicöser  Venenstrang  mit  den  Fingern  abgesondert  und  dicht 
an  das  Scrotum  herangeschoben  ,  dann  eine  Stecknadel  dicht  hinter  ihm 
durch  zwei  Punkte  des  Scrotums  durchgestochen  und  um  die  Nadel  ein 
Faden  in  der  Form  einer  <*>  herumgeschlungen  wird.  Auf  dieselbe  Weise 
werden  die  andern  Venenstränge ,  jeder  durch  eine  Nadel,  comprimirt ; 
die  Nadeln,  deren  Spizen  man  abkneipt,  bleiben  2  4  —  48  Stunden  liegen, 
und  der  Kranke  bleibt  während  dessen  im  Bette  und  macht  auf  das  gut 
unterstüzte  Scrotum  kalte  Umschläge.  Velpeau  umgibt  die  hinter  den 
isolirten  Venen  durchgestochene  Nadel  mit  einem  Faden  in  ovalen  Touren 
bis  zur  Compression  derselben  und  legt  dann  auf  dieselbe  Weise  eine 
zweite  Nadel,  1  Zoll  von  jener  entfernt  ein.  Wenn  nach  10 — 2  0  Tagen 
die  eingeschnürten  Gewebe  sich  in  Form  eines  Schorfes  ablösen ,  so  wer- 
den die  Nadeln  entfernt,  und  die  völlige  Heilung  ist  in  etwa  einem  Monat 
beendigt.   Diese  Operation  soll  niemals  Phlebitis  zur  Folge  gehabt  haben, 


VARICOCELE.  961 

was  bei  dem  obigen  Verfahren  der  Fall  gewesen  sein  soll.  Aehnlich  ver- 
fährt Job  er  t ,  nur  dass  er  2  —  3  Nadeln  hinter  dem  isolirten  Samen- 
strang einsticht ,  diese  mit  einem  Faden  fest  umschlingt  und  die  Nadeln 
nach  8  — 10  Tagen  wieder  entfernt.  Pauli  sticht  eine  Nadel  hinter, 
eine  zweite  vor  der  varicösen  Vene  durch  die  Scrotalhaut,  und  umschlingt 
die  Nadeln  bis  zur  Compression  der  Vene  mit  einem  Faden;  die  Nadeln, 
deren  je  nach  Umständen  mehrere  eingelegt  werden,  bleiben  4  —  5  Tage 
liegen  und  sollen  die  Obliteration  fast  ohne  eine  Spur  von  Entzündung 
bewirken.  —  Die  mittelbare  Compression  wird  von  Curling 
und  in  neuester  Zeit  von  R.  Thomson  mittels  einer  geeigneten  Bandage 
(nach  Art  eines  Bruchbandes  angelegt)  bewirkt ,  und  soll  deren  Anwen- 
dung vom  besten  Erfolge  begleitet  gewesen  sein.  Nach  Thomson 
braucht  der  Druck ,  welcher  auf  den  ganzen  Verlauf  der  Vene  wirken 
muss ,  nicht  bis  zur  Obliteration  der  Vene  erhöht  zu  werden  ;  es  genügt 
nach  ihm  ein  fester  gleichförmiger,  welcher  das  Lumen  des  Gef ässes  nicht 
versperrt ,  sondern  seinen  geschwächten  Wänden  eine  Stüze  gewährt, 
welche  dem  innerhalb  liegenden  Gefassstamme  das  Gewicht  der  obern 
Blutsäule  wegnimmt.  Hat  die  Röhre  ihren  ursprünglichen  Durchmesser 
wieder  erhalten ,  so  kann  sie  dem  hydrostatischen  Drucke  wieder  Wider- 
stand leisten.  Um  zu  diesem  Resultate  zu  gelangen,  sind  10 — 18  Mo- 
nate erforderlich.  —  F  r  i  t  s  c  h  i  bedient  sich  zur  Compression  der  Sa- 
menstrangvenen eines  nezartigen  Suspensoriums ,  das  durch  Bandzüge, 
welche  in  verschiedener  Richtung  verlaufen,  gleichförmig  verengt  werden 
kann.  —  Carey  lässt  den  Kranken  auf  dem  Rücken  liegen,  bringt  das 
Scrotum  mittels  kalten  Wassers  in  den  Zustand  der  Corrugation ,  so  dass 
es  sich  fest  an  den  Hoden  und  die  Basis  des  Penis  anlegt,  und  lässt  dann 
dasselbe  mit  Umgehung  der  Stellen,  welche  der  Varicocele  entsprechen, 
mit  in  Chloroform  gelöster  Gutta  percha  bestreichen.  Er  trägt  nach  und 
nach  mehrere  Lagen  davon  auf,  bis  dadurch  ein  künstlicher  Beutel  ge- 
bildet ist,  welcher,  ohne  zu  belästigen,  doch  hinreichend  resistent  ist.  — 
Breschet  bewirkt  die  Compression  durch  stählerne  Zangen,  welche  aus 
zwei  parallelen  Armen  bestehen,  die  durch  eine  Schraube  verengt  werden, 
und  zwischen  diesen  und  den  zur  Compression  dienenden  Theilen  sich 
durch  eine  Krümmung  von  einander  entfernen  ,  um  hier  einen  Theil  des 
Scrotum  vom  Drucke  frei  zu  halten;  eine  in  dem  einen  Arme  befindliche 
Platte  kann  zur  Verstärkung  des  Drucks  durch  eine  Schraube  vorgetrie- 
ben werden.  Nach  gehöriger  Absonderung  der  varicösen  Venen  vom  Vas 
deferens,  welches  man  an  seiner  regelmässigen  cylindrischen Form  und 
daran,  dass  es  beim  Drucke  schmerzt ,  erkennt ,  wird  an  jene  hoch  oben 
eine  Zange  in  querer  Richtung  angelegt  und  so  fest  wie  möglich  zuge- 
schraubt ;  es  müssen  dabei  sämmtliche  varicöse  Venen  gefasst  werden ; 
auf  dieselbe  Weise  wird  6 — 8  Linien  weiter  unten  eine  zweite  Zange  an- 
gelegt, und  beide  werden  durch  Heftpflasterstreifen  gegen  den  Bauch  hin 
unterstüzt  erhalten.  Der  gewöhnlich  sehr  heftige  Schmerz  lässt  nach  ei- 
Burger,  Chirurgie.  Ol 


962  VENENKRANKHEITEN.   VARICES. 

nigen  Stunden  nach  ;  der  Kranke  bleibt  in  horizontaler  Lage  und  macht 
Umschläge  von  Bleiwasser  um  das  Scrotum.  Nach  7  — 12  Tagen  zeigt 
sich  an  den  gedrückten  Stellen  Eiter,  dann  werden  die  Zangen  abgenom- 
men. Die  nach  dem  Abfalle,  der  Brandschorfe  sich  zeigende  eiternde 
Spalte  heilt  in  etwa  14  Tagen.  Um  die  Mortification  der  Haut  zu  ver- 
hüten ,  welche  nicht  erforderlich  ist ,  da  für  die  Heilung  des  Uebels  nur 
eine  Hemmung  des  Blutlaufs  hinreicht ,  legte  Breschet  die  Zangen 
später  weniger  fest  und  öfters  an  einer  andern  Stelle  an.  Dieses  Ver- 
fahren hat  sich  als  gefahrlos  und  hülfreich  erwiesen.  —  Chassaignac 
isolirt  die  Theile  durch  eine  Nadel  und  quetscht  sie  mit  seinem  Ecraseur 
ab  (s.  Abbinden).  —  Die  Verkürzung  des  Hodensacks  ge- 
schieht nach  Cooper  durch  Ausschneidung  eines  gehörig  grossen  Haut- 
stücks aus  dem  Scrotum  und  Vereinigung  der  Wunde  durch  die  Naht. 
Lehmann  verkürzte  das  Scrotum  durch  Invagination. 

Varix,    s.   Venen. 

Venen,  Krankheiten  derselben.  An  den  Venen  beobach- 
tet man  wie  an  den  Arterien,  jedoch  weit  seltener,  excedirendeAuf- 
lagerungen  innerer  Gefässhaut,  eine  atheromatöse  Zerstörung 
und  Ablagerungen  von  Kalkerde  in  den  Venenwänden.  Leztere  scheinen 
in  vielen  Fällen,  wenn  sie  sich  ablösen,  die  sogenannten  Venen  steine 
(Phlebolithen)  zu  bilden.  —  Sehr  häufig  wird  in  den  Venen  Krebs- 
masse gefunden,  so  dass  Cruveilhier  die  Ansicht  aussprach,  jeder 
Krebs  gehe  von  den  Venenenden  aus.  Fast  immer  ist  der  Krebs  ein  se- 
cundarer,  d.  h.  durch  in  die  Blutmasse  gelangten  Krebssaft  oder  Krebs- 
jauche entstandener.  —  Von  besonderer  Wichtigkeit  für  den  Wundarzt 
sind  diejenigen  organischen  Veränderungen  der  Venen,  welche  gewöhnlich 
als  Varicosität  oder  Erweiterung  derselben  bezeichnet  werden.  Sie  müs- 
sen deshalb  näher  betrachtet  werden. 

Die  Erweiterung  der  Venen,  Phlebectasia,  ist  eine 
sehr  häufige  Erscheinung  und  stellt  sich  entweder  als  eine  gleichmässige, 
cylindrische  Ausdehnung  des  Venenrohrs  dar,  wobei  das  Gefäss  fast  nor- 
mal gestreckt  ist ,  öder  das  Venenrohr  zeigt  eine  ungleichmässige ,  buch- 
tige Erweiterung,  wobei  das  Gefäss  einen  geschlängelten  Verlauf  be- 
kommt; bisweilen  macht  es  auch  stärkere  sackförmige  Ausbuchtungen, 
welche  man  Blutaderknoten,  Krampfadern,  Varices,  nennt. 
—  Der  Grund  des  so  häufigen  Vorkommens  der  Venenausdehnungen  liegt 
zunächst  darin,  dass  die  Venen  dünne,  sehr  ausdehnsame  und  wenig  ela- 
stische Häute  besizen ,  sehr  wechselnde  Mengen  von  Blut  unter  verschie- 
denem hydrostatischen  Drucke  führen ,  und  dass  durch  Compression  von 
Seiten  umgebender ,  namentlich  muskulöser  Theile  häufig  dem  Blutlaufe 
momentane  Hindernisse  bereitet  werden.  —  Alle  Venen  sind  der  Erwei- 
terung fähig  ;  am  meisten  disponiren  jedoch  dazu  die  der  untern  Körper- 
hälfte ,  und  hier  besonders   die  subcutanen  Venen  der  Beine ,  des  Mast- 


VENENKRANKHEITEN.    —  VARICES.  963 

darms,  Samenstrangs,  des  Beckens  und  der  Blase.  —  Venenerweiterungen 
gehören  vorzugsweise  dem  mittleren  Lebensalter  an ;  einige  derselben 
kommen  beiden  Geschlechtern  zu ,  einige  sind  nur  dem  einen  oder  dem 
andern  Geschlechte  eigentümlich,  oder  kommen  bei  dem  einen  mehr  vor 
als  bei  dem  andern.  —  Ursachen.  Diese  liegen  theils  in  einer  abnor- 
men Beschaffenheit  der  Venenhäute ,  theils  in  mechanischen  Einflüssen, 
welche  dem  Blutlaufe  Hindernisse  in  den  Weg  legen.  —  Die  abnorme 
Beschaffenheit  der  Venenhäute  beruht  meistentheils  auf  Atonie  ;  zuweilen 
auf  einer  Erweichung  der  Venenhäute  in  Folge  vorausgegangener  chroni- 
scher Entzündung.  Zu  den  mechanischen  Einflüssen  sind  zu  zählen :  der 
Einfluss  der  Gravidation,  welcher  bei  den  Venen  des  untern  Hohlvenensy- 
stems  sich  geltend  macht,  besonders  bei  anhaltender  aufrechter  Stellung ; 
Verengerung  oder  gänzliche  Verschliessung  eines  Venenstamms,  oder  ei- 
nes ganzen  Systems  von  Venen,  z.  B.  durch  Geschwülste,  fehlerhafte  Stel- 
lung von  Organen ,  Narben  in  der  Nähe  von  Venen ,  Verengerungen  von 
Oeffnungen ,  durch  welche  Venenstämme  treten,  Krampfzustände  etc.; 
lange  andauernde  oder  oft  wiederkehrende  Blutanhäufungen  im  Haarge- 
f  ässsystem  ;  Einströmen  von  Arterienblut  in  eine  Vene.  Manchmal  wir- 
ken mehrere  dieser  Ursachen  zugleich.  —  Je  nach  der  Ursache  tritt  die 
Phlebectasie  entweder  in  einem  grossen  Theile  des  Venensystems  auf,  oder 
nur  in  einem  kleinen  Abschnitte  desselben  oder  aber  es  ist  nur  eine  grös- 
sere oder  kleinere  Stelle  einer  Vene  betroffen.  Die  Venenhäute  sind  da- 
bei entweder  von  normaler  Dicke  oder  verdünnt  oder  auch  mehr  oder  we- 
niger verdickt.  In  den  sackförmigen  Ausbuchtungen  häuft  sich  das  Blut 
an  und  gerinnt.  Diese  Faserstoffgerinnungen  können  sich  sowohl  wieder  auf- 
lösen als  auch  sich  organisiren  und  zur  Obliteration  der  Vene  und  zu  Ve- 
nensteinen Veranlassung  geben.  Die  Klappen  werden  dabei  verzogen 
und  verdünnt ,  sie  zerreissen  und  verschwinden  bis  auf  kleine  Reste ,  die 
frei  im  Gefässe  flottiren.  Andere  Male  entwickeln  sich  Scheidewände  im 
Innern  der  erweiterten  Vene ,  durch  welche  ihre  Höhle  in  kleine  Zellen 
getheilt  wird,  in  denen  das  Blut  stockt  und  gerinnt.  Dadurch  entstehen 
kleine  mit  der  Vene  zusammenhängende  schwammige  oder  cavernöse  Ge- 
schwülste. Dazu  kommt  noch  die  Entwicklung  zahlreicher  kleiner  Oeff- 
nungen, durch  welche  die  Höhle  oder  vielmehr  die  kleinen  Zellen  der  er- 
weiterten Vene  mit  dem  benachbarten  Bindegewebe  communiciren.  Be- 
stehen mehrere  solcher  siebförmigen  multiloculären  Varices 
nahe  bei  einander  und  verdichtet  sich  die  umgebende  Bindegewebsschicht 
zu  einer  Art  von  Kapsel ,  so  stellen  sie  eine  Species  jener  Geschwülste 
dar,  die  man  mit  dem  Namen  der  erectilen  Geschwülste,  Neu- 
bildungen von  erectilem  Gewebe  bezeichnet  hat.  Sehr  häufig 
wird  das  zwischen  solchen  siebförmigen  Varices  gelegene  Bindegewebe, 
nachdem  seine  Maschen  mit  Blut  gefüllt  sind  ,  gleichfalls  der  Siz  von 
Neubildungen.  —  Die  Phlebectasie  verursacht  mancherlei  Beschwerden 
und  Gefahren.       Die  erste  Erscheinung  ist  ein  Gefühl  von  Spannung  und 

61* 


964  VENENKRANKHEITEN.   —   VARICES. 

Schwere ;  bei  längerer  Dauer  entstehen  capilläre  Blutanhäufungen ,  wo- 
durch theils  ödematöse  Anschwellungen  erfolgen ,  theils  chronische  Ent- 
zündungsprocesse  und  Verhärtungen  eingeleitet  werden.  In  den  Venen 
selbst  hat  die  Stockung  zuweilen  Blutgerinnung  und  Phlebitis  zur  Folge. 
Wird  die  Entzündung  nicht  zertheilt,  so  können  daraus  Abscesse  und  Ge- 
schwüre sich  entwickeln;  andere  Male  ist  die  Obliteration  der  Vene  die 
glücklichere  Folge.  Grosse  Varices  verwachsen  oft  mit  der  Haut  und 
verdünnen  diese  mit  der  Zunahme  in  dem  Grade,  dass  endlich 
Berstung  erfolgt  und  bedeutende  Blutungen  eintreten  können.  Die 
Zerreissung  tiefer  liegender  Venen  veranlasst  nicht  selten  beträcht- 
liche Blutgeschwülste.  —  Behandlung.  Die  Phlebectasie  er- 
fordert zuerst  die  Entfernung  der  veranlassenden  Ursache ;  daher 
müssen  Geschwülste  beseitigt ,  hyperämisch  entzündliche  Zustände  ge- 
hoben ,  das  anhaltende  Stehen  verboten  werden  etc.  —  Ist  die  Ursache 
nicht  entfernbar ,  so  kann  die  Aufgabe  der  Kunst  entweder  bloss  darin 
bestehen,  das  Leiden  erträglich  zu  machen,  oder  aber  dasselbe  gründlich 
zu  beseitigen.  —  In  ersterer  Absicht  unterstüzt  man  den  venösen  Blut- 
lauf durch  mechanische  Hülfsmittel,  bestehend  in  der  methodischen  Com- 
pression  durch  Einwicklung  mit  Binden  oder  der  Anlegung  von  Schnür- 
strümpfen aus  Leder  oder  Gummigewebe.  Bei  bevorstehenden  Ent- 
zündungszuständen  der  Venen  nimmt  man,  wenn  es  die  Constitution  des 
Kranken  gestattet ,  Blutentziehungen  vor.  Die  Kur  wird  wesentlich  un- 
terstüzt durch  eine  horizontale  Lage.  —  Entzündete  Blutaderknoten  oder 
Stränge  werden  meistens  durch  Ruhe,  Blutegel,  kalte  Umschläge  und  sa- 
lmische Abführmittel  zertheilt.  Schmerzhafte,  sehr  gespannte  Knoten, 
die  in  Eiterung  überzugehen  drohen,  sticht  man  an  und  lässt  sie  gehörig 
bluten.  —  Die  radicale  Behandlung  bezweckt  die  Entfernung  oder  Ver- 
schliessung  der  erkrankten  Vene.  Die  hierzu  dienenden  Operationen 
sind:  die  Exstirpation,  die  Incision,  das  Abbinden,  die  Durchschneidung, 
Cauterisation ,  Compression ,  Unterbindung ,  Acnpunktur  und  das  Haar- 
seil. —  Alle  diese  Operationen,  besonders  die  blutigen,  sind  der  gerne 
folgenden  Phlebitis  wegen  mehr  oder  weniger  gefährlich.  Deshalb  ist 
eine  vorsichtige  Wahl,  sowohl  rücksichtlich  des  zu  operirenden  Varix,  wie 
der  Methode  zu  treffen.  Die  Operation  ist  überhaupt  nur  gerechtfertigt, 
wenn  das  phlebitische  Leiden  sich  auf  eine  ganz  beschränkte  Weise  ent- 
wickelt hat  und  wenn  dasselbe  erhebliche  Beschwerden  oder  gefährliche 
Zufälle  veranlasst.  Dabei  muss  auf  Constitution,  Krankheitsgenius  ,  auf 
äussere  Verhältnisse  des  Kranken  etc.  Rücksicht  genommen  werden.  — 
Die  Exstirpation,  Cirsotomia,  eignet  sich  hauptsächlich  bei  ver- 
einzelt stehenden  Blutaderknoten  oder  bei  varicösen  Knäueln,  welche  be- 
deutende Beschwerden  verursachen ,  zu  bersten  drohen  oder  entstellen. 
Hierher  gehören  besonders  varicöse  Geschwülste  im  Gesichte  ,  begrenzte 
Geschwülste  an  den  Unterextremitäten  und  Hämorrhoidalknoten.  Hierbei 
ist  weniger  Phlebitis  als  Blutung  zu  fürchten,  welcher  man  oft  nicht  bei- 


VENENKRANKHEITEN.  VARICES.  965 

kommen  kann.  —  Bei  der  Exstirpation  erhebt  man  die  Haut  über  der 
varicösen  Geschwulst  in  eine  Falte,  schneidet  diese  durch,  praparirt  den 
Varix  frei ,  legt  bei  grösserer  Vene  ober-  und  unterhalb  der  Geschwulst 
Ligaturen  an  und  schneidet  zwischen  denselben  das  varicöse  Venenstück 
aus.  Bei  unbeweglicher  und  entarteter  Haut  nimmt  man  diese  mit  hin- 
weg. —  Die  I  n  c  i  s  i  o  n  der  Venen  wird  gemacht,  theils  um  entzündete 
oder  mit  geronnenem  Blute  gefüllte  Gef ässe  zu  entleeren,  theils  um  Ver- 
sehliessung  des  Gefässes  herbeizuführen.  In  lezterer  Absicht  macht  man 
einen  mehrere  Zoll  langen  Einschnitt  in  die  varicöse  Vene ,  füllt  die 
Wunde  mit  Charpie  aus  und  wickelt  das  Glied  ein.  Dieses  Verfahren 
lässt  immer  Phlebitis  befürchten.  —  Das  Abbinden  verrichtet  man 
nur  bei  Hämorrhoidalknoten.  —  Die  Durchschneidung  erweiterter 
Venen  nimmt  am  besten  subcutan  vor,  indem  man  ein  dem  Dieffen- 
b  a  c  h '  sehen  Tenotom  ähnliches  Messer  (Phlebotom)  zwischen  Haut  und 
Vene  flach  einführt ,  dann  die  Schneide  dieser  zukehrt  und  das  Ge- 
fäss  im  Zurückziehen  durchschneidet.  —  Die  Cauterisation  wird 
mit  dem  Glüheisen  und  mit  Aezmitteln  ins  Werk  gesezt.  Das  Glüheisen 
lässt  man  nicht  so  lange  einwirken,  bis  die  Haut  durchgebrannt  ist.  Auf 
die  Application  desselben  lässt  man*kalte  Umschläge  folgen.  Als  Aez- 
mittel  bedient  man  sich  des  Aezkali's,  der  Salpetersäure ,  besonders  aber 
der  Wiener  Aezpaste,  welche  man  15  —  2  0  Minuten  lang  applicirt.  Der 
Schorf  löst  sich  erst  nach  mehreren  Monaten  und  zwar  ohne  Eiterung, 
indem  unter  demselben  schon  die  Vernarbung  erfolgt.  Verschliessung 
der  Vene  ist  die  Absicht  und  häufige  Folge  dieses  Verfahrens ,  besonders 
wenn  gehörig  tief  geäzt  wird.  —  Die  seitliche  Compression  wird  mit 
besondern  Compressorien  ausgeführt.  Sanson  hebt  die  Vene  in  einer 
Hautfalte  empor  und  fasst  beide  mit  einander  mit  seinem  Compressorium, 
das  aus  zwei  mit  Leder  überzogenen  Metallplatten  besteht,  die  zusammen- 
geschraubt werden  können.  Er  bezweckt  damit  Hemmung  der  Circula- 
tion  und  Bildung  von  verschliessenden  Blutpfröpfen.  Zur  Verhütung  von 
Schwärung  wird  die  Compressionsstelle  öfters  gewechselt.  —  Velpeau 
und  Davat  stechen  unter  der  in  einer  Hautfalte  erhobenen  Vene  eine 
Nadel  durch  und  comprimiren  auf  dieser  die  Vene ,  indem  sie  die  Nadel 
mit  einem  Faden  in  Achtertouren  umgeben.  Pauli  sticht  noch  eine 
zweite  Nadel  über  der  Vene  durch  und  umwindet  die  Nadelenden  mit 
Faden.  Sc  artin  bewirkt  die  Compression  durch  dicke  Streifen  von 
vulcanisirtem  Kautschuk.  Breschet  hat  besondere  Zangen  zur  Com- 
pression der  Venen  angegeben,  die  aber  hauptsächlich  bei  der  Varicocele 
Anwendung  finden  (s.  dies.  Artikel).  —  Die  Unterbindung,  in  der 
Art ,  wie  bei  den  Arterien  ausgeführt ,  nämlich  mit  Blosslegung  des  Ge- 
fässes ,  hatte  sehr  gefährliche  phlebitische  Zufälle  im  Gefolge ,  weshalb 
dieses  Verfahren  verlassen  wurde.  Weniger  gefährlich  ist  die  von  Ri- 
c  o  r  d  eingeführte  subcutane  Unterbindung.  Behufs  dieser  Operation 
hebt   man   die   zu   unterbindende  Vene  in   einer  Hautfalte  empor ,   sticht 


966  VERBANDTUECHER. 

unter  dem  Gefäss  eine  schwach  gekrümmte,  mit  einem  doppelten  Faden 
versehene  Wundnadel  durch  und  zieht  den  Faden  mit  dem  Schlingenende 
voran  ein;  hierauf  lässt  man  die  Vene  fallen  und  führt  über  derselben 
durch  die  Hautfalte  und  durch  dieselben  Stichöffnungen  mit  einer  Näh- 
nadel einen  zweiten  doppelten  Faden,  nun  mit  den  freien  Enden  voran, 
so  dass  auf  jeder  Seite  der  Vene  ein  Schlingenende  und  zwei  freie  Faden- 
enden sich  befinden.  Hierauf  werden  auf  jeder  Seite  die  freien  Enden 
durch  das  Schlingenende  gesteckt  und  jene  beiderseits  zur  Schnürung  der 
Vene  gehörig  stark  angezogen.  Die  Ligaturen  lässt  man  entweder  lie- 
gen bis  sie  durchgeschnitten  haben,  oder  entfernt  sie,  wenn  eine  zu  starke 
Reizung  eintreten  sollte,  schon  nach  einigen  Tagen,  indem  auf  jeder 
Seite  der  Vene  dicht  an  den  Stichöffnungen  je  ein  Fadenende  abge- 
schnitten und  an  den  andern  in  entgegengesezter  Richtung  gezogen  wird. 
—  Die  Acupunctur  für  sich  hat  sich  wenig  wirksam  gezeigt,  dagegen 
hat  sich  die  Anwendung  der  Electropunktur,  in  der  Weise  ange- 
wendet,  wie  es  bei  den  Pulsadergeschwülsten  angegeben  wurde,  vielfach 
hülfreich  erwiesen.  Man  sticht  die  Nadeln  entweder  in  den  Varix  selbst, 
oder  in  den  Venenstamm  ein,  dessen  Aeste  varicös  sind.  —  Als  Haar- 
seil führt  Fr  icke  mittels  einer  Nähnadel  einen  Faden  quer  durch  die 
Vene,  den  man  längere  Zeit  in  ihr  zurücklässt. 

VerbandtÜcher  sind  Verbandstücke  aus  Leinwand  (auch  baum- 
wollenem oder  seidenem  Zeug),  die  in  eine  passende  Form  gebracht,  zum 
Umlegen  um  Körpertheile  entweder  für  sich  oder  um  andere  Verband- 
stücke zu  befestigen ,  ähnlich  den  Binden ,  benüzt  werden.  —  Die  An- 
wendung der  Verbandtücher  war  bisher  eine  sehr  beschränkte ,  ausser  zu 
einigen  Kopfverbänden ,  ferner  als  Tragband  des  Scrotums  ,  der  Brüste 
und  des  Arms ,  finden  wir  sie  wenig  im  Gebrauch.  Erst  in  der  -neuesten 
Zeit  hat  man  sich  bemüht,  ihnen  eine  ausgebreitetere  Anwendung  zu  ver- 
schaffen ,  und  hiezu  hat  Mayor  den  ersten  Anstoss  gegeben ,  der  sogar 
so  weit  ging,  die  Binden  ganz  damit  verdrängen  zu  wollen.  Damit  geht 
aber  Mayor  offenbar  zu  weit ,  wenn  auch  zugegeben  werden  muss ,  dass 
die  Binden  in  vielen  Fällen  durch  die  Verbandtücher  zweckmässig  er- 
sezt  werden  können.  —  Die  Verbandtücher  empfehlen  sich  unter  Andern 
besonders  dadurch,  dass  sie  überall  zur  Hand  sind,  dass  sie  leicht  zu 
handhaben  sind  und  das  hiezu  verwendete  Material  wieder  anderweitig 
benüzt  werden  kann.  —  Das  beste  Material  für  die  allgemeinen  Ver- 
bandtücher ist  Leinwand.  —  Die  Grundform  der  Leinwand,  aus  welcher 
Mayor  alle  übrigen,  für  seine  Verbandweise  nöthigen  Formen  darstellt, 
ist  das  gleichseitige  Viereck  (Sacktuch)  ,  welches  von  verschie- 
dener Grösse  nothwendig  ist.  Die  daraus  darzustellenden  Formen  sind  : 
1)  Das  längliche  Viereck.  Man  stellt  es  her,  indem  man  ein  be- 
liebig grosses  viereckiges  Stück  Leinwand  in  der  Richtung  zweier  gegen- 
über liegender  Ränder  mehrmal  zusammenlegt. —  2)  Das  Dreieck  wird 


VERBRENNUNG.  v  967 

gebildet  durch  Zusammenlegen  des  gleichseitigen  Vierecks  in  einer  seiner 
Diagonalen ,  so  dass  zwei  gegenüberliegende  Ecken  einander  decken. 
Hiedurch  erhält  man  ein  doppeltes  Dreieck ;  will  man  ein  einfaches  ha- 
•ben ,  so  durchschneidet  man  das  Viereck  in  seiner  Diagonale ,  wodurch 
man  zwei  einfache  Dreiecke  erhält.  —  Den  längsten  Rand  eines  Dreiecks 
nennt  man  seine  Basis,  das  der  Mitte  der  Basis  gegenüberliegende 
Ende  dieSpize,  und  die  Ecken,  in  welche  die  Basis  ausläuft,  seine 
beiden  Enden.  —  Will  man  zwei  kleinere  Dreiecke  aus  einem  grösseren 
erhalten,  so  legt  man  es  in  der  Art  in  der  Mitte  zusammen,  dass  sich 
seine  beiden  Enden  decken,  und  schneidet  es  in  der  Richtung  des  Bru- 
ches durch.  —  Aus  dem  gleichseitigen  Viereck  können  leicht  vier  klei- 
nere Dreiecke  gewonnen  werden ,  wenn  man  die  vier  Ecken  des  Tuchs 
so  gegeneinander  schlägt ,  dass  sich  dieselben  in  dem  Mittelpunkte  des 
Tuchs  mehr  oder  weniger  (je  nach  der  benöthigte  Grösse)  decken ;  man 
schneidet  sie  nach  der  Richtung  der  Falten  ab ;  ein  kleines  Viereck  fällt 
aus  der  Mitte  aus.  —  3)  Die  Halsbinde,  Tuchbinde,  Cravatte 
erhält  man  aus  dem  Dreieck,  indem  man  dessen  Spize  gegen  die  Basis 
hin  einschlägt  und  nun  das  Tuch  der  Länge  nach  bis  zu  der  nöthigen 
Breite  zusammenlegt.  Die  Länge  dieser  Binde  ist  von  der  Länge  der 
Basis  des  Dreiecks  abhängig.  Diese  Form  von  Verbandtüchern  ist  die- 
jenige ,  welche  hauptsächlich  die  Rollbinde  ersezen  soll.  —  Soll  ein 
Zirkelverband  mit  dieser  Tuchbinde  ausgeführt  werden ,  so  führt 
man  dieselbe  einige  Mal  in  Kreisgängen  um  den  leidenden  Theil  und 
knüpft  die  beiden  Enden  in, einen  Knoten  oder  heftet  sie  mit  Stecknadeln 
zusammen.  Um  einen  Spiralverband  anzulegen,  lässt  man  die  ein- 
zelnen Gänge  nach  einem  gemachten  Kreisgang  spiralförmig  verlaufen, 
wobei  man  die  Touren  sich  mehr  oder  weniger  nähern  oder  decken  lässt. 

—  Als  vereinigender  Verband  wird  die  Tuchbinde  einfach  oder 
gespalten  angewendet.  Soll  die  Binde  einfach  benüzt  werden,  so  bringt 
man  sie  mit  ihrem  Grunde  auf  die  der  Wunde  entgegengesezten  Seite, 
führt  die  Enden  gegen  dieselbe  vorwärts ,  kreuzt  sie  über  ihr  und  zieht 
sie  dann  so  fest  an,  als  es  die  Vereinigung  der  Wunde  fordert.  Hierauf 
fuhrt  man  die  Enden  zur  Kehrseite  zurück,  wiederholt  dieses  Verfahren 
so  oft ,  als  es  die  Länge  der  Wunde  erfordert  und  befestigt  die  Enden 
mit  Stecknadeln  oder  verknüpft  sie.  —  Die  gespaltene  Tuchbinde 
wird  wie  die  einfache  angelegt;  über  der  Wunde  wird  dann  das  eine 
Ende  durch  eine  in  dem  andern  angebrachte  Spalte  gesteckt ,  beide  fest 
angezogen  und  auf  die  angegebene  Weise  befestigt.  Ist  die  Wunde  sehr 
lang  ,  so  muss  eine  zweite  Binde  genommen  werden. 

Verbrennung ,  Combustio,  Ämbustio,  entsteht  in  Folge 
der  Einwirkung  eines  hohen,  die  normale  Temperatur  des  Menschen  über- 
steigenden Wärmegrades  auf  dem  Körper.  —  Die  Verbrennung  kann 
durch  das  Feuer ,   wie   durch  erhizte  und   äzende   Substanzen   geschehen. 

—  Je    nach    der  Dauer   und  Stärke    der  Einwirkung  des    brennenden 


968  VERBRENNUNG. 

Gegenstandes  wird  entweder  eine  oberflächliche ,  erythematode ,  oder  eine 
tiefer  eindringende  ,  phlegmonöse  Entzündung  gesezt ,  oder  aber  der  be- 
troffene Theil  vollständig  zerstört.  Nach  dieser  verschiedenen  Einwirkung 
hat  man  die  Verbrennungen  in  Grade  abgetheilt.  —  Symptome.  Im 
ersten  Grade  findet  nur  eine  leichte  Hautentzündung  statt,  welche 
sich  durch  eine  leichte  ,  unter  dem  Fingerdrucke  verschwindende  Röthe, 
einen  brennenden  Schmerz  äussert,  übrigens  weder  mit  Geschwulst  noch 
mit  Fieber  verbunden  ist.  —  Im  zweiten  Grade  ist  die  Röthe  in- 
tensiver ,  mit  Geschwulst  verbunden ,  der  Schmerz  heftiger.  Nach 
Verlauf  von  einigen  Stunden  erheben  sich  Blasen ,  worauf  der  Schmerz 
etwas  nachlässt.  Die  Blasen  enthalten  eine  klare ,  gelbliche  Flüssigkeit ; 
die  Blasen  plazen  oder  werden  aufgerissen  ,  die  losgelösste  Oberhaut  ver- 
trocknet und  lösst  sich  nach  einigen  Tagen  ab,  während  sich  eine  neue 
Epidermis  unter  ihnen  gebildet  hat.  Ist  die  gebrannte  Stelle  von  einigem 
Umfange  oder  sehr  nervenreich,  so  treten  bei  empfindlichen  Personen 
Fieberbewegen  hinzu.  —  Im  dritten  Grade  erstreckt  sich  die  Ent- 
zündung auf  das  Malpighis  che  Schleimnez,  die  ganze  Dicke  der 
Haut  und  zuweilen  sogar  noch  auf  eine  oberflächliche  Schicht  des  unter 
der  Haut  liegenden  Zellgewebs  ;  die  Röthe  ist  sehr  stark ,  die  Hize  und 
namentlich  die  Geschwulst  bedeutend  ,  der  Schmerz  sehr  heftig  brennend 
und  klopfend ,  so  dass  bei  reizbaren  Personen  nicht  selten  Zuckungen 
entstehen ;  die  Epidermis  streift  sich  von  dem  verbrannten  Theile  los 
und  die  blossgelegte  Lederhaut  zeigt  graue  ,  gelbe  oder  braune  Flecken, 
zwischen  denen  sich  Blasen  mit  einer  braunen  milchigen  oder  blutigen 
Flüssigkeit  gefüllt ,  erheben.  Bei  grosser  Ausdehnung  der  Verbrennung 
tritt ,  besonders  in  der  Nähe  wichtiger  Organe ,  bald  Fieber ,  zuweilen 
mit  nervösen  Erscheinungen  ein ,  und  nicht  selten  finden  sich  neben  der 
Hautentzündung  Phlogosen  oder  heftige  Congestion  in  innern  Gebilden. 
Bei  diesem  Grade  bleibt  die  Eiterung  nicht  aus  ;  sie  ist  anfangs  sehr 
stark ,  die  Granulationen  wuchern  gern  und  der  Vernarbungsprocess  gibt 
nicht  selten  zu  beträchtlichen  Deformitäten  Anlass.  —  Im  vierten 
Grade  hat  die  einwirkende  Schädlichkeit  die  organische  Structur  eines 
grössern  oder  geringern  Theils  der  Haut ,  des  Unterhautzellgewebes  und 
selbst  noch  tiefer  gelegener  Theile  zerstört  und  die  Gebilde  in  einen 
bald  dickeren  bald  dünneren  Schorf  von  aschgrauer,  brauner  oder  schwarzer 
Farbe  verwandelt,  der  mehr  oder  minder  trocken,  hart  und  fühllos  ist.  Im 
Umkreise  dieses  Schorfes  findet  sich  meistens  heftige  Entzündung ,  die  oft 
mit  Brandblasen  verbunden  ist  und  fast  nie  auf  die  Haut  beschränkt  bleibt, 
sondern  tiefer  greift  und  in  der  Regel  mit  der  Zeit  noch  zunimmt  und  die 
Tendenz  hat,  den  Brandschorf  durch  Eiterung  loszustossen.  Zuweilen  ist 
aber  auch  bei  oberflächlicher  Schorfbildung  die  Reaction  so  gering ,  dass 
die  Narbenbildung  unter  dem  Schorfe  zu  Stande  kommt ,  wie  z.  B. 
nach  Abbrennen  von  Moxen  auf  der  Haut ,  oder  dass  man  durch  reizende 
Salben  die  Reaction  steigern  muss  ,  um  Eiterung  herbeizuführen   und  die 


VERBRENNUNG. 


969 


Abstossung  des  Todten  zu  befördern.  Hat  die  Verbrennung  nur  einige 
Ausdehnung ,  so  stellt  sich  auch  hier  Fieber  ein  ,  und  bei  reizbaren  Per- 
sonen treten  nicht  selten  Convulsionen  hinzu.  Die  nachfolgende  Eiterung 
ist  sehr  beträchtlich,  die  Heilung  erfolgt  durch  üppige  Granulationen, 
die  schliesslich  in  Narbengewebe  sich  umwandeln ,  welches  durch  seine 
bedeutende  Contraction  oft  troz  der  grössten  Sorgfalt  die  störendsten 
Deformitäten  herbeiführen  kann.  Die  Narben  nach  Brandwunden  zeigen 
sich  erhaben  ,  ungleich ,  brückenf  örmig ;  sie  bleiben  lange  Zeit  roth  und 
in  der  Kälte  blau  gefärbt.  —  Bei  der  gänzlichen  Verkohlung  eines  Theils 
bleibt  nach  dessen  Abstossung  ein  mehr  oder  weniger  ungleicher  Stumpf 
zurück.  —  Ein  jeder  Grad  von  Verbrennung  kann ,  je  nachdem  eine 
grössere  oder  geringere  Fläche  gelitten  hat ,  entweder  den  Verlauf  einer 
örtlichen  Affection  nehmen,  oder  durch  allgemeine  Zufälle  das  Le- 
ben des  Kranken  mehr  oder  weniger  gefährden  ;  die  leztern  sind  dann 
entweder  die  unmittelbare  Folge  einer  durch  die  Verbrennung  hervorge- 
rufenen allgemeinen  Irritation  ,  oder  werden  seeundär  durch  die  entzünd- 
liche Reaction ,  Eiterung  und  Erschöpfung  herbeigeführt.  Der  stets  leb- 
hafte Schmerz  wird  zuweilen ,  besonders  bei  sehr  nervösen  Personen  bis 
zu  einem  solchen  Grade  gesteigert ,  dass  er  augenblicklich  tödtet.  Ist 
die  Irritation ,  welche  sich  von  den  Hautdecken  auf  das  Nervensystem 
fortpflanzt,  nicht  stark  genug,  um  den  Tod  unmittelbar  herbeizuführen, 
so  treten  zuweilen  andere  furchtbare  Symptome  auf.  Bald  sieht  man 
die  Kranken  in  eine  äusserste  Unruhe ,  Schlaflosigkeit ,  Krämpfe  und  in 
heftiges  Fieber,  bald  in  Stupor  und  Abgeschlagenheit  verfallen;  lezterm 
Schwächezustand  erliegen  die  Kranken  meist  sehr  schnell ,  wenn  nicht 
eine  allgemeine  Reaction  zu  Stande  kommt.  Das  bei  den  Verbrennun- 
gen eintretende  Fieber  ist  immer  mit  Ekel  oder  Erbrechen  und  Appetit- 
losigkeit verbunden.  Bei  dem  Ergriffensein  grosser  Flächen  sieht  man 
nicht  selten  alle  Symptome  einer  nervösen  und  gastrischen  Irritation  in 
einem  so  gesteigerten  Grade  hinzukommen,  dass  der  Tod  auf  der  Stelle 
erfolgt.  Sehr  häufig  stellt  sich  eine  heftige  Oppression  ein ,  welche ,  wie 
die  Congestionen  zu  den  innern  Organen  überhaupt,  in  der  durch  die 
Verbrennung  bedingten  Unterdrückung  der  Hautthätigkeit ,  insbesondere 
auch  der  Hautausdünstung ,  ihre  Erklärung  findet.  Eine  weitere  Gefahr 
droht  dem  Kranken  durch  die  Heftigkeit  der  bei  der  Abstossung  der 
brandigen  Theile  eintretenden  Eiterung,  welche  erschöpfend  werden  oder 
durch  Eiterresorption  eine  Infection  der  Blutmasse  hervorbringen  kann. 
Zu  den  gefährlichsten  Complicationen  der  Verbrennung  ist  noch  die  dif- 
fuse phlegmonöse  Hautentzündung  zu  rechnen ,  welche  sich  zuweilen  mit 
der  ursprünglichen  Verlezung  verbindet ,  und  welche ,  wenn  man  nicht 
bald  dagegen  einschreitet ,  Eiterherde  und  Eitersenkungen  in  die 
Zwischenräume  der  Muskeln  bildet,  die  der  äusserst  reichlichen  Eiterung 
wegen  die  Amputation  nöthig  machen  können.  —  Prognose.  Diese 
richtet  sich  nach  dem  Grade  und  der  Ausdehnung  der  Verbrennung ,  nach 


970  VERBRENNUNG. 

der  Reizempfindliehkeit  des  betroffenen  Individuums  und  darnach  ob  die 
Verbrennung  in  der  Nähe  oder  fern  von  wichtigen  Organen  statt  hat.  Es 
ist  einleuchtend ,  dass  die  höhern  Grade  der  Verbrennung  bedenklicher 
sind  ,  als  die  niedern  ;  es  kommt  aber  hierbei  auch  viel  auf  den  Umfang 
einer  solchen  an.  Erstreckt  sich  die  Verbrennung  auf  einen  grossen 
Theil  der  Körperoberfläche ,  insbesondere  wenn  sie  mehr  als  ein  Drittel 
derselben  betrifft ,  sei  es  auch  nur  in  einem  der  niedern  Grade ,  so  ist 
der  Fall  weit  schlimmer,  als  wenn  nur  ein  einzelnes  Glied  in  einein 
höhern  Grade  verbrannt  ist,  weil  die  Funktion  der  Haut  bedeutend  gestört 
und  dadurch  das  Wechselverhältniss  zu  den  Athmungs  -  und  Circulations- 
werkzeugen  aufgehoben  ist.  Sehr  empfindliche  Personen,  Weiber  und  Kinder 
können  selbst  durch  leichtere  Verbrennungen  Krämpfe  bekommen,  während 
sehr  unempfindliche  Personen  oft  grosse  Verbrennungen  ohne  heftige  Zufälle 
ertragen.  Verbrenungen  am  Kopf  (Sonnenstich),  der  Brust  oder  des  Unter- 
leibs sind  wegender  Betheiligimg  der  innern  Organe  weit  mehr  zu  fürchten, 
als  solche  an  den  Extremitäten.  —  Die  Verbrennungen  hinterlassen  gern 
entstellende  Narben ,  Verwachsungen  natürlicher  Oeffnungen ,  Verwach- 
sungen neben  einander  liegender  Theile ,  oder  es  kommen  Abweichungen 
der  natürlichen  Richtung  eines  Gliedes  zu  Stande.  —  Behandlung.  Sie 
zerfällt  in  eine  allgemeine  und  örtliche.  Die  allgemeine  Behand- 
lung tritt  nur  ein ,  wenn  die  Verbrennung'  mit  allgemeinen  Störungen 
verbunden  ist ;  in  den  leichteren  Fällen  ordnet  man  zunächst  eine  strenge 
Diät  an ,  reicht  kühlendes  Getränk  und  sorgt  für  ein  kühles  Zimmer  mit 
reiner  Atmosphäre.  Sind  heftige  Schmerzen  vorhanden ,  so  gibt  man 
Morphium,  Opium  oder  Hyoscyainus;  treten  Fieber  und  Entzündungs- 
symptome ein ,  namentlich  bei  kräftigen ,  vollsaftigen  Individuen ,  so 
nehme  man  allgemeine  Blutentziehungen  vor,  sei  aber  mit  diesen  vor- 
sichtig und  substituire  ihnen  schmale  Kost,  verdünnte  kühle  Getränke 
und  sonstige  kühlende  Mittel  in  den  Fällen  ,  wo  man  eine  lang  dauernde 
profuse  Eiterung  voraussieht ,  welche  die  Kräfte  'der  Kranken  sehr  in 
Anspruch  nehmen  wird.  Bozot  und  J.  Cloquet  rathen  in  diesem 
Falle  das  Ansezen  einer  grossen  Menge  Blutegel  in  die  Umgebung  der 
verbrannten  Theile  an.  Ist  Suppuration  eingetreten  und  das  Fieber  ver- 
schwunden ,  so  sind  eine  kräftigere  Nahrung  und  tonisirende  Arzneimittel 
angezeigt.  Insbesondere  ist  ein  mit  Salzsäure  bereitetes  Decoctum 
c  h  i  n  a  e  hier  am  Plaze  ;  bei  hohem  Schwächezustand  gibt  Dupuytren 
Eisen-  und  Chinapräparate  mit  Vortheil.  Gegen  die  colliquativen  Durch- 
fälle ,  welche  sich  oft  zur  Zeit  der  Vernarbung  einstellen  ,  verordnet  der- 
selbe Pillen  aus  einem  1/2  Gran  Extract.  o  p  i  i  und  1  Gr.  Zincum 
s  u  1  p  h  u  r. ,  von  denen  der  Kranke  in  2  4  Stunden  3  bis  4  Stück  nimmt ; 
auch  Ipecacuanha  hat  sich  gegen  dieselben  wirksam  gezeigt.  —  O  ert- 
liche Behandlung.  Bei  den  beiden  ersten  Graden  ist  die  Anwen- 
dung der  Kälte  von  ausgezeichnetem  Nuzen;  man  lässt  die  verbrannten 
Stellen  in  kaltes  Wasser  tauchen ,  oder  belegt  sie  mit  Compressen ,  die  in 


VERBRENNUNG.  971 

kaltes  Wasser,  Bleiwasser  oder  Essig  und  Wasser  getaucht  sind.  Einige 
rathen  ,  anfangs  nicht  zu  kaltes  Wasser  zu  nehmen  und  nur  allmälig  zu 
den  mindern  Wärmegraden  überzugehen.  Gut  ist  auch  das  Auflegen 
von  geriebenen  Kartoffeln  ,  kühler  Erde  ,  Kohlblättern  etc.  Nicht  sehr 
grosse  und  straffe  Blasen  überlässt  man  sich  selbst ;  sehr  gespannte  öffnet 
man  durch  einen  Nadelstich  an  ihrem  Grunde.  Sind  die  Blasen  abge- 
rissen ,  so  wird  die  Kälte  nicht  mehr  gut  ertragen.  Hier  passen  milde 
Salben  oder  Oele  ,  das  Mandel  - ,  Oliven  -  ,  Leinöl.  Lezteres  Oel  bildet 
in  Verbindung  mit  Kalkwasser  (Rp.  Aq.  c  a  1  c  i  s  ^ij  ,  Ol.  lini  [auch 
Ol.  oliv]  ^j  ,  T  i  n  c  t .  o  p  i  i  s  i  m  p  1 .  «^j  M.  f.  1  i  n  i  m  e  n  t.)  das  Brand- 
liniment ,  welches  eine  ausgedehnte  Anwendung  gefunden  hat.  Weitere 
Zusammensezungen  mit  diesen  Oelen  sind:  Rp.  Ol.  lini  recent.  ^iv, 
Album,  ovo r.  No.  II.  M.  ;  —  Rp.  Ol.  hyos.cyami  5vj  ,  Ol.  lini 
^jß  ,  A  c  e  t.  1  y  t  h  a  r  g.  ►)$  — j  ,  U  n  g  t.  a  1 1  h.  ^j .  M.  f.  u  n  g  t  ;  — 
Rp.  Ol.  lini  recent.  5viij ,  Album,  ovor.  No.  vj ,  Acet.  lytharg. 
^j.  M.  f.  Liniment.  Die  aufgeführten  Oele  und  Salben  werden  mittels 
Leinwandläppchen,  die  damit  getränkt  oder  bestrichen  sind,  aufgelegt, 
oder  mit  einem  Pinsel  oder  Federbarte  aufgestrichen.  Eitern  einige 
Stellen  während  des  Gebrauchs  dieser  Linimente  zu  stark,  so  verbindet 
man  mit  folgender  Salbe:  I^z.  Flo  r.  zin  c,  Lapid.  calamin.,  S  em. 
lycopod.  ana  5 j  ,  Gumm.  myrrh.,  Sacch.  saturn.  ana  3ß, 
Axung.  porc.  §jß.  M.  f.  ungt.  Eine  ähnliche,  gegen  den  Ein- 
fluss  der  Luft  schüzende  Wirkung  auf  die  entblössten  Hautstellen  hat 
das  mehrmalige  Bestreichen  mit  einer  Auflösung  des  arabischen  Gummi, 
mit  Collodium ,  das  Aufstreuen  von  Kohlenpulver,  Mehl,  Semen  ly- 
copodii.  Sehr  vortheilhaft  wirkt  das  Auflegen  von  baumwollener 
Watte ,  womit  man  bei  Verbrennungen  des  ersten  Grades  die  verbrannten 
Theile  ohne  Weiteres  umgibt ;  beim  zweiten  Grade  sticht  man  die  Blasen 
an  ,  wäscht  die  Theile  mit  lauwarmem  Wasser  oder  bei  etwas  tieferen 
Verbrennungen  mit  Branntwein,  Spiritus  lavendulae,  Terpenthinöl 
u.  dgl. ,  legt  dann  die  Watte  in  dichten  Schichten  an  und  befestigt 
sie  nötigenfalls  mit  Binden.  Weitere  Mittel,  die  angegeben  wurden, 
sind :  die  methodische  Compression ;  man  bewirkt  sie  mit  Compressen 
und  Binden ,  oder  mittels  Heftpflasterstreifen ;  bei  Vorhandensein  von 
Blasen  nimmt  man  diese  vorher  weg ,  bedeckt  die  Wunde  mit  durch- 
löcherter und  mit  Cerat  bestrichener  Leinwand  und  legt  eine  dünne  Lage 
Charpie  darüber;  eine  Lösung  von  Chlornatron  oder  Chlorkalk  1^?.  Cal- 
car.  chlorat.  ^ß  tere  invicem  et  sensim  affunde  A  q. 
fönt.  s.  rosar^j  etpost  c  1  a  r  i  f  i  c.  1  i  m  p  i  d  i  a  d  m  i  s  c.  M  u  c  i  1. 
gi  arab.  s.  sem.  cydon.  ^ij.  S.  Mit  leinenen  Lappen  nicht  zu 
kalt  überzuschlagen ;  diese  wirken  in  den  niedern  Graden  zertheilend ,  in 
den  höhern  reinigend ;  eine  concentrirte  Lösung  des  Salmiaks  mit 
Compressen  übergeschlagen  und  dies  wiederholt,  so  oft  sich  wieder  Wärme 
und   Brennen    in    der    verbrannten   Portion    einstellt    beseitigt  bei  Ver- 


972  VERENGERUNGEN  UND  VERSCHLIESSUNGEN. 

brennungen  des  1.  und  2.  Grads  (Ion  Schmerz  sehr  schnell;  der  Höllen- 
stein in  Substanz  oder  in  einer  saturirten  Auflösung ;  es  bildet  sich  eine 
schwarze  Kruste ,  unter  welcher  die  wunden  Stellen  wenigstens  theilweise 
zuheilen.  Ausserdem  sind  noch  der  Honig,  geschabte  Rüben ,  dicker 
Terpenthin ,  Seifenbrei  etc.  bei  den  niedern  Graden  von  Verbrennung 
gerühmt  worden.  Auf  die  Umgegend  der  von  der  Oberhaut  entblössten 
Stellen  wendet  man  fortwährend  die  Kälte  an.  —  Da  die  Eiterung  in 
Folge  von  Brandwunden  immer  ungewöhnlich  copiös  ist,  so  muss  der 
Verband  immer  so  eingerichtet  sein ,  dass  der  Eiter  durch  die  Ver- 
bandstücke eingesogen  wird,  und  also  so  kurz  als  möglich  mit  der  Wund- 
fiäche  in  Berührung  bleibt.  Man  bedient  sich  deshalb  durchlöcherter 
Compressen  und  darüber  trockener  Charpie  ;  hat  man  Watte  angewendet, 
so  entfernt  mau  immer  den  vom  Eiter  durchdrungenen  Theil  derselben 
(und  nur  diesen  allein  ,  um  den  verbrannten  Theil  möglichst  wenig  der 
Luft  auszusezen)  und  ersezt  ihn  durch  neue  Lagen.  —  Beim  4.  Grade 
hat  man  es  zunächst  nur  mit  der  in  der  Umgebung  des  Brandigen  auf- 
tretenden Entzündung  zu  thun,  die  man  so  viel  als  möglich  nieder- 
zuhalten sucht ;  man  verfährt  in  dieser  Absicht  wie  oben  angegeben  wurde. 
Später  hat  man  auf  die  Absonderung  der  todten  Masse  hinzuwirken, 
was  mittels  erweichender  Breiumschläge  geschieht.  Wenn  alles  Todte 
entfernt  ist,  behandelt  man  die  Wundfläche  nacli  ihrem  Charakter.  Bilden 
sich  üppige  Granulationen,  was  hier  sehr  gern  der  Fall  ist,  so  passen  Sal- 
ben u.  dgl.  nicht  mehr,  sondern  man  zieht  Einstreupulver  von  rothem 
Präcipitat,  Höllensteinsolution  mit  Opium  etc.  in  Gebrauch.  —  Die  Ver- 
narbung befördert  man  durch  Höllensteinsolution  oder  trocknende  Salben, 
wie  die  Galmei  - ,  Zink  -  oder  Bleisalben.  —  In  dem  Zeitraum  der  Ver- 
narbung muss  der  Bildung  unförmlicher  Narben  entgegengewirkt  werden; 
dies  geschieht  durch  eine  geeignete  Lage  des  ergriffenen  Theils ,  durch 
extendirende  Bandagen.  Das  Zusammenwachsen  nebeneinander  liegender 
Theile,  wie  der  Finger  und  Zehen  ,  verhindert  man  durch  Leinwandläpp- 
chen oder  Charpiebäuschchen,  die  mit  Salben  bestrichen  sind.  Indessen 
sind  Deformitäten  oft  bei  der  grössten  Vorsicht  nicht  zu  vermeiden,  und 
diese  alsdann  auf  operativem  Wege  zu  beseitigen. 

Verengerungen  und  Verschliessungen,    stenocho- 

rien  (von  Gzei'og ,  eng  und  xwqa ,  Raum),  Stenosen  (von  (freyroco, 
ich  verdichte ,  verengere)  und  Atresien  (von  a  priv.  und  t^w  ,  fut. 
xorjGü),  ich  durchbohre).  Hierunter  versteht  man  die  verminderten  Raum- 
verhältnisse oder  die  gänzliche  Schliessung  von  Oeffnungen  und  Hohlräu- 
men. —  Dieser  abnorme  Zustand  kann  angeboren  oder  erworben  sein. 
Die  angeborenen  Verengerungen  und  Verschliessungen  beruhen  ent- 
weder in  einem  Stehenbleiben  auf  einer  früheren  Bildungsstufe  oder  auf 
excessiver  bildender  Thätigkeit.  —  Bei  angeborener  Atresie  von  Aus- 
führungsgängen  (Imperforation)   ist   die   OerFnung  entweder  durch 


VERENGERUNGEN  UND  VERSCHLIESSUNGEN.  973 

eine  blosse  Haut  oder  häutige  Brücke  verschlossen ,  und  der  Kanal  selbst 
hat  seine  normale  Beschaffenheit,  oder  die  Verschliessung  geschieht  durch 
eine  fleischartige  Masse  und  der  Kanal  ist  auf  eine  kürzere  oder  längere 
Strecke  verschlossen  ,  endigt  blind  und  lässt  äusserlich  wenig  oder  gar 
keine  Spur  von  einer  Oeffnung  wahrnehmen.  Die  Imperforation  erstreckt 
sich  in  seltenen  Fällen  auf  mehrere  Körperöffnungen.  —  Die  erwo  r  b  e- 
nen  Verengerungen  und  Verschliessungen  können  in  verschiedenartigen 
Krankheitszuständen  ihren  Grund  haben ,  nämlich  :  1 )  in  einem  Krämpfe 
der  contractilen  Wände;  2)  in  entzündlicher  Anschwellung,  Hypertrophie 
oder  Afterproduction  der  auskleidenden  Schleimhäute ;  3)  in  Narben  in 
der  Nähe  von  Ausführungsgängen  oder  an  denselben j  4)  in  Verwachsung 
nach  vorausgegangener  Entzündung  und  plastischer  Ausschwizung  ;  5)  in 
der  Compression  durch  in  der  Nähe  von  Oeffnungen  und  Kanälen  liegen- 
der Geschwülste  etc.  ;  6)  in  dem  Mangel  an  Inhalt  in  einer  Höhle  ,  z.  B. 
wenn  von  gewissen  Gef  ässstrecken  das  Blut  abgeleitet  wird,  etc.  Endlich 
7)  können  auch  Oeffnungen  und  Kanäle  durch  fremde,  von  aussen  einge- 
drungene Körper ,  oder  durch  in  jenen  selbst  gebildete  pathologische  Er- 
zeugnisse ,  wie  z.  B.  durch  Schleimpfröpfe ,  Blutcoagula,  Steine  etc.  ver- 
schlossen werden.  —  Die  Folgen  der  Verengerung  und  Verschliessung 
bestehen  in  Hemmung  oder  gänzlicher  Behinderung  des  Durchgangs  von 
Stoffen ,  für  welche  die  Oeffnungen  und  Kanäle  bestimmt  sind ,  wodurch 
Anhäufung,  Erweiterung,  Lähmung  und  Zerreissung,  und  damit  Tod  oder 
Fistelbildimg  herbeigeführt  werden  kann.  Verengerung  und  Verschlies- 
sung von  Blutgefässen  kann  Ausdehnung  collateraler  Aeste  ,  oder  auch 
Atrophie,  Brand  zur  Folge  haben.  Atresie  der  Nasenöffnungen  verhindert 
den^Geruch,  das  Athemholen,  Atresie  der  Pupille  den  Eintritt  des  Lichts 
etc.  Findet  eine  solche  angeborene  Verschliessung  bei  einem  Ausfüh- 
rungsgange statt,  durch  welchen  häufig  Stoffe  entleert  werden,  z.  B.  dem 
After ,  der  Harnröhre  ,  so  entdeckt  man  dieses  bald  nach  der  Geburt  bei 
einer  angestellten  Untersuchung.  Trifft  aber  diese  Verschliessung  einen 
Ausführungsgang,  dessen  Functionen  erst  später  eintreten ,  z.  B.  Vagina, 
Vaginalportion  des  Uterus,  so  bemerkt  man  die  Verschliessung  meist  erst 
dann ,  wenn  die  Functionsstörung  eintritt.  - —  Die  erworbenen  Verenge- 
rungen und  Verschliessungen  sind  bald  nur  vorübergehend,  wie  die,  denen 
Krampf  zu  Grunde  liegt,  bald  bleibend,  wenn  z.  B.  Verwachsung  besteht. 
—  Behandlung.  Verschliessung  durch  Imperforation  oder  Verwach- 
sung muss  mittels  schneidender  Instrumente  gehoben  und  dann  die  TVieder- 
verwachsung  durch  Einlegen  fremder  Körper,  wie  Bourdonnets  mit  trock- 
nenden Salben  bestrichen,  Bleiröhren,  Darmsaiten,  Bougies  oder  Catheter 
etc.  verhindert  werden.  Nicht  selten  wird  die  Ueberpflanzung  der  Schleim- 
haut nothwendig.  —  Krampfhafte  Verengerung  oder  Verschliessung  er- 
heischt die  Anwendung  erschlaffender ,  krampfstillender  Mittel ,  oder  die 
Myotomie  und  nebenbei  die  Einlegung  fremder  Körper.  Entzündliche 
Anschwellung   erfordert    eine   antiphlogistische  Behandlung.       Hypertro- 


974  VERHAERTUNft. 

phische  Zustände  der  Kanalwandungen  oder  organisirte  Neubildungen 
müssen  durch  exeentrischen  Druck,  durch  adstringirende  Mittel,  Scari- 
fication,  Excision,  Cauterisation  etc.  zu  entfernen  gesucht  werden.  Com- 
primirende  Geschwülste,  Einschnürungen  etc.  sind  zu  beseitigen.  —  Kön- 
nen die  Verengerungen  und  Verschliessungen  nicht  für  die  Dauer  entfernt 
werden ,  so  hilft  man  palliativ  durch  Einlegen  fremder  röhrenförmiger 
Körper,  oder  durch  Anlegung  neuer  OefFnungen  und  Kanäle  an  geeigneten 
Orten,   z.  B.  eines  künstlichen  Afters    bei  Unwegsamkeit  des  Mastdarms. 

vernärtUHgj  lud  «ratio,  Hierunter  versteht  man  die  zu  einer 
compacten  Masse  erstarrte  Ausschwizung  gerinnbarer  Stoffe  in  das  Paren- 
chym  eines  entzündeten  Organs.  —  Der  Vorgang  ist  hierbei  folgender : 
das  anfangs  flüssige  Product  der  Entzündung  erfüllt  die  Zellen  des  Zell- 
gewebes, die  Zwischenräume  der  Nerven ,  Gefässe ,  Drüsenkerne,  Fasern, 
so  wie  die  schichtweise  übereinander  liegenden  Membranen.  Später  ge- 
rinnt die  ausgeschwizte  Substanz ,  verklebt  die  verschiedenartigen  Theile 
untereinander ,  vereinigt  und  verschmilzt  sie  um  so  inniger ,  je  fester  sie 
wird ,  und  dies  bis  zu  einem  solchen  Grade ,  dass  ihre  eigentümliche 
Textur  und  Structur  sich  verändert  und  ihre  Function  beschränkt  oder 
ganz  aufgehoben  wird.  Ein  durchaus  verhärteter  Theil  zeigt  in  seiner 
Structur  keine  nachweisbare  Trennung  der  einzelnen  Gewebe  mehr,  selbst 
nach  Maceration  nicht ;  die  Gefässe  sind  verschlossen,  die  Faser  ist  nicht, 
mehr  irritabel,  die  Ernährung,  der  Stoffwechsel  und  die  Secretionen  stehen 
still.  —  Die  Verhärtung  tritt  am  häufigsten  in  Folge  von  Entzündungen 
höhern  Grades  ein.  Aber  auch  oft  wiederkehrende  chronische  Entzün- 
dungen,  selbst  wenn  sie  massig  sind,  haben  nicht  selten  Induration  zur 
Folge  ,  indem  kleinere  Mengen  gerinnbarer  Flüssigkeit  zu  wiederholten 
Malen  ausgeschieden  werden,  so  dass  nach  und  nach  eine  Anhäufung  von 
plastischem  Stoffe  entsteht.  —  Symptome.  Verhärtete  Theile  zeigen 
weniger  Wärme  als  andere,  sind  mehr  oder  minder  gefühllos,  ihre  Func- 
tion ist  gestört,  secernirende  hören  auf  zu  secerniren.  Verhärtungen  ver- 
anlassen überdies  Druck  auf  nahe  Theile ,  beschränken  somit  auch  die 
Function  dieser  Nachbarorgane.  Hat  die  Verhärtung  ihren  Siz  in  durch- 
sichtigen Theilen ,  so  werden  diese  undurchsichtig ;  elastische  Theile  ver- 
lieren ihre  Elasticität.  Die  Verhärtung  hat  gewöhnlich  eine  Vermehrung 
des  Unifangs  des  befallenen  Theils  zur  Folge  (entzündliche  Hyper- 
trophie), zuweilen  wird  dieser  aber  auch  durch  Verschrumpfung  und 
Dichterwerden  des  Entzündungsproducts  atrophisch.  —  Zur  Verhärtung 
sind  besonders  weniger  blutreiche  und  solche  Theile  geneigt ,  bei  denen 
die  Circulation  auch  im  normalen  Zustande  langsam  von  Statten  geht,  wie 
in  den  Drüsen.  Ferner  disponirt  zur  Verhärtung  eine  torpide  Körper- 
beschaffenheit, phlegmatisches,  auch  cholerisches  und  atrabiläres  Tempe- 
rament, Dyscrasien,  wie  Scropheln,  Gicht ;  zu  reichliche  und  während  des 
Entzündungsverlaufs  zu  oft  wiederholte  Blutentziehungen ,   ferner  die  un- 


VERHAERTUNG.  975 

passende  Anwendung  der  Kalte  und  der  adstringirenden  Mittel ,  durch 
welche  eine  zu  frühzeitige  Gerinnung  des  Exsudats  herbeigeführt  wird.  — 
Von  der  scirrhösen  Verhärtung  unterscheidet  sich  die  entzündliche 
Induration  dadurch ,  dass  jene  ohne  merkbare  Entzündung  sich  ausbildet 
und  das  Resultat  einer  krebsigen  Dyscrasie  ist.  Auch  stellt  sich  der 
Scirrhus  mit  einer  knotigen  harten  Oberfläche  dar ,  während  die  entzünd- 
liche Verhärtung  eine  mehr  ebene  Oberfläche  darbietet.  —  Ausgang  e. 
Niedere  Grade  von  noch  nicht  lange  bestehenden  Verhärtungen  lassen 
sich  gewöhnlich  bald  beseitigen ;  alte  Verhärtungen  widerstehen  oft  jeder 
Behandlung.  Wenn  irgend  eine  Reizung  die  Entzündung  wieder  an- 
facht, so  kann  durch  neue  Ablagerungen  der  Umfang  der  Verhärtung  ver- 
mehrt ,  oder  aber  diese  in  Eiterung  versezt ,  selbst  brandig  werden.  — 
Behandlung.  Bei  beginnender  Verhärtung  muss  man  suchen ,  das 
Exsudat  möglichst  lange  flüssig  zu  erhalten  und  seine  Resorption  zu  be- 
fördern. Hierzu  dienen  bei  noch  etwas  gereiztem  Zustande  Quecksilber 
innerlich  und  äusserlich.  Bei  mehr  torpidem  Zustande  zieht  man  Jod- 
mittel,  namentlich  Jodkali,  dann  den  Sublimat  innerlich  und  äusserlich, 
Digitalis,  Senega,  aromatische  "Waschungen ,  Liniment umvolatile, 
camphoratum,  gelind  reizende  Pflaster  etc.  in  Gebrauch.  Diese 
Mittel  dienen  auch  bei  bereits  fest  gewordenem  Exsudate  ,  welchem  man 
bei  noch  bestehender  entzündlicher  Reizung  das  wiederholte  Ansezen  von 
Blutegeln  beifügt.  Andernfalls  zeigt  sich  die  Anwendung  lauer  Fomen- 
tationen  mit  Lösungen  von  Sublimat  oder  Alkalien,  zertheilenden  Cataplas- 
men  mit  Cicuta,  Hyoscyamus  u.  dgl.,  Jod-  und  Quecksilbersalben  mit  Zu- 
säzen  von  Campher,  resolvirenden,  mehr  oder  weniger  reizenden  Pflastern,  wie 
das  Empl.  mercuriale,  conii,  hyoscyami,  saponatum,  de 
mercurio  c.  camphora,  de  cicuta  c.  ammoniaco,  das  Bestrei- 
chen von  Jodtinktur,  der  Gebrauch  von  Bädern  von  ätherischen  oder  nar- 
kotischen Kräutern,  Schwefelbädern,  Schlammbädern,  Electricität  und  Gal- 
vanismus  wirksam.  Sehr  nüzlich  erweist  sich  auch,  wo  es  angeht,  ein 
methodischer  Druckverband  mit  Pflasterstreifen  oder  Binden.  Auch  Ab- 
leitungsmittel ,  wie  Blasenpflaster ,  Moxen  oder  das  Glüheisen  sind  unter 
Umständen  angezeigt.  Innerlich  zieht  man  Mittel  in  Gebrauch  ,  welche 
die  Aufsaugung  und  den  Stoffwechsel  begünstigen.  In  dieser  Hinsicht 
werden  empfohlen :  besonders  Brech-  und  Abführmittel ,  dann  Taraxa- 
cum,  Chelidonium,  Saponaria,  Gummi  ammoniacum, 
galbanum,  die  Seife,  die  Antimonialien  und  Merkurialien,  grosse  Dosen 
Salmiak,  die  Belladonna ,  Digitalis,  Cicuta,  das  Aconit,  die  Dulcamara, 
Aqua  laurocerasi,  das  Natrum  carbonicum  etc.  Gute  Dienste 
leisten  auch  die  auflösenden  Mineralwasser.  —  Gelingt  die  Zertheilung 
nicht,  so  ruft  man  entweder  eine  Entzündung  hervor ,  um  die  Verhärtung 
in  Eiterung  zu  versezen ,  oder  man  entfernt  sie ,  sofern  es  die  Localität 
gestattet  und  sie  Beschwerden  erregen ,  durch  das  Messer.  Behufs  der 
Hervorrufung   einer  Entzündung  und  Eiterung   zieht  man  bei  oberfläch- 


97  fi  VERKRUEMMUNG. 

liehen  Verhärtungen  scharfe  Cataplasmen  oder  reizende  Pflaster  in  Ge- 
brauch ;  bei  tiefer  sizenden  durchzieht  man  die  Geschwulst  mit  einem 
Haarseil ,  das  man  nöthigenfalls  mit  scharfen  Substanzen  versieht ,  sorgt 
dabei  für  gehörigen  Abfluss  des  Eiters  und  befördert  die  Eiterung  durch 
Auflegen  von  Cataplasmen.  —  Ist  die  Beseitigung  der  Verhärtung  nicht 
möglich,  so  schüze  man  sie  gegen  äussere  Einwirkungen,  halte  sie  gehörig 
warm ,  sorge  für  Freiheit  aller  Se  -  und  Excretionen  und  eine  geregelte 
Lebensweise. 

Verkrümmung,  C  u  r  v  a  t  u  r  a.  Hierunter  versteht  man  auf- 
fallende Abweichungen  einzelner  Theile  des  menschlichen  Körpers  von 
ihrer  natürlichen  Richtung ,  entweder  bedingt  durch  eine  wirkliche  Ver- 
biegung  der  Knochen  oder  durch  veränderte  fixirte  Gelenkstellungen  ;  lez- 
terer  Zustand  wird  gewöhnlich  als  Contractu.!'  (C  o  ntr  act  ur  a)  bezeich- 
net. —  Die  Verkrümmungen  sind  entweder  Fehler  der  ersten  Bildung 
(Bildungshemmung ,  Krankheiten  des  Fötus,  fehlerhafte  Lage  desselben) 
und  dann  angeboren,  oder  sie  entstehen  später,  in  welchem  Falle  sie  sich 
immer  langsam  und  in  der  Regel  ohne  Schmerz  entwickeln.  —  Die  Ver- 
krümmungen können  sehr  verschiedene  Formen  und  Grade  zeigen ;  die 
Theile  sind  bald  gebogen ,  winklig  gekrümmt,  bald  verdreht.  Befindet 
sich  ein  steifes  Gelenk  in  Beugung,  so  nennt  man  den  Zustand  Flexur, 
ist  es  in  Ausstreckung ,  Extensur.  —  Ursachen.  Diese  sind  :  1) 
eine  fehlerhafte  M  u  skelt  h  äti  gkei  t  in  der  Art,  dass  der  nor- 
male Antagonismus  aufgehoben  ist.  Diese  Störung  kann  ihren  Grund 
haben  einerseits  in  einer  Schwäche  oder  gänzlichen  Lähmung  einer  Mus- 
kelpartie, während  die  antagonistische  in  ihrem  normalen  Typus  fortwirkt, 
andererseits  in  excessiver  krampfhafter  Thätigkeit  einer  Muskelpartie, 
während  die  entgegengesezte  nicht  verhältnissmässig  Widerstand  leistet. 
Diesem  nach  ist  eine  paralytische  und  eine  spastische  Verkrüm- 
mung zu  unterscheiden.  In  vielen  Fällen  ist  die  Contractilität  einer  Mus- 
kelpartie nicht  vollständig  verloren,  sondern  es  besteht  nur  ein  Ueberwie- 
gen  der  einen  über  die  andere.  Mit  der  Zeit  contrahiren  sich  aber  die 
überwiegenden  Muskeln  immer  mehr  und  verkürzen  sich  zulezt  organisch, 
so  dass  sie  keiner  Ausdehnung  mehr  fähig  sind,  während  die  verlängerten 
Muskeln  an  Contractionsfähigkeit  einbüssen.  —  Die  Ursachen  dieser 
Muskelcontracturen  ihrerseits  sind  sehr  mannigfaltig.  Krankheiten  der 
Nervencentren  ,  einseitige  peripherische  Reizungen  sensibler  Nerven ,  un- 
gleiche Uebung,  Anstrengung  einzelner  Muskelpartien,  anhaltendes  Ver- 
bleiben der  Körpertheile  in  einer  Lage,  wobei  eine  Muskelpartie  ausge- 
dehnt, die  antagonistische  verkürzt  ist,  gehören  zu  den  häufigsten  Ursachen 
dieser  Art.  —  2)  Andauernde  Haltung  eines  Theils  in  einer  ge- 
wissen Stellung  gibt  eine  häufige  Veranlassung  zu  Contracturen.  Ge- 
lenkfracturen ,  chronische  Entzündungen  der  Gelenke  sind  es  besonders, 
bei  welchen   oft  lange  Zeit  eine  bestimmte ,    in  der  Regel  flectirte  Lage 


VERKRUEMMUNG.  s  977 

beibehalten  und  jede  Bewegung  vermieden  werden  muss.  Die  Folge  da- 
von ist  eine  Rigidität  der  Muskeln ,  Sehnen,  Fascien  und  Gelenkbänder, 
Verlust  ihrer  Elasticität  und  Contractilität ,  zulezt  organische  Verkürzung 
auf  der  einen ,  Verlängerung  auf  der  andern  Seite  und  damit  Fixirung  in 
der  gegebenen  Stellung.  Bei  entzündlichen  Zuständen  kommen  dazu 
noch  plastische  Ausschwizungen  im  Umfange  der  Gelenke,  Verdickung  der 
Gelenkbänder  etc.  Die  gleichen  Folgen  können  selbstständige  Entzün- 
dungen von  Muskeln,  Sehnen,  Fascien  etc.  haben.  —  3)  Narben,  Ver- 
dickung oder  Atrophie  und  Retraction  von  Fascien,  Er- 
schlaffung von  Gelenkbändern,  veraltete  Luxationen. 
—  Die  Verkrümmung  kann  ferner  wesentlich  bedingt  sein  durch  ein  Lei- 
den der  Knorpel  und  Knochen.  Namentlich  ist  hier  die  Knochen- 
erweichung zu  erwähnen,  und  zwar  als  häufigste  die  rhachitische  ;  das 
Körpergewicht ,  der  normale  Zug  der  Muskeln  reicht  hier  hin ,  eine  Ver- 
biegung  oder  verstärkte  Krümmung  langer  Knochen  oder  ungleiche  Com- 
pression  der  Wirbelkörper  hervorzubringen.  Dieselben  Wirkungen  können 
partielle  Zerstörungen  der  Knochen  und  Knorpel  durch  Eiterungs-  und 
Schwärungsprocesse,  namentlich  an  der  Wirkelsäule,  haben.  Seltener  ist 
Erweichung  und  Schwund  der  Zwischenknorpel.  —  Der  in  Contraction 
befindliche  Theil  erleidet  mannigfache  Veränderungen.  Die  retrahirten 
Muskeln  erscheinen  nicht  blos  verkürzt,  sondern  auch  weniger  dick,  dabei 
fest,  unnachgiebig,  das  Muskelgewebe  ist  mehr  oder  weniger  geschwunden 
und  blass  ,  zuweilen  in  fettartiger  Umwandlung  begriffen.  Die  Knochen 
erscheinen  je  nach  der  Dauer  und  dem  Grade  der  Contractur  mehr  oder 
weniger  verbildet.  Das  ganze  Glied  befindet  sich  in  einem  atrophischen 
Zustande.  —  Diagnose.  Vor  Allem  ist  es  von  Wichtigkeit,  eine  Ver- 
wechslung der  Contractur  mit  einer  Ankylose  zu  vermeiden.  Neben  einer 
genauen  Erforschung  der  vorausgegangenen  Krankheitserscheinungen  gibt 
die  Anwendung  des  Chloroforms  nach  B.  L  an  genb  eck  den  vollsten 
Aufschluss.  Eine  Deformität ,  die  blos  auf  Muskelcontractur  beruht, 
schwindet  unter  Anwendung  eines  geeigneten  Zugs  oder  Drucks  ,  sobald 
eine  tiefe  Betäubung  durch  Chloroforminhalationen  herbeigeführt  ist. 
Gelingt  ihre  augenblickliche  Beseitigung  auf  diese  Weise  nicht ,  so  lässt 
sich  bestimmt  annehmen,  dass  anderweitige  Veränderungen  im  Gelenk  oder 
seiner  Umgebung  das  wesentliche  Hinderniss  sind.  Lässt  sich  ein  Glied 
weder  beugen  noch  strecken,  so  daif  man  unbedingt  das  Vorhandensein 
einer  Ankylose  annehmen.  Bestand  Caries  in  einem  Gelenke ,  so  bedarf 
es  nicht  einmal  dieser  Versuche.  —  Behandlung  der  Verkrüm- 
mungen (Orthopädie).  Wenn  das  Uebel  noch  nicht  veraltet  ist, 
kann  man,  bei  zu  Grunde  liegender  Entzündung ,  zunächst  versuchen,  die 
entzündlichen  Verhärtungen  und  Adhäsionen  zur  Zertheilung  und  Rück- 
bildung zu  bringen,  in  welcher  Absicht  man  entzündungswidrige  und  zur 
Resorption  dienende  Mittel  in  Gebrauch  zieht.  Bei  bestehender  Paralyse 
applicirt  man  auf  die  gelähmte  Seite  Reizmittel ,  sezt  namentlich  Blasen- 
Burger,  Chirurgie.  (32 


978  VERRENKUNG. 

pflaster,  selbst  Moxen  nnd  macht  spirituöse  Einreibungen.  Bei  spasti- 
schen Contracturen  dienen  narkotische  Mittel  in  Form  von  Einreibungen, 
Fomentationen  oder  Cataplasmen.  Wo  diese  Mittel  nicht  wirksam  genug 
sind,  und  auch  in  Verbindung  mit  activen  und  passiven  Bewegungen  nicht 
zum  Ziele  führen,  lässt  man  orthopädische  Apparate  gebrauchen,  um  all- 
mälig  eine  bessere  Stellung  der  Knochen  herbeizuführen.  In  schwierigen 
Fällen,  wo  auch  dieses  Verfahren  gar  nicht  oder  nur  mit  Aufwand  von 
vieler  Zeit ,  mit  Verlust  von  vielen  Kräften  und  unter  grossen  Schmerzen 
ausführbar  wäre  ,  zieht  man ,  wo  es  angeht ,  die  gewaltsame  Ausdehnung 
des  verkürzten  Muskels  in  der  Chloroformnarkose  (s.  den  Art.  Gelenk- 
st e  i  fi  g  ke  i  t)  in  Gebrauch.  Man  beabsichtigt  dabei  keine  Zerreissung, 
sondern  eine  allmälige  Dehnung  des  Muskels ,  weshalb  die  Ausdehnung 
nicht  mit  einem  Ruck,  sondern  durch  anfangs  sanftes,  allmälig  zu  steigern- 
des Hin-  und  Herbewegen  desTheils,  an  welchem  die  verkürzten  Muskeln 
inserirt  sind ,  ins  Werk  gesezt  wird.  Wenn  Muskeln,  Sehnen  oder  Bän- 
der ein  gar  zu  starkes  Hinderniss  bereiten ,  so  nimmt  man  den  Muskel-, 
Sehnen-  oder  Bänderschnitt  vor,  welchen  Durchschneidungen  aber,  so  wie 
auch  der  gewaltsamen  Ausdehnung,  mechanische  Zug-  und  Druckmittel 
als  Nachkur  folgen  müssen.  Ueber  die  Sehnendurchschneidung  s.  den 
Art.  subcutane  Operationen.  Der  Bänderschnitt  ist  angezeigt, 
wenn  die  Contractur  wesentlich  durch  Retraction  von  Fascien ,  z.  B.  in 
der  Hohlhand  und  Fusssohle  ,  oder  von  Gelenkbändern  bedingt  wird.  — 
Krümmungen  der  Knochen  in  ihrer  Continuität ,  welche  gewöhnlich  auf 
Rhachitis  beruhen,  können  erst  dann  behandelt  werden,  wenn  diese  Krank- 
heit ganz  erloschen  und  an  die  Stelle  der  Erweichung  die  Härte  des  scle- 
rosirten  Knochens  getreten  ist.  Man  kann  dann  den  Knochen  abbrechen 
und  ihn  in  einer  bessern  Stellung  zu  heilen  versuchen.  —  Ein  wichtiges 
Hülfsmittel,  sowohl  zur  Verhütung  wie  auch  zur  Beseitigung  von  Verkrüm- 
mungen, namentlich  solcher,  welche  in  Folge  eines  schnellen  Wachsthums, 
vorwaltender  Muskelschwäche  u.  dgl.  entstehen ,  ist  die  Gymnastik.  — 
In  seltenen  Fällen ,  namentlich  bei  veralteten  Luxationen ,  hat  man  die 
Resection  mit  Nuzen  angewendet. 

Verrenkung,  Luxatio,  Exarthrosis,  Exarthrema, 
heisst  eine  dauernde  Abweichung  beweglich  mit  einander  verbundener 
Knochenenden  aus  ihrer  natürlichen  Gelenkverbindung.  Das  Auseinander- 
weichen unbeweglich  verbundener  Knochen  nennt  man  zum  Unterschiede 
Diastase,  Diastasi  s. 

A.  Von  den  Verrenkungen  im  Allgemeinen.  Die  Ver- 
renkungen können  erworben  oder  angeboren  sein.  —  I.  Erwor- 
bene Luxationen.  Man  unterscheidet  je  nach  den  Ursachen  eine 
Luxatio  vera,  violenta,  traumatica,  die  durch  mechanische 
Gewalttätigkeiten  veranlasst  ist ,  wobei  die  Austretung  plözlich  erfolgt, 
und  eine  Luxatio  spuria  oder  spontanea,  wo  krankhafte  Zustände 


VERRENKUNG.  979 

und  Productionen  in  den  Gelenken  die  Ursache  des  Austretens  sind  und 
wobei  der  Austritt  allruälig  erfolgt.  Hier  wird  nur  von  der  erstem  Art 
die  Rede  sein ,  der  zweiten  ist  in  dem  Artikel  Gelenkentzündung 
gedacht.  —  Ausserdem  theilt  man  die  Verrenkungen  ein  :  in  L  u  x  a  t  i  o 
completa  und  incompleta  (Subluxatio),  je  "nachdem  die  Ge- 
lenkflächen gänzlich  oder  nur  theilweise  von  einander  gewichen  sind ; 
wenn  die  nur  wenig  verschobenen  Gelenkflächen  ohne  Kunsthülfe  ihre 
normale  Stellung  sogleich  nach  der  Verrückung  wieder  einnehmen ,  so 
nennt  man  dies  Verstauchung,  Distorsio.  —  Ferner  in  eine  L  u- 
xatio  simplex  und  complicata,  nach  dem  Fehlen  oder  der  An- 
wesenheit von  Nebenleiden  (Wunden  ,  Quetschungen ,  Knoehenbrüchen), 
in  Luxatio  recens  und  inveterata  und  endlich  in  eine  Luxatio 
p  r  i  m  i  t  i  v  a ,  wenn  der  ausgewichene  Gelenkkopf  in  der  Stellung  stehen 
geblieben  ist ,  in  welche  er  durch  die  Gewalt  gebracht  worden ,  und  in 
eine  Luxatio  consecutiva  s.  secundaria,  wenn  er  durch  Muskel- 
a^ction  nach  einer  andern  Stelle  gezogen  wird.  —  Ursachen.  Diese 
sind  entweder  disponirende  oder  Gelegenheits  Ursachen;  zu 
den  erstem  gehören :  Schlaffheit  der  Gelenktheile  und  Muskeln ,  freie 
Lage  und  Flachheit  der  Gelenkhöhle  und  eine  bestimmte  Richtung  des 
Gliedes  während  der  Einwirkung  äusserer  Ursachen.  Gelegenheits- 
ursachen sind:  alle  direct  oder  indireet  einwirkenden  Gewalten  und 
Kräfte,  die  so  stark  sind,  dass  sie  den  Widerstand  der  verschiedenen  Theile 
eines  Gelenks  zu  überwinden  vermögen ,  ferner  Muskelactionen  während 
des  Tanzens,  Springens,  bei  starken  Krämpfen,  epileptischen  Anfällen  etc. 
Häufig  wirken  beide  Momente  zusammen.  —  Symptome.  Die  haupt- 
sächlichsten Zeichen  einer  Verrenkung  sind :  Functionsstörung  des 
Gliedes  hinsichtlich  der  Beweglichkeit  im  Gelenk,  Formveränderung 
des  leztern ,  die  sich  durch  Abflachung  über  der  Gelenkhöhle  und  eine 
Erhabenheit  an  der  Stelle ,  wo  sich  jezt  der  Gelenkkopf  befindet ,  kund 
gibt,  verändertes  Längenverhältniss  und  veränderteRich- 
tung  des  Gliedes.  Zu  diesen  objectiven  Symptomen  kommen  noch  die 
vom  Kranken  wahrgenommenen  Erscheinungen  ,  wie  im  Augenblicke  der 
Ausrenkung  das  Gefühl  einer  Zerreissung,  zuweilen  mit  Krachen  verbun- 
den, Schmerz  und  ein  Gefühl  von  Eingeschlafenheit  im  Gliede ,  was  von 
dem  Drucke  des  ausgewichenen  Gelenkkopfs  auf  die  Nerven  und  Gef  ässe 
herrührt.  —  Diagnose.  Verrenkungen  können  mit  Quetschung  und 
Verstauchung  des  Gelenks,  mit  Knochenbrüchen  in  der  Nähe  des  Gelenks, 
mit  Ablösung  der  Epiphysen  und  mit  Gelenkrheumatismus  verwechselt 
werden.  Wenn  man  bald  dazu  kommt,  so  sind  solche  Verwechslungen 
bei  einiger  Aufmerksamkeit  sicher  zu  vermeiden.  Später  aber ,  wenn 
schon  beträchtliche  Geschwulst  entstanden  ist,  wird  die  Unterscheidung 
zuweilen  höchst  schwierig.  Jedoch  führt  eine  genaue  Untersuchung  auch 
hier  zum  Ziele.  Bei  Quetschungen  und  Verstauchungen  fehlt  jede  Ver- 
kürzung ,  jede   Veränderung   der  Richtung  des   Gliedes ,    die  Gelenkvor- 

62* 


980  VERRENKUNG. 

Sprünge  haben  ihre  normale  Stellung  zu  einander.  Die  Geschwulst  ent- 
wickelt sich  nicht  so  schnell ,  als  bei  einer  Verrenkung  und  es  ist  daher 
längere  Zeit  hindurch  noch  möglich,  die  Gelenkvorsprünge  an  ihrer  nor- 
malen Stelle  zu  entdecken,  wobei  die  Vergleichung  des  verlezten  Gliedes 
mit  dem  der  andern  Seite  ein  grosses  Hülfsmittel  ist.  Bei  Knochen- 
brüchen in  der  Nähe  von  Gelenken  findet  sich  gleichfalls  die  normale 
Stellung  der  Gelenkvorsprünge  ;  man  kann  bei  diesen  aber  eine  bestehende 
Verkürzung  durch  einen  leichten  Zug  ausgleichen,  worauf  sie  wiederkehrt, 
während  sie  bei  der  Verrenkung  nur  einer  grossen  Gewalt  weicht  und  die 
normale  Länge  dann  bestehen  bleibt.  Auch  zeigt  der  Bruch  eine  wider- 
natürliche Beweglichkeit ,  während  das  Glied  bei  der  Verrenkung  in  der 
Regel  völlig  unbeweglich  ist.  Bei  bestehender  Deformität  findet  sich 
diese  beim  Bruche  in  der  Nähe  des  Gelenks,  bei  der  Verrenkung  hat  sie 
ihren  Siz  in  der  Gegend  des  Gelenks  selbst.  Eine  deutliche  Crepitation 
endlich  ist  das  beste  Unterscheidungsmittel,  doch  kommt  diese  nicht  aus- 
schliesslich den  Fracturen  zu ;  auch  der  verrenkte  Gelenkkopf  lässt  zu- 
weilen eine  solche  vernehmen,  sie  ist  aber  hier  nicht  so  rauh  und  hart,  wie 
bei  einem  Knochenbruch ,  sondern  mehr  einem  Knirschen  oder  Knarren 
ähnlich.  Die  Epiphysentrennung  zeigt  alle  Symptome  einer  Continuitäts- 
trennung  des  Knochens  und  kommt  nur  bei  jugendlichen  Individuen  vor. 
Der  Gelenksrheumatismus  entsteht  gewöhnlich,  ohne  dass  eine  äussere  Ge- 
walt eingewirkt  hat.  —  Prognose.  Verrenkungen  sind  im  Allgemeinen 
nicht  gefährlich,  können  es  aber  durch  ihre  Complicationen  werden.  — Durch 
unterlassene  Kunsthülfe  kann  der  Gebrauch  des  Gliedes  beschränkt  werden 
oder  verloren  gehen.  Im  Allgemeinen  bedingt  eine  frische  Luxation  an  einem 
zusammengesetzten  Gelenke  ohne  Nebenleiden  bei  entsprechender  Knnst- 
hülfe  die  beste  Vorhersage.  Ist  das  Gelenk  aber  so  gebildet,  dass  der 
reponirte  Theil  wegen  Schwächung  oder  Zerreissung  von  Bändern  etc.  nicht 
gut  zurückgehalten  werden  kann,  sind  edle  Organe  in  der  Nähe,  ist  eine 
Fractur  zugleich  zugegen ,  kann  man  spätere  Folgen  wegen  schlechter 
Constitution  des  Verlezten  erwarten ,  so  darf  man  die  Prognose  nur 
zweifelhaft  stellen.  Geradezu  ungünstig  wird  aber  dieselbe ,  wenn  die 
Verrenkung  schon  Wochenlang  unreponirt  besteht ,  weil  hier  die  Repo- 
sition durch  die  Ausfüllung  der  früheren  Gelenkhöhle  und  durch  die  Bil- 
dung eines  neuen  Gelenks  ein  gewaltsames  Verfahren  erfordert  und  die 
grossten  Nachtheile  veranlassen ,  ja  sogar  durch  Zerreissung  von  Nerven 
oder  Blutgefässen  den  Tod  bedingen  kann.  —  Behandlung.  Sie 
zerfällt:  1)  in  die  Zurückführung  des  ausgewichenen  Ge- 
lenkendes in  seine  normale  Lage,  Repositio,  Reductio; 
2)  in  die  Erhaltung  des  zurückgeführten  Knochens  in 
seinen  normalen  Beziehungen,  Retentio;  3)  in  die  Be- 
handlung der  Complicationen  und  4)  in  die  Nachkur.  — 
1)  Die  Reposition  geschieht  wie  bei  den  Fracturen  durch  Extension, 
Contraextention  und  Coaptation.      Es  gibt ,   wie  Fracturen ,   so  auch  Lu- 


VERRENKUNG.  981 

xationen ,  die  durch  die  blosse  Coaptation ,  durch  einen  einfachen  Druck 
des  einen  Gelenkendes  gegen  das  andere  eingerichtet  werden  können. 
Aber  bei  der  grössern  Mehrzahl  der  Falle  muss  sowohl  die  Extension 
und  Contraextension ,  wie  die  Coaptation  angewandt  werden.  Die  Ex- 
tension wird  mit  den  Händen ,  durch  Schlingen ,  durch  Maschinen 
(Flaschenzüge)  ausgeübt.  Häufig  reicht  man  mit  den  Händen  vollkom- 
men aus  ;  sobald  es  sich  aber  von  der  Anwendung  einer  grössern  Gewalt 
handelt ,  wobei  insbesondere  von  mehreren  Gehülfen  gezogen  werden  soll, 
ist  die  Anwendung  von  Schlingen  nothwendig,  welche  aus  Handtüchern, 
Betttüchern  u.  dgl.,  die  man  mehrmals  zusammenlegt,  hergestellt  werden. 
Die  Mitte  einer  solchen  handbreiten  Binde  wird  um  den  Theil  gelegt,  an 
welchem  die  Extension  ausgeübt  werden  soll ;  die  Enden  werden  auf  der 
entgegengesezten  Seite  gekreuzt ,  der  Achse  des  Glieds  parallel  abwärts 
geführt  und  den  Gehülfen  übergeben.  —  Wo  es  angeht ,  bringt  man  die 
extendirende  Gewalt  unterhalb  des  nächst  folgenden  Gelenks  an  ,  damit 
die  Muskeln  des  einzurenkenden  Theils  nicht  gedrückt  und  dadurch  zu 
vermehrter  Contraction  gereizt  werden ;  dabei  muss  der  Theil  in  eine 
solche  Stellung  gebracht  werden ,  dass  die  interessirten  Muskeln  mög- 
lichst erschlafft  sind.  —  Die  Contraextension  wird  möglichst  nahe 
an  dem  verrenkten  Gelenke  und  in  solcher  Weise  ausgeübt ,  dass  eine 
vollkommene  Befestigung  des  betreffenden  Gelenktheils  erreicht  wird. 
Sie  geschieht  gleichfalls  entweder  mit  den  Händen  allein  oder  mit  Schlin- 
gen,  die  in  der  oben  angeführten  Weise  um  das  Glied  oder  um  den 
Rumpf  geschlungen,  in  entgegengesezter  Richtung,  als  wie  die  Ex- 
tensionsschlingen  abgeführt  und  entweder  von  Gehülfen  fesgehalten  oder 
an  einem  Pfahl ,  einem  in  der  Mauer  befestigten  Ring  u.  dgl.  ihren  Halt 
finden.  Der  Wundarzt  steht  gewöhnlich  an  der  äussern  Seite  des  ver- 
renkten Gelenks  und  gibt  das  Zeichen  zum  Beginn  der  Extension.  — 
Der  Zug  muss  in  der  Regel  in  der  Richtung  der  Achse  des  verrenkten 
Knochens  und  mit  allmällig  zunehmender  Stärke  anhaltend  geschehen, 
damit  die  Muskeln  ermüden.  Wenn  der  Gelenkkopf  beweglich  geworden 
ist  und  sich  der  Gelenkhöhle  nähert ,  so  tritt  er  oft  von  freien  Stücken 
und  mit  einem  hörbaren  Geräusch  in  dieselbe ,  oder  man  muss  ihn  mit 
den  Händen  oder  umgelegten  Schlingen  gegen  die  Gelenkhöhle  hinleiten, 
nicht  selten  ihn  von  dieser  zuerst  abziehen.  Ist  der  Widerstand  der 
Muskeln  zu  gross ,  so  ist  das  Mittel  zur  Erschlaffung  derselben  die  Ein- 
schläferung des  Verlezten  durch  Chloroform.  —  Zur  Beseitigung  zwischen- 
liegender Theile  oder  einer  zu  kleinen  Oeffnung  im  Kapselbande  hat  man 
vor  der  Einrichtung  Bewegungen  des  Glieds  nach  verschiedenen  Rich- 
tungen angerathen.  —  Von  der  vollendeten  Einrichtung  überzeugt  uns 
die  natürliche  Form  und  Richtung  des  Glieds,  das  Aufhören  des  Schmer- 
zes und  die  freie  Beweglichkeit.  —  In  Bezug  auf  veraltete  Luxa- 
tionen lässt  sich  kein  bestimmter  Zeitraum  festsezen,  bis  zu  welchem  die- 
selben noch  einrichtbar  sind.      Es   hängt   dies   von  der  Art  des.  Gelenks 


982  VERRENKUNG. 

und  der  Luxation ,  so  wie  und  zwar  hauptsächlich  von  der  Beschaffen- 
heit der  bereits  eingetretenen  pathologisch  -  anatomischen  Veränderungen 
ab.  Luxationen  in  Drehgelenken  können  oft  nach  einem  Monat  nicht 
mehr  zurückgebracht  werden ;  doch  ist  die  Einrichtung  auch  noch  nach 
4 ,  selbst  nach  8  Monaten  durch  starke  Gewalt  gelungen.  In  den  ge- 
windartigen Gelenken  ist  oft  nach  2  0  bis  3  0  Tagen  die  Einrichtung 
nicht  mehr  möglich.  Immer  muss  die  veraltete  Luxation  durch  erwei- 
chende Einreibungen ,  Bäder  und  Bewegungen  des  ausgerenkten  Glieds 
zur  Einrichtung  vorbereitet  werden.  —  In  schwierigen  Fällen  hat  man 
die  subcutane  Durchschneidung  der  falschen  Adhäsionen  und  einzelner 
sehr  widerstrebender  Muskeln  mit  Erfolg  vorgenommen.  —  2)  Reten- 
tion der  Verrenkungen.  Da  der  Gelenkkopf  gewöhnlich  keine 
grosse  Neigung  zeigt ,  wieder  auszutreten ,  so  sind  hier  nur  Schonung 
und  Ruhe  des  Glieds  nöthig.  Leztere  bewirkt  man  durch  eine  zweck- 
mässige und  sichere  Lagerung  des  Glieds  und  Beschränkung  seiner  Be- 
wegung mittels  Mitellen,  Tragkapseln  und  Unterlagen  oder  mittels  Ver- 
bänden  aus   Binden ,    Compressen   und   unter  Umständen   auch  Schienen. 

—  3)  Behandlung  der  Complicationen.  Meistens  sind  es 
Quetschungen  und  Blutextravasate ,  welche  die  Luxationen  compliciren. 
Man  wendet  dagegen  den  antiphlogistischen  Apparat  in  mehr  oder  minder 
starker  Ausdehnung  je  nach  den  Umständen  an.  Schlimmer  sind  Wun- 
den ,  welche  bis  in  das  Gelenk  dringen ,  besonders  wenn  das  verrenkte 
Gelenkende  bloss  liegt.  Diese  Complication  kommt  vorzugsweise  am 
Fuss-,  Hand-  und  Ellbogengelenke  vor.  Die  Behandlung  besteht  in 
der  möglichst  schnellen  Reduction,  dem  Verschluss  der  Wunde  und  in 
einer  energischen  Behandlung  der  nachfolgenden  Entzündung.  Um  die 
Einrichtung  möglich  zu  machen ,  kann  die  Erweiterung  der  Wunde  mit 
dem  Messer ,  wo  dies  aber  bedenklich  erscheint  oder  wenn  das  heraus- 
stehende Knochenstück  zu  gross  ist,  die  Resection  des  Gelenkendes  noth- 
wendig  werden.  Sind  mit  solchen  Verlezungen  Knochenbrüche ,  Zer- 
malmung der  Weichtheile ,  Zerreissung  der  Gefässe  etc.  verbunden ,  so 
vermag  in  den  meisten  Fällen  nur  die  augenblickliche  Amputation  das 
Leben  des  Kranken  zu  retten.  —  Gewaltsame  Ausdehnungen  der  Gelenk- 
bänder ,  wie  sie  besonders  bei  Verstauchungen  vorkommen ,  be- 
handelt man ,  neben  einer  geeigneten  Lage  des  Gliedes ,  mit  örtlichen 
und  unter  Umständen  allgemeinen  Blutentziehungen,  kalten  Umschlägen, 
am  besten  von  Arnicainfus,  anfangs  mit  einem  Zusaz  von  Bleiessig,  später 
von  Arnicatinctur ,  oder  auch  von  Salmiak  in  Essig  gelösst  vertauscht. 
Mit   der  Abnahme  der  Geschwulst  nimmt  man  passive  Bewegungen  vor. 

—  4)  Nachkur.  In  den  gewöhnlichen  Fällen  bezweckt  sie  die  Stär- 
kung des  Gelenks  durch  spirituöse ,  ätherisch  -  ölige  ,  ammoniakalische 
Waschungen,  Einreibungen,  Douchen,  um  Recidiven  vorzubeugen.  Zurück- 
gebliebene Steifigkeit   des  Gelenkes  beseitigt  man   durch   öftere  vorsieh- 


VERRENKUNG.  983 

tige  Bewegungen,  Douchen ,  warme  Bäder,  namentlich  Blut-  und  Knötel- 
bäder  etc. 

II.  Angeborene  Luxationen,  Luxationes  conge- 
nita e.  Sie  werden  am  häufigsten  am  Hüftgelenk  beobachtet ,  kommen 
aber  auch  an  andern  Gelenken  vor.  —  Die  Entstehungsweise  derselben  ist 
eine  verschiedene,  und  zwar  sind  sie  entweder  die  Folge  einer  gestörten  Bil- 
dung des  Gelenks ,  oder  werden  sie  durch  die  Lage  des  Foetus  im  Uterus 
bedingt ,  manchmal  sind  äussere  Gewaltthätigkeiten ,  welche  den  Foetus 
während  der  Geburt  oder  im  Uterus  treffen,  anzuklagen,  endlich  muss 
man  sie  zuweilen  einer  grossen  Erschlaffung  der  Bänder,  einer  übermässi- 
gen Anfüllung  der  Kapsel  mit  Synovia,  einer  mangelhaften  Entwickelung 
des  Gelenkkopfs  oder  der  Gelenkhöhle  zuschreiben.  In  vielen  Fällen  ist 
die  Erblichkeit  derselben  unzweifelhaft.  —  Die  meisten  angeborenen  Lu- 
xationen sind  bei  der  Geburt  noch  unvollständig  und  werden  erst  nach 
und  nach  bis  gegen  das  vierte  Jahr  hin  vollständig.  Das  Kapselband 
und  die  Bänder  überhaupt  zeigen  sich  schlaffer  als  die  normalen  Gelenke, 
das  betreffende  Gelenk  ist  daher  beweglicher  und  die  Gelenkflächen  der 
Knochen  berühren  sich  nicht  so  genau  ;  man  kann  sie  weiter  von  ein- 
ander entfernen,  aber  auch  leicht  in  die  normale  Stellung  zurückführen. 
Die  das  Gelenk  umgebenden  Muskeln  befinden  sich  im  Zustande  der 
Contractur ,  oft  bis  zur  Umwandlung  ihres  Gewebes  in  fibröse  Stränge 
oder  in  Fett.  Mit  weiter  fortschreitendem  Alter  des  Kindes  entfernen 
sich  die  Gelenkenden  des  kranken  Gelenks  immer  mehr  von  einander, 
die  Bänder  werden  ,  der  veränderten  Lage  des  Knochens  entsprechend, 
einer  Seits  verkürzt,  anderer  Seits  verlängert ;  niemals  findet  aber  hierbei 
eine  Zerreissung  des  Kapselbandes  statt.  An  dem  Hüftgelenk  zieht  sich 
das  schlauchartige  Kapselband  mit  der  Zeit  zusammen,  obliterirt  und 
und  sperrt  damit  den  Gelenkkopf  von  der  Pfanne  gänzlich  ab.  Dieser, 
welcher  an  das  Hüftbein  angedrückt  wird ,  flacht  sich  ab ,  bildet  an  dem 
genannten  Knochen  eine  gewöhnlich  unregelmässige ,  von  stalactiten- 
förmigen  Osteophyten  umgebene  Gelenkhöhle,  während  die  alte  Höhle 
sich  durch  Narbensubstanz  ausfüllt.  —  Prognose.  Sie  ändert  sich 
nach  jeder  Art  von  Luxation,  viel  mehr  aber  nach  dem  Alter  des  Uebels. 
Bei  der  Geburt  ist  die  Kur  im  Allgemeinen  leicht ,  mit  zunehmendem 
Alter  vermehren  sich  die  Schwierigkeiten,  und  wenn  das  Alter  der  Puber- 
tät überschritten  ist ,  so  ist  keine  Wiederherstellung  mehr  zu  hoffen.  — 
Behandlung.  Bei  diesen  Luxationen  kann  nur  die  allmälige  Reduc- 
tion  zum  Ziele  führen.  Nach  der  Vorausschickung  von  erweichenden  Bä- 
dern und  Einreibungen  sezt  man  das  Glied  einer  anhaltenden  allmälig 
verstärkten  Extension  aus  ,  um  den  Gelenkkopf  in  die  Nähe  der  Gelenk- 
höhle zu  leiten.  Diese  Vorbereitung  kann  (beim  Hüftgelenk)  1/2  —  1 
Jahr  dauern.  Ist  der  beabsichtigte  Zweck  erreicht,  zu  dessen  Beschleu- 
nigung man  Widerstand  leistende  Muskeln  oder  Bänder  subcutan  durch- 
schneidet ,    so  wird   die  Einrenkung  vorgenommen    auf  die   gewöhnliche 


984  VERRENKUNG  DES  UNTERKIEFERS. 

Weise  ,  wozu  bisweilen  mehrere  Monate  erfordert  werden.  Schliesslich 
werden  mit  dem  Gliede  Bewegungen  gemacht ,  bis  das  neue  Gelenk  ge- 
hörig ausgebildet  ist.  Ist  keine  Reposition  möglich ,  so  sucht  man  den 
Gelenkkopf  wenigstens  an  einer  möglichst  günstigen  Stellung  zu  fixiren 
und  an  dieser  die  Bildung  einer  neuen  Gelenkhöhle  zu  bewirken ,  was 
man  durch  die  Anwendung  von  geeigneten  Bandagen  und  Maschinen  in's 
Werk  sezt.  Guerin  empfiehlt  tiefe  subcutane  Scarificationen  bis  in 
das  Periost  des  Knochens ,  um  dadurch  die  Bildung  von  Osteophyten  zu 
veranlassen ,  die  den  Gelenkkopf  umfassen  sollen. 

B.      Von  den   Verrenkungen   insbesondere. 

I.  Verrenkungen  des  Unterkiefers,  Luxatio  man- 
dibular Der  Unterkiefer  kann  nur  nach  vorn  verrenken,  wobei  der 
Processus  condyloideus  über  das  Tuberculum  articu- 
1  a  r  e  nach  vorn  unter  den  Anfang  des  Jochfortsazes  des  Schläfenbeins 
tritt ,  wo  man  ihn  fühlt.  Sobald  der  Gelenkkopf  des  Unterkiefers  diese 
Stellung  eingenommen  hat,  stemmt  sich  nicht  selten  der  Processus 
coronoideus  gegen  den  untern  Rand  des  Os  zygomaticum  nahe 
der  dasselbe  mit  dem  Processus  zygomaticus  maxillae  ver- 
bindenden Naht.  An  dieser  Stelle  findet  sich  gewöhnlich  eine  kleine 
Grube  ,  in  welche  die  Spize  des  Processus  coronoideus  alsdann 
eingreift.  —  Bei  Kindern  und  alten  Leuten,  welchen  die  Zähne  fehlen, 
kommt  diese  Verrenkung  höchst  selten  vor.  Die  Verrenkung  findet  ent- 
weder nur  auf  einer  oder  auf  beiden  Seiten  statt.  Symptome:  a)  der 
beiderseitigen  Verrenkung.  Der  Mund  steht  weit  offen ,  der 
Speichel  fliesst  fortwährend  ab  und  der  Kranke  kann  nicht  kauen  oder 
deutlich  sprechen  ,  insbesondere  vermag  er  die  Lippenbuchstaben  nicht 
auszusprechen.  Die  untere  Zahnreihe  steht  weit  vor  der  obern  vor.  Vor 
dem  Gehörgange  fühlt  man  eine  Vertiefung,  unter  dem  Jochbogen  einen 
Vorsprung.  —  b)  Die  einseitige  Verrenkung  zeigt  ein  nach  der 
Seite  verschobenes  Kinn ,  das  Sprechen  ist  gehindert ,  wenn  auch  nicht 
in  dem  Grade  wie  bei  der  beiderseitigen  Verrenkung.  Vor  dem  Ohre 
findet  sich  eine  Grube,  an  der  Stelle,  wo  der  verrenkte  Condylus  des 
Oberkiefers  stehen  sollte,  und  ersterer  wölbt  die  Wange  auffallend  her- 
vor. —  Ursachen. -  Uebermässiges  Oeffnen  des  Mundes  beim  Gähnen, 
Singen,  Erbrechen  etc.  und  ein  Schlag  auf  das  Kinn  von  oben  nach 
unten,  —  Prognose.  Wird  die  Luxation  nicht  eingerichtet,  so  bleibt 
der  Kiefer  in  der  ersten  Zeit  in  seiner  Lage  feststehen ,  der  Speichelfluss 
hält  zwar  an ,  vermindert  sich  aber  mit  der  Zeit ;  das  Kauen  ist  unmög- 
lich und  der  Kranke  kann  nur  mit  rückwärts  gebogenem  Kopfe  flüssige 
Nahrungsmittel  zu  sich  nehmen.  In  andern  Fällen  kann  der  Kiefer  nach 
und  nach  zur  Beweglichkeit  zurückkehren ,  ohne  aber  seine  frühere  ganz 
normale  Stellung  zu  erreichen ;  deshalb  bleibt  auch  hier  das  Kauen 
unvollkommen  und  die  Sprache  etwas  gehindert.  Die  einseitige  Ver- 
renkung bessert  sich  weniger  als  die  beiderseitige.      Ist  die  Reposition 


VERRENKUNG  DER  WIRBEL.  985 

gemacht  ,  so  hat  die  Verrenkung  keine  weiteren  nachtheiligen  Folgen 
als  eine  zurückbleibende  Disposition  zu  Rückfällen.  —  Reposition. 
Man  sezt  die  beiden  mit  Leinwand  umwickelten  Daumen  auf  die  hintern 
Backenzähne  und  die  übrigen  Finger  an  die  Seitentheile  des  Unter- 
kiefers bis  zum  Kinn  und  drückt  nun  mit  dem  Daumen  gerade  ab- 
wärts ,  während  man  mit  den  andern  Fingern  das  Kinn  erst  erhebt  und 
den  Kiefer  dann  nach  hinten  schiebt;  die  Zusammenziehung  der  Kaumus- 
keln vollendet  die  Einrenkung.  Findet  sich  die  oben  beschriebene  Ein- 
keilung der  Spize  des  Processus  coronoideus,  so  muss  man  so- 
gleich mit  den  Daumen  gegen  den  vordem  Rand  des  Processus  con- 
d  y  1  o  i  d  e  u  s  drücken  ,  um  diesen  nach  hinten  zu  schieben  ,  während  der 
Kranke  sich  bemüht ,  den  Mund  möglichst  weit  zu  öffnen.  —  Bei  der 
einseitigen  Luxation  operirt  man  nur  mit  einem  Daumen,  wobei  aber 
die  Zurückschiebung  nicht  nur  nach  hinten ,  sondern  auch  nach  aussen 
geschehen  muss.  —  Für  veraltete  Fälle  sind  von  Junke,  Asti,  Stro- 
meyer  und  Vollmer  besondere  Vorrichtungen  angegeben  worden,  mit 
denen  man  ähnlich ,  wie  mit  den  Fingern ,  nur  kräftiger  wirkt.  —  Ee- 
t  e  n  t  i  o  n.  Sie  geschieht  einfach  durch  ein  Kinntuch  ;  dabei  ist  dem 
Kranken  in  den  ersten  Wochen  Vorsicht  beim  Oeffnen  des  Mundes  und 
beim  Kauen  zu  empfehlen. 

2.  Verrenkungen  der  Wirbel,  Luxationes  vertebra- 
rum.  a)  Verrenkungen  der  beiden  ersten  Halswirbel. 
Der  Atlas  ist  mit  dem  Hinterhauptbein  so  innig  verbunden,  dass  nur 
eine  sehr  grosse  Gewalt  die  Verrenkung  des  ersteren  zu  bewirken  ver- 
mag. In  den  wenigen  darüber  bekannt  gewordenen  Fällen  war  der  Tod 
schnell  eingetreten.  —  Häufiger  kommt  die  Verrenkung  des  Epi- 
stropheus  vor.  Symptome.  Der  Kopf  des  Verlezten  neigt  sich 
auf  das  Brustbein  ,  ohne  dass  die  Halswirbel  hinten  eine  convexe  Linie 
bilden ,  er  lässt  sich  leicht  nach  allen  Seiten  drehen ,  am  Nacken  fühlt 
man  eine  Hervorragung ;  der  Mund  ist  geöffnet ,  die  Augen  ragen  stark 
hervor,  das  Gesicht  ist  geröthet  und  aufgedunsen,  der  Puls,  wenn  er  über- 
haupt noch  zu  fühlen ,  selten  und  klein ;  die  Empfindung  und  Bewegung 
sind  ganz  erloschen.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  erfolgt  der  Tod  sogleich 
durch  Compression  oder  Zerreissung  des  Rückenmarks.  —  Ursachen. 
Diese  sind  in  den  meisten  Fällen  ein  Sturz  aus  der  Höhe  oder  ein  Schlag 
auf  das  Hinterhaupt,  wobei  der  Kopf  vorn  über  gestossen  wird  ;  sehr  sel- 
ten erfolgt  die  Luxation  durch  eine  gewaltsame  Bewegung  in  entgegen- 
gesezter  Richtung.  Es  findet  hierbei  eine  Zerreissung  des  Querbandes 
und  der  Bänder  der  Processus  obliqui  statt ;  der  dadurch  frei  ge- 
wordene Zahnfortsaz  bedingt  meistens  eine  Verleznng  des  Rückenmarks. 
Bei  Kindern,  deren  Zahnfortsaz  kürzer  und  bei  welchen  die  Ligamenta 
lateralia  weniger  fest  sind,  soll  der  erstere  beim  Aufheben  derselben 
am  Kopfe  unter  dem  Ligamentum  transversum  durchschlüpfen 
können.  —  Prognose.    Sie  ist  höchst  ungünstig.  —    Behandlung. 


VERRENKUNG  DER  WIRBEL. 

Diese  lässt  nur  bei  einer  unvollkommenen  Verrenkung  etwas  hoffen  und 
besteht  dann  in  einer  einfachen  oder  in  einer  mit  einer  schonenden  Rück- 
wärtsbeugung verbundenen  Geradrichtung  des  Kopfs.  Nach  erlangter 
Einrichtung  wird  diese  entweder  durch  eine  befestigte  Rückenlage  oder 
durch  geeignete  Verbände  streng  aufrecht  erhalten.  Die  Bewegungen 
des  Gelenks  gehen  dabei  verloren.  —  b)  Verrenkungen  der  fünf 
untern  Halswirbel.  Zwischen  den  fünf  untern  Halswirbeln  kom- 
men unvollkommene  und  vollkommene ,  einseitige  und  doppelseitige  Lu- 
xationen vor,  welche  nach  vorn  oder  nach  hinten  statt  haben  können.  — 
Symptome.  Der  Kranke  empfindet  im  Augenblicke  der  Verrenkung 
einen  sehr  heftigen  Schmerz  und  hört  zuweilen  ein  Geräusch ,  oder  hat 
doch  die  Empfindung ,  dass  etwas  in  seinem  Halse  reisse.  Bei  der  ge- 
wöhnlicheren, der  einseitigen  Form  der  Verrenkung ,  steht  der  Kopf 
schief,  mit  dem  Gesichte  nach  der  entgegengesezten  Seite  hin  gewandt, 
und  es  ist  dem  Kranken  vollkommen  unmöglich ,  den  Kopf  gerade  zu 
richten.  An  der  hintern  Seite  des  Halses  findet  sich  ein  Vorsprung,  wel- 
cher durch  den  Dornfortsaz  des  verrenkten  Wirbels  gebildet  wird.  Da- 
neben zeigen  sich  mehr  oder  weniger  hervortretende  Zeichen  von  Com- 
pression  oder  Zerreissung  des  Rückenmarks,  wie  Bewegungs-  und  Empfin- 
dungslosigkeit der  Extremitäten,  Lähmung  der  Blase,  des  Mastdarms  etc. 
Bei  der  doppelseitigen  Verrenkung  nach  vorn  ist  der  Kopf  vorwärts 
geneigt,  fällt  aber  bei  vollständiger  Luxation  gern  nach  hinten  ;  zugleich 
nimmt  man  im  Nacken  in  der  Höhe  des  luxirten  Wirbels  eine  Vertiefung 
mit  einem  Vorsprunge  des  Dornfortsazes  des  nächst  folgenden  Wirbels 
wahr ;  bei  der  seltenen  Verrenkung  nach  hinten  ist  der  Kopf  rückwärts 
gebeugt.  Dazu  die  Zeichen  der  Compression  des  Rückenmarks.  —  Ur- 
sachen. Sie  sind  die  bei  der  Verrenkung  des  zweiten  Halswirbels  auf- 
geführten ,  ferner  schnelle  rotirende  Bewegungen  und  Drehungen  des 
Kopfs  nach  der  Seite.  —  Prognose.  Sie  richtet  sich  nach  dem  Grade 
und  der  Art  der  Verrenkung.  Stets  ist  sie  zweifelhaft  zu  stellen.  Ge- 
lingt die  Einrichtung  nicht,  so  erfolgt  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  der  Tod ; 
zuweilen  jedoch  erst  nach  mehreren  Tagen.  —  Reposition.  Unter 
allen  Umständen  muss  diese  versucht  werden ,  was  bei  gehöriger  Vorsicht 
ohne  Insultation  des  Rückenmarks  geschehen  kann.  Die  Contraextension 
geschieht  an  den  Schultern  des  niedrig  sizenden  Kranken ,  die  Extension 
am  Kopfe ,  den  der  Wundarzt  mit  der  einen  Hand  am  Kinn ,  mit  der  an- 
dern am  Hinterhaupte  fasst.  Der  Zug  geschieht  zunächst  in  der  Rich- 
tung, welche  der  Hals  durch  die  Luxation  erhalten  hat,  dann  in  der  nor- 
malen Richtung  desselben  ;  je  nach  der  Eigen thümlichkeit  des  Falls  muss 
auch  noch  eine  Beugung  oder  Rotation  hinzukommen.  ■ —  Retention. 
Man  legt  dem  Kranken  eine  geeignete  Cravatte  um  und  sichert  die  Lage 
des  Kopfs  durch  Kissen.  —  Nachbehandlung.  Sie  muss  den  all- 
gemeinen und  örtlichen  Zufällen  entsprechend  sein  und  anfangs  in  der 
Einleitung  einer  kräftigen  Antiphlogose  bestehen.   Einer  zurückbleibenden 


VERRENKUNG  DER  RIPPEN.  987 

Empfindlichkeit  der  Wirbel  gegen  Druck  muss  durch  Blutegel  entgegen- 
gewirkt werden,  um  eine  sich  entwickelnde  Spondilitis  zu  verhindern.  — 
c)  Verrenkung  der  Rückenwirbel.  Die  Rückenwirbel  können 
nach  vorn  und  nach  hinten  verrenken  und  eine  seitliche  Abweichung  er- 
leiden. Eine  vollkommene  Verrenkung  ohne  Bruch  ist  indessen  der 
festen  Verbindungen  wegen  nicht  möglich.  —  Symptome.  Man  be- 
merkt an  der  Stelle  der  Luxation  entweder  eine  Hervorragung  oder  Ver- 
tiefung, je  nach  der  Abweichung  nach  vorn  oder  nach  hinten,  eine  wider- 
natürliche Stellung  und  Richtung  des  Körpers  und  des  Processus 
spinös  us.  Dabei  Convulsionen  oder  Lähmung  der  obern  Extremitäten 
und  Beeinträchtigung  der  Brustorgane.  —  Ursachen.  Fall  auf  den 
Rücken  von  einem  erhöhten  Orte  ,  oder  auffallende  Lasten.  —  Pro- 
gnose. Sie  ist  im  Allgemeinen  ungünstig ,  doch  kennt  man  mehrere 
geheilte  Fälle.  —  Reposition.  Der  auf  dem  Bauche  liegende  Kranke 
wird  an  den  Achseln  und  dem  Becken  gefasst  und  ausgestreckt,  während 
der  Wundarzt  durch  einen  Druck  mit  dem  Ballen  der  Hand  den  ausge- 
wichenen Wirbel  zu  reponiren  sucht.  —  Retention.  Besondere  Ver- 
bände sind  nicht  erforderlich ,  da  der  reponirte  Knochen  keine  Neigung 
zeigt,  sich  aufs  Neue  zu  dislociren.  Der  Kranke  verhält  sich  nur  ruhig 
auf  einem  nicht  zu  nachgiebigen  ebenen  Lager.  —  Nachbehand- 
lung. Es  müssen  die  örtlichen  und  allgemeinen  Symptome  berücksich- 
tigt werden  ,  die  meistens  ein  antiphlogistisches  Verfahren  in  Anspruch 
nehmen.  —  d)  Verrenkung  der  Lendenwirbel.  Diese  ist  häu- 
figer als  die  der  andern  Wirbelbeine  und  betrifft  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  den  ersten  und  zweiten  Lendenwirbel.  Diese  Verrenkung  weicht 
von  der  der  Brustwirbel  nur  darin  ab,  dass  mehr  die  im  Unterleibe  als  die 
in  der  Brust  gelegenen  Organe  leiden  und  die  untern  Extremitäten  sich 
in  einem  lähmungsartigen  Zustande  befinden,  ferner  der  reponirte  Wirbel 
eine  grosse  Neigung  zur  Wiederausweichung  zeigt,  weshalb  ein  Verband 
nöthig  ist.  Dieser  besteht  entweder  in  einem  unter  das  Kreuz  des  auf 
einer  Matraze  ausgestreckten  Kranken  geschobenen  Kissen,  oder  in  einer 
der  ganzen  Wirbelsäule  entlang ,  gelegten  gepolsterten  Schiene ,  welche 
mit  Handtüchern  oder  Gurten  um  Becken  und  Brust  befestigt  wird.  — 
3.  Verrenkung  der  Rippen  und  ihrer  Knorpel.  Die 
Rippen  luxiren  an  den  Wirbeln,  die  Verrenkung  ihres  vordem  Endes  an 
ihrem  Knorpel  ist  noch  nicht  sicher  nachgewiesen.  Hernach  luxiren  die 
untern  Knorpel  von  einander  und  endlich  können  sie  sich  auch  vom  Brust- 
bein ablösen. —  a)  Verrenkung  des  Wirbelendes  der  Rip- 
pen. Bei  dieser  Verrenkung  tritt  das  hintere  Ende  der  Rippe  nach  vorn 
auf  den  Körper  der  Wirbel.  —  Symptome.  Grössere  passive  Beweg- 
lichkeit der  Rippe ,  eine  gewisse  Leere  neben  der  Wirbelsäule  beim  An- 
fühlen und  ein  besonderes,  von  Emphysem  und  Crepitation  bei  Fracturen 
abweichendes  Geräusch.  Dabei  alle  characteristis'chen  Erscheinungen  der 
Reizung  der  Pleura  und  Lungen.  —  Ursachen.     Diese  sind  immer  di- 


988  VERRENKUNG  DES    BRUSTBEINS. 

recte,  ein  Fall,  oder  eine  äusserlich  einwirkende  Gewalt.  —  Prognose. 
Bei  langer  andauerndem  Bestehen  der  Dislocation  müsste  die  Reizung  den 
Lungen  gefährlich  werden ,  weshalb  die  Einrichtung  sobald  als  möglich 
vorzunehmen  ist.  —  Reposition.  Man  bringt  einen  Druck  auf  dem 
vordem  Theil  der  Rippe  an.  —  Retention.  Man  legt  auf  das  vordere 
Ende  der  Rippe  eine  dicke  Compresse ,  eine  zweite  ähnliche  auf  die  der 
verrenkten  Rippe  entsprechenden  Querfortsäze  der  Wirbel  und  befestigt 
beide  mit  einem  Tuche  oder  einer  Binde.  —  Nachbehandlung. 
Wie  bei  den  Rippenbrüchen.  —  b)  Verrenkung  der  Rippen  an 
ihren  Knorpeln.  Wahrscheinlich  handelte  es  sich  bei  den  hierher 
gezählten  Fällen  um  ein  Bruch  der  Knorpel.  Wenn  eine  solche  Abtren- 
nung aber  auch  wirklich  statt  hätte,  so  würde  sie  sich  doch  völlig  wie  ein 
Bruch    verhalten    und    müsste    wie   ein   solcher    behandelt    werden.    — 

c)  Verrenkung  der  Knorpel  unter  sich.  Meistens  betrifft  diese, 
übrigens  sehr  seltene  Luxation  die  unteren  wahren  Rippen ,  welche  zu 
mehreren  (wie  die  6.,  7.  und  8.  Rippe,  so  wie  auch  die  5.  und  6.  und 
die  8.  und  9.)  durch  ihre  entsprechenden  Ränder  beweglich  unter  sich 
verbunden  sind.  Bei  der  Untersuchung  findet  man  die  betreffenden  Rip- 
pen eingedrückt  und  die  darüber  liegenden  bilden  einen  bedeutenden  Vor- 
sprung. Die  eingedrückten  Rippen  sind  zusammengerückt  und  liegen  dach- 
ziegelförmig  über  einander.  Der  Verlezte  neigt  sich  gegen  die  kranke 
Seite.  Man  lässt  den  Kranken  tief  inspiriren  und  drückt  dann  eine  Com- 
presse  durch   eine  breite  Binde   fest  auf  die  vorspringenden  Knorpel.  — 

d)  Verrenkung  der  Knorpel  von  dem  Brustbein.  Diese 
Verrenkung  gleicht  im  Wesentlichen  der  vorigen  und  nimmt  auch  dieselbe 
Behandlung  in  Anspruch.  Die  Einrichtung  ist  schwierig  aufrecht  zu  er- 
halten. 

4.  Verrenkung  des  Brustbeins.  Das  in  den  früheren  Le- 
bensjahren  aus  drei  Stücken  bestehende  Brustbein,  kann  an  den  zwei 
Gelenken,  welche  diese  Stücke  vereinigen,  luxiren.  —  a)  Verrenkung 
der  zwei  ersten  Stücke  des  Brustbeins.  Meistens  steigt  da- 
bei das  zweite  Stück  des  Brustbeins  vor  dem  ersten  in  die  Höhe  ;  in  sel- 
tenen Fällen  wurde  ein  Abstand  zwischen  den  beiden  Stücken  beobachtet. 
—  Symptome.  Oertlicher  Schmerz,  zuweilen  ein  von  dem  Verlezten 
vernommenes  Krachen ,  Respirationsbeschwerden  und  endlich  ein  Vor- 
sprung, gebildet  von  dem  zweiten  Stücke  des  Brustbeins  und  den  an  dem- 
selben befestigten  Rippen  oder  eine  Furche ,  wenn  ein  Abstand  besteht. 
Die  Ursachen  sind  directe  und  indirecte.  Die  ersten  sind  selten  und 
bestehen  in  einem  Drucke,  welcher  das  obere  Stück  des  Brustbeins  trifft; 
die  indirecten  Ursachen  bestehen  meist  in  einer  Einwirkung ,  welche  die 
Wirbelsäule  stark  vorwärts  treibt ;  doch  vermag  auch  eine  starke  Vorwärts- 
beugung des  Körpers  die  Verrenkung  herbeizuführen.  —  Prognose. 
Diese  bekömmt  nur  durch  die  Complicationen  Bedenklichkeit,  die  in  der 
Regel  nicht  fehlen.   Einfache  Luxationen  haben  keine  ernsthaften  Zufälle 


VERRENKUNG  DFS  BECKENS.  989 

zur  Folge  ;  die  Einrichtung  ist  indessen  häufig  sehr  schwierig.  —  Re- 
position. Bei  der  Luxation  mit  Abstand  lässt  man  den  Kranken  mit 
vorwärts  geneigter  Wirbelsäule  und  Kopf  sizen ;  bei  der  mit  Dislocation 
der  einzelnen  Stücke  suchte  man  die  Einrichtung  durch  starke  Rückwärts- 
beugung des  Körpers  herbeizuführen ,  was  in  einigen  Fällen  nicht  zum 
Ziele  führte ,  weshalb  man  mit  einem  starken  auf  die  Gelenkfacette  des 
Körpers  des  Brustbeins  aufgesezten  Pfriem  das  aufgestiegene  Stück  nach 
unten  und  hinten  trieb.  —  Retention.  Im  ersten  Falle  muss  der 
Kranke  die  angegebene  Stellung  bis  zur  Vereinigung  der  Gelenkflächen, 
wozu  12  Tage  nöthig  sein  sollen,  beibehalten;  im  zweiten  legt  man  einen 
festen  Verband  an  und  bringt  ein  dickes  Kissen  unter  das  Kreuz.  Die 
Heilung  erfolgt  innerhalb  eines  Monats  mit  einiger  Deformität.  —  Nach- 
behandlung. Sie  muss  den  Zufällen  angemessen  sein.  —  b)  V  e  r  - 
renkung  des  Schwertknorpels.  Die  Verrenkung  geschieht  immer 
nach  innen  und  ist  von  häufigen  Vomituritionen  gefolgt.  Einmal  gelang 
es ,  den  Fortsaz  mit  den  Fingern  zu  erheben ,  ein  zweites  Mal  sah  sich 
Billard  veranlasst,  an  der  rechten  Seite  das  Fortsazes  einzuschneiden 
und  diesen  mit  einem  stumpfen  Haken  hervorzuziehen.  Das  Verfahren 
gelang. 

5.  Verrenkung  des  Beckens.  Die  Luxation  oder  eigentlich 
Diastase  der  Beckenknochen  kommt  sowohl  an  der  Symphysis  ossium 
p u b i s  als  an  der  Symphysis  sacro-iliaca  vor,  und  zwar  kann  die 
Verrenkung  entweder  nur  an  einer  dieser  Symphysen  bestehen ,  oder  an 
beiden  zugleich ,  in  welchem  Falle  man  es  mit  der  Luxation  des  Darm- 
beins zu  thun  hat,  oder  es  können  endlich  beide  Symphyses  sacro- 
iliaca  e  verrenkt  sein ,  was  eine  Verrenkung  des  Heiligbeins  ergibt.  — 
a)  Verrenkung  der  Schambeinsymphyse.  —  Symptome. 
Heftiger  Schmerz  an  der  Symphyse,  welcher  durch  die  Bewegung  des  ent- 
sprechenden Gliedes  sehr  vermehrt  wird  und  sich  dabei  namentlich  auch 
an  der  Symphysis  sacro-iliaca  bemerklich  macht ,  und  ein  leerer 
Zwischenraum  in  der  Gegend  der  Schambeinsymphyse ,  welcher  je  nach 
dem  Abstände  der  Schambeine  grösser  oder  kleiner  ist,  und  diesem  nach 
1 — 4  Zoll  betragen  kann.  —  Ursachen.  Sie  bestehen  in  einer  Ge- 
walt ,  welche  die  Schambeine  von  einander  entfernt  •  zweimal  wurde  die 
Verrenkung  zu  Pferde  erzeugt,  durch  ungestüme  Sprünge  des  Thiers. 
Die  Zerreissung  der  Symphysen  in  Folge  schwerer  Geburten  s.  unten.  — 
Die  Prognose  hängt  von  den  Complicationen  ab  ;  fehlen  diese  (welche 
unter  andern  in  einer  Zerreissung  der  Urinblase  bestehen  können),  so  ist 
Heilung  zu  hoffen.  —  Reposition  und  Retention.  Man  hält  die 
Schambeine  mittels  eines  fest  um  das  Becken  geführten  Gurts  an  einander 
geschlossen  und  lagert  die  untern  Gliedmassen,  nachdem  auch  die  Kniee 
durch  eine  Binde  vereinigt  sind ,  auf  eine  aus  Kissen  gebildete  doppelt 
geneigte  Ebene.  —  Nachbehandlung.  Sie  muss  den  Umständen 
angemessen,  meist  antiphlogistisch  sein.  —    Die  Heilung  erfordert  2  bis 


990  VERRENKUNG  DES  BECKENS. 

3  Monate ;  aus  Vorsicht  muss  noch  längere  Zeit  ein  Leibgürtel  getragen 
werden.  —  b)  Verrenkung  der  Symphysis  sacro-iliaca.  — 
Symptome.  Grosse  Beweglichkeit  des  entsprechenden  Darmbeins  mit 
Krachen,  sowohl  bei  Druck  auf  dieses  als  auch  bei  Bewegung  des  Schen- 
kels ,  ein  Abstand  an  der  Symphyse ,  welcher  den  Finger  einzulegen  er- 
laubt und  Veränderung  der  Höhe  der  Spina  posterior  ossis  ilei. 
- —  Die  Ursachen  sind  directe  Gewalten,  ein  Fall  von  einer  beträcht- 
lichen Höhe  auf  eine  Seite  des  Beckens ,  oder  das  Auffallen  einer  schwe- 
ren Last  auf  dieses.  —  Prognose.  Sie  ist  nicht  zu  sehr  bedenklich. 
Von  5  Subjecten  wurden  4  wiederhergestellt.  —  Behandlung.  Sie 
muss  hauptsächlich  in  der  Bekämpfung  der  Zufälle  bestehen.  Um  das 
Becken  wird  ein  breiter  Leibgürtel  gelegt,  der  auch  nach  der  Heilung, 
welche  etwa  2  Monate  in  Anspruch  nimmt ,  noch  längere  Zeit  getragen 
werden  muss.  —  c)  Verrenkung  des  Darmbeins  in  seinen 
beiden  Symphysen  zumal.  —  Symptome.  Bei  dem  Zufall 
wird  nicht  selten  ein  Krachen  vernommen ;  das  erste  objective  Zeichen  ist 
Anschwellung  und  Ecchymose ;  das  correspondirende  Glied' erscheint  ver- 
kürzt, zuweilen  mit  auswärts  gekehrtem  Fusse,  ein  einfacher  Zug  stellt 
aber  eine  gute  Stellung  des  Fusses  wieder  her.  Dieser  Zug  veranlasst 
bisweilen  ein  Krachen,  ebenso  die  Beugung  des  Schenkels  ;  ein  Druck  auf 
die  Symphysen  oder  die  Darmbeingräte  bringt  Beweglichkeit  in  dem  Kno- 
chen hervor,  welcher  auch  höher  steht,  als  der  der  andern  Seite,  manch- 
mal sogar  eine  Neigung  zeigt,  so  dass  der  Sizbeinhöcker  der  Mittellinie 
sich  nähert.  —  Diese  Verrenkung  wurde  mit  einem  Schenkelhalsbruch 
verwechselt ;  noch  mehr  hat  man  sich  aber  vor  einer  Verwechslung  mit 
einem  doppelten  Bruche  des  Beckens  zu  hüten.  —  Ursachen.  Sie 
sind  heftige  directe  Gewalten ,  welche  hier  ebenso  gut  von  vorn  als  von 
hinten  oder  selbst  auf  die  Seite  wirken  können;  meistens  sind  es  schwere 
Lasten,  welche  auf  das  Becken  auffallen,  doch  auch  ein  Sturz  von  einer 
Höhe.  —  Die  Prognose  ist  bedenklich ;  die  äussere  Gewalt  erschöpft 
sich  selten  an  dem  Scelette  und  bringt  noch  andere  tödtliche  Verlezun- 
gen  hervor.  Brüche  sind  nicht  selten  gleichzeitig  zugegen.  Die  Be- 
handlung beruht  auf  denselben  Indicationen ,  wie  bei  den  vorherge- 
henden Luxationen.  —  d)  Verrenkung  des  Heiligbeins.  Dieser 
Knochen  kann  nach  vorn  und  nach  unten  luxiren.  —  Symptome.  Bei 
der  Luxation  nach  vorn  bemerkt  man  ein  starkes  Hervortreten  des  Darm- 
beins nach  hinten  und  daher  eine  grössere  Tiefe  der  Darmbein  -  Heilig- 
beinrinne. Ein  Druck  in  entgegengesezter  Richtung  auf  den  vordem 
Theil  der  beiden  Darmbeingräten  lässt  eine  grosse  Beweglichkeit  und  eine 
deutliche  Crepitation  wahrnehmen.  —  Bei  der  Luxation  nach  unten, 
über  welche  nur  ein  ,  durchaus  nicht  bis  zur  Gewissheit  constatirter  Fall 
bekannt  ist ,  wird  Schmerz  in  den  hintern  Beckensymphysen ,  Aufsteigen 
der  Darmbein  gräten  über  die  Höhe  der  lezten  falschen  Rippen  ,  tieferes 
Herabsteigen  des  Steissbeins,  Verwischung  der  Gesässfalten  und  vollkom- 


VERRENKUNG  DES  BECKENS.  991 

mene  Paraplegie  namhaft  gemacht.  —  Ursachen.  Directe  auf  das 
Kreuzbein  einwirkende  Gewalten ,  Ueberfahren  mit  einem  schwer  belade- 
nen  Wagen ,  Fall  von  einer  bedeutenden  Höhe ,  heftiger  Schlag  auf  das 
Kreuzbein.  —  Eine  Einrichtung  wurde  nicht  versucht ;  die  meisten  Ver- 
lezten  kamen  davon  ;  einer  (bei  der  Verrenkung  nach  unten)  mit  bleiben- 
der Lähmung.  —  e)  Verrenkung  der  drei  Symphysen  oder 
der  drei  Knochen  zumal.  Diese  Verrenkung ,  welche  nur  durch 
die  Einwirkung  ungeheurer  unmittelbar  auftreffender  Gewalten  möglich, 
endete  der  anderweitigen  bedeutenden  Verlezungen  wegen  in  allen  bekann- 
ten Fallen  mit  dem  Tode.  —  f)  Verrenkung  des  Steissbeins. 
Dieser  Knochen  kann  nach  innen  und  nach  aussen  luxiren  ;  in  der  neue- 
sten Zeit  wurde  von  Röser  auch  eine  Verrenkung  auf  die  Seite  beobach- 
tet. —  Symptome.  Bei  der  viel  häufigeren  Luxation  nach  innen 
oder  vorn  findet  sich  ein  ausserordentlich  heftiger  Schmerz ,  welcher 
durch  die  geringste  Bewegung  vermehrt  ist ,  schmerzhaftes  Drängen  auf 
den  Mastdarm  und  die  Blase  und  das  Gefühl  eines  fremden  Körpers  in 
dem  Mastdarm.  Bei  der  Luxation  nach  aussen  oder  hinten  kann 
der  Kranke  nicht  sizen.  —  Die  Untersuchung  durch  den  Mastdarm,  wo- 
bei man  aber  sehr  tief  eingehen  muss ,  lässt  die  Verlezung  leicht  erken- 
nen. —  Ursachen.  Die  Verrenkung  nach  innen  wird  durch  Ein- 
wirkungen von  aussen ,  einen  Fall  auf  vorspringende  Gegenstände  mit 
dem  Hintern ,  einen  Schlag  auf  diesen ,  einen  Stoss  von  einem  sezenden 
Pferde,  die  nach  aussen  durch  schwere  Geburten  und  harte  Fäcalmassen 
beim  Stuhlgang  veranlasst.  —  Prognose.  Wird  die  Luxation  erkannt 
und  eingerichtet,  so  ist  die  Prognose  gut,  wo  nicht,  so  kann  Vereiterung, 
Caries  und  Necrose  die  Folge  sein.  —  Reposition.  Bei  der  Luxation 
nach  innen  wird  der  Knochen  mittels  eines  in  den  Mastdarm  eingeführ- 
ten Fingers  nach  aussen  gedrückt,  während  eine  Hand  aussen  flach  auf- 
gelegt wird ;  bei  der  Verrenkung  nach  aussen  genügt  ein  Druck  mit  der 
Hand  auf  die  äussere  Fläche  zur  Einrichtung.  —  Retention.  Bei 
der  Verrenkung  nach  innen  bedarf  es  häufig  keines  Verbandes ,  nur 
wenn  der  Knochen  sich  immer  wieder  dislocirt,  was  zuweilen  vorkommt, 
ist  es  nöthig,  einen  fremden  Körper,  Kork  u.  dgl.  in  den  Mastdarm  ein- 
zubringen. Bei  der  Luxation  nach  aussen  legt  man  eine  graduirte  Com- 
presse  auf  und  befestigt  dieselbe  mit  einer  T-Binde.  —  Nachbehand- 
lung. Man  gibt  dem  Kranken  eine  Seitenlage  oder  sezt  ihn  auf  einen 
gepolsterten  Ring,  sorgt  für  dünne  Leibesöffnung  und  leitet  bei  entzünd- 
lichen Zufällen  ein  antiphlogistisches  Verfahren  ein.  —  g)  Zerreis- 
sung  der  Symphysen  bei  der  Entbindung.  Die  Sprengung 
der  Symphysen  betrifft  anfänglich  meistens  die  Schambeinsymphyse  und 
pflanzt  sich  von  da  fast  unvermeidlich  auf  die  Symphyses  sacro- 
i  1  i  a  c  a  e  fort.  Die  lezteren  sind  indessen  manchmal  isolirt  gesprengt. 
—  aa)  Zersprengung  der  Schambeinsymphyse.  —  Sym- 
ptome.     Das   erste  Zeichen  ist  ein  Krachen,   welches  zuweilen  von  den 


992  VERRENKUNG  DES  SCHLUESSELBEINS. 

Umstehenden  vernommen  wird;  diesem  Krachen  folgt  bald  ein  örtlicher 
Schmerz ,  worauf  sich  eine  sehr  beträchtliche  Beweglichkeit  der  beiden 
Seiten  des  Beckens  bemerklich  macht.  Zuweilen  reisst  das  Mittelfleisch 
und  der  vordere  Theil  der  Scheide  ein.  —  Ursachen.  Der  Zufall 
entsteht ,  wie  bemerkt ,  bei  schweren  Entbindungen ,  bedingt  durch  ein 
Missverhältniss  zwischen  dem  Umfange  des  Kopfs  und  den  Beckendurch- 
messern. Da  aber  diese  Verhältnisse  oft  bestehen,  ohne  dass  sich  dieser 
Zufall  ereignete ,  so  muss  noch  eine  andere  Prädisposition  angenommen 
werden ,  welche  wahrscheinlich  in  einer  Erschlaffung  der  Symphysen  be- 
steht. —  Prognose.  Sie  ist  immer  bedenklich  wegen  der  Complica- 
tionen,  welche  der  Puerperalzustand  und  manchmal  auch  die  Erschöpfung 
einer  langen  Geburtsarbeit  zur  Folge  hat.  Peritonitis ,  Entzündung  der 
Symphysen  und  Abscesse  sind  zu  fürchten.  Die  Behandlung  besteht 
zuerst  in  dem  möglichsten  Zusammenrücken  der  von  einander  gewichenen 
Knochen  mit  den  Händen,  hernach  in  der  Erhaltung  der  Annäherung  wäh- 
rend der  zur  Consolidation  erforderlichen  Zeit.  Hierzu  dient  ein  breiter 
um  das  Becken  geschnürter  Gürtel  und  zu  grösserer  Sicherheit  auch  das 
Zusammenbinden  der  Kniee.  Zur  Consolidation  sind  4 — 6  Wochen  er- 
forderlich. —  bb)  Zerspreng ung  der  Symphyses  sacro-ilia- 
cae.  Krachen,  Schmerz  und  Beweglichkeit  sind  auch  hier  die  Symptome, 
auch  die  Ursachen  sind  dieselben  ,  wie  bei  der  vorigen  Form  ,  dagegen 
scheint  dieser  Zufall  weniger  bedenklich,  als  diese ,  indem  alle  davon  be- 
fallenen Kranken  geheilt  wurden.  Die  Behandlung  besteht  ebenfalls  in 
der  Anlegung  eines  passenden  und  lange  getragenen  Gürtels. 

6.  Verrenkung  des  Schlüsselbeins.  Man  unterscheidet 
eine  Verrenkung  des  Sternalendes  und  eine  Verrenkung  des  Acro- 
mialendes  des  Schlüsselbeins.  Ersteres  kann  nach  vorn,  nach  oben 
und  nach  hinten,  lezteres  nach  oben,  über  das  Acromion,  nach  unten 
und  hinten  unter  das  Acromion  und  nach  unten  und  vorn,  unter  den 
Processus  coracoideus  verrenkt  werden.  —  a)  Verrenkung 
des  Sternalendes.  —  Symptome.  Bei  der  Verrenkung  nach 
vorn,  welche  die  häufigste  ist,  bemerkt  man  eine  Hervorragung  auf  dem 
obern  Theil  des  Brustbeins,  welche  verschwindet,  wenn  man  die  Schulter 
nach  aussen  drückt ;  die  Schulter  steht  tiefer  und  mehr  nach  innen ,  der 
Kopf  des  Kranken  ist  nach  der  verlezten  Seite  geneigt  und  die  Bewegun- 
gen des  Arms  sind  erschwert  und  schmerzhaft.  Zuweilen  ist  die  Luxation 
unvollständig,  d.  h.  der  Knochen  verlässt  sein  Gelenk  nicht  ganz  und  ragt 
nur  wenig  hervor.  —  Bei  der  Luxation  nach  oben  steht  das  luxirte  Ende 
der  Mittellinie  des  Körpers  näher  und  etwas  höher,  als  das  der  andern 
Seite  und  die  Schulter  tiefer  und  vorwärts  geneigt.  —  Bei  der  Luxation 
nach  hinten  ist  der  Kopf  nach  der  Seite  der  Luxation  geneigt,  die 
Schulter  erhöht  und  nach  vorn  und  innen  gebracht ;  am  Sternalende  fühlt 
man  eine  Vertiefung,  in  welcher  der  Finger  die  leere  Gelenkhöhle  erken- 
nen kann  ;    dabei   sind  zuweilen  bedeutende  Beschwerden  im  Athemholen 


VERRENKUNG  DES  SCHLÜESSELBEINS.  993 

und  Schlingen  zugegen.  —  Ursachen  sind  Gewalten,  welche  die  Schul- 
ter seitwärts  oder  von  vorn  treffen.  —  Das  Schlüsselbein  bricht  übrigens 
leichter  als  es  luxirt.  —  Prognose.  Sie  Ist  nicht  sehr  bedenklich ; 
selbst  nicht  eingerichtet ,  erlaubt  die  Luxation  die  Wiederkehr  der  Be- 
wegungen. Die  Luxation  nach  hinten  lässt  sich  leichter  eingerichtet  er- 
halten als  die  nach  vorn,  welche  deshalb  selten  ohne  Deformität  zu  heilen 
ist ;  auch  bei  der  Luxation  nach  vorn  lässt  sich  der  luxirte  Knochen  nur 
schwer  an  seinem  Plaze  erhalten.  —  Reposition.  Diese  ist  bei  allen 
diesen  Luxationen  leicht.  Bei  der  Luxation  nach  vorn  zieht  man  die 
Schulter  nach  aussen  oder  nach  aussen  und  hinten  und  drückt  mit  dem 
Daumen  den  luxirten  Kopf  in  seine  Höhle  zurück ;  bei  der  nach  oben 
zieht  man  die  Schulter  nach  aussen  und  oben  und  drückt  das  Schlüssel- 
bein von  oben  nach  unten  ;  bei  der  nach  hinten  muss  die  Schulter  nach 
aussen  und  hinten  gezogen  werden.  —  Retention.  Die  Stellung  der 
Schulter,  in  welcher  die  Einrichtung  vollzogen  wurde,  muss  fixirt  werden. 
Dies  geschieht  bei  sämmtlichen  Luxationen  des  Sternalendes  des  Schlüs- 
selbeins mittels  des  D  esault 'sehen  Verbandes  für  den  Schlüsselbein- 
bruch, oder  besser  der  B  o  y  e  r '  sehen  Modifikation  desselben  (s.  Knochen- 
brüche). Bei  der  Luxation  nach  vorn  fügt  man  demselben  noch  eine  ge- 
polsterte erweichte  Schiene  von  Pappe  oder  Gutta  percha  bei ,  die  man 
mit  Bindentouren  befestigt.  Melier  und  H  e  c  k  e  r  halten  das  luxirte 
Knochenende  mit  einer  Pelotte  nieder,  welche  mit  einer  Feder  in  Verbin- 
dung steht ,  die  auf  dem  Rücken  ihren  Stüzpunkt  hat.  Dabei  befestigt 
H e c k e r  die  auf  der  gesunden  Schulter  ruhende  Hand  mit  Mayor's 
Taschentuchverband.  Eine  ähnliche  Stellung  gab  Velpeau  dem  Arme 
der  leidenden  Seite  bei  der  Luxation  nach  oben.  —  Der  Verband  muss 
4  bis  6  Wochen  getragen  werden.  —  b)  Verrenkung  des  Acro- 
mialendes.  —  Symptome.  Bei  der  Verrenkung  über  das  Acro- 
m  i  o  n.  Das  äussere  Ende  des  Schulterendes  des  Schlüsselbeins  macht 
einen  starken  Vorsprung  über  dem  Achselstumpfe,  der  nach  unten  durch 
eine  sehr  merkliche  Vertiefung,  welche  ihn  vom  Acromion  scheidet,  be- 
grenzt ist ;  dadurch  erscheint  der  Arm,  wie  die  vordere  und  hintere  Wand 
der  Achselhöhle  verlängert ;  der  Arm  hängt  am  Stamme  herab ,  der  Kopf 
ist  nach  der  kranken  Seite  geneigt  und  die  willkürlichen  Bewegungen, 
vorzüglich  die  Erhebung ,  sind  durch  den  Schmerz  gehindert.  Bei  einer 
unvollständigen  Luxation  dieser  Art  kann  sich  der  Vorsprung  dem  Auge 
entziehen,  beim  Befühlen  indessen ,  wenn  man  mit  dem  Finger  längs  des 
Schlüsselbeins  von  innen  nach  aussen  hinfährt,  ist  man  sicher,  dem  Vor- 
sprunge dieses  Knochens  zu  begegnen,  ebenso,  wenn  man  die  obere  Fläche 
des  Acromion  durchläuft.  —  Bei  der  viel  selteneren  Verrenkung  unter 
das  Acromion  fühlt  man  die  Spize  dieses  leztern  deutlich  und  daneben 
eine  Vertiefung ;  die  Schulter  hat  ihre  runde  Form  verloren  und  ist  dem 
Brustbein  genähert ;  die  Bewegungen  des  etwas  länger  gewordenen  Arms 
sind  sehr  eingeschränkt ,  aber  passive  Bewegungen  sind  möglich.  —  Bei 
Burger,  Chirurgie.  63 


994  VERRENKUNG  DES  OBERARMS. 

der  Luxation  unter  den  Rabenschnabelfortsaz  zeigt  sich,  neben 
einem  mehr  oder  minder  heftigen  Schmerz  in  der  Regio  coraco- 
a  c  r  o  m  i  a  1  i  s  und  einer  bedeutenden  Ecchymose,  eine  Vertiefung  an  der 
gewöhnlichen  Stelle  des  Schlüsselbeins  und  wenn  man  auf  diesem  mit  dem 
Finger  hinfahrt ,  so  findet  man  es  nach  unten  und  aussen  geneigt  und 
sein  Acromialende  in  der  Achselhöhle  untergebracht ;  der  Processus 
coracoideus  und  das  Acromion  erscheinen  frei  und  unter  der  Haut 
vorspringend  ;  die  Schulter  ist  nach  vorn  und  unten  geneigt  und  der  am 
Rumpfe  herabhängende  Arm  kann  leicht  nach  allen  Richtungen,  ausge- 
nommen nach  oben  und  innen,  hingeführt  werden.  —  Ursachen.  Ge- 
wöhnlich werden  diese  Luxationen  durch  einen  Fall  auf  die  Schulter  ver- 
anlasst, wodurch  diese  nach  unten  und  hinten  gedrängt  wird.  Bei  der 
Luxation  unter  das  Acromion  ist  es  eine  gerade  von  oben  nach  unten  wir- 
kende Gewalt,  welche  sie  hervorbringt.  —  Prognose.  Sie  ist  im  All- 
gemeinen nicht  sehr  bedenklich,  selbst  bei  der  nicht  eingerichteten  Luxa- 
tion. Eine  vollkommene  Heilung  wird  niemals  erlangt.  ■ —  Reposition. 
Die  Schulter  wird  stark  nach  hinten  und  aussen  gezogen  und  dann  das 
Acromialende  des  Schlüsselbeins  ,  je  nachdem  es  über  oder  unter  das 
Acromion  getreten  ist ,  niedergedrückt  oder  erhoben ;  lezteres  geschieht 
auch ,  wenn  es  sich  unter  dem  Rabenschnabelfortsaze  befindet.  —  Re- 
tention. Man  legt  den  Schlüsselbeinbruchverband  von  Des ault  an,  dem 
man  je  nach  der  Abweichung  eine  Compresse  über  oder  unter  der  Clavi- 
cula  beifügt.  Um  das  aufgestiegene  Ende  des  Schlüsselbeins  niederzu- 
halten, wandte  man  das  Petit'  sehe  Turniket  an.  Malgaigne  bedient 
sich  mit  Vortheil  eines  festen  Bandes  von  der  Breite  und  Dicke  der  Hosen- 
träger, welches  unter  dem  Ellbogen  angelegt  wird;  das  vordere  mit  einer 
Schnalle  versehene  Ende  steigt  bis  zur  Höhe  der  Brust  hinauf,  das  andere 
erreicht  die  Schulter  von  hinten  ,  läuft  über  das  Schlüsselbein  weg  und 
verbindet  sich  mittels  der  Schnalle  mit  dem  vordem  Ende.  Zur  Siche- 
rung am  Ellbogen  erhält  das  Band  daselbst  eine  Ellipse.  Wo  es  drückt, 
werden  Compressen  angelegt.  —  Der  Verband  darf  erst  nach  Beseitigung 
der  hier  gewöhnlich  auftretenden  entzündlichen  Erscheinungen  angelegt 
werden.  —  Zur  Consolidation  des  Gelenks  werden  3  0  Tage  erfordert. 

7.  Verrenkung  des  Oberarms.  Gewöhnlich  nimmt  man 
drei  Grundformen  von  Verrenkungen  des  Oberarms  an  :  nämlich  a)  nach 
unten  in  die  Achselhöhle ,  b)  nach  vorn  unter  das  Schlüsselbein ,  und  c) 
nach  hinten^neben  das  Schulterblatt.  Malgaigne  fügte  in  der  neue- 
sten Zeit  diesen  drei  Formen  noch  eine  vierte  bei,  nämlich  nach  oben,  wo 
der  Oberarmkopf  über  das  Ligamentum  acromio-coraeoideum 
luxirt  ist.  —  a)  Verrenkung  nach  unten,  Luxatio  axillaris. 
Je  nach  dem  höhern  oder  tiefern  Stande  des  Gelenkkopfs  unterscheidet 
Malgaigne  eine  Lux.  subcoraeoidea  und  subglenoidea.  — 
Symptome.  Die  Schulter  steht  tiefer,  ist  abgeflacht,  das  Acromion 
bildet  einen  Vorsprung,  unter  demselben  fühlt  man  eine  tiefe  Lücke  und 


VERRENKUNG  DES  OBERARMS.  995 

in  der  Achselhöhle  eine  kugelige  Erhabenheit  von  dem  ausgewichenen 
Gelenkkopfe  ;  der  Arm  ist  etwas  im  Ellbogen  gebogen,  verlängert  und  et- 
was nach  hinten  gerichtet ;  er  kann  nur  wenig  nach  aussen  bewegt  wer- 
den. Durch  Druck  des  Kopfes  auf  den  Plexus  brachialis  entsteht 
nicht  selten  Einschlafen  und  Pelzigsein  der  Finger.  —  Als  unvollständige 
Luxation  bezeichnet  man  es  ,  wenn  der  Gelenkkopf  die  Cavitas  g  1  e  - 
n  o  i  d  a  1  i  s  nur  theilweise  verlässt.  —  b)  Verrenkung  nach  vorn 
oder  innen,  Luxatio  subscapularis.  Der  Gelenkkopf  weicht  bei 
dieser  Luxation  gerade  vorn  über  den  Rand  der  Cavitas  glenoidalis 
auf  die  vordere  Flache  (F  o  s  s  a)  der  Scapula  und  kommt  gewöhnlich  an 
die  innere  Seite  des  Processus  coracoideus  zu  stehen  (Lux.  i n - 
tracoracoidea);  in  sehr  seltenen  Fällen  nähert  er  sich  mehr  oder 
weniger  dem  Schlüsselbein  (Lux.  subclavicularis).  —  Sym- 
ptome. Der  äussere  Habitus  dieser  Luxation  unterscheidet  sich  nur 
durch  den  höhern  Stand  des  Gelenkkopfs  von  der  ähnlichen  Axillarluxa- 
tion.  So  zeigt  sich  ein  Vorspringen  des  Acromion,  eine  Vertiefung  dar- 
unter, der  Ellbogen  steht  meistens  nach  aussen,  ist  jedoch  dem  Stamme 
mehr  genähert  als  bei  der  vorigen  Luxation  ;  der  Arm  hat  bald  seine  nor- 
male Länge,  bald  ist  er  verkürzt,  bald  verlängert,  nicht  selten  etwas  nach 
einwärts  gedreht ;  die  mitgetheilten  Bewegungen  sind  fast  ebenso  leicht, 
die  willkürlichen  ebenso  gehemmt ,  wie  bei  jener.  Zuweilen  steht  der 
hintere  Rand  des  Schulterblattes  nach  aussen.  Das  Hauptunterscheidungs- 
zeichen ist  aber  das  Fehlen  des  Gelenkkopfs  in  der  Achselhöhle  ,  welcher 
dagegen  unter  dem  Schlüsselbeine  eine  Wölbung  bildet.  —  c)  Verren- 
kung nach  oben,  Luxatio  supracoracoidea.  Bei  dieser  nur 
ein  einziges  Mal  von  M  a  1  g  a  i  g  n  e  beobachteten  Luxation  stand  der 
Kopf  an  dem  innern  Rande  des  Acromion ,  bedeckte  den  Processus 
coracoideus  und  grenzte  nach  oben  an  die  innere  Seite  des  Schlüssel- 
beins und  erhob  den  Deltoideus.  Der  Arm  zeigte  l1^  Linien  Verkür- 
zung, Bewegungen  waren  sehr  schwierig.  —  d)  Verrenkung  nach 
hinten  oder  aussen,  Luxatio  infraspinata.  Malgaigne 
unterscheidet  eine  Lux.  s  üb  a  er  omialis  ,  bei  welcher  sich  der  Ober- 
armkopf hinter  dem  untern  Winkel  befindet,  und  eine  Lux.  infra- 
spinata, wo  er  sich  unter  die  Gräte  des  Schulterblatts  gelagert  hat.  — 
Symptome.  Die  Schulter  ist  abgeplattet ,  nach  vorn  ausgehöhlt,  die 
Acromionspize  ragt  hervor ,  der  vordere  Rand  der  Achselhöhle  ist  nach 
hinten  geworfen,  so  dass  die  Brust  auf  dieser  Seite  breiter  erscheint ;  der 
Gelenkkopf  bildet  je  nach  seiner  Stellung  nach  aussen  und  hinten  ent- 
weder unter  der  hintern  Ecke  des  Acromion  oder  in  der  Fossa  infra- 
spinata eine  Erhabenheit.  Der  Arm  ist  mehr  oder  weniger  verlängert 
und  schief  von  hinten  und  oben  nach  vorn  und  unten  gerichtet ;  der  Ell- 
bogen kann  nicht  nach  hinten  gebracht  werden.  —  U r  Sachen.  Die 
Construction  des  Schultergelenks  ,  als  das  freieste  am  Körper ,  bildet  bei 
jedem  Menschen  gleichsam  eine  Anlage  zu  Luxationen   und  besonders  ist 

63* 


996  VERRENKUNG  DES  OBERARMS. 

es  der  untere  Theil  der  Gelenkhöhle ,  welcher  schon  bei  geringfügigen 
Veranlassungen  das  Austreten  des  Kopfes  zulässt,  da  hier  die  Gelenkkap- 
sel fast  allein  den  Kopf  in  seiner  Lage  erhält ;  es  ist  deshalb  auch  die 
Luxation  nach  unten  die  am  häufigsten  vorkommende.  —  Fast  bei 
jeder  Verrenkung  zerreisst  die  Kapselmembran ;  eine  höchst  seltene  Aus- 
nahme hiervon  findet  nur  bei  sehr  bedeutender  Kapselerschlaffung  und 
Muskelatrophie,  besonders  wenn  sich  der  Kopf  nicht  weit  von  seiner  Höhle 
entfernt,  statt.  —  Die  Gelegenheitsursachen  sind  starke  Muskelanstren- 
gungen beim  Heben  etc.,  directe  mechanische  Gewalten,  welche  den  Ober- 
arm oder  die  Schulter  treffen ,  die  häufigsten  ein  Fall  auf  die  Hand  oder 
den  Ellbogen  bei  ausgestrecktem  und  abducirtem  Arme.  —  Die  Richtung, 
welche  der  Kopf  bei  seinem  Austritte  einschlägt ,  hängt  in  der  Regel  von 
der  zufälligen  Stellung  des  Gliedes  ab,  welche  dasselbe  im  Augenblicke 
der  einwirkenden  äussern  Gewalt  inne  hat.  —  Prognose.  Ist  die  Ver- 
renkung frisch  und  nicht  complicirt ,  so  ist  die  Prognose  günstig ,  da  die 
Einrichtung  dann  meistens  leicht  bewerkstelligt  werden  kann ;  hat  die 
Verrenkung  dagegen  schon  Wochen  oder  Monate  lang  gedauert,  und  sich 
ein  neues  Gelenk  zu  bilden  angefangen ,  so  kann  man  keine  Heilung  ver- 
sprechen, da  die  Einrichtung  entweder  sehr  gefährlich  oder  ganz  unmög- 
lich ist.  —  Reposition.  Die  Einrichtung  des  luxirten  Oberarms  kann 
entweder  durch  einen  Zug  nach  der  Achse  des  Körpers  nach  unten,  oder 
in  einem  rechten  Winkel  mit  der  Längenachse  des  Körpers  oder  in  der 
Richtung  des  Körpers  nach  oben  ins  Werk  gesezt  werden.  Bei  der  Aus- 
dehnung des  Gliedes  gerade  oder  schief  nach  unten  sezt  der 
Wundarzt  nach  A.  C  o  o  p  e  r  dem  liegenden  Kranken  die  eine  Ferse  in 
die  Achselhöhle  der  leidenden  Seite  und  macht  die  Extension  mit  einem 
über  dem  Ellbogengelenk  umgelegten  Handtuche.  Ein  anderes  Verfahren 
von  A.  Cooper  besteht  in  Folgendem:  er  stemmt  sein  Knie  indieAxilla, 
während  sein  Fuss  auf  des  Kranken  Stuhl  steht,  erhebt  dann  das  Knie 
durch  Strecken  des  Fusses  und  drückt  zu  gleicher  Zeit  das  Acromion  mit 
der  rechten  Hand  nach  unten  und  innen.  In  ähnlicher  Weise  kann  die 
Extension  über  der  gepolsterten  Lehne  des  Stuhls,  auf  welcher  der  Kranke 
sizt,  gemacht  werden.  Richerand  legt  dem  auf  einem  Stuhle  sizenden 
Kranken  die  Mitte  eines  grossen  zusammengelegten  Tuches  unter  der 
Achselhöhle  der  kranken  Seite  an,  führt  die  Enden  desselben  hinten  und 
vorn  schräg  über  die  Brust  und  übergibt  sie  zwei  Gehülfen.  Ein  zweites 
Tuch  wird  quer  über  die  Schulterhöhe  gelegt,  seine  Enden  nach  der  ent- 
gegengesezten  Seite  geführt  und  zwei  Gehülfen  übergeben.  Ein  weiterer 
Gehülfe  drückt  in  der  Richtung  von  oben  nach  unten  auf  das  Acromion 
und  fixirt  zugleich  den  mittlem  Theil  des  auf  der  Schulter  ruhenden 
Tuches.  Nachdem  so  der  Rumpf  und  das  Schulterblatt  durch  diese  zur 
Gegenausdehnung  bestimmten  Tücher  fixirt  sind ,  schlingt  man  um  das 
Handgelenk  eine  Serviette  herum,  so  dass  sie  sich  kreuzt  und  übergibt  sie 
der  nöthigen  Anzahl  von  Gehülfen.       Der  Wundarzt  stellt  sich  an  die 


VERRENKUNG  DES  OBERARMS.  997 

Aussenseite  des  kranken  Arms  ;  die  Gehülfen  ziehen  in  der  schrägen  Rich- 
tung, welche  der  Knochen  durch  die  Luxation  erhalten  hat ,  aber  auf  ein 
Zeichen  des  Wundarztes  führen  sie  den  Arm  in  seine  natürliche  Richtung 
zurück ,  während  ersterer  den  Kopf  des  Humerus  zu  heben  sich  bemüht. 
Ist  der  Kopf  frei  gemacht ,  so  führen  die  Gehülfen  unter  fortwährender 
Ausdehnung  den  Ellbogen  nach  ein-  und  vorwärts.  —  Bei  der  Ausdeh- 
nung des  Gliedes  horizontal  auswärts  wird  die  Contraextension 
auf  die  eben  angegebene  Weise  bewerkstelligt.  Behufs  der  Extension 
legt  man  über  dem  Ellbogen  des  im  rechten  Winkel  vom  Körper  abbe- 
wegten Arms  eine  Schlinge  an ,  an  welcher  zwei  Gehülfen  zuerst  in  der 
Richtung ,  welche  der  Arm  in  Folge  der  Dislocation  angenommen  hat, 
ziehen,  bis  der  Gelenkkopf  beweglich  geworden  ist,  worauf  dem  Arme  die 
gerade  Stellung  beim  Zuge  gegeben  wird ,  und  der  Wundarzt  dann  den 
Gelenkkopf  dadurch  einzurichten  sucht ,  dass  er  ihn  von  seiner  anomalen 
Stelle  aus  nach  dem  untern  Rande  der  Gelenkhöhle  einen  Bogen  beschrei- 
ben oder  eine  rotirende  Bewegung  ausführen  lässt.  In  dem  Augenblicke, 
wo  der  Kopf  den  Rand  der  Pfanne  berührt ,  muss  die  Extension  nach- 
lassen Am  leichtesten  gelingt  die  Einrichtung,  wenn  man  den  Arm  in 
eine  senkrechte  Stellung  bringt  und  die  Ausdehnung  dann  gerade  nach 
oben  ins  Werk  sezt ;  in  dieser  Stellung  sind  alle  Muskeln  erschlafft, 
welche  der Reduction  am  meisten  hinderlich  sein  können  (Deltoideus, 
Supra-  und  In  fr  a  spinatus)  und  es  wird  das  Anstemmen  des  Kopfs 
an  den  Rand  der  Gelenkhöhle  vermieden,  Dieses  Verfahren  kommt  bei  der 
M  o  t  h  e'schen  Methode  in  Anwendung,  welche  nach  der  Modifikation  v.  R  u  s  t 
und  A.  L.Richter  folgendermassen  ausgeführt  wird :  der  Kranke  sizt  auf 
<lem  Boden,  ein  an  der  gesunden  Seite  des  Kranken  knieender  Gehülfe 
umfasst  mit  beiden  gefalteten  Händen  die  kranke  Schulter  und  drückt  sie 
nach  unten ,  ein  zweiter  fasst  das  Glied  mit  beiden  Händen  am  Handge- 
lenke, zieht  es  an,  um  es  auszustrecken,  dann  erhebt  er  den  Arm  allmälig 
immer  höher  gegen  den  Kopf,  bis  er  gerade  in  die  Höhe  steht,  worauf  er 
eine  stärkere  Extension  macht ,  als  ob  er  den  Kranken  am  Arme  vom 
Boden  aufheben  wollte,  während  der  Wundarzt  mit  seinen  beiden  Daumen 
den  Gelenkkopf  in  die  Pfanne  zurückdrückt.  —  Ohne  Gehülfen  stemmte 
Mothe  seinen  einen  Fuss  auf  die  kranke  Schulter  des  liegenden  Krän- 
zen ,  bewegte  den  Arm  nach  oben ,  bis  er  mit  der  Längenachse  des  Kör- 
pers eine  parallele  Richtung  hatte  und  extendirte  dann  kräftig  am  Hand- 
gelenke. Nach  der  Einrichtung  muss  der  Arm  vorsichtig  herabgeführt 
werden.  —  Von  der  vollführten  Einrichtung  überzeugt  uns  ,  neben  dem 
eigenthümlichen  Geräusche  und  dem  Rucke,  mit  welchem  der  Gelenkkopf 
in  seine  Höhle  eintritt,  das  Aufhören  der  Schmerzen,  die  natürliche  Form 
des  Gelenks  und  die  freie  Beweglichkeit  des  Arms  nach  allen  Richtungen. 
—  Hat  die  Luxation  längere  Zeit  bestanden  und  lässt  sich  der  Arm  wegen 
schon  vorhandener  Pseudoproducte  nicht  auf  gewöhnliche  Weise  feduci- 
ren,  so  wendet  man  nach  vorausgegangenen  Bewegungen  des   Arms   nach. 


998  VERRENKUNG  DES  VORDERARMS. 

verschiedenen  Riehtungen,  erweichenden  Einreibungen,  Bädern  etc. ,  den 
Flaschenzug  an.  Dies  geschieht  auf  folgende  Weise :  der  Kranke  sizt 
auf  einem  Stuhle,  die  Schulter  wird  durch  einen  Retractor  fixirt  und  die- 
ser in  einen  an  der  der  gesunden  Seite  zugekehrten  Wand  befestigten 
Haken  eingehängt ,  die  Extensionsbinde  über  dem  Ellbogen  angelegt 
und  durch  Bänder  mit  dem  an  der  entgegengesezten  Wand  befestigten 
Flaschenzuge  verbunden.  Die  Extension ,  welche  in  der  Richtung  ge- 
macht wird,  die  der  Arm  in  Folge  der  Dislocation  hat,  geschieht  allmälig, 
indem  man  den  erlangten  Grad  von  Ausdehnung  immer  einige  Zeit  erhält. 
Hat  sie  den  gehörigen  Grad  erreicht ,  so  sezt  der  Wundarzt  sein  Knie  in 
die  Axilla,  sezt  den  Fuss  auf  den  Stuhl  und  hebt  und  drückt  den  Gelenk- 
kopf ganz  sanft  in  die  Gelenkhöhle,  was  im  Augenblicke,  wo  man  die  Ex- 
tension nachlässt,  gewöhnlich  ohne  Schnappen  geschieht.  —  Sehr  wider- 
strebende Muskeln  und  Sehnen  kann  man  subcutan  durchschneiden.  — 
Obgleich  es  Beispiele  gibt ,  dass  veraltete  Luxationen  nach  langer  Zeit 
ihres  Bestehens  ,  selbst  noch  nach  einem  Jahre  ,  eingerichtet  wurden ,  so 
ist  doch  räthlich,  die  Reduction  bei  allen  über  2  bis  3  Monate  alten  Ver- 
renkungen zu  unterlassen.  —  Retention.  Die  Neigung  zu  Recidiven 
bekämpft  man  am  besten  durch  Ruhe  des  Gliedes  nach  der  Reposition, 
weshalb  man  den  Arm  mehrere  Wochen  in  einer  Mitelle  tragen  lässt  und 
ihn  ausserdem  noch  durch  ein  Tuch  am  Körper  befestigt.  —  Die  Nach- 
behandlung besteht  in  der  Bekämpfung  der  Entzündung ,  späterhin 
der  Muskelsteifigkeit ;  bei  einem  zurückbleibenden  paralytischen  Zustande 
des  Arms  zieht  man  flüchtige  Einreibungen,  Douchen,  Vesicantien,Moxen 
etc.  in  Gebrauch.  —  Für  habituelle  Verrenkungen  besizen  wir  besondere 
mechanische  Vorrichtungen ,  welche  die  Erhebung  des  Arms  erschweren 
oder  während  der  Erhebung  einen  Druck  auf  die  untere  Wand  der  Ge- 
lenkkapsel ausüben.  Eine  solche  Vorrichtung  hat  Steinmetz  angegeben. 
8.  Verrenkungen  des  Ellbogengelenks  oder  des 
Vorderarms.  Man  unterscheidet  die  Verrenkung  beider  Vorderarm- 
knochen vom  Humerus  und  die  isolirte  Verrenkung  des  Radius  und  der 
Ulna.  —  A.  Verrenkung  beider  Vorderarmknochen  im  Ell- 
bogengelenke. Die  Verrenkung  kann  hier  nach  hinten,  nach 
vorn,  nach  aussen,  nach  innen  vor  sich  gehen ,  ferner  können  beide 
Knochen  nach  verschiedenen  Richtungen  abweichen. —  a)  Verrenkung 
nach  hinten.  Diese  Luxation  ist.  die  häufigste  und  kommt  für  sich 
öfter  vor,  als  die  übrigen  Vorderarmluxationen  zusammengenommen.  — 
Symptome.  Der  Arm  befindet  sich  in  halber  Beugung  und  ist  ver- 
kürzt ;  das  Olecranon  macht  hinten  einen  starken  Vorsprung ;  in  der  Arm- 
beuge fühlt  man  das  untere  Ende  des  Humerus  als  einen  queren  Knochen- 
vorsprung und  die  Sehne  des  Muse,  bieeps  ist  sehr  gespannt ;  die  will- 
kürlichen Bewegungen  sind  beinahe  aufgehoben ,  die  mitgetheilten  haben 
dagegen  eine  ziemlich  grosse  Ausdehnung.  —  Eine  unvollständige 
Luxation  nach  hinten  soll  nach  Malgaigne  häufiger  vorkommen ,   als 


VERRENKUNG  DES  VORDERARMS.  999 

die  vollständige.  Der  Arm  ist  bei  dieser  Luxation,  bei  welcher  sich  der 
Processus  coronoideus  an  die  Trochlea  anstemmt ,  von  gleicher 
Länge,  wie  auf  der  gesunden  Seite,  oder  sogar  ein  wenig  länger,  nur  unbe- 
deutend gebeugt ;  das  Olecranon  springt  nach  hinten  vor,  erreicht  weit  nicht 
die  Hohe  des  innern  Condyls  ,  während  es  bei  der  vollständigen  Verren- 
kung beträchtlich  höher  steht  als  dieser ;  als  ein  pathognomonisches  Zeichen 
ist  nach  Malgaigne  der  unvollständige  Vorsprung  des  Radius  nach 
hinten  anzusehen ,  dessen  becherförmige  Gelenkfläche  unter  der  Haut  ge- 
fühlt werden  kann.  —  Ursachen.  Sie  bestehen  meist  in  einem  Fall 
auf  die  Handfläche  bei  ausgestrecktem  Arme,  wodurch  dieser  in  eine 
übermässige  Streckung  versezt  wird;  andere  Male  scheint  eine  Ver- 
drehung des  Vorderarms  in  der  Supination  die  Luxation  hervorzubringen. 

—  Prognose.  Sie  hat  nichts  LTngünstiges ,  wenn  die  Luxation  frisch 
ist ;  die  Einrichtung  erfolgt  leicht  und  das  Gelenk  erhält  bei  einer  gut 
geleiteten  Behandlung  die  Bewegungen  ziemlich  leicht  wieder ;  nach 
4  —  6  Wochen  Bestand   aber  ist  die  Einrichtung   sehr  in  Frage  gestellt. 

—  Reposition.  Ein  Gehülfe  umfasst  den  Oberarm  nahe  über  dem 
Ellbogen  behufs  der  Contraextension ,  ein  anderer  extendirt  mit  der 
linken  Hand  den  gebogenen  Arm  über  dem  Handgelenke  und  drückt  mit 
der  rechten  auf  den  obern  Theil  der  Volarfläche  des  Vorderarms  ,  der 
Wundarzt  selbst  treibt  während  dieser  Extension  das  Olecranon  mit 
beiden  Daumen  abwärts.  Eine  kräftige  Extension  kann  auch  ausge- 
führt werden,  wenn  man  das  Ellbogengelenk  über  dem  Knie  beugt,  womit 
man  das  Abwärtstreiben  des  Olecranon  verbindet.  Ein  anderes  Verfahren 
ist ,  den  gestreckten  Arm  stark  zu  extendiren ,  dann  einen  Druck  von 
hinten  auf  das  Gelenk  anzubringen  und  darauf  eine  rasche  Flexionsbe- 
wegung auszuführen.  —  Retention.  Man  bringt  den  Vorderarm  in 
einen  etwas  grösseren  als  rechten  Winkel  zum  Oberarm  und  erhält  ihn  in 
dieser  Stellung  durch  eine  Schlinge;  in  schweren  Fällen  legt  man  den  Arm 
auf  ein  Spreukissen.  Nachbehandlung.  Diese  richtet  sich  nach 
den  Umständen.  Zur  Verhütung  von  Gelenksteifigkeit  müssen  dem  Arme 
nach  3  bis  5  Tagen  leichte  Bewegungen  mitgetheilt  werden.  —  b)  Ver- 
renkung nach  vorn.  Diese  Luxation  kommt  entweder  m i t  oder 
ohne  Bruch  des  Olecranon  vor.  —  Symptome.  Ist  das  Olecranon 
unversehrt ,  so  befindet  sich  der  Arm  in  leichter  Bewegung  und  ist ,  je 
nachdem  die  Spize  desselben  auf  der  Humerusrolle  stehen  geblieben  oder 
vor  diese  gerückt  ist ,  bedeutend  (um  1  Zoll)  verlängert  oder  etwas  ver- 
kürzt ;  in  der  Armbuge  macht  der  Kronenfortsaz  und  der  Radiuskopf 
einen  ziemlichen  Vorsprung;  die  Fossa  olecrani  ist  leer  und  die 
Gelenkfläche  des  Humerus  tritt  nach  hinten  hervor.  Flexion  und  Exten- 
sion sind  beschränkt.  —  Bei  gleichzeitigem  Bruche  des  Olecranon  ist 
der  Arm  leicht  gebeugt ,  supinirt  und  stark  verkürzt ;  das  Olecranon  be- 
findet sich  an  seinem  Plaze ,  ist  aber  sehr  beweglich ;  in  der  Armfalte 
liegt  eine  harte  Geschwulst,   welche  von   dem  nach  vorn  getretenen  Ra- 


1000  VERRENKUNG  DES   VORDERARMS. 

dius,  so  wie  von  dem  untern  Bruchstücke  der  Ulna  gebildet  wird. —  Ur- 
sachen. Ein  Fall  auf  das  Olecranon  bei  gebeugtem  Arme.  —  Pro- 
gnose. Troz  der  fast  totalen  Zerreissung  der  Gelenkbänder  ist  die 
Prognose  doch  nicht  ungünstig;  in  mehreren  Fällen  konnten  die  Kranken 
ihren  Arm  wieder  wie  früher  gebrauchen.  —  Reposition.  Man  ex- 
tendirt  den  Arm  und  beugt  ihn  dann  rasch ;  wo  dies  nicht  ausreicht, 
drückt  man  den  Vorderarm  nach  ergiebiger  Ausdehnung  nach  hinten. 
Retention.  Bei  der  Luxation  ohne  Bruch  legt  man  den  Arm  in  eine 
Schlinge ;  bei  der  mit  Bruch  ist  die  Einrichtung  ohne  weiteren  Verband 
nicht  aufrecht  zu  erhalten  (s.  Knochenbruch).  —  Die  Nachbe- 
handlung ist  die  oben  angegebene.  —  c)  Verrenkungen  nach 
aussen  oder  innen.  Diese  Luxationen  sind  häufiger  incomplet  als 
complet.  Die  nach  aussen  kommt  öfter  vor  als  die  nach  innen.  — 
Symptome.  Bei  der  completen  Luxation  nach  aussen  bildet 
der  ganze  verkürzte  Arm  eine  Incurvation ,  deren  Convexität  sich  an  der 
Radialseite  befindet ;  der  Vorderarm  ist  etwas  gebeugt ,  pronirt ,  abge- 
flacht und  adducirt.  Das  Olecranon  bildet  einen  starken  Vorsprung  nach 
hinten,  steht  aber  dem  äussern  Condylus  näher,  eben  so  der  Processus 
coronoideus.  Die  Fossa  olecrani  ist  leer.  An  der  äussern  Seite 
des  Gelenks  fühlt  man  das  Capitulum  radiials  eine  Hervorragung ; 
der  innere  Condylus  und  der  innere  Rand  der  Trochlea  treten  stark  hervor. 
Die  Sehne  des  Triceps  ist  unter  der  Haut  erhoben,  angespannt  und  läuft 
schief  nach  aussen.  Die  leichtesten  Bewegungen  sind  schmerzhaft.  — 
Die  Zeichen  der  inco  mpleten  Luxation  gleichen  denen  der  completen, 
nur  sind  sie  weniger  auffallend  :  der  Arm  ist  verkürzt,  der  Kopf  des  Radius 
steht  nach  aussen  dicht  neben  dem  Capitulum  humeri,  leichte  Ex- 
tensions-  und  Flexionsbewegungen  sind  möglich.  —  Bei  der  Luxation 
nach  innen  findet  das  umgekehrte  Verhältniss  statt ;  das  Olecranon 
und  der  Processus  coronoideus  sind  gegen  den  innern  Condylus 
abgewichen,  das  Köpfchen  des  Radius  hat  den  Plaz  des  Olecranon  ein- 
genommen und  der  äussere  Condylus  steht  stark  hervor.  Die  Bewegun- 
gen im  Ellenbogengelenk  sind  beschwerlich,  beschränkt  und  schmerzhaft. 
Ursachen.  Die  gewöhnlichste  Ursache  zu  den  Seitenluxationen  ist  ein 
Fall  auf  die  Hand  ;  der  Arm  wird  hiebei  hyperextendirt ,  umgeknickt  und 
nach  der  einen  oder  der  andern  Seite  verdreht ;  auch  direkte  Gewalten, 
welche  den  fixirten  Arm  seitlich  treffen,  so  wie  heftige  Verdrehungen 
können  sie  hervorbringen.  —  Prognose.  Die  completen  Luxationen 
geben  der  ausgebreiteten  Zerreissungen  der  Weichtheile  wegen  eine  we- 
niger gute  Prognose ,  als  die  unvollständigen ;  namentlich  ist  bei  den 
erstem  auch  die  Zerreissung  des  Mediannerven  zu  fürchten.  —  Re- 
p  o  s  i  t  i  o  n.  Man  macht  die  Extension  und  Contraextension  auf  die  ge- 
wöhnliche Weise  und  schiebt  die  Knochen  dann  durch  seitlichen  Druck 
oder  Rotation ,  je  nach  der  Richtung  und  Art  der  Verrenkung ,  über  ein- 
ander;  gelingt  es  nicht  auf  diese  Art,  so  bringt  man  den  Vorderarm  in 


VERRENKUNG  DES  VORDERARMS.  1001 

Hyperextension ,  drückt  dann  seitlich  und  flectirt  den  Arm  rasch  ;  bei  der 
Unterposition  von  Weichtheilen  biegt  man  den  Vorderarm  nach  der  Dor- 
salflexion seitlich  um.  —  Retention.  Das  Tragen  des  gebeugten 
Arms  in  einer  Schlinge  reicht  bei  einfachen  Fällen  hin.  Bei  grosser  Nei- 
gung zu  abermaliger  Verschiebung  müssen  rechtwinklig  gebogene  Seiten- 
schienen angelegt  werden.  —  Nachbehandlung.  Bei  ausgedehnter 
Quetschung  und  Zerreissung  der  Weichtheile  muss  der  zu  erwartenden 
heftigen  Entzündung  kräftig  entgegengewirkt  werden.  —  d)  Verren- 
kung der  Vorder  armknochen  nach  verschiedenen  Rich- 
tungen. Bei  dieser  höchst  seltenen  Luxation  tritt  die  Ulna  nach  hinten 
und  der  Radius  nach  vorn ;  einmal  beobachtete  man  eine  Verrenkung  der 
Ulna  nach  aussen  und  des  Radius  nach  vorn  und  innen.  —  Symptome. 
Der  Vorderarm  ist  leicht  gebeugt,  verkürzt  und  in  der  Mittellage  zwischen 
Pro  -  und  Supination.  Das  Olecranon  steht  hinten  höher ,  nach  innen 
tritt  die  Trochlea ,  nach  aussen  das  Capitulum  hervor ;  der  Processus 
coronoideus  liegt  in  der  Fossa  olecrani,  der  Radiuskopf  liegt 
entweder  nach  vorn  über  dem  Capitulum  humeri  oder  befindet  sich 
in  der  Grube ,  die  sonst  der  Kronenfortsaz  einnimmt.  Die  Bewegungen 
im  Gelenke  sind  ganz  aufgehoben.  —  Ursachen.  Fall  auf  die  Hand, 
wobei  wahrscheinlich  eine  Verdrehung  statt  findet.  —  Prognose.  Sie 
ist  nicht  so  schlecht ,  als  man  nach  den  ausgedehnten  Zerreissungen  er- 
warten sollte.  Die  Einrichtung  bietet  keine  Schwierigkeiten  dar.  — 
Reposition.  Man  bringt  zuerst  durch  Extension  die  Ulna  zurück 
und  reponirt  dann  durch  Supination  ,  Extension  und  Herabdrücken  den 
Radiuskopf.  —  Retention.  Das  Wiederaustreten  des  Radiuskopfs 
verhindert  man  durch  die  Anlegung  eines  Schienen  Verbandes.  Die  Nach- 
b  ehandlung  muss  der  zu  erwartenden  Entzündung  entgegenwirken.  — 
B.  Isolirte  Verrenkung  der  einzelnen  Vorderarm- 
knochen. Die  Ulna  kann  allein  nach  hinten,  der  Radiuskopf  nach 
hinten,  nach  vorn  und  nach  aussen  luxiren.  —  a)  Verrenkung 
der  Ulna.  Diese  Luxation  ist  immer  unvollständig;  der  Processus 
coronoideus  befindet  sich  an  der  hintern  untern  Fläche  der  Trochlea. 
—  Symptome.  Der  Arm  ist  extendirt  oder  leicht  flectirt ,  auffallend 
pronirt ,  Extension  und  Flexion  äusserst  schmerzhaft ,  Pro  -  und  Supi- 
nation möglich ;  der  Ulnarrand  des  Vorderarms  ist  auffallend  verkürzt, 
■einwärts  gekehrt  und  die  Hand  nach  innen  umgeschlagen.  Die  Trochlea 
springt  deutlich  an  der  vordem  Seite  und  das  Olecranon  mit*  der  Triceps- 
sehne  nach  hinten  hervor.  —  Ursachen.  Fall  auf  die  Hohlhand  bei 
ausgestrecktem  Arme.  Die  Prognose  ist  günstig.  —  Reposition. 
Man  lässt  den  untern  Theil  des  Oberarms  fixiren  und  die  Extension  an 
der  in  Supination  gebrachten  Hand  machen,  worauf  der  Wundarzt,  wenn 
die  Ausdehnung  zu  dem  erforderlichen  Grade  gediehen  ist,  den  Arm 
beugt  und  das  Olecranon  nach  vorn  drückt.  —  Retention.  Man  legt 
den  Arm  gebeugt  mehrere  Wochen  in  eine  Mitelle.    —    b)  Verren- 


1002  VERRENKUNGEN  AM  HANDGELENKE. 

kung  des  R  a  d  i  u s  k  o  p  f  s.  —  S y  m p  t  o  m  e.  a)  Die  Verren- 
kung nach  hinten.  Der  Vorderarm  ist  leicht  gebeugt,  die  Hand 
in  mittlerer  Pronation ,  der  Radialrand  verkürzt ,  der  lladiuskopf  wird 
neben  dem  Olecranum  gefühlt  und  die  Hand  kann  nicht  supinirt  werden. 
—  ß)  Die  Verrenkung  nach  vorn.  Der  Arm  ist  leicht  gebeugt, 
stark  pronirt,  die  Extension  und  Supination  unmöglich,  die  Flexion  geht 
nur  bis  zum  rechten  Winkel ,  weil  dann  der  lladiuskopf  über  dem  Capi- 
tulum  anstösst ;  nach  aussen  von  der  Gelenkfalte  fühlt  man  den  beweg- 
lichen Radiuskopf.  Die  Radialseite  des  Vorderarms  ist  verkürzt ,  der 
Vorderarm  selbst  abducirt  und  der  Condylus  internus  tritt  schärfer 
hervor ,  als  auf  der  gesunden  Seite.  Bei  Kindern  beobachtet  man  häufig 
eine  unvollständige  Verrenkung  nach  vorn  oder  eine  Subluxation 
des  Radiusköpfchens.  Die  Hand  ist  dabei  pronirt,  der  Vorderarm  leicht 
gebeugt  und  gegen  den  Bauch  angelegt  oder  auch  gestreckt  und  zur 
Seite  herabhängend.  Das  ganze  Glied  ist  unbeweglich  und  der  Versuch 
die  Hand  zu  supiniren  erregt  die  heftigsten  Schmerzen.  Der  Kopf  des 
Radius  wird  selten  entdeckt. —  y)  Die  Verrenkung  nach  aussen. 
Der  leicht  gebeugte  und  in  Pronation  befindliche  Vorderarm  kann  nicht 
extendirt  und  nur  unvollkommen  supinirt  werden ;  der  Radiuskopf  wird 
nach  aussen  gefühlt.  Fast  immer  ist  ein  Bruch  des  obern  Endes  der 
Ulna  mit  dieser  Luxation  verbunden.  —  Ursachen.  Sie  sind  direkte 
Gewalten,  welche  den  Radius  allein  treffen,  auch  übermässige  Pro-  und 
Supinationsbewegungen  des  Vorderarms  durch  Fall ,  Verdrehung  etc. 
Die  Subluxation  des  Radius  entsteht  meistens  durch  gewaltsames  Ziehen 
an  der  Hand ,  so  bei  Kindern ,  welche  man ,  im  Begriffe  zu  fallen ,  an 
dem  Handgelenke  heftig  zurückhält ,  oder  wenn  man  sie  vom  Boden  auf- 
reisst,  um  sie  eine  Gosse  überspringen  zu  lassen.  —  Prognose.  Sie 
ist  nur  in  der  Hinsicht  nicht  günstig ,  als  sich  bei  diesen  Luxationen 
eine  grosse  Geneigtheit  zu  Recidiven  zeigt.  — -  Reposition.  Man  ex- 
tendirt den  Vorderarm  an  dem  Handgelenke  mit  der  linken  Hand  und 
reponirt  das  Capitulum  radii  durch  Druck  mit  der  rechten  Hand, 
während  man  den  Vorderarm  in  Supination  bringt.  Die  unvollkommene 
Verrenkung  nach  vorn  richtet  sich  häufig  von  selbst  ein.  G  o  y  r  a  n  d 
empfiehlt ,  das  kranke  Gelenk  mit  der  linken  Hand  zu  umfassen ,  so  dass 
der  Daumen  vorn  auf  das  Capitulum  radii  drückt ,  mit  der  rechten 
Hand  aber  an  der  Hand  des  Kindes  kräftig  zu  extendiren  r  dieselbe  dann 
in  Supination  zu  stellen  und  in  dieser ,  während  man  den  Radius  gleich- 
sam nach  hinten  zurückstösst,  den  Vorderarm  plözlich  und  vollständig 
zu  beugen.  Das  Köpfchen  soll  mit  einem  deutlichen  Geräusch  an  seine 
normale  Stelle  eintreten.  —  Retention.  Man  legt  Compressen, 
Schienen  und  Binden  an  und  lässt  den  Arm  gebeugt  mehrere  Wochen 
in  einer  Schlinge  tragen. 

9.      Verrenkungen    am    Handgelenke.       Diese    betreffen 
entweder  das  Radio -ulnar- Gelenk,   oder   das  Radio-carpal  -  oder  das  ei- 


VERRENKUNGEN  AM  HANDGELENKE.  1003 

gentliche  Handgelenk,  oder  endlich  das  Handwurzelgelenk.  —  a)  Ver- 
renkung des  Radio-ulnargelenks,  oder  des  Köpfchens 
der  Ulna.  Sie  erfolgt  entweder  nach  vorn  oder  nach  hinten.  — 
Symptome.  Bei  der  Luxation  nach  hinten  befindet  sich  die  Hand 
in  halber  oder  vollständiger  Pronation  und"  in  Adduction ,  der  Querdurch- 
messer des  Handgelenks  ist  verkleinert ,  Beugung  und  Streckung  der 
Hand  sind  frei,  die  Supination  ist  unmöglich.  Auf  dem  Rücken  derHand 
bemerkt  man  einen  widernatürlichen  Vorsprung  (den  Kopf  der  Ulna) ,  die 
Vorderarmknochen  sind  sich  so  genähert ,  dass  sie  sich  unten  kreuzen, 
und  der  Griffelfortsaz  der  Ulna  steht ,  anstatt  in  gerader  Richtung  mit 
dem  Ringfinger,  in  der  des  Mittelfingers.  —  Bei  der  Luxation  nach 
vorn,  welche  weit  seltener  als  die  vorige  ist,  steht  die  Hand  fest 
in  der  Mittellage  zwischen  Pro  -  und  Supination ,  der  untere  Theil  des 
Vorderarms  ist  missgestaltet ,  abgerundet ,  in  seinem  grössten  Durch- 
messer verkleinert ;  an  dem  mittlem  vordem  Theil  des  Handgelenks 
bemerkt  man  einen  Vorsprung ,  nach  innen  fühlt  man  den  innern 
Knöchel  nicht  mehr  und  an  der  Stelle  der  Erhöhung ,  welche  der  Ulna- 
köpf  gewöhnlich  bildet ,  ist  eine  Vertiefung.  Die  Ulna  kreuzt  unten 
den  Radius.  —  Ursachen.  Uebertriebene  Pro  -  oder  Supinations- 
bewegungen ,  auch  directe  Einwirkungen ,  wie  ein  Fall ,  Stoss  ,  Schlag. 
—  Prognose.  Wenn  es  gelingt,  den  abgewichenen  Griffelfortsaz 
an  seinem  normalen  Plaze  zu  erhalten,  so  ist  die  Prognose  günstig, 
andernfalls  büsst  das  Handgelenk  an  seiner  Kraft  und  Festigkeit  ein. 
Sehr  ungünstig  ist  die  Prognose ,  wenn  zugleich  eine  Fractur  des  Ra- 
dius besteht  und  die  Ulna  aus  der  Haut  hervorragt.  Ankylose  oder 
Zerstörung  des  Gelenks  durch  Eiterung  kann  dann  die  Folge  sein.  — 
Reposition.  Unter  Fixirung  des  Oberarms  hält  der  Wundarzt  den 
Radius  und  das  Handgelenk  mit  den  vier  Fingern  beider  Hände  zurück 
und  drängt  mit  den  Daumen  die  Ulna  an  ihren  Plaz;  zuweilen  genügt 
eine  einfache  Pro  -  oder  Supinationsbewegung  zur  Einrichtung.  —  R  e  - 
t  e  n  t  i  o  n.  Nach  Beseitigung  der  Entzündung  erhält  man  den  Vorder- 
arm bei  der  Luxation  nach  hinten  in  vollständiger  Supination ,  bei  der 
nach  vorn  in  forcirter  Pronation,  legt  hinten  und  vorn  dicke  Compressen 
auf  und  befestigt  Pappschienen  mit  einer  festangezogenen  Rollbinde 
darüber.  Dieser  Verband  muss  lange  getragen  werden ,  da  die  Theile 
schwer  wieder  verwachsen.  —  b)  Verrenk  ung  des  Radio-c  arp  al- 
gelenk s  oder  der  Hand.  Diese  Verrenkung  kann  nach  hinten 
oder  nach  vorn  geschehen.  Seitenverrenkungen  gibt  es  nicht.  — 
Symptome.  Bei  der  Verrenkung  der  Handwurzel  nach  hinten 
(der  beiden  Vorderarmknochen  nach  vorn)  ist  die  Hand  unbeweglich  und 
nach  vorn  geneigt,  die  Finger  befinden  sich  im  flectirten  Zustande.  Auf 
dem  Rücken  der  Hand  bildet  der  Carpus  ,  an  der  Volarfläche  vor  dem 
Ballen  der  Hand  die  Vorderarmknochen  einen  Vorsprung  von  7  bis  8 
Linien ;    der  Processus   styloideus   radii  liegt  nach   innen  vom 


1004    VERRENKUNG  DES  MITTELHANDKNOCHENS  DES  DAUMENS. 

Carpus  an  der  innern  Seite  des  Schiff  beins  ;  der  Processus  styloi- 
deus  ulnae  bildet  nach  vorn  und  aussen  einen  Vorsprung,  die  beiden 
Vorderarmknochen  bleiben  nieist  mit  einander  verbunden.  —  Bei  der 
selteneren  Verrenkung  des  Carpus  nach  vorn  (der  Vorderarmknochen 
nach  hinten)  ist  die  unbewegliche  Hand  zum  Vorderarm  gestreckt ,  die 
Finger  haben  eine  Richtung  nach  rückwärts ,  sind  bald  gebeugt  bald  ge- 
streckt und  können  ohne  Gewalt  und  Schmerz  bewegt  werden.  An  der 
Volarfläche  der  Hand  zeigt  sich  der  Carpus  hervorragend ;  auf  dem  Rük- 
ken  des  Handgelenkes  ist  dagegen  eine  Vertiefung  wahrnehmbar ,  über 
welcher  die  untern  Enden  beider  Vorderarmknochen  durch  ihre  griffei- 
förmigen Fortsäze  zwei  Hervorragungen  bilden.  —  Ursachen.  Fall 
auf  die  rückwärts  gebeugte  Hand  oder  irgend  ein  die  Beugung  des  Hand- 
gelenks nach  hinten  forcirender  Druck.  —  Prognose.  Sie  ist  nur 
ungünstig ,  wenn  Complicationen ,  namentlich  eine  Gelenkwunde ,  beste- 
hen. Die  Nichteinrichtung  der  Luxation  beeinträchtigt  die  Brauchbarkeit 
der  Hand  in  hohem  Grade.  —  Reposition.  Man  übt  eine  Extension 
an  der  Hand  aus  und  sucht  mit  den  beiden  Daumen  den  Carpus  zurück- 
zudrängen. —  Retention.  Man  befestigt  eine  gepolsterte  Schiene 
auf  der  Seite ,  nach  welcher  die  Verrenkung  erfolgt  war.  Nachbe- 
handlung. Die  meist  eintretende  Entzündung  muss  nachdrücklich  be- 
kämpft werden.  —  c)  Verrenkung  des  Medio-carpal-  oder 
Handwurzelgelenks.  Die  Luxation  betrifft  entweder  einen  einzel- 
nen Knochen  oder  eine  ganze  Reihe.  Von  einzelnen  Knochen  wurde  die 
Dislocation  des  Os  pisi  forme  und  die  des  Os  capit  at  um  beobach- 
tet ;  ist  eine  ganze  Reihe  dislocirt ,  so  betrifft  es  gewöhnlich  die  zweite 
Reihe,  welche  auf  der  ersten,  und  zwar  auf  der  Dorsalseite,  reitet.  Leztere 
Verrenkung  kommt  indessen  äusserst  selten  vor.  Frische  Luxationen 
lassen  sich  unter  Anwendung  einer  Extension  mit  nachfolgendem  Druck 
auf  den  betreffenden  Knochenvorsprung  ziemlich  leicht  einrichten.  Nach 
«rfolgter  Reduction  legt  man  die  Hand  auf  eine  hölzerne  Platte  und  übt 
durch  kleine  Schienen  und  Rollbinden  die  nöthige  Compression  aus.  Der 
Entzündung,  welche  hier  gern  Abscesse,  Ankylose,  Caries  etc.  zur  Folge 
hat,  muss  kräftig  entgegengewirkt  werden. 

10.  Verrenkung  des  Mittelhandknochens  des  Dau- 
mens. Unter  den  Mittelhandknochen  ist  der  des  Daumens  der  einzige, 
welcher  luxirt  werden  kann ,  was  entweder  nach  hinten  oder  nach  vorn 
geschieht.  —  Symptome.  Bei  der  häufigeren  Luxation  nach  hinten, 
welche  mehr  oder  weniger  vollständig  sein  kann ,  bildet  der  Mittelhand- 
knochen an  oder  auf  dem  Os  multangulum  majus  einen  Vorsprung, 
lezteres  tritt  dagegen  auf  der  Palmarseite  mehr  oder  weniger  hervor,  mit 
einer  Vertiefung  darunter  und  Abflachung  der  Eminentia  thenar. 
Der  Mittelhandknochen  ist  gegen  die  Hohlhand  gebeugt,  unbeweglich  und 
der  ganze  Daumen  erscheint  verkürzt.  —  Bei  der  Verrenkung  nach 
?orn  ist  der  Mittelhandknochen   nach  vorn  und  innen  zwischen  das  O s 


VERRENKUNG  DER  FINGER.  1005> 

multanguluin  majus  und  den  Mittelhandkn'ochen  des  Zeigefingers 
getreten ,  wo  er  in  der  Hohlhand  einen  Vorsprung  bildet ;  der  Daumen 
ist  nach  hinten  umgelegt  und  kann  nicht  gegen  den  kleinen  Finger  ge- 
bracht werden  ;  meist  ist  starke  Anschwellung  und  Schmerz  zugegen.  — 
Ursachen.  Fall  auf  den  äussern  Rand  der  Hand  oder  eine  andere 
mechanische  Gewalt ,  welche  die  Volar-  oder  Dorsalfläche  des  Daumens 
trifft.  —  Prognose.  Bald  nach  geschehener  Verlezung  ist  die  Re- 
position leicht,  sie  wird  aber  sehr  schwierig,  oft  unmöglich,  wenn  die  Ver- 
renkung bereits  einige  Zeit  bestanden  hat.  Nach  der  Reposition  bleibt 
eine  grosse  Neigung  zu  habituellen  Verrenkungen  zurück,  wenn  das  Glied 
nicht  längere  Zeit  geschont  und  ein  Contentivverband  getragen  wird.  Bei 
gleichzeitiger  Complication  mit  äussern  Wunden  und  Zerreissung  der 
Sehnen  kann  die  Exstirpation  des  Daumens  nöthig  werden.  Die  unter- 
lassene Reposition  schwächt  die  Kraft  der  Hand  sehr.  —  Reposition.. 
Man  treibt  die  Mittelhandknochen  vorwärts,  was  man  nötigenfalls  durch 
eine  leichte  Extension  unterstüzt.  Bei  der  Verrenkung  nach  vorn  biegt 
man  den  Daumen  während  der  Ausdehnung  gegen  die  Handfläche  hin.  — 
Retention.  Eine  mit  einer  Binde  befestigte  kleine  hölzerne  Schiene 
sichert  die  Einrichtung. 

11.  Verrenkungen  der  Finger.  A.  Verrenkung  der 
ersten  Phalanx  (in  der  Articulatio  metaca rpo-ph alan- 
ge a).  Diese  Luxationen  kommen  am  häufigsten  am  Daumen,  äusserst 
selten  an  den  übrigen  Fingern  vor.  Meistens  erfolgt  die  Verrenkung 
nach  der  Dorsalseite  durch  übermässige  Streckung  bei  einem  Fall  auf  die 
ausgestreckten  Finger.  Viel  seltener  sind  die  Verrenkungen  nach  vorn 
und  nach  den  Seiten.  Leztere  sind  nur  beim  Zeigefinger  und  kleinen 
Finger  möglich.  a)  Die  Verrenkungen  des  Daumens  können 
vollständig  und  unvollständig  sein.  Bei  der  Verrenkung  nach  hinten 
ist  der  Daumen  gestreckt,  nach  rückwärts  gebogen,  kürzer  und  unbeweg- 
lich. Das  untere  Ende  des  ersten  Daumengliedes  wird  auf  der  Rücken- 
fläche der  Hand  gefühlt  und  auf  der  Volarseite  springt  der  Mittelhand- 
knochen vor.  Bei  der  seltenen  Luxation  nach  vorn  bildet  das  untere 
Ende  des  ersten  Glieds  einen  Vorsprung  auf  der  Volarfläche  der  Hand, 
der  Daumen  ist  meist  etwas  einwärts  gedreht ,  verkürzt  und  gestreckt  ; 
freiwillige  Bewegungen  sind  unmöglich.  Mit  der  Prognose  dieser  Ver- 
renkungen muss  man  sehr  behutsam  sein,  da  diese  nicht  selten  uneinricht- 
bar  gefunden  werden.  Der  Grund  hiervon  hat  verschiedene  Erklärungen 
gefunden.  Die  Einen  suchen  ihn  in  den  Muskeln,  welche  sich,  gleichsam 
ein  Knopfloch  bildend ,  um  den  Hals  des  Knochens  zusammenschnüren. 
Andere  finden  ihn  in  der  Zwischenlagerung  des  von  der  Phalange  nach- 
gezogenen Ligamentum  anterius;  noch  Andere  endlich  in  der  Un- 
versehrtheit der  Seitenbänder.  Auf  diese  verschiedenen  Ansichten  grün- 
den sich  die  verschiedenen  Einrichtungsmethoden ,  die  vorgeschlagen 
worden  sind.      Diese   sind  bei  der  Luxation  nach  vorn:    die  Extension^ 


1006  VERRENKUNG  DER  FINGER. 

die  einfache  Impulsion  ,  die  Impulsion  mit  der  Vorwärtsbeugung  und  die 
Impulsion  mit  der  Rückwärtsbeugung.  —  Die  Extension  geschieht 
entweder  mittels  der  Hand  oder  mit  einer  Schlinge  oder  endlich ,  wenn 
der  verrenkte  Finger  sich  nicht  gut  fassen  lässt ,  mit  eigends  dazu  con- 
struirten  Zangen  (von  Charriere,  Luer).  Penneck  und  Rog- 
netta  legten  die  Schlinge  hinter  der  luxirten  Phalanx  an  und  übten 
damit  neben  dem  Zuge  einen  Druck  auf  den  Knochen  aus.  Die  blosse 
Extension  führt  selten  zum  Ziele.  —  Bei  der  einfachen  Impulsion 
oder  dem  Druck  ohne  Extension  verfahrt  man  auf  folgende  Weise : 
Der  Wundarzt  umfasst  die  Hand  des  Verlezten  mit  den  vier  lezten  Fin- 
gern seiner  beiden,  kreuzweise  über  einander  gelegten  Hände,  wobei  die 
beiden  Zeigefinger  auf  dem  Kopfe  des  Mittelhandknochens  gekreuzt  wer- 
den ;  hernach  drängt  er ,  indem  er  die  Daumen  hinter  der  Phalange  an- 
sezt ,  diese  sanft  bis  an  den  Knorpel  des  Kopfs  des  Mittelhandknochens 
hin,  worauf  er  ihr  eine  Hebelbewegung  mittheilt,  welche  die  Einrichtung 
vollendet.  Dieses  von  G  e  r  d  y  angewendete  Verfahren  zeigte  sich  bei 
Fällen,  wo  die  Phalanx  mit  ihrer  überknorpelten  Gelenkfläche  rechtwink- 
lig auf  der  Dorsalseite  des  Mittelhandknochens  aufsass,  von  Erfolg.  — 
Impulsion  mit  Vorwärtsbeugung.  Man  fasst  den  luxirten 
Daumen  mit  der  rechten  Hand,  wobei  der  Zeigefinger  horizontal  auf  den 
Kopf  des  Mittelhandknochens  gelegt,  der  Daumen  auf  das  vorspringende 
Ende  des  ersten  Glieds  aufgelegt  wird,  drängt,  indem  man  mit  dem  Dau- 
men auf  dieses  Ende  drückt ,  mit  dem  Zeigefinger  den  Kopf  des  Mittel- 
handknochens zurück  und  beugt  zu  gleicher  Zeit  den  luxirten  Finger. 
Bei  diesem  Verfahren  wird  der  gespannte  Flexor  brevis  erschlafft 
und  die  Berührungsfläche  der  beiden  Knochen  vermindert.  —  Impul- 
sion mit  Kückwärtsbeugung.  Bei  diesem  Verfahren,  welches  be- 
sonders bei  der  Interposition  des  Kapselbandes  seine  Anwendung  finden 
soll ,  wird  der  Daumen  nach  hinten  gebogen  und  alsdann  auf  den  Kopf 
des  ersten  Daumengliedes  gedrückt,  welches  damit  sachte  an  seinen  Plaz 
zurückkehrt.  Lawric  bediente  sich  zu  demselben  Zwecke  eines  Schlüs- 
sels ,  in  dessen  Ring  ,er  den  luxirten  Finger  so  steckte ,  dass  der  freie 
Rand  des  Rings  sich  auf  das  hintere  Ende  des  Daumengliedes  aufstüzte 
und  der  übrige  Theil  des  Schlüssels  auf  der  Palmarseite  des  Daumens 
angelegt  war.  Nach  einem  starken  Zuge  Hess  er  den  Schlüssel  wie  einen 
Hebel  wirken ,  um  den  Daumen  nach  hinten  umzulegen ,  worauf  er  das 
Ende  des  Daumengliedes  nach  vorn  schwingen  Hess.  Vi  dal  war  bei  ei- 
ner alten  Luxation  mit  der  einfachen  Hebelbewegung  glücklich.  —  Wenn 
alle  diese  Verfahren  fehlschlagen,  so  kann  man  nach  Hey  dem  Gliede 
Drehbewegungen  um  seine  Achse  mittheilen;  Malgaigne  suchte  den 
luxirten  Knochen  durch  einen  hinter  ihm  in  den  Mittelhandknochen  ein- 
gesezten  Pfriem  vorwärts  zu  treiben;  Bell  u.  A.  schlugen  vor,  die  Sei- 
tenbänder, Andere  die  einschnürenden  Muskeln  einzuschneiden,  was  ohne 
Erfolg   in  Ausführung  gebracht  wurde.      Endlich  hat  man  die  Resection 


VERRENKUNG  DES  OBERSCHENKELS.  1007 

des  Kopfs  des  Mittelhandknochens  vorgenommen ,  welche  jedoch ,  da  sie 
doch  immer  ein  steifes  Gelenk  hinterlässt,  nur  bei  mit  Zerreissung  der 
Integumente  complicirter  Verrenkung  räthlich  ist.  —  Die  Einrichtung  der 
Luxation  nach  vorn  bietet  viel  weniger  Schwierigkeiten  dar,  als  die  nach 
hinten.  Häufig  reicht  eine  einfache  Extension  an  dem  luxirten  Finger 
hin ;  kommt  man  damit  nicht  zu  Stande  ,  so  übt  man  mit  dem  Daumen 
einen  Druck  auf  den  Kopf  des  Mittelhandknochens  aus ,  während  man  zu 
gleicher  Zeit  mit  dem  Zeige-  und  Mittelfinger  das  Ende  des  Fingergliedes 
in  entgegengesezter  Richtung  zurückzudrängen  sucht ;  zuweilen  kann  auch 
eine  forcirte  Beugung  nüzen.  —  Zur  Erhaltung  der  Einrichtung  ist  es 
nothwendig ,  das  Gelenk  mit  einer  Binde  zu  umgeben  ,  mit  welcher  man 
nötigenfalls  kleine  Schienen  befestigt.  —  b)  Verrenkungen  der 
vier  lezten  Finger.  Diese  können  vollständig  und  unvollständig 
sein.  Auch  bei  ihnen  ist  die  Verrenkung  nach  hinten  viel  häufiger  als 
die  nach  vorn.  Bei  allen  Verrenkungen  der  Finger  stehen  dieselben  steif 
und  unbeweglich,  je  nach  der  Art  der  Verschiebung  bald  gestreckt  bald 
gebeugt ;  die  Vorsprünge  des  Mittelhandknochens,  so  wie  des  untern  En- 
des der  Phalanx  sind  deutlich  fühlbar.  Die  Einrichtung  gelingt  meistens 
durch  einen  mit  einem  Druck,  zuweilen  mit  Beugung  oder  Streckung  ver- 
bundenen Zug  an  dem  luxirten  Finger;  im  Uebrigen  sind  hier  auch  alle 
für  die  Luxation  des  Daumens  beschriebenen  Verfahren  anwendbar.  — 
B.  Verrenkungen  der  zweiten  und  dritten  Phalanx.  Die 
Vorsprünge,  die  Unbeweglichkeit  sind  hier  die  gleichen,  wie  bei  den  vor- 
hergehenden Luxationen ,  aber  die  Stellung  der  Finger  ist  nicht  immer 
die  im  rechten  Winkel  mit  der  Rückenseite  des  obern  Glieds,  sie  können 
in  der  geraden  parallelen  stehen  bleiben ,  oder  da  die  Bänder  zerrissen 
sind ,  durch  die  Gewalt  der  Beuger  nach  vorn  flectirt  werden.  Bei  der 
Verrenkung  des  zweiten  Fingerglieds  ist  auch  das  erste  oft  stark  flectirt. 
Auch  bei  ihnen  ist  die  Verrenkung  nach  hinten  die  häufigere.  —  Die 
Einrichtung  hat  nur  Schwierigkeiten ,  wenn  die  Verlezung  nicht  mehr 
frisch  ist.  Man  extendirt ,  wie  es  bei  dem  Daumen  angegeben  wurde, 
bald  in  Flexion  bald  in  forcirter  Extension  und  drückt,  wenn  die  Gelenk- 
enden beweglich  geworden  sind ,  die  Hervorragungen  mit  dem  Daumen 
weg.  Wo  es  grosser  Anstrengung  bedarf,  bedient  man  sich  einer  schma- 
len Schlinge  oder  der  L  u  e  r '  sehen  Zange  ;  auch  der  Schlüssel  ist  hier 
mit  Vortheil  anzuwenden.  Zur  Retention  bedient  man  sich  kleiner  Schie- 
nen, die  man  mit  Heftpflasterstreifen  befestigt. 

12.  Verrenkung  des  Oberschenkels.  Es  werden  vier 
Punkte  angenommen ,  an  welchen  der  Schenkelkopf  seine  Höhle  gewöhn- 
lich verlässt,  nämlich  nach  hinten,  nach  vorn,  nach  oben  und  nach 
unten.  Am  häufigsten  erfolgt  dieser  Austritt  nach  hinten  und  nach 
vorn,  wo  derselbe  nach  Malgaigne  durch  Ausschnitte  in  dem  Pfannen- 
rande begünstigt  wird.  —  Hat  der  Kopf  einmal  den  Pfannenrand  an  ei- 
nem  dieser  Punkte   überschritten ,    so  kann  er   sich    auf    verschiedenen 


1008  VERRENKUNG  DES  OBERSCHENKELS. 

Punkten  der  die  Pfanne  umgebenden  Knochenflächen  feststellen ,  woraus 
verschiedene  Unterarten  hervorgehen.  Diesemnach  unterscheidet  man : 
A.  Verrenkung  nach  hinten,  a)  auf  die  äussere  Fläche 
des  Darmbeins,  Verrenkung  nach  hinten  und  oben  oder  nach  aussen 
und  oben,  Luxatioiliaca;  b)  in  den  kleinen  Hüftbeinaus- 
schnitt oder  in  dessen  Nähe ,  Verrenkung  nach  hinten  und  unten  oder 
nach  aussen  und  unten,  Luxatio  ischiadica.  —  B.  Verrenkung 
nach  vorn,  a)  auf  den  horizontalen  Ast  des  Schambeins, 
Verrenkung  nach  vorn  und  oben  oder  nach  innen  und  oben ,  Luxatio 
ileopubica;  b)  aufdas  Foramenovale,  Verrenkung  nach  vorn 
und  unten  oder  nach  innen  und  unten,  Luxatio  ischiopubica;  die 
sämmtlichen  bis  jezt  aufgeführten  Verrenkungen  können  unvollständig 
oder  vollständig  sein.  —  C.  Verrenkung  gerade  nach  unten, 
a)  zwischen  den  Rand  der  Pfanne  und  die  Tuberosität 
des  Sizbeins,  Luxatio  subcotyloidea;  b)  in  das  Peri- 
naeum,  Luxatio  subperinaealis.  —  D.  Verrenkung  nach 
oben,  neben  die  innere  Seite  der  Spina  ilei  anterior  supe- 
r  i  o  r  ;  diese  Luxation  ist  vollständig  oder  unvollständig.  —  Symptome. 
a)  Luxatio  iliaca,  Verrenkung  nach  hinten  und  oben. 
Ober-  und  Unterschenkel  sind  leicht  gebogen,  die  ganze  Extremität  ist 
nach  einwärts  gedreht,  so  dass  Knie  und  Fusszehen  nach  innen  stehen, 
die  grosse  Zehe  entspricht  dem  Tarsus  des  andern  Fusses;  die  Adduction, 
so  wie  die  Rotirung  des  Glieds  nach  innen  ist  möglich,  die  Entfernung 
des  Knies  von  dem  der  andern  Seite  und  das  Auswärtsrollen  des  Schen- 
kels ist  unmöglich.  Der  Trochanter  ist  nach  vorn  gedreht  und  steht  hö- 
her und  der  Fuss  ist  dem  entsprechend  verkürzt ;  die  Falte  der  Hinter- 
backe steht  höher,  die  Hüfte  ist  breiter  und  springt  nach  aussen  vor.  In 
der  Leistenfalte  fühlt  man  an  der  Stelle  des  Schenkelkopfs  eine  Grube, 
welchen  man  bei  Magern  nach  hinten  vorspringend  findet.  —  Diese  Form 
von  Luxation  ist  die  am  häufigsten  vorkommende.  —  b)  Luxatio 
ischiadica,  Verrenkung  nach  hinten  und  unten.  Unter- 
und  Oberschenkel  leicht  gebogen,  Knie  und  Fussspize  nach  innen  gekehrt. 
Das  verlezte  Glied  lässt  sich  weder  beugen,  noch  nach  aussen  rotiren. 
Der  Trochanter  tritt  ein  wenig  nach  vorn  und  das  Glied  ist  je  nach  der 
Stellung  des  Gelenkkopfs  mehr  oder  weniger  verkürzt.  Bei  magern  Per- 
sonen fühlt  man  den  Kopf  hinten  etwas  über  dem  Sizbeinhöcker.  Nächst 
der  vorigen  ,  von  der  sie  oft  den  ersten  Grad  bildet ,  kommt  diese  Form 
am  häufigsten  vor.  —  c)  Luxatio  ileopubica,  Verrenkung 
nach  vorn  und  oben.  Streckung,  Auswärtsdrehung  und  Abduction 
des  Schenkels ,  weder  Verkürzung  noch  Verlängerung ,  Abflachung  der 
Hinterbacke,  Verwischen  des  Trochanters,  Schwierigkeit  oder  Unmöglich- 
keit der  Bewegungen.  Der  Schenkelkopf  bildet  in  der  Schenkelbeuge 
eine  runde,  harte  Geschwulst,  an  deren  innerer  Seite  die  Pulsationen  der 
Art.  cruralis  fühlbar  sind.  —  d)  Luxatio  ischiopubica,  Ver- 


VERRENKUNG  DES   OBERSCHENKELS.  1009 

renkung  nacn  vorn  und  unten.  Der  Schenkel  ist  gebeugt,  stark 
nach  aussen  gebracht  und  der  Unterschenkel  kann  nicht  gestreckt  wer- 
den ;  das  Glied  ist  bedeutend  verlängert ;  die  Hüfte  ist  eingesunken,  der 
Trochanter  verwischt,  die  Hinterbacke  abgeflacht  und  in  die  Länge  gezo- 
gen, die  Falte  steht  tiefer.  Den  Schenkelkopf  findet  man  als  eine  harte 
Geschwulst  an  der^  innern  obern  Seite  des  Schenkels  ,  während  unterhalb 
der  Mitte  des  P  o  up  art 'sehen  Bandes  sich  eine  Vertiefung  zeigt.  Ad- 
duetion  und  Rotation  nach  innen  ist  unmöglich.  —  Nicht  selten  bleibt 
der  Schenkelkopf  auf  dem  Pfannenrande  stehen  und  stellt  so  eine  unvoll- 
ständige Luxation  dar.  —  e)  Luxatio  supracotyloidea,  Ver- 
renkung nach  oben.  Das  Glied  ist  gestreckt,  in  einer  leichten  Ab- 
duction, stark  auswärts  gedreht  und  verkürzt.  Die  Hinterbacke  ist  abge- 
plattet, der  Trochanter  verwischt  und  nach  hinten  getreten.  Die  Ver- 
renkung ist  entweder  unvollkommen  und  der  Schenkelkopf  liegt  dann  an 
der  äussern  Seite  des  vordem  untern  Darmbeinstachels ,  ungefähr  1  Zoll 
unter  dem  obern,  oder  vollkommen,  in  welchem  Falle  der  Kopf  zwischen 
den  beiden  Darmbeinstacheln  bis  einige  Linien  unter  dem  obern  steht.  Die 
Verkürzung  ist  in  lezterem  Fall  viel  beträchtlicher  als  im  ersten.  Diese 
Luxation  ist  selten.  —  f)  Luxatio  subcotyloidea  und  f)  Luxa- 
tio perinaealis,  Verrenkung  nach  unten.  Bei  der  ersten 
Form  ist  das  Glied  etwas  länger,  der  Schenkel  in  Abduction  und  Aus- 
wärtsdrehung, der  grosse  Trochanter  stark  versenkt ,  der  Kopf  kann  nir- 
gends gefühlt  werden  und  jede  Drehbewegung  ist  unmöglich.  Eine  Dreh- 
bewegung nach  aussen  erzeugt  leicht  die  ischiadische  Luxation.  Bei  der 
Luxatio  perinaealis  ist  der  Schenkel  rechtwinklig  vom  Körper  ent- 
fernt, leicht  vorwärts  gebracht,  verlängert,  der  Stamm  auf  diese  Seite  ge- 
neigt, die  Fussspize  etwas  auswärts  gedreht;  der  Vorsprung  der  Hüfte 
nach  aussen  ist  durch  eine  bedeutende  Vertiefung  ersezt  und  der  Schen- 
kelkopf macht  einen  sehr  bemerklichen  Vorsprung  am  Mittelfleische,  hin- 
ter dem  Hodensacke  und  an  dem  Bulbus  Urethra  e.  Diese  Lage  des 
Kopfs  verursacht  eine  Harnverhaltung.  —  Die  beiden  vorgenannten  For- 
men kommen  sehr  selten  vor.  Ursachen.  Die  Verrenkungen  des 
Hüftgelenks  gehören  zu  den  selteneren  Vorkommnissen  wegen  der  grösse- 
ren Festigkeit  dieses  Gelenks ,  die  es  der  Tiefe  der  Pfanne ,  der  Stärke 
seiner  Bänder  und  Muskeln  zu  danken  hat.  Die  Veranlassung  dazu  gibt 
am  häufigsten  ein  Fall  von  einer  gewissen  Höhe  auf  den  Oberschenkel 
und  die  Hüfte,  ein  Zusammenstürzen  unter  einer  bedeutenden  Last,  das 
Ueberfahrenwerden ,  das  Abgleiten  des  Fusses  auf  einer  schiefen  Fläche. 
Eine  dadurch  bewirkte  rapide  Extension ,  Adduction ,  Abduction  oder 
Flexion  sprengt  das  Kapselband  an  der  Stelle,  gegen  welche  der  Kopf  an- 
drängt, zerreisst  das  Ligamentum  teres  und  einen  Theil  des  Labri 
cartilaginei,  der  Kopf  tritt  aus  dem  Acetabulum  hervor  und  folgt 
der  Impulsion  ,  welche  ihm  die  äussere  Gewalt  durch  ihre  Wirkung  auf 
•den  Schenkel  mittheilt,  oder  es  wird  durch  eine  gewaltsame  Bewegung 
Burger,  Chirurgie.  64 


1010  VERRENKUNG  DES   OBERSCHENKELS. 

des  Rumpfs  gegen  den  Oberschenkel  die  weitere  Lageveränderung  des 
Kopfs  bewerkstelligt.  —  Prognose.  Die  Schenkelluxationen  ergeben 
an  und  für  sich  keine  sehr  bedenkliche  Prognose ,  sie  wird  es  nur  durch 
die  nicht  selten  gleichzeitig  bestehenden  Complicationen,  wie  Bruch  der 
Pfanne,  Erschütterung  des  Rückenmarks,  heftige  Quetschungen  der 
Weichtheile  etc.  Die  Einrichtung  dieser  Luxationen  bietet  allerdings 
häufig  nicht  geringe  Schwierigkeit  dar ,  doch  lassen  sich  diese  durch  ein 
rationelles  Reductionsverfahren ,  besonders  wenn  jene  noch  frisch  sind, 
gewöhnlich  überwinden.  Es  sind  sogar  Fälle  bekannt,  dass  Schenkelluxa- 
tionen noch  nach  einigen  Wochen,  selbst  Monaten  ohne  Nachtheil  sich 
einrichten  Hessen.  ■ —  Bleiben  diese  Verrenkungen  ganz  uneingerichtet, 
so  kommt  es  zur  Bildung  eines  künstlichen  Gelenks ,  und  der  Gebrauch 
des  Gliedes  kehrt  zum  grössten  Theil  zurück,  wenn  auch  stets  ein  hin- 
kender Gang  zurückbleibt.  Der  Gang  wird  bei  einer  Verkürzung  des 
Schenkels  besser  als  bei  einer  Verlängerung.  —  Die  Luxationen  nach 
vorn  lassen  sich  leichter  einrichten,  als  die  nach  hinten.  —  Reposi- 
tion. Die  neueste  Zeit  hat  das  Verdienst,  Einrichtungsmethoden  einge- 
führt zu  haben ,  bei  welchen  durch  Verminderung  der  Muskelcontraction 
und  der  Reibung  der  Knochen  ein  geringerer  Aufwand  von  Kraft  nöthig 
ist ,  als  dies  bei  den  altern  Verfahrungsweisen ,  welche  diese  Momente 
nicht  berücksichtigten  ,  der  Fall  war ,  weshalb  diese  auch  grösstentheils 
verlassen  sind.  Nur  in  wenigen  schwierigen  Fällen,  namentlich  bei  ver- 
alteten Luxationen,  wird  noch  die  sonst  gewöhnliche  Methode  mittels  des 
Flaschenzugs  in  Anwendung  gebracht.  —  Bei  der  Luxatio  iliaca 
(nach  hinten  und  oben)  lässt  man  entweder  in  einer  den  andern  Schenkel 
kreuzenden  Directionslinie  in  langsamen  allmählig  verstärkten  ,  aber  an- 
haltenden Zügen  extendiren,  worauf  der  Wundarzt ,  wenn  er  merkt,  dass 
der  Schenkelkopf  in  der  Nähe  der  Pfanne  angekommen  ist,  das  Knie  um- 
fasst  und  den  Schenkel  stark  nach  aussen  wendet ;  mit  dieser  Bewegung 
muss  der  Zug  nachgelassen,  der  Fuss  etwas  gesenkt,  zugleich  auch  der 
Schenkelkopf  mit  der  Hand  vorwärts  gedrängt  werden ;  um  das  Hinab- 
sinken des  Kopfs,  wodurch  es  zur  Bildung  einer  Luxatio  ischiadica 
käme,  zu  verhüten,  kann  er  durch  ein  um  den  obern  Theil  des  Schenkels 
und  den  Nacken  eines  Gehülfen  geführtes  Tuch  (Coaptationsschlinge)  in 
der  nöthigen  Höhe  erhalten  werden.  Oder  ein  Gehülfe  hebt  den  im  Knie 
gebogenen  Schenkel  gerade  nach  vorwärts  auf,  bis  er  zum  Körper  in  einem 
rechten  Winkel  steht  und  bis  der  vordere ,  jezt  innere  Rand  des  grossen 
Trochanters  gerade  unter  der  vordem  obern  Darmbeingräte  befindlich  ist, 
worauf  sich  der  Schenkel  von  selbst  so  um  seine  Längenachse  nach  aussen 
dreht ,  dass  er  beim  langsamen  Niederlassen  in  seine  Höhle  zurücktritt. 
Ersteres  Verfahren  erweist  sich  von  Nuzen,  wenn  die  Kapsel  hinten,  lezte- 
res,  wenn  sie  nach  hinten  und  unten  eingerissen  ist.  —  Bei  der  Luxa- 
tio ischiadica  (nach  hinten  und  unten)  kommen  im  Wesentlichen 
dieselben  Repositionsmethoden   zur  Anwendung ,    nur   muss   man  bei  der 


VERRENKUNG  DES  OBERSCHENKELS.  1011 

Extension  an  dem  gestreckten  Beine  das  untere  Ende  des  Schenkels  wäh- 
rend der  Abduction  und  Rotation  stark  nach  unten  drängen  ,  damit  der 
Schenkelkopf  gegen  den  hinter  der  Pfanne  liegenden  Vorsprung  aufsteigt. 
Die  Coaptationsschlinge  unterstüzt  die  Bewegung  sehr.  —  Bei  der  L  u  - 
xatio  ileopubica  (nach  vorn  und  oben)  erhebt  man  das  im  Knie  ge- 
beugte Glied  und  beugt  den  Schenkel  vorwärts  und  etwas  nach  aussen, 
bis  er  fast  einen  rechten  Winkel  mit  dem  Stamm  bildet,  worauf  eine  ein- 
fache Einwärtsdrehung  den  Kopf  gewöhnlich  leicht  in  seine  Höhle  treten 
lässt.  Das  ganze  Manöver  geschieht  nach  Malgaigne  am  besten, 
wenn  man  sich  die  Kniekehle  des  Verlezten  auf  die  Schulter  legt,  auf  den 
luxirten  Kopf  die  Hände  legt  und  nun,  indem  man  sich  sachte  aufrichtet, 
die  genannten  Bewegungen  ausführt.  —  Bei  der  Luxatio  ischiopu- 
b  i  c  a  (nach  vorn  und  unten)  lässt  man  den  auf  dem  Bette  oder  dem 
Boden  liegenden  Kranken  gehörig  niederhalten,  erhebt  den  Schenkel  bis 
zum  rechten  Winkel  und  darüber  nach  aussen ,  extendirt  ihn  in  dieser 
Eichtung ,  wobei  man  mit  der  Hand  auf  den  Schenkelkopf  drückt ,  und 
führt  ihn  dann  unter  einer  Einwärtsdrehung  wieder  nach  unten.  —  Bei 
der  Luxatio  supracotyloidea  (nach  oben)  genügt ,  wenn  sie  un- 
vollkommen ist,  die  Beugung  in  Verbindung  mit  der  Adduction  und  Ein- 
wärtsdrehung, ist  sie  vollkommen,  so  muss  man  den  zwei  lezten  Manövern 
einen  kräftigen  Zug  nach  unten  und  hinten  und  eine  Erhebung  des  Femur 
mit  einer  Coaptationsschlinge  vorausgehen  lassen.  —  Bei  der  Luxatio 
subcotyloidea  (nach  unten)  wird  der  Schenkel  zuerst  stark  in  Beu- 
gung gebracht  und  in  dieser  Richtung  von  einem  Gehülfen  angezogen,  wäh- 
rend der  Wundarzt  ihn  schnell  in  Adduction  und  Einwärtsdrehung  bringt.  — 
Bei  der  Luxatio  perinaealis  lässt  man  das  Glied  nach  unten  und 
aussen  hinziehen  und  den  Kopf  mittels  einer  massigen  Drehung  über  den 
aufsteigenden  Ast  des  Sizbeins  zurückgehen ,  um  ihn  in  das  ovale  Loch 
zu  führen  ,  von  wo  er  durch  das  kräftige  und  quere  Hinüberführen  des 
kranken  Gliedes  über  das  gesunde  in  seine  Höhle  zurückgebracht  wird. 
—  Mittels  des  Flaschenzugs  reponirtman  folgendermassen :  bei  der 
Luxation  nach  aussen  und  oben  legt  man  den  Kranken  auf  einen 
Tisch  und  führt  durch  die  Schenkelbeuge  einen  Contraextensionsgurt, 
welcher  hinter  dem  Kranken  an  einen  Haken  befestigt  wird.  Dann  wird 
ein  Extensionsgürtel  über  dem  Knie  angelegt,  von  welchem  aus  Riemen 
mit  dem  Flaschenzuge  verbunden  werden ,  der  vor  dem  Kranken  in  der 
Wand  befestigt  wurde.  Das  Knie  muss  dabei  etwas  gekrümmt  und  etwas 
über  das  gesunde  gerichtet  sein.  Nun  wird  der  Flaschenzug  ganz  lang- 
sam angezogen,  bis  der  Kopf  am  Rande  der  Pfanne  angelangt  ist,  worauf 
man  unter  Nachlass  des  Zugs  das  Knie  und  den  Fuss  nach  aussen  rotirt. 
Springt  der  Kopf  so  nicht  von  selbst  ein,  so  hilft  man  mit  dem  unter  dem 
Oberschenkel  durchgestreckten  Arm  nach. —  Bei  der  Luxation  nach 
aussen  und  unten  wird  der  Kranke  auf  die  gesunde  Seite  gelegt, 
Extensions-   und  Contraextensionsgurte   auf  die   eben_  angegebene  Weise 

64* 


1012  VERRENKUNG  DER  KNIESCHEIBE. 

angelegt  und  an  dem  im  Knie  gebogenen  Gliede  in  querer  Richtung  über 
das  gesunde  hin  gezogen.  Zugleich  zieht  ein  Gehülfe  ein  um  den  obern 
Theil  des  Schenkels  geführtes  Tuch  mit  der  einen  Hand  in  die  Höhe, 
während  er  mit  der  andern  auf  das  Becken  drückt ,  um  damit  den  Kopf 
über  den  Rand  der  Pfanne  zu  heben.  —  Bei  der  Luxation  nach 
vorn  und  oben  kommt  dieselbe  Lage  und  Befestigung  in  Anwendung, 
der  Schenkel  wird  aber  in  der  Richtung  nach  hinten  gezogen.  —  Bei  der 
Luxatio  nach  vorn  und  unten  wird  die  Extension  in  der  Richtung 
der  Luxation  gemacht  und  während  der  Ausführung  derselben  das  luxirte 
und  am  Fussgelenke  gefasste  Bein  über  das  gesunde  gezogen.  — -  Bei  der 
vollkommenen  Luxation  nach  oben  verfährt  man  auf  die  bei 
dieser  Luxation  oben  angegebene  Weise  auch  mit  dem  Flaschenzuge ;  das 
Gleiche  gilt  von  der  Luxation  nach  unten.  —  Retention.  Das 
eingerichtete  Glied  wird  neben  das  gesunde  gelegt,  beide  an  den  Knien 
zusammengebunden  und  einige  Wochen  eine  ruhige  Rückenlage  anem- 
pfohlen ;  der  Kranke  hat  sich  namentlich  vor  dem  Aufsizen  zu  hüten.  — 
Nachbehandlung.  Entzündliche  Zustände  behandelt  man  nach 
Massgabe  ihrer  Stärke  allgemein  oder  örtlich  antiphlogistisch,  und  erlaubt 
dem  Kranken  erst  den  Gebrauch  seines  Gliedes,  wenn  aller  Schmerz  ver- 
schwunden ist. 

13.  Verrenkung  der  Kniescheibe.  Die  Kniescheibe  kann 
nach  aussen  und  nach  innen,  und  zwar  unvollkommen  und  vollkom- 
men verrenken,  und  ausserdem  kann  sie  eine  halbe  Drehung  um  ihre 
Längenachse  erleiden.  M  a  1  g  a  i  g  n  e  spricht  auch  von  einer  völligen 
Umkehrung  der  Kniescheibe,  die  aber  noch  sehr  zweifelhaft  ist.  End- 
lich verrenkt  die  Kniescheibe  nach  oben  bei  Zerreissung  des  Knieschei- 
benbandes. Am  häufigsten  luxirt  die  Kniescheibe  nach  aussen  und  zwar 
auf  unvollkommene  Weise.  —  Symptome:  a)  die  Verrenkung 
nach  aussen.  Das  Knie  hat  seine  normale  Gestalt  verloren ,  an  der 
Stelle  der  Kniescheibe  findet  man  eine  Einsenkung ,  diese  selbst  bildet 
nach  aussen  je  nach  der  Vollkommenheit  oder  Un Vollkommenheit  der 
Luxation  einen  mehr  oder  minder  beträchtlichen  Vorsprung ,  und  ist  et- 
was um  ihre  Längenachse  nach  innen  gedreht,  in  der  Art,  dass  ihr  äusse- 
rer Rand  mehr  oder  weniger  erhaben  und  etwas  nach  vorn  gewendet  ist 
und  ihre  vordere  Fläche  daher  etwas  nach  innen  und  vorn  hinsieht ;  der  * 
Vorsprung  der  Kniescheibe  sezt  sich  in  schiefer  Richtung  nach  oben  ins 
die  Kniescheibensehne,  nach  unten  in  das  Kniescheibenband  fort.  Bei 
der  vollkommenen  Luxation  ist  der  Unterschenkel  mehr  oder  weniger  ge- 
beugt, bei  der  unvollkommenen  eher  gestreckt,  jede  Bewegung  wird  durch 
die  Schmerzen  unmöglich  gemacht.  —  Eine  noch  stärkere  Erhebung  des 
äussern  Randes  der  Kniescheibe,  so  dass  diese  fast  auf  die  Kante  gestellt 
ist,  nennt  Malgaigne  äussere  verticale  Verrenkung.  —  b) 
Die  Verrenkungnach  innen.  Sie  bietet  dieselben  Erscheinungen 
dar,  wie  die  nach  aussen ,  nur  dass  sich  alles  umgekehrt  verhält,  der  in- 


VERRENKUNG  DES  KNIEGELENKS.  1013 

nere  Rand  der  Kniescheibe  den  Vorsprung  bildet  etc. ;  es  besteht  dieselbe 
Unbeweglichkeit  des  Beins  ,  welche  überhaupt  jeder  Luxation  der  Knie- 
scheibe eigenthümlich  ist.  Die  höheren  Grade  dieser  Verrenkung  bilden 
die  M  algai  gne 'sehen  inneren  verticalen  Verrenkungen. 
—  c)  Die  halbe  Drehung  jler  Kniescheibe  um  ihre  Längenachse. 
Es  ist  dies  eben  die  verticale  Verrenkung  der  Kniescheibe  von  M  a  1  - 
g  a  i  g  n  e  ,  bei  welcher  der  eine  oder  der  andere  Rand  derselben  gerade 
nach  vorn  hinsieht,  mit  Vertiefungen  zu  beiden  Seiten.  —  d)  Die  Ver- 
renkung nach  oben.  Sie  ist  ohne  Zerreissung  des  Kniescheiben- 
bandes nicht  möglich.  Das  Knie  hat  seine  Gestalt  verloren ,  die  Knie- 
scheibe ist  meistens  bei  zwei  Querfinger  über  ihre  gewöhnliche  Höhe 
hinaufgestiegen  und  darunter  bemerkt  man  eine  ungewöhnliche  Vertie- 
fung ,  in  welcher  man  den  vordem  Gelenkrand  der  Tibia  und  die  leere 
Schenkelrolle  fühlen  kann ;  die  Streckung  des  Unterschenkels  ist  unmög- 
lich. —  Ursachen.  Eine  Disposition  zu  den  Verrenkungen  der  Knie- 
scheibe geben  Schlaffheit  der  Bänder  und  einwärts  geneigte  Kniee.  Ge- 
legenheitsursachen sind  Gewalten ,  welche  die  Kniescheibe  selbst  treffen, 
wie  ein  Fall,  Stoss  etc.  ;  nicht  selten  erfolgt  die  Verrenkung  durch  Mus- 
kelwirkung, z.  B.  wenn  ein  Fall  verhindert  werden  will.  —  Prognose. 
Sie  ist  nicht  ungünstig ,  da  die  Einrichtung  meist  leicht  zu  machen  ist, 
und  selbst  nicht  eingerichtete  Luxationen  das  Glied  nicht  ganz  unbrauch- 
bar machen.  Rückfälle  sind  übrigens  nicht  selten.  —  Reposition. 
Das  völlig  extendirte  Bein  wird  emporgehoben  und  im  Hüftgelenke  ge- 
beugt, so  dass  die  Extensoren  so  viel  als  möglich  erschlafft  werden,  dann 
drückt  man  den  hervorstehenden  Rand  der  Kniescheibe  stark  nieder,  -um 
den  entgegengesezten  zu  heben',  worauf  die  Muskeln  die  Kniescheibe  in- 
ihre  Lage  ziehen.  Bei  der  Achsendrehung  umfasst  der  Wundarzt  die 
Kniescheibe  des  gleichfalls  und  ziemlich  hoch  erhobenen  Gliedes  mit  der 
Hand  und  drängt  sie  stark  nach  aussen  oder  innen  ,  je  nachdem  die  vor- 
dere Fläche  derselben  nach  innen  oder  aussen  gerichtet  ist.  Im  Falle 
des  Fehlschlagens  hat  zuweilen  eine  rasche  Beugung  des  Kniegelenks  zum 
Ziele  geführt.  Bei  der  Luxation  nach  oben  drängt  man  bei  erhobenem 
Beine  die  Kniescheibe  nach  unten  und  erhält  sie  durch  einen  der  bei  dem 
Bruche  der  Kniescheibe  angegebenen  Verbände  bis  zur  Wiedervereinigung 
des  Bandes  (4  0  —  5  0  Tage)  an  Ort  und  Stelle.  —  Retention.  Man 
gibt  dem  ausgestreckten  Gliede  eine  erhöhte  Lage  und  legt  nach  Abnahme 
der  Geschwulst  eine  Bandage  an,  welche  das  Austreten  der  Kniescheibe 
und  die  Beugung  des  Knies  hindert.  Am  besten  eignet  sich  hierzu  eine 
Kniekappe.  —  Nachbehandlung.  Sie  muss  gegen  die  Entzündung 
gerichtet  sein.  Nach  1 4  Tagen  nimmt  man  behutsame  passive  Bewegun- 
gen vor. 

14.  Verrenkung  des  Femoro-tibial-Gelenks,  Luxa- 
t i o  cruris.  Die  Verrenkungen  im  Kniegelenke  sind  wegen  der  breiten 
Gelenkflächen  der  hier  zum  Gelenk   zusammentretenden  Knochen ,   sowie 


1014  VERRENKUNG  DES  KNIEGELENKS. 

der  Befestigung  durch  starke  Bänder  und  Sehnen  nicht  häufig,  doch  kann 
dieTibia  nach  vorwärts  und  rückwärts  und  nach  beiden  Seiten  ausweichen; 
die  beiden  Arten  sind  eher  vollständig ,  die  lezten  unvollständig.  Eine 
sehr  seltene  Verrenkung  des  Kniegelenks  ist  die  durch  Rotation.  — 
S  y  m  p  t  o  m  e.  Bei  den  vollkommenen  Verrenkungen  des  Unterschenkels 
ist  die  Extremität  verkürzt  und  diese  Verkürzung  kann  2  Zoll  überstei- 
gen;  der  Unterschenkel  ist  steif  und  meistens  unbeweglich,  jedoch  auch 
abnorm  beweglich.  Die  Deformität  des  Knies  ist  auffallend,  in  einer  nach 
der  Art  der  Verschiebung  verschiedenen  Weise.  —  a)  Verrenkung 
nach  vorn.  Der  Kopf  der  Tibia  springt  bedeutend  hervor,  der  untere 
Theil  des  Schenkels  ist  eingedrückt  und  man  fühlt  in  dem  Eindrucke  die 
Kniescheibe ,  welche  platt  auf  dem  Schienbeinstachel  liegt.  Die  beiden 
Condylen  des  Oberschenkels  sind  in  der  Kniekehle  fühlbar ,  spannen  da- 
selbst die  Weichtheile  an  und  drücken  auf  die  Schenkelgef  ässe  und  Ner- 
ven. Der  Mus  c.  tr  i  ceps  und  das  Li  gam  e  nt.  p  atellae  sind  an- 
gespannt ;  der  Unterschenkel  ist  im  Knie  gebogen  oder  gestreckt  und 
häufig  um  mehrere  Zoll  verkürzt.  —  b)  Verrenkung  nach  hinten. 
Der  Kopf  der  Tibia  tritt  am  obern  Theile  der  Kniescheibe  hervor  und 
comprimirt  dort  die  Gefässe  und  Nerven.  Unmittelbar  über  ihm  ist  eine 
Vertiefung  am  Oberschenkel ,  dessen  Condylen  bedeutend  nach  vorn  her- 
vorragen. Unterhalb  der  Kniescheibe,  deren  vordere  Fläche  abwärts  ge- 
richtet ist ,  findet  sich  eine  tiefe  Einbiegung ,  in  welcher  man  das  ange- 
spannte Ligamentum  p  atellae  fühlt.  Der  Unterschenkel  ist  meist 
stark  gebogen  und  die  Verkürzung  ist  weniger  beträchtlich  als  bei  der 
Verrenkung  nach  vorn.  —  c)  Verrenkung  nach  innen.  Hier  ver- 
lässt  der  innere  Condylus  der  Tibia  den  innern  Condylus  des  Femur  und 
tritt  an  dessen  innerer  Seite  hervor ,  während  der  leztere  auf  den  äussern 
Condylus  der  Tibia  tritt  und  nach  aussen  hervorragt.  Die  Kniescheibe 
hat  eine  schiefe  Stellung  nach  innen  und  das  untere  Ende  der  Tibia  ist 
nach  aussen  gerichtet.  —  d)  Bei  der  Verrenkung  nach  aussen 
findet  das  umgekehrte  Verhältniss  statt.  Bei  den  Seitenluxationen  ist 
jede  Bewegung  sehr  schwierig  und  schmerzhaft.  —  e)  Verrenkung 
der  Tibia  mit  Achsendrehung.  Hier  verlässt  die  nach  vorn  oder 
hinten  luxirte  Tibia  zugleich  mit  einem  Knorren  den  entsprechenden  Con- 
dylus femoris,  während  die  beiden  andern  Condylen  aufeinander 
stehen  bleiben  ;  die  Folge  davon  ist  ein  Rollen  des  Fusses  nach  aussen 
oder  innen ,  was  neben  den  sonstigen  Erscheinungen  der  genannten  Ver- 
renkungen die  fragliche  Luxation  charakterisirt.  —  Man  spricht  auch 
von  einer  partiellen  Luxation  des  Femur  auf  die  halbmondförmigen  Knor- 
pel ;  nach  M  a  1  g  a  i  g  n  e  liegt  diesem  Zufalle  eine  Erschlaffung  der  Bän- 
der zu  Grunde ,  in  Folge  deren  eine  Subluxation  der  genannten  Knorpel, 
die  dann  einen  Vorsprung  bilden,  eintritt.  —  Ursachen.  Starke  Ge- 
walttätigkeiten, Auffallen  schwerer  Lasten,  Ueberfahren,  besonders  wäh- 
rend der  eine  Theil  der  untern  Extremität  fixirt  ist  oder  diese  hohl  liegt, 


VERRENKUNG  DES  WADENBEINS.  1015 

erzeugen  die  vollkommene,  Fehltritte,  minder  starke  Gewalten,  wie  Stoss, 
Schlag  etc.  die  unvollkommene  Luxation.  —  Prognose.  Sie  ist  im- 
mer zweifelhaft  zu  stellen,  da  stets  eine  bedeutende  Entzündung  auftritt, 
welche  Brand  oder  auch  organische  Knochenkrankheiten  zur  Folge  haben 
kann.  Doch  lehrt  auch  die  Erfahrung,  dass  diese  verderblichen  Folgen 
nicht  selten  durch  eine  sorgsame  Behandlung  verhütet  werden  können. 
Nur  bleibt  meist  eine'  grosse  Schwäche  des  Gliedes  zurück.  —  Grosse 
Zerstörungen  des  Gelenkes  machen  die  Amputation  nothwendig.  —  Re- 
position. Ein  Gehülfe  macht  die  Contraction  am  untern  Theil  des 
Oberschenkels,  ein  zweiter  umfasst  den  Unterschenkel  über  den  Knöcheln 
und  extendirt  ihn  in  der  Richtung  der  Luxation  bis  die  Gelenkenden  aus 
einander  weichen,  worauf  der  Wundarzt  mit  beiden  Händen  die  Knochen 
von  entgegengesezten  Seiten  in  ihre  normale  Lage  drückt.  Bei  der  Ach- 
sendrehung muss  der  Unterschenkel  während  der  Extension  in  einer  Rich- 
tung gedreht  werden,  welche  der,  in  welcher  die  Gewalt  gewirkt  hat,  ent- 
gegengesezt  ist.  Der  vorgefallene  halbmondförmige  Knorpel  weicht  oft 
einem  auf  ihn  ausgeübten  Drucke ,  zuweilen  einer  heftigen  Beuge-  und 
Streckbewegung.  —  Retention.  Man  lagert  das  Glied  auf  ein  Spreu- 
kissen und  enthält  sich  anfangs  aller  Verbände.  Später  kann  man  zur 
Sicherheit  des  Gelenks  einen  Verband  mit  oder  ohne  Schienen  anlegen. 
—  Nachbehandlung.  Man  leitet  das  strengste  antiphlogistische 
Verfahren  ein,  bis  die  Besorgniss  vor  Entzündung  geschwunden  ist.  Nach 
14  bis  2  1  Tagen  beginnt  man  mit  vorsichtigen  passiven  Bewegungen. 
Das  Knie  schüzt  man  lange  durch  eine  Kniekappe. 

15.  Verrenkung  des  Wadenbeins.  Diese  seltenen  Luxa- 
tionen kommen  am  obern  Ende,  von  welchem  hier  nur  die  Rede  ist,  nach 
hinten  und  vorn  vor.  Das  Capitulum  fibulae  tritt  dabei  ent- 
weder räch  hinten  oder  nach  vorn,  bildet  an  dieser  abnormen  Stelle  eine 
beträchtliche  Erhöhung  unter  der  Haut,  während  an  dem  normalen  Size 
dieses  Kopfes  ein  leerer  Raum  sich  findet.  Bei  der  selteneren  Luxation 
nach  hinten  ist  der  Fuss  nach  aussen  geworfen  und  die  ganze  Waden- 
beingegend von  Kälte  und  Fühllosigkeit  befallen ;  bei  der  Verrenkung 
nach  hinten  ist  der  Fuss  in  Adduction  und  die  Sehne  des  Biceps  läuft  in 
einem  Bogen  zu  dem  Köpfchen  des  Wadenbeins.  Beugung  und  Strek- 
kung  des  Unterschenkels  ist  bei  beiden  Formen  möglich,  aber  ein  Stüzen 
auf  den  Fuss  nicht.  —  Diese  Verrenkungen  können  durch  eine  directe 
Gewalt  hervorgebracht  werden ,  sind  aber  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  die 
Folge  eines  Muskelzugs ,  z.  B.  bei  einem  Fehltritte  oder  wenn  ein  Fall 
verhütet  werden  will.  —  Die  Einrichtung  ist  leicht  und  gelingt  schnell 
auf  einen  Druck  auf  das  Wadenbeinköpfchen,  während  Unterschenkel  und 
Fuss  gebeugt  sind.  Man  erhält  den  Unterschenkel  noch  einige  Tage  in 
Beugung ;  zur  Sicherheit  kann  man  eine  Compresse  und  Binde  anlegen. 

16.  Verrenkung  des  Fusses  oder  des  Fussgelenks. 
Die   Unterschenkelknochen   können   in  der  Richtung  nach  innen,   nach 


1016  VERRENKUNG  DES  WADENBEINS. 

aussen,  nach  vorn,  nach  innen  und  vorn  und  nach  hinten  von 
dem  Sprungbein  abweichen.  —  S  v  m  p  t  o  in  e.  a)  Verrenkung  nach 
innen.  Bei  dieser  häufigsten  der  Fussverrenkungen  ist  der  Fuss  in  der 
Weise  nach  aussen  gewendet,  dass  der  innere  Rand  desselben  mehr  gegen 
den  Boden,  der  äussere  nach  oben  gekehrt  ist,  die  Fusssohle  nach  aussen 
und  der  Fussrücken  nach  innen  sieht.  Der  Astragalus  steht  mit  seinem 
Kopfe  an  der  untern  innern  Seite  des  Knöchels  der  Tibia ,  dieser  innere 
Knöchel  so  wie  der  Astragalus  treten  so  stark  hervor ,  dass  er  die  Haut 
zu  durchbrechen  droht  und  wirklich  durchbricht;  nicht  selten  ist  die  Fi- 
bula gebrochen;  nach  Malgaigne  fehlt  dieser  Bruch  nie.  —  b)  Ver- 
renkung nach  aussen.  Bei  dieser  sehr  seltenen  Luxation  ist  der 
Fuss  in  Extension  und  dabei  so  nach  innen  gewendet,  dass  er  die  Form 
eines  Klumpfusses  angenommen  hat,  der  äussere  Fussrand  nach  unten, 
der  innere  nach  oben  und  die  Sohlenfläche  nach  innen  gerichtet  ist.  Der 
äussere  Knöchel  ragt  stark  hervor,  der  innere  verschwindet  ganz  zwischen 
dem  Fusse  und  Beine.  Der  innere  Knöchel  ist  häufig  gebrochen ,  zu- 
weilen die  Fibula,  am  häufigsten  beide  zugleich  ;  geht  der  eine  oder  der 
andere  Bruch  der  Luxation  voran,  so  sind  die  äussern  Seitenbänder  nicht 
zerrissen,  was  unter  andern  Umständen  der  Fall  ist. —  c)  Verrenkung 
nach  vorn.  Der  Dorsaltheil  des  Fusses  ist  verkürzt,  während  die  Ferse 
unverhältnissmässig  lang  hervorsteht.  Die  Tibia  bildet  vorn  einen  unge- 
wöhnlichen Vorsprung  und  hinten  findet  sich  zwischen  ihr  und  der  Achilles- 
sehne ein  grosser  weicher  Zwischenraum.  Der  Fuss  ist  unbeweglich,  die 
Zehen  sind  abwärts  gerichtet  und  die  Ferse  ist  nach  hinten  in  die  Höhe 
gezogen.  Meist  ist  die  Fibula  gebrochen,  die  obere  Partie  derselben  mit 
der  Tibia  nach  vorn  gezogen ,  während  der  untere  Theil  an  seiner  Stelle 
bleibt ;  selten  bricht  der  innere  Knöchel.  Die  äussern  Seitenbänder  sind 
unverlezt,  das  Kapselband  ist  nach  vorn  eingerissen  und  das  Ligamen- 
tum deltoideum  zum  Theil  zerrissen.  —  Diese  Luxation  kann  auch 
unvollkommen  sein,  in  welchem  Falle  sich  die  angegebenen  Zeichen  weni- 
ger stark  ausgedrückt  finden.  —  d)  Verrenkung  nach  innen  und 
vorn.  Diese  zeigt  die  Symptome  der  vereinigten  Luxation  nach  innen 
und  der  nach  vorn.  Zuweilen  herrschen  die  der  einen ,  andere  Male  die 
der  andern  vor.  Immer  findet  sich  die  Fibula,  zuweilen  der  innere  Knö- 
chel gebrochen.  —  e)  Verrenkung  nach  hinten.  Bei  dieser  sel- 
tensten aller  Fussverrenkungen  ist  die  Fussspize  aufwärts  gerichtet ,  die 
Ferse  abwärts  gekehrt,  der  Rücken  des  Fusses  bedeutend  verlängert ,  die 
Ferse  verkürzt ;  die  Tibia  steht  auf  dem  Fersenbeine ;  vor  der  Tibia  bil- 
det das  Sprungbein  eine  runde  Hervorragung ;  das  Wadenbein  bleibt  un- 
versehrt. —  Ursachen.  Bei  der  bedeutenden  Festigkeit  des  Fussge- 
lenkes  sind  nur  Uebergewalten  im  Stande ,  hier  eine  Verrenkung  zu  be- 
wirken. Die  häufigste  Veranlassung  dazu  gibt  ein  Fehltritt  oder  Fehl- 
sprung, das  Umknicken  des  Fusses  auf  die  eine  oder  die  andere  Seite  bei 
fixirtem  oder  eingeklemmtem  Fusse,  Aufspringen  auf  eine  schräge  Fläche ; 


VERRENKUNG  DER  FUSSWURZELKNOCHEN.  1017 

auch  durch  gewaltsame  Verdrehungen  desFusses  können  diese  Luxationen 
herbeigeführt  werden.  —  Prognose.  Selbst  in  den  einfachsten  Fällen 
ist  die  Prognose  zweifelhaft  zu  stellen ,  da  sehr  häufig  eine  chronische 
Anschwellung  des  Gelenks  mit  häufigen  Schmerzen  zurückbleibt,  und  das 
Fussgelenk  für  lange  Zeit  oder  für  immer  eine  Neigung  zur  Verrenkung 
behält.  Sehr  schlimm  ist  die  Prognose  aber,  wenn  Zerreissungen,  beson- 
ders der  Hautgebilde ,  die  Eröffnung  des  Gelenks  etc.  die  Verrenkung 
compliciren.  Hier  führt  die  Entzündung  entweder  zur  Ankylose,  oder  es 
tritt  eine  profuse  Eiterung,  Zellgewebsnecrose,  Brand,  Convulsionen ,  Te- 
tanus ein,  wo  dann  häufig  nur  die  Resection  oder  Amputation  das  gefähr- 
dete Leben  zu  erhalten  vermag.  —  Reposition.  Man  beugt  das  Knie- 
und  Hüftgelenk,  ein  Gehülfe  macht  die  Contraextension  unter  dem  Knie, 
ein  zweiter  die  Extension  am  Fusse ,  wobei  die  linke  Hand  an  die  Ferse, 
die  rechte  auf  den  Fussrücken  gelegt  wird.  Wenn  man  nun  durch  Ziehen 
in  der  Richtung  der  Verrenkung  Beweglichkeit  bemerkt,  so  wird  der  Fuss 
in  seine  normale  Richtung  zurückgeführt ,  zugleich  werden  auch  vom 
Wundarzte  die  ausgewichenen  Knochen  in  ihre  normale  Lage  gedrückt. 
—  Retention.  Das  Glied  wird,  im  Kniegelenke  gebeugt ,  auf  einem 
Spreukissen  in  die  Seitenlage  gebracht,  um  die  erforderlichen  Massregeln 
gegen  die  Entzündung  eintreten  lassen  zu  können  und  dem  Gliede  die 
nöthige  Ruhe  zu  geben.  Ist  die  Entzündung  beseitigt ,  so  wendet  man, 
besonders  bei  gleichzeitiger  Fractur  der  Unterschenkelknochen  einen  der 
bei  lezteren  angegebenen  Verbände,  namentlich  den  D  upuytren'schen, 
an.  —  Nachbehandlung.  Sie  besteht  in  der  dem  Falle  angemesse- 
nen Antiphlogose  und  späteren  Kräftigung  des  Gelenkes  durch  Spirituosa 
etc.  Ist  ein  Knochentheil  durch  die  Haut  gedrungen ,  so  sucht  man  ihn 
zu  reponiren,  wobei  man  nötigenfalls  die  Wunde  erweitert,  und  vereinigt 
diese  dann  genau ;  gelingt  die  Reposition  nicht ,  so  entfernt  man  ihn  mit 
der  Säge  ;  sind  die  Weichtheile  aber  in  grossem  Umfange  zerrissen  und 
grosse  Arterien  getrennt,  so  amputirt  man  so  früh  als  möglich. 

17.  Verrenkung  der  Fusswurzelknochen.  Troz  der 
festen  Ineinanderfügung  der  Fusswurzelknochen  und  der  vielen  und  man- 
nigfachen Befestigungsmittel,  welche  sie  unter  sich  verbinden,  beobachtet 
man  doch  Dislocationen  einzelner  von  ihnen  und  zwar  sind  es  immer  die- 
selben ,  an  welchen  man  sie  vorkommen  sieht ,  nämlich  das  Sprungbein, 
das  Fersenbein  und  das  Schiffbein ,  seltener  das  erste  Keilbein.  —  a) 
Verrenkung  des  Sprungbeins.  Dieses  kann ,  indem  es  sich  aus 
seiner  Verbindung  mit  dem  Kahnbein  löst ,  nach  vorn,  nach  innen, 
nach  aussen  weichen ,  oder  sich  um  seine  Achse  drehen.  — 
Symptome.  Bei  der  Luxation  nach  vorn  fühlt  man  das  Sprungbein 
auf  dem  Kahnbeine  stehen ,  der  Fuss  befindet  sich  in  Extension  und  die 
Fussspize  ist  etwas  abducirt ;  bei  der  nach  innen  liegt  der  Kopf  des 
Astragalus  nach  innen  vor  dem  innern  Knöchel ,  der  Fuss  ist  extendirt, 
der  innere  Fussrand  nach  unten,  der  äussere  nach  oben  gewendet ;  bei  der 


1018  VERRENKUNG  DER  FUSSWURZELKNOCHEN. 

nach  aussen  sind  die  Verhältnisse  umgekehrt ,  der  äussere  Fussrand  ist 
nach  unten  ,  der  innere  nach  oben  gekehrt ,  was  dem  Fusse  das  Ansehen 
eines  Klumpfusses  gibt;  der  Kopf  des  Talus  liegt  in  der  Nähe  des  äussern 
Knöchels  auf  dem  Würfelbeine;  bei  der  Umdrehung  des  Sprungbeins 
um  seine  (von  einem  Knöchel  zum  andern  gehende)  Querachse  erscheint 
das  Glied  verlängert ,  die  Zehen  sind  nach  einwärts  gekehrt  und  herabge- 
senkt,  der  Talus  ist  zwischen  Tibia  und  Calcaneus  eingekeilt.  —  Die 
Luxationen  des  Sprungbeins  können  auch  unvollständig  sein ,  so  dass  nur 
ein  Theil  seiner  Gelenkfläche  oder  seines  Kopfes  nach  oben  oder  seitlich 
am  Fusse  hervortritt.  —  Ursachen.  Diese  sind  ein  Fall  von  einer 
Höhe  mit  dem  Fusse  auf  eine  schiefe  Fläche,  wobei  der  Körper  rückwärts 
fällt,  oder  ein  Fall  rückwärts,  während  der  vordere  Theil  des  Fusses  fest- 
gehalten wird.  —  Nicht  selten  veranlasst  dieselbe  Gewalt  auch  den  Durch- 
brach der  Haut ,  wo  dann  das  Sprungbein  nach  aussen  hervorsteht.  — 
Prognose.  Sie  ist  immer  sehr  misslich ,  da  die  Einrichtung  sehr  oft 
misslingt ,  in  welchem  Falle  ein  bedeutendes  Hinken  zurückbleibt ,  oder 
Eiterung,  Caries,  Necrose,  brandige  Zerstörung  die  Folge  sein  kann,  wo- 
durch später  die  Amputation  nöthig  wird.  Nur  bei  unvollkommenen 
Luxationen  kann  der  Fuss  seine  Brauchbarkeit  zum  grössten  Theil  wieder 
erlangen.  —  Reposition.  Man  beugt  das  Kniegelenk  im  rechten 
Winkel,  umfasst  mit  beiden  Händen  Unterschenkel  und  Fuss,  stemmt  den 
Fussrücken  des  Kranken  gegen  sein  eigenes  Knie,  drückt  ihn  gegen  dieses 
&n  und  bringt  dann  den  Fuss  in  Flexion.  Oder  man  lässt  einen  Gehülfen 
<lie  Contraextension  über  den  Knöcheln  des  im  Knie-  und  Hüftgelenke  ge- 
beugten Gliedes ,  einen  andern  die  Extension  an  der  Ferse  und  am  Vor- 
fusse  machen ,  während  der  Wundarzt  mit  seinen  beiden  Daumen  den 
Astragalus  an  seinen  Plaz  zu  drücken  sucht.  Bei  hartnäckigen  Fällen 
kann  die  Extension  mittels  eines  hinter  der  Ferse  angelegten  Tuchs  ge- 
macht werden  ;  man  hat  selbst  zu  dem  Flaschenzuge  seine  Zuflucht  ge- 
nommen. Die  Extension  muss  stetig  gemacht,  aber  lange  fortgesezt  wer- 
den. —  Retention.  Man  legt  einen  Verband  an ,  wie  beim  Bruche 
der  Fibula  und  erhält  den. Fuss  in  einer  der  Richtung  der  Luxation  ent- 
gegengesezten  Lage.  —  Nachbehandlung.  Durch  Ruhe  und  kalte 
Umschläge  verhütet  oder  beseitigt  man  die  Gefahren  einer  Gelenkentzün- 
dung. —  Gelang  die  Reposition  nicht,  so  hat  man  zum  Oeftern  mit  Er- 
folg das  Sprungbein  herausgelöst  oder  aus  der  schon  vorhandenen  V/unde 
entfernt ;  die  Tibia  tritt  dann  in  Berührung  mit  dem  Fersenbeine ,  das 
Glied  wird  allmälig  wieder  brauchbar ,  nur  erscheint  der  Fuss  etwas  ver- 
kürzt. Ebenso  ist  die  Exstirpation  des  Sprungbeins  angezeigt  bei  der 
Umdrehung  um  seine  Achse ,  da  hier  Repositionsversuche  keinen  Erfolg 
haben.  —  b)  Verrenkung  des  Fersen-,  Kahn-  und  ersten 
Keilbeins.  Die  Erkenntniss  dieser  Luxationen  ergibt  sich  leicht  aus 
der  anatomischen  Lage  der  einzelnen  Knochen.  Das  Fersenbein 
weicht   gewöhnlich  nach  aussen,  das  Kahnbein  am  häufigsten  nach 


VERRENKUNG  DER  FÜSSWURZELKNOCHEN.  1019 

oben,  seltener  nach  aussen  und  nach  unten,  das  erste  Keilbein 
nach  innen  und  oben.  —  Die  Ursachen  sind  grosse  Gewaltthätig- 
keiten ,  z.  B.  das  Ueberfahrenwerden  des  Fusses ,  das  Auffallen  einer 
schweren  Last  auf  den  Fuss ,  das  Einklemmen  des  Fusses  wahrend  eines 
Falles.  —  Die  Prognose  ist  nicht  günstig;  es  folgen  nicht  selten  Ab- 
scesse  und  Caries  ,  besonders  wenn  die  Einrichtung  nicht  zu  Stande  zu 
bringen  ist  oder  versäumt  wird.  —  Die  Reposition  geschieht  durch  Ex- 
tension des  Fusses ,  Biegung  desselben  in  der  der  Luxation  entgegenge- 
sezten  Richtung  und  durch  Druck  auf  den  vorstehenden  Knochen.  —  Die 
Retention  geschieht  durch  Compressen ,  Binden  und  Schienen  auf  die 
Luxationsstelle  ;   das  Glied  lagert  man  auf  die  äussere  Seite. 

18.  Verrenkung  der  Mittelfussknochen  an  der  Fuss- 
wurzel.  Diese  Luxationen  können  auf  einen  oder  mehrere  Metatarsal- 
knochen  beschränkt  sein  oder  den  ganzen  Mittelfuss  betreffen.  Ein- 
zelne Mittelfussknochen  verrenken  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
nach  oben,  doch  sind  auch  Beispiele  von  einer  Verrenkung  nach  unten 
bekannt.  Sie  geben  sich  durch  einen  Vorsprung  mit  dahinter  liegender 
Vertiefung  je  nach  der  Art  der  Luxation  auf  der  Dorsal-  oder  Plantarseite 
des  Fusses  zu  erkennen.  Die  Verrenkung  kann  vollkommen  oder  unvoll- 
kommen sein.  —  Der  Mittelfuss  im  Ganzen  kann  nach  oben, 
nach  unten,  nach  aussen  und  nach  innen  dislociren.  Bei  der  Ver- 
renkung nach  oben  bilden  die  Mittelfussknochen  einen  queren  Vorsprung 
auf  dem  Rücken  des  Fusses  mit  einer  Vertiefung  nach  hinten  ;  auf  der 
Fusssohle  kann  man  den  convexen  Rand  der  Fusswurzelknochen  fühlen. 
Bei  der  Verrenkung  nach  unten  springen  die  Fusswurzelknochen  auf 
dem  Fussrücken  vor  mit  einer  Vertiefung  davor ,  der  Mittelfuss  ragt  auf 
der  Planta  pedis  hervor.  Bei  den  beiden  vorgenannten  Luxationen 
ist  der  Fuss  verkürzt.  Die  Verrenkungen  nach  den  Seiten  sind  sehr 
selten  und  die  nach  aussen  und  nach  vorgängigem  Bruche  des  eingelasse- 
nen zweiten  Mittelfussknochens  oder  nach  seiner  Luxation  nach  oben 
möglich.  Der  ausgerenkte  Mittelfuss  zeigt  an  der  einen  Seite  des  Fusses 
einen  Vorsprung,  an  der  andern  eine  Vertiefung.  Die  Ursachen  die- 
ser Verrenkungen  sind  ein  Sprung  auf  den  vordem  Theil  der  Planta 
pedis  von  einer  Höhe  oder  ein  starker  Druck  auf  den  vordem  TheiL  des 
Fusses,  wie  z.  B.  von  einem  stürzenden  Pferde.  —  Die  Prognose  ist 
nicht  so  übel,  obgleich  die  Einrichtung  nicht  selten  versagt,  indem  sich 
auch  bei  nicht  eingerichteter  Luxation  mit  der  Zeit  ein  erträglicher  Gang 
einstellt.  Behufs  der  Reposition  wird  der  gebogene  Unterschenkel 
fixirt,  der  vordere  Theil  des  Fusses  mit  den  Händen  oder  mittels  Schlin- 
gen extendirt ,  worauf  man  die  ausgewichenen  Knochen  an  ihren  Plaz 
drängt.  Malgaigne  bedient  sich  auch  hier  bei  der  Luxation  einzelner 
Mittelfussknochen  des  Pfriems ,  mit  welchem  er  das  luxirte  Ende  nach 
vorn  treibt.      Zur  Erhaltung   der  Einrichtung  legt  man  eine  dicke  Sohle 


1020  VORHAUTVERSCHLIESSUNG. 

auf  die  Planta  pedis,   auf  welche  man  den  Fuss  mit  einer  Binde  be- 
festigt. 

19.  Verrenkung  der  Zehen.  Am  häufigsten  kommt  die 
Verrenkung  der  grossen  Zehe  vor.  Diese  tritt  dabei  nach  oben,  wo  sie 
auf  der  Dorsalseite  des  Mittelfussknochens  einen  mehr  oder  minder  gros- 
sen Vorsprung,  je  nachdem  die  Luxation  vollkommen  oder  unvollkommen 
ist,  bildet.  Bei  der  vollkommenen  Verrenkung  ist  meist  die  Gelenkkapsel 
zerrissen  und  nicht  selten  ragt  das  luxirte  Gelenkende  durch  die  Haut 
hervor.  Die  Ursachen  sind  meistens  ein  Fall  vom  Pferde ,  Hängen- 
bleiben im  Steigbügel  oder  Sturz  des  Pferdes  auf  den  Fuss.  Die  Re- 
position bietet  oft  die  grössten  Schwierigkeiten  dar ,  ist  zuweilen  so- 
gar ganz  unmöglich ,  was  um  so  übler  ist ,  als  der  Kranke  dadurch  sehr 
lange  Zeit  ausser  Stande  ist,  sich  auf  die  Zehen  zu  stüzen.  Man  exten- 
dirt  mit  einer  Schlinge  oder  der  Liier' sehen  Zange  an  der  Zehe  und 
sucht  die  Knochen  übereinander  zu  drücken.  Den  eingerichteten  Knochen 
sucht  man  durch  kleine  Schienen  und  Heftpflasterstreifen  amPlaze  zu  er- 
halten, was  oft  misslingt.  Ist  der  Gelenkkopf  durch  die  Haut  getreten 
und  gelingt  die  Reposition  nicht,  so  trägt  man  denselben  ab. 

Vorfall,  Prolapsus,  Procidentia,  nennen  wir  jene  Ab- 
weichung von  der  normalen  Lage  irgend  eines  Organs,  wobei  das  leztere, 
ohne  von  den  allgemeinen  Bedeckungen  oder  einer  sonstigen  natürlichen 
Haut  überzogen  zu  sein ,  äusserlich  sichtbar  wird.  Mit  dem  Vortreten 
eines  Organs  kann  eine  theilweise  oder  vollständige  Umkehrung  desselben 
oder  des  nächstgelegenen  verbunden  sein  (Prolapsus  cuminver- 
s i o n e)  —  Die  Ursachen  sind  entweder  Erschlaffung  der  Faser  des 
vorgefallenen  Organs,  oder  Erschlaffung  oder  Zerreissung  der  das  Organ 
befestigenden  Theile  ;  ausserdem  anderweite  krankhafte  Veränderung  der 
Theile,  grössere  speeifische  Schwere,  Druck  von  benachbarten  vergrösser- 
ten  oder  widernatürlichen  Gebilden  und  Erweiterung  der  natürlichen  OefF- 
nungen.  —  Die  Behandlung  hat  3  Indicationen  :  die  Reposition,  Re- 
tention und  die  Nachbehandlung.  Die  Reposition  geschieht  durch  Manual- 
hülfe, die  Retention  durch  verschiedene  mechanische  Vorrichtungen  und 
Operationen  und  die  Nachbehandlung  hat  die  Beseitigung  der  verschie- 
denen Ursachen,  die  dem  Vorfalle  zu  Grunde  liegen  und  der  Nachkrank- 
heiten zur  Aufgabe. 

VorhautverSChlieSSUng ,  Atresia  praeputii.  Diese 
Abnormität  kann  angeboren  oder  durch  vorausgegangene  Krankheiten,  als 
Entzündung,  Geschwüre  etc.  erworben  sein;  öfter  trifft  man  sie  angeboren. 
Der  Urin  sammelt  sich  dann  in  eine  kegelförmig  hervorragende  und  glän- 
zende Geschwulst  der  ausgedehnten  Vorhaut.  Zur  Abhülfe  dieses  Uebels 
stösst  man  in  die  Mitte  dieser  Geschwulst  ein  schmales  gerades  Bistouri 
oder  eine  Lancette,  jedoch  nicht  so  tief  ein,  dass  die  Eichel  verlezt  werden 


VORSTEHERDRUESE.  ABSCESS.  1021 

könnte ;  in  diese  gemachte  Oeffnung  bringt  man  dann  eine  Charpiewieke, 
um  das  Wiederverwachsen  zu  verhindern.  Theilweise  Verwachsung  der 
Yorhaut  oder  Verengerung  desselben  siehe  unter  Ruthe. 

Vorsteherdrüse,  Krankheiten  derselben.  Die  Vor- 
steherdrüse kann  der  Siz  verschiedener  Affectionen  sein,  wie  der  Ent- 
z  ü  n  d  u  n  g  mit  ihren  Ausgängen,  unter  denen  namentlich  Abscessbildung 
und  Verhärtung  zu  nennen  ist ,  ferner  einer  Hypertrophie  und 
Atrophie,  einer  Neuralgie,  endlich  beobachtet  man  hier  Steine, 
Tuberkel,   selten  Krebs. 

Vorstehe  rdrüsenabscess,  Abscessusprostatae.  Er 
ist  die  Folge  einer  häufiger  acuten  als  chronischen  Entzündung,  da  leztere 
sich  mehr  zur  Verhärtung  hinneigt.  Ausser  den  allgemeinen  Zeichen 
eines  Abscesses  bemerken  wir  noch  hier  Druck  und  Schwere  im  Mittel- 
fleische ,  Blasenkrampf,  Harnverhaltung  und  Stuhlzwang;  die  Diagnose 
wird  zuverlässiger  durch  die  Fluctuation ,  welche  man  durch  den  Mast- 
darm fühlt.  Diese  Abscesse  entleeren  sich  bald  durch  die  Blase ,  die 
Harnröhre ,  den  After ,  bald  durch  die  Haut  des  Mittelfleisches  ,  bilden 
häufig  Fisteln  und  Verschwärungen,  die  nicht  selten  den  Tod  nach  sich 
ziehen.  Steine  in  der  Harnblase ,  Stricturen  der  Harnröhre ,  Verlezungen 
durch  den  Catheter ,  heftige  Tripper  und  äussere  Verlezungen  sind,  nebst 
den  gewöhnlichen ,  die  Ursachen  der  Abscessbildung.  —  Die  Prognose 
ist  nicht  günstig ;  es  bleiben  oft  unheilbare  Uebel ,  häufige  Samener- 
giessung  etc.  zurück.  Wenn  der  Abscess  sich  ausgebildet  hat ,  so  muss 
man  suchen ,  durch  Umschläge ,  Sizbäder ,  Einreibungen  etc.  und  zulezt 
durch  das  Messer  seine  zeitige  Eröffnung  nach  aussen  herbeizuführen; 
bei  gleichzeitiger  Harnverhaltung  muss  der  Catheter  in  die  Blase  einge- 
führt werden,  was  oft  sehr  schwierig  ist,  zuweilen  aber  auch  den 
Abscess  öffnet.  Man  lässt  dann  den  Catheter  in  der  Blase  liegen ,  bis 
kein  Eiter  mehr  mit  dem  Urin  abgeht. 

Vorsteherdrüsenentzündung,  Inflammatio  glandulae 
prostatae,  Prostatitis.  Sie  macht  sich  kenntlich  durch  ein  Gefühl  von 
Wärme,  Schwere,  stechendem  und  drückendem  Schmerz  in  der  Tiefe  der 
Beckenhöhle  an  der  Wurzel  der  Harnröhre,  der  sich  gegen  den  Mast- 
darm, bisweilen  längs  des  Penis,  seltener  in  den  Unterleib  hinauf  und 
in  die  Schenkel  verbreitet  und  durch  Druck  auf  den  Damm,  so  wie  durch 
Harn-  und  Stuhlausleerungen  vermehrt  und  dabei  namentlich  in  der  Co- 
rona glandis  empfunden  wird;  durch  zwängenden  und  pressenden 
Schmerz  beim  Harn-  unb  Kothabgange,  und  Spärlichkeit  oder  gänzliche 
Unterdrückung  desselben ;  durch  ein  fortwährendes  Gefühl  von  Druck 
uuf  den  Mastdarm  und  durch  Abgang  von  Schleim  mit  dem  Urin.  Die 
Drüse  zeigt  sich  stets  etwas  angeschwollen,  wie  theils  eine  Untersuchung 
durch  den  Mastdarm ,  theils  die  Einführung  des  Catheters  in  die  Harn- 
röhre zeigt.      Ist  der  Catheter    bis  in  die   Gegend  der  Vorsteherdrüse 


1022  VORSTEHERDRUESE,  —  ENTZUENDÜNG. 

gelangt,  so  macht  das  weitere  Einschieben  Schmerz  oder  ist  auch  gänzlich 
unmöglich ,  oft  folgen  einige  Tropfen  Blut.  Hat  die  Entzündung  einen 
einigermassen  hohen  Grad  erreicht ,  so  gesellt  sich  stets  Fieber  hinzu. 
Theils  wegen  der  Nachbarschaft,  theils  wegen  der  Harnverhaltuug,  theils 
durch  Consensus  tritt  oft  theilweise  oder  allgemeine  Entzündung  der 
Harnblase ,  der  Harnröhre ,  der  Samenbläschen  und  des  Mastdarms  ein. 
Auch  Nierenleiden  hat  man  einige  Male  bemerkt.  Dies  sind  die 
Symptome  der  acuten  Prostatitis.  —  Wenn  die  Prostata  sich  in  einem 
Zustande  chronischer  Entzündung  befindet,  so  sind  diese  etwas 
anders  beschaffen.  Fieber  ist  nicht  vorhanden  ,  demungeachtet  befindet 
sich  der  Kranke  in  einem  Zustande  allgemeinen  Unbehagens  ;  die  Zunge  ist 
schleimig  belegt,  der  Unterleib  nicht  in  Ordnung  und  die  Contenta  des 
Rectums  werden  mit  Schwierigkeit  entleert.  Es  wird  auch  Schmerz  im 
Damme  gefühlt,  wenn  man  einen  starken  Druck  auf  diese  Gegend  aus- 
übt oder  wenn  die  Schenkel  stark  übereinander  geschlagen  werden.  Ein 
dünner  unbedeutender  Ausflugs  begleitet  diesen  Zustand  ;  er  besteht  bis- 
weilen aus  blossem  Schleim,  hie  und  da  ist  er  deutlich  eiterig;  die  Quan- 
tität ist  nicht  gering.  Im  Verlauf  der  Harnröhre  bis  zur  Eichel  wird 
Schmerz  gefühlt,  oft  ist  derselbe  nur  auf  leztere  beschränkt;  auch  findet 
oft  ein  Gefühl  von  Schmerz  und  Schwere  im  Rectum  statt,  welcher  er- 
stere  durch  den  Druck  des  in  den  Mastdarm  eingeführten  Fingers  auf 
die  Blase  vermehrt  wird ;  in  gleicher  Weise  kommen  schiessende  Schmer- 
zen in  den  Schenkeln  nach  dem  Verlaufe  der  Nervi  ischiadici  und 
nach  der  Lendengegend  vor.  Dazu  Reizbarkeit  des  After  und  der  Blase 
und  Harnstrenge ,  verbunden  mit  Hämorrhoiden  und  einer  Art  Eczema. 
Während  der  Nacht  treten  nicht  selten  schmerzhafte  Muskelkrämpfe  am 
Damm  und  After  ein.  Dieser  Zustand  gibt  häufig  zu  dauernder  Hyper- 
trophie des  einen  oder  andern  Lappens  der  Prostata  Veranlassung.  — 
Die  acute  Prostatitis  endigt  unter  günstigen  Umständen  in  7,  —  14  Tagen 
durch  Zertheilung,  die  sich  durch  allmäliges  Verschwinden  der  geschil- 
derten Zufälle  zu  erkennen  gibt.  Fühlt  sich  aber  bei  der  Exploration 
per  an  um  die  Drüse  heiss  an,  ist  sie  sehr  schmerzhaft,  ist  das  Pulsiren 
ihrer  Arterien  deutlich  zu  bemerken,  tritt  vermehrtes  Fieber  gegen  Abend, 
Frösteln  ein ,  so  ist  der  Uebergang  in  Eiterung  zu  erwarten.  Zuweilen 
geht  die  acute  Entzündung  in  die  chronische  über.  —  An  und  für  sich 
nimmt  die  Entzündung  der  Prostata  nicht  leicht  einen  schnellen  töcltli- 
chen  Ausgang,  aber  häufig  führt  sie  durch  langes  Siechthum  in  Folge 
von  Ulceration  und  durch  mannichfache  grosse  Leiden  der  Harnwerk- 
zeuge zu  einem  langsamen  qualvollen  Tode.  —  Ursachen.  Sie  sind 
äussere  Gewaltthätigkeiten  wie  ein  Stoss ,  Fall  etc. ,  sodann  Verlezung 
und  Reizung  durch  Kerzen,  Catheter,  Steine;  Stricturen  der  Harnröhre, 
geschlechtliche  Ausschweifungen  ,  manche  Blasenleiden ,  plözliches  und 
anhaltendes  Ausgeseztsein  in  Nässe  und  Kälte ,  wie  Arbeiten  in  nassen 
Kleidern ,    langes    Gehen    in    der    Nässe ,    plözliche   Unterdrückung    der 


VORSTEHERDRUESE.  ENTZUENDUNG.  1023 

Hautthätigkeit ,  unterdrückte  Hautausschläge,  Gicht,  besonders  aber 
Tripper.  —  Die  Diagnose  des  fraglichen  Uebels  ist  nicht  selten 
schwierig  ,  da  wegen  der  nahen  Verbindung ,  in  welcher  die  Prostata  mit 
vielen  andern  Theilen  steht,  die  entweder  in  das  entzündliche  Leiden 
verwickelt ,  oder  auf  andere  Weise  in  ihren  Verrichtungen  gestört  wer- 
den ,  ein  undeutliches  Krankheitsbild  entsteht.  Die  sicherste  Kunde  gibt 
die  Untersuchung  durch  den  Mastdarm ,  so  wie  die  Einführung  des  Ca- 
theters.  —  Behandlung  der  acuten  Prostatitis.  Diese  muss 
streng  antiphlogistisch  sein :  wiederholte  Application  von  Blutegeln  an 
den  Damm,  warme  Sizbäder  oder  warme  Fomentationen  mit  Flanell  oder 
Schwämmen,  erweichende  Klystiere,  Abends  2  Gran  Calomel  mit  10  Gr. 
Pulv.  Doweri;  nachdem  den  Urin  verdünnende  Mittel,  viel  schlei- 
miges Getränk ,  wie  Gersten  -  und  Zuckerwasser ,  hauptsächlich  aber  die 
Soda  -  und  Kalisalze ,  welche  die  Säure  des  Urins  neutralisiren  und  durch 
Vermehrung  der  Secretion  desselben  ihn  für  die  Blase  weniger  schmerz- 
haft und  leichter  entleerbar  machen.  Adam  lässt  von  einer  schleimigen 
Mixtur  mit  1 6  Tropfen  Liquor  potassae  und  2 0  Tropfen  Hyoscy- 
amustinctur  alle  sechs  Stunden  1  Löffel  voll  nehmen.  Daneben  ordnet 
man  eine  nicht  reizende  Diät  an.  —  Bei  der  chronischen  Prosta- 
t  i  s  t  i  s  sezt  man  gelegentlich  Blutegel  an  den  Damm,  lässt  von  Zeit  zu  Zeit 
ein  Bad  nehmen  und  applicirt  Klystiere;  daneben  reicht  man  bei  zu 
Grunde  liegendem  Tripper  nach  Adam  blaue  Pillen  in  dreigranigen 
Dosen  mit  5  Gr.  Extr.  Conii  Abends  und  3  Mal  täglich  15  Tropfen 
Tinct.  hyoscyami;  wenn  der  Tripper  wieder  erscheint 3  greift  man 
zum  Terpenthin.  Hat  die  Krankheit  lange  bestanden  und  leidet  die  Ge- 
sundheit des  Patienten  im  Allgemeinen  in  Folge  der  localen  Reizung,  so 
ist  der  Gebrauch  der  Tinct.  ferri  muriatici  drei  Mal  täglich  zu 
2  0  Tropfen  angezeigt,  auch  See-  oder  Stahlbäder  sind  von  Nuzen. 
Ebenso  rühmt  man  Jod  innerlich  (2  —  3  Gr.  Kali  hydroiod.  3  Mal 
täglich  in  einem  Sarsaparilldecoct)  und  äusserlich  ;  W  a  r  r  e  n  fand  die  kalte 
Douche  gegen  den  Damm  sehr  nüzlich.  —  Bei  Prostatitis  nach 
Onanie  dienen  Blutegel  an  den  Damm ,  die  Anwendung  des  Extr. 
conii  in  f  ünfgranigen  Dosen ,  kalte  Sizbäder ,  Stahlmittel ;  bei  nächt- 
lichen Samenergiessungen  wendet  man  nach  Lallemand  leichte  Ae- 
zungen  mit  Lapis  infern alis  an. 

Vorsteherdrüsenhypertrophie.  Dieses  Leiden  ist  fast  aus- 
schliesslich dem  höhern  Alter  eigenthümlich  und  wesentlich  von  der  An- 
schwellung der  Drüse  zu  unterscheiden,  welche  nach  Eni  Zündungen 
zurückbleibt.  Während  der  Eintritt  der  lezteren  Krankheit  durch  eine 
Reihe  ausgeprägter  Symptome  bezeichnet  ist,  schleicht  sich  die  Hyper- 
trophie der  Prostata  so  heimlich  ein  ,  dass  die  einzigen  Anzeigen  ihrer 
Gegenwart  in  dem  mechanischen  Hinderniss  des  Harnlassens  in  Folge 
der  Ausdehnung  der  Drüse  bestehen  ;  es  wird  weder  Schmerz  noch  Un- 
behaglichkeit   gefühlt ,   bevor  nicht  die  Drüse  einen  beträchtlichen  Um- 


1024  VORSTEHERDRÜESE.  ENTZUENDUNG. 

fang  erreicht  hat ,  worauf  dann  Symptome  so  betrübender  Art  eintre- 
ten ,  dass  sie  mehr  oder  weniger  die  künftige  Existenz  des  Kranken 
verbittern.  Diese  Symptome  bestehen  in  einem  schwachen  Gefühl 
von  Unbehaglichkeit  in  der  Blasengegend  mit  Schmerzen ,  die  in  die 
Beine ,  Schenkel ,  die  Weichen  und  an  die  Spize  des  Penis  schiessen  ; 
damit  ist  gewöhnlich  eine  geringe  Störung  des  Allgemeinbefindens  ver- 
bunden. Im  weiteren  Verlaufe  der  Krankheit  bemerkt  der  Kranke  einen 
häufigeren  Urindrang  als  gewöhnlich  ,  und  geringere  Quantität  des  Urins 
dabei ,  der  auch  nicht  so  leicht  wie  vorher ,  aber  doch  in  einem  Strahle 
und  mit  einer  gewissen  Kraft  gelassen  wird;  der  Harndrang  nimmt  an 
Intensität  und  Frequenz  zu  ,  es  muss  urplözlich ,  besonders  des  Nachts, 
Wasser  gelassen  werden,  von  dem  jedoch  nur  eine  sehr  geringe  Menge 
und  mit  einer  gewissen  Anstrengung  entleert  wird.  Die  Schmerzen  stei- 
gern sich,  der  Kranke  fängt  an  zu  fiebern,  seine  Zunge  ist  etwas  belegt, 
die  Hände  fühlen  sich  heiss  und  trocken  an ,  aber  er  ist  noch  im  Stande 
seinen  gewöhnlichen  Beschäftigungen  nachzugehen;  seine  Beinkleider 
sind  gewöhnlich  nass  durch  den  häufigen  Abgang  geringer  Quantitäten 
Urin  aus  der  Blase ,  dessen  Geruch  ammoniakalisch  und  äusserst  wider- 
wärtig ist ;  der  Ausdruck  seines  Gesichts  ist  ängstlich  und  bietet  charak- 
teristische Zeichen  einer  Harnkrankheit.  Wenn  dieser  Zustand  nicht 
erleichtert  wird ,  so  folgen  noch  viel  heftigere  und  gefährlichere  Sym- 
ptome :  so  nimmt  der  Harndrang  immer  mehr  zu ,  die  Quantität  wird 
jedesmal  vermindert ,  bis  der  Kranke  zulezt  nicht  einen  einzigen  Tropfen 
lassen  kann  und  nun  an  vollständiger  Harnverhaltung  leidet.  Bisweilen 
kommt  es  auch  vor,  dass  der  Strahl  des  Urins  allmälig  an  Kraft  abnimmt 
und  dass  der  Urin  mehr  abläuft  und  abtröpfelt ,  als  dass  er  ausgetrieben 
wird ;  manchmal  kann  der  Kranke  geringe  Quantitäten  Urin  in  einem 
Strahle  lassen ,  aber  augenscheinlich  entleert  er  seine  Blase  nie  voll- 
ständig. —  Die  hypertrophirte  Prostata  wird  nach  allen  ihren  Dimen- 
sionen hin  vergrössert  gefunden,  doch  wird  der  linke  Lappen  häufiger 
hypertropisch  als  der  rechte.  Gewöhnlich  ist  Verhärtung  damit  verbun- 
den ,  so  dass  die  Prostata  beim  Schneiden  ganz  knorpelig  erscheint ;  in 
andern  Fällen  fühlt  sie  sich  dagegen  weicher  als  gewöhnlich  an.  Bei 
der  microscopischen  Untersuchung  findet  man  die  Blutgefässe  der  ver- 
grösserten  Drüse  zahlreich  und  gross ,  ihre  Ductus  und  Folliculi 
an  Durchmesser  bedeutend  vergrössert ,  sie  ist  mit  Concretionen  ange- 
füllt und  es  findet  eine  bemerkenswerthe  Zunahme  in  der  Ablagerung 
von  weissen  Fasern  und  von  Muskelsubstanz  statt,  welche  die  Zwischen- 
räume der  Follikel  ausfüllt.  Gelegentlich  findet  man  grössere  Ge- 
schwülste ,  die  aus  wirklichem  hypertrophischen  Drüsengewebe  bestehen. 
— -  In  practischer  Hinsicht  von  Wichtigkeit  ist  es ,  zu  wissen ,  dass  die 
Harnröhre  bei  der  Hypertrophie  der  Prostata  in  der  Pars  prostatica 
neben  einer  bedeutenden  Erweiterung  auch  eine  Längenzunahme  erfahren 
hat  und  sie  bei  ungleichmässiger  Ausdehnung  der  seitlichen  Lappen  ge- 


VORSTEHERDRUESE.  HYPERTROPHIE.  1025 

schlängelt  verläuft  oder  bei  Einwirkung  des  mittleren  Lappens  eine  sichel- 
förmige ,  mit  ihrer  Cönvexität  nach  unten  gerichtete  Kurve  bildet ;  nicht 
selten  verlegt  der  mittlere  Lappen  die  Harnröhre  klappenartig.  Diese 
Einrichtung  muss  bei  der  Einführung  des  Catheters  berücksichtigt  werden. 
—  Mit  der  Hypertrophie  der  Prostata  verbindet  sich  eine  Erkrankung 
der  Blase ,  welche  in  einem  Reizzustande ,  Verdickung  der  Häute  der- 
selben ,  so  wie  häufig  in  zahlreichen  gleichförmigen  Ausdehnungen  be- 
steht ,  womit  die  Ausscheidung  eines  verdorbenen ,  mit  Schleim  und  Eiter 
vermischten  Urins  verbunden  ist.  Selbst  die  Nieren  werden  in  Mitleiden- 
schaft gezogen.  —  Die  Aetiologie  dieser  Krankheit  ist  in  das  grösste 
Dunkel  gehüllt ;  sie  befällt  Arme  wie  Reiche ,  Hagestolze  wie  Verhei- 
rathete.  —  Eine  hypertrophische  Prostata  prädisponirt  immer  zu  An- 
fällen von  venöser  Congestion  und  von  Entzündung  mit  allen  ihren  Fol- 
gen. Indem  nun  die  Congestion  durch  vielerlei  Dinge  (Reiten,  starkes 
Trinken  ,  geschlechtliche  Aufregung  etc.)  gesteigert  werden  kann ,  gibt 
sie  wohl  die  häufigste  Veranlassung  zur  Harnverhaltung.  —  Behand- 
lung. Besteht  ein  Congestionszustand  der  Prostata,  so  sezt  man  eine 
Partie  Blutegel  an  den  Damm ,  lässt  Morgens  und  Abends  ein  warmes 
Sizbad  brauchen  und  gibt  einen  Esslöffel  voll  Oleum  ricini.  Sehr 
wohlthuend  ist  die  Anwendung  von  2  Gran  C  a  1  o  m  e  1  mit  1  0  Gran 
P u  1  v.  Doweri  vor  Schlafengehen,  2  bis  3  Abende  hintereinander.  Mit 
diesem  kann  man  Clystiere  von  Haferschleim  verbinden.  Um  die  Ab- 
sonderung verdünnten  Urins  zu  erzielen  ,  gibt  man  alle  4  Stunden  von 
einem  Tranke,  welcher  aus  Mucilago  gummi  a  r  a  b  i  c  i  mit  2  0  Tropfen 
Liquor  potassae  und  ebenso  viel  Tinct.  hyoscyami  besteht. 
Daneben  sind  erhizende  Speisen  und  Getränke  und  Excesse  in  V  e  n  e r  e 
zu  vermeiden.  Damit  stellt  sich  meist  bald  ein  erleichterter  Abgang 
des  Urins  ein.  Bei  hartnäckiger  Incontinenz  des  Urins  muss  die  Ueber- 
f  üllung  der  Blase  durch  Catheterismus  beseitigt  werden ;  man  führt  den 
Catheter  Morgens  und  Abends  in  die  Blase ,  bis  diese  ihre  Kraft  wieder 
erlangt  hat.  —  Bei  fehlender  Congestion  der  Prostata  sind  Blutegel ,  so 
wie  überhaupt  eine  active  Antiphlogose  schädlich.  —  Bei  Harnver- 
haltungen in  Folge  von  Anschwellung  der  Prostata  bietet  diese  der 
Einführung  des  Catheter  oft  unüberwindliche  Schwierigkeiten  dar.  Es 
ist  deshalb  nöthig  ,  die  verschiedenen  Handgriffe  zu  kennen ,  welche  diese 
zu  überwinden  im  Stande  sind.  Zuerst  ist  immer  mit  einem  gewöhn- 
lichen elastischen  Catheter ,  mit  einem  stählernen  Stilet  der  Versuch  zu 
machen ;  er  muss  von  einer  solchen  Stärke  sein,  um  die  Harnröhre  gerade 
auszufüllen ,  ohne  sie  indessen  zu  stark  auszudehnen.  Der  Arzt  steht  an 
der  rechten  Seite  des  liegenden  Kranken  und  führt  das  gut  eingeölte 
Instrument  mit  seiner  Concavität  dem  Bauche  zugekehrt  bis  zur  Prostata 
hinab;  wenn  es  den  Punkt  der  Harnröhre  erreicht  hat,  welcher  das  drei- 
eckige Ligament  rechtwinklig  durchschneidet,  so  muss  er  den  Eintritt 
der  Spize  des  Catheters  in  die  Blase  erschwert  erachten;  er  drückt  des- 
Burger.  Chirurgie.  (J5 


1026  VORSTEHEEDRUESE.  HYPERTROPHIE. 

halb  den  Handgriff  sanft  zwischen  die  Schenkel  des  Kranken  nieder, 
worauf  dann  der  Catheter  oft  auf  einmal  in  die  Blase  tritt.  Findet  aber 
an  diesem  Punkte  eine  Schwierigkeit  statt,  so  zieht  er  den  Catheter 
etwas  zurück ,  hebt  seine  Spize  durch  Niederdrücken  des  Handgriffs  noch 
mehr  und  lässt  ihn  so  mit  Leichtigkeit  in  die  Blase  schlüpfen.  Bei 
allen  diesen  Manövern  ist  jede  Gewalt  sehr  zu  vermeiden  ;  schliesslich 
kann  man ,  wenn  der  Catheter  nicht  in  die  Blase  eindringen  will ,  das 
Stilet  zurückziehen,  in  der  Hoffnung  das  beweglichere  Instrument  werde 
leichter  über  den  Boden  der.  Prostata  hingehen.  Zuweilen  kommt  man 
mit  einem  silbernen  Catheter  besser  zum  Ziele.  Aus  der  Richtung,  welche 
das  hintere  Ende  des  Catheters  annimmt ,  sobald  das  Blasenende  des- 
selben in  den  prostatischen  Theil  der  Harnröhre  gelangt  ist,  kann  man 
auf  die  an  diesem  Theile  der  Harnröhre  vorkommenden  Abweichungen 
schliessen.  Ist  nämlich  einer  der  Seitenlappen  der  Prostata  vorzugsweise 
entwickelt ,  so  wird  sich  das  hintere  Ende  des  Instruments ,  sobald  man 
die  Hand  entfernt  nach  links  oder  rechts  neigen.  Wird  das  Instrument 
beim  Eintritt  in  die  Blase  plözlich  aufgehalten,  so  rührt  dies  in  den 
meisten  Fällen  von  einer  starken  Anschwellung  des  mittlem  Drüsenlap- 
pens her.  Im  ersteren  Falle  schiebt  man  das  Instrument  in  der  ange- 
nommenen Richtung ,  indessen  ohne  Gewalt  anzuwenden ,  vorwärts  ;  im 
letztern  Falle  hebt  man  das  vordere  Ende  desselben  durch  eine  schwin- 
gende Bewegung.  Bei  diesem  lezteren  Fall  hat  Mercier  einen  Ca- 
theter angegeben,  welcher  in  seiner  ganzen  Länge  gerade  und  nur  6, 
höchstens  8  Linien  vor  seinem  Blasenende  sich  fast  unter  einem  rechten 
Winkel  krümmt  (Sonde  coudee).  Diese  Sonde  muss,  im  prostatischen 
Theile  der  Harnröhre  angekommen,  nicht  allein  mit  dem  Griff  abwärts 
gebracht,  sondern  auch  direct  gegen  den  Blasenhals  geschoben  werden. 
Bei  sehr  starkem  klappenartigen  Vorsprung  des  mittlem  Lappens  be- 
dient sich  Velpeau  eines  starkgekrümmten  Catheters.  —  Nach  Ein- 
führung des  Catheters  hat  man  den  verengten  Harnröhrentheil  durch 
liegenbleibende  Bougies ,  Catheter ,  einen  Druck  nach  hinten  zu  erwei- 
tern gesucht.  —  Kann  die  vorliegende  Schwierigkeit  auf  keine  der  an- 
gegebenen Weisen  überwunden  werden ,  so  muss  der  Blasenstich  unver- 
züglich unternommen  werden,  welcher  dem  von  Einigen  empfohlenen  ge- 
waltsamen Durchstossen  der  Prostatageschwulst  unbedingt  vorzuziehen 
ist.  —  Noch  ist  zu  bemerken ,  dass  die  Hypertrophie  der  Prostata  bis- 
weilen mit  einer  Cystenbildung  verbunden  ist,  welche  wahrscheinlich 
auf  einer  einfachen  Erweiterung  mit  folgender  Verschliessung  der  natür- 
lichen Follikel  der  Drüse  beruht. 

Vorsteherdrüsenkrebs.  Diese  seltene  ,  auch  im  jugendlichen 
Alter  vorkommende  Krankheit  kann  als  Scirrhus  und  als  Markschwamm 
auftreten.  Sie  zeigt  die  der  Prostatahypertrophie  eigenthümlichen 
Symptome ,  zu  welcher  sich  die  dem  Krebse  characteristischen  Zeichen 
gesellen.      Gewöhnlich  findet  häufiger  Harndrang  mit  schwierigem  Harn- 


VORSTEHERDRUESE.  NEURALGIE.  1027 

lassen  statt ,  und  ersterer  ist  namentlich  des  Nachts  sehr  heftig.  Auf 
den  Abgang  des  Urins  folgt  grosser  Schmerz  ;  manchmal  geht  mit  dem 
letzten  Tropfen  Urin  etwas  arterielles  Blut  ab  ;  der  Urin  ist  anfangs  klar, 
aber  später  durch  Beimischung  von  zerseztem  Schleim  oder  Eiter ,  selbst 
von  dem  Gehirnkrebse  ähnlichen  Zotten  oder  Krebszellen  und  von  Phos- 
phaten getrübt.  Die  Blase  ist  reizbarer  als  bei  der  gewöhnlichen  Hyper- 
trophie, und  im  Stande,  ihren  Inhalt  ganz  zu  entleeren.  Tiefe ,  dumpfe, 
lancinirende  Schmerzen  werden  im  Verlaufe  des  Penis,  besonders  nach  der 
Eichel  hin ,  in  den  Weichen  und  in  den  Schenkeln  gefühlt ,  im  Rücken 
und  im  Rectum  ist  ein  gewisses  Unbehagen ,  und  der  Kranke  glaubt 
dessen  Inhalt  nicht  vollständig  entleeren  zu  können.  Bei  Einführung 
des  Catheters  in  die  Blase  findet  man  wenig  oder  gar  keinen  Urin  darin 
und  bei  dem  Durchgange  des  Instruments  durch  die  Pars  prostatica 
glaubt  man  ein  Krazen  auf  einer  steinigen  Masse  zu  fühlen.  Mit  dem 
in  den  Mastdarm  eingeführten  Finger  fühlt  man  die  Prostata  von  knor- 
peliger Härte ,  gewöhnlich  unregelmässig  knotig.  Dazu  kommt  allge- 
meines caehectisehes  Aussehen,  verbunden  mit  allmäliger  Abmagerung, 
grosser  Unruhe ,  Anschwellung  der  Leistendrüsen.  —  Ueber  die  Behand- 
lung lässt  sich  nicht  viel  sagen.  Es  kann  sich  hier  nur  von  einer  Lin- 
derung der  Zufälle  handeln.  Bei  Harnverhaltung  muss  Morgens  und 
Abends  ein  elastischer  Catheter  mit  grosser  Vorsicht  eingeführt  werden, 
der  auch  in  der  Blase  liegen  bleiben  kann.  Man  sezt  warme  Clystiere 
und  bringt  Stuhlzäpfchen  von  Opium  bei ,  welches  leztere  überhaupt  zur 
augenblicklichen  Erleichterung  der  fürchterlich  quälenden  Symptome  in 
seinen  verschiedenen  Formen  Anwendung  finden  muss. 

Vorsteherdrüsenneuralgie.  Die  Prostata  nebst  dem  Blasen- 
halse und  dem  nahe  liegenden  Theile  der  Harnröhre  sind  einer  Art  von 
Neuralgie  ausgesezt ,  deren  Symptome  denen  einer  organischen  Erkran- 
kung so  ähnlich  sind,  dass  es  oft  äusserst  schwer  hält,  eine  sichere 
Diagnose  zu  stellen.  Diese  Krankheit  befällt  selten  Leute  vor  dem 
50.  Jahre  und  sucht  sich  meist  solche  von  melancholischem  oder  biliösem 
Temperament  aus.  In  einem  Falle ,  den  Adam  zu  behandeln  hatte, 
klagte  der  betreffende  Kranke  über  heftigen  Schmerz  in  der  Regio  h  y  - 
pogastrica,  der  sich  längs  des  Penis  in  das  Mittelfleisch,  zum  After, 
in  die  Schenkel  und  über  das  Kreuz  ausdehnte.  Dabei  hatte  er  häufigen 
Harndrang ;  der  Urin  ging  zwar  leicht  ab  ,  aber  er  hatte  immer  noch  das 
Gefühl ,  als  hätte  er  die  Blase  nicht  vollständig  entleert.  Auch  klagte 
er  über  ein  Gefühl  von  Härte  am  After,  doch  konnte  daselbst  am 
Sphincter  ani  nichts  entdeckt  werden.  Das  Gesicht  zeigt  eine  grosse 
Niedergeschlagenheit.  Die  Einführung  des  Catheters  geschah  ohne  grosse 
Schwierigkeit  und  der  entleerte  Urin  zeigte  nichts  Abnormes.  Es  war 
Neigung  zur  Verstopfung  zugegen.  Es  wurden  Alealien  mit  Uva  ursi, 
später  Ferrum  carbonicum  mit  Alealien ,  dann  blaue  Pillen  mit 
Extractum  conii  und  zulezt  kleine  Gaben  Extractum  colchici 

65* 


1028  VORSTEHERDRÜESE.   --  TUBERKULOSIS. 

mit  einer    geringen    und   nur   temporären   Erleichterung  verordnet.      Da- 
neben früh  und  Abends   Einführung  eines  elastischen  Catheters.     Später 
erhielt   der  Kranke   drei  Mal   täglich   fünf  Tropfen  verdünnter  Salpeter- 
säure in  einem  Sarsaparilldecoct,   ein  Belladonna  -  Pflaster  auf  das  Kreuz, 
Waschungen  des  Mastdarms  mit  warmem  Seifenwasser  und  zwei  Mal  in  der 
Woche  ein  heisses  Bad.  —  Adam  leitet  die  Krankheit  von  einem  krank- 
haften Zustande  der  Gallen-  und  Urinsecretion  ab.  Diesemnach  hält  er  nach 
Keinigung   des  Darmkanals   die  Anwendung  von  Mitteln   für   angezeigt, 
welche   eine   specifische  Wirkung  auf  das  Nervensystem   der  gastrischen 
Schleimhäute   ausüben   und   die   alle  in   die  Klasse   der  Tonica   gehören, 
z.  B.  die  Präparate  der  tonisirenden  Rinden,  des  Eisens,  des  Arseniks  etc. 
V  o  r  s  t  e  h  e  r  d  r  ü  s  e  nr  e  i  z  b  a  r  k  e  i  t.      Es  gibt  einen  Zustand  der 
Prostata  und  des  Blasenhalses  zugleich,  welcher  sich  durch  eine  characte- 
ristische   Symptomenreihe   eines   Reizzustandes   der  Prostata   auszeichnet 
und   von   der  Entzündung   zu  unterscheiden  ist.      Der  Kranke  klagt  über 
ein  Gefühl  von  Unbehaglichkeit   im  4)amme ,   über   dumpfen  Schmerz   in 
den  Hoden  mit  Anschwellung  der  Samenstränge ,   über  Schweregefühl  im 
Mastdarm  ,    Jucken   am  After  und  einen   häufigeren  Harndrang ,   während 
der  Harn  selbst  mit  etwas  Schwierigkeit  -und   zugleich  mit  etwas  Schleim 
aus  der  Harnröhre  abgeht.    In  Fällen  von  längerer  Dauer  zeigt  die  Harn- 
röhrenmündung  eine  fleckige  Röthe,  steht  offen,  häufig  bemerkt  man  Ex- 
coriationen   an   der  Vorhaut  mit  Jucken  längs  der  Harnröhre  und  an  der 
Eichel.     Dabei  sind  nächtliche  Pollutionen  keine  ungewöhnlichen  Beglei- 
ter.     Verschlimmert   sich   dieser  Zustand   durch  Venusdienst   und-  hizige 
Getränke  ,   so  wird  der  früher  helle  und  farblose  Ausfluss  gelb  und  eiter- 
artig  und   derselbe   oft   fälschlich   für  einen  Tripper  gehalten,   von  dem 
er  sich  aber  durch  den  Mangel  an  Schneiden  und  Harnstrenge  unterschei- 
det.    Nach  Adam  besteht  dieser  Zustand  in  einer  Reizbarkeit  der  Pars 
prostatica  der  Harnröhre  sowohl,   wie  der  Ausführungsgänge  der  Fol- 
likel  der  Drüse   selbst.    —    Die  Behandlung  ist  einfach.      Schröpfköpfe 
oder  Blutegel   an  dem  Damm ,   warme  Fomentationen   oder  Sizbäder  sind 
vom  grössten  Nuzen.     Man  reicht  ein  tüchtiges  Abführmittel  zur  Entlee- 
rung des  Rectums  und  hält  dann  den  Leib  durch  kleine  Gaben  Bittersalz 
offen.      Später   gibt  man  Pillen  aus  5  Gran  E  x  t  r.    C  o  n  i  i  nebst  2  bis 
3    blauen  Pillen  jeden  Abend  und  Terpentin  mit  Rhabarber    3 — 4  Mal 
täglich.      Hat  diese  Behandlung  durch  2 — 3  Wochen  keinen  Erfolg,   so 
sind  ganz  kleine  Gaben  von  Copaiva ,    ]  0  Tropfen  3  Mal  täglich  oft  sehr 
nüzlich ;  zugleich  können  die  warmen  Umschläge  täglich  einmaligen  kalten 
Siz-   oder  Douchebädern  Plaz   machen.       Eisenhaltige   Arzneien ,    z.   B. 
Tinct.  ferri  sesquichlorati  zeigen  sich  nach  Aufhören  der  Sym- 
ptome der  Reizung,  wenn  der  Ausfluss  noch  fortdauert,  gleich  von  Erfolg. 

Vorsteherdrüsensteine,   s.   Neubildungen. 

Vor  stehe  rdrüsentuberkel.       Diese   seltene   Krankheit    der 
Prostata   kommt  in  drei  Formen  vor :    als  kleine  Miliartuberkel ,  oder  als 


VORSTEHERDRUESE.  —  VERHAERTUNG.  1029 

grössere  Ablagerungen  käsiger  Materie  an  verschiedenen  Stellen  der 
Drüse ,  oder  es  ist  ein  ganzer  Lappen  der  Drüse  in  Tuberkelmasse  ver- 
wandelt. Die  Symptome  dieses  Leidens  drehen  sich  hauptsächlich 
um  das  Harnsystem ;  es  ist  heftiger  Harndrang  zugegen  und  es  wird 
wenig  Harn  mit  vielem  Schleim  ,  bisweilen  mit  Blut  vermischt  gelassen. 
Die  Einführung  des  Catheters  verursacht  in  der  Pars  prost atica  der 
Harnröhre  fürchterliche  Schmerzen  und  diese  nehmen  bei  Druck  der  Pro- 
stata auf  das  Rectum  zu.  Wenn  der  Tuberkel  sich  erweicht,  so  kommt 
es  zur  Bildung  von  Abscessen  im  Damme.  —  Meistens  ist  die  Tuberku- 
losis  der  Prostata  mit  ausgedehnter  Tuberkulose  des  Harn-  und  Ge- 
schlechtssystems verbunden ,  wodurch  ,  so  wie  durch  die  schwer  zu  deu- 
tenden Symptome  die  Behandlung  meist  unnüz  und  erfolglos  wird. 
Könnte  es  auf  irgend  eine  Weise  gelingen,  sich  über  die  Natur  der  Krank- 
heit in  einem  früheren  Stadium  zu  vergewissern ,  so  müsste  sich  der  Pa- 
tient aller  Aufregung  der  Geschlechtssphäre  vollkommen  enthalten  und 
sogleich  zur  Anwendung  von  die  Constitution  stärkenden  Mitteln  geschrit- 
ten werden.  Eisen,  China,  Jod,  Leberthran  etc.,  nebst  Flanell  auf 
blosser  Haut ,  warme  Soolbäcler ,  so  wie  der  Aufenthalt  an  der  See  in  ei- 
nem warmen  Klima  gehören  in  diese  Kategorie  von  Mitteln.  Wenn  die 
Krankheit  dagegen  schon  bis  zur  Eiterung  fortgeschritten  ist  und  alle 
Zeichen  äusserster  Blasenreizung  vorhanden  sind  ,  so  kann  nur  noch  von 
einer  Palliativbehandlung  die  Rede  sein,  welche  mit  der  beim  Krebse  die- 
ser Drüse  angegebenen  übereinkommt.  Sobald  sich  Neigung  zur  Ab- 
scessbildung  zeigt,  namentlich  wenn  eine  weiche  Stelle  im  Perinaeum  vor- 
handen ist,  so  muss  sogleich  eine  Oeffnung  gemacht  werden,  in  welchem 
Falle,  wenn  die  Tuberkulose  auf  die  Prostata  beschränkt  ist,  noch  Heilung 
möglich  ist. 

Vorsteherdrüsenverhärtung,  Indu ratio  prostatae. 
Diese  Krankheit ,  welche  zum  Unterschiede  von  der  Hypertrophie  dieser 
Drüse  immer  nach  vorausgegangener  schleichender  Entzündung  und  mei- 
stens zwischen  dem  2  0.  und  4  0.  Jahre  auftritt,  kann  die  ganze  Drüse 
einnehmen  oder  sich  nur  auf  einen  Theil  derselben  und  zwar  meistens 
ihren  mittleren  Lappen  beschränken.  Eine  besondere  Disposition  zu 
diesem  Leiden  haben  scrophulöse  Subjecte ;  als  Gelegenheitsursachen 
nimmt  man  an  :  durch  Blasensteine  bedingte  Reizung,  Stricturen ,  über- 
mässiges Reiten,  geschlechtliche  Ausschweifungen  ,  Missbrauch  geistiger 
Getränke ,  Hämorrhoidalleiden ,,  Gicht  etc.  Es  entwickelt  sich  immer 
langsam  und  zeigt  im  Uebrigen  ganz  dieselben  Symptome  wie  die  Hyper- 
trophie. Dagegen  muss  die  Behandlung  eine  andere  sein.  Während 
die  leztere  nur  ausnahmsweise  ein  antiphlogistisches  Verfahren  erfordert, 
dieses  sogar  in  der  Regel  positiv  schädlich  ist,  darf  ein  solches  besonders 
anfangs  nicht  versäumt  werden.  Man  sezt  daher  von  Zeit  zu  Zeit  Blut- 
egel an  den  Damm  und  geht  dann,  wenn  der  Reizzustand  beseitigt  ist,  zu 
Mitteln  über,   welche   die  Resorption   anspornen   und  eine  Ableitung  be- 


1080  WARZEN. 

wirken  ;  solche  Mittel  sind  :  Salmiak  in  grossen  Dosen ,  Spongia  ma- 
r  i  n  a  ,  kohlensaure  Alealien  ,  besonders  doppeltkohlensaure  Soda  ,  Jod 
innerlich  und  äusserlich  in  Form  von  Einreibungen  und  Stuhlzäpfchen, 
leztere  in  Verbindung  mit  Extr.  h  y  o  s  c  y  a  m  i  und  Cicuta  ,  ferner 
Gold-  und  Quecksilberpräparate  ;  Vesicatore  oder  Haarseile  am  Damme, 
und  öfters  wiederholte  Abführmittel.  —  Nur  im  Anfange  kann  man  hof- 
fen ,  eine  Zertheilung  herbeizuführen ;  in  vorgerückteren  Fällen  kann 
man  manchmal  das  Uebel  vermindern,  meistens  aber  durch  den  eingeleg- 
ten Catheter  den  Zustand  des  Kranken  erträglich  machen  ;  die  Einfüh- 
rung des  leztern  in  die  Blase  erfährt  indessen  nicht  selten  dieselben 
Schwierigkeiten ,  wie  bei  der  Hypertrophie  der  Prostata ;  die  Handgriffe 
dabei  sind  bei  der  Beschreibung  dieser  Form  von  Prostatavergrösserung 
angegeben.  —  Zur  Erweiterung  des  von  der  Prostatageschwulst  vereng- 
ten Harnröhrentheils  wendet  man  einen  Druck  an ,  den  man  entweder 
nach  allen  Seiten  hin  wirken  lässt,  was  man  durch  liegen  bleibende  elasti- 
sche oder  metallene  Catheter  oder  Pflasterbougies  ,  oder  nach  Physik 
mittels  eines  eingeführten  und  später  mit  Wasser  gefüllten  Darmstücks 
von  einem  Schafe  oder  einer  Kaze  ins  Werk  sezt,  oder  man  wendet  einen 
nach  hinten  gehenden  Druck ,  die  sogenannte  Depression  der  Geschwulst 
an  ,  was  nach  M  e  r  c  i  e  r  folgendermassen  geschieht :  man  bringt  einen 
elastischen  Catheter  so  weit  in  die  Harnröhre  ein,  dass  dessen  Blasenende 
auf  der  Geschwulst  aufliegt ;  hierauf  führt  man  ein  Fischbeinstäbchen  in 
den  Catheter  ein ,  erhebt  den  Penis  mit  dem  Catheter  dann  v^iederholt 
gegen  den  Bauch  und  bewirkt  damit,  indem  sieh  das  Blasenende  des  Ca- 
theters  senkt,  ein  Niederdrücken  der  Geschwulst.  Dieses  Verfahren  wird 
mehrere  Wochen  lang  fortgesezt.  —  Auch  hier  ist,  wenn  bei  einer  voll- 
ständigen Harnverhaltung  die  Einführung  des  Catheters  nicht  gelingt, 
der  Blasenstich  angezeigt. 


w. 


VV  arzeil ,  Verrucae,  stellen  sich  als  kleine  rundliche  Aus- 
wüchse der  Haut  dar,  welche  entweder  hart  oder  weich  sind,  und  darnach 
in  harte  und  weiche  Warzen  unterschieden  werden.  Die  harte  Warze, 
Verruca  vulgaris,  stellt  einen  kleinen  festen  Höcker  dar ,  welcher 
über  die  Oberfläche  der  Haut  hervorragt  und  selten  den  Umfang  einer 
kleinen  Erbse  überschreitet.  Sie  tritt  ohne  alle  schmerzhafte  Empfin- 
dung bald  einzeln,  bald  in  mehr  oder  minder  grosser  Anzahl ,  vorzüglich 
an  den  Fingern  und  Händen,  und  bisweilen  auch  am  ganzen  Körper  auf. 
Wenn  man  eine  solche  Warze  durchschneidet,  so  sieht  man,  dass  sie  aus 
zwei  leicht  zu  unterscheidenden  Schichten  besteht ,  nämlich  aus  einer 
obern  härtern,   der   verdickten  Epidermis,  und  einer  unteru  weichen  viel- 


WASSERBALGGESCHWULST  AUF  DER  KNIESCHEIBE.  1031 

höckerigen ,  welche  nachweisbar  aus  hypertrophischen  Hautpapillen  zu- 
sammengesezt  ist.  Zu  jeder  dieser  Papillen  geht  ein  kleines  Gefäss, 
das  mit  einer  kleinen  Erweiterung  stumpf  endet.  Die  Epidermis  lagert 
sich  zwischen  die  einzelnen  ,  oft  fadenförmig  verlängerten  Papillen  der 
Cutis  (Wurzeln  der  Warzen)  und  gibt  denselben  bald  ein  glattes ,  bald 
ein  rauhes,  büschelartiges  Aussehen;  in  diesem  Falle  hat  jeder  Fortsaz 
seine  eigene  Epidermisscheide.  Diese  Warzen  springen  bisweilen  auf, 
bluten  ,  und  manchmal  ergiesst  sich  eine  klebrige  Flüssigkeit  aus  den 
Rissen.  Solche  nässende  Warzen  sind  bisweilen  sehr  schmerzhaft.  Die 
in  Rede  stehenden  Warzen  bleiben  eine  Zeitlang  auf  der  Haut  und  ver- 
schwinden dann  häufig  von  selbst,  indem  sie  allmählig  resorbirt  werden, 
oder  verwelken  und  abfallen ;  in  beiden  Fällen  hinterlassen  sie  keine 
Narbe.  —  Die  weiche  W a r z e,  Verruca  carnosa,  hat  stets  einen 
normalen  Epidermisüberzug  ,  auf  welchem  häufig  dicht  gedrängte  Haare 
wachsen,  und  die  ausserdem  bald  durch  ihre  gelbe  oder  bräunliche  Farbe, 
bald  durch  ihre  birnf  örmige  Gestalt ,  indem  sie  vermittels  eines  Stiels 
aufsizt,  ein  eigenthümliches  Ansehen  erhält.  Ihr  Inneres  besteht  nur  aus 
Bindegewebe  und  zwar  zum  Theil  aus  unentwickeltem.  —  Die  Ursa- 
chen der  Warzen  sind  in  den  meisten  Fällen  unbekannt.  Man  sieht  sie 
bei  beiden  Geschlechtern  und  in  jedem  Alter,  doch  häufiger  bei  vollsafti- 
gen Personen,  Frauen,  Kindern  und  jungen  Leuten,  bei  denen  der  Vege- 
tationstrieb vorherrscht.  Reizende  Einflüsse  auf  die  Haut  scheinen  ihr 
Entstehen  zu  begünstigen.  Die  weichen  Warzen  sind  fast  immer  ange- 
boren. —  Behandlung.  Die  Rückbildung  der  Warzen  wird  geför- 
dert durch  Bestreichen  mit  scharfen  Pflanzensäften  wie  dem  Chelido- 
nium  majus,  Wolfsmilch,  Sadebaum  etc.,  oder  mit  Cantharidentinktur, 
Salmiak- ,  Seifenlösung  ,  Jod.  Durch  Aezmittel ,  als  Spiessglanzbutter, 
Höllenstein ,  Schwefel- ,  Salpetersäure  etc.  können  die  Warzen  zerstört 
werden.  Kneipen,  Drücken  und  Zupfen  der  Warzen  bewirkt  nicht  selten 
ihr  Absterben.  Gestielte  Warzen  entfernt  man  durch  die  Ligatur  oder 
trägt  sie  mit  der  Scheere  ab.      Breite  harte  Warzen  exstirpirt  man. 

Wasserbalggeschwulst  auf  der  Kniescheibe,  Hy- 

groma  cysticum  patellare,  nennt  man  eine  Anfüllung  der  Bursa 
subcutanea  patellaris  mit  einer  verschiedentlich  beschaffenen 
Flüssigkeit  (s.  Cysten),  wodurch  sie  sich  dem  Auge  als  eine  Geschwulst 
darstellt ,  welche  schmerzlos ,  ohne  Veränderung  der  Hautfarbe ,  weich, 
elastisch ,  compressibel ,  meistens  eirund ,  immer  deutlich  umgrenzt  ist, 
auf  der  Kniescheibe  aufsizt ,  oder  birnf  örmig  von  ihr  herabhängt ,  oder 
sich  mehr  in  die  Breite  ausdehnt.  Mag  sie  aber  auch  noch  so  weit  die 
Grenzen  der  Kniescheibe  überschreiten,  so  hängt  sie  doch  nur  an  ihr  und 
nirgends  anders  fest,  weshalb  sie  sich  auch,  obschon  sie  nach  allen  Rich- 
tungen hin  beweglich  ist ,  nicht  von  diesem  Standort  wegdrücken  lässt. 
—   Die  Ursache   dieser  Schleimbeutelwassersucht  ist   zunächst  immer 


1032  WASSERBRUCH. 

eine  Entzündung  der  innern  Haut  des  Schleimbeutels  und  zwar  meistens 
eine  chronische  ,  die  man  bei  der  geringen  Empfindlichkeit  dieser  Theile 
leicht  übersieht,  und  in  Folge  derselben  erfolgt  dann  die  Ausschwizung. 
Gelegenheitsursachen  sind  örtliche  Einwirkungen,  namentlich  Quetschun- 
gen in  Folge  eines  Falles,  Stosses ,  ein  anhaltender  Druck  etc.  oder  all- 
gemeine Krankheiten,  wie  Rheumatismus,  Gicht,  Scropheln  etc.  —  Be- 
handlung. Sie  muss  sich  nach  dem  Zustande  der  Geschwulst  und  den 
veranlassenden  Ursachen  richten.  Wo  möglich  muss  auf  die  Zertheilung 
hingewirkt  werden.  —  Ist  noch  ein  entzündlicher  Zustand  zugegen ,  so 
wendet  man  Blutegel ,  Umschläge  von  Bleiwasser  und  Einreibungen  der 
Quecksilbersalbe  an ;  später ,  wenn  die  Entzündung  gehoben ,  aber 
noch  Flüssigkeit  angesammelt  ist ,  zieht  man  Blasenpflaster ,  welche 
man  längere  Zeit  unterhält ,  oder  Einreibungen  flüchtiger  Salben ,  Jod- 
salbe ,  Jodtinktur  in  Gebrauch.  Wenn  die  Entzündung  sehr  heftig  und 
die  Anschwellung  sehr  gross  ist,  so  sind,  des  raschen  Verlaufs  wegen,  ge- 
wöhnlich alle  Zertheilungsversuche  fruchtlos  ;  in  diesem  Falle  ist  es  am 
besten,  gleich  Cataplasmen  anzuwenden  und  am  3.  oder  4.  Tage  einen 
Einschnitt  zu  machen.  —  Ist  die  Geschwulst  wie  gewöhnlich  unschmerz- 
haft ,  so  wendet  man  die  oben  angegebenen  Reizmittel ,  ferner  Douchen, 
Moxen  ,  Druck  ,  zertheilende  Pflaster,  namentlich  ein  aus  Gummi  a  m  - 
m o n i a c u m  mit  Acetum  squillae  bereitetes  (Rp.  Gummi  a  ni  - 
m  o  n  i  a  c.  5J  ,  A  c  e  t.  s  q  u  i  1 1.  q.  s.  a  d  subact.  u  t  f.  E  m  p  1.  D.  — 
Das  Pflaster  wird  noch  warm  einen  Messerrücken  dick  auf  Leder  gestri- 
chen und  schnell,  ehe  es  erkaltet  und  hart  wird,  auf  den  leidenden  Theil 
gelegt ,  wo  es  bis  zu  seiner  freiwilligen  Lösung  liegen  bleibt)  oder  die 
sehr  wirksame  Heister 'sehe  Mischung  (Rp.  Lythargyri  ^vj,  Bol. 
armen.  5j,  Mast  ich.  Myrrh.  ana  ^ß,  Acet.  vini  ^j.  coq.  per 
hör.  qua  dr.  S.  Mittels  mehrfach  zusammengelegter  Tücher  4 —  6  Mal 
täglich  lauwarm  überzuschlagen)  an.  Liegen  innere  Ursachen  zu  Grunde, 
so  ist  mit  der  örtlichen  eine  angemessene  innere  Behandlung  zu  verbin- 
den. Bei  rheumatischem  Ursprung  erweist  sich  namentlich  Herbstzeit- 
losenwein,  bei  scrophulösem  Jodkali  wirksam.  Gelingt  es  auf  diese  Weise 
nicht ,  die  Zertheilung  herbeizuführen ,  so  wendet  man  die  Punction  mit 
Druckverband ,  oder  mit  nachfolgender  Einreibung  des  E 1  i  x  i  r.  a  c  i  d. 
H  a  1 1  e  r  i  in  die  umgebende  Haut  an.  Schlägt  auch  diese  Behandlung 
fehl,  so  verbindet  man  mit  der  Punction  reizende  Einsprizungen,  wie  von 
verdünnter  Jodtinktur,  oder  zieht  ein  Haarseil  durch  die  Geschwulst,  um 
durch  Erregung  von  Entzündung  eine  Verwachsung  der  Wandungen  zu 
bewirken,  oder  aber  man  spaltet  die  Geschwulst  und  heilt  die  Wunde 
mittels  Einlegen  von  Charpie  durch  Eiterung  und  Granulation  oder  end- 
lich man  exstirpirt  den  Schleimbeutel  und  heilt  die  Wunde  durch  erste 
Vereinigung. 

WaSSerbrUCll,   s.   Hydrocele. 


WASSERKOPF.  1033 

Wasserkopf,  Hydrocephalus,  heisst  die  Ausdehnung  des 
Schädels  durch  Ansammlung  von  wässerigem  Erguss.  Der  Siz  dieses  Er- 
gusses kann  entweder  in  den  Ventrikeln  (H.  v  e  n  t  r  i  c  u  1  o  r  u  m)  oder 
in  der  Höhle  der  Arachnoidea  sein.  In  lezterem  Falle  ist  der  Erguss 
entweder  auf  den  ganzen  Sack  der  Arachnoidea  verbreitet  (Hydrops 
meningeus  di  ff  usus  s.  Hydrocephalus  externus),  oder  auf 
einzelne  Stellen  beschränkt  (H.  meningeus  limitatus),  welche  lez- 
tere  hernienartig  ausgestülpt  werden  können  (Hydrocephalus  me- 
ningeus herniosus).  Manche  bezeichnen  die  Ansammlung  von 
Wasser  innerhalb  der  Schädelhöhle  als  innern  und  die  ausserhalb  dersel- 
ben unter  den  Kopfbedeckungen  als  äussern  Wasserkopf.  —  Der  Was- 
serkopf ist  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  angeboren,  doch  kann  er  auch  erst 
nach  der  Geburt  entstehen.  —  Symptome.  Das  augenfälligste  der- 
selben ist  gewöhnlich  die  Veränderung ,  welche  der  Schädel  erfährt. 
Derselbe  ist  über  die  Norm  gross  ,  namentlich  ist  der  vordere  Theil  des- 
selben stark  entwickelt ,  so  dass  die  Stirn  das  Gesicht  überragt ,  welches 
dadurch  verkürzt  und  verkleinert  erscheint.  Die  andern  Knochen  des 
Schädelgewölbes  haben  ihre  Rundung  verloren ,  breiten  sich  mehr  in  die 
Fläche  aus  und  sind  dabei  in  hohem  Grade  verdünnt.  Die  Fontanellen 
und  Nähte  sind  offen  und  nur  von  einer  dünnen  Membran  verschlossen, 
durch  welche  man  die  Fluctuation  hindurch  fühlt.  In  seltenen  Fällen 
kann  die  Form  des  Kopfs  eine  konische  sein.  Mit.  der  Zunahme  des 
Wassers  stellen  sich  Symptome  von  Gehirndruck  ein,  welche  in  aufrechter 
Stellung  ausgeprägter  sind  ;  diesen  folgen  Störungen  in  den  Centralorga- 
nen  des  Nervensystems ,  welche  sich  durch  Abstumpfung  der  Sinne  ,  be- 
sonders des  Gesichts ,  Verminderung  der  Geisteskräfte  aussprechen  ;  lez- 
tere  bleiben  nur  selten  unversehrt ,  noch  seltener  bemerkt  man  eine  vor- 
zeitige Entwicklung  derselben,  was  namentlich  bei  rhachitischen  Kindern 
vorkommt.  Hand  in  Hand  mit  diesen  Störungen  erleiden  auch  die  Or- 
gane der  Bewegung  Veränderungen.  Die  Muskeln  werden  durch  die 
Compression  der  Centraltheile  ihrer  Nerven  dem  Einflüsse  des  Willens 
entzogen.  Mit  der  Abnahme  ihres  Gebrauchs  leidet  auch  ihre  Ernäh- 
rung ,  die  Glieder  werden  dünn ,  schlaff  und  schwach ,  der  Gang  schwer 
und  schwankend  und  von  häufigem  Fallen  unterbrochen,  endlich  treten 
Lähmungen  und  Convulsionen  ein  und  der  Tod  beschliesst  in  den  meisten 
Fällen  nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  die  Scene.  —  Prognose.  Sie 
ist  im  Allgemeinen  als  ungünstig  zu  betrachten.  Angeboren  ist  die 
Krankheit  fast  immer  tödtlich.  In  der  Kegel  sterben  die  damit  behafte- 
ten Kinder  bald  nach  der  Geburt ;  selten  erreichen  sie,  bei  geistigem  Un- 
vermögen ,  das  Knaben-  und  noch  seltener  das  Jünglings-  und  Mannes- 
alter. Hat  sich  der  Wasserkopf  erst  in  späterer  Zeit  ausgebildet  und 
verläuft  er  sehr  langsam,  so  ist  noch  Heilung  möglich  ;  doch  gehört  auch 
hier  ein  glücklicher  Ausgang  immer  zu  den  Seltenheiten.  —  Ausgänge- 


1034  WASSERGESBHWÜLST  DER  STIMMRIZE. 

Der  günstigste  Ausgang  ist  der,  wenn  es  zur  Resorption  der  ergossenen 
Flüssigkeit  kommt ;  die  Nahte  treten  dann  zusammen,  die  Schädelknochen 
werden  viel  dicker  und  der  Raum,  welchen  die  resorbirte  Flüssigkeit  ein- 
nahm, durch  die  neue  Knochenmasse  bedingt ,  welche  sich  an  der  innern 
Fläche  der  Knochen  ablagert.  Der  spontane  Aufbruch  des  Schädels  gibt 
einen  weniger  günstigen  Ausgang  ab,  weil  das  Gehirn  durch  den  Abfluss 
des  Wassers  dem  gewohnten  Drucke  plözlich  entzogen  wird.  —  Be- 
handlung. Sie  hat  die  Beseitigung  des  Ergusses  zur  Aufgabe,  und 
hierzu  bedient  man  sich  entweder  pharmaceutischer  oder  chirurgischer 
Mittel.  Die  pharmaceutischen  Mittel  gehören  zu  der  Klasse  jener,  welche 
im  Allgemeinen  die  Resorption  ergossener  Flüssigkeiten  bewirken,  harn- 
treibende, schweisstreibende ,  Abführmittel  und  Hautreize,  auch  Jodprä- 
parate. Die  grösste  Wirksamkeit  schreibt  man  dem  Quecksilber  und  der 
Digitalis  zu  ;  sehr  nüzlich  hat  sich  auch  die  Einreibung  von  2  Theilen 
üngt.  juniperi  und  1  Theil  Ungt.  mercuriale  in  den  abrasirten 
Kopf  erwiesen  •  daneben  Calomel ,  mit  Zusaz  von  Rheum  oder  Jalappe, 
wenn  es  an  Stuhlgang  fehlt ;  erfolgt  hierauf  keine  Besserung,  so  lässt  man 
diesem  Mittel  gelind  reizende  Bäder ,  diuretische  Mittel ,  Fontanellen  zu 
beiden  Seiten  des  Hinterhauptlochs,  oder  auf  beiden  Oberarmen  oder  rei- 
zende Einreibungen  von  Ungt.  mezerei  oder  T  a  r  t.  s  t  i  b  i  a  t.  an  den 
genannten  Stellen  folgen.  Auch  Fomentationen  des  Kopfs  mit  A  c  e  t.  s  q  u  i  1- 
1  i  t.  und  künstliche  Geschwüre  im  Nacken  sind  vortheilhaft.  Andere  empfeh- 
len Einreibungen  des  abrasirten  Kopfs  mit  Jodtinktur.  —  Unter  den 
chirurgischen  Mitteln  ist  die  Compression  und  die  Punction  zu  nennen. 
Von  lezterer  war  in  dem  Artikel  Punction  die  Rede.  Die  Compres- 
sion des  Kopfs  wird  mittels  gekleisterter  Binden ,  Heftpflasterstreifen 
etc.  ins  Werk  gesezt ;  soll  sie  aber  von  Nuzen  sein,  so  muss  sie  nach  und 
nach  in  steigendem  Masse ,  methodisch  und  lange  Zeit  hindurch  gesche- 
hen ;  sie  ist  aber  nur  anwendbar  bei  massiger  Wasseransammlung  und  so 
lange  die  Nähte  noch  nicht  vereinigt  sind.  Neben  diesem  Mittel  muss 
man  auch  kräftig  innerlich  verfahren ,  namentlich  Calomel  und  Digitalis 
reichen,  um  einer  Steigerung  der  Kopfsymptome  vorzubeugen. 

Wassergeschwulst  der  Stimmrize,  Oedema  giotti- 

dis,  Hydrops  glottidis,  auch  Angina  laryngea  oedema- 
t  o  s  a ,  besteht  in  einer  krankhaften  Infiltration  der  Ränder  der  obern 
Glottis  ,  d.  h.  der  Schleimhautfalten  zwischen  dem  Kehldeckel  und  den 
Giessbeckenknorpeln ;  nur  selten  nehmen  auch  die  Ränder  der  untern 
Glottis,  die  eigentlichen  Stimmrizenbänder,  an  der  ödematösen  Anschwel- 
lung Theil,  zuweilen  findet  man  jedoch  die  gesammte  Schleimhautausklei- 
dung des  Kehlkopfs  mit  Einschluss  der  Schleimhaut  des  Kehldeckels  an- 
geschwollen. Pitha  unterscheidet  nach  der  Verschiedenheit  der  Infil- 
tration folgende  Formen :  1 )  das  einfache  Oedem  stellt  eine  teigig- 
eindrückbare ,   unebene,   schlotternde  und  kalte  Geschwulst  dar,    welche 


WASSERGESCHWULST  DER  STIMMRIZE.  1035 

sich  in  der  Regel  langsam  chronisch  oder  subacut  und  fast  immer  nur 
sccundär  im  Gefolge  anderer  mit  Oligämie  und  Hydrämie  einhergehender 
Processe  entwickelt.  Es  kann  aber  auch  selbstständig  und  plözlich  auf- 
treten und  dann  rasch  zum  Tode  führen.  2)  Die  Infiltration  eines  ge- 
ronnenen plastischen  Exsudats,  welche  namentlich  an  der  Epi- 
glottis  vorkommt  und  einen  festen,  strozenden ,  glatten  Tumor  darstellt. 
Dieses  acut-phlegmonöse  Oedem  pflegt  ganz  selbstständig  ,  primitiv  und 
idiopathisch  aufzutreten.  3)  Die  eiterigen,  eiterig-serösen  oder 
jauchigen  Oedembildungen  an  der  Glottis  gehören  fast  ohne 
Ausnahme  secundären  pathologischen  Processen  im  Kehlkopfe  oder  in  sei- 
nen Nachbarorganen  an.  Sie  können  direct  traumatischen  oder  entfern- 
ten metastatischen  Ursprungs  sein,  im  Gefolge  typhöser,  exanthematischer, 
pyamischer ,  urämischer  oder  sonstiger  acuter  oder  chronischer  dyscrasi- 
scher  Processe ,  wie  tuberkulöser ,  syphilitischer,  krebsiger  und  scorbuti- 
scher  Geschwüre  erscheinen.  Am  häufigsten  treten  sie  bei  Typhus  ,  den 
Blattern,  Scharlach,  Masern  und  dem  wandernden  Rothlauf  und  zwar  so- 
wohl in  ihrem  Verlaufe  als  in  der  Reconvalescenz  auf.  Alle  heftigeren 
Entzündungen  der  Organe  der  Mund-  und  Rachenhöhle,  tiefe  subfasciale 
Phlegmonen  des  Halses,  Karbunkeln  im  Nacken,  Verbrennungen  des  Mun- 
des und  Halses  etc.  disponiren  durch  blosses  nachbarliches  Fortschreiten 
zu  dem  gedachten  secundären  Glottisödem.  Nicht  selten  gesellt  sich  je- 
doch dieses  furchtbare  und  heimtückische  Uebel  zu  unbedeutenden  Kehl- 
kopfs- und  RachenarTectionen ,  zu  geringen  catarrhalischen  oder  syphiliti- 
schen Geschwüren  etc.  auch  bei  sonst  gesunden  Individuen.  —  Gele- 
genheitsursachen sind  :  zufällige  Verwundungen,  grosse  Operatio- 
nen am  Halse,  in  der  Mund-  und  Rachenhöhle,  heftig  wirkende  chemische 
Agentien ,  Schlangen-  oder  Viperngift ,  Erkältungen ,  oft  ein  flüchtiger 
Luftzug,  ein  kalter  Trunk  bei  erhiztem  Körper  etc.  Diese  Ursachen 
können  das  Uebel  plözlich  oder  binnen  wenigen  Stunden  herbeiführen, 
welches  besonders  bei  Nacht  exacerbirt.  Zuweilen  ist  gar  keine  Ursache 
aufzufinden;  die  Krankheit  schleicht  ganz  allmählig  heran,  verräth  sich 
im  Beginne  durch  kein  characteristisches  Merkmal ;  der  Kranke  spürt 
zuerst  ein  leises  Hinderniss  beim  Durchtritt  der  Luft  durch  den  Kehlkopf 
und  hat  das  Gefühl ,  als  ob  hier  sich  etwas  Schleim  angesammelt  hätte, 
wovon  er  sich  durch  Räuspern  zu  befreien  denkt.  Dabei  verliert  die 
Stimme  Klang  und  Reinheit ,  die  Sprache  wird  heisser ,  auch  diese  Be- 
schwerden steigern  sich  allmählig ,  der  Husten ,  der  nur  etwas  zähen 
Schleim  ohne  Erleichterung  entleert,  wird  unwillkürlich,  das  Einathmen 
ist  von  einem  eigenthümlichen  trockenen  Geräusch  begleitet ,  die  Exspi- 
ration dagegen  ist  frei;  dabei  kann  der  Kranke  seinen  Geschäften  nach- 
gehen, ist  fieberlos  und  bei  gutem  Appetit.  Uebrigens  ist  das  Hinderniss 
im  Athmen  fortwährend,  wenn  auch* nicht  immer  in  gleichem  Grade,  zu- 
gegen. Allmählig  treten  die  eigenthümlichen  Erscheinungen  kenntlicher 
hervor,  namentlich  kommt  es  zu  Erstickungsanfällen ,    die  periodisch  auf- 


1036  WASSERGESCHWULST  DER  ST1MMR1ZE. 

treten  und  nach  ihrem  Aufhören  nur  das  Respirationshinderniss  zurück- 
lassen. Endlich  tritt  der  Tod  durch  Erstickung  aus  Hirn-  und  Lungen- 
paralyse ein.  Andere  Male  tritt  die  Krankheit,  wie  bemerkt,  plözlich  ein 
und  kann  schon  in  2  4  Stunden  den  Tod  durch  Suffocation  herbeifüh- 
ren. —  Von  grösster  Wichtigkeit  ist  die  frühzeitige  Diagnose  der 
Krankheit.  Die  plözliche  Heiserkeit,  das  Gefühl  von  Beengung  im  Halse 
und  die  Dyspnoe  zeigen  in  der  Regel  ganz  entschieden  den  Siz  der 
Krankheit  in  dem  Larynx  an.  Die  Unterscheidung  von  Croup  und 
Asthma  ist  meist  nicht  sehr  schwierig ,  namentlich  kann  die  Empfindung 
von  der  Gegenwart  eines  bewegliehen  fremden  Körpers  im  Kehlkopf  wäh- 
rend einer  Schlingbewegung  auf  die  Spur  leiten.  Lezterer  Umstand 
könnte  aber  wohl  eine  Verwechslung  mit  einem  Pseudoplasma  des  Kehl- 
kopfs veranlassen.  Den  sichersten  Aufschluss  hierüber  verschafft  man 
sich  durch  die  manuelle  Untersuchung.  Man  führt  den  Zeigefinger  über 
die  Zungenwurzel  hinab,  drückt  die  Epiglottis  an  dieselbe  und  dringt  mit 
dem  Finger  weiter  hinab  und  nach  hinten.  Dieses  kann  ohne  Anstand 
und  sehr  rasch  geschehen ,  ja  selbst  ein  längeres  Zufühlen  bringt  keinen 
Nachtheil.  Findet  man  bei  der  Untersuchung  ein  sehr  hartes  und  volu- 
minöses Oedem,  dessen  Beseitigung  man  in  kurzer  Zeit  nicht  hoffen  kann, 
so  wird  man  ungesäumt  zur  Laryngotomie  schreiten ,  ohne  mit  nuzlosen 
Mitteln  die  Zeit  zu  verlieren  ;  findet  man  hingegen  ein  lockeres,  weiches 
und  nicht  sehr  umfangreiches  Oedem,  so  wird  man  sich  vorerst  zu  ander- 
weitigen therapeutischen  Massregeln  ermuthigt  fühlen.  Daneben  darf 
die  sorgfältige  Untersuchung  der  Mund-  und  Rachenhöhle  nicht  "versäumt 
werden.  —  Die  Prognose  ergibt  sich  aus  dem  Angeführten  von  selbst. 
Es  gibt  nicht  leicht  einen  gefährlicheren  Zustand  als  ein  hochgradiges 
Glottisödem.  Besonders  berücksichtigenswerth  ist  aber  die  ausserordent- 
lich rasche ,  bisweilen  wahrhaft  fulminante  Tödtung.  Bei  übrigens  ge- 
sunden Individuen  bietet  eine  rechtzeitig  eingeschlagene ,  rationelle  und 
energische  Behandlung  relativ  günstige  Aussichten.  Das  secundäre  Oe- 
dem ist  begreiflicherweise  gefahrvoller  als  das  idiopathische ,  ein  ausge- 
dehntes Oedem  schlimmer  als  ein  theilweises,  ein  eiteriges  schlimmer  als 
in  ein  einfach  seröses  etc.  —  Die  Behandlung  betreffend,  erscheint  es  in 
prophylactischer  Hinsicht  rathsam,  namentlich  während  anginöser Epidemien 
und  bei  Personen ,  welche  sich  dem  Einflüsse  rauher ,  nasskalter  Witte- 
rung aussezen  müssen ,  auf  die  Respirationsorgane  doppelte  Aufmerksam- 
keit zu  wenden.  Die  Hauptsache  bleibt,  die  Krankheit  in  ihrem  leisesten 
Keim  zu  ersticken.  Ein  adstringirendes  Gurgelwasser ,  am  besten  aus 
Alaun,  und  ein  ableitender  Senfteig  in  den  Nacken,  vermögen  bei  gehöri- 
gem diätetischen  Verhalten  die  ersten  Anfänge  des  Uebels  zu  beseitigen. 
Steigert  sich  die  Dyspnoe  und  zeigt  die  Localuntersuchung  das  geringste 
Oedem  an  der  Glottis,  so  reiche  man  ungesäumt  ein  Brechmittel  aus  Tpe- 
cacuanha  und  vergeude  ja  nicht  die  kostbare  Zeit  mit  Blutegeln ,  Kata- 
plasmen,  Salben  u.  dgl.     Blutentziehungen  erweisen  sich  nuzlos,  in  reich- 


WATTVERBAND.  1037 

licherem  Masse  angewendet  sogar  durchaus  schädlich.  Hat  das  Oedem 
eine  bedeutende  Höhe  erreicht ,  sind  die  Brechmittel  erfolglos  geblieben, 
steigt  die  Erstickungsgefahr,  so  erübrigt  nur  noch  die  Laryngotomie 
als  äusserstes  Rettungsmittel.  Der  Erfolg  der  Laryngotomie  (welche 
man  am  besten  an  der  Stelle  des  Ligamentum  conoideum  vor- 
nimmt) hängt  vor  allem  davon  ab ,  dass  sie  nicht  in  den  späteren  Stadien 
der  Krankheit  (nach  schon  eingetretener  Lungenlähmung  etc.)  gemacht 
werde.  Dieses  vorausgesezt,  glaubt  Pitha,  dass  man  unter  allen  bisher 
bekannten  örtlichen  Mitteln  sich  etwa  nur  von  der  localen  Application  des 
salpetersauren  Silbers  auf  die  Glottis  Erfolg  versprechen  dürfe.  H.  Green, 
der  durch  dieses  Verfahren  mehrere  zum  höchsten  Grade  der  Erstickungs- 
gefahr entwickelte  Fälle  von  Glottisödem  schnell  beseitigt  haben  will,  be- 
dient sich  zu  genanntem  Zwecke  einer  concentrirten  Lösung  (2  —  3  Scru- 
pel  Argentum  nitricum  crystallisatum  auf  1  Unze  Wasser), 
welche  er  mittels  eines  gestielten  Schwammes  kräftig  auf  den  Larynx  und 
so  viel  als  möglich  in  die  Glottis  selbst  einbringt.  Schon  die  hierdurch 
constant  hervorgerufene  ausserordentlich  copiöse  Schleimsecretion  lässt 
mit  Grund  eine  rasche  Verminderung  des  Oedems  hoffen ,  wie  sie  nicht 
leicht  ein  anderes  Mittel  zu  verschaffen  vermag.  Compression  des 
Oedems  zwischen  den  Fingern  (T  h  u  1 1  i  e  r)  ,  Scarification  desselben 
(Lisfranc),  der  Catheterismus  des  Kehlkopfs  (Desault  und  Laue- 
rn a  n  d)  sind  nicht  zu  empfehlen.  Pitha  glaubt ,  dass  die  drohende 
Erlahmung  des  Nervensystems  mit  Oxygen-Einathmungen  bekämpft  wer- 
den könnte ,  auch  zur  Verminderung  oder  gänzlichen  Verdrängung  des 
Oedems  der  Aufenthalt  in  comprimirter  Luft  sich  nüzlich  erweisen  würde. 

Wasserkrebs,  s.  n  o  m  a. 

Wasserscheu,  s.  Wunden. 

Wattverband.  Dieser  von  Burggräve  herrührende  Verband 
ist  eine  Modifikation  des  Pappverbandes  (s.  diesen  Artikel).  Bei  der  An- 
legung dieses  Verbandes  beginnt  man  damit ,  das  ganze  Glied  mit  einer 
dicken,  aus  3 — 4  Blättern  gebildeten  Lage  Watte  einzuhüllen.  Hierauf 
wird  das  Glied,  während  die  Extension  und  Contraextension  von  Gehülfen 
unterhalten  wird,  auf  ein  Blatt  erweichter  Pappe  gelegt,  diese  von  beiden 
Seiten  her  streifenartig  eingerissen  und  diese  Streifen  wie  eine  1 8  köpfige 
Binde  um  das  Glied  geschlagen.  Nachdem  dies  geschehen  ist,  wird  das 
Glied  erhoben  und  das  Ganze  mit  einer  gestärkten  Rollbinde  befestigt 
und  damit  zugleich  eine  methodische  und  gleichförmige  Compression  aus- 
geübt. Die  Watte  formt  sich  ganz  gut  um  das  Glied ,  übt  eine  gleich- 
massige  Compression  aus  und  verhindert  jede  Excoriation  durch  Binden- 
falten, Krümmungen,  nicht  gefütterte  Erhabenheiten  etc.  Man  muss  aber 
die  Vorsicht  beobachten,  die  Watte  vor  ihrer  Anlegung  von  etwaigen 
fremden  Körpern  zu  befreien.  Man  verstärkt  diesen  Verband  bis  zur 
Austrocknung  mittels  trockener  Pappe   oder  hölzerner  Schienen.      Wenn 


1038  WIRBELENTZUENDUNG. 

man  ihn  durchschnitten  hat,  so  lassen  sich  die  Klappen  leicht  von  ein- 
ander entfernen ,  wobei  die  Anwesenheit  der  Watte  das  Einsinken  der 
Klappen  nach  hinten  verhindert,  was  von  ungünstiger  Einwirkung  auf  den 
hintern  Theil  des  Gliedes  wäre.  Die  Watte  wird  leichter  als  die  Binden- 
enden und  Compressen  hervorgezogen  und  ersezt,  wenn  sie  bei  complicir- 
ten  Fracturen  mit  Blut  oder  Eiter  getränkt  ist.  Man  schneidet  zu  diesem 
Behufe  gegenüber  der  Wunde  ein  Fenster  in  die  Pappe.  Statt  eines  ein- 
zigen Blatts  kann  man  auf  diese  Wattlagen  auch  zwei ,  drei  oder  vier 
Pappschienen  legen  und  sie  mit  der  Rollbinde  oder  mit  S  c  u  1 1  e  t '  sehen 
Streifen  und  dann  mit  der  Binde  festhalten.  Ausser  den  gerühmten 
Eigenschaften  dieses  Verbandes  gewährt  er  noch  den  Vortheil ,  dass  die 
elastische  Watte  beim  Abschwellen  des  Gliedes  verhindert,  dass  der  Ver- 
band zu  locker  wird  und  bei  der  Geschwulstzunahme ,  dass  Einschnürung 
erfolgt. 

Wirbelentzündung,  Spondylitis,  Spondylarthro- 
cace,  Pott'schesUebel,  MalumPotii,  Cyphosisparaly- 
t  i  c  a.  Die  Entzündung  kann  ,  wie  an  andern  Gelenken  ,  den  Bänderap- 
parat, die  Synovialhaut  oder  die  Knochen  befallen.  Die  Entzündung  der 
Bänder  als  primäre  Erscheinung ,  wo  dieselbe  nicht  im  Gefolge  von  Kno- 
chenentzündungen auftritt ,  kommt  besonders  nach  mechanischen  Ver- 
lezungen  und  Erkältungen  vor.  Synovialhautentzündungen,  die  überdies 
nur  an  den  Gelenken  der  schiefen  Fortsäze ,  wo  allein  Synovialsäcke  be- 
stehen, vorkommen  können,  sind  problematisch.  Dagegen  kommen  Kno- 
chenentzündungen und  zwar  peripherische  wie  centrale ,  namentlich  an 
den" vorherrschend  spongiösen  Brust-  und  Lendenwirbeln  ziemlich  häufig 
vor.  —  Die  gemeinschaftlichen  Erscheinungen  der  Wirbelentzündnngen 
sind  Schmerz  beim  Drucke  und  bei  Bewegungen  an  der  afficirten  Stelle 
und  Zufälle  von  Krampf  oder  Lähmungen  in  den  Muskeln,  welche  von 
der  entsprechenden  Stelle  des  Rückenmarks  ihre  Nerven  erhalten  und 
später  in  sämmtlichen  Theilen  des  Körpers ,  welche  unter  der  afficirten 
Stelle  liegen.  In  einzelnen  Fällen  fehlen  die  Schmerzen  grösstentheils, 
selbst  bei  sehr  fortgeschrittenem  Uebel.  Früher  oder  später  bemerkt 
man  einen  Vorsprung  eines  oder  mehrerer  Dornfortsäze,  was  bei  leichteren 
Graden  blos  von  einer  entzündlichen  Erweichung  der  Bänder,  in  stärkeren 
Graden  aber  von  der  Zerstörung  und  dem  dadurch  bedingten  Einsinken 
der  Wirbel  herrührt.  Dem  deutlichen  Auftreten  des  Leidens  gehen  oft 
schon  allgemeine  Symptome  hervor ,  welche  auf  dasselbe  aufmerksam 
machen  können.  Kinder,  dte  schon  gut  gehen  konnten,  verlieren  die  Lust 
dazu  ,  sind  gleich  müde,  straucheln  auf  ebener  Erde ,  fiebern,  magern  ab, 
schreien  oft  im  Schlafe ,  lassen  den  Urin  ins  Bett  gehen.  In  aufrechter 
Stellung  ziehen  sie  den  Kopf  nach  hinten  und  zwischen  die  Schultern, 
und  dies  um  so  mehr ,  je  weiter  oben  die  afficirte  Stelle  der  Wirbelsäule 
liegt.      Untersucht  man  dann  die  Wirbelsäule,  so  findet  man  einen  Punkt, 


WIRBELENTZUENDUNG.  1039 

welcher  beim  Drucke  schmerzhaft  ist.  —  Bei  Erwachsenen  wird  das  Uebel 
meistens  früher  bemerkt,  weil  sie  die  Schmerzen  in  den  kranken,  Wirbeln 
deutlich  fühlen  und  angeben.  Ist  es  einmal  zur  Eiterbildung  gekommen, 
so  schreitet  die  Zerstörung  der  Wirbel  fort ,  der  Eiter  senkt  sich ,  bildet 
Gänge  gegen  die  Oberfläche  und  bricht  endlich  nach  aussen  durch.  Mei- 
stens geht  der  Kranke  unter  solchen  Umständen  hektisch  zu  Grunde.  In 
seltenen  Fällen  hört  die  Eiterung  wieder  allmälig  auf  und  der  Kranke 
kann  unter  Fortbestand  einer  Fistel  und  häufig  mit  zurückbleibender  De- 
formität Jahre  lang  leben.  Oft  treten  die  Dornfortsäze  nicht  vor,  beson- 
ders wenn  sich  die  Zerstörung  über  eine  grosse  Strecke  der  Wirbelbeine 
verbreitet  hat.  —  Die  Ursachen  dieses  Uebels  sind:  Scropheln,  Gicht, 
Rheumatismus,  Onanie ,  äussere  Gewalttätigkeiten.  —  Die  Prognose 
ist  in  weit  fortgeschrittenen  Fällen  nicht  günstig ,  besonders  bei  schon 
anderweitig  alterirter  Constitution.  Bei  Erwachsenen  ist  die  Prognose  im 
Allgemeinen  schlimmer  als  bei  Kindern,  besonders  wenn  sich  schon  Ab- 
scesse  gebildet  haben.  —  Das  Krankheitsbild  erleidet  nach  dem  Size  der 
Entzündung  Modificationen.  Sind  die  H  al  s  wirb  e  1  befallen  (S p o  n - 
d y  1  i t i s  cervicalis),  so  kündigt  sich  die  meistens  in  dein  Gelenke 
zwischen  dem  Atlas  und  Epistropheus  sizende  Krankheit  mit  einer  schmerz- 
haften ,  des  Nachts  ,  bei  feuchter  Witterung ,  beim  Verschlingen  grosser 
Bissen  oder  auch  beim  tiefen  Einathmen  sich  vermehrenden  AfFection  des 
Halses  an.  Die  Beugung  des  Kopfs  gegen  die  Schulter  wird  schmerzhaft 
und  es  stellt  sich  ein  ziehender ,  reissender  Schmerz  im  Nacken  und  am 
Hinterhaupte  ein.  Beim  Drucke  auf  die  obersten  Halswirbel  macht  sich 
ein  heftiger  Schmerz  bemerklich.  Im  weitern  Fortgange  des  Uebels  wird 
das  Schlingen  und  Athemholen  beschwerlich,  die  Stimme  heiser,  jede  Be- 
wegung des  Kopfes  ausserordentlich  schmerzhaft.  Dieser  sinkt  auf  die 
dem  Leiden  entgegengesezte  Seite ,  in  welcher  Lage  ihn  der  Kranke  un- 
verrückt erhalten  niuss.  Die  Beschwerden  steigern  sich  immer  mehr ,  es 
stellt  sich  ein  taubes  Gefühl  der  Haut  des  Halses  und  der  Brust,  Reissen 
und  partielle  Lähmungen  in  den  Armen  ein,  und  der  Kranke  hat  das  Ge- 
fühl, als  wenn  der  Kopf  mit  einem  Reife  umschlossen  wäre.  Unter  die- 
sen Umständen  erfolgt  der  Tod  bisweilen  plözlich  ,  indem  der  von  seinen 
Ligamenten  gelöste  Processus  odontoideus  bei  irgend  einer  Be- 
wegung aus  seiner  Lage  kommt  und  das  Rückenmark  comprimirt.  Ge- 
schieht dies  allmälig,  so  kann  vollständige  Paraplegie,  Lähmung  des  gan-" 
zen  Körpers  eintreten  und  der  Kranke  noch  einige  Tage  leben.  Pflanzt 
sich  die  Entzündung  auf  die  Hirnhäute  fort,  so  entsteht  Blindheit,  Taub- 
heit, Betäubung.  Selten  entstehen  fistulöse  Oeffnungen  am  Halse.  — 
Nach  dem  Tode  findet  man  Caries  am  Hinterhauptbeine ,  am  Atlas  und 
Epistropheus  ,  die  Bänder  des  Processus  odontoideus  mehr  oder 
weniger  zerstört,  das  Rückenmark  und  die  austretenden  Nerven  entzündet  • 
zuweilen  Blutergiessungen  aus  der  angefressenen  Arteria  vertebra- 
lis,  Ergiessungen  in  die  Brusthöhle  oder  in  die  Luftröhre.  —   Der  Ent- 


1040  WIRBELENTZUENDUNG. 

ziindung  in  den  Rücken-  und  Lendenwirbeln  (Spondylitis 
dorsalis  et  lumbalis)  gehen  häufig  Fieber ,  Appetitlosigkeit ,  Eng- 
brüstigkeit ,  Aufschreien  im  Schlafe  voraus.  Es  kommt  alsdann  eine 
grosse  Schwache  der  untern  Extremitäten,  die  leidenden  Wirbel  schmerzen 
beim  Drucke,  der  Kranke  hat  das  Gefühl  eines  Reifes  um  den  Thorax. 
Es  stellen  sich  tonische  Krämpfe  in  den  untern  Extremitäten  ein ,  dazu 
kommt  später  Stuhlverhaltung  und  Incontinenz  des  Urins.  Mittlerweile 
treten  die  Dornfortsäze  nach  hinten  vor,  womit  die  Bewegungen  des  Rum- 
pfes immer  eingeschränkter  werden.  Um  den  Rumpf  im  Stehen  zu  unter- 
stüzen ,  stemmt  der  Kranke  beide  Hände  auf  die  Hüften ,  später  auf  die 
Oberschenkel.  Die  Bewegungen  der  Füsse  werden  immer  beschwerlicher, 
sie  verlieren  endlich  ihre  Empfindlichkeit  und  werden  völlig  gelähmt.  — 
Nach  dem  verschiedenen  Siz  des  Uebels  an  den  Lenden-  oder  Brustwirbeln 
haben  die  Kranken  Aufgetriebenheit  des  Unterleibs ,  Druck  im  Magen, 
Beengung  der  Respiration,  Anfälle  von  Erstickung,  Zeichen  vonPhthisis. 
Endlich  erscheinen  Eiteransammlungen  unter  dem  Schenkelbogen ,  am 
Leistenkanale ,  in  der  Nähe  des  Mastdarms,  an  den  Seiten  der  Wirbel- 
säule etc.  In  seltenen  Fällen  bahnt  sich  der  Eiter  einen  Weg  in  die 
Lungen,  in  die  Bauchhöhle,  in  einen  Darm.  —  Ausser  der  Verkrümmung 
der  Wirbelsäule  nach  hinten  kann  diese  auch  in  seltenen  Fällen  nach  der 
Seite  oder  nach  vorn  erfolgen.  —  Die  anatomische  Untersuchung  ergibt 
Caries  eines  oder  mehrerer  Wirbel.  An  der  Stelle  der  zerstörten  Wirbel 
findet  sich  ein  Eitersack,  welcher  eine  purulente  käseartige  Masse  enthält. 
In  diesem  Sacke  liegen  oft  ganz  getrennte  Knochenstücke.  Manchmal 
finden  sich  Höhlen  in  den  Wirbeln ,  welche  mit  dem  Abscesse  communi- 
ciren  und  mit  dickem  käsigen  Eiter  angefüllt  sind,  welcher  von  vielen 
Schriftstellern  für  erweichte  Tuberkel  gehalten  wird.  Die  Intervertebral- 
substanz  ist  manchmal  erhalten,  andere  Male  verschwunden,  so  dass  eine 
Höhle  zwischen  zwei  Wirbeln  besteht.  Die  Knochen  sind  oft  in  eine 
schwammige,  zerschneidbare  Masse  verwandelt.  Die  Rückenmarkshäute 
sind  geröthet  und  verdickt,  das  Rückenmark  zuweilen  erweicht,  das  Neu- 
rilem  der  austretenden  Nerven  ist  gleichfalls  verdickt.  Der  Wirbelkanal 
zeigt  sich  in  der  Regel  nicht  verengt.  —  Behandlung*  Während 
des  entzündlichen  Stadiums  sezt  man  Blutegel  oder  blutige  Schröpfköpfe 
und  reicht  innerlich  kühlende  Salze.  Mit  diesen  Mitteln  fährt  man  fort, 
so  lange  die  Wirbel  gegen  Druck  noch  empfindlich  sind.  Bei  einigem 
Nachlasse  der  Erscheinungen  geht  man  zu  Einreibungen  der  grauen  Queck- 
silbersalbe ,  hauptsächlich  aber  zu  anhaltenden  Ableitungen  durch  Fonta- 
nelle ,  Haarseile ,  Moxen  oder  das  Glüheisen  über,  welche  man  an  beiden 
Seiten  der  Wirbelsäule  applicirt.  Während  dieser  örtlichen  Behandlung 
muss  man  durch  innere  Mittel  die  allgemeine  Krankheitsursache  zu  be- 
kämpfen suchen.  Sehr  oft  muss  man  die  Kräfte  durch  China  und  eine 
gehörige  diätetische  Pflege  unterstüzen.  In  der  Regel  müssen  die  Fonta- 
nelle  sehr  lange,  1,    2  und  mehr  Jahre  unterhalten  werden.  —  Bei  Trag- 


WUNDEN.  1041 

heit  des  Darmkanals  muss  man  für  Regulirung  der  Stuhlausleerung  sor- 
gen ,  wozu  mitunter  reizende  Mittel ,  wie  Aloe,  Coloquinthen  etc.  nöthig 
werden.  Harnverhaltung  kann  die  Anwendung  des  Catheters  nöthig 
machen.  —  Kommt  es  zur  Abscessbildung ,  so  gelingt  es  zuweilen ,  den 
Abscess  durch  Anwendung  kräftiger  Ableitungsmittel  zur  Zertheilung  zu 
bringen,  Gelingt  dies  nicht,  so  halte  man  dessen  Eröffnung  so  lange  als 
möglich  auf  und  erfolgt  der  Aufbruch,  so  unterstüze  man  die  Kräfte  durch 
gute  Pflege ,  reine  Luft  und  stärkende  Mittel.  S.  auch  den  Artikel 
Senkungsabscess.  —  Bei  der  Bänderentzündung,  Spondy- 
litis fibrosa,  welche  sich  gleichfalls  durch  Schmerzhaftigkeit  beim 
Drucke  zu  erkennen  gibt,  aber  geringere  Nervensymptome  zu  zeigen 
pflegt,  hilft  das  wiederholte  Ansezen  von  Blutegeln.  Nicht  selten  beob- 
achtet man  in  Folge  dieser  Entzündung  eine  Krümmung ,  namentlich  der 
Halswirbel,  gegen  welche  die  Orthopädie  nichts  mehr  vermag. 

Wunde,  Vulnus,  Trauma,  nennt  man  eine  durch  mechanische 
Gewalt  plözlich  entstandene  Trennung  organischer  Theile  mit  gleichzeiti- 
ger Trennung  der  allgemeinen  Bedeckungen. 

A.  Von  den  Wunden  im  Allgemeinen.  Man  theilt  die 
Wunden  ein:  1)  nach  der  verschiedenen  Richtung,  Tiefe  und  Form  in 
Längen-,  Quer-  und  schiefe  Wunden,  je  nachdem  dieselben  mit 
der  Längenachse  des  Körpers  parallel  laufen,  oder  diese  in  einem  rechten 
Winkel  oder  schief  durchschneiden ;  - —  oberflächliche,  tiefe  und 
durchdringende,  penetrirende  Wunden;  leztere  sind  solche, 
welche  in  eine  Körperhöhle  dringen.  —  Regelmässig  nennt  man  die 
Wunde,  wenn  die  Ränder  und  Winkel  eben,  glatt  und  in  einer  bestimm- 
ten Richtung  verlaufend  sind ,  unregelmässig,  wenn  die  gegenthei- 
ligen  Verhältnisse  stattfinden.  —  Lappenwunden  sind  solche ,  wenn 
ein  getrennter  Theil  noch  an  einer  Seite  mit  dem  Körper  zusammenhängt  ; 
Wunden  mit  Substanzverlust,  wenn  ein  Theil  gänzlich  vom  Kör- 
per abgetrennt  ist.  —  2)  Nach  der  Verschiedenheit  der  verlezenden 
Werkzeuge  —  in  Schnitt-  und  Hiebwunden,  wenn  scharfe,  —  in 
Stichwunden,  wenn  spize  Instrumente ,  ■ —  in  Schusswunden, 
wenn  Wurfgeschosse,  und  in  gerissene  und  gequetschte  Wunden, 
wenn  stumpfe  Körper  die  Trennung  veranlasst  haben.  3)  Nach  der  Zeit- 
dauer in  frische  Wunden,  die  noch  bluten  und  noch  nicht  entzün- 
det sind  und  in  entzündete  und  eiternde  Wunden.  4)  Nach  dem 
Fehlen  oder  der  Anwesenheit  von  anderweitigen  krankhaften  Zuständen 
in  einfache  und  zus  ammengesezte  oder  compli  cirte  Wunden. 
Die  Complicationen  sind  theils  örtlich,  z.  B.  die  Gegenwart  eines  fremden 
Körpers  oder  eines  Giftes  in  der  Wunde,  die  Unregelmässigkeit  der  mecha- 
nischen Wundverhältnisse ,  die  Eröffnung  von  Körperhöhlen  etc. ,  theils 
allgemein,  z.  B.  eine  Dyscrasie.  —  5)  Nach  der  Gefahr  für  die  Gesund- 
heit oder  das  Leben  in  tödtliche  und  nichttödtliche  Wunden. 
Burger,  Chirurgie.  QQ 


1042  WUNDEN. 

Die  tödtlichen  Wunden  sind  entweder  unbedingt  tödtliche  (V  u  1  - 
nera  absolute  lethalia),  d.h.  unter  allen  Umständen  tödtlich,  oder 
bedingt  tödtliche  (Vulnera  per  accidens  lethalia),  wo  der 
Tod  durch  Mangel  an  nöthiger  oder  zweckmässiger  Kunsthülfe,  oder  in 
Folge  einer  eigenthümlichen  Körperbeschaffenheit,  oder  durch  ungünstige 
äussere  Umstände  etc.  herbeigeführt  wird.  —  Die  nicht  tödtlichen  Wun- 
den zerfallen  in  solche ,  welche  vollkommen  heilbar  sind ,  und  in 
solche,  welche  nur  unvollkommen  geheilt  werden,  so  dass  der  Ver- 
lezte  irgend  einen  bleibenden  Schaden  (Damnum  permanens)  zu- 
rückbehält. —  6 )  Nach  dem  verlezten  Organe  oder Theile  in  —  Haut-, 
Muskel-,  Sehnen-,  Nerven-,  Gefäss-,  Knochen  wunden ;  — 
Kopf-,  Hals-,  Brust-,  Bauchwunden,  Wunden  der  Extremi- 
täten. — -  Symptome.  Die  bei  Verwundungen  vorkommenden  Er- 
scheinungen sind  im  Allgemeinen :  Schmerz,  Blutung,  Klaffen  der  Wund- 
ränder, Fieber  und  Nervenzufälle.  —  Der  Schmerz  ist  im  Anfang  be- 
dingt durch  die  Verlezung  der  Nerven ,  später  durch  die  hinzutretende 
Entzündung.  Er  ist  verschieden  nach  der  Art  der  Trennung ,  nach  dem 
Nervenreichthum  des  verlezten  Theils  und  nach  der  Empfindlichkeit  des 
Verlezten.  —  Die  Blutung  ist  nach  der  Art  der  Trennung  und  nach 
der  Grösse  und  Menge  der  verlezten  Gefässe  mehr  oder  weniger  bedeu- 
tend. —  Das  Klaffen  der  Wunde  ist  bedingt  zuerst  durch  das  Ein- 
dringen des  verlezenden  Instruments  und  dann  durch  die  Elasticität  und 
Contractilität  der  verlezten  Theile ;  es  ist  stärker,  wenn  diese  im  Augen- 
blicke der  Verwundung  in  Spannung  waren  und  nach  der  Verlezung  ge- 
reizt wurden.  —  Die  Entzündung  ist  das  Product  der  organischen 
Reaction ,  hervorgerufen  durch  den  Wundreiz.  Sie  gibt  sich  durch  An- 
schwellung, Röthe,  Trockenheit,  Hize  der  Wunde  und  vermehrten  Schmerz 
zu  erkennen.  Nach  dem  Grade  der  Verwundung ,  der  Constitution  des 
Verwundeten  und  der  Empfindlichkeit  des  verlezten  Theils  ist  diese  Reac- 
tion mehr  oder  weniger  heftig  und  erzeugt  nach  Massgabe  dieser  Um- 
stände Fieber,  Wundf  ieb  er  (F  e  bris  träum  ati  ca)  ,  welches  sich 
durch  Frost  mit  nachfolgender  Hize  und  schnellem  Pulse ,  durch  Durst 
und  Mangel  an  Appetit  kund  gibt.  Dieses  Fieber  steht  immer  in  geradem 
Verhältniss  mit  der  Entzündung  der  Wunde.  —  Die  Nervenzufälle, 
welche  sich  zu  Wunden  gesellen,  können  sein :  heftiger  Schmerz,  der  mit 
der  Entzündung  der  Wunde  nicht  im  Verhältniss  steht,  Unruhe,  Schlaf- 
losigkeit, Irrereden,  Krämpfe,  Zuckungen  etc.  Die  gewöhnlichsten  Veran- 
lassungen zu  diesen  Zufällen  sind :  eine  erhöhte  Reizbarkeit  des  ganzen 
Körpers  oder  des  verlezten  Theils,  Druck,  Dehnung,  Zerrung  von  Nerven, 
Verlezung  solcher,  so  wie  von  Aponeurosen  und  sehnigen  Gebilden,  fremde 
Körper  in  der  Wunde ,  angesammelter  schlechter  Eiter ,  schlechte  Ho- 
spitalluft ,  nasskalte  Witterung ,  Gemüthsbewegungen,  Diätfehler  etc.  — 
Vorgänge  bei  der  Heilung  der  Wunden.  Die  Heilung  der 
Wunden  geschieht  im  Allgemeinen  auf  eine  zweifache  Weise :   durch  di- 


WUNDEN.  1043 

recte  oder  indirecte  Vereinigung.      Die  directe  Vereinigung  kann  nur  ge- 
lingen ,   wenn  die  Wundentzündung  nicht  zu  stark  wird  (sogenannte  a  d  - 
häskve  Entzündung)   und   die   Wundränder   gut  aneinander  gelegt 
sind.      In   diesem  Falle   tritt   die  Heilung  schnell   ein ,    die  Wunde  klebt 
schon  in  den  ersten  2  4  Stunden  zusammen  und  verwächst  in  den  folgen- 
den Tagen,  weshalb  diese  Vereinigung  die  schnelle  oder  unmittel- 
bare  (ßeunio   per  primam   intentionem)  genannt  wird.      Der 
Vorgang  ist  dabei  folgender :    aus   den  mit  einander  in  Berührung  ge- 
brachten Wundrändern  schwizt  eine  geringe  Menge  Blutflüssigkeit  (Blut- 
plasma ,   plastische  Lymphe) ,   welche  die  beiden  Wundränder  zusammen- 
klebt ,   was  bei  kleinen  Wunden  schon   in  wenigen   Stunden  zu  Stande 
kommt.    Diese  Verbindung  der  Wundflächen  untereinander  ist  noch  keine 
organische  ;  sie  wird  dies  erst  durch  die  Entwicklung  von  neuen  Gef  ässen, 
welche  die  Continuität  und  Circulation  zwischen  den  Wundflächen  wieder 
herstellen.  —   Die  indirecte  Vereinigung  pflegt  einzutreten,  wenn  die  Ent- 
zündung in  der  Wunde  bedeutend  wird,  oder  ihre  Flächen  nicht  vereinigt 
sind,  was  häufig  bei  tiefen  Wunden  und  immer  bei  Wunden  mit  Substanz- 
verlust der  Fall  ist.      Es   kommt  dann  zur  Eiterung ,   Granulations  -   und 
Narbenbildung,    und  wird   dieser  Vorgang  Heilung    durch  Eiterung 
und  Vernarbung    oder   mittelbare   Vereinigung    (ßeunio 
per  secundam  intentionem,  per  granulationem  s.  suppu- 
rationem)  genannt.      Hierbei  sickert  nach  dem  Aufhören  der  Blutung 
zuerst  eine  röthliche  Flüssigkeit  aus ,   welche  vertrocknet  und  die  Wunde 
bedeckt  und  unter  Anschwellung  und   spannendem  Schmerze  einer  blas- 
sen ,    allmälig   weisslich   und  gelblich  werdenden  Flüssigkeit  Plaz  macht, 
welche  sich  als  wirklicher  Eiter  ausweist.    Unter  diesem  Secret  sieht  man 
ein  zartes  Häutchen ,   unter  welchem  hinwiederum  sich  weiche ,   empfind- 
liche, leicht  blutende  Fleischwärzchen  entwickeln,  welche,  indem  sie  sich 
immer  weiter  ausbreiten ,   die  Wunde   ausfüllen  und  schliesslich  fest  und 
trocken  werden  und  damit  die  sogenannte  Narbe  darstellen.      S.  auch 
die  Artikel  A  b  s  c  e  s  s  und  Eiter.  —  Prognose.     Bei  dieser  kommen 
in  Betracht :   die  Wunde   selbst ,   die  Beschaffenheit  des  verlezten  Theils, 
das  Alter,   die  Constitution  und  die  Lebensverhältnisse  des  Verwundeten. 
—   Reine  Trennungen  heilen  leichter  und  schneller,   als  solche,  die  mit 
Quetschungen  verbunden  sind.     Die  fistulöse  Form  der  Wunde  kann  Sen- 
kungen und  Stockungen   des  Eiters   veranlassen.      Bei  der  Anwesenheit 
von  fremden  Körpern  hängt  die  Prognose  von  der  Möglichkeit  ab ,   diese 
zu  entfernen.     Bei  jungen  gesunden  Subjecten  heilen  die  Wunden  besser 
als  bei  alten  cachectischen  Personen,  bei  welchen  sich  die  Wunden  häufig 
in  Geschwüre  verwandeln ,   die  den  Charakter  der  allgemeinen  Krankheit 
haben.      Je  wichtiger  der  verwundete  Theil  ist,  je  bedeutender  sein  Ein- 
fluss  auf  das  Befinden  des  ganzen  Organismus ,   um  so   gefährlicher  sind 
seine  Verlezungen.   Je  vortheilhafter  die  Aussenverhältnisse  des  Kranken, 
je  besser  die  Gemüthsstimmung  desselben,  je  zeitiger  und  besser  die  Kunst 

ß6* 


1044  WUNDEN. 

zu  Hülfe  kommt,  desto  besser  ist  die  Prognose  zu  stellen.  —  Unter  dem 
Einflüsse  verschiedener  ungünstiger  Verhältnisse  können  im  Verlaufe  der 
Wunden  verschiedene  Zufälle  eintreten,  wie  heftige  Entzündung,  pro- 
fuse Eiterung,  Blutung,  Venenentzündung,  Eiterresorption,  die  Folgen 
der  Eesorption  giftiger  Stoffe ,  Starrkrampf  u.  s.  w.  —  Kommt  eine 
Wunde  nicht  zur  Heilung ,  sondern  besteht  sie  als  Eiter  absondernde 
Fläche  fort,  so  wird  sie  zu  einem  Geschwür  oder  zu  einer  Fistel.  — 
Ueberhäutet  sich  eine  Wunde,  ohne  dass  Vereinigung  der  Trennung  statt- 
findet, oder  ein  Substanzverlust  ersezt  wird ,  so  bleibt  eine  Spalte  oder 
ein  Defect.  —  Behandlung  der  Wunden.  Vor  Allem  muss  die 
Wunde  genau  untersucht,  die  Blutung  gestillt  und  müssen  fremde  Körper 
entfernt  werden.  Ist  dies  geschehen ,  so  wird  die  Heilung  der  Wunde 
nach  den  vorhandenen  Wundverhältnissen  durch  schnelle  Vereinigung 
oder  durch  Eiterung  herbeizuführen  gesucht ,  und  den  sich  einstellenden 
Zufällen  begegnet.  —  Durch  die  Untersuchung  der  Wunde  ver- 
schafft man  sich  nicht  allein  Aufschluss  über  die  Gestalt ,  Richtung  und 
Tiefe  der  Wunde ,  sondern  auch  über  die  Beschaffenheit  der  verlezten 
Theile  und  die  Gegenwart  fremder  Körper.  Sie  geschieht  mittels  des 
Fingers  oder  der  Sonde ,  und  zwar  so  früh  als  möglich.  Die  erstere 
Untersuchungsart  ist ,  wenn  es  die  Umstände  erlauben ,  vorzuziehen ,  weil 
sie  sicherer  und  weniger  schmerzhaft  ist.  Bei  jeder  Untersuchung  gibt  man 
dem  verwundeten  Theile  die  Lage,  in  der  er  sich  während  des  Acts  der  Ver- 
wundung befand ,  und  verfährt  dabei  möglichst  schonend.  Findet  man 
fremde  Körper ,  so  entfernt  man  sie  mit  einem  Schwämme  oder  den  Fin- 
gern, und  wenn  dies  nicht  ausreicht,  mit  geeigneten  Instrumenten  auf  eine 
schonende  Weise.  Zuweilen  kann  hierbei  eine  Erweiterung  der  Wunde 
nöthig  sein.  —  Die  Blutung  ist  entweder  unbedeutend,  hört  nach  eini- 
ger Zeit  von  selbst  auf,  kann  durch  kaltes  Wasser ,  durch  einen  leichten 
Druck  gestillt  werden,  oder  diese  Mittel  reichen  nicht  aus,  sei  es  weil  ein 
grösseres  Gef  äss  verlezt ,  oder  eine  besondere  Disposition  zu  Blutungen 
vorhanden  ist ,  und  es  muss  die  Blutstillung  auf  anderem  Wege  versucht 
werden.  S.  den  Art.  blutstillende  Mittel.  —  Die  weitere  Be- 
handlung richtet  sich  nach  der  Wundbeschaffenheit.  Die  schnelle  Ver- 
einigung ist  die  beste  Art  der  Behandlung,  und  zu  versuchen,  wenn  die 
Wundränder  in  unmittelbare  Vereinigung  gebracht  werden  können,  wenn 
keine  fremden  Körper  in  der  Wunde  zurückgeblieben  sind ,  und  wenn 
nicht  Verwundungen  tiefer  liegender  Theile  ein  Offenbleiben  der  äussern 
Wunde  erheischen.  Bei  grösseren  Wunden  kann  man  versuchen,  wenig- 
stens einen  Theil  derselben  durch  schnelle  Vereinigung  zu  schliessen.  — 
Um  die  schnelle  Vereinigung  herbeizuführen ,  reinigt  man  die 
Wunde,  wartet  das  Aufhören  der  Blutung  ab  und  bringt  die  Wundränder 
in  möglichst  genaue  unmittelbare  Berührung.  Die  Mittel,  welche  man 
in  dieser  Absicht  anwendet ,  sind :  eine  passende  Lagerung  des  verlezten 
Theils,  klebende  Pflaster,  Collodium,  Nähte  und  Binden.    In  den  meisten 


WUNDEN.  1045 

Fällen  werden  mehrere  dieser  Mittel  zugleich  angewendet.  —  Die  Lage- 
rung des  verlezten  Theils  muss  eine  solche  sein ,  dass  die  bei  der  Ver- 
lezung  interessirten  Muskeln  erschlafft  sind ;  man  bringt  daher  bei  Quer- 
wunden an  der  Extensionsseite  das  Glied  in  eine  gestreckte ,  bei  Quer- 
wunden an  der  Beugeseite  in  eine  gebogene  Lage.  Die  Lage  des  ver- 
lezten Theils  dient  in  der  Regel  nur  zur  Unterstüzung  der  anderweitigen 
Vereinigungsmittel.  —  Der  klebenden  Pflaster  bedient  man  sich 
theils  zur  Unterstüzung  der  blutigen  Naht ,  theils  für  sich  bei  leicht  zu 
vereinigenden  Wunden ,  wenn  die  Localität  ihre  Anwendung  gestattet. 
Die  Vereinigung  mit  Pflastern  nennt  man  die  trockene  Naht.  Bei 
grösseren  Wunden  bedient  man  sich  des  Heftpflasters,  bei  ganz 
kleinen,  oberflächlichen  des  englischen  Pflasters.  Bei  der  An- 
wendung des  Heftpflasters  legt  man,  nachdem  die  Umgebung  der  Wunde 
von  Haaren  befreit  und  sorgfältig  abgetrocknet  worden  ist,  das  eine  Ende 
eines  gehörig  langen  Streifens  in  einiger  Entfernung  von  der  Wunde  an, 
zieht  ihn,  während  man  die  Wundränder  in  möglichst  genaue  Berührung 
bringt ,  über  die  Wunde  weg  und  klebt  sein  anderes  Ende  auf  der  ent- 
gegengesezten  Seite  an.  Den  ersten  Streifen  legt  man  über  die  Mitte 
der  Wunde  ,  die  übrigen  neben  jenen ,  bis  die  Wunde  bedeckt  ist.  Bei 
Längenwunden  der  Extremitäten  kann  man  auch  die  Mitte  eines  gehörig 
langen  Streifens  gegenüber  der  Wunde  anlegen  und  die  beiden  Enden 
über  der  Wunde  kreuzen.  Man  kann  die  Pflaster  frei  lassen,  oder  aber 
mit  Charpie,  einer  Compresse  und  Binde  bedecken.  —  Wo  Pflaster  nicht 
gut  anzubringen  sind,  namentlich  bei  fast  abgetrennten  vorragenden  Kör- 
pertheilen ,  kann  man  sich  des  Collodiums  bedienen.  Auch  in  Streifen- 
form bei  grösseren  Wunden  kann  man  das  Collodium  anwenden ,  wo  es 
den  Vortheil  gewährt ,  dass  es  durch  nasse  Umschläge  nicht  losgelöst 
wird.  —  Man  lässt  die  Heftpflaster  5 — 8  Tage  liegen,  worauf  man  sie 
vorsichtig  von  beiden  Enden  aus  gegen  die  Wunde  zu  löst  und  dann 
durch  frische ersezt.  —  Die  blutige  Naht  (Sutura  cruenta)  findet 
ihre  Anwendung  bei  Wunden,  bei  denen  es  auf  eine  sehr  genaue  Vereini- 
gung mit  geringer  Narbe  ankommt,  daher  an  Körpertheilen,  die  entblösst 
getragen  werden,  bei  stark  klaffenden  Wunden,  bei  bedeutenden  Lappen- 
wunden, endlich  bei  Wunden  solcher  Körpertheile ,  die  ihrer  Beschaffen- 
heit wegen  keine  andere  Vereinigung  zulassen.  Ueber  die  Ausführung 
dieser  Vereinigungsart  s.  den  Art.  Naht.  —  Die  vereinigenden 
Binden  (Fasciae  unientes)  sind  als  Vereinigungsmittel  von  unter- 
geordnetem Werthe  und  dienen  meistens  nur  zur  Unterstüzung  der  übri- 
gen Verbandmittel.  S.  den  Art.  Binden.  —  Gelingt  die  schnelle  Ver- 
einigung der  Wunde  nicht ,  oder  kann  und  darf  dieselbe  nicht  ins  Werk 
gesezt  werden ,  so  tritt  Eiterung  der  Wunde  und  Heilung  durch 
Granulationsbildung  ein.  Eine  solche  Wunde  bedeckt  man,  nach- 
dem sie  vom  Blute  gereinigt  ist ,  mit  Charpiebäuschchen ,  die  mit  einer 
milden  Salbe  bestrichen  oder  mit  Oel  oder  lauem  Wasser  befeuchtet  wor- 


1046  WUNDEN. 

den  sind ,  befestigt  diese  mit  Heftpflasterstreifen  und  legt  darüber  eine 
Compresse  und  Binde.  Am  4.  oder  5.  Tage,  bis  wohin  sich  die  Charpie 
vom  Eiter  durchdrungen  zeigt,  erneuert  man  den  Verband,  was  spater, 
nach  Massgabe  der  Eiterung,  täglich  1 — 2  Mal  zu  geschehen  hat.  Bei 
der  Abnahme  des  ersten  Verbandes  verfahre  man  vorsichtig  und  gelinde, 
weiche  ihn  sorgfältig  los ,  und  versuche  nicht  das  noch  Festsizende  mit 
Gewalt  zu  entfernen.  Befinden  sich  Ligaturen  oder  blutige  Hefte  in  der 
Wunde,  so  bedeckt  man  diese  mit  einem  mit  Bleicerat  bestrichenen  Lein- 
wandläppchen und  legt  darüber  Charpie ,  um  jene  bei  der  Abnahme  des 
Verbandes  nicht  zu  gefährden.  Wenn  sich  keine  besondern  Zufälle  ein- 
stellen ,  so  wird  auf  diese  Weise  fortverbunden ,  bis  die  Wunde  geheilt 
ist.  Ein  massiger  Grad  von  Entzündung  gehört  immer  zu  guter  Eiterung 
und  Granulation.  Ist  dieser  zu  gering,  hat  die  Wunde  ein  blasses  Aus- 
sehen, so  bestreicht  man  die  Charpie  mit  reizenden  Salben,  z.  B.  Ungt. 
digestivum,  elemi,  basilicum,  oder  tränkt  sie  mit  einem  Cha- 
milleninfus  ,  China-  oder  Weidenrindendecoct ,  und  reicht  eine  nahrhafte 
Diät.  Bei  zu  hohem  Entzündungsgrade,  wo  die  Wunde  trocken  und  ihr 
Umfang  geschwollen  ist,  entferne  man  alles  Reizende,  bedecke  die  Wunde 
mit  milden  Salben  und  erweichenden  Cataplasmen,  lasse  eine  magere  Diät 
geniessen  und  reiche  ausleerende  Mittel.  Ueppige  Granulationen  be- 
streicht man  mit  Höllenstein  und  legt  einen  etwas  comprimirenden  Ver- 
band an.  —  Fieber  (Wundfieber)  ist  keine  seltene  Erscheinung 
bei  Wunden  ;  in  vielen  Fällen  erfordert  es  keine  besondere  Be- 
handlung ;  nur  wenn  es  sehr  lebhaft ,  der  Patient  vollblütig ,  und  be- 
sonders wenn  die  Verwundung  ein  wichtiges  Organ  betrifft ,  muss  man 
durch  allgemeine  Blutentziehungen  einer  heftigen  Wundentzündung  vor- 
zubeugen suchen ;  daneben  gibt  man  innerlich  Nitrum  und  abführende 
Salze  und  ordnet  eine  magere  Diät  an.  Nimmt  das  Fieber  im  späteren 
Verlaufe  der  Eiterung,  indem  diese  profus  wird,  den  Character  eines  hec- 
tischen  an,  so  müssen  die  sinkenden  Kräfte  durch  stärkende  Mittel,  China, 
Kalmus,  Wein,  gute  Kost  und  reine  Luft  gehoben  werden.  —  Zuweilen 
werden  Verwundete  von  heftigen  Frostanfällen  heimgesucht,  welche  nicht 
der  Anfang  des  gewöhnlichen  Wundfiebers  sind  und  mit  dem  Entzün- 
dungszustande der  Wunde  nicht  in  Verbindung  stehen.  Dieses  Fieber, 
welches  meistens  den  Uebergang  von  Eiter  in  die  Blutmasse  anzeigt,  ist 
unter  dem  Namen  des  Febris  traumatica  intermittens,  perni- 
ciosa, auch  traumatico-pyaemica  bekannt.  S.  das  Nähere 
darüber  in  dem  Art.  P  y  ä  m  i  e. 

B.  Voneinigen  bes  ondern  Wun  df  ormen  undWund- 
complicationen.  1)  Schnitt-  und  Hiebwunden.  — 
Schnittwunden,  Vulnera  incisa,  sind  solche ,  welche  durch 
scharfe  schneidende  Instrumente,  die  in  einem  sägef orangen  Zuge  geführt 
werden,  hervorgebracht  werden ;  Hiebwunden,  Vulnera  caesim 
facta,    werden  durch  gleiche  Instrumente,   die  durch  Druck  wirken,   er- 


WUNDEN.  1047 

zeugt.  —  Die  Wundränder,  Flächen  und  Winkel  sind  bei  dieser  Art  von 
Trennung  am  regelnlässigsten ,  am  wenigsten  gerissen  und  gequetscht, 
und  zwar  um  so  weniger ,  je  schärfer  das  verlezende  Instrument  war  und 
je  mehr  dasselbe  durch  Zug  gewirkt  hat.  —  Behandlung.  Diese 
Wunden  eignen  sich  am  besten  zur  schnellen  Vereinigung  und  gilt  hier- 
über das  oben  Gesagte.  Nur  in  Betreff  einiger  besondern  Wundformen 
ist  eine  weitere  Auseinandersezung  nöthig.  —  Bei  Lappen  wunden 
muss  der  immer  etwas  in  sich  zusammengezogene  Lappen  durch  einen 
gehörigen  Druck  gedehnt ,  mit  der  Wundfläche  in  Berührung  gehalten 
werden.  Zu  seiner  Befestigung  sind  Nähte  und  Heftpflaster  erforderlich. 
Befindet  sich  an  dem  Fleischlappen  ein  Knochenstück,  so  schält  man  die- 
ses vor  der  Anheftung  aus.  —  Bei  der  theilweisen  oder  vollständigen 
Abtrennung  von  Körpertheilen ,  wie  Finger,  Ohren,  Nasenspize  etc.  kann 
nach  völlig  gestillter  Blutung  deren  Wiederanheilung  mittels  Kleb- 
pflastern ,  Collodium  oder  der  blutigen  Naht  versucht  werden.  Den  an- 
gehefteten Theil  und  seine  Umgebung  hüllt  man  in  Baumwolle  ein.  — 
2)  Stichwunden,  Vulnera  punctoria,  puncta,  sind  solche, 
die  mit  schmalen  spizigen  Instrumenten  beigebracht  werden.  Sie  zeigen 
eine  verschiedene  Beschaffenheit ,  je  nachdem  das  verlezende  Instrument 
nur  stechend  oder  zugleich  auch  durch  scharfe  Eänder  schneidend  wirkt. 
Im  erstem  Falle  werden  nur  die  der  Spize  entgegenstehenden  Theile  ge- 
trennt, die  angrenzenden  verdrängt,  wobei  durch  das  Eindringen  des  dik- 
keren  Theils  des  verlezenden  Gegenstandes  (welcher  ebenso  gut  ein  Pfahl, 
das  Hörn  eines  Thiers  etc.,  wie  ein  Werkzeug  sein  kann)  mehr  oder  we- 
niger Dehnung  und  Zerrung  hervorgebracht  wird.  Im  leztern  Falle  ist 
die  Trennung  so  rein ,  wie  durch  Schnitt.  —  Die  Stichwunden  sind  im 
Allgemeinen  gefährlicher  als  die  Schnittwunden;  ihre  Untersuchung  ist 
schwieriger ;  bei  tieferem  Eindringen,  besonders  solcher  Instrumente,  die 
zugleich  scharf  sind,  sind  häufig  wichtige  Gebilde,  Nerven,  Gef  ässe  oder 
Eingeweide  verlezt  und  ausgebreitete  Entzündungen,  Eiterungen  und  Ei- 
teranhäufungen sind  zu  befürchten.  —  Die  Behandlung  der  Stich- 
wunden muss  sich  nach  ihrer  Beschaffenheit  richten.  Beine  einfache 
Wunden  schliesst  man  sorgfältig,  nachdem  man  das  Blut  ausgedrückt 
hat ,  und  lässt  den  verlezten  Theil  ruhig  halten.  Wird  die  Entzündung 
zu  heftig ,  so  zieht  man  Blutegel  und  Kälte  in  Gebrauch.  Eitert  der 
Stichkanal ,  so  bedeckt  man  die  Wunde  mit  einem  Charpiebausch ,  legt 
darüber  ein  erweichendes  Cataplasma  und  begünstigt  den  Abfluss  des  Ei- 
ters durch  eine  zweckmässige  Lagerung.  Kann  der  Eiter  nicht  gehörig 
abfliessen  und  sammelt  er  sich  in  der  Tiefe,  so  muss  nach  Beschaffenheit 
der  Umstände  die  äussere  Oeffnung  erweitert,  eine  Gegenöffnung  angelegt 
oder  der  ganze  Stichkanal  gespalten  werden.  —  Die  Erweiterung  der 
Stichwunden  kann  nöthig  werden  wegen  der  Anwesenheit  von  fremden 
Körpern  in  der  Wunde,  wenn  die  Enge  der  Oeffnung  das  Einführen  fas- 
sender Instrumente  nicht  gestattet ;   bei  Blutungen,  die  sich  durch  Druck 


1048  WUNDEN. 

nicht  stillen  lassen,  behufs  der  Aufsuchung  und  Unterbindung  des  bluten- 
den Gefässes  ;  bei  Verlezungen  von  Fascien,  um  deren  Spannung  bei  der 
eintretenden  Entzündung  zu  verhüten.  Bei  partiellen  Nervenverlezungen, 
die  oft  schlimme  Zufälle  im  Gefolge  haben ,  wie  Lähmung  des  verlezten 
Nervens,  Verlust  der  Bewegung  und  des  Gefühls,  Neuralgie,  räth  man,  den 
betroffenen  Nerven  zu  durchschneiden ,  was  aber  nicht  immer  gut  auszu- 
führen ist ;  in  diesem  Falle  hat  man  sich  meistens  auf  eine  strenge  Anti- 
phlogose  in  Verbindung  mit  narkotischen  Mitteln,  besonders  Calomel  mit 
Opium  innerlich  und  örtlich  auf  narkotische  Cataplasmen  zu  beschränken. 
—  3)  Gerissene  und  gequetschte  Wunden.  Gerissene 
Wunden,  Vulneralacerata,  sind  solche,  wo  die  Theile  in  Folge 
der  gewaltsamen  Einwirkung  eines  stumpfen  Gegenstandes  vor  der  wirk- 
lichen Trennung  den  höchsten  Grad  von  Ausdehnung  erlitten  haben. 
Gequetschte  Wunden,  Vulnera  quassata,  contusa  sind 
solche,  wo  durch  die  stumpf  einwirkende  Gewalt  zugleich  eine  Quetschung 
der  betroffenen  Theile  statt  gefunden  hat.  —  Diese  Wunden  zeigen 
immer  eine  unregelmässige  Form;  ihre  Ränder  sind  meist  eckig,  zackig, 
lappig,  die  W^undflächen  ungleich  und  die  Trennung  der  Gewebe  hat 
nach  verschiedenen  Richtungen  hin  stattgefunden.  Durch  die  Quetschung 
und  Ausdehnung  haben  die  Theile  ihre  Empfindlichkeit  und  Contractilität 
mehr  oder  weniger  eingebüsst ,  daher  schmerzen  diese  Wunden  im  An- 
fange wenig,  der  Kranke  empfindet  mehr  ein  Gefühl  von  Stumpfheit,  und 
die  Wundränder  klaffen  verhältnissmässig  wenig.  Die  Blutung  aus  den 
Wundflächen  ist  in  der  Regel  gering ,  selbst  bei  Verlezungen  grösserer 
Gef  ässe ;  die  Wundränder  sind  meist  sugillirt.  Mit  der  später  eintreten- 
den Reaction  steigern  sich  die  Symptome  der  Entzündung,  Schmerz  und 
Geschwulst  werden  bedeutend.  Die  Entzündung  hat  eine  grosse  Neigung 
zur  Eiterung  und  zu  brandiger  Zerstörung ,  welche  leztere  um  so  rascher 
eintritt ,  je  mehr  die  Theile  in  ihrer  Vitalität  getrübt  wurden.  —  Be- 
handlung. WTenn  die  Theile  nicht  zu  sehr  gequetscht  sind,  so  kann 
man  immerhin  die  schnelle  Vereinigung  der  Trennungen  versuchen,  indem 
man  die  Wundränder  durch  Heftpflaster  einander  nähert ;  es  darf  dies 
aber  nicht  auf  gewaltsame  Weise  geschehen,  um  die  Reaction  der  Wunde 
nicht  noch  höher  zu  steigern.  Ist  Eiterung  zu  vermuthen ,  so  verbindet 
man  einfach  mit  Charpie,  wendet  kalte  Umschläge  an,  und  wenn  die  Ent- 
zündung sehr  stark  zu  werden  droht ,  so  macht  man  örtliche  oder  auch 
allgemeine  Blutentziehungen  und  leitet  eine  innere  entsprechende  Be- 
handlung ein,  bis  die  Heftigkeit  der  Entzündung  gebrochen  und  eine 
gute  Eiterung  eingetreten  ist.  Erfolgt  Brand,  so  wird  er  nach  allgemei- 
nen Grundsäzen  behandelt.  Fast  gänzlich  abgetrennte  und  ihrer  Vitalität 
beraubte,  in  der  Wunde  liegende  Theile  entfernt  man  am  besten  gleich 
anfangs  durch  das  Messer  oder  die  Scheere.  —  4)  Schusswunden, 
Vulnera  sclopetaria,  werden  gewöhnlich  durch  harte,  meistens  me- 
tallene Körper ,  wie  Kugeln  von  verschiedener  Grösse ,   Stücke  von  Blei, 


WUNDEN.  1049 

Nägel  etc.,  welche  in  den  meisten  Fällen  mittels  Wurfgeschossen  ge- 
schleudert werden ,  bewirkt.  Aehnliche  Verlezungen  werden  durch  Ex- 
plosionen von  Dampfkesseln,  Destillirkolben  u.  clgl.  hervorgebracht,  und 
weiter  zeigt  die  Erfahrung ,  dass  auch  weiche  Körper ,  wie  Pfropfe  von 
Papier,  Werg  etc.  durch  die  Schnelligkeit  der  ihnen  mitgetheilten  Bewe- 
gung in  ihrer  Wirkung  den  metallenen  Kugeln  gleichkommen  können. 
—  Die  Schusswunden  sind  immer  mit  einem  hohen  Grade  von  Quetschung 
und  Zerreissung  der  getroffenen  Gebilde  und  mit  einer  mehr  oder  minder 
bedeutenden  Erschütterung  der  Nachbartheile  oder  auch  des  ganzen  Kör- 
pers verbunden.  Die  Schusswunden  selbst  sind  unter  sich  sehr  verschie- 
den und  die  zahlreichen  Modifikationen  derselben  werden  hauptsächlich 
bedingt  durch  die  Zahl,  Grösse,  Gestalt  und  Festigkeit  der  abgeschosse- 
nen Körper ,  durch  die  Richtung  und  Schnelligkeit ,  mit  welcher  sie  auf 
den  Körper  treffen ,  und  endlich  durch  die  Verschiedenheit  der  getroffe- 
nen Theile  selbst.  —  Schrotkörner ,  aus  grösserer  Nähe  auf  einen  Kör- 
pertheil  abgeschossen ,  so  dass  sie  zusammenbleibend  eindringen  ,  bilden 
einen  breiten  weiten  Schusskanal ;  aus  grösserer  Entfernung  kommend, 
treffen  sie  zerstreut  den  Körper  und  bilden  dann  mehrere  kleinere  Kanäle. 
Flintenkugeln ,  wenn  sie  in  einen  Theil  eindringen,  bilden  Schusskanäle, 
deren  Grösse  jenen  entsprechen.  Kanonenkugeln  reissen  den  getroffenen 
Theil  entweder  ganz  hinweg  oder  zerschmettern  ihn  in  grosser  Ausdeh- 
nung. Eckige,  rauhe  Körper,  die  durch  irgend  eine  Explosion  von  Pul- 
ver oder  Gasarten  fortgeschleudert  werden,  wie  Stücke  eines  gesprengten 
Gewehrs  ,  Bomben ,  Granaten ,  welche  plazen ,  Holzstücke  oder  Steine, 
welche  von  einer  anprallenden  Kugel  umhergeschleudert  werden  etc.,  brin- 
gen ebenfalls  Zerschmetterung  der  Theile  oder  sehr  unregelmässige  ,  ge- 
rissene Wunden  hervor.  —  In  Betreff  der  Geschwindigkeit,  mit  welcher 
Kugeln  fortgeschleudert  werden ,  gilt  Folgendes  :  Kugeln ,  in  der  Nähe 
des  Körpers  abgeschossen ,  machen  eine  kleinere  Oeffnung  mit  glatten, 
fast  liniären  Rändern  ;  treffen  sie  dagegen  mit  minderer  Geschwindigkeit 
den  Theil ,  so  ist  die  Oeffnung  grösser ,  die  verlezten  Theile  sind  mehr 
gequetscht ,  gezerrt.  Treffen  sie  mit  geringer  Kraft  oder  in  schräger 
Richtung  auf  den  Körper,  ohne  die  Continuität  der  Haut  zu  trennen,  so 
bewirken  sie  Verlezungen,  welche  ganz  den  Contusionen  gleich  sind.  — 
Wunden,  welche  mit  Schusswaffen  hervorgebracht  werden ,  sind  meisten- 
theils  mit  einem  schwärzlichen  Brandschorfe  bedeckt,  der  von  der  Zer- 
malmung und  örtlichen  Mortification  der  Theile,  nicht  aber  von  der  Ver- 
brennung derselben  herrührt.  Nur  in  unmittelbarer  Nähe  des  Körpers 
abgefeuerte  Schüsse  können  Verbrennung  veranlassen.  —  Man  unter- 
scheidet im  Allgemeinen  folgende  Verlezungszustände  bei  Schusswunden, 
a)  Die  Kugel  trifft  einen  Theil ,  dringt  aber  nicht  in  denselben  ein  und 
lässt  die  Haut  unverlezt ,  bringt  jedoch  in  den  tiefer  gelegenen  Weich- 
theilen  und  selbst  in  den  Knochen  geringere  oder  grössere  Verlezungen 
hervor.      Es  sind  dies  die  sogenannten  Prell-  oder   Streifschüsse, 


1050 


WUNDEN. 


zu  denen  man  jezt  auch  allgemein  die  unter  dem  Namen  Luftstreif- 
s  c  h  ü  s  s  e  bekannten  Verlezungen  zählt.  Leztere  werden  durch  matte 
oder  in  schiefer  Richtung  auf  den  Körper  treffende  Kugeln  hervorge- 
bracht. —  b)  Die  Kugel  durchdringt  einen  Theil  gänzlich,  es  sind  daher 
zwei  Oeffnungen  vorhanden ,  wovon  die  eine ,  durch  welche  die  Kugel 
eindrang,  gewöhnlich  eingedrückt,  mehr  gequetscht ,  so  gross  oder  selbst 
kleiner  als  die  Kugel ,  die  andere  (AustrittsöfFnung)  aber  grösser,  ausge- 
rissen und  weniger  gequetscht  ist.  Es  können  indessen  verschiedene 
Umstände  sowohl  in  Bezug  auf  den  Schuss  selbst,  als  auch  in  Betreff  des 
verlezten  Theils ,  sowohl  im  Augenblick  der  Verwandung  wie  auch  nach 
derselben  Einfluss  ausüben  auf  Form  und  Grösse  der  Oeffnungen.  Eine 
plattgedrückte  Kugel  z.  B.  kann  mit  ihrem  grossten  Durchmesser  ein- 
dringen und  mit  dem  kleinsten  austreten ;  alsdann  ist  die  Eintritts  Öffnung 
grösser  als  die  andere.  Eine  sehr  elastische  Haut  an  der  Stelle  der  Aus- 
trittsöffnung, kann  sich,  nachdem  sie  bedeutend  ausgedehnt  worden  war, 
nach  ihrer  Zerreissung  stark  contrahiren  und  so  eine  kleinere  Oeffnung 
als  die  Eintrittsöffnung  zeigen.  —  c)  Die  Kugel  dringt  ein  ,  bleibt  aber 
stecken  und  der  Schusskanal  hat  nur  eine  Oeffnung.  Dies  ist  namentlich 
der  Fall,  wenn  Kugeln  auf  Knochen  treffen  oder  wenn  sie  in  Körperhöh- 
len gelangen.  In  seltenen  Fällen  umkreist  die  Kugel  einen  Theil  und 
kommt  aus  der  Eingangsöffnung  wieder  heraus.  Dies  geschieht  nament- 
lich ,  wenn  die  Kugel  in  schiefer  Richtung  auf  einen  convexen  Körper, 
einen  Halbcylinder  trifft.  In  diesem  Falle  ist  gleichfalls  nur  eine  einzige 
Oeffnung  vorhanden;  dies  ist  besonders  in  der  Hinsicht  zu  wissen  nöthig, 
weil  man  hier  vergebens  die  Kugel  im  Körper  suchen  würde.  Der  blinde 
Theil  des  Schussjianals  ist  immer  weiter ,  als  der  nach  aussen  führende. 
■ —  d)  Die  Kugel  hat  einen  Körpertheil  ganz  weggerissen.  —  Die  Rich- 
tung des  Schusskanals  ist  nicht  immer  eine  geradlinige  und  es  finden 
viele  Abweichungen  derselben  statt.  Diese  beruhen  auf  der  verschiedenen 
Dichtigkeit  und  dem  Widerstandsvermögen,  welches  die  einzelnen  Gewebe 
dem  Eindringen  der  Kugel  entgegensezen,  so  wie  auf  der  Kraft  und  Rich- 
tung, mit  welcher  die  Kugel  auf  den  Theil  trifft.  Eine  mit  voller  Kraft 
und  in  gerader  Richtung  auftreffende  Kugel  bildet  in  der  Regel  einen 
geradlinigen  Schusskanal ;  je  mehr  aber  die  Kugel  schon  an  Kraft  ver- 
loren hat,  desto  mehr  kann  sie  durch  festen  oder  elastischen  Widerstand 
von  ihrem  Verlaufe  abgelenkt  werden  und  auf  diese  Art  zwischen  Haut 
und  Muskeln  herumlaufen  oder  auch  in  eine  Körperhöhle  eindringen ,  an 
ihrer  innern  Wand  herumgehen  und  an  der  entgegengesezten  Seite  wieder 
herauskommen  oder  liegen  bleiben.  Sehnige  und  muskulöse  Theile  wer- 
den von  der  Kugel  nicht  selten  aus  ihrer  Lage  gedrängt  und  bilden  dann 
später,  wenn  sie  ihre  Lage  wieder  einnehmen,  Brücken  im  Schusskanale. 
Wo  der  Schusskanal  unter  der  Haut  verläuft ,  ist  diese  anfangs  röthlich, 
später  bläulich  gefärbt ,  zuweilen  wul.startig  erhoben  und  häufig  bemerkt 
man  beim  Betasten  ein  knisterndes  Geräusch.      Wenn  Kugeln  auf  Kno- 


WUNDEN. 


1051 


eben  treffen,   so  verändern  jene  nicht  selten  ihre  Form,  werden  zuweilen 
ganz  platt  gedrückt,   auch   wohl   getheilt.      Trifft  eine  Kugel  mit  voller 
Kraft  und  unter  rechtem  Winkel  auf  einen  festen,  jedoch  porösen  Körper 
z.  B.  einen  spongiösen  Knochen ,   so   treibt   sie   einen  Schusskanal  durch 
denselben,  welcher  enger  ist,  als  ihr  Durchmesser ;  Splitterung  findet  sich 
nur  an  der  Ausgangsöffhung.     Ein  glasartig  brüchiger  Knochen  wird  von 
einer  solchen  Kugel  mit   einem  kreisrunden  Loch  durchbohrt ,   von  einer 
schief  auftreffenden  in   viele  Stücke   zersplittert.      Je  matter   die  Kugel 
und  je  stumpfer  der  Eintritts winkel,  desto  bedeutender  ist  die  Zersplitte- 
rung  harter  Knochen.     —    Von   fremden  Körpern  findet  man  in  Schuss- 
wunden ausser  Kugeln  und  Kugelstücken   auch  Theile  des  Pfropfs,   wenn 
der  Schuss  aus  der  Nähe  traf,  abgerissene  Kleidungsstücke,  Knochensplit- 
ter.   —    Symptome   und  Verlauf  der  Schusswunden.      Die 
Schusswunden   sind   anfangs  gewöhnlich  mit  geringem  Schmerze  und  mit 
gar  keiner,  oder  nur  unbedeutender  Blutung  verbunden,  wenn  nicht  grös- 
sere Gefässe   durch  eine  kräftige  Kugel  verlezt  sind.      Der  Schmerz  be- 
steht meistens  in  einem  drückenden  Gefühl,  der  Kranke  hat  die  Empfin- 
dung,  als  habe  ihn  ein  schwerer  Körper  getroffen ,    ohne  ihn  jedoch  zu 
verwunden.    Später  entwickelt  sich  ein  brennender  Schmerz  mit  verschie- 
dener Heftigkeit  je  nach  dem  verlezten  Theile  und  dem  Gemüthszustande 
des  Verwundeten.      Zuweilen  ist   gar  kein  Schmerz  da,   besonders  wenn 
ein  grosses  Geschoss   ein  ganzes   Bein  fortgenommen  hat ;    der  Kranke 
fällt   dann  und   glaubt ,   ein  Bein   sei  in  einer  Grube  stecken  geblieben. 
Selten   fehlen   die  Zufälle   der  Erschütterung ,  theils  in  dem  getroffenen 
Gliede,  theils  in  dem  ganzen  Körper.      Das  Glied  ist  manchmal  kalt  und 
fast   gef  ühl-   und   bewegungslos  ,   zuweilen   ist   die  Kälte   und  Ermattung 
über  den  ganzen  Körper  (Wundstupor)  ausgedehnt,   der  Verwundete  ist 
halb  oder  ganz  ohnmächtig,   zittert,  hat  Schwindel,  Erbrechen  und  einen 
fadenförmigen  Puls.  —  Bald  stellt  sich  in  der  Schusswunde  eine  heftige 
Entzündung  mit  vermehrtem  Schmerze  und  Geschwulst  ein.      Damit  sind 
meist  allgemeine  Fiebererscheinungen  verbunden.      Am    3.   bis  4.  Tage 
zeigt  sich  Eiter,  in  dessen  Folge  sich  der  gebildete  Brandschorf  abstösst ; 
nicht  selten  treten  in  dieser  Zeit   auch  Nachblutungen  ein,   die  sehr  ge- 
fährlich werden  können.    Die  Eiterung  ist  gewöhnlich  sehr  copiös,  Eiter- 
stockungen und  Senkungen  sind  nicht  selten ,   und  diese ,   so  wie  fremde 
Körper,  ungünstige  äussere  Verhältnisse  etc.  verwandeln  häufig  anfänglich 
gute  Eiterung  in  eine  schlechte ,  profuse,  in  Folge  welcher  leicht  Venen- 
entzündung und  Eiterresorption   entsteht.      Durch  die  Eiterung   werden 
festsizende  Kugeln  gelöst ;    bisweilen  werden   diese    auch    eingekapselt. 
Brand   entsteht  nicht  selten'.      Ist  die  Thätigkeit   der  Theile  durch   die 
Erschütterung   gelähmt,    so   kommt  die   Entzündung   langsam   oder   gar 
nicht  zu  Stande.    Dann  tritt  die  Verjauchung  und  Resorption  der  Jauche 
ein ,   da   die  Umgegend   vorher  nicht  durch  plastische  Entzündung  abge- 
grenzt   worden    ist.      Der  Tod    ist   die    gewöhnliche   Folge   davon.    — 


1052  WUNDEN. 

Prognose.  Sie  ist  um  so  schlimmer,  je  grösser  die  Zerstörung,  je 
empfindlicher  der  Verwundete,  je  wichtiger  der  verlezte  Theil,  je  schlech- 
ter die  Constitution  ist  und  je  ungünstiger  die  äussern  Lebensverhältnisse 
des  Verlezten  sind.  Zu  fürchten  sind  im  Allgemeinen  :  die  Zufälle  der 
Erschütterung,  heftige  entzündliche  Zufälle,  Brand  und  copiöse  Eiterung. 
—  Behandlung.  Wenn  die  Verlezung  nicht  von  der  Art  ist ,  dass 
sie  die  augenblickliche  Wegnahme  des  Glieds  fordert,  so  muss  vor  Allem 
eine  genaue  Untersuchung  der  Wunde  vorgenommen  werden ,  um  sich 
von  ihrem  Verlaufe  und  von  der  Gegenwart  fremder  Körper  zu  überzeu- 
gen. Zur  Untersuchung  bedient  man  sich  des  Fingers  oder  eines  weib- 
lichen Catheters.  Finden  sich  fremde  Körper  vor,  so  entfernt  man  sie  je 
nach  Umständen  mit  den  Fingern ,  einer  Pincette ,  Korn-  oder  Polypen- 
zange, dem  Kugellöffel  oder  der  Kugelzange,  dem  Meissel.  Ist  die  äus- 
sere Oeffnung  zu  eng  oder  befinden  sich  Brücken  im  Laufe  des  Schuss- 
kanals, welche  das  Eingehen  hindern,  so  erweitert  man  die  Wunde.  Ist 
die  Kugel  in  einen  Knochen  eingekeilt,  so  sucht  man  sie  mittels, der  Ku- 
gelschraube auszuziehen ,  oder  wendet  die  Trephine  an ,  oder  entfernt 
einen  Theil  des  Knochens  mit  dem  Meissel,  so  dass  man  einen  Hebel  un- 
ter die  Kugel  bringen  kann.  In  manchen  Fällen  muss  die  Ausstossung 
der  Kugel  von  der  Eiterung  erwartet  werden.  Unter  der  Haut  liegende 
Kugeln  schneidet  man  aus.  Die  Ausziehung  fremder  Körper  muss  vor- 
genommen werden ,  ehe  sich  die  Wunde  entzündet ;  ist  dies  bereits  ge- 
schehen ,  so  muss  man  die  Verminderung  der  Entzündung  abwarten.  — 
Die  weitere  Behandlung  der  Schusswunden  unterscheidet  sich  nicht  von 
jener  der  gerissenen  und  gequetschten  Wunden.  Man  bedeckt  die  Oeff- 
nung mit  einem  mit  milden  Mitteln  versehenen  Charpiebäuschchen,  welches 
man  mit  einer  Compresse  und  Binde  leicht  befestigt.  Hat  mit  der  Ver- 
lezung eine  bedeutende  Erschütterung  und  Quetschung  stattgefunden, 
und  ist  der  Theil  kalt  und  unempfindlich,  so  sind  im  Anfange  belebende 
und  reizende  Mittel,  wie  Umschläge  von  The  den 's  Schusswasser,  Essig 
und  Wasser,  von  aromatischen,  weinigen  Aufgüssen  etc.  angezeigt.  War 
die  Erschütterung  nicht  bedeutend,  oder  hat  sich  der  Kranke  wieder  von 
derselben  erholt ,  wird  er  warm ,  so  muss  man  kalte  Umschläge  machen 
und  Blutegel  sezen.  Der  örtlichen  Behandlung  entsprechend  muss  die 
allgemeine  sein,  anfangs  flüchtig  reizend,  belebend,  nachher  dem  Grade 
der  allgemeinen  Eeaction  angemessen  antiphlogistisch.  Wenn  heftige 
Entzündung ,  Geschwulst  und  Schmerzen  entstehen ,  so  ersezt  man  die 
kalten  Umschläge  durch  erweichende  ,  schmerzstillende ,  warme  ,  um  die 
Eiterung  zu  befördern.  Etwa  spannende  Fascien  schneidet  man  ein. 
Eintretende  Nachblutungen  beseitigt  man  durch  Druck,  Styptica  oder  Un- 
terbindung der  Gef  ässe  ;  entstehen  sie  aus  grosser  entzündlicher  Aufre- 
gung, so  sind  kalte  Umschläge,  Blutentziehungen  und  Ableitungen  erfor- 
derlich. Später  eintretende  parenchymatöse  Blutungen ,  denen  ein 
Schwächezustand  zu  Grunde  liegt ,  erfordern  ein  erregendes ,  reizendes 


WUNDEN.  1053 

und  stärkendes  Verfahren,  eine  kräftige  Diät  und  die  örtliche  Anwendung 
styptischer,  tonisirender  Mittel,  selbst  das  Glüheisen,  die  Unterbindung 
des  Hauptstamms  oder  die  späte  Amputation.  —  Ist  die  Eiterung  im 
Gange,  so  ist  sie  meist  ergiebig;  man  verbinde  daher  die  Wunde  meist 
trocken,  wechsle  nach  Bedürfniss  den  Verband  täglich  mehrmals,  beachte 
mögliche  Eitersenkungen,  denen  man  durch  Gegenöffnungen  entgegentritt, 
und  sich  häufig  entwickelnde  secundäre  Abscesse,  deren  Zeitigung  man  mög- 
lichst befördert,  und  die  man  dann  bald  künstlich  Öffnet.  Stellt  sich  im 
Verlaufe  der  Eiterung  wieder  Entzündung  ein,  welche  nicht  selten  roth- 
laufartiger  Natur  ist,  und  dann  sehr  verderblich  werden  kann,  indem  ein 
bedeutendes  Absterben  und  Verjauchen  des  Zellgewebes  ,  Loslösung  der 
Weichtheile  ,  Aufsaugung  der  verjauchten  Secrete,  Brand  die  Folge  sein 
kann,  so  beseitigt  man  die  veranlassenden  Ursachen,  welche  in  zu  reizen- 
der Behandlung  der  Wunde,  in  der  Anwesenheit  fremder  Körper,  beson- 
ders Knochensplitter,  spannender  Fascien,  in  Abscessen  unter  solchen  beste- 
hen können,  möglichst  bald,  gibt  innerlich  kühlende  Mittel,  unter  Umstän- 
den auch  Calomel  und  bei  starker  Blutaufregung  mache  man  einen  Ader- 
lass.  Tritt  Brand  ein ,  so  wird  er  nach  den  allgemeinen  Grundsäzen 
behandelt.  —  Wenn  die  Beschaffenheit  der  Verlezung  die  A  m  p  u  t  a  - 
t  i  o  n  nothwendig  macht ,  so  werde  dieselbe  vorgenommen  ,  sobald  sich 
der  Kranke  vom  ersten  Eindruck  der  Verlezung  erholt  hat.  Die  Ampu- 
tation ist  in  solchen  Fällen  angezeigt:  a)  wenn  ein  Glied  von  einer  Kugel 
ganz  oder  grösstentheils  abgerissen  worden  ist ;  b)  wenn  durch  einen 
Streifschuss  die  harten  und  weichen  Theile  ohne  Trennung  der  Haut  völ- 
lig zerschmettert  und  zerquetscht  sind  ;  c)  wenn  auch  ohne  Knochenver- 
lezung  die  Hauptarterien  und  Nerven  eines  Glieds  zerrissen  sind ;  d)  wenn 
eine  Kugel  in  ein  grösseres  Gelenk  gedrungen  ist  und  aus  demselben 
nicht  entfernt  werden  kann,  oder  Splitterung  der  Gelenkenden  bewirkt 
hat.  Beim  Schulter-Ellbogengelenk  ist  bisweilen  die  Resection  vorzuzie- 
hen ;  e)  wenn  Blutungen  auf  anderem  Wege  nicht  gestillt  werden  können. 
—  In  einem  späteren  Zeiträume  kann  die  Amputation  durch  Brand,  hef- 
tige Nervenzufälle,  namentlich  Starrkrampf,  durch  nicht  zu  stillende  Blu- 
tung und  erschöpfende  Eiterung  nothwendig  werden.  —  5)  Vergif- 
tete Wunden,  Vulnera  venenata,  sind  solche ,  bei  welchen  zu 
der  Continuitätstrennung  noch  die  Anwesenheit  eines  eigenthümlichen 
Stoffs  kommt,  welcher  bald  imMomente  der  Trennung  selbst  eingeführt  wird, 
bald  erst  später  mit  einer  Wunde  in  Berührung  kommt  und  seiner  Be- 
schaffenheit nach  sehr  verschiedenartige  Zufälle  veranlasst.  Es  gehören 
hierher  die  Stiche  und  Bisse  giftiger  Thiere,  wie  von  Bienen, 
Wespen,  Hornissen  etc.,  ferner  von  Schlangen,  Fischen;  der  Bis  s  toller 
Thiere,  endlich  Verlezungen  bei  Sectionen,  wobei  Zersezungspro- 
ducte  (sogenanntes  Leichengift)  in  die  Wunde  gelangen.  —  Die  Stiche 
der  Bienen,  Wespen  und  Hornissen  sind  die  leichtesten  Wunden 
dieser  Art.      Die  Zufälle,  welche  solchen  Stichen  folgen,  rühren  theils 


1054  WUNDEN. 

von  dem  zurückgelassenen  Stachel,  theils  von  dem  Eindringen  einer 
scharfen  Flüssigkeit  her,  und  bestehen  in  Brennen,  Anschwellung  und  ro- 
senrother  Umgebung  der  gestochenen  Stelle.  Fieber,  Beängstigung, 
Krämpfe,  Ohnmächten,  Brand  etc.  entstehen  nur  dann,  wenn  ein  Indivi- 
duum von  zahlreichen  Stichen  betroffen,  oder  wenn  die  Verwundung  einen 
sehr  reizbaren  Theil ,  wie  die  Augen  oder  Theile  der  Mundhöhle  betraf. 
—  Behandlung.  Findet  man  den  Stachel,  so  sucht  man  ihn  mit  ei- 
ner Pincette  auszuziehen,  macht  dann  kalte  Umschläge,  und  bei  heftigen 
Schmerzen*  warme  Oeleinreibungen  allein  oder  in  Verbindung  mit  Tinct. 
opii,  Ol.  hyoscyami  coctum  etc.;  bei  bedeutender  Geschwulst  und 
Entzündung  können  allgemeine  und  örtliche  Blutentziehungen  neben  dem 
Gebrauche  von  antiphlogistischen  Abführmitteln  nöthig  werden ;  auch  ein 
diaphoretisches  Getränk  mit  einigen  Tropfen  Ammoniak  erweist  sich  nüz- 
lich.  —  Der  Biss  giftiger  Schlangen  ist  gefährlicher.  In 
Deutschland  ist  es  nur  die  Viper  (Coluber  berus),  deren  Biss  zu 
f  lirchten  ist,  und  dies  hauptsächlich,  wenn  das  Thier  gereizt  und  kräftig  ist, 
was  nur  im  Sommer  der  Fall  zu  sein  pflegt.  —  Symptome.  Alsbald  nach 
dem  Bisse  entsteht  ein  heftiger  brennender  Schmerz  in  der  Wunde,  wel- 
cher sich  schnell  über  das  ganze  Glied  verbreitet ;  eine  glühende  Hize 
befällt  den  ganzen  Körper  und  ist  vorzüglich  in  der  Herzgrube  und  Ma- 
gengegend stark.  Die  Bisswunde  entzündet  sich  schnell ,  schwillt  sehr 
an  und  die  Geschwulst  schreitet  rasch  über  das  ganze  Glied  und  selbst 
bis  zur  verlezten  Körperhälfte  fort.  Die  Geschwulst  ist  anfangs  glänzend 
roth,  später  blass,  violett,  grau,  marmorirt.  Lymphgefässe  und  Drüsen 
entzünden  sich  und  schwellen  an.  Die  Geschwulst  scheint  in  Brand  über- 
gehen zu  wollen  ,  doch  erfolgt  dieser  nur  selten.  Dabei  zeigt  sich  ein 
heftiges  Fieber  mit  Irrereden,  kleinem  aussezenden  Puls,  Erbrechen,  Abge- 
schlagenheit, kalte  Schweisse  ;  nicht  selten  beobachtet  man  auch  Zuckun- 
gen ,  Gelbsucht ,  Beängstigungen  und  Ohnmächten.  Der  Tod  erfolgt 
unter  grossem  Verfalle  der  Kräfte,  Lähmung  der  Sphincteren  etc.  Ge- 
wöhnlich tritt  .  aber  bei  zweckmässiger  Behandlung  unter  reichlichen 
Schweissen  Genesung  ein.  —  Die  Behandlung  besteht  in  der  raschen 
Entfernung  des  Gifts  mittels  Aussaugen,  Auswaschen,  Ausschneiden  und 
Ausäzen  der  Wunde.  Zum  Aezen  bedient  man  sich  flüssiger  tief  eindrin- 
gender Aezmittel ,  des  Liquor  ammonii  caustici,  Kali  caustici, 
Butyrum  antimonii  oder  einer  Mineralsäure.  Die  Aufsaugung 
und  Weiterverbreitung  des  Gifts  verhindert  man  unmittelbar  nach  der 
Verlezung  durch  das  Umlegen  eines  schnürenden  Bandes  oberhalb  der 
Wunde,  durch  das  Aufsezen  eines  Schröpf  kopfs  auf  diese.  Auf  den  ge- 
schwollenen Theil  macht  man  Oeleinreibungen  und  legt  erweichende 
Cataplasmen  auf;  bei  heftiger  Entzündung  sezt  man  Blutegel  und  reibt 
U n g t.  mercuriale  ein.  Innerlich  gibt  man  flüchtig  erregende  und 
schweisstreibende  Mittel,  besonders  Ammoniumpräparate ,  Liquor  am- 
monii v  in  os  us,  Ammonium  carbonicum,  Camphor,  kleine  Ga- 


WUNDEN.  1055 

ben  Opium ;  später  Chlorpräparate.  —  Durch  den  Biss  wüthender 
Thiere,  besonders  aus  dem  Hunden-  und  Kazengesehlechte  entsteht 
eine  der  schlimmsten  Arten  von  vergifteten  Wunden,  die  in  ihrem  Gefolge 
die  Entwicklung  der  Hundswuth  (Rabies  canina)  und  der  Was- 
serscheu (Hydrophobia)  mit  sich  führt.  Der  Träger  des  Giftes 
ist  der  Speichel  des  wuthkranken  Thiers.  —  Die  Wuth  entwickelt  sich 
entweder  von  freien  Stücken  (spontane  Wuth)  oder  durch  Uebertragung 
des  Gifts.  Spontan  entwickelt  sie  sich  in  der  Regel  nur  beim  Hunde- 
geschlecht ,  und  als  Ursachen  dieser  Entwicklung  sieht  man  gewöhnlich 
an  :  grosse  Hize,  schnellen  Temperaturwechsel,  schlechte  Nahrung,  Man- 
gel an  Wasser,  Einsperren  und  unbefriedigten  Geschlechtstrieb.  —  Die 
Wuth  tritt  bei  Hunden  unter  zwei  Formen  auf,  nämlich  als  rasende 
und  stille,  die  jedoch  in  einander  übergehen.  Die  wesentlichen  Er- 
scheinungen der  Wuthkrankheit  sind:  verändertes  Benehmen  des  Thiers 
in  wechselnder  Weise,  bald  ist  dasselbe  unruhig,  hat  Trieb  zum  Fortlau- 
fen, bald  ist  es  traurig,  still,  ruhig,  die  Fresslust  ist  vermindert,  dagegen 
frisst  es  ungewöhnliche  Dinge,  Holz,  Leder,  Stroh  etc.,  so  wie  bisweilen 
auch  seinen  eigenen  Koth  oder  den  anderer  Thiere  ;  es  leidet  an  Versto- 
pfung. Eine  eigenthümliche  Veränderung  erleidet  die  Stimme ,  das 
Bellen  klingt  rauh,  heiser,  gleicht  einem  klagenden  Geheule.  Der  Blick 
ist  scheu,  die  Pupille  erweitert,  starr,  die  weisse  Haut  des  Auges  geröthet, 
die  Schnauze  warm  und  trocken,  die  Maulhaut  geröthet,  die  Zunge  ange- 
schwollen ,  mehr  oder  weniger  vorhängend.  Bei  rasend  tollen  Hunden 
ist  das  Maul  häufiger  trocken  als  feucht,  bei  still  tollen  dagegen  hängt 
der  Unterkiefer  herab  und  es  fliesst  viel  schleimiger  Speichel  aus.  Ferner 
ist  Neigung  zum  Beissen  vorhanden ,  und  das  Thier  schnappt  häufig  in 
die  Luft.  Das  Haar  wird  struppig.  Mitunter  stellen  sich  würgende 
Krämpfe  und  Zuckungen  ein.  Eingesperrte  Hunde  rasen  periodisch  in 
ihrem  Behälter  herum,  freie  rennen  meist  gerade  aus  mit  gesenktem  Kopfe 
und  hängendem  Schwänze  bis  zur  Ermattung ,  worauf  sie  ruhen  und  den 
Lauf  von  Neuem  beginnen.  Viele  Hunde  haben  eine  Scheu  vor  dem 
Wasser  und  vor  Allem  was  dem  Wasser  ähnlich  sieht ,  also  glänzenden 
Gegenständen  etc.  ;  andere  können  bis  zulezt  Wasser  sehen,  selbst  durch 
solches  schwimmen.  Endlich  zeigt  sich  ein  lähmungsartiger  Zustand  der 
hintern  Extremitäten.  Zuweilen  sterben  solche  Hunde  plözlich,  wie  durch 
Schlagfluss ,  oder  erst  nachdem  sie  bis  aufs  Aeusserste  erschöpft  sind. 
Der  immer  erfolgende  Tod  tritt  nach  6 — 8  Tagen  ein.  —  Die  gewöhn- 
lichste Uebertragung  des  Wuthgifts  auf  den  Menschen  geschieht  durch 
einen  Biss.  Die  dadurch  beigebrachte  Wunde  unterscheidet  sich  nicht 
von  einer  gewöhnlichen  Bisswunde  und  verheilt  auch  ebenso  leicht.  Der 
Ausbruch  der  Wuthkrankheit  erscheint  gewöhnlich  zwischen  dem  3  0.  und 
4  0 .  Tage  nach  der  Verlezung ,  oft  dauert  es  nur  7  — 14  Tage ;  es  kann 
aber  auch  Monate,  selbst  Jahre  anstehen  bis  er  erfolgt.  Er  kündigt  sich 
gewöhnlich  durch  eine  Verfärbung  und  Verschlechterung  der  noch  offenen 


1056  WUNDEN. 

Wunde ,  oder  durch  eine  Entzündung  oder  ein  Wiederaufbrechen  der 
der  schon  gebildeten  Narbe  an,  wobei  sich  zugleich  ziehende,  spannende 
Empfindungen  in  dem  gebissene  Theile  bis  zum  Nacken  und  Schlünde 
einstellen  und  die  nahen  Drüsen  anschwellen.  Mit  diesen  Erscheinungen 
entsteht  zugleich  eine  Verstimmung  des  Gemüths,  Angst,  Unruhe,  schreck- 
hafte Träume ,  Mangel  an  Appetit ,  gesteigerte  Reizbarkeit  der  Nerven, 
Mattigkeit ,  Neigung  zum  Erbrechen ,  veränderte  Stimme ,  leichte  Hals- 
krämpfe und  Fieberzufälle.  —  Unter  Steigerung  dieser  allgemeinen 
Erscheinungen  treten  nun  die  eigentlichen  hydrophobischen  An- 
fälle ein,  mit  welchen  die  Krankheit  bisweilen  auch  unerwartet  beginnt. 
Sie  bestehen  im  Wesentlichen  in  Hals-  und  Brustkrämpfen,  welche  das 
Schlucken  verhindern  und  grosse  Athemnoth  herbeiführen.  Das  zuvor 
bleiche  Gesicht  wird  roth  und  aufgetrieben,  die  Augen  sind  geröthet, 
glänzend,  treten  vor,  rollen  wild,  die  Züge  sind  bald  die  eines  Zornigen, 
bald  die  eines  Aengstlichen.  Bei  der  grossen  Reizbarkeit  des  Nerven- 
systems werden  diese  Anfälle  leicht  hervorgerufen  durch  Versuche  zum 
Schlingen,  ja  nur  durch  den  Anblick  des  Wassers  oder  durch  den  Gedan- 
ken daran  bei  gleichzeitig  bestehendem  heftigen  Durste.  Später  ist  oft 
ein  glänzender  Gegenstand  ,  ein  leichtes  Geräusch,  die  leichteste  Berüh- 
rung, selbst  ein  Luftzug  im  Stande,  die  heftigsten  Krämpfe  hervorzuru- 
fen. Der  Kranke  vermag  nicht  den  eigenen  Speichel  hinabzuschlucken, 
er  sucht  ihn  durch  Räuspern  und  Spucken  zu  entfernen.  Bei  einzelnen 
zeigt  sich  Neigung  zum  Beissen,  ein  heftiger  Trieb  zum  Beischlaf.  Nach 
den  Anfällen  ist  der  Kranke  sehr  ermattet,  bald  ruhig,  bald  in  verzweif- 
lungsvollem  Zustande.  Diese  ruhigeren  Zwischenräume  können  kürzer 
oder  länger  dauern,  gewöhnlich  folgen  die  späteren  Wuthanf  alle  einander 
immer  rascher ,  heftiger  anhaltender.  Der  Kranke  verfällt  in  denselben 
in  eine  Art  von  vorübergehender  Manie ,  Raserei ,  er  wüthet  gegen  sich 
und  Andere ,  zerstört  Gegenstände ,  spuckt  um  sich ,  schreit ,  schimpft, 
droht ,  sucht  zu  entfliehen  und  entwickelt  eine  grosse  Muskelkraft.  Die 
Stimme  ist  rauh  und  hohl,  das  Geschrei  ist  mehr  ein  schauerliches  Geheul, 
oft  vernimmt  man  ein  eigenthümliches  Pfeifen ,  der  Kranke  Schiebt  den 
Unterkiefer  vorwärts,  so  dass  der  Mund  einer  Hundeschnauze  ähnlich 
wird.  Die  Krankheit  dauert  selten  über  zwei  Tage ,  manchmal  nur  we- 
nige Stunden.  Der  Tod  erfolgt  entweder  in  einem  Krampfanfalle  oder 
in  Folge  des  Eintritts  allgemeiner  Lähmung.  Die  Marochetti' sehen 
Bläschen  unter  der  Zunge  sind  keine  constante  Erscheinung.  —  Pro- 
gnose. Die  Wuthkrankheit  ist  immer  tödtlich.  —  Behandlung.  Bei 
dieser  kann  es  sich  nur  von  einer  Prophylaxis  handeln,  da  alle  bis  jezt  gegen 
die  ausgebrochene  Wuth  empfohlenen  Mittel  sich  erfolglos  zeigen.  Man 
schneidet  in  dieser  Absicht  die  Wunde  oder  schon  gebildete  Narbe  völlig 
aus ,  worauf  man  nach  dem  Ausbluten  die  ganze  Wundfläche  gründlich 
mit  einem  tiefgreifenden,  verflüssigenden  Aezmittel,  am  besten  mit  La- 
pis causticus,  äzt  oder  mit  dem  Glüheisen  ausbrennt.      Gestattet  die 


WUNDEN.  1057 

Localität  das  Ausschneiden  der  Wunde  nicht ,  so  erweitert  man  sie  hin- 
länglich und  wendet  dann  das  Aezmittel  nachdrücklich  an.  Während 
dieser  Operation  legt  man  ,  um  die  Aufsaugung  des  Gifts  zu  verhindern, 
zwischen  der  Wunde  und  dem  Herzen  ein  schnürendes  Band  um  das  Glied. 
Nach  eingetretener  Eiterung  verbindet  man  mehrere  Monate  lang  mit 
scharfen  Salben.  Daneben  rühmt  man  von  den  sehr  vielen  vorgeschla- 
genen prophylactischen  Mitteln ,  neben  möglichster  Beruhigung  des  Ge- 
müths  des  Gebissenen  ,  innerlich  eine  Quecksilberkur  bis  zur  Salivation, 
Canthariden,  stärkere  Gaben  von  Belladonna,  Opium.  Bricht  die  Wuth 
dennoch  aus,  so  hat  man  den  innern  Gebrauch  der  oben  genannten  Mittel 
in  grossen  Gaben,  ferner  Aderlässe  bis  zur  Ohnmacht,  Sturzbäder,  Appli- 
cation des  Glüheisens  im  Nacken,  die  Electricität,  flüchtige  Laugensalze, 
Cuprum  sulphuricum  in  brechenerregender  Gabe,  Chinin,  essigsau- 
res Blei  etc.  vorgeschlagen.  Die  sich  unter  der  Zunge  entwickelnden 
Bläschen  sollen  geöffnet  und  cauterisirt  werden ;  es  wurde  behauptet, 
wenn  dies  bei  Zeiten  geschehe ,  so  trete  die  Wuth  nicht  auf;  es  wurde 
schon  bemerkt,  dass  diese  Bläschen  häufig  fehlen.  —  Das  der  Wuth  ver- 
dächtige Thier  muss  wo  möglich  eingefangen  und  nicht  getödtet,  sondern 
in  sicherem  Gewahrsam  genau  beobachtet  werden.  —  Die  Verlezun- 
gen  bei  Sectionen  sind  bisweilen  von  üblen  Folgen  begleitet ,  die 
von  der  Einwirkung  reizender  faulender  Stoffe  (dem  sogenannten  Lei- 
chengifte) herrühren.  Schnitte  sind  nicht  so  gefährlich  als  Stiche. 
Sectionen  von  Typhusleichen  oder  von  Cadavern  solcher,  die  an  entzünd- 
lich brandigen  Processen  seröser  Häute,  besonders  der  Bauchhaut,  gestor- 
ben sind ,  geben  am  leichtesten  Anlass  zu  üblen  Folgen ;  zu  bemerken 
ist ,  dass  bei  denjenigen  Körpern  ,  welche  in  der  Fäulniss  bereits  stark 
vorgeschritten  sind  ,  eine  Infection  viel  weniger  zu  fürchten  ist ,  als  bei 
solchen,  die  erst  kurz  verstorben  sind.  —  Symptome.  Es  stellt  sich 
nach  wenigen  Stunden  eine  heftige  Entzündung  und  Anschwellung  an  der 
Stelle  der  Verlezung,  so  wie  nach  dem  Laufe  der  Lymphgefässe  ein,  auf 
welche  örtlichen  Erscheinungen  das  Uebel  beschränkt  bleibt  oder  wozu 
sich  alsbald  ein  typhöses  Fieber  mit  grosser  Schwäche ,  Erbrechen ,  stin- 
kenden Stuhlausleerungen ,  Kopfschmerz,  Delirien  und  sehr  frequentem, 
kleinem ,  zusammengezogenem  Pulse  gesellt.  Die  lezteren  allgemeinen 
Erscheinungen  können  sich  sogar  zeigen  ,  ohne  dass  am  Orte  der  Verle- 
zung sich  auffallende  Veränderungen  entwickeln.  —  Prognose.  Diese 
ist  bei  der  typhösen  Form  viel  schlimmer  als  bei  der  örtlichen ,  selbst 
wenn  diese  mit  einer  heftigen  örtlichen  oder  auch  auf  Lymphgefässe  und 
Venen  sich  erstreckenden  Entzündung  auftritt.  Die  typhöse  Form  kann 
nach  wenigen  Tagen  tödten  oder  diesen  Ausgang  erst  nach  mehreren  Wo- 
chen herbeiführen.  Nach  Travers  kommt  hier  auf  7  Kranke  nur 
1  Genesender,  bei  der  andern  Form  auf  2  0  Verwundete  nur  1  Todter.  — 
Behandlung.  Man  schüzt  sich  vor  der  Ansteckung  durch  Einölen 
der  Hände  vor  der  Section ,  bei  bestehenden  Verwundungen  durch  Be- 
Burger,  Chirurgie.  67 


1058  WUNDEN. 

decken  derselben  mit  Collodium  oder  durch  festes  Umwickeln  mit  Heft- 
pflaster, and  sorgfältiges  Reinigen  der  Hände  nach  der  Section.  —  Hat 
eine  Verwundung  während  der  Section  stattgefunden,  so  drückt  man  die 
Wunde  stark  aus  ,  wobei  man  in  der  Richtung  des  arteriellen  Blutstroms 
gegen  sie  hinstreicht,  um  die  Blutung  zu  vermehren  und  zu  unterhalten, 
saugt  sie  auch  wohl  aus  ,  reinigt  sie  sorgfältig  mit  lauem  Wasser  und 
wäscht  sie  dann  mit  Seifenwasser ,  Essig ,  Salzwasser,  einer  Kali-,  Chlor- 
kalk- oder  Alaunsolution  aus ,  worauf  man  sie  mit  einein  Heftpflaster  be- 
deckt. Bei  entstehender  heftiger  Entzündung  wendet  man  Blutegel, 
Quecksilbersalbe  und  narkotische  Umschläge  an  und  wenn  sich  Abscesse 
bilden,  so  öffnet  man  sie  frühzeitig.  Das  begleitende  Fieber  muss  seinem 
Charakter  gemäss  behandelt  werden. 

Wundstarrkrampf,  Tetanus  t raumaticus.  Hierunter 
versteht  man  die  tonischen  und  clonischen  Krämpfe ,  welche  sich  zu 
schmerzhaften  Wunden  gesellen,  manchmal  aber  auch  ohne  alle  Verwun- 


dung vorkommen.  —  Der  Wundstarrkrampf  kann  gleich  im  Anfange  nach 
der  Verlezung  auftreten ,  gewöhnlich  geschieht  dies  aber  erst  zwischen 
dem  8.  und  21.  Tage,  seltener  später,  oder  gar  schon  nach  eingetretener 
Vernarbung.  Er  zeigt  sich  unter  verschiedener  Form ,  je  nachdem  der 
Krampf  alle  Muskeln ,  oder  nur  die  Beuge-  oder  Streckmuskeln  befällt. 
Diesem  nach  unterscheidet  man  :  1)  Tetanus  universalis,  wo  Er- 
starrung aller  Muskeln  stattfindet  und  der  Kranke  unbeweglich  gerade 
ausgestreckt  liegt;  2)  Opisthotonus  {oTTiCd'Ei' ,  nach  hinten,  to- 
rog  ,  Spannung  ,  Krampf)  ,  wo  der  Rumpf  nach  rückwärts  ,  3)  E  m  p  r  o  - 
sthotonus  {i^nQoüd^ev  ,  nach  vorn)  ,  wo  der  Körper  nach  vorn  gebogen 
ist;  4)  Pleurosthotonus  (von  der  Seite  her)  s.  Tetanus  late- 
ralis, wo  der  Körper  nach  der  einen  oder  der  andern  Seite  hingezogen 
ist.  Die  Häufigkeit  des  Vorkommens  dieser  verschiedenen  Formen  des 
Tetanus  findet  nach  der  angegebenen  Reihenfolge  statt.  —  Ein  nicht 
seltener  Begleiter  der  verschiedenen  tetanischen  Zufälle  ist  eine  tonische 
Zusammenziehung  der  Kaumuskeln ,  der  Kiunbackenkrainpf, 
Mundsperre,  Trismus  (tql^^oq  ,  Zähneknirschen),  der  selten  allein 
und  häufig  als  der  Vorläufer  des  allgemeinen  Starrkrampfs  erscheint.  — 
Symptome.  Die  Krankheit  kündigt  sich  durch  Trockenheit  und  grös- 
sere Schmerzhaftigkeit  der  Wunde  ,  Aufregung  des  Kranken ,  plözliches 
Aufschrecken  im  Schlafe ,  durch  Druck,  Spannung  in  der  Magengegend, 
Frösteln  etc.  an ;  demnächst  stellt  sich  ein  schmerzhaftes  Ziehen  und 
Spannen  von  der  Wunde  gegen  das  Rückenmark  hin  ein ,  gefolgt  von 
Muskelzuckungen  in  dem  verlezten  Theile,  Erstarrung  der  Muskeln,  Stei- 
figkeit des  Halses,  Unvermögen  den  Mund  zu  öffnen,  erschwertem  Schlin- 
gen ,  veränderter  Stimme ,  starren ,  manchmal  verzogenen  Gesichtszügen. 
In  der  weiteren  Entwicklung  der  Krankheit  treten  schmerzhafte  Anfälle 
heftiger  tonischer  Muskelspannung  ein ;  der  Unterkiefer  wird  fest  an  den 
Oberkiefer   gedrückt ,    Sprechen   und   Schlingen  sind  unmöglich  und  der 


WUNDEN.  1059 

Körper  ist,  so  weit  die  Krämpfe  reichen,  steif.  Das  Gesicht  des  Kranken 
ist  bald  traurig ,  bald  ängstlich ,  zuweilen  ist  es  starr  und  der  Ausdruck 
drohend ,  indem  die  Augenbrauen  zusammengezogen  sind ;  dabei  ist  es 
meistens  geröthet,  das  Auge  ist  starr  oder  wird  convulsivisch  bewegt ,  die 
Pupille  verengt,  lichtscheu.  Mitunter  wechseln  einige  Krampfformen  mit 
einander  ab  ,  und  fast  immer  treten  zwischendurch  in  einzelnen  Muskel- 
partien auch  clonische,  convulsivische  Krämpfe  auf.  Endlich  werden  auch 
das  Zwerchfell,  das  Herz  und  die  Darmmuskeln  ergriffen,  was  hartnäckige 
Stuhlverstopfung,  Respirations  -  und  Circulationshemmung  und  damit  oft 
plözlichen  Tod  zur  Folge  hat.  —  Die  Anfälle  dauern  von  wenigen  Minu- 
ten bis  zu  einer  Viertelstunde  und  darüber.  Die  einzelnen  Paroxysmen 
folgen  sich  bald  rasch ,  bald  in  grösseren  Pausen.  Während  der  ganzen 
Krankheit  behält  der  Kranke  sein  volles  Bewusstsein.  —  Der  Tetanus 
zeigt  bald  mehr  einen  acuten,  bald  mehr  chronischen  Verlauf.  Im  ersten 
Falle  tödtet  er  gewöhnlich  in  3  bis  4  Tagen,  oft  innerhalb  der  ersten  2  4 
Stunden ,  dies  besonders  in  heissen  Ländern.  Der  Tod  erfolgt  durch 
Herzkrampf,  Apoplexie  oder  Lähmung.  Der  chronische  Tetanus  kann 
3  bis  8  Wochen  dauern.  Wenn  der  Tetanus  nicht  mit  dem  Tode  endigt, 
so  lassen  die  Krämpfe  allmälig  nach  und  es  stellen  sich  Schlaf  und  Appe- 
tit ein.  —  Sectionsergebniss.  .  Am  häufigsten  findet  man  Blut- 
anhäufungen in  den  blutreichen  Organen  und  in  den  grossen  Venen  mit 
venöser  Blutbeschaffenheit ,  die  vom  Krämpfe  befallenen  Muskeln  im  Zu- 
stande der  Hyperämie,  manchmal  stellenweise  zerrissen  und  sugillirt.  Zu- 
weilen werden  Spuren  einer  Entzündung  des  Rückenmarks  ,  des  Gehirns, 
der  Nerven  und  ihrer  Scheiden ,  Erguss  seröser  Flüssigkeit  zwischen  die 
Häute  derselben  und  Erweichungen  dieser  Theile  angetroffen.  Bisweilen 
zeigt  sich  nach  R.  Froriep  eine  stellenweise  Röthung  und  knotige  An- 
schwellung der  Nerven  der  verlezten  Extremität  bis  zum  Rückenmark  hin. 
Andere  Male  wird  durchaus  keine  materielle  Veränderung  gefunden.  — 
Ursachen.  Als  Gelegenheitsursachen  werden  angeführt :  Erkältung, 
fremde  Körper  in  der  Wunde ,  Gemüthsaff'ecle  und  gastrische  Complica- 
tionen.  Am  häufigsten  tritt  der  Tetanus  auf  in  kleinen,  gequetschten, 
gerissenen,  gestochenen  Wunden  nervenreich  er,  sensibler  Theile,  beson- 
ders an  Händen  und  Füssen,  so  wie  in  Wunden  der  Gelenke  oder  solcher 
Theile,  die  von  festen  oder  fibrösen  Theilen  umschlossen  sind.  Die  näch- 
ste Ursache  des  Starrkrampfes  beruht  auf  einer  excessiv  gesteigerten  Re- 
flexionsthätigkeit.  —  Junge  kräftige  Personen  männlichen  Geschlechts 
sind   dem  Tetanus  mehr  unterworfen ,    als  Frauenzimmer   und  alte  Leute. 

—  Die  Prognose  ist  sehr  schlecht ,  da  nur  wenige  Kranke  genesen. 
Indessen  gibt  der  chronische  Tetanus  eine  bessere  Prognose,  als  der  acute. 

—  Behandlung.  Man  suche  dem  Tetanus  vorzubeugen ,  indem  man 
fremde  Körper  aus  der  Wunde  entfernt,  den  Kranken  vor  Erkältungen  be- 
wahrt und  sehr  empfindlichen  Individuen  beruhigende ,  schmerzstillende 
Mittel,  namentlich  Opium  reicht.      Ist  der  Starrkrampf  ausgebrochen,  so 

67* 


1060  WUNDEN  DER  GEFAESSE. 

hat  man  vor  Allem  der  Wunde  seine  Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Man 
entfernt  etwa  noch  zurückgebliebene  fremde  Körper  und  Splitter,  resecirt 
Bruchenden  ,  welche  die  Weichtheile  zerren  und  reizen ,  spaltet  fibröse 
Haute  ,  schneidet  unvollständig  getrennte  und  zerrissene  Nerven  vollends 
durch  und  verwandelt  zerquetschte  und  zermalmte  Wunden  sofort  durch 
die  Amputation  in  reine  und  regelmässige.  In  einigen  Fällen  hat  die 
Durchschneidung  des  afficirten  Nervenstamms  oberhalb  der  Wunde  Hülfe 
gebracht.  Ist  die  Wunde  schon  vernarbt ,  so  schneidet  man  die  Narbe 
aus  oder  zerstört  sie  durch  das  Aezmittel  oder  das  Feuer.  Die  Wunde 
bedeckt  man  mit  einer  milden  Salbe  und  macht  narkotische  Umschläge 
darüber.  —  Neben  diesem  örtlichen  Verfahren  leitet  man  eine  innere  Be- 
handlung ein,  die  eine  verschiedene  seinmuss,  je  nachdem  der  Starrkrampf 
auf  Entzündung  des  Rückenmarks  beruht  oder  nur  ein  functionelles  Lei- 
den besteht.  Im  ersten  Falle  verfährt  man  streng  antiphlogistisch,  lässt 
zur  Ader ,  sezt  Blutegel  längs  des  Rückgrats  und  gibt  innerlich  Queck- 
silber ,  Salpeter ,  Brechweinstein  in  starken  Dosen  und  kalte  narkotische 
Mittel.  Im  lezteren  Falle  gibt  man  bei  Vorhandensein  gastrischer  Un- 
reinigkeiten  ausleerende  Mittel,  besonders  Laxanzen  aus  Calomel  und  Ja- 
lappe  und  geht  dann  zu  der  Anwendung  narkotischer  Mittel  in  starken 
Gaben  über.  Von  diesen  sind  besonders  empfohlen:  Opium,  Blausäure, 
Belladonna,  Tabak,  Extractum  cannabis,  Colchicum  etc.  Unter 
diesen  Mitteln  hat  sich  das  Opium  am  wirksamsten  erwiesen.  Stütz 
gibt  es  abwechselnd  mit  Kali  oder  Ammonium  carbonicum  und 
lässt  Kalibäder  nehmen.  Er  gibt  das  Opium  als  Pulver ,  des  Morgens 
gr.  j,  des  Mittags  gr.  jß,  und  des  Abends  gr.  ij  ,  oder  die  Tinct.  opii 
simpl.  ,  von  welcher  er  alle  */2 — 1  Stunden  5 — 15  Tropfen  nehmen 
lässt.  Von  dem  Kali  carbonicum  lässt  er,  5üj  in  ^vj  Wasser  auf- 
gelöst, alle  l/2 — 1  Stunde  abwechselnd  mit  dem  Opium  1  Esslöffel  voll 
nehmen.  Zu  einem  Bade  nimmt  er  4  Unzen  Kali  causticum.  Auch 
das  Morphium  aceticum  endermatisch  zeigte  sich  von  Nuzen.  Den 
Tabak  wendet  man  in  Form  von  Klystieren  an.  Ausser  den  genannten 
Mitteln  sind  noch  ferner  empfohlen  worden :  das  kohlensaure  Eisen ,  die 
Ammoniumpräparate ,  das  Chinin ,  Terpentinöl,  der  Silbersalpeter,  beson- 
ders aber,  das  Chloroform.  —  Bei  chronisch  gewordenem  Zustande  und 
bei  grosser  Nervenschwäche  verbindet  man  obige  Mittel  mit  Camphor, 
Moschus,  China  und  einer  nahrhaften,  mehr  reizenden  Diät. 

C.    Wunden  einzelner  Gewebe  und  Systeme. 

1)  Wunden  der  Blutgefässe  und  Wundblutung.  Blut- 
gefässe werden  bei  jeder  Verwundung  getrennt,  was  sich  aus  der  dabei 
nothwendig  stattfindenden  Blutung  ergibt.  Die  Gefässe  werden  hierbei 
entweder  nur  theilweise  oder  ganz  getrennt ,  und  die  Verlezung  betrifft 
bald  nur  Capillargefässe  oder  auch  Arterien  und  Venen.  Die  Verlezung 
von  Capillarge  fassen  gibt  sich  durch  das  Hervorquellen  von  hell- 
rothem  Blut   aus   der   ganzen   WTundfläche   kund ;   aus   verlezten  Venen 


WUNDEN  DER  GEFAESSE.  1061 

liiesst  dunkles  Blut  in  ununterbrochenem  Strome,  welcher  durch  Druck 
auf  das  Gef  äss  unterhalb  der  Wunde  gehemmt  wird  ;  aus  verwundeten 
Arterien  springt  hellrothes  Blut  stossweise  in  einem  Bogen  hervor,  und 
ein  Druck  oberhalb  der  Wunde  auf  das  Gefäss  bringt  die  Blutung  zum 
Stillstande.  Je  nach  dieser  verschiedenen  Quelle  der  Blutung  unterschei- 
det man  eine  c  a  p  i  1 1  a  r  e  (parenchymatöse)  ,  arterielle  und  venöse 
Blutung.  Die  Blutung,  welche  unmittelbar  auf  die  Verlezung  folgt,  nennt 
man  primäre,  diejenige,  welche  erst  spater  (in  Folge  des  Absterbens 
der  Gef  ässwandungen  nach  Quetschungen  ,  oder  durch  Vereiterung  der- 
selben) eintritt ,  secundäre  oder  Nachblutung.  Ist  die  Wunde 
der  äussern  Bedeckungen  der  Gef ässwunde  genau  gegenüber ,  so  fliesst 
das  Blut  frei  aus,  im  Gegentheil  entstehen  Ecchymosen.  —  Aus  Cap'ii- 
largefässen  ist  die  Blutung  meist  unbedeutend  und  steht  gemeiniglich 
von  selbst ,  indem  entweder  die  Gef  ässwandungen  sich  contrahiren  oder 
mit  der  eintretenden  Entzündung  eine  Blutstockung  in  den  nahe  liegen- 
den Capillaren  eintritt.  Nur  bei  einem  krankhaften  Zustande  der  Ca- 
pillargef  ässe ,  wenn  sie  abnorm  erweitert ,  erschlafft  oder  gelähmt  sind, 
oder  wenn  das  Blut  wenig  gerinnfähig  ist ,  kann  auch  eine  capillare  Blu- 
tung gefährlich  werden.  —  Aus  Arterien  sind  die  Blutungen  am  ge- 
fährlichsten ,  insofern  die  Verlezung  einer  nur  einigermassen  grossen  Ar- 
terie zur  Verblutung  führen  kann.  Nicht  selten  tritt  aber  auch  hier  die 
Natur  ins  Mittel  und  stillt  Blutungen ,  selbst  aus  grösseren  Arterien ,  wo- 
bei es  aber  wesentlich  in  Betracht  kommt ,  ob  die  Arterie  völlig  durch- 
schnitten oder  abgerissen  oder  nur  angeschnitten  ist  (s.  d.  Art.  Throm- 
b  o  s  i  s).  —  Die  Blutungen  aus  verlezten  Venen  sind  im  Allgemeinen 
fast  immer  weniger  gefährlich ,  als  die  aus  Arterien.  Bei  kleinen  Venen 
steht  die  Blutung  meist  von  selbst,  wenn  ein  etwaiges  Hinderniss  der  Cir- 
eulation  beseitigt  ist,  die  Wundränder  vereinigt  werden  und  der  Kranke 
sich  ruhig  verhält.  Es  bildet  sich  ein  Blutpfropf  in  der  Venenwunde,  und 
diese  heilt  mit  der  Hautwunde ,  wobei  das  Gef  ässlumen  erhalten  wird. 
Die  spontane  Zerreissung,  namentlich  varicöser  Venen  kann  eine  sehr  be- 
deutende Blutung  zur  Folge  haben ,  doch  strömt  hier  das  Blut  nicht  so 
rasch  und  mit  solcher  Gewalt ,  wie  aus  Arterien ,  und  oft  ist  schon  das 
Collabiren  der  Venenwandungen  im  Stande ,  die  Blutung  zu  stillen.  — 
Verlezungen  grosser  Venen ,  wie  der  Subclavia,  Jugularis,  Cru.- 
ralis  etc.,  können  schnell  tödtlich  werden,  wenn  die  Kunsthülfe  zögert. 
Vergl.  die  Art.  Blutung,  blutstillende  Mittel,  Aneurysma, 
Unterbindung  der  Gef  ässe,  Turniket,  Transfusion  und 
Infusion.  —  Ein  sehr  schlimmes  Ereigniss  ist  das  Eindringen 
von  Luft  in  verlezte  Venen.  Die  Luft  gelangt  dabei  von  der 
Vene  aus  ins  rechte  Herz  und  von  da  in  die  Circulation  und  bringt  durch 
mechanische  Störung  dieser  plözlich  lebensgefährliche  Zufälle  hervor- 
Man  beobachtet  diesen  Zufall  am  häufigsten  bei  Operationen  am  Halse, 
der   Schulter   und  der  Achsel.       Das  Eindringen   der  Luft  erzeugt  einen 


1062  WUNDEN  DER  GELENKE. 

eigentümlich  zischenden ,  gurgelnden  Ton  ,  der  Kranke  stosst  plözlich 
einen  Schrei  aus,  wird  blau  im  Gesicht,  fällt  in  Ohnmacht  und  stirbt  ent- 
weder in  kurzer  Zeit,  wenn  viel  Luft  eingedrungen  ist,  oder  kommt,  wenn 
der  Lufteintritt  schnell  verhindert  wird,  allmälig  wieder  zu  sich.  —  Bei 
der  S  e  c  t  i  o  n  findet  man  Luft  und  schäumiges  Blut  im  rechten  Herzen, 
in  der  Lungenarterie  und  den  Lungen ,  zuweilen  auch  im  linken  Herzen 
und  in  den  Gefässen  des  grossen  Kreislaufs.  —  Veranlassung  zu 
diesem  Zufalle  gibt  Verdickung  oder  Verknöcherung  der  Venenwandun- 
gen ,  so  wie  Verwachsung  derselben  mit  den  umgebenden  Theilen  ,  wo- 
durch sie  die  Fähigkeit  verlieren,  zusammenzufallen.  Begünstigt  wird 
das  Eindringen  der  Luft  durch  heftiges  Schreien,  überhaupt  angestrengte 
Respirationsbewegungen ,  Bewegungen  der  Arme  und  Zurückbeugungen 
des  Halses.  —  Behandlung.  Sobald  man  das  charakteristische  Ge- 
räusch hört ,  schliesst  man  die  Vene  alsbald  mit  dem  Finger ,  gibt  dem 
Kranken  eine  horizontale  Lage  und  wendet  Riechmittel,  Besprizen  mit 
kaltem  Wasser ,  Reibungen  des  Körpers  ,  Zusammendrücken  des  Thorax 
etc.  an. 

2.  Wunden  der  Gelenke.  Oberflächliche  Gelenkwunden 
haben  keine  besondere  Bedeutung.  Dagegen  sind  Wunden ,  welche  in 
das  Gelenk  dringen,  immer  höchst  gefährlich.  Die  Gefahr  dieser  Wun- 
den besteht  in  der  Entzündung  der  Synovialmembran  und  der  fibrösen 
Bänder,  welche  um  so  leichter  erfolgt ,  je  mehr  die  Luft  einen  freien  Zutritt 
in  das  Gelenk  hat,  je  unreiner  die  Wunde,  je  schlechter  die  Constitution 
ist  und  je  weniger  das  verlezte  Gelenk  geschont  wird.  Man  erkennt  die 
in  ein  Gelenk  dringenden  Wunden  in  vielen  Fällen  an  dem  Ausfliessen 
der  Synovia,  welches  jedoch  fehlen  kann,  wenn  die  Wunde  eng  ist  und 
nicht  gerade  verläuft.  Es  kann  übrigens  auch  die  Verlezung  von  Sehnen- 
scheiden und  Schleimbeuteln  den  Ausfluss  einer  der  Synovia  ähnlichen 
Materie  zur  Folge  haben,  und  den  Verdacht  einer  Gelenkverlezung  er- 
regen. —  Gelenkwunden  dürfen  nur  dann  mit  Sonden  untersucht  werden, 
wenn  es  sich  um  die  Ausziehung  eines  fremden  Körpers  handelt.  —  Be- 
handlung. Man  schliesst  die  Wunde  genau,  hält  das  Gelenk  mittels 
geeigneter  Rinnen  oder  Schienenverbände  in  möglichster  Ruhe  und  ver- 
fährt nach  Massgabe  der  eintretenden  Reaction  mehr  oder  weniger  streng 
antiphlogistisch.  Diesem  gemäss  macht  man  kalte  Umschläge,  sezt  Blut- 
egel, verordnet  eine  magere  Diät ,  reicht  entsprechende  innere  Mittel  und 
nimmt  nöthigenfalls  allgemeine  Blutentziehungen  vor.  Entsteht  Eite-* 
rung,  so  erweitert  man  die  Wunde,  macht  Gegenöffnungen  und  reicht  dem 
Kranken  eine  nährende  Diät  und  stärkende  Mittel.  Zerstörung  der  Ge- 
lenkknorpel und  ankylotische  Verwachsung  ist  fast  immer  die  Folge  der 
Eiterung ;  deshalb  muss  man  dem  Gliede  bei  Zeiten  eine  solche  Stellung 
geben ,  welche  für  den  späteren  Gebrauch  die  am  wenigsten  unbequeme 
ist.      Vergl.  Gelenkentzündung. 

3.  Wunden    der    Knochen.       Die    Knochen,    besonders   die 


WUNDEN  DER  MUSKELN  UND  SEHNEN.  1063 

schwammigen  können  durch  Hieb  und  Stich  getrennt  werden  ;  nicht  min- 
der werden  sie  von  Kugeln  durchdrungen.  Ein  Hieb  trennt  entweder 
den  Knochen  nur  theilweise  oder  ganz  ,  oder  er  haut  ein  Stück  von  ihm 
weg.  —  Die  Heilung  der  Knochenwunden  geschieht  ähnlich  wie  bei  den 
Weichtheilen ,  entweder  durch  Bildung  eines  plastischen  Exsudats ,  das 
sich  allmälig  zu  Knochengewebe  organisirt,  oder  auf  dem  Wege  der  Eite- 
rung und  Granulation.  —  War  die  Knochentrennung  mit  starker  Contu- 
sion  verbunden ,  so  tritt  gern  eine  oberflächliche  Necrose  ein.  —  Be- 
handlung. Wenn  es  möglich  ist ,  so  muss  die  äussere  Wunde  durch 
schnelle  Vereinigung  geschlossen  werden,  andernfalls  hat  man  die  Heilung 
der  Knochenwunde  durch  Eiterung  und  Granulation  zu  erwarten.  Hängt 
ein  Knochenstück  an  einem  losgehauenen  Fleischlappen  ,  so  kann  jenes 
anheilen,  wenn  seine  Beinhaut  nicht  gelitten  hat,  man  legt  es  in  diesem 
Falle  genau  an ;  andernfalls  ist  es  auszulösen.  —  Wunden  mit  Contu- 
sionen  müssen  mit  kalten  Umschlägen,  Blutegeln  etc.  behandelt  werden. 
4.  Wunden  der  Muskeln  und  Sehnen.  —  Muskelwun- 
den, welche  der  Länge  nach  verlaufen,  klaffen  wenig  oder  gar  nicht,  bei 
Querwunden  dagegen  findet  ein  starkes  Klaffen  statt,  sowohl  in  Folge  der 
Retraction  der  Muskelenden  als  der  Wirkung  der  Antagonisten,  und  zwar 
ist  das  Klaffen  um  so  bedeutender,  je  länger  der  Muskel  und  je  lockerer 
er  mit  andern  Theilen  verbunden  ist.  —  Die  Verheilung  geschieht  durch 
bindenden  Zellstoff  und  ein  contractiles  leimgebendes  Gewebe.  —  Be- 
handlung. Muskelwunden  erheischen  die  gewöhnliche  Vereinigung 
durch  klebende  Mittel  oder  die  Naht ,  und  eine  solche  Lagerung  des 
Theils,  dass  der  verwundete  Muskel  erschlafft  ist.  —  Sehnen,  welche 
in  die  Quere  getrennt  sind  ,  treten  an  der  Trennungsstelle  aus  denselben 
Gründen  auseinander ,  wie  die  Muskeln.  Die  Sehnen  regeneriren  sich 
vollständiger  als  diese ,  nämlich  durch  eine  sehnige  Zwischensubstanz, 
aber  nur  unter  der  Bedingung  ,  dass  die  Sehnenenden  einander  genähert 
und  vor  dem  Zutritt  der  Luft  geschüzt  werden.  Ist  lezteres  nicht  der 
Fall,  so  sieht  man  die  Sehnenden  lange  Zeit  blass  und  ohne  Lebenszeichen 
in  der  Wunde  liegen :  endlieh  zeigen  sich  Gef  a'sse  in  ihnen  ,  sie  werden 
roth  ,  Fleischwärzchen  wachsen  auf  den  Schnittflächen  und  verschmelzen 
allmälig  mit  den  von  den  benachbarten  Theilen  aus  hervorsprossenden. 
Endlich  wird  der  ganze  Zwischenraum  durch  leztere  ausgefüllt  und  die 
Narbenverkürzung  beginnt,  so  dass  schliesslich  die  Continuität  der  Sehne 
vollständig  wieder  hergestellt  wird  mit  dem  einzigen  Unterschiede ,  dass 
bei  diesem  Heilungsvorgange  die  Sehnennarbe  mit  den  umgebenden  Thei- 
len verwächst ,  wodurch  die  Beweglichkeit  der  Sehne  beeinträchtigt  wird. 
—  Behandlung.  Durchschnittene  Sehnen  sucht  man  durch  eine  pas- 
sende Lagerung  des  Theils  möglichst  in  gegenseitige  Annäherung  zu  brin- 
gen und  darin  durch  geeignete  Verbände  und  Apparate  zu  erhalten.  Die 
äussere  Wunde  wird  sorgfältig  geschlossen.  Nach  der  Verheilung  (3  bis 
6  Wochen)  darf  man  den  Theil  erst  allmälig  zu   seiner  vollen  Thätigkeit 


1064  WUNDEN  DES   KOPFS. 

zurückkehren  lassen ,  um  eine  naehtheilige  Dehnung  und  Verlängerung 
der  neugebildeten  Zwischensubstanz  zu  verhüten.  —  Die  Vereinigung  der 
Sehnenenden  mittels  der  Naht  wird  von  den  meisten  Wundärzten  als 
unnöthig  verworfen.  Nur  wenn  die  Enden  einer  durchschnittenen  Sehne, 
ohne  sich  zu  vereinigen,  vernarbt  sind,  kann  die  Naht  von  Nuzen  sein. 
Man  legt  zu  diesem  Behufe  die  Enden  durch  einen  Längenschnitt  bloss, 
frischt  sie  an  und  nähert  sie  einander  durch  eine  zweckmässige  Lagerung, 
nötigenfalls  durch  Ausschälung  aus  den  mit  ihnen  verwachsenen  Theilen. 
Namentlich  zur  Vereinigung  der  getrennten  Fingerextensoren  wird  die 
Naht  neuerdings  sehr  empfohlen.  —  Die  Nadeln  müssen  durch  die  ganze 
Dicke  der  Sehne  geführt  werden. 

5.  Wunden  der  Nerven.  Kleinere  Nervenzweige  werden  bei 
allen  Wunden  verlezt,  grössere  Nervenstämme  seltener.  Verlezungen  der 
Nerven  veranlassen  grösstentheils  den  Wundschmerz ,  können  aber  auch 
zuweilen  stürmische  Reactionen  des  ganzen  Nervensystems  bedingen.  Ist 
ein  Nerv  ganz  getrennt,  so  ziehen  sich  die  Enden  nur  wenig  zurück,  und 
der  von  demselben  versorgte  Theil  wird  je  nach  der  Art  des  Nervens  sei- 
ner Empfindung  oder  Bewegung  beraubt.  Eine  Vereinigung  der  getrenn- 
ten Nervenenden  kann  stattfinden,  wenn  die  Entfernung  derselben  nicht 
über  2  bis  3  Linien  beträgt.  Ein  in  Folge  der  Entzündung  sich  bilden- 
des plastisches  Exsudat  sezt  die  Enden  mit  einander  in  Verbindung ,  und 
durch  Organisirung  dieses  Exsudats  kommt  eine  Vereinigung  zu  Stande, 
womit  sich  auch  die  Leitungsfähigkeit  des  Nervens  wieder  herstellt.  Kommt 
die  Vereinigung  nicht  zu  Stande,  so  wird  das  peripherische  Ende  atrophisch, 
das  centrale  dagegen  kolbig.  —  Ist  der  Nerv  nicht  ganz  getrennt  oder 
angestochen ,  so  erfolgt  zunächst  ein  heftiger  nach  dem  peripherischen 
Verlauf  des  Nerven  ausstrahlender  Schmerz ,  der  sich  gewöhnlich  ohne 
weitere  Zufälle  bald  verliert.  Wird  der  verlezte  Theil  aber  nicht  geschont 
oder  einer  Erkältung  ausgesezt,  und  ist  der  Verlezte  überdies  von  reizbarer 
Constitution,  so  dauert  der  Schmerz  ungewöhnlich  lange  an  ;  es  kann  selbst 
zu  einer  eigentlichen  Neuralgie  oder  zu  Krämpfen  kommen  ,  welche  den 
Uebergang  in  Tetanus  befürchten  lassen.  —  Behandlung.  Bei  völ- 
lig getrennten  Nerven  unterstüzt  man  die  Vereinigung  der  Enden  durch 
eine  geeignete  Lage  des  Theils  ;  unvollständig  getrennte  schneidet  man 
vollends  durch.  Den  Erscheinungen  gesteigerter  Nervenerregung  begegnet 
man  durch  warme  narkotische  Breiumschläge  und  innerlich  Aqua  1  a  u  - 
rocerasi,  Extr.  hyoscyami  und  steigt  die  Reizbarkeit  bis  zu  Kräm- 
pfen und  ist  Gefässaufregung  damit  verbunden,  so  reicht  man  nach  einem 
vorausgeschickten  vorsichtigen  Aderlass  Opium  (s.  Wundstarr- 
krampf). 

D.   Wunden  der  einzelnen  Körpertheile. 
1.   Kopfwunden,   Vulnera   capitis.      Die  Verlezungen  des 
Kopfs  bilden  das  wichtigste  und  schwierigste  Kapitel  in  der  ganzen  Chi- 


WUNDEN  DES  KOPFS.  1065 

rurgie.  Die  Wichtigkeit  ist  bedingt  durch  das  Gehirn  ,  welches  bei  die- 
sen Verlezungen  immer  mehr  oder  weniger  in  seiner  Integrität  gefährdet 
wird ;  die  Schwierigkeit  findet  ihre  Erklärung  darin,  dass  man,  besonders 
bei  in  der  Schädelhöhle  entstandenen  Verlezungen,  sehr  oft  über  den  Siz 
und  Umfang  des  Uebels  in  Ungewissheit  schwebt  und  häufig  dem  Kran- 
ken eine  ausreichende  Hülfe  nicht  zu  Theil  werden  kann.  —  Um  die 
Kopfverlezungen  in  allen  ihren  Momenten  genau  unterscheiden  zu  lernen,, 
theilt  man  sie  hinsichtlich  ihres  Sizes  in  Wunden  1)  der  Weichtheile 
des  Schädels,  2)  des  Schädels  selbst  und  3)  des  Gehirns 
und  seiner  Häute.  Weiter  betrachtet  man  als  Folgen  dieser  Wun- 
den :  4)  die  Erschütterung,  5)  den  Druck  und  6 )  die  Entzün- 
dung des  Gehirns.  —  I.  Wunden  der  Weichtheile  des 
Schädels,  Kopfwunden  im  engern  Sinne.  Die  Weichtheile 
des  Schädels  können  von  allen  Arten  von  Verlezungen  betroffen  werden,, 
wie  Stichwunden,  Schnittwunden,  Hiebwunden  etc.,  und  kann  die  Trennung- 
sich entweder  blos  auf  die  Kopfschwarte  beschränken  oder  auch  die  G  a  - 
lea  aponeurotica,  die  Muskeln  (Stirn-,  Sehläfenmuskel  etc.)  durch- 
drungen sein.  —  Stichwunden  haben  bisweilen  eine  weitverbreitete 
Entzündung  erysipelatöser  Natur,  mit  Fieber,  Schlafsucht  und  Irrereden 
zur  Folge.  Besonders  treten  diese  drohenden  Erscheinungen  bei  Personen 
auf,  die  häufig  an  galligen  Krankheiten,  Gesichtsrose  u.  dgl.  leiden  ,  oder 
wenn  die  Aponeurosen  der  Kopfmuskeln  getroffen  wurden.  Die  Behand- 
lung solcher  Zufälle  erfordert  zuweilen  Aderlässe ,  Brech  -  oder  Purgir- 
mittel ,  Blutegel ,  kalte  Umschläge  und  besonders  bei  Ergriffensein  der 
Galea  tiefe  Einschnitte.  Bildet  sich  irgendwo  Eiterung ,  so  öffnet  man 
den  Abscess  frühzeitig  und  sorgt  für  freien  Abfluss  des  Eiters.  —  Ein- 
fache Schnitt-  und  Hiebwunden  fordern  nach  allgemeinen  Regeln 
die  Vereinigung,  welche  man  nach  der  Entfernung  der  Haare  in  der  Um- 
gebung der  Wunde  durch  Heftpflaster  und  eine  passende  Kopf  binde  ins 
Wejk  sezt.  Ist  ein  Lappen  abgetrennt,  so  heftet  man  ihn  nach  gehöri- 
ger Reinigung  durch  einige  Knopfnähte  oder  mit  Heftpflastern  wieder  an. 
Eine  Compresse  und  Kopfbinde  vervollständigt  den  Verband.  Heilt  der 
Lappen  nicht  vollständig  an ,  bilden  sich  Eiterherde  ,  so  muss  man  dem 
Eiter  gehörig  Abfluss  verschaffen  ,  nötigenfalls  Gegenöffnungen  machen 
und  einen  massigen  Druck  ausüben.  Blutungen  aus  der  Art.  fronta- 
lis, temporalis  oder  occipitalis  stillt  man  durch  die  Compression 
oder  Ligatur.  —  Contusionen  der  Weichtheile  des  Schädels  bringen 
die  sogenannten  Beulen  hervor,  die  sich,  wenn  sie  klein  sind,  gewöhn- 
lich durch  kalte  Umschläge  und  einen  massigen  Druck  leicht  zertheilen  : 
sind  sie  gross,  deutlich  fluctuirend,  so  versucht  man  erst  ihre  Zertheilung 
durch  kalte  und  zertheilende  Umschläge ,  auch  Blutegel ,  und  wenn  Alles 
fehlschlägt ,  so  öffnet  man  sie  durch  einen  Einschnitt.  —  IL  Wunden 
des  Schädels.  Man  unterscheidet  Hieb-,  Stich-,  Quetsch- 
wunden und  Fracturen  des  Schädels.    —    1)  Hiebwunden.     Sie 


1066  WUNDEN  DES   KOPFS. 

haben  um  so  mehr  Bedeutung,  je  stumpfer  das  verlezende  Instrument ,  je 
grösser  also  auch  die  gleichzeitige  Erschütterung  des  Gehirns  war ,  und 
je  tiefer  die  Verwundung   eindrang.       Die   Alten   unterschieden   4  Arten  : 

1)  Hedra,  wo  das  Werkzeug  nur  eine  leichte  oberflächliche  Spur  zu- 
rücklässt ;  2)  Eccope,  wenn  das  Instrument  senkrecht  auftrifffc  und  einen 
geraden  Einschnitt  macht;  3)  Diacope,  wenn  es  einen  schiefen,  mehr 
oder  weniger  tiefen  Einschnitt  veranlasst;  4)  Aposceparnismös, 
wenn  ein  Knochenstück  ganz  abgehauen  ist.  —  Behandlung.  Ist  der 
Knochen  nur  leicht  angehauen,  so  kann  die  unmittelbare  Vereinigung  ein- 
treten. Wenn  jedoch  der  Knochen  in  seiner  ganzen  Dicke  durchhauen 
ist ,  so  handelt  es  sich  davon,  ob  die  Wunde  einfach  oder  gequetscht  ist 
und  ob  mit  ihr  noch  Nebenverlezungen ,  wie  ein  Sprung  im  Knochen, 
Hirnerschütterung,  Extravasat  etc.  verbunden  sind.  Im  ersten  Falle  kann 
die  Wunde  sogleich  vereinigt  werden  ,  im  andern  lässt  man  einen  Kaum 
zwischen  den  Wundrändern,  um  dem  Eiter  etc.  Abfluss  zu  gestatten  ;  da- 
neben ein  angemessenes  antiphlogistisches  Verfahren  und  Verhalten. 
Wenn  ein  Stück  des  Schädels  völlig  abgelöst  ist  und  nur  noch  an  den 
Weichtheilen  hängt ,  so  kann  man  die  Anheilung  desselben  versuchen, 
wenn  es  von  einigem  Umfange ,  rein  abgeschlagen ,  nicht  gesprungen, 
hauptsächlich  aber  an  seiner  äussern  Fläche  nicht  vom  Periosteum  losge- 
löst ist.  Man  hat  sogar  die  Anheilung  eines  mit  dem  Hautlappen  völlig 
vom  Kopfe  getrennten  Knochenstücks  mit  Erfolg  unternommen.  Wenn 
die  angegebenen  Bedingungen  nicht  bestehen ,  so  thut  man  besser ,  das 
Knochenstück  auszuschälen  und  den  Lappen  für  sich  anzuheilen.  —  2 ) 
Stichwunden.  Sie  sind  meist  durch  Degen,  Bajonette,  Messer  etc., 
aber  auch  zuweilen  durch  halb  stumpfe  Werkzeuge  beigebracht.  Häufig 
durchdringt  das  verlezende  Instrument  nicht  die  ganze  Dicke  des  Schädels  ; 
ist  dies  aber  der  Fall,  so  kann  die  Tabula  vitrea  gesplittert,  das  Ge- 
hirn und  seine  Häute  verlezt  sein.  In  vielen  Fällen  bricht  das  Instrument 
in  der  Wunde  ab  und  bleibt  stecken.  —  Die  Behandlung  ist  nach 
■den  Zufällen  einzurichten.  Ist  das  zurückgebliebene  Instrument  nicht 
zu  entfernen ,  so  ist  die  Trepanation  angezeigt ,  wenn  sich  auch  zunächst 
keine  üblen  Zufälle  zeigen,  da  die  Erfahrung  lehrt,  dass  solche  noch  nach 
Jahren  sich  einstellen  können.  —  3)  Quetschungen.  Sie  entstehen 
durch  stumpf  wirkende  Gewalt  (Stoss,  Schlag,  Fall,  Schuss),  und  sind  im 
Allgemeinen  schwere  Verlezungen,  da  sich  bei  ihnen  in  den  meisten  Fäl- 
len die  Verlezung  nicht  auf  den  Knochen  beschränkt,  sondern  auch  dem 
Gehirn  eine  mehr  oder  minder  verderbliche  Erschütterung  mitgetheilt , 
wird.  Wenn  dies  leztere  aber  auch  nicht  der  Fall  ist,  so  kann  die  oft 
erst  sehr  spät  auftretende  Entzündung  des  Knochengewebes  sich  noch  dem 
Gehirn  und  seinen  Häuten  mittheilen.  Eindrücke  des  Knochens 
ohne  Bruch  sinfl  nur  bei  Kindern  möglich,  die  einen  dünnen  nachgiebigen 
Schädel  haben.  —  Behandlung.  Da  sich  die  Tragweite  einer  solchen 
Verlezung  nicht  zum  Voraus  bestimmen  lässt,  so  thut  man  gut.  den  Kran- 


WUNDEN  DES  KOPFS.  1067 

ken  sorgfaltig  zu  überwachen  ,  ihn  einem  strengen  Regimen  zu  unterwer- 
fen, wenn  er  jung  und  blutreich  ist,  einen  vorbeugenden  Aderlass  vorzu- 
nehmen, worauf  man  des  Weitern  je  nach  den  auftretenden  Cerebralsym- 
ptomen  verfährt  ;  kalte  Umschläge  und  Ableitungen  auf  den  Darmkanal 
sind  nie  zu  versäumen.  Nach  B  o  y  e  r  soll  man ,  sobald  man  das  P  e  r  i  - 
cranium  vom  Knochen  abgelöst  und  die  Farbe  des  leztern  verändert 
ündet,  trepaniren.  Da  sich  aber  der  Umfang  einer  Schädelcontusion  sel- 
ten mit  Sicherheit  bestimmen  lässt,  so  folgen  die  Wundärzte  dieser  Praxis 
nicht  mehr.  Die  Eindrücke  des  Schädels  gleichen  sich  oft  ohne  Zuthun 
der  Kunst  wieder  völlig  aus  ;  sie  werden  einfach  als  Contusionen  behan- 
delt. —  4)  Knochenbrüche  des  Schädels,  Fractura  cranii. 
Diese  sind  verschieden,  je  nachdem  die  Knochentrennung  schmal  (Spalte, 
F  i  s  s  u  r  a)  oder  breit  ist  (Bruch,  Fractura).  Ihre  Richtung  ist  ent- 
weder gerade  oder  gezackt,  oder  läuft  nach  verschiedenen  Seiten  aus.  Sie 
besteht  entweder  an  der  Stelle  ,  wo  die  Gewalt  eingewirkt  hat ,  oder  von 
dieser  entfernt,  durch  Gegenstoss  bewirkt  (Gegenspalten,  Contra- 
fissurae,  oder  Gegenbrüche,  Contra  fr  acturae).  Ihre  Er- 
kennung ist  nur  dann  leicht ,  wenn  eine  Wunde  der  Weichtheile  damit 
verbunden  ist ;  die  Erkenntniss  der  Gegenbrüche  ist  dagegen  unsicher. 
Meistens  findet  eine  Quetschung  der  Diploe  statt  und  die  innere  Tafel  ist 
gesplittert ;  zuweilen  ist  der  Bruch  mit  einem  Knocheneindrucke  verbun- 
den :  auch  kann  die  innere  Tafel  splittern ,  ohne  dass  die  äussere  noth- 
gelitten  hätte.  —  Als  Zeichen ,  welche  das  Dasein  und  den  Siz  einer 
Schädelfractur  anzeigen  sollen  ,  hat  man  angegeben  :  wenn  die  Haut  ge- 
trennt ist,  die  Ablösung  des  Pericraniums  ;  diese  Lostrennung  findet  sich 
aber  auch  ohne  einen  Bruch  und  ist  auf  der  andern  Seite  nicht  bei  allen 
Brüchen  vorhanden.  Tritt  sie  dagegen  später  ein ,  so  hat  sie  eine  bei 
weitem  grössere  Bedeutung  als  Symptom,  denn  in  den  meisten  Fällen  deu- 
tet sie  dann  auf  eine  krankhafte  Thätigkeit  im  Innern  des  Schädels  hin. 
Ein  gleich  unsicheres  Zeichen  ist  eine  teigige  Geschwulst,  welche  sich  an 
der  Stelle  entwickeln  soll,  wo  die  Contrafractur  sich  findet.  Denn  diese 
Geschwulst  fehlt  meistens,  und  wo  sie  vorhanden,  ist  sie  mehr  die  Folge 
eines  durch  den  Fall  hervorgebrachten  Stosses.  Nicht  viel  mehr  Werth 
hat  der  Schmerz,  welcher  die  Kranken  veranlasst,  nach  der  Stelle  desselben 
zu  greifen.  Nicht  versäumen  darf  man  bei  nicht  entblösstem  Schädel 
die  Untersuchung  des  verlezenden  Körpers,  wie  man  auch  die  Gewalt  und 
Richtung  seiner  Einwirkung  zu  ermessen  suchen  und  den  Kranken  endlich 
über  seine  Empfindung  im  Augenblicke  der  Verlezung  befragen  muss. 
Wenn  die  Zersplitterung  der  Knochen  beträchtlich  ist ,  so  erkennt  man 
sie  leicht  durch  die  Berührung ,  es  mag  Eindruck  vorhanden  sein  oder 
nicht,  die  weichen  Theile  mögen  gesund  oder  gequetscht  sein.  Ist  blos 
eine  Quetschung  an  den  äussern  Bedeckungen  ohne  Eindruck  und  ohne 
Beweglichkeit ,  aber  mit  den  übrigen  sogenannten  rationellen  Zeichen 
(nämlich  Gehirnsymptomen   und   den   örtlichen  Wirkungen  des  Bruches), 


1068  WUNDEN  DES  KOPFS. 

so  ist  die  Quetschung  eine  Anzeige  für  den  Ort  des  Bruches ,  und  hier 
muss  man  die  weichen  Theile  einschneiden,  um  den  Knochen  blosszulegen. 
—  Den  Contrafracturen  an  der  Schädelbasis  hat  man  vorzugsweise  Blu- 
tungen aus  den  Ohren  und  der  Nase,  so  wie  Sugillationen  der  Augenlider 
zugeschrieben  ;  man  sieht  diese  aber  auch  nach  einer  einfachen  Erschüt- 
terung entstehen  ,  und  nicht  selten  Kranke  mit  diesen  Symptomen  ohne 
besondere  Zufälle  genesen  ;  nur  wenn  die  Blutungen ,  besonders  aus  dein 
Ohr  von  einiger  Bedeutung  sind,  darf  man  mit  einiger  Sicherheit  auf  einen 
Bruch  schliessen.  Symptome  von  viel  grösserer  Bedeutung  für  die  An- 
nahme eines  solchen  Bruches  sind  :  Amaurosis  eines  oder  beider  Augen, 
Lähmung  der  einen  Gesichtshälfte  und  Ausfluss  einer  serösen  Flüssigkeit 
aus  dem  Ohr,  welche  in  den  ersten  Tagen  nach  der  Verlezung  eintritt,, 
oft  lange  Zeit  andauert  und  nicht  selten  eine  bedeutende  Quantität  um- 
fasst.  Diese  Flüssigkeit  ist  die  in  dem  Arachnoidealsacke  eingeschlossene 
Cerebro-spinalflüssigkeit ;  wenn  diese  Flüssigkeit  daher  an  irgend  einer 
Stelle  des  Schädels  (meistens  aus  dem  Ohre,  doch  auch  aus  der  Nase  und 
am  Schädelgewölbe)  nach  aussen  tritt ,  so  muss  nothwendig  der  dieselbe 
einschliessende  Sack  zerrissen  ,  wie  auch  der  entsprechende  Knochen  ge- 
sprungen sein.  —  Die  Brüche  des  Schädels  bewirken  an  sich  ,  als  reine 
Aufhebung  des  Zusammenhangs  ,  keine  primären  Zufälle ,  wenn  sie  ohne 
Eindruck  und  ohne  Verlezung  eines  beträchtlichen  Gef  ässes  sind,  gewöhn- 
lich aber  entsteht  eine  Blutausschwizung  aus  den  Gefässen  der  Diploe 
und  aus  jenen  der  harten  Hirnhaut,  welche  vom  Knochen  getrennt  wurde. 
Dadurch  entsteht  eine  mehr  oder  weniger  beträchtliche  Ergiessung,  die 
das  Gehirn  zusammendrückt  und  Zufälle  des  Drucks  hervorruft ;  oder  es 
kommt  in  Folge  einer  Entzündung  des  Gehirns  und  seiner  Häute  zu  einem 
eiterigen  Extravasat  oder  einer  Lymphausschwizung.  —  Eine  sehr  seltene 
Erscheinung  ist  das  Auseinanderweichen  der  Nähte,  Diast  a  - 
sis  suturarum.  Sie  kann  entweder  als  Complication  einer  ausgedehn- 
ten Fractur  oder  für  sich  durch  Gegenschlag  vorkommen.  In  lezterem 
viel  selteneren  Falle  wird  in  Folge  der  sehr  bedeutenden  Gewalt,  welche 
zur  Herbeiführung  einer  solchen  Verlezung  nothwendig  ist ,  eine  erheb- 
liche Gehirnerschütterung ,  so  wie  eine  beträchtliche  Blutergiessung  zwi- 
schen die  Dura  mater  und  die  Schädelknochen  veranlasst,  welche  den 
Fall  immer  zu  einem  sehr  bedenklichen  macht.  ■ —  Die  Prognose  ist 
immer  ungewiss.  Ein  jeder  Bruch  des  Schädels  sezt  eine  heftige  Gewalt- 
thätigkeit  voraus,  welche,  wenn  auch  der  Bruch  des  Knochens  an  und  für 
sich  nicht  gefährlich  ist ,  doch  meist  das  Gehirn  und  seine  Häute  nicht 
unbetheiligt  lässt.  Besonders  beruht  die  Prognose  auf  dem  Grade  der 
Gehirnerschütterung  und  auf  der  Stelle  und  Grösse  des  Bruchs.  Die 
spröde  und  glasartige  Beschaffenheit  der  innern  Tafel  des  Schädels  macht, 
dass  sie  beinahe  nie  in  der  Richtung  und  dem  Umfange  der  äussern  brichtT 
sondern  dass  der  Bruch  fast  immer  strahlenförmig  ausläuft,  dass  sie  meist 
splittert,  wodurch  die  harte  Hirnhaut  immer  mehr  oder  weniger  losgetrennt 


WUNDEN  DES  KOPFS.  1069 

und  verlezt  wird.  Die  Gewalttätigkeit  selbst  bedingt  in  den  meisten 
Fällen  Quetschung  der  Diploe  und  darauf  folgende  Entzündung.  Frac- 
turen  in  der  Basis  cranii,  besonders  der  Pars  basilaris  und  pe- 
t  r  o  s  a  ,  sind  in  der  Regel  tödtlich.  Grosse  Zerstörungen  der  Knochen 
sind  übrigens  oft  weniger  schlimm ,  als  einfache  Risse ,  weil  es  dort  weit 
leichter  ist,  das  Uebel  zu  entdecken,  weil  dabei  das  Gehirn  meist  eine  ge- 
ringere Erschütterung  erlitten  hat  und  (weil  die  Kraft  der  verlezenden 
Gewalt  an  der  verlezten  Stelle  sich  erschöpft  hat)  und  Extravasat  und 
Splitter  besser  entfernt  werden  können.  Brüche  ohne  Eindruck  und  ohne 
Yerlezung  beträchtlicher  Gefässe  sind  weniger  gefährlich,  als  wo  dies 
statt  hat.  Erstrecken  sich  tiefe  Fissuren  bis  an  die  Orbita,  sind  die  Um- 
gebungen des  Auges,  hauptsächlich  das  untere  Augenlid,  sugillirt,  so  rei- 
■chen  sie  auch  gewöhnlich  bis  in  die  Schädelbasis  ;  der  Kranke  legt  dann 
meinen  Kopf  sehr  nach  hinten  ;  der  Ausgang  ist  meist  tödtlich.  —  Be- 
handlung. Früher  trepanirte  man  bei  jedem  Schädelbruch ,  mochten 
Zufälle  des  Drucks  und  der  Reizung  des  Gehirns  zugegen  sein  oder  nicht. 
Im  ersten  Falle  nahm  man  die  Trepanation  vor,  um  dem  ergossenen  Blute 
Ausgang  zu  verschaffen  und  die  eingedrückten  Knochenstücke  zu  erheben, 
im  zweiten ,  um  den  consecutiven  Zufällen ,  wie  der  Entzündung ,  den 
Blutergiessungen  etc.  zuvorzukommen,  weil  es  nach  ihrem  Eintritt  zu  spät 
sei.  Später  wurden  die  Indicationen  zur  Trepanation,  besonders  von 
D  e  s  a  u  1 1 ,  sehr  eingeschränkt,  weil  man  fand,  dass  man  in  vielen  Fällen 
durch  eine  strenge  antiphlogistische  Behandlung  Herr  über  die  Entzün- 
dung werden  könne.  —  Die  Schädelbrüche  verhalten  sich  sehr  verschie- 
den nach  dem  Grade  der  Gewalttätigkeit ,  wodurch  sie  hervorgebracht 
wurden ,  nach  der  Beschaffenheit  der  Schädelknochen  und  den  anderwei- 
tigen Verlezungen  und  besonders  den  Affectionen  des  Gehirns,  welche  mit 
ihnen  verbunden  sein  können.  Sehr  oft  bestehen  sie  als  einfache  Knochen- 
verlezungen ohne  alle  Complicationen  und  heilen  bei  einfacher  Behand- 
lung der  Wunde,  bei  Aderlass  ,  Abführmitteln  mit  Tartarus  emeti- 
cus  in  re  fr  acta  dosi  und  kalten  Umschlägen.  Es  ist  daher  keines- 
wegs etwa  nothwendig  noch  rathsam ,  die  Weichtheile  einzuschneiden, 
blos  in  der  Absicht,  Brüche  oder  Spalten  aufzusuchen,  wenn  keine  ander- 
weitigen Umstände  es  erfordern.  Ferner  gibt  es  Brüche  ,  bei  denen  die 
Spalten  so  weit  klaffen,  dass  das  ergossene  Blut  leicht  abfliessen  oder  bei 
denen  man  durch  die  Hinwegnahme  loser  Knochensplitter  demselben  einen 
gehörigen  Abfluss  verschaffen  kann.  In  diesem  Falle  kann  die  Trepa- 
nation füglich  unterbleiben.  Anders  ist  es  bei  Comminutivbrüchen ,  wo 
sehr  bewegliche  Knochenstücke  eine  verschiedene  Richtung  haben ,  von 
denen  eines  oder  das  andere  nach  innen  gerichtet  ist ,  in  die  Dura  m  a  - 
t  e  r  sticht  oder  selbst  das  Gehirn  verlezt ;  hier  ist,  wenn  solche  Knochen- 
stücke nicht  auf  eine  mildere  Weise  entfernt  werden  können ,  die  prophy- 
lactische  Trepanation  angezeigt ,  gleichviel  ob  die  harte  Hirnhaut  verlezt 
und  Compression  zugegen  ist  oder  nicht.  —  Schädeleindrücke  ohne  gleich- 


1070  WUNDEN  DES  KOPFS. 

zeitige  Symptome  von  Hirndruck  erfordern  die  Trepanation  nicht ;  man 
sucht  sie  mit  einem  Elevatorium  zu  erheben,  wenn  dies  aber  auch  nicht 
gelingt,  so  kann  man  doch  zusehen,  da  sich  das  Gehirn  an  den  Druck  ge- 
wöhnen kann,  und  die  eingedrückten  Knochenstücke  sich  selbst  nach  und 
nach  wieder  erheben  können.  Treten  aber  Gehirnsymptome  ein ,  welche 
auf  eine  Störung  der  Gehirnfunctionen  durch  mechanische  Ursache  hin- 
deuten, so  muss  man ,  wenn  die  Erhebung  des  Knochenstücks  nicht  mög- 
lich ist ,  operiren.  —  Bei  dem  Auseinanderweichen  der  Nähte  bestehen 
meist  so  tiefe  Beschädigungen  der  in  der  Schädelhöhle  gelegenen  Theile, 
dass  von  einem  operativen  Eingriff"  nicht  viel  zu  erwarten  ist.  Vergl.  den 
Art.  Trepanation.  —  III.  Wunden  des  Gehirns  und  seiner 
Häute.  Diese  Wunden  werden  durch  niedergedrückte  Knochenstücke 
oder  durch  das  verlezende  Instrument  selbst,  welches  auch  zuweilen  als 
fremder  Körper  darin  stecken  bleibt ,  z.  B.  Kugeln  bei  eindringenden 
Schusswunden,  hervorgebracht.  Dabei  können  Theile  des  Gehirns  weg-( 
genommen  ,  es  kann  zerrissen,  gequetscht  sein ,  es  können  Zerreissungen 
von  Gefässen  und  Extravasate  entstehen,  auch  eine  starke  Erschütterung 
vorhanden  sein.  Zu  bemerken  ist ,  dass  das  Gehirn  nicht  selten  ohne 
Nachtheile  bedeutende  Eingriffe,  selbst  Substanzverluste  erträgt.  Die  Be- 
deutung dieser  Wunden  hängt  daher  keineswegs  allein  von  den  Störungen 
in  der  Continuität  dieses  Organs  ab  ,  sofern  jene  nicht  gewisse  Grenzen 
überschreiten,  sondern  vielmehr  von  der  zugleich  stattfindenden  Erschütte- 
rung und  der  nachfolgenden  Entzündung.  —  Behandlung.  Das  Erste 
muss  die  schonende  und  vorsichtige  Entfernung  der  fremden  Körper  sein, 
welche  man  bei  hinreichender  Oeffhung  mit  Zangen ,  dem  Tirefond  etc. 
aus  dem  Gehirn  und  dessen  Häuten  wegzunehmen  sucht.  Lässt  sich  der 
angegebene  Zweck  durch  die  bestehende  Wunde  nicht  erreichen,  so  muss 
man  trepaniren.  Ist  der  fremde  Körper  aber  in  der  Hirnsubstanz  ver- 
graben, so  lässt  man  ihn,  ehe  man  behufs  seiner  Aufsuchung  noch  grössere 
Verwüstungen  veranlasst,  lieber  zurück,  da  bekannt  ist,  dass  solche  Körper 
sich  einkapseln  und  oft  ohne  üble  Zufälle  zurückbleiben  können  ;  zuwei- 
len verursachen  sie  indessen  auch  intermittirende  Kopfschmerzen ,  oder 
nach  jahrelangem  Wohlsein  plözlich  Schlafsucht,  Convulsionen  und  den 
Tod.  —  Ausgetretene  Flüssigkeiten  in  der  Schädelhöhle  werden  durch 
eine  geeignete  Lage  des  Kopfs  am  besten  beseitigt.  Der  Verband  muss 
ganz  einfach  aus  lockerer  Charpie ,  Compresse  und  Kopftuch  bestehen. 
Bildet  sich  später  ein  Abscess  in  der  Hirnsubstanz,  so  öffnet  man  ihn  mit 
der  Lancette ,  und  tritt  Brand  der  Hirnwunde  ein,  so  verbindet  man  mit 
Chinadecoct,  mit  Digestivsalbe  und  Myrrhe  etc.  Die  übrige  Behandlung 
richtet  sich  nach  den  Umständen  und  muss  im  Anfange  in  der  Vorbeugung 
oder  in  der  Bekämpfung  der  Entzündung  bestehen.  —  IV.  Erschüt- 
terung des  Gehirns,  Commotio  cerebri.  Diese  ist  eine  häu- 
fige Begleiterin,  besonders  der  Kopfverlezungen,  und  entsteht,  indem  der 
verlezende  Körper  seine  Bewegung  dem  ganzen  Kopfe  mittheilt.  —  S  y  m- 


WUNDEN  DES   KOPFS. 


1071 


ptome.  Der  Kranke  stürzt  nach  erlittener  Gewalt  zusammen,  ist  be- 
wusstlos  und  klagt,  wenn  er  sieh  wieder  etwas  erholt  hat,  über  Schwindel, 
Neigung  zum  Schlafe ,  Klingen  und  Sausen  vor  den  Ohren.  In  einem 
höheren  Grade  der  Erschütterung  erholt  sich  der  Kranke  nicht  so  rasch, 
liegt  mit  blassem  Gesicht  und  kalten  Extremitäten ;  dabei  ist  das  Athmen 
leicht,  der  Puls  klein  und  gleichmässig,  die  Pupille  ist  erweitert,  das  Auge 
unempfindlich.  Erbrechen  fehlt  selten,  und  zuweilen  entstehen  Lähmun- 
gen einzelner  Glieder  oder  Sinnesorgane  auf  der  der  verlezten  Stelle  ent- 
gegengesezten  Seite  des  Körpers.  Im  höchsten  Grade  der  Erschütterung 
stirbt  der  Kranke  nach  wenigen  Secunden  durch  Vernichtung  der  Nerven- 
kraft. —  An  dem  Gehirn  solcher  plözlich  Verstorbener  zeigt  sich  keine 
sichtbare  Verlezung,  es  hat  nur  an  Consistenz  eingebüsst ,  indem  es  sich 
mit  leichter  Mühe  zerreissen  lässt ,  auch  findet  man  es  die  Schädelhöhle 
nicht  mehr  ganz  ausfüllend.  —  Die  Ursachen  sind  entweder  Erschüt- 
terung des  ganzen  Körpers  durch  einen  Fall  auf  die  Füsse  etc.  ,  oder  ein 
Schlag,  Stoss,  Fall  auf  den  Kopf  selbst.  —  Die  Prognose  ist  nach  dem 
Grade  der  Erschütterung  verschieden.  Geringere  Grade  können  ohne 
bleibende  Nachtheile  rasch  vorüber  gehen ,  höhere  aber  ausser  der  leicht 
hinzutretenden  Extravasation  von  Blut  oder  der  Entzündung  mit  ihren 
Gefahren,  Verlust  einzelner  Geisteskräfte  oder  Sinne  zurücklassen.  — 
Behandlung.  Bei  sehr  gesunkener  Lebensthätigkeit  kann  man  zwar 
für  den  Augenblick  reizende  Mittel,  z.  B.  Waschungen  mit  Wein  etc., 
innerlich  Arnica ,  Moschus  etc.  anwenden ,  sie  müssen  indessen  bei  den 
leisesten  Reactionssymptomen  (Hebung  des  Pulses  etc.)  ausgesezt  werden. 
Die  eigentliche  Behandlung  beruht  darauf,  die  Reaction  nach  der  Er- 
schütterung zu  verhüten  oder  die  Folgen  derselben  zu  beseitigen ,  und 
dazu  dienen  kalte  Umschläge,  kühlende  Abführmitte],  reizende  Klystiere, 
Sinapismen,  scharfe  Fussbäder  und  kleine  Aderlässe  ,  wenn  der  Puls  hart 
wird  ;  hat  man  Aderlässe  und  dadurch  bedingte  Schwäche  zu  fürchten,  so 
wendet  man  Blutegel  an.  In  den  spätem  Zeiträumen  der  Krankheit  nüzen 
Brechweinstein  in  gebrochener  Dosis,  Abführungen,  Arnica,  Vesicatore  in 
den  Nacken  etc.  —  Zurückbleibende  Lähmungen  werden  durch  reizend 
stärkende  Waschungen,  eisenhaltige  Bäder  etc.  behandelt.  —  V.  Druck 
des  Gehirns,  Compressio  cerebri.  Das  Gehirn  erleidet  in  Folge 
seiner  beständigen  Bewegungen  durch  die  dasselbe  einschliessende  Knochen- 
kapsel fortwährend  eine  wirkliche  Compression ;  diese  ist  aber  gemässigt 
und  gleichmässig  und  übt  daher  keinen  nachtheiligen  Einfluss  auf  dieses 
edle  Organ  aus.  Anders  aber  ist  es ,  wenn  ein  anderer  Körper  auf  dem 
Gehirn  lastet ,  mag  derselbe  nun  flüssig  oder  fest  sein  ;  hier  äussert  sich 
der  feindselige  Einfluss  alsbald  durch  Krankheitserscheinungen ,  die  nach 
dem  Grade  des  Drucks  verschieden  sind.  Im  leichteren  Grade  fühlt  der 
Kranke  einen  dumpfen  Kopfschmerz,  Schwindel,  Verdunklung  des  Gesichts 
und  erschwerte  willkürliche  Bewegung.  Bei  einem  höhern  Grade  liegt  der- 
selbe in  tiefem  Schlafe ,    die  Respiration   ist  beschwerlich ,   schnarchend, 


1072  WUNDEN  DES  KOPFS. 

■der  Puls  voll,  hart,  unregelmäßig,  das  Auge  starr,  die  Pupille  erweitert, 
«is  sind  Lähmungen  (meistens  der  entgegengesezten  Seite),  Convulsionen, 
unwillkürlicher  Abgang  des  Koths  und  Urins,  nicht  selten  Blutungen  aus 
Nase  und  Ohren  vorhanden  ;  der  Kr.  greift  oft  mit  der  Hand  nach  dem  Kopfe. 
Tritt  der  Tod  ein,  so  erfolgt  er  durch  Apoplexie.  —  Die  Kenntniss  des 
Sizes  eines  Ergusses  etc.  ist  bezüglich  der  Behandlung  von  Wichtigkeit. 
Zunächst  gibt  die  Lähmung  einen  Fingerzeig.  Diese  zeigt  die  Seite  an, 
wo  die  comprimirte  Stelle  zu  suchen  ist ;  sie  wird ,  wie  oben  bemerkt, 
meistens  auf  der  der  Lähmung  entgegengesezten  Seite  sein.  Findet  sich 
daselbst  eine  Verlezung ,  so  ist  wahrscheinlich  der  Erguss  unter  dieser. 
Ein  an  diesem  Orte  befindlicher  Knochenbruch  erhebt  die  Vermuthung 
fast  zur  völligen  Gewissheit.  In  späterer  Zeit  zeigt  bei  fehlender  äusserer 
Wunde  eine  teigige  diffuse  Geschwulst  auf  der  der  Lähmung  entgegen- 
gesezten Seite,  bei  bestehender  Wunde  die  Ablösung  des  Periosts  und  die 
Veränderungen  der  äussern  Wunde  (Auftreibung  der  Wundränder ,  Ver- 
färbung ,  Trockenwerden  derselben  oder  starker  Ausfluss  einer  jauchigen 
stinkenden  Flüssigkeit  aus  der  Wunde)  den  Siz  des  Ergusses  mit  ziem- 
licher Sicherheit  an.  —  Die  Ursachen  des  Hirndrucks  bestehen  in  der 
Ergiessung  von  Blut,  Lymphe,  Serum  oder  Eiter  durch  eingedrückte  Kno- 
chenstücke ,  Zerreissung  von  Gef  ässen ,  Ausschwizung  aus  denselben  und 
durch  Entzündung  und  deren  Folgen.  —  Gewöhnlich  entsteht  das  blutige 
Extravasat  einige  Minuten  oder  Stunden  nach  der  Verlezung ;  ein  Extra- 
vasat von  Lymphe,  Serum  oder  Eiter  erfolgt  erst  dann,  nachdem  Zeichen 
der  Entzündung  des  Hirns  vorausgegangen  sind.  —  Prognose.  Sie  ist 
bei  oberflächlich  liegenden,  geringeren  Ergüssen  von  Blut,  namentlich,  bei 
jüngeren  Personen  ziemlich  günstig,  da  dessen  Aufsaugung  erwartet  wer- 
den kann ;  verbinden  sich  aber  damit  die  Zufälle  der  Entzündung ,  oder 
liegt  das  Extravasat  in  der  Hirnsubstanz  oder  auf  der  Grundfläche  des 
Schädels,  so  ist  meistens  der  Tod  die  Folge.  Die  in  Folge  von  Entzün- 
dung auftretenden  Extravasate  von  Lymphe,  Eiter  etc.  geben  eine  schlimme 
Prognose.  Betreffs  der  Compression  des  Gehirns  durch  eingedrückte 
Knochenstücke  siehe  oben.  —  Behandlung.  Sie  beruht  auf  der  Ent- 
fernung des  blutigen  Extravasats  ,  der  Verhütung  der  Entzündung  oder 
der  Beseitigung  der  Entzündungsproducte.  Ueber  lezteres  s.  Entzündung 
des  Gehirns  und  seiner  Häute.  —  Die  Aufsaugung  des  blutigen  Extrava- 
sats versucht  man  in  allen  leichtern  Fällen  und  wo  der  Siz  desselben  nicht 
mit  Gewissheit  zu  bestimmen  ist ,  oder  die  Symptome  des  Drucks  nicht 
zunehmen.  Die  Mittel ,  welche  man  in  dieser  Absicht  anwendet ,  sind 
Blutentleerungen ,  abführende  Salze  und  kalte  Umschläge.  Nehmen  die 
Zeichen  des  Drucks  troz  dieser  Behandlung  zu  und  hat  man  zugleich  be- 
stimmte Andeutungen  über  den  Siz  des  blutigen  Extravasats,  so  niuss  man 
über  demselben  trepaniren.  Liegt  es  unmittelbar  unter  dem  Schädel,  so 
fliesst  es  nach  Eröffnung  desselben  aus ;  liegt  es  zwischen  oder  unter  den 
Hirnhäuten ,     so    müssen    diese    vorsichtig    eingeschnitten    werden.     — 


WUNDEN  DES  KOPFS.  1073 

VI.  Entzündung  des  Gehirns  und  seiner  Häute,  Encepha- 
litis et  Meningitis.  Diese  Entzündung  kann  sich  zu  der  geringsten 
wie  zu  der  ausgedehntesten  Schädelverlezung  gesellen  und  sie  ist  es  haupt- 
sachlich ,  welche  den  Kopfwunden  die  grosse  Bedeutung  verleiht ,  die  sie 
haben,  insofern  sie  nicht  nur  an  sich  gefährlich  ist,  sondern  es  auch  noch 
durch  ihre  Producte  wird.  Man  unterscheidet:  1)  Entzündung  der 
harten  Hirnhaut  und  2)  Entzündung  des  Gehirns.  Beide 
treten  unter  einer  acuten  und  einer  chronischen  Form  auf.  —  l) 
Entzündung  der  harten  Hirnhaut,  Meningitis  trauma- 
tica. Die  acute  Form  entwickelt  sich  gewöhnlich  am  3.  bis  5.  Tage 
mit  drückendem  Kopfschmerz,  Hize  des  Kopfs,  kleinem  härtlichen  Pulse 
und  Unbesinnlichkeit ,  welchen  Erscheinungen  mit  der  Bildung  der  Ex- 
sudate Betäubung  und  stille  Delirien,  Zuckungen,  unregelmässiger  Puls, 
weite  und  starre  Pupille ,  schnarchende  Respiration ,  unwillkürlicher  Ab- 
gang des  Koths  und  Urins  und  der  Tod  folgen.  —  Die  S  e  c  t  i  o  n  ergibt 
Röthung  der  Dura  mater  und  ein  über  dieslbe  ausgebreitetes  Lymph- 
exsudat. —  Die  chronische  Meningitis  bildet  sich  7  bis  1  4  Tage, 
zuweilen  noch  viel  später  nach  geschehener  Verlezung  aus.  Sie  charak- 
terisirt  sich  durch  Kopfweh,  Abgeschlagenheit,  taumelnden  Gang,  geringe 
Betäubung,  Fieberschauer  und  schnellen  Puls.  Dabei  entsteht  gewöhn- 
lich an  der  verlezten  Stelle  eine  umschriebene  Geschwulst  der  Kopfbe- 
deckungen, und  ist  eine  Wunde  zugegen ,  so  wird  diese  blass  ,  jauchend, 
das  Pericranium  löst  sich  und  über  und  unter  der  Dura  mater  sammelt 
sich  eine  gelbliche  Jauche  an ,  die  man  nach  dem  Tode  bei  der  Section 
findet.  —  2)  Entzündung  des  Gehirns,  Encephalitis  traumatica. 
Bei  der  acuten  Form  klagt  der  Kranke  bald  nach  der  Verlezung  über 
heftige,  reissende  Kopfschmerzen,  Erbrechen,  Unruhe  und  Schlaflosigkeit. 
Dabei  sind  die  Augen  geröthet,  lichtscheu,  die  Pupille  zusammengezogen, 
das  Gesicht  ist  roth ,  die  Carotiden  klopfen  stark ,  der  Puls  ist  voll  und 
hart  und  der  Kopf  heiss.  Später  entstehen  Zuckungen  und  wüthende 
Delirien.  In  diesem  Zustande  kann  der  Kranke  durch  Hirnlähmung  ster- 
ben ,  oder  es  tritt  Eiterung  ein ,  was  sich  durch  die  Erscheinungen  des 
Hirndrucks  zu  erkennen  gibt.  —  Die  Section  ergibt  Ueberf  üllung  des 
Gehirns  mit  Blut ,  Erguss  von  Lymphe  oder  Eiter  auf  dem  Gehirn ,  oder 
kleine  Abscesse  in  demselben.  —  Die  chronische  Encephalitis 
tritt  gleich  der  chronischen  Meningitis  oft  erst  sehr  spät  ein  und 
charakterisirt  sich  durch  dieselben  Zeichen.  Später  aber,  wenn  sich  hie 
und  da  Eiter  im  Gehirn  gebildet  hat,  treten  die  Zeichen  des  Hirndrucks 
auf,  die  meistens  mit  dem  Tode  endigen.  —  Fast  immer  fliessen  indessen 
die  Symptome  der  Meningitis  mit  denen  der  Encephalitis  zu- 
sammen. Man  sieht  dann  zu  dem  intensiven  Kopfschmerz,  zu  der  Unruhe 
und  der  geistigen  Erregtheit ,  den  Delirien  sich  Niedergeschlagenheit, 
Schwäche,  Coma  und  Lähmung  gesellen  ;  der  anfangs  lebhafte,  zusammen- 
gezogene und  schnellende  Puls  wird  später  langsam  und  breit.  —  Mit 
Bürger,  Chirurgie.  ßg 


1074  WUNDEN  DES   GESICHTS. 

dem  Eintritt  der  Eiterung  in  der  Schädelhöhle  bilden  sich  zuweilen  auch 
Abscesse  an  entfernten  Stellen,  in  dem  Parenchyme  anderer  Organe  z.  B. 
in  der  Leber ,  den  Lungen  etc.  Diese  Eiterherde  sind  offenbar  pyämi- 
schen  Ursprungs  und  nicht,  wie  man  ehemals,  besonders  von  den  Leber- 
abscessen,  glaubte ,  die  Folge  einer  Commotion  dieser  Organe  oder 
einer  sympathischen  Beziehung  zwischen  ihnen  und  dem  Gehirn.  —  Die 
Ursachen  der  Hirnentziindung  sind:  jede  von  aussen  einwirkende  Ge- 
walt, Knochensplitter,  Knocheneindrücke,  Verlezung  des  Gehirns  und  sei- 
ner Häute,  gewaltsame  Ablösung  der  Dura  mater,  Anhäufung  von 
Eiter  unter  den  Weichtheilen  des  Schädels  etc.  —  Die  Prognose 
hängt  hauptsächlich  von  der  Möglichkeit  ab ,  ob  man  die  Ursachen  ent- 
fernen kann  oder  nicht ,  und  ob  ,  wenn  der  Uebergang  in  Eiterung  oder 
Lymphausschwizung  eingetreten  ist ,  diese  Producte  fortgeschafft  werden 
können.  Die  Prognose  ist  immer  höchst  zweifelhaft.  —  Behandlung. 
Diese  muss  sehr  energisch  sein ;  es  bedarf,  sowohl  um  dem  Ausbruch  der- 
selben vorzubeugen ,  als  auch  um  sie  zu  bekämpfen ,  reichlicher  Biutent- 
ziehungen  ;  am  besten  beginnt  man  mit  einem  Aderlass ,  welchem  man 
eine  topische  Blutentziehung  folgen  lässt.  Bei  jungen  kräftigen  Leuten 
kann  man  anfangs  ein  paar  starke  Aderlässe  kurz  hinter  einander  vor- 
nehmen, welchen  man  nach  längeren  Zwischenräumen  weniger  reichliche 
folgen  lässt.  Manche  Wundärzte  ziehen  die  wiederholte  Application  von 
Blutegeln  vor.  Daneben  wendet  man  Eisumschläge ,  Calomel  in  abfüh- 
renden Gaben,  Tartarus  stibiatus  in  r  e  fr  acta  dosi,  Mittelsalze, 
ölige  Klystiere,  Ableitungsmittel  und  eine  strenge  Diät  an.  Nach  gebro- 
chener Entzündung  gibt  man  Arnica  vorsichtig  neben  den  genannten 
Mitteln.  Den  Kältegrad  der  Umschläge  muss  man  mindern  oder  die  An- 
wendung der  Kälte  auch  ganz  aufgeben ,  wenn  sich  Steifigkeit  des 
Halses  oder  Oedem  des  Schädels  einstellt.  Steigern  sich  troz  dieser 
Behandlung  die  Symptome,  verbinden  sich  damit  die  Zufälle  des  Drucks 
und  werden  die  Schädelknochen  missfarbig ,  so  ist ,  wenn  man  über  den 
Siz  des  Uebels  Gewissheit  hat,  die  Trepanation  angezeigt,  um  die  Ursache 
der  Verschlimmerung  zu  entfernen.  —  Bei  der  chronischen  Entzün- 
dung fährt  man  mit  der  ermässigten  antiphlogistischen  Behandlung  und 
vorzüglich  mit  den  kalten  Umschlägen  einige  Zeit  hindurch  fort  und  wen- 
det ableitende  Mittel  an  ;  bildet  sich  ein  Extravasat  von  geringer  Ausdeh- 
nung, so  kann  man  die  Trepanation  versuchen ,  ist  aber  eine  Ergiessung 
von  Lymphe  oder  Eiterbildung  in  grösserem  Umfang  vorhanden,  so  ist  "in 
der  Regel  jede  Behandlung  fruchtlos. 

2.    Wunden  de  s  Gesicht  s  und  desMundes. 

Gesichtswunden  erfordern  die  besondere  Rücksicht,  entstellende 
Narben  zu  verhüten ;  es  muss  daher  unter  allen  Umständen  die  schnelle  Verei- 
nigung versucht  werden.  Dies  geschieht  durch  die  Anlegung  blutiger  Nähte, 
bei  nicht  tiefeindringenden  Wunden  durch  die  Anwendung  des  Collodium, 
durch  Vermeidung  der  Unterbindung  und  durch  einfachen  Verband  ohne  rei- 


WUNDEN   DES   GESICHTS.  1075 

zende  Salben.  Entsteht  Erysipelas  oder  acutes  Oedem,  so  wendet  man  äusser- 
lich  Bleiwasser  und  innerlich  Abführmittel  an.  —  a)  Wunden  der 
Augenbrauengegend.  Verticale  Wunden  können  mittels  Heft- 
pflaster vereinigt  werden ,  Querwunden  erfordern  aber  die  blutige 
Naht,  mit  der  man  sich  um  so  mehr  zu  beeilen  hat,  weil  sonst  leicht  ein 
Niederfallen  des  obern  Augenlids  veranlasst  wird.  —  Auf  diese  dem  An- 
schein nach  leichten  Wunden  folgen  manchmal  gefährliche  Zufälle  ,  wie 
Blindheit  oder  Gesichtsschwäche  ,  deren  Ursache  man  der  gleichzeitigen 
Erschütterung  oder  Zerreissung  der  Retina  oder  der  Quetschung  und 
Zerrung  des  Nervus  supraorbitalis  zuschreiben  muss.  Diese 
Complication  tritt  entweder  sogleich  mit  der  Verlezung  oder  erst  einige 
Zeit  nach  dieser  ein,  und  wird  anfangs  durch  kalte  Umschläge,  Blutegel 
und  weiterhin  durch  reizende  und  ableitende  Mittel,  wie  Arnica  innerlich 
und  Blasenpflaster  etc.  äusserlich  bekämpft.  Bei  der  in  Folge  der  Quet- 
schung und  Zerrung  des  Stirnnervens  bedingten  Amaurose  hat  man  die 
Durchschneidung  dieses  Nervens  empfohlen.  —  b)  Wunden  der  Au- 
genlider. Kleine  oberflächliche  Wunden  vereinigt  man  hier  am 
zweckmässigsten  mit  Collodium.  Bei  verticalen  Spaltungen  der  Augen- 
lider ist  die  blutige  Naht  erforderlich ,  wobei  die  Hefte  jedoch  nur  die 
äussere  Haut  fassen  dürfen.  Bei  zu  fürchtender  Entzündung  macht  man 
Ueberschläge  von  Bleiwasser.  —  c)  Wunden  der  Nase.  Diese 
vereinigt  man,  von  welcher  Form  sie  auch  sein  mögen,  am  besten  durch 
die  blutige  Naht,  wobei  man  sich  nicht  scheuen  darf,  wenn  man  es  für 
nöthig  erkennt,  die  Hefte  durch  die  Knorpel  zu  führen.  Bei  völlig  oder 
theilweise  abgetrennten  Theilen  der  Nase  drückt  man  den  abgelösten 
Theil,  sobald  die  sogenannte  plastische  Lymphe  hervorzuquellen  beginnt, 
genau  an  und  befestigt  ihn  mittels  der  Naht  oder  durch  wiederholtes  Be- 
streichen des  Wundrandes  mit  Collodium.  Selbst  wenn  ein  abgelöster 
Theil  schon  blass  und  kalt  ist ,  kann  man  dessen  Anheilen  versuchen.  — 
Nach  der  Verheftung  macht  man  Ueberschläge  von  kaltem  Wasser.  Völ- 
lig abgetrennt  gewesene  Nasentheile  hüllt  man  in  Baumwolle  ein.  Wei- 
tere Verbände  von  Heftpflastern  und  Binden  sind  unnöthig.  —  d)  Wun- 
den des  äussern  Ohrs.  Sie  erfordern  die  blutige  Naht,  welche  man 
unbedenklich  durch  die  Ohrknorpel  führen  kann  ;  bei  völliger  oder  theil- 
weiser  Abtrennimg  des  Ohrs  kann  man  noch  das  Collodium  zu  Hülfe  neh- 
men. Nach  der  Heftung  umgibt  man  das  ganze  Ohr  mit  Baumwolle  oder 
Charpie,  füllt  namentlich  auch  die  Einbuchtungen  desselben,  so  wie  auch 
den  Gehörgang  aus  und  hält  das  Ganze  mit  einer  Compresse  und  einem 
Kopftuche  fest.  —  e)  Wunden  derWangen  und  Lippen.  Ober- 
flächliche Wunden  der  Wange  kann  man  mit  Collodium  oder  Heftpfla- 
ster vereinigen ,  tiefer  ein-  oder  durchdringende  heftet  man  blutig  und 
wendet  kalte  Umschläge  an.  Die  Hefte  entfernt  man  am  2.  oder  3.  Tage. 
Ist  der  Ductus  Stenonianus  verlezt  und  bleibt  nach  versuchter 
schneller  Vereinigung  eine  Speichelfistel  zurück,  so  tritt  die  Behandlung 

68*     ' 


1076  WUNDEN  DES  HALSES. 

dieser  ein  (s.  d.  Art.  Speicheldrüse).  Mussten  Gefässe  unterbunden  wer- 
den ,  so  leite  man  die  Unterbindungsfäden  nach  aussen.  —  "Wunden, 
welche  die  Lippe  spalten,  erfordern  die  umwundene  Naht.  —  f)  Wun- 
den der  Zunge.  Sind  sie  nur  oberflächlich,  so  heilen  sie  von  selbst, 
tiefer  eindringende,  besonders  Querwunden,  machen  die  Naht  nothwendig. 
Blutungen  sucht  man  durch  kaltes  Wasser,  Wasser  und  Essig,  durch  Un- 
terbindung oder  das  Glüheisen  zu  stillen.  Dabei  darf  der  Kranke  nicht 
kauen  und  nicht  sprechen. 

3.  Wunden  des  Halses.  Diese  Wunden  haben  der  wichtigen 
Organe  wegen ,  die  sich  hier  finden ,  eine  grössere  Bedeutung ,  als  die 
Wunden  des  Gesichts.  Die  Verlezung  der  grossen  Blutgefässe  und  Ner- 
ven, der  Luft-  und  Speiseröhre  können  Ursachen  eines  mehr  oder  minder 
rasch  erfolgenden  Todes  sein.  —  Oberflächliche  Halswunden 
vereinigt  man  durch  Heftpflaster  oder  einige  blutige  Hefte  und  passende 
Lagerung  des  Kr.,  wobei  man  Sorge  trägt,  dass  keine  kürzenden  Narben 
entstehen.  —  Verlezung  der  Halsge  fasse.  Die  Verlezung  der 
grösseren  Gefässe  des  Halses,  namentlich  der  Carotis,  tödtet  meist  rasch 
durch  die  Blutung,  und  nur  selten  wird  man  Gelegenheit  und  Zeit  haben, 
dieselben  zu  unterbinden.  Eine  Verwundung  der  Vena  jugularis 
ist  weniger  gefährlich,  da  sie  oft  von  selbst  zu  bluten  aufhört  oder  doch 
früh  genug  an  ihrem  obern  Ende  unterbunden  werden  kann.  —  Die  Blu- 
tung aus  kleineren  Äesten  der  Carotis  stillt  man  durch  ihre  Unterbindung 
in  der  Wunde  oder  durch  diejenige  des  Hauptstamms.  —  Verlezung 
der  Muskeln.  Diese  erfordern  die  Naht,  besonders  wenn  die  "Muskeln 
quer  getrennt  sind.  Bis  zur  vollständigen  Verheilung  der  Wunde  niuss 
der  betroffene  Muskel  in  Erschlaffung  erhalten  werden.  Man  bewirkt 
dies  bei  Querwunden  an  der  vordem  Seite  des  Halses  durch  Vorwärtsbeu- 
gen mittels  der  Kohl  er' sehen  Müze ,  bei  solchen  im  Nacken  durch 
Rückwärtsbeugen  des  Kopfs  mittels  eines  passenden  Verbandes.  Bei 
Längenwunden  des  Halses  muss  der  Kopf  auf  die  der  Wunde  entgegen- 
gesezte  Seite  geneigt  werden.  —  Verlezung  der  Halsnerven. 
Verlezung  des  Nervus  vagus  führt  Verlust  der  Stimme,  krampfhafte 
Zufälle  und  den  Tod  herbei.  Verlezung  des  Nerv,  recurrens  veran- 
lasst für  einige  Zeit  oder  auf  immer  Stimmlosigkeit.  Verlezung  des 
Kamus  laryngeus  tödtet  durch  Hemmung  der  Respiration.  Verle- 
zungen  des  Nerv,  sympathicus,  phrenicus  oder  des  Rücken- 
marks führen  den  Tod  unter  Convulsionen  herbei.  —  Wunden  der 
Luftröhre  oder  des  Kehlkopfs.  Sie  sind  meistens  die  Folge  des 
versuchten  Selbstmords,  sind  an  sich  nicht  tödtlich,  verursachen  aber  an- 
fangs heftige  Blutungen ,  Stimmlosigkeit ,  Austreten  von  Luft ,  Speichel 
und  Getränken  und  später  heftige  Entzündung  und  Krampf  der  Luftröhre, 
Emphysem,  Erstickungszufälle  etc.  Gewöhnlich  sind  es  Querwunden 
zwischen  dem  Kehlkopfe  und  dem  Zungenbeine.  —  Behandlung. 
Nachdem  die  Blutung  gestillt  ist,  bringt  man  die  Wundränder  durch  star- 


WUNDEN  DES  HALSES.  1077 

kes  Vorwärtsneigen  des  Kopfs  in  gegenseitige  Berührung  und  erhält  sie 
darin  durch  einen  geeigneten  Verband  (Köhler'  sehe  Müze,  eine  hinten 
steife  Halsbinde)  ,  wobei  der  Kranke  etwas  auf  die  Seite  geneigt  liegt, 
damit  das  Wundsecret  nicht  in  die  Luftröhre  fliesst.  Blutige  Hefte  legt 
man  nur  an  ,  wenn  sich  die  Wundränder  beim  Vorwärtsneigen  des  Kopfs 
nach  innen  umklappen,  so  wie  auch  wenn  die  Trachea  ganz  durchschnitten 
ist ;  in  beiden  Fällen  lässt  man  aber  die  Nadeln  nur  durch  die  äussere 
Haut  gehen.  Die  Blutung  muss  vollständig  aufgehört  haben,  bevor  man 
die  Naht  anlegt,  da  sonst  Ansammlung  des  Blutes  und  darnach  Eiterung 
unter  der  vereinigten  Haut  erfolgen  würde.  Entsteht  Luftröhrenentzün- 
dung oder  Krampf  der  Luftröhre,  so  öffnet  man  eine  Ader,  gibt  Emulsio- 
nen mit  Nitrum  und  Extr.  hyoscyanii  und  nebenbei  Calomel.  Die 
Nahrungsmittel  müssen  flüssig  sein.  Da  die  schnelle  Vereinigung,  be- 
sonders bei  unregelmässigen  Wunden,  häufig  nicht  zu  Stande  kommt,  so 
rathen  mehrere  Wundärzte  gleich  von  vorn  herein,  die  Heilung  der  Wunde 
durch  Eiterung  und  Granulation  herbeizuführen.  Entsteht  Emphysem, 
was  besonders  bei  Stichwunden  gern  der  Fall  ist ,  so  erweitert  man  die 
Wunde  und  macht  kleine  Einstiche.  Zurückbleibende  Heiserkeit  besei- 
tigt man  durch  Milchdiät;  bei  starkem  Auswurfe  mit  Sinken  der  Kräfte 
gibt  man  isländisches  Moos  mit  China  und  Narcoticis.  Bei  grosser  Auf- 
geregtheit nach  Selbstmordversuchen  zeigen  sich  Digitalis  und  Opium 
nüzlich ,  ebenso  wenn  der  Verlezte  von  Delirium  tremens  befallen 
wird.  —  Verticalwunden  der  Luftröhre  vereinigt  man  mit  Heftpflaster 
und  lässt  den  Kopf  längere  Zeit  rückwärts  halten.  —  Zurückbleibende 
Fisteln  heilt  man  später  durch  die  umschlungene  Naht  oder  die  Ueber- 
pflanzung  eines  Hautlappens.  —  Wunden  der  Speiseröhre.  Man 
erkennt  sie  bei  grossen  Wunden  durch  das  Gesicht ,  durch  die  Untersu- 
chung mit  dem  Finger  und  durch  das  Ausfliessen  verschluckter  Flüssigkei- 
ten aus  der  Wunde.  Die  tiefe  Lage  der  Speiseröhre  macht  es  erklärlich, 
dass  sie  kaum  jemals  von  einem  verwandenden  Instrument  getroffen  wer- 
den kann ,  ohne  dass  vorher  andere  wichtige  Theile  verlezt  worden  sind. 
Namentlich  ist  es  die  Luftröhre  ,  welche  wohl  selten  einer  gleichzeitigen 
Verlezung  entgeht ;  doch  sind  auch  die  Carotiden,  die  Jugularvenen,  die 
grossen  Halsnerven  gefährdet.  Die  Behandlung  hat  die  Entzündung 
zu  bekämpfen  und  die  Vereinigung  der  äussern  Wunde  so  lange  zu  ver- 
hindern ,  bis  dieselbe  in  der  Tiefe  zu  Stande  gekommen  ist ,  was  man 
daran  erkennt ,  dass  keine  Speisen  und  Getränke  mehr  aus  der  Wunde 
hervortreten.  Ist  die  Wunde  von  einiger  Ausdehnung ,  so  ist  es  nöthig, 
eine  Schlundsonde  durch  die  Nase  einzuführen ,  um  sowohl  den  Kranken 
mit  Nahrung  zu  versorgen  ,  als  auch  das  Ausfliessen  derselben  wie  des 
Speichels  aus  der  Wunde  zu  verhüten.  Am  besten  bleibt  die  Röhre  lie- 
gen ;  erträgt  sie  der  Kranke  nicht,  so  muss  man  sich  auf  ernährende  Kly- 
stiere  und  Bäder  beschränken.  Den  quälenden  Durst  mildert  man  durch 
mit  Zucker  bestreute  Citronenscheiben ,   welche  man  auf  die  Zunge  legt. 


1078  WUNDEN  DER  BRUST. 

—   Nicht   selten  bleiben  Verengerungen  oder  beuteiförmige  Erweiterun- 
gen der  Speiseröhre  zurück,  wodurch  das  Schlingen  erschwert  wird. 

4.  Wunden  der  Brust.  Diese  Wunden  sind  entweder  ober- 
flächliche oder  in  die  Brusthöhle  eindringende  (penetri- 
rende).  Leztere  können  mit  fremden  Körpern,  Bluterguss,  Vorfall  ei- 
nes Theils  der  Lunge  oder  mit  Verlezung  von  Brustorganen  complicirt 
-sein.  —  I.  Oberflächliche  (nicht  penetrireude)  Brust- 
wunden. Hieb-  und  Schnittwunden  haben  keine  grössere  Be- 
deutung ,  als  ähnliche  Wunden  anderer  Körpergegenden.  Stichwun- 
den veranlassen  nicht  selten  entzündliche  Erscheinungen,  zuweilen  erysi- 
pelatöser  Natur,  besonders  häufig  aber  Nervenzufälle.  Schusswunden 
können  durch  die  Quetschung ,  welche  sie  auf  die  Brustorgane  ausüben, 
von  Bedeutung  werden.  Nicht  selten  laufen  schief  auftreffende  Kugeln, 
einer  Rippe  folgend,  unter  der  Haut  um  den  Brustkasten  herum,  wodurch 
man  im  ersten  Augenblicke  zu  dem  Glauben  verleitet  werden  könnte,  dass 
die  Kugel  durch  den  Thorax  hindurchgegangen  sei.  Ein  röthlicher  er- 
habener Streifen  auf  der  Haut  zeigt  den  Lauf  der  Kugel  an.  —  Die  B  e- 
handlung  der  oberflächlichen  Brustwunden  weicht  in  keiner  Weise  von 
derjenigen  anderer  Wunden  ab.  Entzündliche  Zustände  machen  ein  anti- 
phlogistisches Verfahren  nothwendig.  Die  unter  der  Haut  weilende  Ku- 
gel entfernt  man  durch  einen  Einschnitt  an  dieser  Stelle.  —  IL  Pen  e- 
trirende  Brust  wunden.  —  a)  Einfach  penetrirende  Wun- 
den, d.  h.  solche  ,  bei  welchen  blos  das  Cavum  pleurae  geöffnet  ist, 
erkennt  man  durch  das  Aus-  und  Einströmen  der  Luft  aus  der  Wunde 
beim  Athmen,  durch  das  Austreten  von  schaumigem  Blute,  durch  die  Bil- 
dung eines  Emphysems  bei  schrägem  oder  verstopftem  Wundkanale  und 
durch  die  erschwerte  Respiration ,  indem  die  in  die  Brusthöhle  eindrin- 
gende Luft  die  Lungen  zusammendrückt  und  den  Blutumlauf  hindert.  — 
Die  Behandlung  besteht  in  der  schnellen  Schliessung  der  Wunde 
mittels  Heftpflaster,  welches  man  noch  mit  Collodium  überstreichen  kann, 
und  einer  Compresse,  welche  man  mit  einer  breiten  Brustbinde  befestigt. 
Dann  behandle  man  den  Kranken  streng  antiphlogistisch  durch  Aderlässe, 
kühlende  Mixturen  etc.  —  Gelingt  es  nicht,  die  Entzündung  zu  verhüten, 
so  kann  Brustwassersucht,  Empyem,  Zehrfieber  die  Folge  sein.  —  b)  Pe- 
netrirende Brustwunden,  complicirt  durch  fremde  Kör- 
per. Die  fremden  Körper ,  welche  diese  Wunden  compliciren  können, 
sind  abgebrochene  Stücke  des  verlezenden  Instruments ,  Kugeln ,  Klei- 
dungsstücke oder  eingeknickte  Rippen.  Dieselben  bieten  zunächst  einen 
wesentlichen  Unterschied  dar,  je  nachdem  sie  in  der  Brustwand  sizen,  oder 
sich  im  Innern  des  Thorax  befinden.  Im  ersten  Falle  ist  die  Ausziehung 
leicht,  wenn  der  fremde  Körper  blos  in  den  WTeichtheilen  festsizt.  Ist  er 
dagegen  in  einen  Knochen  eingetrieben ,  so  ist  die  Extraction  in  der  Re- 
gel höchst  schwierig.  Lässt  sich  ein  solcher  Körper  nicht  mit  einem  ge- 
eigneten Instrumente  ausziehen,  so  muss  man  den  Knochen  entweder  tre- 


WUNDEN  DER  BRUST.  1079 

paniren  oder  reseciren ;  zuweilen  kann  auch  das  Ausschneiden  der  Kno- 
chensubstanz mit  einem  starken  Messer ,  so  dass  man  einen  Hebel  unter 
den  Körper  bringen  kann,  genügen.  Bei  allen  diesen  chirurgischen  Ver- 
fahren muss  die  Pleura  möglichst  geschont  werden.  Unter  Umständen 
kann  es  auch  gerathen  sein ,  die  Lösung  des  fremden  Körpers  durch  die 
Eiterung  abzuwarten.   Eingeknickte  Rippen  erhebt  man  mit  einem  Hebel. 

—  Befindet  sich  der  fremde  Körper  innerhalb  der  Brusthöhle,  so  lässt  er 
sich  zuweilen  mit  dem  eingeführten  Finger  oder  einem  Catbeter  fühlen. 
Solche  Untersuchungen  dürfen  aber  nicht  zu  weit  getrieben  werden ,  da 
sie  grössere  Gefahren ,  als  die  Anwesenheit  des  fremden  Körpers  selbst 
herbeiführen  können.  Die  fremden  Körper  erregen  je  nach  ihrer  Lage 
(im  Cavum  mediastini ,  in  der  Pleurahöhle ,  in  der  Lunge)  verschiedene 
Zufälle,  bestehend  in  einer  fortdauernden  Reizung,  beschwerlicher  Respi- 
ration ,  Schmerzen  an  der  verlezten  Stelle ,  Entzündung ,  Eiterung.  — 
Man  sucht  den  fremden  Körper ,  wenn  es  nöthig  ist ,  unter  Erweiterung 
der  Wunde  (mit  zuweilen  erforderlicher  Resection  einer  Rippe)  auszuzie- 
hen. Häufig  ist  dies  aber  nicht  möglich,  und  man  ist  genöthigt,  ihn  sich 
selbst  zu  überlassen  und  die  weitere  Behandlung  je  nach  den  auftreten- 
den Zufällen  einzurichten.  Nicht  selten  bleiben  solche  fremde  Körper, 
namentlich  Flintenkugein  ohne  üble  Zufälle  im  Thorax  liegen.  In  dem 
bei  weitem  häufigeren  Falle  erregen  sie  eine  bedeutende  Eiterung,  deren 
Eröffnung  in  einem  tiefen  Intercostalraume  dann  zuweilen  noch  den  frem- 
den Körper  zu  entfernen  erlaubt.  In  seltenen  Fällen  hat  man  auch  den 
(in  der  Lunge  steckenden)  fremden  Körper  unter  Husten  auswerfen  sehen. 

—  War  der  fremde  Körper  alsbald  nach  der  Verlezung  zu  entfernen,  so 
verfährt  man  des  Weitern  wie  bei  den  einfach  penetrirenden  Brustwun- 
den. —  c)  Penetrirende  Brustwunden  mit  Bluterguss 
verbunden.  Das  Blut  kann  aus  der  Art.  intercostalis,  mam- 
naria  interna,  aus  den  Lungen,  den  grossen  Gef ässen  der  Brust  und 
aus  dem  Herzen  kommen ,  und  ergiesst  sich  entweder  nach  aussen  oder 
häufiger  in  irgend  einen  Raum  nach  innen.  Die  Blutanhäufung  in  der 
Brusthöhle  (Ha  em  o  thor  ax)  wird  erkannt  aus  der  Blässe  des  Gesichts, 
dem  kleinen  schnellen  Pulse ,  dem  zitternden ,  zuweilen  weit  verbreiteten 
Herzschlage,  den  Zeichen  der  Ohnmacht,  aus  der  erschwerten  Respiration, 
der  grossen  Angst,  dem  gurgelnden  oder  später  mangelnden  Athmungsge- 
räusche  bei  der  Auscultation  ,  und  dem  matten  Ton  bei  der  Percussion. 
Dabei  kann  der  Verwundete  nicht  auf  der  gesunden  Seite  und  muss  dabei 
hoch  liegen  ,  er  klagt  über  tiefsizenden  Schmerz ,  die  Brust  wird  aufge- 
trieben, der  Urin  geht  sparsam  ab  und  ist  wässerig.  Ist  die  Lunge  ver- 
lezt ,  so  speit  der  Kranke  Blut  aus.  Vermehrt  sich  das  Extravasat  sehr 
stark  und  rasch,  so  stirbt  der  Kranke  an  Erstickung.  —  Behandlung. 
Von  einer  Unterbindung  und  Compression  der  blutenden  Gefässe  kann 
nur  bei  der  Art.  intercostalis  und  mammaria  interna  die  Rede 
sein ;    es   sind   aber   nur   wenige  Fälle  eines   damit   erzielten  Erfolgs  be- 


1080  WUNDEN  DER  BRUST. 

kannt.  Bezüglich  der  erst  genannten  Arterie  sind  folgende  Blutstillungs- 
verfahren in  Anwendung  gebracht  worden:  die  Umstechung  der  Rippe; 
die  Umstechung  der  Arterie  ohne  Rippe;  die  unmittelbare  Unterbindung; 
die  Compression  der  Arterie,  entweder  mittels  besonderer  Compressorienj 
oder  mittels  eines  Bourdonnets  oder  eines  Stückchens  Leinwand,  welches, 
nachdem  dessen  Mitte  in  die  Wunde  eingeschoben  und  dann  mit  Charpie 
gefüllt  worden  ist,  wie  auch  das  Bourdonnet,  gegen  das  blutende  Gefäss 
angezogen  wird  ;  ähnlich  wirkt  eine  luftdichte  Flasche,  welche ,  nachdem 
sie  in  die  Brusthöhle  gebracht  ist ,  aufgeblasen  wird.  Alle  diese  Mittel 
erfordern  eine  grosse  äussere  Wunde  oder  eine  Erweiterung  derselben  ; 
sie  sind  ferner  als  solche  Eingriffe  zu  betrachten,  welche  die  Entzündung 
der  Wunde  steigern  müssen,  neben  dem  dass  ihre  Wirkung  immer  unsi- 
cher ist.  Dazu  kommt ,  dass  man  niemals  mit  Sicherheit  angeben  kann, 
ob  nicht  die  Blutung  aus  den  Lungen  kommt ,  wo  dann  eine  grosse  äus- 
sere Oeffnung  sehr  nachtheilig  ist.  Die  Verlezung  der  Art.  inte r Co- 
sta 1  i  s  nahe  am  Brustbeine  oder  in  der  Mitte  der  Rippe  verursacht  nicht 
immer  bedeutende  Blutung.  Die  Verlezung  nahe  an  ihrem  Ursprünge  ist 
immer  gefährlich  wegen  der  starken  Blutung ,  allein  wegen  der  tiefen 
Lage  derselben  ist  sowohl  die  Erkenntniss  der  Quelle  der  Blutung ,  als 
auch  die  Anwendung  der  vorgeschlagenen  Mittel  schwierig ,  fast  unmög- 
lich. Die  zweckmässigste  Behandlung  der  Blutung  aus  der  genannten 
Arterie,  so  wie  auch  aus  anderen  nicht  zu  den  grössten  gehörigen  Gefässen 
der  Brust  besteht  darin,  die  Brustwunde  auf  die  oben  angegebene  Weise 
genau  und  fest  zu  verschliessen  ,  in  der  Hoffnung ,  dass  der  Druck  des 
ausgetretenen  Blutes  die  Gefässöffnung  verschliessen  werde,  und  daneben 
kalte  Umschläge  auf  die  Brust,  strenge  Ruhe,  kühlende  und  schwächende 
Arzneien,  Säuren  und  selbst  einen ,  dem  Kräftezustande  des  Kranken  an- 
gemessenen Aderlass  anzuwenden ,  um  zugleich  die  Kraft  des  Blutstroms 
zu  massigen  und  die  Bildung  eines  Thrombus  zu  begünstigen.  Steht  die 
Blutung  nach  diesem  Verfahren ,  so  soll  man  nach  Einigen  nach  2  bis 
3  Tagen  die  Wunde  öffnen,  um  das  Blut  aus  der  Brusthöhle  abzulassen  ; 
nach  Andern  ist  es  besser ,  dasselbe  der  Aufsaugung  zu  überlassen.  — 
Wollte  man  die  Art.  intercostalis  unterbinden  ;  so  müsste  man  sie 
am  untern  Rande  der  Rippe  aufsuchen.  Ueber  die  Unterbindung  der 
Art.  mammaria  interna  s.  den  Art.  Unterbindung  der  Ge- 
fäss e.  Am  leichtesten  wird  diese  Operation  in  den  3  ersten  Intercostal- 
räumen  ausgeführt ;  viel  schwieriger  ist  sie  schon  im  vierten  Intercostal- 
raume  und  im  fünften  und  sechsten  ist  sie  fast  ganz  unausführbar;  dabei 
ist  bisweilen  die  Erweiterung  und  selbst  die  theilweise  Ausschneidung  der 
Rippenknorpel  nothwendig  ;  ausserdem  sucht  man  die  Blutung  auf  dieselbe 
Weise,  wie  bei  der  Art.  intercostalis  zu  stillen.  —  Den  Verlezun- 
gen  der  grossen  Gefässe  in  der  Brusthöhle  folgt  meist  rasch  der  Tod.  — 
d)  Penetrirende  Brustwunden  mit  Vorfall  eines  Theils 
der   Lunge.      Ist  ein  Theil  der  Lunge  eben  erst  vorgefallen ,    so  sucht. 


WUNDEN  DER   BRUST.  1081 

man  ihn  sanft  zurückzubringen ,  wobei  man  nötigenfalls  bei  fester  Ein- 
klemmung des  vorgefallenen  Lungentheils  die  Wunde  erweitert ;  nach  ge- 
schehener Reposition  schliesst  man  die  Wunde  sorgfältig.  Ist  der  vorge- 
fallene Theil  schon  mit  der  Wunde  verwachsen  oder  brandig,  so  unter- 
bindet man  ihn  und  schneidet  ihn  ab  oder  überlässt  ihn  sich  selbst.  — 
e)  Penetrirende  Brustwunden  mit  Verlezung  von  Brust- 
organen. —  a)  Wunden  der  Lunge.  Selten  besteht  eine  pene- 
trirende Brustwunde  ,  ohne  dass  die  Lunge  nicht  zugleich  verlezt  wäre,, 
und  zwar  erfolgt  diese  Verlezung  bald  durch  das  verlezende  Instrument 
selbst,  bald  durch  eine  gebrochene  Rippe  oder  einen  fremden  Körper. 
Ausser  den  angegebenen  Zeichen  penetrirender  Brustwunden  characteri- 
sirt  sich  die  Verlezung  der  Lunge  noch  durch  einen  quälenden  Husten 
und  Auswurf  von  schaumigem  Blute  ,  durch  heftigen  Schmerz  in  der  ver- 
lezten  Seite  und  meist  auch  durch  eine  binnen  kurzer  Zeit  sich  ausbil- 
dende Luftgeschwulst  (E  m  p  h  y  s  e  m).  Die  Luftansammlung  bildet  sich 
entweder  in  der  Brusthöhle  (Pneumothorax),  und  es  entstehen  dann 
Respirationsbeschwerden  durch  Compression  der  Lungen,  wobei  der  Kranke 
nach  vorn  geneigt  sizt ,  ein  geröthetes  aufgedunsenes  Gesicht,  kleinen 
Puls  etc.  bekommt ,  oder  die  Luft  dringt  aus  dem  Cavum  pleurae  in 
die  innere  WundöfFnung  und  von  da  ins  Zellgewebe  unter  die  Haut,  und 
wird  hier  durch  ein  knisterndes  Geräusch  beim  Drücken  erkannt.  Dieses 
Emphysem  unter  der  Haut  kann  sich  vom  Orte  der  Wunde  aus  über  einen 
grossen  Theil  des  Körpers  verbreiten.  Vergl.  den  Art.  Emphysem. 
Niemals  besteht  bei  den  Wunden  der  Lunge  allein  Luftansammlung ,  der- 
untere  Theil  der  Pleurahöhle  ist  immer  von  Blut  erfüllt  (Haemopneu- 
mothorax).  —  Nicht  selten  sind  diese  Wunden  von  Lungenentzündung 
gefolgt.  —  Behandlung.  Sie  weicht  nicht  wesentlich  von  der  oben 
angegebenen  penetrirender  Brustwunden  ab;  man  schliesst  die  Wunde 
in  der  Thoraxwand  genau,  damit  weder  Blut  noch  Luft  heraustreten  kön- 
nen und  durch  Entwicklung  des  Haemopneumothorax  die  Blutung  au& 
der  Lunge  gestillt  wird.  Man  lässt  den  Kranken  ruhig  auf  dem  Rücken: 
oder  auf  der  kranken  Seite  liegen,  reicht  ihm  kühlende  Flüssigkeiten  und 
mindert  die  Kraft  des  Kreislaufs  durch  entsprechend  starke  Aderlässe, 
welche  nebenbei  noch  die  Resorption  des  ergossenen  Blutes  begünstigen 
und  einer  übermässigen  Entzündung  vorbeugen.  Ist  der  Druck  der  in 
der  Pleurahöhle  angesammelten  Luft  so  stark ,  dass  selbst  die  gesunde 
Lunge  in  ihrer  Function  gestört  wird,  was  aus  der  grossen  Athemnoth  zu 
ersehen  ist,  so  kann  man  einen  Theil  der  Luft  entleeren,  wozu  man  sieb 
am  besten  eines  Troicarts  mit  Ventilvorrichtung  bedient,  welcher  das  Ein- 
strömen von  Luft  in  die  Brusthöhle  verhindert.  S.  P  u  n  c  t  i  o  n.  Das 
äussere  Emphysem  erfordert  zertheilende  Umschläge  und  Scarificationen- 
mit  nachfolgender  Compression.  —  ß)  Wunden  des  Herzens.  Als 
besondere  Zeichen  sind  angegeben:  Schmerz  in  der  Gegend  des  Herzens, 
unausstehliche  Beängstigung,  unregelmässiger  intermittirender  Puls,  Kälte 


1082  WUNDEN  DES  UNTERLEIBS. 

der  Extremitäten ,  kalte  Schweisse  und  häufige  Ohnmächten.  Wunden, 
welche  nur  die  Herzsubstanz  treffen  und  weder  in  eine  Herzhöhle  eindrin- 
gen noch  die  Kranzgef  ässe  des  Herzens  verlezen,  können  heilen.  Es  sind 
indessen  auch  Fälle  bekannt,  dass  selbst  in  eine  der  Herzhöhlen,  nament- 
lich in  einen  Ventrikel,  eindringende  Wunden  nicht  immer  tödtlich  sind; 
dies  gilt  aber  nur  von  solchen  ,  die  sehr  eng  sind  ;  weitere  tödten  immer 
und  zwar  in  der  Regel  in  sehr  kurzer  Zeit.  Herzwunden,  und  zwar  ganz 
leichte  können  noch  durch  die  nachfolgende  Entzündung  tödtlich  werden. 

—  Behandlung.  Man  schliesst  die  äussere  Wunde  alsbald  auf  das 
Genaueste  und  macht  dann  einen  starken  Aderlass,  um  die  Kraft  des 
Blutstroms  zu  schwächen.  Diese  Blutentziehung  wiederholt  man  nach 
Bedürfniss  mehrmals  ,  macht  nebenbei  Eisumschläge  auf  die  Herzgegend 
und  lässt  den  Kranken  vollkommen  ruhig  liegen,  verbietet  ihm  alles  Spre- 
chen und  erlaubt  ihm  nur  Flüssigkeiten  in  sehr  geringer  Menge  zu  ge- 
messen. Absolute  Ruhe  und  magere  Kost  muss  längere  Zeit  beobachtet 
werden.  —  Wunden  der  grösseren  Ge fasse  des  Herzens,  des 
Ductus  thoracic us,  des  Brusttheils  der  Speiseröhre  und  des 
Zwerchfells  sind  meistens  mit  noch  anderweiten  Verlezungen  com- 
plicirt  und  deshalb  gewöhnlich  unabwendbar  tödtlich. 

5.  Wunden  des  Unterleibs.  Die  Wunden  des  Unterleibs 
sind  entweder  nicht  eindringend  oder  eindringend,  und  leztere 
können  einfach  oder  mit  Vorfall  oder  Verlezung  der  Einge- 
weide verbunden  sein.  —  I.  Nicht  eindringende  B  auchwun- 
d  e  n.  Sie  unterscheiden  sich  von  den  oberflächlichen  Wunden  anderer 
Körpertheile  dadurch,  dass  sie  gern  mit  heftiger  Entzündung,  mit  Fieber 
und  Erbrechen  sich  vergesellschaften ,  und  dass  sie  selbst ,  wenn  eine 
Quetschung  oder  eine  Verlezung  (namentlich  durch  Stich)  der  sehnigen 
Ausbreitungen  am  Unterleibe  zugleich  zugegen  ist ,  Entzündung  der  in- 
nern  Bauchdecken  und  den  Tod  zur  Folge  haben  können.  Besonders 
sind  starke  Quetschungen  durch  die  Erschütterung  der  Eingeweide  von 
bedeutenden  Folgen.  —  Behandlung.  Man  vereinigt  die  Wunde 
durch  die  blutige  Naht  oder  mittels  langer  Heftpflaster  und  unterstüzt 
die  Vereinigung  durch  eine  passende,  die  Haut  und  die  Muskeln  erschlaf- 
fende Lagerung.  Blutungen  aus  der  Art.  epigastrica  oder  der 
mammaria  interna  stillt  man  durch  die  Unterbindung.  Nebenbei 
verf  ährt  man  antiphlogistisch  ,  macht  kalte  Umschläge ,  lässt  zur  Ader, 
sezt  Blutegel ,  so  lange  die  Entzündungssymptome  noch  zugegen  sind. 
Später  dienen  aromatische ,  spirituöse  Waschungen  und  flüchtige  Salben. 

—  Entstehen  in  den  Sehnenscheiden  Eitersenkungen  oder  Abscesse,  so 
erweitert  man  die  Wunde  und  öffnet  den  Abscess  vorsichtig.  —  Die  be- 
schädigten Stellen  der  Bauchwand  schüzt  man  gehörig ,  damit  sie  nicht 
zum  Ausgangspunkt  eines  Eingeweidebruchs  werden.  —  IL  Eindrin- 
gende (penetrirende)  Bauch  wunden.  Man  erkennt  sie,  wenn 
.sie  gross  sind,    durch  das  Gesicht  und  das  Gefühl;    ferner  gibt  die  Rieh- 


WUNDEN  DES  UNTERLEIBS.  1083 

tung  der  Wunde  und  das  Austreten  von  Bauchflüssigkeiten  und  von  Ein- 
geweiden Aufschluss.  Die  allgemeinen  Zufälle ,  welche  penetrirende 
Bauchwunden  gewöhnlich  zu  begleiten  pflegen ,  sind :  Anschwellen  des 
Leibes  ,  heftiger  Leibschmerz  ,  grosse  Schwäche  ,  grosse  Angst ,  kleiner 
schneller  Puls,  verfallenes  Gesicht,  kalter  Schweiss,  Schluchzen  und  Er- 
brechen. —  Behandlung.  Sie  besteht  im  Allgemeinen  in  der  Ver- 
schliessung  der  Wunde,  der  Abhaltung  der  Entzündungszufälle  und  der 
Bekämpfung  dieser,  wenn  sie  eintreten.  —  Zur  Vereinigung  der  Wunde 
bedient  man  sich  in  den  gewöhnlichen  Fällen  langer ,  den  ganzen  Leib 
umgebender  Heftpflaster,  einer  Compresse  und  Leibbinde,  wobei  man  für 
eine  zweckmässige  Lagerung  Sorge  trägt.  Bei  grossen,  namentlich  aber 
bei  Querwunden,  und  wenn  der  Leib  sehr  aufschwillt  und  die  Bewegungen 
der  Bauchdecken  durch  Husten,  Erbrechen  etc.  nicht  zu  verhindern  sind, 
geben  die  Heftpflaster  keine  genügende  Sicherheit ,  und  man  muss  des- 
halb zur  blutigen  Naht  (Bauchnaht,  Gastrorrhaphia)  greifen.  Man 
bedient  sich  hierzu  der  Knopfnaht ,  die  aber  hier  so  angelegt  wird  ,  dass 
man  einen  doppelten  seidenen  Faden  in  zwei  Nadeln  einfädelt  und  diese 
in  der  Richtung  von  innen  nach  aussen  durch  die  ganze  Dicke  der  Bauch- 
wand mit  Ausnahme  des  Bauchfells  durchsticht.  Im  JJebrigen  verfährt 
man  dabei  wie  unter  Naht  angegeben  ist.  Zur  Unterstüzung  der  Hefte 
legt  man  in  ihre  Zwischenräume  lange  Heftpflasterstreifen,  darüber  Char- 
pie,  eine  Compresse  und  Bauchbinde.  Dabei  muss  streng  antiphlogistisch 
verfahren  werden  ;  man  macht  kalte  Umschläge,  die  aber  gewöhnlich  nach 
2  Tagen  mit  warmen  vertauscht  werden  müssen,  nimmt  wiederholte  Blut- 
entleerungen vor  ,  und  lässt  bei  strenger  Ruhe  eine  sparsame  Diät  und 
blos  milde  Getränke  geniessen.  Meistens  ist  es  wünschenswerth ,  den 
Darmkanal  möglichst  ruhig  zu  erhalten  ;  in  dieser  Absicht  vermeidet  man 
alle  Abführmittel  und  Klvstiere  und  gibt  Opium  in  mittleren  Dosen ; 
treten  Erscheinungen  von  Peritonitis  ein ,  so  gibt  man  dieses  in  Verbin- 
dung mit  Calomel.  —  Der  Verband  wird  selten  erneuert  und  einfach  be- 
stellt. Die  Lösung  der  Hefte  geschieht  zwischen  dem  4.  bis  8.  Tage. 
Die  Leibbinde  muss  noch  lange  Zeit  getragen  werden.  Je  vollständiger 
die  Vereinigung  der  Wunde  ist ,  um  so  sicherer  ist  der  Verwundete  vor 
einer  Hernie.  —  a)  Bauchwunden  mit  Vorfall  der  Einge- 
weide. Bei  einer  jeden  penetrirenden  Bauchwunde  von  nur  einiger 
Ausdehnung  treten  das  Nez  oder  die  Därme  vor.  Diese  vorgefallenen 
Theile  liegen  entweder  lose  in  der  Wunde,  oder  sie  sind  fest  von  ihr  um- 
schlossen, und  befinden  sich  entweder  in  gesundem  Zustande,  oder  sie  sind 
entzündet,  selbst  brandig.  —  Diese  Vorfälle  sind  eine  schlimme  Compli- 
cation ,  da  durch  die  Einwirkung  der  Luft  meist  bedeutende  Entzündung 
und  selbst  der  Tod  herbeigeführt  werden  kann.  —  Behandlung.  Die 
vorgefallenen  Eingeweide  müssen  so  schnell  als  möglich  zurückgebracht 
und  die  Wunde  geschlossen  werden.  Behufs  der  Reposition  bringt  man 
den  Verwundeten   in   eine  Lage ,   in   welcher   die  Bauchdecken   erschlafft 


1084  WUNDEN  DES  UNTERLEIBS. 

sind,  spült  die  etwa  beschmuzten  Eingeweide  mit  lauem  Wasser  ab,  und 
schiebt  dann  mit  geöltem  Zeigefinger  zuerst  das  Mesenterium ,  dann  den 
Darm  und  endlich  das  Nez  nach  der  Richtung  der  AVunde  in  die  Unter- 
leibshöhle zurück.  Hat  man  sich  darauf  durch  Einführung  eines  Fingers 
in  die  Tiefe  der  Wunde  von  der  gelungenen  Reposition  überzeugt ,  so 
vereinigt  man  die  Wundränder  durch  die  Bauchnaht,  Heftpflaster  und  die 
Leibbinde ,  wie  es  oben  angegeben  wurde.  Ist  es  nicht  möglich ,  die 
Därme  auf  die  angegebene  Weise  zurückzubringen,  weil  sie  von  Gasen 
oder  Koth  angefüllt ,  oder  weil  die  ßauchdecken  schon  geschwollen  sind, 
so  muss  man  durch  sanftes  Zusammendrücken  der  Darme  ihr  Volumen 
vermindern ,  einen  Theil  aus  der  Wunde  hervorziehen  und  sie  dann  zu- 
rückbringen. Gelingt  dieses  nicht,  was  oft  der  Fall  ist,  so  muss  man  die 
Erweiterung  der  Wunde  vornehmen,  was  mit  einem  geknöpften  Messer  am 
besten  in  der  Richtung  nach  oben  unter  Schonung  im  Wege  befindlicher 
Gefässe  geschieht.  Ist  die  Wunde  gehörig  erweitert,  so  bringt  man  die 
vorgefallenen  Theile  auf  die  angegebene  Weise  zurück.  —  Ist  das  Nez 
allein  vorgefallen ,  so  soll  man  zwar  im  Allgemeinen  die  Reposition  des- 
selben ,  selbst  mit  Erweiterung  der  W^unde ,  vornehmen  ;  in  den  Fällen 
aber,  wo  es  in  Folge  der  Einklemmung  entzündet  und  dadurch  ange- 
schwollen oder  gar  brandig  geworden  ist ,  oder  gar  degenerirt  erscheint, 
muss  man  die  Anheilung  desselben  im  Wundkanale  unterstüzen  und  das 
Vorgefallene  der  brandigen  Abstossung  überlassen ;  man  kann  es  auch 
ohne  Nachtheil  mit  dem  Messer  wegnehmen.  —  Ist  ein  vorgefallener 
Darm  brandig  oder  dem  Brande  nahe,  so  bringt  man  denselben  so  zurück, 
dass  der  brandige  Theil  desselben  in  der  Wunde  oder  dicht  an  derselben 
bleibt,  wo  man  ihn  mittels  einer  oder  mehrerer  Fadenschlingen  befestigt, 
damit,  wenn  die  Perforation  erfolgt,  der  Darminhalt  sich  nach  aussen  er- 
giessen  und  eine  Darmfistel  sich  bilden  kann.  —  Die  übrige  Behandlung* 
und  besonders  die  innere  muss  auf  Abwendung  der  lebensgefährlichen 
Entzündung  durch  Aderlass ,  Blutegel ,  kalte  Umschläge ,  Emulsionen, 
schleimige  Getränke  etc.  gerichtet  sein.  —  b)  Bauchwunden  mit 
Verlezung  von  Eingeweiden.  Die  Hauptgefahr  solcher  Verlezun- 
gen  wird  durch  den  Erguss  des  Inhalts  der  verschiedenen  Unterleibsor- 
gane mit  Einschluss  der  Blutgefässe  in  die  Unterleibshöhle  bedingt.  Je 
nach  dem  verlezten  Theile  besteht  das  Extravasat  in  Blut,  Magen-  oder 
Darminhalt ,  Galle  oder  Harn.  Unter  diesen  Stoffen  ist  das  Blut  noch 
der  am  wenigsten  schädliche,  und  es  ist  mehr  der  dadurch  hervorgerufene 
Blutverlust  zu  fürchten.  Eine  Blutung  in  der  Unterleibshöhle  wird  leicht 
erkannt,  wenn  sich  das  Blut  nach  aussen  ergiesst,  schwer  aber,  wenn  dies 
nicht  der  Fall  ist,  und  hier  können  anfangs  nur  die  Zeichen  einer  innern 
Verblutung ,  immer  kleiner  werdender  Puls ,  blasse ,  kalte  Extremitäten, 
Ohnmacht  etc.  auf  die  Spur  leiten ,  bis  später ,  wenn  die  Blutung  nicht 
den  Tod  zur  Folge  hat,  die  Zeichen  einer  Peritonitis  die  Diagnose  bestä- 
tigen helfen.    Selten  macht  sich  eine  Fluctuation  bemerklich,  da  sich  das 


WUNDEN  DES  UNTERLEIBS.  1085 

Extravasat  mehr  über  die  Eingeweide  verbreitet ,  als  irgendwo  concen- 
trirt.  Geringere  Mengen  Blut  werden  unter  sonst  günstigen  Verhältnis- 
sen resorbirt,  andern  Falls  aber  durch  feste  Exsudate  eingekapselt.  Wei- 
terhin können  sie  dann  noch  die  Quelle  einer  Abscessbildung  (meistens 
in  der  Hüftbeingrube)  werden  oder  die  Grundlage  einer  Cyste  abgeben. 
—  Nachtheiliger  als  das  Blut  ist  der  Austritt  des  Magen-  und  Darmin- 
halts, der  Galle  oder  des  Harns  in  die  Unterleibshöhle ,  weil  diese  Stoffe 
weit  reizender  sind  und  daher  binnen  wenigen  Stunden  die  heftigste  Un- 
terleibsentzündung mit  Anschwellung ,  grossen  Schmerzen ,  Schluchzen, 
Erbrechen  ,  unauslöschlichem  Durste,  grosser  Angst  etc.  veranlassen.  — 
Behandlung.  Entleeren  sich  die  extravasirten  Stoffe  aus  der  Unter- 
leibshöhle, so  soll  man  den  Austritt  derselben  im  Allgemeinen  durch  Of- 
fenhalten der  Wunde  und  eine  geeignete  Lagerung  des  Kranken  begün- 
stigen; nur  bei  dem  Austritt  von  Blut  verschliesst  man  die  Oeffnung,  weil 
hierdurch  die  Gefahr  der  Verblutung  verringert  und  durch  das  ausgetre- 
tene Blut  selbst  die  Bildung  eines  Blutpfropfs  befördert  wird.  In  allen 
Fällen  muss  streng  antiphlogistisch  verfahren  werden  ;  man  macht  kalte 
Umschläge,  wiederholte  Aderlässe ,  reicht  milde  kühlende  Getränke,  em- 
pfiehlt die  strengste  Buhe  etc.  —  a.  Wunden  des  Magens.  Man 
erkennt  sie,  ausser  durch  den  Ort  und  die  Tiefe  der  Wunde,  an  dem  Aus- 
tritt von  Speisebrei  aus  der  äussern  Wundöffnung ,  an  dem  entstehenden 
Blutbrechen  und  später  dem  blutigen  Stuhlgange  und  bei  gleichzeitiger 
Extravasaten  von  Speisebrei  in  die  ünterleibshöhle  an  den  sehr  heftigen 
Schmerzen,  der  grossen  Angst,  den  kalten  Schweissen,  Ohnmächten,  Kräm- 
pfen, Convulsionen.  Bleibt  die  Magenwunde  mit  der  Bauchwand  in  Be- 
rührung und  verwachsen  die  Wundränder  beider  Theile  mit  einander,  so 
kommt  es  zur  Bildung  einer  M  agen  fi  stel,  wobei  wenigstens  das  Leben 
des  Verwundeten  erhalten  wird.  —  Die  Behandlung  besteht  in  Ader- 
lässen, kalten,  später  warmen  Umschlägen,  Opiumklystieren,  bei  Vermei- 
dung innerer  Arzneien  durch  den  Mund.  Kann  man  der  Magen  wunde 
beikommen,  so  näht  man  sie  zu  (Serosa  gegen  Serosa;  s.  deD  Art.  Naht), 
in  der  Art,  dass  man  beide  Fadenenden  durch  die  Bauchwunde  nach  aus- 
sen führt  und  somit  zugleich  die  Verklebung  zwischen  Magen  und  Bauch- 
wand sichert.  Gelingt  dies  nicht,  so  sucht  man  wenigstens  die  Magen- 
wundränder durch  eine  Fadenschlinge  an  die  Bauchwand  zu  befestigen, 
dass  der  Inhalt  sich  nach  aussen  entleeren  muss.  Ist  der  verwundete 
Magen  zugleich  vorgefallen ,  so  unterliegt  das  Zusammennähen  der  Ma- 
o-enwunde  keiner  Schwierigkeit.  Eine  zurückbleibende  Fistel  muss  durch 
einen  geeigneten  Druckverband  geschlossen  gehalten  werden. —  ^.Wun- 
den der  Darm  e.  Man  erkennt  sie,  wenn  die  Därme  durch  die  Bauch- 
wunde nach  aussen  getreten  sind,  leicht  an  dem  Ausflusse  von  Faecalma- 
terie  und  an  dem  Entweichen  von  Darmgas ;  schwer  ist  das  Erkennen 
aber ,  wenn  der  Darm  nicht  vorgefallen  ist ;  hier  lassen  nur  die  sich  ein- 
stellenden Zufälle,   wie  heftige  kolikartige  Schmerzen,    grosse  Angst,  Er- 


1086  WUNDEN  DES  UNTERLEIBS. 

brechen,  unlöschbarer  Durst  etc.  die  Verlezung  vermuthen.  Diese  Zufälle 
sind  um  so  stürmischer  und  die  Gefahr  ist  um  so  grösser ,  je  näher  am 
Magen  die  Verlezung  ihren  Siz  hat.  Die  Verwundung  eines  nicht  vom 
Bauchfell  überzogenen  Theils  des  Darms  bedingt  nicht  die  oben  erwähn- 
ten allgemeinen  Erscheinungen ,  weil  kein  Darminhalt  in  die  Bauchhöhle 
gelangt.  Hier  folgt  auch  keine  Peritonitis  ,  wohl  aber  kann  es  in  Folge 
der  durch  die  Darmcontenta  in  dem  umgebenden  Bindegewebe  hervorge- 
rufenen Phlegmone  zur  Gangrän  (Stercoralabscess)  zuweilen  mit  Hinter- 
lassung einer  Darmfistel  kommen.  Die  dringendste  Gefahr  kann  bei 
Darmwunden  auch  dadurch  beseitigt  werden,  dass  die  Wunde  durch  eine 
andere  Darmschlinge  zunächst  verlegt  und  in  sehr  kurzur  Zeit  unter  Ver- 
mittlung eines  gerinnenden  Exsudats  auch  organisch  verschlossen  wird  ; 
das  Gleiche  kann  durch  das  Anlegen  der  Darmwunde  an  die  Bauchwand 
oder  an  das  Mesenterium  geschehen.  Solche  Verklebungen  hinterlassen 
aber  immer  eine  Anlage  zu  Koliken  und  Verdauungsbeschwerden,  wie  auch 
die  Adhäsionen  zu  innern  Einklemmungen  disponiren.  —  Kleine  Stich- 
wunden werden  leicht  durch  die  hervor-  und  aufquellende  Schleimhaut 
verstopft.  Längenwunden  klaffen  bei  gleicher  Grösse  stärker  als  Quer- 
wunden, wegen  der  grösseren  Stärke  der  Zirkelfasern  der  Darmmuskula- 
tur ;  tief  eindringende ,  den  Darm  in  die  Quere  trennende  Wunden  sind 
dessen  ungeachtet  sehr  gefährlich  und  die  Wiederherstellung  der  Conti- 
nuität  des  Darmkanals  ohne  Kunsthülfe  nicht  möglich.  —  Behand- 
lung. Liegt  der  verwundete  Darm  in  der  Unterleibshöhle,  so  ist  nichts 
weiter  zu  thun ,  als  die  Wunde  oberflächlich  zu  verbinden  und  durch  ein 
kräftiges  antiphlogistisches  Verfahren  der  gefährlichen  Entzündung  vorzu- 
beugen ;  daneben  verbietet  man  dem  Kranken,  um  die  Bewegungen  des 
Darms  zu  beschränken  und  dadurch  den  weiteren  Austritt  seines  Inhalts 
zu  verhindern,  alles  Essen  und  Trinken  und  reicht  ihm  unausgesezt  Opium  ; 
den  quälenden  Durst  lässt  man  durch  in  den  Mund  genommene  Eisstück- 
chen stillen.  Ist  dagegen  der  verlezte  Darm  vorgefallen  oder  doch  in 
der  Nähe  der  Bauchwunde  zu  sehen  und  zu  fassen  ,  so  schliesst  man  die 
Darmwunde  entweder  durch  die  Naht  (Darmnaht,  Enterorrhaphie, 
s.  Naht)  oder  man  hält  das  verwundete  Darmstück  mit  Hülfe  einer  Fa- 
denschlinge so  in  der  Nähe  der  äussern  Bauchwunde,  dass  der  Darminhalt 
nach  aussen  abfiiessen  kann.  Der  in  lezterem  Falle  zu  Stande  kommende  wi- 
dernatürliche After  muss  dann  später  einer  besondern  Behandlung  unterwor- 
fen werden.  S.  den  Art.  widernatürlicher  After.  —  Hat  man  den 
Darm  genäht,  so  reponirt  man  ihn,  schliesst  die  Unterleibswunde,  wendet 
eine  strenge  Antiphlogose  an  und  lässt  den  Kranken  noch  längere  Zeit 
strenge  Diät  halten.  —  Abweichend  von  dem  vorhergehenden  ist  das  Ver- 
fahren, wenn  die  Verlezung  einen  nicht  vom  Bauchfell  bekleideten  Darm- 
theil  betroffen  hat.  Hier  darf  die  äussere  Wunde  nicht  geschlossen  wer- 
den, vielmehr  muss  durch  erweichende  Umschläge,  Einsprizungen,  nöthi- 
genfalls   auch   durch  Dilatation   der  leztern  für  freien  Abfluss  des  Darm- 


WUNDEN  DES  UNTERLEIBS.  1087 

koths  gesorgt  werden  ,  um  der  Bildung  eines  Abscesses  vorzubeugen.  — 
y.  Wunden  der  Leber  und  Gallenblase.  Aus  der  Lage  und 
Richtung  der  Wunde  lässt  sich  meist  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  er- 
kennen, ob  die  Leber  verlezt  ist  oder  nicht.  Ausserdem  spricht  für  eine 
solche  Verlezung  der  Ausfluss  von  schwarzem  ,  manchmal  mit  Galle  ver- 
mischtem Blute,  das  Gefühl  eines  tiefen  Schmerzes  im  rechten  Hypochon- 
drium,  der  sich  gegen  die  rechte  Schulter  verbreitet,  eine  auffallende  Stö- 
rung des  Allgemeinbefindens  ,  Beklemmung,  Angst,  Schluchzen,  Erbre- 
chen ;  späterhin  tritt  noch  Gelbsucht  mit  safrangelbem  Harn  und  grauen 
Excrementen  hinzu.  Tiefgehende  Wunden  mit  Verlezung  der  grossen 
Gefässe  haben  den  Tod  durch  Verblutung  zur  Folge.  Ist  die  Gallen- 
blase allein  verlezt  und  erfolgt  Erguss  der  Galle  in  den  Unterleib  ,  so 
stirbt  der  Kranke  an  einer  sich  rasch  entwickelnden  Peritonitis.  —  Be- 
handlung. Nicht  tief  eindringende  Wunden  bedeckt  man  mit  einem 
leichten  Verband  ,  bei  tieferen  gibt  man  dem  Kranken  eine  solche  Lage, 
dass  der  Ausfluss  aus  der  Wunde  nicht  gehindert  ist.  Bei  fortdauernder 
Blutung  wendet  man  kalte  Umschläge,  die  Tamponade  und  eine  gut 
schliessende  Leibbinde  an.  Etwa  sich  vorfindende  fremde  Körper  (Kugeln, 
Bippen splitter)  müssen  wo  möglich  entfernt  werden.  Dabei  eine  strenge 
antiphlogistische  Behandlung ,  die  aber  bei  Ergüssen  in  die  Bauchhöhle 
meist  vergeblich  ist.  Entsteht  Eiterung,  so  sorgt  man  für  gehörigen  Ab- 
fluss  des  Eiters  und  unterstüzt  die  Kräfte  des  Kranken.  —  d.  Wunden 
der  Milz.  Sie  bieten  nur  insofern  Gefahr,  als  Gefässe  verlezt  und  da- 
durch innere  Blutungen  veranlasst  werden.  Man  hat  die  prolab irte  Milz 
ohne  Nachtheil  abgeschnitten.  Die  Behandlung  muss  eine  antiphlogisti- 
sche sein.  —  €.  Wunden  der  Nieren.  Man  erkennt  sie  durch 
die  Untersuchung  mit  dem  Finger  und  an  dem  Ausflusse  von  Blut  und 
Urin  aus  der  Wunde  und  von  Blut  aus  der  Harnröhre.  Dazu  gesellt  sich 
Schmerz  in  der  Nierengegend  ,  welcher  sich  über  den  ganzen  Unterleib 
ausbreitet ,  Schmerz  und  krampfhaftes  Anziehen  des  Hodens  gegen  den 
Bauchring.  Tödtlich  werden  diese  Wunden,  wenn  sie  sehr  tief  gehen, 
das  Nierenbecken  getrofien  wurde,  und  der  Urin  in  die  Unterleibshöhle 
austreten  kann.  Bei  kleinen  Wunden  der  hintern  Fläche  bleiben  biswei- 
len Nierenfisteln  zurück.  —  Behandlung.  Man  legt  den  Kranken 
so ,  dass  die  Flüssigkeiten  leicht  ausfliessen  können ,  reicht  milde  Ge- 
tränke, wie  Milch,  sorgt  für  gehörigen  Abfluss  des  Urins  durch  Einlegen 
eines  Catheters  und  Einsprizung  von  lauwarmem  Wasser  in  die  Blase, 
wenn  sie  Blutcoagulum  enthält,  und  verfährt  imUebrigen  streng  antiphlo- 
gistisch. —  £.  Wunden  der  Harnblase.  Sie  werden  leicht  durch 
ihre  Oertlichkeit,  durch  den  Ausfluss  von  Urin  aus  der  Wundöffhung  und 
den  Abgang  von  Blut  durch  die  Harnröhre  erkannt.  Wenn  bei  diesen 
Wunden  das  Bauchfell  nicht  verlezt  ist,  der  Urin  also  nicht  in  die  Unter- 
leibshöhle treten  kann,  so  sind  sie  nicht  sehr  gefährlich;  nur  Infiltratio- 
nen  des  Urins   und  Urinfisteln   sind   zu   fürchten.    — >    Behandlung. 


1088  WUNDEN  DER  GESCHLECHTSTHEILE. 

Neben  der  allgemeinen  antiphlogistischen  Behandlung  legt  man  einen 
Catheter  so  lange  in  die  Blase,  bis  der  Urin  nicht  mehr  durch  die  Wunde 
abfliesst.  Der  Verband  der  Wunde  darf  den  Abfluss  des  Urins  aus  ihr 
nicht  hindern.  Bestehen  Infiltrationen,  so  macht  man  warme  Umschläge 
und  Öffnet  die  sich  bildenden  Abscesse.  Fremde  ,  bei  der  Verwundung 
in  die  Blase  gelangte  Körper  sucht  man  wo  möglich  zu  entfernen ,  weil 
sie  sonst  Veranlassung  zu  einem  Blasensteine  geben.  —  rj.  Verlezung 
der  Gefässe  im  Unterleibe.  Betrifft  diese  die  grossen  Gefässe, 
wie  die  Aorta  abdominalis,  die  Vena  Cava,  so  erfolgt  der  Tod 
rasch  durch  Verblutung ;  wurden  kleinere  Gefässe,  die  Vasa  mesa- 
r  a  i  c  a  oder  die  Gefässe  des  Nezes  getroffen ,  so  tritt  derselbe  Ausgang, 
wenn  auch  langsamer  ein.  —  Behandlung.  Kennt  man  den  Ort  der 
Verlezung  nicht  oder  kann  man  nicht  zu  ihm  gelangen ,  so  beschränkt 
sich  die  Behandlung  auf  das  Umlegen  einer  Leibbinde  und  die  Anwen- 
dung kalter  Umschläge ;  sind  die  Theile,  an  welchen  die  Gefässe  verlezt 
sind ,  vorgefallen ,  so  muss  man  die  blutenden  Gefässe  unterbinden  oder 
torquiren. 

6.   Wunden  der   Geschlechtstheile. 

A.  Wunden  der  weiblichen  Geschlechtstheile.  — 
a)  Wunden  der  Gebärmutter.  Der  nicht  schwangere  Uterus 
wird  selten  von  einer  Verwundung  betroffen ,  häufiger  ist  dies  der  Fall 
beim  schwangeren  Uterus  ,  und  sind  solche  Verwundungen  dann  mit  be- 
deutenden Blutungen  und  der  Gefahr  einer  zu  frühen  Niederkunft  ver- 
bunden. Gewöhnlich  steht  die  Blutung  nicht  eher ,  als  bis  die  Entbin- 
dung erfolgt ,  wo  ihr  durch  die  Contraction  der  Gebärmutter  Einhalt  ge- 
than  wird,  weshalb  auch,  wenn  die  Entbindung  nicht  von  freien  Stücken 
■■eintritt ,  diese  durch  Sprengung  der  Eihäute  herbeigeführt  werden  muss. 
Sollte  die  Verlezung  der  Gebärmutter  so  bedeutend  sein ,  dass  das  Kind 
zum  Theil  oder  ganz  in  die  Bauchhöhle  getreten  wäre ,  so  müsste ,  wenn 
es  nöthig  wäre ,  die  Wunde  der  Bauchdecken  erweitert  und  durch  diese 
das  Kind  ausgezogen  werden.  —  b)  Wunden  der  Scheide.  Es  sind 
meist  gerissene  oder  gequetschte,  indem  sie  gewöhnlich  beim  Falle  durch 
fremde  Körper  oder  beim  Geburtsacte  entstehen.  Folgen  dieser  Wunden 
können  sein  Ergiessung  des  Bluts  zwischen  Vagina  und  Rectum ,  oder  in 
das  Zellgewebe  des  Damms,  Entzündung,  Eiterung,  bei  gänzlicher  Tren- 
nung der  Wand  Vorfall  der  Därme.  —  Die  Behandlung  besteht  in 
der  Zurückbringung  der  Gedärme  und  Reinigung  der  Wunde,  worauf 
man  einen  Schwamm  von  solchem  Umfange  in  die  Scheide  bringt, 
dass  sich  die  Wundränder  noch  berühren ;  die  Kranke  beobachtet  die 
Rückenlage,  man  lässt  kaltes  Wasser  überschlagen  und  verfährt  allgemein 
antiphlogistisch.  Wenn  der  Urin  nicht  fortgeht ,  so  wie  wenn  er  unwill- 
kürlich abgeht,  so  legt  man  einen  Catheter  in  die  Blase.  Den  Schwamm 
darf  man  in  den  ersten  Tagen  nicht  herausnehmen  ,  wenn  aber  Eiterung 
eingetreten  ist,  ohne  welche  Heilung  selten  erfolgt,  wechselt  man  ihn  Öfter. 


WUNDEN   DER  GESCHLECHTSTHEILE.  1089 

—  c)  Wunden  des  Damms.  Sie  bestehen  meistens  in Zerreissungen, 
die  während  der  Geburt  entstehen.  Sie  beschränken  sich  entweder  auf 
das  Einreissen  der  hintern  Schamlefzencommissur,  oder  der  Riss  geht  bis 
zum  Mastdarm  ,  wobei  selbst  der  Sphincter  mit  getrennt  sein  kann.  — 
Bei  geringen  Einrissen  genügt  die  Seitenlage  mit  zusammengebundenen 
Beinen,  und  die  Sorge  für  die  grösste  Reinlichkeit  während  des  Lochien- 
flusses.  Bei  umfangreichem  Risse  ist  neben  diesem  Verhalten  noch  die 
Anlegung  einiger  blutigen  Hefte  nöthig.  Kommt  die  Heilung  nicht  zu 
Stande,  und  bilden  sich  callöse  Wundränder,  so  müssen  diese  später  ab- 
getragen und  die  Verheilung  mittels  der  blutigen  Naht  versucht  werden. 
Man  kann  sich  auch  der  Serres-fines  zur  Naht  bedienen  und  Guttapercha- 
solution  zum  Schuze  aufstreichen.  —  Um  die  Heilung  nicht  zu  stören, 
muss  der  Urin  knieend  oder  durch  den  Catheter  entleert  und  durch  er- 
weichende Klystiere  für  dünnen  Stuhlgang  gesorgt  werden.  Wenn  Ent- 
zündung eintritt,  so  fomentirt  man  mit  erwärmtem  Bleiwasser.  Versucht 
man  die  Heilung  ohne  blutige  Naht,  so  bestreicht  man  die  sich  bildenden 
Granulationen  mehrmals  täglich  mit  einer  Mischung, von  2  Theilen  Peru- 
balsam und  ]  Theile  Tinct.  myrrhae.  —  B.  Wunden  der  männ- 
lichen Geschlechtstheile. —  a)  Wunden  des  Penis.  Den 
Penis  treffen  gewöhnlich  gequetschte  Wunden ,  da  reine  und  tiefe  Wun- 
den nur  Folgen  absichtlicher  Gewalt  sein  können.  Zu  ersteren  gesellt 
sich  gewöhnlich  bald  eine  starke  Ecchymose  ,  in  Folge  welcher  der  Um- 
fang der  Ruthe  beträchtlich  zunimmt ,  die  Haut  schwarz  wird  und  wie 
brandig  erscheint.  Zertheilende  Umschläge  bewirken  die  Aufsaugung 
bald.  Bei  tiefer  eindringenden  Schnittwunden  müssen  zuerst  die  Arte- 
riae  dorsalis  und  corporum  cavernosorum  unterbunden  und 
die  Wunde  dann  über  einem  eingelegten  Catheter  gereinigt  werden.  Be- 
steht bei  den  gequetschten  Wunden  des  Penis  zugleich  eine  Zerreissung 
der  Urethra ,  was  aus  dem  Drange  zum  Uriniren  und  der  Geschwulst  des 
Penis  bis  zum  Scrotum  und  in  die  Weichen  erkannt  wird,  so  muss  man 
einen  Catheter  einlegen,  die  Verlezung  erst  antiphlogistisch  und  dann  mit 
Cataplasmen  behandeln ,  oder  die  von  Urin  infiltrirten  Stellen  einschnei- 
den und  die  Wunde  nach  den  gewöhnlichen  Regeln  behandeln.  —  b) 
Wunden  des  Hodensacks,  der  Hoden  und  des  Samen- 
strangs. Die  Wunden  des  Scrotum  lassen  sich  nicht  gut  vereinigen, 
eitern  deshalb  in  der  Regel,  heilen  aber  der  üppigen  Reproduction  wegen, 
die  sich  hier  vorfindet,  doch  sehr  rasch.  —  Wunden  und  Quetschungen 
des  Hodens  haben  meist  sehr  heftige  Entzündung  und  nervöse  Zufälle 
zur  Folge.  Die  Wunden  werden  nach  allgemeinen  Regeln ,  die  Entzün- 
dung wie  bei  den  Hodenkrankheiten  angegeben ,  behandelt.  Tritt  Eite- 
rung ein  und  wird  der  Hoden  in  seiner  Organisation  zerstört ,  so  ist  die 
Hinwegnahme  desselben  nothwendig.  —  Wunden  des  Samenstrangs 
erfordern  die  Unterbindung  und  bedingen  gewöhnlich  Schwinden  des 
Hodens. 

Burger,  Chirurgie.  ßQ 


1090  WUNDEN  DER  EXTREMITAETEN. 

7.  Wunden  der  Extremitäten.  Alles,  was  von  den  Wunden 
im  Allgemeinen  und  von  den  verschiedenen  Arten  derselben  gesagt  wurde, 
gilt  auch  für  die  Wunden  der  Gliedmassen.  Es  ist  nur  noch  übrig,  von 
den  Wunden  zu  sprechen ,  welche  die  Streck-  und  Beugesehnen  der  Fin- 
ger ,  so  wie  die  Achillessehne  treffen.  —  Die  Trennung  der  Streck- 
sehnen  hat  die  Folge,  dass  sich  die  Finger,  deren  Sehnen  von  der  Tren- 
nung betroffen  wurden ,  in  die  Hohlhand  einschlagen  und  von  dem  Ver- 
lezten  nicht  mehr  ausgestreckt  werden  können.  Da  die  Hand  dadurch 
ihre  Brauchbarkeit  mehr  oder  weniger  einbüsst ,  so  darf  nichts  versäumt 
werden,  was  diesem  Gebrechen  vorzubeugen  im  Stande  ist.  ■ —  Eine  Ver- 
einigung der  durchschnittenen  Strecksehnen  wird  nur  dadurch  möglich, 
dass  man  die  Hand  so  stark  als  möglich  gegen  den  Vorderarm  zurück- 
beugt und  in  dieser  Lage  erhält ,  bis  eine  Heilung  zu  Stande  gekommen 
ist.  Hierzu  sind  mehrere  Verbände  angegeben  worden.  Evers  bedient 
sich  zur  Erreichung  des  genannten  Zweckes  eines  Brettes  von  18  bis  2  0 
Zoll  Länge  und  6  Zoll  Breite,  in  welches  zwei  andere  Brettchen  senkrecht 
eingesezt  sind ,  von  denen  das  vordere  6  ,  das  hintere  4  Zoll  hoch  ist. 
Das  leztere  ist  versezbar,  um  die  Vorrichtung  der  Länge  des  Vorderarms 
anpassen  zu  können.  —  Der  Raum  zwischen  den  beiden  senkrechten 
Brettern  wird  mit  dicken  Compressen  ausgepolstert,  die  Hand  auf  die  an- 
gegebene Weise  zurückgebeugt  und,  nachdem  die  Wunde  verbunden  und 
eine  Binde  in  Hobelgängen  angelegt  ist ,  der  Vorderarm  so  auf  das  hori- 
zontale Brett  gebracht ,  dass  die  Hand  auf  dem  vordem  Brette  ruht  und 
der  Ellbogen  sich  an  das  hintere  anstemmt.  Hierauf  wird  der  Arm  mit- 
tels Binden  auf  das  Brett  festgebunden.  Damit  man  die  Hand  gegen 
das  Ende  der  Kur  nach  und  nach  wieder  in  die  Horizontallage  bringen 
kann ,  wurde  später  das  vordere  Brettchen  höher  und  tiefer  stellbar  ein- 
gerichtet. —  Schreger  benuzte  zu  demselben  Zwecke  einen  blecher- 
nen Halbcylinder ,  an  dessen  vorderem  Rande  eine  schief  aufsteigende, 
flache,  stellbare  Handstüze  von  Blech  angebracht  war.  In  diese  Vorrich- 
tung wurde  der  wie  oben  verbundene  Arm  gelegt  und  das  Ganze  durch 
eine  Tragbinde  unterstüzt.  —  M  a  y  o  r  bringt  die  Basis  eines  dreieckigen 
Verbandtuches  auf  die  Palmarfläche  der  Handwurzel ,  umgeht  dieses  mit 
den  Enden ,  kreuzt  und  befestigt  diese  dann  mit  einer  Nadel ;  hierauf 
wird  die  Spize  dieses  Tuches  ,  welches  über  die  Finger  hervorsteht ,  aus- 
gebreitet, über  den  Rücken  der  Hand  gegen  den  Vorderarm  geführt,  wo- 
bei die  Hand  so  stark  als  nöthig  zurückgebeugt  wird,  und  dann  das  Tuch 
an  eine  über  dem  Ellbogen  herumgeführte  Tuchbinde  befestigt.  — 
Mourgue  empfiehlt  neuerdings  die  Vereinigung  der  getrennten  Finger- 
extensoren durch  die  Naht.  —  WTenn  die  Beugesehnen  der  Finger 
getrennt  sind,  so  sind  die  betreffenden  Finger  gestreckt  und  können  nicht 
gebeugt  werden.  Hier  müssen,  um  die  getrennten  Sehnenenden  mit  ein- 
ander in  Berührung  zu  bringen,  die  Finger  und  die  Hand  in  der  stärksten 
Beugung  gegen  die  Volarseite  des  Vorderarms  geneigt  und  in  dieser  Lage 


WTNDSEIN.  1091 

erhalten  werden.  Schreger  bedient  sich  hierzu  einer  blechernen 
Schiene ,  die  vom  Ellbogengelenke  an  der  Streckseite  des  Vorderarms  bis 
an  die  Fingerspizen  herabreicht ,  in  der  Gegend  der  Handwurzel  und  am 
vordem  Mittelhandgelenk  winklig  gebogen  ist  und  dann  breiter  werdend 
zur  Aufnahme  der  Finger  in  eine  der  Beugung  dieser  entsprechende  Krüm- 
mung übergeht.  Am  obern  und  untern  Ende  dieser  Schiene  befindet  sich 
ein  Knopf,  in  welchen  die  zur  Befestigung  derselben  dienenden  Binden  ein- 
gehängt werden.  Der  Arm  wird  mit  einer  Tragbinde  unterstüzt.  — 
M  a  y  o  r  legt  seinen  Verband  in  umgekehrter  Richtung,  wie  den  oben  an- 
gegebenen an.  —  Bei  der  Trennung  der  Achillessehne  muss  der 
Vorderfuss  in  einer  möglichst  gestreckten  Lage  erhalten  werden  ;  dies  ge- 
schieht durch  die  Verbände ,  welche  bei  der  Zerreissung  dieser  Sehne  in 
Anwendung  kommen  (s.  Sehn  enz  er  reis  sung).  Damit  jedoch  die 
Sehnenenden  nicht  nach  einer  oder  der  andern  Seite  abweichen,  legt  man 
zu  beiden  Seiten  lange  Compressen  an,  welche  den  vertieften  Raum  neben 
der  Achillessehne  ausfüllen  und  ihrem  Abweichen  einen  Widerstand  dar- 
bieten. Hierauf  wird  die  Wunde  der  allgemeinen  Bedeckungen  vereinigt 
und,  wenn  die  Sehne  allein  getrennt  ist,  eine  nicht  zu  sehr  antiphlogisti- 
sche Behandlung  eingeleitet,  weil  die  Sehne  selbst  sich  nicht  so  sehr  ent- 
zündet ,  wie  ein  Muskel.  Die  Sehne  selbst  wird  nur  dann  mit  einigen 
wenigen  Heften  der  Knopfnaht  vereinigt,  wenn  bei  der  genannten  Be- 
handlung ihre  Vereinigung  nicht  verlässlich  wäre.  Vergl.  auch  Wunden 
der  Sehnen. 

Wundsein,  Frattsein,  Intertrigo.  Es  ist  dies  eine  Va- 
rietät des  Erythems  (s.  dies.  Artikel)  ,  welche  entsteht ,  wenn  zwei  Haut- 
flächen an  Stellen  des  Körpers ,  wo  starke  Falten  sich  finden ,  in  häufige 
Berührung  mit  einander  kommen.  Vorzugsweise  trifft  man  sie  an  bei 
Kindern  und  Fettleibigen  :  unter  der  weiblichen  Brust,  in  der  Achselhöhle, 
in  der  Leistengegend,  an  dem  obern  Theile  der  Schenkel,  an  den  Hinter- 
backen. Es  wird  von  der  entzündeten  Fläche  eine  serös-eiterige,  schwach- 
riechende Flüssigkeit  abgeschieden  und  es  stellt  sich  lebhaftes  Jucken 
ein.  Dauern  die  Ursachen  fort ,  so  bilden  sich  Risse ,  Schrunden, 
Rhagades,  welche  vorzugsweise  zwischen  den  Zehen,  neben  den  gros- 
sen Schamlippen,  an  der  Vorhaut,  am  Halse,  an  der  Brustwarze  zum  Vor- 
schein kommen.  - —  Begünstigt  wird  die  Entstehung  dieses  lästigen  Uebels 
hauptsächlich  durch  Vernachlässigung  der  Hautpflege.  —  Behand- 
lung. Neben  fleissiger  Reinigung  der  wunden  Flächen  mit  reinem  kal- 
tem Wasser  bildet  das  Hauptmittel  das  Semen  lycopodii,  welches 
wiederholt  aufgestreut  wird.  Doch  erweisen  sich  auch  Umschläge  von 
Bleiwasser  oder  einer  leichten  Lösung  von  Zinkvitriol,  das  Einlegen  von 
Leinwandläppchen  oder  geschabter  Charpie  ,  die  mit  Ungt.  Zinci  be- 
strichen sind ,   nüzlich.       Bei  Intertrigo   am  After  wird  häufig  Talg  mit 


Vortheil  angewendet. 


69 


1092  ZAHNKRANKHEITEN. ZAHNAUSZIEHEN. 


z. 


Zähne,  Krankheiten  derselben.  Die  Zähne  erleiden  nicht 
allein  Anomalien ,  welche  sich  auf  ihre  Zahl ,  Lage  und  Anordnung  be- 
ziehen, sondern  sie  sind  auch  Erkrankungen  ihrer  Substanzen,  sowie  Ver- 
lezungen  ausgesezt. 

Zahnausziehen,  Extractio  dentium,  ist  dasjenige  opera- 
tive Verfahren,  wodurch  man  vermittels  eines  geeigneten  Instruments 
einen  Zahn  aus  seiner  organischen  Verbindung  mit  dem  Kiefer  entfernt. 
Im  Allgemeinen  zieht  man  solche  Zähne  aus ,  welche  cariös  und  schmerz- 
haft sind  ,  welche  durch  ihre  Stellung  die  benachbarten  weichen  Gebilde, 
Zunge,  Lippen  etc.  beständig  reizen,  Milchzähne,  welche  die  nachfolgen- 
den in  ihrer  Entwicklung  hindern ,  oder  diesen  eine  falsche  Stellung 
geben,  ferner  solche,  welche  die  Ursache  zu  Krankheiten  der  Kiefer  oder 
der  benachbarten  weichen  Theile  sind ,  Zähne  bei  alten  Leuten ,  welche 
locker  sind  und  einzeln  stehen,  und  endlich  diejenigen,  welche  anderer 
Operationen  wegen,  z.  B.  bei  vorkommenden  Resectionen  des  Unterkiefers 
etc.  entfernt  werden  müssen.  Nicht  selten  wird  auch  die  Hinwegnahme 
eines  Zahns  nöthig,  um  bei  krankhaft  verschlossenem  Munde  in  den  Stand 
gesezt  zu  werden ,  dem  Kranken  Nahrungsmittel  beizubringen.  —  Da- 
gegen dürfen  nicht  ausgezogen  werden :  Zähne ,  welche  zwar  schmerzen 
aber  nicht  cariös  sind ,  und  cariöse ,  welche  nicht  schmerzen  ;  mit  denen 
eine  Entzündungsgeschwulst,  die  in  Eiterung  überzugehen  droht ,  verbun- 
den ist ;  bei  der  Phosphornecrose ,  so  lange  eine  heftige  Entzündung  be- 
steht ;  wo  ein  scorbutischer  Zustand ,  der  eine  heftige  Blutung  besorgen 
lässt,  zugegen  ist ;  bei  rheumatischen  Leiden,  wo  die  Schmerzen  nach  dem 
Ausziehen  nicht  selten  heftiger  als  vorher  werden  ;  mit  benachbarten  oder 
mit  dem  Kiefer  verwachsene  Zähne.  —  Bei  heftigen  Schmerzen  eines 
noch  in  leidlichem  Zustande  befindlichen  Zahnes  kann  man  sich  mH  der 
Luxation  desselben  begnügen;  hierdurch  werden  die  in  ihn  eintreten- 
den Nerven  zerrissen  und  damit  die  Schmerzen  für  immer  beseitigt ;  nach 
der  Operation  drückt  man  den  betreffenden  Zahn  wieder  fest ,  worauf  er 
wieder  anheilt.  —  Das  Verfahren  bei  dem  Ausziehen  der  Zähne  ist  ver- 
schieden, je  nachdem  man  sich  dazu  der  Zange,  des  Schlüssels, 
des  Geissfusses  oder  des  Hebels  bedient.  Der  Vorzug  des  einen 
oder  des  andern  Verfahrens  wird  bestimmt  durch  den  Siz  und  die  Be- 
schaffenheit des  Zahns  ,  so  wie  durch  die  individuelle  Fertigkeit  des  Ope- 
rateurs mit  dem  einen  oder  dem  andern  Instrumente.  —  Im  Allgemeinen 
ist  die  Ausziehung  der  Zähne  mit  der  Zange  die  am  wenigsten  beleidi- 
gende ;  bis  auf  die  neueste  Zeit  war  ihre  Anwendung  auf  die  Ausziehung 
der  Vorder  -  und  loser  Backzähne  beschränkt ;  nun  aber  wird  sie  häufig 
auch    zur    Ausnehniuna;    feststehender    Backzähne    verwendet.    —    Der 


ZAHNKRANKHEITEN.  ZAHNAUSZIEHEN.  1093 

Schlüssel  dient  am  besten  zur  Ausziehung  von  Backzähnen,  weil  er 
die  Ausübung  einer  grossen  Gewalt  zulässt ,  ohne  die  andern  Zähne  zu 
beschädigen  ;  eine  ungeschickte  Handhabung  des  Instruments  führt  in- 
dessen nicht  selten  ein  Abbrechen  des  Zahns  herbei,  auch  wird  das  Zahn- 
fleisch ,  wenn  nicht  gehörige  Vorsorge  getroffen  wird ,  gern  gequetscht. 
Der  G  e  i  s  s  f  u  s  s  ist  häufig  anzuwenden,  wo  andere  Instrumente  weniger 
gut  zu  brauchen  sind.  Man  benüzt  ihn  zur  Ausnehmung  von  Wurzeln, 
ferner  von  losen  Zähnen  ,  bei  welchen  weder  Schlüssel  noch  Zange  anzu- 
wenden ist,  nämlich  bei  angeschwollenem  scorbutischem  Zahnfleisch,  Pa- 
rulis  ,  wo  der  Druck  des  Schlüssels  zu  viel  Schmerz  verursachen  würde 
und  für  die  Zange  der  innere  Ansaz  fehlt.  Er  ist  ferner  sehr  nöthig  beim 
Ausziehen  von  Zähnen  am  unrechten  Orte,  z.B.  bei  Augenzähnen,  welche 
über  die  andern  Zähne  gewachsen  sind,  Zähnen  im  Gaumen  etc.  ,  wo  mit 
ihm  die  Zähne  luxirt  und  dann  mit  der  Zange  vollends  entfernt  werden. 
- —  Der  Hebel  wird  wenig  mehr  angewendet ;  er  soll  vorzugsweise  zum 
Ausziehen  der  Weisheitszähne  dienen ,  wenn  daneben  noch  ein  Zahn  vor- 
handen ist.  —  Die  unter  dem  Namen  Pelikan  und  Ueberwurf  be- 
kannten Instrumente  sind  ganz  ausser  Gebrauch.  —  In  neuester  Zeit 
wird  häufig  vor  dem  Zahnausziehen  Chloroform  angewendet,  um  die  Pa- 
tienten zu  betäuben  und  dadurch  für  den  Schmerz  unempfindlich  zu 
machen.  Gegenüber  aber  der  vielfach  gemachten  Erfahrung,  dass  die 
Anästhesirung  häufig  nicht  ohne  Gefahr  für  das  Leben  bleibt,  unterlässt 
man  diese,  besonders  auch  im  Hinblick  auf  die  Geringfügigkeit  der  Ope- 
ration, wohl  am  besten  und  greift  lieber  zu  dem  unschädlichen  Mittel,  die 
betreffenden  Theile  selbst  unempfindlich  zu  machen ,  was  häufig  damit 
gelingt,  dass  man  eine  grössere,  mit  Chloroform  getränkte  Flocke  Baum- 
wolle längere  Zeit  über  den  auszunehmenden  Zahn  und  das  Zahnfleisch 
legt  oder  lezteres  auch  nur  damit  reibt. —  Bei  der  Ausziehung  der  Vor- 
der z ä h n e  aus  der  untern  Kinnlade  stellt  sich  der  Operateur  vor 
den  auf  einem  Lehnstuhl  sizenden  Kranken ,  drückt  mit  dem  Zeigefinger 
der  linken  Hand  die  Lippe  nach  unten ,  legt  den  Daumen  auf  den  näch- 
sten Zahn,  die  übrigen  Finger  unter  das  Kinn  und  fasst  mit  der  krum- 
men Zange,  welche  er  nahe  am  Gelenk  ergreift  und  zwischen  deren 
beide  Arme  er  die  beiden  lezten  Finger  einbiegt  (um  das  vollständige 
Schliessen  der  Zange  und  damit  das  Abkneipen  des  Zahns  zu  verhindern),, 
den  Hals  des  Zahns  so  tief  wie  möglich,  macht  einige  kleine  Bewegungen 
nach  ein  -  und  auswärts  ,  um  die  Verbindungen  des  Zahns  zu  lösen  und 
zieht  diesen  dann  mit  einem  plözlichen  Ruck  in  der  Richtung  seiner  Län- 
genachse heraus.  —  Bei  der  Ausziehung  der  Vorderzähne  aus  der 
obern  Kinnlade  nimmt  der  Operateur  dieselbe  Stellung  ein,  hält  mit 
dem  Zeigefinger  der  linken  Hand  die  Lippe  aufwärts ,  hält  mit  diesem 
Finger  und  dem  Daumen  zugleich  den  Kiefer  fest ,  legt  die  Spizen  der 
übrigen  Finger  auf  die  Stirn,  fasst  den  Zahn  möglichst  weit  oben  mit  der 
geraden   Zange,   welche   man  wie   die  krumme  ergreift ,  bewegt  ihn 


1094  ZAHNKRANKHEITEN.  ZAHNAUSZIEHEN. 

gelinde  nach  rechts  und  links  und  nach  ein  -  und  auswärts  und  zieht  ihn 
dann  gleichfalls  durch  einen  kräftigen  Ruck  heraus.  Manche  Wundärzte 
ziehen  es  vor ,  sich  bei  der  Operation  hinter  den  auf  einem  niedrigen 
Stuhle  sizenden  Kranken  zu  stellen. —  Die  B  ac  kz  ahne,, zieht  man  ent- 
weder mit  dem  Schlüssel  oder  mit  der  Zange  aus.  Im  ersten  Falle 
umwickelt  der  Operateur  den  Bart  des  Schlüssels  mit  zarter  Leinwand 
(oder  bringt  zweckmässiger  eine  Baumwollkugel  zwischen  den  Bart  und 
das  Zahnfleisch) ,  nachdem  er  diesen  mit  einem  dem  Durchmesser  des 
Zahns  entsprechenden  Haken  versehen  hat ,  und  stellt  sich  vor  den  auf 
einem  gewöhnlichen  Stuhle  sizenden  Kranken  ;  dann  fasst  er  den  Griff 
des  Schlüssels,  ist  es  ein  Zahn  linker  Seits,  mit  der  rechten,  im  entgegen- 
gesezten  Falle  mit  der  linken  Hand ,  den  Zeigefinger  auf  dem  Stiele  des- 
selben hinstreckend,  hält  den  Haken  mit  dem  Zeigefinger  der  andern  Hand 
in  die  Höhe  ,  sezt  den  Bart  des  Instruments  möglichst  tief  an  der  Spize. 
der  Wurzel  an  der  Aussenseite  des  Zahns  an  und  lässt  dann  den  Haken 
über  den  Zahn  fallen ,  worauf  man  den  freien  Zeigefinger  auf  den  Bogen 
des  Hakens  legt  und  diesen  hinreichend  tief  unter  das  Zahnfleisch  drückt. 
Während  er  nun  mit  dem  leztgenannten  Finger  den  Haken  an  seiner 
Stelle  erhält,  dreht  er  den  Handgriff  in  einem  halben  Kreise  herum ,  wo- 
bei er  den  Bart  zugleich  wie  vom  Zahnfleisch  hin  wegzuziehen  und  nach 
der  Krone  zu  heben  suchen  muss ,  unter  welchen  Bewegungen  der  Zahn 
entweder  rein  ausgezogen  wird ,  oder  noch  mit  dem  Zahnfleische  in  Ver- 
bindung bleibt,  von  welchem  man  ihn  mit  den  Fingern  oder  einer  Krumm- 
zange vollends  löst.  Erlaubt  die  Beschaffenheit  des  Zahns  den  Ansaz 
des  Hakens  an  dessen  innerer  Seite  nicht ,  so  sezt  man  die  Spize  des  lez- 
tern  an  der  Aussenseite  an  und  macht  die  Drehung  mit  dem  Griffe  des 
Schlüssels  nach  innen.  —  Viele  Wundärzte  stellen  sich  beim  Ausziehen 
der  obern  Backzähne  hinter  den  nieder  sizenden  Kranken.  —  Von  gros- 
ser Wichtigkeit  ist  die  Wahl  des  Hakens.  Dieser  muss  die  Krone  des 
Zahns  von  einer  Seite  zur  andern  umfassen,  ohne  weit  von  ihr  abzustehen 
und  ohne  einen  andern  Theil  als  den  Hals ,  an  welchem  seine  Spize  an- 
gesezt  ist,  zu  berühren.  Ist  der  Haken  zu  gross  ,  so  dreht  sich  der  Bart 
auf  dem  Zahnfleisch,  ohne  dass  der  Zahn  dem  Zuge  folgte,  ist  er  zu  klein, 
so  sprengt  man  eher  die  Krone  ab  ,  als  dass  man  die  Wurzel  aus  dem 
Zahnfleisch  heraushöbe.  —  Die  Zange,  deren  man  sich  zum  Ausziehen 
der  Backzähne  bedient ,  ist  anders  gebaut  und  stärker ,  als  die  Krumm- 
zange für  die  Vorderzähne.  Sie  hat  eine  Länge  von  6  Zoll,  ist  S  förmig 
gekrümmt  und  öffnet  sich  seitlich.  Sie  hat  ein  breites  ,  scharfes,  in  der 
Mitte  mit  einem  Grate  versehenes  Gebiss  und  hinter  diesem  eine  Höhlung 
zur  Aufnahme  der  Zahnkrone.  Das  Gebiss  ist  ganz  dem  Zahne  ange- 
passt ,  nach  der  verschiedenen  Grösse  der  Backzähne  mehr  oder  weniger 
weit ;  dasselbe  gilt  von  der  auf  das  Gebiss  folgenden  Höhlung ,  woraus 
hervorgeht,  dass  man  für  die  verschiedenen  Zähne  verschiedene  Zangen 
haben  muss  ;  es  ist  dies  nothwendig,  um  ein  Abkneipen  der  Zähne  zu  ver- 


ZAHNKRANKHEITEN.   ZAHNAÜSZIEHEN.  1095 

hüten.  Der  Gebrauch  dieser  Zange  ist  leicht ;  man  fasst  den  Zahn  tief, 
macht  einige  rotirende  Bewegungen ,  um  ihn  aus  seinen  Verbindungen  zu 
lösen  und  hebt  ihn  dann  mit  einem  Ruck  heraus.  —  Bei  der  Anwendung 
des  Geissfusses  fasst  man  diesen  mit  der  vollen  rechten  Hand ,  so 
dass  das  Ende  des  Griffs  in  der  Handfläche  ruht ,  der  Zeigefinger  längs 
der  Stange  ausgestreckt  ist ,  der  Daumen  sich  auf  diese  stüzt  und  die 
übrigen  Finger  sich  um  sie  herumbiegen.  Sizt  der  Zahn  auf  der  linken 
Seite  im  Unterkiefer,  so  steht  der  Operateur  vor  dem  Patienten  und  etwas 
links  ;  in  andern  Fällen  steht  er  hinter  demselben.  Den  linken  Zeige- 
finger legt  man  als  Gegenhalt  an  die  innere  Seite  des  auszunehmenden 
Zahns,  mit  der  rechten  Hand  schiebt  man  den  senkrecht  gehaltenen  Fuss 
des  Instruments  möglichst  tief  zwischen  Zahnfleisch  und  Wurzel ,  senkt 
dann,  ohne  aber  den  Ansaz  an  der  Alveole  zu  nehmen,  den  Griff  beim 
Unterkiefer  ;  beim  Oberkiefer  hebt  man  bis  zu  einem  kleinen  spizigen 
Winkel  mit  der  Kinnlade,  worauf  man,  während  man  die  Wurzel  zu  glei- 
cher Zeit  nach  innen  drückt ,  den  Zahn  in  die  Höhe  hebt.  Bleibt  die 
Wurzel  am  Zahnfleische  hängen,  so  nimmt  man  sie  vollends  mit  der  Zange 
weg.  —  Zum  Ausziehen  der  Zahnwurzeln,  deren  Krone  abge- 
brochen oder  zerstört  ist ,  kann  man  sich  des  Schlüssels  ,  verschiedener 
Zangen,  des  Geissfusses  oder  der  Wurzelschraube  bedienen.  Dem  Schlüs- 
sel wird  zu  diesem  Zwecke  ein  spizer  scharfer  Haken  beigefügt,  den  man 
entweder  nach  der  gewöhnlichen  Vorschrift  zwischen  die  Wand  des  Al- 
veolus  und  die  zu  entfernende  Zahnwurzel  eindrängt  oder  geradezu  auf 
das  Zahnfleisch  aufsezt  und  dieses  so  wie  die  Alveole  durchschneidet.  Bei 
lockern  Zähnen  eignet  sich  am  besten  derGeissfuss  oder  die  Wurzelzange, 
eine  Zange  mit  schmalem ,  dünnem  und  langem  Gebiss ,  womit  man  tief 
unter  das  Zahnfleisch  greifen  kann.  Wurzeln  ,  welche  keinen  Halt  zum 
Fassen  mehr  darbieten ,  kann  man  nach  der  Angabe  Eoser's  mit  einer 
scharfen  Knochenzange  entfernen ,  indem  man  mit  ihr  von  beiden  Seiten 
die  Alveole  sammt  dem  sie  bedeckenden  Theil  des  Zahnfleisches  durch- 
schneidet. Die  Wurzel  fällt  darauf  von  selbst  aus  dem  geöffneten  Zahn- 
fach, oder  kann  doch  ohne  grosse  Schwierigkeit  ausgezogen  werden.  Die 
Wurzelschraube  eignet  sich  besonders  für  Wurzeln  von  Vorderzähnen, 
namentlich  des  Oberkiefers  ;  sie  gleicht  einem  Geissfusse ,  nur  dass  statt 
der  Klaue  am  Ende  der  Stange  eine  Schraube  sich  befindet ;  diese  wird  in 
die  Wurzel  eingeschraubt  und  leztere  durch  einen  geraden  Zug  ausge- 
zogen. —  Nach  der  Herausnahme  des  Zahns  lässt  man  den  Mund  mit 
Wasser  ausspülen  und  drückt  den  Zahnfächerrand  massig  zusammen.  Ist 
ein  Stück  von  demselben  abgebrochen,  so  nimmt  man  die  Splitter  mit  der 
Wurzelzange  oder  einer  Pincette  weg ;  sizen  die  Splitter  aber  fest ,  so 
drückt  man  sie  in  ihre  natürliche  Lage.  Abgerissenes  Zahnfleisch  schnei- 
det man  mit  der  Scheere  vollends  ab.  Bei  eintretender  Eiterung  wendet 
man  erweichende  Mundwasser  an.  Ist  der  Zahn  abgebrochen ,  so  sucht 
man  den  Stumpf  auf  die  oben  angegebene  Weise  auszuziehen.     Lose  ge- 


1096  ZAHNKRANKHEITEN.   ZAHNFAEULE. 

wordene  Zähne  drückt  man  wieder  in  ihre  Höhle  und  befestigt  sie  nöthi- 
genfalls  mit  Faden  u.  dgl.  an  die  nebenstehenden.  Auf  gleiche  Weise 
verfährt  man,  wenn  ein  gesunder  Zahn  ausgezogen  wurde.  Eine  geringe 
Blutung  folgt  auf  jede  Ausziehung  eines  Zahns  ;  sie  ist  auch  nicht  uner- 
wünscht ,  weil  dadurch  die  Entzündung  des  Zahnfleisches  am  besten  ver- 
hütet wird  ;  kaltes  Wasser  stillt  sie  in  der  Regel  bald  ;  ist  dies  nicht  der 
Fall ,  so  verfährt  man ,  wie  es  in  dem  Artikel  Blutung  angegeben  ist. 
Bruch  der  Kinnlade,  Caries  des  Alveolarfortsazes  behandelt  man  nach  be- 
stimmten Vorschriften. 

Zahnentzündung,  Odontitis,  Odontalgia  (von  oSovc, 
Zahn  und  ulyoq ,  Schmerz)  inflammatoria.  Die  Entzündung  hat 
entweder  ihren  Siz  in  dem  von  der  innern  Wand  der  Alveole  auf  die  Wur- 
zeln des  Zahns  übergehenden  Periost  oder  in  der  gef  ässreichen  Zahnpulpe. 
—  Bei  der  Entzündung  an  den  Wurzeln  des  Zahns  bekommt 
der  Patient  die  Empfindung,  als  wäre  der  betreffende  Zahn  länger  gewor- 
den, namentlich  wenn  die  beiden  Zahnreihen  auf  einander  gedrückt  wer- 
den. Dabei  macht  sich  ein  oft  weit  verbreiteter  dumpfer  spannender 
Schmerz  bemerklich.  Der  Zahn  wird  gegen  Berührung  und  gegen  Tem- 
peraturwechsel sehr  empfindlich,  nimmt  eine  gelbliche  Farbe  an  und  wird 
wirklich  etwas  länger.  Nach  Verfluss  einiger  Zeit  entwickelt  sich  eine 
Anschwellung  des  Zahnfleisches  in  der  Umgegend  des  kranken  Zahns, 
welche  sich  nicht  selten  auf  die  ganze  Wange  ausdehnt.  Die  Entzündung 
kann  sich  zertheilen,  in  der  Regel  kommt  es  aber  zur  Eiterung  mit  Ent- 
leerung des  Eiters  in  die  Nähe  des  Zahns ;  damit  lassen  auch  die  Schmer- 
zen nach  und  der  dabei  locker  gewordene  Zahn  tritt  in  seine  alte  Stellung 
zurück  und  wird  wieder  fest.  In  andern  Fällen  aber  verbreitet  sich  die 
Entzündung  mit  grösserer  Heftigkeit  auf  die  Alveole  und  es  kommt  zur 
Bildung  von  Parulis  und  Zahnfisteln.  S.  diese  Artikel.  —  Die  Entzün- 
dung der  Zahnpulpe  ist  von  einem  heftigeren  Schmerz  begleitet,  der 
aber  weniger  weit  verbreitet  ist  und  durch  leichtes  Anklopfen  an  die  Sei- 
ten des  Zahns  vermehrt  wird ;  das  Längerwerden  des  Zahns  fehlt  hier.  — 
Als  Ursache  der  Zahnentzündung  nimmt  man  allgemein  eine  eigenthüm- 
liche  Disposition  an.  Zunächst  sind  es  dann  mechanische  oder  chemische 
Insultationen,  so  wie  Erkältungen,  endlich  und  hauptsächlich  Caries  der 
Zahnkrone,  welche  dieselbe  bedingen.  —  Die  Behandlung  besteht  in 
der  Application  einiger  Blutegel  an  das  Zahnfleisch  in  der  Nähe  des  lei- 
denden Zahns  und  später  in  der  Anwendung  erweichender  und  narkoti- 
scher Mundwasser. 

Zahnfäule,  Caries  dentium,  wird  ein  eigenthümlicher,  sehr 
häufig  vorkommender  Zerstörungsprocess  an  den  Zähnen  genannt,  welcher 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  an  der  Krone,  selten  am  Halse,  mit  einer  Ent- 
färbung der  ergriffenen  Stelle  beginnt  und  mit  Zersezung ,  Erweichung 
und  Auflösung  endigt.  —  Die  Caries  kann  an  allen  Zähnen  entstehen, 
doch  beobachtet  man  sie  häufiger  an  den  Backzähnen  als  an  den  Schneide- 


ZAHNKRANKHEITEN.   ZAHNFAEULE.  1097 

zahnen,  und  unter  leztern  sind  wieder  die  obern  der  Krankheit  mehr  unter- 
worfen als  die  untern.  —  Die  Caries  entwickelt  sich  immer  von  aussen 
an  der  Peripherie  des  Zahns  und  dringt  nach  dem  Kanal  zu.  Die  Krank- 
heit beginnt  damit,  dass  an  der  Oberfläche  des  Schmelzes  ein  kleiner 
schwarzer  oder  gelblicher  Fleck  entsteht ,  welcher  durch  die  Zersezung 
des  Schmelzes  bewirkt  wird.  Mit  der  fortschreitenden  Zersezung  kommt 
es  zur  Zerstörung  der  Zahnsubstanz ,  so  dass  sich  ein  Loch  bildet.  Ist 
dieses  Loch  so  tief  geworden,  dass  die  Wand ,  welche  die  Zahnhöhle  be- 
deckt, erweicht  ist,  so  wird  der  Zahn  schon  empfindlich,  namentlich  durch 
Zugluft,  kalte  Getränke  etc.  Die  innere  Zahnhaut  kann  sich  entzünden 
und  es  entsteht  Schmerz.  Ist  die  Zahnhöhle  wirklich  geöffnet ,  so  ge- 
schieht dies  natürlich  noch  leichter.  —  Beginnt  die  Caries  am  Halse  des 
Zahns,  so  geht  der  Zerstörungsprocess  rascher  vor  sich,  weil  hier  der  be- 
deckende Schmelz  fehlt  und  deshalb  die  schädliche  Ursache  unmittelbar 
auf  die  Zahnsubstanz  wirkt.  Hier  ist  die  Färbung  meist  hellgelb.  — 
Der  Verlauf  der  Caries  ist  entweder  acut  oder  chronisch.  Je 
schwärzer  die  Farbe  des  Flecks  ist,  um  so  mehr  kann  man  ein  langsames 
Vorschreiten  annehmen  ;  ist  aber  der  Schmelz,  wie  es  an  der  äussern  Fläche 
besonders  geschieht ,  an  einer  grösseren  Stelle  mattweiss  und  bröcklich, 
so  geht  gewöhnlich  die  Zerstörung  rasch  vor  sich.  Die  acute  oder  weisse 
Form  der  Caries  ist  feucht  und  mit  einem  sehr  üblen  Geruch  verbunden ; 
die  chronische  oder  schwarze  zeigt  sich  trocken  und  ist  nicht  übelriechend. 
—  Von  der  Caries  der  Zähne  ist  der  Brand  derselben,  sonst  auch  trok- 
kene  Caries  genannt,  zu  unterscheiden.  Er  kommt  selten  vor,  zeigt  sich 
auch  schon  in  den  früheren  Lebensperioden  und  beginnt  gewöhnlich  an 
solchen  Stellen ,  wo  die  Caries  nicht  entsteht ,  namentlich  an  den  Spizen 
der  Backzähne  oder  auch  an  der  äussern  Fläche  der  Vorderzähne.  Erzeigt 
sich  als  schwarzer ,  dunkel-  oder  hellbrauner  Fleck  ;  dabei  ist  die  kranke 
Stelle  nicht  erweicht,  sondern  völlig  hart  und  sieht  glänzend  aus.  Es  kann 
allmälig  die  ganze  obere  Fläche  der  Krone  ihres  Schmelzes  verlustig  gehen, 
ein  Loch  entsteht  aber  nie.  Der  Verlauf  dieses  Processes  ist  äusserst  lang- 
sam ;  es  kann  sich  aber  Caries  dazu  gesellen ,  wo  dann  die  Zerstörung 
rasche  Fortschritte  macht.  ■ —  Mit  dem  Weiterschreiten  der  Caries  be- 
schränken sich  die  Folgen  dieses  Uebels  nicht  mehr  blos  auf  die  Schmer- 
zen, sondern  es  entwickelt  sich  oft  auch  eine  Entzündung  des  Periosts  mit 
nachfolgender  Eiterung  im  Zahnfleisch  (s.  P  a  r  u  1  i  s)  ,  Zahnfisteln ,  par- 
tieller Necrose  und  Caries  der  Alveolarwände  mit  schwammigen  Wuche- 
rungen (s.  Epulis).  —  Ursachen.  Die  häufigste  Veranlassung  zur 
Entstehung  der  Zahnfäule  geben  scharfe  Mundsäfte,  namentlich  mit  vor- 
waltender Säure ,  wie  sie  sich  besonders  bei  ererbten  Cachexien ,  Schwä- 
chung (durch  Ausschweifung  in  der  Jugend,  mangelhafte  Nahrung,  unge- 
sundes Klima  etc.) ,  bei  Scropheln ,  Rhachitis,  Syphilis  etc.  und  bei  ver- 
schiedenen Magenleiden  finden.  Auch  finden  sich  im  Allgemeinen  beim 
weiblichen   Geschlecht   und   in    der  Jugend  mehr  scharfe   Säfte ,    deshalb 


1098  ZAHNKRANKHEITEN.   ZAHNFAEULE. 

auch  mehr  kranke  Zähne.  Zur  Zeit  der  Schwangerschaft  besonders  wer- 
den die  Zähne  gern  hohl ;  auch  die  Zeit  des  Säugens  und  der  monatlichen 
Reinigung  ist  von  Einfluss.  Auch  die  von  aussen  in  den  Mund  gebrachte 
Säure  hat  dieselbe  Wirkung ,  daher  sieht  man  besonders  bei  Pharmaceu- 
ten ,  z.  B.  in  Folge  der  Entwicklung  saurer  Dämpfe  bei  der  Destillation, 
so  wie  bei  Conditoren  und  Köchen  in  Folge  des  Ansazes  von  Zuckerstaub 
an  die  Zähne  so  häufig  Caries  an  den  Zähnen.  Begünstigt  wird  die  Ein- 
wirkung der  Säure  durch  die  natürlichen  Vertiefungen  auf  der  Zahnkrone 
und  durch  Gedrängtstehen  der  Zähne ,  wo  jene  leichter  haften  kann  und 
an  welchen  Stellen  bekanntlich  auch  am  häufigsten  Caries  vorkommt.  Bei 
vorherrschender  Alcalescenz  des  Speichels  findet  man  immer  gesunde 
Zähne  ;  deshalb  sieht  man  gewöhnlich  die  Zähne  gesund,  wenn  viel  Wein- 
stein vorhanden  ist.  Nicht  minder  sind  Erschütterungen ,  Zersprengen 
des  Schmelzes ,  schneller  Wechsel  im  Genuss  heisser  und  kalter  Speisen, 
kurz  alle  Verlezungen  des  Zahns  von  Bedeutung  für  die  Entstehung  von 
Caries.  Endlich  ist  noch  die  Entblössung  des  Zahnhalses  durch  den  so- 
genannten Weinstein  zu  nennen.  —  Behandlung.  Sowohl  zur  Ver- 
hütung der  Caries  wie  auch  zu  der  des  Weiterumsichgreifens  der  bereits 
bestehenden  Zerstörung  ist  vor  Allem  Reinlichkeit  des  Mundes,  bestehend 
in  fortwährender  Entfernung  der  Speisereste  und  des  Zahnschleims  mit- 
tels des  Gebrauchs  einer  weichen  Zahnbürste  und  geeigneter  Zahnstocher 
anzuempfehlen.  Daneben  darf  die  Verbesserung  der  Säftemasse  und  die 
Abhaltung  schädlicher  Stoffe  vom  Munde  nicht  versäumt  werden.  Bei 
seitlicher  Caries  feilt  man  die  Caries  aus;  der  Hauptzweck  ist  dabei  weni- 
ger die  Entfernung  dieser  Stelle,  als  um  Raum  zu  schaffen  für  die  Reini- 
gung. —  Ein  weiteres  Mittel  zur  Verhütung  der  Weiterverbreitung  der 
Krankheit  besteht  in  dem  Ausfüllen  der  cariösen  Zähne,  dem  Plom- 
biren. Es  wird  damit  die  Luft,  der  Speichel  etc.  ab-  und  so  das  Er- 
weichen und  Verwittern  aufgehalten.  Man  bedient  sich  hierzu  verschie- 
dener Metalle  ,  besonders  Piatina  ,  Gold  ,  Staniol,  Wismuth,  Blei ,  Zinn, 
Silber,  Merkur,  wovon  die  erstem  als  dünne  Plättchen  benuzt,  leztere 
theils  in  einem  gewissen  Verhältnisse  geschmolzen  ,  theils  als  Amalgam 
angewendet  werden.  Auch  hat  man  verschiedene  Kitte ,  z.  B.  Mastix 
und  Alabastergyps ,  eine  Mischung  von  Kalk  und  Phosphorsäure,  von  Ma- 
stix (5$),  Sandarac  (3ij),  rectificirtem  WTeingeist  (5J)  ,  mit  welcher  Mi- 
schung man  ein  entsprechend  grosses  Baumwollenkügelchen  tränkt,  so  wie 
Gutta  percha,  welche  man  erwärmt  in  die  Höhle  eindrückt.  Auch  weisses 
Wachs,  welches  man  erwärmt ,  ist  oft  von  Nuzen  ;  namentlich  bei  Caries 
der  vordem  Zähne  eignet  es  sich  ,  weil  die  Farbe  des  Wachses  der  der 
Zähne  nahe  kommt ;  es  muss  nur  sehr  oft  erneuert  werden.  Alle  diese 
Ausfüllungen  (Plomben)  können  nur  unter  der  Bedingung  dauerhaft  sein, 
dass  die  auszufüllende  Höhle  eine  geeignete  Gestalt  besizt,  um  ihnen 
Halt  zu  gewähren.  Die  flaschenförmigen  Höhlen  eignen  sich  am  meisten, 
oft  auch   die   cylinderförmigen.      Vor  dem  Plombiren  wird  alles  Cariöse 


ZAHNKRANKHEITEN.   ZAHNSCHMERZ.  1099 

sorgfältig  entfernt  und  dann  die  Höhle  genau  ausgetrocknet ;  die  Plombe 
muss  erneuert  werden  ,  wenn  sie  die  Höhle  nicht  mehr  genau  ausfüllt. 
Das  Plombiren  passt  besonders,  so  lange  die  Markhöhle  nicht  geöffnet  und 
der  Zahn  nicht  sehr  empfindlich  ist.  —  Gegen  den  üblen  Geruch  dienen 
spirituöse  Mundwasser  (Auflösung  von  kölnischem  in  gewöhnlichem  Was- 
ser ,  Salbeiwasser  mit  Tinct.  gummi  Kino  und  Bergamottöl  etc.), 
Chlorkalksolutionen,  ein  Pulver  aus  gerösteten  Kaffeebohnen,  Myrrhe  und 
Calmuswurzel ,  Einlegen  von  Baumwolle  in  die  Zahnhöhle ,  welche  mit 
Kölnischwasser,  Bals.  vitae  Ho  ff  m.  befeuchtet  ist ,  Ausstopfen  mit 
Zahnkitt.  —  Als  leztes  meist  nicht  zu  umgehendes  und  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  durch  die  heftigen  Schmerzen  bedingtes  Hülfsmittel  bleibt  noch 
die  Entfernung  des  kranken  Zahns  übrig. 

Zahnfistel.  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man  Eitergänge, 
welche  sich  entweder  am  Zahnfleische  oder  auf  der  äussern  Haut ,  an  der 
Wange,  der  Basis  des  Unterkiefers,  oder  auch  am  Gaumen  öffnen  und  von 
dem  erkrankten  Periost  oder  einer  nekrotischen  Knochenstelle  ihren  Aus- 
gang nehmen.  Fast  immer  liegt  dem  Leiden  ein  cariöser  Zahn  zu  Grunde. 
Vorher  gehen  längere  Zeit  furchtbare  reissende  Schmerzen  voraus.  Es 
bildet  sich  eine  röthliche  weiche  Geschwulst  an  der  Stelle  des  kranken 
Zahns  ,  dieser  hebt  sich  merklich  in  die  Höhe ,  obgleich  seine  Krone  oft 
noch  ganz  gesund  ist ;  es  bildet  sich  nun  unter  einigem  Nachlass  der 
Schmerzen  ein  Abscess  im  Zahnfleische,  welcher  gewöhnlich  bald  an  einer 
oder  mehreren  kleinen  Stellen  aufbricht,  aus  denen  noch  lange  Zeit  hin- 
durch dünner  Eiter  entleert  wird.  Der  kranke  Zahn  schmerzt  bei  der 
Berührung  mit  einer  metallenen  Sonde.  Vergl.  auch  Zahnentzün- 
dung. —  Man  muss  zuerst  den  verdächtigen  Zahn  ausziehen  und  dann 
zuerst  erweichende  und  später  adstringende  Mundwasser,  Infus,  sal- 
viae,  Tinct.  catechu  etc.  gebrauchen.  Schliesst  sich  die  Fistel  nicht 
bald ,  so  ist  entweder  eine  andere  cariöse  Zahnwurzel  Schuld  oder  es  ist 
Necrose  des  Processus  alveolaris  zugegen. 

Zahnschmerz,  Odontalgia.  Dieser  Schmerz  ist,  wenn  auch 
in  vielen  Fällen  nur  Symptom  einer  anderweiten  Krankheit  des  Zahns  oder 
dessen  Umgebung  eine  dennoch  so  häufig  vorkommende  und  gleichzeitig 
lästige  Erscheinung ,  dass  ihm  als  solche  eine  Stelle  unter  den  selbststän- 
digen Krankheitsformen  stillschweigend  eingeräumt  worden  ist.  Die  den 
Schmerz  herbeiführenden  Grundkrankheiten  ist  man  dadurch  genöthigt, 
als  seine  Ursachen  zu  bezeichnen ,  und  da  nun  diese  sehr  oft  ausserhalb 
des  Zahns  liegen,  ohne  dass  jedoch  bei  der  innigen  Vereinigung  der  Zähne 
mit  dem  Kieferknochen  eine  genaue  Unterscheidung  immer  möglich  ist,  so 
zählt  der  Sprachgebrauch  auch  jene  Schmerzen  den  Zahnschmerzen  bei, 
welche  in  dem  Kieferknochen  oder  dem  Zahnfleische  ihren  Siz  haben. 
Durch  jeden  Säftezufluss  werden  bei  $er  eingekeilten  Lage  der  Zähne  jeder 
etwaige  Druck ,  ebenso  wie  jede  Spannung  befördert  und  hierdurch  an- 
fangs unbedeutende  Schmerzen,  sehr  oft  zu  einer  fürchterlichen  Höhe  ge- 


1100  ZAHNKRANKHEITEN.   ZAHNSCHMERZ. 

steigert,  und  ebenso  vom  Zahn  auf  seine  Umgebung,  als  auch  umgekehrt, 
weiter  verbreitet.  —  Die  nächste  Ursache  eines  schmerzenden  Zahns  ist 
allemal  ein  widernatürlicher  Reiz  des  in  dem  Zahne  sich  verbreitenden 
Nervens,  während  als  entferntere  Ursachen  alle  dynamischen  und  organi- 
schen Krankheiten  des  Zahns  und  seiner  Umgebung,  Congestion,  Entzün- 
dung, Eiterung,  Caries  ,  als  noch  entferntere  aber  Erkältungen ,  das  Zer- 
beissen  harter ,  den  Schmelz  der  Zähne  verlezender  Körper ,  der  schnelle 
Wechsel  zwischen  heissen  und  kalten  Genüssen,  der  Genuss  scharfer  Säu- 
ren ,  Unreinigkeiten  in  den  ersten  Wegen ,  unterdrückte  gewohnte  Blut- 
flüsse ,  die  Schwangerschaft  etc.  betrachtet  werden  müssen.  Besonders 
disponirt  zu  Zahnschmerzen  sehen  wir  sensible  reizbare  Personen,  dann 
aber  auch  solche,  welche  an  allgemeinen,  das  Knochensystem  in  Anspruch 
nehmenden  Dyscrasien,  wie  Gicht,  Scropheln,  Syphilis  leiden.  Häufig  findet 
man  die  Zahnschmerzen  endlich  in  Gegenden,  wo  ein  öfterer  und  schneller 
Temperaturwechsel  stattfindet.  —  Behandlung.  Diese  muss  nach  den 
zu  Grunde  liegenden  Ursachen  eine  verschiedene  sein.  Bei  dem  ner- 
vösen oder  neuralgischen  Zahnschmerz,  welcher  bei  übrigens 
gesunden  Zähnen  vorkommen  kann  und  sich  durch  sehr  heftige  periodi- 
sche Anfälle,  die  besonders  bei  Nacht  stark  auftreten,  kennzeichnet,  zieht 
man  innerlich  Opium,  Morphium,  Belladonna,  Hyoscyamus,  Strammonium, 
die  Flores  zinci  etc.  in  Gebrauch,  benuzt  äusserlich  narkotische  Fo- 
mente,  Cataplasmen,  Einreibungen  z.  B.  von  Ol.  cajeputi  mit  Opium, 
Camphergeist  und  Schwefeläther,  von  Chloroform  und  Süssmandelöl  in  die 
Wange,  und  wendet  Ableitungsmittel  an.  Ist  der  Zahn  hohl ,  so  be- 
schwichtigt man  die  Reizbarkeit  des  blossliegenden  Nerven  am  besten 
durch  die  Sicherung  vor  äussern  Einflüssen,  daher  nach  geschehener  Rei- 
nigung desselben  durch  Ausfüllen  mit  Wachs,  Blei,  Gold  (s.  Zahn- 
fäule) und  durch  Einlegen  narkotischer  und  reizender  Substanzen.  Unter 
den  narkotischen  Mitteln  hat  sich  das  Opium,  die  Belladonna,  die  Cicuta, 
der  Hyoscyamus,  unter  den  reizenden  aber  das  Pyrethrum,  die  ätherischen 
Oele ,  die  natürlichen  Balsame  und  der  Campher  einen  vorzüglichen  Ruf 
erworben.  Man  bringt  sie  in  der  Form  eingraniger  Pillen  oder  als  Tinc- 
tur  in  den  hohlen  Zahn.  Alle  angepriesenen  Zahnpillen  und  Zahntinc- 
turen  enthalten  gewöhnlich  beide  Arten  von  Stoffen  ;  z.  B.  Rp.  Extr. 
b e  1 1  a d. ,  —  h y  o  s  c,  O p i i  p  u  1  v.  ana  gr.  v ,  Rad.  p y  r e t h r.  gr.  x, 
Ol.  c  a  r  y  o  p  h.  gtt.  v.  M.  f.  p  i  1.  p  o  n  d.  gr.  j.  S.  Zahnpillen  ;  —  R  p. 
Tinct.  theb  aic,  Extr.  cicut.,  —  di  git.  purp,  anagr.  iij,  Pul  v. 
rad.  pyrethri  q.  s.  ut  f.  pil.  gr.j.  S.  Zahnpillen.  Weitere  wirksame 
Zusammensezungen  sind:  Rp.  Creosot.  ►)]$  ,  Pulv.  rad.  alth.  q.  s. 
ut  f.  pil.  pond.  gr.j.  S.  Zahnpillen;  —  Rp.  Creosot.  gtt.  viij, 
Ale  oh.  vini  5j.  M.  D.  S.  Mit  Baumwolle  in  den  hohen  Zahn  zu  brin- 
gen; —  Rp.  Tinct.  op.  simpl. ,  Naphth.  vitriol.  ana  5ß.    D.  S. 

Desgleichen; Rp.  AI  um.  pulv.  5 j ,  Spirit.  nitr.  dulc.  §ß.    M. 

S.    Desgleichen.       Eines    der   am    schnellsten   wirkenden   Mittel   ist   das 


ZAHNKRANKHEITEN.  ZAHNSTEIN.  1101 

Chloroform ,  welches  man  mitBaumwolle  in  den  Zahn  bringt.  Als  sehr 
gutes  Mittel  empfiehlt  Carus:  Rp.  Tinct.  guajac.  5vj,  Tinct.  va- 
ler.  5J,  Syr.  Cochlea r.  ,  Tinct.  benzoes  compos.  ana  5ij, 
Land.  liq.  Syd.  3j-  M.  S.  Einen  Theelöffel  voll  davon  mit  einer  Tasse 
warmen  Wassers  in  den  Mund  zu  nehmen.  Die  Wirkung  aller  dieser  Mit- 
tel pflegt  in  der  Regel  nur  eine  momentane  oder  wenigstens  keine  nach- 
haltige zu  sein.  —  Zur  Vernichtung  des  in  die  Zahnpulpe  eindringenden 
Nervenästchens  oder  wenigstens  der  Pulpa  bringt  man  ein  Stückchen 
Höllenstein ,  Aezkali  oder  Chlorzink  in  die  Zahnhöhle  ;  doch  vermeidet 
man  die  lezteren  beiden  Mittel,  wegen  ihrer  leichten  Zerfliessbarkeit,  bes- 
ser. Das  sicherste  und  unschädlichste  Zerstörungsmittel  ist  ein  entspre- 
chend gebogener  glühender  Draht ,  am  besten  ein  Platindraht ,  welcher 
kalt  eingeführt  und  dann  durch  den  galvanischen  Strom  glühend  gemacht 
wird.  S.  Electrotherapie.  —  Der  entzündliche  Zahn- 
schmerz, welcher  sich  durch  einen  lebhaft  klopfenden  Schmerz ,  durch 
Röthe  und  Geschwulst  des  Zahnfleisches,  heisse  Mundhöhle  und  zuweilen 
geröthete  Wange  zu  erkennen  gibt,  erheischt  das  Anlegen  von  Blutegeln, 
Scarificiren  des  Zahnfleisches,  kühlende  Laxantia  und  Ableitungsmittel. 
Bei  schwächlichen  oder  zu  Krämpfen  geneigten  Personen  sezt  man  an  die 
Stelle  der  antiphlogistischen  Mittel  krampfstillende,  Derivantia  und  Ruhe. 
Ist  der  Zahn  hohl ,  so  wendet  man  örtlich  die  kalten  Narcotica  an.  — 
Der  rheumatische  Schmerz  kann  auf  einen  hohlen  Zahn  beschränkt 
sein ,  sehr  häufig  tobt  aber  ein  heftiger  Schmerz  in  mehreren  Zähnen, 
selbst  in  einer  ganzen  Kieferreihe  ,  wobei  nicht  selten  auch  eine  ganze 
Kopf-  und  Halsseite  krankhaft  ergriffen  werden  kann.  Neben  einer  dia- 
phoretischen, antirheumatischen  oder  antiarthritischen  Behandlung,  welche 
durch  warme  Bedeckung  der  leidenden  Gesichtshälfte  mit  Flanell  oder 
einer  Cataplasme  von  Hyoscyamus,  durch  den  Aufenthalt  des  Kranken  im 
Bette  unterstüzt  wird ,  dienen  hier  besonders  Ableitungen  durch  Sinapis- 
men  und  Vesicantien,  das  Einreiben  einer  Auflösung  des  Alcohol  sul- 
phurat.  und  Campher  in  Weingeist  in  die  Wangen,  das  Einlegen  von 
Baumwolle  in  den  äussern  Gehörgang,  welche  mit  ätherischen  Oelen  oder 
scharfstoffigen  Mitteln  befeuchtet  sind.  Sind  die  Schmerzen  sehr  heftig, 
so  kann  durch  das  eine  oder  andere  der  bei  dem  nervösen  Zahnschmerz 
angegebenen  Zahnmittel  eine  Linderung  verschafft  werden. 

Zahnstein,  Calculus  dentalis,  auch  Weinstein  ge- 
nannt, besteht  aus  einem  Niederschlage  der  im  Speichel  enthaltenen  Salze 
(hauptsächlich  kohlensaurem  Kalk)  auf  die  Zähne  und  kommt  hauptsäch- 
lich bei  solchen  Personen  vor ,  welche  die  Reinigung  ihres  Mundes  ver- 
nachlässigen oder  durch  anderweitige  Erkrankungen  verhindert  sind,  die- 
selbe auszuführen.  Inzwischen  beobachtet  man  diese  Incrustationen  nicht 
selten  auch  da ,  wo  die  grösste  Sorgfalt  auf  Mund  und  Zähne  verwendet 
wird.  Wahrscheinlich  hat  auch  eine  fehlerhafte  Mischung  des  Speichels 
Einfluss  auf  die  Bildung  des  Weinsteins.      Am  häufigsten  legt  er  sich  an 


1102  ZAEHNE,  UEBERZAEHLIGE. 

die  untern  Schneidezähne.  Er  ist  von  gelblicher,  an  der  Oberfläche  bräun- 
licher, ja  schwärzlicher  Farbe  und  bildet  oft  Massen  von  mehreren  Linien 
Dicke  und  in  einer  Ausdehnung,  dass  eine  ganze  Zahnreihe  zu  einem  zu- 
sammenhängenden Stücke  verbunden  ist.  Er  kann  in  das  Zahnfach  bis 
zu  den  Wurzeln  vordringen  ,  wodurch  eine  Ablösung  und  Verdrängung 
des   Zahnfleisches   und   damit  ein  Lockerwerden  des  Zahns  bedingt  wird. 

—  Zur  Verhütung  solcher  Ablagerungen  dient  das  gehörige  Puzen  der 
Zähne.  Man  bedient  sich  hierzu  einer  weichen  Bürste ,  welche  in  der 
Art  bewegt  werden  muss ,  dass  das  Zahnfleisch  dabei  nicht  verlezt  oder 
vom  Zahnhalse  abgelöst  wird.  Die  Bürste  wird  mit  schwach  lauwarmem 
Wasser  angefeuchtet  und  kann  ausserdem  noch  in  Zahnseifen,  Zahnpasten 
oder  Zahnpulver  eingetaucht  werden.  Die  meisten  dieser  medicamentösen 
Substanzen  haben  eine  solche  Zusammensezung  ,  dass  sie  neben  der  Be- 
förderung der  Reinigung  noch  die  Erschlaffung  oder  Ablösung  des  Zahn- 
fleisches verhüten.  Die  gebräuchlichsten  Formeln  von  Zahnpulvern  sind  : 
Rp.  Pulv.  carbon.  lign.  tiliae  sjj,  —  cort.  quere.  5üj,  Ol.  ca- 
ryoph.  gtt.  vj.  MD.  —  Rp.  C  onch.  pr  aep.  Jj ,  Cortic.  peru- 
vian.,  Rad.  calami  arom.  ana  ^ß.  M.  F.  Pulv.  S.  Stärk.  Zahnpulv. 

—  Rp.  Conch.  praep.  5vj,  Rad.  irid.  florent.  3j,  Coccionell. 
gr.  v,  AI  um.  pulv.  gr.  viij,  Ol.  caryoph.  gtt.  vj.  M.  f.  pul  v.  sub- 
tiliss.  D.  —  Rp.  Pulv.  lign.  santal.  rubr.  ^ß  ,  Aluni.  crud. 
5ß  ,  Pulv.  cort.  p  er  u  vi  an.  5ij  ,  Ol.  caryoph.,  —  bergamott. 
ana  gtt.  vj.  M.  f.  pulv.  Hufeland'sches  Zahnpulver.  —  Bei  grosser 
Neigung  zur  Zahnsteinbildung  bürstet  man  die  Zähne  mit  echtem  Wein- 
essig oder  benüzt  folgendes  Pulver:  Rp.  Pulv.  rad.  calam.  aromat. 
5$,  —  carb.  lign.  tiliae  5jß,  Sodae  carbon.  ^j.  M.  —  Als  blei- 
chendes Zahnpulver  ist  empfohlen:  Rp.  Calcar.  chlorat.  gr.  viij, 
Corall.  rubr.  seu  Pulv.  rad.  irid.  florent.  ^ß,  Ol.  caryoph. 
gtt.  j.  M.  Gelingt  die  Entfernung  der  Incrustationen  mit  der  Bürste 
nicht ,  so  müssen  sie  entweder  mit  besondern  verschieden  geformten  In- 
strumenten vorsichtig  entfernt,  oder  aber,  wenn  durch  die  Wegnahme  der- 
selben die  Festigkeit  der  Zähne  beeinträchtigt  oder  das  Zahnfleisch  einer 
bedeutenderen  Verlezung  ausgesezt  würde,  lieber  ganz  unberührt  gelassen 
werden. 

Zähne,  überzählige.  Es  ereignet  sich  nicht  selten,  dass  wenn 
ein  Milchzahn  über  die  bestimmte  Zeit  seine  Festigkeit  behält,  der  Zahn, 
welcher  an  seine  Stelle  treten  sollte ,  nach  einer  andern  Richtung  wächst 
und  daher  entweder  an  der  äussern  oder  innern  Seite  des  Alveolarrandes 
hervordringt.  Auch  in  Folge  eines  Missverhältnisses  zwischen  der  Aus- 
dehnung des  Alveolarrandes  und  der  Breite  der  Zähne  kommt  es  zuweilen 
zur  Verdrängung  einzelner  Zähne ,  welche  dabei  entweder  schief  gestellt, 
oder  an  einer  abnormen  Stelle  des  Alveolarrandes  nach  aussen  getrieben 
werden.  —  Unrecht  stehende  Zähne  hindern  das  Kauen ,  das  Sprechen, 
verunstalten  das  Gesicht  und  verursachen  selbst  Verlezungen  der  weichen 


ZAHNKRANKHEITEN.  VERLEZUNGEN.  1103 

Theile.  —  Gewöhnlich  besteht  die  Indication,  den  Milchzahn,  welcher  die 
gehörige  Entwicklung  des  zweiten  Zahns  hindert ,  auszuziehen  und  den 
leztern  durch  öfters  wiederholten  Druck  in  seine  natürliche  Richtung  zu 
bringen.  Wenn  dies  aber  einen  günstigen  Erfolg  haben  soll,  so  darf  die 
zwischen  beiden  Zähnen  befindliche  Scheidewand  nicht  zu  dick  ,  die  ab- 
norme Richtung  nicht  zu  bedeutend  und  die  Breite  des  zweiten  Zahns 
nicht  zu  gross  im  Verhältniss  zu  dem  ersten  sein.  Ist  dies  der  Fall,  und 
steht  der  erste  Zahn  völlig  fest ,  so  ist  es  zweckmässiger ,  den  unrichtig 
stehenden  Zahn  auszuziehen  und  den  Michzahn  zu  erhalten.  —  Beim 
Schiefstand  eines  Zahns,  wegen  Mangel  an  Raum,  ist  es  nothwendig,  den. 
schief  stehenden  Zahn  auszuziehen,  worauf  in  der  Regel  die  übrigen  durch 
Nachrücken  die  entstandene  Lücke  ausfüllen.  Sehr  häufig  kommt  eine 
solche  schiefe  Stellung  an  dem  Eckzahn  vor  ;  zieht  man  aber  diesen  aus, 
so  entsteht  eine  entstellende  Lücke.  Für  solche  Fälle  ist  es  daher,  wenn 
die  Richtung  des  Eckzahns  nicht  allzu  abweichend  ist ,  gerathener ,  den 
ersten  Backzahn  zu  entfernen,  wornach  man  Hoffnung  hat,  den  Eckzahn 
in  die  Reihe  eintreten  zu  sehen. 

Zahnverlezungen.  Die  Zähne  sind  der  Verrenkung  und  dem 
Bruche  ausgesezt.  Bei  der  Verrenkung  wird  der  Zahn  entweder  ganz 
aus  seiner  Verbindung  gelöst  oder  er  bleibt  noch  mit  einem  Theile  des 
Zahnfleisches  in  Verbindung.  In  dem  einen  wie  in  dem  andern  Falle 
kann  der  Zahn  erhalten  werden ,  wenn  man  ihn  alsbald  wieder  in  seine 
Höhle  hineindrückt  und  in  dieser  Stellung  durch  Schonung  allein  oder 
durch  Befestigung  an  seine  Nachbarn  mehrere  Tage  lang  ruhig  erhält. 
Das  Festwachsen  eines  solchen  Zahns  geschieht  wahrscheinlich,  indem 
das  vom  Periost  der  Alveole  gelieferte  Exsudat  rings  um  seine  Wurzeln 
verknöchert.  Eine  Gefäss-  und  Nervenverbindung  stellt  sich  nicht  wie- 
der her  ;  der  Zahn  bleibt  unempfindlich,  auch  verliert  er  seinen  Glanz.  — 
Fracturen  der  Zähne  kommen  nicht  selten  vor,  häufig  verbinden  sie 
sich  mit  der  Verrenkung ,  indem  bei  dieser  eine  oder  alle  Wurzeln  ab- 
brechen. Dies  hindert  indessen  das  Einheilen  des  Zahns  nicht.  Die 
fracturirte  Stelle  der  Wurzel  wird  von  einem  Callus  umfasst,  welcher  mit 
der  an  dieser  Stelle  im  normalen  Zustande  sich  vorfindenden  Substan- 
tia  ostoidea  in  seiner  Structur  völlig  übereinstimmt.  Anders  verhält 
es  sich  bei  Absprengungen  von  Theilen  der  Krone  ;  von  einem  Anheilen 
solcher  kann  keine  Rede  sein ,  es  kann  sich  nur  fragen ,  ob  ein  solcher 
Zahn  ganz  entfernt  oder  das  zurückbleibende  Zahnstück  zur  Befestigung 
eines  künstlichen  Zahns  benuzt  werden  soll.'  Bei  Absprengungen  kleiner 
Stücke  oder  bei  Sprüngen  in  den  Zähnen  kann  der  Zahn  zunächst  erhal- 
ten werden,  nur  ist  zu  erwarten,  dass  er  durch  die  Blosslegung  der  S  u  b- 
stantia  tubulosa  einer  baldigen  Zerstörung  anheimfallen  werde.  Je- 
doch kann  in  der  Substantia  tubulosa  auch  eine  Exsudation  er- 
folgen,  durch  welche  sie  verdichtet  und  dadurch  widerstandsfähiger 
wird.   —   Häufiger   als  durch  mechanische  Verlezungen  leiden  die  Zähne 


1104  ZELLGEWEBSENTZUENDUNG. 

durch  die  Einwirkung  chemischer  Agentien,  unter  welchen  besonders 
die  mineralischen  Sauren  sich  verderblich  zeigen.  Sie  zerstören  den 
Schmelz  der  Zähne  und  überliefern  ihn  dadurch  der  weitern  schädlichen 
Einwirkung  äusserer  Einflüsse. 

Zäpfchen,  Krankheiten  desselben.  An  dem  Zäpfchen 
beobachtet  man  eine  Missbildung,  Entzündungen  und  eine  Vergrösserung. 

Entzündung  des  Zäpfchens,  Angina  tonsillaris, 
kommt  meistens  im  Gefolge  der  allgemeinen  Halsentzündung  vor ,  wobei 
dasselbe  allerdings  nicht  selten,  vorzugsweise  entzündet  ist,  zuweilen  eine 
ödematöse  Anschwellung  des  Zäpfchens  bemerkt  wird.  —  Die  Behand- 
lung dieser  Entzündung  fällt  mit  derjenigen  der  Angina  zusammen,  von 
der  sie  einen  Theil  bildet.  S.  Angina.  Bei  bedeutenderem  Oedem 
scarificirt  man  das  Zäpfchen  mit  einem  feinen  Messer. 

Missbildung  des  Zäpfchens.  Diese  besteht  in  einer  Spal- 
tung desselben,  Uvula  bifida,  welche,  wenn  sie  sich  auf  das  Zäpfchen 
beschränkt,  wenig  oder  gar  keine  Beschwerden  verursacht,  weswegen  für 
sie  keine  Hülfe  in  Anspruch  genommen  wird.  Häufig  erstreckt  sich  die 
Spaltung  aber  zugleich  auch  auf  das  Gaumensegel  und  selbst  auf  den 
knöchernen  Gaumen,  womit  sehr  bedeutende  Beschwerden  verbunden  sind. 
Ueber  die  Behandlung  dieser  Deformität  s.  den  Art.  Gaumen. 

Vergrösserung  des  Zäpfchens,  Hypertrophia  Uvu- 
la e ,  entsteht  nicht  selten  in  Folge  langwieriger ,  oft  wiederkehrender 
Entzündungen.  Das  Zäpfchen  hängt  dabei  bis  auf  den  Rücken  der  Zunge 
herab  und  erregt  dadurch  Husten ,  Ekel  und  Erbrechen ,  erschwert  auch 
die  Sprache  und  macht  sie  undeutlich. —  Bei  geringeren  Graden  von  Ver- 
längerung wendet  man  adstringirende  Gurgelwasser  von  Eichenrindende- 
coct  mit  Alaun ,  Tinctura  catechu,  pimpinellae,  Berühren  mit 
scharfen  reizenden  Stoffen  (Pfeffer),  mit  Höllenstein  u.  dgl.  an.  In  höhe- 
ren Graden  ist  die  Abkürzung  des  Zäpfchens,  Abscissio  uvu- 
lae,  angezeigt.  Man  fasst  es  zu  diesem  Behufe  mit  einer  Korn-,  Polypen- 
oder Hakenzange  und  trägt  es  mit  einer  Scheere  oder  einem  concaven 
Knopfmesser  ab,  Den  Mund  hält  man  während  der  Operation  durch  zwi- 
schen die  Backzähne  gelegte  Korkstücke  offen.  Die  Blutung  steht  gewöhn- 
lich auf  die  Anwendung  kalter  Gurgelwasser  von  Essig  und  Wasser ,  Be- 
rühren mit  T  h  e  d  e  n '  s  Schusswasser ,  im  schlimmsten  Fall  wendet  man 
das  Glüheisen  an.  —  Befürchtet  man  zum  Voraus  eine  bedeutende  Blu- 
tung, so  kann  man  die  Abtragung  auch  mittels  der  galvano-caustischen 
Schneideschlinge  vornehmen  (s.  Electrotherapie). 

Zellgewebsentzündung,  Phlegmone  (von  (pXsyco,  ich 
brenne).  Das  Zellgewebe  ist  sehr  häufig  der  Siz  von  Entzündung,  die 
entweder  ursprünglich  in  ihm  auftritt ,  oder  durch  Weiterverbreitung  von 
andern  Gebilden,  z.  B.  der  'äussern  Haut,  der  Beinhaut ,  den  Fascien  aus 
entsteht.       Sie  tritt  vorzüglich  in   dem  subcutanen  Zellgewebe   auf 


ZELLGEWEBSENTZUENDUNG.  1105 

(Phlegmone  subcutanea),  wird  jedoch  sehr  oft  auch  in  den  weichen 
Theilen  unter  den  Fascien  beobachtet  (Phlegmone  subfascialis). 
—  Die  Ursachen  dieser  Entzündung  kommen  grösstenteils  mit  den 
bei  der  Entzündung  im  Allgemeinen  angegebenen  überein  und  sind  haupt- 
sächlich: fremde  Körper,  Wunden,  besonders  Stich-  und  Schusswunden, 
Fracturen  mit  Splitterung  der  Knochen,  tiefe  Verbrennungen.  Auch  Er- 
kältungen und  Unterdrückung  der  Hautthätigkeit  können  sie  veranlassen. 
Mitunter  sieht  man  sie  ohne  irgend  eine  erkennbare  Ursache  gleichsam 
spontan  auftreten.  Junge ,  kräftige  Subjecte  sind  ihr  besonders  ausge- 
sezt.  Im  Verlaufe  mancher  Fieber  haben  sie  oft  eine  kritische  Bedeu- 
tung. —  Symptome.  Der  Entzündung  gehen  bald  fieberhafte  Sym- 
ptome vorher ,  bald  folgen  diese.  Ersteres  ist  gewöhnlich  bei  den  aus 
innern  Ursachen  entstehenden  Entzündungen  der  Fall ,  lezteres  bei  den 
wahren  Phlegmonen,  besonders  wenn  diese  sehr  heftig  sind  und  sehr  reiz- 
bare Subjecte  betreffen.  Die  örtlichen  Erscheinungen  sind  verschieden, 
je  nachdem  die  Entzündung  in  subcutanem  oder  subfascialem  Zellgewebe 
ihren  Siz  hat.  Bei  der  subcutanen  Zellgewebsentzündung  treten  die 
Erscheinungen  deutlicher  hervor.  Es  stellen  sich  Schmerz,  erhöhte  Tem- 
peratur, Anschwellung .  Spannung  und  eine  symptomatische  Röthung  der 
Haut  ein.  Je  nach  der  Heftigkeit  und  Andauer  der  erzeugenden  Ursache 
beschränken  sich  diese  Symptome  entweder  auf  eine  kleinere  Stelle ,  in- 
dem sich  eine  rundliche  Entzündungsgeschwulst  bildet  (circumscripte 
Zellgewebsentzündung)  ,  oder  sie  breiten  sich  weiter  aus ,  so  dass  oft  ein 
ganzes  Glied  schmerzhaft,  geschwollen  und  geröthet  wird  (diffuse 
Zellgewebsentzündung).  —  Bei  der  s  üb  fas  cialen  Zellgewebsentzün- 
dung treten  einzelne  dieser  Erscheinungen  stärker  hervor,  während  andere 
weniger  in  die  Augen  fallen.  Die  unnachgiebigen  Fascien  stellen  sich 
der  Ausdehnung  der  entzündeten  Gewebe  mehr  entgegen  ,  daher  ist  die 
Anschwellung  des  Theils  geringer ,  dagegen  Spannung  und  Schmerz  hef- 
tiger. Auch  die  Röthe  der  Haut  ist  geringer  und  stellt  sich  erst  spät  ein, 
bald  aber  erscheint  in  Folge  einer  serösen  Infiltration  ein  subcutanes 
Oedem.  —  1)  Umschriebene  Zellhautentzündung,  Phleg- 
mone circumscrip ta.  Die  phlegmonöse  Geschwulst  ist  mehr  oder 
weniger  umfangreich,  umschrieben,  in  die  Tiefe  sich  erstreckend,  hart,  re- 
sistent, tief  geröthet,  besonders  im  Mittelpunkte,  und  so  ,  dass  die  Röthe 
auf  Druck  nicht  weicht  oder  doch  sehr  schnell  wiederkehrt.  Der  Schmerz 
äussert  sich  als  ein  Gefühl  von  Stechen ,  Reissen  und  Spannen ,  die  Hize 
hat,  wenigstens  im  Anfange,  nicht  das  eigenthümlich  Brennende ,  wie  bei 
der  wahren  Rose ;  erst  wenn  sich  die  Entzündung  gegen  die  Haut  hin 
ausbreitet,  nimmt  sie  diesen  Charakter  an.  —  2)  Verbreitete  Zell- 
gewebsentzündung, phlegmonöses  Erysipelas,  Pseudo- 
erysipelas,  Phlegmone  diffusa.  Diese  Form  der  Entzündung 
entsteht  am  liebsten,  wenn  bei  Vorhandensein  einer  erysipelatösen  Diathese 
im  Körper  eine  Wunde ,  sei  sie  auch  noch  so  unbedeutend ,  mit  unreinen 
Burger,  Chirurgie.  70 


1106  ZELLGEWEBSENTZUENDUNG. 

Stoffen  (Leichen-  oder  anderem  Gift,  verdorbenem  Eiter  etc.)  in  Berüh- 
rung kommt.  Seltener  pflanzt  sich  ein  Erysipelas  auf  das  Unterhautbinde- 
gewebe fort.  Die  Entzündung  kündigt  sich  meistens  durch  ein  Leiden 
des  Digestivapparats  an ,  welches  oft  während  des  ganzen  Verlaufs  der 
Krankheit  fortbesteht.  Zunächst  macht  sich  an  der  betreffenden  Stelle 
ein  Gefühl  von  Schwere ,  Jucken  und  eine  Empfindung  bemerklich ,  als 
bestände  in  der  Tiefe  eine  Quetschung.  Es  stellt  sich  eine  Röthe  ein, 
welche  in  der  Mitte  dunkel,  im  Umkreise  blass  und  rosig  gefärbt  ist;  ein 
Druck  mit  dem  Finger,  welcher  zuweilen  ein  teigiges  Gefühl  gibt,  macht 
die  Röthe  an  dieser  Stelle  verschwinden ,  worauf  sie  nur  langsam  wieder 
erscheint.  Bei  tiefem  Size  der  Krankheit  tritt  die  Röthe  der  Haut  in- 
dessen oft  nicht  eher  auf,  als  bis  das  Leiden  schon  bedeutende  Fort- 
schritte gemacht  hat.  Bald  lässt  sich  die  Haut  nicht  mehr  eindrücken ; 
sie  leistet  Widerstand  ,  als  läge  sie  auf  einem  Brette ;  dabei  findet  sich 
eine  brennende  Hize,  ein  stechender  Schmerz  und  es  erheben  sich  Blasen; 
endlich  treten  die  allgemeinen  entzündlichen  Erscheinungen  mit  Heftig- 
keit auf.  Im  weiteren  Verlaufe  der  Krankheit  breitet  sich  die  Entzün- 
dung über  die  benachbarten  Theile  aus;  die  Anschwellung  wird  beträcht- 
licher, der  Schmerz  lebhafter,  es  stellt  sich  ein  Gefühl  von  Spannung  und 
Einschnürung  an  der  kranken  Stelle  ein  und  es  machen  sich  nervöse  Sym- 
ptome, gewöhnlich  durch  einen  starken  Frostschauer  eingeleitet,  bemerk- 
lich. Unter  Nachlass  der  Erscheinungen  wird  die  leidende  Stelle  nun 
wieder  teigig,  was  den  Eintritt  der  Eiterung  anzeigt.  Diese  erreicht  bald 
eine  solche  Ausdehnung ,  dass  die  Haut  auf  grosse  Strecken  von  dem  an- 
gesammelten Eiter  in  die  Höhe  gehoben ,  verdünnt ,  abgelöst,  missfarbig 
und  brandig  wird.  Damit  treten  Symptome  allgemeiner  Schwäche  und 
die  Folgen  der  Aufsaugung  des  Eiters  sehr  stark  hervor ,  weshalb  man 
dieser  Krankheit  auch  den  Namen  Brandrose,  Erysipelas  gan- 
graenosum gegeben  hat.  Die  Eröffnung  des  Abscesses  fördert  eine 
grosse  Menge  stinkenden  Eiters  und  zerstörten  Bindegewebes  zu  Tage.  — 
Verlauf.  Es  gibt  eine  chronische  und  eine  acute  Zellgewebsentzün- 
dung.  Die  chronische  Entzündung  findet  sich  bei  fortwirkenden  be- 
schränkten Entzündungsreizen  und  bei  alten  geschwächten  Subjecten. 
Man  trifft  sie  namentlich  in  der  Umgebung  alter  Abscesse  und  Fistel- 
gänge ,  chronischer  Geschwüre ,  wo  sie  öfters  eine  Art  hypertrophischer 
Verhärtung  erzeugt,  welche  unter  dem  Namen  Callosität  bekannt  ist. 
Die  acute  Entzündung  tritt  hingegen  bei  jüngeren  kräftigen  Individuen, 
heftigeren  Entzündungsreizen  und  grosser  Nervenreizbarkeit  auf.  —  Aus- 
gänge. Die  Zellgewebsentzündung  kann  sich  zertheilen,  aber  auch  ex- 
sudative Processe  und  Brand  zur  Folge  haben.  Der  günstigste,  übrigens 
seltenste  Ausgang  ist  die  Zertheilung.  Sie  tritt  ein ,  wenn  die  Ent- 
zündung nicht  sehr  heftig  war  und  an  einer  Stelle  auftrat,  wo  wenig  Fett 
liegt.  Meistens  kommt  es  zur  Bildung  von  Exsudaten,  welche 
aber  verschieden  und  oft  gemischt  sind.   Es  kommen  drei  Hauptarten  von 


ZELLGEWEBSENTZUENDUNG.  1107 

Exsudaten  vor,  wonach  man  eine  seröse,  fibrinöse  und  eiterige  Zellgewebs- 
entzündung  unterscheidet.  1 )  Die  seröse  Phlegmone  stellt  das  ent- 
zündliche Oedem  dar.  Dasselbe  tritt  ein  bei  schwächeren  Graden  der 
Entzündung.  Vergl.  Oedem.  —  2)  Die  fibrinöse  Phlegmone. 
Das  bei  dieser  Entzündung  gesezte  faserstoffige  Exsudat  gerinnt  rasch  in 
den  Maschen  des  Zellgewebes  ,  wodurch  die  Entzündungsgeschwulst  eine 
besondere  Härte  bekommt.  Das  festgewordene  Exsudat  kann  in  eine 
entzündungslose  Induration  übergehen  ,  oder  es  kann  sich  im  Umfange 
desselben  schmelzende  Eiterung  und  Abscessbildung  mit  Ausstossung  ab- 
gestorbener Zellgewebsreste  ohne  beträchtlichen  Einfluss  auf  den  Umfang 
und  die  Härte  der  Geschwulst  einstellen  (Furunkel ,  Carbunkel). 
In  andern  Fällen  wird  der  geronnene  Faserstoff  wieder  flüssig  und  ent- 
weder resorbirt,  womit  die  Geschwulst  schwindet  oder  es  findet  eine  eite- 
rige Umwandlung  statt,  wodurch  der  folgende  Zustand  herbeigeführt  wird. 
—  3)  Die  purulente  Phlegmone  erzeugt  in  der  circumscripten 
Form  die  heissen  Abscesse ,  in  der  ausgebreiteten  das  Pseudoerysipelas, 
wobei  mit  der  Eiterbildung  mehr  oder  weniger  Zerstörung  des  Gewebes 
verbunden  ist.  Bei  sehr  heftiger  Entzündung  ist  dieser  Ausgang  fast  un- 
ausbleiblich. Oft  geht  eine  vorwaltend  fibrinöse  Ausschwizung  vorher,  wo 
dann  die  anfangs  sehr  harte  entzündliche  Anschwellung  eine  eiterige  Er- 
weichung erfährt,  an  einzelnen  Stellen  weich  wird,  und  auf  einen  gemach- 
ten Einschnitt  Eiter  mit  faserstoffigen  Gerinnseln  undEesten  abgestorbe- 
nen Gewebes  entleert.  In  andern  Fällen  bildet  sich  das  flüssige  Exsudat 
unmittelbar  zu  Eiter  um ,  besonders  wenn  es  metastatisch  in  Folge  einer 
Diathesis  purulenta  entstanden  ist.  Gleich  nach  den  Entzündungs- 
erscheinungen ,  die  sehr  unmerklich  sein  können ,  stellt  sich  dann  mehr 
oder  weniger  Fluctuation  ein.  Sich  selbst  überlassen  treten  nun  oft  sehr 
bedeutende  Zerstörungen  ein  ,  indem  ein  grosser  Theil  des  subcutanen 
und  subfascialen  Zellgewebs  zu  Grunde  gehen  kann ,  so  dass  die  Haut 
ganz  unterminirt  ist,  Fascien,  Gefässe  und  Muskeln  entblösst ,  wie  präpa- 
rirt  liegen.  An  den  mit  Blasen  besezten  Stellen  der  Haut  bricht  diese 
durch  und  bildet  unregelmässige  grosse  Oeffhungen  mit  unreinen  Rändern. 
Crosse  Massen  von  Eiter  und  Exsudatpfröpfen  und  Zellgewebsflocken  kom- 
men zum  Vorschein.  Bei  bedeutenderen  Fällen  dieser  Art  dauert  nun  die 
Eiterung  in  furchtbarem  Grade  ,  grosse  Hautstücke  gehen  verloren  durch 
Absterben  oder  Ulceration,  an  die  Stelle  des  mehr  entzündlichen  Fiebers 
treten  die  Zufälle  der  Hectik  und  der  Kranke  stirbt  entweder  an  fort- 
dauerndem Säfteverlust  oder  an  Eiterresorption  und  Pyämie  ;  in  andern 
Fällen  kann  in  Folge  der  Erosion  und  Perforation  der  Gefässe  eine  tödt- 
liche  Blutung  eintreten.  —  In  glücklicher  verlaufenden  Fällen  vermindert 
sich  allmälig  die  Eiterung ;  es  bilden  sich  Granulationen  und  durch  Neu- 
bildung von  Bindegewebe  werden  die  Verbindungen  zwischen  den  ent- 
blössten  Theilen  wiederhergestellt,  doch  bleiben  gewöhnlich  noch  längere 
Zeit   Spannung .    geringere   Beweglichkeit   und    atrophischer  Zustand  des 

70* 


1108  ZELLGEWEBSENTZUENDUNG. 

Theils  zurück.  —  Brand  ist  stets  zu  fürchten,  wenn  die  Entzündungs- 
geschwulst in  ihrer  Entwicklung  durch  fibröse  Häute  gehemmt  wird.  Eine 
schwache  Constitution,  eine  zerrüttete  Gesundheit  u.  dgl.  begünstigen  das 
Eintreten  dieses  Ausgangs.  Ist  er  weit  verbreitet  und  fortschreitend,  so 
ist  er  sehr  bedenklich  ;  auf  einen  kleinen  Raum  beschränkt ,  kann  er  die 
Beendigung  der  Krankheit  beschleunigen,  indem  er  durch  die  Zerstörung 
der  Gewebe  dem  Eiter  freien  Abfluss  verschafft.  —  Prognose.  Bei 
der  umschriebenen  Zellgewebsentzündung  ist  die  Prognose  nicht  bedenk- 
lich, wenn  ihr  Siz  oberflächlich,  sie  wenig  ausgebreitet  und  aus  einer  äus- 
sern Ursache  hervorgegangen  ist ;  unter  den  gegentheiligen  Verhältnissen 
kann  sie,  besonders  wenn  sie  in  der  Nähe  eines  wichtigen  Theils  auftritt, 
schlecht,  jedenfalls  zweideutig  sein. —  Bei  dem  phlegmonösen  Ervsipelas 
ist  die  Prognose  um  so  bedenklicher,  je  ausgebreiteter  dasselbe  ist  und  je 
allgemeiner  wirkend  die  Veranlassungen  desselben  sind.  —  Behand- 
lung. Diese  muss  eine  streng  antiphlogistische  sein  und  zwar  spielen 
hier,  da  man  es  mit  der  Entzündung  eines  eingeschlossenen  Gewebes  und 
einer  dadurch  bedingten  Spannung  der  Theile  zu  thun  hat ,  die  Blutent- 
ziehungen eine  Hauptrolle  ;  demnächst  erweisen  sich  bei  acuter  Entzün- 
dung anhaltende  kalte  Umschläge  von  Bleiwasser,  der  innerliche  Gebrauch 
von  Salpeter,  Brechweinstein,  Calomel  oder  Laxirsalzen  neben  einer  anti- 
phlogistischen Diät  von  Nuzen.  Bei  der  fibrinösen  Phlegmone  besonders 
müssen  wiederholt  Blutegel  in  grosser  Anzahl  angesezt  werden;  die  Kälte 
muss  indessen  hier  gemieden  werden,  um  nicht  die  Gerinnung  des  Exsu- 
dats zu  befördern.  Nach  gehöriger  Blutentziehung  bedeckt  man  den 
Theil  mit  dicken ,  erweichenden  Cataplasmen  und  reibt  Quecksilbersalbe 
ein,  damit  das  Exsudat  wieder  verflüssigt  und  wo  möglich  zur  Resorption 
gebracht  wird.  Nimmt  die  Geschwulst  einen  torpiden  Charakter  an,  so 
legt  man  behufs  der  Erweichung  Zugpflaster  auf,  macht  Ueberschläge  mit 
einer  Sublimatsolution  etc.  Zeigt  sich  eine  weiche  und  fluctuirende  Stelle 
oder  kann  man  aus  andern  Erscheinungen  auf  Gegenwart  von  Eiter  in  der 
Tiefe  schliessen ,  so  macht  man  einen  Einschnitt  bis  auf  den  Eiterherd 
und  legt  dann  erweichende  Cataplasmen  auf.  —  Bei  dem  phlegmonösen 
Erysipelas  können  im  Entstehen  des  Uebels  Aderlässe  von  grossem  Nuzen 
sein ,  doch  nur  bei  kräftigen  Personen ;  auf  die  entzündete  Stelle  selbst 
sezt  man  Blutegel  in  grosser  Zahl,  um  die  Entzündung  zu  massigen.  Die 
Eiterung  wird  dadurch  nicht  verhütet,  wohl  aber  kann  diese  dadurch  ober- 
flächlicher und  begrenzter  gemacht  werden.  Frühzeitige  Einschnitte  haben 
sich  hier  von  grossem  Nuzen  erwiesen ;  sie  erregen  nicht  nur  eine  wohl- 
thätige  Blutung ,  sondern  sie  heben  auch  die  grosse  Spannung  der  ent- 
zündeten Gewebe  auf.  Innerliche  Mittel  sind  dabei  von  geringem  Nuzen ; 
doch  kann  man  Nitrum  und  andere  kühlende  Salze  bei  schmaler  Diät  und 
säuerlichen  Getränken  geben.  Kalte  Umschläge  nüzen  nicht  viel.  Als 
ein  sehr  wirksames  Mittel  wird  von  den  Franzosen  die  Anwendung  eines 
Blasenpflasters   auf  den  Mittelpunkt  des  Uebels  angepriesen.      Fängt  die 


ZELLGEWEBSVERHAERTUNG.  1109 

Geschwulst  an  teigig  zu  werden ,  ein  untrügliches  Kennzeichen  der  Eite- 
rung, so  darf  man  nicht  zögern  ,  die  Haut  an  mehreren  Stellen  in  grosser 
Ausdehnung  zu  spalten  und  die  Aponeurosen  durch  Einschnitte  zu  ent- 
spannen, wenn  unter  denselben  Eiter  sich  befinden  sollte.  Man  macht  die 
Einschnitte  mit  der  Längenachse  des  Gliedes  parallel  laufend  und  vermei- 
det wichtige  Gefässe  und  Nerven.  Die  nächste  Behandlung  besteht  in 
der  Reinigung  der  Wunden ,  in  Aussprizungen  und  Breiumschlägen. 
Nimmt  unter  dieser  Behandlung  die  Eiterung  ab  und  fängt  die  Haut  an 
sich  anzulegen,  so  kann  man  diesen  Heilungsprocess  durch  einen  leichten 
Druckverband  unterstüzen  ;  nebenbei  sezt  man  an  die  Stelle  der  Breium- 
schläge Umschläge  von  Chamilleninfus.  Wird  dagegen  die  Eiterung  pro- 
fus, tritt  ein  Zustand  von  Schwäche  ein,  so  sindTonica  angezeigt,  äusser- 
lich  Umschläge  von  aromatischen  Kräutern,  Wein,  innerlich  China  mit 
Schwefelsäure  nebst  einer  nahrhaften  kräftigen  Diät.  —  Auf  gleiche  Weise 
verfährt  man  bei  der  gangränösen  Zellgewebsentzündung ,  wenn  sie 
Folge  eines  allgemeinen  Schwächezustandes  ist.  —  In  seltenen  Fällen, 
namentlich  wenn  sich  die  Zerstörungen  in  Gelenke  erstrecken ,  kann  die 
Amputation  oder  Exarticulation  des  ergriffenen  Gliedes  nöthig  werden. 
Nach  Stromeyer  darf  man  sich  nicht  scheuen,  in  den  kranken  Theilen 
zu  operiren. 

Zellgewebsverhärtung,  Induratio  telae  cellulosae, 
macht  sich  kenntlich  durch  Auftreibung,  Steifigkeit,  Unbeweglichkeit  und 
Schwere  der  leidenden  Theile,  und  ist  oft  noch  mit  einer  mehr  oder  min- 
der starken  entzündlichen  Reizung ,  in  deren  Folge  sie  entstand,  verbun- 
den, daher  sie  auch  die  anatomischen  Kennzeichen  des  chronisch  entzün- 
deten Zellgewebes  in  ausgezeichnetem  Grade  an  sich  trägt.  So  lange  die 
von  der  Entzündung  gesezten  Exsudate  noch  nicht  festgeworden  sind, 
nimmt  es  den  Eindruck  des  Fingers  wie  ödematöse  Theile  an  ,  und  die 
entstandene  Grube  gleicht  sich  nur  sehr  langsam  aus.  Nach  und  nach 
wird  aber  die  ergossene  Masse  immer  fester  und  härter  (sclerosirt)  und 
verschmilzt  mit  dem  Zellgewebe  zu  einer  dichten,  callösen,  beim  Einschnei- 
den kreischenden ,  bisweilen  speckartigen  Masse  ,  wie  wir  dies  z.  B.  im 
Umkreise  alter  Geschwüre  wahrnehmen.  Am  häufigsten  findet  man  das 
subcutane  Zellgewebe  verhärtet,  wenn  tiefgreifende  Rosen  wiederholt  einen 
Theil  befallen  hatten  ,  oder  um  Geschwülste  herum ,  die  entweder  die  in 
ihnen  wirkende  krankhafte  Thätigkeit  auf  das  umgebende  Gewebe  über- 
trugen oder  auch  nur  auf  mechanische  Weise  durch  den  ausgeübten  Druck 
eine  langdauernde  entzündliche  Reizung  in  ihm  hervorriefen.  Wir  finden 
dies  um  aufgetriebene  Drüsen,  Tuberkel  etc.  —  Die  Behandlung  ist  die 
der  Verhärtung  überhaupt.  —  Die  Zellgewebsverhärtung  der 
Neugeborenen,  Scleroma  textus  cellulosi,  welche  nach 
Engel  mehr  eine  Affection  des  Coriums  als  des  Unterhautzellgewebes 
darstellt,   scheint   eine  selbstständige,  vielleicht  durch  Störung  der  Haut- 


1110  ZERTHEILENDE  MITTEL. 

function  veranlasste  Entzündung  mit  Exsudatbildung  in  das  Corium  und 
Unterhautzellgewebe  zu  sein ,  wofür  spricht ,  dass  das  Uebel  häufiger  in 
öffentlichen  Anstalten ,  als  in  der  Privatpraxis ,  namentlich  im  nördlichen 
Frankreich  angetroffen  wird  ,  wo  bei  den  grossen  Sälen  der  Findelhäuser 
und  Hospitäler  die  Feuerung  mittels  der  Kamine  nicht  hinreichend  ist. 
Die  Krankheit  zeigt  sich  als  eine  massige ,  aber  sehr  harte,  brettähnliche 
Anschwellung  mit  röthlichgelblicher  Färbung  vorzüglich  am  untern  Theile 
des  Rumpfs  ,  an  den  Oberschenkeln  und  Wangen.  —  Leztere  Form  der 
Zellgewebsverhärtung  gehört  indessen  nicht  vor  das  Forum  des  Wundarztes. 

Zertheilende,  auflösende  Mittel,  Resolventia,  Dis- 
cutientia,  sind  im  weitern  Sinn  alle  diejenigen  Mittel,  welche  die  Zer- 
theilung  bei  Entzündungen  bewirken,  also  alle  Antiphlogistica  frühzeitig 
genug  angewandt:  als  Aderlass  ,  Blutegel,  Nitrum,  nach  Umständen  die 
Kälte,  die  Wärme  etc.  Im  engern  und  gewöhnlichen  Sinn  begreift  man 
aber  unter  diesem  Namen  eine  Anzahl  mehr  oder  weniger  erregender 
Mittel ,  welche  zum  Theil  dadurch  wirken ,  dass  sie  zuerst  die  Haut  und 
nach  und  nach  die  tieferen  Theile  gelinde  reizen,  dadurch  den  Stoffwech- 
sel ,  d.  h.  die  Umwandlung  des  Bluts  in  feste  organische  Substanz  und 
dieser  wieder  in  Blut  bethätigen ,  somit  also  Stockungen  der  organischen 
Säfte  lösen  und  krankhaft  abgesonderte  Flüssigkeiten  und  extravasirtes 
Blut  und  Lymphe  zur  Resorption  bringen,  zum  Theil  dadurch,  dass  sie 
durch  ihre  gelind  adstringirenden  Eigenschaften  den  geschwächten  klei- 
nen Gefässen  ihren  Tonus  wieder  geben.  In  offenen  Geschwüren  und 
eiternden  Wunden  vermehren  sie  die  Eiterung  und  befördern  dadurch  die 
Absonderung  der  abgestorbenen  oder  sonst  verdorbenen  Theile  von  den 
gesunden  und  die  Bildung  der  Granulationen,  weshalb  sie  zum  Theil  auch 
als  eiterungsbefördernde  und  reinigende  Mittel  dienen.  Einige  derselben 
widerstehen  auch  der  Fäulniss  und  sind  daher  als  Antiseptica  zu  gebrau- 
chen. Vergl.  reinigende  und  fäulniss  widrige  Mittel.  —  Die 
Mittel,  welche  hier  zur  Anwendung  kommen,  werden  aus  den  verschieden- 
sten Klassen  des  Arzneischazes  genommen  und  unter  verschiedenen  For- 
men, als  Fomente ,  Waschungen  ,  in  Salben-  und  Dunstform  angewendet. 
Eine  sehr  häufige  Anwendung  finden  gewürzhafte,  ätherisches  Oel  haltige 
Kräuter,  Blumen,  Wurzeln,  Samen  und  Früchte,  wie  Salbei,  Pfeffermünz, 
C2uendelkraut,  Thymian,  Ysopkraut,  Lavendel,  Rosmarin,  Chamillen,  Ho- 
pfen ,  Heublumen  etc. ,  Gewürznelken ,  Kaffeebohnen,  Wachholderbeeren 
etc. ,  welche  theils  mit  Wasser  oder  Wein  infundirt ,  für  sich  allein  oder 
mit  Salzen  vermischt ,  zu  feuchtwarmen  Umschlägen  oder  Bähungen ,  zu 
reinigenden  Einsprizungen  und  zu  allgemeinen  und  örtlichen  Wasser-  und 
Dampfbädern ,  theils  in  Kräuterkissen  zu  trockenen  Bähungen  angewen- 
det werden.  Eine  sehr  häufig  verwendete  Composition  sind  die  S  p  e  c  i  e  s 
cephalicae  s.  aromaticae.  Ferner  kommt  eine  Reihe  ätherischer 
Oele,  wie  das  Terpentin-,  Wachholder-,  Anis- ,    Cajeput-,  Lavendel-,  Cha- 


ZERTHEILENDE  MITTEL.  1111 

millenöl  etc.  für  sich  oder  in  Verbindung  mit  Fett ,  namentlich  aber  der 
Kampher ,  und  zwar  in  trockener  Form  ,  als  Dunst ,  in  Weingeist,  Essig 
oder  Oel  gelöst,  so  wie  in  Weingeist  gelöst  und  mit  Seife  verbunden  (L  i- 
nimentum  saponata-camphoratum  s.  Bals.  opodeldoc) 
zur  Anwendung.  Nicht  minder  werden  die  ätherisch-öligen  Geister ,  wie 
das  Kölnische  Wasser,  der  Lavendel-,  Pfeffermiinz-,  Melissen-,  Quendel- 
geist etc.  als  Einreibungen  benuzt.  —  Von  grosser  Wirkung  sind  die  na- 
türlichen Balsame ,  Schleimharze  und  Harze ,  welche  für  sich  allein  zu 
Päucherungen ,  hauptsächlich  aber  in  mannigfachen  Verbindungen  als 
Pflaster  und  Salben ,  namentlich  bei  sogenannten  kalten  Geschwülsten, 
Drüsenverhärtungen,  serösen  Ergüssen  und  Entzündungen  tiefer  gelegener 
Gebilde,  z.  B.  der  Gelenke  angewendet  werden ;  die  gebräuchlichsten 
sind  :  der  Terpentin,  der  Copaivabalsam,  das  Benzoeharz,  der  Storax,  die 
Myrrhe,  das  Ammoniakharz,  das  Mutterharz,  der  Stinkasant ,  der  Mastix, 
das  Fichtenharz  etc.  Verschiedene  brenzliche  Oele  werden  theils  mit 
Fett  oder  abgezogenen  Geistern  zu  Einreibungen  ,  theils  in  Verbindung 
mit  zertheilenden  Pflastern  und  Salben  gebraucht.  Solche  sind  das 
Steinkohlen-,  Stein-,  Judenpech-,  Wachs-,  Seifen-,  Hirschhornöl,  das  Kreo- 
sot. —  Zur  Zertheilung  indolenter  Drüsenverhärtungen,  anfangender  kal- 
ter Abscesse  u.  dgl.  zieht  man  Mittel  aus  der  Klasse  der  Acria  in  Ge- 
brauch, wie  die  Arnica,  Gratiola,  das  Scrophel-,  Löffel-,  Nachtviolenkraut, 
den  schwarzen  Pfeffer ,  Sabadillsamen,  die  weisse  Niesswurz ,  Zaunrübe, 
die  Meerzwiebelwurzel,  den  Knoblauch  etc.,  welche,  theils  gekocht  oder 
in  Aufguss,  theils  frisch  zerrieben  oder  zerquetscht  zu  Umschlägen  benuzt 
werden.  Hierher  gehören  ferner  verschiedene  natürlich  scharfe  und  ran- 
zig gewordene  Pflanzen-  und  thierische  Oele,  wie  das  Ricinus-,  Nusskern-, 
Lorbeer-,  Scorpion-,  Kreuzspinnenöl  etc. ,  welche  zu  Einreibungen  benuzt 
werden.  Zerth eilend  und  schmerzstillend  zugleich  wirken  die  narkoti- 
schen scharfen  Mittel ;  unter  diesen  sind  zu  nennen  :  die  Cicuta ,  Bella- 
donna, Digitalis,  der  Nachtschatten,  der  Tabak,  das  Schöllkraut  etc., 
weiche  frisch  zerquetscht  und  als  Aufguss  häufig  gegen  Drüsenverhärtun- 
gen ,  Milchknoten  und  Scirrhen  in  Anwendung  kommen.  —  Mächtige 
Auf iösungsmittel  für  Stockungen  ,  Ablagerungen  und  Anschwellungen  im 
Lymph  -  und  Drüsensysteme  sind  Jod  ,  Chlor  und  Brom  und  deren  Ver- 
bindungen mit  Alealien  ,  so  wie  die  Verbindungen  des  erstem  mit  Eisen, 
Blei ,  Zink ,  Quecksilber  ,  Silber  und  Gold  ;  leztere  drei  Metalle  werden 
auch  noch  in  verschiedener  anderer  Verbindung  als  die  Thätigkeit  der 
Lymphgefässe  und  Drüsen  erhöhende  und  die  Assimilation  vermindernde 
Mittel  mit  Nuzen  angewendet.  —  Eine  ähnliche ,  nur  flüchtigere 
und  schnellere  Wirkung  haben  die  Laugensalze ,  wie  das  Ammoniak 
in  seinen  verschiedenen  Verbindungen,  das  Aleali  fixum  und 
die  verschiedenen  alcalinischen  Seifen.  —  Eine  häufige  Anwendung,  be- 
sonders zur  Zertheilung  und  Aufsaugung  stockender  und  ausgetretener 
Säfte,  hauptsächlich  neu  entstandener  Blutextravasate,  finden  die  Neutral- 


1112  ZOSTER. 

salze.  Ihre  vorzüglichste  Wirkung  besteht  darin,  dass  sie  den  Bluttheil- 
chen  die  Eigenschaft  zu  gerinnen  zum  Theil  rauben  und  sie  dadurch  län- 
ger zur  Resorption  tauglich  machen.  Die  hauptsächlichsten  hierher  ge- 
hörigen Mittel  sind :  der  Salmiak,  der  Salpeter,  das  Koch-  und  Glauber- 
salz, der  Borax.  Sie  werden  gewöhnlich  in  Auflösung  kalt  oder  warm  zu 
Umschlägen  benüzt.  —  Noch  ist  eines  Mittels  zu  gedenken,  welches  in 
vielen  Fällen  mit  ausgezeichnetem  Erfolg  angewendet  wird.  Es  ist  dies 
die  trockene  Wärme.  Diese  wirkt  zuerst  erregend  auf  die  Haut 
und  führt  dann  eine  stärkere  Absonderung  herbei.  Man  wendet  sie  an : 
bei  rheumatischen  AfFectionen ,  Rothlauf,  katarrhalischen  Drüsenentzün- 
dungen, bei  Stockungen  und  Ablagerungen  organischer  Säfte,  bei  Unter- 
drückung gewohnter  Hautausdünstungen ,  bei  Congestionen  nach  dem 
Kopfe  oder  der  Brust  etc.,  wo  man  je  nach  der  Localität  entweder  Säck- 
chen, die  mit  Mehl,  Kleie,  Asche,  Sand  oder  mit  aromatischen  Kräutern 
(s.  oben)  gefüllt  sind ,  oder  trockene  Fussbäder  von  erwärmtem  Malz, 
Sand  oder  Asche,  oder  Wärmflaschen,  warme  Steine  etc.  anwendet.  Will 
man  damit  noch  einen  stärkeren  Reiz  ausüben,  so  verbindet  man  mit  die- 
sen Mitteln  trockene  Frictionen  der  Haut  mit  wollenen  Zeugen.  Um 
zugleich  das  Ausströmen  der  Electricität  aus  dem  leidenden  Theil  zu  ver- 
meiden, umgibt  man  denselben  mit  schlechten  Wärmeleitern,  wie  Feuer- 
schwamm, Seidenzeug,  Baumwolle,  Thierfellen,  Schaf-  und  Lammwolle, 
welche  leztere  besonders  bei  chronischer  Gicht  und  Rheumatismus ,  Drü- 
senverhärtungen (Brüste,  Hoden  etc.)  vortreffliche  Dienste  leisten.  Nicht 
selten  verbindet  man  mit  diesen  Mitteln  mit  Nuzen  Räucherungen  von 
Harzen,  Zucker. 

Zoster,  Gürtelrose,  Gürtel,  Zona,  (Herpes  Zoster). 
Man  gibt  diesen  Namen  einer  Entzündung  der  Haut ,  welche  sich  durch 
mehrere  Gruppen  in  einander  laufender  Bläschen  auszeichnet,  die  zusam- 
men gleichsam  ein  Band  bilden,  welches  halbkreisförmig  einen  Theil  des 
Körpers  umgürtet.  —  Gewöhnlich  geht  die  Eruption  von  einem  Punkte 
der  Mittellinie  des  Körpers  aus  und  begibt  sich  bis  zu  dem  entgegenge- 
sezten  Punkte  und  zwar  meistens  in  der  Mitte  des  Rumpfs.  Entwickelt 
sie  sich  höher  hinauf,  so  nehmen  die  Flecke  ihren  Lauf  quer  über  die 
Schulter  und  verbreiten  sich  häufig  den  Arm  entlang;  hat  sie  ihren  Siz 
in  der  Lendengegend,  so  breitet  sie  sich  zuweilen  bis  zum  Schenkel  und 
Beine  aus.  In  seltenen  Fällen  bildet  die  Zona  einen  halben  Ring  um 
den  Hals ,  oder  einen  Halbzirkel  um  das  Gesicht  oder  den  Kopf  herum. 
Zuweilen  nehmen  die  Flecke  auch  eine  Längenrichtung  am  Rumpfe  an ; 
an  den  Extremitäten  ist  dies  immer  der  Fall.  Die  Eruption  soll  auf  der 
rechten  Seite  häufiger  vorkommen  als  auf  der  linken.  Die  Zona  ist  eine  acute 
Krankheit,  die  3  bis  4  Wochen  dauert.  —  Symptome  undVerlauf. 
Häufig  gehen  dem  Erscheinen  des  Zoster  allgemeine  Symptome  voraus, 
ähnlich  wie  sie  vor  dem  Auftreten  des  Erysipelas  wahrgenommen  werden  ; 


ZOSTER.  1113 

öfter  fehlen  diese  und  der  Ausschlag  wird  angekündigt  durch  stechende 
und  brennende  Hize  und  Schmerz  an  der  Stelle,  welche  von  derZona  ein- 
genommen wird ,  welcher  leztere  in  höherem  oder  geringerem  Masse  die 
Krankheit  hindurch  andauert.  Die  Eruption  selbst  kündigt  sich  durch 
unregelmässige,  ziemlich  lebhaft  geröthete  Flecken  an,  welche  bald  an  den 
Endpunkten  des  Halbgürtels  auftreten ,  um  sich  durch  später  dazwischen 
erscheinende  mit  einander  zu  verbinden ,  bald  von  einem  Punkte  der 
Mitte  ausgehen,  nach  aussen  sich  ausbreiten,  bis  sie  gegenüber  Halt  ma- 
chen. Die  zuerst  erscheinenden  Flecke  sind  grösser  als  die  später  auf- 
tretenden, und  sie  sind  von  einander  durch  Zwischenräume  gesunder  Haut- 
stellen getrennt.  Bald  nach  dem  Erscheinen  eines  Flecks  zeigen  sich 
gruppenweise  kleine,  weisse,  durchsichtige  Bläschen  auf  seiner  Oberfläche, 
die  innerhalb  3  bis  4  Tagen  die  Grösse  einer  Erbse  erreichen.  Die 
Flecke  röthen  sich  mehr ;  die  Röthe  erstreckt  sich  selbst  einige  Linien 
über  die  Bläschengruppen  hinaus  ;  am  2.  oder  3.  Tage  wird  die  in  ihnen 
enthaltene  Flüssigkeit  trübe ,  später  serös  eiterig  und  sogar ,  wenn  die 
Entzündung  heftig  wird,  wirklich  eiterig.  Am  4.  oder  5.  Tage  fangen 
die  Bläschen  an  zusammenzufallen  oder  zu  welken.  Sie  sehen  runzelig 
aus  und  trocknen  mit  ihrem  Inhalte  während  der  beiden  folgenden  Tage 
zu  kleinen  braunen  oder  gelblichen  Krusten  ein,  die  am  1 0 .  oder  1  2 .  Tage  ab- 
fallen und  rothe  Flecken  hinterlassen,  die  nach  und  nach  verschwinden. 
Die  verschiedenen  Gruppen  von  Bläschen  treten  nicht  gleichzeitig  auf; 
wahrend  die  altern  austrocknen ,  zeigen  sich  neue  in  den  von  ihnen  offen 
gelassenen  Zwischenräumen.  ■ —  Bis  zum  zwanzigsten  Tag  sind  bei  jun- 
gen, gesunden  Personen  gewöhnlich  alle  Krusten  abgelöst ;  bei  alten  und 
schwachen  fliessen  die  Bläschen  zuweilen  zusammen ,  die  Haut  unterhalb 
der  Krusten  geht  in  Verschwärung  über  und  die  Vernarbung  schreitet  nur 
ziemlich  langsam  vor.  Am  hintern  Theil  des  Rumpfs  stirbt,  wahrschein- 
lich in  Folge  des  Drucks  durch  das  längere  Liegen,  die  Haut  alsdann  ab 
und  es  bilden  sich  Schorfe,  die  nach  ihrem  Abfallen  Narben  wie  nach  Ver- 
brennungen zurücklassen.  Bei  alten  Personen  endigt  die  Krankheit  zu- 
weilen auch  mit  Gangrän  der  Hautbedeckung.  Gewöhnlich  lassen  die 
allgemeinen  Symptome  bald  nach ;  mitunter  verschwinden  sie  ganz.  Mei- 
stens hält  indessen  der  oben  berührte  stechende  Schmerz  bis  gegen  das 
Ende  der  Krankheit  an  ,  er  kann  selbst  einige  Wochen  nach  dem  Ver- 
schwinden der  Entzündung  bestehen  bleiben.  Oft  schwellen  die  dem 
leidenden  Theile  nahe  gelegenen  Lymphdrüsen  an ;  in  einigen  Fällen  tritt 
zugleich  mit  dem  Zoster  eine  acute  Entzündung  derjenigen  Eingeweide 
auf,  welche  unter  der,  von  der  Zona  eingenommenen  Wandung  liegen.  — 
Sehr  häufig  macht  sich  eine  Neuralgie  an  der  von  der  Gürtelrose  ergrif- 
fenen Stelle  bemerklich.  An  der  Brust  schmerzen  die  Intercostalnerven, 
am  Bauche  die  Lumbarnerven ,  ist  die  untere  Extremität  der  Siz  des  Zo- 
sters, so  werden  die  N.  N.  cruralis  und  ischiadicus  in  Mitleidenschaft  ge- 
zogen.   —    Ursachen.      Wie   beim  Erysipelas  ,   so   herrscht  auch  hier 


1114  ZUNGE.  ENTZUENDUNG. 

über  die  veranlassenden  Ursachen  ein  grosses  Dunkel.  Der  Einfluss, 
welchen  der  Sommer ,  vorzüglich  aber  der  Herbst  hat ,  ist  ausser  allem 
^Zweifel.  Es  werden  Erwachsene ,  wie  Kinder  und  Greise  befallen.  Re- 
cidive  sind  nicht  selten  ;  die  Erblichkeit  ist  nachgewiesen ;  die  Krankheit 
ist  weder  contagiös  noch  epidemisch.  Nach  Romberg  steht  der  Zoster 
in  ätiologischer  Beziehung  zur  Neuralgie  der  Intercostal-  und  Lumbalner- 
ven,  wofür  die  heftigen  vorangehenden  und  zurückbleibenden  Schmerzen 
und  der  Umstand  ,  dass  die  Bläschen  stets  dem  Laufe  der  Nerven  folgen, 
sprechen.  —  Prognose.  Sie  ist  im  Allgemeinen  günstig,  namentlich 
bei  jungen  Personen  und  Erwachsenen  ;  von  Bedeutung  können  nnr  die 
zuweilen  folgenden  gangränösen  Zerstörungen,  so  wie  die  symptomati- 
schen Affectionen  der  Eingeweide  werden.  —  Behandlung.  Es  ist 
ein  mild  antiphlogistisches  und  ausleerendes  Verfahren  empfohlen.  Da 
die  gastrische  Complication  häufiger  vorkommt  als  die  entzündliche ,  so 
eignet  sich  die  ausleerende  Methode  am  meisten  und  zwar  zeigen  sich 
wiederholte  Brechmittel  von  grossem  Nuzen.  Ist  der  Kranke  schwäch- 
lich oder  schon  im  hohen  Alter,  so  empfiehlt  man  tonische  Mittel  und  eine 
stärkende  Diät.  Dabei  muss  sich  der  Kranke  hüten,  auf  der  kranken 
Seite  zu  liegen  oder  zu  krazen,  damit  die  Bläschen  nicht  bersten  und  Ge- 
schwüre und  gangränöse  Stellen  entstehen.  Sind  aber  bereits  Versch wä- 
rungen entstanden  ,  so  kann-  die  Bleisalbe  angewendet  werden.  Droht 
Brand  ,  so  empfiehlt  man  eine  Salbe  aus  3  0  Gr.  Höllenstein  und  §j  Ce- 
rat;  sind  heftige  Schmerzen  vorhanden,  so  sezt  man  ^j  Cerat  5ß  Extr. 
opii  aquosum  bei.  Auch  Waschungen  von  salpetersaurem  Zink, 
Alaun  und  Borax  sind  empfohlen.  Durch  die  Application  von  Blasen- 
pflasterstreifen  neben  die  Bläschen  auf  die  gesunde  Haut  soll  die  Ausbrei- 
tung des  Uebels  beschränkt  werden  j  das  Gleiche  erreicht  man,  wenn  man 
die  Bläschen  mit  einer  Nadel  ansticht  und  einen  Augenblick  einen  fein 
gespizten  Höllensteingriffel  in  den  Einstich  bringt. 

Zuilge,  Krankheiten  derselben.  An  der  Zunge  beobach- 
tet man  Missbildungen,  Entzündung  und  Verschwörung,  auch  hat  man  fast 
alle  Pseudoplasmen  im  Gewebe  derselben  gefunden. 

Zungenentzündung,  Glossitis.  Sie  erstreckt  sich  entwe- 
der nur  auf  den  Schleimhautüberzug  oder  auf  das  Gewebe  der  Zunge, 
und  kann  eine  allgemeine  oder  nur  partielle  ,  eine  acute  oder  chronische 
sein.  —  Veranlassung  zur  Zungenentzündung  geben  gewöhnlich 
örtliche  Einwirkungen  (Verbrennungen  meist  durch  Aezmittel ,  Insecten- 
stiche,  Verwundungen  durch  die  Zähne,  durch  fremde  Körper  etc.)  ;  auch 
Quecksilberintoxication  zieht  bisweilen  Glossitis  nach  sich  und  zuweilen 
tritt  sie  im  Verlaufe  typhöser  Fieber  auf.  —  Die  Erscheinungen 
der  Glossitis  sind  wesentlich  verschieden,  je  nachdem  sie  nur  die  Schleim- 
haut oder  die  eigentliche  Substanz  der  Zunge  betrifft.  Die  oberfläch- 
liche  Zungenentzündung  verläuft  langsam,   hinterlässt  aber  selten  üble 


ZUNGE. 


ENTZUENDÜNG.  1115 


Folgen.  Die  Zunge  ist  kaum  angeschwollen,  ihre  Oberfläche  ist  trocken, 
hart,  roth,  rauh  oder  sehr  glatt,  manchmal  rissig.  In  andern  Fällen  ist 
sie  theilweise  mit  Schwämmchen  oder  weisslichen  Plättchen  besezt.  Ein 
constantes  Symptom  dieser  Entzündung  ist  eine  Abnahme  oder  Alteration 
des  Geschmacks  ;  die  Kranken  haben  ein  Gefühl  wie  von  einer  scharfen, 
gepfefFerten  Substanz.  Missbrauch  des  Quecksilbers  gibt  häufig  Veran- 
lassung zu  dieser  Entzündung.  Nicht  selten  besteht  zugleich  Entzündung 
des  Schlundes  oder  der  Gastrointestinalschleimhaut.  —  Die  tiefe  Zun- 
genentzündung verläuft  meist  sehr  rasch ;  binnen  einigen  Stunden,  manch- 
mal in  einer  etwas  längeren  Zeit  schwillt  die  Zunge  "dermassen  an,  dass 
sie  den  Mund  ausfüllt,  das  Gaumensegel  nach  oben  und  hinten  drängt 
und  den  Kehldeckel  zurück  drückt.  Ihre  vordere  Partie  drückt  die  Kiefer 
aus  einander,  tritt  durch  die  Oeffnung  des  Mundes  hervor  und  bildet  äus- 
serlich  einen  mehr  oder  weniger  langen  und  umfänglichen  Vorsprung. 
Die  Oberfläche  dieses  Organs  ist  gewöhnlich  trocken  roth ,  manchmal 
braun  oder  schwärzlich.  Die  Entzündung  kann  sich  auf  den  Boden  der 
Mundhöhle  verbreiten,  wo  man  dann  eine  schmerzhafte  Anschwellung  un- 
terhalb des  Kiefers  bemerkt.  Die  Deglutition ,  die  Respiration  werden 
schwierig ,  das  Gesicht  ist  aufgetrieben  und  nicht  selten  beobachtet  man 
Gehirncongestionen.  Der  Kranke  geht,  wenn  keine  entsprechende  Hülfe 
geschafft  wird,  durch  Erstickung  oder  Apoplexie  zu  Grunde.  Die  Gefahr 
ist  noch  grösser,  wenn  die  Entzündung  durch  die  unmittelbare  Berührung 
eines  Gifts  oder  einer  deleteren  Substanz,  z.  B.  mit  Milzbrand-  oderRoz- 
contagium  hervorgebracht  wurde.  In  solchen  Fällen  sieht  man  gewöhn- 
lich die  angeschwollene  Zunge  in  grosser  Ausdehnung  brandig  werden. 
Das  Gleiche  ist  oft  auch  der  Fall  bei  den  im  Verlaufe  des  Typhus  und 
der  Pocken  auftretenden  Zungenentzündungen.  In  solchen  Fällen  kommt 
zu  der  Erstickungsgefahr  noch  diejenige  der  Gangrän  und  namentlich  der 
Gangrän  im  Munde,  von  wo  aus  die  Jauche  unwiederbringlich  in  den  Ma- 
gen gelangt  und  von  da  aus  noch  anderweitige  Leiden  erzeugt.  —  Die 
Z  ingenentzündung  kann  sich  ausser  in  Brand  durch  Zertheilung  und 
durch  die  Bildung  eines  Abscesses  in  dem  Gewebe  der  Zunge  endigen. 
Hat  die  Zunge  einen  Substanzverlust  durch  den  Brand  erlitten  ,  so  ist, 
wenn  der  Kranke  nicht  dadurch  aufgerieben  wurde ,  immerhin  eine  Fest- 
heftung des  übrig  gebliebenen  Theils  an  den  Nachbargebilden  und  somit 
Störung  ihrer  Function  zu  befürchten.  —  Behandlung.  Die  ober- 
flächliche Zungenentzündung  bekämpft  man  durch  den  Gebrauch  demul- 
cirender  Getränke,  erweichender  Gargarismen,  Ableitungen  auf  den  Darm- 
kanal, in  Verbindung  mit  topischen  Blutentziehungen  am  Halse.  —  Die 
tiefe  Glossitis  erfordert,  wegen  der  Gefahr,  womit  der  Kranke  in  wenigen 
Augenblicken  bedroht  wird ,  ein  schnelles  und  energisches  Eingreifen. 
Zunächst  beginnt  man  mit  einem  ergiebigen  Aderlass,  welchem  man,  wenn 
es  ausführbar  ist,  ein  paar  tiefe,  über  den  Rücken  der  Zunge  verlaufende 
Einschnitte  folgen  lässt.     Man  sperrt  den  Mund  zu  diesem  Behufe  durch 


1116  ZUNGE.   MISSBILDUNGEN. 

zwischen  die  Zahnreihen  gelegte  Korkstücke  auf  und  zieht  die  mittels 
einer  Compresse  gefasste  Zunge  hervor.  Auf  die  hiernach  erfolgende 
Blutung  sinkt  die  Zunge  in  der  Regel  sogleich  zusammen  und  es  erfolgt 
unter  der  Anwendung  erweichender  Mundwasser  Zertheilung.  Wenn  der 
Kranke  schlucken  kann ,  so  erweisen  sich  auch  Ableitungen  auf  den 
Darmkanal  von  Nuzen.  —  Bildet  sich  ein  Abscess,  was  meistens  nur  bei 
partieller  Glossitis  geschieht ,  so  muss  man  ihn  so  früh  als  möglich  mit 
dem  Messer  öffnen ,  um  einem  Erguss  des  Eiters  in  den  Larynx ,  was  Er- 
stickung herbeiführen  könnte,  vorzubeugen.  —  Bei  Gangrän  der  Zunge 
sind  die  brandigen  Theile  so  früh  als  möglich  zu  entfernen  und  der  nach- 
theilige Einfluss  der  Brandjauche  durch  Einsprizungen  und  Mundwasser 
aus  Chinadecoct  mit  Zusaz  von  Mineralsauren  zu  verhüten.  Kann  der 
Kranke  schlucken,  so  kann  man  dasselbe  Mittel  auch  innerlich  verordnen. 
Zungenmissbil  düngen.  —  1.  Verwachsung  der 
Zunge,  Ankyloglossa.  Die  Zunge  kann  bald  durch  ein  zu 
grosses  Frenulum ,  bald  durch  seitliche  Anheftungen ,  bald  mit  ihrer 
ganzen  untern  Fläche  an  den  Boden  der  Mundhöhle  festgeheftet  sein. 
Alle  diese  Anheftungen  sind  meist  ursprüngliche  Missbildungen.  Kom- 
men sie  nach  der  Geburt  vor,  so  sind  sie  die  Folgen  von  Verwundungen^ 
Verbrennungen,  Gangrän,  Verschwärungen ,  besonders  von  Mercurialge- 
schwüren  ;  diese  Verwachsungen  sind  indessen  sehr  selten ,  da  die  fort- 
währenden Bewegungen  der  Zunge  eine  Anheftung  hindern.  —  Die  Ver- 
wachsung der  Zunge  hat  eine  Beeinträchtigung  des  Saugens,  des  Schlin- 
gens  und  der  Articulation  der  Töne  zur  Folge.  —  Am  häufigsten  kömmt 
ein  zu  kurzes  oder  vielmehr  ein  zu  weit  gegen  die  Zungenspize  hin  sich 
erstreckendes  Zungenbändchen  vor.  Man  erkennt  dieses  Uebel  in  den 
meisten  Fällen  leicht  daran ,  dass  das  Kind  die  Brustwarze  nur  mühsam 
erfasst  oder  gar  nicht  saugen  kann.  Untersucht  man  seinen  Mund,  wo- 
bei man  es  durch  Zuhalten  der  Nase  zum  Qeffnen  des  Mundes  zwingt,  so 
bemerkt  man,  dass  es  die  Zunge  nicht  über  das  Zahnfleisch  hervorstrek- 
ken  kann ;  hebt  man  sie  empor ,  so  erkennt  man  die  Beschaffenheit  des 
Zungenbändchens ,  welches  sie  fast  unbeweglich  zurückhält  und  selbst 
beim  leichten  Hervorheben  sich  widersezt.  Die  Untersuchung  ist  um  so 
nöthiger ,  als  die  Unfähigkeit  der  Kinder  zum  Saugen  auch  von  andern 
Ursachen,  z.  B.  von  einer  kleinen  Brustwarze  abhängen  kann.  —  Be- 
handlung. Diese  besteht  in  der  Lösung  der  abnormen  Anheftungen 
bis  zu  dem  Grade ,  dass  die  Zunge  ihre  freie  Beweglichkeit  erhält.  — 
Die  Einschneidung  des  zu  weit  vorwärts  laufenden  oder  zu  kurzen  Zun- 
genbändchens verrichtet  man,  nachdem  der  Kopf  des  Kindes  gehörig 
fixirt  und  es  durch  Zuhalten  der  Nase  zum  Oeffnen  des  Mundes  genöthigt 
worden  ist ,  indem  man  die  Zunge  mit  zwei  Fingern  der  linken  Hand, 
mit  dem  Griff  der  Hohlsonde  oder  einem  Mundspatel,  in  deren  Ausschnitt 
das  Bändchen  zu  liegen  kommt ,  in  die  Höhe  hebt ,  und  hierauf  das  da- 
durch  angespannte   Frenulum   mit   einer  Scheere   in   der  nöthigen  Länge 


ZUNGE.   MISSBILDUNGEN.  1117 

einschneidet.  Man  schneidet  möglichst  entfernt  von  der  Zunge ,  um 
nicht  ein  Aestchen  der  Art.  ranina  oder  diese  selbst  zu  verlezen.  Aus 
diesem  Grunde  ist  es  auch  gerathen ,  den  Schnitt  lieber  zu  kurz  als  zu 
lang  zu  machen ,  und ,  wenn  die  Zunge  noch  nicht  beweglich  genug  ist, 
die  Operation  zu  wiederholen.  • —  Membranöse  Adhärenzen 
sucht  man  mit  dem  Scalpellhefte  zu  lösen  ;  gelingt  dies  nicht ,  so  durch- 
schneidet man  sie  mit  einem  geknöpften  Bistouri.  Fleischige  Stränge 
fasst  man  mit  einer  Pincette  und  schneidet  sie  zuerst  von  der  Zunge  und 
dann  von  ihrem  andern  Anheftungspunkte  am  Zahnfleische  oder  an  der 
Wange  mit  der  Scheere  ab.  —  Wenn  die  Zunge  mit  dem  Boden  der 
Mundhöhle  verwachsen  ist,  so  erhält  man  den  Mund  des  Kranken  mittels 
eines  zwischen  die  Kinnladen  geschobenen  Korkstücks  offen ,  hebt  die 
Spize  der  Zunge  in  die  Höhe  und  trennt  diese  durch  flachgeführte  Züge 
mit  einem  convexen  Messer  in  gehörigem  Umfange  los.  Diese  Operation 
ist  sehr  schwierig,  die  Blutung  dabei  meist  höchst  störend.  Zwischen  die 
getrennten  Flächen  räth  man ,  in  Oel  getränkte  Leinwandläppchen  zu  le- 
gen. —  Die  Zufälle,  welche  nach  der  Trennung  der  Zunge  in  den  ange- 
gebenen Fällen  entstehen  können,  sind  :  Blutung,  und,  wenn  die  Zunge 
in  zu  grossem  Umfange  getrennt  wurde ,  Gefahr  der  Erstickung  durch 
Rückwärtsbeugung  der  Zunge.  —  Die  Blutung  aus  der  verlezten  Art. 
ranina  sucht  man  durch  Charpiebäuschchen ,  welche  mit  styptischen 
Mitteln ,  T  h  e  d  e  n  s  Schusswasser  oder  einer  Alaunlösung  getränkt  sind, 
oder  durch  Berührung  der  blutenden  Stelle  mit  einem  glühenden  Drahte 
zu  stillen.  Eine  Blutung  kann  auch  durch  das  Saugen  der  Kinder  an  der 
Zunge  bewirkt  oder  unterhalten  werden,  wobei  das  Blut  verschluckt  wird  ; 
um  dies  zu  verhindern ,  lässt  man  sie  in  den  ersten  zwei  Tagen  nach  der 
Operation  gleich  nach  dem  Erwachen  an  die  Brust  legen.  —  Sollte  die 
Zunge  verschluckt  werden,  so  muss  man  sie  bei  dem  darauf  eintretenden 
Erstickungsanfalle  sogleich  mit  dem  Finger  aus  dem  Schlünde  hervor- 
holen ,  für  die  Zeit  des  Nichtsaugens  eine  dicke  Compresse  auf  sie  legen 
und  die  Kiefer  durch  ein  Band  fest  an  einander  geschlossen  halten.  — - 
2.  Zungenhypertrophie,  Macroglossa.  Die  Zunge  ist  durch 
Uebernährung  einer  sehr  beträchtlichen  Vergrösserung  fähig.  Sie  hat 
dann  nicht  mehr  Raum  in  der  Mundhöhle,  und  tritt  zwischen  den  Lippen 
hervor  (Vorfall  der  Zunge,  Prolapsus  linguae).  —  Die  ver- 
grösserte  Zunge  hängt  nach  dem  Grade  der  Vergrösserung  zu  einem 
Drittel ,  zur  Hälfte ,  oder  noch  weiter  mit  Umschlagung  der  Unterlippe 
über  das  Kinn  herab  und  kann  nur  mit  Mühe  oder  gar  nicht  in  die  Mund- 
höhle zurückgebracht  werden.  Das  Zungenbein  und  der  Larynx  sind 
nach  vorn  und  aufwärts  gezogen,  der  Speichel  fliesst  unausgesezt  aus  dem 
Munde,  das  Schlingen  ist  erschwert  und  die  Sprache  mehr  oder  weniger 
mangelhaft  und  undeutlich.  Der  hervorragende  Zungentheil  ist  bald  mit 
zähem,  bald  mit  vertrocknetem  Schleime  überdeckt,  eben,  glatt  oder  ris- 
sig, mit  vergrösserten  Papillen  besezt   und   weniger  empfindlich.      Durch 


1118  ZUNGE.   MISSBILDUNGEN. 

den  freien  Zutritt  der  Luft  zur  Mund-  und  Schlundhöhle  sind  diese  stets 
trocken,  was  einen  unaufhörlichen  Durst  veranlasst.  Wo  die  Zähne  an- 
liegen,  zeigt  die  Zunge,  namentlich  an  der  untern  Fläche,  eine  Einker- 
bung ,  zuweilen  finden  sich  hier  Geschwüre.  Bei  längerer  Dauer  des 
Uebels  werden  die  Zähne  und  Alveolarfortsäze  nach  aussen  gedrückt.  — 
Entstehungsweise.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  ist  das  Uebel  an- 
geboren ;  oft  besteht  nach  der  Geburt  nur  eine  Disposition  zur  Zungen- 
vergrösserung,  welche,  wenn  sie  nicht  beachtet  wird,  mit  dem  Wachsthum 
des  Kindes  unverhältnissmässig  stark  zunimmt.  In  noch  andern  Fällen 
entsteht  das  Leiden  nach  dem  zweiten  Zahndurchbruch  und  häufig  nach 
vorausgegangenen  Convulsionen  in  Folge  zurückbleibender  Zungenläh- 
mung. —  Behandlung.  Sie  muss  sich  nach  den  zu  Grunde  liegenden 
Ursachen  und  nach  dem  Grade  der  Vergrösserung  richten.  Besteht  eine 
Disposition  zur  Zungenhypertrophie  ,  so  müssen  alle  Einflüsse  vermieden 
werden,  welche  die  Verlängerung  der  Zunge  begünstigen.  In  dieser  Ab- 
sicht verhindert  man  das  Saugen  an  sogenannten  Lullern  und  an  kurzen 
und  kleinen  Brustwarzen  ;  lässt  sich  in  lezterer  Hinsicht  keine  geeignete 
Aenderung  treffen,  so  bedient  man  sich  der  künstlichen  Ernährung.  Zu 
gleicher  Zeit  zieht  man  Mittel  in  Gebrauch ,  welche  eine  Retraction  und 
Retention  der  Zunge  bewirken  ;  dahin  gehören  das  Aufstreuen  reizender 
Stoffe,  z.  B.  von  Alaunpulver,  Pfeffer  auf  die  Zungenspize  und  das  Auf- 
binden des  Unterkiefers,  damit  der  Mund  geschlossen  bleibt.  Lässt  sich 
die  Zunge  ihrer  Grösse  wegen  nicht  mehr  vollständig  in  die  Mundhöhle 
zurückbringen  ,  so  wirkt  man  auf  ihre  allmählige  Verkleinerung  hin,  was 
man  durch  die  Anwendung  zusammenziehender,  reizender  Mittel ,  durch 
Scarificationen  und  Ansezen  von  Blutegeln  ,  endlich  durch  eine  metho- 
dische ,  allmählig  verstärkte  Compression  der  Zunge  mittels  einer  Binde 
oder  eines  Säckchens  von  Leinwand  und  darüber  Einwicklung  mit  Heft- 
pflasterstreifen zu  bewirken  sucht.  Sobald  die  eintretende  Verkleinerung 
der  Zunge  es  gestattet,  wird  diese  reponirt  und  der  Mund  durch  Aufbin- 
den des  Unterkiefers  geschlossen.  Bleibt  auch  diese  Behandlung  erfolg- 
los, oder  ist  die  vergrösserte  Zunge  zugleich  in  ihrer  Structur  verändert, 
so  entfernt  man  den  überflüssigen  Zungentheil  durch  Abbindung,  Ampu- 
tation oder  Excision  eines  keilförmigen  Stücks  aus  der  Zunge.  —  Be- 
hufs der  Abbindung  der  Zunge  durchsticht  man  diese  entweder  mit 
einer  mit  einem  doppelten  Faden  versehenen  Nadel  in  ihrer  Mitte  und 
knüpft  den  Faden  an  den  Seiten  der  Zunge,  oder  man  legt,  besonders 
bei  dicken  Zungen  ,  drei  Schlingen  ein ,  einen  für  den  mittlem  Theil  der 
Zunge  und  zwei  für  die  Seitentheile  derselben,  was  durch  zweimaliges  Durch- 
stechen der  Zunge  mittels  einer  mit  einem  doppelten  verschieden  gefärb- 
ten Faden  versehenen  Nadel  geschieht.  Man  übt  das  Abbinden  der  Zunge  nur 
noch,  wenn  man  eine  bedeutendere  Blutung  zu  fürchten  hat,  da  sie  nicht 
allein  schmerzhafter  und  langwieriger  als  die  Amputation  derselben  ist, 
sondern  auch  durch  die  entzündliche  Anschwellung  den  Kranken  mit  Re- 


ZUNGE.   NEUBILDUNGEN.  1119 

spirationsbehinderung  bedroht  und  den  Einflüssen  der  gangränescirenden 
Masse  aussezt.  Die  galvanocaustische  Drahtschlinge  beseitigt  alle  diese 
Nachtheile  (s.  den  Art.  Electrotherapie).  —  Bei  der  Amputa- 
tion der  Zunge  wird  diese,  während  der  Kopf  des  Kranken  an  der  Brust 
eines  hinter  ihm  stehenden  Gehülfen  angedrückt  und  der  Mund,  wenn  e& 
nöthig  ist,  durch  einen  zweiten  Gehülfen  mittels  eines  Mundspiegels  auf- 
gesperrt erhalten  wird,  entweder  hinter  der  Schnittfläche  mit  einer  Poly- 
pen- oder  Kornzange  quer  über  so  gefasst,  dass  zugleich  die  Gef  ässe  com- 
primirt  werden,  oder  aber  es  werden  hinter  dieser  Stelle  in  gleichen  Ent- 
fernungen zwei  oder  drei  Ligaturen  durch  die  Zunge  gezogen  und  diese 
damit  gehalten.  Nun  fasst  der  Wundarzt  die  Zungenspize  mit  den  Fin- 
gern ,  einem  Haken  oder  einer  Hakenzange  und  schneidet  vor  der  com- 
primirenden  Zange  oder  den  Ligaturen  den  überflüssigen  Zungentheil  in 
einer  bogenförmigen  Form  mit  dem  Messer  oder  einer  starken  Scheere 
ab.  Die  Blutung  wird  unter  fortwährender  Compression  durch  Eiswasser,, 
die  Unterbindung,  im  Nothfall  durch  das  Glüheisen,  oder,  wenn  Ligatu- 
turen  eingelegt  wurden,  durch  Schliessung  der  Ligaturfäden  gestillt.  Bei 
der  Ausschneidung  eines  keilförmigen  Stücks  aus  der 
Zunge  verfährt  man  folgendermassen :  nach  Fixirung  des  Kopfs  wird 
die  Zunge  mittels  einer  in  ihre  Spize  eingesezten  Hakenzange  hervorge- 
zogen und  dann  in  der  Gegend,  wo  die  Spize  des  auszuschneidenden 
Keils  sich  befinden  soll,  zwei  gerade  Nadeln,  in  welche  die  beiden  Enden 
eines  etwa  1  Elle  langen  starken  Fadens  eingefädelt  sind,  in  einem  Zwi- 
schenraum von  einem  Zoll  durch  die  ganze  Die'  der  Zunge  von  unten 
nach  oben  hindurchgestossen.  Nachdem  die  NacMn  an  der  obern  Seite 
der  Zunge  herausgezogen  sind  ,  ergreift  ein  Gehülfe  die  Fadenenden  und 
fixirt  damit  die  Zunge.  Während  hierauf  der  Operateur  die  leztere  mit 
der  Hakenzange  anzieht ,  schneidet  er  mit  zwei  kräftigen  Messer-  oder 
Scheerenschnitten  den  Keil  in  der  beabsichtigten  Grösse  aus,  wobei  genau 
darauf  zu  achten  ist,  dass  die  Spize  des  Keils  zwischen  die  beiden  Stich- 
punkte zu  liegen  kommt.  Der  eingeführte  Faden  wird  nun  als  erste 
Naht  zusammengeknüpft  und  die  Zunge  mit  den  Enden  desselben  so  lange 
fixirt ,  bis  die  erforderliche  Anzahl  Knopfnähte  ,  welche  durch  die  ganze 
Dicke  der  Zunge  gehen  müsten,  angelegt  ist.  —  Liegt  dem  Vorfall  der 
Zunge  eine  Lähmung  der  Zungenmuskeln  zu  Grunde,  so  dienen  neben  dem 
beständigen  Zurückhalten  der  Zunge ,  Blasenpflaster  hinter  die  Ohren 
und  in  den  Nacken,  reizende  Einreibungen,  die  Electricität,  der  Galvanis- 
mus  etc.  • 

Neubildungen  an  der  Zunge.  Im  Gewebe  der  Zunge  kom- 
men Pseudoplasmen  der  verschiedensten  Art  vor ,  unter  welchen  der 
Krebs  das  am  häufigsten  vorkommende  und  wichtigste  ist.  Dieser  tritt 
unter  verschiedenen  Formen  auf,  beginnt  meistens  an  der  Spize  oder  an 
den  Rändern  der  Zunge  und  zwar  entweder  mit  einer  harten  umschriebe- 
nen Anschwellung  in  der  Tiefe  der  Zungensubstanz   oder  mit  einem  war- 


1120  ZUNGE.   NEUBILDUNGEN. 

^enartigen  über  die  Oberfläche  der  Zunge  sich  erhebenden  Knoten.  Lez- 
tereForm  (Epithelialcarcinom)  wandelt  sich  alsbald  in  ein  ausgebreitetes, 
rissiges  Geschwür  mit  jauchigem  Secret  um.  Die  andere  Form  durch- 
bricht erst  nach  längerem  Bestehen  die  Oberfläche,  geht  aber  endlich 
auch  in  Verjauchung  über.  —  Bei  allen  Formen  des  Zungenkrebses  sind 
die  Schmerzen  in  der  Regel  sehr  heftig.  Das  Geschwür  zeigt  einen  miss- 
farbigen leicht  blutenden  Grund,  jauchige  übelriechende  Absonderung  und 
harte,  rothe  nach  aussen  umgestülpte  Ränder  -und  ruht  auf  einer  noch  un- 
erreichten scirrhösen  Verhärtung.  Zuweilen  breitet  es  sich ,  besonders 
an  der  Wurzelhälfte ,  in  Form  vielfach  sich  verzweigender  Ausläufer  zwi- 
schen die  benachbarten  Muskeln  aus  und  zeigt  einen  fungös  wuchernden 
Grund.  Bei  längerer  Dauer  greift  die  Zerstörung  auf  den  Boden  der 
Mundhöhle  über  und  schreitet  selbst  gegen  den  Schlund  hin.  Die  Unter- 
zungen- und  Unterkieferdrüsen  schwellen  frühzeitig  an ;  späterhin  ver- 
wachsen sie  mit  der  von  der  Zunge  ausgehenden  Krebsmasse  zu  einem 
Ganzen.  Es  kann  sogar  zum  Aufbruch  am  Halse  und  zur  Bildung  von 
Fistelgängen  kommen.  Diesen  Grad  erreicht  die  Krankheit  indessen  sel- 
ten,  denn  da  der  Zungenkrebs  das  Kauen  und  Schlingen  sehr  erschwert 
und,  wenn  er  in  Verschwärung  übergegangen  ist,  die  aus  dem  Geschwüre 
abfliessende  Jauche  in  die  Verdauungswege  gelangt ,  so  äussert  dies  gar 
bald  auf  den  gesammten  Organismus  einen  so  nachtheiligen  Einfluss, 
dass  der  Tod  meist  früher  eintritt ,  ehe  es  zu  den  geschilderten  umfang- 
reichen Zerstörungen  kommt.  —  Vor  Verwechslung  mit  anderweitigen 
Verschwärungen  der  Zunge  hat  man  sich  zu  hüten,  da  diese  zuweilen 
durch  Misshandlung  ein  krebsartiges  Aussehen  bekommen.  —  Behand- 
lung. Diese  kann  nur  in  der  Entfernung  der  entarteten  Partie  der 
Zunge  bestehen,  jedoch  nur  unter  der  Bedingung,  dass  noch  keine  allge- 
meine Dyscrasie  besteht,  die  Zunge  nicht  bis  zu  ihrer  Wurzel  degenerirt 
ist  und  die  umliegenden  Drüsen  noch  nicht  scirrhös  indurirt  sind.  Das 
beste  Verfahren  für  die  Exstirpation  krebsiger  Stücke  der  Zunge  ist  die 
oben  bei  der  Hypertrophie  *  der  Zunge  beschriebene  Ausschneidung 
keilförmiger  Stücke.  Die  Schnitte  müssen  dabei  je  nach  dem  Siz  und 
der  Form  des  Uebels  verschieden  sein  :  bald  lässt  man  zwei  Schnitte  in 
einem  spizen  Winkel  zusammentreffen,  bald  auf  einen  Längenschnitt  einen 
queren  oder  schiefen  Schnitt  fallen  etc.  Ist  die  Zunge  in  ihrer  ganzen 
Dicke  erkrankt ,  so  amputirt  man  sie  auf  die  oben  angegebene  Weise. 
Bei  Degeneration  des  hintern  Zungentheils  wird  vorläufig  die  Wange  der 
kranken  Seite  gespalten ,  um  Raum  und  Licht  zu  gewinnen.  In  neuerer 
Zeit  wurde  empfohlen,  die  Amputation  der  Zunge  durch  einen  den  Boden 
der  Mundhöhle  eröffnenden  Schnitt  vorzunehmen;  der  Act  der  Blutstillung 
ist  bei  diesem  Verfahren  bei  weit  nach  hinten  gemachter  Operation  we- 
niger schwierig.  Bei  den  keilförmigen  Excisionen  legt  man  auf  die  oben 
angegebene  Weise  die  hinterste  Naht  vorher  ein.  Die  Blutung  stillt  man 
auf  die  eben  daselbst  angeführte  Weise.      Im  Uebrigen   lässt  man  den 


ZUNGE.    —   VERSCHWAERUNG.  1121 

Kranken  sich  ruhig  halten,  nicht  sprechen  und  nur  flüssige,  milde  Dinge 
geniessen.  Der  anfangs  reichlich  abgesonderte  Speichel  darf  vom  Kranken 
nicht  verschluckt  werden ,  sondern  muss  frei  abfliessen.  Die  blutigen 
Hefte  entfernt  man  in  4 — 6  Tagen.  Die  Wunde  heilt  von  selbst  und 
die  anfangliche  Ungestaltheit  der  Zunge ,  so  wie  die  Erschwerung  des 
Sprechens  und  Schluckens  verliert  sich  allmählig,  wenn  der  Substanzver- 
lust nicht  allzu  gross  war.  —  Aus  Furcht  vor  der  bei  der  Exstirpation 
durch  den  Schnitt  unvermeidlichen  Blutung  hat  man  die  Ligatur  empfoh- 
len und  ausgeführt.  Die  Ausführung  dieser,  so  wie  die  Nachtheile  der- 
selben s.  oben  bei  Hypertrophie  der  Zunge.  Doch  gibt  es  Fälle ,  in  de- 
nen ein  gemischtes  Verfahren  von  Vortheil  sein  kann.  Wenn  nämlich 
die  Zunge  auf  der  einen  Seite  weit  nach  hinten  entartet  ist,  so  kann  man 
nach  Mayor  die  stark  hervorgezogene  Zunge  in  der  Mittellinie  spalten, 
dann  die  krebsige  Hälfte  mit  einer  Hakenzange  für  sich  vorziehen,  im 
Gesunden  mit  einer  Ligatur  umgeben  und  mittels  eines  Schlingenschnü- 
rers  zusammenschnüren.  J.  Cloquet  und  Mirault  stiessen,  ebenfalls 
für  die  Ligatur  einer  Zungenhälfte ,  bei  sehr  weit  nach  hinten  sich  er- 
streckendem Krebse  vom  Halse  aus  über  dem  Zungenbeine  eine  Nadel  durch 
die  Zungenwurzel  in  die  Mundhöhle ,  und  von  dieser  aus  zur  Seite 
der  Zunge  wieder  zurück  durch  den  Hals  aus  und  schnürten  die  aus  der 
Halswunde  hervorhängenden  Fäden  zusammen.  Vi  dal  führt  den  Faden 
vom  Halse  aus  in  der  Art  zuerst  durch  und  dann  neben  der  Zunge  in  die 
Mundhöhle,  dass  die  Schlinge  desselben  unter  der  Haut  die  Zungenwurzel 
umfasst,  während  seine  beiden  Enden  in  die  Mundhöhle  hineinragen,  wo 
sie  dann  entweder  auf  dem  Zungenrücken  zusammengeknotet  oder  mit 
einem  Schlingenschnürer  zusammengeschnürt  werden.  —  Der  Mund 
muss ,  wenn  der  unterbundene  Theil  abstirbt ,  fleissig  mit  säuerlichen 
Mundwässern  ausgespült  werden,  um  die  Jauche  und  den  Gestank  zu  ent- 
fernen. Nach  mehreren  Tagen  fällt  das  unterbundene  Stück  nebst  der 
Ligatur  ab.  Der  Process  wird  sehr  abgekürzt ,  wenn  man  die  abgebun- 
dene Zunge  dicht  vor  der  Ligatur  abschneidet.  Wo  es  angeht,  wendet 
man  mit  Vortheil  die  galvanocaustische  Schneideschlinge  (s.Electrothe- 
rapie),  oder  das  E  er  as  e  m  en  t  lineaire  (s.  Abb  in  den)  an  ;  mit 
lezterem  kann  die  ganze  vordere  Partie  der  Zunge  oder  einzelne  Theile 
derselben ,  indem  man  eine  Nadel  durchsticht ,  abgequetscht  werden.  — 
Anderweitige  an  der  Zunge  vorkommende  Pseudoplasmen  schält  man  je 
nach  ihrer  Lage  und  Form  entweder  aus  oder  entfernt  sie  mittels  keilför- 
miger Schnitte.  Die  nicht  selten  vorkommenden  Gefässgeschwülste 
beseitigt  man  am  besten  durch  die  Ligatur. 

Zungenverschwärung  ist  ein  sehr  häufig  vorkommendes  Lei- 
den. Die  Geschwüre  sind  entweder  aphthöser,  scorbutischer,  merkuriel- 
ler  oder  syphilitischer  Natur.  Ausserdem  beobachtet  man  auch  sehr  oft 
an  den  Seiten  der  Zunge  Geschwüre,  die  durch  wiederholte  Reizung  und 
Verlegung  durch  Zahnspizen  herbeigeführt  werden.  Leztere  GeschWüre 
Bürger,  Chirurgfe.  71 


1122  ZUSAMMENKLEBENDE  MITTEL. 

bedürfen  zur  Heilung  nur  die  Beseitigung  des  schadhaften  Zahns  oder 
das  Abfeilen  der  scharfen  Spizen  desselben.  Bei  den  dyscrasischen  Ge- 
schwüren, welche  sich  durch  ihre  Form  zu  erkennen  geben,  ist  eine  entspre- 
chende innere  Behandlung  erforderlich.  Bei  allen  Zungengeschwüren 
aber  ist  die  grösste  Reinlichkeit  zu  beobachten. 

Zusammenklebende,  zusammenhaltendeMittel,  Ag- 
g  1  u  t  i  n  a  n  t  i  a.  Man  bezeichnet  damit  solche  Mittel,  welche  die  Eigen- 
schaft haben ,  fest  auf  der  Haut  zu  kleben  ,  oder  durch  Erhärtung  eine 
genau  anliegende  feste  Hülle  zu  bilden,  und  die  man  anwendet,  um  ge- 
trennte Theile  in  genauer  Berührung  zu  halten,  bis  sie  durch  Vernarbung 
wieder  vereinigt  sind.  —  Die  Mittel,  welche  hier  in  Betracht  kommen, 
sind:  l)  das  He  f  tpf  1  aster,  Emplas  tr  um  adhaesi  vu  m.  Es  be- 
steht aus  2  Theilen  Bleiglättepflaster  und  1  Theil  Fichtenharz.  Dieses 
Pflaster  wird  auf  feste ,  nicht  zu  feine  Leinwand  nach  den  Längenfäden 
gestrichen  und  in  Streifen  von  verschiedener  Länge  und  Breite  geschnit- 
ten ,  meistens  zur  Vereinigung  der  Wunden  für  sich  allein  (sogenannte 
trockene  Naht)  oder  zur  Unterstüzung  der  blutigen  Naht,  häufig  aber 
auch  zur  Befestigung  anderer  Verbandstücke,  als  nicht  klebender  Pflaster, 
derCharpie,  Nabelschilde  etc.,  und  zum  Circulardruckverbande  gebraucht. 
—  Das  aus  freier  Hand  mit  dem  Spatel  gestrichene  Pflaster  klebt  besser, 
als  das  mit  der  Maschine  gestrichene,  weil  bei  ersterem  die  Pflastermasse 
in  das  Gewebe  der  Leinwand  eingedrückt,  bei  lezterem  blos  oberflächlich 
aufgetragen  ist.  Es  darf  nicht  zu  lange  vor  dem  Gebrauche  gestrichen 
werden ,  weil  es  bald  austrocknet  und  dann  nicht  mehr  klebt.  Bei  Per- 
sonen mit  reizbarer  Haut  erregt  es  einen  lästigen  Ausschlag ;  in  diesem 
Fall  bedient  man  sich  des  gut  eingekochten  Bleiweisspflasters.  In  Er- 
mangelung des  Heftpflasters  kann  jedes  gute  klebende  Pflaster  benüzt 
werden.  Vor  der  Anlegung  der  Klebepflaster  müssen  die  Haare  an  den 
betreffenden  Stellen  sorgfältig  entfernt  und  der  Theil  gut  abgetrocknet 
werden.  —  2)  Das  s  ogenannte  en  glis  che  Pfl  as  t  er,  Empla- 
strum  anglicum  s.  adhaesivum  Woodstockii,  welches  aus 
Taffet  besteht,  den  man  mit  einer  dünnen  Lage  in  Weingeist  gelöster  und 
mit  etwas  Benzoeharz  versezter  Hausenblase  bestrichen  hat.  Es  dient, 
etwas  befeuchtet ,  zur  Vereinigung  kleiner  Hautwunden ,  besonders  der 
Augenlider.  —  3 )  Der  Tischlerleim,  Gluten  animale,  wird  mit 
Wasser  aufgekocht ,  auf  Leinwand  gestrichen  und  noch  warm  aufgelegt, 
mit  Vortheil  zur  Wundenvereinigung,  besonders  von  den  damit  arbeiten- 
den Handwerkern,  benüzt.  —  4)  Die  Goldschlagerhaut,  Charta 
auri  foliati,  welche  aus  dem  Amnion  oder  dem  Bauchhautüberzug  des 
Dickdarms  grösserer  Thiere ,  zwischen  welchen  die  Goldschlager  das 
Plattgold  schlagen ,  besteht ,  wird  zur  Vereinigung  kleiner  Hautwunden, 
besonders  der  Aderlasswunden,  sowie  zur  Bedeckung  abgeschürfter  Haut- 
stellen benüzt.      Die  Stelle,  auf  die  es  zu  liegen  kommt,  muss  vorher  be- 


ZUSAMMENZIEHENDE  MITTEL.  1123 

nezt  werden.  —  5)  Das  Collodium.  S.  diesen  Artikel.  —  Ferner 
werden  als  Klebemittel  das  E  i  w  e  i  s  s  ,  der  Stärkemehlkleister, 
das  Dextrin,  Arabischgummischleim  und  der  G y p s  verwen- 
det, diese  aber  sämmtlich ,  um  die  gesteiften  Knochenbruchverbände  her- 
zustellen.     Vergl.  die  Art.  Pappverband  und  Gypsverband. 

Zusammenziehende  Mittel,  Adstringentia.  Die  ei- 
genthümliche  Kraft  dieser  Mittel  in  Beziehung  zum  lebenden  Organismus 
ist  rein  zusammenziehend  oder  schrumpfend  ;  sie  bewirken  Schrumpfung 
der  Haut,  des  Zellgewebes  und  aller  blos  elastischen  Gewebe,  Zusammen- 
ziehung der  Muskeln ,  der  Gef  ässe  und  aller  Fasern  ,  Beschränkung  der 
Absonderung  und  Stärkung  des  Zusammenhangs.  Sie  finden  daher  An- 
wendung :  1 )  in  allen  Krankheiten ,  wo  eine  Schwäche  und  Atonie  in  ir- 
gend einem  Theile  entstanden,  oder  nach  andern  Zufällen  zurückgeblie- 
ben ist ,  namentlich  bei  Vorfällen  und  Brüchen ,  die  aus  Schlaffheit  der 
Bauchwandungen  zurückgeblieben  sind,  bei  Erschlaffung  nach  Verrenkun- 
gen und  Quetschungen  ;  zuweilen  auch ,  um  örtlichen  Entzündungen  vor- 
zubeugen; 2)  zur  Verminderung  und  Unterdrückung  krankhafter  Abson- 
derungen ,  bei  übermässig  stark  eiternden  Wunden  und  Geschwüren,  bei 
krankhaften  Schleimflüssen  aus  der  Scheide,  der  Harnröhre  und  dem  Af- 
ter, wenn  keine  deutliche  Entzündung  mehr  vorhanden  ist ;  bei  habituel- 
len Blutflüssen;  3)  beim  feuchten  Brand;  4)  zur  Zertheilung  wässeriger 
Geschwülste  und  seröser  Congestionen  ;  5)  gegen  Blutgeschwülste  und 
abnorme  Gef  ässerweiterungen  ;  6)  beim  Durchliegen.  Nachtheilig  sind 
sie,  wenn  starke  Entzündung  vorhanden  ist,  und  bei  Wunden,  welche 
durch  Granulation  heilen  sollen.  —  Die  Adstringentia  im  Allgemeinen 
betrachtet,  sind  entweder  physische  oder  chemische.  Unter  die  ersteren 
kann  man  das  kalte  Wasser,  das  Eis  und  den  Schnee  rechnen.  Die  erste 
Wirkung  dieser  Mittel  besteht  darin ,  dass  sie  dem  damit  berührten 
Theile  Wärme  entziehen  und  dessen  Temperatur  herabsezen ,  womit  eine 
wahre  Adstriction  verbunden  ist,  welche  eine  Verminderungs  des  Umfangs 
des  Theils  und  des  Blutandrangs  zur  Folge  hat;  bei  längerer  Einwirkung 
aber  verursachen  sie  Schwäche  und  Abnahme  der  Nerven thätigkeit.  Man 
wendet  sie  in  der  Form  von  Umschlägen,  Fomentationes  fri- 
gid a  e,  von  kalten  Begiessungen  in  Zwischenräumen,  Af- 
fusiones  frigidae,  von  kalten  Begiessungen  mit  anhal- 
tendem Strome,  Irrigationes  frigidae,  von  Sturz-,  S p r i z-, 
Tropf-  und  Regenbädern,  von  kalten  Einsprizungen,  Wa- 
schungen und  Reibungen  an.  —  Die  chemischen  Adstringentia 
zerfallen  in  weingeistige,  gerb  sto  ff  h  altige  und  minerali- 
sche. —  Zu  den  ersteren,  welche  zwar  flüchtig  reizend  und  belebend, 
aber  durch  die  schnelle  Verdunstung  erkältend  und  daher  ziemlich  stark 
zusammenziehend  wirken,  rechnet  man  :  den  Weingeist,  die  Aetherarten, 
den  Wein.      Zu  den  gerbstoffhaltigen  Mitteln,   welchen  die  kräf- 


1124  ZUSAMMENZIEHENDE   MITTEL. 

tigste  Wirkung  dieser  Gattung  von  Arzneistoffen  zukommt,  gehören  be- 
sonders die  Galläpfel,  die  Eichen-,  Weiden-,  Ulmen-,  Rosskastanien-,  bra- 
silianische Rinde,  die  grünen  Wallnussschalen  ,  die  Tormentill-,  Schlan- 
gen-, Ratanhia-,  Klettenwurzel,  die  Blätter  der  Wallnuss,  Rosen  und  ihre 
Früchte,  des  Sumach,  die  Salbeiblätter,  die  Ringelblumen,  das  Eisen-,  Jo- 
hannis-,  Ehrenpreis-,  Ginsterkraut,  die  Birken-,  Erlen-,  Brombeerblätter, 
das  Drachenblut,  Kinogummi,  der  Catechusaft  etc.  —  Zu  den  minera- 
lischen Mitteln  rechnet  man  die  verschiedenen  Eisenmittel ,  wie  den 
Eisenvitriol,  Eisensafran,  Eisenrost,  das  Cyaneisen  etc.;  ferner  den  Alaun, 
so  wie  einige  Bleipräparate ,  nämlich  den  Bleiessig  und  den  Bleizucker. 
Diese  verschiedenen  Mittel  werden  theils  für  sich ,  theils  in  Verbindung 
mit  einander,  die  pflanzlichen  Stoffe  als  Abkochungen,  Aufgüsse,  in  Pul- 
verform ,  in  der  Form  von  Waschwassern,  Umschlägen,  Gurgelwassern, 
Einsprizungen,  Salben  angewendet. 


Register. 


i. 


Seite 

Abbinden 

1 

Abkürzung  des  Zäpfchens     . 

1104 

Ablatio  mammae 

180 

Ableitende  Mittel  .           .      . 

3 

Ablösung  der  Finger  . 

66 

—     —     Fingerglieder 

68 

—     —     Glieder     .     . 

35 

—     —     Hand  im  Hand gelen] 

i        63 

—     des  männlichen  Glieds 

824 

—     der  Mittelfussknochen 

77 

—     d.  Mittelhandknochen  au? 

ihren  Gelenken 

64 

—     des    Oberarms    ans    den 

L 

Schultergelenk 

60 

—     —     Oberschenkels  a.  d 

Hüftgelenk 

69 

—     —     Unterschenkels     aus 

dem  Kniegelenk    .      . 

71 

—     —     Vorderarms  ans  den 

L 

Ellbogengelenk 

62 

der  Zehen 

79 

Ablnentia 

786 

54 

Abnahme  des  Fusses  im  Fussge- 

lenk 

72 

—     d.  Fusses  in  d.  Fusswurze 

75 

Abscess 

6 

—     am  After 

27 

—     des  Bauchs       . 

99 

—     im  Becken        . 

107 

—     der  Brustdrüse 

177 

- —     in  den  Gelenken    . 

339 

— ,  heisser 

13 

—     in  der  Hüftbeingrube 

107 

— ,  kalter 

14 

—     der  Leber 

603 

— ,  metastatischer    . 

780 

—     am  Mittelfleische  . 

640 

—     der  Oberkieferhöhle  . 

711 

Seite 

Abscesseröffnung 11 

Abscess  us 6 

—  abdominalis     ...  99 

—  acutus 13 

—  ani 27 

—  antriHighmori    .      .  711 

—  articuli 340 

—  chronicus.      .      .      .  14 

—  congestivus    .      .      557  860 

—  frigid  us 14 

—  hepatis      ...      603  1074 

—  inflammato  rius    .      .  13 

—  lumbalis       .      .      .      .  605 

—  lymphaticus     .      .      .  14 
■ —     mammae        .      .      .      .  177 

—  metastaticus    .      .      .  780 

—  ossium 502 

—  ovarii 224 

—  p  er  cong  esti  on  em    .  860 

—  perinaei        .      .      .      .  640 

—  prostatae     .      .      .      .1021 

—  sterco reus.      .      .      .1086 

—  urethrae        .      .      .      .  403 

—  urinosus        .      .      .      .  387 

—  vesicae  urinariae  .  387 
Abscisio  uvnlae  .  .  .  .  1104 
Absezung  der  Glieder       ...  35 

Abstergentia 786 

Abtragung  des  Acromialendes  des 

Schlüsselbeins 792 

—  —     Brustbeinendes     des 
Schlüsselbeins        .      .      .  792 

—  der  Gelenkenden  der  Kno- 
chen          787 

—  der  Gelenkenden  der  Mit- 
telhandknochen und  Finger  797 

—  der  Gelenkendenden  der 
Mittelfussknochen  u.  Zehen- 
glieder      .      .      .      .      .      .  801 


1126 


REGISTER. 


grats 


Abtragung  der  Gelenkköpfe  . 

—  —     Knochen  im  Fussge 
lenke  .... 

—  —     Knochen  im  Hüftge 
lenke 

—  —     Knochen  imKniege 
lenk 

—  —     Mandeln  . 

—  —     Nymphen 

—  des  Oberarmkopfs 

—  schadh.  Knochenstücke 

—  des  Unterkiefergelenks 

—  derVordcrarmkuochenim 
Ellbogengelenk     . 

—  —    Vorderarmknochen 
Handgelenk 

Abwasch  ungsmittel 
Acarusscabiei 

—  folliculorum 

—  comedonum 
Acephalocysten 
Achillessehne,  Zerreissung  ders 
Achores    . 
Achsendrehung  des  Rück 
Achtzehnköpfige  Bind 
A  c  i  n*e  s  i  a  . 
Acupunktur 
Aderlass 

—  am  Arme*    . 

—  —     Fusse  . 

—  —     Halse  . 

—  an  der  Vena 
Aderpresse  . 
Adspersio 
Ad  s  tringen  ti  a 
Aestiges  Aneurysma 
Aezen,  das   . 
Aezmittel 
After,  künstlicher 

—  widernatürlicher 
Afterabscess 
Afterbildung 
Afterblutung 
Afterentzündung     . 
Afterfissur    . 
Afterfistel     .      .      . 
Afterkrampf 
Afterlähmung    . 
Afterneuralgie  . 
Afterverschluss 
Aftervorfall 
Agglutinantia 
Akidopeirastik 
Allentheses 


Seite 

788 

800 

798 

799 
623 
837 
792 
801 
791 

794 

796 

786 

740 

740 

740 

211 

858 

581 

820 

114 

600 

15 

16 

16 

19 

19 

20 

931 

94 

1123 

756 

197 

20 

30 

31 

27 

690 

132 

27 

28 

630 

26 

26 

26 

636 

637 

1122 

35 

289 


Seite 

Altersbrand 141  143 

Ambustio 967 

35 

52 
51 
53 
56 
54 
59 

788 
55 
60 
51 
19 
53 
58 
75 

824 
58 
35 
60 
51 
54 
75 
78 
53 
43 
58 
53 
51 
55 
45 
56 
52 
59 
42 

714 


Amp  utati  o  . 

—  antibrachii 

—  brach ii     . 

—  c  a  r  p  i    . 

—  c-r.ur.is 

—  digitorumman 

—  —     pedis 

—  epiphysium 

—  femoris    . 

—  i  n  contiguitat  e 

—  —     continuitat 

—  mammae  . 

—  metacarpi    . 
metatarsi 

—  pedis  partialii 

—  penis    . 

—  tarsi     . 
Amputation 

—  in  der  Contiguitat 

—  —     Continuitat 

—  der  Finger 

—  im  Fussgelenk 

—  der  Fusswurzel 

—  —     Handwurzel 

—  mit  dem  Lappenschnitt 

—  der  Mittelfussknochen 

—  —     Mittelhandknochcn 

—  des  Oberarms  . 

—  —     Oberschenkels     . 

—  mit  dem  Ovalärschnitt 

—  des  Unterschenkels     . 

—  —     Vorderarms  . 

—  der  Zehen  .... 

—  mit  dem  Zirkelschnitt 

Anasar  ca 

Anästhesie 79  600 

Anbohrung  der  Oberkieferhöhle     712 
Aneurysma. 

—  anastomosium 

—  anastomoticum 

—  an  onymae    . 

—  art.-axillaris     . 

—  - —     brachialis 

—  —     carotis  . 

—  —     cruralis 

—  —     cruris 

—  —     ili  acae  . 

—  —     ischiadicae 
glutaeae 
—     poplitaeae 

—  —     radialis  et  ulna 
ris 


et 


756 
756 
757 
764 
765 
765 
764 
766 
767 
766 

766 

766 


765 


REGISTER. 


1127 


ge 


Aneurysma   art.  -sub  clav. 

—  arterioso- venosum 

—  cirsoideum 

—  dissecans 

—  herniosum 

—  manus 

—  mixtum    . 

—  ossium 

—  per  anastomosin 

—  —     transf u  sionem 

—  proptoticum    . 

—  racemosum 

—  spontaneum     . 

—  spurium 

—  —     circumscriptum 

—  —     consecutivum 

—  —     diffusum    . 

—  —     primitivum 

—  traumaticum   . 

—  varicosum    . 

—  verum 

—  —     cylindroideu 
■ —     —     fusiforme 

—  —     sacciforme 
Aneurysmatische       Knoche 

schwulst 

Aneurysmatischer  Varix 
Angina      .      .      .      . 

—  b  enigna  . 

—  externa    . 

—  faucium 

—  gangraenosa 

—  inflammatoria 

—  laryngea    oedem 

—  maligna 

—  palatina 

—  parotidea     . 

—  putrida    . 

—  syphilitica 

—  tonsillaris  . 

—  typ  ho  des 

—  ulcerosa 

—  uvularis 
Animantia    . 
Ankyloglossum    . 
Ankylosis     . 
Anstechen    .... 
A  n  o  d  y  n  a 
Anthrax. 

—  contagiosus 
Antiputredinosa 
Antiseptica 
Antroflexio  uteri 
A  n  t  r  o  v  e  r  s  i  o  uteri 


at 


Seite  Seile 

765  Anus  artificialis  ...  30 
760  —     praeternaturalis     .       31 

756  Aphthae 853 

757  Applicatio  cucurbitarum  850 
757      Apostema 6 

766  Archorrhagia 132 

757  Ar ena  urin'aria      ....      696 

566      Armschlinge 81 

757     Armtragbinde 81 

760  Arterienentzündung     .      .      .      .      253 

757  Arterienpresse 931 

756     Arteritis        253 

756     Arteriotomia 84 

758  Arthrocace  ....  331336 
760  Arthrophlogosis  .  .  .  330 
760          —     fibrosa 331 

759  —     genu 496 

759  —     ossium 334 

758  —     synovialis    .      .      .      .      333 

760  —     totalis 337 

756     Arthropyosis 339 

756  Arthoxerosis.      .      ,      .      .      454 

756     Ascia 115 

756     Ascites 104 

Assulae 846 

566     Atheroma 206  212 

761  Atheromatöser  Process     ...        83 

133     Atresia 972 

133  —     ani         636 

386  —     canalisnasalis    .      .      917 

133  —     hymenaea.      .      .      .      844 

134  —     meatusauditoriiex- 

133  terni 728 

1034  —     narium 682 

134  —     oris 655 

133  —  praeputii  .  .  827  1020 
862  —     tubae  Eustachii  .      .      727 

134  —  urethrae  ....  420 
900  —     uteri 320 

133  —     vaginae 844 

386  —     vulvae 835 

134  Atrophia 84 

133  —     senilis 570 

110  —  testiculorum  .  .  .  440 
1116  Auflagerungen,  excedirende       .        83 

341      Auflösende  Mittel 1110 

767     Auscultatio 86 

111  Ausdehnung 512 

188  Auseinanderweichen    der    Nähte   1068 

144  Ausfüllen  der  Zähne.    ....    1098 

274  Auslösung  der  Glieder      ...        35 

274  —     —     Mittelfussknochen    .        77 

304  —     —     Mittelhandknochen 

305  aus  den  Gelenken       .      .        64 


1128 


REGISTER. 


Auslösung  des  Oberarms  aus  dem 
Schultergelenk 

—  —     Oberschenkelsaus  d 
Hüftgelenk        .      .      . 

—  ganzer  Knochen    . 

—  der  Fusswurzelknochen 

—  —     Handwurzelknochen 

—  —     Kniescheibe  . 

—  —     Mittelhandknochen 
— ■     des  Radius 

—  —     Schlüsselbeins     . 

—  —     Unterkiefers  . 

—  —     Wadenbeins  .      . 


Seite  Seite 

Ausrottung,  theilweise,  derKno- 

60  chen  in  der  Continuität      .      .  801 

Ausschälen 268 

69     Ausschneiden 268 

811  Auschneidg.  eines  Nervenstücks  706 
814  — ,  theilweise,  d.  Oberkiefers  802 
813  —  —  des  Unterkiefers  .  805 
813     Aussen  wizung 270 

812  Austrocknende  Mittel  ,  86 
812  Auswärtsbeugung  des  Knies  .  499 
812  Auswüchse,  hornartige     .      .      .  430 

812  x\usziehen  der  Zähne        .      .      .  1092 

813  Autoplastik        745 


B. 


Bad 88 

Bähung 98 

Balanitis       ......  404 

Balgfasergeschwulst    .      .      .      .  273 

Balgfettgesch  wulst       .      .      .      .  277 

Balggeschwulst 206 

Balgkropf 595 

B  alneum .  88 

Baryecoia           729 

Bauchabscess 99 

Bauchbruch        .      .      .      .    -.      .  164 

Bauchbruchband 173 

Bauchdarmschnitt 30 

Bauchnaht 1083 

Bauchschnitt 101 

Bauchstich 7  73 

Bauchwassersucht 103 

Bauerwezel 862 

Baumwolle  .......  105 

Bausch 204 

Beckenabscess 107 

Beckengesch  wülste      .      .     .      .  109 

Beckensymphysenentzündung     .  109 

Beinbruch 508 

Belebende  Mittel 110 

Beschneidung  der  Vorhaut    .      .  829 

Beruhigende  Mittel      .      .      .      .  111 

Betäubende  Mittel        .      .      .      .  112 

Beule 221  1065 

Bildungshemmung       .      .      .      .  653 

Binde,  die 112 

—  18köpfige 114 

— ,     aufhebende  der  Brüste  .  176 

— ,     austreibende   .      .      .      .  114 

—  der  Brüste 175 

—  —     — ,     aufhebende      .  176 

—  —     —     —    vierköpfige  176 

—  —     —     dreieckige   .      .  176 

—  —     —     sechsköpfige     .  175 


Binde,  fleischmachende 

—  haltende 

—  kriechende 

—  kreuzförmige    . 

—  schildkrotförmige 

—  spiralförmige    . 

—  T-förmige    . 

—  umgeschlagene 

—  vereinigende     . 

—  vielköpfige 
Biss  giftiger  Thiere     . 

—  wüthender  Thiere 
Blasenbruch       .      .      . 
Blasendarmfistel     . 
Blasenhalsschnitt    . 
Blasenkörperschnitt     . 
Blasenmastdarmfistel  . 
Blasenrose    .... 
Blasensarkom  des  Hodens 
Blasenscheidenfistel 
Blasenschnitt     . 
Blasenschwanz  des  Zellgewebs 
Blas ensti ch  .      .      . 
Blasenwürmer 
Blasenziehende  Mittel 
Blätterbinde 
Blatter,  bösartige   . 

— ,      contagiöse 

— ,      schwarze    . 
Blatterrose    . 
Blechschienen    . 
Blut,  entzündliches 
Blutaderknoten 
Blutanhäufung 
Blutbeule 
Blutbruch     . 
Blutegel,  künstlicher 
Blutegelsezen    . 
Blutentziehung 


116 
116 
115 
116 
116 
115 
114 
114 
116 
114 
1053 
1055 
166 
392 
875 
875 
395 
815 
439 
396 
874 
1  740 
777 
1  740 
4 
114 
144 
144 
144 
815 
848 
248 
962 
247  469 
221 
467 
852 
116 
251 


REGISTER. 


1129 


Seite 

Bluter 122 

Blutergiessung 221 

Bluterkrankheit 122 

Blutfluss 119 

Blutgeschwulst 221 

Blutharnen 129 

Blutkropf .  594 

Blutpfropf 921 

Blutsauger,  künstliche      .      .      .  852 

Blutschwär 297 

Blutschwamm    ......  589 

Blutstillende  Mittel      .      .      .      .  118 

Blutsturz 120 

Bluttröpfeln       .      ,      .      .      .      .  120 

Blutung 119 

Blutunterlaufung    .      .      .      .      .  221 

Bombyx 105 

Bougie 266 

Bracherium 168 

Bräune,  die        .      .      .      .      .      .  133 

Brand 135 

—  der  Alten    .      .      .      ...  141 

—  durch  Aufliegen    .      .      .  140 

—  feuchter 136 

—  fortschreitender     .      .      .  137 

—  der  Fusszehen        .      .      .  142 

—  —     Greise       .      .      .      .  141 

—  heisser    . 135 

—  kalter 135 

—  der  Knochen    ....  504 

—  Pott'scher 141 

—  trockener 136 

Brandschwär 188 

Breigeschwulst 212 

Breiumschlag 147 

Brennen,  das 197 

Brennmittel 197 

Brenncylinder,  der      .      .      .      .  199 

Bronchotomia       .      .      .      .  609 

Bruch 149 

— ■     angeborener     .      .      .      .  149 

—  beweglicher      .      .      .      .  150 

—  brandiger 157 

—  des  eirunden  Lochs    .      .  165 

—  durch  das  Hüftloch     .      .  164 

—  —    denSizbeinausschnitt  164 


Bruch  eingeklemmter 

—  erworbener 

— ,     Radicalheilung  dess 

—  unbeweglicher 

—  der  weissen  Linie 

— ,      Zurückbringung  dess 
Bruchband    . 
Bruchbetten 
Bruchbinde 
Bruchpforte 
Bruchsack     . 
Bruchsackgrund     . 
Bruchsackhals   . 
Bruchsackkörper    . 
Bruchschnitt 
Brüche  der  Hirnschale 
Brustbinden 
Brustbrüche 
Brustdrüsenentzündung 
Brustdrüsen  exstirpation 
Brustdrüsenfistel     . 
Brustdrüsengeschwülste 
Brustgürtel  .... 
Brustkrebs    .... 
Bruststich     .... 
Brustwarzenabscesse    . 
Brustwarzendeckel 
Brustwarzenentzündung 
Brustwarzenkrebs  . 
Brustwarzen,  wunde    . 
Brustwunden 
Bubo 

—  catarrhalis 

—  crescentium 

—  criticus   . 

—  gangraenosus 

—  insons 

—  metastaticus 

—  rheumatieüs 

—  sympathicus 

—  vener eus 
Bubonocele 
Buchbinde    . 
Buckel,  der        .     . 
Burgundernase 


Cachexia  mercurialis 

.      650 

C 

alculipraeputiales    . 

Calcnli 

.      690 

—     pros  tatici    . 

—     biliares. 

.      692 

—     renales    

—     intestinales     . 

.      703 

—     salivales 

—     lacrymales 

.      702 

—     ureterici 

—     nasales. 

.      687 

—     urinarn 

71 


1130 

REGISTER. 

Seite 

Seite 

Calculi  vesicales      .      .      .      699 

Carieshumida 

572 

Callus 

510 

—     necrotica     . 

572 

—     definitiver    . 

511 

—     p  artiali  s 

571 

—     difformer     . 

512 

—     peripherica 

571 

—     luxur  i  ans     . 

512 

—     sicca    

572 

—     provisorischer  . 

511 

—     syphilitica 

895 

Callusbildung    . 

510 

Caro  luxur i ans      . 

13 

Cancer 

588 

Cast  ratio 

190 

—     aquaticus     . 

708 

Cataplasma 

147 

—     carninianor 

um 

444 

Catheter 

191 

—     cellulosus    . 

589 

Catheterisiren 

193 

—     cutaneus 

431 

Catheter  ismus 

193 

—     labiorurn 

607 

—     force    

414 

—     —     pudendi 

838 

—     der  Harnwege 

194 

—     linguae    . 

1119 

—     —     Speiseröhre    . 

872 

—     ni  am  mae 

184 

—     —     tubaEustachii 

193 

—     melanodes. 

589 

Cauterisation 

197 

—     p  enis    . 

824 

C  auterium  actu  al  e  . 

197 

—     prostatae 

1026 

—     potentiale    . 

20 

—     r e  cti     . 

628 

Celsische  Amputationsmethode 

42 

—     scroti 

444 

Cephalaematoma 

579 

—     testiculi 

441 

Cereoli 

266 

—     uteri.      .      . 

210 

Cer  vix  ob  stipa 

383 

Cancroid      .... 

431 

Chanker       ". 

896 

Candelae 

266 

—     brandiger    .... 

898 

Capistrum    . 

380 

—     fressender    .... 

898 

—     simpl  ex  . 

381 

— ,     Hunter'scher  . 

897 

—     duplex 

381 

—     verhärteter 

897 

Capitium  quadraturj 

i 

575 

Charpie 

199 

—     trianguläre 

576 

Charpiebäuschchen 

200 

Capsula  sequestrali 

s 

505 

Charpieballen 

201 

Caput  obstipum 

383 

Charpiekuchen       .... 

200 

Carbunkel    .... 

188 

Charpiepinsel 

201 

Carbunculus     . 

188 

Charpiewieken        .... 

201 

—     benignus 

188 

Cheiloplastik 

605 

—     contagiosus 

144 

Cheilorrhagia       .      .      . 

.      127 

—     galli  cus  . 

144 

Chirotheca 

733 

—     hungaricus 

144 

Ctirurgia  curtorum 

.      745 

—     malignus 

.      144 

Chirurgie,  plastische  . 

.      745 

—     p  olonicus     . 

.      144 

Choles  teatoma     . 

.      278 

Carcinoma   . 

.      588 

—     cysticum 

.      279 

—     c  e  r  e  b  r  i     . 

.      330 

Chondromalacia 

.      575 

—     epitheliale 

.      431 

Chondritis 

.      574 

—     fasciculatum 

.      589 

Chorda      

.      403 

—     fibrös  um 

.      589 

Cicatrisantia. 

86 

—     hydotides 

.      183 

Cicatrisatio 

8  1043 

—     medulläre 

.      589 

Cicatrix   

.      672 

—     recti     . 

.      628 

C  ingulum 

.      371 

—     reticulare 

.      589 

—     ab  domin  al  e 

.      372 

—     uteri     . 

-      210 

—     p  ectorale     . 

.      371 

Cari  es        ... 

.      571 

Circumcisio  praeputii 

.      829 

—     carnosa    . 

.      572 

Cirsocele      

.      957 

—     centralis 

.      571 

Cirso  tomia                          , 

.      964 

—     f  u  n  g  o  s  a   . 

.      572 

Cl  avus 

.      456 

REGISTER. 


1131 


Seite 

Clomus  linteus      .      .      .      .  201 

Clysina 491 

Coaptatio 512 

Colcitis 838 

Collodium 201 

Colloid 203 

Colotomia 30 

Colpitis 838 

Colpocele 165 

Colpocysteotomi  a    .      .      .  875 

Colpodes  morrhaphia        .  323 

Colporrhagia  .      .      ,      .      .  130 

Combustio 967 

Commotio 262 

—  cerebri 1070 

Compressa 204 

Compressio 219 

—  cerebri 1071 

C  om  pressorien     ....  934 

Concremente 690 

Concretionen     ....            .  690 

Condyloma 205 

—  accumi  na  tum        .      .  205 

—  latum 205 

Conformatio 512 

Congelatio 259 

Congestion 469 

Conquassatio 783 

Contentivverband 514 

Contractionsverband    .      .      .      ,  514 

Contractura                             ,  976 

—  coxae 448 

—  digitorum    .      .      .      .  280 

—  genu 500 

—  man  us 484 

—  pedis 484 

Contraextension  .      .      .      .      512  981 

D 

Dacryolithi 702 

Dacryosyrinx 915 

Dammriss 215 

Damnumpermanens     .      .  1042 

Dampfbad 95 

Darmabscesse 216 

Darmbruch 150 

Darmnaht 668 

Darmnezbruch 150 

Darmsaiten 266 

Darmscheere 34 

Darmschnitt 218 

Darmsteine 703 

Decapitatio  claviculae  in 

extremi  täte  sternali      .  792 


Contrafissura 
Contra  fr  actura    . 
C  o  n tusio 

Seite 
.    1067 
.    1067 

.      783 

Cornuahumana    . 

.      430 

Corporaaliena     . 
—     interarticularia 

.      289 
.      344 

—     mobilia  in  articu 
Cosme'sches  Mittel 

lis     344 
23 

Coxalgia       .... 

.      450 

C oxarth r ocac e 
Coxiti  s 

.      450 
.      450 

Crepitation 

Crusta  inflammatoria 

—     lactea 

.      509 
.      248 
.      651 

—     serpigmosa 

.      651 

Cucurbita     . 
Curvatura     . 

.      850 
.      976 

—     column.  vertebrs 

lis      819 

—     genu     . 

.      498 

Cynanche 

.      133 

—     parotidea    . 

.      862 

—     sublingu  alis    . 

.      386 

Cyphosis 

Cystauchenotomia. 
Cvsten 

.      820 

.      875 
.      206 

Cystis  serosa  simplex 
Cvstides. 

207 
.      206 

Cysticercus  cellulosa 

211  740 

Cysto  cele 

Cystoide       ..... 

Cystosarcoma 

.      150 
.      209 
.      273 

—     mammae 

.      183 

—     phyllodes    . 

.      273 

—     proliferum 

.      273 

—     simpl  ex  . 

.      273 

Cystosomatotomia  . 

.      875 

Cystotomia  .... 

.      874 

Decapitatio  extremitatis 

claviculae  acromialis  .  792 

—  maxillae  inferioris  791 

—  ossis  brachii  in  arti- 
culo  humeri      .      .      .  792 

—  —     femoris    in  arti- 
culocoxae.      .      .      .  798 

—  ossium 788 

—  —  in  ar ticulo  genu  799 
D  ecoctum  Zi  ttmanni  .  .  913 
Decubitus    gangraenosus  140 

Defecte 653 

Deformitates 652 

Demulcentia 263 

Depressiocranii       .      .      .  1067 


1132 


REGISTER. 


Seite 

Derivantia 3 

Desmoide 273 

Detergentia 786 

Detritus  ossium  .      .      .      .      571 

Diacope 1066 

Diagnosticapunctoria     .        35 
Diastasisossium       .      .      .      979 

—  pelvis 989 

—  sutuvarum.      .      .      .    1068 
Diathesis  haemorrhagica     122 

■ —     purulenta.      .      .      235  780 

Dignathus 654 

Dilatantia 265 

- —     activa 266 

- —     passiva 266 

Discutientia 1110 

Dislocatio 509 

—  ad  axin 509 

—  ad  dir  ecti  on  em    .      .      509 

—  cum  distr actione      .      509 

—  adlatus 509 

—  —     longitudinem    .      509 

—  —     peripheriam       .      509 
Distorsi  o 979  982 


Dolabra 

—  ascendens    . 

—  descendens 

—  r  e  p  e  n  s  p  b  t  u  s  a 
Dolores  osteocopi  . 
Doppelbildungen    . 

Doucbe 

Drachenschuss  .... 
Druck 

—  des  Gehirns 

Drucktuch 

Drüsenbeule  in  den  Leisten 
Drüsengewebskropf 

Ducia 

Durchbohrung  des  Brustbeins 

—  —     Ohrläppchens 

—  der  Schädelknochen 

—  des  Trommelfells 
Durchschneidung  der  Ner 
Dys  ecoi  a 
Dysmorphoses 
Dysphagia    . 
D  y  s  u  r  i  a     . 


Ebenen,  geneigte   . 
Ecchymoma 

—  capitis 
Ecchymosis        .      . 
E  ccop  e 

Echinococcus  homi 
Eicheltripper     .      .      . 
Eierstocksabscess 
Eierstocksentzündung 
Eierstocksexstirpation 
Eierstockgeschwülste  . 
Eierstockwassersucht  . 
Eindruck  der  Schädelknochen 
Eingeweidebruch    .      .      . 
Einimpfung  der  Kuhpockeu 
Einklemmung  des  Bruchs 
Einknickung  der  Knochen 
Einrichtung  des  Knochenbruchs 

—  der  Verrenkung 
Einwachsen  des  Nagels 
Einwärtskrümmung  des  Knies 
Einwicklung 

Eiter 

Eiterband     .... 
Eiterbeule 
Eiterbildung      .      . 
Eiterbrust     . 
Eitergährung     . 


955  Eitergeschwulst  . 

221  Eiterprobe    .      .      . 

579  Eiterstock     .      .      . 

221  Eiterung        .      .      . 

1066  Eiterungsfieber 

1  740  Electricität  .      .      . 

404  Electrolysis 

224  Electro-Magnetismus 

223  Electropunktur 

229  Electrotherapie 

230  Elephantiasis  Arab 
226  —     Graecorum 

1066  Elytritis    .... 

149  Elytromochlion 

474  Ely  tr  orrhagia 

152  Ely trorhaphia 

509  Emollientia 

512  Emphysem  a 
980  —     gangraenosum 

663  —     spontaneum 

499  —     träum  ati  cum 

116  Emprosthotonns 

232  Empyema 

376  Encephalitis     . 

6  235  Encephalocele 

232  Enchondroma  . 

243  Enema 

780  Englische  Krankheit 


REGISTER. 


1133 


Seite 

Enostosis 562 

Enterocele 150 

Entero-epiplocele.           .  150 

Enterolithi 703 

Enteroraphia.      .           .      .  668 

Enterotomia 218 

Entmannimg 190 

Entozoen 740 

Entzündliches  Blnt      ....  248 

Entzündimg 247 

—  des  Afters 27 

—  —     äussern  Gehörgangs  716 

—  der  äussern  Haut      .      267  814 

—  —     Arterien    ....  253 
' —     —     Beckensymphysen    .  109 

—  —     Eichel       ....  404 

—  —     Eustachischen  Rohre  721 

—  des  fibrösen  Gewebes       .  254 
_     —      Gehirns     ....  1073 

—  —     —     u.  seiner  Häute  1073 

—  —     Gehörgangs  .     .     .  716 

—  der  Gelenke     .      .      .     .  330 

—  —     Harnröhre      .      .      .  403 

—  —     harten  Hirnhaut       .  1073 

—  des  Hodens       ....  436 

—  der  Highmorshöhle    .      .  711 

—  des  Hüftgelenks     .     .     .  450 
— .    —     Kniegelenks  .      .      .  496 

—  der  Knochen    .      .      .      .  555 

—  —     Knochenhaut      .      •  557 

—  —     Knochensubstanz     .  555 

—  —     Knorpel    .      .      .      .  574 

—  —     Leistendrüsen     .      .  187 

—  des  Lendenmuskels    .      .  755 

—  der  Lymphdrüsen       .      .  610 

—  —     Lymphgefässe     .      •  254 

—  —     Markhaut       .      .      .  558 

—  —     Muskeln    ....  256 

—  des  Nagelgliedes    .      .      •  732 

—  der  Nagelmatrix    .      .      .  663 

—  —     Nerven      ....  689 

—  —     Oberkieferhöhle       .  711 

—  des  Ohrs 716 

—  der  Ohrspeicheldrüse       •  862 

—  —     Schamlefzen        .      .  835 

—  —     Scheide     ....  838 

—  —     Schilddrüse    .      ,      .  848 

—  ■ —     Schleimhäute      .      .  25  7 

—  des  Schultergelenks   .      .  853 

—  der  serösen  Häute       .      .  257 
— r     —     Speicheldrüsen  .      .  862 

—  —     Stirnhöhle      .      .      .  892 

—  — -     Synovialhäute     •      .  333 

—  syphilitische     ....  892 


Seite 

Entzündung  des  Trommelfells    . 

718 

der  Venen 

257 

—     —     Vorhaut    .      .      .      . 

826 

—     —     Vorsteherdrüse   . 

1021 

—     —     weiblichen  Brust     1' 

11  186 

—     —     Wirbel      .      .      .      . 

1038 

—     —     Zähne       .      .      .      . 

1096 

—     des  Zellgewebs 

1104 

—     —     —     des  Halses  . 

386 

—     der  Zunge 

1114 

Entzündungsfieber        .      .      .      . 

248 

Entzündungshaut 

248 

Entzündungswidrige  Methode     . 

251 

Enuresis 

401 

—     erethistica 

401 

—     nocturna 

401 

—     paralytica. 

391 

—     spastica 

401 

Epicysteotomia       .      .      8 

76  886 

Epididymitis    .... 

436 

Epiplo  cele 

150 

E  p  i  s i  o r  r h  ap  h i a    . 

258 

Epispadia 

472 

Epispadiaeus. 

473 

Ep  ispastica 

4 

Epistaxi  s       , 

.      126 

Epithelialkrebs        .... 

.      431 

Epi  thema 

98 

E  p  u  1  i  s 

.      258 

Erbgrind 

.      581 

Erfrierung 

.      259 

Eröffnung  der  Abscesse    . 

11 

—     —     Bauchhöhle    . 

.      101 

—     —     Brusthöhle     .      . 

.      770 

—     —     Oberkieferhöhle 

.      712 

—     —     Stirnhöhle      .      . 

.      892 

Erregende  Mittel     .... 

.      110 

Errhina 

.      707 

Erschlaffende  Mittel     .      .      . 

.      263 

Erschütterung 

,      262 

—     des  Gehirns 

.    1070 

Erweichende  Mittel      .      .      . 

.      263 

Erweichung 

.      264 

Erweiterung  der  Capillargefäss 

e     326 

Erweiterungsmittel 

.      265 

Erysipelas 

.      814 

—     ambulans 

.      815 

—     bullosum      .      .      . 

.      815 

—     erraticum    . 

.      815 

—     oedematosum 

.      815 

—     phlegmonös  um    . 

.      815 

Erythema 

.      267 

Escharotica 

21 

Exarthrema 

.      978 

1134 


REGISTER. 


Exarthrosi  s 
Exarticulatio 

—  an  ti  br  a  chi 

—  brachii     . 

—  cruris 

—  digitorummanu 

—  —     p  e  dis 
■ —     femoris    . 

—  g  e  n  u     . 

—  humeri     , 

—  manu  s 

—  in  carpo    . 

—  o  ssi  um  metacarp 

—  —     meta  tarsi 

—  p  edi  s    .      .      . 

—  —     intarso 

—  phalangum 
Excisio  cicatricum 

—  maxillaeinfer.   par- 
tialis   

—  —     super,  partialis 

—  o  ss.  p  el  vis  partialis 

—  nervorum    partialis 

Exci  tanti  a 

Exf  o  liatio  insensibilis 
Exostosis 

—  externa 

—  interna    

Exostosen,  syphilitische    . 

Expulsivbinde 

Exsi  ccantia 

Exstirpatio 

—  ani 

—  claviculae. 

—  exostosis 

—  fibulae 

—  fungus  durae  matris 


Seile  Seite 

978  Exstirpatio     gangliorum  214 

35  —     gl  an  dulae  sublingu- 

62  alis 865 

60  —     —     submaxillar is  .  864 

71  —     hygromatum.      .      .  215 

66  —     labiorumoris        .      .  608 

79          —     linguae 1119 

69  —     mammae       ....  180 

71  —  maxillae  inferioris  812 
60  —     neuromatum.      .      .  706 

63  —     nympharum      .      .      .  837 

64  —     ossium 811 

64  —     —     carpi       ....  813 

77  —     —     metacarpi       .      .  813 

72  —  —  metatarsi  .  .  .  814 
75  —  —  tarsi  ....  814 
68          —     ovarii 229 

674  —     parotidis      ....  863 

—     patel  lae 813 

804          —     radii 812 

802          —     recti 632 

811  —  steatomatis  uteri  .  309 
706  —  testic  ul  orum  .  .  190 
110  —  tonsillarum  .  .  .  623 
505          —     uteri 305 

562  —     varicum 964 

563  —     —      haemorrhoida- 

563  Hum      ......  379 

902  —     verrucarum      .    -.      .  1031 

116     Exsudation 270 

86     Extensio 512  981 

268  Extensionsverband       .      .      .      .  514 

630  Extratio  dentium      .      .      .  1092 

812  Extravasat 272 

564  Exulceratio 352 

813  Exutorium 287 

330 


Fadenwurm 
Falsches  Gelenk 
Fas  cia 

—  as  ci  alis   . 

—  libriformis 

—  T-formis 
Fasciatio  circularis 

—  compr  essi  va 

—  conti  nens 

—  —     c  ap  iti  s 

—  contentiva 

—  cruci  ata  . 

—  exp  eil  ens 

—  expulsiva 
■ —     incarnativa 


740  Fasciatio  orbiculari 
751  —     radiata     . 

112  —     spiralis   . 

115         —     uniens 

114  Faserfettgeschwulst 

114  Fasergeschwulst 

115  Faserkrebs    .     .     . 

116  Faserkropf   .      .      . 
116  F'äulnisswidrige  Mittel 
579  Favus    . 
116  —     confertus 
116  —     dispers  us 
116  Febri  s  consumtiva 
116  —     hectica    .      . 
116  —     inflammatoria 


115 

116 
115 
116 
277 
273 
589 
595 
274 
581 
581 
581 
235 
235 
248 


REGISTER. 


1135 


Seite 
Febris    intermittens   per- 
niciosa         782 

—  mercurialis      .      .      .  646 

—  suppurativa     .      .      .  234 

—  traumatica        .      .      .  1042 

Federharz 483 

Feigwarzen 205 

Ferulae 846 

Fettbrüche 160  165 

Fettgeschwulst 276 

—  geschichtete      .     .     .     .  278 

Fettmuttermal 277 

Fibrochondritispelvis     .  109 

Fibroide 274 

Fibrom 274 

Filaria  nie  dinensi  s        .      .  740 

Filzschienen 847 

Finger,  überzählige     .      .      .      .  280 

Fingerkrampf 279 

Fingerverkrümmung          .      .      .  280 

Fingerverwachsung      .      .      .      .  281 

Fingerwurm 732 

Fischbeinschienen        ....  847 

Fissurae 668  852 

Fissura  ani 28 

—  colli 382 

—  co  lumna  vertebralis  819 

—  cranii 1067 

—  glan  dis  penis  .      .      .  473 

—  labii  superi  oris  .      .  426 

—  palati      .      .      .      .      300  426 

—  u  v  u  1  a  e 1104 

Fistel 285 

—  falsche 285 

—  unvollkommene     .      .      .  285 

—  vollkommene    .      .      .      .  285 

—  wahre 285 

Fistelmembran 285 

Fistel,  Spaltung  ders.       .      .     .  287 

Fistula 285 

—  ani 625 

—  biliar  is 298 

—  colli 382 

—  dentis 1099 

—  glandulaelacryma- 

lis 915 

—  intestinorum  ...  31 

—  penis 392 

—  perinaei 392 

—  pharyngea.      .      .      .  382 

—  recti 625 

—  recto-vaginalis  .      .  840 

—  sacci  1  acrymalis       .  916 

—  salivalis       ....  865 


Fistula  sterco rea 

—  tr achealis    . 

—  umbilicalis 

—  urethralis    . 

—  urethro-reeta 

—  u  r  i  n  a  r  i  a 

—  vaginalis 

—  vesi  calis 

—  vesico-rectali 

—  vesico-vagina 
Flechte    .... 

—  fressende     . 
Flechtengeschwür  . 
Fleisch,  wildes  .     . 
Fleischgeschwulst  . 
Fleischpolyp 
Fleischwärzchen 
Follicularcysten 
Fomentatio 
Fomentum    . 
Fontanelle    . 
Fonticulus    . 
Formfehler  . 
Fothergill'scher  Gesichtsschmerz 
Fractur  durch  Gegenschlag 
Fractura  (ossium) 

—  comminutiva 

—  completa 

—  complicata 

—  duplex 

—  incompleta 

—  longi  tu  dinali 

—  male  sanata 

—  obliqua    . 
—     transversa. 

Fragil itas  ossium 
Frattsein       .... 

Freisam 

Fremde  Körper 

—  —     im  Auge  . 

—  —     —     äussern  Gehör 
gange     .      .     .     ,     . 

—  —     in  der  Harnröhre 

—  —     —     den   weiblichen 
Geschlechtstheilen 

—  —     im  Kehlkopf  u.  in  d 
Luftröhre    .... 

—  —     —     Magen  u.Darm 
kanale 

—  —     —     Mastdarme 

—  —     in    der    Mund-    unc 
Rachenhöhle    ... 

—  —     —    —    Nasenhöhle 

—  —     auf  der  Oberfläche 


1136 


REGISTER. 


Fremde  Körper  im  Schlünde 
Fremdkörperkrankheiten 

Frictionskur 

Froschgeschwulst   . 

Frostbeule 

Funsus  artic uli    . 


Gallenblasenfistel   . 
Gallenblasenschnitt 
Gallenblasenstich   . 
Gallenfettgeschwulst    . 
Gallensteine       ... 
Galvanismus 
Galvanocaustik 
Galvanopunktur 
Ganglion      .... 
Gangraena. 

—  cerealis. 

—  dentium  . 
ex  d  ecubitu 

—  humid  a     . 

—  nosocomialis 

—  progrediens 

—  senilis 

—  sicca. 
Gargarisma 
Gastro rrhaphia    . 
Gastrotomia     . 
Gaumen,  deformer 
Gaumennaht 
Gaumenspalte    . 
Gebärmutterbeugung  . 
Gebärmutterblutfluss    . 
Geb  ärmutter  exstirp  ati  o  n 

—  pai'tielle 

—  totale 
Gebärmutterfibroide    . 
Gebärmutterkrebs  . 
Gebärmutterpolyp 
Gebärmutterrheumatismu 
Gebärmutterträger 
Gebärmutterumstülpung 
Gebärmutterverengerung 
Gebärmutterverschliessung 
Gebärmuttervorfall 

—  unvollkommener 

—  vollkommener 
Gebärmutterwassersucht 
Gefässdurchschlingung 
Gefässgeschwulst    . 
Gefässkropf 
Gehirnentzündung 
Gehirnerschütterung    . 


Seite 
293 
289 
904 
296 
261 
338 


Seite 


Fun g us  duraematri 

haematodes 
Furunkel       .... 

Fussgeschwüre  . 

Fussverkrümmung 

Fusszehenbrand 


G. 


298 
776 
776 
278 
692 
238 
239 
5  239 
213 
135 
143 
254 
140 
136 
445 
137 
141 
136 
370 
1083 
621 
300 
301 
300 
304 
130 
305 
306 
307 
309 
310 
313 
318 
661 
318 
320 
320 
321 
322 
322 
324 
119 
326 
594 
1073 
1070 


Gehirnhautkrebs     . 
Gehirnkrebs 
Gelenk,  falsches 

—  widernatürliches 
Gelenkabscess   . 
Gelenkbänderentzündung 
Gelenkeiterung 
Gelenkentzündung 
Gelenkkörper    . 
Gelenkmäuse 
Gelenksteifigkeit 
Gelenkwassersucht 
G  e  n  u  r  e  c  u  r  v  a  t  u  m 

—  valgum     . 

—  varum  .  . 
Geschwulst,  erectile  . 
Geschwülste 

—  der  Oberkieferhöhle 

—  — -     Schamlippen 

—  —  Scheide  . 
Geschwür     .... 

—  abdominelles    . 

—  asthenisches 

—  atonisches  . 

—  brandiges    . 

—  buchtiges     . 

—  callöses 

—  dyscrasisches    . 

—  einfaches     . 

—  entzündliches    . 

—  erethisches 

—  fauliges 

—  fistulöses 

—  fressendes    . 

—  idiopathisches 

—  indolentes    . 

—  künstliches 
ödematöses 

—  phagadänisches 

—  physkonöses 

—  reizbares 

—  schmerzhaftes  . 
— ■     schwammiges  . 

—  schwieliges 


—  smuoses 

—  symptomatisches 


REGISTER. 

1157 

Seite 

Seite 

Geschwür,  torpides      .      .      .      .      355 

Glüheisen,  das 

.      197 

—     unreines 355 

Gnathorrhagia 

.      127 

—     varicöses 358 

Goldaderknoten      .     .     .     . 

.      377 

—     venöses 359 

Gon arthrocace     . 

.      496 

—     vicarirendes      ....      360 

Gonorrhoea 

.      403 

Geschwürsbildung        .      .      .      .      352 

Gr  anulati  o 

8 

Gesichtskrampf       .      .     ,      .      .      361 

Gries 

.      691 

Gesichtslähmung 362 

Gürtel 

371  1112 

Gesichtsschmerz 362 

Gürtelrose 

.    1112 

Gib  bu  s 

819 
115 
364 

Guineawurm 

Gummata 

Gummigewächse     .      , 

.      740 

Gitterbinde 

.      902 

Gliedmaassen,  künstliche 

.      902 

Gliedschwamm      .      .      .      .      331  338 

Gurgelwasser 

.      370 

Gliedwasser 347 

Gutta  percha     .... 

.      372 

Glossitis 1114 

Gypsklebeverband  . 

.      375 

Glossorr hagia       ....      127 

Tl 

Gypsverband      .      .     . 

r 

.      374 

Jx. 

Haarseil 376     Hamma      .      .      .      .      . 

.      168 

Hab  ena 

81 

Handverkrümmung 

.      490 

Halsentzündung 

133 

Harnabscess       .... 

.      387 

Hämatocele 

467 

Harnblasenabscess 

.      387 

—     cellularis     . 

468 

Harnblasengeschwülste     . 

.      388 

—     cystica     . 

468 

Harnblasenlähmung    . 

.      389 

—     o  e  d  emato  sa 

468 

Harnfistel     .      .  •  . 

.      392 

—     vaginalis 

468 

: —     falsche   .... 

.      392 

—     v  a  r  i  c  o  s  a 

468 

—     vollständige 

.      393 

Haematuria 

129 

Harnfluss,  paralytischer    . 

.      391 

H  a  e  m  o  r  r  h  a  g  i  a 

119 

—     unwillkürlicher 

.      400 

—     ani   .... 

132 

Harnrecipient    .... 

.      .      402 

—     aperta 

120 

Harnröhrenabscess       .      .  - 

.      .      408 

—     aurium     . 

126 

Harnröhrenentzündung     . 

.      .      403 

—     narium     . 

126 

Harnröhrenmastdarmfistel 

.      .      396 

—     o  cculta    . 

120 

Harnröhrenpolyp    .      .      . 

.      .      407 

—     o  r  i  s 

127 

Harnröhrenschnitt 

.      .      417 

—     p  e  n  i  s    .      .      . 

128 

Harnröhrenverengerung    . 

.      .      408 

—     vaginae    . 

130 

Harnröhrenverschliessung 

.      .      420 

—     uteri     . 

130 

Harnsand 

.      .      696 

Hämorrhoidalgeschwür 

360 

Harnsteine 

.      .      695 

Hämorrhoidalknoten   . 

377 

Harntröpfeln      .... 

.      .      400 

Haemorrhoides  coc 

;a  c 

> 

377 

Harnverhaltung 

.      420 

—     fluentes 

377 

—     entzündliche     . 

.      .      422 

—     saccatae 

377 

—     krampfhafte 

.      .      423 

Haemorrhophilie 

122 

—     mechanische     . 

.      .      425 

Hämospasie 

850 

—     paralytische    . 

389  425 

Haemostati  ca  . 

118 

Hasenscharte     .... 

.      .      426 

Hängematten 

956 

Hautentzündung     . 

.      .      267 

Halbverschnittene  . 

473 

Hautfollicularcysten    .     . 

.      .-   212 

Halfter 

380 

Hauthörner 

.      .      430 

Hals,  schiefer     . 

383 

Hautkrebs 

.      431 

Halsfistel       .... 

382 

Hautwolf 

.      612 

—     angeborene 

382 

Hemiplegia        .... 

.      600 

—     erworbene   . 

383 

Hemmungsbildung 

.      653 

Halszellgewebsentzündung 

386 

Hermaphroditismus 

.      655 

Burger,  Chirurgie. 

72 

1138 


REGISTER. 


G 


Herni  a 

—  ab  d  ominalis 

—  cerebri     . 

—  congenita 

—  cruralis   . 

—  —     externa 

—  —     interna 

—  diaphragma 

—  dor  salis 

—  femorali 

—  foraminis  ov 

—  funiculisum 

—  immobilis 

—  incarcerata 

—  inguinalis 

—  —     congeni 

—  —     externa 

—  —     interna 

—  intestinire 

—  irreponibil: 

—  iscbiadica 

—  1  a b  i i     pude 
t  e  r  n  i     . 

—  lateralis 

—  ligamen  ti 
n  ati 

—  lineae  alb  a 

—  mobilis    . 

—  perinaei 

—  scrotalis 

—  thoracica 

—  umbilicalis 

—  vaginalis 

—  ventralis 

—  ventriculi 
Herniotomia     . 

—  cruralis   . 

—  inguinalis 

—  is  chiadica 

—  o  v  a  1  a  r  i  s  . 

—  perinaei. 

—  umbilicalis 

—  ventralis 
Herpes       .     .     . 

—  exced  ens 

—  praeputiali 

—  Zoster 
Herzbeutelstich 
Herzbruchband 
Heteroplastik     . 
Hexenschuss 
Hiebwunden 
Hinken,  freiwilliges 
Hirnbruch    . 


ta 


cti 


nd 


mb 


is 
1  i  c  a  1 


Seite  Seile 

149     Hirnerschütterung 1070 

149      Hirnschwamm 929 

167      Hobel,  der 115 

149  Hobelspan  verband        .      .      .      .  115 

160  Hoden,  reizbarer 442 

161  Hodenabscess 439 

160     Hodenatrophie 440 

167  Hodenentzündurig        ....  436 

164  Hodenkrebs 441 

160  Hodenneuralgie      ,  442 

165  Hodensackkrebs 444 

162  Hörmaschinen 730 

150  Honiggeschwulst 212 

152     Hospitalbrand 445 

158     Hüftbeinbruch 164 

158  Hüftgelenkscontractur       .      .      .  448 

158  Hüftgelenksentzündung    .      .      .  450 

159  Hüftleiden  der  Greise        .      .      .  453 
167     Hüftweh 455 

151  Hühnerauge 456 

164     Hülsenwurm 211  740 

Hundswuth 1055 

158     Hydatiden 210 

154  —     falsche 210 

—     wahre 211 

162     Hydarthrosis 347 

164  Hydarthrus 347 

150  Hy  drargyr  osis      .      .      :      .  641 

166  Hydroarion 226 

158     Hydrocele 458 

167  —     congenita    ....  465 
162          —     cystica 467 

165  —     tunicae      vaginalis 

164  communis    ....  467 

164  —     —     —     testis   .      .      .  458 

155  Hydrocephalus     ....  1033 

160  —     externus       ....  1033 
158  —     meningeus  hernios.  1033 

164  —     —     limitans     .      .      .  1033 

165  —     ventriculorum     .      •  1033 

166  Hydrometra 324 

162          —     ascitiva 324 

164          —     cystica 324 

436  —     hydatica       ....  324 

612  —     vesicularis        .      .      .  324 

648  Hydroophoria  .      ....  226 

1112     Hydrophobia 1055 

772  Hydrops  abdominis       .      .  103 

174          —     cysticus 104 

745  —     glottidis       ....  1034 

605  —     saccatus        ....  104 

1046  —     antri  Highmori    .      .  711 

450  —     arficuli    .....  347 

167  —     ascites 104 


REGISTER. 


1139 


Seile 
Hydrops  ascites  di  ff  usus      104 

—     genu 498 

226 
227 
227 
226 
226 
324 
324 
299 
819 


—  ovani 

—  —     cellulosus 

—  —     cysticus      .     . 

—  —     hydatidosus 

—  —     saccatus     . 

—  uteri     

—  uterinus 

—  v  esi  cae  f  elleae 
H  ydrorrhäehis      .     .     . 
Hydrosarcocele        .      .      442  459 

Hygrome 214 

Hygroma  cy sticum  patel- 

lare 1031 

Hyperavcusis 729 


Hyperaernia 
Hy  per  crostosis 
Hypertrophi  a  . 

—  1  i  n  g  u  a  e     . 
• — -     m  amm ae 

—  o  s  s  i  u  m 

—  o  v  a  r  i  i 

—  prostatae 

—  tonsillarum 

—  uvulae 
Hypocysteotomia 
Hyponarthecie  . 
Hypospadia 
Hy pospadi  aeus 
Hysterophor 
Hysterotomia  vaginali 


Seite 

.      469 

563  570 

471 

1117 
183 
570 
230 

1023 
622 

1104 
875 
953 
472 
473 
661 
321 


Jauche     

Ichor       

Ichorrhämie 
Imperforation    . 
Impfen  der  Kuhpocken 
Incarce ratio  hernia 

—  acuta  . 

—  chronica 

—  spasmodi  ca 

—  ster corea     . 
Incarnatio  unguis 
Incisio       .... 
Incontinentia    urin 
Incrustationen  .  -   . 
Induratio 

—  prostatae 

—  telae  cellulos 

—  testiculi 
Infectio  purulenta 
Infiltratio    . 
Infiammatio 
Inf  r  actio 
Infusion        .... 
Inoculatio  vaccinarum 
Intertrigo 


39 


233  Inunctionskur    .... 

233  Inversi  o  uteri   .      .      . 
782  —     —     completa  . 

972  —      —     incompleta 

474  Involventia 

152  Jochbinde     .      . 

153  Irrigationes 
153  Ischias  nervosa 
153  —     —     antica 
153  —     —     postic 
663  I s  chio  cele    . 
477  Ischuria  .      .      . 

1  400          —     chronica 
692  —     e    causa    mechan 

974  —     i  nflammato  ria 

1029  —     paralytica       .      . 

1109  —     spasmodica 

438  —     renalis     . 

780         —     uretherica 
272  —     urethralis 

247  —     vesicalis 

509  Isthmitis       .      . 

922  Isthmo  rrhagia 

474  Jucken  der  Haut    . 

1091 


.  910 

.  318 

.  319 

.  318 

.  263 

.  371 
.  1123 

.  455 

.  455 

.  455 

.  164 

.  420 

.  423 

ca  425 

.  422 

391  425 

.  423 

.  421 

.  421 

.  425 

.  421 

.  133 

.  127 

.  750 


Kästen 954  Klammernaht    .      .      . 

Kapselverband 481  Kleisterverband 

Karbunkel 188  Klumpfuss    .... 

Kaumittel 482  Klumphand        .      .      . 

Kautschuk 483  Klystier 

Kerzen 266  Knebelturniket  . 

Kinnbackenkrampf      ....  1058  Kniegelenksentzündung 

Kiotomia 623  Kniegelenkswassersucht 

Kissen 954  Knieverkrümmung 


670 
734 
484 
490 
491 
931 
496 
498 
498 


1140 


REGISTER. 


Seile 


Kniescheibe,      Wasserbalgge- 

schwulst auf  ders.    . 

1031 

Knochenabscess      .... 

.      502 

Knochenaneurysma 

566 

Knochenatrophie    .... 

.      570 

Knochenaufsaugung    . 

571 

Knochenbrand 

504 

Knochenbruch  ....". 

508 

—     der  Beckenknochen    . 

523 

—     des  Brustbeins 

524 

— r     —     Fersenbeins    . 

554 

— r     der  Fingerglieder 

539 

—     am  Fusse     .... 

554 

—     des  Jochbeins  . 

518 

—     —     Kehlkopfs 

521 

—     der  Kniescheibe    . 

548 

—     —     Mittelhandknochen 

539 

—     —     Nasenbeine    . 

517 

—     des  Oberarmbeins 

531 

—     —     Oberkiefers    .     . 

518 

—     —     Oberschenkels    . 

,      540 

—     —     Radius 

535 

—     der  Rippen       .      .      . 

525 

—     —     Rippenknorpel    . 

.      526 

—     des  Schienbeins     . 

552 

—     —     Schlüsselbeins    . 

526 

—     —     Schulterblatts 

529 

—     der  Ulna      .... 

536 

—     des  Unterkiefers    . 

519 

—     d.  Unterschenkelknocher 

i      550 

—     der  Vorderarmknochen 

535 

—     des  Wadenbeins    . 

522 

—     der  Wirbel        .      .      . 

522 

—     des  Zungenbeins  . 

521 

Knochencysten        .... 

565 

Knochenentzündung    . 

555 

Knochenerweichung    . 

559 

Knochenfleiscbgeschwulst 

274 

Knochenfrass 

571 

Knochengeschwülste    . 

562 

Knochengeschwür 

571 

Knochengewächs    .... 

562 

Knochenhypertrophie       .      . 

570 

Knochenkrebs 

567 

Knochenmürbigkeit     . 

571 

Knochenschmerzen,  syphilitische 

902 

Knochenverschwärung 

571 

Knochenschwund    .... 

570 

Knochenspeckgeschwulst 

478 

Knochentuberkel    .... 

568 

Knollfuss 

484 

Knorpelatrophie 

574 

Knorpelentzündung     . 

575 

Seite 
Knorpelgeschwulst       ....  245 
Kopfblutgeschwulst    der   Neuge- 
borenen      579 

Kopfgrind 580 

Kopfbinden 575 

Kornähre 116  583 

—  absteigende  für  die  Schul- 
ter       583 

—  aufsteigende  fürd.  Schul- 
ter       583 

—  für  den  Daumen    .      .      .  584 

—  —     die  Hüfte        .      .      .  583 

—  —     —     Leistengegend  584 

—  —     —     Verenkung    des 
Fusses 584 

Kornbrand 143 

Kothabscesss 1085 

Kothfistel 31 

Kothrecipient 584 

Krähen  äuge 456 

Kräze 585 

Kräzgeschwür 585 

Kräzmilbe 740 

Krampfader 962 

Krampfaderbruch 957 

Krankheit,  englische  .      .      .      .  560 

Krebs 588 

—  der  Brustdrüse       .      .      .  184 

—  —     Gebärmutter        .  310 

—  —     Haut    .     -...  431 

—  des  Hodens       ....  441 

—  —     Hodensacks    .      .      .  444 

—  der  Lippen  und  Wangen  607 

—  des  männlichen  Glieds    .  824 

—  —     Mastdarms     .      .      .  628 

—  der  Schamlippen  .      .      .  838 

—  —     Vorsteherdrüse  .      .1026 

—  —     Zunge       .      .      .      .1119 

Krebsgeschwür 591 

Kreuzbrustbinde 176 

Kreuzverband    .      .      .      .      .      .  116 

Kreuzweh 604 

Kreuzzugbinde 115 

Kriebelkrankheit 143 

Kropf 594 

Künstliche  Gliedmaassen       .      .  364 

Künstlicher  After  .....*  30 

Kürassverband 481 

Kürschnernaht 668 

Kuhbein 499 

Kuhpockenimpfung     .      .      .      .  474 

Kupfernase 675 


REGISTER. 


IUI 


Seite 

Labium  leporinum    .      .      .  4  26 

Lähmung 600 

—  allgemeine        ....  600 

—  gekreuzte 600 

—  halbseitige        ....  600 

—  der  Harnblase       .      .      .  389 

—  unvollkommene     .      .      .  600 

—  partielle 600 

—  peripherische   ....  600 

—  reflectirte 600 

Lagostoma 426 

L  a  p  a  r  o-c  holecysteotomia  776 

Laparo-enterotomia     .      .  218 

Laparo-gastr  otomia    .      .  621 

Lappenschnitt 43 

Laqueus 849 

Laryngotomia       ....  609 

Lary  n  go-tracheotomi  a    .  609 

Leberabscess 603 

Lectulus 893 

Lederschienen 847 

Leibgürtel 372 

Leichdorn 456 

Leistenbeule 187 

Leistenbruch      ....  .158 

—  äusserer       .           .     .    ~.  158 

—  —     kurzhalsiger  .      .      .  159 

—  angeborener     .      .      .      .  158 

—  gerader        ,  158 

—  innerer 158 

Leistenbruchband 170 

Lendenabscess      ....      604  755 

Lendenweh 604 

Ligatura  fistulae      .      .      .  286 

—  vasorum        ....  935 
Linteum  carptum     .      .      .  199 

—  ras  um 200 

Lipoma 276 

—  circumscriptum        .  276 

—  colloides      .      .      .      .  279 

—  diffusum       .      .      .      .  276 

—  mixtum 277 

—  simplex 276 

Lippenbildung 605 

Lippenkrebs 607 

Lippenspalte 426 

Lithiasis 691 

Lithotomia 874 


en 


Lithotripsis 
Litho  tripti  ca  . 
Lithotritie     .... 
Longuette     .... 
Lordosis  .... 
Lostrennung  der  Epiphys 
Lubricantia 
Lues  venerea    . 
Luftröhrenfistel 
Luftröhrenschnitt  .      . 
Luftstreifschüsse     . 
Lungenbruchband 
Lumbago 
Lupia    .      .      .      .      . 
Lupus  

—  excedens 

—  exfoliativus 

—  exulcerans 

—  hypertrophicus 

—  orbicularis 

—  serpiginosus 

—  superficialis 

—  vorax 
Luxatio     .... 

- —     completa 

—  complicata 

—  consecutiva 

—  incompleta 

—  inveterata    . 

—  primitiva 

—  re  cens 

—  secun  daria 

—  simplex   . 

—  spontanea  338 

—  spuria 

—  traumatica 

—  vi  olenta . 
Lymphabscess  . 
Lymphadenitis     . 
Lymphangitis 

—  chronica 
Lymphdrüsenentzündung 
Lymphdrüsenhypertrophie 
Lymphdrüsenkrebs 
Lymphdrüsensarkom  . 
Lymphdrüsentuberkulose 
Lymphgefässentzündung 
Lymphatischer  Kropf 


Seite 
886 
701 
886 
205 
819 
678 
263 
899 
382 
609 
1050 
174 
604 
206 
612 
612 
613 
613 
613 
613 
613 
612 
612 
978 
979 
979 
979 
979 
979 
979 
979 
979 
979 
342  450  978 
978 
978 
978 
14 
617 
254 
255 
617 
619 
620 
619 
620 
254 
596 


H. 


Magenfistel  . 
Magenschnitt 


1085     Malacia 264 

621     Malactica 263 


1142 


REGISTER. 


Malleus  humidus 
Malumcoxae  senile 

—  Potii    .      . 
Mandelconcremente 
Mandelgeschwür     . 
Mariscae  . 
MarkschAvamm 
Mastdarniblutung    . 
Mastdarmbruch 
Mastdarmerweiterung 
Mastdarmfissur 
Mastdarmfistel  . 

—  aussen  blinde 

—  innen  blinde 

—  unvollständige 

—  vollständige 
Mastdarmkrebs 
Mastdarmpolyp 
Mastdarmscheidenfistel 
Mastdarmverengerung 
Mastdarmverschliessung 
Mastdarmvorfall 
Mastdarmzellgewebsentzündu 
Maturantia 
Maturationsfieber    . 
Mastitis    . 
Medullarkrebs   . 
Mel  liceris     . 
Menstrualgeschwür 
Mercurialfieber 
Mercurialfriesel     • . 
Mercurialgeschwür 
Mercurialkrankheit 
Metr  orr  hagia  . 
Mictus  cruentus 
Milchborke  . 
Milchfistel    . 
Milchgrind   . 
Milchknoten 
Milchschorf 
Milzbrandblatter 
Milzbrandcarbunkel 
Missbildungen  . 
Mitella      .     . 
Mitramuliebrum 

—  reticulata 
Mittel,  ableitende  . 

—  v  äzende    . 

—  auflösende  . 

—  belebende    . 


ng 


Seite 

817  Mittel,  beruhigende     .     . 

453  —      betäubende 

1038  —     blasenziehende 

624  —     blutstillende      .      . 

624  —     eiterbildende    . 

378  —     eiterungsbefördernde 

589  ■ —     erregende    .      .      . 

132  —     erschlaffende    . 

167  —     erweichende 

624  —     erweiternde 

28  —     fäulnisswidrige 

625  —     reifmachende    . 
625  —     reinigende  .      .      . 
625  —     rothmachende 
625          —     schmerzstillende    . 
625  —     steinauflösende 
628         —     zertheilende 

632  —     zusammenhaltende 
840  —     zusammenklebende 

633  —     zusammenziehende 

636  Mittelfleischabscess 

637  Mittelfleischbruch  . 

640  Morbus  anglicus 
785  —     cer ealis  . 
234          —     coxarum 

177  Mortificatio 
589  Monstra    .      .      . 
212  Moxa       .... 
360  Moxibustio  . 
646  Mumificatio 

648  —     senilis 

649  Mundbildung     .      . 

641  Mundblutung     .      . 
130  Mundbrand  .      . 
129  Mundificantia 
651  Mundsperre 
182  Mundverengerung  . 
651  Mundverschliessung 

178  Muskelfasergeschwülste 

651  Muskelschnitt        .      . 
144  Mutterhalter      .      . 
144  Muttermal,  farbiges 

652  Mutterring    .      .      . 
81  Mutterz  apfen     . 

577  Müze,  nezförmige  . 

577  Myoide    .... 

3  Myositis  .      .      . 

20  Myotomia    .      . 

1110  Myringitis    .     . 

110 

N. 


Nabelbruch 162     Nabelringbruch 

Nabelbruchband 171     Nabelschnurbruch 


162 
162 


REGISTER. 


1143 


Seite 

Nachtripper 404 

Naevus  maternus  lipoma- 

todes     ......      277  327 

—  vasculosus        .      .      .      326 

Nadelstich 15 

Nagel,  Einwachsen  desselben     .      663 

—  Entzündung    der   Matrix     663 
Naht 664 

—  ächte 665 

—  blutige     ....      665  1045 

—  gemischte 668 

—  der  vier  Meister     .      .      .      668 

—  m.  durchgezogen.  Stichen     668 

—  mit  Invagination   .      .      .      671 

—  trockene        .      .      .      665  1045 

—  umschlungene        .      .      .      665 

—  umwundene      .      .      .      .      665 

—  unächte 665 

—  unblutige 665 

—  unterbrochene        .      .      .      665 

—  ununterbrochene  .      .      .      668 

Narbe 672 

Narbenbildung        ....      8  1043 

Narbenoperation 673 

Narcotica 112 

Nase,  künstliche 688 

Nasenbildung 676 

Nasenbluten 126 

Nasengeschwür 680 

Nasenlöcherverengerung  .      .      .      681 
Nasenlöcherverschluss       .      .      .      681 

Nasenpolyp 682 

Nasensteine 687 

Nasus  artificialis     .      .      .      688 

Necrosirung 688 

Necrosis 135  504 


Necrosis  centralis 

—  externa    . 

—  interna    . 

—  partialis 

—  peripherica 

—  s  enuum    . 

—  s  up  erfi  cialis 

—  to  tali  s 
Ne  crotomia 
Nervenausschneidung 
Nervengeschwulst  . 
Nervenschmerz 
Nervenschnitt    . 
Neubildung 

—  nicht  organisirte 

—  organisirte  . 
Neuralgia 

—  facialis    . 

—  frontalis 

—  glandulaeprosta 

—  inf ra orbital is 

—  ischiadica 

—  maxillaris 

—  mercurialis 

—  testiculi 

—  trun  ci  ampu  tati 
Neurectomia    . 
Neuritis    . 
Neuroma 
Neurotomia 
Nezbruch 
Nierensteine 
Niesemittel  . 
Nodus  venereus 
Noma    .... 
N  y  m  p  h  i  t  i  s     . 


Seile 
504 
504 
504 
504 
504 
143 
504 
504 
508 
706 
705 
704 
706 
690 
690 
350 
704 
362 
362 

1027 
363 
455 
363 
650 
442 
50 
706 
689 
705 
706 
150 
698 
707 
902 
708 
835 


Ob  stipitas  capitis 

Obturatoren  für  den  Gaumen 

Obvolventia 

O  dontalgia    . 

O  donti  dis 

Oedema     . 

—  callidum 

—  frigid  um 

—  glo  tti  dis 

—  hyperaemicum 

—  inflammatorium 

—  p  edum 

—  scroti 
Oesophagotomia 
Ohren,   künstliche 
Ohrenblutfluss  . 


383 
303 
.  263 
096  1099 
.  1096 
.  714 
.  714 
.  714 
.  1034 
.  714 
.  714 
.  714 
.  443 
.  873 
.  730 
.      126 


Ohrentzündung 716 

Ohrenfluss, 723 

Ohrläppchendurchbohrung    .      .  724 

Ohrpolypen 725 

Ohrenschmalz,  mangelndes  .      .  727 

—     verhärtetes 726 

Ohrentönen 729 

Ohrenzwang 727 

Ohrspeicheldrüsenentzündung  .  862 
Ohrspeicheldrüse ,     Exstirpation 

derselben 863 

Ohrverschliessung 728 

Omarthrocace       ....  853 

Omphalocele 162 

Oncotomia 11 

Onychia 662 


1144 


REGISTEK. 


Onychia  benigne 

—     maligna  . 
Onychocryphosi 
Oophoritis    . 
Opisthotonus  . 
Orchitis. 
Orthopädie  . 
Osteoaneurysma 
Osteocarcinorna 
0  s teo  c  opi 
Osteoidgeschwulst 
Os  teoly  osis 
Osteomalacia   . 
O  s  teomy  elitis 
0  s  teop  alinclasis 
Osteophyt     .      .     . 


Paedarthrocace 
Palatoplastik      .  ,    . 
Panaritium. 

—  cutaneum 

—  periostei 

—  tendineum 
Panzerhandschuh  . 
Pappschienen    . 
Pappverband 
Par  acentesis    . 

—  ab  d  ominis 

—  capitis 

—  pectoris 

—  pericardei 

—  th  oracis 

—  uteri    . 

—  vesicaefelleae 

—  —     urinariae 
Paralysis 

—  agita  n  s     . 

—  cruciata 

—  incompleta 

—  m  u  s  c  u  1  o  r  u  m 

—  transversa  . 

—  vesicae  urinai 
Paraphimosis   . 
Paraplegi  a  . 
Parasiten 
P  a,r  e  s  i  s 
Parotitis 
P  a  r  u  1  i  s 

Pauke      .... 
Peitschen  mit  Nesseln 
Peni  cillus     . 
Periostitis    . 
Periostosis 


Seite  Seile 

662  Osteoporose 556 

663  Osteopsathyrosis  .  .  .  571 
663  Os  te  osarcoma  .  .  .  274  564 
223  Osteosteatoma      ....  278 

1058      Ostitis 555 

436  —     articularis        .           .  334 

977  —     —     centralis          .      .  334 

566  —     —     peripherica.      .  334 

567  Otalgia 727 

902      Otitis     .      , 716 

568  Otorrhagia 126 

571      Otorrhoea 723 

559      Ovalärschnitt 45 

558     Ozaena 680 

516  —  maligna  contagiosa  817 
563 

P. 

568     Periproctitis 640 

300     Pernio 261 

732     Pes  equinus 489 

732  Pessarium     ......  657 

732     Pferdefuss 489 

732  Pflasterschienen      .....  847 

733  Pfropf  bildung 920 

847  Phallorrhagia       ....  128 

734  Ph  ary  gorrhagi  a  .  .  .  .  127 
767  Phatnorrhagia  .  .  ...  127 
773     Phimosis 826 

769  Phlebectasia 962 

770  Phlebitis 257 

772     Phlebolithen 962 

770     Phlebotomia 16 

776  Phlegmasia  alb  a  d  ol  ens  .  742 

776  Phlegmone 1104 

777  —     circumscripta      .      .  1105 

600          —     diffusa 1105 

600  —     subcutanea       .      .      .  1105 

600  —     subfascialis     .      .      .  1105 

600     Phlogosis 247 

361     Phosphornekrose 744 

600     Plagula 204 

389  Plastische  Chirurgie    ....  745 

830  Plastische  Operationen     .      .      .  745 

600     Plattfuss 488 

740  Pleurosthotonus  .  .  .  1058 
600     Pneumatosis 243 

1021  Pneumothorax      .      .      .      .  1081 

741  Politisches  Decoct     ....  914 

187     Polypen 747 

957          —     bösartige 749 

201          —     fibröse 748 

557          —     harte 748 

563         —     weiche 748 


REGISTER. 


1145 


Pott'seher  Brand    . 
Prellschüsse 
Proetocystotomi 
Proctorrhagia 
Profluvium  sang 
Prolapsus  ani 

—  linguae    . 

—  uteri     . 

—  vaginae    . 
Pro  natio  uteri 
Prostatitis    . 
Prurigo     .      .      . 
Pruritus    .      * 
Pseudarthrosis 
Pseudocancer  cu 
Pseudoe  rysipela 

—  colli    . 
Psendomorphosi 
Pseudoplasma 
Psoasabseess 
Psoasentzündung 
Psoitis 
Psora    .     .     . 
Psydracia 


Quadriga 

Quassatio 

Quellmeissel 


Seite  Seite 

141  Ptyalismus  .      ....  647 

1049  Pulsadergeschwulst      .      .      .      .  756 

875          —     wahre     , 756 

132          —     gemischte 757 

120         —     falsche 758 

637      Pul  vi  11  us 200 

1117     Pulvinar 954 

321     Punktion 767 

845  —     der  Bauchhöhle     .      .      .  773 

304  —     —     Brusthöhle     .      .      .  770 

1021  —     —     Gallenblase    ...  776 

750  —     —     Gebärmutter        .      .  776 

750  —     —     Harnblase      .      .      .  777 

751  —     des  Herzbeutels     .     .      .  772 
431  —      —     Hydrocephalus    .      .  769 

1105     Pus 232 

386  Pustulamaligna.      .      .      .  144 

652          —     nigra 144 

690     Pyämie 780 

755     Pyarthros 339 

755  Pyogenesis        .           ...  232 

755     Pyosis 232 

585     Pyothorax 243 

648 

a. 

176     Querbruch 509 

783     Querlähmung 600 

266     Quetschung 783 


Rabies  c  anina 

Rachenpolyp 

Radicaloperation  der  Brüche 

Ramex       .... 

Ranula 

Rauced  o  syphili  t 

R  e  c  e  p  t  a  c  u  1  u  m  a  n 

—  faecium  . 

—  urinae 
Regenbad 

Reifmachende  Mittel 
Reinigende  Mittel  . 
Relaxantia  . 
Repositio  fr&ctui 

—  herniae    . 

—  luxationis 
Rese-ctio  .     . 

—  in    continu 
sium     . 

—  ossium    in 

—  —     totalis 
Resolutio 
Resolventia 


täte 


ticuli  s 


1055 

Retentiofracturae  . 

512 

785 

—     luxationis  . 

982 

151 

—     urinae 

420 

149 

—     —     paralytica 

425 

296 

Retroflexio  uteri 

304 

901 

Retroversio  uteri     . 

304 

584 

Reunio 

1042 

584 

—     per    granulationem 

1043 

402 

—     —    primam  intentio- 

95 

4-043 

785 

—     —     secundaminten- 

786 

tionem 

1043 

263 

—     — •     suppurationem 

1043 

512 

3 

151 

Rhachitis  ad  ultoruju    . 

559 

980 

—    juvenilis 

560 

787 

852 

Rhinolithen 

687 

801 

Rhinoplastik 

676 

788 

Rhinorrhagia 

126 

811 

Rinnen ,  ♦. 

954 

250 

Risse 

852 

1110 

Rollbind  c     ....          .     . 

113 

72* 

1146 


REGISTER. 


Seite 

Rose 814  Rückgratsspalte      .     .     .     . 

Rothlauf 814  Rückgratsverkrüramung    . 

Röthung  der  Haut       ....  267  Rückwärtsbeugung  des  Knies 

Rozkrankheit 817  —     —      des  Uterus      .      . 

Rubifacienti  a        ....  4  Ruptura  tendinum    . 

Rückenbruch 164     Russwarze 


Seite 
819 
819 
500 
304 
858 
444 


Sackwassersucht 

104 

Sacro-coxalgie  . 

109 

Säbelbein 

499 

Salivatio 

647 

Sandkloss 

436 

Sandverband      . 

955 

Sanguif  luxus 

120 

Sanies        .     . 

233 

Sarcocele  scroti 

443 

S  ar  coma  . 

273 

—     cysticum 

439 

—     melanodes 

273 

—     scroti 

443 

Scabies     .     .     . 

585 

Scapulier 
Scarificatio 

371 
833 

Schaden,  bleibender 

1042 

Schärpe  .... 
Schambruch 

81 
166 

Schamfugenschnitt 
Schamlefzenabscess 

833 
836 

Schamlefzenbrand 

836 

Schamlefzenbruch 

166 

Schamlefzenentzündung 

835 

Schamlefzenhypertrophie 
Schamlefzenkrebs  . 

837 
838 

Schamlefzennaht    . 

258 

Scheidenblasenschnitt 

886 

Scheidenblutung     . 
Scheidenbruch 

130 
165 

Scheidencatarrh 

838 

—     acuter    . 

838 

—     chronischer 

838 

Scheidenentzündung 
Scheidenfisteln 

838 
840 

Scheidengeschwülste 
Scheidengeschwüre 
S  chei  denkais  ers  chnitt 

841 
843 
321 

Scheidennaht     . 

241 

Scheidenstüze    . 

660 

Scheidenträger 
Scheiden  Verengerung 
Scheidenverschliessun 
Scheidenvorfall 

y 

660 

844 
844 
845 

Schenkelbruch  .     . 

160 

. —     äusserer 

160 

Schenkelbruch,  innerer    .      .      .  160 

Schenkelbruchband     .      .      .      .  171 

Schenkelgeschwulst,  weisse  .     .  742 

Schiefbruch 509 

Schiefer  Hals 383 

Schienen 846 

Schilddrüsenentzündung  .      .      .  848 

Schilddrüsengeschwülste        .      .  594 

Schilddrüsenkrebs        .      .      .      .  595 

Schlagadergeschwulst       .      .      .  756 

Schleimbeutelcysten    .     .     .     .  214 

Schleimbeutelwassersucht      .      .  214 

Schleimhautfollicularcyste     .      .  212 

Schleimpolyp 748 

Schlinge 849 

Schlingen,  erschwertes     .      .      .  871 

Schlingennaht 668 

Schlundfistel 382 

Schlundpolyp 785 

Schmarozerthiere 740 

Schmierkur 910 

Schneckenverband        .      .      .      .  115 

Schnitt 477 

Schnittwunden 1046 

Schornsteinfegerkrebs       .      .      .  444 

Schraub  enturniket        .      .      .      .  932 

Schreibkrampf.      .    '.      .      .      .  279 

Schröpfen 850 

—  blutiges 851 

—  trockenes 850 

Schröpfkopf 850 

Schröpfstiefel 850 

Schrunden 852 

Schulterbinde 371 

Schultergelenkentzündung     .     .  853 

Schusswunden 1048 

Schwamm  chen 853 

Schwappung 7  8 

Schweben 956 

Schwerhörigkeit,  nervöse       .      .  729 

Schwinden 85 

—  der  Knochen    .      .      .      .  570 
■ —     der  Hoden 440 

Schwund,  der 85 

S  cirrhus 589 

Scleroma  textus  cellulosi  U09 


REGISTER. 


1147 


Sclerosis      .     .     . 

—  centralis 

—  corticalis     . 

—  supr  ac  orticali 
Scoliosis 
Scrophelkrankkeit 
Scrophulosis    . 
Scrophulöse  Geschwüre 
Sectio  abdominalis 

—  alta       .      . 

—  bilateralis 

—  lateralis 

—  quadrilateral: 

—  recto-vesicali 

—  transver  salis 

—  vagino-vesica 

—  verticalis 
Sedantia  . 
Sehnennaht 
Sehnenscheidencysten 
Sehnenschnitt   . 
Sehnenzerreissung 
Seitensteinschnitt 
Senknngsabscess 
Sequester     . 
S  etaceum 
Seton    .      .     . 
Sichelbein    .     . 
Sinapismus  . 
Spaltbildungen 
Spanischer  Kragen 
Spasmus  scriptoriu 

—  muscul.  faciei 
Speckgeschwulst.  . 
Speicheldrüsenfistel 
Speichelfistel  . 
Speichelfluss 
Speichelsteine  .  . 
Speiseröhrenpolyp 
Speiseröhrenschnitt 
Speiseröhrenverengerung 
Sphacelus  . 
Spica    .... 

—  coxae  . 

—  humeri     . 

—  pollicis 

—  pro  luxati  o 
Spinabi  fi  da 

—  ventosa    . 
Spiralverband    .     . 

—  breiter    .     . 

—  kriechender 

—  schmaler 
Spizfuss  .... 


lis 


Pe 


Seite 

570  Splenia     .... 

570  Splitterbruch     .      .      . 

570  Spondilarthrocace 

570  —     cervicalis    . 

819  —     dorsalis  et  lum 

855  Spondilitis 

855  —     fibrosa     .      . 

856  Spondilostrophosis 
101  Spreukissenverband     . 
876  Sprizbad       .... 

883  Staphyloplastik 

879  886  Staphylorrhaphia 

884  Steatoma       .      . 

884  Steinkrankheit  .      .      . 

885  Steinschnitt        .      .      . 

886  —     beim  Manne     . 
885  —     —     Weibe 
1 1 1  Steinauflösende  Mittel 

1064  Steinzertrümmerung    . 

213  —     beim  Manne     . 

894  —     —     Weibe 

858  Stenochorien     .     .     . 

879  886  Stenosen       .... 

860  —     der  Speiseröhre 

504  Steppnaht     .... 

376  Sternutatoria  .     . 

376  Stich 

499  —     giftiger  Thiere 

4  Stichwunden 

653  Stillicidium  sangni 

830  —     urinae      .      . 

279  Stirnhöhlenabscess 

361  Stirnhöhlenpolyp    .      . 

277  Stomacace    gangra 

865  Stomatoplastik 

865  Stranguria    . 

647  Streifschüsse 

702  Strictura  recti 

874  —     oesophagi    . 

867  —     urethrae 

870  —     vaginae    . 

136  Strohladen   .... 

116  —     falsche   .      .      . 

583  —     wahre     . 

583  Struma      .... 

584  —     aneurysmatic 
dis     584  —     cystica     . 

819  —     fibrosa    .     . 

569  —     inflammatorii 

115  —     lymphatica 

115  —     vasculosa    . 

115  S typtische  Mittel    .     . 

116  Subcutane  Operationen 
489  Subluxatio  .     .     . 


lis 


1148 


REGISTER. 


Seite 

Suggillatio 221 

Supinatio  uteri     ....  304 

Suppositorium  uterinurh  657 

Suppurantia 785 

Suppuratio 232 

Suspensoria 921 

Suspenso  rium  brachii      .  81 

—  pro    hernia  umbili- 
cal.        ......  921 

—  scroti 922 

Sutura 664 

—  ansata 668 

—  circumvoluta       .      .  666 

—  clavata 667 

—  cruenta     .      .      .      665  1045 

—  interscisa    ....  665 

—  intorta 666 

—  pellionum    ....  668 

—  pinnata   .....  667 

—  sicca     .      .      .      .      665  1045 
¥r     transgressiva       .     .  668 


Symphorosen  . 
Symphyseotomia 
Synchondrotomia 
Synovialcysten  . 
Synovitis  . 
Syphiliden  .  . 
Syphilis    .     . 

—  primäre 

—  secundäre 

—  tertiäre  . 

—  universalis 
Syphilitischer  Bubo 
Syphilitische  Exostosen 
Syphilitische  Geschwüre 

—  —     primäre     . 
■ —     —     secundäre 

Syphilitische  Hautausschläge 
• —     Knochenschmerzen 

—  Periostosen 
Syringi  ti  s     . 
Syringo tomia  . 


Seite 
649 
833 
833 
212 
333 
900 
895 
896 
898 
901 
899 
899 
902 
896 
896 
900 
899 
902 
902 
721 
287 


Talipescalcaneus    . 

—  calcaneo-valgu 

—  equi  no-valgus 

—  —     varus 

—  valgus 

—  varus    . 
Tal  ip  oman  us 
Tampon 
Taxis 

T-Binde       .     . 
Telan  giectasia 

—  lipomatode 
Tenotomia   . 
Testudo    .     . 
Tetanus    . 
Thorolus  Stramin 
Thränendrüsenfistel 
Thränensackfistel   . 
Thrombosis 
Thrombus     . 
Thyreoideitis 
Tinea  capitis    . 

—  —     mal  ig  n 

—  —     favosa 

—  lacteafaciei 
Todtenlade  .     .     .. 
Tonsillotomia 
Torcular 
Tornaculum 
Torsiovasorum 
Torticollis  .     . 


490  Trachealfistel     .      . 

490  Tracheotomia 

490  Tragbeutel   .      .      . 

490  Transfusion 
488  —     mittelbare   . 

488  —     unmittelbare 

490  Trans fusio  infusoria 

201  Transplantationeines 

151  Tremor  mercurialis 

114  Trepanatio        .      .      . 
326  —     antri  Highmori 

277  327  —     cranii 

894          —     scapulae 
116  —     sterni 

1058  Tripper    .... 
893  —     beim  Manne 

916  —     —     Weibe 

916          —     chronischer 
920          ht-     erysipelatöser 
920         —     trockener 
848  —     virulenter 

580  Trismus  .      .      . 

581  Tropfbad  .  . 
580  Tuberkel  .  . 
651  Tumor  albus 
505  —  genu  . 
623  Tumores  .  . 
931  —  benigni 
931  —  carcinomatos 
119  — =■  cystici 
383  —     —     compositi 


Hautstücks 


383 
609 
921 
922 
923 
923 
923 
746 
.  650 
.  923 
.  712 
.  923 
.  808 
.  810 
.  403 
.  403 
.  404 
.  404 
.  404 
.  404 
.  404 
.  1058 
95 
.  929 
331  338 
.  496 
.  350 
.  350 
.  351 
.  206 
.     209 


REGISTER. 


1149 


Tumoresfibrosi.     .     . 

273 

—     maligni    .      .      . 

351 

—     ossium 

562 

—     üac  cati 

206 

—     tuni  cati ' 

206 

Turniket 

931 

Ueberbein 

l 

213 

Uebernährung 

471 

Ueberzählige  Finger    .... 

280 

—     Zähne    

1102 

U Iceratio      

352 

Ulcus    

351 

Ulorrhagia  

127 

Umbeugung  der  Gebärmutter     . 

304 

Umlauf 

663 

98 

Umstechung 

938 

Umstülpung  der  Gebärmutter     . 

318 

Unterbindung  der  Gefässe     . 

935 

—     blutender  Gefässenden     . 

937 

—     in  derContinuität  derAr- 

939 

—     nach  Antyllus 

941 

—     —     Brasdor    .... 

943 

—     —     Hunter      .... 

942 

—     der A r teria  anonvma 

943 

—     —     —     aorta   abdo- 

minalis     

948 

—     —     —     axillaris 

946 

—     —     —     brachialis. 

947 

—     —     —     carotis  cora- 

944 

—     —     —     —     externa 

944 

—     —     —     cruralis  . 

951 

—     —     —     epigastrica 

-950 

—     —     —     femoralis 

951 

—     —      —     glutaea    . 

950 

—     —     —     iliaca    com- 

munis         

948 

Vaccinatio 

474 

Varices  haemorrhoidales 

377 

Vari  cocele 

957 

Varix , 

962 

—     arterialis 

757 

—     aneury  smaticus 

761 

Ven  a  medinensis 

740 

Venaesectio 

16 

Venensteine 

962 

Venerische  Krankheit 

899 

Verbandtücher 

966 

Seite  Seite 

Turniket  für  die  Extremitäten    .     931 

—  —     den  Kopf  u.  Rumpf     934 
Turundae 201 

—  intumesc  en  t  es     .      .     266 
Typhlitis  sterco rea       .      .      217 


u. 


Unterbindung  der  Art.  iliaca 
externa      

—  —     —     —     interna 

—  —     —     ischiadica 

—  —     —     lingualis 

—  ■ —     —     mammar.  in 
terna    

—  —     —     maxillar.ex 
terna. 

—  —     —     pediaea. 
— -     —     —     peronaea 

—  —     —     p  o  p  1  i  t  a  e  a 

—  —     —     pudenda  int 

—  —     —     ra  dialis   . 

—  —     —     spermatica 

—  —     —     siibclavia 

—  —     —     temporalis 

—  —     —     t  h  v  r  o  i  d.    s  u 


p  erior 

—  —     —     tibialis    an- 
ti  ca 

—  —     —     —     p  o  s  t  i  c  a 

—  —     —     ulnaris     . 

—  —     Fisteln      .      .      .      . 
Unterschienenverbände     . 
Urethrocystaneurysmato- 

mia 

Ur ethrorrhagia     . 
Urethrotomia  externa 

—  interna    

Urticatio 

Usura  ossium    .     .. 
Uvula  bifida     .      . 


Verbrennung  .     .     . 

Vereinigung  der  Wunden 
Verengerung      . 

—  der  Harnröhre 

—  des  Mastdarms 

—  der  Mutterscheide 

—  —     Vorhaut    . 
Vergrößerung  der  Brüste 

—  —     Eierstöcke 

—  —     Nymphen 

—  —     Zunge       .      . 


949 
949 
950 
945 

946 

945 
952 
953 
952 
950 
948 
950 
945 
945 

945 

952 
952 
947 
286 

953 

875 
128 
414 
417 
956 
571 
1104 


967 
1044 
972 
408 
633 
844 
826 
183 
231 
837 
1117 


1150 


REGISTER, 


Seite 
Verhärtetes  Ohrenschmalz     .     .     726 

Verhärtung •    .      974 

Verknöcherung 692 

—  der  Arterien     ....        83 

Verkreidung 692 

Verkrümmung 976 

Vernarbung 304 

Verrenkung 978 

—  angeborene       ....      983 

—  a.  innern  Bedingungen  338  343 


—     der  Beckenknochen 

.      989 

—     de.s  Brustbeins 

.      988 

—     —     Ellbogengelenks 

.      998 

—     —     Fersenbeins   . 

.    1018 

—     —     Fusses       ..     . 

.    1015 

—     der  Fusswurzelknochen 

.    1217 

—     —     Halswirbel      .      . 

.      985 

—     Hand  .... 

.    1003 

—     am  Handgelenk     . 

.    1002 

—     des  Handwurzelgelenks 

.    1004 

—     —     Kahnbeins     . 

.    1018 

—     —     ersten  Keilbeins 

.    1018 

—     —     Knies  .... 

.    1013 

—     der  Kniescheibe    . 

.    1012 

—     —     Lendenwirbel 

.      987 

—     —     Mittelfussknochen 

.    1019 

—     des    Mittelhandknochens 

des  Daumens    . 

.    1004 

—     —     Oberarms       .     . 

.      994 

—     —     Oberschenkels    . 

.    1007 

—     der  Finger  .... 

.    1005 

—     des  Radius  im  Ellbogen 

- 

gelenke       .... 

.    1000 

—     —     —    im  Handgelenke   1004 

—     d.  Rippen  u.  ihr.  Knorpel     987 

—     —     Rückenwirbel 

.      987 

—     des  Schlüsselbeins 

.      992 

—     —     Sprungbeins 

.    1017 

—     —     Steissbeins     . 

.      991 

—     d.Ulnai. Ellbogengelenk« 

3    1001 

—     —     —    im  Handgelenke   1003 

—     —     Vorderarmknochen 

998 

—     des  Wadenbeins    . 

1015 

—     der  Wirbel 

985 

—     —     Zehen 

1020 

Verruca. 

1030 

—     cancroides 

431 

—     carnosa    . 

1031 

—     vulgaris  .     . 

1030 

Verschiebung  der  Bruchenden 
Verschliessung        .... 
Verschliessung  der  Harnrühre 

—  des  Mastdarms 

—  —     Muttermundes 

—  der  Mutterscheide 

—  des  Nasenkanals    . 

—  der  Nasenöffnungen 

—  —     Vorhaut 
Verschwärung  . 
Verticalschnitt  . 
Versiones  uteri 
Verstauchung    . 
Verwachsung  der  Finger 

—  —     Gelenkendend.  Kno- 
chen        

—  —     Lippen  und  Wange 
mit  dem  Zahnfleische     . 

—  —     Schamlippen 

—  —     Vorhaut 

—  —     Zunge 
Vesicantia    . 
Vestibularschnitt    . 
Viergespann 
Vinculum 
Visceralgeschwür   . 
Vitia  primae  et  secun 

formationis  . 
Vorfall 

—  der  Gebärmutter 

—  —     Gedärme  . 

—  —     Lunge 

—  des  Mastdarms 

—  der  Mutterscheide 

—  des  Nezes    . 

—  der  Zunge  . 
Vorhautbildung 
Vorhautverschliessung 
Vorsteherdrüsenabscess 
Vorsteherdrüsenentzündung 
Vorsteherdrüsenhypertrophie 
Vorsteherdrüsenkrebs 
Vorsteherdrüsenneuralgie 
Vorsteherdrüsensieine 
Vorsteherdrüsentuberkel  . 
Vorsteherdrüsenverhärtung 
Vorwärtsbeugung  des  Knies 

—  der  Gebärmutter   . 
Vulnus 


d  ae 


652 
1020 

320 
1083 
1080 

637 

845 
1083 
1117 

833 
1020 
1021 
1021 
1023 
1026 
1027 

703 
1028 
1029 

500 

305 
1041 


w. 


Wabenkopfgrind 580     Wangenkrebs 607 

Wachsbeule 187     Warze 1030 

Wachsgrind       .     ,     ,     t     .     .     581 


REGISTER. 


1151 


Seite 

Warzenkrebs 431 

Wasseransammlung  in  derSchei- 
denhaut  des  Hodens     .     .     .     458 

—  im  Zellgew.  d.  Hodensacks     443 
Wasserbalggeschwulst    auf    der 

Kniescheibe 1031 

Wasserbruch 4  58 

—  angeborener     .      .      .      .      465 
Wassergeschwulst  der  allgemei- 
nen Scheidenhaut    ....      467 

—  —     Stimmrize      .      •      .    1034 

Wasserkopf 1033 

Wasserkrebs 708 

Wasserscheu .1055 

Wassersucht  der  Highmorshöhle  711 
Wattverband  .  .  ."_*.  .  .1037 
Weinhold'sche  Kur  .  .  .  .  915 
Weinstein  der  Zähne  .     .      .      .1101 

Weinstühlchen 499 

Weisse  Gelenkgeschwulst  .  331  338 
Widernatürlicher  After  ...  31 
Widernatürliches  Gelenk       .      .      751 

Wieke 201 

Wildes  Fleisch 13 

Winddorn     .      .      .      .      .      .  569 

Windgeschwulst 243 

Winterbeule 261 

Wirbelentzündung  ....  1038 
Wolfsrachen 300  426 

—  doppelter 426 

—  Operation  desselben  .      .      302 
Wunden        . 1041 

—  gerissene 1048 

—  gequetschte      ....    1048 

—  absolut  tödtliche    .      .      .    1042 

—  zufällig  tödtliche  .      .      .    1042 

—  vergiftete 1053 

—  der  Augenbrauen        .     .   1075 

—  —     Augenlider    .      .     .1075 


Zähne,  Ausfüllen  der        .      .      .  1098 

—     Ausziehen  der       .      .      .  1092 

Zahnentzündung 1096 

Zahnfäule 1096 

Zahnfistel 1099 

Zahnfleischgeschwulst    .      .      258  741 

Zahnfleischgewächs     .      .      .      .  258 

Zahnschmerz 1099 

Zahnstein 1101 

Zähne,  überzählige      .      .      .      .1102 

Zahnverlezungen 1103 

Zapfennaht 667 

Zäpfchen,  Abkürzung  dess.  .     .  1004 


Seite 

Wunden  der  Blutgefässe  . 

.    1060 

—     —     Brust  .... 

.    1078 

—     des  Damms 

.    1089 

—     der  Därme  .... 

.    1085 

—     —     Extremitäten 

.    1090 

—     —     Gallenblase    . 

.    1087 

—     —     Gebärmutter 

.    1088 

—     —     Gelenke    . 

.    1062 

—     des  Gesichts 

.    1074 

—     —     männlichen  Glieds 

.    1089 

—     —     Halses       .     . 

.    1076 

—     der  Harnblase 

.    1087 

—     des  Herzens 

.    1081 

—     der  Hoden  .... 

.    1089 

—     —     Knochen  . 

.    1062 

—     des  Kopfs    .... 

.    1064 

—     der  Leber    .... 

.    1087 

—     —     Lippen      . 

.    1075 

—     —     Lunge 

.    1081 

—     des  Magens 

.    1085 

—     der  Milz      .... 

.    1087 

—     Muskeln    u.   Sehnen   1063 

—     — -     Nase    .... 

.    1075 

—     —     Nerven 

.    1064 

—     —     Nieren      .     .     . 

.    1087 

—     —     Ohren 

.    1075 

—     des  Samenstrangs 

.    1089 

—     der  Scheide 

.    1088 

—     —     Speiseröhre    . 

.    1077 

—     —     Trachea    . 

.    1076 

—     des  Unterleibs 

.    1082 

—     der  Wange       ... 

.    1075 

—     —     Zunge 

.    1075 

Wundfieber 

.    1042 

Wundstarrkrampf  .... 

.    1058 

Wundsein 

.    1091 

Wurm  am  Finger  ... 

.      732 

Wurmkrankheit      .      . 

.      817 

Wuth 

.    1055 

Zäpfchen,  Entzündung  dess. 

1004 

—     Vergrösserung  dess.  . 

1004 

—     Spaltung  dess.       .     . 

1004 

Zellenkrebs 

589 

Zellgewebsbrand  des  Halses 

386 

Zellgewebsentzündung 

1004 

Zellgewebsverdickung  d.  Hoden 

sacks   ....... 

443 

Zellgewebsverhärtung 

1109 

—     brandige  des  Halses  .. 

386 

—     der  Neugeborenen 

1109 

Zermalmung 

783 

Zerreissung  der  Achillessehne 

858 

1152 


fcEGISTEfi. 


Seite 
Zertheilende  Mittel      .     .     .      .1110 

Zertheilung        .......     -250 

Zertrümmerung  .des  Steins  in  der 

Blase  ........      886 

Ziegenbein 499 

Ziegenpeter       .      .      .      .      .      .      862 

Zirkelschnitt 42 

Zirkelverband  .  .  .  •  ;  .  .  115 
Zittern  der  Hände 279 

—  merkuriclles  .  .  .  .  650 
Zittmann'sches  Decoct  .  .  .  913 
Zona 1112 


Zoster 

Zungenbändchen,  zu  kurzes 
Zungenentzündung 
Zungenhypertrophie    .      . 
Zungenkrebs      .... 
Zungenverschwärnng  . 
Zurückbringung  eines  Bruch 
Zusammenklebende  Mittel 
Zusammenziehende  Mittel 

Zweiwuchs 

Zwerchfellbruch 


Seite 
1112 
1116 
1114 
1117 
1119 
1121 
151 
1122 
1122 

r»6i 
167 


Seite 


5 
7 
12 
22 
24 
25 
30 
49 
50 
52 
59 
66 
92 
99 

111 
116 
151 
153 
181 
206 
207 
224 
357 
379 
406 

548 
548 
557 
561 
566 
576 
634 
652 
693 
792 


Ze 


le  15 

3 
15 
22 

5 
13 
12 

2 
20 

5 
15 
13 

8 
17 

14 
14 

9 
20 

5 
12 

6 
16 
22 
11 
21 

17 
22 

4 

3 
18 
18 

5 
14 

6 
22 


Druckfehler. 

von  unten  statt  Hydrarthrus  lies  Hydarthrus. 

,,         ,,     discrasiseh  1.  dyscrasisch. 

,,         ,,     ut  reman.  1.  ad  reman. 

,,         ,,  -  amonii  1.  ammonii. 

,,         ,,     Pflanzenform  1.  Pflanzenschleim. 

,,         ,,     Telangiactasien  1.  Telangiectasien. 
oben      ,,     Callisonl.  Callisen. 
unten     , ,    umstülpt  1.  umsticht, 
oben  nach  abgenommenem  seze  Gliede. 

,,       statt  Guthri  n  1.  Guthrie, 
unten     ,,    am  Fusse  1.  am  rechten  Fusse. 

,,     nach   Lappenschnitte  streiche  50. 
oben    statt  bringt  1.  benüzt. 
unten      ,,     der  Bauchhöhlennähe  1.   der  Bauchhöhle 

näher, 
oben       ,,    weiter  angezeigte  1.  weiter  unten  angezeigte, 
unten      ,,     Spinal.  Spica. 
oben      ,,    Bauches  1.  Bruches, 
unten      ,,     Bauchgeschwulst  1.  Bruchgeschwulst, 
oben       ,,     der  Wundwinkel  1.  der  eine  Wundwinkel. 

,,  ,,     Verbrennung  1.  Verkrümmung. 

,,    •      ,,     Brustserum  1.  Blutserum. 

,,  ,,    zu  Tode  1.  zum  Tode, 

unten      ,,     in  Substanz  1.  in  Distanz, 
oben       ,,     Entleerung  1.  Entzündung. 

,,         ,,     Erschlaffung  der  organischen  1.  Erschlaf- 
fung oder  organische, 
unten      ,,     schräge  1.  sehnige. 

,,         ,,     schräge  1.  sehnige, 
oben      ,,    bildet  1.  bietet, 
unten  nach  Festigkeit  seze  wieder, 
oben    statt  ärgeren  1.  längeren. 

,,         ,,     über  den  Nacken  1.  über  die  Wangen. 

,,         ,,     Structur  1.  Strictur. 
untten     ,,     Verwässerung  1.  Verwachsung, 
oben      ,,     Cholodochus  1.  Choledochus. 
unten     ,,    Auflösung  1.  Auslösung. 


Druck  von  Otto  Wigand  in  Leipzig.